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Deutſche Bibliothek.
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Original— Nomane.
Unter Mitwirfung von
Ludwig Bechſtein, Adolf Glaßbrenner, 3. G. Kühne, 5. Klirnberger,
Hermann Kurz, Hermann Marggraff, Theodor Mügge, Wolfgang
Müller, Otto Miller, Robert Prutz, Otto Roquette, Neopold
Schefer, I. V. Scheffel, Georg Schirges, And, Storch,
E. Willkomm u. a. m.
Eilfter Band.
Nheder und Matrofe.
Ein Hamburger Roman
von
Ernſt Willkomm.
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Frankfurt a. M.
Verlag von Meidinger Sohn & Ei
1857.
in Frankfurt a M.
Drud von Wilhelm Küchler
KRheder um Matrofe.
Ein Hamburger Roman.
&E rnit Willkomm.
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Frankf urt a. M.
Verlag von Meidinger Sohn 8 Cie.
1857.
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Dad Recht der Ueberſetzung tin fremde Sprachen behält ſich der
Verfafler vor.
Drud von Wilhelm Küchler
in Sranffurt a. M.
E:rftes Buch.
Der Merikaner.
D. B. XI Willlomm’s Nheder und Matrofe,
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Dad Recht der Ueberſetzung tin fremde Spraden behält fi der
Verfafler vor.
Drud von Wilhelm Küchler
in Kranffurt a. M.
Erſtes Buch.
Der Merikaner.
D. B. XI, Willtomm’s Rheder und Matrofe,
1222 7,
Erſtes Kapitel, Bu
Die Familie des Quartiersmannes.
Nach einem heftigen Gewitter, das unter Sturm und Re—⸗
gen über die Küftenftrihe der Niederelbe von Süden nad Norden
zog, trat ein erquidend milder Abend ein. Noch war viel Bewe-
gung in der obern Luft, was fih an den raſch dahineilenden leich—
ten Wolken bemerken ließ, der volle Glanz der Sonne aber, bie
bereits niedrig ftand, und Erbe, Himmel und Gewölk mit flim-
merndem Gold übergoß, verkündigte ſchönes Wetter.
Das wilde Toben des Ungewitters hatte feiner langen Dauer
wegen einige Stunden lang die Arbeiten im Freien unterbrochen, |
befonders ftörend waren die flurmartigen Windſtöße und das Nie—
derftürzen feharfer Hagelkörner den vielen im Hafen Hamburgs und
auf dem Strome Beſchäftigten. Nothgezwungen mußten fie eine
Zuflucht fuchen, Diefe auf vor Anker liegenden Schiffen, Jene am
naben Lande, wo fie in die zahlreichen Keller an den Vorſetzen
und den Kajen hinabftiegen. .
Als der Sturm ausgetobt hatte, eilten Hunderte von Men-
fhen wieder nad) Kähnen und Booten, der Strom belebte fi) von
Neuem mit zahliofen Fahrzeugen verſchiedener Größe und Form,
der monotone, bald fetfe, bald gefehretartig zum Quai herüberfchal-
Iende Gefang der Matrofen auf den Schiffen, deren Ladung ge-
löſcht ward, ließ ſich allerwärts wieder hören, und das Leben, na-
mentlih im Binnenhafen, geftaltete fi gewühlvoller denn je.
Wie hätte e8 auch anders fein können, da es Sonnabend
war, und ber Tag bereitö zu Ende ging. Jeder wollte noch möge
1*
— 4 —
lichſt viel vor Einbruch der Dunkelheit beſeitigen, und ſo haſteten
denn ſchwer tragende Menſchen an allen Landungsplätzen, die Schu⸗
tenführer, firengten, ſich ar, ihre mit allerhand Kaufmannsgütern
beladtiren Fahrzeuge:- direch· die Kanäle nach den Speichern zu be=
fördern, ud. an- den Luken in den Speicherräumen fah man überall
diele Hände "tn rihriger Thäligkeit, um aus den unten in den
Sleethen Tiegenden Fahrzeugen bie erhaltenen Ballen und Säcke
aufzuminden und fiher zu ſtauen.
Diefem bewegten Leben fah, an die Bruftwehr auf dem Kehr-
wieder gelehnt, ein Mann von etwa fünfzig Jahren wohlgefällig
zu. Gr trug die gewöhnliche Tracht der Arbeiter, und feine ſchwie⸗
figen breiten Hände, fein geröthetes Gefiht, das fi vor feinem
Wetter ſcheuen mochte, liegen auf den erſten Blick einen gefhäfts-
fundigen, überall felbft mit zugreifenden Quartierdmann erkennen,
deren die gewaltige Handelsſtadt viele befibt, und bie in mander
Hinfiht ald Männer, denen man unbebingted Vertrauen ſchenken
darf, die rechte Hand großer Hanbelsherren find.
Jacob Behnke — fo mag der Quartierdmann heißen — war
eben erit die ſteile zum Binnenhafen binabgeleitende Holztreppe
bheraufgeftiegen und noch warm von der Anftrengung, die fein
musculöfer Körper wohl vertragen konnte. Er kam zurüd vom
Speiher eines Kaufmannes, wo er beim Ausladen der lebten
Schute Waizen zugegen gemwefen war, und wollte nun, alter Ge-
wohnheit gemäß, noch einen Blid auf das Lärmen im Hafen und
auf das lebendige Durcheinander am gegenüberliegenden Ufer werfen.
Auf den hochgegiebelten Häufern” und den Maſtenſpitzen der
Seefhiffe, die großentheils mit befchlagenen, einige nur mit halb
gerefften Segeln weiter draußen im Hafen und auf der Elbe Ia-
gen, glänzte noch das Sonnenlicht, und die goldene Krone, welde
die Spitze des Sanct Katharinenkirchthurmes umgibt, Teuchtete wie
ein Feuerball und. zug wieberholt- die Blide des Quartiersmannes
auf fi.
Mit dem DVerfinfen der Sonne änderte ſich das fo interej-
fante Bild ſchuell. Die auf Lauben und auf Beifchlägen figenden
— 5 —
Frauen und Mädchen verließen ihre bisher behaupteten Plätze, von
wo aus ſie mit den Nachbarn plauderten; die hin und wieder durch
den Hafen rudernden Jollenführer wurden immer ſpärlicher ſichtbar.
Aus den Kellerwohnungen glänzten Lichter, das Baumhaus füllte
ſich mit Gäſten, deren lautes Geſpräch und vergnügtes Lachen aus
den geöffneten Fenſtern herüberhallte zum Kehrwiederwall und an⸗
zeigte, daß die Arbeit des Tages für beendigt gelten könne.
Behnke hatte dieſen allmähligen Uebergang von der eifrigſten
Thätigkeit zur völligen Sonnabendsruhe viele hundert Male beob—
achtet. Er ſah nur Allbekanntes, und dennoch konnte er nie in
ſeine beſcheidene Wohnung heimkehren, ohne, wenn das Wetter nicht
gar zu Widerwärtig war, dieſen Anblick, an dem fein gut ham—⸗
burgifhes Herz fi labte, immer von Neuem wieder zu genießen.
Er fühlte fih froh und glüflih, wenn er den Glanz und Wohl-
fand der Stadt, deren Sohn er war, betrachten fonnte, und ob=
wohl ihm felbft nur ein ſehr beſcheidenes Glücksloos zugefallen
war, würde er es doch ſchwerlich mit einem andern, ſelbſt nicht
mit einem glänzenderen, vertaufeht haben.
Endlich dunkelte es. Behnke faßte mechaniſch an die Kette
des Krahnes, neben dem er ſtand, und hob ſich etwas daran em=
por, um hinabzufehen Auf das plätjchernde Wafler, wo feine Schute
angefettet lag. Gerade als er fid fo überbeugte, flog nod ein
Fleiner Nahen unter rafhen Ruderihlägen vom Baume herein,
dem Binnenhafen zu. Außer dem Rudernden faß nur eine ein=
zige Perfon darin. Der Quartiersmann fah fharf hinab und fein
weittragended Auge erkannte einen Gapitain, den er lange nicht
mehr gejehen hatte.
Heda, Glaus, rief er dem im Nahen Sikenden zu, ſeid
Ihr's wirklih? Mo habt Ihr jo lange vor Anker gelegen? Sn
Brafilien oder an der Golbfüfte?
Guten Abend, Jacob, verfegte der Capitain. Wie iſt's Be⸗
finden? Doch Alles tar im Haufe?
Alles Mar, erwiderte der Quartiersmann. Und bei Eud,
Glaus?
— 6 —
Muß es ebenfalls Toben, entgegnete der Capitain. Bin vor
einigen Stunden erft aufgefommen mit der Zluth, tft aber gut
gegangen. Alles gefund an Bord. Habt Ihr Nachricht von | Guerm
Baul?
Behnke Holte ſchwer Athem. Leider, nein, fagte er zögernd.
Seit einem halben Jahre hat er nicht mehr gefchrieben. Als bie
„Marie Elifabeth” in Rio angelommen war, meldete mir ber
wadere Junge‘, wie es ihm ergangen fei auf feiner eriten großen
Reife. Er war munter und verſprach vor Abgang des Schiffes
nochmals zu fchreiben. Das hat er aber nicht gethan. |
Nun, dann kann ih Euch fagen, daß ih ihm und die ge—
fammte Mannihaft der „Marte Elifabeth” im merltanifchen Meer-
bufen wohl angetroffen habe. Läßt Euch grüßen, Alter, im Oe—
tober oder auch früher will er wieder an: feiner Mutter Tifh An-
fer werfen. Guten Abend, Jacob, auf Wiederfehen!
Behnke erwiderte dankend ben freundliden Gruß, der Na—
hen ſchoß zwiſchen den vielen Ewern fort, dem Kajen zu, und ver-
fhwand unter ber über den breiten Fleeth führenden hohen Brüde
dem nahfchauenden Quartierdmanne.
Diefe unerwartete Kunde von feinem Sohne, vor deſſen Leben
ihm in den Tegten Wochen oft gebangt hatte, machte auf Jacob
einen belebenden Eindruck. Paul war fein einziger Sohn und der
Vater hätte e8 Lieber gefehen, er wäre ihm zur Hand gegangen,
in feine Fußſtapfen getreten; denn bei dem Rufe, deſſen der Quar-
tiergmann fich erfreute, und bei der großen Belanntfhaft, die er
ſich ſowohl unter der Kaufmannſchaft wie unter den Arbettsleuten
erworben hatte, konnte es nicht fehlen, daß der Sohn dereinit feine
Stelle erhalten mußte. Paul aber zeigte einen fo unbezwingbaren
Hang zum Seeleben, daß Jacob den Tag für Tag fich wiederho—
lenden Bitten des Sohnes nicht widerftehen konnte. Er gab- feine
Einwilligung, obwohl mit ſchwerem Herzen, ſprach mit ihm befann-
ten Gapitainen und hatte bald einen Mann gefunden, dem er den
eben der Schule entlaufenen Knaben anvertrauen durfte. Mit
fünfzehn Jahren war Paul Schiffsjunge und machte als folder
— 7 —
zuerſt eine Reiſe nach England und Schottland. Seine Liebe zum
Seeweſen erleichterte ihm den oft ſo ſchweren Schiffsdienſt, ließ ihn
ſchnell das Schwierigſte faſſen und brachte ihn raſch vorwärts. Der
Capitain war höchlichſt zufrieden mit dem behenden, muntern,
kecken und immer gut gelaunten Paul, und als er fi in einen
Matrofen verwandelt hatte, nahm er ihm mit auf einer Reiſe ing
Mittelmeer, wo der faum zum Jüngling herangereifte Knabe die
Häfen von Neapel, Palermo, Meffina befuchte, Malta kennen lernte,
in Alerandrien, Tunis und Tripolis einlief, und auf der Rüdretfe
einige Wocen- in Malaga, fowie in Liffabon unter jubelndem Ent-
züden über die Wunderpracht diefes köſtlichen Glimas und bie ro-
mantifche Herrlichkeit diefer ſchönſten Gegenden Europa’s verlebte.
Diefe Reife währte beinahe zwei Jahre. Zu Behnke's gro=
fem Leidwefen ftarb während derfelben der menfchenfreundlihe Ca⸗—
| pitain, der bei Paul vollkommen Vaterſtelle vertreten hatte, und
ber Oberfteuermann mußte vom Gap Finisterre aus das Com—
mando übernehmen, um das jegt ihm anvertraute Schiff glüdlich
in den Hafen zu führen.
Paul blieb nad feiner Diesmaligen Rüdkehr einige Monate
daheim, ftudirte fleißig Schifffahrtsfunde und erklärte mit ber ihm
eigenen Beltimmthett, die immer das Zeichen eines ſtarken Charak—
ters ift, daß er nur dann wieder eine Heuer annehmen werde,
wenn es ihm gelänge, einen Gapitain zu finden, der ihn 'als Voll:
matrofe auf einem Weft: oder Oftindienfahrer engagiren wolle.
Jacob konnte wenig dagegen erinnern. Freilih war Paul
noch fehr jung, aber er ſtrotzte vor Gefundheit, Hatte ſich Kenntniſſe
mandjerlet Art erworben, darunter auch folhe, die den Matrofen
gewöhnlihen Schlages faſt immer abgehen. Er fprad drei Spra-
hen ziemlid geläufig, und da er Fräftig, gebrungen von Gellalt,
jharfen Auges war und Muth und Geiftesgegenwart ihn nicht
verließen, fo mußte ber gern zum Zaubern geneigte Vater wohl
feine Beiftimmung geben, als der Sohn eines Tages wohlgemuth
zu ihm trat und ihm meldete, daß er ein Schiff und einen Capi⸗
tain gefunden babe, wie er ihn begehre,
— 8 —
Vierzehn Tage fpäter fegelte der glüdliche Matrofe am Bord
der Barf „Marie Eliſabeth“ von Glüdftadt ab und zwar vorerft
nad Cuba.
Aus Havanna, fpäter aus ber Hauptitadt Brafiliend waren
bem Vater Pauls erfreulihe Nachrichten von dem Befinden bes
jungen Matrofen zugegangen, fpäter aber erfuhr weder der Rhe⸗
ber des Schiffes noch font Jemand etwas von dem Schidſale der
„Marie Eliſabeth“.
Haſtiger als gewöhnlich trat Behnke in ſeine Wohnung, wo
der Abendtiſch für den heimkehrenden Vater ſchon gedeckt war.
Gute Botſchaft, Frau, ſagte er mit vergnügtem Geſicht, die
kurze, weite Jacke ablegend, die er bei ſeiner Arbeit trug und ſich
bequem in den Sorgenſtuhl am breiten Fenſter niederlaſſend, das
auf den Binnenhafen und die Häuſerreihe am neuen Krahn hin⸗
ausſah. Unfer Sohn kommt boffentlih ſchon Anfang Herbit wohls
behalten zurüd. Gapitain Glaus, deſſen Schooner heute aus New
Orleans angekommen tft, hat das Schiff angeſprochen in der me
xikaniſchen See.
Die Testen Worte vernahm zugleih mit der Mutter ein jun-
ges, fauber, aber bürgerlich einfach gefleidetes Mädchen, das ihren
Geſichtszügen nad zu urtheilen, noch kaum zwanzig Jahre zählen -
konnte.
Paul lebt? Paul iſt geſund? rief ſie vor Freude erröthend
dem Vater zu, das ſchmale feingeflochtene Körbchen mit dem kokett
darüber gebreiteten hochrothen Tuche, deſſen eines Ende faſt den
Fußboden berührte, auf die Tiſchecke ſtellend. Warum hat er ſo
lange nichts von ſich hören laſſen?
Danken wir Gott, daß wir jetzt Hoffnung haben, den ſo lange
Entbehrten in einiger Zeit wieder zu ſehen, warf mit tadelndem
Tone die Mutter ein.
O, erzähle doch, Vater! drängte nichts deſto weniger Chri⸗
ſtine, deren liebliches Geſicht jetzt im Wiederſchein der ſchnell an⸗
gezündeten Lampe, welche die Mutter mitten auf den Tiſch ſtellte,
noch an Reiz gewann. Chriſtine war in der That ein ſehr hüb⸗
_—g —
ſches Mädchen, ſchlank gewachſen, voll und doch von zartem, gra⸗
ziöſem Gliederbau, mit reichem hellbraunem Haarwuchs und blauen
Augen. Ihr Teint war dabei fo zart, weiß und rein, daß fie un-
beitritten, wo nit das allerfchönfte, doch jedenfalls eines der fchön-
flen Mädchen ihres Quartieres war.
Schnell legte fie das Tuch zufammen, langte aus dem Körb-
hen der Mutter ein paar Paquete, indem fie den dafür bezahlten
Preis nannte, und einige kleine in ein Papier gewidelte Münze
ebenfalls ber Mutter einhändigte. Dann Iief fie in den Hinter:
grund des Zimmers und bradte dem Vater cin paar bequeme
weiche Lederpantoffeln.
Da, lieber Vater, mach’ dir's bequem, fagte fie mit liebevol—
ler, weicher Stimme. ieh’ deine harten Schuhe aus; du haft fie
nun jhon über fünfzehn volle Stunden an den Füßen, und
ih weiß, daß fie dich dann drüden. So — und nun fprid!
Sage uns, was du Gutes von dem. fernen Bruder erfahren haft?
Mein Herz befommt vor lauter Sehnſucht orbentlih Ohren. Ich
bin gar zu neugierig, recht viel Schönes, Liebes und Seltſames
zu hören, fo etwas, daß einem äußerlich friert, während man in-
nerlich vor lauter Seelenfreude fi ſchüttelt!
Jacob mußte lahen, während er dem vor ihm auf der glän-
zend gefcheuerten, mit blaßgrauer Delfarbe angeftrihenen Diele
fnieenden Mädchen in das erwartungsvolle Geſicht fah.
Kleine Närrin, verfeßte er, der Tochter einen leichten Klaps
auf die rofige Wange gebend, wie fol td erzählen, wenn ich
felber nichts weiß? Außerdem mahnt mid der Magen, daß die
Glocke bald neun ſchlagen wird und du kennſt ja meine Schwäche.
Hunger macht mih immer ſtumm; erſt wenn der geflrenge Her,
dem wir die Biegſamkeit unferer Gliedmaßen und richtiges Denken
zu verdanfen haben, fein Recht erhalten hat, erft dann werde ich
beredt. Laß alfo fehen, was die Mutter bereit halt.
Frau Doris hatte als forgfame Hausfrau einen Imbiß bes
reitet, der wohl auch mandem andern gemundet haben würde,
Da gab es rohen Schinken, gekochte Gier, weißes Brod in Fülle
— 10 —
und köſtliche goldgelbe Butter. Auch der Theekeſſel ſummte und
puſtete über dem Torffeuer, obwohl Jacob als derber Arbeits—
mann dem Thee nur ſelten zuſprach. Ein Glas Grog, einmal
ſiedend heiß, ein andermal kalt, aber etwas ſtark, zog er dem
Thee jederzeit vor. .
An diefer ledern Tafel nahmen jetzt die drei Bewohner des
Haufes, welches Jacob Behnke ſchon feit einer Reihe von Fahren
fein Eigenthum nannte, Plab, und während Jeder nah Belieben
und Bedürfniß von den vorhandenen Spetfen genoß, fuchte Vater
Sacob feine neugierige Tochter nach Kräften zu befriedigen.
Wem gehört denn das Schiff, das Gapitain Claus jept
fteuert, fragte Chriſtine, die geleerten Taſſen zufammenftellend,
dem Vater ein Glas mifchend und die gebräunte, mit bunten
Papierflittern zterlih ummwundene lange Thonpfeife ihm reichen.
Das Schiff hat meines Wiffens zwei Rheder, erwiderte Ja—
cob, denn der Gapitain ift ſelbſt als Eigenthümer bethetligt. Als
Correſpondenz-Rheder aber kennt man an der Börfe den Kauf:
mann Chrenthal, Firma: J. K. Ehrenthal Söhne.
Iſt mir nicht bekannt, fagte wichtig Chriſtine. Er hat wohl
weniger Ruf als Herr Heibdenfrei?
Stnd reihe Leute, die Ehrenthals, erwiberte Jacob, ein
refpeetvolles Gefiht machend. Zwar fagen Manche, die den Söh—
nen nicht wohl wollen, well fie früher etwas ftarf flott lebten
und wohl auch mehr aufgehen liefen als gerade nothwendig war
zur Ehre des Haufes, die Solidität des Gejhäftes, das der Va-
ter gründete, ruhe nicht mehr auf fo fihern Grundlagen. Was
mich betrifft, fo höre ich dergleichen, weiß aber nichts mehr davon,
fobald die Worte verflungen find. Es kommt mir nidt zu über
fo große Leute zu urtheilen. Mir wie Allen meines Standes
fehlt dazu die Einfiht. Die Ehrenthals find nah wie vor — fo
glaube ih — Ghrenleute, und wenn fie meiner Dienfte bedürfen,
bin ih immer bereit, ihnen eben fo fehnell und gern meine Hände
barzureihen, wie jedem Andern.
— 1 —
Herrn Heidenfrei kommen ſie doch nicht gleich, meinte Chri⸗
ſtine. F Lieber Gott, was iſt das ſeit vier oder fünf Wochen für
ein Leben in dem Hauſe! Mir würde ſchwindlig, wenn ich den
vielen Menſchen, die tagaus, tagein Fragen an den ſtillen, alten
Herrn richten, Antwort geben ſollte.
Glaub's wohl, lachte Jacob. Ein Kopf wie Herr Heiden-
fret wird auch nicht alle Tage geboren, und noch feltener viel-
leicht find die Herzen, die fih von folhem Kopfe nicht zermalmen
lafjen.
Warſt du heute im Comptoir? fragte Doris die Tochter.
Im Comptoir nicht, blos auf der Diele, verfeßte Ghriftine.
Ich gebe ungern in die Schreibzimmer, fuhr fie fort, denn ent-
weder wimmelt es da von Malern und andern Herren, die alle
etwas zu erfahren wünſchen, oder man flört die Herren in ihrer
Arbeit. Und dann gibt es unter den jungen Leuten auch zwei,
die eine häßliche Manier haben, ein Mädchen anzubliden.
Ste werden fih doch Feine Frechheiten gegen dich erlauben?
fagte Jacob auffahrend, indem er die Pfeife aus dem Munde
nahm. Bin ih aud blos ein ungefhulter, plumper Quartiers⸗
mann, würde ih mir derartige Ungehörigfeiten doch fehr ver-
bitten. Und mein fohlichtes, gerades Wort, denk' ich, gilt bet
Herrn Heidenfret ebenfo viel, wo nicht mehr, als das zierliche
Gefhnäbel von ein paar jungen Kiefindiewelt, die auf dem Gomp-
toir des reihen Handelsherrn erſt etwas Rechtes lernen follen.
Ah nein, Bater, das würde Feiner der Herren wagen, ver-
fegte Chriſtine. Sie find eher zu Höflih, wenn fie mich fehen.
Deshalb vermeide ich den Beſuch des Comptoirs. Letzthin nannte
mich der eine ganz ehrerbietig Fräulein.
Jacob murmielte unverftändliche Worte vor fih hin, brannte
fi die erlofhene Pfeife wieder an und fügte Tauter Hinzu, er
werde nächſtens Gelegenheit nehmen, mit Herrn Heidenfrei über
bie fonderbaren Gonduiten feiner Gomptoiriften zu fpredhen. Gr
bemerkte nicht, daß Chriſtine bet diefer Aeußerung erröthete, fonft
hätte es allem Vermuthen nah einen fharfen Examen gegeben.
— 12 —
Zum Glück für das junge Mädchen ward die Aufmerkſamkeit des
Vaters auf andere Dinge gelenkt, die ihn alsbald ganz in An—
ſpruch nahmen.
Schon während der Mittheilungen Chriſtinens drangen ab—
geriſſene Töne eines mit ſchreiend lauten Stimmen geſungenen Lie-
des in das tranliche Familtenzimmer des Quartiersmannes. Sept
famen die Singenden näher. Es mochten Arbeitsleute oder Ewer-
führerfnechte, vielleicht auch Matrofen fein. Solhe Sangesübungen
fonnten Niemand auffallen, da fie täglich mehrmals fich wieder-
holen, bejonders häufig aber ded Abends vorkommen. Die vielen
Keller längs des Hafens, wd täglih Taufende verkehren und
welche deshalb von Krughaltern und mit PVictualten aller Art
Handel treibenden Bürgern außerordentlih geſucht find, füllen ſich
früg und fpät mit Gäften, nie aber find fie zahlveiher mit Men-
hen befett, als des Sonnabends. Dann wird gezeht, gefpielt,
gefungen und Mander läßt, vom Dämon der Letdenjhaft erfaßt,
oft den DVerdienft einer ganzen Woche beim Silentium oder irgend
einem andern Hazarbfpiele, wie fie die niedern Volksklaſſen lieben,
in die Hände "vom Glüde Begünftigter übergehen. Daß es dann
auch wohl Streit und Rauferei gibt, verfteht fih von ſelbſt und
gehört gewiffermaßen mit zu ten picanteren Genüffen des Lebens
in den erwähnten Kreifen.
Unter dem Wohnzimmer Jacob's befand fih, wie in den
meiften Häufern, ein Keller, der ebenfalls zu einem Wirthichafts-
feller eingerichtet worden war. Hier ging es verhältntgmäßig
größtentheils ziemlich ruhig zu, was dem Quartiersmann zu be-
fonderer Freude gereichte. Nur Sonnabends fand zumetlen eine
Ausnahme ftatt, die denn Jacob nachſichtsvoll überfehen mußte.
Da nämlih das Haus zwei Eingänge hatte, einen von der Straße
her, einen zweiten vom hinter ber Häuferinfel fortlaufenden Walle,
den ein Elbarm beſpült; fo kam auch von biefer Seite nicht
felten Schiffsvolk, gewöhnlich holländifhen Stammes, in den Kel-
ler. Geſchah dies, fo belebte fih die Befellihaft mehr als ges
wöhnlih. Es warb dann Hoch gefpielt, man genoß ungewöhn-
— 13 —
liche Quantitäten fharfer Spirituofen und ließ ſchließlich Luft
und Freude in überlautem Gejange aus.
Die Singenden famen auch diesmal, wie Jacob am Schalle
bemerfen konnte, vom Kebrwiederwalle. ALS fie die Treppenftufen
hinuntergeftolpert waren, belebte fit das Local ſofort. Man hörte
heftige Schläge auf die Tifhe, verworrene Stimmen ftellten vers
fhiedene Forderungen an den Wirth, dazwiſchen fchallte Gelächter,
lautes Jauchzen und der gellend gefungene Refrain eines hollän-
difhen Volksliedes, das Jacob hundertmal gehört Hatte, nod
immer «ber nicht verftand, weil die ungefchulten Sänger die ein⸗
zelnen Worte quetfchten und verſchluckten.
Mehr als diefe ihm wohlbefannten obwohl ungern vernoms
menen Laute feflelte ihn der harmontfhe Geſang eines fremdartig
Mingenden Liedes, bad Träftige Männerfehlen anftlimmten, und
das offenbar irgendwo tim Süden Europa's feine Heimath hatte,
Diefer Gefang, dem aud Doris und Chriſtine verwundernd lauſch⸗
ten, kam jetzt ebenfalls näher. Man hörte deutlich Ruderſchläge,
noch vergingen ein paar Secunden, dann ſchwiegen Die Sänger.
Mellengeplätfcher ſchlug an die im Hafen Itegenden Fahrzeuge,
eine Kette klirrte, Lachen, fremd tönende melodienreihe Worte
hallten herauf, und endlich näherten fich fehnelle Schritte. Auch
diefe neuen Ankömmlinge fliegen von der Straße her in ben
Keller hinab. .
Sofort mehrte fih der unten bereits tobende Lärm. Gläfer
Hangen zufammen, die Verſammelten riefen jubelnd irgend Je—
mand ein dreimaliges Lebehoih zu. Hierauf ward es wieder etwas
ruhiger und die Familie Behnke vernahm Guitarrenfptel, zu dem
eine fonore kräftige Männerftimme eine dem Ohre ſchmeichelnde
Melodie fang. .
Das find Spaniolen, th wette, ſprach Jacob, als der Sänger
eine Pauſe machte und son einem lauten Hurrah der Webrigen
für feine anmuthige Unterhaltung belohnt warb. Nach einem aber-
maligen Zufammenflingen der Gläfer hob Spiel und Gefang von
Neuem an, und fowohl die Beſucher bed Kellers wie die darüber
— 14 —
wohnende Familie hörten den wunderbar ſüßen Klängen des un«
bekannten Sängers mit ſteigender Verwunderung zu.
"Wer mag das wohl fein? unterbrach Jacob das allgemeine
Schweigen, ald der Sänger abermals aufhörte. So lange ich hier
wohne, babe ich dergleichen nicht vernommen. Spanifhe und por=
tugiefifhe Matroſen gewöhnlichen Schlages pflegen zwar wentger im
Trunk auszuſchweifen, ald Holländer, Dänen und Engländer, im
Dortrage ſchlechter und ſchlecht gefungener. Lieder dagegen bleiben
fie hinter feiner andern Nation zurüd,
Chriſtine wollte etwas darauf erwidern, warb aber unter-
broden, da der Gefang jebt zum dritten Male fih hören Tief.
Am Ende erfholl das frühere Betfallsgefchrei unb ein noch un⸗
geſtümeres und anhaltenderes Gläſerklingen.
Plötzlich ließen ſich eigenthümlich ſchnarxende Töne Hören, die
unmittelbar ein lautes Lachen erregten; dann hörte man eine mo-
notone, feelenlos klingende Stimme einzelne wentge Worte unbe-
holfen ſprechen, als bemühe fih ein Papagei oder ein Staar ihm
oft vorgefagte Worte mit ſchwerer Zunge nachzuſtammeln. Diefe
feltfame Stimme wiederholte die Worte anfangs langſam, fpäter
fihneller und betete fie endlih nad einem immer mehr fich beet-
enden Tafte ber, als würden fie durch ein Uhrwerk hervorgebracht.
Die Gäfte im Keller lachten Taut darüber. Jacob aber warb beim
Anhören biefes immer unheimlicher klingenden Kollerns bald ernft,
fein Geſicht verbüfterte fih, er legte die Pfeife weg.
Das Klingt häßlich, meinte Chriſtine.
Als ob ein Blödfinniger reden‘ lernen wollte, bemerkte bie
Mutter, emfig die Nadeln an ihrem Strickſtrumpfe bewegend.
Ich hab's, fagte Jacob. Es find Gaufler, vielleicht aus ber
Gascogne, vielleicht au aus dem Baskenlande oder gar von Gra-
nada her. Bor ein paar Tagen fhon hieß es, daß folh Volt
mit einem fpantfhen Schiff hier eintreffen ſolle. Wahrſcheinlich
tft einer oder der andere von der Gefellfhaft fhon früher einmal
in Hamburg geweſen, hat bier Befanntfchaften gemadt und gibt
nun vorläufig biefen Bekannten einige feiner Künfte zum Belten.
— 15 —
Ja, ja, fo wird's fein, ſetzte er beſtätigend und ſich ſelbſt beruhi⸗
gend hinzu. Da fängt der närriſche Spaß von Neuem an. Na,
laßt fie machen. Schiffsvolk hat weder Sitte noch Bildung. Es
muß auf feine eigene Art Vergnügen ſich ſchaffen, wenn es nicht
vor Langeweile böfe Streihe machen fol.
Sind es wirklich Gaukler, wie du fagft, Vater, bemerkte Chris
ftine, fo könnten wir doch wohl aud einmal ihre Kunftjlüde zu
Geſichte befommen.
Wenn ſich's ſchickt, warum nicht, erwiderte troden der Vater.
Mich dünkt indeg, wir befommen vorerit heute ſchon genug von
diefen ausländtfchen Herrlichkeiten zu hören, und bamit wir morgen
bei Zeiten wad find und die Kirche nicht verfäumen, halt’ ich es
für's Befte, wir laſſen die unverbefferlihen Narren thun, was fie
wollen, und fehen zu, daß und der Himmel einen riftlih er⸗
quidenden Schlaf ſchenkt. |
Chriſtine Hätte gern noch eine Zeit lang dem Spiele zuge⸗
hört, das jebt wieder anhob, und wozu ein vierfiimmiger Gefang
glodenrein angeftimmt ward, allein an unbedingten Gehorfam ge=
wöhnt,. mußte fie fih dem Willen des Vaters ohne Widerrede fü-
gen. Doch war das junge Mädchen in diefer Nacht nicht allein
eine aufmerffame Zuhörerin der fremden Birtuofen, auch Jacob
mußte bald auf die fihmelzenden Laute ihrer Lieder, bald wieder
auf das unheimlich Elingende, monotone und feelenlofe Geſchwätz des
fprehenden Vogels oder was es fonft fein mochte, hören. Mit
dem feften Entſchluſſe, fhon am nächſten Morgen Nachfrage bei
dem Kellerwirthe zu halten und über die wunderlihen Nachtſchwär—
mer genauere Erfundigungen einzuziehen, fiel endlih der Quar-
tiersmann nad langem Wachen in tiefen Schlummer, der ihn feſt
hielt, bis ihn früh die dumpfen, hohlen Töne der Betglode vom
St. Nicolaithurme wieder erwedten.
— 16 —
Bweites Kapitel. ,
%
Don Alonſo Gomez.
Etwas entfernt von den langen Reihen großer Seeſchiffe,
welche innerhalb des fogenannten Schlengeld lagen, wiegte ſich auf
dem fanft fluthenden Strome der Elbe ein zierlich gebauter Schoo-
ner. Es war um die neunte Morgenfiunde. In der weichen kla⸗
ren Auguftluft ſchimmerte alles Tau- und Segelwerk, als fet es
erit über Naht von unfichtbaren Geifterhänden erneuert worden.
Auf allen Schiffen, welcher Nation fie angehören mochten, wehten
Flaggen zur Feier des Sonntages. Auch der Schooner hatte feine
Farben aufgehift und war jebt weithin als ein hamburgifches
Schiff zu erkennen.
Eben läutete die Glode in der Schiffskiche, als aus den
Reihen der hoch emporragenden Schiffskörper eine Eleine Jolle
in das bewegtere Wafler des Stromes ſchoß. Ein junger Mann
in Matroſentracht, in jeder Hand ein Ruder, trieb gewandt und
ſicher das kleine Fahrzeug quer durch den Strom. dem draußen
liegenden Schooner zu. Als er noch etwa zwanzig Fuß vom
Bord deſſelben entfernt ſein mochte, rief den Mann in der Jolle
eine laute Stimme vom Hinterdeck des Schooners an.
Bei meiner Mutter Augenbrauen, du biſt es! ſagte die
Stimme, welche den Matroſen etwas unwirſch aufblicken machte.
Wer hat dir erlaubt, Miguel, die ganze Nacht am Lande oder
Gott weiß, wo ſonſt, zuzubringen? Ein Glück, daß der Capitain
nichts von deinen Streichen wittert, ich fürchte ſonſt, er könnte dir
die Schärpe, die ohnehin knapp genug um deine Hüften ſchließt,
ſo eng zuſammenſchnüren, daß wir eine Ration Eſſen für einen
Tag profitirten.
Dieſe mit guter Laune in ſpaniſcher Sprache an den Matro-
fen gerichteten Worte famen aus dem Munde des Steuermannes,
der in ſchmucker Seemannstradt, ein rothfeidenes Tuh loſe um
ben Hals gefchlungen, das vorn unter dem Kinne ein einfacher
Yoldreif zufammenhielt, über die Schanzfleidung berabfah, Der
Angeredete grüßte mürrifh, ließ die Jolle dicht an das Fallreep
treiben, Eettete fie hier an und fprang dann behend, mie ein Gich-
hörnchen, die fteil herabhängende Stiege hinauf an Bord des
Schooners.
Wo haſt du Don Alonſo gelaſſen und Maſter Papageno?
fragte der Steuermann den flinken Burſchen, deſſen gedrungene,
aber elaſtiſche Geſtalt Kraft und Gewandtheit verrieth, und deſſen
Geſichtszüge und dunkles Haar die ſüdliche Abtunft nicht verläug⸗
nen konnten.
Sie folgen mir Beide auf dem Fuße, erwiderte der Ma⸗
troſe. Sie waren noch nicht müde genug und mußten deßhalb
noch einen kleinen Umweg machen.
Hab's mir gedacht, daß es fo kommen würde, lachte der Steuer⸗
mann. Ich kenne das aus Erfahrung. Wer zwei Monate lang
zur See geweſen iſt und allerhand Strapatzen durchgemacht hat,
kennt, ſobald er wieder feſtes Land unter ſeinen Füßen fühlt, we⸗
der Zeit noch Stunde. Er muß toben, bis ihm vor Müdigkeit die
Augen zufallen und die Glieder nicht mehr zuſammenhalten wollen.
Noch während dieſer Auslaſſung erſchien zwiſchen den Reihen
der Schiffe ein größeres Boot, von zwei Männern geführt, bie
ebenfails mit langen Ruderſchlägen dem Schooner zuftrebten.
MWahrhaftig, da kommen fie! fuhr der Steuermann fort, in-
dem er feinen Pla auf dem Hinterded verließ und ſich der Mitte
des Schiffes zuwendete.
Guten Morgen, Don Alonſo, guten Morgen, Maſter! rief
er heiter den beiden Ankömmlingen zu. Beſchleunigt Eure Schritte,
damit ich beim Frühſtück erfahre, welch' ſeltſame Abenteuer Ihr in
der erſten Nacht erlebt habt, die Ihr auf deutſchem Boden zu—
bringt? — Wie gefällt Euch Hamburg? Iſt's nicht ein Ort, wo
fih’8 vortrefflich leben läßt, und Hat der Achte hamburger Junge
wohl Recht, wenn er voll Selbftbewußtfein .und den Kopf ftolz in
den Naden werfend ausruft: „Dat gift man een Hamborg in
D. B. XI, Willkomm's Nheber und Matroſe. 2
— 18 —
Während dieſer in heiterſter Stimmung und mit einem ge—
wiſſen Uebermuth geſprochenen Worte waren die beiden jungen
Männer an Bord gekommen und folgten dem Steuermanne in
die Cajüte, wo ſchon ein Frühſtück bereit ſtand. Don Alonſo Go—
mez ſtammte aus Mexiko, war reich und unabhängig und beſuchte
Europa nur zu ſeinem Vergnügen. Der junge Mexikaner, der
einer altſpaniſchen Familie angehörte, die ſeit der Eroberung in
Mexiko begütert war, konnte für einen ſchönen Mann gelten. Hoch
von Wuchs, von edler Geſichtsbildung, feurigen Auges und dabei
eleganter Tournure, hatte die Natur ihn auch noch mit einer un—
vergleichlihen Tenorſtimme und der anmuthigen Gabe des Gefan-
ges ausgerüftet. Hätte Don Alonfo tm Mittelalter gelebt, fo
würde er ohne Zweifel ein Troubadour geworden fein. In ſei⸗
nem paradieſiſchen Vaterlande und beſonders in der Stadt, die ihn
geboren, lebte keine ſchöne Sennora und Sennorita, welche die
Stimme Don Alonſo's und ſein meiſterhaftes Guitarrenſpiel nicht
kannte. Der lebhafte junge Herr war Virtuoſe im Spiel wie in
der Improviſation, und wäre er weniger flatterhaft, weniger ge⸗
nußſüchtig geweſen, und hätte nicht immer neuen Reizen oder pi—
kanten Abenteuern nachgejagt, ſo würde er längſt ſchon das ſchönſte
Mädchen Mexiko's als Gattin heimgeführt haben. Don Alonſo
Gomez aber liebte den Wechſel, die Veränderung. Zu mannid-
fah konnte fih der Genuß des Lebens für ihn nie geftalten. Er
bedauerte nur den gebrechlichen Bau des menſchlichen Körpers, der
nicht jegliche Laft ertragen kann und unter Tortgefegten Genüfjen
oft vor der Zeit zufammenbridt.
Diefer unbändige, von frühefter Jugend auf durch eine nur
zu nachſichtige Erziehung genährte Hang nad unbegrenztem Ge—
nuffe trieb den jungen und begüterten Dann von Sand zu Land.
In Teras hatte er kurze Zeit eine Pflanzung befeflen, weil ihm
aber der Verkehr mit Sklaven, die er nicht entbehren Tonnte, zu=
wider war, veräußerte er fie fehr bald wieder. Darauf ging Don
Alonfo nah New Orleans, wo die fhönen, zarten, graziöfen und
üppigen Greolinnen ihn ein ganzes Jahr lang feſſelten. Gine
diefer unwiderftehlichen Sirenen flößte ihm fogar eine fehr ernft=
hafte Neigung ein, und vielleicht wäre e8 der glüdlihen Zauberin
wirklich gelungen, den flatterhaften Meritaner für immer an fid
zu fetten, hätte Died immer flärker und inniger fich geitaltende
Herzensbündnißg nicht die Geißel der Louifiana, das furchtbare gelbe
Fieber für immer gelöft. Don Alonſo's Geltebte ftarb an ber
ſchrecklichen Seuche und der fo plöblih aus allen Himmeln ge=
flürzte Mexikaner floh aus New-Orleans, ald würde er von ben
Furien verfolgt. Er rettete ſich, nur von ſeinem treuen Diener,
Maſter Papageno, begleitet, den er ſchon aus Mexiko mit nach
Texas gebracht hatte, auf das Schiff eines hamburgiſchen Capi—
tains, das fegelfertig im Hafen lag, und trat, fhnell entſchloſſen,
leichtblütig und aud das lebte trübe Ereigniß raſch vergeffend,
voll neuer Hoffnungen und Erwartungen eine Reife nah Europa an.
Mafter Papageno, wie fein Herr ihn fiherzweife nannte, war
ein Mulatte mit nicht eben ſehr einnehmenden Gefichtszügen. Ei—
nige Jahre älter als fein glüdlicher Gebieter, fügte er fih doch
mit ſklaviſcher Unterwürfigfett in alle Launen defjelben, und lieh
nur zu oft Unternehmungen feinen Beiftand, die befjer unterblie-
ben wären. Den Namen Papageno hatte Don Alonfo ihm deß-
halb beigelegt, weil der Mulatte fih am liebſten in ſchreiend bunte,
‚ gewöhnlih nicht mit einander harmonirende Farben Eleidete. Er
trug feuerfarbene, weite Beinkleiver, gelbe Stiefel, eine himmel:
blaue Jade, die Hüften umwand eine breite ſchwefelgelbe Schärpe
und auf feinem dicken, wolligen Haare faß zum Meberfluffe nod
der breitrandige Sombrero der Andalufier mit zwei fehr großen
Mofetten an Kopf und Rand.
Diefe beiden Fremdlinge faßen jet dem Steuermanne in ber
Cajüte des Schooners gegenüber, um’ den guten Dingen zuzufpre-
hen, welche der Schiffskoch für fie aufgetragen hatte. Der Steuer-
mann Andreas, ein hamburger Kind, das früh die Aeltern ver-
Ioren hatte und fchon fett feinem vierzehnten Jahre zur See gegangen
war, lachte unmäßig über die luſtigen Erzählungen feines muntern
Gaſtes.
2*
— 20 —
Und wo habt Ihr denn all dies dumme Zeug angegeben?
fragte Andreas.
Da fragt Miguel, den widerſpenſtigen Schlingel, verſetzte der
Mexikaner. Welcher ehrlichen Mutter Kind mag die gräßlich klin—
genden Namen ausſprechen und welches Gedächtniß mag fie behal-
ten können, die Ihr närrifhen Deutſchen erfonnen habt! Sch habe
mich ganz himmliſch unterhalten, und das genügte mir. Die Ge—
jelfhaft, in die ung ein paar andere durſtige Matrofen von ber
Nation John Bulls führten, war allerdings nicht die feinfte —
wenigſtens geht es in den Tertultas Mexiko's vornehmer und getft-
reicher ber — aber das fümmert mid wenig. Die Leute vergaßen
ihren Grog, wenn ih meine Guitarre erklingen ließ und eins
meiner ihnen gänzlih unverftändlichen Liedchen anftimmte, die auf
den durchfichtigen Wangen der fchönen Greolinnen in New-Orleang
immer die Föftlihften Rofen der Schaam oder DVerlegenheit erblü-
hen madten, woburd fie nur noch an Liebreiz gewannen. Zur
Abwechſelung mußte dann noh Mafter Papageno ſchnarren, was
er ja meiſterhaft veriteht, und Miguel, der fich feit Kurzem auf
die Bauchredneret gelegt hat, ſprach dazwiſchen wie ein Papagei,
ber das Reden gern lernen möchte, was das verfammelte halbtrun=
fene Schiffsvolk beinahe toll machte. Denn fie glaubten fleif und
feſt mit ſammt dem feiften und nicht fehr Hugen Wirthe, einer
von ung trüge ein derartiges nachahmendes Thier in fetner Klei-
bung verborgen. Um nun aber dem Spaße die Krone aufzuſetzen,
gab ich Mafter Papageno einen Win. Auf unferm erften Streif-
zuge den Hafen entlang hatte ich einen ſchwarzen Vogel, vermuth-
lich eine Dohle, vor einem Haufe in geräumigem Käfig hängen
fehen. Das Thier machte mich lachen und fah gerade fo aus in
feiner Vogeldummheit, als müfle es teden können, wenn man ihm
vernünftig vorſpräche. Maſter Papageno verſtand mid, ging fort
und fam ſchon nad zehn Minuten zurüd, das glüdlih entführte
Thier in feinen weiten Beinkleibern verbergend. Nun fing der
Spaß von Neuem an und da inzwifhen die ganze Gejellihaft,
bie uns zubörte, in jenen feligen Zuftand verfegt worden war, wo
— A —
der Menſch alles Leid vergißt und jeden Gegenſtand doppelt oder
auch gar nicht mehr ſieht, ließ Maſter Papageno bei einer aber—⸗
maligen Kunſtleiſtung Miguels den ſchwarzen Vogel auf den Tiſch
ſpringen. Alle wollten ihn ſehen, betaſten, angreifen. Das Thier
ward aber desperat; es ſchlug mit den Flügeln, denen die Schwung⸗
federn fehlten, es krähte, kreiſchte und hackte mit dem Schnabel,
als ſei es vom lebendigen Teufel beſeſſen, und als doch endlich ein
paar derbe Fäuſte fi des widerſpenſtigen Vogels bemächtigten und
ihn nun mit Gewalt zum Sprechen bewegen wollten, hielt ich es
für gerathen, ganz geräuſchlos den Rüdzug anzutreten. - Wahr-
fheinlih Haben fie dem wild gewordenen Thiere in ihrem Eifer
den Hals umgedreht, aber das thut nichts. Ich Habe mich göttlich
unterhalten und bin mit Vivats und Hurrahs und anderen Aeuße⸗
rungen des Entzückens geehrt worden wie ein Fürft.
Andreas fiel abermals in fein ausgelafienes Lahen. Nimm
bih in Acht, Freund Alonfo, fagte er, den Finger warnend gegen
thn erhebend. Du haft von Glück zu fagen, daß die heilige Her⸗
mandab meiner guten Vaterſtadt nicht aufmerkfam geworben tft
auf deine und Mafter Papageno's Tafchenfpielerfunftftüde. Hätte
fie Euch bet der Entführung des armen Vogels ertappt, fo wür⸗
det Ihr jetzt Hinter ſchwediſchen Gardinen fiten und Euch recht Ieb-
haft in Euer fonnenwarmes Vaterland zurüdverfehen können.
Wo bleibt denn aber Miguel? fragte jetzt Don Alonfo, der
die leßte Bemerfung des Steuermannes nicht, der Beachtung werth
hielt. Der Burſche fängt an, auffäßig zu werben. Weshalb das?
Weil er es nicht vertragen kann, ſich von feines Gleichen wie
einen Knecht behandelt zu fehen, verfekte Andreas.
Was frage ih danach, fagte Don Alonfo mit ber ganzen
unnachahmlichen Erhabenheit eines Htdalgo von altkafttliihem Blute.
Er tft der einzige unter den Matrofen, mit dem ich mich ungentrt
unterhalten Tann. Ich bin nicht karg gegen ihn; im Gegentheil,
er befommt viele und bedeutende Gefchente von mir, Dafür Tann
er fih doch wohl auch meinen Launen und Neigungen fügen?
Kann? Gewiß, aber er will nun einmal nicht.
— 22 — |
Und ich fage dir, Sreund, er foll es! rief trogig Don Alonfo.
Sei vorfihtig und verlege feinen Stolz nid.
Wie Tann ein faum zum Matrofen aufgeftiegener Gajüten-
junge Stolz befiten, warf verächtlih der Merifaner ein.
Er Tann nicht blog, er muß e8 fogar, erwiderte in erniterem
fühlen Tone Andreas dem hocfahrenden Don. Wir Alle, die
wir und dem Seewefen widmen, waren einft Gajütenjungen. Unfer
Stolz befteht gerade darin, daß wir von unten auf gedient, daß
wir ung Feiner Arbeit, keiner Dienftleiftung gefhäamt haben, um
ung durch Gehorfam, durch Bekämpfung unferes Willens, vielleicht
auch unſeres Eigenwillens und Dünkels, würdig zu machen einer
höheren Stellung. Auf den zahliofen Schiffen, welche Deutfchlande
Kaufmannfhaft in alle Weltgegenden entfendet, lebt auch nicht
ein einziger Gapitain, der nicht aus eigener Erfahrung wüßte, wie
es einem Shiffsjungen in feiner Haut zu Muthe wäre. Diefe
jegensreiche, weiſe Einrichtung bildet die beften, zuverläffigften See—
leute, und da man durchaus auf Schiffen feinen Unterſchied macht
zwiihen Söhnen reicher, vornehmer und armer, dem Volle ange-
hörender Aeltern, fo tft von ſelbſt aller Meberhebung der Geburt
und des Glüdes ein Damm gebaut. Es Tennt Jeder feine Pflicht
und thut fie gern, darum darf auch ein Gajütenjunge ftolz fein,
er hat es aber eben fo wenig ald der Matrofe nöthig, fih von
übermütbigen Pafjagteren hudeln zu laſſen. Ä
O, über Euch deutihe Pedanten! lachte der Mexikaner. Da
befomme ich gleich eine ganze Abhandlung über Moral-Philofophie
zu hören, die, offen geftanden, außer meiner Begriffefähigfeit liegt.
Nun, immerhin! Bleibt nur fo gefebesfromm, fo Eeinlich-geredht
und Ihr werdet Euch ftets den Ruf des ehrlichſten Volkes auf
Erden bewahren, von allen übrigen Nationen aber verdientermaßen
hinterrücks ausgeladht werben.
Wohl möglich, verfeßte troden der Steuermann, die mexika⸗
nifche Nation würde jedoch unter diefen Lachern fehlen dürfen.
Ich wüßte wenigftens nicht, was fie bereditigen Könnte, ſich der⸗
. geftalt zu überheben.
— 233 —
Aus Don Alonſo's ſchwarzen Augen fiel ein Blick auf An-
dreas, der wie blauer Stahl funfelte.
Es iſt ſchon gut, fagte. der lebensluftige junge Mann. Ich
fenne jebt deine Anfiht und will, da ic ja gewiſſermaßen nur
ein Gaft auf diefem Bretterbau bin, fo gut ich vermag, in Eure
bier zu Lande giftigen Gefege und Eure ftreng tugendhaften Ge-
bräuche mich ſchicken, das heißt, jeßte er Teichtfertig- lachend Hinzu,
jo lange ih an Bord dieſes ſchnell fegelnden Schooners weile.
Was drüben am Lande gefchieht und innerhalb der Straßen dei—
ner ohne Zweifel ebenfalls außerordentlich tugendhaften Vaterſtadt,
wird ganz allein vor meinen eigenen, nad mexikaniſchem Zufchnitt
erbauten, Richterftuhl gezogen.
Andreas reichte dem übermüthtgen Paſſagiere gutmüthig bie
Hand.
Es wird dir Niemand Hinderlih fein, dich zu vergnügen
wie du magft und Fannft, fagte er, nur bier auf dem Schiffe fet
ein wenig vorfihtig und den Miguel laſſe — ich bitte dich da—
rum — tin Ruhe! Er ſteht nicht in deinem Dienfte. Außerdem ift
der Burfche ehrgeizig und, wie th weiß, von guter Familie. Du
wirft demnach einfehen, daß es ihm über die Maßen ärgerlich fein
muß, fih von dir behandelt zu fehen, als ſei er ein Farbiger.
Ich verjprehe dir, Miguel’s mir unbefannte, vornehme Ab:
ftammung von jet an vollkommen zu refpectiren, betheuerte mit
fomifhem Ernft Don Alonfo. Seht aber laß und einen würdi—
geren Gefprächsgegenftand wählen, fuhr der Merifaner fort, in-
dem er dem Mulatten einen Wink gab fi zu entfernen. Noch
bin ich unentfchloffen, ob ich hier bleiben, weiter landeinwärts
reifen oder je eher je lieber wieder umkehren fol. Es tft gegen—
wärtig Hochſommer bei Euch, wie du ſagſt, und wirklich hat es
den Anfchein, als könne die Sonne Wärme von fi geben, vor-
ausgefeht, daß dieſe merkwürdig intereflanten grauen Schleter,
Wolken oder Nebel genannt, die fich bereits jebt wieder zeigen,
ven fhönen Feuerball nicht in ihren feuchtfalten Händen abkühlen.
Die Stadt, die ich freilich noch nicht Kenne, ſcheint verſchiedene
— 24 —
intereſſante Seiten zu haben, ſchön gebaut aber iſt ſie nicht, we—
nigſtens konnte mir das, was id bisher davon ſah, wenig ge—
fallen. Eine Entdefung nur hat meine Neugierde rege gemacht.
Ich finde nämlih, daß in diefer feucht-fühlen Sonnen-Nebel-Luft
— denn nur jo fann ich dieſe unbejchreibliche Atmosphäre an=
nähernd richtig bezeichnen — das weibliche Geſchlecht vortrefflich
gedeiht. Bisher kannte ich nur bräunlich angehaudte Evastöchter
oder zarte weiße Rofen, hier habe ich zuerft Eöftlih blühende Cen—
tifolten flüchtig geftreift, und fo denke ih denn, es müßte für
mic, unbedingt und für das bier einheimifche Gewächs bedingungs—
weiſe recht interefjant fein, wenn der Sohn der Gröfcholle, die
einft das Reich der Azteken trug, fih auf das Studium der Cen—
tifolten legte, welde in deutſcher Erde jo merkwürdig gut zu ges
beihen ſcheinen. Was meinft du dazu, Andreas?
Du biit ein unverbefjerliher Bonvivant, verfehte der Steuer-
mann,
Soll ich bleiben oder gehen? fragte der Mexikaner nochmals.
Ich will dir einen Vorſchlag machen.
Laß hören.
Verſuch's auf vier Wochen, auf einen vollen Monat. Die
fhöne Jahreszeit, die deinem verwöhnten Leibe freilich nicht ganz
zufagt, erlaubt dir, Stadt und Umgegend genügend kennen zu
lernen. Bei deinen Mitteln wird es dir nicht fehlen, alsbald
Belanntfchaften zu machen. Der Gonful deines Landes, der ja
zugleih aud dein Banquier iſt, wird did in die Gefellfchaft ein-
führen. Du verſtehſt dich zu präfentiven, du weißt zu leben, bu
bift mit einem Worte einer von den nihtswürdigen Gaunern, die
mit ihrer bezaubernden Liebenswürdigkeit das größte Recht haben,
fi) den Eroberern, den conquistadores, hetzuzählen. Nur Eins
bitte th mir aus: laß dich felbft nicht etwa erobern! Wir Ham-
burger find ein handeltreibend Volk, und unfere rofigen Schönen,
mein lieber brauner Conquiſtadore aus dem Thale Tenochtitlan,
unfere Schönen find tn der Kunft des Speculirens oft unfern
feinft organtfirten Börfenfpeculanten noch voraus.
— 25 —
Edler, braver Andreas, es ſei, wie dein von Weisheit Übers
firömender Mund geiprochen hat! rief pathetifh der Merifaner,
dem Steuermann feine ſchön geformte, Fleine Hand hinreichend,
Jetzt, waderer Freund, will ich fürerfi in meine Koje kriechen,
denn meine Augenbrauen find ſchwer, wie die Blätter der DBa-
‚ nane, wenn ein Tornado fic beugt. Habe ich mich durch, ich
hoffe, einen langen, von den ſüßeſten Träumen umgaufelten
Schlummer vollfommen geftärtt, will ich einige Sorgfalt auf die _
Auftafelung dieſes Fahrzeuges, das man Körper nennt, verwen-
den, in aller Ehrerbietung den Schooner verlaflen und ein Hotel
beziehen. Wo wohnt man bei Euch gut, nobel, fein, elegant
und theuer?
Das Alles, fehr freigebiger Don Alonfo Gomez, findet man
in vorzüglichfter Qualität, zur „alten Stadt London” am Jungs
fernftteg.
Was? Wie heißt die Strafe?
Jungfernſtieg, Usted, wiederholte Andreas. Und das mit
Recht. Es gibt Feine zweite Stadt In Deutfchland, wo für bie
fein geformten Füßchen fchöner fittfamer Jungfrauen ein präd-
tigerer Spazierweg von den welfen Vätern der Stadt angelegt
worden wäre, als unfern Jungfernftieg! Was vornehm, reich, ele-
gant, fremd, ſchön und — kokett iſt, das wandelt bei Sonnen-
fhein und Sternenliht unter den fäufelnden Linden des Jungfern-
ſtiegs, treibt Sternguderei, lechzt nad Lebensgenuß, gebt auf
fügen Raub aus und läßt fi zuweilen von Raubrittern, welche
als Bavaliere feinfter Bildung auftreten, auch fangen !
Bei der ſüßen Seele meiner Mutter, das tft ja der Ein-
gang zum Paradiefe! rief entzüdt Don Alonfo Gomez. Höre
auf, ich bitte dich, fonft verfheuhft du mir die hold nidenden
Benien des Schlafed und ich bin genöthigt, ald Halb wacher
Träumer die Schwelle des Paradtefes zu betreten. Es tft ent-
fieden, die „alte Stadt London” fol der Palaft fein, welchem
die hohe Ehre widerfahren wird, einen Urenkel der Conquiſtadoren
und einen etwas entfernten Verwandten des längſt im Schooße
— 26 —
ſeiner treuloſen Götter ruhenden Montezuma zu beherbergen. Auf
Wiederſehen am Jungfernſtiege! |
Ein fpanifches Lied leiſe ſummend, begab fih Don Gomez
in jeine Koje, Andreas aber ftieg wieder auf das Hinterdeck und
überließ fih, Hier gemüthlih auf- und abgehend, feinen Gedan-
fen, 518 das Boot des Capitains, das den Rheder trug, an dem
Fallreep anlegte und ihn nöthigte, aus dem Reiche bunter Phan-
tafteen in Die profatfche Wirklichkeit zurüdzufehren.
Drittes Kapitel.
Am Tungfernftieg.
Unter den ſchattenden Linden am alten Jungfernſtiege flu-
thete ein Strom elegant gekleideter Spaziergänger auf und nieder.
Das prächtige Alfterbaffin, von einem weichen Südweſt faum be-
wegt, glänzte jo blau, wie ein tiefer Gebirgsfee, und enthüllte
jegt im Strahl einer warmen Auguftfonne all feine Zauberretze.
Zahlreihe Schwäne glitten ſtolz und lautlos über das flimmernde
breite Waſſerbecken. Zterlih gebaute Nahen mit weißen Segeln
und rothen Flaggen durchkreuzten die fanft fih kräuſelnden Wel-
len nad allen Richtungen. Cine Anzahl langer Ruderboote, biefe
von vier, jene von fehs behenden jungen Männern in leichter,
bequemer Matrofentracht raſch vorwärts getrieben, verſchwanden un-
ter der Lombarbsbrüde, um auf ber breiteren Waflerflähe der Au-.
Benalfter fih im Wettrudern zu üben.
Aus den Pavillons am Jungfernſtiege hallte Muſik. Hier
wimmelte es von Gäſten, die großenthetls im reiten unter ben
Vorbauen faßen, um an dem fröhlich belebten Bilde, das mit je-
der Minute neu fich geftaltete und das veizendite Kaleidoffop gro=
pen Weltlebens entrollte, ſich zu weiden.
— 27 —
Das Gewühl auf dieſer ſchönſten und darum beſuchteſten Pro⸗
menade Hamburgs ward immer dichter, die hin und wieder rol⸗
lenden Karoſſen reicher Kaufleute, die in's Theater fuhren, die
zahlreichen eleganten Droſchken, die glänzenden Equipagen vorneh⸗—
mer und begüterter Fremden, welhe einige Zeit in ben berühm=
teften Hoteld am Jungfernitiege Wohnung genommen hatten, mehr-
ten ſich von Viertelftunde zu Biertelftunde.
Bet Caffe und Gigarre fahen dieſem unterhaltenden Treiben
eine Anzahl noch fehr junger Männer zu, die Im Innern des Als
ſterpavillons an einem ber Tiſche in der Nähe der geöfineten Sen-
fter fih zufammengefunden hatten. Sehr elegant und ganz nad
ber neueften Mode gekleidet, ſah man es ihnen an, daß fie big
jegt nur die heitere Seite des Lebens hatten kennen gelernt. Uns
gentrt in ihrem Auftreten, etwas herausfordernd Taut, verriet ihr
ganzes Weſen den Träftigen Freimuth, den ſtolzen Unabhängigkeits—
finn, welcher den eingeborenen Hamburger kennzeichnet und der bis⸗
weilen fogar auffallen Tann, wenn er die Grenzen feiner Sitte
achtlos überfpringt. Alle trugen ben wohlgebürfteten feinen Cy—
Iinder, in dem fih nun einmal leider der europäiſche Geſchmack
verbiffen zu haben ſcheint, auf dem Kopfe, der Eine ihn etwas
teder als der Andere entweder in die Stirn oder in den Naden
rückend.
Die Meiſten laſen oder blätterten vielmehr in den auf dem
Tifhe liegenden Tageblättern und Zeitungen, ohne fih dadurch in
ihrem ſehr Laut geführten Geſpräche oder in ihren Beobachtungen
fiören zu iaſſen.
Künftigen Sonntag gibt es ja ein höchſt ſplendides Diner
auf Heidenfrei's Landſitze, ſprach Einer der jungen Männer, ſich
eine Cigarre anzündend. Hat Einer von Euch das hohe Glück,
eingeladen worden zu ſein?
Fängt Heidenfrei auch an zu traktiren? erwiderte ein Ande⸗
rer. Wie kommt der dazu?
Mein Gott, Julius, fagte der Erſtere, ſtellſt du dich doch un⸗
ſchuldig, wie ein neugeborenes Kind! Gr muß, wenn er auch
fein fonderlih großes Behagen daran findet. Seine Kinder find
feit vorigen Winter in die große Geſellſchaft getreten, was freilich
die höchite Zeit war, denn die reizende kleine Eliſabeth tft über
fiebenzehn Jahre alt und, wenn mir ein Urtheil zufteht, eins der
ſchönſten Mädchen, die jemals tn unferm guten Hamburg ſeidene
Schuhe getragen haben. Nun, und die Söhne brauden’s, Ihr
wißt, weßhalb.
Freilich, fiel ein Dritter, den man Anton nannte, ein, bie
Söhne müfjen wieder europätfche Sitten: lernen.
Das wird ſchwer halten, fagte Kurt. Das Leben an der
Meftfüfte Amerika's und fpäter am Golf von Merito hat ihnen
jo gut gefallen, daß fie es Tächerlich, thöricht finden, unfere lieben
vaterſtädtiſchen Gebräuche wieder In ihrer ganzen köſtlichen Unver-
fälſchtheit anzunehmen.
Alfo der Zopf gefällt ihnen nicht mehr? entgegnete Julius
heiter lachend. Iſt er ihnen oben zu did und unten zu ſpitz, ober
haben fie blos an der Fabrikation oder etwa an der Anwendung,
bie man davon madıt, etwas auszufegen?
Du Haft gut fpotten, meinte Kurt, ehrlich gefprochen aber
dauern mich die guten Jungen. Ihr wißt, fuhr er zu den Uebri-
gen gewandt fort, die mit Aufmerkſamkeit zuhörten, gefchetbt, pfiffig,
unternehmend find die Heidenfrei's alle. Das haben die Söhne vom
Alten fo gut ererbt, wie feinen Hang zum Sparen, was Viele
Geiz nennen, und feine Abneigung gegen alles prunfende Auftre-
‚ ten. Die frete perfönliche Bewegung aber, die man uns hier nicht
nad allen Seiten hin geftattet, am wentgften dann, wenn Zamilten-
intereffen dabei mit in’s Sptel fommen, brachten fie als eine neue
Errungenfhaft aus Amerika zurüd und mit diefer ſtoßen fie zum
Verdruß des Alten und zum Leidweſen ihrer Mutter und Tanten
gar zu oft an,
Der Argfte Verſtoß gegen die heimifche Sitte, fiel Anton ein,
mag wohl die Hulbigung fein, welche Ferdinand einem Fleinen
. obfeuren Mädchen barbringt, das vor Kurzem als Gefellfchafterin
— 129 —
in das Heidenfrei'ſche Haus gekommen fit, von guter Geburt, fet=
ner Bildung, fehr hübſch, aber Leider blutarm fein foll,
Man ſpricht davon, verfegte Julius, doch möchte ich rathen,
etwas vorfichtig mit der Verbreitung diefes Gerüchtes zu fein. Ul⸗
rife ift ein befcheidenes, feines und ſchönes Kind, das fchwerlich
daran denkt, einen ſolchen Goldfifch zu fangen, und Ferdinand wird
eher feine Geburtsfladt für immer verlaffen, als dem entſchieden
ausgefprohenen Willen feines Vaters zuwider handeln. Uber was
geht da vor? Seht, die Menfchen drängen fi ja wie toll in den
Thorweg zur „alten Stadt London!“
Die jungen Leute fanden auf, machten lange Hälfe und fa-
hen neugierig, wie hundert Andere, nad der Pforte des berühm-
ten Hotels, vor welcher einige Drojchlen neben einer Equipage mit
goldbetreßtem Bedienten und Kutſcher hielt.
Was wird es fein, fagte Julius, wieder bequem auf feinem
Seffel Platz nehmend. Die Prinzeffin aus Mohrenland — oder
war fie vielleicht aus dem Pfefferlande? — mit den merkwürdigen
braunen Wangen, der Heinen breiten Nafe, den kurzen rothen Lip⸗
pen, die immer ihre weißen Perlenzähne — Gediß wäre richtiger —
fehen läßt, und die, wenn fie vecht glänzende Toilette ge=
macht Bat, ein Meffing- Diadem mit Pfauenfedern trägt, wird in
bie Oper fahren. Hört fie dann die Föftliche Arte fingen: „Dies
Bildniß tft bezaubernd ſchön“, fo fpringt ihr krummbeiniger Kam⸗
merdiener mit dem Affengefiht herbei und hält der Mohrenprin-
zeffin einen Spiegel vor, damit fie glaubt, fie, die herrliche, ſei
gemeint.
Anton lachte laut auf. Jetzt kommt der wieder in fein Fahr⸗
wafler! fagte der junge Mann. Wann wirft du denn endlich ’mal
anfangen Deine Phantafie zu zügeln und Dönchens in die Welt
zu feben, die der .. 2... . nachdruckt?
So lange ih mich dabet amufire, erwiderte mit ſtoiſchem
Bleihmuth der Gefragte. Indeß mögt Ihr fagen, was Ihr wollt,
etwas Ungewöhnliches geht doch vor in dem Hotel, defien Rein-
ertrag ich jährlich als Tafchengeld einftreihen möchte, Geht hin!
— — —— — — — nn
k
— 30 —
Die Menge weicht zurüd; und zeigt feine Mohrenprinzeffin- ihr
verzauberndes Antlig, fo iſtss — ih wette — eine Tänzerin oder
ein im Schmud, aller feiner hohen Orden flolz einhergehender frem-
der General. Perſonen folder Art Lieben wir Hamburger vom —
Anfehen und fo lange fie flott Geld bet uns aufgehen laſſen.
Der dichte Menſchenknäuel öffnete ſich jegt wirklich, um zwei
ſchlanke junge Männer durchzulaffen, die beide fremdländiſch, doch
nicht gerade ſehr auffallend gekleidet gingen. Nur die feinen, von
bunter Seide gefertigten beutelartigen Mützen, die der breitrandige
äußerſt Eleidfame Sombrero nicht ganz den Blicken der Neugierigen
entzog, machte die Fremden zum Gegenftand der allgemeinen Auf:
merkſamkeit. | |
Ah, der reiche fpanifche Herr mit feinem Factotum! ſprach
Julius, gelaffen den Reft feines Caffee's ſchlürfend. Was mag
dieſen Nabob wohl hierher getrieben haben?
Man fieht ihn erſt feit drei Tagen, ermwiderte Kurt. Deutſch
veriteht er wenig, aber zu leben weiß er. Man fagt, er habe die
halbe Etage des Hoteld zu miethen gewünſcht, obwohl er außer
dem Mulatten, der ihm ftetS feinen Klimperkaſten nachſchleppen
muß, keine Seele mitgebradht Hat.
Was fümmert und das, fiel Anton ein. Hat er Geld, fo
fommt es unferer Bevölkerung zu Gute, wenn er recht viele Pia—
fter und Unzen ausftreut. Wohl aber möchte ich willen, ob er
von hoher Abkunft ift, ob er hier DVerbindungen befigt und bie
Ausficht hat, ein Mann der Gefellfchaft zu werden. Ihr begreift,
feßte er mit bedeutungsvollem Augenmwinf hinzu, diefe Frage tft
von hoher gefellichafterfhütternder Wichtigkeit. Es Iaffen fih fogar
Gedanken an Revolution und anderes Unheil mehr daran Tnüpfen.
Welch Glück, daß du nod keine Braut haft! lachte Kurt.
Mir ganz aus dem Herzen geiprohen, fagte Anton. Ich
fann mir für einen jungen Mann, welder das Bebürfnig fühlt,
die Welt kennen zu lernen, was allein wieder nur durch den Ge⸗
nuß der größten perfünlichen Freiheit zu erreichen if, nichts Schreck⸗
licheres denken, als jo ein Mofa angelaufenes, ſchön verjhlungenes
— 31 —
Hemmteettchen, das zwei weiße Händchen handhaben und, ſoll's ganz
erftaunlich ſchlimm werben, mit unfihtbaren Häkchen tief in fein
Herz einfenken. Sagt mir, mie in aller Welt kann ein junger
Mann folh ein Verhältniß ertragen! Entweder muß er in Unter-
würfigfeit, Zärtlichkeit und GSittfamfelt zu Grunde gehen oder das
nicht minder betrübende Schickſal, ein Herzensbrecher und Unheil-
ftifter zu werden, ereilt ihn unausbleiblih. Verlieben foll man
fih, das unterliegt gar feinem Zweifel, die Liebe hübfcher, frifcher,
junger Kinder muß fih aber nie bis zu der unheilbaren Leiden—
haft erheben, welche man in der bürgerlihen Welt Verlöbniß
nennt. Sollte ih mid je entichließen, in den höchſt ehrenwerthen
und rejpectabeln Bräutigamsftand zu treten, fo gefchieht es erit
dann, wenn ich eine fichtbare Glatze habe. Meine dann ohne
Trage höchſt glüdliche Braut — denn ich werde ein muflerhaft
folider und treu ergebener Verlobter fein — mag diefe Lichte Stelle
auf meinem Haupte mit goldenen Maſchen zudeden. So leben
wir ficherlih wie die Kinder.
Der will richtig fegeln, unterbrah Julius den gefhmwäßigen
Anton, deflen Auslaffungen über Brautftand, Xiche und Ehe von
den Freunden wenig beachtet worden waren. Gin hübfcher Junge
is, mag man fagen, was man will. Wie köftlich ſteht ihm die
bandbreite feidene Schärpe, und wie keck und fiegesgewiß blidt er
um ſich!
Fürwahr, ein gefährlicher Patron! meinte Kurt. Wir müſſen
ung doch etwas genauer nad ihm erfundigen. Lohnt es der Mühe,
jo jheint ex mir der Mann zu fein, der lieber drei Freunde mehr
fih zulegt, als einen verliert.
Du meinſt wahrfheinlih Freundinnen, fiel Anton ein.
Da fliegt der Nachen über die Wellen, rief Julius aus.
Still, Freunde, nicht mehr gefcherzt! Der verbammte Fremdling
fteuert wie ein geſchulter Lootſe. Und fein brauner Kerl von einem
Diener hat au ſchon mehr als ein Segel aufgehigt.
Wirklich handhabte der Fremde das Steuer mit feltener Fer⸗
tigkeit und verftand das leichte Fahrzeug bei der nur geringen
— 31 —.
Luftbewegung fo dicht an ben Wind zu bringen, daß es raſch über
den blauen Spiegel des Baſſins fortglitt und die meiſten übrigen
Segler überholte.
Diefe wmeifterhafte Führung des Ruderd und die Behändigfeit
im Wenden des. Nahens lenkte die Blicke Vieler auf die Frem—
den. Nicht blos Spaztergänger blieben ftehen, um dem gaufeln«
den Schifflein zu folgen, deifen weißes Segel im Licht der nieder-
finfenden Sonne bereits rofig angehaudt wurde, auch Drofihfen-
futicher und mehr noch die vielen Jollenführer am Ufer, die Segel=
Iuftige gern über das breite Waſſerbecken oder nad irgend einem
befuchten Lantungsplate der Außenalſter feuern, madten ihre
Sloffen über das gewandte Schifferpaar. Selbſt einige Frauen,
die unmittelbar am Sungfernittege mit Wäſcheſpülen beichäftigt
waren, unterbradhen ihre Thätigkeit, um dem allgemeinen Zuge
der Neugierde, der auch ihnen fi mittheilte, nachzugeben. Cine
diefer Frauen, deren etwa zehnjähriger Sohn durch Zutragen der
Wäſche ihr an die Hand ging, hatte beim achtlofen Ausbliden auf
bie kunſtreichen Manöver des fo geſchickt geleiteten Nachens das
Unglüd, auf dem ſchlüpfrigen Spülbrett auszuglitſchen und fopf-
über in das Baſſin zu ſtürzen. Ihre Gefährtinnen ſchrien laut
auf, eine Menge Menſchen drängte ſogleich fragend und forſchend
an die Barrieren, während einige Jollenführer ihre Jollen löſten,
um die Unglückliche womöglich zu retten.
Der Mexikaner hatte mit ſeinen ſcharfen Augen das BVerfin-
fen der armen Wäfcherin ebenfalls bemerkt, wendete jofort das
Segel und hielt auf die Stelle zu, wo bie Frau verſchwunden war,
Nah einigen Sekunden tauchte diefe wieder auf. Tiefes
Schweigen lag auf der am Lande gaffenden Menge, nur die kla—
‚gende Stimme des Knaben der Armen erhob fi mit lautem Hilfe-
ruf. Waren e8 nun diefe herzzerreißenden Laute ihres Kindes,
welche die mit dem Waſſer Ringende vernahm, oder befaß fie Gel-
fesgegenwart genug, um ſich fagen zu können, was zu ihrer mög-
lichen Rettung dienlich fet: fie begann plößlih mit Händen und
Füßen um fih zu fhlagen und gerieth dadurch in eine treibende
— g33 —
Bewegung. Bald darauf erreichte fie der Nachen Don Alonſo Go-
mez’, ber fie mit Hilfe feines Dieners glücklich vom Tode errettete.
Noch ehe dies aber gefhah, verwandelte fi unter der ängſt⸗
lich zufhauenden Menge am Ufer die Spannung und bange Gr-
wartung in ausgelaflene Luſtigkeit. Denn kaum gewahrte der
Knabe der Verunglüdten, daß fie auftauchte und auf der Ober⸗
flähe trieb, fo Elatfchte er munter in die Hände und ſchrie freu-
benvoll, daß Jedermann es hören konnte: „Mien Moder Tann
ſwemmen! Gott, mien Moder kann ſwemmen!“
Diefer Jubelruf des glüdlichen Kindes, das feine Mutter
fhon dem Tode verfallen glaubte, fo natürlich er war und fo tief
er aufquol! aus des Knaben innerfiem Herzen, machte doch auf
die Menge einen komiſchen Eindruck. Am tiefilen empfand bie
heitere Wirkung des kindiſchen Ausrufes der für alles Scherzhafte
empfänglihe Anton, der fofort in die Hände fhlug und unter lau=
tem Lachen feiner befreundeten GEoflegen mehrmals wiederholte:
„Mien Moder kann ſwemmen! — Ein göttliher Einfall, wofür
ih den Bengel küſſen möchte, wenn er nicht gar fo ungewafchen
ausfähe.. Da fih nun das nicht thun läßt, ohne fih Das Jabot
zu verderben und bie Handſchuhe zu befhmuben, fo laßt uns
Ariftlich wohlthätig fein und den Jungen, befien Mutter ſchwim⸗
men kann, für diefen capitalen Einfall würdig belohnen. Ich
gebe ihm ein Drittel. Kommt!
Die Andern folgten lachend dem vorausfchreitenden Anton,
der unterwegs die ihm fo wohl gefallende Phrafe noch mehrmals
wiederholte und ſodann dem Knaben, der feine inzwiſchen glücklich
an’s Land gebrahte, von Waſſer triefende Mutter feſt umklam—
merte, das gelobte Geldſtück auch wirklich verabreichte.
Hier, mein Junge, fagte er pathetiſch, das iſt für Dich, weil
deine Mutter ſchwimmen Tann,
Der überrafhte Knabe ſah das Geldſtück und deſſen Geber
-groß an und reichte es dann dankend feiner nicht weniger erflaun-
ten Mutter. Inzwifhen war Anton mit feinen Begleitern ſchon
unter den Linden des Jungfernftieges verfchwunden. Nur einige Vor⸗
D. B. XI. Willkomm's Rheder und Matrofe, 3
— 34 —
übergehende, die nicht Zeugen des Vorgefallenen geweſen waren, hörten
den übermüthigen jungen Mann die Phraſe: „Mien Moder kann
ſwemmen!“ wiederholen und ſahen den lachenden Jünglingen Topf-
ſchüttelnd nach, die jetzt auf die Großen Bleichen abbogen und den
am Jungfernſtiege Luſtwandelnden alsbald aus den Augen ent—
fhwanden. -
Viertes Kapitel.
Andreas und Miguel.
Miguel fah büfter in die träg firömenden Wellen. Vom Kat
herüber hallte Gefang, zahllofe Lichtpunfte glänzten aus den lan-
gen Häuferreihen, über deren ſpitzen Giebeldächern rieſenhoch ber
Thurm ber großen Michaelisfirhe emporfiteg. Cine Hand berührte
fanft die Schulter des jungen Menſchen. Miguel Tehrte fih um.
Mieder allein und immer ftill und ernft? fragte ihn ber
Steuermann Andreas. Du haft deine ganze Natur verändert, feit
wir im Hafen Liegen. Gefällt dir Hamburg denn gar nicht?
Nein! Tautete die Furze Antwort des finftern Jünglings.
Und warum?
Weil ih mich langweile.
Ein trifttger Grund, dem inbeß bald abzuhelfen wäre.
Wie das?
Man geht an's Land und amüfirt fich.
Wo fol ich mich amüfiren? fragte beinahe verwundert der
junge Matrofe.
Das iſt freifich eine Höchft wunderlicde Frage, erwiderte An-
dreas. Als ich in deinem Alter war, Miguel, freute ih mid
mit allen meinen Kameraden jederzeit auf die Stunde, wo wir in
. einem belebten Hafenorte vor Anker gehen würden. Matroſen find
—3j3 —
in ber Regel leicht zufrieden zu ftellen, wenn fie am Lande nur
ein volles Glas, ein gefälliges, hübſches Kind und Tanzmuſik fin-
den. Sollteft du, der Sohn des heißblütigen Südens, ganz allein
eine Ausnahme mahen? Sieh da links hinüber. Kennft du die
Häufer dort am hohen Uferrande? Wenn du ein leidlih gutes
Gehör befißeft, vernimmft du felbft hier den Jubel, der von bort
herab aus hundert offenen Zenftern halt, Auf dem hamburger
Berge ftirbt nie die Freude, fo lange das Jahr währt. Dort fin-
deft du auch Landsleute genug, denen du, wenn dich etwas drückt,
bein Herz Öffnen kannſt. |
Miguels fhwarze Augen glüßten. Ich haſſe die Freuden die-
ſes Berges, jagte er heftig. -
Ya, mein lieber Junge, verfebte Andreas zutraulich, da muß
ich ſchon wieder nach dem Grunde dieſes Haſſes fragen.
O über Euch grundliebende Deutſche, ſeufzte Miguel unge—
duldig.
Biſt du betrogen worden?
Laßt mich, Andrea, erwiderte der Matroſe, und freut Euch,
daß Ihr nicht mein Leid zu tragen habt.
Der Steuermann entfernte ſich, kehrte aber bald wieder zu
dem mürriſchen Burſchen zurück, der wie eine Bildſäule unbeweg—
lich auf dem Deck ſtand und bald in die Fluth, bald oſtwärts auf
die hohen Häuſermaſſen der gewühlvollen Stadt ſah.
Du vermißt doch nicht Don Alonſo Gomez? redete Andreas
den Schweigſamen abermals an. In der letzten Zeit unſerer Fahrt
war er dir ja beinahe zuwider.
Miguel kehrte ſich um und zeigte Andreas ein eiſenhartes kal⸗
tes Gefiht, dem nur ber flarfe Glanz feiner großen ausdruds-
volfen Augen Leben verlieh.
Es til, wie Ihr fagt, Sennor Andrea, verjebte er, und den
noch vermiſſe ich ihn.
Dann geh’ zu ihm und nimm Dienfte.
Carajo! flieg Miguel, mit dem Buße ftampfend, dur Die
Zähne, Indem er zugleich verächtlich ausfpudte. Ich und ihm
—33
dienen! — Erwürgen will ih ihn Hieber; es würde mir dann
wohler fein.
Man mordet Niemand ohne Veranlaſſung, fagte der Steuer-
mann.
Sch hätte mehr als eine Veranlaſſung und könnte Eure Net-
gung für Alles Gründe zu erfahren, recht gut befriedigen, aber
ich will nicht.
Trauft du mir nidt?
Mehr als mir felbit.
Dann kannſt du mir auch die Gründe deines Haffes oder
deiner Abneigung gegen Don Alonfo Gomez fagen.
Es nützt nichts.
Aber es kann deinen Kummer erleichtern.
Schwerlich.
Dennoch wär' es möglich.
Don Gomez iſt reich, ich bin arm; er iſt ein freier Mann,
ich bin gebunden.
Und deshalb möchteſt Du ihn erwürgen? ſagte Andreas.
Nein, lieber Miguel, das tft es nicht. Don Alonſo Gomez’ Reich—⸗
thum und Unabhängigkeit mögen dir unangenehm und unbequem
fein, das gebe ih zu, dein heftiger Haß aber, den du fett einigen
Tagen gar nicht mehr zu verbergen weißt, gründet fih darauf
allein nicht. Soll ih dir fagen, was dich kränkt, was dich fo
wild macht?
Ihr könnt nicht in meiner Seele leſen, erwiderte Miguel
ausweichend.
Wer weiß, ſagte mit theilnehmender Freundlichkeit der Steuer-
mann. Wenn ich nun annehme, du hätteſt ein paar merkwürdig
glänzende Sterne von blauem Feuer entdeckt und ſeiſt in deren
genauerer Beobachtung durch das kecke Dazwiſchentreten des reichen
Don behindert worden, würde ich mit dieſer Annahme wohl fehl
treffen?
Der Matroſe warf Andreas einen jener ſcharfen, harten und
— 37 —
vielſagenden Blicke zu, mit denen er gewöhnlich eine laute Ant⸗
wort zu umgehen ſuchte.
Verſtelle dich nicht, Miguel, fuhr der Steuermann fort. Es
iſt, wie ich ſage, und wenn du in mir deinen Freund erkennen
willſt, ſo verſpreche ich dir Schutz. Es ſoll mir ganz recht ſein,
wenn der gar zu übermüthige Mexikaner ein wenig gedemüthigt
werden kann.
Miguel reichte Andreas ſeine Rechte.
Habt ihr Zeit? fragte er.
So lange du willſt.
Dann möchte ich in Eurer Begleitung an's Land gehen.
Gern, aber wohin, kleine Eiferſucht?
Ich werde Euch führen. Wollt Ihr mir folgen?
Du haſt mein Wort, und Seemannswort gilt bei uns zu
Lande mehr oft, als eines hochgeborenen Ritters Ehrenwort.
So laßt uns eilen. Ihr werdet Eure Freude an dem An-
bli haben, den ih Euch verſchaffen will, zugleih aber auch ein-
fehen, daß es mir in Eurer Vaterſtadt unmöglich gefallen kann.
Erwartungsvoll beftieg Andreas mit dem Matrofen ein Boot,
Die Freunde ruderten dem Lande zu. Hier ergriff Miguel den
Arm des Steuermanned und ging mit diefem die fehr belebten
Vorfegen entlang über den Baumwall, am Baumhaufe vorüber,
kreuzte das Steinhöft, wendete fi über den Fleeth dem Kajen zu
und erlangte fo, immer in unmittelbarer Nähe des Hafens blei—
bend, die Broofsbrüde. Auch diefe ward von den Freunden über-
fchritten. Miguel führte Andreas nah dem Brook.
Wir find glei zur Stelle, fagte der Matrofe, deffen Blut
lebhafter durh die Adern zu rollen begann. “Dort, wo die trübe
Laterne über der fchmalen Gingangsthür brennt, ift der Ort.
Andreas ließ fich fchweigend weiter führen. Sept erreich-
ten fie Die bezeichnete Thür. Miguel trat in einen finitern Gang,
den er langfam durchſchritt. Ein geräumiger, von hohen Gebäu-
° den umfhloffener Hof nahm fie auf. Auf einer Seite befjelben
glänzte Lichtfchein aus einer Kellerwohnung. Vor dem einzigen
— 38 —
Fenſter ſtand ein hoher alter Lindenbaum, deſſen Stamm ſtark ge—
nug war, um einem ſchlanken Manne als Verſteck zu dienen.
Hierher winkte jetzt Miguel ſeinen neugierigen Begleiter und deu—
tete dann auf das Fenſter des Kellers, deſſen Inneres man von
dieſem Standorte aus vollkommen überſehen konnte. Während
Andreas den bezeichneten Platz einnahm, lehnte Miguel mit ge=
freuzten Armen an der Wand, oft fehwer und tief Athem holend,
wie ein Menſch, der von großer Angſt befallen tft und vergebens
nach Luft ringt.
Der Anblick, welhen Andreas von feinem Verſteck aus hatte,
fef:Ite und entzüdte ihn zugleich. An einem fehr einfachen Tiſche
faßen drei Perfonen, ein Kind von etwa acht Jahren, ein junges
Mädchen, das eben das jungfräuliche Alter erreicht hatte, und ein
ftetnaltes Mütterchen mit Haaren, weiß und glänzend wie Silber,
die no fo flarl waren, daß fie unter der Haube hervorquollen
und als blitende Locken auf die ſchmale, feine Stirn herabglitten.
Dem Ausjehen nad mußte dies Mütterhen das höchſte Lebensalter
erreicht Haben, und doch ſchien fie noch rüftig und munter zu fein.
Auf ihrem von Feiner Runzel entitellten Gefiht lag ein Ausbrud
fo tiefer Zufrtedenheit, fo inniger Herzensdankbarkeit, daß fie felbft
einem verförperten Gebete zu vergleichen war.
Das junge erwachſene Mädchen las der greifen Frau aus
einem großen Bilderbude vor, und aus den Handbewegungen der
Greifin ließ fi vermuthen, daß fie dem Gehörten Bemerkungen
binzufügte, fo oft die Leſende inne hielt. Das Kind hörte auf:
merffam zu, fptelte aber gleichzeitig mit einer ſchön gefledten Tiger-
katze, die, als verftehe fih das von felbft, neben dem Buche ber
Lejenden auf dem Tifche ſaß.
Sp oft die Alte beiflimmend den Kopf bewegte, zitterten bie
weißen Bänder ihrer Haube. Dann fprang die Katze auf und
fuchte fie fptelend mit dem erhobenen weichen Pföthen zu erfafien,
was jedesmal einen kurzen freundfchaftlihen Kampf zwifchen dem
artigen Thiere und dem Meinen, laut auflachenden Kinde veran⸗
laßte. Auch die Alte mußte lächeln, wehrte jedoch taftend das
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ſchmeichelnde Hausthier ab. Dies unſichere Taſten erſt verrieth dem
Steuermann, daß die ehrwürdige Matrone völlig blind ſei.
Dieſe Entdeckung vermehrte noch ſeine Spannung. Andreas
heftete jetzt ſeine ſcharfen Augen auf die Vorleſerin. Es war eine
Blondine von ſeltener Schönheit, mit reichem hellbraunen Haar,
das ſie vorn auf der Stirn geſcheitelt trug und das in ſtarken
Zöpfen den zierlich geformten Kopf umwand. Leider ward dieſe
herrliche Zier durch eine Mütze großentheils verborgen, die aus
blendend weißem Gekräuſe beſtand und dem jungen Mädchen einen
Ausdruck rührender Unſchuld und glücklichſter Naivetät verlieh. Die
übrige Kleidung der Schönen war ſchmucklos, einfach und konnte
beinahe für ärmlich gelten.
Was ſagt Ihr zu dieſem Bilde? flüſterte jetzt Miguel ſeinem
Freunde zu. Habt Ihr je eine gemalte Madonna geſehen, die
einen Vergleich aushalten könnte mit dieſem Götterbilde? Und
möchte man nicht gleich anbetend niederfallen vor dieſem greiſen
Friedensengel, der alle Schmerzen des Lebens durch felſenfeſten
Glauben und durch jene ewige Liebe, deren ſchöpferiſcher Urquell
das Herz des Weibes iſt und fein ſoll, ſchon Hier gänzlich über⸗
wunden hat?
Aber wer ſind dieſe Leute und wie haſt du ſie gefunden?
fragte Andreas.
Wer ſie ſind? verſetzte Miguel. Fragt den Himmel, wo Ihr
die Gottheit antreffen Eönnt, er wird Euch eben fo leicht Antwort
geben! — Wer fie find! Es tit eine heilige Familie, das Bild
der heiligen Dreteinigfeit, die unfere Kirche anbetet. Hier bie
Weisheit, da die lehrende Milde, dort die fromme gläubige
Kindlichkeit! Und wie ich fie gefunden habe, wollt Ihr wifjen ?
ſetzte er ſchalkhaft Tächelnd Hinzu. Ach, das, mein Freund An-
drea, das tft ein beſchämendes Geftändnig für mid. Die Lange
weiligkett Eurer nebelteihen Vaterſtadt verlangte, daß ih mid
nach Zerfireuung umfehen follte. Ich lief ftraßauf, ftrapab Immer
tiefer in Eure fhmupige Stabt hinein. Da begegnete ih diefem
Mabdonnengefiht, dem ich wohl eben fo auffallend und des Anſe⸗
— 40 —
hens werth erſcheinen mochte, wie das herrliche Mädchen es mir
war. Ich grüßte und redete das reizende Kind an, erhielt aber
als Antwort nur ein köſtlich klingendes Lachen, weil ſie mein ſpa⸗
niſches Kauderwelſch nicht verſtand. Dann nickte ſie freundlich
und lief auf ſchnellen Sohlen vor mir her, nicht, ohne noch ein
paar Mal ſich mit den klugen, heiligen Himmelsaugen nach mir
umzukehren. Es war ſehr lebhaft in allen Straßen, welche das
Mädchen durchſchritt, und durch die ich ihr, ganz von ihrem An⸗
blick bezaubert, folgte. Ich würde mich gern an ihre Sohle ge⸗
heftet haben, wäre dies nicht gefährlich geweſen. Deshalb behielt
ih die wunderbare Erſcheinung nur feſt im Auge, die meine Be-
gegnung längſt vergeflen haben mochte. So entdedte ich dies ent-
legene, ftil verborgene Paradies, nah dem th ſeitdem ein paar
Mal gejhlihen bin, um an feinem Anblik mid zu weiden und
den Schmerzenspfeil, der meine Bruſt durchbohrt hat, immer tiefer
in mein Herz zu bdrüden, bis es an biefer unheilbaren Wunde vers
bluten wird,
Ich würde dich bedauern, wenn ich did nicht beneidete, ſagte
Andreas, noch immer ganz vertieft in das Tieblihe Familienbild,
das fo unerwartet feinem Blick enthüllt worden war.
Daß ich den Beſitz dieſes reigenden Engels entbehren muß,
fuhr Miguel fort, wäre noch zu ertragen. Mir kommt das Recht
nicht zu, nach fo großem Glüde meine Hand auszuſtrecken. Bin
ih doch nichts, als ein verlorenes oder verſtoßenes Kind, ohne Ael—
tern, Verwandte, Freunde. Das Meer tft jetzt mein Tummelplatz,
meine wette, unendliche Heimath; es wird bereinft auch mein Braut:
bett werden.
Unnüge, finftere Phantafien, verfeßte der Steuermann. Kort
damit! Sie kommen und beläftigen uns noch früh genug, wenn
Old Nick uns beim Kragen hat. Aber du Haft noch etwas auf
bem Herzen. Ich ſeh's am Zuden deiner frifchen Lippen, die
wohl am liebſten mit den beiden Roſenknöſpchen da unten recht
Innige Bekanntſchaft maden möchten.
Ich bete nicht allein diefe kindlich fromme Madonna an, fuhr
— 41 —
Miguel mit gepreßter Stimme fort. Ein Anderer, angelockt von
ihrer Anmuth, von dem Reiz ihrer blendenden Geſtalt, verfolgt
fie, ſtellt ihr nach, und ich fürchte, das unerfahrene, unbefangene
Kind wird dem Köder nicht lange zu widerſtehen vermögen, den
dieſer glückliche und geübte Eroberer von Frauenherzen unter ver=
führeriſchen Formen auszuwerfen verſteht.
Don Alonſo Gomez? fragte erregt Andreas.
Derſelbe.
Wie hat er ſie kennen lernen?
In ſeiner jetzigen Wohnung.
Was ſucht die kleine, niedliche Unſchuld dort?
Geſchäftsgänge führen fie dorthin.
Beruhige dich, Miguel. Diefe hübfche, Feine Landsmännin
fol dem Mexikaner nit zum Opfer fallen. Mein Wort darauf!
Zum Glück ift der Teufelsjunge der deutſchen Sprache fo wentg
mächtig, wie du; der Ton feiner Worte, nicht deren Sinn könnte
alfo Höcftens auf das Herz des Mädchens Eindrud mahen. Ich
werde von heute an aufpaflen und ſchon morgen nad dem lieben
Kinde mich erkundigen. Ihre Mutter kann die ehrwürbige Blinde
nicht fein, vermuthlich alfo tft e8 Ihre Großmutter. Won thr werde
ih erfahren, wer das Kind ift, ob fie Aeltern hat, wie ihre fon«
ftigen Verhältniſſe befchaffen And, und dann follen den etwaigen
Nachſtellungen des lüſternen Halbindianers fo viele und ſcharfe
Zußangeln gelegt werben, daß ihn bei jedem Schritte fol ein
Fangeifen beißt.
Halt! rief in dieſem Augenblide eine Fräftige Mannesftimme
und eine ſchwere Hand legte fih unfanft auf die Schulter des
Steuermannes. Diefer aber, jung, gewandt und von nicht ge=
wöhnlicher Körperftärte, fchüttelte Die Hand raſch ab, fprang ein
paar Schritte zurüd in die Dunkelheit des Hofes und fuchte die
Geftalt des unberufenen Ungreifere. Mit zwei Sägen war Mi-
guel an der Seite feines Freundes, in feiner Hand funtelte der
zweiſchneidige Stahl eines In der Schärpe ſtets verhongen getrages
nen Dolches.
— 42 —
Andreas ſah einen ſtämmigen, breitſchultrigen Mann von bür-
gerlih ehrbarem Anfehen neben der Linde fliehen. Die berben
Schuhe, die ftarfen, fhanfwollenen Strümpfe, die feine Unterbeine
bebedten, die bequeme Jade von dunkelfarbigem Tuch, mit ben
vielen großen, filbernen Knöpfen fagten ihm, daß er einen Mann
ber arbeitenden Klafje vor fih babe. Den Kopf diefes Mannes
bededte eine Bärenpelzmüge mit auf einer Seite herabhängendem
Sack von braunrotbem Sammet, der in einer kleinen Bummel en=
Digte.
Ich frage Euch, ſprach diefer Mann, unerfhroden den beiden
Freunden fi nähernd, was Ihr Hier wollt? Weshalb Ihr Euch
hinter Baumflämme und Mauerporfprünge drüdt und in einem
Kaudermelih Euch flüfternd unterhaltet, das ficherlih der Teufel
und feine Großmutter zum Aushecken von allerhand Teufeleten
erfunden hat. Wenn ich nicht Lärm machen und Euch ohne viel
Federleſens als vermuthliche Einſchleicher arretiren laſſen fol, fo
fteht mir Rede! Hütet Euch aber, mir was vorlügen zu wollen!
Ich bin nicht leichtgläubig und mit Narrenspoflen gebe th mid
nicht ab. Nun, wird’s bald?
Andreas beſchwichtigte den ungeltümen Miguel, der große
Luft zeigte, mit dem ruhigen Bürger Händel anzufangen. Dann
ſprach er: "
Wir find Seeleute, mein lieber Mann, und befinden ung hier
in durchaus feiner böfen Abſicht.
Das veriteht fich, erwiderte Lachend der Bürger. Jeder Storch
Mappert, wenn er fein Neft gefunden hat, ich bin nun aber fein
Liebhaber, fremde Störde in mein Neft fleigen zu laſſen.
Seid Ihr etwa der Vater des jungen Mädchens, das fo eifrig
der greifen Frau da unten vorlieit? forfähte Andreas.
Ada! erwiderte ber Bürger, ich merke jetzt, daß Ihr das Ehr-
würbige liebt und es darum gern auffucht. Es iſt das Seemanns⸗
fitte, th fenne es. Sollte Eud aber nebenbei auch der Mund
wäflern nad weniger ehrwürdigen Gegenfländen, fo muß ih Euch
ohne Umfhweif jagen, laßt Euch den Appetit darauf vergehen,
fonft Eönntet Ihr nicht mit einer, aber mit ein paar hundert Fäu⸗
ften Befanntfchaft machen, die alle an den Armen ehrlich gebore-
ner und redlich fi nährender hamburger Jungen alten Sclages
fiten! Jetzt wißt Ihr Beſcheid, und habt Ihr fonit noch was zu
beftellen, Ihr Wintfänger, fo ftehe ich gern zu Dienften. Mein
Name ift Jacob Behnke, Quartiersmann. Adjüs!
Behnte! Jacob Behnte? rief tm heiterften Tone der Steuer-
mann und fand neben dem eritaunten Quartiersmanne, deſſen
Rede fo verdroffen und giftig Hang. Kennft du mid nicht mehr,
Alterhen? Mein Vater war ja bein Schulkamerad!
Beim Himmel, du bift’s! Andreas Wohlers! Und dort ber
bräunfiche Junge, mit den blinfenden Augen?
Ein Freund son mir, gut, aber unglücklich. Er bat da ei⸗
nen Bund gemadt, der ihm's Herz abdrückt. Weißt bu, Alter:
hen? Die Kleine im Keller!
So — ſo — fo! fagte Behnke gedehnt. Hm! hm! Weißt
bu was, Andreas? Ich denfe, es wird gut fein, daß wir nad fo
langer Zeit ein Gläschen mit einander trinfen. Was wir uns dann
zu fagen haben, läßt fich dabei bequem abmachen. Dein Freund
fann mitkommen. Ich will ihn gern ehren, weil’s eben ein Freund
von bir ift, diefe Liebäugelet aber vom Hofe in ben Keller hin⸗
unter, und noch dazu am fpäten Abend, muß aufhören. Verſtehſt
du mid, Andreas? Es iſt mein voller Ernft.
Ich weiß es, Alterchen!
Dann rede mit deinem unheimlich blidenden Spaniolen dort,
ſprach Behnke, denn an der Hispanifchen See oder dort irgendwo
herum muß er wohl zu Haufe gehören. Mach's aber Furz, denn
ih babe wenig Zeit. Che Ihr mich begleitet, will ih nur noch
zwei Worte mit dem ehrwürdigen Magnete fprechen, der für den
fremden Jungen eine fo gewaltig große Anziehungsfraft befist.
Hierauf ftieg Behnke die fchmale, ſteile Treppe hinab, welche
zur Kellerwohnung führte, und Andreas theilte mit fliegenden Wor⸗
ten dem mißtrautfch drein fhauenden Miguel mit, welche Ente
dbedung er gemacht habe, und daß jept Hoffnung zu einer Ver⸗
— 44 —
ſtändigung vorhanden ſei, falls Miguel ſich entſchließen könne,
Hamburg zu ſeiner zweiten Heimath zu wählen.
Dieſer hörte ſchweigend und überraſcht zu. Noch ehe er zu
einer Antwort ſich entſchließen konnte, ſtand ber rüſtige Quartiers—
mann ſchon wieder neben den Freunden und nahm den Arm des
jungen Matroſen, indem er freundlich zu ihm ſagte: Usted er⸗
laubt, bin amigo von dieſem Jungen da, alſo auch amigo von
ſpaniſchem hombre.
Mit dieſer gewaltigen Kundgebung feiner Sprachkenntniſſe
verließ er den Hof und ſchlug direct den Weg nad feiner nicht
fernen Wohnung ein.
Fünftes Kapitel,
Aufflärungen.
Als Miguel die Hausfchwelle des Quartiersmannes über-
fhreiten wollte, fiel fein Blick auf die offen ftehende Kellerthüre
und die Figur des feiften Wirthes, der phlegmatifh an dem Ei—
fengitter Iehnte, welches den Eingang gegen die Straße umfriedete.
Er blieb ftehen, betrachtete aufmerkffam die Treppe und fagte dann
fhnell und Iebendig ein paar fpanifhe Worte zu Andreas. Sept
jah auch diefer hinab in den Keller, wo bereits vollauf zu thun war.
Was meint der Spaniole? fragte Behnke den Steuermann.
Mein junger Sreund behauptet, ſchon einmal da unten ges
feflen zu haben, antwortete Andreas.
Wann könnte das gewefen fein?
Andreas richtete die nämlihe Frage an Miguel, der unter
febhaften Gebehrden, während die beiden Freunde dem Quartiers-
manne in's Haus folgten, ausführlih Antwort gab.
Dachte ich mir's doc beinahe, daß es mir gelingen follte,
einen der Störenfriebe Tennen zu lernen, bie mir fo vielen Vers
— 45 —
druß gemacht haben, verſetzte Behnke. Schade, daß ih den Eyas
niolen nicht ſelber examiniren kann, er ſollte mir dann gehörig
beichten. Aber ich denke, du wirft ihm die Hauptſache auch abfra=
gen können, Andreas, und wenn du das redlih thun willft und
mir verfprichft, nichts, was er erzählt, zu verheimlihen, will ich's
Euch jungem Volk verzeihen, daß Ihr in etwas ungebührlicdher
Manier meinem einzigen Mädel nachlauft. Wenn’s das junge
Blut wüßte, fie könnte fih wahrhaftig was einbilden und würde
am Ende ftolz, hochfahrend und ſchnippiſch. Gott wolle fie vor
ſolchem Unglück behüten!
Alterchen, verſetzte der Steuermann, du mußt ausnehmend
gut angeſchrieben ſtehen beim großen Capitain, daß er dir eine ſo
wunderliebliche Tochter geſchenkt hat. Es wäre mir, bei meiner
Mutter Augenbrauen, wie man in Mexiko fagt, nicht eingefallen,
die Föltliche Blondine, die dem armen Jungen da fo arges Herze-
leid macht, für die Heine Ghriftine zu halten. Bor zwei Jahren
war fie ja noch beinahe ein. Badfifh, und jetzt — mein Gott, wie
fhnell verwandelt fih der Menſch!
Inzwiſchen waren die drei Männer in Behnke's Wohnztinmer
getreten. Frau Doris reichte Andreas, ale einem alten Befannten,
mit freundlidem Gruße die Hand, während dem dunkeln Miguel
nur ein fhüchterner, forfchender Blick als Bewilllommnung zu
Theil ward.
Du meint alfo der Burfche habe ein Auge auf mein Kind?
fragte Behnke ernithaft.
Es tft, wie ich fage.
Dann mahe es ihm bet Zeiten begreiflih, daß ich von ber-
gleihen Dingen nichts hören mag. Die Chriftine foll von jest
an fein zu Haufe bleiben.
Ein guter, ehrlicher Junge tft Miguel, erwiderte der Steuer-
mann, auch rühmt er ſich vornehmer Abftammung, Geld und Gel-
deswerth aber hat er freilich nicht.
Darnach würde ich zulegt fragen. Gin tüchtiger Seemann
findet faft immer fein Brod und kommt fogar zu Vermögen, wenn
— 46 —
er Glück hat, entgegnete Behnke, ich mag aber das welſche Volk
nicht leiden, weil ihr ganzes Weſen und Thun, all' ihr Denken
und Wollen dem unſern ſchnurſtracks zuwider läuft. Hoffentlich
weiß Chriſtine nichts von des Burichen Verliebtheit, und fie ſoll
auch, kann ich's verhindern, niemals ein Wort davon erfahren.
Es könnte ein ſchreckliches Unglück geben! fiel die Mutter
ein, die mit ſteigender Unruhe dieſer nur halblaut geführten Un-
terrebung zugehört Hatte.
Wir dürfen meinen Freund nicht länger vernadläffigen, ber
merkte Andreas. Er iſt mißtrauiſch und könnte glauben, wir woll-
ten ihm nicht wohl, wenn wir ihn ganz bet Seit’ Tiegen laſſen.
Ich werde alfo in deinem Namen das angekündigte Eramen bes
ginnen.
Der Quartierdmann bejahte durch ſtummes Kopfniden. Die
nun folgende Unterhaltung zwifhen Andreas und Miguel, von
welcher Behnke nur einzelne Worte veritand, warb mit großer Leb⸗
haftigkeit geführt. Miguels funfelnde Blide, fein Stirnrunzeln,
das eigenthlimliche Hervortreten feiner prächtigen weißen Zähne,
fo oft er eine höhniſche Bemerkung machte, verrtethen den Zuhörern,
bag der junge Menfh feinem deutihen Freunde eine Gefchichte
erzählen müſſe, die feines eigenen Beifalls ſich nicht erfreue. ALS
er endigte, reichte er Andreas die Hand, drürte fie Herzlich und
deutete mit zuftimmendem Augenwinf und offenbar froh, eine Laft
von feiner Bruſt gewälzt zu haben, auf die ehrbaren Bürgersleute,
die ſchweigend ihm gegenüber faßen.
Behnte erfuhr nunmehr aus der Berichterftattung des Steuer-
mannes, daß die fremden Sänger und Spaßmader, die in ber
erwähnten Sonnabendsnacht fowohl ihn felbft wie feine Familie fo
angenehm unterhalten hatten, der Matrofe Miguel mit ſeinen Ge-
fährten geweſen jet. Andreas erzählte ferner, fein junger Freund
wäre nur widerſtrebend und halb gezwungen den Uebrigen gefolgt,
habe fih aber den Wünfchen feiner ihn beherrfchenden Begleiter
fügen müffen, um nicht in ernfthafte Händel zu gerathen. Und
da babe er denn nah Kräften und auf den befondern Wunfc bes
— 471 —
ſtets herrifch fi gebehrdenden Don Alonfo Gomez alle feine Kunft«
ftüde zum Bellen gegeben, welche die übrigen bereits fehr aufge⸗
regten Gäjte im Keller mit großem Staunen erfüllten. Erſt fpät
nah Mitternaht wären fie aufgebrohen, um noch herumzuſchwär⸗
men, und dabei habe fih Miguel in fehr ernfthafter Weiſe mit
Don Gomez überworfen, weil biefer feinen zu Allem verwentbaren
Diener veranlaßt babe, eine Dohle zu entwenden, und zwar aus
feinem andern Grunde und zu feinem andern Zwede, als um
die über Miguels Kunitftüde in höchſtes Erftaunen gerathenen Gäfte
bes Kellers recht tüchtig zu hänfeln.
Der Quartierdmann mußte jetzt über bie Erzählung, die in
Andreas Munde fomifh genug Fang, Lächeln.
Gut, dab es noch fo abging, fagte er. Drei Tage fpäter
würde ich den überluftigen Schwärmern, wären fie mir zufällig in
den Weg gelaufen, fein ſehr freundliches Befiht gemacht haben.
Die läppiſchen holländifchen und oberländifchen Schiffer, deren Köpfe
an jenem Abende fo ſtark ilfuminirt waren, daß fie nicht deutlich
mehr fahen, fetten dem entwendeten Vogel mit Kneifen und Zwiden
bergeftalt zu, daß er fhon früh am Morgen tobt war. Der
Wirth warf das arme Thier auf die Straße dicht vor mein Haus
und da muß es juft der Befiter fhon am Sonntage finden, als
der Henker ihn bier vorüberführt. Nun gab es Leinen fchlechten
Spertafel. Der erbof’te Menfch behauptete ſteif und feit, der ihm
fo Liebe Vogel fet ihm In vergangener Nacht von Iofen Buben
geftohlen worden, und da er vor meiner Thüre jet mit umge⸗
drehtem Halfe liege, würden ſich die Diebe wohl innerhalb des
Haufes finden. Du kannſt denken, Andreas, fuhr der Quartiers-
mann fort, daß diefe Wendung mid rabiat machte. Gin Wort
gab das andere und ehe wir uns verfahen, hatten wir und derge-
ftalt mit Redensarten engagirt und gegen einander vergangen,
dag die dumme Gefchichte vor der Poltzei erledigt werben mußte.
Mein Mietbsmann im Keller wollte begreifliherweife von Nichts
wiffen, Täugnete Stein und Bein und brachte mid dadurd fo auf
gegen ihn und ſeine ganze Wirtbfchaft, dap Ich ihm kündigte. So
— A —
er Glück hat, entgegnete Behnke, ich mag aber das welſche Volk
nicht leiden, weil ihr ganzes Weſen und Thun, all' ihr Denken
und Wollen dem unſern ſchnurſtracks zuwider läuft. Hoffentlich
weiß Chriſtine nichts von des Burſchen Verliebtheit, und ſie ſoll
auch, kann ich's verhindern, niemals ein Wort davon erfahren.
Es könnte ein ſchreckliches Unglück geben! fiel die Mutter
ein, bie mit fteigender Unruhe biefer nur balblaut geführten Uns
terredung zugehört Hatte,
Wir dürfen meinen Freund nicht länger vernadläffigen, ber
merkte Andreas. Gr iſt mißtrauiſch und könnte glauben, wir woll⸗
ten ihm nicht wohl, wenn wir ihn ganz bei Seit’ Tiegen Taffen.
Ich werde alfo in deinem Namen das angekündigte Gramen bes
ginnen. |
Der Quartiersmann bejahte durch ſtummes Kopfniden. Die
nun folgende Unterhaltung zwifchen Andreas und Miguel, von
welcher Behnke nur einzelne Worte verftand, warb mit großer Leb⸗
haftigkeit geführt. Miguels funkelnde Blide, fein Stirnrungeln,
das eigenthümliche Hervortreten feiner prächtigen weißen Zähne,
fo oft er eine höhniſche Bemerkung machte, verrtethen den Zuhörern,
bag der junge Menfh feinem deutihen Freunde eine Gefchichte
erzählen müfle, die feines eigenen Beifalls fih nicht erfreue. ALS
er endigte, reichte er Andreas die Hand, drüdte fie herzlich und
deutete mit zuflimmendem Augenwink und offenbar froh, eine Laft
von feiner Bruft gewälzt zu haben, auf bie ehrbaren Bürgersleute,
die ſchweigend ihm gegenüber faßen.
Behnfe erfuhr nunmehr aus der Berichterftattung des Steuer-
mannes, daß die fremden Sänger und Spaßmader, die in der
erwähnten Sonnabendsnacht fowohl ihn felbft wie feine Familie fo
angenehm unterhalten hatten, der Matroſe Miguel mit feinen- Ge-
fährten gewefen fe. Andreas erzählte ferner, fein junger Freund
wäre nur widerfirebend und halb gezwungen den Uebrigen gefolgt,
babe fih aber den Wünſchen feiner ihn beherrichenden Begleiter
fügen müffen, um nicht in ernfthafte Händel zu gerathen. Und
da habe er denn nah Kräften und auf den befondern Wunſch des
— 47 —
ſtets herriſch ſich gebehrdenden Don Alonſo Gomez alle ſeine Kunſt⸗
ſtücke zum Beſten gegeben, welche die übrigen bereits ſehr aufge⸗
regten Gäſte im Keller mit großem Staunen erfüllten. Erſt ſpät
nah Mitternacht wären ſie aufgebrochen, um noch herumzuſchwär⸗
men, und dabei habe ſich Miguel in ſehr ernſthafter Weiſe mit
Don Gomez überworfen, weil dieſer ſeinen zu Allem verwendbaren
Diener veranlaßt habe, eine Dohle zu entwenden, und zwar aus
keinem andern Grunde und zu keinem andern Zwecke, als um
die über Miguels Kunſtſtücke in höchſtes Erſtaunen gerathenen Gäſte
des Kellers recht tüchtig zu hänſeln.
Der Quartiersmann mußte jetzt über die Erzählung, die in
Andreas Munde komiſch genug klang, lächeln.
But, daß es noch fo abging, ſagte er. Drei Tage fpäter
würde ich den überluftigen Schwärmern, wären fie mir zufällig in
den Weg gelaufen, ein fehr freundliches Geſicht gemacht haben.
Die läppiſchen holländifchen und oberländifchen Schiffer, deren Köpfe
an jenem Abende fo ftarf illuminirt waren, daß fie nicht deutlich
mehr fahen, feßten dem entwendeten Vogel mit Kneifen und Zwicken
bergeftalt zu, daß er fchon früh am Morgen todt war. Der
Wirth warf das arme Thier auf die Straße dicht vor mein Haus
und da muß es juft der Befiger ſchon am Sonntage finden, als
der Henker ihn bier vorüberführt. Nun gab es keinen fchlechten
Spertafel. Der erboſ'te Menſch behauptete ſteif und fell, der ihm
fo liebe Vogel fet ihm in vergangener Naht von Iofen Buben
geftohlen worden, und da er vor meiner Thüre jetzt mit umge-
drehtem Halfe liege, würden fi) die Diebe. wohl innerhalb bes
Haufes finden. Du kannſt denken, Andreas, fuhr der Quartiers⸗
mann fort, daß diefe Wendung mich rabiat machte. Ein Wort
gab das andere und ehe wir uns verfahen, hatten wir und derge-
ftalt mit Redensarten engagirt und gegen einander vergangen,
dag die dumme Gefchichte vor der Polizei erledigt werden mußte.
Mein Miethsmann im Keller wollte begreiflicherweife von Nichts
wiffen, läugnete Stein und Bein und brachte mid dadurch fo auf
gegen ihn und feine ganze Wirthſchaft, daß ich ihm kündigte. So
— 48 —
trug mir denn das allerliebſte Spiel und der ſehr wohlklingende
Geſang der übermüthigen Spaniolen nichts ein, als Aerger und
machte mir zum Ueberfluſſe noch ein paar Menſchen zu Feinden.
Andreas unterrichtete von dem Vorgefallenen ſeinen Freund,
ber gutmüthig und bedauernd hierauf dem Quartieremann bie
Hand reichte und mit einer Fluth wohlklingender ſpaniſcher Worte
ihn um Verzeihung bat. Behnke verſtand zwar nichts von dem,
was Miguel ſagte, aber er errieth ſeine Abſicht und erwiderte mit
einem beſchwichtigenden „Schon gut, ſchon gut; hat nichts weiter
auf ſich.“ |
Darauf wandte er ſich wieder zu Andreas.
Wer tft denn aber eigentlich biefer Herr oder Don Gomez,
fragte er, von deſſen Handlungen dein junger Freund nicht fehr
erbaut zu fein ſcheint?
Weiß ich's doch felber kaum, ermwiberte der Steuermann.
Mexiko tft feine Heimath. Der junge Mann befibt große Reidh-
thümer, rühmt fih vornehmer Herkunft und hat fi zu einer Reife
nah Europa nur entſchloſſen, um mandes traurige Erlebniß im
Daterlande, das feinen Getft verbüfterte, hier unter einem andern
Himmel und unter andern Menfchen leichter zu vergeſſen.
Nun, gar zu fhwermüthig ſchien mir der mexikaniſche Don
nicht zu fein, warf der Quartiersmann ein. Mich will bebünfen,
er gehört derjenigen Menfchenflaffe an, die man hier zu Lande,
wo man noch etwas halt auf Solidität, Schwindler nennt. Am
beften, habe ich mir fagen laſſen, gedeiht diefe Menfchenrace unter
ben reihen Müffiggängern.
Du biſt rafh in deinen Verdammungsurtheilen, Alterchen,
verſetzte Andreas. Kennteſt du den Don, vielleicht ſprächeſt du
anders.
Bin gar nicht begterig, feine Bekanntſchaft zu machen, Tieber
Sunge, fagte Behnfe. Meine grobe Jade, mein plumper Schuh
und meine harten Hände taugen nicht für feine geputzte Ritters-
leute von über See ber. Am liebften foll’s mir fein, wenn ich
Ihn gar nicht fehe und noch mehr will id mich freuen, wenn er
— 49 —
nie wieder auf den Einfall geräth, unter Schiffern und Matroſen
als fahrender ſpaniſcher Sänger aufzutreten.
Letzteres haſt du wohl ſchwerlich zu befürchten, Alterchen,
fiel der Steuermann ein. In dieſe obfeuren Regionen pflegt Don
Gomez nur dann Hinabzufteigen, wenn fie ihm völlig unbekannt
find und man ihn auch perjönlic deshalb ebenfalls nicht kennt.
Sobald er Bekanntſchaften gemacht hat, zieht er ſich zurüd in
Kreife, wo er fih heimifcher fühlt. Er liebt Glanz und Lurug,
und wenn man ihn bewundert, fühlt er ſich gefihmeichelt und er-
trägt ſelbſt Feffeln, die ihn unter andern Verhältniffen drüden
würben. Ich wette, Alterhen, es vergehen feine acht Tage mehr
und ganz Hamburg ſpricht von dein vornehmen Mexikaner wie von
einem Meteor. |
Mir ſoll's ſchon recht fein, meinte Behnke. Wenn die Vor:
nehmen von ihm reden, haben wir niedrig geftellten Leute nichts
weiter von ihm zu befahren.
Miguel ftand auf.
Wie ſteht's? fragte er Andreas. Kannft du mir Hoffnung °
maden ?
Freund, verfegte der Steuermann, umgürte Deine Lenden mit
Geduld. Wir leben gegenwärtig in Deutfchland und nod dazu
im Norden Deutſchlands. Da will, wie unfer Sprichwort jagt,
gut Ding Weile haben.
Sch begehe ein Verbrechen, flüfterte Miguel mit unheimlich
flammendem Auge dem Freunde zu, wenn ich das Mädchen nicht
ſehen kann.
Andreas reichte Miguel die Hand.
Du ſollſt ſie ſehen, ſagte er zuverſichtlich, nur tobe und
fluche nicht, wenn ein paar Tage darüber hingehen.
Sie iſt des Alten Kind?
Seine einzige Tochter. |
Und er will feinen Fremden in feine Famtlie aufnehmen?
Noch fträubt er fih dagegen, aber Zeit und geduldigee Aus⸗
harren machen Vieles möglich.
D. B. XI. Willkomm's Rheder und Matroſe. 4
— 50 —
Er muß! murmelte Miguel. Ich verlaſſe Hamburg nicht
eher, als bis ich Herz und Hand dieſes Engels mir erobert habe.
Andreas legte dem leidenſchaftlich Erregten durch einen viel—
fagenden Blick Schweigen auf, fagte den Quartiersleuten gute
Naht und fhied mit dem Verſprechen, feinen Beſuch recht bald
zu wiederholen.
Deinen Freund Fannft du gern mitbringen, fagte Behnte;
ed wird meine Sorge fein, daß er immer nur die Mutter, nie
die Tochter im Haufe antrifft. |
Andreas nidte, dachte aber im Herzen: Das findet fid.
Junge Männer wiſſen junge Mädchen auch außer dem Haufe der
Aeltern aufzujuchen.
Serhfies Kapitel.
Herr und Diener
Wieder zwei Ginladbungsfarten? fagte Don Alonfo Gomez zu
feinem Diener. Wie viele find nun im Ganzen feit den letzten
acht Tagen eingegangen?
Die zulegt abgegebene tit die fechlte, antwortete Mafter Pa-
pageno.
Bon wen? Laß fehen!
Mafter Papageno reichte die elegante Karte feinem Herrn.
Don Gomez betrachtete fie genau, an einem ber hellen Spiegel-
feniter des höchſt luxuriöss ausmöblirten Zimmers Plab nehmend.
Schöne Handſchrift, fagte er, Buchſtaben, wie in Kupfer
geftochen. Wenn dieſe verdammten deutfhen Namen nur nicht fo
ſchwierig zu lefen und noch ſchwieriger auszufpreden wären. Komm,
Papageno, hilf mir! Du Haft ja bei den verfluchten Yankees le—
fen gelernt wie ein Schriftgeleyrter. Wie buchjtabirft du die Un-
terichrift des Einladers?
— 51 —
Maſter Papageno trat hinter den Seſſel ſeines Gebieters und
nahm ſeine ganze Gelehrſamkeit zuſammen, um Don Alonſo die
begehrte Auskunft zu geben.
Peter Thomas Heidenfrei, ſagte nach einiger Zeit der ge—
lehrte Mulatte. Genau ſo lauten die hier geſchriebenen Worte,
fügte er hinzu.
Peter Thomas Heidenfrei, wiederholte der Mexikaner. Merk—
würdig! Ich habe nie eine Ahnung gehabt, daß ein Mann die—
ſes Namens auf dem Erdballe wohnt, Pataten, oder wie ſie das
Zeug hier nennen, Kartoffeln ißt und dieſe gemeine Nahrung zu
ſeiner Veredlung mit Malaga, Portwein und Champagner hinunter-
fpült. Wer tft der Mann?
Mafter Papageno zudte die Achſeln.
Carajo! rief Don Gomez auffpringend, ich will willen, wer
bie Perfonen find, Die ſich die Freiheit nehmen, mid zu ſich ein-
zuladen. Geſchwind, ſchelle dem Kellner!
Der Mulatte vollzog ſchweigend den Befehl feines Herrn.
Wenige Minuten fpäter Elopfte e8 und der tagen - Kellner trat
mit der devoten Frage ein: was der gnädige Herr befehle?
Adreßbuch! fagte kurz und barſch der Merifaner. Der Kell:
ner verbeugte ſich dienfibefliffen und entfernte. fih, um das Ver—
langte herbeizufchaffen.
Sag’ mir, Papageno, wendete fih Don Gomez zu feinem
ftet8 willigen und unbedingt jedes Winkes gewärtigen Diener,
fage mir, wie fommt es eigentlih, daß mid die hamburger Pa—
trizter, wie man diefe reichen Handelsherren bier zu nennen be—
liebt, plößlich in ihre Kreiſe ziehen? Ich Habe Niemand befucht,
al8 meinen Gonful, und aud das nur, weil eigenhändig abzu-
gebende Briefe mich dazu nöthigten, indem er zugleich mein Ban—
quier iſt. Ich Halte diefen Mann des Geldes aber durchaus nicht
für fo wichtig und einflußreid , daß er mir die bedeutendften Sa-
(ons der reichen und vornehmen hiefigen Welt zu öffnen vermöchte.
Ew. Gnaden vergefjen, erlaubte fih der Mulatte hier ein-
zufhalten, daß Ste vor zwei Wochen einer armen Frau bag
| 4°
30
— — 2 mn
Leben gerettet haben. Diefe ritterlihe und uneigennüßige That er-
regte die allgemeinfte Aufmerkſamkeit. Lange Stunden noch ftan-
den Hunderte von Menfchen vor dem Bortal des Hotels und be-
gehrten Ew. Gnaden Namen zu erfahren.
Närrifches Volk! lachte Don Gomez. Weil ich zufällig mich
mit Segeln auf ſtillem Wafler amüfirte und dem verunglüdten
Meibe nahe genug fam, um ihm eins unferer Ruder zu reichen,
überhäuft man mid mit Aufmerffamfeiten? Wär’ mir nicht fo
bequem gewejen, bei Torquemada, dem großen Birtuofen in der
Kunft, Widerfpenftige zum Reden zu bringen, ich hätte das mir
höchſt gleichgiltige Weib ertrinfen laſſen, wie eine Ratte.
Bin davon vollfommen überzeugt, erwiderte mit Tnechttfcher
Unterwürfigkett der Mulatte, da nun aber Ew. Gnaden einmal
Großmuth gelibt haben, fo müflen Ste fi jetzt auch bequemen,
bie Folgen Ihrer Handlungsmwetfe geduldig auf fi zu nehmen.
Haft recht, Papageno, lachte Don Gomez, und ih wills
tun mit einem Anftande und einer Beſchützermiene, als wäre id
mindeflens der weiland allmächtige Vicekönig von Mexiko.
Der Kellner Fam mit dem Adreßbuche zurüd.
Hier, Papageno, fieh zu, ‚wer der große Herr ift, der mid
ald fremden Lockvogel unter feine einheimifchen Schnatterer zu
verfeßen wünſcht.
Es verging einige Zeit, ehe der Mulatte in dem umfang-
reihen Namenverzeichniß fich zurecht fand. Don Alonfo Tegte ſich
inzwifchen an's Fenſter, brannte fih eine Gigarre an und ließ
feine fharfen müßigen Augen bald unter. den Linden des Jung
fernftieges fpazteren gehen, bald über die blaue Aliter hinüber-
ſchweifen.
Endlich hatte der Mulatte die gewünſchte Auskunft gefunden.
Herr Heidenfrei, meldete er ſeinem Herrn, iſt Kaufmann
und Rheder.
War zu erwarten, erwiderte gleichgiltig der hochfahrende
Mexikaner. Außer den Kaufleuten, glaub' ich, gibt es hier gar
keine Menſchen, die ein Haus machen oder zu machen im Stande
find. Gut denn, ih will mir's überlegen. Grfundige dich in-
beffen nach den näheren Verhältniffen dieſes mir gänzlich unbe-
fannten Mannes und beridte, was du erfährt, mir getreulic,
wie ich e8 von dir gewohnt bin. — Doch, bald hätte ich's ver-
geffen, unterbrah fih Don Gomez, du Haft mir noch nicht ge-
fagt, wo die artige Kleine geblieben tft, die wir fihon einige
Male bier aus- und eingehen ſahen, und von deren näherer Be-
fanntfchaft ih mir großes Vergnügen verfprehe. Das Kind hat
meinen volliten Beifall. Es tft fehr hübſch, tadellos gewachſen,
naiv, arglos, unfhuldig wie die Engel im Himmel, und das
Blau der köſtlichen Augen, deren es fih rühmt, erinnert mid an
den woltenlofen Azur meines unvergleihlichen Vaterlandes. Konn—
teft du die Wohnung diefes Juwels, der wohl in merikanifches
Gold gefaßt zu werden verdient, noch nicht ermitteln ?
Mafter Papageno verſetzte diefe Frage in nicht geringe Ver—
legenheit. Da er fih nicht recht verjtändlih machen konnte, fo
hatte er über Chriftine, die häufig in dem Hotel aus- und ein-
ging, um feine Wäfche von einfehrenden Fremden abzuholen und
fie gereinigt wieder dafelbft abzugeben — einen Nebenverdienft, den
das fleigige Mädchen mit ihrer Mutter theilte — nichts Zuver-
läffiges erfahren fönnen. Zögernd mußte er jegt dies Geftändnif
ablegen, worüber Don Gomez ſo heftig ward, daß er thn mit ben aus-
erfefenften Flüchen, an denen die jchöne fpanifche Sprache beinahe fo
reich tft, wie Die magyarifche, überjchlittete. An derartige Zornausbrüche
ſchon gewöhnt, nahm fie der Mulatte ruhig hin. Nur fein finfte-
res Auge grollte und ſchoß heimliche Glutblicke nach dem erbitter-
ten Herrn. .
Als dlefer ſich ausgetobt hatte, jagte Maſter Papageno:
Ich werde aufpaflen, Herr, und fobald id des Mädchens ane
ſichtig werde, es verfolgen.
Thue das, du ſollſt eine Dublone dafür haben.
Ew. Gnaden müffen mir aber ein Verfprehen geben.
Ich? Wozu?
Damit ich nicht in Ungelegenheiten komme,
— 52 ——
Leben gerettet haben. Dieſe ritterliche und uneigennützige That er—
regte die allgemeinſte Aufmerkſamkeit. Lange Stunden noch ſtan—
den Hunderte von Menſchen vor dem Portal des Hotels und be—
gehrten Ew. Gnaden Namen zu erfahren.
Närriſches Volk! lachte Don Gomez. Weil ich zufällig mich
mit Segeln auf ſtillem Waſſer amüſirte und dem verunglückten
Weibe nahe genug kam, um ihm eins unſerer Ruder zu reichen,
überhäuft man mich mit Aufmerkſamkeiten? Wär's mir nicht fo
bequem gewefen, bei Torquemada, dem großen Virtuoſen in der
Kunft, Widerfpenftige zum Reden zu bringen, ich hätte das mir
höchſt gleichgiltige Weib ertrinten laffen, wie eine Ratte.
Bin davon vollfommen überzeugt, erwiderte mit knechtiſcher
Unterwürfigfeit der Mulatte, da nun aber Ew. Gnaden einmal
Großmuth geübt haben, fo müfjen Ste fih jest auch bequemen,
die Folgen Ihrer Handlungsweife geduldig auf fih zu nehmen.
Haft reht, Papageno, lachte Don Gomez, und ih will's
thun mit einem Anftande und einer Beſchützermiene, als wäre th
mindeftend der weiland allmächtige Vicekönig von Mexiko.
Der Kellner kam mit dem Adreßbuche zurück.
Hier, Papageno, ſieh zu, wer der große Herr iſt, der mich
als fremden Lockvogel unter ſeine einheimiſchen Schnatterer zu
verſetzen wünſcht.
Es verging einige Zeit, ehe der Mulatte in dem umfang⸗
reichen Namenverzeichniß ſich zurecht fand. Don Alonſo legte ſich
inzwiſchen an's Fenſter, brannte ſich eine Cigarre an und ließ
ſeine ſcharfen müßigen Augen bald unter. den Linden des Jung-
fernftieges fpazteren gehen, bald über die blaue Aliter hinüber-
fchweifen.
Endlich hatte der Mulatte die gewünſchte Auskunft gefunden.
Herr Hetdenfrei, meldete er feinem Herrn, ift Kaufmann
und Rheder.
Mar zu erwarten, erwiderte gleiähgiltig der hochfahrende
Mexikaner. Außer den Kaufleuten, glaub’ ih, gibt es bier gar
feine Menfchen, die ein Haus machen oder zu machen im Stande
— 53 —
ſind. Gut denn, ich will mir's überlegen. Erkundige dich in—
deſſen nach den näheren Verhältniſſen dieſes mir gänzlich unbe—
kannten Mannes und berichte, was du erfährſt, mir getreulich,
wie ich es von dir gewohnt bin. — Doch, bald hätte ich's ver—
geſſen, unterbrach ſih Don Gomez, du haſt mir noch nicht ge—
ſagt, wo die artige Kleine geblieben iſt, die wir ſchon einige
Male hier aus- und eingehen ſahen, und von deren näherer Be—
kanntſchaft ich mir großes Vergnügen verſpreche. Das Kind hat
meinen vollſten Beifall. Es iſt ſehr hübſch, tadellos gewachſen,
naiv, arglos, unſchuldig wie die Engel im Himmel, und das
Blau der köſtlichen Augen, deren es ſich rühmt, erinnert mich an
ben wolkenloſen Azur meines unvergleichlichen Vaterlandes. Konn—
teſt du die Wohnung dieſes Juwels, der wohl in merikanifches
Gold gefaßt zu werden verdient, noch nicht ermitteln ?
Mafter Bapageno verfegte diefe Frage in nicht geringe Ver—
legenheit. Da er fih nicht recht verftändlih machen Fonnte, fo
hatte er über Chriftine, die Häufig in dem Hotel aus- und ein—
ging, um feine Wäfche von eintchrenden Fremden abzuholen und
fie gereinigt wieder dafelbft abzugeben — einen Nebenverdienft, den
das fleifige Mädchen mit ihrer Mutter theilte — nichts Zuver—
läffiges erfahren fönnen. Zögernd mußte er jebt dies Geſtändniß
ablegen, worüber Don Gomez fo heftig ward, daß er ihn mit den aus—
erlefenften Flüchen, an denen die ſchöne fpanifche Sprache beinahe fo
reich ift, wie Die magyarifche, überjchüttete. An derartige Zornausbrücde
ſchon gewöhnt, nahm fie der Mulatte ruhig hin. Nur fein finfte-
res Auge grollte und ſchoß heimliche Glutblicke nach dem erbitter-
ten Herrn.
Als dlieſer ſich ausgetobt hatte, ſagte Maſter Papageno:
Ich werde aufpaſſen, Herr, und ſobald id des Mädchens an-
ſichtig werde, es verfolgen.
Thue das, du ſollſt eine Dublone dafür haben.
Ew. Gnaden müſſen mir aber ein Verſprechen geben.
Ich? Wozu?
Damit ich nicht in Ungelegenheiten komme.
— 54 —
Ah fo, erwiderte lachend der leichtfertige Gomez. Du fürch—
teft Händel, oder genirt dich etwa die Polizei?
Beides, Herr, verfebte der Mulatte, und ich habe nicht Luft,
in beiden Fällen allein den Lohn einzufteden.
Schon gut, fagte Don Gomez. Du haft volle Freiheit, mei-
nen Namen nad Belieben zu gebrauchen, und follte es troßdem
doch zu Conflieten kommen, fo werde ich meinen ganzen Einfluß
bei meinem Conſul anwenden, um die Folgen für dich nicht
empfindlich zu machen.
Diefe Zufiherung ſchien Mafter Papageno zu beruhigen. Er
jummte ein heimathliches Lied vor fih bin, mährend cr die Gui—
tarre feines mufif- und gefangliebenden Herrn mit einer neuen
Quinte bezog und das Inftrument, auf dem er felbft einige Fer—
tigkeit beſaß, glodenrein ſtimmte.
Don Alonfo Gomez fuhr indeß fort, die Spaziergänger auf
ber fhönen Promenade und was ihm fonft in die Augen fiel, zu
muſtern. Traf es fih zufällig, daß ein vorüberwandelndes Mäd—
hen aufblicte, nicht gerade in der Abficht, ihm irgend welche Auf-
merkſamkeit zu ſchenken, fo verfland der galante Mexikaner durd
den graztöfeften Gruß, fih der Unbekannten wenigſtens bemerklich
zu machen, und mehr denn eine junge Dame ward dadurch mo-
mentan in DVerlegenheit gefeßt. Don Gomez aber erreichte feinen
Zwei. Er zwang die Schönheit von feinem Borhandenfein Notiz
zu nehmen, und dad war für den gewandten Mann genügend,
um weiter greifende Pläne im Stillen zu entwerfen.
Wenn ih nur mwiffen könnte, wandte er fi jebt wieder an
Mater Papageno, was dba in dem Haufe an der Ede für Zufam-
menfünfte gehalten werden. Es verfehren da eine Menge Herren,
metjtentheild ältere, Doc gibt e8 auch junge Darunter. Sie müf-
fen den vornehmften Ständen angehören. Allabendlich geben fie
fih wahrſcheinlich Tebhafter Unterhaltung Hin, denn dann zeigen
fi die Räume des Haufes glänzend erleuchtet.
Der Mulatte antwortete durch Achſelzucken. Diefe Art der
Gebehrdenſprache erzürnte Don Gomez regelmäßig. Er fehte dann
feine Nachforfchungen fo lange fort, bis er zu einem Refultate ge—
langte. Auch jebt fehleubderte er feinem Diener ein paar wilde
Slühe zu und nahm dann, um feine rege gewordene Neugierde
zu befriedigen, abermals feine Zuflucht zum Kellner.
Don diejem erfuhr er unter höchſt wichtigem Mienenfpiel, daß
in dem bezeichneten Haufe die Mitglieder des Millionenelubs ſich
regelmäßig zu verfammeln pflegten. |
Millionenclub. Was fol das heifen? fragte Don Gomez.
Das heißt, fuhr der Kellner erflärend und mit wo möglich
noch wichtigerer Miene fort, es finden in dieſer Geſellſchaft höchſt
ehrenwertber Männer nur Leute Zutritt, Die über ein Vermögen
von Millionen zu verfügen oder die Ausficht haben, es bald big
zum Millionär zu bringen.
Aber zu welchem Zwede? fragte der wißbegierige 1 Merifaner.
Zu welhem Zwede? Je nun, um nah beendigten Gefchäf-
ten die Zeit ſich angenehm zu verkürzen.
Mit jungen, fhönen Srauen? warf Don Gomez, wie ein
Satyr lähelnd, ein. Bei meiner Mutter Augenbrauen, in diefem
Falle möhte ih Mitglied diefes Clubs werden.
Man bat niemals gehört, erwiderte der diplomatiſche Kellner,
daß die höchſt reſpectabeln Mitglieder des Millionenclubs fo leicht:
fertigen Vergnügungen fih crgeben hätten. Wan lebt immer
folid in jenem erelufiven Zirkel und um nicht jedes landläufige Ge—
nie und andere leichtfertige Geifter mehr darin auzulaffen, Hat
man die weile Einrichtung getroffen, immer nur zu ſehr hoben
Einſätzen Karten zu jpielen.
Finde ih nur billig, fagte legere der Merifaner. Wie hoch
zum Beijpiel?
Es wird behauptet, fagte ſehr fein lächelnd der Kellner, daß
haufig Verluſte eines Einzelnen an einem Abende in Belauf zu
zehntaufend Mark und mehr notirt worden find.
Don Gomez, welder diefe Unterhaltung mit dem Kellner am
Senfter ftehend geführt hatte, drehte fih wie ein Kreijel um.
Diablo! rief er aus. Das tft anſtändig. Ich fange an,
große Hochachtung vor den ehrwürdigen Mitgliedern dieſes Ehr—
furcht einflößenden Clubs zu empfinden. Kann man nidt die
Namen Einiger erfahren?
Don Gomez z0g fein Taſchenbuch hervor und blätterte in den
erhaltenen Ginladungsfarten.
Einige wenige find mir periönlich bekannt, fagte der. Kellner,
deſſen Eitelkeit es jhmeichelte, den Glanz und Reichthum feiner
Baterftadt vor einem ſtolz und gebieterifch auftretenden Eingebore—
nen Mittel-Amerifa’3 recht hervorzuheben.
Nun, ſo laßt hören.
Der Kellner nannte zwei, drei Namen. Als der vierte über
feine, Lippen glitt, murmelte der Merifaner erfreut abermals ein
Diablo, denn er fand diefen Namen auf einer der erhaltenen Kar-
ten. Der legte Name der nicht ganz kurzen Liſte des Kellners
lautete: Peter Thomas Heidenfrei.
Es tft gut, fagte Don Gomez, fein Taſchenbuch wieder jchlie=
gend. Wo wohnt diefer Herr Heidenfrei?
Außerhalb der Stadt. Er befißt drei ſchöne Landhäufer, von
denen das practvollfte, größte, am glänzendften eingerichtete mitten
in einem Park an den malerifchen Ufern der Elbe liegt. In die—
jem Sommer refidirt die Familie Heidenfrei auf dieſem letzteren
Landſitze. Alle Gäfte werden dort empfangen. Künftigen Sonn-
tag tft, wie verlautet, ein großes Feſtin dafelbft.
Don Gomez blidte noch einmal in fein Tafchenbuch, Lächelte
zufrieden und entließ den Kellner, der ihm ein fo bereitwilliger
Bicerone gewefen war, mit danfender Gönnermiene.
Diablo! fprah er darauf zu Mater Papageno. Hamburg
beginnt für mich intereffant zu werden. Ich babe früher oft ge-
hört, der Fremde, der nicht des bloßen Geldverdienend wegen hier-
herkomme, langweile fi bald, deun e8 mangle der großen Menge
an jeglihem Sinn für die verfchönernden Künfte des Lebens, die
Vornehmen und Reihen aber feien ſtolz, ſchwer zugänglich und
Geiſt, Witz, Humor fänden fih nicht in dem Wörterbuche ihrer
— 57 —
Sprache. Nun iſt es zwar möglich, daß ſich das ganz ſo verhält,
dennoch will mich bedünken, es müſſe in dieſem Falle ſich irgend
ein Erſatz finden, der dieſen Mangel nicht bemerkbar werden läßt.
Zweierlei weiß ich vorläufig: man hat hier die Mittel, um groß,
vornehm und raffinirt zu leben, und man ſucht von dieſen Mit—
teln Gebrauch zu machen. Außerdem gibt es Frauen und zwar
ſehr hübſche Frauen. Das genügt vorerft. Ich werde den Einla=
dungen der beiden Mitglieder des Millionenelubs Folge Teiften,
und mas dann weiter gefchieht oder gefchehen ſoll, will ich getroft
meinem Glüdsfterne überlaffen. — Zehntaufend Marf an einem
Abend! Bei Gott und allen Schönen, die ih je geliebt, diefe
Kaufherren haben einige ‚Recht, fich Königliche Kaufleute zu nen=
nen. — Papageno, einen Wagen! Ich will hinausfahren an Die
Elbe, da, wo dieſe Millionäre ihre Landfige haben. Es tt gut,
wenn man den Boden, auf dem man wandeln oder tanzen foll,
zuvor revidirt.
Eine halbe Stunde ſpäter trug ein mit zwei feurigen Rap—
pen beſpannter Wagen den lebensluſtigen Mexikaner und ſeinen
Bedienten in raſchem Laufe durch die gewühlvollen Straßen der
großen Stadt, deren zahllofe Ausrufer dem Sübländer viel Vergnügen
gewährten, da die Lebendigkeit derfelben ihn im Geiſte zurüdver-
feßte unter die heißen Strahlen der tropifchen Sonne.
— —
Siebentes Kapitel.
Gebrüder Heidenfrei.
In den ſchattigen Gängen des parkähnlichen Gartens, wel:
her den prachtvollen Landſitz des reichen Rheders Heidenfrei um—
gab, wandelten zwei junge Männer lebhaft ſprechend auf und ab.
Beide gingen in bequemer, leichter Kleidung, wie man ſie in
Mittel⸗Amerika auf den Pflanzungen zu tragen pflegt. Als Kopf⸗
— 58 —
bedeckung diente ihnen ein ſehr breitkrempiger Strohhut mit herab-
flatterndem gelbem Seidenband.
Wir lernen in diefen Männern die Söhne des Kaufmannes
Heidenfrei Eduard und Ferdinand fennen. Ste hatten einige Jahre
fomohl in den Staaten der Union, wie im ſüdlichen Amerifa zu-
gebracht und nad ihrer Rüdfchr in die Heimath gewifle ihnen Tieb
gewordene Gewohnheiten beibehalten. Da dies einiges Aufichen
unter ihrer Bekanntſchaft machte, jo nannte man die Brüder wohl
bisweilen die Amerikaner, was dieje indeß wenig kümmerte.
Bet einem freien Ausblif auf den Strom mit feinen frucht—
baren Inſeln blieben die Brüder jegt ftehen und betrachteten einige
Minuten lang das erhebende Bild. Mehrere große Kauffahrtet-
ichiffe famen mit vollen Segeln den breiten Strom herauf, denn
es wehte eine frifche Brife aus Welt und die Fluth trieb den Ebbe—
from zurüd. .
Handel und Schifffahrt gehen einer völligen Umgeſtaltung
entgegen, ſagte Eduard, der ältere Bruder, zu dem jüngeren
Ferdinand, wenn es der Wiſſenſchaft erſt gelungen fein wird, .diefe
wichtige Erfindung mehr zu vervollkommnen und die bisher nod
faum gekannte Elementarfraft dem Willen des Menfchen gänzlich
dtenftbar zu maden. Diefe erften ſchwachen Verſuche überrafchen
fhon, und doch liegt die ganze Erfindung, die Gonftruction des
Mechanismus, welher durch die treibende Kraft des Dampfes in
Bewegung gejeßt wird, nod in der Kindheit. Es kommt mir vor,
wenn ich eins biefer Dampfichiffe die Wellen durdyfurden fehe, als
beginne ein Kind eben zu laufen und wage nod nicht feft aufzu=
treten. Das Rad, welches das Schiff vorwärts treibt, quirlt mehr,
als es rudert, aber das will nichts fagen. Die Menjchheit tft in
bas Zeitalter getreten, mo ed dem forjchenden Genie gelingen wird,
alle Kräfte der Natur zu benugen, indem es fie fhärfer definirt.
Der menſchliche Geift, der immer der Träger neuer fruchtbarer Ideen
war, bat fi infofern einen viel weiteren Wirkungskreis ſelbſt ge-
zogen, als er aus bloßem träumerifhen Taſten auf realen Boden
herab: oder eigentlich heraufgeittegen ift. Dadurch allein kann und
— 59 —
wird das Licht der Wiſſenſchaft in jeder Beziehung eine dem großen
Ganzen dienende, überall hin Strahlen der Aufklärung verſendende
Weltleuchte, und das, will mich dünken, müßte Ziel und Zweck
aller Wiſſenſchaft in unſerm Jahrhundert ſein. Die Wiſſenſchaft
blos der Wiſſenſchaft wegen treiben, mag auch ſeine Verdienſte
haben, ihre Aufgabe die Welt zu erhellen, die Menſchen aufzuklä—
ren, erfüllt fie meiner Anfiht nah doch erft dann in weiteltem
Sinne, wenn fie der todten Materie gleichſam Seele einhaucht.
Du wirft mit diefer Anfiht auf viele und heftige Gegner
ftoßen, jagte mild der jüngere Bruder. Alle Anhänger der Wiflen>
fhaft waren und find jetzt noch erclufiv. Sie wollen die Schäße
des Geifles nicht Gemeingut Aller werden laffen. Darin erbliden
fie eine Profanation. Ich fürchte deshalb, die Wiflenfhaft wird,
jobald fie dem Nützlichkeitsprincip dient, bei einer nicht geringen
Anzahl gerade geiftig Begabter einen fchweren Stand haben.
Mag fein, erwiderte Eduard, dennoch ift es unfere Pflicht,
ja die wahre große Aufgabe unferes Lebens, nicht müſſig zu blei-
ben. Jene Erelufiven, die den Champagnerſchaum geiftigen Schaf-
fend nur für fih allein behalten wollen, taumeln auf Irrwegen
umher. Die Achte Aufflärung darf fih nie verfteden, nie blog
das Eigentfum weniger Auserwählter fein wollen, die bei ver—
ſchloſſenen Thüren fih ftil an ihrem Feuer erwärmen. Was der
Geift zeitigt, gehört der Welt, der ganzen Menfchheit an, und
wenn es die Aufgabe eines Reformators in religiöfen Dingen tft,
allen Menſchen die Segnungen freier Forſchung mitzutheilen, fo
wird es vorzugsmeife die Weltaufgabe des Kaufmannes, der mehr
als bloßer Krämer und Schadherer tft, fein müffen, der Erfindun-
dungen des Scharffinnes, der Entdeckungen der Wiffenfhaft fih zu
bemädtigen, um fie auf feine Weiſe zum Heile der Mit- und
Nahmelt zu verwenden und zu verwerthen. Das mag egoiftifh
fingen und nad Spefulationggeift duften, im Grunde heißt. es
doch weiter nichts, als der Sultur, der Giviltfation, der Bildung
im Großen auf friedlihem Wege eine Gaſſe bahnen.
Wir denken wohl beide gleich über dieſe Angelegenheit, verfeßte
— 60 —
Ferdinand, und wenn wir feſt zuſammenhalten, andere Gleich—
altrige für und zu gewinnen ſuchen, fo müſſen wir auch nach
einiger Zeit mit unfern Plänen durchdringen. Vorläufig ' freilich
wird nur große Behutfamkeit diefen förderlich fein. Die geringe
Theilnahme, welde im Augenblid die Kaufmannfhaft der neuen
Erfindung zuwendet, ift ganz allein in der mangelhaften Kenntniß
der Naturkräfte zu fuhen. An Unternefmungsmuthigen fehlt es
und nidt, nur bat felbit der Kühnfte nicht Luft, auf ein Unbe-
kanntes zu fpefuliven und biejem große Summen zu opfern.
Bildung aljo, möglihit erweiterte Bildung wird die Bedin—
gung fein, welche auch in kaufmänniſchen Dingen uns die ganze
Welt zu eigen gibt, fiel mit Jugendfeuer Eduard Dem. Bruder in's
Wort. Wir haben demnah zunähft auf Vermehrung zmweddien-
licher Bildungsmittel zu fehen. Verbeſſerung des Schulunterrichtg,
Ausdehnung defjelben auch über die eigentliche Zeit der Lehrjahre
hinaus, Verleihung nöthiger Mittel zu deffen Erlangung für die
Armen, bejonders für den Arbeiterftand. Das Alles wird der In—
telligenz der Handelswelt von unberehenbarem Nutzen fein. Ich
läugne nicht, Bruder, daß bei und nod Vieles zu fehr nad altem
überlieferten Schlendrian getrieben wird. Man jtolpert dabei frei—
lich nicht Leicht, aber man bleibt doch in vielen Dingen Hinter dem
Zeitgeifte zurüd. Diefe Einſicht hat mir Amerika gegeben, das ich
fonft nicht gerade preifen möchte. Der Amerikaner beſitzt eine
ſchnelle Safjungsgabe, er ift keck, wagt gern und richtet fein Augen-
merk immer feit auf einen beftimmten Punkt. Das gibt ihm eine
ſtaunenswerthe Sicherheit, verleiht ihm Vertrauen zu ſich felbft und
da er leider das Herz nie fragt, fo macht er in allen rein praf-
tiſchen Dingen wunderbare Fortichritte, erzielt die unbegreiflichiten
Refultate. Wir Europäer haben eine andere Miffion zu erfüllen.
Bei und darf das Nützlichkeitsprincip allein nicht maßgebend jein.
Unfer Heimathland hat auch in Bezug auf Merkantilismus nicht
mehr zu erobern, umzuflürzen, es joll nur reformiren. Und unter
allen Nationen der Welt befißt die deutfche das meifte Reformationg-
talent. Sie ift zäh, aber dehnbar, und hat fie einmal irgend
— 61 —
etwas als richtig erkannt, ſo jagt man ihr das nicht wieder ab,
weder mit Feuer noch Schwert. Laſſe ſie dies Reformationstalent
auch über das Weltmeer hinüber ſich geltend machen, indem ſie
der wahren Cultur erwirbt, was der rohe, kräftige, egoiſtiſche Yankees—
mus der gänzlichen Wildnig als Eroberer entreißt, und die ger=
mantfhe Race macht fih überall zum geiftigen Herrn ber Welt,
in Europa, wie in Amerika.
Du haft Recht, fagte Ferdinand, fein Auge auf den lebhaften
Strom heftend, der mit den vielen auffegelnden Schiffen einen
großartigen Anblik gewährte und das Herz eines Welthandelsheren
wohl höher ſchlagen machen konnte. Wir Hanfeaten zumal follten
und müßten innig felt zufammenhalten, um, wohin deutiche Schiffe
jegeln, die deutfhe Handelswelt auch würdig zu repräfentiren.
Nennen wir und nah dem Bund der Hanfa noch immer Hanfeaten,
jo thäten wir klug, wenn wir aud den Goalittonsfinn unferer
Vorfahren in und wieder aufleben madhten. Hamburg, Bremen,
Lübeck, in ihrem Streben einig, können nod immer eine Macht
ausüben, vor der Jedermann den Hut ziehen muß. Aber zögern
dürfen fie nicht, auch der Neid muß fih nicht in den Schooß ihrer
Bürger einniften, fonft könnte der Kleinfichkeitsgeift des deutfchen
Particularismug, der unfer Gefammtvaterland politiſch leider fo
ohnmächtig macht, auch die Thatkraft der deutfchen, oder, was das⸗
felbe ift, der hanfeatifhen Handelsthätigkeit hemmen, vielleicht gar
untergraben.
Wie der alte Freiherr von Attinghaufen in des großen Dich-
ters „Tell“ den Schweizern fterbend an's Herz legt, einig zu fein,
fo wollen wir ale Lebende die Lehre vom Ginigfein und Einig—
bleiben predigen, erwiderte Eduard. Als Apvftel einigen und
freien Handelns wollen wir einen neuen Hanfabund gründen, deſſen
Devife heißen fol: Eroberung auf friedlihem Wegel Es wird
und an Jüngern, die fih ung gern und eifrig anfchliegen, nicht
fehlen. Auch die ftilleren, gemeſſenen Leute, denen das Alte Tieb-
geworden, bequemen fih dann zum Neuen, wenn fie einjehen, daß
es nicht zerſtört, ſondern baut. Darin tft der Kaufmann jedem
— 62 —
Fortſchritt immer leichter zugänglich, als der Gelehrte. Seine Bil—
dung gleicht immer einem Rechnenexempel. Sie mehrt ſich gemäß
der Summe, bie er dabei zu erwerben did Ausſicht hat. Der
Gelehrte dagegen zehrt allen realen Gewinn durch den rein geifti-
gen auf. Darin befteht der Unterſchied zwilchen der Civiliſation,
welche der Handel anbahnt, und jener, die ein Produkt der Ge-
lehrſamkeit iſ. Wäre es nur möglih, einflußreiche Männer der
MWiffenfhaft, deren Deutichland Gott Lob genug zählt, für dieſe
Auffaffung aller commerciellen Fragen zu gewinnen, wie groß und
raſch würden alsdann die Fortfchritte fein, welche beutfcher Geift
und deutſcher Einfluß überall da gewinnen müßten, wo beutfdhe
Handelsleute ein Comptoir anlegen und bie Flaggen der feefahren-
den Staaten unfered Baterlandes an den Küften ferner Länder
fih entfalten!
Das Auge des Sprechenden glänzte in ftolzer Freude und
jhmeifte abermals hinüber auf den Strom, den mit der wachen
den Fluth immer mehr Schiffe erfüllten. Aus dem Landhauſe,
deſſen Bedachung über eine Gruppe wohl gepflegter Bäume her—
überblidte zu den beiden jungen Männern, ließ fich jegt eine ſtarke
wohltönende Sopranftimme hören.
Ulrike fingt, fagte Ferdinand, fih umfehrend, den Arm des
Bruders ergreifend und dieſen mit ſich fortziehend. Laflen wir
jebt unfere commerciellen Pläne ruhen und Huldigen wir den ſchö—
nen Künften. Es tft doch etwas herrliches um eine Menſchen—
ftimme, die in fo ſchmelzend füßen Klängen alle höchſten Freuden
der Seele, alles tiefite Herzensweh aushauchen und es Andern
an's Herz legen Tann.
Das Mädchen fingt in der That wunderbar Iieblih, ſprach
Eduard. Man wird gefeffelt, entzüdt, beraufht, fo oft fie eind
ihrer Lieder zur Laute anftimmt.'
Meint du nicht auch, dag Ulrike am gefühlvolliten fingt,
wenn fie ganz allein tft und fi unbeachtet weiß oder doch glaubt?
Ich habe nicht genau darauf geachtet, erwiderte Eduard, viel-
— 63 —
leicht, ſetzte er mit einem feinen Lächeln hinzu, weil ich die Farbe
ihrer Augen nicht mit ſolchem Eifer wie jemand anders ſtudirte.
Ferdinand ließ dieſe Bemerkung unbeachtet, dem Hauſe, das
jetzt mit ſeiner in den Garten hinabführenden Freitreppe ganz vor
ihnen lag, zuſchreitend. |
Nur einmal, fuhr er fort, als hätten feine Gedanken in der
Vergangenheit geweilt, babe ich Ulrike in Gefellihaft mit dem gan
zen bewältigenden Zauber ihrer feelenvollen Stimme fingen hören,
und id bedauere noch jebt, daß du damals gerade verreift warft.
Beim legten Feſtin, das Vater gab?
Sa, fagte Ferdinand, Don Gomez, der reiche Meritaner, der
jo ſchnell ein ſtark begehrter Gaft in der guten Gefellfhaft gewor⸗
den tft, weil er fi gegen eine arme Frau mild und menfdhen-
freundlih erwies, accompagnirte damals Ulrike. Er fpielt die
Laute eben jo meilterhaft wie Ulrike nach meinem Dafürhal-
ten fingt. |
Man Hört viel von diefem Mexikaner fprechen, antwortete
Eduard. Jedenfalls iſt er fein gewöhnlicher Alltagsmenſch. Ge—
rade deshalb aber, dünkt mich, follte man etwas vorfſichtiger fein
und ihm nicht fo fchnell volles Vertrauen ſchenken. Es gibt der
Abenteurer gar zu Diele.
Unter diefe Rubrif gehört Don Gomez fiherlih nicht, ver-
ſetzte Ferdinand. Er ift unftreitig, wofür er ſich gibt, dennoch aber
fann er gefährlich werben.
Für Ulrife? fragte mit dem früheren feinen Lächeln Eduard.
Vielleicht auch für Elifabeth, entgegnete Ferdinand.
Der Gefang verftummte jeßt, und Eduard z0g den Bruder
wieder feitwärts in einen Gang bes weitläufigen Gartens.
Erkläre dich deutlicher, fagte er ernft. Du Haft den Merifa-
ner gejehen, gefprocdhen, fogar beſucht. Du mußt dir ein ungefäh-
res Urtheil über ihn gebildet haben. Ä
Ferdinand' erzählte,
Während deiner Abweſenheit erhielten wir eine Einladung zu
Banquier M*, der eine feiner zahlreichen Gefellfhaften gab. Du
’ — 64 —
[
weißt, dem Vater liegt wenig an derartigen DVergnügungen. Ges
fhäftsangelegenheiten nahmen ihn ganz in Anſpruch, auch fühlte er
fid nicht wohl. Deshalb blieb er mit der Mutter zu Haufe, nur
ih und Elifabeth folgten der erhaltenen Einladung. Wir unter-
bielten ung ungewöhnlich gut, weil außer dem bekannten Kreife,
der nicht geeignet tft, Leute jüngeren Alters und frifchen Streben
befonbers zu fefleln, diesmal eine große Anzahl vornehmer Frem-
ber zugegen war, die, auf ihrer Durchreife, einige Zett in Ham⸗
burg vermweilten und fih bei unferm Kröfus die Börfen füllten.
Wir trafen alfo allerlei Volt und zwar Volt aller Nationen.
Auch waren alle Stände jo ztemlich vertreten, denn es befanden
fi unter der etwa aus fiebenzig Perfonen beftehenden Geſellſchaft
zwei deutfche Fürften von Geblüt, ein früherer reichsunmittelbarer
Graf, der mit feinen vielen Orden gewaltig paradirte. Ferner
gab es Gelehrte, ein paar Virtuofen, zwei Maler, drei Poeten und
fehr, fehr viele Jünger Merkur's. Es mußte demnach lebhaft, un⸗
terhaltend,, ja in gewiflem Sinne fogar ungenirt zugehen, was tn
unfern Geſellſchaften gewöhnlich fchwer zu erreichen ift, da die Mei—
ften die Gierfhaalen fteifer Etiquette immer mit fih herumtragen.
Höchſtens zu Ende der Tafel vergißt fie der Eine oder Andere,
dann geht aber das Vergnügen gewöhnlich raſch zu Ende. Unter
ben Fremden fiel Jedem Don Alonfo Gomez fehr bald in die Au—
gen. Die feine, ſchlanke Geftalt des jungen Merilaners, deſſen
dunklere Gefihtsfarbe durch die moderne franzöſiſche Gefellihafts-
trat eher hervorgehoben als verdedt wurde, machte ihn bald zum
Gegenftand allgemeinfter Beobachtung. Man fragte bald leiſe,
bald Tauter, woher ber lebhafte junge Mann komme, wie er heiße,
was er in Hamburg wolle! Ob nur das Bebürfnig, fremde Völ—
fer und Städte kennen zu lernen, oder ob Handelsgefhäfte ihn zu
und geführt hätten? So wußte denn ſchon in der erften Stunde
Jedermann, daß Don Gomez rei, unabhängig, unverheirathet ſei;
daß er nur zu feinem Vergnügen Europa bereife, daß er in Ham—
burg eine ebelmüthtge Handlung ausgeübt habe, und daß er einen
höchſt Tiebenswürdigen Charakter befike.
— 65s —
Bedarf es mehr, um die Augen junger Frauen und Mädchen
auf einen Mann zu lenken, der noch außerdem die Vorzüge ges
felliger Talente mit den feinften Manieren vereinigt? Don Go-
mez ward alsbald der bevorzugte Mittelpunft der ganzen Gefell-
haft. Jeder wollte ihn fprechen, irgend eine feiner faft immer
entweder wirklich originellen oder doc wenigftens originell Elingen-
den Aeußerungen von ihm vernehmen. Er ſprach fi mit ſchö—
nem, ja id mödte beinahe fagen mit hinreißendem Freimuth über
die verſchiedenartigſten Gegenſtände aus. Auch unſere Stadt, ihr
Leben, ihre Volksmaſſe, ſo weit er während der kurzen Zeit ſeines
Aufenthaltes dies Alles hatte beobachten können, wurden von dem
Mexikaner einer Beurtheilung unterworfen. So ſchief nun auch
dies. Urtheil ausfiel und nothwendig ausfallen mußte, man fand
es originell, koſtbar, entzückend, und beſonders die Frauen waren
des Lobes voll über den unvergleichlich liebenswürdigen Sohn Me—
xiko's. Ich glaube wirklich, manche unſerer Schönen hat noch in
der Nacht fih aus irgend einer Leihbibliothek die Gefchichte der Er-
oberung Mexiko's holen Lafjen, um den Boden und bie Stätte fen-
nen zu lernen, wo der Mann, deflen Bild ſich ſchnell in Aller
Herzen ftahl, geboren ward.
Du wirft unliebenswürdig fpisig, warf Eduard ein. Dante
Gott, daß Feine diefer Schönen dich hört, fie behielten ſich viele
leicht vor, dir Alle beim nächſten Balle einen Korb zu geben.
Endlich, fuhr Ferdinand in feiner Erzählung fort, ward mu—
fietrt, in gewohnter Weiſe, wie das ja- fett Tange üblich tft, d. h.
einer der geladenen Birtuofen ſetzte fih an den Flügel und extem—
porirte unter Kopfihütteln und begetitertem Augenverdrehen, wo=
bet die Mehrzahl aller Mebrigen ſich herzlich Tangmeilte, rauen und
Mädchen fein fittfam in ihre Bacher ficherten, und wir Männer
Thürpfoften, Wände und Pfeilertifchchen hielten, wohl auch insge⸗
heim zur Abwechſelung einmal gähnten.
Spötter! fagte Eduard. Man wird dich aus der guten Ge:
ſellſchaft verbannen müflen, um nur Ruhe vor deinen Bemerkun-
gen zu haben.
D. B. XI Willtomm’s Rheder und Matroſe. 5
. — 66 —
Don Gomez, erzählte Ferdinand weiter, langweilte fich eben⸗
falls, er war aber Flüger, als wir europäiſch Civiliſirten. Wäh—
rend wir bildfäulenartig den Tönen bes Inftrumentes Taufchten,
vtelleicht auch wohl im Stillen die Courſe berechneten und und
heimlich nach dem Stande des Disconto erfundigten, erlaubte fi
zum Grgögen aller Damen der unruhige Meritaner einem Komes
ten gleich ganz allein dur den Salon zu fchweifen. Was einem
Einheimtfhen von Niemand verziehen worden wäre, das fand bei
bem Fremdlinge Jedermann delieiös. Und befjer hätte ſich ber
fhlaue Don Gomez gar nicht präfentiren und Aller Augen vor=
ftellen Tönnen, als auf diefer ruhelofen Kometenlaufbahn. Unſere
Frauen und Mädchen fanden, daß fein Wuchs tadellos, fein Fuß
ſchmal und Hein, fein Schritt elaſtiſch, feine Haltung biegfam, feine
Tournüre von wunderbarer Natürlichkeit jet. Das glänzend ſchwarze
Haar, das fein Friſeur mit feinen Pomaden parflümirt hatte, ſtach
allen Mädchen in die Augen, und lange zuvor, ehe ber in Grtafe
gerathene Virtuofe feine unklaren Gedanken in unverftändliche Mufit
eingefleivet hatte, wußte die Blüthe der verfammelten Mädchenwelt
genau, wie Don Gomez die Lippen fchürze, wenn er fein ober
ſchalkhaft lächle, wie fein Blick befchaffen jet, und daß bie dunkle
Farbe feiner Augen wie bläulih angelaufenes Emaille funfele und
ſprühe.
Als der Virtuoſe endigte, ward er pflichtſchuldigſt beklatſcht,
nicht für den Genuß, den er ung bereitet hatte, ſondern aus tief-
gefühltem Dank bafür, dag er aufzuhdren die Güte gehabt. Ein
Einziger von Allen aber Flatfchte nicht und das war —
Natürlich der unctvilifirte Sohn Gentral-Amerika’s, fiel Eduard
dem Bruder in’d Wort, der übertrdifh natürlihe Don Alonfo
Gomez.
Anftatt in das begeiiterte Applaudiſſement der Männer alfo
einzuflimmen , das Seitens des glüdlihen Virtuoſen durch wieder-
holtes Schwenken ber lang herabhängenden Künftlerloden beant-
wortet ward, fagte der Meritaner in feinem komiſch klingenden
gebrochenen Deutfh, das abermals alle Welt delicids fand, ein
— 67 —
mexikaniſches Lied mit Guitarrenbegleitung klinge zwar nicht ſchö⸗
ner, ſei aber doch luſtiger anzuhören.
Ich merke bereits, der Mann verſteht ſein Geſchäft, warf
Eduard ein. Menſchen' ſolchen Schlages müſſen immer gefährlich
werden.
Augenblicklich ward er von wenigſtens zwei Drittheilen der
Damen wie von einem ſummenden Bienenſchwarm umgeben. Un⸗
ter dieſen neugierigen Schwärmern für das exotiſche Männlein
befand ſich auch unſere Schweſter. Ihre Schelmenaugen ſahen ſo
pfiffig drein und das kleine Mündchen lachte ſo vergnüglich, daß
die Grübchen in ihren Wangen immer tiefer wurden und aus
jedem ein Amorettchen hervorguckte!
Ad, könnten wir doch ein mexikaniſches Liedchen hören! wis-
perte bort ein zartes Stimmen, flehte bier ein ſchöner Mund,
bat daneben ein großes Teuchtendes Augenpaar. Don Gomez hätte
ja ein Ungeheuer fein müflen, wäre er tm Stande geweſen, fo
viele höher und wärmer fchlagende Frauenherzen auf einmal zu
beleidigen.
Wenn die Señorita's zufrieden fein wollen mit einer fchlechten
Zetftung, fo würde ich gern mit Erlaubnig der Herrſchaften ein
Liedchen vortragen, ermwiderte ohne alle Ziererei der Mexikaner,
allein ich vermag unmöglich zu fingen ohne Zither oder Guitarre.
Eine Buitarre! Eine Guitarre! baten, flehten, wisperten wie=
ber die aufgeregten Schönen, und alsbald warb ein foldes In⸗
firument von einem der ſogleich abgefandten Bedienten des Hauſes
herbeigefchafft. Es war ſchlecht genug, hölzern im Ton, mit etwas
Elirrenden Saiten befpannt, bie alles Stimmen nicht heller tönen
laffen wollte. Gerade dieſe Fehlerhaftigkeit der Guitarre erhöhte
die Gefangesleiftung des Merifanerd. Auf demjelben Stuhle, wo
ber fein gefhulte curopälfhe Virtuos, der von einer Kunftreife
aus St. Petersburg zurrüdfchrte, unfere muſikaliſche Geduld auf
eine ſchwere Probe geftellt hatte, nahm jegt Don Alonſo Gomez
Platz. Er firih das in natürlichen Loden auf feine bräunlide
Stirn Herabfallende Haar nachläſſig zurüd, präludirte mit wenigen
5*
feften Griffen und ftimmte nun zu einer merkwürdig einfachen Me»
(odie ein Lied in ſpaniſcher Sprache an, das durch den Föftlichen
Vortrag und die Elangreihe volle Tenorfiimme des Sängers jedes
Herz bewegte. Don Gomez ward mit Applaus und Dankfagungen
von allen Seiten überhäuft. Die Damen umdrängten ihn aber-
mals und th bin feit überzeugt, viele haben ihm nicht blos ihre
weichen Händchen gegeben, fondern fogar die Hand bes Föftlichen
Virtuofen gedrüdt. Genug, feit jenem Tage warb Don Alonſo
Gomez der Löwe des Tages, der erklärte, bewunderte Liebling aller
Damen. Wie viele junge Frauen von ihm ſeitdem geträumt ha=
ben, wie viele Mädchen gewünſcht haben mögen, Unterricht bei ihm
in der fo füß und melodifch klingenden fpantfchen Sprache zu neh⸗
men, wird die Welt zum Glüd aller Männer nie erfahren.
Du fhwärmit ja beinahe felbft, Indem du das Erlebniß er-
zahlft, bemerkte Eduard. Doc ſprich: wie endigte diefe Intereffante
Unterhaltung ?
Ganz fo, wie fie endigen mußte, Iteber Bruder. Don Gomez
war ohne Frage für einen großen Theil der Geſellſchaftswelt vor-
läufig die wichtigfte, -begehrtefte Perföntlichkeit geworden. Jeder
wollte den jungen, Liebenswürdigen Mann fennen lernen, der fo
plöglih alle übrigen Männer verdunfelte. Die Einladungen häuf—
ten fih, und da der Merikaner genug Weltkenntniß befigt, um zu
wiffen, daß man fih ſuchen Laffen muß, wenn man mit jebem
Tage begehrter fein will; jo flug er viele diefer Einladungen
aus. Gleichzeitig Tiefen, vielleicht auf des ſchlauen Herrn eigene
Veranlafjung, die merfwürdigften Gerüchte über ihn um. Es hie,
er, den man bis jegt nur in heiterfter Stimmung, fprudelnd von
Geiſt und Leben kannte, habe oft ſchwere Kämpfe zu beftehen,
denn er ſei im Grunde ein Höchft unglüdlicher beflagengwerther
Menſch. Bald erzählte man fih, eine Braut fei ihm durch india⸗
nifhe Krieger geraubt und ermordet worden, bald folkte er ſchon
verhetrathet gewefen, feine junge Gattin aber von einem eiferfüch-
tigen Anbeter, ber ihren Befig zu erringen gehofft babe, vergiftet
worden fein. Ich, meines Theils, glaube an alle dieſe Gerüchte
— 69 —
nicht, deſto feiter hängen fi Frauen und Mädchen daran, aus
purem Mitleiden, wollen fie behaupten, und da Don Gomez wirf-
lich zuweilen einen romantifhen Anflug von Melancholie zur Schau
trägt, muß natürlid Alles unbedingt wahr fein. Man beflagt. die
furchtbaren Grlebniffe, die entfeglichen Erfahrungen des noch fo
jungen, fo fhönen, fo anziehenden Mannes, und ftrebt nichts eifrt-
ger an, als thn möglihft bald recht von Grund aus glüdlich zu
maden.
Sehr begreiflih, fagte Eduard. Und unter diefe Glücklich⸗
macherinnen gefellte ſich auch unfer Schweiterdhen ?
Elifabeth verhielt fih anfangs fehr fill, berichtete Ferdinand,
nur mit Ulrike mußte fie ſich über den auffallenden Fremdling weit=
läufiger ausgefprochen haben. Ich erfuhr dies ganz zufällig einige
Tage fpäter während des Frühſtücks, wobei ih die Bemerkung
machte, daß beide Mädchen den Meritaner mehr als einmal zum
Gegenftande ihrer Geſpräche gemacht haben mußten. Ulrike hielt
nicht hinter dem Berge. Nach ihrer befcheidenen, ruhigen aber
feften Art ſprach fie ed offen aus, daß fie den Fremden wohl fen-
nen lernen möchte, und daß fie es durchaus nicht für unpafjend
halte, wenn man ihn zur nächſten größeren Gefellihaft einlabe.
Elifabeth fand dies glethfall® in der Ordnung, ja fie meinte fo-
gar, es fet unerläplih, wolle das gaftfreie Haus Heidenfret nicht
ungalant erfheinen. Die Mutter war bald gewonnen, ich felbit
fonnte mit Zug und Recht nicht .widerfprehen, und der Pater
fümmert fih, wie du weißt, um diefen Theil des Hausregimentes
fehr wenig, wenn man ihm nur niht die Anordnung perfänlich
zumuthet. So erfolgte denn eine Einladung an Don Gomez,
dem ich, nachdem eine zufagende Antwort eingelaufen war, einen
Beſuch abflattete. Der Mexikaner übertraf ſich felbjt an Liebenswür—
digkeit, Nie hörte ich einen Mann feines Alters gewandter fid
ausdrüden, nie fand th in der Perfon eines fo jungen Mannes
größeres Selbitbewußtfein mit feinfter Weltfitte gepaart. Man
burfte Don Gomez in diefer Beziehung in ber That für ein Phä-
‚ nomen erklären!
— 70 —
Das Ende, das Ende! drängte Eduard, den Bruder auf
die Bank niederziehend, von welcher aus der Strom und die
prächtig beleuchtete Landſchaft mit einem Blick zu überſehen waren.
Ich bin Außerft geſpannt, zu erfahren, wie der bewunderte Caballero
ſich hier in dieſem Aſyl des nie geſtörten Familienglückes intro-
ducirt hat.
Er kam, ſah und ſiegte, ſagte Eduard in weniger freund⸗
lichem Tone. Sein Sieg war in jeder Hinſicht ein vollkommener;
man konnte ihn mit vollem Recht einen Triumph nennen. Selbſt
der Vater fühlte ſich angezogen, ja gefeſſelt. Er zeichnete Don
Gomez aus und gab zuerſt das Signal zu einem Duett, das
alsbald der Mexikauer mit Ulrike fang. Ich glaube nicht, daß
irgend Jemand eine Empfindung von Neid Über die geiſtige Er—
oberung fühlte, die der Fremdling fichtlih machte, obwohl keinem
ber jüngeren Männer ein fo fiegesgewiffer Heros gleichgiltig fein
fonnte. Die Gefellihaft vergaß über dem neuen Glement, Das
mit ganz frifhem Lebensodem fie durdhaudte, alle gewohnten
Zerftreuungen. Es ward den ganzen Abend Fein Spieltifch -zurecht
gerüdt. Jedermann unterhielt fih und vergaß über der ſtets be-
wegt bleibenden Unterhaltung, daß man gewiſſermaßen gegen fid
ſelbſt und eine alte, gehetligte Sitte, ohne es zu wollen, fündige.
In der Ferne fiel jetzt ein Schuß, der an den bebuſchten
Nferhöhen in vielfahem Echo verhalfte.
Da kommt ein Schiff auf und begrüßt das Landhaus feines
Eigenthümers, fprah Eduard. Aber vollende deinen Bericht.
Vergnügter und zufrievener denn je, fuhr Ferdinand fort,
trennte ſich ſpät in der Nacht die ausgewählte Geſellſchaft, welche
nad der Mutter und der Schweiter Wunfch zum befondern Empfange
bes bevorzugten Mexikaners geladen worden war. Man fprad
von dem Genuſſe biejes allerdings ungewöhnlichen Abende noch
tagelang, aud über Tiſche, ohne daß es dem Vater unangenehm
geworden wäre. Die Woche darauf machte Don Alonfo Gomez
eine Viſite, unterhielt fih in der liebenswürdigſten Welfe, bes
wunderte die Einrichtung unferes Haufes, fand bie Gartenanlagen
’ — 71 —
vortrefflich, die Ausſicht entzückend, und unterließ nicht, Schweſter
Eliſabeth und die kleine ſtille Ulrike in der Botanik, von der er
einige Kenntniß zu beſitzen ſcheint, beim Gewahren eines Ge—
wächſes, das in feiner Heimath wild wächſt, zu unterrichten. Seit-
dem hat er zweimal mit und dort im Zelt den Thee genommen,
wobet denn auch die Guitarre nicht fehlen durfte. Kin Duett
mit Ulrike ſchloß beide Male die fehr angenehme Unterhaltung.
Es krachte ein. zweiter Schuß, den der Weltwind viel ver-
nehmbarer gerade auf den Garten Heidenfrei's zutrieb, dieſem
folgte ein dritter. Im Landhaufe öffnete fih die nah ber Frei—
treppe führende Salonthür und ein paar rofige Mäbchengefichter
ſteckten lauſchend die Iodenumifpielten Köpfchen heraus. Ferdinand
fprang auf die Bank, um das Strombett bequemer überfehen zu
fönnen.
Beim Himmel, es tft unfere lang erfehnte Bart, es tft die
„Marie Eliſabeth!“ Hurrah! .
Eduard fand fhon neben dem Bruder. Beide zogen ihre
Tafchentücher und winktten den auf den Raaen und in den Wanten
hängenden Matrofen des ftolz auffegelnden Schiffes zu, an deſſen Gaffel
die große Flagge Hamburgs ſich entfaltete und deſſen Schiffsgeſchütz
abermals den Landfik des Rheders mit einer Freudenſalve begrüßte.
Eiligen Laufes kamen die beiden Mädchen die breiten Sand⸗
mege daher?
Was gibt es? Warum wird geſchoſſen? Iſt's ein befreunde-
tes Fahrzeug, das auffegelt? fragte lebhaft die Schweiter der bei=
den jungen Männer, während Ulrike durch das Gebüfh Tugte und
bier den vollen Anblid des mit blendenden Segeln bededten Bark⸗
ihiffes Hatte.
Hurrah! Marie Eltfabeth! riefen beide Brüder unter Iebhaf-
tem Tücherfchwenten. Gin lang gezogenes Hurrah der Matrofen
antwortete dumpf verhallend vom Schiffe herauf.
Mein Namensträger kommt, fagte mit glüdlihem Lächeln die
elfenhaft gebaute Eltfabeth, indem fie danfend unwillkürlich bie
Heinen Hände faltete. Wie freue ih mich, daß bas große Schiff
— 72 —
glücklich von ſeiner langen erſten Reiſe zurückkehrt. Wie wird auch
Vater ſich freuen!
Dort kommt er ſchon, fiel Eduard ein. Er iſt früh unter—
richtet worden, ſonſt hätte er heute das Comptoir nicht ſo zeitig
verlaſſen. Laßt uns ihm entgegen gehen und ihn begrüßen!
Achtes Kapitel.
—
In der Familie,
Es war ein Bild des glücklichſten Familienlebens, das jetzt
von dem terraſſenartigen Vorbau hinabblickte auf den Strom, um
die große Bark majeſtätiſch und ſtill mit ihren aufgebauſchten, von
der Abendſonne vergoldeten Segeln vorübergleiten zu ſehen.
Heidenfrei der Aeltere ſtand zwiſchen ſeiner Tochter und Ulrike.
Mit der Rechten ſchwenkte er grüßend ſeinen Hut gegen das Schiff,
deſſen Mannſchaft noch in den Wanten hing. Ihm zur Linken
hatten die beiden Brüder Platz genommen und an Eliſabeths Arm
lehnte ſich froh lächelnd die Mutter. Dieſe Gruppe intelligenter
Geſichter und edel geformter Köpfe umfloß der Duft der Abend-
fonne wie ein purpurner Heiligenſchein. |
Als nur noch der Wimpel des großen Maftes über den Ge-
büfhen zu fehen war, kehrte Vater Hetdenfrei fih um, indem
er ſagte:
Kommt, Kinder, die Luft dünkt mich, ift feucht, und ich bin
leicht gekleidet und innerlich erregt. Ein fuperbes Schiff, Eliſabeth,
dem du deinen Namen gegeben haft! Macht dir's nicht auch Freude,
folh einen flolzen Bau, unter deſſen Gallion dein wohlklingender
- Name prangt, über die Weltmeere jhwimmen zu willen?
Gewiß freut es mich, Bäterchen, verſetzte Eliſabeth, fich ſchmei⸗
chelnd und liebkoſend an den Arm des Vaters hängend, ich möchte
nur auch bald erfahren, welche Abenteuer das Fahrzeug und feine
— 73 —
Bewohner erlebt haben mögen. Ein Schiff flößt mir immer Re=
fpect ein. Es kommt mir vor, wie ein befeeltes Weſen, und in
ber That glaub’ ich au, daß jeder tüchtige Seemann, jeder zu-
verläffige Capitain ungefähr gleicher Anfiht mit mir fit. So
erkläre ih mir die mancherlei poetifhen Sagen, an denen das
Herz felbft des voheften, ungebilbetften Matrofen hängt. Die Ges
falt 3. B. des Klabautermannes, den jeder ächte Seemann mit
eigenen Augen zu jehen behauptet, an den er fo feit glaubt, wie
ih an Gott, konnte meines Erachtens nur entftchen, weil der See⸗
fahrer fich gedrungen fühlt, fein Fahrzeug zu beleben. Der Klas
bautermann ift die Seele des Schiffes, das ja dem Untergange,
der Verweſung anheim fällt, wenn er es verläßt.
Die Familie betrat die zum Gartenfalon führende Freitreppe.
Geh’ nur voran, Meine Poetiſche, fagte Heidenfrei ſcherzend,
indem er den Arm der Tochter frei gab. Ich muß mir noch einen
bejondern Hauspoeten anſchaffen, damit du mit Ihm fo vet nad
Herzensluft fhwärmen kannſt. Wäre das Poetenvolt nur nidt fo
windig! Zwar bin ich ein Verehrer der Winde, ja, ih kann fogar
fagen, wenn das nicht zu heidniſch MHingt, ein Windanbeter, denn
wir armen geplagten Kaufleute leben ja großentheild von feiner
Güte und Gnade, an den Menfhen aber, in denen der Wind erb-
gefeflen tft, habe ich fein Wohlgefallen. Ja, gäbe es noch Dichter
wie weiland unfer Klopftod einer war, der auch im Tode noch der
unſrige geblieben tft, da ließ ich mir’s gefallen. Aber unjere Poe⸗
ten von heute und geftern — diefe Ban der Velde, Tromlig, Claus
ven, die jebt vom Publikum vergöttert werden — nein, geht mir
weg! Da tft mim ein Stüd Ghefterfäfe, Gott vergebe mir das
Wort, wahrhaftig Lieber!
Sollſt ihn heut’ Abend noch haben, Peter, fagte lächelnd Frau
Margaretha, da fie wußte, dag ihr Gatte ein leidenſchaftlicher Ver⸗
ehrer dieſer ſchmackhaften Gottesgabe war.
Aber Goethe und Tieck und Uhland, fiel Eliſabeth ein, und
dann Walter Scott und der göttliche Lord Byron, magſt du von
biefen Allen denn gar nichts willen? Site leben ja no und kön⸗
— 74 —
nen zu dem vielen Herrlichen, das ſie der ganzen Welt bereits ga—
ben, noch Herrlicheres fügen.
Na, na, na, verſetzte Heidenfrei abwehrend, nur piano, meine
Heine Poetiſche. Der Goethe Lebt freilich noch und vor ihm hab’
ih, ſchon weil er als großer Dichter auch ein höchſt praktifcher
Mann war, der niemals in den Wollen fpazieren lief und alles
irdiſche Gut nach Verdienſt zu würdigen verſtand, den größten Re-
fpeet, den Tier! aber, mein liebes Kind, den verſteh' ich nicht ganz.
Er macht mir zu viel blauen und rofarothen, oft auch grauen und
grünen Dunſt vor, obſchon ih an manden feiner Hleineren Novel:
len mid erlabt habe. Gedichte Tefe ich nicht, und Uhland fchreibt,
glaub’ ih, nur Gedichte Ueber ihn alfo will ich nicht urteilen.
Den Walter Scott dagegen laſſ' ich gelten, fhade nur, daß er zu=
fällig in Schottland geboren, alſo Leider kein deutfches Gewächs tft.
Ein Mann durh und dur, fuperbe! Mit deinem feuerfarbenen
Lord aber bleib’ mir vom Leibe, Meine Poetiſche! Schrieb’ er
nicht fo ein koſtbares Englifh, ich hätte den Kain und Mazeppa
und gewiß aud feinen liederlichen Ritter Harold, in dem er fi
ja doch nur felbft abeonterfeit hat, ſchon längſt verbrannt.
D bitte, thu' es nicht! bat Eltfabeth. Ich laſſe die zufam-
mengeflebten Blätter, wie du's vorgefchrieben, ganz unberührt, denn
ih bin gar nicht neugterig, gar nicht! j
Die Toter legte auf dies „gar nicht” einen fo gewaltigen
Nahdrud, daß der Vater fie mit komiſchem Staunen anblidte, denn
e8 wollte ihm dieſe Verfiherung nicht recht glaubwürdig vorfonmen.
Alfo gar.nicht neugierig! wiederholte er, die Glasthür fehlie-
end und dem in ber ſüdöſtlichen Ede angebrachten Divan zufchret-
tend. Steh’ mal, das iſt ja fuperbe. Nun da laß uns bier auf
dem ſüdöſtlichen Divan, wie du diefe Polfter poetiſch getauft haft,
fo lange ruhen und plaudern, bi der Abendtiſch angerichtet iſt.
Ich hoffe, Mutter läßt uns nicht lange warten, denn ich grob ma⸗
terielleer Menfh habe — mit Erlaubniß meiner Heinen Poetiſchen
ſei's geſagt — einen ganz martlaltfhen Appetit. Die oftindifche
Poſt hat meine Kräfte Heut gar zu fehr In Anfpruh genommen,
— 75 —
Auf den Ruf der von Madame Heldenfrei angezogenen Glode
brachte der Bediente eine mildes Licht verbreitende Aftrallampe in
den Salon. Beim gedämpften Schimmer diefed Lichtes wollen wir
uns jebt die neu hinzu gekommenen Perfonen der. Familie etwas
näher betrachten,
Bater Heidenfrei machte beim erſten Anblick keinen befonders
vortheilhaften Eindrud, Von Geftalt kaum mittler Größe, war
er faft zart gebaut. Dabel Hager und ohne angeborenen Sinn.
für Eleganz, trug er zwar feine, aber jederzeit ſchlecht fiende Klei⸗
ber. Am liebſten kleidete er fih nachläſſig, weil ihm dies beque=
mer war und es feiner Reellttät widerftand, auf bloße Aeußerlich-
teiten großes Gewicht zu legen. Nur dem fehönen Geſchlecht vindi-
cirte er das Recht, fi fein, möglichſt geſchmackvoll und mit größ-
ter Sorgfalt Eleiden zu dürfen. Männer hatten feiner Anficht nad
Wichtigeres zu thun, als ſich zehnmal vor einem hohen Pfeilerſpie⸗
gel um thre eigene Achſe zu drehen, damit fie erkennen mödten,
ob auch jedes Härchen in die rechte Lage gebradt worden fet und
ob Alles nah den DVorfchriften der Zotlettenkunft, wie fie das
neuelte Modejournal enthalte, ſitze. j
Det diefer Gefinnung, die fih fett einem halben Menſchen⸗
alter in Heidenfret verfeftigt hatte, konnte es nicht fehlen, daß ber
reihe, Hoch angeſehene Börfenherr fein Aeußeres bisweilen ganz
unverantwortlich vernacdhlägigte. Auch jept, wie er auf dem Divan
neben feiner Tochter faß, während die Brüder im Zimmer auf-
und niedergingen und Ulrike Frau Margaretha bei Anordnung des
Abendtiſches behülflih war, würde ihn Niemand für einen Kauf-
mann eriten Ranges gehalten haben. Sein dunkelbrauner, ſchlott⸗
iger Rod, der fait bis auf die Knöchel Herabreichte, und die
ſchlecht gearbetteten Lederſchuhe, deren Schleifen fi gelöft hatten,
und welche beim Ausfchreiten ihres Beſitzers nicht die wetßeften
Strümpfe fehen ließen, gaben Hetbenfrei etwa das Anſehen eines
den Sonderling fpielenden alten und an Meraltetem hängenden
Sprachlehrers.
Wer freilich den Kopf dieſes Mannes in's Auge faßte und
— 76 —
fi einigermaßen" auf Phyfiognomik veritand, der mußte alsbald zu
ber Meberzeugung kommen, bag er in Heidenfret einen nicht ge=
wöhnlich begabten Menſchen vor fih habe. Diefe hohe, gewölbte,
ſonnenklare Stirn, diefe großen, fprehenden Augen, die von Farbe
tief dunfelblau waren und doch Häufig ſchwarz erfihtenen, je nach—
bem Heidenfrei von irgend etwas mehr oder weniger angeregt war,
die feinen, fait durchfichtigen Züge des ganzen mehr kleinen als
großen Kopfes, den nur noch eine ſchmale Krone dünnen grauen
Haares ſchmückte, imponirten Jedermann. Mean konnte nur be-
dauern, daß ein ſo ſchöner Kopf auf einem ſo gebrechlich ausſe⸗
henden und überdies noch ganz ordinär gekleideten Körper ſitze.
Das Geklapper filberner Löffel in porzellanenen Taffen und
ein einlabendes Wort Margaretha’s rief jegt die Mitglieder der
Familie an den Theetiſch. Heidenfrei erhob fih von dem ſüdöſt⸗
lihen Divan und nahm feinen gewöhnlichen Pla zwifchen Mutter
und Tochter ein. Ulrike, ein ſchlankes Mädchen von auffallender
Schönheit und dunfelem Haar, das in reihen Flechten ihren Schet-
tel umwand und im Naden zu einer Art griechiſchen Knoten ver=
fhlungen war, in welchem ein filberner Pfeil blitzte, reichte dem
Hausheren eine Taſſe Thee, welche diefer mit freundlich danfendem
Lächeln annahm, ohne ein mit den Söhnen angefnüpftes Gefpräd,
bas eine rein kaufmänniſche Angelegenheit betraf, zu unterbrechen.
Erſt ale Hetdenfrei den Thee mit prüfender Lippe gefoftet hatte,
wandte er fein Auge der jugendlichen Hebe zu und fagte, nochmals
freundlih nidend:
Superbe, liebe Ulrike, ganz fuperbe!
Als bald darauf der Vater das Geſpräch mit feinen Söhnen
abbrah, fagte Eliſabeth: Kann man wohl erfahren, Väterchen,
womit das ſchwimmende Gebäude, das id mit meinen fehwachen
Armen, damals fat noh ein Kind, aus der Taufe heben mußte,
beladen iſt? Bringt es denn aus den golde, biamanten- und
ſchmuckreichen Ländern der neuen Welt, die es anlief, gar nichts
mit, an dem aud ein thörichtes Mädchenauge fi ergötzen kann?
Die andern vielen jhönen Sachen, welche nach Gentnern und Las
fien gewogen werden, überlafle ich gern den ſehr Hochachtbaren Herren
des Comptoirs, aber eine nieblihe Kleinigkeit für mein Boubotr,
“etwa einen befonders fchönen Spiegel in einem Rahmen aus Ko—
librifedern für meinen Totlettentifh, oder etwas für den Salon,
das man als Eoftbare Rarität der Welt zeigen mag, wäünſchte ich
wohl von meinem lieben Pathchen, für das ich mid ungemein
lebhaft intereffire, als Andenken an feinen erften Ausflug zu er⸗
halten.
Ja, mein liebes, eines Närrchen, verſetzte Heidenfrei fcher-
zend, indem er der zierlichen Tochter, die eine frappante Geſichts⸗
ahnlichkett mit dem Vater hatte, nur dag fie bei aller Zartheit voll
und mäbdchenhaft rofig erichten, einen Teller mit Geflügel abnahm,
barauf Tann ich dir heute eine beftimmte Antwort nicht geben.
Die Hauptladung meiner Bark befteht aus Kaffee, Reis und Roh»
zucker. Was ber fehr umfihtige Capitän fonft noch unterwegs
nebenbet eingenommen bat, weiß ich im Augenblide ſelbſt noch nicht.
Ich bin vorerft froh, das Schiff wieder glüdlic im Hafen zu wif-
fen. Es bat ſich als tüchtiger Segler bewährt, was mid) auch ver-
anlaffen wird, von bemfelben Baumeifter den Kiel zu einer Fre—
gatte noch tin diefem Jahre legen zu laſſen. Drei heftige Stürme,
die es überftehen mußte, und von denen der Iebte bei den Azoren
es in die gefahrvollſte Lage brachte, konnten ihm nichts anhaben.
Und das, meine Tochter, das tt fuperbe!
Mer tft denn der beneidenswerthe Glückliche, der mein Path-
hen über die Meerfluth führte? fragte Elifabeth,
Capitän Lars Ohlfen, fagte Heidenfrei.
Der Sylter, der vor drei Jahren — oder — nein, e8 tft
richtig, vor drei Jahren die merkwürdige Rettung mehrerer Schiff-
brüdiger in der Mündung der Elde mit fo großem Muthe und
jo ftaunenswerther Geiftesgegenwart bewertitelligte ?
Derfelbe, mein liebes Kind. Ich fage dir, das tft ein See-
mann, wie fie nicht alle Tage über ein Schiffsdeck fchreiten. Mir
git er mehr als der fiegreichite General, obwohl ich auch vor
— 78 —
einem richtigen Kriegsmanne, wenn ich juſt Zeit finde, gern mei⸗
nen Hut ziehe.
Es iſt in der That zu verwundern, fiel Eduard ein, dem
Vater aus fein geſchliffener Karaffe ein Glas alten franzöſiſchen
Haut-Sauterne einſchenkend, daß die „Marie Eliſabeth“ ſo jung⸗
fräulich unbeſcholten über alle Untiefen fort-, an allen verbor⸗
genen Riffen und Klippen vorübergeſegelt iſt. Dafür verdienen
Capitän und Mannſchaft volle Anerkennung und unſern san | ber
fondern Dank noch obendrein,
So iſt es, fagte Heidenfrei, aud follen fie auf Beides nicht
fange warten dürfen. Uebrigens bin ich begierig, Ohlſen perſönlich
zu ſprechepy. Es tft mir in ber letzten Zeit fo Mandes zu Ohren
gefommen, was mich momentan unrublg, fogar unfiher macht.
Die BVerhältniffe auf der andern Welthälfte gehen einer Umgeftal-
tung entgegen, find vielleicht zum Theil ſchon jetzt ganz andere ger
worden. Die Concurrenz häuft fih dort, und zwar nicht blos bie
Concurrenz Taufmännifcher Gapacitäten, auch bie Concurrenz ber
Nationalitäten. Sonft hatten wir es allein mit den Yankees, im
mexikaniſchen Golf höchſtens noch mit pfiffigen Creolen und gewinn-
füchtigen Neufpantern zu thun, jebt, ja, du Lieber Gott, wer zahlt
und nennt alle die Völkerableger, die gegenwärtig auf amerifant-
fher Erbe neue Keime treiben und wo möglih auc einen neuen
Volksſtamm groß ziehen möchten! ngländer, Franzoſen, Italte
ner, Holländer, Rufen, Dänen, Schweden, ferner Abkömmlinge
aller flavifhen Stämme, endlih gar Mongolen und Malaten
fümpfen drüben mit allen Kräften des fpecultrenden Geiftes um
den Preis, den der alte Gott Merkur dem glücklich Wagenden zu
allgemeiner Bewerbung ausgeftellt hat! Da gilt es aufmerfen,
fein fühlen, dreimal Hug und neunmal energifch fein, wenn man
nit von Aufmerkfameren und mit noch feineren Nervenfühlfäden
Begabten verdrängt, vielleicht gar in böfe Calamitäten verlodt fein
will. Dies erfchwert das große überſeeiſche Handelsgefihäft ſchon
jetzt außerordentlich, was freilih nur wir Kaufleute wiflen, bie wir
unfere Gapitalten darin arbeiten laffen. Wenn man darüber bet Zei⸗
— 19 —
ten grau und alt wird, fo iſt's Fein Wunder, Die Sorge, bie
Erwartung, die Spannung und fleberhafte Unruhe, in der wir un
unterbroden eben, reibt auf und madıt eben fo nervös reizbar,
als es das Dichten mahen fol, wenn's auch ganz und gar nicht
poetiſch iſt. Ehe ein Schnellfegler von jenen fernen Küften über
das Meer zu und herüberſchwimmt, vergehen felbfi im glüdlichiten
Falle doch immer ein paar Monate. In einer fo Tangen Zeit
Tann das ficherfte Geſchäft unfiher werben, bie vorfichtigite und
ſcheinbar Fügfte Unternehmung in das volle Gegentheil umfchlagen,
Ja, wenn wir fliegen oder und mit der Schnelligkeit des Gedan⸗
tens unterhalten Tönnten! Das wäre freilich fuperbe, ganz ſu⸗
perbe, aber jo weit bringt es feine Wiſſenſchaft, fie mag nod fo
exact fein, und fih anftellen, wie fie Luft hat. Engländer und
Amerikaner haben allerdings viel Neues und Gutes ausgeffügelt,
ih fürchte indeß, es geht Damit alebalb zu Ende. Dem Forfchen
und Grübeln auch des fpintifirendften Menfchengeiftes ift ein Ziel
gefept, über das hinaus er nicht weiter vordringen kann, um bie
Geheimniſſe der Schöpfung feinem Egoismus und feinen Leiden-
haften, vielleicht gar feinen Laftern dienſtbar zu maden.
Dennoch, glaub’ ih, ftehen wir gerade jegt an einem merf-
würdigen Wendepunfte, bemerkte Ferdinand. Es ift wahr, bie
Melt wird von Tage zu Fage profaifcher, den Menſchen inteveffirt
am meilten das, was fi berechnen läßt. Selbſt in Kunft und
MWiffenfhaft rumort jenes feine Gift, das wir hinter dem wohl-
Hingenden und’ fo gern gehörten Ausdruf Rationalismus in ein
heilfames Arkanum zu verwandeln nicht Anftand nehmen. Es foll
überall, in allen Fächern, in allen Wiffenfhaften hell werden.
Die Aufklärung, die ſchon vor der franzöfifhen Revolution aud bet
und Deutjchen eine Rolle fptelte und das Banner einer beitimm-
ten Partei war, fie hat jetzt wirffih, um mit Goethe zu reden,
alle Welt: beleckt. Und diefer Aufklärung, der ein tieferes Erfor-
ſchen der Naturkräfte eine nicht wegzuftreitende Berechtigung gibt, .
gelingt e8 ohne Zweifel, ſchon innerhalb weniger Jahre Wunder
— 80 —
zu bewirken, wenn wir auch mit ihrer Hilfe das Fliegen vorerſt
noch nicht erlernen werden.
Zu einem Kaufmanne, mein Sohn, philoſophirſt du mir zu
viel, ſagte in etwas mißbilligendem Tone der Vater. Lerne,
forſche, prüfe, eigne dir alles Beſte zu, ich habe nichts dawider,
nur die Schwärmerei geleite mir nicht in's Haus, wenigſtens nicht
in's Comptoir. Das iſt ein Gaſt, mit dem deine Schweſter, die
kleine Poetiſche, ſchön thun mag, ſo lange ſie nichts Beſſeres
vor hat.
O bitte, Väterchen, fiel Eliſabeth ein, laſſe mir auch Ge⸗
rechtigkeit widerfahren! Ich ſchwärme nicht, ich verſchönere mir
nur das Kben, und dazu verwende ich zuweilen ein ganz klein
wenig Herzensfpirttus, deſſen regenbogenfarbiges Aufflammen zu⸗
gleich erquickt und beſeligt,
Erquicke mich vor der Hand, wenn ich bitten darf, mit die—
fen einladend ausfehenden Pfirfihen, fagte Heldenfrei, auf die
filberne Schaale deutend, die der Bediente fo eben zum Nachtiſch
aufgefebt hatte. Dein Spiritus foll dir zu beſſerer Pflege gei-
ftiger Hausandacht und beliebiger Anbetung deiner poetifchen Ge⸗
nien unbenommen bleiben. Aber du wolltefi eine Bemerkung ein-
halten, wendete er fih feinem älteren Sohne Eduard zu. Was
war ed doch? Ich habe dich in Folge der Anterpellatton biefer
Dpponentin gegen alles trdifh Gemeine vorhin unterbrochen.
Ich wollte nur die Frage an did richten, verfekte Eduard,
ob du noch immer fo wenig Vertrauen auf die Anwendung ber
Dampfkraft zur Fortbewegung von Schiffen haft?
Mit Euern Dampfichiffen, erwiderte Heidenfrei achjelzudend,
während er die köſtlich duftenden Früchte, Erftlinge feiner eigenen
Pfrfihbäume, mit Behagen zerlegte. Als Verſuche laſſe ich fie
gelten, auch ihre Vortheile, befonters in der Flußſchifffahrt, will
ih nicht ganz in Abrebe ftellen, auf dem Meere aber und zumal
bei ftürmifchem Wetter und grimmig hohem Geegang, werben fie
es mit Segelihiffen nie und nimmer aufnehmen fünnen.
Und ih bin vom Gegentheil überzeugt, meinte Ferdinand.
— 81 —
Weil du ein halber Yankee geworden biſt während deiner
amerikaniſchen Lehrjahre.
Das bin ich nun zwar nicht, verſetzte Ferdinand, ebenſowenig
wie der Bruder, obgleih es bir Vergnügen macht, uns fcherzweije
häufig fo zu nennen, gelernt indeß haben wir etwas von den
Amerikanern, die, wie der Sohn der Smaragdinfel zu fagen
pflegt, mächtig kluge Galculatoren find. Ganz Europa kann oder
tönnte, wenn ed Luft dazu hätte, noch ſehr viel von Amerika ler⸗
nen, wie dieſes umgekehrt in Europa Lehren ber Weisheit hören
und benugen muß, will es dereinft eine der einflußreichiten Mächte
ber Welt werden. Jung und fe, wie feine aus fo heterogenen
Beſtandtheilen zufammengefehte Bevölkerung tft, Überflügelt es uns
faft immer in al feinen praftifchen Unternehmungen. Dafür bleibt
und, ben befonnener Taftenden, ben vorfihtiger Gründen und
Principten Nachfpürenden, deren Wetterbildung und Vollendung.
Amerika iſt das Treibhaus der Welt, in weldhem jegliches Ge-
wächs vafh Keime, Blüthen anfegt und eine Menge unreifer
Früchte trägt, Europa verpflanzt diefe Gewächſe auf feine nicht
mehr jungfräulihe Erde, bedarf etwas mehr Zeit, um ihr Wachs-
tum befördern zu helfen, bricht aber dafür alsbald beffere und
faftigere Früchte. Mit der neuen Erfindung hinſichtlich der An-
wendung des Dampfes auf Schiffe wird es ebenfo gehen. Bemäd-
tigen wir ung jebt derfelben und fuchen wir fie mit der und an⸗
geborenen zähen Auedauer immer mehr zu vervollkommnen, fo
wird uns Europäer bie Gefchichte dereinft als. bie größten Meifter
in der Benugung eines glüdlichen Gedankens aufführen, und wer
anders als wir und bie alte Welt werden den größten Nutzen
davon haben ?
Sugendträume, die in ben nächſten zehn Jahren verfliegen,
fagte Heidenfrei abwehrend. Ich will In dieſe neue Speculation
fein Geld fleden, obwohl ihr Beiden mir fhon oft dazu gerathen
habt. Dem Wind und Wetter werben, jo Tange es Salzwafler
gibt und unfer Herrgott fih die Herrfchaft über die Winde vor-
behält, zulegt doch alle Schiffe dienen müffen. Dem Segel beugt
D. B. ZI, Willkomm's Rheder und Matrofe. 6
— 82 —
ih auch das ſchwerfälligſte Fahrzeug oder das Segel reißt und
zerflattert im Sturm. Euer Schaufelrad aber, mögt ihr es auch
noch ſo flart machen, zerbriht ein flürmendes Meer, und wenn
dann das Ding, was im Waffer rührt und quirlt, zerjplittert tft,
was fangt ihr dann an mit einem Schiffsrumpf ohne Raaen,
Stengen, Segel und Tauwerk? Geht mir, ich lobe mir ein gut
gebautes Segelfhif. In ihm feiert der menſchliche Erfindungs⸗
geift feinen größten Triumph.
Es wird wohl fchwerlih irgend: Jemand, der nur einige
Kenntnif von Schifffahrt und Schifffahrtskunde beſitzt, einfallen,
Segelſchiffe für veraltete Erfindungen erklären zu wollen, ſprach
Eduard, Daß aber ungeachtet der bewunderungswürdigen Fort⸗
fhritte, welche die Schiffsbaufunft bereits gemacht hat, dennod
viel zu verbeffern übrig bleibt, ehe man das möglichſt Vollkom⸗
mene erreicht, das zu beftreiten fällt dir felbft nit ein. Wer
weiß, ob nicht Dampf- und Windesfraft fich zweckmäßig verbinden
laffen; wer kann jetzt ſchon beftimmen, in welcher Weife beide
Kräfte dem Menfchengeifte, dem cs gelingt, die Naturgeheimniife
zu ergründen und fie auf von Cwigfeit ber beitehende Geſetze
zurüdzuführen,, fih dienſtbar machen laſſen? Iſt dies aber möge
lich, was ich allerdings glaube, fo treten mit dem Zeitpunfte,
wo man biefe Entdeckung mahen wird, Schifffahrt und Welthan-
bel in eine neue Xera, die an neuen, großen, unberechenbaren
Umſchwüngen im Reiche der Induſtrie, des Handels und beffen
politifcher Bedeutung eben fo reich fein dürfte, ale es die Ent-
deckung Galilei's für die Umgeftaltung der Aftronomie war. Ue—⸗
berhaupt, will mich bebünfen, fann der Welthandel nur dann fich
ſtolz und mit vollem Selbitbewußtfein neben die Wiſſenſchaft ftel-
len, wenn er dad Recht hat, zu fagen, er fet ihr ebenbürtig als
Verbreiter der Cultur, als Segenbringer im wettellen Sinne bes
Wortes und als der treueſte und zuverläffigfte Sriedensbote, den
Gott ſelbſt ausfendet, nicht etwa zur Belehrung ber Heiden, fon»
dern um alle Nationen einzuladen, Theil zu nehmen an dem gro-
ben DVerbrüderungsfefte, das die wahre Gultur, dies Kind der
— 83 —
reinften Erkenntniß, der vorurtheilsfreieften Aufflärung auf ben
Trümmern des glüdlich geftürzten Aberglaubeng, der Vorurtheile
und verrotteter Gewohnheiten feiert.
Ich wollte, du hätteſt oder vielmehr du behielteſt Recht, ver—
ſetzte Heidenfrei. Es wäre ganz ſuperbe. Da aber dieſe glück—
liche oder Glück verheißende Epoche zur Zeit uns noch ſo fern
liegt, wie das Himmelreich, auf das wir ja auch warten, und an
das wir als gute Chriſten zu glauben berufen ſind, ſo wollen wir
unſer ſicheres Haben vorerſt nicht an ein ungewiſſes Soll eitel
ſchöner Hoffnungen hingeben, ſondern als erprobte vorſichtige Ge—
ſchäftsleute dem Soliden vertrauen, einſtweilen und aber den Nach—
tiſch mit Diefen fuperbe ausfehenden Korintben . aus Smyrna ver⸗
füßen.
Eduard lächelte über diefe genial matertaliftifche Wendung,
die der Vater dem Geſpräche zu geben verſtand. Er wußte, daß
es deſſen Art war, ein Geſpräch, das ihm nicht ganz behagte, oder
wobei er eine Ueberflügelung von ſeinem Gegner beſorgte, ſtets in
ſolcher Weiſe abzubrechen. Und als ſei von fo ſchwer ernſten Fra⸗
gen gar nicht die Rede geweſen, wandte ſich Heidenfrei zu den
bis jetzt ſchweigſam gebliebenen Frauen, indem er Eliſabeth und
Ulrike gleichzeitig anblidend fagte:
Was mag wohl unfer Seladon mahen? Hat er fich hier
nicht wieder ſehen laſſen?
Die jungen Mädchen erriethen fogleih, wer mit biefer Be—
zeichnung gemeint war und ein kaum bemerfbarer, ſchnell wieder
verfchwindender rofiger Hauch flog wie Morgenroth über die Wan-
gen Beider. Ferdinand wechfelte verftohlen einen vielfagenden Blid
mit Eduard. °
Vorgeftern fuhr er mit feinem braunen Bebtenten am Gar-
tenthor vorüber, antwortete Eliſabeth. Er ſchickte äußerſt neugie-
rige Blicke zu uns herein, ohne auch nur den Schatten eines Bänd-
chens von uns entdecken zu können, was und viel Vergnügen ge-
währte.
Wir haben deshalb gewettet, bemerkte Alrike.
6 *
— 84 —
Gewettet? Wie das? fragte Heidenfrei.
Ja fieh', Väterchen! erzählte in heiterſter Laune Eliſabeth,
ich war der Meinung, wenn wir uns nicht ſehen ließen, falls es
dem vornehmen Don einfallen ſollte, ſeine Spazierfahrten hier in
der Gegend zu wiederholen, ſo würde er auch ſeine Abendbeſuche
früh genug einſtellen. Dagegen behauptete Ulrike, gerade unſer
Nichtſehenlaſſen würde ihm zu häufigerem Kommen Anlaß geben.
Und da habt Ihr gewettet?
Ja, beſter Vater!
Und wie ſteht dieſe Wette, wenn man fragen darf?
Die Mädchen errötheten jetzt ſichtbar.
Ich meines Theils wette, Ihr habt es auf irgend eine Schel⸗
meret abgeſehen, ſagte Heidenfrei.
Nicht doch, erwiderte Ulrike. Behalte ich Recht — ſo lautet
unſer Abkommen — dann muß Eliſabeth Don Alonſo Gomez auf⸗
fordern, ſie zu einem Liede zu begleiten, und gewinnt meine liebe
Freundin, ſo habe ich daſſelbe zu thun.
Eine ächte Mädchenwette, ſagte Ferdinand. Jetzt möchte ich
zum Ueberfluſſe noch wetten, daß Fräulein Ulrife eben fo eifrig
wünſcht, fie felbft möge verlieren, als meine Pleine übermüthige
Schwefter.
Diefe Behauptung fand, wie man fi denken kann, fo leb⸗
haften Widerſpruch Seitens ber Beſchuldigten, daß der Bru=-
der dur die Heftigkeit Beider nur noch mehr in feiner Anficht
beftärft wurde. Ulrike warb fogar, was man bei ihrem, fonft im⸗
mer ungewöhnlich ſtillen Wefen kaum erwarten follte, etwas warm,
jo daß die würbige Gattin Heldenfrei’3 mit einigen freundlichen
Morten den Heinen Zwiſt ſchlichten mußte.
Wir kennen jept Eure Geheimniffe, fagte Margaretha mild,
aber doch in fo beftimmtem Tone, bag bie jungen Mädchen fühl-
ten, fie würden dem Ausſpruche der Matrone fih ohne MWiderrebe
fügen müſſen. Gleichviel, ob Eliſabeth oder Ulrike das kleine
Spiel gewinnt, jedenfalls werdet Ihr es mir überlaſſen, den Don
— 85 —
ſtatt Eurer aufzufordern, uns durch ſeine Kunſt im Zitherſpiel
wieder einmal zu ergötzen.
Recht ſo, Mama, ſprach Heidenfrei beiſtimmend. Mädchen
ſollen nicht wetten, und thun ſie's dennoch, fo darf es nicht gel-
ten. Aber ih fage dir, Eduard, wendete fi jegt der Vater zu
feinem älteften Sohne, du wirft erflaunen über die merkwürdige
Meifterfchaft diefes mexikaniſchen Kröfus in Spiel und Gefang.
Mer ihn hört, iſt bezaubert. Gr iſt überhaupt für fein Alter ein
ganz harmanter Mann, fuperbe im Spiel, fuperbe in al’ feinen
Manieren.
Ich babe den Namen diefes Fremden bereitd von mehrern
- Selten nennen hören, verfebte Eduard, und bin nun felbft begie=
rig, dies Wunder perfönlich begrüßen zu können. Iſt Don Goe
mez in Gefchäften bier?
Wenigftens nicht in kaufmänniſchen Gefhäften, erwiberte Hei⸗
benfrei. Zum Kaufmanne würde fih Don Gomez aud nicht eig⸗
nen. Ein guter Kaufmann muß immer ruhig, kalt, berechnend
fein, wie ein guter Diplomat; er darf das Herz weder mit ber
Zunge, noch den Kopf mit dem Herzen davon laufen laflen. Wäre
Don Gomez in Europa geboren, gewiß würde er dann ein Vir—⸗
tuo8 geworden fein.
Das ift er auch fo, betheuerten Eliſabeth und Ulrike,
Nur ein Eleiner, ein Virtuos auf der Zither, fagte Heiden-
frei, aber ganz fuperbe, obwohl ich wenig von dem mufitalifchen
Firlefanz verſtehe.
Die Hausglocke ward zweimal ſtark angezogen.
Der hat es eilig, ſagte Ferdinand, wenn er noch ſtärker
fhellte, würde er den Glodenzug abreifen. Man könnte glauben,
es ſei ein Unglüd paſſirt.
Nicht doch, fiel Heidenfret beruhigend ein. Ich habe vergef-
fen Euch zu fagen, daß mir die fünamerifanifhe Poſt, die noch
nicht ausgegeben war, als ich die Stadt verließ, nachgeſchickt wer«
den ſollte. Wahrſcheinlich hat Treufreund das Portefeuille dem
handfeften David Üibergeben, der an’s Laufen gewöhnt tt und bes
— 860 —
ſen plumpe Manieren ganz ſeinen ungehobelten Ausdrücken ent⸗
ſprechen. Was der Menſch anfaßt, das bricht, wenn's nicht von
Stahl oder Eiſen iſt oder ſich unter ſeinen hornartigen Fingern
biegt.
Der Bediente trat ein und überreichte dem Hausherrn wirk⸗
ih das erwartete Portefeuille. Auf dem Vorplatze Tieß ſich Die
rauhe Stimme Davids hören, ber vernehmbar zu irgend einem der
Dienſtboten ſagte:
Ich wollte der Herr hätte nichts Dringendes in der Stadt
zu beſtellen, denn ich bin — Gott verdamm' mich — ſo müde
wie ein Droſchkenpferd, und möchte am liebſten die Nacht in Neu—
mühlen verbringen. Da gibt's luſtige Muſik, und wenn man dazu
ein Bischen ſpringen kann, werden einem die von dem verfluchten
Pflaſtertreten ſteifen Glieder wieder gelenkig.
Gutmüthig rief Heidenfrei, das Portefeuille öffnend, dem
Hausknecht zu:
Schon gut, David, geh' nur und tanze. Dann ſchlaf' aus
und ſei morgen um neun Uhr pünktlich wieder mit wohl einge-
renkten Gliedern auf der Diele. Biel Vergnügen.
Gott verdamm’ mich, der Herr hat's gehört! brummte ber
plumpe David, riß die Thlr des Vorzimmers auf und flug fie
ſo heftig wieder zu, daß fie zitterte.
Ein entſetzlich klotziger Menfh, fagte Margaretha. Wie magit
du diefen Bär behalten!
Weil er treu und ehrlich tft und troß feiner groben, ja un-
verihämten Redensarten, die er aus fchlechter Angewohnheit im-
mer im Munde führt, doch ein grundbraver, gutmüthiger Kerl ift,
ber auf mid und mein Haus nichts kommen läßt und fih mir zu
Liebe eher todtſchlagen laſſen, als fortgehen würde. Solche Leute
find felten und darum muß man fie fefthalten und der rauhen
Schaale wegen nicht den edeln Kern, den fie umſchließt, verfennen.
Hetbenfret hatte eine bedeutende Anzahl Briefe dem Porte⸗
feuille entnommen, betrachtete oberflächlich Adreſſe und Poſtſtempel
und veichte mehrere feinen Söhnen. Aus faſt -allen größern Has
— 87 —
fenplägen der Oft- und Weſtküſte Südamerika's waren Schreiben
an den Handelsherrn eingelaufen, deffen Verbindungen fo ziemlich
ben ganzen Erdfreis umfpannten. Nur die aus Riv de Janeiro
und Buenos -Ayred angelommenen Briefe Iegte Heidenfret neben
fih auf den Tiſch.
Als das Portefeuille geleert war, gab er ed an Ulrike, die
es auf einen marmornen Pfeilertiſch ftellte. Heidenfrei ließ bie
Briefe noch einmal durch feine Hände laufen, erbrad einige, auf
beren Eintreffen er mit Sehnſucht gewartet hatte, durchflog ihren
Inhalt und fledte fie dann befriedigt zu ſich.
In Zuder machen wir diesmal ein fuperbes Geſchäft, fpradı
er, zu den Söhnen gewendet. Habt morgen wohl Act, wie
die Stimmung bafür an der Börfe tft. Sch denke, wir können
noch eine gute Parthie Faufen. In Schlefien und Oefterreih tft
dafür viel Begehr.
Eduard und Ferdinand hatten ihre Schreibtafeln gezogen und
notirten fi Giniges. Dann reichten fie zugleich mit den gemach—
ten Bemerfungen die gelefenen Briefe ihrem Vater, der nur einen
Blick auf die Notizen feiner Söhne warf, die Briefe felbit aber
unbefehen in die wette Brufttafche feines fchlotterigen ' braunen
Rockes ſchob.
Kennt einer von Euch die Hand da? ſagte Heidenfrei, einen
aus Rio eingelaufenen Brief mit größerer Aufmerkſamkeit betrach—
tend. Sie kommt mir bekannt vor und doch kann ich mich nicht
beſinnen, wem dieſe langen, ſteifen Schriftzüge angehören. Es
muß ein alter Correſpondent ſein, der lange Zeit ſtillgeſchwiegen hat.
Die Söhne muſterten ebenfalls den Brief und gaben ihn
dann dem Vater mit dem Bemerken zurück, daß ihnen die Hand—
ſchrift völlig unbekannt fet.
Hetdenfret löſte darauf das Siegel, entfaltete das Schreiben
und ſah zuvörderſt nach der Unterſchrift.
Mein Gott, rief er verwundert, überraſcht und doch froh be⸗
wegt aus, bie Todten leben wieder auf! Wißt Ihr, wer da an
mich ſchreibt, nachdem wir ihn ſchon feit fiebenzehn Jahren unter
die Todten gezählt haben?
Die Brüder, ebenfo Eliſabeth und Ulrike biidten den Vater
erwartungsvoll, aber ſchweigend an, nur Margaretha, welche bie
Farbe wechfelte, ſprach kaum hörbar:
Doch nicht mein verſchollener Stiefbruder?
Auguſtin Hohenfels, kein Anderer, fagte Heidenfrei, das Schrei-
ben mit zitternder Hanb vollends entfaltend, Doch laßt und ver—
nehmen, wie es ihm geht, welche feltfame Verfettung von Umſtän⸗
den ihn fo lange Jahre abgehalten hat, uns aud nur ein Lebend-
zeichen anfommen zu laflen.
Meuntes Kapitel.
Blicke in die Vergangenheit.
Auguftin Hohenfels, ein jüngerer Bruber Margaretha’s, aus
ber zweiten Che ihrer Mutter entjproffen, war, nachdem er die
Handlung erlernt hatte, nad Amerika gereift, nicht in der Abficht,
fi) dort für immer niederzulaſſen, fondern lediglih, um merfan-
tile Zwecke fürdern zu helfen, Verbindungen, die fein damals noch
lebender Vater angelnüpft hatte, eine weitere Ausdehnung zu ge-
ben und womöglih Schritte zur Anlegung einer Commanbdite oder
eines Zweigcomptoirs des Hauſes Hohenfeld an einem der regſam⸗
ften Pläbe Südamerifa’s zu thun. Auguflin’s Beftrebungen ge=
langen über alles Erwarten gut, fo daß ſchon nad. Ablauf kaum
eines Jahres in Rio de Janeiro, der Hauptſtadt Brafiliens, die
Firma: Hohenfeld Sohn & Comp. allgemein befannt und geachtet
daftand. Dies fchnelle Gelingen, das dem Hamburger Mutter-
hauſe nur Segen bringen konnte, machten es dem glüdlichen Be—
gründer bes amertlantihen Comptoirs wünſchenswerth, länger und
— g9 —
zwar auf unbeſtimmte Zeit in der neuen Welt zu bleiben, deren
reiche Natur und prachtvolle Vegetation den phantaſievollen jungen
Mann ohnehin mit ungeahnten Zauberbanden feſthielt. Drei volle
Jahre blühte das Geſchäft, an dem ſich auch Heidenfrei, welcher
vier Jahre vor Auguſtin's Abreiſe nach Amerika mit deſſen älte-
rer Halbſchweſter Margaretha ſich vermählt hatte, betheiligte. Im
vierten Jahre ſtellten ſich einige Verluſte ein, die indeß Niemand
auffielen und mit ächt kaufmänniſcher Seelenruhe ertragen wurden.
Den Vater Hohenfels beunruhigte es nur, daß ſein Sohn immer
ſeltener und dann regelmäßig in arger Verſtimmung ſchrieb. Er
glaubte anfangs die Veranlaſſung dazu in der erſchlaffenden Ein—
wirkung des Clima's ſuchen zu müſſen, von dem alle Einwande⸗
rer zu leiden haben. War doch Auguſtin nicht einmal von der
Peſt dieſer paradieſiſchen Länder, vom gelben Fieber verſchont ge⸗
blieben. Deshalb Seitens des Vaters an ſeinen Sohn gerichtete
Fragen beantwortete dieſer indeß verneinend, ſo wie er ſich auch
gegen die Zumuthung, nach Europa wenigſtens auf einige Zeit
wieder zurüdzufehren, mit faſt leidenſchaftlicher Heftigkeit ſträubte.
Er ſprach dabei unumwunden aus, daß er nicht mehr daran denke,
ſeinen jetzigen Aufenthalt je wieder mit Europa zu vertauſchen.
Er liebe feine neue Heimath, er ſchwärme für fie, und da fein
ganzes Herz jebt an dieſem Lande hange, wolle er auch daſelbſt
leben und ſterben.
Nach diefem in offenbar ungewöhnlich aufgeregter Stimmung
gefchriebenen Briefe mußten den Vater des Abweſenden Beforgniffe
mancherlei Art beſchleichen. Das Geſchäft machte dem Außern An-
fheine nach die: beften Fortfhritte, es blühte, fegte viel um, und
doch ventirte es nidt. Man zog aljo unter der Hand vorfictig
Erkundigungen ein, deren Grgebniffe nad vielen Monaten bie
Familie Auguftins in tiefe Bekümmerniß flürzte. , Auguflin war
vermählt, nicht aber in gefeglih erlaubter Weile. Er Hatte die
junge Frau eines unbemittelten Beamten, deren Schönheit ihn be=
flohen, entführt und, ohne daß eine Scheidung erfolgt war, fi
heimlich durch einen beftochenen Priefter mit ihr trauen laſſen.
— 90 —
Ein offenes Geſtändniß diefes Vergehens feinen Aeltern abzulegen
und um deren DBermittelung zu bitten, hinderten ihn. Stoß und
leidenfchaftliche Liebe. Auguſtin Hohenfeld griff daher zu einem
anderen Mittel. Er fuchte mit Geld gut zu madhen, was fein
Herz gefehlt und eine unüberlegt raſche That zu einem offenbaren
Verbrechen geftempelt hatte. So erklärte fi die geringe Rentabt-
lität des von Natur doch glänzenden Gejchäftes.
Die großen Summen, welche Auguflin opfern mußte, um fich
das Stillſchweigen feiner Helfershelfer zu erfaufen, den Behörden
ben Mund zu flopfen und endlich den fo ſchwer beleidigten Gatten
der Gntführten zu beruhigen, verſchlangen die Gewinne mehrerer
Jahre, ohne doch das erftrebte Ziel wirklich zu erreichen.
Auguftin gewahrte bald, daß feine mit fo großen Opfern
erfaufte Frau heimlich beobachtet und den ihr ſchlau gelegten Schlin-
- gen fhwerlic entgehen werde. Dies veranlaßte den von Furcht,
Mißtrauen und Giferfucht gequälten jungen Mann mit Dolores
unbemerft zu verreifen und fie auf einem verftedt liegenden Land⸗
hauſe, das Auguſtin auf einige Jahre miethete, etwa ſechs Legoas
von der Hauptſtadt entfernt und in parabdiefifher Waldeinſamkeit
gelegen, den Augen ihrer und feiner Feinde für immer zu entzie-
hen. Auf diefem Landhaufe, welches der Tiebende, feine junge Gattin
anbetende Augujtin mit allem Comfort ausftattete, deſſen er hab-
haft werben Tonnte, gebar ihm einige Monate fpäter Dolores einen
Sohn, das Ehbenbild feiner Mutter. Der glüdliche Vater jubelte
vor Freude und wähnte im Augenblid der Aufregung, nunmehr
würden für ihn die fihwerften Tage vorüber, ‚die hartnädigften und
aufregenditen Kämpfe überitanden fein. Da erreichte ihn ein Brief
feines Vaters, der in etwas barfcher Weife Rechenfchaftsablegung ver-
langte, einen genauen fpecificirten Auszug aus den Handelsbüchern for-
berte und nah Aufzählung und Vorhaltung der ihm gemachten
Eröffnungen nur die einfache Frage an den Sohn richtete: ob er
das ihm Schuld Gegebene einfah als Lüge bezeichnen und bie
Unwahrbeit der Berichte Anderer nachweiſen könne? Sei dies
nicht der Sal, fo fehe ſich die alte, unbefcholtene Firma der Hohen-
— 91 —
fels ihrer kaufmänniſchen Ehre wegen in die betrübende Nothwen⸗
digkeit verfeßt, fih unter der Belaffung der eingezahlten Capitalien
von der ſüdamerikaniſchen Commandite zu trennen. Nur aus Hu—⸗
manttätsrüdfihten und um auch nicht den Schein ber Härte auf
fi) zu Iaden oder gar bie Welt ahnen zu laſſen, daß im Schooße
ber Familie Hohenfels ein unbeilbarer Bruch erfolgt fei, werde
man die commerciellen Beziehungen mit der alsdann für eigene
Rechnung weiter arbeitenden Firma in Südamerika fortfepen.
In dem ganzen, äußerſt kühl gehaltenen Schreiben des Vaters
an feinen Sohn ftand Fein Wort des Vorwurf. Es war genau
fo Faltverftändig, fo einfah Mar abgefaßt, wie der fterilfie Ge⸗
ſchäftsbrief. Gerade dieſe fürdterliche Kälte aber, dieſer farblofe
Geſchäftsſtyl traf den leidenſchaftlichen, nervös reizbaren Auguftin
wie ein Donnerfhlag. Sein erfter Blick fagte dem Bedauerns⸗
werthen, daß jedes Band zwiſchen ihm und feinen flolzen Verwand⸗
ten in der Heimath für Immer durchſchnitten ſei, und daß er fid
felbft und zwar fih ganz allein die Schuld davon beizumefien habe.
Das gerade machte ihn vollends unglücklich— und brachte ihn faft
dem Wahnfinne nahe. -
Es wäre jedenfalls noch eine Verſtändigung zwifhen Mater
und Sohn denkbar gewefen, hätte Lepteren die Leidenfchaft nicht
gänzlich verblendet. Anftatt reuig dem Vater feine Schuld zu be-
fennen und die etwaigen Entfhuldigungsgründe mit anzuführen,
die einen jungen, leicht erregbaren Mann wohl in arge Verlegen—
heiten bringen und unter Umftänden fogar zu einer verbrederifchen
Handlung verleiten Können, ſetzte fi Auguftin in der heftigften
Erbitterung bin, um buchſtäblich dem Verlangen des Vaters Ge—
nüge zu leiten. Seine Schuld geftand er offen ein, beiläufig
meldete ex feinen Xeltern au die Geburt eines Entelfohnes, ein
Wort der Bitte aber, der Rechtfertigung ging eben fo mwentg über
feine Lippen als e8 der Feder entfloß. Die gewünſchte Abrechnung
warb ebenfalls durch feinen Buchhalter beſorgt. Zum Erſtaunen
Auguftin’s, der fih von Stund’ an als einen Verftoßenen betrach⸗
tete, ftellte dieſe fi mehr als er zu hoffen wagen burfte, zu feinem
Gunſten. Das Mutterhaus in Hamburg blieb ihm noch eine ganz
erkleckliche Summe fehuldig, mit der fih, fobald fie baar einging,
jhon etwas anfangen ließ.
Als Auguftin Hohenfels ſolchergeſtalt feiner kaufmänniſchen
Ehre ebenfalls vollkommen genügt hatte, erpedirte er bie erforder-
fihen Papiere und Documente und wartete nun das Weitere mit
ber Ruhe eines Stoikers ab.
Hohenfels, der Vater, wollte lange Zeit nicht an die Wahrheit der
ihm zugefommenen Mittheilungen über feinen Sohn und deſſen Auffüh-
rung in Rio glauben. Er zögerte Deshalb’ mehrere Wochen, ehe er, von den
Seinigen gedrängt, zu dem erwähnten Schreiben ſich entſchloß. Nicht Herz⸗
loſigkeit, fondern Berechnung ließ ihn den fühlen trocknen Ton bes Ge⸗
ſchäftsmannes wählen. Er hoffte mit Zuverficht, Auguftin werbe, falls
er der Schuldige fei, daran erkennen, daß er bie ganze Angelegenheit
vom geſchäftlichen Geſichtspunkte aus behandelt wiffen wolle, und daß,
gerade weil dieſe Anficht in der Heimath bie vorherrſchende fel, eine
Verftändtgung leichter fih anbahnen Laffen müfle, als wenn nur
die Herzen oder altpatrizifher Dünkel das große Wort führten.
In feiner Leidenfchaftlichfeit verfannte Auguftin leider diefe
wohlwollende Abficht der Seinigen, und anftatt zu verföhnen, ftieß
er feine ganze Verwandtſchaft durd die Haft, mit welcher er „das
Geſchäft“, wie er ſich ſelbſt ausdrüdte, ohne Umſchweife abmachte,
gänzlich von ſich.
Die ſchon bejahrte Mutter überlebte dieſen harten Schlag,
der ihr den einzigen Sohn raubte, nur wenige Monate, der Vater
ward ſchwermüthig, konnte ſich aber doch nicht entſchließen, noch⸗
mals ein mildes Wort an den Sohn zu richten. Indeß Hohenfels,
der Aeltere, ſtand nicht verlaſſen da. Seine Stieftochter Marga⸗
retha und deren rüſtiger Gatte Heidenfrei tröſteten den unglücklichen,
bejahrten Mann und redeten ihm ſo lange zu, bis er dem Schwie⸗
gerſohne Erlaubniß gab, als Vermittler aufzutreten.
Heidenfrei war nicht müßig. Er entwarf einen langen Brief,
der mit Vermeidung jeglichen Vorwurfes dem fernen Schwager
die traurige Gemüthsverſtimmung des Vaters, den kummervollen
— 93 —
Tod der Mutter ſchilderte, und fchlteßlich dringend um Um- und
Heimkehr bat. Don der Gattin Auguftin’s war in dieſem Schrei»
ben allerdings nur in fo fern Die Rebe, als es anbeutete, es werde
auch diefer übereilte Schritt volle Verzeihung finden, wenn Augu-
fin nur erft befenne, baß er gefehlt Habe und dem fchwer belet- .
bigten Vater das erſte Wort gönne. Gleichzeitig mit Heibenfret
fhrteb auh Margaretha an ihren Halbbruder, nicht, um Neues zu
fagen, fondern den Bitten ihres Gatten noch mehr Nachdruck zu
geben.
Beide Briefe kamen zu fpät an ihren Beflimmungsort, um
eine ſchon längſt vorbereitete Kataftrophe abwenden zu können.
Der frühere Gatte der Dolores, Gonfalez, ein Portugieſe
jähzornigen Charakters, vermochte den ihm angethanen Schimpf
nicht zu vergeffen und ſchmiedete deshalb In aller Heimlichkeit Rache⸗
pläne gegen Auguftin Hohenfels. An käuflichen Subjecten der
verfchlagenften Gattung konnte es bem &ingeborenen gegenüber
dem Gingewanderten, bem verhaßten, weil unternehmenden Deut⸗
fhen, nicht fehlen. Es gelang ihm daher, den Verſteck ber jun-
gen Frau früher auszufpüren, als Auguftin, der wohl zuweilen
dies fürdtete, die Möglichkeit bes Gelingens eines ſolchen Ver⸗
fuches ahnte. Einmal fo weit gelangt, war alles Fernere leicht
zu bemwerfftelligen. Der Betrogene, nad Rache lechzende Brafilia-
ner wartete die ihm günftigfte Stunde ab, wo er Auguftin abwe-
fend wußte. Dann umftellte er das einfame Landhaus mit zuvere
läffigen Leuten, drang ein, bemächtigte fi der entfeßten Dolores
und ihres Säuglinge, tödtete die Wärterin und führte Beide in's
Innere des unermeflichen Landes.
Auguftin Hohenfeld erfuhr erft am nächſten Morgen biefes.
furchtbare Unglück, und nur der Gedanke, es ſei ein Fatum, ein
ihm beftimmtes Verhängniß, verbunden mit ber Hoffnung, den Räu-
ber feines Weibes und Kindes aufzufinden, gab ihm Kraft. Mit
wentgen flüchtigen Worten meldete er feinem Schwager Heidenfrei
das Vorgefallene, indem er hinzufügte, daß er ausführlihe Nach⸗
richten jenden werde, fobald er Über das Schiefal der” Seinigen
— 94 —
Gewißheit erhalten habe. Die Fortführung der Geſchäfte übertrug
Auguftin feinem erprobten Quchhalter, einem feit langen Jahren in
Rio lebenden und "mit den bortigen Handelsverhältnifien vollkom⸗
men vertrauten Deutfhen. Durch biefen follte aud die fernere
Verbindung mit der Vaterſtadt aufrecht erhalten werben. Dies.
Alles warb von dem in Angſt und Entſetzen lebenden jungen
Manne nur angedeutet, denn er hatte Feine Zeit zu verlieren,
wollte er den frechen Räubern feines Weibes und Kindes auf bie
Spur kommen,
Diefe wenigen und offenbar in ber furctbarften Aufregung
gefchriebenen Zeilen Auguftin Hohenfels' waren das letzte fihtbare
Zeichen feiner Exiſtenz. Nie erhielten die In Europa lebenden
Verwandten des beflagenswerthen, talentsollen Mannes je wieder
Kunde von ihm oder auch nur eine Hinweiſung auf feine fpätern
Schickſale. Sein Stellvertreter und damals Chef der Handlung
in Rio blieb ebenfalls ohne Nachricht. Er führte die Handlung
unter großen Sorgen und Mühen nod einige Jahre fort, fah fi
aber dann gendthigt, fie ein paar rüftigen, jungen Männern, zwei
Brüdern abzutreten, da feine angegriffene- Gefundheit ein zurückge—
zogened Leben von allen Geſchäften verlangte,
Sp erlofh die Firma Hohenfeld Sohn für immer, und wie
fein Name in der brafiltanifhen Hauptſtadt unter der bortigen
Kaufmannswelt verfhwand, fo ging er auch bald tim Gedächtniß
der Lebenden dieſſeits und jenſeits des atlantifhen Oceans werlo-
ven. Wenn fpäter auch dann und wann Einer oder ber Andere
des fo gänzlich Verſchollenen gelegentlih einmal gedachte, fo
drängte man die Erinnernng an ihn gewöhnlich gefliffentlich wieder
zurüd, dba man ja doch nur alte, ſchon vernarbte Wunden damit
noch einmal aufriß, ohne Gefchehenes ungefhehen machen und
einen fiherlih längſt Verftorbenen und Begrabenen dem geben
wieder geben zu können.
Die Familie Heidenfrei wurde von biefem büftern Verhäng⸗
niß ſchwer betroffen, und wie fehr aud ein feltenes Glück die im-
mer viefenartiger fich geftaltenden Unternehmungen des Haufes bes
—9 —
günftigte, oft drängte fi das Bild des Verlorenen wie ein dunk⸗
ler, drobender Schatten in bie fonnenhellften Tage. Am mriften
litt Margaretha darunter, die in ber prunkvollen Herrlichkeit ihrer
Häuslichteit mehr als Andere, von den Geſchäften des Tages in
Anſpruch Genommene, von dem Schattenbilde des unglücklichen
Bruders umſchwebt ward.
Die Kinder Heidenfret’s erinnerten fih nur dunkel jener -trüs
ben Tage, wo fih das ganze Haus in Schwarz Hüllte, um ben
DVerfhollenen als einen Todten zu betrauern. Der wahre Vor—
gang und die traurige Veranlaffung zu Auguftin’s unheimlichem
Schickſal blieb Allen verborgen. Selten hörten die Heranwachſen⸗
den in fpätern Jahren des Onkels Auguftin gebenten, ber wie
eine Mythe in bie Lebensfrifche Gegenwart der Familie hereinragte.
Erft als fpäter die beiden Brüder die andere Hemifphäre be=
fuhten, trug der Vater ihnen auf, Erkundigungen über den Oheim
einzuziehen, indem er ihnen von den befannt gewordenen Lebens⸗
ſchickſalen das Nöthige mittheilte. Allein auch die Brüder hatten
nicht mehr Glück, als frühere vertraute Sendlinge. Auguftin Ho—
benfels blieb verfhwunden und man mußte annehmen, daß er in
ben unzugänglihen Wilbniffen Inner-Amerika's bei Verfolgung
der Räuber feines Weibes und Kindes umgefommen fe. Es war
dies jo wahricheinlih und kam fo häufig vor, daß Niemand daran
zweifelte. Dort in den unermeglihen Savannen Brafiliens, in
ben undurddringliden Urmwäldern der Tropen, In den unzugäng-
lihen Schluchten und Thälern der Gordilleren jhwärmten damals
noch zahlreiche, wilde Indianerflämme, die jeden weißen Mann als
einen Feind betrachteten und feine Tödtung für ein ihrem Volke
verdienftliches Werk hielten. Wie Teicht alſo konnte unter ſolchen
Berhältniffen ein nur von Wenigen begleiteter fühner Mann, den
Leidenſchaft und Rachedurſt blindlings vorwärts trieben, in einen
Hinterhalt fallen und nad heldenmüthigem Kampfe der Uebermadt
erliegen! Daß gerade Auguftin Hohenfels ein ſolches Schiefal er=
reicht haben möge, war um fo mehr anzunehmen, als fein Gegner
viele Jahre fpäter wirklich in ähnlicher Welfe erlag. India⸗—
— 96 —
niſche Krieger erſchlugen ihn und feine Gefährten auf einem Jagd⸗
zuge. Die verſtümmelten Leichen der Unglücklichen entdeckte ein
Trupp anderer Jäger zu ſpät, um die Thäter verfolgen und zur
Rechenſchaft ziehen zu können.
Von dieſem Manne nun traf jetzt nach ſiebenzehnjährigem
Schweigen ein Brief ein. Dies Schreiben wirkte wie die Erſchei⸗
nung eines Beiftes und ergriff Margaretha fo heftig, daß fie einer
Ohnmacht nahe war,
Als man fih etwas beruhigt hatte, trug Heidenfrei ben Brief
des Todtgeglaubten vor, Das Schreiben war, wie das Datum
auswieß, welt über ein Jahr alt, doch fagte eine Nachſchrift, daß
es erft vor fünf Monaten in Rio de Janeiro gefhloffen und da⸗
felbft zur PVoft gegeben worben ſei. Auguftin Hohenfels ſchrieb:
Beliebter Schwager!
In der Vorausſetzung, daß diefe Zeilen früher ober fpäter
in deine Hände kommen werben, ergreife ih noch einmal die Fe—
ber, obwohl es mir jet ſchwer fallt, fie zu führen. Don meinen
perſönlichen Schiefalen will ich dich nicht lange unterhalten. Ich
würde beim Nieberfchreiben berfelben nur ſchaudernd noch einmal
In ber Rüderinnerung durchleben müffen, was ich in ber Wirklich⸗
fett bis zum Uebermaß ausgefoftet habe. Es liegt auch wenig
daran. Darum ein Schleier über bie Vergangenheit und mit allen
Rüdwärtsgedanten hinunter in die Gruft, wo die Verweſung hauf't
und fchafft!
Ueber die Meranlaffung meines Wegganges aus Rio de
Janeiro müßt Ihr unterrichtet worden fein. Leider follte ih fein
Glück haben! Die Spuren meines Tobfeindes und feiner Beglel-
ter entdedte ich zwar nad einigen Tagen, ihm felbft aber habe ich
nie wieder in das verhaßte Antlik bliden können. Nur ein Troft,
ein einziger, kurzer Troft war mir befchteden. Dolores, mein ge=
liebtes Wetb, bie Mutter meines Kindes, ftarb In meinen Armen.
Es war eine wilde Jagd, die mich dieſes Glückes theilhaftig
madte. Drei Monde lang war ih durch Steppe, Wald und
Wildniß geirrt, Hatte reißende Bergflüffe durchwatet, mit wilden
— 97 —
Beſtien gekämpft, gehungert und gedurſtet, und immer beſaß ich
nichts, als die unzweideutige Spur des dreimal Vermaledeiten.
Endlich, endlich entdeckte ich feinen Lagerplatz! Am Fuße der Cor⸗
dillera grande, verſteckt unter rieſigen Farren, hatte der Schändliche
Raſt halten müſſen, weil die zarte Dolores die Strapazen der
Reife nicht mehr ertrug. Aber der unverſöhnliche Räuber war vor⸗
fihtig gewefen. Seine ausgeftellten Poften gewahrten uns zeitig
genug, um ihm das Entlommen möglih zu machen. Auf einem
Felsgrat, bis wohin ich ihm athemlos nachſetzte, fah ich ihn zum
legten Male, mein Kind auf feinem Arme. Er ſchwang trium⸗
phirend die Büchſe gegen mich und antwortete auf bie Kugel, bie
ih ihm in der Wuth nachfchtete, mit einem wilden Jauchzen, wie |
es nur bie Indianer auszuftoßen pflegen.
Zurüdgetehrt in das Zelt der Kranken, fand th Dolores be-
mußtlos. Meine Iiebenden Schmeichelmorte bradıten fie auf kurze
Zeit zu fi. Sie erkannte mid, fie fhlang ihre abgemagerten,
tobesfeuchten Arme um meinen Naden, drüdte mich unter Küffen
an fih und ftarb dann, wimmernd nad ihrem Kinde verlangend,
an meinem Herzen. Unter Palmen habe ich fie begraben. Dann
trocknete ich meine Thränen, umpanzerte mich mit Erz, nahm bie
Büchfe wieder auf und zog weiter in die Wildniß ber Gebirge.
Doch wozu noch mehr von meinem Elend reden. Es genügt
die einfache Bemerkung, daß ich ganz Brafilten bis zum Aequator
durchſtreifte. Darüber vergingen Jahre, nicht blos Monate. Ich
gefellte mich wandernden ober mit andern Stämmen Krieg führen-
den SIndianerhorden bet und ward unter thnen felbft ein Halbwil—
der. Für einen Europäer würde mid ſchon damals ebenfomwenig
Jemand gehalten haben, wie ich dies jebt verlangen möchte.
So zog ich fort, immer nordwärts, über den Orinoco hinaus
nah Denezuela, wendete mich fpäter dem Magdalenenftrome zu
und erreichte das karaibiſche Meer. Hier beſtieg ich ein Schiff der
vereinigten Staaten, denn id} vermuthete, Gonſalez werde fih nad)
den fühlichen Staaten der Union gewendet haben, da er in ber
Zouifiana wohlhabende Verwandte. befaß.
D. 8, XI, Willtomm’s Rheder und Matrofe, 7
— 98 —
Wollte ih meine Nahforfhungen mit einiger Ausfiht auf
Erfolg fortfegen, fo war es nöthig, mid hinter die Maske eines
fremden Namens zu verfteden. Ich legte mir demnad einen ganz
gewöhnlihen, unendlich Häufig vorkommenden, Acht amerikaniſchen,
Namen bei, trieb Hanbelsgefhäfte in New-Orleans, wie fie mir
eben vorkamen, hielt mid aber nur fo lange daſelbſt wie überhaupt
in der ganzen Louiſiana auf, als nöthig war, um mir darüber
Gewißheit zu verfchaffen, daß Gonfalez nicht in der Umgegend lebe.
Auf die freilich ungewiffe Nachricht bin, derſelbe fet im We⸗
ften des Landes, in Teras, gefehen wurden, folle dafelbit fogar eine
Befigung gekauft haben, machte ih mich dahin auf den Weg und
entdeckte wirklich Spuren feines dortigen Aufenthaltes. Gin Knabe
von vier Jahren, aus deflen Befchreibung mir die Züge feiner un«
vergeßlihen Mutter entgegenlachten, beitärkte mich in meiner An
nahme und da der Befiker deſſelben nah der Weſtküſte aufgebro-
chen fein follte, richtete auch ich meine Schritte dorthin. , Hier war
es, wo th an dich und den Vater fhrieb, um Euch willen zu
laffen, daß ich lebe und Hoffnung habe, mein Kind wieder zu fin-
den. Nur war mein Briefbote ein wentg zuberläffiger Menſch,
ein fogenannter Bufchrandger, der ein Menjchenleben eben fo wenig
achıtete, wie ein Stüd Papter.
Wieder Toten mich untrüglihe Spuren immer weiter bis an
die Felfengeftade des Rio Colorado, deilen Lauf ich, hundertmal in
Todesgefahren, bis zu feiner Mündung in den Golf von Galifor-
nien verfolgte. Hier endeten meine Nahforfhungen und nie wie-
ber, obwohl ich bis in den eifigen Norden und abermals ſüdwärts
in bie La Plata-Staaten vordrang, und Leiden erbuldete, wie fel-
ten ein Sterblicher fie zu überſtehen Kraft und Willen beſaß, fah
ih mein Kind und feinen Entführer,
Kummer, geiftige Aufregung, Seelenfhmerzen und nie ru=
hende Strapazen haben mih alt und fich gemacht. Die Barm⸗
herzigfeit meiner Landsleute, die mich nicht wieder erkannten, aus
meinen Erzählungen aber doch die Meberzeugung gewannen, daß
ih jener unglüdlihe Auguftin Hohenfels fein müfle, den man
— 99 —
längſt für todt gehalten, hat mir im deutſchen Hospital vorläufig
ein Unterfommen verſchafft. Und da lebe ich denn, Lebe wie eine
Raupe, die der Stunde harrt, wo fie ſich ihr eigenes Todtenkleid
webt, um in deſſen Umhüllung ſtill zu flerben.
Ich Hoffe nichts mehr von der Welt. Diefen Brief fchrieb
ih nur, um Euch zu fagen, daß, wenn th gefehlt Habe, mein
Vergehen durch die furdtbaren Leiden, bie Ich ertrug, zehnmal
gefühnt iſt. Endlich aber drängt es mih, Euch mitzutheilen, daß
mein Sohn entweber dereinft Europa und wahrſcheinlich auch
Deutfhland befuchen wird, oder vielleicht ſchon jetzt irgendwo in
ber alten Welt lebt. Ein alter Sclave bes Gonſalez, der diefen
bet feiner räubertfchen Unternehmung begleitete, bat auf feinem
Todbette gebeichtet, daß fein Herr den geraubten Knaben in Teras
einem Pflanzer abgelafien, diefer den hübſchen Jungen aber wie⸗
der einem Kaufmann auf Cuba übergeben habe, der mit allen
europätfchen Hafenplätzen in enger Verbindung fteht und die Eigen-
heit befitt, die melften für feine eigenen Schiffe beflimmten Mann—
fhaften unter feinen Augen zum Schiffspienft erziehen zu laſſen.
Diefer Mann heißt, wenn ber Sterbende nicht gelogen hat, mas
foum anzunehmen iſt, Don Pueblo y Miguel Saldanha.
Lebt wohl! Gott ſei mit dir, meiner Schweſter und deinen
Kindern! Dielleicht, obwohl ih es nicht glaube, wäre ung auf
diefer qualvollen Erde doch noch die Freude eines kurzen Wieder-
ſehens vergönnt. An diefe Hoffnung klammert fih mit glaubens-
ftarfem Herzen Euer körperlich gebrochener, geiftig aber noch immer
ungebeugt daſtehender Bruder und Schwager
Auguſtin Hohenfels.
Von der Vorleſung dieſes Briefes waren Alle tief ergriffen.
Eliſabeth und Ulrike vermochten die ſchon längſt gewaltſam her-
vorbrechenden Thränen nicht mehr zurückzuhalten. Laut ſchluchzend
umarmten Beide die gefaßtere, innerlich aber vielleicht von ſämmt⸗
lichen Zuhörern am tiefſten erſchütterte Margaretha.
Heidenfrei ſelbſt zeigte, wie immer, äußerlich keine Spuren
7*
— 100 —
von ftarfer Gemüthsbewegung. Auch die Söhne behielten ihre
ruhige Haltung bei, wie es Gejhäftsleuten zukommt.
Alfo er lebt noch, ſprach nad kurzer Paufe der Vater, das
umfangreihe Schreiben bedächtig zufammenfaltend und in ein be=
fonderes Fach feines Taſchenbuches Tegend. Und er meint, aud
fein Sohn, das Kind feiner Liebe, feiner Schmerzen fet noch am
Leben? Hm, hm! Es wäre fuperbe, aber recht einleuchtend tft
es mir nidt.
Sollte Don Gomez nihts von dem SKaufmanne auf Cuba
gehört haben? fagte Ferdinand. Er war ja einige Zeit Grund⸗
befiter in Texas, er muß die bebeutenderen Sandelöherren von
den Infeln, die mit jenen Producenten in Iebhafter Gorrefpon-
benz ftehen, kennen.
Iſt fehr unwahrfeintich, meinte der Vater. Ich traue über-
haupt diefer ganzen Angabe und Ausjage nicht, degn bei unferm
ftarfen Verkehr mit Cuba müßte doch meines Erachtens der Name
Pueblo y Miguel Saldanha irgendwie einmal auf der Börfe oder
in einem Briefe, ald Gtro auf einem Wechſel vorgefommen jein.
Seltfam iſt's, daß Diefe Firma wenigſtens nit bei und
befannt zu fein ſcheint, fprah Eduard. Indeß dies beweilt
noch immer nichts gegen die Eriftenz eines Mannes gleichen Na—
mens. Wir werden vorfichtig Erfundigungen einziehen, wir wer-
den vor Allem dem unglücklichen Oheim freundlih antworten und
ihm die erforderlichen Mittel zumeifen, um feine erfchütterte Ge-
jundheit womöglich wiederherzuftellen.. Inzwiſchen wollen wir auch
Ordre geben, daß uns fein Spanier, der von den Küften Ame-
rika's, gleichviel wie er fi nennt, oder was er treibt, bier an-
fommt, unferer Nahforfhung entgeht.
Dem ſtimme ich bei, fagte Ferdinand, und eben deshalb mag
es nicht fihaden, wenn wir unferm lebensluſtigen Freunde behut-
jam auf den Zahn fühlen.
Heibenfret war bderfelben Anfiht, auch bie Mutter billigte
fie, nur rieth fie zu größter Vorſicht, um den vornehmen Don
nicht etwa zu beleidigen.
— 101 —
Es war darüber ſpät geworden, und obwohl Alle ſich noch
in ſeltſamer Aufregung befanden, trennte man ſich doch, da Hei—
denfrei ein längeres Beiſammenſein, das zu einer weiteren Be—
ſprechung des aufregenden Gegenſtandes immer von Neuem führen
müſſe, für ſtörend und mithin unzweckmäßig erklärte.
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* 2 . “
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Behntes Kapitel un 2 NIE TEST
IV, usu eu ”,2, u 0_ 3 un -
Ein alter treuer Diener.
Es war zwifhen halb und drei Viertel neun Uhr Morgens.
Die Comptoirzimmer in Heidenfrei's Haufe begannen fih mit den
verſchiedenen Perfönlichkeiten zu bevölkern, welche ein feſtes Enga—
gement bei dem viel vermögenden Handelsherrn gefunden hatten.
Dieſe Zimmer bildeten eine ganze Reihe in einander mündender
Gemächer, deren Fenſter, da fie im Hinterhauſe belegen waren,
fammt und fonders eine fehr unerquickliche Ausficht auf den ſchma—
len, hinter dem Haufe vorüberfließenden Fleeth und auf eine
Reihe himmelhoher Speicher hatten. Nur die beiden VBorderzimmer,
in deren einem Herr Heidenfrei felbit arbeitete, und von denen
das zweite feinen Söhnen und dem erften Buchhalter eingeräumt
war, hatten ein etwas freundlicheres Ausfehen. Da man aber
an derartige Räume fett undenklihen Zeiten gewöhnt war, und
die alte, gedrängte: Bauart der Häufer vor Allem Raumerfparniß
erzielte, um Platz für Aufftapelung der Waaren, für deren Ver—
und Umpackung zu gewinnen, fo fiel diefe abitoßende Unmwohn-
fichfett Niemand auf, noch gab fie jemals Anlaß zu unfreund-
lichen Aeußerungen.
Zu den ſchon ſeit Jahren im Comptoir bes Rheders ange
ftellten theils älteren, theils jüngeren Xeuten war fett einigen
Wochen als englifcher und fpanifcher Gorrefpondent ein uns ſchon
bekannter junger Lebemann gelommen, nämlich ber immer heitere,
— 102 —
zu Scherz und Luft aufgelegte Anton, deſſen Bekanntſchaft wir im
Alſterpavillon machten.
Anton ſaß auf dem hohen Polſterſchemel mit kurzer ſteifer
Lehne an feinem Pult, ſchnitt ſich mit ſchwungvoll geführtem enge
liſchen Meſſer ein ganzes Dutzend der ſchönſten hamburger Kielen,
die damals eine in ganz Deutſchland geſuchte Waare ausmachten
ond Heshald „einen: nicht unbebeutenden Handelsartifel bildeten und
ſh jedesntaf, wenn ee eine Feder mit wohlgefälligem Lächeln vor
;. ſich ia 3 den- fouber ‚gehaltenen grünen Tifhüberzug feines Arbeits-
pultes Tegte, nad dem Fleeth hinaus; denn "in regelmäßigen
Pauſen verdunfelten dire, an dem Fenfter vorüberſchwebende Ge-
genftände den nicht befonders günftigen Stand des jungen Man
nes. Arbeitsleute waren befhäftigt, große Ballen und Säcke
einer fo eben gelöſchten Schiffsladung nah dem über ben be—
wohnten Räumen des weitläufigen Haufes gelegenen Speicher zu
ſchaffen.
Endlich lag das Dutzend meiſterhaft geſchnittener dicker gelber
Spulen vor dem zufrieden lächelnden Anton. Er ſchloß nun das
Pult auf, nahm einige Bogen des glatteſten Briefpapiers von dem
darin vorhandenen Vorrath heraus, zupfte ſich das fein gekräuſ'te
Jabot und die nicht minder ſaubern Manſchetten zurecht und zog,
da er zur Zeit noch keinen Rock beſaß, den er als Comptoirrock
zu tragen für ſchicklich hielt, ein Paar aſchgraue Schreibärmel über
feinen allerdings etwas zu eleganten Rod von feinſtem, niederlän—
diſchen Tuche. Da hörte er Hinter ſich ſchlürfen und fodann ha—
flige kurze Schritte. Er glaubte, Herr Heidenfrei fet es felbft,
der zu fo ungewöhnlich früher Stunde das Comptoir beſuche, denn
er hatte die Gewohnheit beim Gehen entweder vernehmlih zu
fhlürfen oder ganz Heine, kurze Schritte zu machen. Seinen Irr⸗
thum fofort erfennend, kehrte er fi etwas brüsk wieder um, ftüßte
den Kopf mit dem wohl geordneten Haare auf den rechten Arm,
trommelte mit der Spike bes linken Fußes auf den Tritt unterm
Schreibpulte und kaute feheinbar zerftreut ober grübelnd an ber
Bahne der ergriffenen Feder.
— 103 —
Guten Morgen, wohl geruht zu haben, ſagte eine dünne,
etwas heiſere Stimme. Anton ſchwieg. Hat man den neuen Herrn
Correſpondenten etwa beleidigt? fuhr der vorige Sprecher fort.
Guten Morgen, hab' ich geſagt. Guten Morgen! Verſtanden?
Anton kehrte phlegmatiſch dem Sprechenden ein freundlich
lächelndes Geſicht zu, in dem freilich alle kleine Teufelchen ber
übermüthigften Laune ſchäkerten und kicherten.
Allerſchönſten guten Morgen, Herr Treufreund, erwiderte der
junge Correſpondent. Wie haben Sie geſchlafen?
Geſchlafen? Wollen ſie mich foppen, Herr? Wiſſen Sie nicht,
daß ich in voriger Nacht die Wache hatte?
Nein, wahrhaftig nicht, verſetzte gutmüthig Anton. Ich bin
noch etwas grün hier, und kenne mithin die Hausordnung nicht
ſo genau, wie es für mich ſelbſt wohl wünſchenswerth wäre. Aber
ich hörte doch letzthin, Sie könnten das Nachtwachen nicht gut ver⸗
tragen.
Herr Treufreund war der älteſte, eigentlich ſchon längſt in
Ruheſtand verſetzte Comptoiriſt im Heidenfrei'ſchen Geſchäfte, denn
er hörte häufig außerordentlich ſchwer, ſah nicht gut und lag mit
ſeinem Gedächtniſſe immer im Streit, obwohl er behauptete Nie—
mand beſitze ein beſſeres und zuverläſſigeres als er. Treufreund
war gewiſſermaßen ein Stück Inventarium, das eben ſo gut zur
Handlung Peter Thomas Heidenfrei gehörte, wie das uralte, wurm—
ftihige Pult und der knarrende, längſt ſchon durchgeſeſſene Schreib-
ſtuhl, den er fih nicht nehmen ließ. Aus dem Geſchäft entlaffen
wollte der Prinzipal diefen im Dienft der Firma alt und ſchwäch—
lih gewordenen Junggefellen nicht, da er nur wenig eigenes Ver—
mögen befaß und feine Angehörigen von ihm mehr lebten. Gine
Penfion lehnte der ehrgeizige und höchſt empfindlihe Mann ab,
und fo behielt denn Herr Heidenfrei den gutmüthigen, in jeder
Hinfiht braven Alten in feinem Gefhäft, doch unter der Bedin⸗
gung, daß er nur ſolche Arbeiten übernehme, die ihm der Prinzte
pal entweder ſelbſt zumelfe ober für welde Herr Treufreund ſich
befonders intereffire.
— 104 —
Mit dieſen Bedingungen erklärte ſich der frühere Buchhalter
— denn dieſe Stelle hatte er lange bekleidet — einverſtanden.
Da er gern ſich unterhielt und Rath ertheilte, ſo wußte das ganze
Comptoirperſonal Treufreund in einer für ihn, wie für alle Uebrigen
gleich angenehmen Weiſe zu beſchäftigen. Jeder fragte ihn, ſelbſt
in den allergleichgiltigſen Dingen, um ſeine Meinung, und dem
gutmüthigen, ſchwachhörigen Comptoiriſten fiel es nicht ein, daß
man ihn mit dieſen Fragen nur zum Beſten habe.
Beſonders viel that ſich Treufreund auf feine Geſchicklichkeit
im Rechnen und im Geldzählen zu Gute. Er hatte nämlich eine
Reihe von Jahren die Functionen eines Caſſirers verſehen und ſich,
wie er mit vollem Recht und mit einem gewiſſen Anflug von Stolz
behaupten durfte, faſt nie verrechnet, ganz ſicher aber niemals
verzählt. Das glaubte nun freilich nicht Jedermann, dennoch
fagte Treufreund nur die Wahrheit. Es gab In der That fehr
wenig Menſchen, bie es im raſchen und fihern Gelbzählen ihm
glei, gewiß feine, die es ihm zuvorthun konnten.
Für den Prinzipal Hatte diefer brave Mann eine unbegrenzte
Verehrung, die fo weit ging, daß er fih auch die nicht gerade lo—
benswerthen Cigenihaften" des ausgezeichneten Mannes aneignete.
Er trug fih genau fo wie Heidenfrei, eben fo Tegere, eben fo
ſchlotterig. Daß er auch den Gang des Prinzipald angenommen
hatte, ift ſchon angeführt worden. Sämmiliche jüngere Mitglieder
des zahlreichen Comptoirperſonals nannten deshalb den alten über—
zähligen Heren „den Schatten”, eine Bezeichnung, die vollfommen
zutreffend war, denn er glitt wirklich überall tote ber Schatten des
Prinzipals im Hauſe umher.
Dieſer Mann alſo ſtand jetzt mit verdrießlichem übernächtigen
Geſicht neben Anton's Pult und ſagte auf den neugierig fragen-
den Blick deſſelben: Freilich kann ich das Nachtſitzen nicht vertra⸗
gen, aber ich muß doch aushalten.
Da möchte ich wohl nach dem Grunde fragen, mein verehr⸗
ter Herr Treufreund, erwiderte Anton, denn ſo viel ich mich er⸗
— 105 —
innere, hat Sie Herr Heidenfrei ausdrücklich von den Nachtwachen
diſpenſirt.
Treufreund riß ſeine großen, verſchlafenen Augen noch größer
auf und blickte ordentlich munter um ſich; dann mußte er ſich aber
zur Seite wenden, denn als er den Mund zum Sprechen öffnete,
überfiel ihn ein ſo gewaltiges Gähnen, daß der zahnloſe Mund
des armen Mannes die Geſtalt eines Schlundes annahm.
Anton probirte eine ſeiner ſchön geſchnittenen Federn und
malte mit großen kecken Zügen ſeinen eigenen Namen auf ein
Blatt Papier, um der Lachluſt, die ihn packte, Herr zu werden.
Ich will aber nicht dispenſirt ſein, ſagte Treufreund trotzig, denn
ich bin fein Krüppel, jondern ein für feine Jahre nach ganz rüftiger und
zu jedem Gejchäfte brauchbarer Mann. Unfereins iſt auch jung gewefen
und hat fein Leben genoflen wie Einer, aber mit Verftand, mit vielem
Berftand — begriffen? Die jungen Herren von geftern und heute ge=
nießen aud Das, was fie Leben nennen, Sinn und Berftand aber, mit
Verlaub — ih werde nie perfönlih, Herr Anton — Sinn und
Berftand ift felten in dieſem Genuſſe. Darum find die feinen
Herren von heute mit dreißig Jahren Greife und haben eine Glape
aufzumweifen, die größer ift, als die meinige, obwohl ich in fieben-
zehn Tagen mein zwei und fechzigites Jahr beſchließe und ſechs
und vierzig Jahre mich rühmen darf, ein Kaufmannsdiener gewe=
fen zu fein, wie er fein fol,
Treufreund nahm bei dieſem Sermon fein geftidtes, ſehr bun—
tes Käppchen ab, verbeugte fi etwas fpöttiih vor Anton und
zeigte ihm feine nicht gerade unbedeutende lage.
Sehr wohl, fagte Anton. Sie dürfen. mit Recht von ſich
fagen, Herr Treufreund, daß Ihnen das Alter in Ioyaljter Weife
das Haupt erleuchtet Hat. Wahrhaftig, ich könnte ſtolz werben
und wohl wünfhen, an Ihrer Stelle zu fein, wenn ich nicht fo
verzweifelt jung wäre. Aber, um nochmals auf ihre Nachtwache
zu kommen, wie haben Sie's denn angefangen, um den malitiöfen
Sandmann zu verfcheuchen, der ihnen die Augen fo geröthet hat?
Die Pulte der übrigen Comptoiriſten waren inzwilhen alle
—— 106 —
bejeßt, es rauſchte und raſchelte überall Papier, es knirſchte
Streuſand, man vernahm Federgekritzel. Alle dieſe, Laute aber
verſtummten, als Treufreund ſich zu einer Antwort anſchickte, und
auf den Zehen geräuſchlos, mit langen Hälſen, Geſichter ſchnei—
dend, ſchlich ſich das ganze Comptoirperſonal zur offenen Thür
des Zimmers, wo Anton ſein Morgengeſpräch mit dem „Schatten“
hielt, der all den neugierigen Lauſchern jetzt den Rüden, mit fel-
ner wunderbar geſchmackloſen Rodtatlle zeigte. Anton nahm eine
Miene an, als wife er nichts von ter Gegenwart der fhelmifchen
Lauſcher und fo gelang es ihm, Treufreund vollfommen zu täu=
ſchen. Diefer griff jet in die tiefen Taſchen feines weiten Roses,
die beutelartig aus dem ſpärlich vorhandenen Unterfutter bis fait
zur Wade herabhingen, und langte daraus einige mit Bindfaden
freuzweife umfnotete Papierbüten hervor.
Was haben Sie denn da? fragte Anton.
Kennen Sie das nicht? entgegnete der Schatten mit faft
weinerlich klingender Stimme.
Gexwiß, verfehte Anton. Wer wollte Kaufmann fein und
Zehnthaler-Schillingsdüten nicht Tennen! Ich kann nur nicht ein-
fehen, wie dieſe Düten mit Ihren gerötheten Augen zufammen-
hängen. |
Da fieht man wieder recht deutlih, wie Teichtfinnig die heu—
tige Jugend ift — ich werde nie perfönlih — erwiderte ber Alte.
Mein Streben war e8 ſtets, die Zeit nüßlih zu verwenden. Mü—
Biggang kenne ich nicht, und wenn ich troßdem wie alle Menjchen
auch meine Fehler habe, der Müßiggang hat fie nicht erzeugt.
In früheren Jahren, wo mir die Augen noch nicht ablegten,
führte ih, traf mich die Reihe der Nachtwache, gerade des Nachts
bie Bücher. Es war mir nie wohler, als in ſolch einfamen,
fiillen Stunden. Ich hörte das Kommen der Fluth am Geplät-
fher der Wellen gegen die Vorſetzen, und meine Gedanken eilten
hinaus auf den Strom. Jh war im Gelfte mitten unter aufs
ſegelnden Schiffen, ich blickte in's Logbuch, ich ſtieg in den Raum,
ſpähte umher unter den aufgeſtauten Waaren, und wußte ich,
\
— 107 —
dag für uns eine Ladung mit Golonialmaaren unterwegs war,
da pridelte mir ber Duft des frifchen Kaffees oder der würzige
Hauch von Zimmet und Musfatblüthe in der bloßen Einbildung
fo Tebhaft in die Nafe, daß th niefen mußte. Und dabei konnte
ich arbeiten, wie ein Halbgott! Sehen Ste einmal das Haupt
buch nah von vor zwölf, fünfzehn Jahren. Sie können lange
fuhen, ehe Ste ein zweites, fo accurat geführtes, fo gleihfam
in Kupfer geftochenes, wiederfinden, obwohl’ blos von der Hand
eines einzigen ſchwachen, aber freilih auch gewillenhaften Men
jhen mit wohlgefhnittener Feder geſchrieben worden tft. Ich glaube
nit, Herr Anton, dag mir Gott eine poetifhe Aber verlichen
bat, aber die DVerfiherung kann ih Ihnen geben, zweimal bin
th zum Dichten begeiftert worden beim Anblick diefer prächtigen
flolgen, ſichern Zahlenreihen, von denen fich fein Häkchen weg=
nehmen läßt und die mir mit taufend Stimmen zurufen: groß
und hehr und mächtig tft das glorreihe Handelshaus Peter Tho⸗
mas Heidenfret! Ja, fehen Ste, Herr Anton, da wurde mir's
warm um's Herz und das Blut ſtieg mir zu Kopfe, und — Gott
wolle mir's verzeihen, — ich habe zwei Gedichte gemacht auf die
Herrlichkeit unferes Hauptbuches. Wenn Ste ed wünfdhen, Tann
ih Ihnen diefe meine einzigen Poefien eigener Fabrik vorlegen.
Ich habe fie wohlbenächtig aufbewahrt, um in meinen alten Ta⸗—
gen eine frohe Rüderinnerung an die glüdlidhften Stunden mel-
nes Lebens zu haben.
Ih werde mich eines ſolchen Vertrauens würdig zu machen
ſuchen, fagte beiftimmend Anton mit einer Miene deren komiſcher
Ernft einen Hypochondriften zum Lachen gebracht haben würde.
Und die Schillingsdüten, Herr Treufreund, gehören die aud mit
zur Hauptbucd = Poefie ?
Hören Sie zu, damit Ste mich ganz verfiehen, fuhr „der
Schatten“ ſehr ernfthaft fort. Ich fpreche von ſchönen, vergan=
genen Zeiten, von der romantifhen Perlode meines Lebens. In
jenen Nachtſtunden ftudirte ich auch, oder ich rechnete eine ſchwie⸗
vige Aufgabe aus, übte mich darauf ein und fepte am Tage mit
n
— 108 —
meinem Wiffen manchen Herrn Obenhinaus in Verlegenheit und
Erſtaunen. Dabei fnusperten die Mäufe fo vertraulih an meinen
Schemelbeinen, daß mir immer wohliger ward. Ich Tiebe bie
Mäufe, wenn fie nicht in ganzen Schaaren herumziehen. Dann
werden fie pöbelhaft, gemein, und alles Pöbelhafte tft mir zu-
wider. So ein einziges Mäuschen aber, das ein vecht glattes,
feingraues Pelzchen befigt, mit zierlihem Schwänzchen graziöfe
Linien auf der Diele bejhreibt, appetitlih eine Krume. verfpeift
und babet die glänzenden fhwarzen Aeuglein wie ein Paar Sterne
hin und wieder blitzen läßt, das hat etwas Ariftofratifches, Vor⸗
nehmes, das mag ich Leiden; mit folhem faubern Thierchen kann
ih mid eben fo gut, wie mit einem Singvogel abgeben, obwohl
den Mäufen die Gabe des Gefanges gänzlich abgeht. Ste ptepen
oder pfeifen alle blos, das habe ich genau obſervirt. Solch ein
ariftofratifches Mäushen nun Hatte id mir vollftändig erzogen.
Es hörte auf das Schrillen meiner Feder, auf das Klopfen met-
ned Fußes. Behend Eletterte es mit den fammetweichen, Kleinen
Pföthen an meinem Pult in die Höhe und verzehrte Die ihm vor=
gelegten Krumen, während ich ungeftört fortarbeiten Tonnte. Es
war fo zahm geworden, daß ich ein paarmal, halb aus DVerfehen,
halb zum Scherz feines fhönen langen Schwanzes mich als Lineal
bediente. Ya, ja, laden Ste immerhin, es tft doch wahr, und
hätte der damalige Hausknecht das unvergleichliche Geſchöpf, dieſe
Muſtermaus, nicht eines ſpäten Abends, wo er mir noch eine
Mittheilung zu überbringen hatte, todt getreten, ich glaube, ſie
wäre mir zuletzt am hellen Tage wie ein Hund nachgelaufen.
Das würde Aufſehen gemacht haben, warf Anton ein, zog
fein Taſchentuch und trocknete ſich die vor innerlichem Lachen thrä=
nenden Augen. Aber bie Schillings- Düten —
Sp hören Sie doch auf meine Rede, Ste vorwihiger Thor,
und fallen Ste mir nicht immer ins Wort, wie ein ungebildeter
Bauer — ih werde nie perfönlih — ſagte Treufreund ganz
hitzig. Anton machte eine entjchuldigende Bewegung und ber Alte
fuhr fort:
—— 109 —
Seit ein paar Jahren ſchon kann ich die Buchftaben nicht mehr
erfennen, und deshalb habe ih der Buchführung aus eigenem Ans
triebe, obwohl erit nad langen ſchweren Kämpfen, entfagt. Leſen
und ftudteren kann ich auch nicht mehr, die unterhaltenden Mäus-
den hat man vertrieben. Womit foll nun ein Mann von altem
Schrot und Korn in fliller Naht, wenn feiner Wachſamkeit das
Wohl Taufender, Bekannter und Unbekannter, in allen Weltgegen-
ben Zerfireuter, anvertraut iſt, den Schlaf von fi fern Halten,
ber, je älter man an Jahren und je reifer am Berftande, gedie⸗
gener im Urtheile wird, immer mehr Zudringlichkeit zeigt? Der
Nachtwächter macht fih’8 auch bequem und fingt Feine Stunde mehr
ordentlich ab, wie’s ihm wohl zufäme. An bie Raffel tft man fo
gewöhnt, daß man fie gar nicht mehr Hört, das Glockenſpiel bim⸗
melt immer ein und biefelbe Melodie und noch dazu fo Tangfam,
daß einem ſchon vor Bangigkeit, dies Gebimmel die ganze Naht
anhören zu müffen, von felbft die Augen zufallen. Wiffen Sie
nun, was einem redlichen Manne in folder Salamität als einziges
Rettungsmittel übrig bleibt, um den zudränglichen Kerl, den Schlaf,
dies Ding ohne Seele, das in alle Poren dringt und Blei in alle
Glieder gießt, von fih abzufhütteln und refolut unter die Füße
zu kriegen? Wiffen Ste das, Ste Jünger und Verehrer der Neuzeit,
ber die Anfangsgründe der Handelswiflenfhaft auf einem foge-
nannten Snftitute fih Hat eintrichtern laſſen? Wiſſen Sie e8?
Nein, ich weiß es nicht, darum eben bitte Ih, unterrichten,
belehren Ste mich, fagte Anton. Nur fhreien Ste nit fo entſetzlich
und fletfhen Ste mich nicht fo barbartih an. Das ganze Comptoir
läuft ja zufammen. Ich glaube, die Herren beforgen, wir möchten
nahe daran fein, uns in aller Freundſchaft die Hälfe zu brechen.
Treufreund fah fih um und erblidte nun bie feltfame Gruppe
der Zuhörer, ein Kopf über die Achjel des Andern gefhoben, Alle
mit lachenden Gefichtern und vor Vergnügen zitternd. Diefer An—
blick machte den entfchloffenen, nunmehr reht in Zug gefommenen
Mann aber nicht irre. Er z0g vor den Laufchern grinfend fein
elegant geftidtes Käppchen, zeigte ihnen im Verbeugen feine leuch—
—— 110 —
tende Glatze und lud durch eine beifällige Handbewegung bie ganze
Gefellfhaft ein, eine Weisheitslehre aus feinem Munde zu ver-
nehmen.
Da ftedt das Geheimmittel, das auch den hartnäckigſten Schlaf
vertreibt oder bändigt, ſprach er nachdrucksvoll, mit beiden Händen
ein paar der Papierdüten gegen das Gomptoirperfonal emporhebend.
Geld zählen muß der Menſch, wenn er Steger werden will über
feine angeborene Schwachheit. Geldzählen corrigiet die Natur,
ſchärft und wedt den Zahlengeiſt. Geldzählen tft meine Arbeit,
für die man fih dankbar erweiſen follte, wenn ih zum Beſten
Anderer mir den Schlaf ablnappe, obwohl ich es nicht. veriragen
kann. Mber es thut nichts; ich ruinire mich aus Nächitenliebe,
Sch opfere mich freiwillig der Ehre bes Haufes Peter Thomas
Heidenfret, "
Länger konnten die Zuhörer fi nicht halten. Auch Anton’s
Ernſthaftigkeit Hatte ihre Endſchaft erreicht. Es brad ein Geläch—
ter 108, wie es wohl feit Jahren in diefen nur ber ernfteflen Ar⸗
beit geweihten Räumen nicht gehört worden fein mochte,
Zornig von Ginem zum Andern blickend, ſtand Treufreund
ſprachlos zwifchen den Lachenden, die wohl verpadten und ohne
Zweifel aud richtig gezählten Schillingsdüten nod immer In den
Händen haltend. Da fuhr ein Laufburſche heran an die Phalanr
der vergnügten Gomptoiriften und raunte ihnen zu, Herr Heiden
frei's Wagen werbe gleich vorfahren. Sofort verfiummte das Ges
lächter, die Gruppe ſtob auseinander, Jeder eilte an feinen Plab.
Mit ungeduldiger Gebehrde und verächtlih um fi blickend
ftedte Treufreund feine Düten ein und beftieg feinen zermürbten
Seffel. Anton trocknete fih die Thränen ab, ergriff eine Zeber,
legte einen Briefbogen zurecht und ſuchte Dur den Stoßfeufzer:
„Mien Moder kann fwemmen”, Herr über fih und feine Stim—
mung zu werden.
Indeß verzögerte fih die Ankunft des Prinzipald noch eine
ziemliche Welle. ° Es traten Mehrere ein, die mit dem Chef des
Haufes perfönlich fprechen mußten, und fo gewann das auf fo merf-
— 111 —
würdige Weiſe erheiterte Comptoirperſonal Zeit genug, um den
würdigen Herrn, wie es ſich ziemte, zu begrüßen. |
Treufreund berubigte ſich mittlerweile ebenfalls. Gr ypadte
feine Schillingsbüten in die unter feiner Auffiht und Verwaltung
ftehende Kaffe, aus welcher die mancherlei Fleinen Ausgaben bes
Tages, wie die DBriefporti bezahlt wurben, verließ dann nochmals
fein Pult und fam abermals zu Anton. ’
Ih will Ihnen feine Vorwürfe maden, fagte der gutmüthige
leicht verſöhnliche Mann, obwohl ich vieleicht ein Recht hätte, Ihnen
recht .böfe zu fein und Sie gewiffermaßen für meinen perfönlichen
Feind zu halten. Zum Beweiſe vielmehr, daß ich nicht nachtrage
und die Vorzüge und Gaben jedes Einzelnen gern anerfenne, bitte
ih um die Gefälligkeit, mir eine Ihrer fhönen Federn zu verehren.
Mir will es nicht immer gelingen, einen völlig reinen Spalt zu
erzielen, und beim Abfnippen ſchneide ih mir bisweilen in ben
Finger, was äußerſt fatal tft.
Mit dem größten Vergnügen, mein werther Herr Treufreund,
fagte Anton. Alle meine Federn ftehen Ihnen zu Dienften. Hier,
ſuchen Sie ſich diejenigen aus, die Ihnen zuſagen. Aber nun noch
ein Wörtchen im Vertrauen.
Treufreund neigte ſein Ohr dem ſchalkhaften Anton zu, und
dieſer fragte ernſthaft, ob er ihm nicht mittheilen wolle, wie lange
Zeit er brauche, um eine Schillingsdüte zu zehn Thalern richtig zu
zählen?
Diefe Frage erheiterte „den Schatten” fihtlih. Es war ja
eine Bitte um Belehrung, die man an ihn ftellte, und damit konnte
ben guten Alten Jeder Teicht verfühnen. Eifrig feßte er dem Fra=
genden auseinander, daß Alles darauf anlomme, ob man blos mit,
ber rechten Hand oder mit beiden Händen zugleich zähle; daß es
ferner von der Schnelligkeit und Sicherheit der Würfe abhänge,
und daß er felbft 3. B. Immer nur halb fo viel Zeit als bie
meiften Andern brauche zur Abzählung von hundert Thalern in
Shillingen, weil er es in ber Gewohnheit habe, regelmäßig mit
zwei Händen auf einmal eine volle Mark zu werfen. Anton danfte
— 11? —
bem Rath Ertheilenden für diefe Belehrung mit einem Händedrud,
und Treufreund zog fich, drei der fchönften Federn mitnehmend, zu=
rück an fein Pult, als eben der Prinzipal in Begleitung beider
Söhne das Comptoir betrat. -
Eilftes Rapitel.
Die Eröffnungen des Quartiersmannes.
Heidenfret ward gegen anderthalb Stunden von einer Menge
Menfhen in Anſpruch genommen, mit denen allen er freundliche
Worte wechfelte. Dazwifchen hatte er wieder direct Befehle an
Leute zu ertheilen, die fperiell in feinem Dienfte ftanden. Fonds⸗
und Wechſelmakler kamen In gewohnter Weife vor, um anzufragen:
ob Heidenfret ihnen Aufträge zu ertheilen babe, oder in irgend
einer Art ihre Vermittelung wünfhe? Mit diefen wichtigen Herren
unterhielt fi der Prinzipal länger, da es fih im Gefpräce mit
fo gewandten Gefdhäftsleuten um commercielle Fragen von Bebeu-
tung handelte, und aus den eingegangenen Grkundigungen bie
Stimmung der Börfe für den einen oder andern Artikel fih er⸗
forihen Tief. |
Endlih Teerte fi das Comptoir und Heidenfrei fand Muße,
mit Ruhe an feine Arbeit zu gehen. Lange jedoch follte er auch
jeßt nicht ungeflört bleiben, denn der Quartiersmann Behnke, der
ſchon vom frühen Morgen an im Dienft des reihen Rheders thä-
tig gewefen war und mit feinen Leuten ein tüchtig Stüd Arbeit
beſeitigt Hatte, trat jetzt, nach gehaltenem Frühſtück, in das Comp-
toir, begleitet von einem jungen, hoch aufgeſchoſſenen Manne in
Seemannstracht, der beim Gehen etwas hinkte.
Guten Morgen, Jacob, redete Hetdenfrei den reblichen Arbeits-
mann. an. Nun, Alles wohlauf daheim? Hat fi die Mutter
—- 113 —
wieder erholt von ihrem Falle auf der Treppe? Wie geht's ber
hmuden Tochter? Ab, fieh, fieh, wer tft denn der Patron ba mit
den frifch rothen Baden? Iſt er’s wirklich, dein Paul?
Der Rheder richtete alle diefe Fragen fo rafch nach einander
an Jacob, daß diefer nicht zu Worte kam, fondern jede einzelne
nur mit ſtummem Kopfniden beantworten Tonnte.
Ja, Here Hetdenfrei, fagte er jebt. Es ift der Paul, den
ih Ihnen da voritellen will. Die zwei Jahre, Die er draußen auf
der atlantifhen und der ftillen See herumgeſchwalgt tft, haben ihn
geftredt, aber auch ſtark gemadt. Er tft ein ganzer Mann ge=
worden und gelernt hat er auch etwas, Herr. Mir trat’s Wafler
in die Augen und Mutter Doris dazu, wie ich ihn fo vom Bord
der „Marie Eliſabeth“ abftogen und mit brei, vier gewaltigen
Riemenftrihen gerade auf die Landungstreppe zufteuern ſah. Als
er aber aus dem Nahen fprang und die Treppe heraufſtieg, er=
fchrafen wir Beide ein wenig, denn er hinkte flarf, und das that
er nicht, als er vor zwei Jahren geheuert ward.
Heidenfrei reichte dem jungen Matrofen bie Hand und ſchüt⸗
telte fie mit Herzlichkeit.
Willkommen in der Vaterftadt, willkommen tm guten, alten,
leben Hamburg, ſprach er freundlih. Du bift brav geweſen, Paul,
das iſt fuperbe. Hab fhon ein paarmal Gutes von bir gehört
und werde mir das merken. Läuft die Fregatte vom Stapel, bie
ich jeßt zimmern laſſe, und bat Gapttain Ohlfen, der di Tieb
gewonnen hat, Luſt, fie ftatt der „Marte Eltfabeth” auf ihrer
erften Reiſe zu commanbiren, fo kannſt du vielleicht bis dahin das
Unterfteuermanns-Eramen machen und ihn als folder dann beglet-
ten. Kommſt dabei mehr in der Welt herum, kannſt dir die Nie»
derlaffungen der Engländer in Canton anfehen, die Zopfflechterei
der Chineſen ftudiren und wenn du wieberfommft, belehrende Ver—
gleiche anftellen zwifchen den Zöpfen der Mandarinen im himmli-
fhen Reihe und dem Wuchfe diefer Haarbeutelet in unferer —
Gott erhalte fie noch lange — fo gefegneten Freien- und Hanje-
Stadt. Lernen kann nichts ſchaden, und zur guten Stunde einen
D. B. XI. Willkomm's Rheder und Matrofe, 8
— 114 —
Mißbrauch rügen, tft fuperbe, Hilft oft mehr, als langes Debatti«
ren. Alfo nohmals Willtommen! Aber du Hinkft, fagt der Vater. -
Bit du gefallen? |
Es hat nichts zu fagen, Herr Heldenfret, verjegte Paul mit
Freimuth und ohne die geringfte Befangenheit. Als ung zwiſchen
den kanariſchen Inſeln und den Azoren der furdtbare Sturm padte
und und zwifchen Ießtere Infelgruppe verfhlug, traf mich das Ende
einer brechenden Spiere, die einzige Beihädigung, welde die vor=
trefflich fegelnde Barf erlitt, Die dem Winde dient, wie ih es kaum
gefehen Habe. Das ſchwere Stück Holz fhrammte mir nur den
Knöchel des linken Fußes, und jedenfalls hätte ich gar Feine wei⸗
teren Beſchwerden davon gehabt, wäre ih ſelbſt vorfichtiger gewe—
fen. Ich fchonte mich aber nicht, obwohl der Capitain mich mehr-
mals ermahnte, e8 zu thun. So entzündete ſich die Leichte Wunde
und es bildete fi ein fehmerzhaftes Gefhwür, das felbft den Kno⸗
hen anzugreifen drohte. Ich war nun genöthigt, ruhig in meiner
Koje zu bleiben, die ich erft geftern verlieh, nachdem wir Glüde
ſtadt paffirt hatten. Beim Auffegeln an Ihrem Landhaufe ftteg Ich
zum erften Male wieder die Wanten hinauf und feßte mid ritt-
Iings auf die große Raa. Ich hab’ Ste gar wohl erkannt, Herr
Heidenfrei, Sie und Ihre Herren Söhne, Auch den Damen hab’ ich
recht von Herzen grüßend zugewinkt und der „Marie Eltfabeth“,
bie und fo treu über die Meere getragen, bei jedem Böllerfhuß
ein dreimaliges. Vivat gerufen. Möge fie noch vecht oft für das
Haus Peter Thomas Heidenfrei die Salzfluth durchfurchen und im—
mer fo glücklich und mit fo veiher Ladung in Hamburgs Hafen
einlaufen, wie bei der Heimkehr von ihrer erften Reife!
Danke, Paul, danke! fagte Heidenfret. Hoffentlich geht dein
ehrlicher Wunfh in Erfüllung. Dean fagt ja immer, ein Schiff,
das von einem jungen, unfhuldigen Mädchen aus der Taufe ge=
hoben werde, könne neun Jahre lang fahren, ohne mit Old Nid
ernfthaft Befanntfhaft zu machen. Für meine Fregatte will ich
mir deshalb auch wieder ein hübfches, junges Mädchen zur Tauf-
pathin ausfuchen. Sollſt bie lebendige „Marte Eltfabeth”, meine
— 115) —
Tochter, kennen lernen, wenn bu erſt wieder gerade und recht ftatt-
lich auftreten kannſt. Das Kind ift groß geworben, wirft dich
wundern. Iſt zwar fünf Jahre jünger, als du, aber fhon voll»
fommene Dame. Kannft Englifch mit ihr fprehen, wenn du's
Herz dazu haſt. Ste plappert gern und Hört noch licher von
fremden Völkern und Sitten erzählen. |
Paul ward von diefer ungewöhnlichen Freundlichkeit des Rhe—
ders faft etwas in Verlegenheit geſetzt, weshalb er nur wenig dar⸗
auf erwiderte. Heidenfrei wandte ſich jegt an den Water des jun
gen Matrofen, richtete einige ragen rein geſchäftlichen Inhalts
an biefen, und fagte nad erhaltener Antwort:
Hatteſt du nicht vor einiger Zeit in dem Wirthſchaftskeller un=
ter deinem Haufe mit fremden Matrofen einen verbrießlichen Handel?
Ach, fie meinen die Gejhichte mit dem Naben, erwiderte gut-
müthig Tähelnd der Quartiersmann. Es war nicht ſchlimm und
die ganze Sache iſt mir längft aus dem Gedächtniß entſchwunden.
Mich kann's nur ärgern, daß ih dabet einen andern Miethsmann
befomme. Wer weiß ob th nicht fehl greife und fpäter noch be=
veue, daß ich des dummen Vogels wegen zur Kündigung ſchreiten
mußte.
Waren die Srevler nicht Spanier? fragte in Gedanken ver-
funten Heidenfrei weiter, der kaum auf die Erwiderung Jacob's
hörte, während er ein Paquet älterer Brieffhaften öffnete und eine
Anzahl vergilbter Papiere aus demjelben hervorſuchte.
Spaniolen und Holländer, wohl auch Amerikaner, verjette
Jacob. Selbſt der vornehme Herr, der nun fhon feit Wochen fo
großes Auffehen macht und fo nobel wohnt, als wäre fein Vater
ein indifher Prinz und feine Mutter eine Kaiſerstochter, fol mit
von der Partie gewejen fein.
Superbe! rief Heidenfrei lachend. Aehnlich fieht das dem
etwas tiberluftigen Gefjellen. Aber ih mag es doch leiden. Es
beweiſ't, daß er das Volk nicht verachtet, daß er Kenntniſſe zu
ſammeln ſich angelegen ſein läßt, und daß er ſich in alle Verhält⸗
niſſe zu ſchicken weiß.
8*
—— 116 —
Sacob brummte kopfſchüttelnd. \
Meinft du nicht? jagte Heidenfreil. Nun dann war's viel⸗
leicht blos Marotte von dem Merilaner.
Wird vermuthlich fo fein, beftätigte der Quartiersmann.
Vornehmthun und herablafiendes Wefen vertragen fi felten yut
mit einander. Vornehm aber tft der reihe Don, und über bie
Achſel fieht er gern Alle an, die nicht eben fo veihlih mit Du—
blonen gefegnet find, wie er felber. Das läßt er namentlich gern
feine Landsleute fühlen.
Leben deren hier einige?
Kann’s nicht fagen, Herr Heidenfrei.
Du haft ja‘eben davon geſprochen.
Das heißt, fagte fih corrigirend der Quartiersmann, ich
meinte damit eigentlich nur einen einzigen.
Den du kennſt?
Nun ja, Herr, d. h. ed wäre mir eigentlich Tieber, daß ich
ihn nicht kennte.
Deine Reden mahen einen ja ganz confus. Erkläre did
deutliher, daß ich verftehe, was du fagen willft.
Jacob räufperte fih und faßte fih ein Herz. Nun, heraus»
rüden muß th ja doch, wenn id meine Sache dem Herrn vor—
tragen will, Das heißt, ich möchte nicht mißverftanden. werben
und nicht zudringlich erfheinen. Well aber ber Herr doch fo
freundfih zu meinem Paul gefprodhen bat, da dachte ih, es
könnte doch nicht .fchaden, wenn man facht anfragte von wegen.
Jacob drehte feinen Hut und fah den aufmerffam zufören-
den Heidenfret mit verfchmißten Augen an. Der „Schatten“ kam
aus dem Gomptoir, warf einen Blid in das Privatgemah des
Prinzipals, zog vefpeetvoll fein buntes Käppchen und zeigte, fi
tief verbeugend, feine Glatze.
Guten Morgen, lieber Treufreund, fagte Heidenfrei dan—
kend. Bitte, nehmen Ste Hier diefe drei Briefe und geben Ste
diefelben Herrn Anton zu fofortiger, Furzer Beantwortung. Die
— 117 —
Notizen find beigefügt. Er fah nad der Uhr. In einer halben
Stunde müffen fie beantwortet fein.
Sehr wohl, ſprach Treufreund, die Briefe empfangend und
abermals ein tiefed Compliment machend. Dann eilte er mit
furzen, ſtampfenden Schritten zurüf, um ben erhaltenen Auftrag
unverweilt auszurichten.
Alfo anfragen wollteft du? ſprach Heidenfrei zu Jacob,
Weshalb?
Ich habe, wie Sie willen, eine Tochter, ein Mädel, das
ſich ſehen Laffen Tann, follte ich meinen.
Kenne fie und mag fie leiden. Iſt fauber, flint, anftellig,
geſcheidt, beicheiden, mit einem Worte: ganz fuperbe.
Früher wuſch fie die feine Wäfche für die Herren Comptoi-
riften, fuhr der Quartiersmann fort, denn well das Kind brav
tft, wollte e8 auch 'was verdienen, um es mir und Mutter etwas
leichter zu machen. Und Abends unterhielt fie dann ihre alte
Pathe, die Gertrud Silberweiß, durch DBorlefen, denn die arme
Frau ift blind und hat nichts als ihre Katze und thr Entelfind-
hen, dad Semmel-Trudchen, wie wir fie nennen, weil der Va—
ter als Brodmann fi den Lebensunterhalt ehrlich verdient. Ein
hübſches, Tiebes Kind, voller Leben und .Schelmeret, Herr Hei—
benfret. |
Zur Sache, Jacob, zur Sache! drängte der Kaufmann,
abermals feine goldene Repetiruhr ziehend. Die Bankzeit naht
und ich habe vorher noch viele Dispofitionen zu treffen.
Alſo das Mädchen möchte ich lebensgern in einem angefe-
henen Haufe als angehende Köchin oder als Gehilfin einer folchen
oder auch als Kammerjungfer der Herrfhaft unterbringen.
Warum fol Chriftine denn nicht bei Euch bleiben? Kann
fie der Mutter nicht zur Hand gehen und ihr die Führung der
Wirthſchaft beinahe ganz abnehmen ?
Jacob drehte abermals feinen Hut.
Das könnte fie freifich nicht blos, fie kann es fogar, fagte
der Quartiersmann, 's geht aber man doch nicht.
— 118 —
Da werde nun Einer Mug aus Euch dwatſchen Leuten!
rief etwas verſtimmt Hetdenfrei. Ich Bitte Dich nochmals, Jacob,
mach's kurz, oder ich ſchicke dich mit fammt deinem Anliegen in
bie Schute, um binauszufahren an Bord der „Marie Eliſabeth.“
's geht eben Aicht, Herr, wiederholte der Quartiersmann,
und wenn ih den Hals brechen fol und ganz Hamburg wadelt.
Das fremde Volk aus Mexiko ober wo fie font ber fein mögen,
hat es juft abgefehen auf mein Mädel, läuft ihm nah, läßt das
Kind nirgends In Ruhe und verfolgt es bis in's väterlihe Haus,
In dem Punkte follen. die Herren nicht die beiten Brüder fein,
hab’ ich mir fagen laſſen. Und ber Miguel, der Matrofe, ift
nun ganz und gar des Teufels und hat ein richtiges Auge auf
das Kind. Damit nun nidhts Unrichtiges paſſiren könne, fol
Chriſtine fort, und beſſer als in Ihrem Hauſe, Herr Heidenfrei,
beſſer als unter dem Schutze der Frau Prinzipalin könnte meine
Chriſtine in Abrahams Schooß nicht aufbewahrt ſein. Da wiſſen
Sie die ganze Geſchichte, nehmen Sie mir's nicht übel.
Was du willſt, Jacob, das weiß ich, verſetzte Heidenfrei,
die ganze Geſchichte aber tft mir noch fo unklar, wie nur mög⸗—
lich, indeß Licht, denk' ih, wird wohl drein zu bringen fein,
wenn wir Zeit finden, und näher darüber auszufprehen. Im
Augenblick erlauben bies meine Gefhäfte nicht, heute Abend aber
will ich dir eine Stunde fchenfen. Bis dahin haft du Zeit dic
vorzubereiten, dir zu überlegen, was bu mir in diefer Angele-
genheit noch mitthetlen mußt, und wenn ich dann irgendwie dei—
nes Kindes ober deines Haufes Wohl bedroht fehe, fo verlaffe
dich auf Heidenfrei’s Wort: er trifft Vorforge, dag man bir und
den Deinen fein Haar krümmt! Am allerwenigften follen Aus-
länder, überfeetihe Fremde, und wären fie mit den beiten Gon-
duiten verfehen, dergleichen Frevel verüben dürfen. Alſo auf
Wiederſehen heute Abend!
As Jacob Behnke mit feinem Sohne Paul das Comptoir
bes Rheders verlaffen hatte, wendete fih Heidenfrei zu feinen
Söhnen,
— 119 —
Das ſind wunderliche Eröffnungen, ſagte er, mit denen
mich der redliche Mann da eben unterhalten hat. Ich bin wirk⸗
ih begterig, mehr und Verftändlicheres von ihm zu hören. Wer
ift Diefer Matrofe Miguel? Steht er in Verbindung mit Don
Alonſo Gomez? Auf welchem Schiffe mag er dienen? Wie kommt
er in das Haus des Quartiersmannes? Das Alles find Fragen,
bie fich fehneller thun als beantworten laffen. Und doch wird es
nöthig fein, bier weiter, nur fehr behutfam vorzugehen. Ih muß
die befannteften Schlafbaafe in's Geheimniß ziehen. Ste allein wiffen
genau Beſcheid unter den Matrofen, und ihrer Vermittelung kann
es am leichteften gelingen, auf der Stelle von jedem neu ange—
fommenen Sremdlinge, tit er in der Mufterrolle eines Schiffers
aufgeführt, Kenntniß zu erhalten. Es wäre fuperbe, wenn bes
armen Hohenfels geraubter Sohn wirklich noch lebte und in Eu=
ropa den Vater, den er nicht einmal kennt, wiederfände.
Abermals eintretende Gefhäftsleute, darunter eine Menge
Laufburfhe und Hausknechte, welche Wechſel zum Accept abgaben,
oder Briefe und kaufmänniſche Girculare dem Chef des Handlungs-
hauſes einhändigten, unterbrahen jede fernere Fortführung bes
Gefpräches über diefen Gegenitand, welcher Hetdenfret Iebhafter
befhäftigte und mehr in Anfprud nahm, als er e8 wünſchte. Litt
au der Gefhäftsgang nicht unter diefer neuen Sorge, fein Geift
ward dadurd in unruhige Spannung verfeßt, und die zu treffen-
den Dispofitionen, das Ueberwachen des unermeßlichen Geſchäftes,
deſſen VBerbindungsfäden eben fo gut hinauf nah St. Petersburg,
Hammerfeſt, Arhangel und Kafan, wie ſüdwärts nad Galcutta,
Canton, Valparaiſo und allen großen Handelspläßen des ganzen
weiten amerifaniihen Feitlandes reichten, der näheren europälfchen
Verbindungen gar nicht zu gedenfen, waren wohl geeignet, dem
Manne, der bier zu beitimmen, überall das letzte enticheidende
Wort zu fprechen hatte, Kopfichmerzen und fchlafloje Nächte zu
verurſachen. |
Ehe Heidenfrei zur Börfe ging, bergab er feinen Söhnen
noch das Paquet vergilbter Briefe, die. längft zurüdgelegte Privat⸗
— 120 —
Gorrefpondenz mit Auguftin Hohenfels, deren Durchſicht jest uner-
läglich war, um aller vergangenen Umftände ſich vecht Deutlich wieder zu
erinnern. Da Eduard und Ferdinand nur im Allgemeinen Die
Lebensumriſſe ihres Oheims kannten, empfahl ihnen der Vater jept
die aufmerkſamſte Lectüre diefer nur den-Augehörigen der Familien
Heldenfret und Hohenfels zulommenden Briefe. Mit diefer Wei⸗
fung verließ Heidenfrei das Gomptoir, übertrug den Söhnen bie
Erpedition der fälligen Poſten und gab ihnen noch einige für die
Börfe zu beachtenne Winke, um ja in der ihm unbequemen Ges
müthsbewegung Alles zu meiden, wodurd bie Ehre feines Hauſes
in commercieller Hinfiht nur im Geringiten hätte compromittirt
werden können. .
Bwölftes Aapitel.
Don Gomez und fein Diener,
Don Gomez wiegte fih nah Art der Havanefen in einem
Schaufelftuhle und blies den dunkelblauen Raud feiner Gigarre
nadhläffig in die Luft. Mafter Papageno in feiner buntfchedigen
Tracht ftand vor ihm, wie eine Ordonnanz, die Rapport erftattet.
Was iſt mun beine Anfiht, Papageno, fprah Don Gomez,
Immer mit größter Nachläffigkeit feinen Schaukelſtuhl In Bewegung
baltend. Die meinige kennſt du. Haft du irgend einen Vorfchlag,
ber mir annehmbar ſcheint, fo laß ihn hören. Ich lechze nach
Zerſtreuung, nad) neuen Amüfementse. Die alten werden mir lang-
meilig und das ernfihafte Volk hier ift fo diaboliſch ehrbar, fo
infernalifch foltd, daß der Teufel felbft darüber in Verzweiflung
gerathen Fönnte. Bel den Augenbrauen meiner hochfeligen Mutter,
bie eine höchſt anfländige Frau, dabei aber doch feurig verliebt
war, wie fich's für jede pornehme Dame ziemt, wer hat je im Les
-
—— 1211 —
ben gehört, daß gebildetete Leute von Anfehen und Vermögen jeden
Sonntag in die Kirche laufen und zwei Stunden lang dieſe ent-
fegfihen Lamentationen eifriger Prediger andächtig, zur Erbauung
ihrer Seelen anhören? Und wenn die Itebe Gottesfurdt zu Ende
geht, was gibt's dann? Steife DVifiten, Feine Unterhaltung, mübe
Gefichter, die das Anfehen geglätteten Papteres haben, und zulegt -
Eſſen und abermals Eſſen ohne Maß und Ziel, und damit der
geiftige Menſch nicht ganz einfchläft und von der Materie erbrüct
wird, ein Spiel, das nur dann Intereſſe erregt, wenn viel Geld
dabei roulirt. Offen geftanden, dieſe allerlegte Sonntagszerflreuung
tft eigentlich no die vernünftigite; auf fie verſtehen fich Die hie—
figen Nobilt auch noch am beiten, und was wahr if, muß man
fagen, fie verlieren mit dem Anftande geborener Fürften und alt=
adeliger Herren die größten Summen. Das allein, diefen Stoi—
cismus im Unglüd refpectire ich, und weil dieſer Stoicismus wirk⸗
lich ein Nationalcharakterzug der biefigen Vornehmen, d. h. der
reichen Handelsherren zu ſein ſcheint, bin ich großmüthig genug,
ihnen viele ihrer übrigen Sünden gegen das geiſtige Wohlleben
zu vergeben. Alſo deine Meinung.
Ich habe keine, Sennor, erwiderte der Mulatte mürriſch.
Du haſt keine? Du ſollſt aber eine haben.
Für mich ja, nicht für Sie.
Das iſt eine Halsſtarrigkeit, die ich dir austreiben werde.
Weshalb willſt du deine Meinung für dich behalten? -
Weil Sie niemals darauf achten.
Carajo, da haft du allerdings Recht! Aber das Fümmert dich
ja nicht. Man fpriht doch, man unterhält, man amüfirt ſich Dur
Austauf feiner Gedanken, und hat man auch gar nichts davon,
ſo iſt doch die Möglichkeit gegeben, irgend eine neue Anregung zu
befommen, zum Entwurf eines kühnen Planes die erften Anknüpfungs⸗
punkte zu finden. |
Ich würde Tieber vorfchlagen, wenn eben meine Anfiht Be⸗—
achtung fände, alle Pläne vorläufig aufzugeben, fagte Papageno.
Wir ertiden fonft unter der Laft diefer Pläne.
— 122 ——
Dann würden wir in fehr kurzer Zeit verloren fein,
Begreife ich nicht, Sennor.
Weil du ein Stierkopf biſt. Wir flürben an der Auszehrung,
aus Mangel an wechſelnden Lebensbildern. Schlage alſo was
Beſſeres vor.
Treffen Ste felbft eine Wahl, fagte der Mulatte barſch.
Zwifhen Vornehm und Gering oder unter den VBornehmen?
Nach Ihrem Belieben.
Ich will dir ein Geheimniß verrathen, guter Papageno. Mit
“den Vornehmen unterhalte ih mich fehr gern, weil ich bemerken
fann, dag th Eindrud mache, daß fie mid bewundern und td
zweifle kaum, daß th als Herzenseroberer hier eine ganz angenehme
Rolle fpielen würde. Nichtsdeftoweniger zieht: e8 mich unwider⸗
ftehlich fort zu den Geringen, weil bei diefen mehr Natvetät zu
finden tft. Das erhöht die Pilanterte des Genufles-, aber Gott
und die Madonna wollen mich vor erniten Verbindlichkeiten be=
wahren!
Nun, fo laffen Ste uns reifen. Ste haben dann fpäter nichts
zu bereuen, und brauden in ber Bette Feine Todſünde zu bes
fennen.
Du biſt ein Narr!
Iſt mir nichts Neues, zum Glück hat meine Narrheit aud
brauchbare Seiten.
Zugegeben, fagte Don Gomez, eine neue Gigarre abbeifend,
und das abgebiffene Endchen Mafter Papageno in's Gefiht ſchnel⸗
Iend. Du bift z. B. ein fo Iiebenswürdiger Narr, mir die Wege
zu zeigen, wohl aud zu bahnen, welde zum trdifchen Paradiefe
geleiten. Du wirft demnach jedenfalls heute Beſcheid willen, wo
das allerliebfte Tropköpfchen ſich aufhält, das, feit ich ihr den run
den Arm gefniffen und ihr ein paar Iodere Schmeicheleien gejagt,
nie mehr die Schwelle meiner Zimmer überſchritten hat? Die frifche,
blutjunge Wäfcherin meine ich,
Bedaure unendlich, nicht dienen zu können.
Biſt ein ſchlechter Spürhund.
— 123 —
Weil ih die Witterung verloren habe. Vielleicht machten der
gnädige Herr beſſere Gefhäfte, wenn Sie ſelbſt perſönlich fih im
der Kunft bed Spionirens mehr üben wollten. Es gehört dazu
freilich etwas Ausdauer und Selbitüberwindung.
Deine Moralpredigten kannſt bu für fchlechtere Tage aufbe⸗
wahren, verfeßte der Mexikaner. Ich möchte jet lieber wiſſen, ob
bu Miguel, dem trogigen Jungen nicht einmal begegnet biſt?
Sogar dreimal.
Spradit bu ihn?
Kein, wir lieben uns ja nicht.
Das weiß Gott und die Madonna! Und, als Caballero ge=
fprochen, Papageno, Urſache, dich zu lieben, hat der arme betrogene
Junge allerdings nicht.
Mer trägt die Schuld davon? Ste oder Ih? verſetzte mit
wild bligenden Augen der häßliche Mulatte. Ich vollzog nur Ihre
Befehle. Ich war ein Inftrument, das Ste regierten. Hätt' ich's
lieber nicht gethan, fo könnt' ich jeßt auf Cuba ober fonft wo in
unferm herrlichen Clima, mid meines Lebens freuen, während ich
nun bier frieren und mit diefer vermaledetten, ftintenden Nebelluft
mir den Magen und den Geſchmack an der ganzen lieben Gottes»
welt verderben muß.
Gib dich nur zufrieden, mein maderer Bapageno, und werde
vor allen Dingen nicht Teidenfchaftlih, fprach ungewöhnlich mild
der Merifaner. Es kommt eine Zeit, wo du für deine Dienfte
von mir Eöniglich belohnt werben ſollſt. Vorläufig aber mußt du
mir veriprehen, den troßigen Miguel nicht ganz aus den Augen
zu verlieren. Willſt du?
Der Mulatte fhwieg einige Augenblide, dann fagte er feſt:
Sa, ih will.
Du mußt immer wiffen, wo er zu fe tft.
Ich will auch das willen.
Dafür danke ich dir. Hier ein Dutzend deiner Lieblingscigar—
ren und dieſe Dublone verwende nach Belieben. Nur ſchaffe dir
fein Liebchen an, ſonſt wirſt du- zerſtreut, und zerſtreute Diener
— 124 —
paffen fhleht auf. Laß dir bie Zeitungen und die heutigen
Straßenanfhläge geben. Ich muß willen, ob das Raffinement der
ſinnlich Genußſüchtigen nicht irgend etwas Neues ausgeflügelt hat,
das auch mich kitzeln, feileln und die fpäteren Abendftunden mir
auf originelle Weiſe angenehm verkürzen könnte.
Mafter Papageno folgte dem Befehle feines Herren und kehrte
alsbald mit Zeitungen und einer Menge großer Zettel, wie fie an
allen Straßeneden Elebten, zurüd, In welche ber genuß= und zer-
ftreuungsfüdtige Mexikaner fih fo eifrig vertiefte, als habe man
ihm eine Herz und Geift feſſelnde Lectüre gereicht. _ "
Es war Indeg nicht Leicht, dem. verwöhnten Mann, der fo
ziemlich alle Genüffe, welche die große Seehandelsſtadt darbot, ſchon
durchgekoſtet Hatte, etwas wirklich Neues zu bieten. Der feinfte
wie der gröbfte Sinnengenuß war Don Gomez nicht fremb, und
ließ fih bei etwaiger Wiederholung deſſelben nicht Irgendwie ein
neuer Reiz anbringen, fo langweilte fih der ſchwer zu befriedigende
und doch ſtets unerfättlihe, heigblutige Mexikaner. Die damals
berühmteften Tummelplätze des Volkes, wo die gefallene Schönheit
ihre Gewiffensbiffe und den nagenden Wurm der Reue im Rafen
bachantiſcher Tänze tödtete, Fannte Don Gomez fhon längſt. Dies
wilde, dämoniſche Treiben hatte ihn eine Zeitlang gefeflelt, denn
e8 war in der Art, wie es fih gab, Ihm etwas Neues. Ebenſo
gewährte der Beſuch der Salons auf dem fogenannten Hamburger
Berge, wo vorzugsweiſe das Schiffsvolk fi erluftigt und häufig
in zwei Nächten den unter taufend Gefahren erworbenen Verdienſt
eines halben oder ganzen Jahres bei wüſten Orgien verpraßt, ihm
vorübergehende Zerſtreuung. Alle diefe Vergnügungen aber hatten
jept für ihn ihren Reiz verloren. Mißvergnügt warf er bie Zettel
von fih, welche bei Peter Ahrens eine Aerndtefeitfeier im antiken
Styl, in der Bachushalle infernalifhe Punfchbeluftigungen und in
Stadt Rom ein Acht heidniſches Götterfeft verhießen.
Bah, rief er gelangweilt aus. Das find Vergnügungen für
ben geſchmackloſen, rohen Pöbel, der in jeder Phryne eine Böttin
— 123 —
erblicdt. Fort damit! Ich will mir ein anderes Amüſement ſuchen.
Heda, Papageno!
Was befehlen Sie? fragte der Mulatte, der mit großer Ge⸗
wandtheit aus dem feingeſchnittenen Taback einer Cigarre ſich mund⸗
gerechte Papiercigarren machte, die er mehr als das feinſte Kraut
der Havanna liebte.
Beſtelle eine Droſchke, aber mit zwei egalen, flinken und
ſchönen Roſſen, kaufe einen feinen Shawl und ein halb Dutzend
Handſchuhe, und packe meine Mandoline ein. Ich will zu Nacht
bei der ſchönen Mathilde ſpeiſen.
Maſter Papageno ſchien mit dieſem Auftrage ſeines Herrn
ſehr zufrieden zu ſein, denn er zeigte ein freundliches Geſicht und
freudig ſtrahlende Augen, und ſchneller als gewöhnlich, war er be⸗
veit, die Befehle des Gebieters zu vollziehen.
Eine Stunde fpäter — es dämmerte bereits — lehnte Don
Alonfo Gomez in den weichen Sammetpolitern eines vortrefflichen
Wagens, der ihn nad der berühmten Schönheit führte, welche unter
dem befannten Namen der „ſchönen Mathilde” zur Zeit unferer
Geſchichte eine wichtige Rolle in ber vergnügungsfüdhtigen Welt
Hamburgs fpielte.
Dreizehntes Kapitel.
Eine Zufage. Wünfche und Hoffnungen junger Rheder.
Herr Heidenfret faß allein mit dem Quartiersmanne bei ver
fhloffener Thür in feinem Privatzimmer. Jacob wiſchte fih den
Schweiß von der Stirn, eine lange Erzählung ſchließend, welcher
der Rheder aufmerkſam zugehört hatte.
Du hätteſt ſchon früher mit mir darüber ſprechen ſollen, ſagte
jetzt Heidenfrei aufſtehend, und wie es ſeine Art war, mit auf den
— 126 —
Rüden gelegten Händen fhlürfend dur das Zimmer gehend. Ge⸗
tert haft du dich doch in Feiner deiner Ungaben? Denn wir müſſen
vor allen Dingen Sicherheit haben, feſten Boden unter unfern
Fügen fühlen.
Auf mein Gedächtniß, Herr, kann ich mich verlaffen. Es hat
fih Alles genau fo zugetragen.
Und wie lange ber iſt es?
Es mögen gute ſechs Wochen fein.
Du hälſt alfo den Steuermann Andreas für einen Ehrenmann?
Er tft unter meinen Augen aufgewachfen, Herr, faft mit dem
Paul, der. nur ein paar Fahre jünger iſt. Nun freilich, Ste wilfen
ja, Jugend hat nicht Tugend, und ben Seeleuten muß ein ver-
nünftiger Mann etwas zu Gute halten, aber redlich iſt der An«
dreas, und einen ſchlechten Streih macht er nicht.
Dann wird er auch feinen jungen Freund, den fpantfchen ober
braſilianiſchen Matrofen, wohin er nun zu Haufe gehört, zu zügeln
wiffen. Uber, Recht haft du doch, Jacob. Deine Tochter muß
aus dem Haufe, in Umgebungen, wohin nicht einmal die Blicke
des verliehten Thoren dringen können. Welch ein toller Einfall!
Es iſt zu ſuperbe. Aber ganz fpanifch, wahrhaftig, ganz ſpaniſch.
Der Herr wird alfo ein gutes Wort für mich einlegen? fragte
der beforgte Quarttersmann. Es wäre mir banntg Tieb.
Gewiß, Jacob, verficherte Hetdenfret, Hülfe muß geſchafft wer-
den, und zwar bald, das fehe th ein. Zuvor aber muß th doch
auch mit meiner Frau reden, denn eigentlich find Alles das, was
du wünſcheſt, ächte Srauenzimmerfahen, mit denen wir Männer
nicht recht umzufpringen verſtehen. Abſchläglich befchteden ſollſt du
nicht werden, dafür laß mich forgen. Ich weiß nur nicht recht, in
welcher Eigenſchaft Ehriftine bei ung eintreten fol. Alle Stellen
find befeßt, obenein fo, dag meine Frau nicht wechſeln mag. Na,
fhon gut, Jacob, nur nit ängſtlich! Es wird ſich ſchon ein Platz
für deine Tochter finden. DBerfteht fie Handarbeiten zu fertigen?
Vorzüglich, betheuerte der Quartiersmann. Ich hab’ es mir
etwas koſten lafien, Herr, um das Mädel ein Bischen herauszu⸗
— 117 —
pugen. Nähen kann fie, wie bie befte Weißnäherin, und zum
Stiden hat fie ganz abfonderlihes Gefhik, nur kam fie zu Haufe
felten dazu, fi zu üben und mehr zu vervollkommnen.
Schon gut, verfeßte der Rheder, pafl’ auf und hüte dein Kind
nur nod ein paar Tage. Bis dahin will ih die Sache in Ord⸗
nung bringen. Als was es immer fein mag, Chriftine fommt in
mein Haus. Früher aber, bis meine Familie in die Stadt zieht,
wird es fich ſchwerlich thun laſſen. Das gefhieht jeboh in wents
gen Wochen, und wenn bir befonders viel daran gelegen fein follte,
das hübſche Geſichtchen möglihit bald den fuchenden Augen ihres
fremdländifchen Bewunderers zu entrüden, fo Tann Ghriftine ſchon
beim Einpaden bilfreihe Hand leiſten. Meine Tochter und bie
Heine Urike haben hunderterlet Sachen, die nur eine Mädchenhand
anzufaſſen beſtimmt tft. Dabet befommt fie gleich die erforderliche
Einfiht und wird dadurch beim Ordnen bier im Haufe wieder von
Nutzen fein.
Jacob zeigte fi für dieſe Zufage des einflußreihen Mannes
jehr dankbar. Ich gehöre Ihnen mit Haut und Saar, fagte er
beim: Fortgehen in feiner treuherzigen, berben Weiſe. Gebrauden
Sie mi, wozu. Ste. mollen, und wenn Fein Menſch mehr da wäre,
den. Heidenfpei’s zu dienen, Jacob Behnke wird nie fehlen, fo lange
er. lebt und noch ein Glied rühren Kann, für das Wohl Ihres
Hauſes, Ihrer Firma fih zu opfern. Tauſend Dank, Herr, für
Ihr« Güte! Wie wird Mutter Doris fih über diefe Nachricht
freuen! Und Ghriftine dazu. Ihr fand der Sinn immer etwas
hoch, und zu vornehm und groß kann's ihr gar nicht werben, ber
einen Blitzkröte! —
Um. dieſelbe Zeit waren bie beiden Söhne des Rheders be⸗
ſchäftigt, Die Beiefe ihres Onkels aus der Zeit feines erften Glückes
durchzuleſen. Mus dieſen brieflihen Mittheilungen, Die ganz ohne
Hintergebanfen niedergefihrieben waren und für den unverſchleier—
ten Ausdruck eines übernollen, heißen und ftarfer Bewegungen
fähigen Herzens gelten konnten, wurde den Brüdern Vieles, was
ihnen biaher dunkel geblieben, in ein helleres Licht gerüdt. Beide
— 128 —
kamen während dieſer Lectüre, die ein paar Stunden in Anſpruch
nahm, zu der Ueberzeugung, daß Onkel Auguſtin nicht allein
Schuld ſei an den betrübenden Unfällen, die erſt ſpäter ſeine ganze
Exiſtenz vernichtet Hatten. Es kamen Aeußerungen in feinen Brte=
fen vor, welche ein bis zum Zerwürfniß gediehenes Mißverſtändniß
zwiſchen Vater und Sohn vorausfegen ließen. Auguftin bezog fi
auf Mittheilungen des Vaters, von denen einige fogar wörtlih an«
geführt waren, die jeböch ohne Einſicht auch ber väterlichen Corre⸗
fpondenz völlig unverſtändlich blieben. Nur fontel ließ fih ahnen,
daß Auguftin einer heftigen Neigung wegen das Baterland ver⸗
laffen hatte, weil der Vater diefe Neigung feines Sohnes nidt
billigte und feine Einwilligung zu geben, auf das hartnädigfte
verweigert haben mußte. In Brafilien fühlte Auguflin Hobenfels
fih unabhängiger, und wenn es auch gewiß nicht in feiner Abſicht
lag, auch bier wieder gegen den Willen des Vaters ſich zu verlo-
ben, fo Tonnte doch, entſchloß er fi, feinem Vaterlande ganz zu
entfagen, eine dem DBater mißliebige Heirath für ihn perſönlich
feine unmtttelbar empfindlich nachtheiligen Folgen haben.
Es iſt Doch ewig zu beflagen, daß unfere Familie von dieſem
ſchrecklichen Unglück heimgefucdht wurde, fagte Eduard, die alten
Brieffhaften nochmals durchzählend und fie ber Reihe und dem
Datum nah ordnend. Einige nur trugen Fein Datum, Diefe
waren offenbar in fehr aufgeregter Stimmung gefchrteben, enthiel⸗
ten aber fein Wort von fetnem Verhältnig zu Dolores. Eduard
legte diefe bet Eette, um fpäter mit dem Pater barüber zu fpre-
hen, da ihm der Inhalt nicht verftändlih war. Hätte Auguftin
dem Gefhäft fi mit ganzer Liebe hingeben, fuhr er ert, und es
leiten können mit ber gewaltigen Energie, die er in feltenem Grabe
befitt und bie eine unfhäßbare Eigenſchaft vornehmlich eines Kauf-
mannes in der neuen Welt iſt, wo überall neue Wege zu bahnen
find, wie glänzend, wie groß, wie weithin Teuchtend würde ber
Name auch unferes Haufes jegt dort daftehen!
Wohl iſt es zu beklagen, fiel Ferdinand ein, indeß Hoff’ ich,
es wird, was damals durch ein unglüdliches Zufammentreffen maß-
— 129 —
Iofer Leidenſchaft mit Unfällen anderer Art verloren ging oder in's
Stoden gerieth, jeßt unter andern, und wie e8 mir fıheint, beffern
Verhältniffen fi wieder aufnehmen und fehneller ausbilden Laffen.
Das bezweifle ich ſehr, verfehte Eduard. Gegenwärtig herr-
ſchen ändere Elemente als die, welche zur Zeit unferes Oheims
der Verbreitung vorzugsweiſe deutfcher Cultur in jenen paradiefi-
fhen Küftenlanden fo günſtig waren. Welche Empfänglichkeit unter
den Eingeborenen für alles Fremde, das ihnen imponirte! Welche
natve Hingabe an die ungewohnte Geiſtesnahrung, die dem natur«
frifhen Brafilianer mundete! Sept ift Das anders geworden. Die
Phantafie auch des Südemertfaners Tetdet unter dem Drud der
Berechnung, die wie ein Alp vom Norden der Unton fi ſüdwärts
wälzt. Sept Tann deutſche Bildung dort nicht mehr ein Leitftern
für Alfe fein.
So große Erfolge würden wir niemald errungen haben, er-
widerte Ferdinand, ſchon deßhalb nicht, weil wir eine Nation find.
Nicht als Deutfche, als Hamburger haben wir ein paar Fuß Bo—
ben erobert, auf denen wir tn unferer Weife, d. h. wie es bie
Zerfplitterung unferer politifhen Zuftände und erlaubt, erwerben,
“und im Erwerben aud bildend auf unfere nächte Umgebung ein-
wirken. Das tft aber auch Alles, was wir vermögen, fo lange
wir nur als Kaufleute und zwar ausfchließlih des Handels wegen
In der neuen Welt Hütten bauen, Firmen gründen, Banken an-
legen.
Haben wir den Willen und Taffen wir uns nicht beirren, fo.
erreichen wir mehr, fagte zuverfihtlih Eduard. Freilich etwas ent-
geht uns, das uns fein noch fo heißer Wunfh gewährt — eine
Flotte, die ung fhüßt, uns ftärkt, unferm Bilden und Bauen un—
ter fremden Nationen Nahdrud gibt. In diefer Beziehung waren
unfere Ahnen glüdliher daran. Ohne die Kriegsflotte der Han—
fen, wie wäre es möglich geweſen, Schoonen zu befegen, Wisby zu
überflügeln, in Bergen, Riga, Nowgorod den Herrn zu fpielen und
felbft an den Ufern der Themfe, unter den praftifchen Engländern,
den Stahlhof anzulegen! Das müfjen wir Ietder jegt, d. h. vor⸗
D. 3. XI. Willkomm's Rheder und Matroſe. 9
— 130 —
Yäufig noch bleiben Tafen, denn mit Böllerſchüſſen flößt man feiner
Nation, nicht einmal einer Bande Wilder, Reſpect ein.
Leider, Leider! ſeufzte Ferdinand. Diefe unbeitreitbare That⸗
fache tft der ewige Hemmſchuh aller Thatkraft.
Dennoch febe Ih große Hoffnungen auf die Zukunft, fuhr
Eduard fort, und zwar deshalb, weil wir aus einer Epoche des
Träumens und des mafchinenartigen Handelns nach alten und ver⸗
alteten Grundſätzen in das Zeitalter der Erfindungen getreten find,
welche die vor und Lebenden nicht kannten. Außer der Erfindung
bes Schteßpulvers und der Buchdruckerkunſt tft Feine Erfindung
berufen, größere Umgeftaltungen beroorzubringen, als die Erfindung
der Dampfmafchinen. Haben wir die Verwendbarkeit des Dampfes
erft völlig erkannt, feine Wirkung auf Hebel und Ventile ermittelt,
dann fhlagen wir dem Gott der Winde ein Schnippehen und ent=
decken wohl auch noch eine neue Welt, wenigftens fuchen und fin=
ben wir der Gultur andere, . früher nie geahnte Strafen. Unb
wer mag behaupten, daß nit noch Größeres dem in die Natur -
geheimniſſe fich vertiefenden Geiſte gelingt? Jeder Naturforfcher
fHürft neue Stiber- und Goldgänge auf. Mit dem Grubenlicht
feines hell brennenden Geiſtes figt er vor Ort und ſchwingt das
Käuftel, deflen tönende Schläge wie Heil verfündendes Geläut von
Geiſterſtimmen dröhnen. Gelang es Franklin, der auch nur ein
fimpler Buchdruder war, den Blitz berabzuziehen aus den Wolfen
und ihn unfhädlih zu machen, wer kann wiflen, ob nicht fon
jest ein glücklicher Enfel geboren iſt, der mit dem Blitze ung fpte:
len lehrt; der den Feuerfunken der Luft, deſſen Naderzeugung
uns bereitö gelungen iſt, zum Sprechen bringt und der Menfchheit
im Ganzen und Großen wirklich den heiligen Geift fendet, der fie
reden läßt in allen Zungen und ihre Worte als geflügelter Bote
fortträgt über Länder und Meere?
Ferdinand lächelte. Der Bater bat doch wohl nicht ganz Un=
recht, verſetzte er, wenn er bisweilen meint, zu einem Kaufmanne
ſeiſt du etwas zu viel Philoſoph und ließeſt du deinen Gedanken
zu ſehr den Zügel ſchießen.
1311 —
Ich ähnele darin dem unglüdlihen Oheim, fagte Eduard
flienrungelnd. Gerade das iſt's, was mid fein Schickſal in dop⸗
pelt traurigem Lichte auffaflen läßt. Wie ftrebte, wie wirkte Augu⸗
ftin Hohenfels! Welche gewaltige Pläne wälzte er in feinem Geifte!
Wie wahr, wie prophetifh erhaben waren die Gedanken, mit denen
er fi trug und — o du mein Gott — mie wenig verftanden
ihn diejenigen, denen er fein Herz rüdfihtslos erſchloß! Höre nur
diefen einzigen Brief an feinen Vater, der, aller Wahrfcheinlichkeit
nach, Feine fehr freundlihe Aufnahme gefunden hat.
Eduard fuchte einen der geordnet vor ihm Tiegenden Briefe
älteren Datums hervor und las:
Brafilten tft, fo wett ih es jetzt kennen lernte, ein Land, das
einer verſtändigen Coloniſation unter weiſen Geſetzen die größten
Chancen bietet. Man klagt bei uns in Deutſchland über allzu
großen Zuwachs der Bevölkerung, über Entkräftung des Bodens,
über bedenkliche Vermehrung der Armuth. Iſt das Alles wahr,
ſo wäre es Pflicht der Menſchlichkeit, in Zeiten, ehe das Volk
ganz ausgemergelt iſt und mit der phyſiſchen Kraft auch die Spann⸗
kraft des Geiſtes verliert, dafür Sorge zu tragen, daß es anderswo
beſſeren Boden fände. Legt Colsonieen an! Alle andere Völker
eolonifiren, felbft das kleine Dänemark, das freilich Klein, in feiner
Kleinheit aber des ftarfen und zähen Rationalwillens wegen viel
ſtärker iſt als mander große Staat ohne Innere Ginigfeit, hat
Colonieen. Wollen die deutſchen Regierungen nichts davon wiflen,
gut, fo laßt uns alten Hanfeflädter wieder zufammentreten und
zufammenwirten. Wir haben baare Mittel, wir befigen Schiffe,
unfere Flagge vejpectirt jede Nation. An Grebit fehlt es eben-
falls nicht, und wenn wir Gefellihaften bilden, Capitalien zufam-
menſchießen, Ländereien faufen und Arbeitsträfte aus der Heimath
berbeiziehen; fo kann fih auf diefer fruchtbaren fonnigen Erde
binnen einem Bierteljahrhundert ein Träftiges, gefundheititrogendes
und wohlhabendes Deutichland entwideln, das fih Achtung ver-
ſchafft nah allen Seiten hin. Glaubt mir, die Zeit tft nicht fern,
wo eine neue Völkerwanderung von Oſt nad Welt beginnen wird
| g*
— 132 - —
und muß! Der große Ocean wird die Zahl der Schiffe nicht zählen
fönnen, welche vom alten Europa nad dem jungen Amerika ber-
überfommen, aber ih fürchte nur, die Mehrzahl wird an die falfche
Küfte verfchlagen. Auswanderung in Mafle wäre ein Unglüd,
Golonifation ein Segen. Und dann, wel ein Bortheil für unfere
Handelömetropofen tm Mutiterlande, befonders, wenn die Verſuche
mit den Dampfihiffen Erfolg haben! Ueberlege das doch, Vater,
befprich dies Thema mit befreundeten Männern, mit meinem Schwa⸗
ger. Es iſt ter Mühe wertb, fih um folhe Gedanken und Pläne
ein paar fchlaflofe Nächte zu machen. ,
An der That, das find Gedanken, die anregen müfjen und
wohl aud ein an gemüthlich behäbiges Hinleben gemwöhntes Ge—
müth verftiimmen können, fagte Ferdinand. Was uns die Mutter
som Großvater erzählt hat, fpricht allerdings für die Vermuthung,
daß er den Plänen feines unternehmenden Sohnes nicht Hold ge=
wefen fein fann. Der Vater wollte feinen Befit erhalten, ihn
geräufhlos, aber fiher mehren, der Sohn ‚erobernd eine fremde
Welt an fih reifen und fie mit deutſchem Blute bevölkern. Augu-
ftin erfaßte den großen Gedanken mit Enthuſiasmus, daß handel-
treibende Völker die eigentlihm von Gott berufenen Apoftel der
Cultur fein follten und müßten, wollten fie Ihre Weltmiffion wür-
big und ganz erfüllen. Ihm war in feiner eriten, hellaufflammen-
ben Jugendbegeifterung der Götterbote Mercur wirklich jener beflügelte
Jüngling, der im eiligem Laufe den mit Nektar gefüllten Labebecher
von der Tafel der fhmaufenden Götter nimmt, um ihn allen Völkern
zur Grquidung und geiſtigen Stärkung darzureihen. Auguftin wäre
unter den großen Kaufleuten der hochragende königlihe Mann ge—
worden, deſſen Winf und Ruf Alle gefolgt fein würden, hätte man
ihn verſtanden, rechtzeitig unterftügt und ihn nicht durch Anlegung
fhmerzender Feſſeln, von denen man ſich freilich wohlthätige Züge-
(ung verfprah, auf Abwege und in Extreme getrieben, in denen
er leider zu früh fih felbft verlieren und untergehen mußte.
Es iſt und bleibt ein tief beflagenswerthes Schidjal, fagte
Eduard, aber laß uns Hoffnung faflen und handeln. Unfer Ba:
—— 133 —
ter liebt auch Vorfiht und Berechnung als Kaufmann , aber fein
Blick tft weit, feine Gedanken find auf das Allgemeine, das
Große gerichtet. Gin Funke, in feine Seele geworfen, zündet,
wenn man ihm Zeit läßt zur Erholung. Er opponirt fi gegen die
Dampfihifffahrt und fpottet fogar der bis jeßt erzielten Erfolge,
aber er thut es im Grunde mit Widerftreben und weil es ihn
ärgert, daß man nicht fehon größere Refultate damit erreicht hat.
Sch Tonnte dies erſt neulich recht deutlich bemerken. Da über-
raſchte ich den Mater beim Studium eines Werkes über Ma-
ſchinenbau, und richtig war er befhäftigt, nad dem vor ihm lie—
genden Rip eines Dampfkeſſels fich genau von der Einrichtung
beffelben zu unterrichten und den Mechanismus, welder die Be-
wegung tes Schiffes bedingt, ſich Har zu mahen. Das thut fein
ftarrer Gegner einer neuen Erfindung, zu folden Studien ent:
fhltegt fih nur ein Mann, der den Werth: derfelben erkannt hat,
und dem Alles daran gelegen if, fie möglichit bald zum Heile
der Gefammtheit in größerer Vollkommenheit zu erbliden.
Laß uns jetzt vor Allem dahin fireben, nahm Ferdinand
wieder das Wort, daß wir den Vater bewegen, dem unglüdlichen
Oheim in Rio Mittel zulommen zu lafien, melde ihn in ben.
Stand ſetzen, fih aus ber Lethargie emporzuraffen, in die fein
Schickſal ihn hineingeſtoßen hat. Iſt es nicht ſchon zu fpät, fo
wird jchleunige Hilfe ihm neue Spannkraft geben, feinen Geiſt
wieder aufrichten. Wichtiger und von größerem Einfluß würde
es noch fein, Liege irgend eine Spur von feinem verichollenen
Sohne ſich entdeden. Dazu ift leider lange Zeit erforderlich, denn
wie ſoll man es anfangen, einem Menjhen nahzufpüren, von
bem man nichts weiter weiß, als daß er eben exiſtiren foll?
Eine undankbare Aufgabe, ſprach Eduard ſchwer aufathmend.
Dennoch müffen wir ung Mühe geben und uns rühren. Komm
jest und laß und dem Vater mittheilen, welche Gedanken bie
Lectüre dieſer Brieffchaften in ung gewedt hat. Ich glaube, er
wird nicht lange zaubern, vielmehr ſchon mit nächſter Poft Briefe
— 134 —
und Anwetfungen dem Hilfsbebürftigen, nur zu lange unjerer Fa⸗
milte Enteiffenen, fenden.
Das hoffe ih auch, meinte der Bruder, die Briefe zuſam⸗
menſchnürend. Eben fährt der Wagen vor, und da Hör’ ih ben
Schritt des Vaters.
Gleich darauf warb die Thür geöffnet und der eintretenbe
Hetdenfret fragte mit funtelndem Auge die Söhne, ob fie die
Lectüre beendet hätten? Auf erhaltene bejahende Antwort fagte
“er ruhig:
Superbe, dann fommt und laßt mich unterwegs Eure An-
fihyten hören.
Vierzehntes Kapitel.
Im Baumhauſe.
Es war ein trüber, kalter Herbſtabend. In den entblätter-
ten Bäumen rauſchte der Wind, der feit einigen Stunden ſcharf
aus Nordweſt wehte und von Stunde zu Stunde heftiger warb.
Die Wogen der Elbe gingen hoch und da fih die Fluth einftellte,
wanderte mander Kellerbewohner in der Nähe des Hafens nah
dem nächſten Sluthmeffer, um zu ſehen, ob man fi vorfehen und
bei Zeiten Anordnungen treffen müfle, damit etwaigen Beſchädi⸗
gungen durch ein Steigen der Fluth Über die Normalhöhe vor-
gebeugt würde.
Aus dem zu ebener Erde gelegenen geräumigen Gaftzimmer
bes Baumhauſes glänzten ſchon Tängft bie angezüindeten Lampen,
und von allen Seiten ftrömten in dem anlodenden Lokale abend
liche Säfte zufammen. Der mitten im Zimmer befinbliche gewal-
tige Eiſenofen ftrahlte eine gemüthliche Wärme aus und bie bei⸗
den in ber Mitte durch einen Wandausfchnitt in eins vereinigten
Zimmer boten durch die große Sauberkeit, bie überall bemerkbar
—— 135 —
war, in ber That einen recht angenehmen Aufenthaltsort. Die
großen, von Rauch etwas gefhwärzten Land» und Seekarten, bie
Gemälde fegelnder Schiffe, die zierlihe Flaggenkarte und ans
dere Gegenftände an den Wänden gewährten den in Menge hier
verfehrenden Gapitainen und Steuerleuten Unterhaltung und gaben
ihnen zugleih Gelegenheit, vorkommenden Falls etwaige getheilte
Anfihten und Meinungen über Dinge, welche für Seefahrer wid
tig find, zu berichtigen.
Heute Abend war die Gefellihaft im Baumbaufe beſonders
lebhaft und das Gefpräh ſehr aut. Die ſchon während ber
Börſenzeit eingetroffene Nachricht von über alles Erwarten glüd-
lich ausgefallenen Verſuchen eines neuen Dampfihiffes, das die
Amerikaner erbaut hatten und mit dem fie den Hudſon herauf in
unglaublih furzer Zeit gefahren waren, brachte eine förmliche
Bewegung hervor. Nicht Alle aber freuten fih des Fortſchrittes
der neuen Erfindung, denn auch unter dieſen Leuten gab es
manche ſtark egoiftifhe Natur, Die von der Anwendung der Dampf-
kraft auf Schiffe und non deren größerer Verbreitung arge Nach⸗
teile für die Segelihifffahrt befürchtete und fon im Geiſte Die
Berlufte überfchlug, die, jedem Einzelnen aus einer folden Um:
geftaltung im Schiffsweſen erwachſen würden. Daß aud bei der
Erweiterung ber Dampfihifffahrt Schiffscapitatne nicht zu entbeh-
ren ſeien, daran dachte mander Einzelne in der erften gewalti-
gen Aufregung nicht. Nur etwa drei bis Hier der verfammelten
Männer, die theils rauchend truppweiſe im geräumigen Zimmer
fanden, theils an den Tifhen bei Wein und Grog fich gütlic
thaten, theils auch mit Billardfptel fih die Zeit vertrieben, nah
men feinen Theil an dem immer lebhafter werdenden Geſpräche.
Mit auffallend ruhiger Micne hörte namentlih ein ſchon ältlicher
Mann mit ſtarkem grauen Haar dem Gefprähe zu. Gr hatte
neben der vergolbeten Büſte des lorbeergekrönten Feldmarſchalls
Blücher Platz genommen, ſchlürfte bedächtig fein Glas Arracgrog
und rauchte dazu eine dunkelbraune lange Thonpfeife, indem er
den bläulichen Rauch des trefflihen Knaſters mit großer Virtuo⸗
— 134 —
und Anwetfungen dem Hilfsbebürftigen, nur zu lange unjerer Fa⸗
milte Entriffenen, fenden.
Das hoffe ih auch, meinte der Bruder, bie Briefe zufam-
menſchnürend. Eben fährt der Wagen vor, und da Hör ih den
Schritt des Baters.
Gleich darauf ward die Thür geöffnet und ber eintretenbe
Heidenfrei fragte mit funtelndem Auge die Söhne, ob fie bie
Lectüre beendet hätten? Auf erhaltene bejabende Antwort fagte
er ruhig: |
Superbe, dann kommt und laßt mich unterwegs Eure An⸗
fihten Hören.
Vierzehntes Kapitel.
Im Baumhauſe.
Es war ein trüber, kalter Herbſtabend. In den entblätter-
ten Bäumen rauſchte der Wind, der feit einigen Stunden ſcharf
aus Nordweft wehte und von Stunde zu Stunde heftiger warb.
Die Wogen der Elbe gingen hoch und da fih die Fluth einftellte,
wanderte mander Sellerbewohner in der Nähe des Hafens nad)
dem nächſten Sluthmefler, um zu ſehen, ob man fih vorſehen und
bei Zeiten Anordnungen treffen müffe, damit etwaigen Beſchädi—
gungen durch ein Steigen der Zluth Über die Normalhöhe vor-
gebeugt würde.
Aus dem zu ebener Erde gelegenen geräumigen Gaftzimmer
des Baumhaufes glänzten ſchon Längft die angezüindeten Lampen,
und von allen Seiten ftrömten tn dem anlockenden Lokale abend-
fihe Gäfte zufammen. Der mitten im Zimmer befindliche gewal⸗
tige Eifenofen ftrahlte eine gemüthlihe Wärme aus und hie bei⸗
ben in der Mitte durch einen Wandausſchnitt in eins vereinigten
Zimmer boten durch die große Sauberkeit, bie überall bemerkbar
— 135 —
war, in ber That einen vecht angenehmen Aufenthaltsort. Die
großen, von Raud etwas gefhwärzten Land» und Seekarten, bie
Gemälde fegelnder Schiffe, die zierlihe Flaggenkarte und ans
dere Gegenftände an den Wänden gewährten ben in Menge bier
verfehrenden Gapitainen und Steuerleuten Unterhaltung und gaben
ihnen zugleich Gelegenheit, vorkommenden Falls etwaige getheilte
Anfichten und Meinungen Über Dinge, welche für Seefahrer wid
tig find, zu berichtigen.
Heute Abend war die Gelellihaft im Baumhauſe befonders
lebhaft und das Gejpräh fehr laut. Die fehon während ber
Börfenzeit eingetroffene Nachricht von über alles Erwarten glüd«
lich ausgefallenen Verfuchen eines neuen Dampfidiffes, das bie
Amerikaner erbaut hatten und mit dem fie den Hubfon herauf in
unglaublih furzer Zeit gefahren waren, brachte eine fürmliche
Bewegung hervor. Nicht Alle aber freuten ſich des Fortichrittes
der neuen Grfindung, denn auch unter dieſen Leuten gab es
manche ſtark egoiftifche Natur, die von der Anwendung der Dampf:
fraft auf Schiffe und von deren größerer Verbreitung arge Nach—
thetle für die Segelſchifffahrt befürdtete und ſchon im Geifte die
Berlufte überſchlug, Die, jedem Ginzelnen aus einer folden Um—
geftaltung im Schiffsweſen erwachſen würden. Daß auch bet der
Erweiterung der Dampfihifffahrt Schiffscapitatne nicht zu entbeh-
ten feten, daran dachte mander Ginzelne in der erſten gewalti-
gen Aufregung nit. Rur etwa drei bis vier der verfammelten
Männer, die theild rauchend truppweife im geräumigen Zimmer
ftanden, theils an ben Tifhen bei Wein und Grog fih gütlic
thaten, theild auch mit Billarbfpiel fih Die Zeit vertrieben, nah
men feinen Theil an dem immer lebhafter werdenden Gefpräde.
Mit auffallend ruhiger Miene hörte namentlih ein ſchon Altlicher
Mann mit ſtarkem grauen Haar dem Geſpräche zu. Gr hatte
neben der vergoldeten Büſte bes lorbeergekrönten Feldmarſchalls
Blücher Plap genommen, fhlürfte bebädtig fein Glas Arracgrog
und rauchte dazu eine bunkelbraune. lange Thonpfeife, indem er
den bläulichen Rauch des trefflihen Knafters mit großer Virtuo⸗
— 136 —
ſität in einer langen Kette zierlicher Ringe bald rechts, bald links,
bald gerade vor ſich Hin in die Luft blies. Nur wenn ein flar-
fer Windftoß am Fenſter rüttelte und die immer höher fletgende
Fluthwelle raufhend gegen die Pfeiler ſchlug, auf denen das
Baumhaus ruht, warf er phlegmatiih einen langen Blick auf
die Elbe und die Schiffe, deren hohe, ſchlanke Maften jegt im
Minde des trüben Octoberabends ſchwankten.
Unfern des Ofens hatte es fih ein jüngerer Dann von flar-
fem Gliederbau eigenthümlich bequem gemadt. In halb Tiegender
Stellung fißend, hing fein rechtes Bein auf der Lehne eines da—
neben ftehenden Stuhles. Den Hut nad vorn gerüdt, befhäftigte
diefer fo unbequem wie möglich placirte Mann fi eifrigft mit
dem Zerichnigeln eines Eleinen Stückchen Holzes, alles Andere, wie
es fhien, über diejer wichtigen Arbeit vergeflend. Ein Dritter
nahm die Ede des Zimmers ein und fhlief. Seinem flarf gerö-
theten Gefihte fah man es an, daß er über Tafel dem Weine
wohl mit etwas zu großer Ausdauer zugefprohen haben mochte,
Zwei der lebhafteſten jungen Männer, die ſchon geraume Zeit
das Geſprächsthema ungewöhnlih laut werden ließ, gingen dabei
auf und ab im Zimmer und famen jegt in das Bereich des Ringe
blafenden ftillen Rauchers. |
Dan Tolten fol fein Urtbeil fällen, fprah der Eine, ein
hoher, blonder Mann zu feinem breitfhultrigen, brünetten Gegner.
‚Was haltet Ihr davon, Sapttain Ban Tolten? Wird ein Dampf-
ſchiff, wenn's aud noch fo gut gebaut ifl, gegen Wind und Fluth
zugleih anlaufen können? Ihr feid doc ein alter Seewolf, Habt
viele Reifen gemacht, manchen Orkan überflanden und wißt alfo,
was es heißt, wenn eine wüthende See bricht. Heraus alſo mit
Eurer Anſicht!
Dan Tolten hatte aufgehört zu rauchen, den jungen Mann,
ber fich fo vertrauensvoll an Ihn wandte, ruhig mit gleichgiltigen
Augen angefehen, und hob jeßt, als der Fragende erwartungspoll
ſchwieg, die Pfeife wieder zum Munde, um eben fo ruhig weiter
zu rauchen, Leider war fie ausgegangen. Dan Tolten nahm einen
%
— 1317 —
Schluck aus dem neben ihm flehenden Glafe, fhlug das Auge
nochmals zu dem jungen Gapitain auf und rief dann mit wun⸗
dervollem Phlegma :
Sohann, een Blammetje! Hierauf gab er fein Urtheil mit
dem einzigen Worte: Abwarten, Mynheer.
Verdammtes holländiſches Phlegma! murmelte der junge Ca—
pitain, mit ſeinem lächelnden Gegner ſich entfernend. Bisweilen
kann es einen zum Verzweiflen bringen, obwohl man zugeben muß,
daß es auch ſeine guten Seiten hat. Ich glaube, wenn der alte
Holländer ſein Schiff mit Mann und Maus verſinken ſähe, ohne
retten zu können, es würde ihn nicht mehr anfechten, als jetzt
meine Frage, und feinen Rufe een Vlammetje! ließ er gewiß un⸗
mittelbar darauf nicht weniger ruhig vernehmen.
Bei alledem ift er ein fehr tüchtiger Seemann, verjeßte der
Brünette, ein Holländer von jener ächten Sorte, aus denen man,
wenn es jein muß, de Rhuyter's macht. Vor etwa fünfzehn oder
jechszehn Jahren verdankt der Nheder, für den Ban Tolten noch
heute fährt, der Unerfchrodenheit und dem nie wantenden Gleich—
muthe dieſes entfchloffenen, äußerlich gefrorenen Mannes die Ret—
tung jeiner ganzen Mannfchaft bei der Strandung des Schiffes
vor dem Texel. Gin Anderer hätte in gleicher Lage vieleicht kaum
die Hälfte an's Land gebracht.
Nun, das tft brav, indeß Andere verfiehen es auch, Kopf
und Hände zu gleiher Zeit zu brauden, ermwiderte der Blonde.
Sch denke, du felber, Ohlſen, haft e8 bewiefen. -
Sprich nicht von diefer gefahrlofen Aufnahme einer Anzahl
Schiffbrüchiger, jagte beſchwichtigend der Kapitain ber Bart „Marie
Elijabeth”. Es war höchſtens eine Jolle dabei zu riskiren. Aber
um wieder auf unjern Gegenftand zu kommen, über den wir ung
übrigeng nicht erzürnen wollen, weißt du auch fchon, daß die heutige
Rachricht für unfern Play nicht wirkungslos bleiben wird?! Mein
Rheder, Peter Thomas Heidenfrei und einige der bedeutendften
Gapitaliften, die fih bisher am Liebften blos mir discontiven be⸗
ihäftigten, find entfehloffen, auf eigene Koften ein paar Seedampf-
— 138 —
fhiffe bauen zu laſſen. Wer weiß, ob wir Beide niht am Ende
no das Vergnügen Haben, die erftien Meerfahrten damit zu ver-
fuhen? Dann wird unfere jepige Streitfeage fih unwiderleglich
durch die Praxis entfcheiden laſſen. |
Der Blonde wollte fih damit noch nicht zufrieden geben,
Ohlſen aber: Tieß fich nicht weiter auf eine Widerlegung feiner
Einwürfe ein, fondern brach das Geſpräch mit der Querfrage ab:
Darüber, Freund, ftehe ih ein andermal Rebe, jetzt fage mir lieber,
ob der nette Junge, von dem bu mir in New-Orleans erzählteſt,
wirklich als Matrofe mit dir hieher gefahren tft?
Melden meinft du? Do nicht den Miguel?.
Ich glaube, fo hieß er — ja, ganz recht.
Ih nahm ihn als Meberzäfligen und Freiwilligen mit. Ge⸗
beuert wollte er nicht fein.
Nicht geheuert? wiederholte Ohlſen. Aber weshalb denn nicht?
Verfteht er nichts vom Seewefen ?
Doch, er iſt tüchtig, tüchtiger vielleicht, als mancher, der als
Vollmatroſe dient, aber ed hat mit dem Jungen eine eigene Bewandt«
niß. Bisweilen beſchlich mid der Gedanke, er fet nicht, was er
feine, dann glaubte ich wieder, er würde, einmal hier angelom-
men, feine Maske abwerfen, mir fagen, was er wolle, weshalb er
biefe weite Reife unternommen habe und wie er fi wirklich nenne,
zuweilen aber beforgte ich au, er gehe nicht freiwillig, fondern
gezwungen mit, und nur, um biefen Zwang nicht merken zu laflen,
fielle er fi, als liebe er das Meer und werde von einer unmwi-
derftehlichen Leidenſchaft zum Seedienſt fortgerifien. Seit ich hier
bin, urtheile ich allerdings anders.
Ohlſen nahm feinen Sreund am Arm und führte ihn aus
dem Gebränge ber Uebrigen in das weniger gefüllte Billarbzimmer,
wo nur drei Spieltiihe arrangirt waren und der Spieler warteten.
Dem ſchnißelnden Stummen den Rüden zukehrend, nahmen beide
Gaptiaine Play an der Wand, welche den großen Raum in zwei
Hälften trennt. | | |
Wäre es nicht möglih, Claus, ſprach der Sylter, den wahren
— 139 —
Namen biefes jungen Mannes zu erfahren? Es liegt mir daran,
zu wiflen, wie er heißt, wer feine Aeltern find oder waren, wo er
geboren tft, was er in frühefter Jugend getrieben hat und auf
welche Weiſe er zu bir aufs Schiff und zwar in biefer Begleitung
aufs Schiff gekommen iſt?
Mit Don Gomez und feinem närrifhen Diener, meinft du ?-
Ganz recht, juſt mit dieſen beiden Menſchen.
Und das intereffirt dich fo fehr?
Außerordentlih, lieber Klaus, denn ich fürdte, es hat eine
arge Spigbüberet zwijchen diejen drei Perfonen flattgefunden.
Bei diefen Worten z0g der Schnigelnde fein Bein von der
Stuhllehne, rüdte den zu weit nad vorn gefallenen Hut in den
Nacken und fegte fih aufrecht, die linke Schulter gegen die Wand
lehnend, Hinter welcher die beiden Freunde das anziehende Geſpräch
führten. An den Gefihtözlgen bes Schnigelnden fah man, daß er
aufmerkfam auf jedes Wort der Sprechenden horchte, dabet fehnikelte
er jedoch ununterbrochen fo eifrig fort, als müfle er fi mit diefer
nuglofen Spielerei das Brod verdienen.
Mas berechtigt dich zu diefer Vermuthung?
Nichts, wenn du willft, und doch aud wieder fehr viel. Haft
du nie gehört oder gelefen, daß man Jemand feinen ehrlichen
Namen geftohlen und den fo ſchmachvoll Beſtohlenen dadurch in
das tiefſte Elend, in Armuth, ja Sclaverei geftürzt hat?
Aehnliche Schurkereien find wohl vorgefommen, unfere Zeit
aber, dünkt mid, ift zu aufgellärt, Die Menfchen. find zu gebildet und
die Augen der Gerechtigkeit zu wachſam, als daß derartige Der-
brechen ungeftraft jeht noch begangen werben Fönnten.
Ohlfen zudte die Achſeln. Verbrechen find immer, auch un-
ter ben beften Geſetzen möglich, fagte er, und mi plagt ſchon feit
einigen Tagen eine ſchliume Ahnung. Uns Infelfrtefen hängt —
du weißt es — immer ein Stückchen Aberglauben an, das und.
bie Mütter fhon in die Wiege legen. Ganz wirb es aud ber
Vorurtheilsfreifte niemals los, und fo fehleppe auch ich einen Reſt
dieſes altfriefichen Gigenthums, oft zu meiner eigenen Qual, mit
— 140 —
mir herum. Die Vermuthung, die ich eben geäußert habe, würde
mir niemals in den Sinn gekommen ſein, hätte nicht der Zufall
bereitwillig die Rolle eines Vermittlers übernommen. Der Rheder
Heidenfrei wünſchte mich dieſer Tage zu ſprechen, um mir verſchie—
dene Mittheilungen zu machen, Erkundigungen über die Verhält-
niſſe und die Volksſtimmung in der neuen Welt, namentlich im
braſilianiſchen Staat einzuziehen; denn er geht, wie ich aus Allem
entnehmen konnte, ſtark damit um, dort neuerdings große Ländereien
anzukaufen und eine deutſche Colonie oder ſo etwas anzulegen.
Na, iſt ſeine Sache und geht mich nichts an. Nachdem ich ihm
Auskunft gegeben hatte, ſah er mich plötzlich mit feinen merkwür—
dig großen Augen fharf an und fragte mit einer Beſtimmtheit,
als ſei er Jahrelang irgendwo Verhörrichter geweſen:
Capitain Ohlſen, tft Ihnen ein junger Matroſe, Namens Mi-
guel befannt?
Unbefangen erwiderte ih den Blick des Rheders und fagte,
deiner Begegnung mich erinnernd, ebenſo unbefangen:
Bekannt nicht, Herr, aber ich weiß, daß von New-Orleang
aus ein Matroſe, der fih Miguel nannte, als Ueberzähliger, Dienite
auf einem hamburgifhen Schiffe entweder wirklich genommen bat
oder doch nehmen wollte,
Name ded Schiffes, fuhr Heidenfrei kurz fragend fort.
Ich nannte den von dir geführten Schooner. Der Rheder
fagte nichts, nur das Schiff und deſſen Eigenthümer notirte er fid.
Noch damit befhäftigt, brachte ein Lohnbedienter ein Billet. Hei—
denfrei erbrach es, überflog die Zeilen und entließ den Bedienten
mit der ſchnell gegebenen Antwort:
Superbe. Bitte mein Gompliment zu mahen und Sennor
Don Alonjo Gomez würde fehr angenehm fein.
Don Alonfo Gomez! wiederholte ih Halblaut und vor mir
ftehen jah th im Geiſte die Geftalt des abenteuernden Mexikaners,
bon deſſen Verlobung mit dem ſchönſten Mädchen New-Orleang
damals die Halbe Rouifiana ſprach, deſſen trübes Geſchick taufend
(höne Augen in der Hoffnung beweinten, fie alle würden fo viel
— 141 —
Kraft und Schmelz befigen, den tief Betrübten jetzt in ihre Zau«
berneße zu verloden.
Kennen fie Don Gomez, Gapitain Ohlfen? fragte Hetbenfrei
arglos.
Ein wenig.
Ein ſuperber Mann, ſagte er.
Schön, jung, einſchmeichelnd, reich und gefährlich, gab ich zur
Antwort.
Superber Geſellſchafter! Iſt gegenwärtig ſehr en vogue hier.
Wird in dieſer Saiſon ohne Frage die erſte Rolle ſpielen.
Das Gefiht des Schnitzelnden hatte ſich langſam immer weis
ter vorgefhoben und konnte jebt die beiden Männer in's Auge
faffen. Capitain Ohlſen fuhr in feiner Erzählung fort:
Ich erwiderte Feine Sylbe auf diefe Bemerkung, denn Don
Gomez ftand fo Leibhaftig vor meines Geiftes Augen, daß ih Mühe
hatte, feine fchattenhafte Gegenwart nicht für etwas mehr als bloße
Sinnentäufhung zu halten. Und wie ein Gefpenft der Rade
tauchte jest neben ihm der Matrofe Miguel auf, fo zornigen, vor:
wurfsvollen Blickes, fo zerbrochen und doc, wieder jugendlich troßig,
dag ich unmöglich zweifeln konnte, es müſſe zwifchen diefen beiden
jungen Männern etwas vorgefallen fein, das fie in unverſöhnliche
Feinde verwandelt habe. Ich weiß nicht, wie es kam, aber ih
fonnte mic) des Gedankens nicht erwehren, daß eine unheimliche,
in Naht gehüllte Frevelthat Beide trenne und doch wieder ver-
fnüpfe. Und wie es und Nordfriefen in fo erregter Stimmung
häufig zu gefchehen pflegt, es knüpfte fih an dieſen unwillkürlichen
Gedanken Vergangenes und Zukünftige. Ein Meer, eine Welt
von Nebelbildern ftürmte chaotiſch vorüber vor meinem träumeri-
fhen Auge und überall ftanden als ſtarre, erbitterte Kämpfer der
Merifaner und der finftere Miguel einander gegenüber, bis unter
rollendem Gewölt, Sturmgebraus und frudelndem Wogengezifch
Alles in Naht und Graus vor mir verfant. Ich mußte mid im
Anſchauen biefes Gefichtes — meine Landsleute nennen es „Vor—
ſpuk“ — wohl etwas verändert haben, denn Heidenfrei fragte theil-
— 142 —
nebmend, ob mir unwohl fei? Von jener Stunde an befinde ich
mich in einer feltfamen Unruhe, und da ich zufällig in Erfahrung
gebracht habe, daß au dem Rheder daran gelegen tft, zu ermit-
‚teln, wo diefer Miguel ſich aufhält, wer ber junge Mann eigent»
ih fein mag, Habe ich nicht Ruhe noch Raft, bis ih ihm begeg-
nen werde.
Dazu kann Rath werben, verfeßte Claus, zuvor jedoch möchte
ich wiſſen, welche Gründe dich bewegen, ein fo befonderes Augen»
merk dem uns Beiden jedenfalls ganz unbekannten und gleichgilti-
gen Menſchen zu ſchenken. |
Mir tft ber Aermſte nicht gleichgiltig, erwiderte Gapitain
Ohlſen, denn ich trage die fefte Meberzeugung in mir, er tft ein
Betrogener, ein ſchwer Beleibigter. Don Gomez hat ihm Vermö⸗
gen und Ehre geftohlen.
Don Gomez ?
Sp vermuthe ih, und diefe Vermuthung wird, ich hoffe es,
dereinſt in eine unzweifelhafte Thatfache fi verwandeln.
Der Schnigelnde warf einen flechenden, giftigen Blick auf die
Sprechenden, zug fih zurüd und ließ feinen fchweren Körper mit
folder Gewalt wieder auf den Stuhl fallen, daß die Freunde ihr
Gefpräh abbrahen und aufltanden. Der Amerikaner hatte feine
frühere Lage wieder eingenommen, auch fein Fuß hing wieder auf
der Stubflehne, und als die Capitaine zurüdtraten in den größeren
Raum, mußten Beide glauben, die ſchnitzelnde Maſchine habe fein
Glied bewegt.
Im Borübergehen reichte Klaus feinem Freunde die Hand,
indem er ihm leiſe zuflüfterte: Mein Wort darauf, du folft Mi-
guel jehen und fprechen, wenn nicht morgen und übermorgen, doch
jedenfalls ſchon in den nächſten Tagen.
Der alte Holländer ſaß noch immer bei ſeinem dampfenden
Grog, von dem er eine unglaubliche Menge vertilgen konnte; auch
ſeiner Thonpfeife entſtiegen nach wie vor maleriſche Ketten fich
drehender Rauchringe.
— 143 —
Nun, wie ſteht's, Alter, ſprach Ohlfen, habt Ihr Euch jet
auf eine Antwort befonnen?
Dan Tolten ſah phlegmatifh auf, blies einen großen Rauch⸗
reif aus feinem Munde und fagte noch phlegmatifcher:
Hab’ mich befonnen.
Und wie lautet Eure Antwort?
Abwarten! — Een VBlammetje, Johann!
Der Gerufene reichte dem bequemen, trodenen Holländer den
verlangten Fidibus, und die Freunde verließen lachend den ſchweig⸗
famen Alten, der heute weniger noch als fonft aus feiner beſchau⸗
lichen Ruhe und feiner Wortkargheit herauszubringen war.
Fünfzehntes Kapitel.
—
Feltlihe VBorbereitungen.
In Heidenfrei's Haufe war ungewöhnlihe Bewegung. Tiſch⸗
lee, Maler, Xapezierer und andere Handwerksleute hatten alle
Hände voll zu thun, um die zu größeren Gefellfhaften beitimmten
Räume neu zu decoriren und im neueſten Pariſer Gefhmad herz
zuftellen. Heidenfrei wollte ein glänzendes Feſt geben und war
biesmal der eigentliche Urheber al der Anftalten, die bazu getrof»
fen wurden, und der großen Unruhe, unter welder das ganze
Haus litt. Er beging nämlich fein dreigigjähriges DVerlobungsfeft
mit feiner würdigen Gattin, ein Felt, das zugleih auf den Ges
burtstag Margaretha’s fiel. Seinem Wunſche und ausdrücklichen
Befehle zufolge follte dieſes Greignig mit all dem Aufwande bes
gangen werden, ben er fih wohl bet einer ſolchen Veranlaflung
erlauben durfte, denn der Rame feines Haufes war in den letzten
dreißig Jahren ein hochachtbarer geworden, ein Glüd, das er zum
Theil der Wahl feiner Battin und den bedeutenden Mitteln, die
fie ihm zubrachte, mit zu verbanten hatte.
— 144 —
Der gefhäftsthätige Rheder befümmerte fih zum Grftaunen
ber Seinigen um jede Kleinigkeit. Er ſah des Tags mehrmals
nad, wie die arbeitenden Leute ihre Aufträge ausführten, er be—
ftimmte die Zahl der Einladungen, die erlaffen werden follten, er
vergaß auch nicht Küche und Keller, und traf rechtzeitig Anftalten,
um das Seltenfte, Feinſte und Koftbarfte fr beide herbeizufhaffen.
- Denn bet dieſem großartigen Familienfeſte wollte er den überra-
fhenden Glanz eines wahrhaft Föniglihen Kaufmannes entfalten.
Nur das Comptoir ward von ber im ganzen übrigen Hauſe
herrfchenden Geſchäftigkeit und Unruhe nicht berührt. Hier ging
Alles in gewohnter Weife einen Tag wie alle, und hatten auch
die jüngeren Leute, die, wie fie vermutheten, Augenzeugen und
Mitgentepende des zu erwartenden Feſtes fein würden, Luft barüı-
ber zu fprehen, während der Arbeitsſtunden fand fih dazu burd-
aus weder Gelegenheit noch Zeit. XTreufreund allein Tonnte ver-
möge feiner Stellung fih erlauben, Hin und wieder ein Wort fallen
zu laflen, und er that es aud. Diesmal aber Elangen feine abrupt
" hingeworfenen Aeußerungen mißbilligend, was man bei dem „Schat-
ten“ nicht vermuthet hätte, weil er fonft Alles, was der von ihm
wirklich verehrte Prinzipal that, unbedingt guthieß. Er geftattete
fih fogar eines Tages, ald er verwundert breit ganz neue reich
vergoldete Pfetlertifche mit koſtbaren Marmorplatten hatte die Treppe’
hinaufihaffen fehen, gegen Anton die Aeußerung, der Herr Prin-
- zipal müffe den Werth des Geldes nicht mehr zu ſchätzen wiflen.
Er feinerjetts nenne das Verſchwendung und er müſſe befennen,
daß er tn folhem Aufwande eine leiſe Anwandlung von Störung
fonft bewundernswürdiger Geifteskräfte erblide, obwohl er niemals
perfönlihd werde. Nachdem er Ddiefe feine Herzensmeinung dem
fhalfhaften Gorrefpondenten im Vorübergehen — er machte fi
viermal hinter einander etwas auf der Diele zu thun — zuges
raunt hatte, nahm er feinen uralten Plab wieder ein und begann
mit einem wahren Enthufiasmus zu rechnen.
Ganz entgegengefekter Meinung waren bie Kinder Heidenfrei's
und deren intimere Bekannte. Unmittelbar nah dem Umzuge vom
—— 145 —
Lande in die Stadt begangen bie filferen Vorbereitungen zu dem
erwähnten Feſte. Die Kinder erbaten fih in fofern frete Hand
von dem Vater, als fie das Begehr an dieſen ſtellten, er möge
ihnen das Arrangement der geiftigen Feier, die neben ber mates
riellen und gewiffermaßen kaufmänniſchen nicht fehlen bürfe, ganz
allein überlaſſen.
Heibenfret erffärte fi mit biefer Vertheilung der Rollen, zu
Ehren des Haufes, wie er fagte, vollfommen einverflanden, und
Elifabeth, die Meine Poetifche, Konnte nun ungejtört fchalten und
walten, wählen und wieder verwerfen, bei dreißig Perfonen Rath
holen und deren Anfichten hören, und zur Beihaffung biefer gei-
fligen Feier engagiven, wer ihr irgend tauglich ſchien.
Ulrike unterftügte Die Freundin treulich in biefer ſchwierigen
Arbeit, die ſo unendlich Viel zu überlegen, zu berückſichtigen gab.
Auch die Brüder waren nicht müßig, nur fehlte es ihnen häufig
an Zeit, die vielen Vorſchläge und Auseinanderſetzungen der bei—
den ſtets in Aufregung lebenden Mädchen anzuhören, und dies
ſowohl wie Die zeitweilig ſich bemerkbar machende Zerſtreutheit der
Brüder gab oft zu Heinen Disputen und vorübergehendem Schmol-
len befonders der Schweiter Beranlaffung. Ste fam tn Verlegen
heit und fürdtete in kleinmüthigen Momenten, ihre geiftige Feier
werde aus Mangel an vorhandenen Kräften am Ende wohl gar
fich in Nichts auflöfen, oder fie könne traurig, dürftig, mithin IA-
cherlich ausfallen.
Eine in überrafchend originellen Einfällen höchſt glückliche
Perfon war Chriftine, die gleich nad der Rückkehr der Familie
Heidenfrei in die Stadt mit großer Zuvorkommenheit in dem Haufe
bes Rheders Aufnahme gefunden hatte. Chriſtine bekleidete nicht
eigentlich eine beftimmte Stelle im Haufe, fondern wurde überall,
wo fie verwendbar war, als Aushilfe benugt. Dies geſchah jedoch
mit fo vielem Takt, fo freundlich, ja freundfhaftlich, daf bie Toch⸗
ter des Quartiersmannes, an fo zarte Behandlung von Jugend auf
doch nicht gewöhnt, davon gerührt ward und mehr als zweite Ge-
D. 8. ZI. Willkomm's Rheder und Matrofe, | 10
— 146 —
ſellſchafterin, denn als Dienende faſt ununterbrochen in der Nähe
der Frau vom Hauſe ſich beſchäftigen mußte.
Eliſabeth und Ulrike gewannen die aufgeweckte, von Mutter:
witz überfprudelnde Chriftine ſchnell Iteb, und da vornehmlich Eli—
fabeth feine, körperlich mohlgebildete, auf ihr Aeußeres etwas hal-
tende Dienertnnen gern um fich hatte und Chriſtine dies Alles in
hohem Grade in fi vereinigte, fo erklärte die Kleine Poetifhe das
Mädchen fofort für ihren Liebling, und faßte fortan nur höchſt
felten einen Entſchluß, ohne zuvor neben Ulrike? auch Chriſtine's
Gutachten darüber einzuholen.
Nach langen Deliberationen unter den Gefhwiltern, Ulriken
und Chriftinen ward nun ein Programm entworfen, nah welchem
die getftige Keftfeter darin beftand, daß unter Anderm auch eine
dramatiſche Vorftellung gegeben werden follte, welde die Haupt:
momente aus dem Leben der eltern zu verherrlichen beftimmt
war. Als Acteure traten außer den beiden Brüdern und den drei
Mädchen — denn Chriftine fonnte man fchon Ihrer vortheilhaften
Figur wegen nicht entbehren. — aud noch einige jüngere Freunde
und Freundinnen des Heldenfrei’fhen Haufes auf. Nur fehlte es
noch am Beſten, nämlih an der Dramatifirung des guten Einfalle.
Indeß aud hier ward Rath gefhafft. Ferdinand zeigte ein ganz
letdliches Talent, einen Gedanken hübſch einzufleiden, auch Anton,
der mit in's Geheimniß gezogen ward, erfreute fih wigiger Ein-
fälle und befaß einige Routine im Verſemachen, wenn diefe auch
nicht fehr poetiſch geriethen. Diefe Beiden follten alfo einen
Brouillon entwerfen; dann wollte Eltfabeth, der man ben meliten
Taft zutraute, den Gorrector fpielen, und endlich wurde befchloffen,
das fo angefertigte Opus von allen Dreten nochmals begutachten
zu laffen und gemeinfhaftlih etwa nöthige Verbefferungen daran
vorzunehmen.
. Niemand war über dieſen köſtlichen Einfall mehr erfreut, als
Anton. Als Ferdinand ihm unter dem Stegel der größten Ver⸗
ſchwiegenheit von dem wichtigen Beſchluſſe des in Feſtangelegenhei—
ten berathenden Comitee's in Kenntniß feßte, ließ er die Feder
— 1417 —
fallen und machte einen ſchrecklichen Klecks auf den ſchön fiylifirten
Brief, den er eben fchrieb-
Teufel noch’ mal, rief er aus, wenn das derr Heidenfrei ſähe!
Thut nichts, ſagte Ferdinand, Sie werden Glück haben und
Glückliche machen.
Aber meine Reime ſind verteufelt ſchlecht, und was das
Schlimmſte iſt, Ih kann nur männlihe Reime finden. Die weib—
lichen Reime laufen in meinem Gedächtnig durch, wie Waſſer durch
ein Sieb.
Einerlei, lieber Anton, machen Ste immerzu Verſe mit männ⸗
lichen Reimen, meine Schweſter und ich wollen ſchon noch einige
andere mit weiblichen Endreimen dazu ſetzen.
Ah, Ihr Fräulein Schweſter! ſagte aufhorchend der junge
Correſpondent. Ja, da muß man fich doch angreifen, es mag
kommen wie es will.
Thun Sie es, Anton, und wie geſagt, Sie werden Glück
haben.
Damit ging Ferdinand wieder an ſeine Arbeit, Anton aber
zerriß den befleckten Briefbogen, zerſtampfte in einer Art poetiſcher
Raſerei die Feder, daß ſie in Splitter zerborſt, und rief ſich ſelbſt
pathetiſch, aber nur halblaut zu:
Alſo ſchon Haus- und Familienpoet geworden? Na man zu,
min Moder kann ſwemmen! |
Den Schluß der geiftigen Feier des Tages, welche muſikali⸗
ſche Aufführungen eröffnen jollten, machten. eine Reihe fogenannter
lebender Bilder, über die e8 ebenfalls Tagelang zu berathen gab.
Der größeren Mannichfaltigkeit wegen und um diefe Bilder raſch
auf einander folgen zu laflen, mußte man eine bedeutende Anzahl
Mitwirkender anwerben. Dies Geſchäft übernahmen ausſchließlich
die unermüdlichen beiden jungen Mädchen, die fo lange herum:
fuhren und Befuche bei nahen und fernen Bekannten abftatteten,
bis fie das erforberlihe Corps für die zu ſtellenden Bilder glüd-
lih beiſammen hatten.
Nun gab es wieder neue Sorgen, neue Mühen. Es fehlte
10*
— 148 —
an den nöthigen Coſtümen, denn man hatte vorzugsweife in die
Augen fallende Bilder, die reihe und glänzende Gewänder ver-
langten, im Sinne. Diefe, Garderobe von Trödlern oder DVermie-
thern derartiger Kleidungsſtücke zu entnehmen, widerftand Eftfabeth,
aud waren ihr diefe aus eitel Schein und werthlofen Flitter zu=
fammengefesten Gewandungen nicht vornehm genug. Es blieb alfo
nichts übrig, als ganz neue Goftüme anfertigen zu laffen. Dies
geihah denn auch, und damit man fi fpäter der’ Stoffe ander-
weitig wieder bedienen könne, zog man es vor, nur Achte, haltbare
Stoffe zu wählen und diefe von Sadhverfländigen im Haufe felbft
jedem einzelnen Mitwirkenden auf den Leib anpaflen und anfer=
tigen zu laffen. Die Mutter räumte zu diefem Behufe ihrer Tode
ter zwei befondere Zimmer ein, und hier, unter den Augen Eli⸗
ſabeth's und Ulrike's, die beibe im Verein mit der fehr fleißigen
und anftelligen Chriftine, nah Kräften thätig waren, entitanden
die prunkvollſten, reizenditen Goflüme. Die Mädchen waren ganz
felig, denn fie mußten fih fehon jegt unter vielen Umarmungen
und Küffen geſtehen, daß die Enthüllung der Tebenden Bilder der
Glanzpunkt des Feftes fein und alle Geladenen zu den raufchend-
ften Betfallsäußerungen fortreißen würde.
Unter diefen befand fih auch Don Alonfo Gomez. Der hei—
tere, talentvolle junge Mann Fam fett der Rückkehr der Familie
in die Stadt häufig in’d Haus und man fah ihn, was ihm nit
entgehen fonnte, gern. In der That war ed auch kaum anders
möglih, denn Don Gomez zeigte die einnehmendften Manieren,
war Jedermann gefällig, gegen Damen die Aufmerkſamkeit felbft
und zeichnete vor Allen Frau Heldenfrei aus, der er jederzeit etwas
Angenehmes oder Derbindliches zu fager wußte. Mitunter machte
er freilich auch einen Verſtoß gegen das deutſch Herfümmlice, der-
gleichen Verſtöße aber erhöhten eher noch das Intereſſe für ben
fhönen Fremdling, und was man einem Gingebornen höchlichſt
übel genommen, wohl gar für groben Mangel an Bildung und
Umgangsgewandtheit ausgelegt haben würde, fand man bei dem
naiven Sremblinge pifant, anziehend, Itebenswürbig, originell. Kurz,
149 —
Don Gomez wurde der erklärte Löwe der Saiſon, war anerfann-
termaßen der Liebling Aller und fpielte wirklich, wie Seibenfret,
der Aeltere, gegen Gapitain Ohlſen geäußert hatte, die hervorra=
gendſte Rolle in allen Gefellfhaften, wo er Zutritt hatte.
Ein Mann von folder Feinheit, von fo glücklichem Humor,
dabei fo jung, männlich ſchön und gewandt, durfte beim’ beab-
ſichtigten Feſte im Heldenfret’fhen Haufe nicht fehlen. Er ward
gleih Andern von dem Vorhaben unterrichtet und zuvörderſt um
feine Mitwirfung im mufitalifhen Theile der Unterhaltung ange—
ſprochen. Auch ohne die bittenden Lippen und die glänzenden
Augen der beiden jungen Damen, welche ihr Anliegen im Bei—
fein der Mutter dem Merifaner eröffneten, würbe biefer fih gern
bazu bereit erklärt haben. Es follte ihm aber noch ein weit bö-
herer Genuß zu Theil werden, deſſen Steigerung und Berlänge-
rung ganz in feine Willfür gelegt war. Da er nämlich mufici
ren, d. 5. die Zither oder Mandoline fptelen und Nattonallieder
feiner Heimath fingen follte, wußte der ſchlaue Herr es fo ein-
zurihten, daß die jungen Mädchen den Wunſch ausſprachen, fi
felbft eines dieſer merkwürdig feflelnden Lieder in fpanifcher
Sprache einzuüben. Denn Spaniſch follte um jeden Preis gefun-
gen werben, weil die vollen tönenden Worte diefer herrlichen
Sprache gar zu ſchön und doch aud wieder ein wenig fremdartig-
pifant Fangen.
Wer anders ald der bezaubernde Naturvirtuoſe konnte zu
dieſem Behufe Eliſabeth und Ulrike Unterricht ertheilen! Das Un—
terrichten, Probiren und Einüben erforderte cin häufigeres Kom—
men, und bald verging ſelten ein Tag, an dem Don Alonſo
Gomez nicht einige Stunden auf die angenehmſte Weiſe im Hauſe
des Rheders zubrachte.
Den Brüdern war dieſe Einbürgerung bes reichen Fremd⸗
lings nicht ganz angenehm, fie zu hindern ober zu bintertreiben
hatten fie aber feinen triftigen Grund. Denn nit nur hielt fi
Don Gomez fireng in den Gränzer eines mit Zuvorkommenheit
aufgenommenen Gaftes, er zeichnete auch weder Eliſabeth noch
EN
— 150 —
Ulrike in auffallender Weiſe aus. Er war nur höſlich, bienft-
fertig, ein vollendeter Cavalier. |
Dies gefiel, vielleicht auch regte fih in den Herzen beider
Mädchen der Wunfh, ein wenig mehr Eindruf auf Don Gomez
zu machen; denn es liegt nun einmal in der Natur des Weibes,
aud des von Kofetterie nicht berührten, von dem ftarfen Geſchlecht
Huldigungen zu empfangen, auögezeihnet zu werden. Obwohl
Beide ſich nicht darüber ausfprachen, begegneten fie fi einander
doch in ihren Gedanken, und gerade der gemeflene, feine Ton,
welchen der Merxifaner Eliſabeth und Ulrike gegenüber tn der na—
türlihften, ungezwungeniten Weiſe einhielt, veranlaßte diefe tm
allerdings nur einzelnen unbewadhten Momenten zu einer etwas
wärmeren Sprade. Don Gomez fühlte und wollte dies, es fiel
ihm aber nicht ein, fi es merfen zu laſſen. Noch war es für
ihn nicht Zeit, ein beitimmtes Verhältnig einzugehen, fi zu bin-
ben, die Schläge feines Herzens zu meiftern, feine genußbebürftige
Natur in Fefleln zu zwängen, die fie doch nur zu bald gewalt-
fam gefprengt haben würde.
Bei diefen Vorübungen für die Keftlichkeiten, die mit Ge-
ſprächen über die Anfertigung zweier ächt mertlanifher Goftüme
abmwechjelten und in denen Don Gomez das entjcheidendfte Wort
hatte, lernte er auch Ghriftine, die er früher einige Male ge-
fehen und der er auch nachgegangen war, näher kennen. Die
Tochter des Quartierdmannes erfannte den auffallenden Herrn auf
der Stelle wieder und erröthete bis in den Naden. Glüdlicher-
mweife war ihre Herrin gerade ganz vertieft in die Befichtigung
einiger Zeichnungen merikantfher und brafiltanifcher National⸗
anzüge, welche Don Gomez den Damen zur Auswahl vorgelegt
hatte, um diefe Veränderung an Chriftine zu bemerken. Bald
indeß rief fie ihr zu und forderte fie auf, aud ihr Urtheil ab-
zugeben. Chriftine hätte augenblicklich lieber damit zurüdgehalten,
aber Eliſabeth drängte fo ungeftüm, daß fie ſich entichließen
mußte. Ste zeigte alſo auf das Bild, welches ihr wirklich am
— 151 —
beſten gefiel. Es war die Abbildung eines ächt mexikaniſchen
Stutzers, maleriſch und phantaſtiſch, aber nicht geſchmacklos.
| Don Gomez, der fettwärts dem Prüfen und Wählen der
jungen Mädchen zuſah, Tächelte fein und ließ einen feiner bren-
nendften Blide auf Chriftine fallen.
Das Fräulein hat Recht, fprah er in feinem eigenthümlich
gebrochenen Deutih, das Allen gefiel, weil ed ungemein naiv,
und beitehend im Munde des Zremden Hang, es ift die reichſte
Tracht meiner Landsleute, nur wird fie zu dem Bilde, das wir
zu ftellen beabfihtigen, nicht paffen. Dafür müßte ich die Tracht
tes Gaucho vorfchlagen. | |
Er blätterte in dem mitgebrachten Bilderheft und zeigte ben
erflaunten Damen einen jener wilden Jäger der’ Savannen Süd- |
amertla’s, die auf fehnaubenden Roflen, den Laſſo ſchwingend,
durch die fonnigen Ebenen fchweifen, um hier die weidenden, wil-
ben Roſſe zu fangen. Alle drei riefen zugleich überrafcht aus:
Wie prächtig! Eine wahre Göttergeftalt !
Aber das Finnen wir ja nicht darftellen, warf bedauernb
Elifabeth ein. Erſtens tft uns das Roß Hinderlih, und fodann
tft das ja aud Fein Deritaner, alſo nit Ihr Landsmann,
Sennor?
Gewiſſermaßen doch, mein gnädiges Fräulein, erwiberte ber
Mertlaner. Als Abkömmlinge weiteuropätiher Eroberer und Ein-
wanderer halten fih Brafilianer, Merilaner und Xeraner für
Kinder eines Stammes, mithin für nächte Verwandte. Wir ha-
ben. ähnliche, fait gleiche Sprache, gleihe Sitten, und aud un-
fere Kleidung, unfere Neigungen und Leidenſchaften verrathen,
dag das Blut ein und derſelben Aeltern durch unſer Aller Adern
rollt.
Chriſtine ſah den fremden Cavalier, deſſen dunkles Antlik
bei dieſen Worten von ſchönem Stolz durchgeiſtigt ward, verſtohlen
an und konnte nicht umhin, ſich im Stillen zu geſtehen, daß es
unbedingt der ſchönſte, eleganteſte, beitehendfte Mann ſei, den
jemals ihre Augen erblidt hatten,
-
— 152 —
Wenn Ste meinen, fagte Elifabeth, der Ulrife einige bei-
fitmmende Worte zuflüfterte, fo bin ich wohl geneigt Hinfichtlich
des Geſchmacks mich unbedingt auf Ihre Seite zu ſchlagen. Nur
ein Bedenken bleibt mir dabei.
Das tft? fragte Don Gomez.
Es war die Rede davon, den Kampf eines merikantichen
Edlen mit einem Gingebornen barzuftellen in dem Augenblide,
wo bie Kämpfer gezwungen werben, ihren Kampf freimillig zu
endigen, indem das Erſcheinen eines blühenden Mädchens, der
Verlobten des Merikaners, fie entwaffnet.
So tif es, ſagte Don Gomez. Das hatt! ich ja ganz ver-
geffen. Indeß es fallt mir ein, daß die Stellung dieſes Bildes,
fol es Eindruck machen und nicht gegen den Geiſt der Nation
verfioßen, deren Sitten es entnommen tft, uns große Schwierig-
teiten bereiten dürfte. Diefe Kämpfe, wie die Kampfweife meiner
etwas barbariſch gearteten Landsleute haben nichts gemein mit
denen, die in Deutfchland oder überhaupt in Europa üblich find.
Schon die Stellung der Kämpfenden tft der großen Mustelipan=
nung wegen, bie fie erfordert, eine kaum zu Iöfende Aufgabe.
Wollte auch ich felbft gern eine Rolle dabei übernehmen, da ich
aus früheren Jahren noch einige Mebung darin befige, wo findet
fi) der Andere, der noch dazu den Ureinwohner darftellen fol?
Sie haben Recht, es geht nicht, fiel Eliſabeth fehr beitimmt
ein. Wir könnten uns lächerlih machen und das würde mir und
Allen den ganzen Abend und noch viele Tage hinterher verderben.
Laffen Ste ung etwas Anderes erfinnen.
Don Gomez meinte ja, der Gaucho fet leichter darftellbar,
bemerkte Ulrike. Eliſabeth blidte den Mexikaner fragend an.
Ich will durchaus den DVorfchlägen und Plänen der Damen
nicht vorgreifen, fagte Don Gomez ausweichend.
Sprechen Sie nur immer dreift aus, wie Sie's meinen und
was Ste denken, bat Eliſabeth. Etwas Südamerikaniſches, und
folt! es auch ein wenig exotifh, teopifh und urwalbartig ausfale
ken, möcht? ih gar zu gern bei den Bildern haben, |
, — 153 —
Sie erinnern ſich gewiß des Raubes der Sabinerinnen, fagte
Don Gomez, einer etwas außerhalb der Gefege civiliſirter Natio-
nen liegenden Heldenthat, die indeß gute Folgen hatte, denn fie
gab den Friegerifchen Bewohnern Rom's Die ihönften Frauen ber
Welt. Sagt man doch, daß jene gewaltfame Entführung der
fhönften Mädchen aus dem Lande der Sabiner ſelbſt dem heutigen
Rom noch den Ruf erhält, fo veih an ſchönen Frauen zu fein.
Etwas Achnlihes — fo fpriht die Sage — erlaubten die erobe=
rungsmuthigen Spanier fih in Mittelamerika. Das bis zur Ent-
deckung und ſpaniſchen Einwanderung unbefannte, von Fremden
nicht betretene Zand von Mexiko, war ebenfalls veih an ſchönen
rauen, die unter ungefünftelten Zufländen und unter der glüd«
lichſten Sonne aufgewachſen, mit ihrer natürlichen Grazie die Eu—
ropäer buchſtäblich bezauberten. Entführungen junger, ſchöner Ein=
geborenen kamen daher häufig vor, und ich meine, es ließe jih
eine ſolche Scene vet gut in einem lebenden Bilde veranjchauli=
hen, vorausgeſetzt, Daß deutſche Frauen nichts Anſtößiges darin
finden.
Margaretha, welche biefen Verhandlungen bisher ſcheinbar
theilnahmlos zugehört hatte, fand es jetzt gerathen, ein Wort drein
zu reden. Glijabetb fowohl wie Ulrike zeigten eine gewille Be—
fangenpheit, die eine Folge der heißen Blicke jein mochte, welche der
immer Iebhafter werdende Merikaner von der Einen zur Andern
jhweifen ließ. War es vielleicht Abfiht, Die jungen blühenden
Mädchen zu verwirren, oder wollte er ermitteln, welche, getrieben
von dem DBerlangen, ein glänzendes, neues und eigenthümlices
Bild mehr zu flellen, fih freiwillig anbieten würde, darin eine
Rolle zu übernehmen? Frau Margaretha gefiel Don Gomez zum
eriten Dale, feit er im Haufe ein und ausging, nicht ganz. Es
kam ihr vor, als fei er heute frivol, als Klinge feine Stimme
ſcharf, fpöttifh, herausfordernd. Darum hielt fie es an ber Zeit,
dem Geſpräche ein Ziel zu feßen.
Meiner Unfiht nah, fprah auf die lebte Bemerkung des
Mexikaners die würdige Matrone, iſt es zwechmäßiger, wir bewe—
— 154 —
gen uns bei Aufftellung ber beliebten Bilder in etwas engerem
Kreife. Was Ste da in Vorſchlag gebracht haben, mein junger
Freund, das mag höchſt originell und ganz -allerliebft anzufehen
fein, nur würden Viele nicht willen, was fie fähen, fände fi
nicht hinter einer Gardine irgendwo ein Erflärer., Das aber, mein
Iteber Gomez, will mir nicht gefallen. Für deutſche Zufhauer,
namentlich in Familienzirkeln, liegt der feinfte Reiz fich enthüflen-
ber lebender Bilder darin, daß Jeder in dem Dargeftellten etwas
Belanntes, etwas ihm Lieb und theuer Geworbenes erkennt, und
fi) durch die Art des Arrangements, durch den geiftigen Hauch,
der eine folde Gruppe befeelt, angenehm überrafht und fo recht
innerlih befriedigt fühlt, Nebenbei befhäftigt fi ein und das
andere fharfe Auge wohl auch mit den Perfönlichketten der Dar-
fteller, und findet eine angenehme Unterhaltung darin, Belannte,
Freunde, Verwandte aus der fremden Hülle herauszuerfennen. Ich
denke, wir laflen dieſe ohnehin fchwer barfiellbaren Scenen aus
dem Leben Ihres fchönen Vaterlandes ganz bei Seite. Sie haben
deshalb nicht meinen Beifall, weil die Mehrzahl fie nicht verftehen
würde. Wozu auch ſolche Räubergeſchichte! Davor kann ein
deutſches Frauenherz erſchrecken. Nein, Kinder, da wüßte ich etwas
Beſſeres.
O ſprich, beſte Mutter, was denn? fragte erregt Eliſabeth.
Wählt eine Reihe Bilder aus den Werken unſerer trefflichen
Dihter. Da könnt Ihr herrliche Gruppen zufammenftellen, die
Jeder verſteht, an denen Alle. fi erquiden. Nur laßt mir -alles
Mythologiſche, Alt: und Neuheidniſche aus dem Spiele!
Das iſt auch das Beſte, fagte Ulrike. Schiller, Goethe, Tied,
mein Gott, welche Auswahl! Wie konnten wir auch nicht felbft
darauf verfallen!
Margaretha lächelte Weil Ihr deutfhe Mädchen feld, ver⸗
feste fie. Wenn das Fremdländiſche durch's Fenſter blickt, vergißt
ber Deutſche leicht fein Liebites und Beſtes. Das iſt fo apart, fo
neu, fo ganz anders! Das muß man haben, denn es reizt und
—— 155
beftiht. Ob man fi etwas Gefährliches Damit in's ftille Haus '
gelodt hat, danach wird nicht gefragt.
Diefe lebte Aeußerung, obwohl fie von milder und ſcherzen—
der Lippe Fam, blieb doch nicht ohne Eindruck. Sie klang den
fröhlichen Kindern wie eine Warnung, ſich vorzuſehen, und Beide
betrachteten den verführeriſchen Mexikaner mit Blicken, in denen ein
Seelenkundiger hundert verſteckte Fragen leſen konnte.
Ueber das Geſicht Don Alonſo's lief der Schatten inneren
Mißbehagens, er war aber viel zu ſehr Weltmann, um ſich mer-
ten zu laſſen, dag ihm diefe Wendung nicht gefalle. |
Mit Vergnügen füge ih mid einem fo weifen Ausſpruche,
fagte er, fih verbindlich gegen Margaretha verbeugend. Da ich
leider noch fehr wenig heimiſch bin in der deutſchen Poeſie, bitte
id) die Damen, Über die zu wählenden Bilder unter ſich zu bera-
then. Jede Rolle, die Ihre Güte mir dabei zutheilen dürfte, werde
ih mit dem freundlichiten Danfe übernehmen.
Damit waren die Beratkungen gefehloffen. Don Gomez plau=
berte noch einige Zeit mit Margaretha, richtete dann einige Fragen
an Chriftine, die Fräulein Eliſabeth emfig zur Hand ging, une
gefellte fich fpäter zu Ulrike, welche in feiner Bildermappe blätterte
und fih nicht fatt fehen konnte an den phantaftifchen, fhimmernden
Coſtümen, die fie enthielt.
Wenn es Ihnen Freude macht, mein Fräulein, fagte Don
Gomez, fo möchte ih Ste bitten, dieſe Heine Sammlung als Ihr
Eigenthum zu betrachten. Ich befige deren nod mehrere.
Ulrike blickte ihn fragend und dankend zugleich an.
Sie fherzen, fpradh fir Wie dürfte ich cin fo werthvolles
Geſchenk annehmen!.
Weil fie ein offenes Auge für das Schöne haben und weil
es mir wohlthut, in ber Fremde bie Herrlichkeit meines Vaterlan⸗
des fo bewundert zu fehen. So oft Ihre Augen fi weiden an
ber Pracht diefer Coſtüme, an dem Farbenſchmelz diefer Landſchaf⸗
ten, werde ich die Genugthuung befigen, daß gleichzeitig wenigſtens
— 156 —
eine freundliche Erinnerung an den, der Ihnen dieſe kleine Freude
bereitete, in Ihrem Gedächtniß auflebt.
Ulrike vermochte nicht, ein ſo ſchönes, in ſo zart huldigender
Weiſe ihr angebotenes Geſchenk zurückzuweiſen. Sie empfing es
gerührt und dankerfüllt, aber nur ein langer tiefer Bid, welchen
Don Gomez begterig mit feinem Feuerauge auffing, und eine un
willfürlihe Bewegung des lieben Geſchenkes nad dem Herzen ver-
tiethen die tiefe, frohe Bewegung des jungen Mädchens und fpra=
hen deutlicher al8 Worte, wie hoch fie die Gabe und vielleicht
auch den Geber fchäkte.
Mit dem Verfprehen, am nächſten Tage eine Generalprobe
mit Eltfabeth und Ulrike halten zu wollen, empfahl ſich hierauf.
der Merilaner, um im Freien, von feinem Dritten beobachtet, dem
in ihm kochenden Grolle Worte zu leihen, die indeß ungehört im
fharfen Weſtwinde verhaflten. .
Sechszehntes Rapitel.
Das Felt.
Die Küftres brannten, die Säle waren geöffnet und von buf-
tendem Arom durchzogen. Gin ganzer Wald lebendiger Blumen,
unter denen fi Eoftbare erotiihe Gewächſe von feltener Schönheit
befanden, war. zu gefhmadooller Verzierung, ſowohl der Gejell-
fhaftszimmer wie der Gorridore und der breiten Doppeltreppe,
verwendet worden. . Teppiche bebedten die Treppenftufen und die
weite Diele, auf welcher Heidenfrei eine Anzahl Büften berühmter
beutfcher Gelehrten, Dieter und Componiſten hatte aufftellen Lafjen.
Selbft bis auf die Straße hinaus erftredten fich diefe Teppiche,
damit die zarte Zußbefleidung der zum Felt geladenen Damen
nicht die feuchten . Steine berühren durfte; denn das Wetter war
feineswegs angenehm. Es flürmte und vegnete und ber Himmel
— 1517 —
war fo dit mit grauen Wolken verhangen, wie man ihn gewöhn⸗
lih an Novembertagen im nörblihen Deutichland fieht. Troß dies
ſes unfreundlihen Wetters aber fammelte fi doch ein Trupp
Neugieriger an dem Hetdenfret’fhen Haufe, als eine Equipage nad
der andern heranrolite und aus fall allen gefhmüdte Damen tn
biißenden Kleidern, von Gdelfteinen und Blumen ſtrahlend, aus
fliegen, ‚und leichten Fußes die Stufen binaufhüpften nah der von
vielen gefchäftigen Dienern erfüllten Diele.
Don Alonfo Gomez verwandte heut Abend die größte Sorg-
falt auf feine Toilette, und als fie beendigt war, mußte er fid
mit Tächelndem Auge felbit geftehen, daß er Senfatton erregen und
viele fhöne Augen auf fih ziehen werde, Dies war aud fein
Wunſch, denn das gewöhnliche Alltagsleben In der großen reichen
Handelsftadt fing an, ihn wirklich zu ennuyiren, weil ihm die Leute
zu ernſthaft waren und felbit das Heitere, Scherzhafte, aud wo
fie ih ihm Hingaben, ernfthaft betrieben. Das war niht nad
dem Geſchmack des heifblütigen, die möglichſt größte Veränderung
lebenden Südamerifaners.
Heute jedoch, im Haufe feines Gönners Heidenfrei, verſprach
er fih Genuß und Zerſtreuung. Obwohl er feine Vorfchläge in
Bezug auf die Feſtfeier mannichfach Hatte modificiren müfjen, feiner
Gewandtheit gelang es dennoh, Einiges, woran ihm gerade am
meiften gelegen war, durchzuſetzen. So war e6 ihm denn aud
geglüdt, in mehreren Gruppen, melde die Gefellfhaft als „lebende
Bilder” unterhalten follten, eine Rolle fih zu fihern, und zwar
waren dies folche, wo er den vortheilhafteften Gebrauch von feinen
Naturgaben mahen konnte. Er hatte dabei das Vergnügen, drei—
mal als Liebender aufzutreten, und als folder, wenn auch nur
ftumm, drei verfchtedenen jungen Mädchen feine Liebe zu erklären,
oder doch, was man ihm ja nicht vermehren konnte, der einen oder
anderen durch feine Blide ahnen oder wohl auch verſtehen zu laſen,
was er für fie fühle.
Um gleid bet feinem Eintritt in die Gefellfhaft das Augen-
mer? Aller zu werben, beſchloß er, fo fpät wie möglich zu erjchel-
—— 158 —
nen. Vornehme und Hocgeftellte Perfonen laſſen warten. Ton
Gomez fteß nun nicht blos warten, weil er fih ebenfalls zu den
Dornehmen zählte, fondern weil er zu genau wußte, baß fein
Nichtkommen die ganze Familie Hetdenfret in eine fieberhafte Span=
nung verfeßen werde; denn gerade der mufikaltfche Theil der Feier,
in welchem der bevorzugte Fremdling am meilten zu glänzen hoffte,
war von ihm felbft fo geordnet, dag man ihn nicht beginnen laſſen
fonnte, bis es ihm beltebte, die Harrenden und Sehnenden dur
feinen E’ntritt zu beruhigen, wo nicht zu beglüden.
Als Don Gomez endlich glaubte, es fet fpät genug, rief er
feinen Diener, der thn bis an das Haus begleiten follte. Gin
Wagen harrte ſchon geraume Zeit des neufpantfhen Herrn und
nahm jegt die beiden Männer auf. Unterwegs entfpann ſich zwi«
hen diefen folgendes Geſpräch.
Ich darf alfo gewiß fein, daß du alle meine Befehle pünkt-
lich und buchſtäblich vollzogen haft? fragte Don Alonfo den Mus
latten. ’
Sie find vollzogen.
Und du bift fhmeigfam gewefen, wie das Grab?
Der Tod feldft kann nicht ſtummer, nicht kälter, nicht uner-
bittlicher” fein, verfeßte Mafter Papageno.
Schwöre, daß ed wahr tft, bier auf den Griff meines Dol-
ches. Bel der ewigen Barmherzigfeit der heifigften Madonna!
Es iſt nicht nöthig, Sennor.
Aber ih will es, well es mich fiherer, kaltblütiger, entfchloffe-
ner macht. Schwöre alfo!
Der Mulatte legte feine Rechte auf den im Zwielicht der
düfter brennenden Straßenlaternen unheimlich blikenden blauen
Stahl und fagte mürrifh: Ich ſchwöre, Sennor, daß ih Eure
Befehle pünktlih und buchſtäblich vollzogen habe, daß Niemand
etwas davon weiß und daß ich gefehmwiegen habe, wie das Grab.
Sp wahr Bott und die Heiligfte Madonna mir gnädig fein wollen
in meiner lebten Stunde! |
.
— 159 —
Es iſt gut, ſagte Don Gomez, ſichtlich zufriedener. Du wirſt
ſehen, daß ich erkenntlich bin.
In dieſem Augenblick hielt der Wagen, der Schlag ward
aufgeriſſen und Don Gomez ſchwang ſich leicht und elaſtiſch wie
der geübteſte Ballettänzer heraus. Als man ihn erkannte, rief
man ſofort feinen Namen, damit er den ungeduldig des ſpät kom⸗
menden Gaſtes Harrenden unverweilt gemeldet werde. Ein ftolzes,
zufriedenes Lächeln überglänzte einen Augenblid lang das Geficht
bes Merilaners, der fich innerlich freute, eine fo wichtige, fo un
entbebrlihe Berfon geworden zu fein.
Ein paar Minuten fpäter trat Don Gomez, von dem Hause
herrn freundlihft empfangen, in die Gefelihaft. Zu feiner größ-
ten Genugthuung bemerkte er fogleih, daß Alle, namentlich aber
die Damen, ihn fharf firirten. Sein verjpätetes Kommen fuchte
er in ber liebenswürdigſten, ungezwungenften Weiſe durch eine gut
erfundene Lüge zu enfhuldigen. Daß er die bereitwilligfte Ver⸗
zeihung fand, brauchen wir wohl faum anzuführen. Ä
Außer der bedeutenden Anzahl fremder Gäſte waren als
Theilnehmer zu diefem Familienfeſte auch fämmtliche im Comptoir
Befhäftigte geladen, die ſich pflichtſchuldigſt zur beſtimmten Stunde
eingefunden hatten. Der vedliche Treufreund fehlte natürlich nicht,
obwohl der flumpf und fteif gewordene alte Herr wenig Stan für
und noch weniger Genuß von fo großartigen Zeften hatte. Um
ficher zu geben und nicht etwa gegen die Etiquette zu verftoßen,
wagte er etwas an fid. Er beitellte ſich nämlich bei dem elegan-
teften Schneider einen ganzen Gefellfhaftsanzug neueften, alfo mo-
dernſten Schnittes. Diefen Anzug trug Treufreund Heute zum
erfien und, wir dürfen es nicht verfhweigen, aud zum legten
Male. Der wadere Mann mußte fi ſchmählich darüber ärgern,
weil er fi bes Gedankens nicht erwehren fonnte, er müfle darin
auf ein Haar einer Schwalbe ähnlich fehen. Sein Aerger ftieg
noch, als er zum Entjeßen feiner beiden, krankhaft gerötheten Aus
gen die Wahrnehmung machte, daß der Prinzipal nicht fo gene-
veufe wie er felbft geweien war, fondern, als könne und dürfe das
— 4160 —
gar nicht anders fein, in einem Frack erſchien, der im erſten Jahr-
zehnt des neunzehnten Jahrhunderts modern gemwefen fein mochte.
Dennoch fah Herr Heidenfrei mit feinem zarten, weißlichen Haar,
feinem fein geſchnittenen Geſichte, und in feiner Weiſe elegant ge»
fletdet, von allen Männern eigentlih am Bornehmften "aus, Seine
altmodifhe Tracht fiel Niemand auf, während der ehemalige Buch—
halter in feinem modernen Anzuge Dielen komiſch vorkam und
auch wirklich alsbald von einigen jüngeren Herren ſcharf beobachtet,
gemuftert, befrittelt, endlich belächelt wurde.
Zu Anton und den jüngeren Somptotriften im Beidenfrebfägen
Haufe gefellten fih auch deſſen Freunde Julius und Kurt, bie
beide in Häufern engagirt waren, welde in engiter Verbindung
mit dem Rheder ftanden. Außerdem gehörten beide alten geadj-
teten Familien an und verkehrten daher viel in den erften Zirkeln.
Noch vor der Ankunft des Mexikaners, ber biefen jungen
Männern fhon längſt Feine unbekannte Erfheinung mehr, wohl
aber teine beſonders gern gefehene war, hatte der übermüthige
Anton feine ebenfalls luſtigen Freunde In gewiſſe Heimlichkeiten
bes Haufes Heidenfrei eingeweiht und ſchließlich eine fo Tomtfche
Schilderung von dem „Schatten” entworfen, der leider heute ganz
verloren ging, daß es den Zuhöhern fchwer fiel, ernfthaft zu blei—
-ben. Anton winkte ihnen zu und fagte, fih eine Perle aus dem
in Form einer dreifachen Krone herumgereichten Backwerke brechend,
um es zu dem köſtlich duftenden Thee zu verfpelfen:
Die allerfhönfte Geſchichte kennt Ihr noch nicht. Ste ift ei—
gentlih ganz unbezahlbar und gemtiffermaßen, was man beffagen
muß, DVeranlaflung geworden, daß der fo Tenntnifreihe und in
feinem Bade tüchtige Dann fiben geblieben ift, die Welt fo gut
wie gar nicht Fennen gelernt hat und nun in Pedanterte, Char-
Iatanerte, blinder Nahahmung und unnübem Ratfonnement zu
Grunde geht.
Und das tft fpaßhaft? bemerkte Kurt ungläubig.
So fpaßhaft, daß Ihr Thränen lacht.
Kann man jederzeit brauchen, fagte Julius, Denn herzbaftes
— 161 —
Lachen fhärft den Appetit, und ih möchte mir heute ben Appe-
tit einer halben Compagnie wünſchen. Schlecht Tochen läßt der
Alte nicht, das hab’ th durch aM’ das Näucherfraut und den
Blumenduft doc herausgemittert. In diefer Hinficht thu' ich's Euch
einem Jagdhunde gleih. Meine vortrefflih organtfirte Nafe hat
eine Feinheit und Hebung im Entdeden delicater Gerüche, daß th
ordentlich ftolz darauf bin. Wäre ih niht Kaufmann, ich würde
als Virtuoſe in der Kunft zarte Odeurs zu ermitteln, Vorftellun-
gen geben und mir mein Brob ganz anfländig damit verdienen
können.
Hör' auf, ich bitte dich, ſagte Kurt, Wenn du anfängft,
deiner Phantaſie die Zügel ſchießen zu laſſen, dann geht ſie durch,
wie ein geſporntes ungeſchultes Roß.
Einerlei, meinte Julius, mich wird's doch amüſiren, wenn
wir erſt den muſikaliſchen, dramatiſchen und künſtleriſchen Kram
überſtanden haben. Bis dahin iſt die Tafel gedeckt, und man
weiß, wozu unfer Herrgott den Hunger erfunden hat. Ich fage
Euch, Lucullus mag theuer gegeflen haben, beſſer und ſchmackhafter
für Zungen, wie die Jetztzeit fie mit auf die Welt. bringt, bat er
nicht gefpeift, als wir heut? Abend an beines hohen Mäcen’s ge=
richtreicher Tafel. fpeifen werden. Doch jegt erzähle, du Mufter
eines wachſamen &orrefpondenten !
Anton Tieß fih nicht zum zweiten Male dazu auffordern.
Unfer Treufreund, begann er, flammt aus den Herzogthü—
mern, ich weiß aber nicht, aus welchem von beiden. Die Hands
lung erlernte er in Kopenhagen, von dort fam er nad Lübeck,
wo ihm während eines mehrjährigen Aufenthaltes die übergroße
Ehrbarkeit angeflogen fein mag. Endlich zog er in unfer Ham⸗
burg ein und fand ein bauerndes Engagement in dem geehrten
Haufe Peter Thomas Heidenfrei. Ihr werdet fagen, das fet ein
ganz gewöhnlicher, alle Tage im Jahre fi hundertmal wiederho- .
Iender Lebenslauf, und nicht im Geringften ſpaßhaft. Getroffen
von Eurem Witz beuge ich mich demüthig und gebe Euch Recht,
aber es kommt noch. Herr Heidenfrei hatte eines Tages unerfreu-
D. B. XI, Willtomm’s Rheder und Matrofe., 11
— — 16? —
liche Verwicklungen bekommen mit einem Kopenhagener Hauſe. Am
liebſten wäre er perſönlich nach Dänemark gegangen, um die Sache
abzuwickeln, allein dies erlaubte der Drang der Geſchäfte nicht.
Treufreund, damals noch jung, kräftig, geſchäftserfahren und zu—
verläſſig, erbot ſich, die ſchwierige Angelegenheit zu ordnen, wenn
Heidenfrei ihm Vollmacht geben wolle. Dieſes Anerbieten nahm
der Prinzipal an, Treufreund reiſte ab, verweilte einige Monate
in der däniſchen Hauptſtadt, ordnete Alles zum Beſten, vielleicht
günſtiger noch für ſeinen Auftraggeber, als es dieſem ſelbſt ge⸗
lungen ſein würde, und trat, froh des errungenen Vortheils, die
Rückreiſe an. Nach ununterbrochenem Fahren auf den damals noch
gänzlich grundloſen Wegen erreichte Treufreund des Nachts das
hamburgiſche Gebiet. Müde und halb ſchlafend wird er am Thore
um den Sperrſchilling angegangen und gleichzeitig nach Ramen und
Charakter gefragt. Gewiß wollte er dem Thorwächter impontren,
es kann aber au fein, daß er in dem titelreichen Dänemark, wo
jeder Kaufmann , wenn er die rechten Wege einzufchlagen weiß,
leicht Etatsrath werben kann, von dem Hochmuthsteufel angefterkt
worden war. Kurz und gut, er bictirt dem Thorſchreiber feinen
Namen in die Feder und gibt fi ben gloriofen Charakter eines
Königlich däniſchen Kaufmannddieners.
Anton mußte eine Paufe machen, denn feine bi dahin mit
komiſcher Ernfthaftigkett ihn anftarrenden Zuhörer wurden plößlich
bedenklich heiter, und Einige Eehrten fih um und ſuchten den ori=
ginellen alten Buchhalter mit den Augen.
Um Gotteswillen, mäßigt Euch! ermahnte fie Anton, fonft
laß’ ih Euch mit der halbgebratenen Taube laufen.
Ernfthafte Mienen und gemefjene Geftteulationen betheuerten
dem Erzähler, daß fie feiner Mahnung eingedent fein wollten.
Große Gelehrte, fuhr Anton fort, pflegen fih um bie fichere
Stelle eines Thorfhreibers nicht zu bewerben. Unſer Normal-
Thorfihreiber war wenigitend fein Gelehrter, eben fo wenig quälte
er fih unnüb mit Gedanken. Ich glaube, hätte fih Jemand als
König oder Kaifer von Orangoutanien am Thore gemeldet, er
— 163 —
würde dieſe Majeſtät ohne Bedenken als eine wirklich vorhandene
aufgezeichnet haben. Darum nahm er denn auch keinen Anſtoß
an dem Kaufmannsdiener im königl. dänifchen Groſſo-Geſchäft,
und fo hatte nun das gefammte Somptoirperfonal mit dem Prin-
zipal an der Spitze das unglaubliche Vergnügen, fhon am nächſten
Morgen im Bremdenzettel den wohlbeflallten würbigen Buchhalter
des Haufes Peter Thomas Heidenfrei zu einem fo phantaftifchen
Poften erhoben zu ſehen! Der Prinzipal mußte freilich Lächeln,
und nahm ben Scherz als Scherz, aber die jungen Leute — na,
Ihr könnt Euch denken, wie. diefe Herren den armen Buchhalter
mit feinem „föniglih * aufzogen! Zehn volle Jahre Hatte er zu
thun, zu kämpfen, zu bitten, zu ignoriren, um das verteufelte Prä-
dieat wieder los zu werden. Und auch da verihwand es nicht für
immer. Hatte Jemand eine Heine Malice auf Treufreund, gleid
warf er ihm den königl. Kaufmannspdiener an ben Kopf, um ihn
zu ärgern und wohl auch in ſchäumende Wuth gerathen zu fehen.
Erft als er leidend, hinfällig und fiumpf ward, und aus Grille
und Verehrung fih in den „Schatten” des Prinzipals verwandelte,
begrub man durch Conferenzbeſchluß den Töniglihen Kaufmanns
diener, und ich möchte Niemand rathen, den todten Popanz wieder
auferftehen zu laffen, will er nicht riskiren, innerhalb vier und
zwanzig Stunden feine Entlafjung aus dem Geſchäft ſchriftlich in
bie Hände zu befommen. In ſolchen Dingen verfteht der verehrte
Chef ganz und gar keinen Spaß.
Es war ein Glück, daß gerade bet Beendigung diefer Anton’-
fhen Eröffnungen der Bediente den Neuſpanier anmeldete, der ihm
auf dem Zufe folgte. Der längſt ſchon unzufriedene Treufreund
hatte nämlich inftinktartig herausgefühlt, daß Die Gruppe junger
Männer, welche fih in einer Ede des Saales feit zufammenhtelt,
wenn nicht über ihn allein, doc jedenfalls über beftimmte Perfön-
lichkeiten unnütze Gloſſen made. Langweilig fand er die ganze
Gefelfchaft, da er aus Mangel an häufigem Verkehr in fo großen
und eleganten Zirkein nicht wußte, was er beginnen, mit wem
er fi unterhalten follte. Es waren freilich verſchiedene, ihm näher
11*
— 164 —
Bekannte anweſend, diefe alle aber fanden über ihm, und fein
Reſpect vor dem unternehmenden, felbit dispontrenden, auf eigene
Rechnung und Gefahr fpeculirenden Kaufmann ließ es nit zu,
mit ſolchen zuerft ein Gefpräh anzufnüpfen. Die jüngeren Colle—
gen vermied er aus andern Gründen. Ihr Webermuth, ihre
Zuftigkeit, ihre auf ganz anderer Baſis erbaute Welt ſtieß den
pebantifch gewiſſenhaften Mann ab. Auch fürdtete er ihre Zunge
und vermuthete immer, er könne diefen Grünſchnäbeln zur Ziel-
fchetbe ihres beigenden Spottes dienen. Es blieb ihm demnach
nichts übrig, als zu den Frauen feine Zuflucht zu nehmen.
Wie aber das anfangen! Treufreund ſah fchleht und einer
Brille. fonnte und mochte er fich nicht bedienen, weil er keine feinen
Augen paflende fand. Nun firahlten und prunkten die Damen in
einem Putz einher, der es thm unendlich erfääwerte, aus dieſem
Schwarm durcheinander raufchender Effengeftalten, die indeß nicht
alle elfenhaft zart gebildet waren, feine Belannten herauszufuchen.
Der Geplagte ftand daher auch von diefem Verſuche ab, poſtirte
fihh neben eine auf elegantem Poſtament ftehende koſtbare Blumen-
vaſe und beobachtete die zifchelnde Gruppe der jungen Herren, in
deren Mitte fichtlich vergnügt Anton das große Wort führte. Eine
nicht mehr zu bewältigende innere Unruhe drängte ihn, dem Kreife
der Slüfternden fih unbemerkt zu nähern, was ihm au gelungen
fein. würde, Hätte das Erſcheinen des fpüten Gaftes nicht feinen
Plan gekreuzt. |
Ruhig, flüfterte Anton feinen Genoflen zu. Da fommt der
Schatten angehüpft! Das Ohr Hat ihm geflungen und nun will
er Nachfrage halten, ob diefes Klingen nicht von hier ausgegangen
fei und fih ihm auf geheimnißvollem, magnetiſchen Wege mitge-
theilt habe! Und da, Gott Lob, da haben wir ben fiegreihen Cä—
far aus Mexiko! Seht, wie ftolz er einherfchreitet, mit welch ritter-
licher Galanterie er die Prinzipalin begrüßt, wie göttlich er fich
Verzeihung und Gnade zu erläheln weiß und wie er an fünfzig
junge Lockenköpfe halbtoll macht! Das iſt dein Mann, Julius! Bet
dem mußt du in die Schule geben, da erfährft du, was bir jekt
— 165 —
noch mangelt, und wenn du binnen vier Wochen nicht fehsmal
wenigfiens Licheserflärungen ausgetaufcht haft, bift du nicht wert,
beim Handel ald Nebentunft das Lügen mit velernt zu haben.
"Che Julius auf diefe Bemerkungen etwas erwidern konnte,
trat Treufreund in den Kreis feiner jungen Collegen. Er ſchritt
oder ſchlürfte geradeswegs auf Anton zu, den er als den Meber-
legenften, ungeachtet der Scheu, die er vor dem jungen Manne
hatte, doch am meiften achtete.
Gefällt Ihnen der Ausländer, Herr Anton? fragte er. Er
wirft fih in die Bruft, als wolle er fagen: Verbeugt Euch fein
demüthig vor mir, denn ich habe die Gnade gehabt, Eure Gefell-
fhaft zu beſuchen. .
Stolz will ih den Spanier, erwiderte Anton pathetifh. Gr
fpielt heut, glaub’-ih, ein Stüdchen Romeo, ein Stüd Egmont
und fogar ein Stück Fauſt. Wollen Ste noch mehr, Herr Treu-
freund? Sie find ſelbſt Schuld daran, daß man Ste nicht mit be=
wundern kann. Warum haben Sie fi geweigert, „den trodenen
Schleicher“, den wiffensdurftigen berühmteften Famulus des berühm-
teften Doctor’s darzuftellen?
Ich werde mich wohl hüten, erwiderte mit Entrüflung der
‚ehemalige Buchhalter, einem Pfau die Federn ausfpreiten zu hel—
fen, damit er in noch ftrahlenderem Lichte prahlen und uns Alle
verdunkeln könne. Das überlaffe ich der eingebildeten Jugend,
lieber Herr Anton — ich werde nie perfönlid — mir älteren,
gewiegten Leute willen unferen, eigenen Werth auch ohne ſolchen
Firlefanz zu ſchätzen. |
Der Anſchlag eines Accordes auf dem Piano machte dieſer
Unterhaltung ein Ende. Jeder fuchte einen bequemen Plab zu
erobern, was bei der großen Menge der Anmefenden nicht ganz
leicht war und Dielen nicht gelang. Inzwiſchen orbneten fih Die
Muſikaliſchen, um die Gefelfhaft dur ihre Vorträge zu untere
halten.
Muſik läßt fih nicht befchreiben. Wer muſikaliſch genießen
will, muß Muſik hören. Es wird deshalb die Verfiherung genüs
— 166 —
gen, daß ſämmtliche nur von Dilettanten aufgeführten Vorträge
in ihrer Art ſelbſt muſikaliſch ſchwer zu Befriedigende entzückten.
Rauſchenden Beifall ärndteten Eliſabeth und Ulrike für ihre ſpa—
niſchen Lieder, die Don Gomez auf der Zither ſchmelzend und
meiſterhaft accompagnirte.
Nicht ſo glücklich fiel der dramatiſche Verſuch aus, obwohl
ihn die Geſellſchaft nachſichtsvoll beklatſchte. Es fehlte die Einheit,
ber innere geiftige Zufammenhang der heiter- gehaltenen dramatie
fhen Kleinigkeit, die aus dem Charakter? der Humoreske einige
Male in lyriſche Sentimentalität fich verirrte. Dies ging ganz
natürlich zu. Anton hatte nämlih mit leidlichem Geſchick feine
Verſe. mit männlihen Reimen niedergefchrieben. Um diefe Ein-
tönigfeit zu verwifchen, drechſelten Ferdinand und Eliſabeth einige
in weiblichen NReimen ausgehende Verſe dazu, die beim Lefen fid
ganz allerliebft ausnahmen, nur leider aller humoriſtiſchen Färbung
entbehrten, fonft aber zum Ganzen paßten. Bel gemeinfamer
Durdfiht und Meberarbeitung aller drei Poeten bemerkte Anton,
der einen gefunden kritiſchen Scharfblid befaß, dieſen bedenklichen
Fehler und erlaubte fih, auf das Gefährliche deſſelben bet der
Aufführung Hinzudeuten. Er fand aber merkwürdigerweiſe ungläu—
bige Zuhörer, und fo blieb das intereflante Produkt mit fehr ge=
ringen Veränderungen ganz, wie es war.
Ueber dies halbe Fiasco des dramatiſchen Spieles, das vor
einem ftreng richtenden Publikum unrettbar zu einem ganzen fi
gefteigert haben würde, triumphirte Treufreund. Schon während
der Aufführung ließ cr Bemerkungen feinen höhniſch lächelnden
Lippen entihlüpfen, die den Ohren des Autors nit angenehm
klingen Tonnten. Schade nur, daß der kritifirende „Schatten” Recht
hatte! Als nun aber der Vorhang des mit feinem Gefhmad auf-
geſchlagenen Fleinen Theaters flel, pridelte es den alten Herrn, fein
Müthchen zu kühlen. Er hing fih mit der freundlichften Miene
an Antons Arm und fagte lächelnd, wie ein Satyr, dem es ge=
Jungen ffl, eine badende Nymphe zu belaufen:
Das gute, alte, derbe, deutſche Sprihwort: Schuſier, bleib
—— 167 —
bei deinem Leiſten! hat man auf dem vornehmen Inſtitute, wo
Sie Ihre ausgezeichnete Bildung erhielten, wohl nicht gefannt?
Doc, verjegte Anton troden, der fehr wohl wußte, wo hin-
aus der verbiffene Treufreund wollte, doch, mein Verehrtefter, nur
wählte man es nicht zum Gegenjtande eines befondern Vortrages.
Es geſchieht Ihnen Redt, fagte der ehemalige Buchhalter, ganz
Recht gefhieht Ihnen. Warum ließen Ste fih durch Selbftüher-
ſchätzung verblendet, überreden, den Voeten in's Handwerk zu pfufchen ?
Anton zudte die Adfeln. Haben wir und blamirt, mein
Verehrteſter, verfeßte er, fo tragen wenigſtens drei zufammen an
diefer Blame. Cine fo getheilte Laſt, die noch dazu auf den zar«
ten Schultern einer Tiebenswürdigen, jungen Dame mit ruht, tft
immer füß. Ich zweifle indeß nicht, daß Sie weit befugter dazu
waren, ale ih, denn Sie haben ja in wirklicher poetifcher Begei—
fterung zwei Gedichte gemacht. |
Das war dem „Schatten” zu viel. Er fürdtete, der gereizte
Anton könne die Indiscretion fo weit treiben, daß er aud bie
Beranlaffung verrathen werde, die ihn zu dieſen poetifchen Verſu—
hen getrieben, und um dies zu verhindern, machte er ein gewaltig
grimmiges Geſicht, indem er fich tief verbeugte und mit den Worten;
Gehorfamer Diener, meine Herren von Geltern! ſich ſtolz
entfernte. Ä
Anton war weit entfernt, dem alten Diener des Haufes feine
freilih etwas unzarten Aeußerungen nadzutragen. Gr lächelte
gutmüthig und benußte die jeßt entitandene Pauſe, in welcher die
Damen wieder durcheinander raufchten, mit einigen diefer reizenden
Huldinnen ein Gefpräh anzufnüpfen. Zu feinem Xeidwefen hatte
Niemand Ruhe, auh war es zu voll, fo daß außer gäng und
gaben Gefellihaftsphrafen ein ordentliches Geſpräch über einen be=
fiimmten Gegenftand mit den flatterhaften Schönen nicht anzufpin-
nen war. Anton gab daher feine Bemühungen bald auf. Eben
wollte er fi) wieder zu feinen Gollegen verfügen, da gewahrte er
das feine, intelligente, roſig angehauchte Gefiht Eliſabeth's, die
mit fharfem Auge Jemand zu ſuchen ſchien. Faſt gleichzeitig er
— 168 —
blickte au ihn das junge Mädchen. Einige Worte bald an biefe,
bald an jene Dame richtend, näherte fie ſich unmerklich dem talent-
‚ vollen Eorrefpondenten, der ihr mit einigen fehmeichelhaften Worten
nicht fowohl ein Kompliment zu fagen fih anfdidte, fondern ihr
vielmehr Gelegenheit geben wollte, ihm etwas, und follte es auch
etwas Unangenehmes fein, zu erwidern.
Ih danke Ihnen, Herr Anton, für die übergroße Nachſicht,
die Sie üben, verfebte Eltfabeth, ſtärker erröthend und ein bitten=
des Auge zu ihm auffhlagend. Ich weiß recht wohl, daß Sie
in diefem Augenblide nit ganz wahr find, aber ich weiß Dies
zu ſchätzen. Laſſen Ste mir nebft meinem Bruder nur Verzei—
bung angebeihen, daß wir in unferer eingebildeten Kurzfichtigkeit
nicht begreifen wollten, wie volllommen gegründet Ihre Einwürfe
und Bedenken waren. Unter uns, Herr Anton, wir haben ung
ganz fhauderhaft blamirt! — Aber die Hand auf den Mund!
Unfer Publikum ift größtentheils zufrieden, und Vater und Mut-
ter find geradezu entzüdt! Das iſt die Hauptfache, alſo — fill
geſchwiegen! — Nehmen Ste nochmals meinen vet, recht herz=
lichen Dank!
Eliſabeth grüßte mit der Hand und mifchte fih wieder unter
bie Damen. Treufreund ftand abermals an Anton’s Geite.
Werden Sie nur nicht ftolz, junger Freund, fagte der „Schat-
ten.” Alle Weiber find wetterwendifh. Wenn fie uns heut’ ftrei-
heln, wandelt fie morgen die Luft an, die roſigen Nägel an
ihren Sammethändchen zu fchärfen, damit fie auf alle Fälle ge-
fihert find. . Sehen Sie 'mal dort hinüber! Da plaufcht die
jhöne Zee fhon wieder fo unbefangen heiter mit dem vergötterten
Don, als wär’ der dunfeläugige Kerl wenigſtens ihr Halbbruber,
Läftern Sie nit, Treufreund !
Behüte, ich ärgere mich nur.
Dann legen Ste fih aufs Ohr und ſchlafen oder — willen
Sie was — zählen Sie Schillinge. Es werden morgen ein hübſch
paar Mark draufgehen.
Adieu! ſagte der „Schatten.“ Mit unhöflichen Leuten, mein
— 169 —
lieber Herr Anton — ich werde nie perſönlich — kann ich mich
nicht unterhalten. Vlelmehr danke ih für Ihren Rath. Mit dem
Bilderfirlefang hat es wohl noch einige Zeit. Da will ich ’mal
eine Inſpectionsreiſe antreten, das tft als ältefter Angeftellter
ohnehin gemiffermagen meine Pfliht. Wenn die Engel tanzen,
laden die Teufel. Adieu, meine Herren, auf Wiederfehen !
Ein mürrifher Kauz, fagte Kurt, aber bei Gott, eine treue
Seele! Die Hetdenfret’s brauchen wahrhaftig feine Ginhäterin zu
halten, ein Winf genügt fiherlih, um bdiefen Gerberus mit dem
drolligen Aeußern und dem ebelften, aufopferungsluftigfien Herzen
feft an's Haus zu fetten, "wenn alle Mebrigen den Genüffen ber
Welt nahzulaufen das Bedürfnig fpüren.
Ich ſag' Euch, betheuerte Anton, legt fi dereinft ber
„Schatten“ in's Grab, fo wird bie Sonne nur jeden andern Tag
über diefem Haufe aufgehen, das fie jet von früh Bis Abends
mit Gold übergiept!
Treufreund verließ unbemerkt die Gefellihaft, ging die Treppe
‘ hinab über die jetzt file Diele, und verfügte fih in das Comp—
toir, das Allerheiligfte des Haufes, wie er e8 nannte. Eine kleine
Comptoirlampe anzündend, wanderte er langfam, in alle Ecken
blidend, an jedem Pult furze Zeit verweilend, durch fämmtliche
Zimmer. Auf feinem eigenen morfhen und zerfeflenen Stuhle
erſt nahm. Treufreund Platz, um auszuruhen. Er ftellte die matt
brennende Lampe mit dem grünen Schirme vor fih hin, daß fie
ihr bleiches Licht über die ganze Breite des Schreibpultes ergoß.
Wie oft Hatte er an diefem Pulte gefeflen, jebt freudig bewegt,
ftolz im Gefühl der Buchhalter eines Haufes zu fein, das, nicht
um zu prahlen und etwa todte Schäbe auf todte Schäbe zu häu⸗
fen, fondern um der Menfchheit zu nügen, gemeinnüßigen, Die
Siviltfation, den Humanismus und europätfhe Bildung fördern
den Zweden zu dienen, Millionen wagte; dann wieder von ſchwe—
ren Sorgen und bangen Befürchtungen ntedergebrüdt, gelähmt |
an Leib und Seele. In diefen braunen, fo unſchön ausfehenden
Räumen waren große Pläne entworfen worden, große Entſchlüſſe
— 170 —
zur Reife gediehen. Aber die Welt, die nur das Strahlende,
das laut und pomphaft Verkündete kennt, wußte wenig oder nichts
davon, das Haus Peter Thomas Heidenfrei liebte es nicht, mit
ſeinen Plänen zu prunken, erſt die gelungene That machte es
einfach bekannt, weil ſie in ihren Wirkungen doch nicht lange
verborgen bleiben konnte.
Welch ein Abſtand zwiſchen dieſen jetzt fo leeren, ſchweig⸗
ſamen, ja todten Zimmern und dem Glanz und Leben, das über
denſelben bunt flimmernd rauſchte! Wenn der weltmüde Menſch
ſich aus dem Lärm des Menſchengewirres zurückzieht und Ruhe
ſucht in der Einſiedlerhütte zwiſchen rauſchenden Bergtannen oder
auf der Höhe eines unzugänglichen Felſengrats, kann ihm nicht
wohler ſein, kann er in der beſchaulichen Stille ſeiner Einſamkeit
nicht ſüßere Wonneſchauer ſein Herz durchbeben fühlen, als jetzt
der alte Buchhalter, wie er in dem mürben Stuhle lehnte, dem
Ticken der Todtenuhr im morſchen Holze zuhörte und fein ver-
gangenes Leben in einer Reihe heiterer, ernſter und ſchreckhafter
Schildereien an ſeiner Seele vorübergehen ließ. Er ſaß lange
ſo, ohne ſich zu rühren, nur mit ſeinen Gedanken beſchäftigt.
Zuweilen glaubte er das Raſcheln einer Maus zu vernehmen,
oder hinter den alten, loſen Tapeten bröckelte Sand von der
Mauer und rieſelte ziſchelnd nieder. Dann kam es ihm wieder
vor, als regten ſich die Blätter in den bei Seite geſtellten Hand—
lungsbüchern, die mit Staub bedeckt, von Spinneweben überzogen
waren. Was flüſterten ſich wohl jetzt die großen Zahlen in ben.
alten Büchern zu? Erzählten fie ſich vergefjene Geſchichten? Spra-
shen fie wie Hundertjährige Diener von den ſchweren mühevollen
Tagen, von den Arbeitslaften, weldhe das Haus Hetdenfrei fo
groß, fo veih, fo mächtig gemacht hatten?
Treufreund konnte fih das Vergnügen nicht verfagen, eins
diefer für ihn ehrwürdigen Bücher aufzufhlagen und fih in bie
Aufzeichnungen zu vertiefen, bie fie enthielten. Da lag fie vor
ihm, die Zeit vergangenen Glüdes, freudigen Hoffens! Mon ben
Küften der neuen Welt herüber rauſchten die Palmenhaine, Kos
— 171 —
libri's umflatterten ihn mit blitzendem Gefieder, räthſelhafte, ſelt—
ſam geformte Blumen leuchteten und glühten, und es war ihm,
als ſähe er das Wachſen der Diamanten Brafiliens, wo all’ das
Seltene und Herrlihe, von dem er wachend träumte, etwas Alle
tägliches war.
Armer, armer Hohenfels! feufzte der alternde Mann und
in feinen gerötheten Augen glänzte ein Thränendiamant von rein-
ſtem Waſſer. Wo biſt du Hingelommen mit deinem großen, bie
ganze Welt umſchließenden Herzen! Wer mag dich’ gepflegt, ge=
tröftet haben in den fehmeren Stunden, welche das Unglüd über
dich brachte und die Hartherzigkeit der Menfhen? — Ya, wäreft
du am Leben und Chef der brafillanifhen Commandite geblieben,
die fo große Erfolge verhieß, dann wäre auch hier manches an—
ders und ich glaube fogar noch beffer, als es jetzt iſt. Auch ih
felber, dein alter Freund, bein zuverläffigfter und längſter Gor-
refpondent, wäre nicht fo zeitig ergraut und flumpf geworben.
Ohne dein grauenvolles Schickſal, armer, verforener, hundertmal
von mir beweinter Freund, hätte ih meine Kräfte gefpart und
weifer hausgehalten! Als fie dich aber Alle aufgaben und mir
auch die Handelscorrefpondenz mit dir unterfagt ward, da fühlte
Hich, dag mein Herz Trank wurde, und ich gab mir ordentlich Mühe,
es noch kränker zu machen. Was galt mir das Leben ohne dic,
ohne den Balſamhauch deiner Briefe, die immer Engelömelodien
meinem Ohre vorfangen und wahres Manna waren für meinen
Geiſt. — Armer, armer Auguftin! — — O, wenn fie wüßten,
bie Glücklichen, im Glück Scwelgenden, die jet da oben in den
Prunfgemädern ſich gedankenlos vergnügen, mit wie viel Thränen
bie Erde gedüngt werben mußte, um all diefe Herrlichkeit hervor-
zubringen, es erfaltete wohl Manchem die Hand an dem erhobenen
Glaſe und die Geifter der Vergangenheit ſchwebten unfichtbar und
doch von Allen geahnt, über ben Häuptern der Geſchmückten durch
bie Säle! — Das iſt's, was mic zuweilen drüdt, was ſchwer auf
mir Iaftet, was mich ſchmerzt. — Es tft der einzige, nicht ganz
helle Punkt auf der fo malellofen Firma dieſes Haufe, tn deſſen
— 11} —
Dienften ih grau und fteif geworden bin. Ich gäbe gern ben
Reft meiner Jahre dahin, Fönnte ih auch diefen Flecken austilgen,
aber ich kann es nicht, und Heidenfret, den im Grunde feine Schuld
trifft, kann e8 eben fo wenig. So bleibe denn begraben, du großer
Menfh mit den ſtarken Leidenfchaften, und wenn dein Geiſt nod
meiner gedenft, dann gib mir ein Zeichen, damit ich ftark bleibe
und an ein dereinftiges Wiederfehen glauben darf!
Der ehemalige Buchhalter ſchlug das Buch wieder zu und
flarrte mit merkwürdig glänzenden Augen in das Comptoir. Der
Schein feiner Lampe bildete an der Dede einen hellen Reif. Durch
diejen Reif zog jebt langfam ein Schatten, anfangs formlos, jpäter
etwas mehr Geftalt annehmend.
Treufreund erfhrad und hätte fih beinahe entſetzt; denn mit
wie großer Liebe er auch an dem verloren geglaubten Hohenfels
hing, ein Heldengeiſt wohnte nicht in feiner Bruft und mit Gei—
ftern ſich herumzuſchlagen hatte er eben fo wenig Muth, als eine
geladene Piſtole auf Jemand, und wär’ es fein Todfeind geweſen,
abzudrüden. Er glaubte aber wirklich, fein aus tiefiter Seele ge—
flüfterter Seufzer fei von den dunkeln Mächten erhört worden und
der Geift des Todten trete in feine eigenfte Lebensatmoſphäre. Er
fprang auf und jtieß dabei den Stuhl um, daß ein Stüd der
alten morjhen Lehne davon abbrach. Der Schatten im Lichtfchein
an der Dede war verfchwunden.
Thor, der ich bin! rief Treufreund fih ermuthigend zu, und
hob den Seflel wieder auf. Wie fann man doch verftändig und
nebenbei auch fo kindiſch, fo Hafenherzig fein! Wie oft habe ich
ganze Nächte durh allein an diefem Pulte zugebradt, ein Geiſt
{ft mir nie erjchlenen. Aber woher der Schatten fam, das möcht’
ich doch wiffen.
Treufreund heftete ſeinen Blick feſt an die Decke, bückte ſich,
folgte dem Lichtſtrahl mit den Augen, entfernte ſich ſelbſt vom
Pulte und näherte ſich dem nach dem Kanal hinausſehenden Fenſter.
Nach kurzem Verweilen daſelbſt hörte er ein dumpfes Rau⸗
ſchen, wie wenn eine Jolle von raſchen Ruderſchlägen getrieben,
X
— 173 —
die Fluth durchbricht, nur Ruderfchläge vernahm er nicht. Zu
feinem nicht geringen Eritaunen glitt faft gleichzeitig der ungeftalte
Schatten wieder, diesmal aber Außerft fehnell, dur den hellen
Lichtfchein an der Dede.
Diefe auffallende Erfcheinung reizte Treufreund’s Neugierde.
Er ging zurüd zu feinem Pult, ergriff die Lampe und löſchte fie
and. Dann fchlürfte er weiter dur die fibrigen Zimmer des
Comptoirs, verſchloß dies und trat hinaus auf die heil erleuchtete
Diele. Noch vernahm er an dem lauten Durdeinander vieler
Sprechenden, daß die Vorbereitungen zu den „lebenden Bildern“
noch nicht beendigt fein Fonnten. Es blieb ihm deshalb Zeit, noch
eine kleine Infpectton vorzunehmen, obwohl ihn perfönlich der Vers
luft eines oder des andern Bildes, von dem man ſoviel im Vor⸗
aus gefprochen hatte, nicht gefhmerzt haben wiirde. Nur um jeg-
liche Störung während diefer Darftellungen zu vermeiden, wünſchte
Treufreund vor Beginn derfelben wieder in die Geſellſchaft zurüd-
zufehren.
Das Heidenfrei'ſche Haus war, wie dies bei vielen alten Ge⸗
bauden der Fall ift und wie man Einrichtungen ähnlicher Art in
Hamburg noch bis auf den heutigen Tag fehen kann, an ber
Kehrfeite mit einer fogenannten „Laube“ verfehen, die als breiter
Gang über dem Fleeth hing. Hier wurden Gefchirre aller Art,
wenn man fie gereinigt und gepußt hatte, ausgeftellt, auch Wäſche
zum Trodnen aufgehangen und im Sommer ward der obere Theil
der Laube mit einer Reihe Blumentöpfe befebt, was dem an fi
wenig anziehenden Raume etwas Anmuthiges verlieh. An dem
einen Ende dieſes Anbaues führte eine auf die Vorſetzen ſich ftü-
bende Treppe hinab, deren unterfte Stufen zur Zeit der Fluth,
blieb diefe eine normale, vom Waſſer überfpült wurden. Herr
Heidenfrei hatte diefe Vorrichtung zu feiner eigenen Bequemlichkeit
machen laſſen, denn war feine Anmwefenheit im Hafen nöthig, fo
fonnte er gleich hier in eine Jolle fpringen und fih raſch auf bie
Elbe Hinausrudern laflen. Oft indeß benußte er der unbequemen
Paſſage wegen dieſe Gelegenheit nicht, und In den lebten drei oder
— 174 —
vier Jahren war es Niemand mehr eingefallen, von der Laube
aus in eine Jolle zu ſteigen. Dagegen bedienten ſich ihrer die
Schutenführer häufig, theils um auf der Treppe ſitzend, ihr Früh⸗
fü zu verzehren, theild um über biefelbe nach dem Gomptoir zu
gelangen, wenn fie bier irgend etwas zu beforgen hatten.
Anmittelbar an die Laube ftieß ein nicht großes, aber nett
eingerichtete Zimmer, das früher ausjchlieplih als Garderobezim⸗
mer benußt worden war, ſeit der Aufnahme Chriftinens in bie
Bamilie aber dieſer zur Unterbringung ihrer Habfeltgfetten eingeräumt
wurde. Das einzige, hohe und breite Fenſter deſſelben ſah hinaus
auf die Laube, In diefem Zimmer hatten am Feltabende alle
Herren ihre Mäntel und Ueberwürfe abgelegt, "weshalb es Jeder»
mann zugänglich war.
Treufreund ging an dieſem Gemache vorüber, ftteg ein paar
Stufen hinauf, öffnete die unverfchloffene Thür und trat hinaus
auf die Laube. Noch immer vegnete und ftürmte .es, und bie Luft
war fo did, daß felbft fharfe Augen wenig fehen Tonnten. Die
bimmelhohen Giebel der Speicher, die krumme Richtung bes Kanals,
befien träge Wellen jebt ſchwarz ausfahen, und das Pfeifen des
Windes, der mit Fenſterläden klappte und die alten Wetterfahnen
freifchend auf ihren roftigen Spillen drehte, gewährten einen faft
fchauerlichen Anblick. Es überlief den alten Buchhalter kalt, als
er fo rinſam hinunterftierte in die trübe, gurgelnde Fluth, während
einzelne Regentropfen eifig kalt auf feinen nadten Schädel fielen.
Er mochte ein paar Minuten fo geſtanden haben, als er
wirklich eines Nachens anfihtig warb, ber drei bis vier Häufer
weiter, unter einer Laube an den Vorſetzen angefettet fein mußte.
Denn er tanzte auf dem ftark bewegten Wafler und blieb doch
auf einer und drrfelben Stelle. Bemannt jedoch war er offenbar -
nit.
Treufreund durdfröftelte die Nachtluft; auch fühlte er ſich
nicht verpflichtet zu unterfuchen, wem diefer Nahen wohl gehören
möge und zu welchem Zwede man ihn dahin geichafft habe. Es
waren ja hundert Gründe denkbar, und viele Schiffer und Sollen»
— 15 -—
führer ließen mit Abdficht ihre Fahrzeuge in ftürmifchen Nähten an
gefhästen Stellen auf den Kanälen liegen. Zugleich vernahm er
Rufen und fchnelles Hin» und Herlaufen der Diener, woraus er
ſchloß, die Vorftellung werbe fogleich beginnen, das erite lebende
Bild vielleicht fehon hinter der bergenden Gardine geftellt fein. Er
verließ deshalb feinen Fühlen, windigen Ausfhau und eilte beru-
bigter und in fich heiterer geftimmt, zur Geſellſchaft zurüd, als er
fie früher verlaffen hatte. Gerade bei feinem Eintritt in den Sa⸗
„Ton erklang die filberne Schelle des bie Vorftellung leitenden Dis
vertord, eine Rolle, welche Eduard zugefallen war, die Gardine
flog auf und die Gefellfchaft erblidte, fogleih in ſtürmiſchen
Applaus ausbrehend, das ſchmuckloſe Zimmer Clärchens, der Ge⸗
liebten des Grafen Egmont, in jenem entzüdenden Momente,
wo. Glächen, nachdem fie bewundernd bie reiche ſpaniſche Tracht
bes theuern Mannes betrachtet, zu feinen Füßen ſich nieder⸗
läßt, in feinem Anblick ſchwelgend. Diefer Egmont war ein
Mann von wahrhaft hinreißender Schönheit, dennod aber ver-
buntelte er nicht das zu feinen Füßen hingefunfene, durch ihr
wunderbares Entzücken gleichfam verklärte Bürgermädchen, ine
dem Jeder fofort Eliſabeth Heidenfret, die gefeterte Tochter des
Haufes erkannte. Den Grafen verriethb ſchon der etwas dunkle
Teint als Südländer. Don Alonfo Gomez, der kaum, eine glück⸗
lichere Wahl Hätte treffen können, war ihm daran gelegen, uner-
fahrene Herzen unruhiger Elopfen zu machen und mehr als eine
Einbildung mit füßem Köder zu vergiften, vepräjentirte den ritter-
lihen Grafen mit vollendeter Grazie. Als der Vorhang nieder-
rollte, ließ Heidenfrei ſelbſt, der in der vorderſten Reihe der Zus
fhauer neben feiner Gemahlin faß, ein lautes Bravo erjchallen und
gab damit das Signal zu neuem, nicht enden wollenden Applaus,
Wie gefällt dir der Burfhe? fragte Anton feinen Gollegen
Kurt. Mich dünft, es kann Niemand einen Grafen beffer fpielen,
wenn er nicht zufällig ſchon von Geburt zum Grafen geftempelt
worden ift.
— 176 —
Es freut mich, daß ich keine Schweſter habe, erwiderte der
Gefragte. |
Anton ſah ihn groß und ernfthaft an.
Ja gewiß, fuhr Kurt fort, ich meine es, wie ich's fage. Einem
Mädchen, das einigemale mit dieſem Pfeudografen das Pfeudo-
Clärchen fpielte, könnte es paffiren, ſich plöglich, ohne es zu wollen
und zu willen, in das wirkliche Clärchen mit all ihren Schmerzen
verwandelt zu eben.
Du haſt fhauerlihe Einfälle, fagte Anton ganz verftimmt.
Doch horch, die Schelle gebietet Ruhe und fordert zur Aufmerk-
famteit auf.
Hinter der aufrollenden Courtine zeigte fi jegt die junoniſche
Geftalt der „Jungfrau von Orleans“ in dem begeifterten Augen-
bi, wo fie, aus dem Schatten des Druidenbaumes hervortretend,
Bertrand den Helm mit den Worten entreißt:
„Mein tft der Helm und mir gehört er zu.”
Die Repräfentantin diefer Jungfrau war eine vollendete Schön=
heit. Ste zeigte ein Ebenmaa der Glieder, eine fchlante Fülle
der Formen, ein fo edel gefhnittenes Gefiht, wie man in folder
Dolltommenheit fie nur felten antrifft. Am vollendetiten aber war
bie Büſte der Jungfrau. Der Beifall der Zufhauer gab fi in
einem letfen, bewundernden Ah! kund, die Darftellerin felbft aber
erfannte oder kannte Niemand. Nur einige wentge Gingemwethte
wußten, daß dies beneidenswerthe, fchöne Mädchen Chriftine, die
Tochter eines Quartiersmannes fei, fie waren aber vorfichtig und
ſchwiegen, was unter der Damenwelt Anlaß zu den kühnſten DVer-
muthungen gab, und aud die Herren ftark beunruhigte; denn jene
wollten doch um jeden Preis erfahren, wo eine Blume von fo un:
gewöhnlicher Schönheit ſich verftedt halte, und diefe fühlten mehr
oder weniger das Bebürfnig, dem ſchönen Mädchen Huldigungen
barzubringen, wie fie in feinen Zirkeln üblich find.
Man gloffirte noch darüber, als die Enthüllung eines dritten
Bildes angekündigt ward. Diesmal zeigte ſich der ſchöngeformte
Balcon eines fübeuropäifchen Palaſtes mit Dleandergebüfh, Myr⸗
— 117 —
- ten- und Orangenbäumen. Zwiſchen biefen fland eine feine
Mäpdchengeftalt mit reichen, dunklen Locken, die das fchmärmertfch-
milde Gefiht weih umhüllten. Ste beugte fih herab über den
Balcon, um einem Jünglinge, der in fehnfüchtiger Liebesgluth zu
der Göttlihen aufblicte, zum Abjchiede die zarte Hand zu reichen.
Schöner, idealer und doch fo ganz naturwahr konnte der Abſchied
Romeo's von Julie, als der Anbruch des Morgens die Liebenden
nöthigt, ihr ſüßes Geplaudeg abzubrehen, nicht wohl im Bilde
bargeftellt werden. Niemand erinnerte‘ fih jemals auf dem Thea⸗
ter eine jo Eindlih naive und doch wieder fo edle Julie gefehen
zu haben, Jeder geſtand es offen zu, daß, wäre dem wirklichen
Darfteller des Romeo ein Anftand und eine Aeußerlichkeit verliehen,
wie man ihn jet eben bewunderte, der Eindrud eines foldhen
Glücklichen auf die Zuſchauer ein völlig unberechenbarer ſein müſſe.
Die gewinnende Julie ſtellte Ulrike dar, und daß Romeo fein Ans
derer fein fonnte, als der unentbehrliche Don Gomez, das hatte biefer
bevorzugte Mann diesmal meht noch feiner Abſtammung als der
Gunſt der Verhältniffe und den Wünfchen derer zu verdanken, die
bei Vertheilung der einzelnen Rollen doch vorzugsweife gehört und
auch möglihft erfüllt werden mußten. Eduard behauptete fpäter,
er habe nie geglaubt, daß weiblicher Eigenſinn fo fich. verfchwiftern
und treulih zufammenhalten könne mit verführerifchem Bitten from-
mer Augen und Elug verfiedter Schelmeret.
Die nächftfolgenden Bilder, ebenfalls Scenen und Situatio⸗
nen aus den Werken verſchiedener Klaſſiker des In- und Auslan—
des vorführend — man hatte fih nämlich fireng nur an Dichter-
werfe gehalten — machten weniger allgemeines Auflehen, obwohl
fie alle gefielen. In ihnen "traten großentheild andere Perfonen
auf, die jedoch für die Ereigniffe, die wir zu erzählen haben, von
feiner Bedeutung find, weshalb wir fie mit Stillfehweigen übergeben.
Endlich ward das legte Bild angekündigt. Neugierig heftete
Jeder den Blick auf die fih Tangfam hebende Gardine. Bor Aller
Augen lag das Innere der Herenfühe, wie fie Goethe im Faufl
beſchreibt, Junker Satan mit dem Wedel in der Hand, ſaß höhniſch
D. B. XI, Willtomm’s Rheder und Matrofe. 12
— 178 —
grinfend auf feinem Throne, Fauſt näherte fih dem geheimnißvollen
Zauberfpiegel, der beim Aufrollen des Vorhangs noch verhüllt,
jest fih plötzlich erleuchtete, und in überirdiſchem Aetherglanze
ftrahlend das entzüdende Bild eines vollendet ſchönen Weibes in
- antiter Gewandung, zeigte. Es war ohne Frage das gelungenfte
aller vorgeführten Bilder. Unter den Mitwirfenden erfannte man
im Fauſt abermals den gefeterten Löwen der Geſellſchaft, Don
Alonſo Gomez, während die Geſichtßzüge der weich Hingegoffenen
Srauengeftalt auf die Darfiellerin der Jungfrau von Orleans deu⸗
teten. Mephiftopheles hatte fih zu gut magfirt, um erkannt wer⸗
ben zu können. Es war aber Niemand anders hinter dem Schalte
verſteckt, als unfer luſtiger Freund Anton.
Während dies Bild noch die Blicke ber Zufchauer entzückte,
ließ fih in den Nebengemäcern ein verdächtiges Klappern und
Klirren vernehmen, das mandem Ohr wie Sphärenmufil Fang.
Man richtet an, flüfterte Julius Kurt in's Ohr. Gott fei
Dank, daß nah fo vielen fpirituellen und ideellen Genüflen end-
lich auch ein gefunder materieller in Ausficht fieht! Mir iſt fchon
ganz flau geworden bei diefem ewigen Schwärmen in Wolkendunſt
und Nebelglanz. Ein Bischen ſolches Hofuspofus Laffe ich mir
zur Abwechfelung wohl gefallen, dann aber wieder 'was berb Rea—
les, das man fafjen, fefthalten und, til e8 eßbar, auch zermalmen
kann. Dies gelftig zubereitete Zuderwafler mit Vanillezuſatz ver-
birbt einem blos den Magen.
Du biſt und bleibſt ein unverbeflerliher Matertalift, fagte
Kurt lachend,
Dafür nenn’ ih die fette Marfh meine Helmath, erwi-
berte in befter Laune Julius, und wenn Ihr Anderen, die
Ihr e8 ber Zeitbildung angemeflen erachtet, von den guten Dingen,
welche die Erde uns fchenkt, nur gleihfam die Staubfäden der
bontgreichiten Blumen auszufaugen, in Euern beiten Jahren zu-
fammenjhrumpfen werdet zu Huzelmännden, gedenke ich als Achter,
ftolger Hanfeftädter einherzuparabieren und bon mir fagen zu kön—
nen, wie Goethe vom Doctor Luther: er bat fih ein Bäuchlein
— 179 —
angemäftt. Sa, der Goethe, das war doch noch ein Kerl! Bet
all feinen poetifhen Schnurren blieb er immer durch und durch
finnlich genteßender Menſch. Darum aud fchuf ‘er ewig lebende
Charaktere und reichte uns in goldenen Schaalen die Luſt der Erbe
zum Genießen dar! Prr, da fällt der Vorhang — das Gpiel
iſt aus.
Superbe! ſprach aufſtehend Herr Heidenfrei und rief den ſchon
verſchwundenen Darſtellern noch ein lautes Bravo nach.
Die nächſte Viertelſtunde ward Vielen lang, beſonders denen,
welche wie Julius in der Materie recht eigentlich ihr Lebengele-
ment fuchten und fanden. Nah und nad traten Die bisher un«
fihtbar gewejenen Mitglieder der Geſellſchaft wieder ein, bie jept
neues Leben, neue Unterhaltung in die ſchon ermübeten Gruppen
brachten. Bon den Meiften aus Weberzeugung, von Einigen, bie
wenig Sinn für Fünftlerifche Darftellungen und gar fein Urtheil
befagen, aus Galanterie mit Lobſprüchen überhäuft, ärndteten vor
Allen Elifabeth und Ulrike, mehr vielleicht noch der Mexikaner, der
mit fiegesgewiffem Uebermuth königlich ftolz auftrat, den Dank für
ihre aufopfernden Bemühungen. Nur die Schönfte der Schönen,
bie herrliche Jungfrau von Orleans und bie Geftalt des Weibes
im Zauberfptegel ward nicht fihtbar. Selbſt wiederholte Fragen
und der beſtimmt ausgefprochene Wunſch Kinzelner, man möge
doch der Geſellſchaft dies feltene Geſchöpf vorftellen,, bliepen wir-
fungslos. Die Meijten vermutheten in der Unbelannten eine frembe
Künftlerin, und als Eltfabeth endlich das Verfprehen gab, man
würbe die viel Begehrte bei Tafel Fennen lernen, wünſchten Alfe
obne Ausnahme das Zauberwort, weldes die Plügelthüren des
Spetfefaales zu erſchließen pflegt, das Wort: es tft angerichtet! zu
vernehmen.
Auch diefer glüdliche Augenblick erſchien. Die Paare orbne=
ten fih, und erwartungsvoll trat die Gefellfhaft in den prächtig
decorirten Spetfefaal, wo auf der in Hufelfenform geordneten Ta=
fel das reiche Silbergefchter des Hauſes zuvörderſt Jedermann In
die Augen fallen mußte. Tafelauffähe von folder Größe, ſolchem
| 12*
— 180 —
Werth, ſo geſchmackvoll geformt hatte manches fürſtliche Haus nicht
aufzuweiſen.
Wir ſchweigen von den culinariſchen Genüſſen, die nunmehr
geboten wurden und die auch die weit getriebenſten Wünſche der
größten Feinſchmecker vollkommen befriedigten. Neugierig warteten
Viele auf die verheißene Erſcheinung der ſchönen Unbekannten, die
ſchon geraume Zeit in der einfachen Tracht einer Tochter aus dem
Volke unter den Aufwartenden ſich befand, in dieſer verbergenden
Hülle aber von Niemand geſucht, mithin auch nicht entdeckt ward.
Die Meberrafhung, das Staunen war daher allgemein, als Heiden⸗
feet ſelbſt dieſe Dienerin als Jungfrau von Orleans bezeidnete.
Man fand biefen Scherz ganz allerliebſt, glaubte aber doch, daß
fi hinter der fcheinbaren Dienerin eine Berühmtheit erften Ran=
ges verberge, bie nur nicht befannt fein wolle, um fpäter, wenn
fie Öffentlich auftreten werde, deſto größeres Auffehen zu machen
und jubelnden Applaus einzuerndten.
In diefer Annahme wurden fie noch beftärkt durch das auf-
merffame, ja falt an Huldigung -ftreifende Benehmen Don Alonfo’g,
der zwiſchen Eltfabeth und Ulrike, bie ihn fo würbig unterftügten,
einen beneidenswertben, von Manden ihm aud) beneideten Plag
gefunden Hatte. So oft Chriftine in die Nähe des Mertlaners :-
fam, fagte er dem fchönen Mädchen ein paar verbindliche Worte,
die fie erröthen machten und dadurch nur die keufhe Wetblichkett
ihres ganzen Weſens noch mehr zur Geltung braten. Die Unter-
haltung mit feinen beiden reizenden Nachbarinnen vernachläſſigte
Don Gomez keineswegs. Das Geſpräch ftodte nie und war ein
Thema erledigt, fo wußte der Mexikaner in ungezwungeniter Wetfe
ein anderes anzufhlagen. Da er es liebte, junge Damen anzu
regen, fo ftrebte Don Alonfo immer darnach, fie in Oppofition zu
verfeßen. Dies gelang ihm auch jebt wieder, ald er die ganz
aus der Luft gegriffene Behauptung aufitellte, Goethe habe bei
Ausarbeitung des Fauft an Galderon gedachte und fet durch deſſen
Myſterien erft darauf geführt worden. Man könne dies unzwei—
— 181 —
felhaft aus einzelnen Verſen in Calderon erfeben, bie tn ganz
ähnlicher Weiſe fih im Fauſt mwiederfänden.
Eliſabeth Tannte ihren Goethe und auch der große fpanijche
Dramatiter war ihr fein Fremdling, dieſe Behauptung aber Fam
ihr dod gar zu drollig vor. Don Gomez bradite mitunter wun-
berlihe Dinge auf's Tapet, die man ihm eben als Fremden hin-
gehen ließ, und oft fogar fih daran ergößte, diesmal aber galt
es die Ehre des großen deutſchen Poeten zu reiten und deshalb
warf ihm die Feine Poetifhe mit flammendem Auge und ſpöttiſch
lähelndem Munde Unfenntniß der deutfhen Sprache vor.
Sie follen entſcheiden, mein Fräulein, erwiderte Don Alonfo,
Ste und Ihre liebenswürdige Freundin.
Und Sie follen Abbitte thun! Aber woher einen Galderon
nehmen? Ich befige die Werke des begelfterten Spaniers nicht.
Aber ich, verfegte der Mexikaner. Ich habe den Band mite
gebracht und mir die Stelle bezeichnet, von der ich behaupte, der
deutſche Dichter habe daraus Fauftgedanfen gefogen.
-Wo? Wo? fragte Ulrife. Zeigen Ste uns diefe Stelle !
Hier? gegenfragte Don Gomez, bier und jetzt? Ja, wenn
Sie wünſchen —
Gewiß! unterbrah ihn Eliſabeth ungebuldig. Wo befindet
fih das Buch?
An meinem Mantel unten in der Garderobe. Aber wer
kennt meinen Mantel, ich würde ſelbſt —
Iſt nicht nöthig, fagte Eltfabeth. Ich denke, da kommt Je—
mand, der Ihren Mantel Tennt.
Chriftine näherte fih der Tafel.
Wenn das herzige Kind fo lange entbehrt werden kann — ?
Was follte es nicht, fiel Eliſabeth ein. Bitte, Chriftine,
flüfterte fie der Nahenden zu. Chriftine beugte fih zu dem Ohre
ihrer milden, fehwelterlichen Herrin und empfing freundlich nidend
ihren Auftrag.
In der linken Seitentaſche, ergänzte Don Alonfo. Ich dante
— 182 —
Ihnen ſchon im Voraus, Holdſelige, und küſſe in Demuth und
Verehrung Ihre Fingerſpitzen.
Chriſtine warb purpurroth, Ulrike aber ſagte in mißbilligen-
dem Tone und mit bittendem Blicke: Ste quälen das arme Mäd⸗
hen. Thun Ste es ferner nicht mehr, wenn Sie mir einen Ge-
fallen erweiſen wollen, denn was foll das gutherzige Kind auf
folhe Worte erwidern.
Eine Bitte von Ihnen tft mir Befehl, erwiberte mit den
einfhmeichelndften Lauten der galante Mexikaner, indem ein
feuriger Blick die ſchöne Nachbarin nöthigte, das ſammtweiche
blaue Auge niederzuſchlagen.
Inzwiſchen hatte Chriſtine ſich entfernt, die Geſellſchaft in
heiterſter Stimmung zurücklaſſend. Aus einem als Gartenlaube
decorirten kleineren Zimmer ertönte jetzt Tafelmuſik, die ſpäterhin
in Tanzmuſik ſich zu verwandeln beſtimmt war. Dies angenehme
Intermezzo gab den Gedanken der Gäſte eine andere Richtung
und es mochte wohl eine Viertelſtunde vergangen ſein, ſeit Chri—
ſtine von ihrer Gebieterin nach dem Garderobezimmer geſchickt
worden war.
Unſere Jungfrau von Orleans bleibt lange aus, bemerkte
Ulrike.
Die Aermſte wird erſt ein paar Dutzend Ueberwürfe bei
Seite packen müſſen, denn der Raum iſt etwas beſchränkt, meinte
Eliſabeth.
Vielleicht auch verlockt ſie die Neugierde, ein wenig in dem
Buche zu blättern, ſagte Don Gomez.
So ſcherzte man noch einige Zeit hin und wieder, zwiſchen⸗
durch den Klängen der Muſik lauſchend. Da aber trotz alles
Wartens Chriſtine noch immer nicht zurückkam und man ſie bereits
auch anderwärts vermißte, ward Eliſabeth beſorgt. Vielleicht war
ihr unwohl geworden und ſie ſaß hilflos in dem dunſtigen, engen
Stübchen. Das gutherzige Mädchen beſchlich plötzlich eine heftige
Bangigkeit, ſie winkte einem Bedienten und befahl ihm, ſogleich
— 183 —
hinunter in die Herrengarderobe zu gehen und nachzuſehen, was
Chriſtine dort mache und wie es ihr gehe.
Schweigend entfernte ſich der Bediente. Nah wenigen Mi⸗
nuten ſchon kam er allein, blaß, ſichtlich beſtürzt zurück.
Gnädiges Fräulein, ſagte er leiſe, an allen Gliedern zitternd,
es muß ein Unglück geſchehen ſein. Fräulein Chriſtine iſt nicht in
der Garderobe, aber Alles darin befindet ſich in ber größten Unord—
nung und, was das Schredlichite tft, das Fenſter ſteht weit offen!
Es iſt doch unmöglich —
Eliſabeth winkte dem Bedienten zu ſchweigen. Ulrike hatte
ihren Platz ſchon verlaſſen, um Heidenfrei und deſſen Söhne ſo⸗
gleich von dem Vorgefallenen zu unterrichten, obwohl ſie ſelbſt
noch nicht wußte, was ſich eigentlich zugetragen haben mochte.
Dies Alles konnte nicht ohne Aufſehen geſchehen, denn ehe noch
Eduard und Ferdinand die überraſchende Kunde von Chriſtinen's
Verſchwinden vernommen hatten, war Elifabeth ſchon dem voraus»
eilenden Diener gefolgt und die Erfte in dem Garberobezimmer.
Bald darauf trat der Vater mit den Brüdern ein, auch Ulrike
erſchien, fpäter folgten Anton und felbft Don Alonfo Gomez.
Bet der fofort angeftellten Unterfuhung war auch nicht ein
auffallendes, verbächtiges Zeichen zu entdecken. Das Fenſter war
nicht zerbroden, fondern von Innen geöffnet worden, weil es aber
offen geblieben war, mußte man annehmen, daß die Verſchwun⸗
dene ihren Weg durch's Fenſter genommen hatte, was noch in ber
Verfiherung mehrerer Diener ihre Bellätigung fand, die alle er-
Härten, die Vermißte in das Zimmer gehen, nicht aber fie daſſelbe
wieder verlaſſen gefehen zu haben.
Eine freiwillige Flucht Chriftinen’s anzunehmen ‚ lag ganz
außerhalb der Grenzen alles Denkbaren. Ste warb gehalten,
geliebt, gepflegt wie das Kind im Haufe, Ste weilte gern ba=
jelbft und wünſchte gar feine Aenderung ihrer Rage. Eben fo
wenig konnte man an einen Selbſtmord glauben, man hätte
denn annehmen müffen, das arme Mädchen fet urplöglih in
Wahnſinn verfallen und habe fi tn blinder Naferei das Leben
— 181 —
Ihnen fhon im Voraus, Holbfelige, und küffe in Demuth und
Verehrung Ihre Fingerſpitzen.
Shriftine ward purpurroth, Ulrike aber fagte in mißbilligen-
dem Tone und mit bittendem Blide: Ste quälen das arme Mäd-
hen. Thun Ste es ferner nicht mehr, wenn Sie mir einen Ge—
fallen erweifen wollen, denn was ſoll das gutherzige Kind auf
ſolche Worte erwidern.
Eine Bitte von Ihnen iſt mir Befehl, erwiderte mit den
einfchmeichelndften Lauten der galante Mexikaner, indem ein
feuriger Blick die ſchöne Nachbarin nöthigte, das ſammtweiche
blaue Auge niederzuſchlagen.
Inzwiſchen hatte Chriſtine ſich entfernt, die Geſellſchaft in
heiterſter Stimmung zurücklaſſend. Aus einem als Gartenlaube
decorirten kleineren Zimmer ertönte jetzt Tafelmuſik, die ſpäterhin
in Tanzmuſik ſich zu verwandeln beſtimmt war. Dies angenehme
Intermezzo gab den Gedanken der Gäſte eine andere Richtung
und es mochte wohl eine Viertelſtunde vergangen fein, ſeit Chri⸗
fine von ihrer Gebleterin nad dem Garberobezimmer geſchickt
worden war.
Unfere Jungfrau von Orleans bleibt lange aus, bemerkte
Ulrike.
Die Aermſte wird erſt ein paar Dutzend Ueberwürfe bei
Seite packen müſſen, denn der Raum iſt etwas beſchränkt, meinte
Eliſabeth.
Vielleicht auch verlockt ſie die Neugierde, ein wenig in dem
Buche zu blättern, ſagte Don Gomez.
So ſcherzte man noch einige Zeit hin und wieder, zwiſchen⸗
durch den Klängen der Muſik lauſchend. Da aber trotz alles
Wartens Chriſtine noch immer nicht zurückkam und man ſie bereits
auch anderwärts vermißte, ward Eliſabeth beſorgt. Vielleicht war
ihr unwohl geworden und ſie ſaß hilflos in dem dunſtigen, engen
Stübchen. Das gutherzige Mädchen beſchlich plötzlich eine heftige
Bangigkeit, ſie winkte einem Bedienten und befahl ihm, ſogleich
— 183 —
hinunter in die Herrengarderobe zu gehen und nachzuſehen, was
Chriſtine dort mache und wie es ihr gehe.
Schweigend entfernte fi der Bediente. Nach wenigen Mi-
nuten ſchon kam er allein, blaß, ſichtlich beftürzt zurück.
Gnädiges Fräulein, ſagte er leiſe, an allen Gliedern zitternd,
es muß ein Unglück geſchehen ſein. Fräulein Chriſtine iſt nicht in
ber Garderobe, aber Alles darin befindet ſich in ber größten Unord—
nung und, was das Schredlichite tft, das Fenſter ſteht weit offen!
Es iſt doch unmöglich —
Eliſabeth winkte dem Bedienten zu ſchweigen. Ulrike hatte
ihren Platz ſchon verlaſſen, um Heidenfrei und deſſen Söhne fo-
gleih von dem Vorgefallenen zu unterrichten, obwohl fie felbit
noch nicht wußte, was ſich eigentlich zugetragen haben mochte,
Dies Alles konnte nicht ohne Aufſehen gefhehen, denn ehe noch
Eduard und Ferdinand die überrafhende Kunde von Chriftinen’s
Verſchwinden vernommen hatten, war Eliſabeth ſchon dem voraus
eifenden Diener gefolgt und die Erſte in dem Garderobezimmer.
Bald darauf trat der Vater mit den Brüdern ein, auch Ulrike
erihten, fpäter folgten Anton und felbjt Don Alonſo Gomez.
Bei der fofort angeftellten Unterfuhung war aud nicht ein
auffallendes, verbächtiges Zeichen zu entdecken. Das Fenſter war
nicht zerbrochen, fondern von Innen geöffnet worden, weil es aber
offen geblieben war, mußte man annehmen, daß die Verſchwun⸗
dene ihren Weg durch's Zenfter genommen hatte, was noch in der
Verfiherung mehrerer Diener ihre Beflätigung fand, die alle er-
Härten, die Vermißte in das Zimmer gehen, nicht aber fie bafjelbe
wieder verlaſſen gefehen zu haben.
Eine freiwillige Flucht Chriſtinen's anzunehmen, lag ganz
außerhalb der Grenzen alles Denkbaren. Ste warb gehalten,
geliebt, gepflegt wie das Kind im Haufe. Sie weilte gern ba-
ſelbſt und wünfhte gar feine Aenderung Ihrer Lage. Eben fo
wenig konnte man an einen Selbfimorb glauben, man hätte
denn annehmen müflen, das arme Mädchen fet urplöglih im
Wahnftnn verfallen und habe fih in blinder Naferet das Leben
— 184 —
genommen. Es blieb alſo nichts übrig, als die Vermuthung einer
Gewaltthat. Dieſem Gedanken lieh zuerſt der erſchrockene Heiden—
frei ſelbſt Worte:
Man hat das Kind geraubt, entführt, fagte er beſtimmt.
Arme, unglüdliche Aeltern! Und ich ſelbſt, wie bin ich beflagend=
werth! Meiner Obhut hat der beforgte Vater fie anvertraut und-
dennoch — dennoh — o, es iſt um den Verſtand zu verlieren!
Hetdenfrei war indeß an ungewöhnlich eintretende Ereigniſſe
zu fehr gewöhnt, als daß er fi lange vom Schmerz hätte bewäl-
tigen oder vom Kummer niederdrücken laſſen. Raſches, energijches
Handeln allein konnte möglicherweife von glüdlichen Folgen fein.
AM fein Denken war deshalb fogleich darauf gerichtet, die erfor-
derlichen Schritte zu thun, um die Entführte und ihre Räuber zu
greifen, ehe e8 ihnen gelang, das Weichbild der Stadt zu verlaf-
fen. Es hatte dies freilich deshalb große Schwierigkeiten, weil
aud nicht die Ahnung irgend eines Verdachtes, viel weniger eine
Spur vorhanden war, auf die man hätte fußen können.
Heftig erregt trat jeßt mitten in die Gruppe der Beltürzten,
zum Theil Entfeßten der alte Treufreund. Sein Auge glänzte
getfterhaft, feine fehmalen, weißen, hagern Hände zitterten.
Ich bin Schuld an dem Unglüf des armen Mäddeng,
ſprach er tief erſchüttert. Warum ſchwieg ich und war fo unvor-
fihtig, ftatt bier Wache zu halten, wieder hinaufzuellen, um bie
Kurzweil mit anzüfehen.
Don Alonſo Gomez warf dem ſchwächlichen Alten einen haß-
erfüllten Blick zu. Heidenfrei beflürmte thn mit Fragen, die Treu-
freund kurz und gegen feine Gewohnheit fehr beſtimmt beantwor-
tete, indem er in fliegender Haft erzählte, was ihm begegnet war,
was er gefehen hatte.‘
Keine Frage, Ghriftine ift entführt, fagte Heidenfrei, die
Jolle, deren Raufhen im Waffer Ste vernahmen, ohne den Schlag
der ohne Zweifel umwundenen Ruder zu hören, hat das unglüd-
liche Kind, Gott weiß in welche Diebshöhle weiter befördert. Aber
— 185 —
es iſt noch gut, daß uns wenigſtens dieſer Fingerzeig gegeben iſt.
Die Jolle kann uns die Entführer verrathen.
Mittlerweile waren Eduard und Ferdinand auf die Laube
hinausgetreten und hatten beim Scheine einer Laterne die Trep—
penftufen und die Laube felbft genau unterfuht. Hier gewahrten
fie troß des Regens, welder das Holzwerf angefeuchtet hatte, deut-
lich die Abdrücke großer Nägelfhuhe, wie fie längerer Dauer we—
gen Schiffer häufig tragen. Auch an den Stufen der Treppe Eonnte
man bemerken, daß einige Zeit ein flarfed Boot fih an benfelben
gefcheuert haben mußte. Endlich auch fand fih ein Stück Zeug
an dem vorſtehenden Aft eines der Vorfeßen. Hier mußte das
Kleid der gewaltfam Gntführten hängen geblieben fein, als der
Nahen abſtieß. |
Miguel! raunte Heidenfret verftohlen feinen Söhnen zu. Ich
weiß, diefer fee, unternehmende Menſch hat geſchworen, nicht eher
zu ruhen, bis Chriſtine in feinen Befit gekommen fei!
Diefer betrübende Zwiſchenfall ſtörte die ferneren Freuden
des Feſtes, das unter ſo glücklichen Auſpicien begonnen hatte und
nun in einer grellen Disharmonie endigte. Heidenfrei erſuchte zwar,
ſelbſt bald wieder gefaßt und den innern Sturm unter einer hei—
tern Miene verbergend, ſeine Gäſte, ſich von dem Vorgefallenen
nicht weiter beirren zu laſſen, allein die verloren gegangene Stim-
mung fehrte nicht wieder zurüd, Bald brachen Cinzelne, dann
Mehrere auf. Auh Don Gomez empfahl fih unter warmen Ber-
fiherungen feiner innigften Theilnahme. Maſter PBapageno war
bald nad Entdeckung des Gefhehenen in Gefellfhaft mehrerer an-
deren Bedienten im Heidenfret’fhen Haufe angelommen, um feinen
‚Heren abzuholen. Eine Stunde nah Mitternacht: durchwandelten
nur noch die nächſten Freunde der Familie die Ieeren, von Blu—
men= und Speifedüften erfüllten Säle, und die Geigen ded Mu:
filhors, das fo Lange fptelen zu müflen glaubte, bis ihm die Wet-
jung zugehen würbe, aufzuhören, klagten und wimmerten, als
weinten bie edelften Herzen um die Seele einer ewig Verlorenen,
Zweites Buch.
— — —
Auguſtin Hohenfels.
Erfies Kapitel.
— —
Zwiſchen beiden Hemiſphären.
Welches Schauſpiel iſt großartiger und erhebender, der Anblick
einer Alpenlandſchaft von eiſiger Firn oder die Unermeßlichkeit des
wogenden Oceans in mondheller Nacht? Wenn man dieſe Frage
an ung ſtellte, würden wir uns für den Dcean entſcheiden, und
zwar beshalb, weil bei aller Erhabenheit mannichfach geftalteter
Bergformen das ungeheure Chaos der Gletfher und Schneefelder
doch immer nur das grandiofefle Bild des ewig Todten uns ver=
gegenwärtigt, während die nie ruhende Meeresfluth uns aud in
der leblos genannten Natur das nie raftende Schaffen des Welt«
geiftes ahnen und fühlen Täßt. |
Wenn die Sonne langfam untertaucht in die rollende‘ Fluth
und ber Himmel fi röthet, als ſchäme er fi) des letzten Abfchteds-
tuffes, den der Gott des Tages ihm geraubt; wenn dann Altes
fih in die ſchattige Gewandung der Nacht hilft und niederfinft, um
an ihrem Bufen zu entiälummern; dann wacht mitten in ber
fhlafenden Welt nur das endlofe Meer, das mit jeinen Riefen-
armen die Erde umfängt, trägt und mit den MWiegenliedern feiner
nie verflingenden Brandungsmelodieen einlullt am fpäten Abend
und wieder wach ruft am frühen Morgen. Friede und tiefe Stille
ruht auch auf dem Meere, aufdeflen fchwanfender Fläche der Mond die
wunderbarften Palälte und Thürme erbaut und Hundert und aber-
hundert Bewohner der Tiefe emporlodt mit magnetifch zwingender
Gewalt in das Zauberreih fhwimmenden Lichtglanges, der rundum
bie Welt umwebt. In der Tiefe aber, die keines Sterblichen Auge
— 1% —
ergründet hat, gährt und kocht es, die Woge hebt und fentt fi
ftärker, ein Hauch, wie aus Geiſtermund, macht fie ſchäumen, auf-
rollen, emporfpriken in gliterndem Silberfhaume, und die unge
ftalten Thiere des Oceans verfinken erfchroden in ihre unterfeetfches
Reih. Es iſt die Fluth, der geheimnigvolle Pulsſchlag des Welt-
meeres, ber an bie Herzlammern beider Hemifphären Flopft und
in gleichmäßig wieberlehrenden Schlägen den Menſchen verfündet,
bag der Schöpfer des Als noch lebt und die Zügel des Univer-
fums Hält.
Veber dem blintenden Firn glänzt nur der Stern und bes
fireut ihn mit den Farben des Prisma’s, von dem Gleiſcher herab
donnert die Lawine, deren Frahendes Echo die Bewohner der Al-
penthäler erjähredt und die Brut des Adlers auffheuht aus dem
fihern Hort — es iſt die Hand des Todes, die ſchwer auf dem
Weltherzen laſtet! Ueber den fluthenden Ocean aber zieht fill,
majeftätifh, die weißen Segelfittihe wie Hände ausbreitend, die
bittend und dantend fih zum flimmernden Sternenhimmel erheben,
das Schiff, jene wunderbare Wohnung, die der Menſch fi) erbaute,
um in ihr zu wandern von Pol zu Pol, von Küfte zu Küfte, von
Bolt zu Volk, getrieben und getragen vom Sauce Gottes, der bie
Sittiche dieſer Wandergebäude in Bewegung febt. Eine Mondnadt
auf dem Weltmeere tft ein Gottesdienft unmittelbar vor dem Throne
des Höchſten. Jedes Segel, das einer weißen Flamme glei fort-
hüpft über die rollende Fluth, wird uns zu einem Boten Gottes,
ben er ausgefendet bat, feine Herrlichkeit zu preifen und feinen
Namen zu verfündigen. |
In folder Naht führen wir den Lefer auf ein Schiff, das |
von den Küften Südamerika’ kommend, nach Europa fegelt. Es
iſt ein ſchönes, ſchlankes Fahrzeng, deflen fhwarzer Rumpf fi
letht und fiher auf den Wogen wiegt. Mit halb gerefften Se-
geln, die eine halbe Marsfegel- Kühlte fchwellt, fltegt es mit der
Geſchwindigkeit von adt bis neun Knoten über die dunkelgrün
[häumenden langen Wellen. Die Spigen der Maften glänzen wie
Nadeln und es ſcheint, als folgten ihnen die Sterne bes tief dun⸗
e
— 11 —
keln Himmels, der jetzt in der Nacht faft ſchwarz ericheint, fo heil
und durchfichtig fjt die Atmofphäre über dem großen Ocean. Bie⸗
weilen heben fi ein paar fliegende Fiſche aus dem Kryſtall ber
Bogen und ftrelfen, Bäche filberner Tropfen von ihrem Schuppen-
gefieder niedergießend, über die fhwer athmende Tiefe. Dann wie=
ber glänzt die Schwinge eines Seevogeld, der auf der Raae ſich
niederläßt, fein Gefieder zupft und mit neugterigem Auge auf die
wenigen dunkeln Geſtalten und das ganze feltfame Gebäude, das
ihn trägt, hinabblickt. Ein Schauer funtelnder Sternſchnuppen
weht hoch oben durch bie Welträume und erhellt mit geheimniß«
vollem Lichte jene mächtigen Gefllde bes Himmels, bie ſternenlos,
verlaffen, öde, tobt, wie Kirchhöfe des Weltalls, auf denen ausge⸗
brannte Sonnen beftattet werden, den machtlofen Menfchen mit
Staunen und Grauen vor Dem erfüllen, deſſen Namen jeber Den
ende nur mit Andacht nennt. Es find die Koblenfäde der Aftro«
nomen, die noch finfterer, noch nachtumdüſterter zwiſchen den er⸗
Teuchteten MWelträumen hängen, wenn das Irrlichtgeſchwader ver
Sternfhnuppen In ungemefjenen Fernen verfehwindet oder im Schwas
den unergründeter Schachte des Univerſums erliſcht.
Es iſt gegen Mitternacht. Auf dem Dee des Schooners, ber
die Bremer Flagge führt, Iehnt außer dem Manne am Steuer
und der Wahe am Bug, nur noch ein Mann auf ber Leejette
und blickt über die Schanzfleidung hinaus bald auf die endloſe
Maflerwüfte, über und auf der des Mondes Zauber gaufeln, bald
empor zum Sternenhimmel. Noch glüht dort im Süden, aber nur
wenige Monpbretten über dem Horizonte, das wunderbarfte aller
Sternbilder, das fürlihe Kreuz. Auf diefer Hieroglyphe bes Him-
mels, die noch Fein Europäer erblidt hat, ohne tief ergriffen und
in eine anbetende Stimmung verfeßt zu werden, ruht lange ber
Bid des Einfamen, der, wie jeder Seemann, in grobtuchener be=
quemer Jade einhergeht, ftatt der üblichen Kopfbebelung der Ma⸗
teofen aber einen breitrandigen Pflanzerhut trägt.
Schiff In Sicht, Süd-Süd⸗Oſt zu Oft! ruft die Wade, und
ber Paſſagier wendet das Auge der angedeuteten Gegend zu. Gleich⸗
- 19% -—
zeitig tritt der Capitain aufs Ded, das Fernrohr in der Hand.
Er beobachtet, Über das Quarterdeck fchreitend, den ſchnell fid
nähernden Segler, beffen Tope ſchon fihtbar werden und bas
Fahrzeug als eine große, ſchnell fegelnde Bark bezeichnen. _ Eine
Flagge ift noch nicht zu fehen und würde auch kaum erfennbar
fein, da das helle Mondlicht blendet und die Segel breite, flie-
gende Schatten werfen. Nah mehrmaligem Auf- und Niederge-
ben wendet fi der Gapttain zu dem faft regungslos die Woge,
den Nachthimmel und das herannahende Schiff fill beobachtenden
Paflagter.
Wieder fchlaflos, Herr? redet er ihn im Vorübergehen an.
Werden Ihrer Geſundheit fhaden. Die Nacht ift kühl, der Thau
- feucht und durddringend. Können fih das Fieber holen.
Fürchte ih nicht, Capitain, erwiederte der Paſſagier. Ich
kenne das Clima dieſer Breiten und bin gegen alle Wettereinflüſſe
unempfindlich.
Aber die menſchliche Natur bedarf des Schlafes, um nicht
zu ermatten.
Sagen Sie lieber, die Natur der meiften Menſchen. Es gibt
auch Ausnahmen. Laſſen Sie mich für eine ſolche gelten.
Der Capitain ging kopfſchüttelnd nach dem Vordertheil des
Schiffes und überließ den ſeltſam gearteten Paſſagier ſich ſelbſt
und ſeinen Gedanken.
Das fremde Schiff war inzwiſchen ſo nahe gekommen, daß
man am Bord des Bremer Schooners bereits die ganze Takelage,
ja die Zahl der Segel, die es aufgeſetzt hatte, erkennen konnte.
Dem wachthabenden Matrofen mochte die Zeit lang werben,
weshalb er erft nur leiſe ein Seemannslieb fummte, dann aber
einen damals fehr belichten Matrofengefang mit heller, volltönen—
der Stimme zu fingen begann, daß es weithinaus auf's Meer
verhallte.
Der Capitain Stand wieder beim Mann am Steuer, warf
einen Blick auf die Buffole unter der Laterne und fagte: Einen
halben Strih mehr Backbord, will das Schiff ſprechen.
— 193 —
Klirrend ließ der Steuermann das Rad um ein paar Spet-
hen abfallen, die Wogen brauften und ſchlugen gegen Bug und
Stern, der Schooner wiegte fih langſam, wie ein Reiter im Sate
tel eines flark austrabenden Renners, die Segel baufchten flärfer
auf, daß Raaen und Spieren ächzten, und das fremde Fahrzeug
kam näher in Sicht. Noch einige Minuten und der ganze Rumpf
bob fih aus dem leuchtenden Schaum ber fprühend verwehen-
den Fluth.
Der Capitain fehte fein Sprachrohr an den Mund und rief:
Schiff shot! Aus welhem Hafen? Wohin beitimmt?
Es vergingen wieder ein paar Minuten, dann wippte ein
dunkler Gegenftand am hintern Maft auf zur Gaffel und gleiche
zeitig dröhnte über das Meer herüber die dumpfe Antwort:
Hamburger Bart „Marte Eliſabethꝰ, Capitain Ohlſen, nach
Buenos⸗Ayres.
Der Bremer Capitain nannte jetzt den Namen ſeines Schiffes
und als Beſtimmungsort Bremen ſelbſt. Es kam von Rio. Von
der hamburger Bark klang es wieder zurück:
Alles wohl an Bord. Nichts Neues.
Es wurden noch einige Worte zwiſchen den Führern beider
Schiffe gewechſelt, dann mußte man die flüchtige Unterhaltung ein⸗
ſtellen, denn die friſche Briſe trennte die Fahrzeuge eben ſo Incl
wieder als fie fie einander nahe geführt hatte.
Der Capitain fah nad feinem Chronometer,
Zwanzig Minuten nad zwölf, fagte er, einen Blick auf ben
Himmel und den Mond werfend, der in ungetrübter Klarheit feine
Bahn wandelte. Die Nacht bleibt ſchön, fuhr er, mit fich ſelbſt
fprechend, fort, Morgen Vormittags aber wird der Wind wahrfihein-
ih umlaufen und uns weniger gutes Wetter bringen.
Er näherte fih nochmals dem immer noch an berfelben Stelle
Ichnenden Pafjagtere, der den bläulich glänzenden Waſſerſtrudeln
folgte, welche der Kiel des Schiffes aufrührte und bie oft ein
wunderbar ſchönes Farbenlicht entwidelten,
D. B. XI. Wiltomm’s Rheder und Matrofe, 13
— 194 —— .
Wollen Ste mid begleiten, Herr? fragte er. Mitternacht iſt
vorüber,
Sie find gütig, Herr Capitain, doch bitte ih, nicht auf mid
warten zu wollen.
Gute Naht denn, fprah der Gapitain. Morgen erreichen
wir die Cap Verdi'ſchen Inſeln.
Gute Nacht, erwiderte höflich der Paflagier, hüllte fich feſter
in feine Jade, verfchräntte beide Arme über der Bruft und fah
wie früher, unverwandt in das Rollen, Schäumen, Strubeln und
Sprühen der Wogen hinab, die in vielgeftaltigen Formen, bald
bebende Hügelreihen bildend, bald als wogende Thäler dem Schiffe
nahend, bald wie galoppirende, Säulen und Thürme tragende
Roſſe heranftürmend, an den feſten Planfen des Schooners zers
bariten.
Es mochten wohl zwanzig Minuten vergangen fein, da fah
man von ber Hamburger Bark nur noch die oberiten Segel über
den Wogen fhimmern. Ein Seufzer entrang fi) der Bruft des
Paflagiers der jegt feinen Standort verließ, noch ein paarmal die
Länge des Schiffes mit großen feiten Schritten durchmaß, den
Steuermann ſtumm grüßte und endlih ebenfalls in die Cajüte
ſich zurückzog. Beim Eintritt in dies zwar Meine, aber möglichſt
comfortable eingerichtete Zimmer, obwohl man damals den Lurus
jetziger Schiffsausftattungen noch nicht Fannte, wollen wir ung die—
jen Mann etwas genauer betrachten.
Start und muskulös von Körperbau, zeigte Das ganze Aeußere
bed Fremden, daß ein Leben voll Strapazen ihn nicht eben fanft
gewiegt haben mochte. Die Züge feines fehr dunfelbraunen, große
Energie verfündenden Gefihts waren freng, hart, tief gefurcht,
mit vielen Narben bedeckt. Das etwas ftruppige Haar, auf beffen
Pflege fein Beſitzer ſchwerlich viel Zeit verſchwendete, zeigte eine
fahlgraue Farbe, der aller Glanz natürlichen Haares fehlte. Dies
machte einen nicht angenehmen Eindrud, denn es gab dem Träger
defjelben das Anſehen eines Menfhen, der fih Das Haupt, biefen
Sig der Intelligenz und vielleicht der eigentliche Duell bes Lebens,
—— 195 —
welcher den ganzen übrigen Körper durchrieſelt, mit etwas Todtem
bedeckt hatte. Man konnte den Mann gern für ſechzig Jahre alt
halten, obwohl er möglicherweiſe um Vieles jünger war, denn die
ſtramme Haltung ſeines nervigen Körpers, der geierartige Blick
feiner großen, in tiefen Höhlen liegenden dunkelblauen Augen ver-
viethen, daß es ihm weder an phufifchen Kräften noch an einer
unverwüftlichen Geſundheit mangele.
In der Gajüte brannte die gewöhnliche von der Dede herab-
hängende Lampe, deren gebämpftes Licht gerade hinreichend war,
um den Fleinen Raum zu erhellen.
Beim Eintritt in die Cajüte war der Paſſagier, der einzige
auf dem ganzen Fahrzeuge, das außer dem Gapttain neun Mann
Befabung hatte, fehr behutfam, um den Gapttain in feiner Koje
nicht zu fiören. Grit, als er diefen mehrmals Taut huften hörte,
that er fi) weniger Zwang an. Er öffnete mit einigem Geräufd
bie zum Zurückſchieben eingerihteteg Thüren, eines Fleinen, nur zu
feinem Gebraude ihm überlafienen Settenraumes, der außer einem
bequemen Lager, noch verfchtevene Utenſilien für den täglichen Ge—
brauch, einige Bücher, einen fehr großen Koffer und eine ſtark mit
Stahlbändern umlegte und verfchloffene Chatulle enthielt.
Wird es Ihnen doch endlich zu kühl auf Deck? fragte der
thetlnehmende Gapitain aus feiner Koje, dem das merkwürdig rube>
Iofe Wefen feines obenein ziemlich einſylbigen Paflagters faſt un—
heimlich vorfam. Suhen Ste die Ruhe, denn‘ ih fage Ihnen,
Herr, in der nächften Nacht wird uns ber Wind ſchwerlich fchlafen
laſſen.
Iſt mir ſehr gleichgiltig, erwiderte der Paſſagier. Ich habe
etwas mit Napoleon gemein, der viel zu früh ganz ſchlafen ge⸗
gangen iſt, fett die Engländer ihn auf St. Helena wie einen
Straßenräuber bewachten. IH Tann fchlafen, wenn ich will, alſo,
wenn ich das Bedürfniß Dazu fühle, und ich kann wachen, ſobald
ih mir fagen darf, daß nublofer Schlaf ein freiwilliger Todtſchlag
ft, den leider fehr, fehr viele Menfchen an threr eigenen Seele
begehen.
13*
— 196 —
Der Gapitatn des Schooners war durchaus Fein philoſophiſch
gebildeter Kopf, Er hütete fih deshalb wohl, eine Bemerkung
zu machen, die feinen wunderlichen Paſſagier vielleiht zum Spre=
chen bewogen hätte, Brummend vielmehr Fehrte er fih in feiner
Kofe um und überließ tem nicht fehlaffeligen Fremden für den
Reſt der Nacht die Gajüte zu beltebiger Benugung.
Bweites Kapitel.
Der einfame Paflagier.
Diefer erfchloß jebt feine Chatulle und entnahm berfelben ein
ziemlich voluminöſes Paket. Dann ſetzte er fih auf das Feine
fhmale Sopha, welches an ber Rückwand der Cajüte angebracht
war, und löſte die es umminbenden Schnüre. Außer einem Heft
Papiere und einigen Briefen enthielt das Paket auch noch zwei in
Gold gefaßte Medaillons. Der Fremde betradhtete eins derſelben,
eine zarte, ungemein liebliche Srauengeftalt darftellend, in deren
großen dunkeln Augen Schwärmerei und Leidenfchaft ſich begeg-
neten, lange. Sein Mund zudte frampfhaft wahrend dieſes Be—
fhauens, die buſchigen Augenbrauen, welche feine tief liegenden
Augen überſchatteten, zogen fich fehmerzbewegt zufammen, und ein
paar die, heiße Thränen fielen nieder auf die braunen, gefurd-
ten Wangen des Fremdlings. Cr küßte das Bild und legte es
tief auffeufzend bei Seite. Jetzt warf er auch auf das zweite
Medaillon, auf dem fih das Bruſtbild eines in vollfier Jugend
kraft ſtehenden Mannes befand, einen Blick. Diefer Mann mußte
ſchön geweſen fein und viele Augen auf fich gezogen haben. Aus
dem bligenden, freien Blick ſprachen Selbftgefühl und Intelligenz;
bie hohe gemwölbte Stirne verkündete Gedankenreichthum und Un=
ternehmungsgeift. Auch dies Bild warb lange Gegenftand einer
ernften, wehmüthigen Muſterung. Plötzlich erhob fih der Fremd⸗
— 197 —
Ting, kehrte fih um, daß er fein eigenes Antlig in dem fiber dem
Sopha hängenden Spiegel betrachten konnte, und ballte im näch—
ften Augenblide fetne Hand um das Medaillon, während er in
ein heiferes, marterfhütterndes Lachen ausbrach.
Matt zufammenbrechend, entfiel das Bild feiner Hand. Gr
achtete nicht darauf. Die Hände tneinandergeflodhten und über
feine Stirn gelegt, faß er da, ſchwer athmend. Er war das ver-
förperte Unglück, das einfam, freundlos, ungefannt, in tiefer
Naht auf dem Ocean treibt, nachdem es zehnmal Schiffbruch ge=
Ittten im Leben und darin Alles verloren. Ihn flörte nicht Das
Raffeln und Klirren der Steuerkette, die über feinem Haupte
dur, die Klüfen lief, ebenfo wenig achtete er auf den dumpfen
Schall der Tritte, die von Zeit zu Zelt, wenn die Wade bag
Deck bejhritt, hörbar wurden. Das Schiff flog unbehindert raſch
über die Wogen, die es leicht, bald ftärker, bald ſchwächer ſchau—
kelten, und dieſe wiegende Bewegung war dem einſamen Paſſagier
eher angenehm als unangenehm.
Als der Fremde feinen Schmerz überwunden hatte und wie—
der Herr über ſich jelbjt geworden war, ließ er die Hände finten,
raffte beide Medaillons auf, ohne fie noch einmal eines Blickes
zu würdigen, widelte fie ein und legte fie wieder in die Chatulle,
Hierauf griff er nad den Briefen, von denen er einen fehr lan-
gen, mehrere Seiten füllenden entfaltete.e Am Ende defjelben
ftand der Name Eduard Heidenfret und diefer Name veranlaßt
und, das für uns wichtige Schreiben zugleich mit dem Paſſagier
zu lejen.
Nun, vielleicht wird es dennoch beſſer! ſprach der Fremdling,
fi ſelbſt ermuthigend, vielleicht blüht mir in meinem Alter nod
jenes Glück, Das nah dem Willen Gottes und dem Geſetze der
Natur nur die Jugend zu pflüden und wirklich zu genießen bes
rufen if, Jetzt meinen fie es redlich mit mir; daß fie auch
früber, als ih noch ſtark, willensträftig, freimüthig und unter-
nehmend war, nur mein Beſtes gewollt Haben, will Ih annehmen.
— 198 —
Es nüßt ja doch nicht, die Iebendige Gegenwart mit dem Stid-
ftoff der todten, verwefenden Vergangenheit zu vergiften.
Den Brief entfaltend, begann er zu Iefen. Das Schreiben
lautete:
Beiter Oheim! |
Ueber deine Antwort auf unfern erften Brief haben wir uns
Alle fehr gefreut; vor Allem beruhigte e8 die Mutter, zu er-
fahren, daß deine kräftige Natur gefiegt und du wieder in voller
Geſundheit den Stürmen entgegentreten kannſt, die etwa noch in
der Zukunft drohen mögen.
Der Vater, mit welchem wir Brüder deinetwegen, beſter
Oheim, lange und ernſte Unterredungen gepflogen haben, iſt kei—
neswegs abgeneigt, auf deine Pläne einzugehen, nur wünſcht er
fie zuvor ihrem ganzen Umfange nad kennen zu lernen; du darfſt
ihm das nicht verdenfen, Vater kennt Brafilien nicht aus eigener
Anfhauung, er kennt e8 nur aus deinen feurigen Schilderungen
und unfern profaiihen Grzählungen. Auch liegt eine gewiſſe
Wahrheit in der Behauptung des Vaters, daß es dir nah fo
langen Irrfahrten ſchwer fallen werde, ein umfafjendes kaufmänni—
ſches Gefhäft mit all der Liebe und eifernen Ausdauer zu leiten,
die nun einmal zu beflen Gedeihen unerläßlih find. Laſſe did
teogdem nicht abjhreden, der Vater willigt doc ein, denn es
liegt ihm felbft zu viel an diefer Untegnehmung, ja, er Tann
ihrer kaum mehr entbehren, weil fie der Ghriftophorus des hei—
mifhen Gejhäftes fein wird. Im nädften Sommer befucht Did
einer von und Brüdern. Dann bereifen wir mit dir das Land,
jhließen mit der Regierung ab und thun den erſten Spatenftich
zu ber Golonte, die Feinen andern Namen als deinen eigenen
tragen ſoll. Geht es mir nah, fo taufen wir fie Hohenfelsland.
Dort ſollſt du dann leben, regieren. König fein, freilich ohne
Krone und Scepter, aber doch unabhängiger und freier, als jeder
König in Europa, Du wirft herrſchen über die Herzen eines
Volkes, dem dein Unternehmungsgeiſt Boden gegeben, dem bu
eine Zukunft gegründet, eine Heimath erobert haſt. Man wird
— 199 —
dich lieben, verehren, anbeten, wie einen fegenfpendenden Apoftel,
und in dem Bemwußtfein, dies Erlöfungswert aus der Knechtſchaft
des Arbeitsprudes, aus der Qual des Hungers für Tauſende
dur deine Energie begonnen zu haben, wirft du all die Schmer-
zen vergeflen, welche beine Seele fo tief verwundeten und Dich
Jahrelang verzweifeln ließen an der Menfchheit !
Sieh, befter Oheim, ih und Bruder Ferdinand, wir haben
fo unfere eigenen Pläne und tragen und, wenn wir Abends eine
Stunde allein find, mit gar wunderbaren Gedanken. Uns hat e8
immer verdroflen, daß fo zahllofe Menfchen, denen es doch fonft
weder an natürlidem Verſtande noh an Kenntniffen fehlt, mit
einer gewiflen Geringfhäsung auf den Kaufmann herabfehen. Da
wirft man immer und immer wieder mit „Pfefferſäcken“ um fid,
um das grob Gemeine recht empörend roh audzudrüden, das an=
geblich Teitendes Prinzip aller Kaufleute fein fol. Nun, th will
gern zugeben, daß es fehr, fehr viele eigennüßige, geiſtlos egoi⸗
fifhe, widerwärtig gewinnfüchtige Naturen unter. den Millionen
Kaufleuten gibt, welche die Erde trägt, Tann aber dieſe im Ver⸗
hältnig zum Ganzen doch immerhin geringe Anzahl den Stand
ſelbſt herabſetzen? Ich Tenne Theologen, die wahrlih als Flid-
ſchuſter befier am Plabe wären, mir find Zurtiten in den Weg
gelaufen, die vor dem Rechtöbegriff ungefähr eben fo viel Refpect
haben, als der Gärtner vor einem Regenwurm. Und Gelehrte
gibt ed, Gelehrte von allen Farben, bie ihre Wiffenfchaft wie
Färber betreiben und Alles in eine Brühe tauchen, um es ihrer -
Anfiht nah für die Welt erft brauchbar zu mahen. Es fällt
mir aber biefer geiftlofen Handlanger wegen nicht ein, alle Ge⸗
lehrſamkeit für überflüffig, der Jurtfterei und Theologie den Krieg
zu erllären.
Ich meinedtheils habe von dem Handel und von denjenigen,
welche dem Handel ihre Kräfte, ihr Leben, ihr Talent — denn
bas gehört ganz wefentlih mit dazu — aus innerm Triebe wid»
men, einen ganz andern Begriff. Wer mich „Pfefferſack“ ſchimpft,
fol es thun auf fein Gewiſſen und feine Verantwortung bin, er
— 200 —
mag fi aber vorjehen, daß ihm dieſes Wort nicht die letzten Xe-
bensftunden erſchwert. Mich dünkt, ohne Handel würde die Welt,
auch unfere faft überbildete europätfhe Welt, noch ziemlich tief In
ber Barbarei fteden.
Was heißt denn eigentlich Handel treiben? Darüber fuchen
firh die Wentgften, wie leider über alles Andere auch nicht, Klar
zu werden. Handel war und iſt noch bis auf den heutigen Tag
nichts Anderes, als ein allgemeiner, die ganze Welt, Culturvölker
und Wilde umfafjender Austaufh der verfchtedenften Producte,
mögen es nun Rohproducte oder Grzeugniffe der Induſtrie und
Kunft oder endlih DOffenbarungen der Wiflenfhaft fein. Ohne
Handel, d. h. ohne dieſen unbegrenzten Austauſch aller, gröbfter
wie edelfter, materieller wie geiftiger Producte, könnte die Welt
ebenfo wenig beftehen, als es ohne Luft und Luftdrud, ohne bie
Schwer: und Schwungfraft der Körper, ohne Magnetismus, An⸗
ztehungs= und Abſtoßungskraft im Weltall eine Welt voll Him—
melölörper gäbe. Die Hand alfo aufs Herz, Ihr Feinde oder Ver⸗
Fleinerer des Handels, Ihr Alle treibt Handel, denn Leben heißt
Handel treiben! Ohne biefen ewigen Austaufh von Mein und
Dein, von Bedürfnig und Bedürfnig, was follte aus der Menſch—
heit werden! Je größer die Cultur und mit ihr die Bedürfniſſe
der Culturmenſchen werden, um fo bedeutungsvoller muß auch ber
Handel fi geftalten. Das gebildetfte, eulturfähigſte Volk wird
immer aud das handelsmächtigſte fein, wenn es fih culturgemäß
aus fi ſelbſt entwideln darf und nicht fremde Fefleln feine Reg-
ſamkeit hindern oder begränzen, Die Weltgefchichte hat es vor-
zugsmeife dem Handelstriebe, der, wie der Fortzeugungstrieb in
jedem Individuum Itegt, in dem einen aber mehr und flärfer als
in dem andern entwidelt tft, zu danken, daß bie Cultur gegen-
wärtig auf dem größten Theile der bewohnten Erde Hütten baut,
Betrachten wir nur Amerika und zwar namentlih Nordamerika.
Der „weiße Mann”, der an der Oſtküſte an’s Land ſtieg, er bat
dieſen unermeplichen Gontinent fih und der gefammten Gulturwelt er⸗
pbert, nicht duch das Schwert, wenn auch mandes Boviemeſſer
— 201 —
geſchwungen und mande Riffle auf die wenig gewiſſenhaften Roth-
häute Iosgefnallt ward, fondern vornehmlich durch die Art, den
Pflug und den Handel. Dem Suuatter, der mitt der ganzen Zä—
higheit einer Urwaldsnatur das Land reutete, der Cultur ſchmale
Gaſſen In die Wildheit eines jungfräulichen Welttheiles hieb, folgte
der Regulator mit dem grob gefehriebenen Gefeh: und Sittenbuche,
um Ordnung in das Chaos, Licht in die Naht zu bringen. Dann
drängte der Händler nad, ber Product gegen Product umtaufchte,
dem Erwerb Quellen erfchloß und Wohlhabenheit gründete. Der
Pelzhändler, der unternehmendfte aller Kaufleute, der in einer
Perfon Krieger, Jäger, Kaufmann, Miffionär und Eroberer tft,
flürmte weiter, von Thal zu Thal, von Prairie zu Prairte. Ihn
hemmte fein Strom, kein Sumpf, fein Waſſerſturz. Den Büffel
fing er ein mit ficher gefshleudertem Schwungfeil, oder erlegte thn
mit weithin treffender Büchſenkugel, wenn er feiner bedurfte. Ein
gefällter Ahorn oder Eichbaum oder Hickory war fein Nahen, der
ihn über nie befahrene Ströme trug. Weber Felfenpyramiden und
Eisfelder bahnte er fih, jetzt die Art ſchwingend, jept fein Pulver-
born leerend, um Minen zu legen, einen Weg zu den unbetretenen
Nadeln der Felfengebirge, überfiteg fie und warf den Trauungs—
ring, mit dem er Befi nahm von der rauſchenden Meerfluth an
der Weftfüfte, in die Brandung bes ftillen Oceans. Das Alles
bat der Handelsgeift vollbracht, deſſen gewaltigfier Herold ein Mann
deutſchen Stammes, ein armer verlaufener Junge unbemittelter
Aeltern, Johann Jacob Aſtor war, einer der größten und ver⸗
dienſtvollſten Männer aller Zeiten. „Du, beſter Oheim, beſitzeſt
ähnliche Triebe, und wenn du nur willſt und der Schwungkraft
meines jugendlichen Geiſtes, die Alles zu unternehmen Luſt und
Muth Hat, dich bedienen magſt, wie du kannſt und darfſt, jo kön⸗
nen wir vereint dem Süden Amerika's daſſelbe werden, was unfer
vom Glück begünftigter Landsmann den Vereinigten Staaten Nord=
amerika's bereits geworden iſt.
Vergib mir, theuerſter Oheim, daß ich ſo ganz offen mein
übervolles Herz bir enthülle. Ich muß es thun, denn es drängt
— 202 —
mich dazu. Wir müffen uns ganz kennen Iernen, um fpäter mit
voller Kraft, mit ganzer Webereinftimmung wirken und unfere Welt-
verbefferungspläne ausführen zu können. Darum bitte ich dic,
wirf diefen Brief nicht von dir, fondern höre meinem Geſchwätz,
das auf logiſche Folge Feinen Anſpruch macht, auch Länger noch zu.
Ich läugne es nicht, Oheim, mir ſchwebt ein Ideal vor, bad
am Tage mich entzückt und zu größter Thätigkeit anſpornt, und
des Nachts meine Träume mit phantaſtiſch hellen Lichtern aus⸗
ſchmückt. Ein Traumbild, ein bleſes Phantom darf dies Ideal
nicht bleiben, ſonſt würde ich mein Leben ein verfehltes ſchelten
müſſen.
Bisher war der Kaufmann mehr blos Eroberer und kluger
Verwender der Schätze, die ihm der Handel zuführte, er kann und
ſoll aber, wie ich die Aufgabe des Kaufmannes und Rheders faſſe,
noch weit Größeres vollbringen. Der Handel kann dereinſt den
Krieg ablöſen. Das mag parador klingen, dennoch liegt eine
Wahrheit darin. Die Zriedensprediger, die bin und wieder ihre
Stimme erheben, find zwar nicht nad) meinem Sefchntad, denn es
liegt eine füßliche Unkraft in ihrem bittenden Geflöte, daß ich viel
lieber ein herzhaftes Hedenfeuer anhören, und mitmachen will, als
den Bügelhalter diejer näjelnden Kopfhänger abgeben, die mir vor-
fommen wie Gaftraten des männlihen Stolzes und Muthes.
Höre, wie ich mir dem frledlich erobernden Kaufmann denke.
Bor meinem geiftigen Auge fieht ein Mann, jugendfräftig, geſund
an Leib und Seele, fharfen Blides, hellen Verftandes, gebildet,
was ich unter gebildet verftehe, tft alfo ein Mann, der nit nur
feine vier Spectes, feine Kettenregel verftieht und weiß, was eine
Primzahl tft, fondern, der mit Einjchluß der rein kaufmänniſchen
Bildung mächtig iſt der berrihenden europäiſchen Sprachen, der
auf einer gelehrten Schule fi genügende Kenntniffe claffifher
Bildung angeeignet, auf einer Univerfität wenigftens ein Jahr
lang Jurisprudenz und Gameralwiffenihaften gehört und auch
wirklich ſtudirt, mithin begriffen hat. Ihm find ferner geläufig
alle neueften Erfindungen, er tft heimiſch in den Naturwiſſenſchaf⸗
— 203 —
ten und verfieht ein Urtheil abzugeben, wenn Jemand feinen Rath
begehrt. Ein Kaufmann, der folhes Rüſtzeug führt, deflen Schild
bie Bildung, deſſen Schwert die Zunge, deflen Wappen der Feder:
zug tft, den er feinem Namen anhängt, bat die Kraft und den
Beruf, überall fih und feinen Willen geltend zu machen. Wo er
eriheint, weicht feinem beffern Willen die Uncultur. Gr fiegt im-
mer und fiegend gewinnt er Boden, gründet er Golonieen. Die
Colonie weitet fih aus zum Gemeinweſen, das Gemeinweſen er-
blüht zum Staate, der fih felbft regiert durch die Intelligenz ſei⸗
ner Gründer. Das materielle Gut, das Product des Bodens und
der arbeitenden Hand tauſcht dafür geiftiges But, das Product bes
Denfers und des fhaffenden Gehirnes ein, und weil Staat und
Gemeinde, Wohlfahrt des Einzelnen und Sicherheit Aller nicht
denkbar find ohne Schule und Kirche, fo erbaut fi die Dankbar⸗
feit des Menfchen neben der Arbeitshütte von felbft den Tempel,
in deſſen geheiligtem Raume die Andacht und der Glaube wohnt.
Meint du wohl, daß einmal eine Zeit konmen wird, von
der fih jagen läßt, es jet erfüllt, was ih im Hinblid auf die
Zukunft und im gefiherten Beſitz deſſen, was wir errungen, hier
als Ziel des Handels bezeichnet habe? Ich glaube es, Liebiter
Dheim, ohne an Utopten zu glauben. Die Welt hat ganz un-
glaublihe Fortſchritte gemacht, die nur benutzt fein wollen, und
wir müſſen uns wirklich mit einem Poeten oder beſſer mit allen
Männern geiftigen Forſchens affoeitren, wollen wir den Kriegsgott
abfegen und ohne die Welt in Müffiggang und trägem Alltagsle-
ben verfjumpfen zu laſſen, den Gott der Künfte und bes Handels
an deſſen Stelle fegen. Wo die Mafchine fauft und mit ih—
ren Hebeln, Zangen, Zähnen und Rädern die Hand des Menfchen
erfegt, da hat der denkende Kopf Zeit genug, Über die Auflöfung
noch unbetannter Welträthfel nachzudenken. Der Thätige, der
Dentende und Schaffende aber verfumpft nie. Kriegsheere und Ka⸗
nonendonner rütteln die Völker auf, es tft wahr, follte fi denn
aber nicht dafjelbe mit weniger traurigen Folgen, unter Thränen
ber Freude, nicht des Schmerzes und Kummers, thun laflen, wenn
— 204 —
wir das Eiſen der fhaffenden Intelligenz dienftbar mahen? Nehmt
alles Metal und verwendet es zur Hebung der Gultur. Löthet
mit dem Schlagloth der Ideen, der Erfindungen die Kette zuſam⸗
men, die einen neuen Bund .fliftet unter den Völkern, den Frei—
mauererbund der geiltig und materiell Strebenden, denen feine
MWiffenfhaft zu neu und hoch, Tein Gedanke zu fühn, fein Wag—
niß zu groß iſt, wenn es gilt, Die Menjchheit zu beglüden !
| Da, befter Oheim, Haft du ein flüchtig hingeworfenes Broufl-
Ion ber Pläne, die in mir gähren. Alles, ih weiß es, wird fich
nicht erfüllen, Manches aber fchlägt mir ficherlih ein, und wenn
ih fterbe, Tann ich ruhig mein Haupt niederlegen und ausrufen:
Herr, bier find fie alle, die du mir gegeben haft — die hoch aufs
gefihoffenen Kinder meiner Gedanken, ohne Fehl, ein freudig in
die Zufunft blidendes Geſchlecht, dem bereinft noch glüdlichere
entkeimen werben.
Ich fehe ein Lächeln über dein Gefiht gleiten, du Vielge—
prüfter, das dem jugendlihen Schwärmer gilt, den bu vielleicht
bemitleideſt. Ja, ih bin ein Schwärmer, und ich wünſche es zu
bleiben, wenn Schwärmen nichts Anderes iſt, als Baufteine fam-
meln, zuhauen und aufthürmen für die Erziehungshäufer, die Tem-
pel und Kirchen des zufünftigen Geſchlechtes. Aber ich will und
muß abbreden, da ich noch vielerlei Anderes auf dem Herzen und
dir mitzutheilen habe. — —
Der Lefende legte bier das Schreiben nieder und fügte fin=
nend die gebräunte Stirn in feine Hand. Kein Lächeln erhellte
feine hart gewordenen Züge. Die großen, tiefen Augen richteten
fih nah Oben, als fuchten fie dort an dem ungewiſſen Lichtge-
flimmer der Lampe, die ihren matten Schein über das Dedengebälf
ber Cajüte ausgoß, eine Antwort zu leſen auf ſtill hingeworfene
Fragen.
Nah einiger Zeit nahm ber Ginjame 6 den Brief wieder auf
und las welter:
Unfer Familienleben, , beſter Oheim, tft felt dem Feſte, das
ein fo betrübendes Ende nahm, ſtiller und einförmiger geworben
— 105 —
als früher. Der Vater mißtraut jebt faft allen Menſchen, die er
nicht ganz genau kennt, und erſt, wenn er untrügliche Beweiſe von
Jemandes Treue oder Zuverläſſigkeit in den Händen hat, erſchließt
fich ſein großes, menſchlich gutes Herz, und von Neuem leben alle
Pläne der Vergangenheit wieder in ihm auf. Am meiſten drückt
den Vater der ſtille Kummer ſeines langjährigen Quartiersmanns
um die noch immer nicht wieder gefundene Tochter, Wäre an⸗
zunehmen, daß fie verunglüdt jet, fo würde der brave Alte fid
tröften und refolut fallen, wir find aber durch unermüdetes For-
fhen zu der traurigen Weberzeugung gekommen, daß fie höchſt
wahrſcheinlich lebt, vielleicht in harter Gefangenfchaft, vieleicht in
glänzenden, aber entwürdigenden Verhältniffen. ine frevle Hand
Hat die Unglüdlihe geraubt und irgendwo — ob nah, ob fern
von der Heimath wer mag es fagen! — in fiherm Verſteck uns
tergebraht. Wo aber tft die frevle Hand zu fuhen? Hat man
fie aufzufpüren in den höchſten Schichten der Gefellfhaft, wofür
fih) wenigſtens Vermuthungen aufftellen laſſen, oder muß man
hinabfteigen in die tieferen Kreife, was abermals Manches für fi
bat? Hier find den Vermuthungen, dem Verdachte enblofe Irr⸗
pfade eröffnet, denn an wirklich haltbaren Spuren fehlt es durch⸗
aus. Wir wiffen nur, daß ungefähr um die Zeit, wo Ghriftine
verfhmunden tft, von einigen fehläfrigen Wächtern ein ſtarker Na=
hen bemerkt wurde, welder mit langfamen Ruderfchlägen unter
der Holzbrüde hindurchſchwamm. Die Wächter wollen drei Berfo-
nen darin erfannt haben, die wie Fiſcher von den Injeln geflei-
det waren. Der meifte Verdacht ruht bis jet noch auf einem
Matrofen, Namens Miguel, einem jungen Manne von höchſt zwei-
felhaftem Charakter, und auf befien Zreunde, dem Steuermanne
Andreas vom Schooner „Adolphine”. Beide junge Leute waren
befreundet und ftellten dem jungen Mädchen, noch ehe dafjelbe als
Geſellſchafterin unſer Haus betrat, nad. Miguel, ber von unbes
kannter neufpanticher oder Halbportugtefifcher Abkunft iſt — feine
wirkliche Heimath iſt nämlich nicht befannt — hatte fogar wieder-
Holt in Tetdenfchaftlichen Worten betheuert, dag er ohne Ghriftine
— 206 —
nicht leben könne. Auffallend nun iſt es, daß ſowohl Andreas
wie Miguel in der Nacht, wo Chriſtine aus, unferm Haufe ge=
raubt wurde, ebenfalls verfchwunden und zwar fpurlos verfhwun-
ben find. Gegen neun Uhr Abends holte Andreas feinen Freund
Miguel von feinem Schlafbans ab. Ste flüfterten Tebhaft mit
einander, ehe fie fortgingen, und Andreas bat fogar den Baas, er
möge bis nah Mitternaht auf fie warten, da fie erft um diefe
Zeit zurückkommen würden. Der Baas Hat fpäterhin ausgefagt
und feine Ausfage fogar eidlich erhärtet, daß Miguel fehr finfter,
fat gefährlich wild ausgefehen und außer feinem gewöhnlichen
Mefler, das er ftets bet ſich getragen, noch einen kleinen zierlichen
Dolch in die Falten feiner Schärpe geſteckt habe. Dieſe Anzeichen
deuten auf eine Entführung des jungen Mädchens durch die ge=
nannten beiden jungen Männer. Etwas Wetteres, Verfänglicheres
tft aber nicht ermittelt worden, ungeachtet die Behörde alle Mittel,
allen Scharfſinn aufgeboten hat, um diefem höchſt feltfamen Hans
bel auf Die Spur zu Fommen.
Diefes fatale Ereigniß hat uns Alle, wie Du wohl denten
kannſt, ſehr ſchwer betroffen. Es kähmte felbft in ben erſten Ta-
gen unfere gewohnte Thätigleit, fo daß es falt etwas drüber und
drunter ging. Da Iernten wir in der That mit Staunen und
mit Rührung zugleich kennen, wie völlig unſchätzbar ein Menſch
tft, deflen ganzes Dafein in einem ihm theuer gewordenen Gejhäft
gleihjam aufgeht. Du erinnerft dich gewiß noch des veblichen,
IN fleißigen, einfieblerifhen Buchhalters Treufreund, Vater fagt,
er habe dich geliebt, wie einen Sohn und did ftets in Schuß ge⸗
nommen, wenn Andere dir Lieblofigfeit, Starrfinn und Hochfahren-
beit Schuld gaben. Diefer brave Alte, der jebt manderlei lächer⸗
Iihe Gewohnheiten angenommen hat, weshalb er die Zielfcheibe
junger Wiblinge tft, ohne es zum Glück zu bemerken, lebt nod
in unferm Haufe und iſt nah Kräften thätlg. Als er nun un-
jere Verſtörung ſah und den bedenklihen Trübfinn bes Waters,
da fam jener wunderbare Getft der Aufopferung fiber ihn, den
wir fo gern geneigt find, für Meberfpannungzzu halten, und ben
— 307 —
wir am Tiebften nur den Märtyrern vindiciren. Er gar auf ber
Stelle die Seele des Haufed. Es gilt die Ehre, die Erhaltung
der Firma, ſprach er zu fi jelbft, obwohl er zu den Nieberges
Thlageniten gehörte, und als fei gar nichts vorgefallen, handelte
er mit des Vaters Genehmigung für diefen und bewahrte das
Haus dur fein wahrhaft bewundernswürdiges Verfahren vor bes
traͤchtlichen Verluſten. Leider war es und bis jebt noch nicht
möglich, der ehrlichen Seele mitzutheilen, daß du noch lebſt. Wir
fürdten, die Freude möchte ihn tödten, Nur ein glüdlicher Zufall
Tann diefe Mittheilung ermöglichen. Deine mit ihm geführte Cor⸗
vefpondenz tft Treufreund’s größter Schag. Diefe hält er vor Je⸗
bermannd Augen verborgen. Nur an fiillen Sonntagen, wenn
das Haus leer geworden oder des Nachts, wenn Alles fchläft,
fhlüpft der treue, tieffüblende Menſch in's Comptoir und ſtudirt
in den alten Blättern, deren Dinte gewiß längit ſchon gelb und
unfcheinbar geworden iſt. Er ſchließt fih dann ein, wie ber Gei⸗
zige, der über der offenen Gelbfifte ſitzt und bei verfchloffenen Thü—
ren feine Augen an dem falten Silberglanz der blinfenden, in
Menge zufammengetragenen Chabons *) weidet. Nur zählt Treu—
freund feine filberne Doppelmarkftüde, fondern die Diamantfläub-
hen, die von dem Herzen eines wahren Freundes an feiner Seele
ſich angeſetzt haben.
Von deinem Sohne, den du in Europa, ja ſogar in Deutſch⸗
land vermuthelt, haben wir bis zu biefer Stunde feine Spur zu
entdeden vermocht. Die havanefifche Firma muß entweder erfuns
den fein oder fett längerer Zeit nicht mehr beitehen. Man kennt
fie niht. Auf diefem Wege alfo wird die Ermittelung Taum
möglid, werden. Ja, wenn du irgend ein Merkmal angeben könn
teft, dag fi nicht verwifchen läßt, Uber du biſt ja faum je im
Befig deines Kindes geweſen und haft alfo wahrſcheinlich aud nicht
darauf geachtet.
*) Doppelmarkftüde von feinftem Silber, während der franzöſiſchen Herr»
haft geichlagen, und gegenwärtig nur noch in geringer Anzahl vor-
handen.
— 208 —
Bitteg beiter Oheim, ſchreibe unmittelbar nah Empfang die
ſes Briefes wieder und laſſ' uns wiſſen, was du befchloffen haft.
Wir müffen uns bald ſprechen, womdglih noch in diefem Jahre.
Die Wiederaufrihtung der Handlung drüben, ſei's in Rio oder
an einem andern, günftig gelegenen Plabe, fteht fe. Einer von
und Brüdern tritt die Reife dahin an, fobald du geſprochen und
einen unumſtößlichen Entſchluß gefaßt haſt.
Von den Aeltern, Bruder Ferdinand und meiner kleinen zar⸗
ten Schweſter, die fett einigen Monaten die merkwürdige Ent-
deckung gemacht zu haben fcheint, daß zwei Lichtfirahlen, die aus
verfchtedenen Augen hervorbringend, fich begegnen, ein eigenthümlich
wohlthuendes Gefühl im Herzen erzeugen, viele Grüße. Die Leb-
tere pflegt mit aufopfernder Sorgfalt zwei fhöne Myrtenbaum-
hen und behauptet mit Tiebenswürdiger Natvetät, fie würden bin—
nen Sahresfrift groß genug geworben fein, um Retfer und Blüthen
zu dem fhhönften Brautkranze herzugeben, ohne dadurch an Zierde
und Kraft zu viel zu verlieren. Es iſt wunderbar, wie ſchnell
bie Mädchen Hug werben, fobald fie volle achtzehn Sommer zäh—
len. Deine Nichte Elifabeth gehört unbeftritten zu den allerge-
ſcheidteſten, denn nicht allein,. daß fie fingt, fpielt, artig malt und
ſchön ſchreibt; fie philofophtrt auch, macht niedliche Verſe, ohne fich
in den Versfüßen zu verzählen, und tft fogar, was mir bisher
bei feinem andern Mädchen ihres Alters vorgefommen, nicht im
Geringften gegen das Heirathen eingenommen !
Lebe wohl, befter Onkel, und lies dir aus dieſem endlofen
Schreiben fo viele Grüße eines dir treu ergebenen Herzens heraus,
als du braucht, dich in deiner Einſamkeit zu ftärfen.
Dein aufrichtiger Neffe
Eduard. Heidenfret.
— 209 —
Drittes Rapitel.
Gedankenſeelen eines angehenden Nhebers.
Die Lectüre diefes Briefes mußte Auguftin Hohenfels, ben
unfere Leſer bereits in dem einfamen BPaflagier erkannt haben,
etwas beruhigt haben. Cr ſah heiterer, faſt glüdlih aus, und
aus feinen großen Augen brach das fprühende Licht zündender
Gedanfen.
Das Schreiben feines Neffen, den er perfönlich eben fo wenig
fannte, wie mandes andere Individuum, von weldhem die Rede
darin war, hatte des eigenthümlihen Mannes ganzen Beifall,
Auguftin Tiebte Eduard, nicht fowohl, weil er fein Neffe, das Kind
feiner Schweſter war, fondern weil aus den Worten des jungen,
ftrebenden, denkenden Kaufmannes ihm fein eigenes Wollen und
Ringen in frifcher, fhöner Jugendblüthe entgegenfhlug. Darum
war er auch weit entfernt, Die manderlei Auslaffungen, die aller=
Dinge im Wunde eined nur berechnenden und großen Gewinn
erztelenden Kaufmannes eigenthümlich Elangen, als unerreichbare
Phantafieen eines Schwärmers zu belächeln. Hohenfels fühlte fich
gehoben und geftärkt durch die Mitteilungen feines Neffen, und
gerade, weil in einem Jüngeren Ideen Yebten, die den feinigen
analog waren und diefe zum Theil noch ergäanzten, glaubte ber
jet gereifte Mann, den fo viele Stürme nicht zu brechen vermod-
ten, fein Leben und Wollen könne doch nicht ein ganz verfehltes
genannt werden.
Auguftin Hohenfels legte das Schreiben zu den beiden Me—
daillons und ergriff jebt das ftarfe Gonvolut Dicht bejchriebener
Papiere. Unſchlüſſig, ob er es öffnen folle oder nicht, faß er eine
Heine Weile, dann Iöfte er mit raſchem Griff die Umhüllung und
entfaltete ein Manufeript, das die Ueberfchrift trug: „Aufzeid-
nungen aus meinem Leben.” |
Wie er diefe Worte und den Tag las, an welchem er bie
erften Blätter derfelben niedergefchrieben Hatte, überrieſelten fein
D. B. XI Willkomm's Rheder und Matrofe, 14
— 2110 —
Herz abwechſelnd Schmerzens⸗- und Wonneſchauer. Noch zögerte
er, und wohl dreimal zog er die Hand zurück von dieſen Aufzeich-
nungen, als enthielten fie Gift, deſſen bloßer Duft ſchon lähmend,
wo nicht tödtlich wirke. Auguftin kam fid) vor bald wie ein Tod⸗
tengräber, bald wie ein Geifterbanner, und in der That konnte er
fib aus dem Sinen in den Anbern verwandeln. Es war fein
Grabmal, deſſen Dedel er aufgebrochen hatte. Da drinnen in ber
vergilbten Hülle diefer Paptere lag fein ganzes vergangenes Leben
begraben. Da war ber Menfh, der er einft gewefen, unbemerkt
vermodert, in Staub zerfallen. Ihn herausnehmen, die Atome
dieſes Staubes jet wieder in einen Körper formen, hieß feinen
eigenen Leichnam zu einer verfrühten Auferftehung zwingen. Und
dann war er auch Geiftesbanner; denn war auch der Leib feines -
Lebens verweſ't und verweht, wie die abgelaufene Stunde, der ver⸗
gangene Tag unwiberbringlih vom Schlund ber Zeit verſchluckt
worden tft, die Seele, welde diefen Leib belebte, dieſe Seele glimmte
no fort, ähnlich den unten unter ber Aſche, den ein Ieifer
Athemzug wieder zu heil auflodernder Flamme anfahen Tann.
Rief er diefe Seele wach, fo fliegen die Geifter der Vergangenheit
vor ihm auf und zwangen ihn nod einmal, unter Jauchzen und
Zähnellappen das Leben an ſich vorüberziehen zu laſſen, für das
er bald geihwärmt, bald gelitten und geblutet Hatte,
Endlih fiegte das Bedürfniß, feine Wünfche, die Tängft als
bloge Chryfaltven der Zukunft in den Gden feiner begrabenen
Vergangenheit des belebenden Sonnenftrahles harrten, zu durch⸗
muftern, über den Widerwillen oder die Furcht, fi ſelbſt Getßel-
hiebe beizubringen. Auguftin Hobenfels flug die Blätter auf und
begann bald da, bald dort darin zu lefen.
Um den ungewöhnliden Mann, der fpäter noch mit gewalti-
ger Hand beftimmend in die Greigniffe, welche wir mitzutbeilen
haben, eingreifen wird, ganz zu verfiehen, fehen wir uns veran⸗
laßt, Einzelnes aus diefen Aufzeichnungen eines Kaufmannes und
Rheders Hier mitzutheilen.
Wenige Wochen nah Auguftin Hohenfels’ Ankunft in Bra-
—— 27111 —
filten und unmittelbar nad der Rüdfehr von einem längeren Aus-
fluge in die nächte malerifche Umgebung ber paradiefifch gelegenen
Hauptſtadt eröffnete er feine Aufzeichnungen mit folgenden Be—
merfungen:
Die Jünger Chrifti, nad deflen Namen die größte aller jet
beftehenden Religtonsgemeinfhaften fid nennt, riefen aus: Hier
laßt uns Hütten bauen, denn hier tft die Stätte des Himmels!
Ohne Vorurtheil müffen wir Das von jedem Fußbreit Erde fagen,
welche der Balfamhaud des Weltgeiftes befruchtet. Gottes Statt,
der Himmel, das Paradies — es tft überall, wo ein Iebendiges,
denfendes Atom der Gottheit weilt und fi bemüht, biefes Gott
heitkeimes fich bewußt zu werden, bamit er treibe, blühe, Früchte
trage!
Wie feltfam tft doch der Menſch geartet! Wie unbegreiflich
weit hat er fih entfernt von dem nährenden Born des wahren
Lebens, des unverfiegbaren ewigen Glüdes, das doc Allen gege=
ben, befchteden tft und das fo offen Iiegt vor Jedermanns Augen!
— — Barum fehen und erkennen es nur fo Wenige? Warum
ſtolpern Milftonen wild flürmend darüber hin und verrennen fi
in das Chaos, in dem fie verfhmahten? — Weil die Leidenfchaft,
der gemeine Dünkel fie abfallen läßt von der lichten Milchſtraße
des Gedankens, die am Zenith unferes Seelenhimmels ſchimmert!
— Nichts iſt Leichter als Glücklichſein, Glücklichwerden, denn Glüd
ift die harmoniſche Entfaltung aller in ung ruhenden edeln Kräfte,
welche das Gemeine, das Thieriſche niederhält und bezähmt. Das
Glück regiert die Welt, wenn nur die Menſchen es wollen. Daß
es fo Vielen ſich in Unglück verkehrt, davon trägt nur die Unver⸗
nunft, die wieder eine Folge der Unbildung fl, Die Schuld. Bil-
det Euch und fiellt die Bildung unter die Obhut des in jedem
Menfchen lebenden Geiftes, der jenes Wort des chriftiihen Jüngers
immer und überall Euch in's Ohr raunt, und das Glüd kann
Euch nie entfhwinden! Aber freilih, der Menſch tft ſchwach und
gerade die Begabteften wühlen wie Maulwürfe am unabläffigften
j 14*
‘
— AL —
in dem Boden, worauf das Fryftallene Sacramenthäuschen ihres
Glückes fi erhebt.
Es ift die banale Redensart aller Kaufleute, die man täglich
hören muß — an der Börfe, am Hafen, auf der Werft, wenn
ber Kiel zu einem neuen Fahrzeuge gelegt wird und wenn es von
dem Helgen hinabfchießt in den Strom, jauchzend beklatſcht von
den neugierig auftauchenden Nymphen, die es fhaufelnd und lä—
helnd auf ihren weißen Händen wiegen: möchte das Glück ihm
nur hold fein! Von dem Schiffe, das aus Holz und fo und fo
viel eifernen Klammern durch Menſchenkunſt entitanden it, fann
man vernünftigerweife nichts verlangen, nur wünfchen läßt ſich,
ed möge gut ſchwimmen, raſch fegeln und von einem intelligenten,
ruhigen, entſchloſſenen Capitain dereinft commandirt werden, ber
Menſch aber, welher im Ernſt wünfhen kann, er möge Glüd has
ben, verfündigt fi gegen die Gottheit, die ihn zum Rang eines
denkenden Geiftes erhoben hat. Glück ift nichts, der Wille, das
Urtheil, die richtige Anwendung unferer Kräfte und Anlagen, alfo
die wetfefte Ausbeutung des Talentes tft Alles. Wer feine Ans
lagen erkennt und wirklich benugt, aber in weitefler Ausdehnung
benußt, der hat Glück, denn er muß und wird immer fiegen.
Diefes Stegen aber ift Erfüllung feiner Weltfendung, iſt Gottan—
betung, weil der Menfch die Erde, diefen Schemel Gottes, zu deffen
Throne erhebt. Darum finde ih unter allerlei Volt, im Wald,
auf dem Bergwall, in der Wüſte und dem Dünenthal jenes hoch—
heilige Bethel, jene Stätte des Himmels, wo die nie ausſterbenden
Jünger Chriſti, d. h. der ewig mwelterlöfenden, raſtlos fortjchreiten-
den Geiftescultur aufgeforbert werden und fich felbit auffordern,
Hütten zu bauen. -
Die neue Welt! — Ein bezeichnenderer Ausdruf für den
von Columbus entdedten großen, amerikaniſchen Gontinent kann
nicht erfunden werden. Dem Guropäer, dem Sohne der alten
Melt tft Alles bier in der andern Hemifphäre neu. Ein nie er—
blickter Himmel mit Sternbtldern vol wunderbaren Glanzes, eine
— 213 —
Erde, aus Gonglomeraten zufammengefegt, Die man in Europa
dem Fabellande verleihen würde, Pflanzen, Geſträuche, Bäume,
deren Blätter, Blüthen und Sarbenmannicfaltigkeit und geradezu
erichredt, Thiere, die wir ſchaudernd bewundern: dies Alles tit fo
ungewöhnlich, erjheint fo geradezu aus der Luft herabgefallen, daß
ed dem alt geworden Europa noch einige Jahrhunderte lang neu
bleiben wird. Auch die Menfhen rechtfertigen daſſelbe Prädicat,
Sie find zwiefach neu, als Race, wie als Erdenbewohner überhaupt.
Jeder europäiſche Menſch it, jo wie er das Licht des Tages er-
blickt und die vier Wände anfchreit, ein Stüd Hiſtorie. Sage und
Märchen liegen wie eine Tarnkappe auf jedem Neugeborenen und
flüftern ihm Gefhichten ter Vergangenheit zu, aus denen er Leben
für Herz und Geift faugt, wie aus der Mutterbruft für den Xetb,
Ein europätfches Kind, das allein laufen Tann, ift mehr hiſtoriſcher
Menſch als Hier der Eingeborene ald Mann von fünfzig Jahren.
Das Fennzeihnet Amerika und unterfheidet e8 am meilten von
Europa.
Alles, was hier Anfpruh macht auf Gefhichte, ſtammt aus
Europa. Das gilt von der Bauart der hiefigen Orte von Be-
deutung, von Hafen- und Straßenanlagen, von Handel und Schiffe
fahrt, von Religion und Gefebgebung. Das Alles ift hierher aus
Europa verfeßt und harmonirt im Grunde nur wenig mit dem
Autohthonen. Das bier wirklich Heimifche bis hinauf zum Men-
[hen hat gar feine Bedeutung, denn es fehlt jeder romantiſche
Hintergrund, jede hiſtoriſche Baſis. Was in Amerifa urmwüdfig
genannt werden kann, iſt von geftern, ſpricht alfo nicht mit; Es
gefhieht ihm ſchon große Ehre, wenn man es überhaupt bejtehen
lit... .
Darin liegt das ganze Geheimniß des europäifchen Weberge-
wichtes über die neue Welt. Dies amerikaniſche Fellland hat Gott
entdeckt werden laſſen, um jein Reih auf Erden zu erweitern,
feine Herrlichkeit, die unter dem Stoßen und Drängen der zu volf-
reich gewordenen alten Welt etwas an Glanz verlor, weil diefe
zahlloſen Millionen Hände zu viel Schmuß anſetzten, mit neuer,
— A —
größerer, wunderbarerer Glorie zu umgeben. Die alten, geſchicht⸗
lich gebildeten Menſchen mußten hier Fuß faſſen, um dieſe jung-
fräulihe Erde zu befrudten. Spredt mir nicht von Grauſamkei⸗
ten der erften Eroberer — was fie thaten, obwohl es mandem
kurzſichtigen Menſchen entjeglih, ungereht, barbariih erfcheinen
mag, war eine gefchtchtliche Nothwendigkeit. Ein Land, das nicht
die Bluttaufe empfängt, bleibt der Cultur unzugängli, und was
nicht Cultur aufnimmt oder in fi zeitigt, fleht außer dem Ge-
fege Gottes, deflen Gebot dahin geht, dag Alles ihm unterwürfig,
db. h. der Bildung, wie fie ein denfender und fhaffender Menjchen-
geift als Wert Gottes fih darſtellt, erfhloffen werde.
Kann es anders fein, als es fhon jebt bier iſt? Wäre es
möglich oder nur denfbar, daß der intelligente, mit hellem Geift
und mit taufend Künften ausgerüftete Gindringling aus Europa
dies Paradies deshalb wieder verlaflen follte, weil der rote Mann
in feiner urwüchſigen Wildheit ihm bie Keule und das Skalpir⸗
meffer entgegenhält und mit Todtſchlag droht, wenn der Weiße
ihm nicht gehorchen will? Ein Narr, ein Verdammter müßte er
gefholten werben, ließe der Culturmenſch durch folhe Drohung
fi zurückſchrecken in fein altes Heimathland! . . . Das erfte Pa-
rabies verlor er um den Preis der Erkenntniß, im zweiten Para-
biefe, das ihm als Frucht der gefteigerten Erkenntniß mit allen
Gottesgaben gleihfam vom Himmel herab in den Schooß fiel,
müßte er für ewige Zeiten als Gejpenft umgehen und trauern um
das Teichtfinnig Verſcherzte, Tiefe er fih von den ſchreckhaft rau-
fhenden Schatten einer Race, die ihm nicht ebenbürtig iſt, ver-
jagen.
Mir tft dies Amerika das wiedergefundene oder vielmehr das
wiebereroberte Paradies. Hier ift der Menſch der alten Welt be=
rufen, die Früchte zu breden, die eine fünftaufendjährige Griftenz
feines Gefchlechtes, wo es die Noth zur Arbeit, die Arbeit zur Er»
findung, die Erfindung zum berechtigten Herrſcher auf Erden er⸗
bob, langſam genug für ihn reifen ließ ....
—— erden ——
— 215 —
Den Urwald fehen und dann noch Gott Iäugnen, wäre bie
ärgfte aller Todfünden! Ich bin nie religidfer geftimmt, nie fröm«-
mer und demüthiger gewefen, als vor drei Wochen, als th zum
erften Male diefe Werkftätte der Natur betrat.
ALS Kind mochte ich am Tiebften beten, wenn mich bie Mutter
auf ihren Schooß nahm, fi mit mir an's Fenſter ſetzte und mir
den geftirnten Himmel zeigte. Ich begriff dann, was Beten be=
beutet, denn ein Hauch der Unendlichkeit, des Gottewigen ging mit
dem Kuß der betenden Mutterliebe über mein heiß Elopfenbes
Kinderherz. Später, als die Luft des Lebens um mid brandete,
eine Schaar Iuftiger Gefellen an meinem Iuftig erbauten Tempel⸗
hen rüttelten, wo in fihimmernder Krippe das unmündige Kind
meines Blaubens nicht lebte, fondern nur träumte, verlernte ich
das Beten. Wohl ift mir dabei nie geworden, aber id meinte
doch, es ſei mir wohl. Zu trogen tft für ein flürmifch fchlagen-
des Herz gar angenehm, und es tft auch gut, denn aller Troß
ſtählt die Kräfte, härtet ab, wedt auf, gibt und Gedanken und
lehrt und erfennen. Darum Tann die Welt des Widerftandes nie
entbehren, und ber feftefte Kitt des Weltgebäudes bildet der fre-
velnde Geift, der ſich blutig rigt im Streben und fih dadurch
felbft zum Beſſern emporarbettet. Das habe th recht durchgefühlt,
als mir das Elend, die Noth mit brutaler Kauft in's Geficht
flug. Der Rippenftoß jedes fogenannten Unglüdes tft ein Fin-
gerzeig, der uns zurechtweifen will auf den wirr durcheinander lau⸗
fenden Lebenspfaden. Anfangs begriff ih das freilich nicht, mie
th aber Hier in den Zaubern des Urwaldes beinahe meine Sinne
verlor und das Auge einer gefräßigen Anaconda mit Baſilisken⸗
biiden mich firirte, da erwachte in mir die Gedankenkraft bes trotzi⸗
gen Menfhen, und ich rettete mich mit unmillfürlih betendem
Munde aus ber Angft des Todes. So warb aus Troß ſelbſt⸗
erfannte Stärke, und der Starke tft immer in tiefiter Seele de=
müthig. — —
— 216 —
Wohl dir, daß du Fein Enkel bift! fagt Goethe. Ich fühle
mich, ſeit Ich dies Küftenland der neuen Welt betreten habe, an
jedem Tage gedrungen, recht aus Herzensgrunde auszurufen: Wohl
mir, daß ih ein Kaufmann, ein Rheder bin!
Mie das? würden die gelehrten Katheberherren, die Männer
mit weißen Halskraufen und ſchwarzen Roben und die überfhweng-
Ih Mugen Büchermacer fragen. Darauf will ih Antwort geben,
und ih bedauere nur, daß diefe Antwort, aller Wahrfcheinlichkeit
nah, nie Jemand leſen wird. Dielleiht aber verhilft fie einer
Motte zu Gedanken und jagt das Thierhen fort auf den Kragen
eines ber Weiſeſten, um ihm bie fpintifirenden Gedanken eines
grilfenfängerifchen Kaufmannes in's Ohr zu mwispern.
Kaufmann fein, heißt, feit Gott die neue Welt uns fünden-
beladene Europäer entdeden ließ, der Säemann werben, welcher
überall Hin mit vollen Händen Fruchtlörner verftreut, damit fie
aufgehen in Wind und Wetter, auf fleinigem Boden, unter Dor-
nen und auf fruchtbarer Scholle. Es Liegt wenig daran, daß von
diefer den ganzen Erdkreis umfaffenden Ausfaat des Kaufmannes
da und dort ein Korn zerireten wird oder entartet und ald wu=
cherndes Unfraut in Blüthe ſchießt. Das tft vielmehr erſt der
rechte Segen des faufmännifhen Wirfens, denn er gebiert wieder
den jätenden Gärtner und fördert das beſſere Gedeihen der übrt-
gen Früchte.
So lange der Handel beſchränkt war auf bie Grenzen der
alten Welt, Eonnte er fih nur in beflimmten Kreifen, in ein und
demjelben, wenn aud ziemlih weit gezogenen, Zirkel bewegen. -
Angefommen an der Außerfien Peripherie diefes Zirkeld war er
genöthigt, umzufehren und wieder den Mittelpunft aufzufuchen,
damit er fih bier zu neuem Auslauf kräftige. Diefen Krebsgang
braucht er jegt nicht mehr einzufihlagen. Der Handel geht, wie
der praftifhe Engländer fagt, round the world. Die Schiffe,
dieſe beflügelten Boten, deren der Kaufmann fich bedient, um über
die rollende Fläche der Meere zu gleiten, eilen unabläffig, Tag
für Tag, Jahr für Jahr, feit man die Welt umfegeln gelernt Hat,
— 217 —
als Weberſchiffe Gottes um den Erdball, und weben nicht blos,
wie der Dichter jagt, „Gottes Tebendiges Kleid,“ fondern ſchürzen
gleichzeitig auch Knoten in dies Gewebe, an denen die Menſchheit
die Leuchten der Bildung aufhängen Tann, damit fie alle den
Völkern, die noch nicht diefer Erkenntniß theilhaftig geworden find,
zu Sammelpläßen dienen.
Und ih follte mich nicht freuen, ein Kaufmann zu fein? Ich
ſollte nicht froßloden, wenn an meines Strebens Schiff die Segel
fih entfalten, wenn der Steuermann die Hand an das Rad legt
und der Gapitain fein go on ruft? Die Welt des wahren Kaufe
mannes ift die Welt der Achten, der unbegrängteften Intelligenz,
bie erft im neungehnten Jahrhundert Wunder zu wirken berufen
tft, weil dies zum Jahrhundert der Erfindungen fi ebenſo ficher,
fo flaunenerregend emporfchwingen wird, wie das vergangene bie
Geſchichte der Cultur als das Jahrhundert des Humanismus, der
Philoſophie und Poeſie bezeichnet.
—
Die Anhänger, Bewunderer und Propheten des alten Bundes
wußten die Herrlichkeit des gelobten Landes, das Gott dem aus:
erwählten Volke zum Wohnſitz beftimmt hatte, nicht befler zu ſchil⸗
bern, als daß fie fagten, es fet ein Land, darin Milch und Honig
flöſſe. Gäbe es jetzt noch Propheten alten Styls, gottbegeifterte,
gotttrunfene Männer mit überfhmwänglicher, orientaltfher Phantafie
ausgerüftet, fo würden diefe Brafilten ein Land nennen, wo Weih-
rauch die Lüfte mit Wohlgerüchen ſchwängert, wo Balfam von
Pflanzen und Bäumen träuft, Brod unter freiem Himmel wächſt,
Alles, was die Erde an köſtlichſten Früchten trägt, im Weberfluffe
vorhanden ift, und die Ströme, der Sand, der im Winde zer-
fäubt, einen Teppich von Gold und Diamanten über die Erbe
breitet. Wahrlich, das wäre das gelobtefte Land gewefen für das
auserwählte Bolt Gottes, denn nirgend fonft Tann der Handels⸗
geift fih als Naturbedürfniß vafcher entwideln, wie unter dieſen
an Schätzen aller Art wahrhaft überreichen Himmelsftrihen!
Da wundern fih die Menichen, dag bis auf den heutigen
— 2118 —
Tag in den Juben ein fo unvertilgbarer Trieb, Handel zu trei-
ben, wohnt. Alberne Menihen! Als ob das anders fein könnte.
Gudt in die Bibel, die in fo fern das Buch der Bücher iſt und
es auch in alle Ewigkeit bleiben wird, als die größten und tief-
ften Gedanken, die feinften Geheimniffe und gewaltigften Para-
doxen, die der menfchliche Geiſt gedacht und aufgeftellt hat, darin
niedergelegt find. Wenn es bie Juden figelt, immer und immer
Handel zu treiben, fo macht Joſua und Kaleb dafür verantwortlich.
. Die die faftige Weintraube mit den eigroßen Beeren, an der zwei
Mann zu fehleppen Hatten, und das fabelhaft fruchtbare Land, wo
biefe Leckerbiſſen wuchfen, tft Schuld an dem Handelstriebe der Ju:
ben. In ſterilen Ländern wachen keine Kaufleute, da gedeiht Höch-
fiens der Krämer. Fruchtbarer Boden aber, eine Erde, die aus
allen Boren Segen ſchwitzt, reizt zur Verwerthung, zur Vermeh—
rung dieſes Gottesgeſchenkes, erzeugt alfo den Handelsgeiſt. Des-
halb läßt fih die Behauptung aufitellen, die ganz biblifh parabor
Klingt, Kaufleute ächten Schlages ſeien Menſchen nah dem Herzen
Gottes. Ste mehren nämlich die Productiongkraft der Erde, fie
verbreiten Segen überall bin, fie fleuern der Noth, fie geben Ar-
beit, fie bilden durch Arbeit, denn Arbeit ehrt denken und den-
kend bauen wir am Reiche Gottes. Ergo — kommt ber, Ihr ge=
fhulten Logiker, und wenn Ihr mir beweifen könnt, daß das Beſte
in Euern ſchönſten philoſophiſchen Syftemen auf foliderem Ge-
bantengrunde ruht, wie meine parador klingende Behauptung,
will ih in ein Klofter gehen und gläubig fagen: ben Rofenkranz
beten ſei befier, als Straßen durch einen Urwald hauen und ein
Canos über einen noch nie befahrenen Strom rudern.
Himmel und Erde, was könnte aus diefem unbelannten Zande,
deſſen Küftenftriche noch Taum genugjam entbedt worden find, ge⸗
macht werden, gründete bier ein neuer Hanjabund Golonteen !
Wahrlih, die Erde tft groß und reich genug, um nod vielen hun
dert Millionen Brod in Fülle zu geben, es werben aber früßer
oder fpäter troß alledem und alledem Millionen Unglüdliher in
Noth und Elend untergehen, wenn ein hanbelspolitifcher Kopf nicht
— 19 —
die Wünſchelruthe entdedt, der es vorbehalten tft, dieſe verborgenen
Quellen fließen zu maden.
WBlüdliches Albion, ich könnte dich haſſen ob deines Glückes!
Aber das tft ein thörtchter Gedanke, und wie PBolonius, das Pro-
totyp aller königlichen brauchbaren Räthe fagt, eime gemeine Re-
densart. Du verbienft dein Glück, Volk von Albion, Das eine
feiner Wurzelfafern in beutfche Erde verſenkt hält, denn du halt
es dir erobert. Als Deutſcher und zumal als deutſcher Kaufmann
beneibe ih dich .... Ih fehe mich umfonft um auf der Flag⸗
genfarte nach dem Wimpel, der am Top deutſcher Kriegsſchiffe flat-
tert. Deutſche Kriegsfhiffe! Es find tempi passati, bie fo
glüdlih waren deutſche Kriegsihiffe mit hanfifchen Farben auf der
Oſt⸗ und Nordfee und auf dem Mittelländifhen Meere zu fehen.
Die letzten Weberrefte deutfcher Kriegsſchiffe, vor denen ehedem die
Kanonen am Sunde verflummten und Dänen und Schweden ihre
Flaggen ftrichen, verfaulen langfam in der Salztrave. Sonntags
kinder wie ich haben das fatale Unglüd, jene verfuntenen Segler
dann und wann wieder auftauchen aus ihrer kryſtallenen Gruft
und neu befhmwingt, mit ben Farben des wiedererftandenen beut-
fhen Reiches über die Meere fleuern zu fehen. Alexander Solt-
webel fteht dann am Steuer, der Mann am Mittelmaft aber mit
dem großen, folgen Herrfherblid fieht mir aus wie der im Kyff⸗
häufer fchlafende Rothbart . . . Träume, Träume, Träume! . . .
Und doch — es kann, ed wird, ed muß und foll anders
werden! Deutſchland kann nicht mehr Lange die Bedientenrolle
unter den Völkern fptelen, weil es Selbitherrfcher im Reiche der
Gedanken, im Reiche der Ideen tft. Es liefert die größten Bau⸗
meifter für das.auf Erden zu gründende Gottesreih, ben größten,
fhönften, solllommenften Freiſtaat der Zukunft, für das Reich der
wahren Intelligenz, die weder Glaubensſätze noch Vorurtheile,
weder leere Geſetzesformeln noch beſchränkende Privilegien kennt.
Wer weiß, ob nicht unſer Jahrhundert noch einen neuen Admiral
Deutſchlands gebiert? Und ſollte er untergehen, wie der letzte
—— 220 —
banfifhe Kriegscapttain, der leider faſt im Gedächtniß felbft feiner
engeren Landsleute, der Hamburger, verihollene Capitain Garp-
fanger, es wäre Ehre genug für Die Ewigkeit, ald Admiral wies
der auf einem nen erbauten deutihen Kriegsihiffe commanbirt
und womöglih eine ordre de bataille ausgegeben zu haben —
denn ohne etwas Pulverrauch und einige volle Lagen aus gut ge-
zielten Breitfeiten wird fi eine deutſche Flotte ſchwerlich das
Meerbürgerrecht erwerben können.
Ze länger ich bier weile und je mehr ich mich in die Herr-
lichkeit diefer Natur vertiefe, die mit vollftem Recht eine jung
fräuliche genannt werden darf, deſto feiter ſetzt fih in mir die
Meberzeugung, daß der wahre Segen biefes Wunderlandes erft
durch Vermittlung deutfher Hände der Welt zu Gute kommen
wird. Hier nun wäre den Regierungen” deutfcher Staaten eine
würdige Aufgabe gegeben, wenn fie beweifen wollten, daß ihnen
das Wohl ihrer Völker wahrhaft am Herzen liegt. Es kommt
Alles auf tüchtiges Wollen, rühriges Angreifen, energifhes Han
deln an. Mit bloßen Redensarten, mit officibſen Gonfularberich-
ten wird nicht erzielt. Wenn man aber nicht ſäumig ift und ein
wenig aus der Hülſe des leidigen Particulartsmus fih heraus—
arbeiten fann, nur um die angeborenen Fühlfäden bes Geiſtes
binauszuftreden in daß belebende Arom des brafilianifhen Son—
nenfeuerd; da läßt fih hier für Deutfchland und zwar. für Ge-
fammtdeutfhland mehr thun, als dur alle öffentlichen, von den
Behörden fanctionirten Anbetteleien der Reihen zur Unterftügung
der Nothleidenden in fo und fo vielen Gebirgen.
Unerläßlih zuvörderſt iſt es, daß deutſche Bonfularagenten
ſich mit der braſilianiſchen Regierung in Verbindung ſetzen und es
dieſer plauſibel machen, wie glücklich und reich das Land durch
deutſche Coloniſten, die überall mit freudiger Arbeitskraft den
Sinn für Ordnung und Sitte in fremde Länder bringen, werden
müſſe. Diefr Miſchung aus Portugieſen, Spaniern, unreinem
Sklavenblut und wilden Eingebornen iſt zu träg, zu indolent,
—- 2721 —
um Bedeutendes zu ſchaffen. Das kann nur die ächt germanifche
Race. Ferner muß man fi mit der handeltreibenden Welt afjo-
eitren. Es geht nicht anders, ihr werthen Herren hinter den grüs
nen Tifhen, die ihr Geſetze ſchmiedet und als Böttcher der Welt
um das große Faß lauft, bie Reifen treibend, damit das, mas
darin aufbewahrt wird, Volksglück und Volkswohlfahrt, nicht durch
die ſchadhaften Dauben fih unbemerkt empfehle. Ohne die Unter:
flützuüg des praftifchen Handelsftandes erſchließt fih die Blume des
Glüdes für die darbenden Völker nicht mehr. Ihr Könnt den Ar—
men Mittel geben, um fie auswandern zu laſſen, thr könnt fie
fogar koftenfrei über das Meer transportiven, etwas anderes als
die Verlegung des Elends von dem Diefjeits in’s Jenſeits der
Atlantis erzielt ihr damit doch nicht. Coloniſation, das tft
die Sache! Bolonifirt die ungefhwächte Erde dieſes neu. entdeck⸗
ten Paradiefes, forgt, daß deutfhe Goloniften Schub und Rechte
erhalten, ohne Glaufeln, öffnet ihnen die Häfen, laßt Straßen,
Brüden, Städte bauen, gebt ihnen Handel und Schifffahrt, ver»
leiht ihnen die alte Flagge des deutfchen Reiches, die euch drüben
ſchon längſt ein Gräuel geworden tft, und ftellt dieſe Flagge
unter den Geſammtſchutz aller feebeherrihenden Nationen, wenn
ihr euch jelbft nicht Kraft genug zutraut, oder nicht Energie ge=
nug habt, ein paar Kriegsjchiffe auf eigene Fauft zu bauen, und
ich ftehe dafür, ihr werdet Wunderdinge erleben!
Sch babe dieſer Tage mir eine ungefähre Ucberfiht der Pro—
ducte zu verfchaffen gefucht, die fammt und fonders in Brafilien
gedeihen und welche die Natur in Maflen hervorbringt. Welch
ein Reichthum des Edlen, welhe Mannichfaltigkeit in den For—
men, Gebilden und Arten! Und das Alles iſt da, um genoffen,
von den Menfchen zur Erweiterung ihrer Eriftenz gebraudt zu
werden, und wie wenig adtet man es, weil das Land Feine
Menſchen befigt, die es der Mühe werth halten, die goldene
Frucht zu breden! Gin Kaufmann könnte über folhe Indolenz
geradezu den Verſtand verlieren. Zwar gibt ed hier Leute, die
— 122 —
genaue Kenntniß von dem Reichthume des Landes befigen, theils
aber liegt ihnen nichts daran, biefen gewaltigen Reichthum ber
Melt zu verratheh, um "alle Goncurrenten fern zu Halten, theils
befürchten fie — und vielleicht nicht ganz ohne Grund — es
werde ein großer Zuftrom von unternehmenden Einwanderern bür-
gerliche Unruhen zur Yolge haben, wobei das jept fpielend Er-
worbene fich verzetteln könne. Auch ic möchte etwas Derartiges
vorausſetzen, aber ich bin nicht Egoift genug und vielleicht zu feu-
riger Anhänger der Lehre von der Entwickelung der Menſchheit zu
einer Nation von Glücklichen, als daß ih einige Jahre Kampf,
wenn es fein muß, felbft Krieg, fiheuen follte, um ein fo großes,
glüdverheigendes Ziel zu erreichen.
Dies Land erzeugt, felbft in feinem jebt faft noch wüſt lie⸗
genden Naturzuftande außer allen Produkten des gefammten ber
gemäßigten Zone angehörenden Europa's, die nahrungsfräftigften
Früchte, die wir Europäer fait nur dem Namen nad Tennen. Die
Batate, der Mantof, der Piſang, Yams, Ananas und Kokospal⸗
menfrüchte wachen tin ungeheurer Menge falt überall und geben
dem Handel Gelegenheit, fih in unerhörter Welfe zu vermeb-
ren. Die Kaffeeärndten laſſen fih vielleiht auf das Hundert-
fahe ihres jetzigen Ertrages bringen, der nahrungsreiche, ge=
funde Gacao würde allein für Hunderte eine Quelle fihern Reich—
thumes. Zuder, Baumwolle, Tabak, wer fann fagen, wie vie—
fen Millionen fie nicht blos das täglihe Brod, fondern auch nod
Glücksgüter in Menge gewähren? Und warum follten diefe Pro—
ducte bet dem immer mehr ſich fleigernden Bedarf nicht ebenfalls
dretmal mehr Menichen erhalten? Und dann, welche Fülle edelfter
Nuphölzer, welcher Reichthum feiner Gewürze, welcher Ueberfluß
an Farbehölzern, von dem blutrotben Braza bis zum gewöhnlichen
Fernambuc, deren das induftrielle Europa gar nicht entbehren kann!
Von den metalliihen Schägen will ich gar nicht fprehen. Um dieſe
zu heben, bedarf es erft gefitteter Colonieen und ſchützender Geſetze.
Vorerft wird man fih mit dem Auflefen der Brofamen begnügen
— 12123 —
müſſen, welche die Natur achtlos verftreut im Bewußtſein ihres
Ueberfluffes. Diamantenhändler müßten hier Millionen verdienen,
und würden bie reichen Goldadern, welche die Gebirge des Landes
durchkreuzen, bergmänniſch erſchloſſen und geſchürft, jo dürfte Bra⸗
filien alsbald den Ruf des goldreichſten Landes der Erde ſich mit
vollſtem Rechte verdienen. Aber ich fürchte, Deutſchland verkennt,
wie ſchon ſo häufig, auch hier wieder den Beruf, der ihm eigent⸗
lich zugetheilt worden iſt, und was es, raſch und einig handelnd,
ohne übergroße Mühe ſich und ſeinen Stämmen ſichern könnte,
davon wird es höchſtens einen geringfügigen Bruchtheil im glück⸗
lichſten Falle ſein nennen, weil — nun weil Capitain Carpfanger
mit ſeiner Kriegsfregatte in der Bucht von Cadix aufbrannte und,
ſeit die Kanonen im aufflammenden Rumpfe ſeines Schiffes die
Sterbeſtunde des letzten deutſchen Kriegsſchiffes verkündeten, das
deutſche Handelsleute ſchützte und dem deutſchen Namen zu Reſpeect
in der Fremde verhalf, von einer Kriegsmarine deutſcher Nation
nie wieder die Rede geweſen iſt. ...
Zuweilen Tann man doch Urfahe haben, netbifh zu werben
oder dem freilich nur lähmenden Gedanken ſich hinzugeben, durch
einen Zufall der Geburt nicht in die rechte Stellung zu Welt und
Zeit gelommen zu fein. Es tft mir z. B. niemals eingefallen,
einen Fürften zu beneiden, eben weil er als Fürft geboren tft und
ihm fih Wege und Ausfichten öffnen, die jedem Privatmanne, felbft
bem vermögendften, von ben Verhältniſſen höchſt begünftigten, ewig
verfchloffen bleiben. Seit ich aber bier lebe, ſeit dies Wunder-
land tagtäglich aus taufend blitzenden Augen mid anlächelt, fett
ich fehe und mit jedem neuen Tage mehr erkenne, was hier fehlt,
was eine ftarke, gebietende Hand hier thun könnte, wenn dieſe
Hand von einem Kopfe in Bewegung gefept wird, der Mar denken
und urtheilen Tann: feitdem Überfchleicht mich oft ein netdifches
Unbehagen. Ein Privatmann kann bier, fängt er es recht an,
immer viel Gutes filften, eine Aenderung der Verhältniſſe dm
Großen aber bewirft er dadurch nicht. Das könnte nur ein ges
— 224 —
borener Fürft mit großen Mitteln, umgeben von beftechender Macht,
die nirgends mehr als bei Völkern refpectirt wird, welche mehr
oder weniger in der Kindheit der Gntwidelung fiehen. Da td
leider nur ein wenig bemittelter Privatmann bin, begnüge ich mich,
vorläufig das, was zu erfüllen meine Kräfte nicht ausreichen, zu
meiner eigenen Unterhaltung aufzuzeichnen. Vielleicht kommt es
fpäter irgend Jemand zu Gute. Wenn nit, fo werde ih doch
eine Laſt los, die mir dad Herz befchwert und den Kopf wirr
macht. Beides taugt wenig, denn ed hemmt allen Lebensmuth
und zernagt als heimlich genährter Wurm bie beften und frifche-
ften Gedankenkeime.
Schon find: Jahrhunderte vergangen, fett bie Erfindung bes
Compaſſes uns beimtfh machte auf den unenblihen Wüſten bes
MWeltmeereds. Der Compaß, diefe kleine Magnetnadel, die ewig
bewegt uns die Himmelsgegend anzeigt, wo jene geheimnißvolle
Kraft im Schoofe des All's ruht, die alle Weltkörper auf vechtem
Wege wandeln lehrt; fie iſt der Griffel, welchen der denkende
Menſchengeiſt beim Blättern in dem großen Schöpfungsbuche der
nachfichtigen Gottheit entwendete, um mit Hilfe deflelben wenigſtens
das A B & der Geheimfärift entziffern zu lernen, die höher fteht
als jegliche andere Wiſſenſchaft. Im Befik dieſes Gottheitsgriffels
fanden wir in der neuen Welt das verlorene Paradies wieder.
Er war und Wegweifer über Wafferfhlünde von mehr als taufend
Meilen Breite, er lehrte uns die Grade zählen, unter denen wir
und befanden, er gab mit einem Worte dem Schiffe, das früher
nur der Inſtinkt und die Erfahrung geübter Schiffer, oder bes
Sturmes Willfür und der unterfeetfhe Fluthitrom der Meereswoge
trug und leitete, die beitimmende Seele. Mit Hilfe des Compaſſes
denft das Schiff durch den Willen des Capitains und ift befeelter,
lebensfähiger, Ieitbarer, als das klügſte Gefhöpf unter den Thieren.
Darin liegt die unberechenbare Wichtigkeit der Schifffahrtsfunde,
darin die große Bedeutung, welde ber feefahrende Menſch in der
Gefchichte der Cultur, in der Kette denkender Wefen einnimmt,
deren Aufgabe es tft, die Maſſe der Menfchheit, alle Nationen ber
—11 —
Erde mit den Segnungen bed ewig fid) fleigernden Fortſchrittes zu
beglüden. | | |
Rheder und Seemann — fie Beide haben. von ber gütigen -
Gottheit eine Weltmiffion erhalten, die, obmohl jeder fie tagtäglich
vor Augen hat, doch nur felten und nur von fehr Wenigen in
ihrer ganzen Tragweite, Größe und Macht erkannt wird.
Wenn der Rheder ein Seeſchiff in Fahrt febt, fo gefchteht Dies
immer vorerft aus Intereſſen, die ihn am nächſten berühren, zu
feinem eigenen Nußen und Gewinn. Niemand wird darin etwas
Anftöpiges, Widerfinniges finden. Treibt aber das Schiff auf dem
Deean, dann iſt es nicht mehr blos ber Träger der Waaren eines
oder verſchiedener Kaufleute, Die ſich durch deren Verkauf in an⸗
dern Ländern oder Erdtheilen bereichern wollen, es führt außer
biefen materiellen Gütern auch noch geiftige Güter an Bord, deren
Werth häufig völlig unſchätzbar tft, und die zufammen die Summe
eines Gapitals bilden, deſſen WReinertrag nit einem einzelnen
Menfhen, fondern der ganzen Welt zu Gute kommt.
Dies geiftige Capital, diefe materiell nicht ſchwer in's Ge-
wicht fallende Fracht jeglichen Schiffes repräfentirt der Capitain
mit feiner Mannſchaft. Es find nur eine Handvoll Menfchen, die
da zufammen wohnen in einem ſchwimmenden Bretterhaufe, einan=
der vielleicht ganz fremde Menfchen von fehr verfchiedener Bildung,
aber doch unter fih jo eng verfchwiftert, wie feine andere Heinfte
Gemeinde auf Erden. Alle dienen einem Zwei. Alle haben
nur einen Gedanken, einen Willen, der fih in dem bes befeh—
lenden Capitains concentrirt. Diefe intime Einheit, dies, ich möchte
fagen, blinde Verfolgen eined und deſſelben Gedankens macht den
Seefahrer fo mächtig und wichtig. Und doch iſt der gewöhnlichſte,
der roheſte Matrofe an Bord Feine unbedeutende Perſönlichkeit.
Gr vollzieht fraglos die Befehle. des Capitains, und von der Pünkt⸗
lichkeit und Rafıhheit, mit welcher dies gefchteht, hängt faſt immer
das Schiefal eines Schiffes ab. Der Matrofe tft alfo die Hand
des Gapitains, deren Gelenkigkeit der Rheder fein zeitlihes Glück,
D. 3. XI Willkomm's Rheder und Matrofe, 15
— 226 —
die Gefittung der Völker, die Vermittelung mit neuen Jdeen, zahl»
" Iofe Menſchen die Erfüllung ihrer heißeften Wünfche und Hoffnun⸗
gen zu danken haben.
Wie danfend, wie Iohnend, wie beneldenswerth kann das Loos
des Matrofen fein, wenn er feinen Beruf ganz erkennt! Betrady-
tet die taufend und abertaufend Segler, die Jahraus Jahrein auf
allen Meeren fhwimmen, und von denen fein einziges unbeſchä⸗
digt feinen Beitimmungsort erreichen würde, fügte nicht jeder Ma⸗
trofe fih dem Willen der taufend Capitaine, welche die über bie
Wogen raufhenden Gulturträger führen. Mon den fernften Enden
der Welt grüßen ſich die Schiffe auf dem Meere. Zugvögeln ähn⸗
ih fihweben fie aneinander vorüber, die einen vom Süd- die an—
dern vom Nordpol fommend. Jedes Schiff trägt eine eigene ab«
gefchloffene Welt in feinem Raume, jedes bat feine eigene Ge
ſchichte, die zugleich die Gefchichte der ganzen Menſchheit iſt, oft
vol ſchwerer, bitterer Leiden, vol trauriger Erfahrungen, voll der
entfeglichften Abenteuer. Und faft immer beherbergt wieder dieſer
ſchwarze oder graue Rumpf, mit dem der Meergott fptelt, wie Kin-
der mit leichten Bederbällen, Perfönlicgleiten von großem Muth,
von bewundernswürdiger Geiltesgegenwart und Unerihrodenheit.
Was würde die Welt erfahren, wie unendlich viel würde fie ler⸗
nen, bliebe jedem Seefahrer Zeit übrig, feine Erlebniſſe nieber-
zufhreiben und die Gefühle darin auszufprehen, die fein Herz in
Sturm, Noth und Drang durchtobten, abwechfelnd mit dem fröhlichen
Jauchzen der entzückten Seele, wenn die Wunder der Meere und der
Erde fi erſchließen bet Nacht und Tag, in Nebel und bei Sonnenglanz,
vom Mondesdämmer ummweht und in den Stunden, wo eine Wind-
ftille den Herzihlag der Wogen ſtill fliehen und das Weltmeer in
tiefen, tiefen Todesfchlaf verfinten maht! . . . Das Alles erlebt
Niemand, als nur der Seefahrer. Diefe größten und jeligiten
Momente geifttgen Entzüdens wie des erhabenſten Schredeng fühlt
fein Menſch fo ganz durch, als der Matroje, der, und wäre er
ein Solon an Weisheit, doch nie etwas Anderes wollen darf, als
den Befehl des Capitains. Es gehört wahrlih mehr Willensfraft
— 2127 —
und GSelbftüberwindung dazu, als unfere Philofophen fih träumen ,
laffen, ungefäumt als Matrofe Alles zu tun, was der Führer
eines Seefchiffes für nöthig erachtet!
Diefe frühe Gewöhnung an harte Arbeit, an plötzlich ſich ein⸗
ſtellende große Gefahren, dies Vertrautwerden mit den größten.
Nöthen, welde die empörten Elemente den Menſchen bereiten, end⸗
lich dies gänzlihe Aufgehen der Perſönlichkeit in den Teitenden
Gedanken eines Andern gibt dem Seefahrer jene ftolge, oft an
Verachtung ftretfende Würde, die felbft dem roheſten Matrofen an⸗
haftet, Die aber freilich leider auch am Lande und gegen Landrat⸗
ten in brutaler Wetfe fich geltend macht. Dennoch bleibt auch der
ungebildete Matrofe in der Regel ein Menſch von mehr guten als
ſchlechten Eigenſchaften. Gewöhnt, fremdem Willen zu dienen,
folgt er gern den Lodungen des Herzens, und muthig, unerfchro-
den, ausdauernd in Gefahren, wird er überluftig, leichtſinnig, ver⸗
fhwenderifch, genußfüchtig, wenn der Becher der Freude winkt und
des Lebens Sonnenfhein feine wettergebräunte Stirn umfließt ...
Hier endigte die erfte Abtheilung ber Aufzeihnungen Augu—
fin Hobenfels’, die er nad feiner eriten Rückkunft aus den Ur-
wäldern flüchtig und wie fie ihm gerade eingefallen waren, nie=
dergeichrieben hatte. Ohne den Brief feines Neffen hätte der ſchwer
geprüfte Mann fi ſchwerlich dieſer Paptere erinnert, denn Vieles
mochte ihm jebt in einem ganz andern Lichte erfcheinen. Dennoch
leuchtete fein Auge, wie e8 aus den Schriftzügen des Jünglings
fein vergangenes Denken erquidend der ermatteten Seele zuftrömen
fühlte. Auguftin Hohenfels ſchob jet das Manufeript zurüd und
ließ träumeriſch erſchöpft, halb freudig bewegt, halb in Trauer fi
büllend, das Haupt finken.
Trümmer einer untergegangenen Welt! fprach er fpäter, mit
fich ſelbſt redend. Wer achtet ihrer jebt, wo die Zeit ihren Mo—
derſchutt Darüber gebreitet hat, und Nefjelfraut, Diftel und Dornen
darauf wuhern? Es wäre bifler, fie eriftirten nicht, denn fie
werden nur das Gefühl des Heimmwehs nad) einem längſt Vergan-
15*.
— 223 —
. genen, das nie wiederkehrt. — So fteht der Infulaner, der am
Dünenftrande wohnt, neben dem Steingeröll im Meeresgrunde, wo
vor langen Fahren die Heerdflamme brannte, an der er fid
wärmte, wenn er von gefahrnoller Fahrt auf dem Meere zurüd-
fehrte. Damals lag die Düne zwiſchen dieſem geficherten Heerb
und dem donnernden Wogenfchlage der Brandung. Aber Stürme .
zerbrachen die Dünen und jehütteten weiße Sandwehen über das
Haus des Schiffers, begruben es, thürmten Hügel darüber auf
und trieben den Beſitzer von dem traulichen Heerde. Und wieder
brandete die Woge an den Fuß der Düne, ein neuer Sturm brad
fie und jagte fie wetter Iandeinwärts, dem Meere Platz machend.
Da ſpülte die grüne Woge zerborftene Mauern fort und legte bie
Grundfteine blos vor dem Auge bes vertriebenen, alt gewordenen
Fiſchers .... Meine Gedanken von damals, als ich ein hoch—
ftrebender junger Mann war, der fi) jeder Aufgabe gewachſen
fühlte, find auch eine zerftörte Hütte, ein wärmender Heerd, in de=
ven Schuß mir wohl war, wo th mich fiher fühlte... .. Und
nun? .... Enttäuſcht, an hundert Klippen geſcheitert, treibt
mich die Sehnſucht der alten Welt wieder zu, um dort einen Halt
in firebender Jugend für meinen gebrechlih werdenden Willen zu
finden! .... O, mödte ih diesmal nicht getäufcht werben!
Möchte der Haud des mir verwandten Gelftes, der aus Eduard
Heidenfrei's Briefe meinem Herzen taufend neue Hoffnungsblüthen
zumehte, mich nicht betrügen! Wer weiß, ob dann nicht unter den
pflegenden Händen des Oheims und Neffen doch noch ein Theil
ber Gedankenſaat keimte, blühte und reifte, die unfer gemeinfames
Erbtheil, unfere Lebensaufgabe tft, und deren Verwirklichung wir
Alles, felbft Blut und Leben, zum Opfer bringen follen . . . .
Ermüdet ſchloß Auguftin Hohenfels die vergifbten Blätter
wieder in die Chatulle. Der Mann am Steuer Über feinem
Haupte fummte ein Geemannslied, der Capitain in feiner Koje
ſchnarchte. Hohenfels Tehnte fich zurüd in die Sophaede, und fet-
nen Gedanken fih hingebend, umflüftert von den ſchäkernden Meer-
mädchen, bie am Kiel des Schooners vorüberplätichernd, einander
— 229 —
fhalfhafte Märden erzählten, fiel auch der abgehehte Wanderer
alsbald in feſten Schlummer. Wir überlaffen den fanft und glüd-
lih Träumenden dem Schußgeifte des Schiffes, das Ihn trägt, um
uns anderen Bekannten zuzuwenden, die wir längere Zeit aus den
Augen verloren haben.
Diertes Kapitel.
Capitain und Steuermann.
In derfelbden Nacht waren zwei Männer, von denen der eine
faft no dem Jünglingsalter nahe fland, tn ein ernſtes Geſpräch
vertieft. Dies fand Statt auf der uns ſchon bekannten hambur—
ger Bark „Marta Eliſabeth“, und zwar in unmittelbarer Nähe
des Steuerrades, deffen Speichen der Jüngere der beiden Männer
handhabte. Außer, dem wachthaltenden Matrofen, der im Vorder—
theil des Schiffes auf und abging, ftörte Niemand die nächtliche
Ruhe am Bord. Diefe Ruhe, der flernbeglänzte Himmel, die
leuchtende See, deren fanftwogende Fläche die wunderbarften Far—
benfpiele enthüllte, waren wohl geeignet, Die Herzen Befreundeter
zu erfchließen.
Mir bangt vor meinem Vater, fprah der Mann am Steuer,
befien offenes Gefiht uns an der Aehnlichkeit mit dem Quartiers—
manne den früheren Matroſen Paul erkennen läßt. “Der junge
Seemann hatte fein Steuermannseramen gemaht und fuhr als
Unterfteuermann zum erften Male nad den Küften Südamerika's.
Leicht gibt der Vater fih nicht, denn er hat einen flarfen Willen
und feine Natur kann auch etwas erfragen; wenn aber Tag für
Tag, Nacht für Nacht, ja Stunde für Stunde ein Wurm an un»
ferm Herzen frißt, und der Kummer nie mehr die Schwelle unfes
res Haufes verläßt; wenn der Gram mit und zu Bett geht und
feine entjtellten Züge ber Spiegel find, in dem wir ung ſelbſt er-
— 230 —
blicken, ſobald wir die von ſchweren, bangen Träumen ermüdeten
Augen öffneh: da ſchwindet zuletzt auch die rüſtigſte Kraft. Und
ſtirbt man auch nicht alfogleih vor Gram und Kummer, fo wird
man doch Hinfällig, fiech, elend davon.
Es iſt und bleibt eine merkwürdige Geſchichte, verfehte Ca⸗
pitatn Olfen, und noch bis auf biefen Augenblid bin ih der
Meinung, die Schuldigen find ganz wo anders zu fuchen, als wo
man fie vermuthet.
Meine Schwefter Tannte doch Niemand, warf Paul ein.
Defto mehr war fie gekannt, fagte Ohlſen. Steh, mein Junge,
fuhr er vertraulich fort, ih kann dir nicht verfhweigen, daß mir
Alle, die wir alter Gewohnheit gemäß, gegen Abend das Baumes
baus zu befuchen pflegen, ein liebes Auge auf deine Schmefter
hatten, wenn wir ihrer anfihtig wurden. Und dies Glück hatten
wir Häufig, als Chriſtine noch daheim verweilte. Etwas Schlim-
mes hatte von uns freilich ficherlich Niemand im Sinne, obwohl
ſich Mancher eine fo herzige, ſchöne, anmutbige Frau wünfchen
mochte. Du weißt aber, lieber Junge, es gibt in Hamburg gar
verfchtedene Sorten von Menjhen. Eine der ſchlimmſten und ge-
fährlichiten für jedes junge Mädchen nun find jene reihen, vor-
nehmen Wüftlinge, die vor lauter Uebermuth nicht willen, was fie
beginnen, wie fie fi} Die Zeit vertreiben follen. Wie oft hatte ich Gelegen-
heit, die ungenirten Unterhaltungen folder Ieichtfertiger Roue’s zu be=
laufen, wenn fie in irgend einem der Pavillons ihre Cigarre rau-
hen, Kaffee, Chocolade oder Madeira dazu fhlürfen, und nichts
weiter zu thun und zu denten haben, als eine neue pilante Zer-
— fireuung auszuflügeln. Du fannit Hundert gegen ins wetten,
etwas Gutes führt diefe Gefellfhaft niemals im Sinne. Ste will
fih nur vergnügen, nur genießen, und weil ihnen der Mammon
ftet8 zu Gebote ſteht, iſt ihnen auch jedes Mittel recht, führt es
nur zu neuen Genüffen. Glaubt du, ein fo auffallend ſchönes
Mädchen wie deine Schweſter, ſei den ewig umbherfpürenden Augen
biefer Lüftlinge entgangen? Den!’ nicht daran! Warum fonft brachte
fie dein Vater in das Haus des reihen Rheders?
— 231 —
Ich kenne die Gründe des Vaters, ermwiderte Paul, und weil
der Vater offen mit mir über Chriftine fprah, mir duch nicht ver-
ſchwieg, daß ein junger Ausländer im Ernft ihr Anträge zu ma-
hen geneigt jet, billigte ich die Ausführung feines Vornehmens.
Warum aber mußte Chriftine gerade in das Heidenfrei'ſche
Haus?
Warum? wiederholte Paul. Konnte es denn irgendwo fonft
für ein junges Mädchen von anziehendem Aeußern einen beſſern
Zufluchtsort geben?
Das weiß ich ſo genau nicht, verſetzte Capitain Ohlſen, ich
denke nur, gerade in damaliger Zeit war ein gar zu großer Zu—
fammenfluß von Menfchen im Haufe des Rheders, und wollte Je—⸗
mand etwas Ungewöhnliches unternehmen, fo lieh fi dies inmit-
ten einer zahlreichen, glänzenden Geſellſchaft, die vorzugsweiſe ihre
ganze Aufmerkfamkeit nur dem Genuß zumenbete, am leichteiten,
fogar ohne allzugroße Gefahr, entdeckt oder auf der That ertappt
zu werden, ausführen. Bedenke nur, welh ein Schwarm junger
reiher Herren, unter denen ich verſchiedene Gndividuen als folche
bezeichnen könnte, deren fittliher Ruf nicht gar fein iſt, waren an
jenem Abend zugegen!
Es iſt aber doch erwiefen, dag nicht ein einziger von allen
Gäſten, ja nicht einmal einer der jüngeren Hausgenofien um die
Zeit, wo meine Schweſter verſchwand, die Gefellfhaftsraume ver-
laflen hatte. Ließe fit) auf irgend Jemand einen Verdacht werfen,
fo würde man die ftrengfte Unterfuhung gegen den Verdächtigen
eingeleitet haben. Wir willen aber Alle, du felbft nicht ausge-
nommen, daß bis zum Tage unferer Abreife Niemand eines ders
artigen Verdachtes bezüchtigt werden konnte.
Du ſcheinſt demnach die Anfiht derer zu theilen, die, wie ja
auch dein Vater, entweder Andreas oder den räthjelhaften Miguel,
vielleicht gar Beide in einer Perſon für die Räuber Ghriftinen’s
halten?
Wird man nit dazu gezwungen? erwiberte Paul. Deutet
nicht Alles darauf Hin, daß dieſe beiden zu Freveln aufgelegten
nd
— 132 —
Unbefonnenen die verbrecherifhe That vollbracht haben? Beide hat-
ten Wochenlang meine Schweſter gewiffermaßen verfolgt, Beide
liebten fie vielleicht, Beide waren zu wiederholten Malen im Haufe
meiner eltern, nachdem Chriſtine es verlaffen, und beftürmten
erft den Mater, fpäter, als bdiefer fie furz und derb abwies, bie
Mutter mit Bitten, ihnen doch nur von Zeit zu Zeit, aller drei
oder Hier Wochen, einmal den Anblick Chriſtinens zu gönnen.
Sehr verftimmt, nur mit Mühe lauter Drohungen ſich enthaltend,
verließen fie unfere Wohnung, da ihnen aud dies Verlangen mit
Entſchiedenheit abgefchlagen wurde. Keiner kehrte zurüd; Andreas
wendete meinem Vater den Rüden, wenn er ihm zufällig begeg-
nete. Er wollte ihn nicht mehr kennen und zürnte ihm offenbar
als nachtragender, auf Rache finnender Feind. Noch auffälliger
benahm fih der Teidenfchaftlihe Miguel. Diefer Enüpfte mit einem
als bösartig befannten Malayen an, der mancher ſchlechten Streiche we⸗
gen ſchon ein paar Mal beftraft worden war, trieb fi, was er früher nie
. that, in den befuchteften Tanzfalong auf dem Berge herum, und benahm
fich ganz wie ein Meng, dem man Alles zumuthen dürfe. Endlich aber
— und das verdächtigt Beide am meiſten — endlich haben mehr denn
zwanzig Perfonen Andreas und Miguel einige Tage vor dem Feſte theils
flüfternd vor dem Haufe des Rheders fiehen, theils fie zu ver—
fchledenen Malen in einem Nahen den Canal, welcher deflen Spei-
her bejpült, befahren fehen. Und damit beinahe aller Zweifel
befeitigt werde, verſchwinden die Verdächtigen gleichzeitig mit der
Geraubten, und nie wieder hat eines Menfhen Auge weder meine
arme geliebte Schwefter, noch ihre wahrjcheinlichen Entführer gefehen!
| Dies Alles, mein Freund, verdächtigt fie fehr ftarf, kann fie
aber noch Lange nicht überführen. Wo in aller Welt follen zwei
junge Leute, die gar fein Vermögen befigen, mit einem jungen,
zierlich gekleideten Mäbchen bleiben, das noch dazu nur mit Ge⸗
walt zurüdgehalten werden kann? Verſchwinden, durch die Lüfte
fliegen, unfihtbar machen können fie fih doch allefammt nid.
Irgendwo alfo müſſen fie doc geblieben fein. Nun Haben aber
alle Nachforſchungen, wie wir leider willen, zu gar einem Re⸗
%.
— 233 —
fultate geführt, weshalb man folgerichtig zu dem Schluffe gefom-
men tft, die drei Verfchwundenen hätten ihr Heil wahrfcheinlid
auf dem Waſſer gefucht und möchten in einem überfeetfhen Lande
den Arm deutiher Gerechtigkeitöpflege nicht weiter fürchten.
Mir fcheinen diefe Vorausfegungen und Vermuthungen fehr
wohl begründet zu fein, fagte Paul.
Und ich geftehe ganz offen, fuhr Olfen fort, daß ich mir
etwas Unmwahrfheinlicheres gar nicht denken kann.
Mel du Andreas gerne weiß brennen möchtet, ermiderte
etwas gereizt der junge Steuermann. Gr war dir befreundet, ihr
habt eine Zeitlang zufammen in Lima gelebt und feid vergnügt
gewefen; du gewannft ihn feines einfchmeichelnden Weſens halber
lieb und denkſt gern das Belle von einem Bekannten. Das tft
ehrenwerth, das achte ich, kann aber die Verdachtsgründe, die nun
einmal in überwiegender Menge gegen Miguel und Andreas vor-
legen, bei mir nicht abſchwächen.
Ich begreife dein Vorurtheil und fühle deinen Schmerz! ver-
ſetzte vollkommen ruhig auf diefe haftig gefprochenen Worte Paul’s
der Gapitain, indeß ließe fi z. B. nicht der Fall als möglich
benfen, daß nicht bloß deine Schwefter entführt ſei, fondern daß
gleichzeitig die beiven Bewunderer biefer Schönheit dem nämlichen
Schickſale verfallen feten ?
Paul frappirte dDiefer Einwurf Ohlſens dergeftalt, daß er
einen Augenblid die Speichen des Rades gleiten ließ. Der Ga-
pltain drehte fie zurüd und zwang das leicht abfallende Schiff
in den eingehaltenen Curs.
Eine kühne und wirklich ganz neue dee, ſprach nach einer
Weile Paul mit finſterer Miene.
Kühn? verſetzte der Capitain. Nicht im geringſten. Neu
mag ich ſie auch nicht nennen; wenn aber meine Vermuthung
richtig wäre, fo müßte man zugeben, daß ſie einem ſehr ug be—
vechnenden Kopfe ihre Entſtehung zu verdanken haben würde,
Um fo fhllmmer! feufzte Paul. Je fhlauer ber oder bie
— 234 —
Räuber Chriſtinen's find, deſto gewiſſer tft die Unglückliche ver-
loren!
Verloren geb' ich nur das, was ich wirklich in Trümmern,
zerbrochen und zerſchlagen vor mir liegen ſehe. Ueberdies iſt
deine Schweſter weder feig, noch leicht zu lenken. Vor ihr bangt
mir wenig, beſonders, wenn meine Vermuthung auf der rechten
Fährte ſpürt. Denn daß ich's offen herausſage: ich glaube, Chri—
ftine lebt noch heute fo gut wie deine Xeltern in oder bet Ham-
burg, und derjenige, der das Wageftüf unternahm, müht ſich
vergebens ab, die widerfpenftige Ariadne zu verföhnen, ihre Ge—
genliebe zu gemwinnen.
Das wäre ja ein ganzer Roman!
Es ift auch einer, glaube mir, Paul! Ich will nur wün—⸗
fhen, daß er ein recht erfreuliches, befonders die eigentliche Hel—
din deſſelben vollfommen befriedigendes, Ende nehmen möge.
Paul richtete noch mehrere direete Fragen an Ohlſen, um
zu erfahren, ob diefer für feine Vermuthungen Gründe angeben
tönne, der Capitain jedoch weigerte fi entfchieden, weil ihm zur
Zeit noch nicht Hinreichende Verdachtsgründe vorlägen, um eine
beftimmte Perfänlichkeit nambaft zu mahen. Nur die Behaup-
tung ftellte er, fie fcharf betonend, noch einmal auf, daß bie
Entführer Chriftinen’s aller Wahrfcheinlichkett, ja, feiner volfften
Ueberzeugung nad, in den höchſten Kreifen der Gefellfhaft, nicht
unter verliebten Seeleuten und Matrofen ohne Mittel und ohne
reich bezahlte Helfershelfer, zu fuchen fein müßten.
Paul verfant in fehweigendes Nachdenken, fein Augenmert
nur auf die Führung des Steuerd und auf die Buffole richtend,
deren nie ruhende Nadel dem Schiffe in der tropifhen Nacht bie
Wandelbahn zeigte. Ohlſen überließ den jungen Mann, von dem
er für die Zufunft Großes erwartete, feinen eigenen Gebanten.
Er hatte, da Paul von felbft das Gefpräh auf die myſteriöſe
Geſchichte brachte, es für feine Pflicht gehalten, ihm unverholen
feine Anficht darüber mitzutheilen, da er glaubte, der Bruder ber
— 235 —
Verfchwundenen werde nicht verfehlen, ſchon tim nädften Hafen
etwas Über das Vernommene an die Seinigen zu berichten.
Fünftes Kapitel.
Diet: Tohann, der Miarfchbaner.
Ein Zeitraum von beinahe ſechs Monaten hatte in dem
Haufe der Familie Heidenfrei feine weſentlichen Veränderungen
hervorgebracht. Schon fett Wochen lebten die Frauen wieder auf
dem maleriſch gelegenen Landfike an der Elbe, während der Chef
des Haufes und deſſen Söhne es vorzogen, ihren bleibenden
Aufenthalt in der gefhäftigen Stadt beizubehalten. Nur des
Abends Fam gewöhnlich der Vater mit einem feiner Söhne zu den
Seinigen auf's Land, das Beide fhon am frühen Morgen wieder
verließen. Der einzige Tag, welder die ganze Familie zufammen«
rief, war der gefchäftsfreie Sonntag. Heidenfrei vermied es, von
den Vorgängen jener feftlihen Nacht zu ſprechen, die ein fo be-
klagenswerthes Ende genommen. Er felbit wußte fih fo frei von
Schuld wie alle feine übrigen Hausgenoffen. Ihm konnte Nie=
mand einen Vorwurf machen, man hätte denn in ber Berettwil-
ligkeit, mit welcher er und die Seinigen ber Tochter bes Quar⸗
tiersmannes ein Afyl gewährten, eine Nachläſſigkeit erbliden wol—
len. Died kam nun freilid Niemand in den Sinn, denn ber
Dater Chriſtinens verehrte den Rheder zu fehr und kannte zu
genau deflen grundrechtlihe Gefinnung, um nur den leiſeſten
Zweifel zu denen, wie viel weniger zu äußern. Weberhaupt war
ber wadere Mann vom eriten Augenblide an, wo bie Xrauer-
tunde ihm überbracht ward, feft überzeugt geweſen, es habe Tein
Anderer als Miguel die räuberifche Hand nad feinem Kinde aus
geſtreckt. Diefe Anfiht trug fehr viel auf den ganzen Gang ber
angeftellten Nachforſchungen bet, die natürlih diejenige Richtung
— 236 —
verfolgten, welde von den am nächſten Betheiligten als bie
wahrfcheinfichfte und am eheften zu einem günftigen Refultate füh:
vende bezeichnet wurde.
Anfangs warb an jedem Tage von Chriſtine geſprochen,
denn es gab Niemand tm Hetdenfret’fhen Haufe, der das anmu—
tbige, blühende, bildhübſche Mädchen nicht gern gefehen, ja lieb
gehabt hätte. Als aber Wochen und Monate vergingen, ohne
daß der Aufenthalt der Verſchwundenen entdedt werden Fonnte,
gedachte man ihrer felten, zumal das rege Gefchäftsleben und eine
Menge großer, weitgreifender Unternehmungen, welche die Zelt
und Aufmerffamteit aller im Comptoir des Rheders Beihäftigten
ausſchließlich in Anfpruh nahmen, das DVergangene weit in ben
Hintergrund zurüddrängten. Nur Eliſabeth und Ulrike fprachen
häufig über Chriftine, deren Gegenwart ihnen überall fehlte. Sie
ließen auch nicht nah, unter der Hand zu forfhen und nachzu—
fragen, und in diefem löblichen Streben fanden fie ganz in der
Stille bereitwillige Unterftügung bei Anton, namentlich aber bei
Treufreund, der einen Hang zur Schwermuth feit Chriſtinens
Verſchwinden nicht mehr ganz loswerden konnte.
Dieſe beiden Herren waren auch eine Augenweide und ein
wahrhaft erhebender Troſt für Jacob, der raſtlos arbeitete, unver-
droffen auf den Vortheil Heidenfrei's fah, deflen Haar aber unter
der Hand des Kummers, die auf feinem Scheitel ruhte, ſichtlich
erbleichte.
Sp oft der alternde, um Vieles magerer gewordene Quar⸗
tiersmann in das Comptoir tvat, fand Einer oder der Andere Ge-
legenheit, ihm ein paar freundliche Worte zuzurufen, ihm für einen
geletfteten Dienft oder einen raſch und pünktlich vollzogenen Auf—
trag zu danken. Erlaubte e8 die Zeit, was immer der Fall war,
wenn Heidenfrei perfönlih im Comptoir fehlte, fo knüpften fie auch
ein Geſpräch mit Jacob an, und fonnte man dem trauernden Va⸗
ter auch nichts Gewiſſes fagen, fo ſchien es diefen doch mit neuem
Hoffnungsmuth zu erfüllen, wenn Treufreund thn mit einem bie=
bern Händedrud und mit ber Verfiherung, es werde ſich noch Als
— 237 —
7
le8 zum Beften wenden, entließ, oder wenn Anton einem herzlichen
Worte noch feine betheuernde Lieblingsredensart: „Mien Moder
fann ſwemmen“ hinzufügte.
Eine Art Troſt lag in diefen Verfiherungen, das fühlte Ja⸗
cob; denn wer hätte geglaubt, daß der Schwager Heidenfrei's,
jener Hohenfels, den die älteſten Perfonen im Gefhäft immer für
einen kaufmänniſchen Abtrünnigen gehalten, und an deſſen wirklich
erfolgtem Tode Niemand zu zweifeln gewagt, dennoh am Leben
fet und nad fo langen Jahren wieder auftauchen werde? Nach
und nad hatte fih nämlich die Kunde von dem Wiedererwachen
des Verlorenen auch unter den Comptoiriſten verbreitet, und zwar
nad dem ausdrüdlihen Wunſche Heidenfrei’s, da es diefem zweck⸗
mäßig ſchien, dem Bruder feiner Frau mit der Zeit abermals den
Eintritt in das Geſchäft zu eröffnen. Er konnte das jebt um fo
eher thun, als Hohenfeld buch fehwere Erfahrungen milder und
leidenfhaftslofer geworben fein mußte, und in der Perfon einer
feiner Söhne demfelben immer eine Art Moderator an die Seite
gegeben werben Tonnte, falls Auguftin, wie Heidenfret hoffte, in
Amerika bleiben werde.
Die einleitenden Schritte zu treffen aberließ der Rheder ſei⸗
nen Söhnen. Beide kannten Amerika und auf Beide war, wie
man dies ſo häufig zu beobachten Gelegenheit hatte, ein Zug des
Onkels übergegangen, der, in einem jugendlichen Herzen Sprache
gewinnend, den ſchwer geprüften Mann eigentlich ergreifen und
für Heidenfrei’s größere Zwecke einnehmen mußte. In welcher
Weiſe namentlich Eduard der Aufträge ſeines Vaters ſich entle—
digte, haben wir bereits kennen gelernt. Es wäre indeß ſehr die
Frage, ob der Vater des ſtrebenden, gedankenreichen, die Materie
mit Idealismus beſeelenden Kaufmannes gerade dieſen Ton gebil-
ligt haben würde.
Nicht ganz ſo ſchwärmeriſch ſchrieb Ferdinand an den fernen
Oheim, obwohl auch die brieflichen Auelaſſungen dieſes jungen
Mannes von dem Kaufmanne gewöhnlichen Schlages, der nichts
als nur materiell verdienen will, und dem ſelbſt das Höchſte nur
— 238 —
in fofern von einigem Werth tft, als fih damit klingendes Silber
erwerben läßt, weber verftanden, noch weniger gar geachtet worden
fein würde.
Bald nach dem Abgange dieſer Briefe, von denen das Schrei=
ben Eduard's Auguftin Hohenfels veranlafte, eine Reife nad Eu-
vopa anzutreten, wurben Heidenfrei ſehr vortheilhafte Anerbtetun-
gen in einem großartigen Getreidegefhäfte gemadt. Kaufmän-
nifch betrachtet konnte es nicht Leicht ein Iucrativeres Unternehmen
geben, denn flug es ein, wofür fait untrügliche Anzeichen vor⸗
handen waren, fo wurden binnen wenigen Monaten enorme Sum
men verdient. Freilich aber konnte auch durch ein plögliches Um-
ſchlagen der Gonjuncturen, was indeß wenig Wahrſcheinlichteit für
ſich hatte, eben ſo viel verloren gehen.
Heidenfrei war in allen Unternehmungen ein beſonnener, lei⸗
denſchaftsloſer, kalt berechnender Geſchäftsmann. Dieſen Eigen-
ſchaften verdankte er fein auffallendes Glück. Cr hatte bisher im=-
mer höchſt vortheilhaft fpecultrt, fo dag mander feiner Gollegen
ihm ein eigenthümliches kaufmänniſches Ahnungsvermögen, eine
Art merkantiler Prophetengabe zuerfannten. Dies fichere Zugrei-
fen machte ihn zuverfihtlih, und da er in der That einen großen
kaufmänniſchen Blick beſaß und niemals an Kleinigkeiten fih ſtieß,
fo wagte er nicht felten mehr als Andere, bie über gleich große
Mittel verfügen Tonnten und felbft den Rückſchlag eines verun-
glüdten Unternehmens nicht zu fürchten brauchten.
Um nit in. den Verdacht übereilten Handelns zu gerathen,
beſprach er die Ihm gemachte Offerte mit feinen Söhnen, bie er,
jeit beide mündig waren, ftets bei jedem großen Unternehmen zu
Rathe zog. Zu Heidenfrei's großer und freudiger Genugthuung
gingen diefe mit Lebhaftigkeit darauf ein, und fo warb denn ber
Abſchluß des Geſchäftes befchloffen.
Als Vermittler hatte das Haus Heibenfrei mit einem befann=
ten, jehr reihen Hofbefiker in der Cremper Marſch zu verhandeln,
ber zumellen, doch nur, "wenn er mußte, feinen gewaltigen Hof
verließ und perfnlih nah Hamburg kam. Diefer Mann, Na-
— 239 —
mend Diel-Johann, der in früher Zeit wohl ein Spitzname gewes
fen fein modte, bis die Befiger ihn fich wirklich beilegten, war «in
naher Anverwandter bes lebensluftigen Julius, defjen Mutter eben⸗
falls aus der Marſch flammte, und Julius hatte zuerſt durch fei=
nen Freund Anton dem Haufe Heidenfrei von dem gewinnverheis
genden Unternehmen einen Wink gegeben. Sp fam es, daß aud)
Antons Anficht, wenigſtens beiläufig, gehört ward, bie natürlich nur
ermunternd ausfallen konnte. XTreufreund dagegen, den Niemand
direct fragte, deffen Scharfblid und wahfamem Auge aber nicht
das kleinſte Unternehmen zu verheimlichen war, fehüttelte in be=
benflicher Weife den Kopf, murmelte etwas von gefährlihen Schwin-
belgefchäften und zählte mit einer Ausdauer Schillinge für bie be=
liebten Zehnthalerbüten ab, dag Heidenfret felbit dem unermüblich
rührigen „Schatten” bedeuten mußte, daß er für Diesmal genug ge⸗
than habe. |
Nach diefer freundlihen Ermahnung padte Treufreund bie
fertigen, mit Bindfaden kreuzweis umſchnürten Düten ſtillſchwei⸗
gend in fein Pult, verſchloß dies ſorgſam, ſtieg von feinem hoch⸗
beinigen Schemel, rüdte das geftidte Käppchen aufs Iinfe Ohr
und ſchritt auf Anton zu, der emfig englifche Briefe fchrieb.
Wiſſen Sie, Herr Anton, dag ich anfange überflüffig zu wer-
den? ſprach er zu dem muntern Gorrefpondenten.
Unmöglich! fagte biejer.
Nein, im Gegentheil, ganz ficher, betheuerte Treufreund.
Wenn man nicht einmal mehr zum Abzählen von Schillingen taugt
und fih vom Prinzipal fagen laſſen muß, ob der ſauber gemach—
ten Düten genug find oder nicht, ba wird man überflüffig oder
man tft e8 vielmehr fhon. Aber ich kenne die Quelle, aus wel-
cher diefe Mipftimmung Herren Heldenfrei’d gegen feinen älteften
Mitarbeiter fließt, ich Kenne fie, Herr Anton, und wenn id fie
nicht verftopfe, gefchieht’8 aus purem Refpect vor einem großen kauf⸗
männtfhen Namen. Ich habe immer Refpect vor großen Namen
gehabt.
Ste haben den Herrn Prinzipal gewiß mißverflanden, Ver⸗
— 240 —
ehrteſter, ſagte Anton beruhigend. Das ewige Zählen und Rechnen
greift an, macht nervös, und wenn man nervös reizbar iſt, nimmt
man leicht auch ein wohlwollendes Wort hoch auf.
D, mein Tieber, junger Freund, erwiderte Treufreund, fo
ſchwach und nervenzart bin ich noch nicht, daß ich nicht wüßte, was
ih thue. Man wird älter und bebächtiger, und Alter und Be-
dachtſamkeit find Feine Tugenden Teichtfertiger Jünglinge. Die
Jugend indeß, befonders wenn fie überfeeifche Gefchäfte hat machen
fehen, traut ſich jebt weit mehr Klugheit und Erfahrung zu als
die Weisheit geprüfter Männer. Weiter will ich nichts fagen,
lieber Anton, denn ich werde nie perfönlih, aber th hoffe, Sie
find fo feinflhlend, um mid ganz zu verfiehen.
Der „Schatten” verbeugte fih, ſchob Das Käppchen wieder mit-
ten auf den Kopf und verließ hüftelnd das Gomptoir, vor dem
Pulte Herrn Hetdenfret’s ſich tief verbeugend und eine fo hochmü—
thig ſpöttiſche Miene annehmend, als wolle er fagen: Ihr verfennt
Euern wahren Genius und werdet früh genug fpüren, was Ihr
mit Eurer Nihtahtung für Unglück auf Euch herabftürzt.
Es war ein nebelgrauer, Falter, windiger Tag Anfang März.
Die Elbe trieb noch vereinzelte Eisfchollen, bie mit dem hoben
Oberwafler aus dem Innern des Landes herabfamen. Die Unter-
elbe war ſchon mehrere Tage ganz frei von Eis und bie Schiff-
fahrt bereits wieder eröffnet. Das erfte Schiff, welches den Hafen
verließ, war die Bart Heidenfrei's „Marie Elifabeth”, der wir
fünf Wochen fpäter auf dem Ocean begegneten.
Der Marfchbauer Diek-Johann Hatte dur feinen Verwandten
Zultus bei dem Rheder anfragen laſſen, wann es biefem genehm
jet, das bereits halb und Halb entrirte Gefchäft vollends zum
Abihluffe zu bringen? An die Börfe zu gehen konnte er fich durch—
aus nicht entfchließen. Dazu war er theils zu bequem, theils auch
zu unbeholfen. Die vielen Menfchen, das Durcheinanderſchwirren
vieler taufend Stimmen, das Hochdeutſch der vornehmen Handele-
herren, das freilich von dem Plattdeutfch beinahe verdrängt wurde,
machten den phlegmatifhen Bewohner der Marfch unfiher. Das
— 241 —
aber liebte Diel-Fohann nicht, denn auf Geſchäfte ließ er fih nur
ein, wenn er völlig klaren Geiſtes war. Nicht einmal einen Het«
nen „Slummer“ (flarfer Grog) erlaubte er fih zu genießen, ob«
wohl er im Allgemeinen nur zu gern dieſem Lieblingsgetränt der
meiſten Marſchbewohner zugufprechen pflegte.
Heldenfrei beftimmte dem gewichtigen und als eigenfinnig hin-
reihend befannten Manne eine Stunde und gab Befehl, ihn nicht
in's Comptoir, fondern in fein Privatzimmer zu führen. Der
Rheder z0g es vor, das Unternehmen nur im Betfein feiner Söhne
abzufchliegen, Damit nicht Jedermann davon Kenntnig hielt. Konnte
man doch ohnehin nicht willen, ob der harte dithmarſiſche Kopf fich
fetht den Vorſchlägen fügen werbe, welche der Handeläherr ihm
zu machen gedachte.
Genau zur angegebenen Stunde hielt der offene, mit zwei
prächtigen Füchſen befpannte Stuhlwagen des Hofbeſitzers vor Hei⸗
denfrei's Hauſe. Diek-Johann beſuchte Hamburg immer nur in
eigenem Wagen, der zwar nicht beſonders elegant von Bauart,
dafür aber deſto dauerhafter und gut gehalten war. Die Kummete
der beiden Fuchsſtuten mit ihrem Meſſingbeſchlag ſahen ſo propre
aus, daß einem ächten Bauer bei ihrem Anblick wohl das Herz im
Leibe lachen konnte.
Ein unterſetzter, breitfchultriger Mann, mit einem wahren
Stiernaden und feiltem Gefiht, aus dem zwei kleine, graue, fte-
chende Augen unter ſtarken Brauen feft und fiher in die Welt
blickten, fiteg aus. Er trug über feiner gewöhnlichen Kleidung
noch einen feften, fteifen Regenmantel, wie ihn die Lootſen führen,
und ftatt des üblichen runden Hutes einen niedrigen, mit breiter
Krempe, deſſen Wachstuchüberzug die Näffe abhielt. Die Füße
ftaten in bequemen, an den Knieen niedergeklappten Waſſerſtiefeln.
Das war der reihe Diek-Johann, ein pfiffiger Getratbehände
fer, der fi rühmte, an jedem Sonnabende ein Spielen um hun⸗
dert Species ſchleswig- holſteiniſches Courant einzugehen. Es war
diefem feiften, ftramm auftretenden Dithmarfcher anzufehen, daß,
wer ihn übervortheilen wolle, früh aufſtehen müfle.
D. B. XI. Willtomm’s Rhever und Matrofe, 16
— 2142 —
Heidenfrei fannte indeß feinen Mann und war ald vorfichtig
handelnder Kaufmann Tängft mit fih im Reinen über die Bedin⸗
gungen, die er dem Händler bieten könne. Ihm war bie Zeit der
Ablieferung und die Qualität des Gelraides, von dem er Proben
befaß, die Hauptſache.
Diek-Johann hätte Fein dithmarſcher Bauer fein müflen, wä⸗
ren ihm Gewinn und Verluft gleich geweſen. Merdienen, möglichſt
viel verdienen, das war für Ihn der Zweck des Lebens, wer andere
Gedanken hegte, andere Bedlirfniffe kannte, den verachtete er gründ⸗
ih. Gr ließd ihn kaum für einen vollen Menſchen gelten und
würde ihn ſchwerlich lange neben fich geduldet haben. Knauſerig aber
war Diek-Johann nicht. Wie er es liebte, gern viel Geld zu ver⸗
dienen, fo ließ er aud gern etwas drauf gehen. Schillinge und
Marken kamen darum bei ihm im gewöhnlihen Umgangsleben
gar nicht in Betracht. Da galt nur das Drittel, der Gourant-
thaler und der Spected. Der Ginfachhelt wegen rechnete er am
allerliebften nach Species, und ein Gefhäft in anderer Münze, als
in blanfen Spertes mit Diek-Johann abgefchloffen zu haben, Konnte
fih in den Marfchen, wie in Hamburg, Niemand rühmen.
Dom Reden hielt er wenig, deshalb war er meiftentheils
fhweigfam und machte wenig Worte. Er war aber geduldig im
Anhören der Reden Anderer, und fonnte ohne eine Miene zu ver-
ziehen, Biertelftunden lang einen Dritten fih abmühen Taflen.
Hatte er mirklih eine Ginwendung zu machen, fo unterbrad er
den Redner mit einem ſtereotypen: Ä
Süh fo! Hoal ftop! Und dann legte er mit wenigen Flaren
Morten feine eigene Anfiht offen dar.
Diek-Johann hatte durchaus nichts Heimliches, nichts Ver—
ftedted. Er war bei aller natürlihen Schlauheit eine gerade, ehr-
liche Natur, die alle Winkelzüge haßte und deshalb nie mit Advo—
faten in irgend eine Berührung gefommen war, Wer ihn aber
mit Gewalt oder durch allerhand Intriguen und Fallen zwingen
wollte, aus feiner Ghrlichkeit herauszugeben, ben behandelte er,
fobald er fi feiner Sache gewiß war, mit wahrhaft göttlicher Grob-
— 243 —
heit. Es kam ihm dann nidt darauf an, einen Injurienprozeß
zu riskiren, wirklich befommen hatte er aber noch feinen, vieleicht,
weil ein fo derb Zurechtgewieſener ſpäterhin ſich felbft geſtand, daß
er von dem ohne Umſchweife verfahrenden Ditbmarfchen vollkom⸗
men nad Verdienſt abgelohnt worden fel.
Die Unterhandlungen Heidenfrei's und feiner Söhne mit die—
fem originellen Manne verliefen viel vafcher, als der Rheder erwar-
tet Hatte. Diek-Johann ſah auf der Stelle, daß er einen Kauf:
mann großen Styls vor fi habe, der nicht um Kleinigkeiten feil⸗
fhe, und fo war das rein Gefhäftliche erledigt, ehe beide Par-
teten es vermutheten. Ganz zufrieden und doch auch Halb ver-
wundert fchloß der Dithmarſcher das für ihn fo rentable Gefchäft
mit feinem Wort:
Süh fo! Hoal, ftop! reichte dem Rheder wie deſſen Söhnen
zur Belräftigung die Hand und erklärte fih mit den kaufmän—
nifhen Formalitäten, deren Heidenfret noch erwähnte, vollfommen
einverflanden.
Der Rheder freute fih, dieſen Mann von dem er oft ſchon
gehört hatte, näher kennen gelernt zu haben, und überſchlug ſchon
jegt die Vortheile, welche aus diefer neuen commerctellen Belannt-
{haft für ihn fih ergeben könnten.
Diek-Johann war nicht weniger zufrieden und Iub den Kauf-
mann ein, ihn in der Marſch zu befuchen.
Sa, mein Xieber, erwiderte Hetdenfrei auf dieſe Einladung,
e8 wäre mir ganz angenehm, Ihr Gewefe in Augenfhein zu neh=
men, wenn man nur nicht beforgen müßte, das Fieber zu friegen.
Ihr bradiges Waſſer verträgt Unfereiner keine zwei Tage.
Diek-Johann z0g die Stirne faſt raus, blidte den Kauf-
herren noch fchärfer wie gewöhnlich an, und verfepte:
Süh fo, fiop! Es giebt nirgends gefünders Waller als in
ber Marih, Herr Heidenfret. Iſt überhaupt nirgend befjer und
angenehmer zu leben, als bei uns. Was habt Ihr denn hier draus
Ben? Sih mal, wil’8 fagen: Ihr Habt Waller, Elbwaſſer, ge-
rade wiewir, nur zu wenig. Ihr habt viel Strauchwerf und über-
16 *
— 2144 —
flüffige Bäume. Iſt bei uns in der Marſch Gottlob wenig davon
zu fpüren. Ihr habt gar Sandberge, die man unter Schweiß er-
ftetgen muß. Kennen wir gar nidt. Bei uns iſt Alles eben, Al⸗
les fetter Kleiboden, viel frifhe Luft; Fein unnöthiges Geäſt ver-
det uns ben Lieben blaßgrauen Himmel. Geht mir mit Euerm
Land da draußen! Nur in der Marſch ift Lebensluft, da tft das
Paradies, die ganze Übrige Welt außer der Marſch tft nichts als
lauter Geeſt. Hul man Tann bei dem bloßen Gebanfen ſchon ma-
‚ger werben. Süh fo, ftop!
Heldenfrei rieb fih vor innerlihem Vergnügen die Hände,
denn er mochte gern mit Menſchen originellen Schlages verkehren,
und einer von ber allerurwüchfigften Art ftand da vor ihm. Die
Brüder mußten an fich halten, um nicht einer zu auffallenden Luſt⸗
igkeit fih hinzugeben. Der Rheder konnte ben gewaltigen Dith-
marfcher, befjen ganzes Auftreten ihm höchlichſt imponirte und gleich
zeitig ihn auch Föftlich unterhielt, unmöglich fofort wieder gehen laſſen.
Der Gedanke, von ber Einladung bes reihen Marſchbewohners gele-
gentlih Gebrauh zu mahen, behagte ihm mehr und mehr. Er
verfegte deshalb auf die letzte Aeußerung des höchſt ernfthaft blide
enden Diek-Johann:
Ste mahen mich neugierig, einen Blid in dies mir bisher
unbefannt gebliebene und doc fo nahe gelegene Paradies zu thun.
Wären nur die Wege in Ihrem gefegneten Lande etwas praktikab⸗
ler. Bon dieſen Marſchwegen aber babe ich fo viel Schlimmes
erzählen hören, dag uns Stadibewohnern, mit Verlaub zu fagen,
Angſt und vor Angft der Kopf did werben kann.
Zum erften Male erheiterten fi die Züge des reichen Marſch⸗
bauern. Er nidte zuflimmend mit dem Kopfe und fagte:
Man bat die Wahrheit gefagt. Unfere Wege gehören nicht
zu den beften. Damen in feinem Schuhwerk, und elegante Her-
ven, die aus Furcht vor Hühneraugen dünnes Sohlenleder einem
ſtark mit Nägeln befchlagenen feſten Stiefel vorziehen, führen bei
uns einen bannig ſchlechten Wandel. Hat aber fein Gutes, mein’
ih. Wer ſtecken bleibt in unferm Kleiboden, der muß aushalten, -
— 45 —
bis Einer kommt und ihn frei macht. Das Auf- und Davonlau⸗
fen tft bei uns ſchwierig. Gab letzthin eine nette Geſchichte das
— haben viel darüber lachen müſſen Abends beim Trick⸗track. —
Süh fo, hoal, ftop! |
Diek⸗Johann puhftete, daß fein gewaltiger Bruſtkaſten dröhnte,
denn eine gleich lange und zufammenhängende Rede hielt er felten
und that er es, fo war dies ein fiheres Zeichen, daß er unges
wöhnlich gut bei Laune war. Hätte dies Jemand bezweifeln wol-
len, fo würde das herzhafte und zugleich herzliche Lachen ihn ei-
nes Beſſeren belehrt haben.
Darf man nicht Mitwiffer diefer Geſchichte fein? fragte Hei—
denfret, nicht aus Neugier, fondern um noch etwas von dem vri-
ginellen Hartfopf aus der Marſch erzählen zu hören.
Warum nicht, Herr Heidenfret, verfebte Diel-Fohann, es wird
Ihnen damit nur ſchwerlich etwas Neues vorgefegt werden, benn
das Ding warb irgendwo in einem Wochenblatte gebrudt, weil
fih’8 gar zu Iuftig leſen ließ.
Ferdinand bemerkte dem Dithmarfcher, daß biefe Kleinen Blätt-
hen in dem großen Hamburg, das genug eigene Zeitungen befäge,
nicht gelefen würden, worauf dieſer fortfuhr :
Hoal, ftop, will erzählen, was ich no Davon weiß. — Er
dachte eine Welle nach, dann begann er aufs Neue:
Recht, fo war es; befinne mic deutlih, Sit mir, als ſei's
erſt vorgeftern paffirt.
Er huſtete, holte tief Athem und puhſtete, ehe er weiter
ſprach.
Mitte Novembermonat — der Tag iſt mir entfallen — war
ein bannig grimmiges Nebelwetter. Es regnete fein und doch ſo
dicht, als wäre der ganze Himmel ein großes Haarſieb und das
halbe Weltmeer brandete von oben hinein. Auch wehte es ſcharf
aus Südweſt, daß ein einzelner Menſch auf dem Seedeichkamme
ſchier wuchtig auftreten mußte, wollte er Stand halten. Die Krä⸗
hen faßen dicht Beifammen auf den Aeſten der entblätterten Ul-
-men, bie um die Höfe rauſchten. Manchmal, wenn ber Wind bie
— 146 —
alten Bäume gar zu heftig fehüttelte, flogen fie auf und liegen
fih auf den Hausdächern nieder, was fonft nicht ihre Art iſt.
Auch auf die Dornenden der Storchnefter, die ja leer flanden, wag—
‘ten fih einige ber keckſten. 's iſt unheimlich‘, Herr Heidenfrei,
wenn das Genögel fo krächzt, fo unftät umher fliegt, und als ahne
ihm ein Unglüd, die fehwarzen Flügel Über den Gräben und Waf-
fertümpeln fchlägt.
Im Paradies mag das anders geweien fein, warf Eduard
ein, der eine Kleine Neckerei des auf feine Heimath fo ſtolzen Marſch-
bewohners nicht unterbrüden konnte. Diefer ließ fich jeboch nicht
ftören, fondern fuhr ruhig fort, einen fat fpöttifchen Blid aus fet-
nen ſcharfen Eleinen Augen auf den jungen Kaufmann werfend.
Stop, junger Herr! Bor dem Eingange zur Marſch ſitzt Fein
Engel mit feurigem Schwert, wie vor dem Paradieſe; wer aber
mit Wind und Wafler, mit Sumpf und Kleiboden nit umgehen
fann, der mag wohl in ber fetten Erde, die uns Gingebornen ab-
fonderlih gut gefällt, zu Schaden kommen. Meine, ed wäre paj-
firt, ohne mein und meiner Nachbarn thätliches Einfchreiten.
Es handelt fih um eine KLebensrettung? fragte Heidenfrei
aufmerffamer.
Ungefähr läuft es auf fo 'was hinaus. War aber Doch zu
fpaßig anzufehen, wie fie jo im Drede faßen und einander bannig
wilde Gefichter fehnitten. Süh fo, ftop.
Mer befand fih denn in einer fo fatalen Situation ? fragte
Ferdinand,
Mer? fuhr Dief-Fohann fort. Darauf mag der Wind oder
Deichkobold Antwort geben. — Uber füh fo — das wars... Ich
fihe gerade beim Mittagefjen und fpüle die letzten paar Bilfen von
einer Schweingrippe mit einem frifhen Slummer hinunter, da tritt
eine der Mägde herein und fagt: Baas, an der Bohnenfoppel, wo
der Fußfteig nad dem Binnendeihe über drei tiefe Gräben führt,
heult’8, als ob ein Paar Teufel mit verdammten Niren fi zanf«
ten. Dachte mir gleih, es möchten ein paar Verunglüdte fein.
Stehe alfo auf, ftülpe mir einen Hut auf den Kopf, nehme Spring«
— 1471 —
tod und ein paar Taue mit und trete hinaus ins Freie. War
bannig ſcharfes Novemberwetter — hörte die Elbe toben hinter
dem Deihe. ‚Viel Wafler vom Oberlande, alle Gräben zum Ue—
berlaufen voll. — Wie ih nun fo ſtehe und Horde, und der Wind
mir Nebel und Regen gerade ins Geficht peitfcht, fehe ich beide
Nachbarn ebenfalls aus ihren Höfen kommen und den gleichen
Weg wie ich einfhlagen. Horch — da ruft's — grauenhaft wild
— ein Schrei, der wie ein Todesſchrei Hang — In ber Luft
heulte er fort, als röcdelten böfe Geifter — und die Krähen flo—
gen auf und Freifchten, während die Strandmöven klagten, als
fhrieen hungrige Kinder nah ihren Müttern. — Es ward mir
faft grauferlih, liebe Herren, aber th mußte doch Mann bleiben
und fo faßte ih meinen Stod, ſchwinge mich über den nächſten
Graben und bin mit wenigen Schritten bei den Nachbarn. — Uns
anfehen und veritehen, das war Eins. Indem heult’s wieder in
der Luft und der Ton Mingt hohl, wie der eines Eritidenden
oder doch eines Menſchen, der ein ficheres, jammervolles Ende vor
Augen fieht. |
Dort drüben iſt's, fagt Nachbar Sootſpring. Es müſſen
Fremde fein, die fih vom Deiche im Nebel verirrt haben und nun
weder vor: noch rückwärts können. Ein Glüf für fie, daß es juft
erft dämmert. Wär’s Naht, fo kämen fie um im Schilf und
morgen früh Hätte fie der Schlamm für ewige Zeiten begraben.
So geben wir alfo zu Dreien dem Schreien vorfichtig nad,
fpringen über vier, fünf, fehs Gräben, geben dem Angftrufen
Antwort in unferer Weife, und finden nad einer Biertelftunde
bie Stelle — war — Gott verdamm’ mid — ein Anblid zum
Entjegen und doch aud wieder zum Laden, ben wir an jenem
Novembernachmittage Hatten !
Zum Lachen? erwiderte in mißbilligendem Tone Eduard.
Sage, zum Lachen, Herr, fuhr Diel-Johann in gemädlichiter
Weiſe fort. Stedten zwei Menfhen, die einander fpinnefeind
waren, im leimzähen Kletboden bis an die Knie’, zerrten einander
bin und her, bald einen Kleidzipfel fallend, bald Einer des Ane
-
bern Haare zaufend; — riefen, ſchrien und fehimpften babet wie
Befeffene, und konnten aljobald merfen, daß fie gar nicht aus
Furcht und um Hilfe herbeizurufen, fo grimmig gezetert hatten,
fondern weil die Wuth, der gegenfeitige Haß Befib genommen von
ihren Herzen, und Einer den Andern binunterarbeiten wollte in
Sumpf und Modergrund. So balgen fih und ringen Teufel aus
der lichterloh flammenden Hölle mit einander, nit Menſchen, die
fi Ghriften nennen. — Hab’ freilich nicht gefragt, ob die beiden
Rafenden an Gott oder an Baal glaubten. Shre Worte und
Werke jedoch Hangen mehr heidniſch als chriſtlich.
Wer aber waren die Unfellgen, fragte Heidenfrei, und was
tft aus ihnen geworden, da nun durch Euer friedensrichterliches
Einfhreiten der Kampf Beider doch wohl ein Ende fand?
Süh fo, ftop! puhftete Diek-Johann, tief aufathmend. Küm-
mern wir uns in der Marſch wenig um anderer Leute Angelegen-
heiten. Bringt felten Vortheil, öfterer Schaden, verurfacht Koften,
Zauferei und macht immer Verdruß. Haben wir alfo die beiden
Menſchen, von denen ber eine einige und dreißig und ber andere
einige und zwanzig Jahre zählen mochte, weder nach Taufichein
und Legitimation noch nach dem Grunde gefragt, aus dem fie fid
tafelten und fih im Klei zertreten wollten. War das nicht unfe-
res Amtes.
Gewiß aber verſuchtet Ihr die Streitenden zu trennen und
durch verſtändiges Zureden zu verſöhnen, meinte Ferdinand.
War bannig naßkalt und ſchlecht ſtehen im finkenden Marſch⸗
boden, verſetzte Diek-Johann, und das iſt keine paſſende Zeit zu
langen Unterhandlungen. Auseinander, braten wir die giftigen
Ringer, getrennt für immer jedoh und verfähnt haben wir fle
nicht.
Weshalb nicht? fragte Eduard.
Weil ber Eine, der Jüngere, ein wildfremder Kerl war, den
wir platterdings nicht verftanden. Der große Lange, ein ſchieläu⸗
giger Amerikaner, wie er fagte, konnte fih gut auf Platt aus-
brüden, und ber erzählte uns, daß ber unterfeßte Kleine, ein fpa«
— 249 —
niſches Blut, ihn unterwegs hinterrüds angefallen habe, um ihn
zu berauben, fpäter gar zu tödten. Da ſei das Ringen Tosge-
gangen, die Morbwaffe dem Miguel entfallen —
Miguel? riefen Vater und Söhne wie aus einem Munde.
Sp nannte der Yankee den wildblickenden Spanier, der aud
wirklich wie ein in Wuth gerathener, gelb gekochter Teufel aus—
fab und gegen uns eben fo drohend und immerfort fluchend die
Hände ballte und die Zähne fletjchte, wie gegen den Amerikaner.
Hatte prächtig weiße Zähne, das gelenke Kerlchen, Zähne, als hätte
er von Jugend auf Schwarzbrob bei uns in der Marſch gegeffen.
Der junge Spanier hieß alfo Miguel? unterbrach Heidenfrei
den Marfchbauer nochmals mit fcharfer Frage, während Eduard
und Ferdinand Arm in Arm, lebhaft, aber Ietfe fprechend, tm
Zimmer auf und nieder gingen.
Miguel oder Michal oder fo ungefähr, ſagte Diel- Johann
höchſt gleichgiltig. IR uns an dem Namen eben fo wenig wie
an dem Manne, ber ihn führte, gelegen geweſen. War jeden—
falls ein ſchlimmer Gefelle, der unter ehrliche Leute nicht gehörte,
— Süh fo, ftop! — Bradten wir alfo die fuchswilden Menſchen
aus einander, halfen ihnen aus dem zähen Klei und nahmen fie
mit und Meine Nachbarn führten den wilden Spanter, der vor
Gift und Galle ordentlih ſchäumte, mit mir voraus ging der
lange Amertfaner und erzählte mir eine wunderliche Gefchichte,
aus der ich nicht recht Hug werden konnte. Intereſſirte mich fein
Schnack eigentlih wenig, und glaube ih au, der Kerl log, was
die Zunge halten wollte. Nur das Eine, die heftige Feindſchaft
des Spanters gegen ben Amerikaner, war nicht erlogen. Weil
aber der Leptere behauptete und viele glaubhafte Gründe dafür
vorbrachte, daß der widerfpenftige Spanier ein ihm entlaufener
Matrofe fei, der fih vor dem Tauende fürdte, fobald er ihn am
Bord feines Schiffes habe, thaten wir ihm den Willen, nahmen
ben geifernden Burfchen ſcharf in Obacht und brachten Beide auf
einem Wagen nad Brunsbüttel, Dort padten wir fie in eine
Sole, den fhimpfenden und greinenden Miguel oder Michal mit
UN
— 2350 —
gebundenen Händen, und nun, füh fo, flop, fort mit dem un-
nügen Volk auf Die breite, nebelbedeckte Elbe! — Verſchwand bie
Jolle bald und Hat angelegt am Bord einer amerikaniſchen Brigg
unter dem Jubel der ganzen Mannſchaft. Weiter aber tft nicht
mehr von der Sache die Rede gewefen.
Heidenfrei dankte dem Marfhbauer für diefe Mitteilung,
fügte auch noch einige Fragen Hinzu, aus deren Beantwortung
ih, je nahdem fie ausfielen, mancherlei Sclüffe ziehen laſſen
fonnten. Diek-Johann hatte aber fein Neuigfeitshorn vollkommen
geleert und war aus feinem phlegmatifhen „Süh fo, ſtop“ nicht
mehr herauszubringen. Nur feine Einladung, die Mari zu be-
fuchen, wiederholte er, und der Rheder ftand nah dem Vernom⸗
menen nicht an, dieſen Beſuch dem reihen Grundbefißer und Ges
tratdehändler jeht ganz beſtimmt zuzufagen.
Kaum hatte ſich Diek-Johann entfernt, fo traten die auf-
geregten Söhne zu dem Vater, diefem mehr Fragen vorlegend,
als er beantworten konnte. Hatte der Marjhbauer, woran nicht
zu zweifeln war,. die ganze Wahrheit gefagt, fo konnten bie fo
zufällig erhaltenen Andeutungen, vorfihtig benußt und verfolgt,
zu meiteren Aufſchlüſſen führen. Miguel, der geheimnißvolle Ma-
trofe aus dem ſpaniſchen Amerika, war dann nicht der Räuber
Chriſtinens. Diefen mußte man anderswo fuchen. Wo aber war
fein Sreund, der Steuermann Andreas geblieben? Wie hieß der
Amerikaner, der in ſolche Todfeindfhaft mit Miguel gerathen war?
Und endlih, wo und tin wellen Gewalt befand fih das junge,
ſchöne Mädchen?
Die Brüder wurden durch diefe Eröffnungen in die größte Un
ruhe verſetzt. Ste beriethen fih geraume Zeit mit dem Vater und
man faßte endlich gemeinfam den Beſchluß, vorerft Jacob von dem
Gehörten Nachricht zu geben. Später wollte man unter der Hand
und ganz nebenbei genaue Erkundigungen einzichen über alle um
jene Zeit in See gegangenen amerikaniſchen Schiffe. Endlih mußte
e8 die Aufgabe Aller, welche Theil nahmen an Chriſtinens Schick⸗
fale, fein, auch in Erfahrung zu bringen, wo Andreas, der Breund
— 31 —
und Gefährte Miguels, geblieben fet; denn daß Die gewaltfame
Fortichleppung des Lebteren mit dem Verfchwinden des jungen
Mädchens in Beziehung ſtehe, davon waren jebt Die Brüder eben
fo feſt, wie der Vater überzeugt.
Noch an demſelben Abende fchrieb Ferdinand einen ausführ-
lichen Brief an Paul, den Bruder Gpriftinens, der gerade noch
mit der directen Poft nach Südamertfa abging und, wenn nicht
auffallende Störungen in der Natur eintraten, faft gleichzeitig mit
der Bart „Marta Eliſabeth“ den Hafen von Buenos=-Ayres errei-
chen fonnte,
Sechſtes Kapitel.
Eine unerwartete Neuigkeit.
Der Mat iſt im höhern Norden Deutſchlands ſelten ein „wun⸗
derſchöner Monat” zu nennen. Oefter kommt es vor, daß er mit
täufchender Aehnlichkeit den April nachahmt. Er verfteht fich auf
anhaltende Regentage, auf Schneegeftöber und Schauer grobförnt-
gen Eifes, auf Heftige Winde und bitterfalte Nächte ganz vortreff-
Lich, die Fiebliche, Alles erquidende Maifonne aber fcheint meiſten—
theils nur im Kalender. Der Norddeutfhe nennt dies nicht bios
fruchtbares, fondern auch gefundes Wetter. Er tft nie rüftiger,
fühlt fih nie behaglicher, al8 wenn es aus We und Südweſt
tüchtig weht, wenn ein doppelt beſohlter Stiefel gute Dienfte
thut oder wenn die Luft did von Nebel iſt. Die mancherlet
Mebelftände, welche mit folcher Witterung ſtets verknüpft find,
weiß er zu befiegen, wie er ſich ja auch voll beften Humors mit
plöglih eintretenden Weberfchwenmungen, die gewöhnlich in die
unerquidlichfte Jahreszeit fallen, abzufinden verfteht.
Nicht fo Leicht wird e8 dem Fremden, und zumal dem Süd⸗
länder, diefe anhaltende Brtesgrämlichkeit des norddeutſchen Him⸗
— 232 —
meld mit Gleichmuth zu ertragen. Das fühlte jetzt Niemand
mehr, als Don Alonfo Gomez, der vom deutſchen Mat fchon tn
feinem herrlichen Vaterlande viel Entzüdendes vernommen und ihn
als den reizendften Monat im Fahre Hatte preifen hören. Das
duftige Laubgrün des Mai, feine Blüthen- und Blumenpradt, die
jonnig=fühlen Zaubhaine, deren goldiges Halbdunkel man ihm als
die natürlichen Palläſte der Feenkönige und aller Elfenfchaaren
gefchildert, erwartete der ungeduldige, genußfühtige Mexikaner
den ganzen Winter bindurh mit Vorgefühlen glüdlicher Sehn—
fugt. Allein der Mat fam nun wohl, nur nicht die Blüthen-
fülfe, kein fonniger Himmel, fein duftender, fchattiggrüner Hain.
Es regnete Tag für Tag, manchmal ohn' Aufhören, bisweilen
nur ſechs- bis achtmal täglih. Es fchneite auch mehrmals, und
bie Hagelförner, welche gegen die Fenſter praflelten, waren erbfen-
groß und fielen in folchen Maſſen, daß fie an gefchüsten Orten
einige Stunden liegen blieben. Des Nachts fror e8 dünnes, zars
tes Eis, am Tage zeigte der Thermometer nur wenige Grabe.
über Null. Die Herren rannten in ihrer Gefchäftsemfigfeit wie
toll mit doppelten Röden durch die fchauerlich ſchmutzigen Stra=
pen, und die Damen trugen Pelzkragen und dide Winterkleider.
Und dabei las der Mexikaner mit größtem Crflaunen die ihm
ganz unverftändliche Phrafe im Kalender, den er aus purer DVer-
zweiflung zu Rathe zog: „Die hellen Nächte fangen an.”
Don Gomez erfundigte fi) nach der Bedeutung diefer Worte
und als er genügende Belehrung darüber erhalten Hatte, zerrif
er den abjcheulichen Kalender, deſſen Wetterprophezeifungen ein
fchauerliches Lügengewebe bildeten, befahl Feuer In den Ofen zu
legen. und ftellte höchſt erbauliche Betrachtungen an über die Wan⸗
belbarfeit der Dinge, Über den Wechjel der Farben, über die
Verſchiedenheit der Climate und über die Natur des Menjchen,
ber überall derſelbe und doch wieder fo grenzenlos verfchteden iſt.
Verdammtes Nebele und Regenland! rief er endlich ver-
drießlih aus. Bei den fchönen Augen meiner Mutter, bätte td
ahnen können, daß in diefer weltberühmten Stadt acht bis neun
— 13 —
Monate lang ein altes, ſchmutziges Segeltud, dem man ben poetifch
Hingenden Namen Himmel gibt, die Luft vorftellt, und dag in den
übrigen drei oder vier Monaten die boshaften Winde ab und zu
“ ein paar'große und Feine Löcher hinein reißen, durch die aus uns
ermeflenen Fernen die Sonne brütend=heife Strahlen fendet und
Alles unter der ſchweren, drüdenden Dede in dunftige Treibhaus»
ſchwüle hüllt, ih würde mid wohl gehütet haben und bet Zeiten
umgefehrt fein, um Balfamdüfte zu athmen und in reinem Aether
Auge und Geift zu baden. Hier könnte man aus reiner Verzweif⸗
lung über die Witterung ein Teufel werben, nur um einige Künfte
zu profitiren, mit deren Hilfe man fich felbft und Andern, benen
es nicht beffer ergeht, zur Zerftreuung und Kurzweil etwas vorzu=
fügen vermöchte. — — Keinen Befud kann man maden, denn
wer foll bet ſolchem Wetter auf's Land fahren und ein geheiztes
Zimmer mit einem andern geheizten, vielleicht auch mit einem Fels:
lerartig Falten oder feuchten Raume sertaufhen? — Ah, wäre Id
Doh in meinem fchönen VBaterlande und könnte mich mit einer
feiner Itebenswürdigen Sennoritas auf gut Spanifch ungentrt uns
terhaften! — Die Weiber hier — nun ja, ſchön und liebreizend
find fie zuweilen au, wenn fie nicht vom Gallapfel der Gelehr-
ſamkeit genafcht haben, nur fo verteufelt ehrbar, fo brutal moralijch
fo wahnfinnig decent, fo zum Anbeißen keuſch! Ich glaube wahr-
haftig, fie denfen, aud wo fie wahrhaft und von ganzem Herzen
Iteben, immer nur an's Heirathen . . . . Und darin fcheinen fie
fih alle gleich zu fein, die Vornehmen und Reichen, wie die Ges
meinen und Armen . . . Ein Mann, ein Mann! Das tit diefer
ehrbaren Dulcineen, die freilich alle taufendmal ſchöner und ſüßer
find, als die berühmte Dulcinea von Toboſo, Morgen: und Abend
gebet. Garajo!
Ein leiſes Klopfen ftörte den verſtimmten Mexikaner in feinen
erbaulihen Gedanken, die wir in die Form eines Selbitgefpräches
einkleideten. Er hatte jedoch nichts gegen jegliche Störung, denn,
was es auch Immer fein mochte es war doch etwas Neues, den
Augenblid auf irgend eine Weife anders beleuchtend, Er rief
— 254 —
deshalb mit vernehmbarer Stimme: SHerein! und fah zugleid er—
freut und verwundert ein Männden in’s Zimmer ſchlüpfen, das
fih unter zahlreichen devoten Büdlingen ihm fehüchtern näherte.
Don Gomez hatte dies ſchmächtige Männden ſchon früher
einige Male gefehen und erkannte fofort, daß er einen fpeculiren-
den Sohn aus dem Stamme Juda oder Levi vor ſich habe.
Der gnädige Herr wollen verzeihen, fagte das Männdhen, aus
. großen, fehwarzen Augen einen Hug aufleuchtenden Blitz dem fehönen
Mexikaner zumerfend, ih komme nicht um Profit, ich fomme, um
zu maden dem Herrn eine Mittheilung.
Hier dämpfte der vorfichtige Israelit feine Stimme, fah fi
im Zimmer um und fuhr in lets flüfterndem Tone fort:
Sind wir allein, gnädiger Herr? Kann uns hören Fein Dritter
oder Vierter? |
Es tft Niemand zugegen, mein Herr, verſetzte, Verdacht ſchöpfend
der auf diefen Beſuch durchaus nicht gefaßte Mexikaner. Die nächſten
Zimmer gehören, wie diefes, mir perfönlich zu und mein Diener iſt
ausgegangen.
So kann ih aljo ſprechen offen und fagen ohne Furcht, was
ih mitzutheilen habe dem Herrn, ohne zu haben davon Verdruß?
Wenn Ste e8 vor Ihrem Gewiſſen verantworten können und
Ihr Auftrag oder Ihre Mitteilung tft wirklich für mich per-
ſönlich beftimmt, was ich ja nicht weiß, fo reden Ste ungenirt.
Horcher gibt es hier nicht.
Der Jude trat zagend einen Schritt näher, ſcheue Blide auf
ben Spiegeltifch werfend, an welhem Ton Gomez lehnte, und wo
ihm der koſtbare Griff eines niedlichen Dolches nicht entgangen
war.
Sind Ste ja doch der vornehme Herr aus Mexiko, Don
Alonfo Gomez, der tft fo reich wie der hochweiſe Ben Joſeph Sa-
danober in Brody, den ich nenne meinen leiblichen Vetter?
Don Alonfo Gomez ti mein Name, Ste willen es, fagte
der Mexikaner Fühl, den Juden ſcharf firtrend und den Dold wie
zum Tändeln aufnehmend.
y
— 255 —
Das Feine, ſchmächtige Männchen mit ben großen Augen fuhr |
unmillfürlic beim Anblick des blanken Stahles ein paar Schritte
zurüd. Da der Mexikaner indeß regungslos feinen Platz behielt,
trat der Jude wieder näher und fagte, immer nur halblaut fprechend:
Komme ih doch von Cuxhaven und Ritebüttel, wo ich habe
gehabt Gefchäfte viel und verdient wenig Geld, und bin ich zujam«
mengetroffen mit einem Manne, der mid kennt genau und hält
auf mich graufam viel, weil ich ihm hab’ geholfen aus mancherlei
Nöthen. Der bat gefagt zu mir in freundfchaftlihem Tone und
mir drüdend die Hand wie ein Freund, dem die Worte fommen-
vom Herzen: | |
Mofes, hat er gefagt, Mofes, Sohn Bibrachs, ich Hab’ did
fennen gelernt als einen ehrlihen Mann, und weil ich weiß, daß
du bift ehrlih und treu und Niemand thuft Unrecht, felbjt nicht
deinem Feinde, will ich dir anvertrauen eine große Sache. Du
mußt fie aber vollführen pünktlih, denn ic werde aud bezahlen
pünftlih, und da hat er mir gegeben einen ganzen Portugaldfer,
an dem hat kaum gefehlt ein Achtel Gran! Iſt's nicht nobel, gnä⸗
biger Herr?
Mid dünkt, e8 war ein Handel, wie Ste ihn befler nicht ab»
ſchließen könnten, verfeßte Don Gomez.
Hab’ ih doch zu mir gefagt daffelbe, fuhr der geſchwätzige
Sebräer fort, und darum bin ich geweſen bereit zu Allem. Und
ber Herr, den ich kenne genau, wie er mir gibt das Zeugniß, daß
ich ſei ehrlich, Hat mir eingehändigt ohne Bedenken einen Schreibe-
brief und hat gefagt zu mir: Mofes, Sohn Bibrachs, hat er gejagt,
gehe hin nach Hamburg, wo da werben gemacht große Gefchäfte und
drunter mandje, die da find faul durch und durch, und bei denen
geht pleite ganz und gar, der fie macht, gehe bin und mache -ab
für dich und mid) und noch ein paar andere Leute ein Gefchäft
und laß dir zahlen dafür noch zwei Portugalöfer, an denen fehlen
fol auch nicht der achte Theil von einem Achtelgran. Gott, der
Gerechte, gnädiger Herr, fol mich ftrafen, wenn ich nicht fage ge—
nau, wie der Mann, den ich Tenne ganz und der kennt mic wie
— 256 —
fich ſelber, ſich hat ausgedrückt in feiner liebevollen Geſinnung zu
mir! Und da hab' ich genommen den Schreibebrief, Hab’ ihn ein⸗
gewicelt fauber in ein ſeidenes Tüchlein, das ich gebraude zu gar
nichts, damit er nicht beneßt werde vom Regen oder von dem
Schweiß meines Leibes, was Teicht wäre möglich, da tch gehe Tag
und Nacht immer zu Fuß, es mag regnen oder ſchneien, oder e8
mögen fiheinen die Sonne oder Mond und Sterne. Und als ich
gefommen bin vor zwei Stunden hier an, habe ich doch nichts ei=
liger gehabt zu thun, als zu gehen tn biefem fchlechten Wetter,
das mir macht naffe und alte Füße, was ich nicht Tann vertragen,
von den Kohlhöfen, wo ich wohne, durch die Neuftrage und A-B-C-
ftraße u. f. w. bis an den Jungfernftieg, um zu übergeben eigen»
handig, wie's ausbedungen, den Brief an den gnädigen Herrn.
Und als ich gehandelt hab’ als ein ehrlicher Mann, was beurthet-
fen mögen der gnädtge Herr felber, bitte ich unterthänigft mir aus⸗
zuzahlen den Botenlohn, den ich nicht finde zu hoch für den Weg
von Cuxhaven bis hierher in einem Wetter, wo man nicht gern
jagt hinaus einen räudigen Hund!
Während biefes langen, aber eiltgft gefprochenen Sermons
hatte Mofes, der Sohn Bibrachs, aus feinem ſteil herabhängenden
Rodelor ein forgfam zufammengefaltetes Tuch gezogen, daß indeß
nicht ganz fo fauber ausfah, wie er es befchrieb, und mit größter
Behutſamkeit einen Brief daraus hervorgezogen, den er jegt unter
tiefer Verneigung dem erftaunt zuhörenden Merifaner überreichte.
Don Gomez empfing das Schreiben, betrachtete die Adreſſe,
und da ihm die Handichrift befannt war, riß er es ziemlich unges
ſtüm auf. Sein Blick ward finfter, feine Gefichtsfarbe gelblich,
während er den Brief las. Heftig mit dem Fuße flampfend riß
er den Dolh aus der Scheibe, daß der ängftlihe Iſraelit laut
auffhreiend bis zur Thüre reterirte. Nach beendigter Lectüre zer-
knüllte Don Gomez den Brief, zog feine Börfe und fehleuderte
dem Meberbringer ftatt zwei Portugaldfer deren drei zu, zugleid
mit Donnerfiimme rufend: Fort, du Sohn eines Hundes! laß dich
nie wieder vor mir bliden.
— 17 —
Moſes, der Sohn Bibrachs, ſammelte die Goldſtücke auf,
machte drei tiefe Complimente und ging rückwärts aus der Thür.
Dieſe zudrückend rannte er mit großen Schritten der Treppe zu,
indem er, die Goldſtücke betrachtend, mehrmals wie zu feiner Be—
rubigung ob des gehabten Schredens laut vor fih hinſprach: Hab’
ih doc gemacht Fein ſchlechtes Gefchäft, ob es ſchon war bei Gott
ein Auftrag, der mir konnte eintragen blaue Flecke und rothe
Striemen. Mein, wie heißt! Wie fann man fein ein vornehmer
Herr und doch behandeln höflihe und ehrliche Leute, bie Jemand
thun einen großen Gefallen für Geld, fo graufam grob!
Erft als die Schritte des feltfamen Boten auf dem Corridor
verhallt waren, entfaltete Don Gomez nochmals den empfangenen
Brief, der nicht geeignet war, feine ohnehin ſchon mißvergnügte
Stimmung aufzuridten.
Das Schreiben rührte von einem Manne ber, der fih Jack
Charles Greatitring unterzeichnete, war aus Cuxhaven datirt, lei⸗
der aber — und das ärgerte gerade den Merifaner — über einen
Monat alt. Der Brieffteller hatte es nicht für nöthig erachtet,
dieſes verfpäteten Abganges wegen fih zu entſchuldigen. Webrigens
war es ja auch nicht gewiß, ob nicht der Ueberbringer ſaͤumig ge⸗
weſen und eines vielleicht vortheilhaftern Geſchäftes wegen bie Ab-
gabe des Briefed um ein paar Wochen Hinausgefchoben Hatte. Wie
dem nun immer fein mochte, das Schreiben Greatſtring's beunru-
higte den Merilaner gewaltig und verfegte ihn in eine fo gewal-
tig Teibenfchaftliche Aufregung, daß er die größten Thorheiten zu
begehen fähig gemwefen wäre. Zu feinem eigenen Glüd hörte er
bald darauf Maſter Papageno in’! Nebenzimmer treten. Don
Gomez rief Taut feinen Namen und entbot den Mulatten augen
blicklich zu ſich.
Schöne Neuigkeiten, raunte er dem erprobten Diener zu, ihm
den Brief in's Geſicht ſchleudernd. Da lies, kaufe dir einen Strick
und hänge dich ſelber auf, damit du niemand Anderm unnöthige
Mühe machſt, dich Dummkopf aus der Welt zu ſchaffen!
Papageno war an derartige Grobheitsparoxismen, die ſeinen
D. B. XL Willkomm's Rheder und Matroſe. 17
— 258 —-
beigblütigen Herrn nur zu häufig befielen, ſchon fo gewöhnt, daß
fie ihn perfönlih wenig rührten. Er hob deshalb bas zu Boden
gefallene Papier gemächlich auf, blies den daran haftenden Staub
ab, lehnte fich Über die Lehne eines Stuhles, mit der Linken Fuß⸗
jpige die Diele Mopfend und begann, während Don Gomez unun=-
terbrochen ſchimpfte, die ſchlechte Handſchrift mit großer Seelenrube
zu entziffern. Darüber verging eine geraume Zeit. Als er enb-
lich mit der Lectüre fertig war, ließ er den Brief fallen und fah
feinen Heren mit fo kalten, fiteren Augen an, als beherberge fein
Körper gar feine Seele.
Nun, du gloßäugiger Stier, fuhr Don Gomez ihn an, was
haft du jegt in deinem fehuftigen Gehirn für Rathſchläge übrig?
Zuerft bitte ich mir eine von Ew. Gnaben beiten Gigarren
aus, erwiderte der Diulatte. Denn, wenn th gründlich nachden⸗
fen fol, muß id meinem Geiſt Weihrauch zu riechen geben, damit
er in eine heilige, erhabene Stimmung gerät. Das Unglüd iſt
überdies alt, es bat alfo mit defien Repartrung nicht allzu große
Eile. |
Brummend warf Don Gomez dem etwas vorlauten Diener,
der fein Vertrauen zu ſehr befag, um ihn rückſichtslos behandeln
zu fönnen, feine Gigarrendofe zu, die Mafter Papageno gemädlid
öffnete, und welder er die ihm zufagendfte Cigarre entnahm.
Als er fie angezündet hatte, ſprach er, feine Stellung beibehaltend:
So, Sennor, nun Fünnen wir zufammen überlegen. Was
halten Ew. Gnaben von Mafter Greatitring?
- Daß er an der Fodraae zu baumeln verdiente.
Wenn alle Schufte gehangen würden, was follte dann in ber
Welt aus dem Amüfement werden!
Mache einen vernünftigen Vorſchlag und laß das Moralifi⸗
ren fein, fprah Don Gomez, unruhig im Zimmer aufe und ab-
gehend. Miguel iſt fort, es wird nicht lange dauern, ſo jhnüffelt
der Burfche wieder bier herum, Das wäre mehr ale gefährlich;
denn erführe der mehr als pedantifh gemwiflenhafte Heidenfrei bie
volle Wahrheit, fo feheiterten alle meine Pläne.
— 259 —
Sind Ste wirflih von ganzem Herzen verliebt? Verliebt in
eine diefer ſchlanken, fammtweichen, weißen, beutfchen Elfen, die nie
reizender ausfehen, als unter fonnenbeglänztem Buchenlaub ober
im Mondſchein. Ich ſehe fie gern fpazleren gehen, lieben aber
könnte ich fie nicht.
Du brauhft dich um meine Hirzensangelegenheiten nicht zu
befümmern, fagte der Meritaner ärgerlih. Thue, was du jo,
halte mir die Spürhunde vom Leibe, forge für Zeriireuung und
Amüfement und biete al’ deinen Wis, all’ deine Niederträctigkeit
auf, um den Starrfinn biefer Widerfpänftigen zu brechen.
Kann nichts nügen, Herr, erwiderte Papageno gelaflen. Ich
babe es fatt, mid immer brutal behandeln zu laflen, und dann
auch dauert mich das Mädchen, das hundertmal ehrenwerther if,
ale unfere vornehmften Sennoritag. Gebt fie auf, ſchenkt ihr
die Freiheit und laßt fie zuvor ſchwören, dag fie Niemand verrät,
wo fie fo lange gewefen iſt. Schwört fie exit, ſo hält fie auch
ihren Schwur, denn fie tft fromm und gläubig, ehrlich und tugend- '
haft wie die Teufchefte Nonne.
Iſt das die Begeiſterung, die du aus meiner Cigarre ſaugſt?
fragte Don Gomez. Mid dünkt, du wirft mehr als Läffig in dei⸗
nem Dienſt. Vergißt du ganz der Gefahr, der wir uns ausfeßen,
wenn das fo lange vermißte Mädchen plößlich wieder erfcheint und
in Anderer Umgebung mir entgegentritt? Gefebt, fie ſchwiege, wird
fie durch ihre Miene, durch ihr Zufammenfahren bei meinem An⸗
blick ſich und uns nidht verrathen? Es wäre mehr als Thorheit,
es wäre Wahnfinn, Ghriftine früher bier auftreten zu laſſen, ehe
ich glüdlich meine Hochzeitsreife angetreten habe.
Und Miguel? warf der Mulatte ein. Soll er leben?
Ich will ihn nie wieder fehen! rief der Mexikaner voll Ab-
ſcheu. Du darfſt meiner unbegrenzteſten Dankbarkeit verfichert fein,
wenn bu ihn auffpüren und von Hier fernhalten kannſt, bis ich
irgendwo anders ein neues Leben beginne, Wie du das anfan-
gen willft, welcher Mittel du dich bedienſt, ſoll mich nicht kümmern.
Du halt völlig freie Hand. Weber meine Börſe darfſt du verfügen.
17*
— 260 —
Das läßt fich hören, und mir fallen bereits, unterflüßt durch
den begeifternden Duft diefer trefflihen Havaneferin, einige gute
Gedanken ein. Alfo fort mit Miguel! Ferner Befchwichtigung ber
ſchön gefiederten Taube, die mehr für einen plattdeutihen Bauer-
jungen, wie für einen Ablömmling der Conquiſtadoren ſchwelgt.
Zuletzt — wozu id beſtens Glück wünfhe — alsbald eine be=
frtedigende Heirath. Flagge dedt Ladung, jagen die praftifchen
Herren, und fo den? id, eine legitime Ehe des reichen Don Alonfo
Gomez mit einer nicht minder reichen Erbin wird alle früheren
Gapereien des glüdlih Vermählten für ewige Zeiten vergeflen
maden.
Handle und fihweige! rief der Mertkaner feinem Diener zu,
ih aber will fehen, ob es Zeit wird, die Aprochen zu eröffnen,
um die längft vollfommen eingefchloffene Feſtung in raſchem An-
lauf zu erſtürmen. Ein glüdlicher Sturm läßt feine weitere Un-
terbandlungen zu. Der Befiegte pflegt fih dann immer unbedingt,
alfo auf Gnade und Ungnade zu ergeben.
— ——
Siebentes Kapitel.
Familienbekümmerniſſe.
Eliſabeth ſaß am Fenſter, das nach dem Park hinausſah, und
beugte ſich, mit zartem Finger eifrig die Nadel führend, tief über
die feine Stickerei, an welcher ſie arbeitete. Eduard, deſſen Augen
ungewöhnlich, nicht aber freudig glänzten, ging mit großen Schrit-
ten im Zimmer auf und nieder. Nach einiger Zeit trat er an
den Nähtifh der Schweiter, firich ihr die Loden, Die das edle Ge⸗
fiht umflatterten, zurüd von der Stirn und fagte mit innig theil⸗
-nehbmendem Tone:
Du weinft, liebe Elifabeth ? Habe ich dir weh gethan?
'
— 2361 —
Die Schwefter blidte den Bruder fanft mit thränennollen
Augen an und reichte ihm die kleine volle Hand.
Du meinft es ja gut, Eduard, ich weiß es, verfehte fie, und
darum kann ih dir nicht böfe fein, aber vermag ich deshalb met-
nem Herzen zu gebieten? Es tft möglih, daß ich Unrecht thue,
dennoh — dennoh — o, laß mich doch weinen!
Ein Strom heißer Thränen flürzte aus den Augen des jun-
gen Mädchens und nöthigte es, bie Arbeit bei Seite zu ſchieben.
Eduard ſchob ein niedriges Tabouret an ben Stk der betrübten
Schwefter, nahm darauf Plab, ergriff ihre beiden Hände und fah
der Weinenden lange und tief in die ſchönen blauen Augen.
Immer weine dich aus, Eliſabeth, fprach er. Auf Regen
folgt Sonnenfein, heißt es ja fchon im Spridwort, und wenn
ber Schmerz die Wolken der Trübfal, die fi augenblicklich um
bein Herz lagern, in Thränen aufgelöft hat, wird ber Himmel
deiner Seele wieder in heller, durchfichtiger Bläue erglänzen und
du wirft dich frei und leicht fühlen.
Eliſabeth fhüttelte ungläubtg das Lockenköpfchen. Wenn du
bie Wahrheit gefprochen haft, fagte fie, dann tft der Mat meines
Lebens vergiftet. Zürne mir nicht, Lieber Bruder, aber ich kann
nicht andere. Ich Eonnte von Alledem nichts wiffen, nichts ahnen,
und — mein Herz, Eduard, zwingt mich dazu — ich kann e8
auch jetzt noch nicht glauben. Bringt mir Bewelfe, untrügliche,
unwiderlegliche, die ihn überführen, verurtheilen, und ich verfpreche
Euch, mih dann felbft zu befiegen, wenn ich auch geiftig Darüber
zu Grunde gehen follte!
Die Leidenfchaftlichkeit der Schweſter machte Eduard beforgt.
Er begriff, daß die Zeit einer ſchweren Prüfung für fie angebro-
hen fei, die möglicherweife noch großes Wehe in ihrem Gefolge
haben Tönne.
Du kannſt nicht fagen, Eltfabeth, dag du nicht gewarnt wor⸗
den feift, begann Eduard nad kurzem Schweigen auf’d Neue. Ich
perfönlih habe nie feine Partei genommen, ich war immer etwas
mißtrauiſch. Sollte und konnte ich mehr thun, als mich in Tühle
— 262 —
Hoflichkeit Hilfen 7 Durfte ich den Mann verleumden, dem unſer
Vater Wohlwollen zeigte, dem unſer Haus offen ſtand, den Jeder⸗
mann gern fommen ſah? Gewiß, Tiebe Schweiter, als Bruder er-
füllte ich vollkommen meine Pflicht, wenn ich fcherzweife dich auf
die Gefahren eines folden Umganges aufmerffam zu machen fuchte.
Vergib mir, Eduard, entgegnete Elifabeth gefaßter, die Thrä=
nen trodnend und wieder zur Nadel greifend. Ich bin gewiß
thöricht gewefen, nicht aber Teichtfinnig, wahrlich, Tethtfinnig nicht!
Und wie ich ſchon gefagt habe, dem unmiderleglichen Beweiſe bring’
ich mein Herz zum Opfer, und müßte ich das Xeben dafür laflen !
Sude vor Allem deine Gefühle zu beherrihen, fagte Eduard
liebevoll bittend. Es wird Dich Niemand zu dem Unmöglichen
zwingen. No tft von einem wirklichen Verhältniffe zwiſchen bir
und Don Gomez nichts in der Gefellfhaft befannt. Ginzelne mö⸗
gen ed glauben, Diele e8 vermuthen, Keiner darf auftreten und
fagen: es tft fo! Das nenne ich ein großes Glück. Was die Her-
zen heimlich unter einander angefponnen haben, löſ't die Zeit lang⸗
fam, ohne daß die Schielichkett, der gute Ton und bie feine Sitte
im Geringften verlebt werden. Gin noch größeres Glück ift es,
daß Don Gomez erft jetzt eine förmlihe Erklärung verlangt, mit
einem ernſt gemeinten Untrage, wie es ſcheint, offen hervortritt.
Wenige Wochen früher würde ber Vater bie Einwilligung ſchwer⸗
lich verfagt haben. Jetzt hat er Urſache zu zögern, und es tft
nur billig, wenn man ben kühnen Werber vorläufig mit der Be-
merfung zur Ruhe verweift, daß du felbft dir Bedenkzeit ausbe-
dingeſt. Vielleicht glaubt er nicht daran, vielleicht hält er es für eine
alberne deutfhe Sitte — gleichviel. Was er immer babinter
vermuthen mag, er tft vorerft in beftimmt gezogene Grenzen ge-
wiefen, die ex, ohne gerabezu zubringlich und unhöflich zu werben,
nicht überfchreiten darf. Du felbft aber, Hergensfchwefter, erhältſt
ebenfalls Zeit, Dich zu prüfen, ein ruhiges Urtheil zu fällen und
bie Gründe, welche gegen ihn zeugen, bebäctig aufzumägen. Hof⸗
fentlih find wir bald im Stande, etwas Gewiſſes vorbringen zu
Tonnen, Wäre dies nicht möglich, erwiefe fih der erwachte Ver⸗
— 263 —
dacht völlig grundlos, dann, glaube meinem Worte, Schweſter, bin
ich gewiß der Erſte, welcher Don Alonſo Gomez dir zuführt!
Dieſe Zuſicherungen des Bruders ſchienen einen beruhigenden
Eindruck auf Eliſabeth zu machen. Ihre Thränen verfiegten, ihre
Stimme erhielt wieder Klang.
Du haſt mir noch nicht geſagt, ſprach ſie jetzt zu Eduard,
was Euch Anlaß zu Eueren Vermuthungen gibt. Daß ich dies zu
wiſſen wünſche, wirft du begreiflich finden. Es iſt fo ſchmerzhaft,
ſo unglaublich kränkend, Jemand, den man achtet, den man, ſei⸗
ner ungewöhnlichen Eigenſchaften wegen, bevorzugt, ſchlechter Ab⸗
ſichten, ja ſogar begangener Verbrechen bezüchtigen zu hören.
Wenn du Ruhe genug befitzeſt, Herzensſchweſter, um mid
anzuhören, bin ich gern erbötig, deinen Wunſch zu erfüllen.
Bin ich denn fo flatterhaft oder fo ungeduldig? verfehte Elt-
ſabeth. Was kann th denn DBefleres thun, als mir von Andern
erzählen laſſen, was meine verblendeten Augen nicht ſehen, mein
arglofes Herz nicht ahnen konnte. Sprih nur, ich höre ſchwei⸗
gend und will verfuhen, ob mir unter Hören und Arbeiten bie
Zeit etwas fehneller vergeht.
Du erinnerft Dich gewiß noch, begann Eduard, von einem
Matrofen fprechen gehört zu haben, den man Miguel nannte.
Der die arme Chriftine verfolgte?
So glaubte man zu feinem und des Mädchens Unglüd. Die-
fer Matrofe nun tt dur eine Verkettung von Umftänden, bie an
das Wunderbare ftreifen, fett einigen Wochen feiner Haft entlom-
men, bat dur‘ Dermittelung des Gonfuls feines Geburtslandes
bie Meldung bieher gemadt, dag er um den Raub feiner Gelieb—
ten — wie er Chriftine nennt — wille, daß er, gewähre man
ihm nur Schub und Hilfe, auch deren Verſteck zu ermitteln fich
getraue, und daß er volllommen im Stande fei, den Urheber jener
vollzogenen Entführung namhaft zu machen.
Und das hat man fo ohne Weiteres dem Fremden, ben faft
Niemand Tennt, geglaubt ?
Man vermuthete im Gegentheil irgend eine Schurkerei da⸗
— 14 —
hinter, lockte deshalb den Matroſen hieher und bemächtigte ſich ſei⸗
ner Perſon, wie der wenigen Habſeligkeiten, die er beſaß. In ſei—
nem erſten Verhör jedoch hat Miguel Angaben gemacht, die ſchwer
ins Gewicht fallen und welche zuerſt Don Alonſo Gomez compro⸗
mittirten. Weil man jedoch alles Aufſehn vermeiden will, ſchlug
man den Weg behutſamſter Nachfrage ein. Unſer Haus konnte
dabei nicht übergangen werden, denn hier war ja die eigentliche
Quelle des Unglücks zu ſuchen. Sp erhielt denn ber Vater ge-
fteen die erſte Nachricht von dem ſchweren Verdachte, welcher ſich
gegen den Mann erhebt in dem enticheidenden Augenblide, wo der⸗
felbe um die Hand der Tochter anhält. Ein foldes Zufammen-
treffen mußte den Vater tief erſchüttern. Er war nicht im Stande
die Feder zu halten, weshalb ih in feinem Namen Don Gomez.
in einigen höflichen Zeilen erſuchte, einige Tage fih zu gedulden,
der Vater jet augenblidiih unmwohl, könne mit dir nicht fprechen
und wolle eine fo wichtige Frage mit der Tochter, der fie gelte,
doch felbft beſprechen. Diefe nothgebrungene Ausfluht gibt ung
Zeit, zu forſchen und unfer fpäteres Verfahren und Benehmen ges
gen Don Gomez darnad zu regeln. Dir aber konnte das Vorge-
fallene nit verfehwiegen werden, da der Vater ja aus dem Briefe
bes Mexikaners erfah, daß du gleichzeitig von feinem Schritte uns
terrichtet worden feilt.
Eliſabeths Thränen begannen auf's Neue zu fließen, benn
wie ein drohender finfterer Schatten ftteg höher und immer höher
Die Unglüd verheißende Wolle empor, welche die Sonne ihres jun
gen Lebens vielleicht für lange Zeit verfinfterte, wo nicht für im⸗
mer auslöjchte.
Bruder Ferdinand, fuhr Eduard fort, Hat Don Gomez heute
einen Beſuch gemacht, um geſprächsweiſe womöglich feine Geſinnun⸗
gen zu ergründen. Der Mexikaner liebt Ferdinand, wie du weißt,
und iſt deshalb gegen ihn wahrſcheinlich offener, wie gegen’ jeden
Andern. PBerbinand tft befonnen, wird nichts überflürzen, Tann
aber durd eine unerwartete Querfrage doch gelegentlich den
Schleier Lüften oder Lüften helfen, welcher die Vergangenheit dies
“
265 —
fes reich begabten Mannes verhüllt. Wir erwarten ihn noch vor
Abend zurüd.
Noch vor Abend! wiederholte fihtbar erfhüttert und tief er-
fchroden Eliſabeth. Die Glode tft ſchon fünf.
In höchſtens zwei Stunden muß der Vater unterrichtet fein.
Eliſabeth begann Frampfhaft zu zittern und fland auf. Sie
war aber zu fhwah, um das Zimmer zu durchſchreiten und fiel
dem Bruder ſchluchzend in die Arme. Eduard riß heftig an ber
Schelle, rief dem herbeteilenden Bedienten zu, fogfeih Fräulein
Ulrike zu rufen, um feiner Schweſter, die unmwohl geworden fet,
beizuftehen, und bradte Eliſabeth mit Hilfe der edlen feinfühlen-
den Freundin, die bereitd Kunde von dem Borgefallenen Hatte, in
ihr Schlafzimmer. Hier überließ Eduard die Schwefter der Pflege
und dem Zufpruche Ulrikens, deren Herzen er fie mit vollſtem Ver-
trauen übergeben konnte. Cr felbit blieb in großer Aufregung,
von Zweifeln gepeinigt, von ben widerfpredendften Erwartungen
in Anfprud genommen, zurüd. Um feiner Aufregung Here zu
werben, eilte er hinaus in ben Bart, deſſen von anhaltendem Re—
genmetter noch feuchten Sandgänge er ruhelos nad den verfcie-
denften Richtungen burchfreuzte.
Bald nach fieben Uhr Abends traf Ferdinand auf dem Land-
haufe ein. Gr fragte fogleich nach dem Bruder und verfügte ſich
zu dieſem in den Park, wo Eduard fill brütend auf einer Bank
faß und unverwandt auf Die belebte Elbe hinausſah. Bei dem
Geräufh der im Sand Enirfhenden Schritte kehrte er fih um und
trat dem Bruder unter beftigem Herzklopfen entgegen. Er wagte
teine directe Frage an Ferdinand zu richten, ber vollkommen ruhig,
ja befriedigt ſchien.
Iſt Elifabeth unterrichtet? fragte er.
Ste hat das Allernöthigfte durch mich erfahren.
Wie nahm fie es auf?
Ein Mädchen, das ihr Herz verfhentt Hat, tft immer un-
glüklih, wenn es erfährt, daß der Gegenſtänd, dem fie vertraute,
ein unwürdiger war.
‘
— 266 —
Ste wird genefen, fagte Ferdinand zuverfihtlih, nur Taf
ung nicht zur Unzeit weihherzig, nicht beutfch-fentimental fein.
Dieſe Neigung zu Don Gomez muß mit Stumpf und Stiel aus-
gerodet werden.
Iſt er ſchuldig?
Ferdinand lachte fo laut und bitter, daß Eduard vor Er⸗
fchreden bleich warb.
Du ängftigit mid, ſprach Eduard, rede! Entreiße mid die⸗
fer Ungewißheit! u
Ferdinand ergriff des Bruders Arm und wanderte mit ihm
burh die in voller Blüthe ſtehenden Hecken. Der Abend war
mild und warm. Leichte, flodige Wolken überbedten wie ein
Flor den Himmel, die Natur fhien zu neuem, fhöneren Leben
erwacht, und während dort hinter den halb offenen grünen Ja⸗
loufieen das Herz eines jungen, blühenden Mädchens vor Schmerz
beinahe brach, jauchzten in den Büſchen fröhliche Nachtigallen tm
vollen, tönenden Schlägen ihren Jubel über die Wiederkehr des
Wonnemonats aus.
War es nicht hier, ſprach Ferdinand, wo ich dir im vers
gangenen Jahre die erfien Mittheilungen über den Mann machte,
der nun fo großes Herzeletd in unfere Familie. bringt? Als ob
wir nicht an altem Elend noch genug zu zehren hätten! DO, es
{ft himmelfhreiend, daß wir fo blind fein fonnten, daß wir nicht
früher Verdacht fhöpften! Es gab doch fo viele DVeranlaflungen.
Wir Alle wußten, dag Don Gomez in feiner Heimath die Liebe
von mehr als einer Seite kennen gelernt hatte, daß er auch hier
nicht immer fetne Leidenfhaften ftreng zügelte. Uber freilich, er
war liebenswürdig, bezaubernd liebenswürdig, und wer wollte
dem lieben Kinde jede unfhuldige Freude, die fie im Gefpräd
mit Don Gomez fand, vergällen! An einen offenen Heiraths⸗
Antrag hätte ich nie geglaubt.
Danken wir Gott, daß er erft jetzt damit hervorgetreten ift.
Aber fage: wie benahm er fi?
Dein Schreiben, fuhr Ferdinand fort, hatte ihn ſtutzig ger
— 167 —
macht. Ih fand ihn merkwürdig verſtimmt, fo düſter, hoffnungs⸗
los, gallig, wie ich ihn nie früher ſah. Er mußte mit ſeinem
Bedienten, der Fratze, die mich von jeher anwiderte, einen Wort-
wechſel gehabt haben, denn der ſchwarzbraune Flegel räfelte fi
auf einem Lehnftuhle in fo brutaler Wetfe, daß ich ihn am Tieb-
ſten aus der Thür geworfen hätte. Zwar ging er fort, als ih
ihm durch Blide deutlich genug meine Herzensmeinung zu ver-
ftehen gab, fein Höhnifch=triumphirendes Lächeln aber fagte mir,
dag Don Gomez in feiner Gewalt fei. Diefer begrüßte mich ver-
ftört, richtete zerftreute Fragen an mich und fagte zulegt: Es tft
heute ein Unglüdstag. Alles ſchlägt mir fehl. Die Antwort, die
ih da von Ihrem Bruder auf meine Anfrage erhalten, Blingt
ganz wie ein proteflirter Wechſel. Ach betrachte fie als einen
Korb, den Ihre Schweiter mir fendet, und fürdte nur, daß ich
mich blamirt habe. — Dieſe Auslaſſungen gaben mir ſofort die
ganze Ruhe und Kälte eines völlig Enttäuſchten. Ein Mann,
der wahrhaft, innig, von ganzem Herzen, mit voller Seele liebt,
ſpricht nicht ſo, nicht in ſo gleichgültigem, erbitterten Tone, wie
Don Alonſo Gomez es that. Ich erwiderte deshalb nicht weniger
ſcharf, wobei mein Auge tief in das ſeine fich verſenkte: Und
weiter, Don Gomez, weiter beforgen Ste nichts? — Er fuhr
auf. Was weiter? verfeßte er. Soll ih mir nod die Haare
ausraufen oder Pulver und Blei verfchluden, um die Komödie
in eine Tragödie zu verwandeln? Dazu, mein Herr, befiße ich
juft heute zu wenig Humor. Ich denke alfo, wir thun beffer,
unfere alte Freundfhaft neu zu ſtärken bei einem Glaſe feurigen
Weines. — Wie gefällt dir das?
Es iſt das Glaubensbefenntniß eines vollendeten Wüſtlings.
Du Fannit dir denken, fprah Ferdinand wetter, daß met
Sreundfchaftsgefühl nicht fehr heiß war. Ich ging deshalb auf
feinen loderen Ton ein und verfegte: So gefallen Ste mir, Sen-
nor? Ein Narr, der eines Mädchens wegen, die caprieiös iſt
oder deren Unverwandte aus, Gott weiß, welchen Nüdfichten fie
binter einen Glasſchrank einfperren möchten, damit ja kein fremder
‘
— 2656 —
Ste wird genefen, fagte Ferdinand zuverfihtlih, nur laß
uns nicht zur Unzeit weichherzig, nicht deutſch-ſentimental fein.
Dieſe Neigung zu Don Gomez muß mit Stumpf und Stiel aus-
gerodet werden.
Iſt er fchuldig?
Ferdinand lachte fo laut und bitter, daß Eduard vor Er⸗
fchreden bleih ward. j
Du ängftigft mid, ſprach Eduard, vede! Entreiße mid dies
fer Ungewißheit! "
Ferdinand ergriff des Bruders Arm und wanderte mit ihm
durch die in voller Blüthe ftehenden Heden. Der Abend war
mild und warm. Leichte, flodige Wolfen überbedten wie ein
Flor den Himmel, die Natur ſchien zu neuem, fohöneren Leben
erwacht, und während dort hinter den Halb offenen grünen Ja⸗
loufieen das Herz eines jungen, blühenden Mädchens vor Schmerz
beinahe brach, jauchzten in den Büſchen fröhliche Nadtigallen tn
vollen, tönenden Schlägen ihren Jubel über die Wiederkehr des
Wonnemonats aus.
War es nicht bier, ſprach Ferdinand, wo ich dir im vers
gangenen Jahre die erften Mittheilungen über den Mann machte,
der nun fo großes Herzeletd in unfere Familie. bringt? Als ob
wir nicht an altem Elend noch genug zu zehren hätten! O, es
it himmelfchreiend, daß wir fo blind fein konnten, daß wir nicht
früher Verdacht jchöpften! Es gab doch fo viele Veranlaflungen.
Wir Alle wußten, daß Don Gomez in feiner Heimath die Liebe
von mehr als einer Seite kennen gelernt hatte, ‘daß er aud bier
nicht immer feine Leidenſchaften ſtreng zügelte. Uber freilich, er
war Hiebenswürdig, bezaubernd Tiebenswürdig, und wer wollte
dem lieben Kinde jede unfhuldige Freude, die fie im Geſpräch
mit Don Gomez fand, vergällen! An einen offenen Heiraths⸗
Antrag hätte ich nie geglaubt.
Danten wir Gott, daß er erſt jebt bamit hervorgetreten tft.
Aber fage: wie benahm er fih? v
Dein Schreiben, fuhr Ferdinand fort, hatte ihn ſtutzig ger
— 267 —
macht. Ich fand ihn merkwürdig verſtimmt, fo düſter, hoffnungs⸗
los, gallig, wie ich ihn nie früher ſah. Er mußte mit ſeinem
Bedienten, der Frage, die mid von jeher anwiderte, einen Wort-
wechſel gehabt haben, denn der fchwarzbraune Flegel räkelte fih
auf einem Lehnftuhle in fo brutaler Weiſe, dag ich ihn am Iteb-
fien aus der Thür geworfen hätte. Zwar ging er fort, als id
ihm durch Blicke deutlih genug meine Herzensmeinung zu ver-
ftehen gab, fein höhniſch-triumphirendes Lächeln aber fagte mir,
daß Don Gomez in feiner Gewalt fei. Diefer begrüßte mich ver-
ftört, richtete zerftreute Fragen an mich und fagte zulegt: Es tft
heute ein Unglüdstag. Alles ſchlägt mir fehl, Die Antwort, die
ih da von Ihrem Bruder auf meine Anfrage erhalten, klingt
ganz wie ein proteftirter Wechfel. Ich betrachte fie als einen
Korb, den Ihre Schweiter mir fendet, und fürdte nur, daß ich
mid blamirt habe. — Diefe Auslaffungen gaben mir fofort die
ganze Ruhe und Kälte eines völlig Enttäufchten. Ein Mann,
der wahrhaft, innig, von ganzem Serzen, mit Holler Seele Itebt,
fpricht nicht fo, nicht in fo gleichgültigem, erbitterten Tone, wie
Don Alonſo Gomez es that. Ich erwiderte deshalb nicht weniger
fharf, wobet mein Auge tief in das feine fich verfentte: Und
weiter, Don Gomez, weiter beforgen Sie nichts? — Er fuhr
auf. Was weiter? verfeßte er. Soll ih mir noch die Haare
ausraufen oder Pulver und Blei verfchluden, um die Komödie
in eine Tragödie zu verwandeln? Dazu, mein Herr, befige ich
juft heute zu wenig Humor. Ich denke alfo, wir thun befler,
unfere alte Freundfhaft neu zu flärfen bei einem Glaſe feurigen
Weines. — Wie gefällt dir das?
Es tft das Glaubensbekenntniß eines vollendeten Wüſtlings.
Du kannſt dir denken, fprah Ferdinand weiter, daß mein
Sreundfchaftsgefühl nicht fehr heiß war. Ich ging deshalb auf
feinen lockeren Ton ein und verfeßte: So gefallen Sie mir, Sen-
nor? Ein Narr, der eines Mädchens wegen, die capricids tft
oder deren Anverwandte aus, Gott weiß, welchen Nüdfichten fie
hinter einen Glasſchrank einfperren möchten, damit ja kein frember
— 268 —
Zuftzug fie berühre, ſich lange die Laune verderben läßt. Iſt's
nicht Eltfabeth, jo fei’s vorläufig Chriſtine — — ! Diefen Namen
betonte ich fharf und ſah Don Gomez gleichzeitig feft und doch
lächelnd an. Er wechſelte die Farbe und zitterte Was, Sennor,
Sie erfhreden? fuhr ih fort. Wiſſen Ste denn, was aus Chri—
ftine geworden tft in jener Naht? Oder kennen Ste vielleicht bie
beiden Fährleute, die unterhalb Glüditadt anlegten, und von denen
der eine den Matrofen Miguel Iandeinwärts führte? Oder haben
Sie von einem gewiſſen Greatfiring gehört, der in Verbindung
fteht mit dem Landfrämer Mofes und diefem zweimal Briefe zur
Beforgung an einen Manı: übergeben bat, der früher Iuftig in
New-Orleans lebte? Eine Geſchichte folder Art hörte ich heut’ an
der Börfe erzählen und ich zmweifle nicht, daß die darin Vermwidel-
ten Unannehmlichkeiten davon haben werden. Wir, die es nichts
angeht, laden dazu und darum, Sennor, auf ferneres Glück
bet hübſchen Mädchen, lafien Ste uns einer ober zwei Plafchen
altfpanifhen Weines fröhlich die Hälfe brechen!
Das Alles wagteft du dem Don an den Kopf zu fchleudern?
erwiderte Eduard nicht wenig erflaunt. Wir haben ja nur Ver-
muthungen, feine Gewißheit, keine überzeugenden Beweiſe!
Beſter Bruder, verfegte Ferdinand, ich that nur, wozu ein
glücklicher Gedanke mid inftinctartig trieb. Als ih das Erblaſſen
des Mexikaners bei Chriftinens Namen bemerkte, glaubte ih, es
fönne gar nicht fhaben, wenn man den gewiß nit ganz Schuld:
Iofen mit einer wahren Fluth von Anlagen überfhütte. Ich habe
mich gebütet, ihm zu fagen: das Alles Haft du gethan! Ich habe
ihm blos Gerüchte erzählt, mit denen ſich angeblich die halbe Bes
völkerung unferer Stadt trägt. Daß ih zu diefem Mittel griff,
ift mir unendlich lieb. Ich weiß jebt und bin moralifh davon
überzeugt, Fein Anderer ald Don Gomez Tief Chriftine heimlich
entführen, fein Anderer als er war es, der ben verliebten Matros
fen Miguel und den Steuermann Andreas durch feine Helfershel⸗
fer feftzunehmen und unſchädlich zu mahen befahl, Erſt, als er
einfab, daß die Entführte ftandhaft feine Künfte abſchlug, und als
— 269 —
er befürdten mußte, der entflohene Miguel werde ihm zuvorkom⸗
men, faßte er den Entihlug, dur eine Verlobung dem etwa aufe
feimenden Verdacht den Kopf abzubeigen. Erhielt er die Zufage
unferer eltern, ward die Verlobung dffentlih bekannt gemadt,
dann ſtand er fiher, denn er berechnete fehr richtig, daß alle Bars
teten möglichſt zufriedengeftelt werden würden, um einem öffent-
lihen Scandal vorzubeugen.
Glaubſt du wirklich, der unternehmende, vom Glück ver⸗
wöhnte Mann werde jo bald feine Pläne aufgeben? fragte Edu⸗
ard mit befümmerler Miene feinen Bruder.
Was er thun wird oder will, verfeßte Ferdinand, darüber if
er in diefem Augenblide mit fih felbit gewiß noch nicht im Rei—
nen. Es ift mir gelungen, tin zu überrumpeln. Zwar nahm er,
wie ich vermuthete, meine Unterftelungen wie eine Art Scherz auf,
beuchelte eine heitere, ſogar ausgelaffene Stimmung und ging auf
meine Ideen ein. Innerlich aber war er verftört, oft fogar ganz
abmwejend, und da er auf nichts achtete, was um ihn her vorging,
während meine Augen an der geringften Kleinigkeit hingen, gelang-
ed mir, ein Papier zu erwifchen, das ihn im enticheidenden Augen
blide überführen wird. Hier tft es.
Ferdinand zog einen ganz zerfnitterten Brief aus der Taſche,
den er im Zimmer des Mexikaners unter dem Sopha bemerkt und
hervorgeholt hatte. Es war das Schreiben Greatftring’s, das Mo-
jes, der vedfelige Sfraelit, Don Gomez überbradht hatte, und wel-
ches diefen in ſo heftige Aufregung verfegte. Diefes Schreiben,
Das, obwohl beſchmutzt, doch noch ganz erhalten war, lautete:
Mein Herr!
Es betrübt mich ſehr, Ihnen berichten zu müſſen, daß der
liſtige Vogel, deſſen Aufbewahrung Ste mir an's Herz legten, un-
geachtet aller Vorſicht, die ich angewendet habe, doch wieder ent-
fommen if. Ein Geihäft ahnlicher Art und brächte es mir einige
taufend Dollars: ein, werde ich nie wieder eingehen. Man hat
nichts davon, als Aerger, Sorgen und Gefahren. Hätten nicht das
böfe Wetter und das Teufelszeug, die Aaskrähen, mich bejchügt,
Y
— 20 —
als ich mit dem verdammten Jungen feelenallein burd das Marſch—
fand ging, um die Spuren für die etwa Verfolgenden zu verwi—
ſchen, der rachfüchtige, falſche Halb-Havaneſe hätte mich umgebracht.
Zum Glück hörten ein paar derbe Marfchbauern mein Schreien
und fuchten uns auf, als wir uns fchon fo tief in den Schlamm
hinein gerungen hatten, daß wenig mehr fehlte, der Gewanbtere
hätte den weniger Gewandten untergefriegt. Da th das Platt
biejer Leute verfiche, der dumme Junge aber fein Wort biejes
Kauderwälfches begriff, log ich den phlegmatifchen Leuten vor, was
mir gut dünfte Das half mir vorerft aus der Bebrängnif. Ge:
bunden brachte ih Tags darauf den Lümmel an Bord meines
Schiffes, obwohl er tobte, wie ein gefeflelter Stier. Schreien konnte
er nicht, denn ich hatte ihm vorforglicherweife den Mund mit et-
nem gut gedrehten Knebel verſtopft. Ich follte aber kein Glück
haben, Widrige Winde hielten mich wochenlang auf der Elbe zu⸗
rüd. Nun hätte ich dem unbequemen Menfchen freilich einen
Klaps geben und ihn in's Waffer werfen können — die Fluth würbe
- ihn wohl feewärts getrieben haben — indeß dazu fehlte mir doch
bte Courage. Der Schatten eines Grmordeten hat ſchon manches
Schiff zum Kentern gebracht. Ich Lieg ihn alfo leben und hielt
ihn kurz, damit er nicht gar zu fehr zu Kräften kommen möge.
Endlich paffirten wir die Mündung ber Elbe, weil ich aber ver-
fhiedener Gründe wegen keinen Lootfen einnahm, der Wind fchr
eonträr und die Luft di von Nebel war, rannte mein Schiff bei
Helgoland auf die Ausläufer des Wittkliffes, und. Alles, was id
bei dem Gefhäft von Eud verdient hatte, fehludten die verbamm-
ten Inſulaner, diefe Raubthiere unter den Menfchen. Bezahlen oder
verfaufen! Das war ihre ganze Antwort, die fie auf alle meine
Vorſchläge gaben. Was fonnte ich thun? Ich mußte zahlen. Das
Schiff ward flott gemadt, war aber fo led, daß tch bie Ueberfahrt
nicht risfiren durfte. Blieb alfo auf der langweiligen rothen Klippe
fiten und vertrieb mir die Zeit, fo gut es gehen wollte. Darüber
vergaß th, den Miguel jete Minute Iang zu bewacen, und fiehe
da, eines Morgens, Mitte März; — es hatte: die Nacht wie rafend
— 271 —
geftürmt, mehrere Nothſchüſſe zeigten an, daß ein Fahrzeug in ber
Nähe der Inſel in großer Gefahr fehweben mußte — war ber
verfluchte Kerl verichwunden. Ohne Zweifel hatte er einen ber
auslaufenden Sloops beftiegen und war fpäter auf dem Schiffe,
das glücklich abgebracht wurde, geblieben.
Hier in Cuxhaven, wo th nun feit vierzehn Tagen bin und
mein Schiff ausbefjern Iafje, konnte ich nichts von dem Entſprun—
genen erfahren. Ih weiß nicht, ob den Poſten zu trauen ifl
Darum ziehe ich es vor, dies Schreiben einem jüdiſchen Handels⸗
manne anzuvertrauen, den wir Beide ja genau kennen und in deſ—⸗
fen Buche ich hoch genug angefchrieben bin, um von ihm für gu—
ten Lohn einen Dienft verlangen zu dürfen. Sein Ste nicht gei⸗
ig und rüden Sie auch mit ein Paar Portugalöfern heraus.
Geld lacht, fagt man, Diefer Jude aber lacht und greint, wenn
er Gold blinken fieht, und macht fih anderntheils nichts daraus,
Gott ober ben Teufel um eine Seele zu betrügen, merkt er, daß
er es nicht mit Knickern zu thun hat. Ich. Hielt es für meine
Pfliht Ste von dem DVorgefallenen zu unterrichten.
Stets Ihr dienjtwilliger
Jack Charles Greatitring,
Capitain der amerikaniſchen
Brigg Selfgovernment.
Eduard hatte dies wichtige Schreiben mit größter, ſteigender
Aufmerkſamkeit geleſen. Als er es jetzt dem Bruder zurückgab,
ſagte er: |
Das gewährt ja einen tiefen Einblick in ein ganzes Lager
von Banditen. In welder Berbindung fteht unſer vornehmer
Herr mit dieſem gewifjenlofen Greatfiring? Was Hat er mit
Miguel ſchon früher vorgehabt und aus welchem Grunde verfolgt
man den armen Jungen ?
Noch einige Tage Geduld, verſetzte Ferdinand, und wir wer-
den mehr willen. Miguel ift Hier, man fann uns nicht verweh—
ren, mit ihm zu fprehen. Sein vergangenes Leben muß fih vor
unfern Augen enteolien, fein feindliches Verhältniß zu dem intri—
— 12 —
guanten Meritaner und Kar werben, ehe mir einen Beſchluß faſ⸗
fen, der den Gekränkten Gewinn bringt, den Gefhädigten Genug>
thuung verfchafft und diefen gefährlihen Mann unfhädlih macht.
Nur laß uns vorfichtig fein, nichts übereilen und deshalb mit Ue—
berlegung handeln. Die arme Schwefter muß inzwiſchen gejhont
werden. Sie befißt zu viel gefunden Sinn, zu viel ächte, ſchöne
Weiblichkeit, um nicht mit der Zeit eine Neigung zu erfliden, bie
mehr in ihrer romantifhen Phantaſie, als in ihrem Herzen Nah
rung fand. Don einem Manne, den fie ald unebel erfennt, wird
ihr gefunder weibliher Sinn fit von felbft abwenden. Noch liebt
fie Don Gomez nicht mit jener Innigkeit, Die nur im Befib des
geliebten Gegenftandes Teben oder mit ihm untergehen will, fie
ift von feinem Wejen, feinen beftechenden, geiftigen und leiblichen
Eigenfhaften nur bezaubert. Diefer Zauber ſchwindet, wenn bie
Maste fallt, und unter der beftechenden Hülle die grinfende Fratze
eines gemeinen Abenteurers fihtbar wird.
Laß und abbrechen, fagte Eduard, mit der Hand nad) einem
der zum Landhauſe führenden breiten Gänge zeigend, welden ein
Bedienter herabſchritt. Man fhidt nach une.
Die Brüder gingen dem Bedienten entgegen.
Hat unfere Schweiter fi son ihrem Unmwohlfein erholt?
fragte ihn Eduard.
Beide Fräulein befinden fih nad Ausfage der Madame Heiden
fret wohl, verfeßte Diefer. Ich follte die Herren bitten, Ihre Frau
Mutter zu befuchen. Madame Heldenfrei hätte Ihnen einige wich—
tige ragen vorzulegen.
Sag’ unferer verehrten Mutter, erwiderte Eduard, daß wir
ſogleich bei ihr ſein würden.
Der Bediente entfernte ſich.
Eliſabeth iſt nicht unheilbar verwundet, ſagte hoffnungsfroh
Ferdinand. Sie hat ihr Leid der Freundin geklagt, die vielleicht
mit ihr zugleich leidet. Nun ſchwelgen Beide in den Genüſſen
ſchöner vergangener Tage, bis fie ſich davon überſättigt haben, und
— 18 —
das Gegenwart/ dir: mir ihret Uninttelbtutett doch iminer! DATE
Recht nauf.uns ha ihrena gzwingenden: Tinfſtuß Tote fin? un Ein
3339 Beruhigter, sole fierfihl! begelißt hrtken,oſchritten Are Becber
dem Randhaufeizk‘, badit im generiert: HlanzuollTuntehgehätiben
Sonnenmie ein Palaſten fſlüffigen 2Golbes aus den durchlkachteben
Saftgrumn deri Bäume: und: Gebliſche empsrfkiey. une nιν
oe. it nur nn ig rad ed mr Tat sur AM
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spart 143.12 Kitke: " I — F Try. Die 1Bi nlatut TR "ns
Niederdeuticher Humor. hi
v2 190: een: niedrigen Keller: am Vinnenhafen,! beiien: Aushän⸗
BÄREN eimtfeyeindes: Schiff zeigte und drr oſich Fülrhsend ee
ner yar kletnän Nferſtädte der Miederelbe nannte, ſaß eine Anzahl ver⸗
gnütgter Beute ans: bene" Volk: bei Wein ind Abendimbiß. Gs
werenio&werfühter,; MBeigertiüheretbiiher, Milchen und Xorfewen,
Duartierds und. Mebeitsteuts; Haubküper anbitdetgleichen.: "Das
Gefpruͤch; wartet und’ fehritehhaft "und; war: ausbſchließlich "in
Mattbeatfiher: Munbart gefiihrt Da alle: dieſet Leute: in’ griten
Verhältniffen Iebten, viel verdienten und mithintigdahrungsforgen
ferta keiner Weiſe prinften 1 waren fie suefmmt“ sem deier⸗
abend inheiterſter· Gtimrung. salz onisraen, J
‚sin Seltſamerweiſe oglaubte⸗man ma VE Veterlanded,
ber Nele et durchgaͤngig rin ſchwerfalliget/ phlegmatiſcher
end; tiefen‘ Mberr Mühle Blut Mage, ber’ ſchwer markt zu
madeiifebj ſelten "ein " auftzewecktes / munteres Weſen“ zeige,” und
dem "dl Bäbe "des? Witzez vnde des Humoris gänzlich abgehe.
Dieſe Auſicht iſr eine durchaus erige. "Der Nlederbeutfiie räfon⸗
nirt in der Regel viel weniger als ber Süd⸗ und Mittelbentfhe;
eri-Aft ſeltenſo Kehende; fo“ Teicht'anfehltefenn und ſo zutraulich.
Er: wartet :gemi;t Abt es an Rh: kommen underſt, wenn: erbte
Ucherzeugungt gewonnen· hat, daß ein Verkehr und Umgang ſich
D. B. XI. Willkomm's Rheder und Matroſe. 18
— 274 —
antnüpfen lafle, thaut er auf. Wit und Humor aber fehlen ihm
nicht, nur darf man nicht verlangen, daß er feinem innerften Ge—
dankenleben in hochdeutſcher Sprahe Worte leihen fol. Wer dies
beanſprucht, der wird faft immer einen ftilen Mann an ihm fin-
den. Geftattet man ihm aber den Gebrauch des ihm zufagenden
Plattdeutih, dann kommt er recht eigentlih in fein Fahrwaſſer,
und wer nur Ohren bat zu hören und einen Organ für Humor
befigt, der kann von einer Gejellfhaft plattdeutfch Redender, beim
erheiternden Glafe Wein, die köftlichften, von dem Übermüthigften
Humor erfundenen Geſchichten erzählen hören. Es ftedt in jedem
achten Plattdeutfhen ein Stück Eulenfpiegel und die Lichter Eh—
ven Reinekes funfeln unter mander büfter überhängenden Augen«
braue.
Weshalb biſt du heute ſo ſtill, Goldbarg, ſprach einer der
erzaͤhlungsluſtigſten Ewerführer, der einen unerſättlichen Appetit
zu haben ſchien, denn die ſtarken Portionen kräftigſter Nahrung,
die er ſich vorſetzen ließ, verſchwanden raſch unter ſeinen raſtlos
arbeitenden Kinnbacken. Gr trank nicht wenig dazu und trotz Die=
fer doppelten Beihäftigung, fand er doch noch Zeit, Anecdoten
und Gefchichten zu erzählen, die alle Zuhörer wiederholt zum La⸗
hen brachten. Haft du Dich felber gefehen und fürdteft did vor
dem Knochenmanne?
Goldbarg, ein geborner Vierlander, ber aber ſchon feit einem
halben Menfchenalter ale Bürger in Hamburg lebte und burd
feinen Handel mit Wild, Hühnern, Erdbeeren und Gemüfen aller
Art, die er auf feinem eigenen ergiebigen Grund und Boden er-
zeugte, aus einem wohlhabenden ein reiher Mann geworden war,
fah den -Iuftigen Ewerführer ſchlau von ber Seite an, dampfte ge⸗
müthlich feine Pfeife fort und erwiderte, ohne im Geringften aus
feinem fheinbaren Phlegma herauszufommen, im vollendetften Platt⸗
deutſch:
Du haſt's getroffen, Smalbeer, ich hab' mich richtig mit eige⸗
nen Augen geſehen, und zwar genau fo, wie ich hier fige, In mei⸗
nem Zeuge, nur daß bie filbernen Knöpfe auf meiner Sonntage
⁊
— 275s —
weſte und an meiner Feiertagsbuxe noch größer waren und ſchöner
blinferten. Und wo Hab’ ih mich gefehen, Smalbeer, ‘das rath’
mal!
Vermuthlich im Waſſer, lachte der Ewerführer, denn wenn
bu im Bette Tiegft, iſt das für dich ber ſicherſte Spiegel.
Süh jo! riefen drei bis vier Andere.
Das tft ganz natürlich, meinte Smalbeer. Wer fhon auf
Erden wie im Himmel Iebt, dem kann's nicht ſchwer fallen, ben
Himmel offen zu fehen.
Wie war's denn im Himmel, Goldbarg? fragte ein Dritter,
fi noch einen Polſchen*) vom Wirthe fordernd. Hat's bir ges
fallen?
Ganz ausnehmend gut, erwiderte der Vierlander, feine bis
dahin ernft gebliebene Miene immer mehr und mehr erheiternd.
Ich fag’ Eud, wir Hamburger find bort oben nicht ſchlecht ange⸗
ſchrieben. 8’gab ordentlich ein Aufjehen, wie ich fo ſelbſtbewußt
und gar nicht ein Bischen ängſtlich angewadelt Fam.
Läpt fih denken, lachte Smalbeer. Zwei von ben Erzengeln
machten dir wohl die Himmelsthür fperrangelweit auf und St.
Petrus verbeugte fi tief bis zur Erde? Nicht?
Nein, es ward mir noch mehr Ehre angethan, und zwar pur,
weil ich ein Hamburger war.
Laßt doch den Schnack, fiel ein Fünfter ein, und du, Golb-
barg, erzähle, was bir paffirt ift, wie du dich felber gefehen haft.
Wir kennen dich fhon, du haft geftern Nacht gewiß zu viel Polfche
getrunfen und aus dem Geift berfelben iſt dir ein himmliſcher
Bi vor die Seele getreten.
echt, mein Junge, fo war es, fagte der Vierlander, ich habe
getsäumt, aber weiß Gott, wundervoll! Gar nicht, wie ein orbi-
närer Menfch, fondern wie einer von den Großen, bie ftatt ber
Filzhüte goldene Kappen tragen.
Na, Taf Ins, fagte Smalbeer. Was hat dir geträumt?
*) Ein großes halbes Glas Wein. j
18
— 176 —
Inda Goledbarg ah iſichlächelndrim Krriſer am amd ſprachu Nocn
Are. Mir trüumte, Sich. ware geſtrebendurnidiwürde begtabenetrSechs
Pferde, alle egal weiß, wie gefallener Schnee, zogen meinen !Vein
dyesswagen: und: der: Bergedorfer: &rhtsneloälternankikte: Herten Di-
fitatoren and. Kamburg uns Kübecht firhtent: allafiinnttYEn ndiefer
Trauer in ihren Staatswagem! hinter anhirsiheursir Bean IK warb
nis Achter Merlander! zu Erdeiobeſtattririciat Naodie Weſchichte ſah
gur nicht ſchlecht · aus unvrich! freute mh dvüber) deiß mir'si Hrẽ
im Leibe lachte. Nah einer Weile kamenuwir Am igimmelemich,
der prächtig ter Samt Yukb "Selbe: raudtapezierto wer zocvießAchöner
und nobler,t als es: unfer: betr Vamburgar Bapeziareri nmachemnfarın
Da ſah ih unſern Herrgott ſelbſt auf einem großmächtigen, Sgußde}
wen Throne Age sand. neben: Ah aufrgeinom Stuhle mild ſteifer
Sehne; der auch nicht kleine wanrmunfem: GerrurdEhr iſtum.cMWuadich
nun grad hinrtntrat ⸗ An sven Hiinmeboſaalreunade aufgerichtet giag,
wie ſichs fchicht Für men, fraian MHauiburgern Bürgebys da kurktiſtch
richtig unſer Herxdott um⸗iblingeltiz mit mbar Augen tdmd ſ4agtonzu
St. Petrus, ober: wars Ab Paulũs eben 'fa note chablaach nicht
ddfgepaftr:- : Bin;ich: denn rietht dh ridas: nich Herr Gotbbang
aus Hamburg, der dir gutem Küken: bat? Freilich, zwerfehzt deu: Aphe
ſtel, os iſt Her Goldbarg ui’; ſelbſteigener Merfen aind, michl dünkt,
nicht ſchlecht aufgeputzt. — Ruft mir drauf anferHerrgast du, und
zwar Alles auf Plattdrutſche ala wie’. kwnnk uns Aufgewnchſfen und
Hirt’ Ehreupforten mit uns gebaut: Mmm: näher/ Golsbarg, mb
fag’. mir, wie Sehe · Euch;imHaniburg Was mucht iber
ſtramme Ewerführer Emalberr?:: Immer gut ar Wiege? betr
jein Appetit verloren? Schmedt ihm nuch ſein Molfchena Röthe
moch wie die letzien gehn: Jahr her? NAusuehnmrud gut danke
für die gictige Rachfrage, erwiderte ich glatt von dei Zungeweg,
als dr: geſtern· Abend mich von. der Gibe empfahl, ira, enıfe-
rade den achten Polfhen und fing an :iein Htochenezu⸗ſchwiemeln.
Dummer Kerl, mupleft du bad auch gleich um: Dis“ große
Glocke Hängen! unterbrad ihn der überraſchte Emerführer,.. daß
alle Mebrigen in ein wieherndes Gelüchter ausbrachen. : *
f
_— 277 —
uvit Kann's unicht helfech Frhr Goldbarg Fort; es fuhr mis: fo. here
aus, nweil ich mich ſquglücklcht über das: Berahkafjeinber Ani
ſen nunſces ngrnpimächtigemueurgott'asss@r dachte auch gattz luſtig
drüber. Drauf ſtieß ner unſern Henn Shrifisfanftza: und ſprech
zu ihm: Du, Graßerzoſtehhamgal auf und Ka Herrw Goldbarg
ein paar Angendsidermiehrifigend:, Deraltec Junge Felbsceit 'mas
surbentötcheßndergiäßfen Andi: memeimickteben Hamburg⸗ stand: inndel6
jegt ausfieht, von wegen des diden Zopfesy idemsich,bewigaten
Leuten noch immerodnicht ganzhabe habpreien.tängen. s3Bie’s den
Rettedtensenscgehte Wien Bas:ıshilligfte, Begrkbutg holtet. und ob
ihnen Maiſehkinder: heim MBalfengränn nach immer: ſh göttlich
amüfiren? und dabei fjchüttelte er mir die Hand} daß achs: nad
fühle: ING und &hr künnto denken,: däßr ich ihm was, Ordentliches
unde recht vom dern Lebrv iweg jſerzähln habal, Da ſollnun Einer
kommen und behauptenzsiögimktirg feb>iticht.:gutsangefchriehemsibeit
enkermichhe@rgett! n Wenn fees einfachen Würger ford Auf-
ah fin dat Am Himmels piero werden: ie micht herſt einnen Y@enntur
oder taken Seutorſ oder gar seinen. praßidirenden Bürgermelſter da
Oben empfangen! N10801 Bstg Bad stand mu she wand :
177 Ale Aweender jexgötzten ſich nackiiitiber die »Grzählung Des
Schalbes, der lüngſte Bonnie Mufe:ftaad,;; die amüfantefen
Doönchenkngunerfinden „older »Töintrittaisinedsneneli Maſtes und
Beffen Thule Stine, hie :affgemeine: Aufmerlſamkeit · dieſem sjumen+
betesıst Deusuttues Anlömilingtimar :keiıy Anderer, sale: wer :gehier
Grobheft ewegen; hekanuten Hausknechte Mavid aus; Heidenfuet’sHGke
fhäftascrs.s I 2 daee Tariniigent kin watt
3a. WOnAt: verdamm Mnich xiefa dere wählte: Menſch,ſicha hefteg auf
einen Schemel.o werfend ad mit Dee Fauſt uſrden Wiſch⸗ ſchlas
gend; and bier Bläfer Dangen: „Ichwill sin Schuft fein, wennos
nicht: grßere Schurken igkkt unter schein Vornehmen als: unted Reit
Geriden luınll Sarg Bu np Juin? Anl ag Tore
. in ren: ‚ke Aikedeng ce ibie Keane ——
ei Wirtp,sdemg atersämfchheng: heftig) aufgewegter, Manne ein
Glas vtichendeu she mene, Taum an / NensKupeichefoimben ſchon wilb
— 1718 —
der geriffen oder hat Herr Treufreund das Dintenfaß für die Streu-
fanbbüchfe angefehen? So ’was Großes muß vorgefallen fein.
34 will gehangen werden, und zwar in knieender Stellung,
betheuerte Davtd, wenn’s jebt nicht beffer wird!
Bet dir oder in Hamburg? fragte der Wirth,
Weberall, fag’ ih. Aber Ihr müßt weit ab liegen von der
Neuigkeitsſtraße, wenn Ihr allefammt nichts gehört Habt von dem,
was vorgegangen it?
's gibt doc Fein Unglück? fragte Smalbeer.
Gott ſei Dank nein, erwiberte David, vielmehr wird bald
großer Jubel fein in mehr als einem Haufe. Ihr kennt unfern
Quartiergmann ?
Wer kennte den ehrlichen Jacob nicht! meinte der Vierlan⸗
ber. Er wäre der glüdlichite, zufriedenfte Mann ohne die fatale
Geſchichte, von der man Lieber nicht fpricht.
Kann jeßt gern davon geſprochen werden, rief David, und
wird hoffentlich noch vecht viel davon geſprochen. Wetten wir ein
paar Buddel, daß die verfihwundene Tochter Jacobs in Zeit von
at Tagen wieder im Haufe des Rheders lebt?
Das wäre! — Süh jo! — Kiel, wat's bat! riefen mehrere
zugleih und drangen mit Ungeftüm in David, er folle erzählen,
was vorgefallen ſei; man würde ihn nicht eher von bannen laſ⸗
jen, bis er Alles, was ihm in dieſer wunderlichen Angelegenheit
befannt geworden, ganz genau wiſſe. Die beiden Buddel könnten
gleih jegt und zwar auf Abfchlag für noch Beſſeres und für Me-
berbringung noch intereffanterer Neuigkeiten verbraucht werben.
David machte Feine Einwendungen. Das Kurze und Lange
von der Geſchichte iſt, Bott verdamm’ mid, fo wunderlih, daß ein
Gelehrter zu thun haben würde, wollte er fie zu Paptere bringen.
Ich kann nichts berichten, al8 was ich weiß. Der Herr Prinzipal
erhielt geftern Befuh. Darauf gab es große Unruhe im Haufe;
die jungen Herren waren faft außer fih, Herr Treufreund nahm
fih wie ein Srommer. Etwas fpäter mußte ich den Jacob holen,
Mit dem hatte Here Heidenfrei eine Tange Unterredung unter vier
— 258 —
Augen und bei verſchloſſenen Thüren. Ihr könnt denken, daß wir
Alle neugierig waren. Hätt' ich mich nicht geſchämt und wär's
keine Schande, die Geheimniſſe ſeiner Herrſchaft zu belauſchen, ich
hätt’, Gott verdamm' mich, horchen können! Aber ich that's nicht,
obwohl die ſchlanke Jule, das Stubenmädchen es verlangte. Nanu!
Als endlich der Alte wieder zum Vorſchein kommt, ſieht er ganz
verjüngt aus, ſein ganzes Geſicht ſtrahlt vor Freude, und Herr
Heidenfrei drückt ihm die Hand wie ein Bruder und ſpricht: Es
wird Alles gut, mein lieber Jacob, verlaß dich drauf. Chriſtine
kehrt ſo ſchuldlos in deine Vaterarme zurück, wie ſie von dir ge⸗
gangen iſt, dem Miguel aber haben wir offenbar Unrecht gethan.
Wir müſſen zufehen, daß wir dies auf andere Weiſe wieder in's
Gleiche bringen.
Da werde nun Einer Hug draus, verfehte der Ewerführer,
mir klingt Alles wie Griechiſch.
Wer iſt denn der Miguel? fragte der humoriftifche Bierlander.
Wer der tft, das weiß Keiner genau, erwiderte David. Ich
hab nur immer gehört, daß man ihn und ein paar feiner Ge-
nofjien, untere denen fi ein Hamburger Kind befinden foll, für
Shriftinens Räuber hielt.
Und fie ſind's nicht?
Mein, partoutement nicht, Gott verdamm’ mid! betheuerte
David.
Dann angeftoßen auf das Wohl des alten Jacob, feiner Toch⸗
ter und Derjenigen, denen es gelungen ift, die Verſchwundene zu
entdeden ! |
Diefem PVorfchlage des Ewerführers Tamen Alle nah, ber
Vierlander warb fogar ausgelaffen Iuftig und gab, bis es ziemlich
fpät geworden war, noch mehr als eine feiner ſchalkhaft⸗drolligen
Gefchichten zum Beften. Als die forglofen Zehbrüder auseinander
gingen, trug Jeder ein Meines Haarbeutelhen mit nah Haufe,
David Hatte fogar einen recht flattlichen Zopf fih angefhafft, der
ihm fo ſchwer im Naden hing, daß er herüber und hinüber wantte,
auf mehr als einem Beiſchlage ausruhen und fi befinnen mußte,
— do —
mp er wandele, mad: in ein läſtetliches Fluchen: aufſich,ſelbſt gul⸗
brach. Nichta deſtoweniger ſtanderer nam nächſten: Werken miabkt
Rramm auf ı ben. Beinanzı mr Konnte: æniſich das viehensKummoh
Schnacket den ev. gchaht. una mit angehört. hatte, nicht gung gerne
entfinnen«:- lv ra hl, bean id IAuemeie
atteu n ol Tnn zen nl pt Rd bild RAR
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Par E Eee TE SEE 2 5 Bu BE Ina, ι I} Bus 07771077
een rs Venen.” J— *
. Heidenfrei betyachtete machdenllich seinen :::uer ke Uedenden
Brief, den er vor Kurzem erhalten ıanbigelefen hakte. Mwohl
aͤußerlich ruhkg,n mernteth buch: nd lebhafte bewegte: Hupe, daͤß eine
Nachricht von ‚Bereutung. ſeinen Geiſt ungewöhnlich ſtarkbeſchäfti⸗
gan müſſeo. Nachneinigex Zeit twat m alte. Areufreunduum da
Zimmer des Mäsderai'n. vu. 0. er chaos ai nilten
Site haben mich rufen faffe, Bere Hetvenfuebtiidagte im thigde
ſchüchternem Tone der geweſene Buchhalters.. = 3: «t Ja
:... Bitte, nehmen: Mile Platz;TNeber Taeufveund, orwidertt Heiden⸗
frei, den treuen Diener freundfih auch durch eine Handbewegnüg
zum; Sitzen eimlanend:::;, Zögernd folgte ber Buchhalter.n7
Ich bin gendtätgt,:i. Lieben Tpeufveund, fuhn..beri Rhederufort,
Ihnen eine Mitthetlung zu machen, bie Ste wahrſcheinlichbtiber⸗
rafhen,. ebenfo: ſehrnerſchrechen;, add: erfreuen: isirb. 3’ Vehnalten Sie
ruhig Platz es: if michto Unangenehmes, mur Tetmns fehrel-iins
gemöhnkiches, etwas beinahe: Wunderbaves. 1... mis; Hart
.2. Debbenfret. fdteleg einige: · Augenblicke „und: Troufreund / bdrm
vor geſpannter Erwartung: bald heiß, bald kalt: wurde / treclnvt⸗
ſich wiederholt. mi. feinem ſeidenen Taſchentuche die Olahe“ af“:
IH darf: es. Ihren unter ter Augtnwohl ſagen,“ lichber
Axenfreund,. begann der Rheder aufs Rene, ohne zu : beſorgen,
— 284 —
Sie möchtan ſich dosahalb· Nberha bem rdaß; Ih Mit. alsmeinem v a rptrobe
geſten Mitaxbheitern Innern nmeituergweigten. Geſchäfte betr hocyt
geſchätzt haben. Im FuhheresnißnhsensiWarens Sir Yanfighle Geile
daflekhen, amentlich deß überfechihen transetlankifdren.! Thätles ses
Womit das Haus Peter ThomasinHridenfreb nenig Wü
hatter warf Kraufraund xin.10 waren traurige MWerhältniffe, un⸗
glückliche Rerungtupeni sun. "alnlindad med di Blomai Bnd
— de mager fang ad: -hbetnpfte dns üproßer
Unxuhe Inte. Glatze mit. dem; Rafıkentugesst Heidenfrei, warft ek
ſharfen, qforſchenden; Blick, auff den redllchem Diehevias 13 mırd
1,9 Damals; hatten se Wie; ichn ſowohl Wie mein Meitdenb ver⸗
fiarbenen Grfppiagerinter. :undsstioch minder‘ Andere söbefe Mnficht,
fuſhr ar· fort, nur eines⸗ eanzigen Mannes: wroßocichImich i zu⸗ enint
Re: walgen: anders uxtheilten Kennent Sie dieſen Manns Ikeber
Treufreund? Er lebt noch. ‚nr e9rast nο u
1 De Buhhakten xückted mruhig, und in agvöſßter;Werleenheit
auf dem ſammtenen Polſterſtuhle Hin und hew + Stat eintrs Mint
mortsthtachtesersiehl naesıdlafer Berbäugungen,iäie setmas: Komiſches
Hatten, Dpr Rheder mußte auch wirklich dawüber Mächtkn. rt, (bi
Ste haben wahrlich keine Unſache, ſich jetztynnach gweteFahr
zehnten zu ſchqmen,dahl Ste Bamalsıunternalken Ketheilefähigen
der Urthetlöfreiefte waren, ſprach Hetdenfrei weiter. Wenn. ichn Ihnen
wos ıhartäieaft en Angeſicht FageyifetihelessihnntaurT etwas
längſt Verfäumtes nad. Sie allein, lieber Treufteundnberutheit⸗
tem Hdamals din: Fachkagevichtig: wit Andern. ynreminbreiagenom-
men undisbhriam befangen, m unfreinnſtitig imnanfernArtheilet
Es iſtidies fee igu beblagen ae habe vig⸗⸗ wie Sei hatotiften,
hart genug dafür büßen müſſendot sin ih mu il was yrolın
13163 ai Wohl, jarcwohl bi ſagte· Treiafreulid, die: Hande⸗ſaltend.
Sa en early Arme᷑ 4 Znasın TSC:Q
33 1Sro onnte wit weiteen ſprechen; benmiäte. heeudicbreihenkrnt
Thränen erititen feine Stimme. Auch Heibenifrets fhasieg’ Iekime
Wille. nunni Bi som srduf, mind Sonde hin Ten) DD
> gene Trotifreunbgshgnih siehe
— 2382 —
merkwürdige Mitteilung zu mahen babe, begann der Rheder
wiederum, als er ſah, daß der alte Buchhalter feine Faflung
wieder gewonnen hatte. Ste beweinten den DBerfhollenen, als
das große Unglück gejhehen war und fein Vater ſtreng befahl,
nie mehr davon zu fpreden.
Es war ein böfes, Hartes Wort, das unglüdlichfte Wort,
das jemals über Herrn Hohenfels’ sen. Lippen gekommen ift!
Es hat ihn auch getödtet! ſprach Heidenfrei ſehr ernfl. —
Aber wir haben kein Recht, ihn anzüuflagen, über einen Berftor-
benen, ber das Gute wollte, felbft wenn er trrte, ja frevelte,
Gericht zu Halten. Darum Friede feiner Ale! Nur den Ueber»
lebenden, den noch Lebenden unfere ganze Aufmerffamfeit, uns
fere vollite Thellnahme und Liebe zuzumenden, find wir verpflichtet,
zumal dann, wenn dadurch früheres Unrecht einigermaßen wieder
gut gemacht werden kann.
Treufreund richtete ſich eritaunt auf und biidte den Rheder
ungläubig fragend an.
Ich verftehe Ste nicht, Herr Keidenfrei, fagte er. Wie foll
ih Ihre räthſelhaft Elingenden Worte deuten? Ste fprechen von
Ueberlebenden und noch Lebenden.
Ich Hätte fagen follen, fiel der Nheder ein, Wiederaufer-
ftandenen.
Treufreund wechjelte die Farbe, Heidenfrei ergriff den vor
ihm liegenden Brief.
Sie ahnen jetzt, lieber Freund, welche Veröffentlichung Ihrer
harrt, fuhr er fort. Der Mann, den wir für todt hielten, den
wir betrauerten, deſſen unglückliches Schickſal tiefe Wunden in
unſere Herzen riß; er iſt nicht todt, er lebt.
Mein Gott — Auguſtin Hohenfels lebt! — Mein edler,
großer Freund lebt! rief Treufreund aus, während Freudenthränen
ſeine krankhaft gerötheten Augen Tüten, Und wir mußten es
nicht! ſetzte er Hinzu,
Seit länger als einem halben gehre war ich davon unter⸗
richtet, ſagte der Rheder. Wenn ich dennoch Ihnen die mir ge⸗
— 283 —
wordene Kunde verheimliähte, fo gefhah dies nur aus Schonung.
Die eriten mir zugehenden Nachrichten Tauteten wenig tröftlic.
Mein Schwager war fieh, hinfällig; der Tod Konnte ihn ereilen,
ehe er Rüdantwort von uns erhielt. Wäre es ba nicht graufam
gewefen, Sie, lieber Treufreund, mit einer bloßen froben Hoff⸗
nung zu täufhen? Ich wollte Gewißheit haben, ehe th Ste in
Kenntniß fehen durfte. - Diefe Gewißheit iſt jebt eingetreten. Aus
guftin Hohenfels Tebt nicht blos in neu erftarkter Kraft, wenn
auch fehr verändert, er gedenkt fogar uns wiederzufehen.
Möchte ich diefe felige Stunde erleben! ſprach Treufreund.
Ih wollte dann zufrieden das Hauptbuch meines Dafeins abe
fliegen, die Bilanz ziehen und mich ruhig in bie kühle Erde
betten laſſen ... Mein lieber, Tieber Auguſtin! ... O, verzeihen
Sie, Herr Heidenfrei! IH bin wie ein Kind — das Herz läuft
mit mir davon... Ih Tann wahrhaftig nicht dafür, aber ic
önnte vor Freude fpringen und tanzen, ja fogar ein Gedicht
machen. Hielt ih ihn doch fhon Hier in Diefen meinen Armen !
Hoffentlich gebt Ihnen dieſer Wunſch bald in Erfüllung, ver-
feßte Heidenfrei. Mein Schwager fchreibt, dag er wenige Tage
nah Abfendung dieſes Briefes fih auf einem Bremer Schooner
nah Europa einzufäiffen gedenke. Ein Bremer Schiff, von Rio
kommend, fprad meine Bart „Marte Eliſabeth“ an und dürfte
bei den auf See In den legten Wochen herrfhenden Winden ſchon
demnädft Bremerhafen erreichen.
Auguftin Hohenfeld wieder auf europätfhem Boden! ſprach
Treufreund, den Gedanken, daß der Freund ihm fo nahe fet, daß
er ihn alsbald wiederfehen folle, Kaum faſſend. Wird er hier
bleiben ?
| Wer mag das jeht ſchon beſtimmen! erwiberte Heidenfrei.
Das Herz, die Sehnfuht treiben ihn zu und Nicht allein alte
Freunde, feine nädften Verwandten wünſcht er wieber zu fehen,
er glaubt auch irgendwo in Deutſchland den einzigen Sohn wieder
zu finden, den ihm Dolores gebar und ben ihm Gonfalez entriß,
Auch diefer lebt?
— 18 —
gilt nr glaubt-ics End: em} fi: BGE DOGRT N ee TRIER
WR pin mund mihlihnit neduuhsgug im meh
‚ml; He Mitthellungen grdrückten Aruſreund· gheincche. ni
mad Hille and: Img ſteller un all: bes: Prinzipal vbewerkte,
mern Allge wiſſerzund ihn, un ginlher Zeitnerſuchte, enmäge
der „Bufammepfunft hefwehnenur die mach beendigteu. ageageſchäfr
tee Die aRdkehn, Migueſs auihame ihm:fxlbſt feinen; Söhenuund
hatt. Qupgfhers wanxa nöthig machen fagkenenzwarı Aeraltellligngn
bat aber, ‚nenhrn im angellärte-Sinfemteit, ſich zuxichziehen zu dürs
Hude are empfangenen. Sinbrfifr zubor gänzlich bewäl⸗
tige, zin ut ee zux- Nahe Tome: und »Bnaft ae
vohne nach ‚euer Gröffuungsn sah Mehazrajhumgen serttagemiigt
fönven⸗ ae... Iniluech win) mio... witz) mirad
us] Heidenfrej gewährte, dieſen Wunſch ſehr 1m see Rühlte fh
berbit,.ngn eimensonoßen Sail, befxeit Helfdemn, auch heunweblihe alle
RD, der miß Außopfernder Kiehen ſtets an denmuledenſchaftlichen
Augaſin Hohenfela gehangen) Ihm gagenn Jedezmann gunermüdet
und gufndig?Gofahn, hinzazſelbſt, aguntenleigeng zuzmöſſen, In
Gmb ‚prapmman a.gon heilen Miedeyegwachen Kenntwiſtaxhalten
hafthan mas rn Tan et Bad nnd bon
ae Fregctreund mar eſer Hiag einer Ran mirhngbeunfehnen
aquzen Behend, Wr.feiate ihn aide ghnlheuauch, ia einen Ihmıaigane
Himliähun: Belle inhemarn fie ſaigenn Seinen, Winklen Komp
toirraume einſchloß, Nichts, was umı;ihp, harz .wergiugs Heachteten
hndern ſich aganz. in ting Gedanken Iyeyſe nel. da age
in9 ea einen, Gomptehrfalenter „unteririg den
Ag Dreimgke mit; „guliner,. ‚Sinter med „Ihnleh 016 + Mpter ana bes
Rand: „Auguftin Hohenfels iſt für mich heute von den sont
exſanden⸗ yramlarıı n 5 gan pri
a Damn an et, often Handlungtblicher HOF ‚. m. 046
hien ahndich Agutende Matizen zu tushens Enke gastierte,
iz⸗die Arlefe DeB,,Beundes,..Aigıdbrr on, pt inetruhen ade
getrhſtet hakkem Der Belik Mein. Brleiesauehte.nibn.debarasih eng
quickend an, jet aber, mo er wußte, daß sbiejer Weil made lebe,
Yafıı eat ee an lich gu Aha
Äh yeßchriebeniene. d Wortin deſſelben! HrelfucherLebeneivaft intienkes
vbhnen: Rbeukteumd konnte! ſichen nichẽ mehr losreißentuvon dieſet
Lectüterut Er Molke den: langeteurbehrten,nals taäbt.ı meinten
Feennd! im ſeiner »ganzene . Weſenheit inficht vorgogenwig tinyen, Damiit,
wenn er perſönlich vor ihn Kintreie, Yen AdigefreiibSfehiun try
bilie Darüber vergingen ’&tundenj:hennE dor: swunfere: il las
randen Bei mehn ul zweimab; Lerute manche Sıhdke ie,
weil fie ihmt ſorauerordrattich ge yo een tigtmen rang
WrBwindigi end: print ſich ſeibſt Shih, vier an Beſitz
eines fo unbezahlbaren Schatzes befinda?.t9 nzsduoisd nos vagimae
Mnteniwdltte den emſig Defehdertweihingaaus Mal ſtören, er
unterließ es aber jedromalzuwennd evpo die gluüchſeligen Birke des
abierndea en ne wirn einz Gotrorgellſterter
in? Ben Brirffchaften blatterten unen fovſchte. SERIE Kon
toirſchluß wagte er ſich an den Leſenden, indem er heflig am Kit
verloren! Thurn rütteltee wu! Treufreundeiaunfzuſehenaibthigte.
ber Biteriauſendmadi umnꝰ Entſchulbigunge ers Treufteund,n ſugte
vor bufger Shall: Ich bini. ſchon zum funftew? aderriſochsczme Male
Mi Zhrehohür j since: br iche Sie Ammevt ganau zuandorſelben Stelz
Yimgraufitet hochbrinigen Thtvu itzonheh, ti das GeſtchlaAn
Olückfeligkaitsſchlmmesnſtrahlend unſteif hewegungslos, Tein gefüdetz
08 under: gemhltes Meonſchenbild, chi Ahambtei ich yRlept: wahrhaf
ta, der Schlag Haberflenigerührt und in Engek: dad ısHatank Sie
niseßtensiheiligenden !Angmblirte nontevr die · Seligenn verjegt, um
Ehrbrusonz Tagen?! inte ber! Ehhrublint und: Seaphiausn Motunsſei
Dimt, daß Sie suochebiben) mein! Werehrteſteri aHaben Sherrinteg
jebt die Freundlichkeit oder Gnade und figew: Bit: air nebr
güdenden ı Schauernu dronmmmels zuriiche auf beyinmedfatfhen
Schlammdoden der althannburgiſchen Erde 3) von ven: ambrofiſchon Düf-
trier der Setigen zu bin Dunſtigen: Aughanchungen⸗ unſerer:mährenden
Floethe, demm ſümmtliche Räuine : des: Comptolts findubereits leer.
Die: Federn können ihre: Schnäbel ſchließenr und ſchlafen gehen,
ber Streuſand darf verrinnen und von den Dingenotsgumen,. bie
— 286 —
ihm vor die Augen gelommen find, nur dem Beſen wirb nicht
erlaubt, ruhig in der Ede zu fiehen. David handtiert gewaltig
damit herum, und wenn Sie fih nicht bald aufmaden und aus
Ihrer Verzüdung zu fih kommen, edler Freund, fo wäre es
möglich, der grobe Gottverdammih- Mann kehrte Sie mit fammt
Pult und Sefjel zum Tempel hinaus.
Anton, verſetzte Treufreund, Sie dauern mich eigentlich.
Ih an Ihrer Stelle würde mit den Gaben, die Gott an Ste
verfchwendet Hat, vernünftiger, haushälterifher umgehen.
Ich fpüre aber gar nichts von Gaben Überhaupt, wie viel
weniger von befondern Gaben,
Weil Ste ein Leichtfuß, ein Spötter, ein Tollkopf find!
Bitte fehr, mien Moder kann fwenmen!
Meinetwegen aud boren, fagte Treufreund ärgerlich, die glück⸗
lich zu Ende gelefenen Briefe in fein Pult verſchließend. Mög-
lich tft Alles.
Aber wahrſcheinlich nicht, ſetzte Anton Hinzu. Webrigens ge-
ftatten fie mir, bemerken zu bürfen, daß ih nur figürlich ſprach,
eine Eigenthümlichkeit, die mir von Ihnen, der Sie ja Ihrer ei⸗
genen DVerfiherung nad, niemals perfönlich werben, angeflogen ift.
Wollen wir heut Abend zufammen foupiren? Meine Freunde
Julius und Kurt find mit von ber Partie. Wir fahren nad
Rainville's. Der Abend tft fchön, die Nacht wird herrlich, unver-
gleiylih, und wenn’s uns conventrt, laflen wir und aparte, en-
tre nous etwas vortanzen von den niedlichen elfenhaften Dulct-
neen, bie neuerdings aus Andalufien bier angelommen find. Man
hat mir gefagt, die Grazien follen dieſen ſpaniſchen Maja's gegen-
über plumpe Stallmägde fein.
Vergnügen fie fih, wie fie können und müſſen, verſetzte
Treufreund dem ewig heitern Gorrefpondenten folgend, ich bedaure,
für diesmal Ihre Einladung nicht annehmen zu können. Wäre
ih auch, was wirklich nicht der Fall ift, geneigt dazu, fo würbe
mich doch eine. ſchon früher erhaltene fehr ehrenvolle Einladung
daran verhindern.
_— 23837 —
Ganz obligirt, fagte Anton. Wer erft kommt, mahlt vor,
heißt es im Sprichwort, es verfteht fih demnach ganz von felbft
— am Rande — fpridt der Student, daß Sie biejer ehrenvollen
Einladung den Vorzug geben.
Herr Heidenfrei würde mih für einen Menſchen ohne alle
Zebensart halten, was ich hoffentlich niemals war und nie zu wers
den befürchte.
Herr Heidenfrei?
Unfer hochgeehrter Herr Prinzipal, wenn Sie nichts dagegen
haben, mein lieber Herr Anton, verſetzte Treufreund, fein Käpp⸗
hen ziehend und fich fehr tief vor dem jungen Gorrefpondenten
verbeugend. Gr gab mir die Ehre, mich zu erfuchen, ich möchte
doch einer in wichtigen Bamillenangelegenheiten abzuhaltenben Be⸗
rathung meine Gegenwart nicht entziehen.
Damit grüßte Treufreund lächelnd und ging von dannen.
Anton ſah ihm etwas‘ verbupt nad, dann madte er eine Hand-
bewegung nad feinem SKopfe, die ausdrüden Tonnte, e8 möge wohl
Im Gehirn des „Schatten“ nit ganz richtig fein.
Samtlienrathe beimohnen, wiederholte er, frin Pult ſchließend
Was fo ein altes Möbel nicht Alles Tann oder will oder zu wol-
len und zu können fi einbildet. — Na, man zu, id meines
Theile, ich gehe nad Rainville's — mien Moder kann ſwemmen.
Behntes Rapitel.
Miguel’ Erzsäblung
Es dunkelte bereits, als Ferdinand mit den Worten in das
Zimmer feines Vaters trat, dem fein älterer Bruder und Treu⸗
freund Geſellſchaft Leifteten:
Ehen find die Erwarteten angekommen. Jacob hat es vor⸗
gezogen, den Weg durch die Kanäle einzufhlagen.
— 18 —
„on Marten diesre-rtigte Heldenfreiſtreie innt \: Stande anzte
Hat af der Dibkesans hi ya in rer oe no ih
escufe fe mhomwerhtiheranfits mi ner — init oma —
Ferdinand entfernte ſich wiederzuder Rheder legle iu Band
auf Iresfrenktte Schulter und ſagte: le werden:nlt das Zeug⸗
ige Schiwäcre) neroſes Zagen nud Schwan⸗
fen meinem Gharafter fremd find. Ich habe made iſchwerẽ
Stunde durchlebt, viele Schtefalsfhläge mit‘ Gleichmutheerlragen,
und fa nieimbchte tl fageit,a bin ih "eiitert anſchekdender Stunde
miele Srwartung, mitte petnbeller ""Shparnihg entgegruge⸗
gangen. AWare ich tbergtaubiſch jich Wagen dat Ar
es rare org hm rn de Tg prrge
SE Rufen wollre entwodrken, "yorirdeabert dirrch Haute Schere
und das unmittelbar darauf!rfolgenve efftiew "ber Thürt dadkar
verhindert.nre anin Ant Gnicchel er rend anpern ia?
- SE Moch vrannte een Licht Ina des Rhebers erh vie Abendo
dammerung warb durch mcdergerafffeno/i ſwern duuna ſtenr Gurbrurn
von dunkler Seiden ſo aibgedänift, Bag die Weſtchtezüge derrehtzeln
Ken Perſonen nicht ganz”: vblutlicho zu” vrfenten waren. nDeibenfrei
miterfelmern: alteſten Sohne un Veufrteundſtaudelr ganz’ Inf Shit
ken etwas: mehr Dllmmerungsſchetũ et" auff die Gtuppe ver
treten den dies ber NYeder mit ſtümmem: Wink vegtätßte Gleichẽ⸗
zeitig erfaßte er den Glockenzug, worauf aus einem anſtoßenden
Zimmer die Hand eines Bedienten die bereits angezündete Lampe
durch den Spalt der Thür feinem Gebieter reichte, ohne ſelbſt ei=
nen Blick in das Gemadzpafiefken;werker. zu können.
Der helle Schein der Lampe. fiel jetzt grell auf die Gefichter
ber Anmefenden, ven, denen zug ein pigziged yoyı Allen zugleich
gefucht ward, die ernjten, gebräunten, harten Züge des Matrofen
Miguel, het trogig' neben dem vierſchrötigen Suarlecsmanne Ran,
biefen aber um faſt eine’ halbe 'Kupflänge' überragte. *7
Auf einen zweiten Mint Heidenfrefs! hathmun ste‘ Een si
den runden’, "mitten im Fimmer ſtehenden Liſch nur Treufreund
zauderte, feine angegriffenen Augen blinzelnd und init ovrgebeugtem
— 1389 —
Kopfe eigenthüͤmlich ftier auf Miguel Heftend. Dies ‚merkwürdige
Fixiren mochte wohl Urfache fein, dag auch Miguel nur zögernd
zwifchen Ferdinand und Jacob fich niederließ.
Es entitand eine Paufe die etwas Bängliches Hatte, und bie
doch Fein Anderer als nur der Rheder füglih brechen Tonnte.
Er that es auch endlich mit dem ihm geläufigen Aushilfsworte:
Superbe, daß du fo pünktlich biſt, Jacob! Keine zwei Mi—
nuten haſt du uns warten laſſen. Um fo befier. Und diefer
ſchlanke, junge Mann da, feßte er etwas weniger zuverfichtlich hin⸗
zu, will uns fo wichtige Mittheilungen mahen? Ihre Papiere,
‚mein Befter, find uns zugegangen. Diefe und einige mündliche
Derfiherungen des Gonfuls, der Ihr Geburtsland bei unferer Re=
gierung vertritt, Haben ung bewogen, Ste zu erſuchen, das, was Sie et⸗
wa wiſſen oder zu wiffen glauben, im Kreife dieſer Wentgen, ung zu fa-
gen. Ste felbft behaupten und werden es, fo will und beblinten,
auch zu beweifen vermögen, daß fie völlig ſchuldlos find an ber
frevelhaften Entführung der Tochter diefes Mannes da aus dem
Haufe, wo Ste jeßt weilen. Sprechen Sie ohne Rüdhalt, junger
Mann. Man wird Ste mit Ruhe und Aufmerkſamkeit anhören;
man wird Ihre Mittheilungen zwar einer ftrengen, aber auch völ⸗
fig unpartelifhen Prüfung unterwerfen, und wenn e8 Ihnen ge-
lingt, überzeugende Gründe, beſſer noch gar Thatfachen anzugeben,
welche die Entdeckung jenes Frevlers ermöglichen und die fo ſchwer
Gekränkte ihren trauernden Eltern und uns Allen wiedergeben,
fo dürfen Sie der Erkenntlichkeit unfer Aller, nicht minder jegli-
her Unterftübung vergemwiffert fein, die Ste wünfchen mögen und
wir gewähren können.
Mit niedergefchlagenen Augen, vielleicht, um den raftlos fra-
genden Blick Treufreunds zu vermeiden, hatte Miguel diefe mohls
wollend und in aufmunterndem Tone gefprodhenen Worte des ehr-
würdigen Rheders angehört. Da er nicht fogleih darauf antwor⸗
tete, wandte fi Eduard mit der Frage an ihn:
Sie Itebten das Mädchen, nicht wahr?
Miguel blickte raſch auf, fein fehönes, dunkles Auge flammte
D. B. XI Willlomm’s Rheder und Matroſe. 19
—— 290 —
in ſchwärmeriſcher Gluth, und indem er feine für einen Matrofen
Heine und ſchlanke ‚Hand aufs Herz legte, verfegte er mit unge⸗
heuchelter Wärme:
Wahr, Sennor, heiß und ewig! Immer würde ih gern
mein Leben für das Mädchen gelaflen haben, dem ich ein treuer
Mächter, kein auf Böfes finnender Verfolger war!
Erzählen Ste, was Ste wiffen, ermahnte nochmals Heiden-
fret, dem die innige Natürlichfeit des jungen Matrofen geflel. Er⸗
zählen Sie Alles, was Sie erlebt haben.
Mas ich erlebt Habe? Das tft wenig und bod wieder auch
fehr, fehr viel, nur würde es die Herren bier nicht intereffiren.
Uns Intereffirt Ihr ganzes Leben, warf Treufreund ein. Sie
nennen ein Land Ihre Heimath, mit dem wir in nächſter Ver⸗
bindung ftehen, wo viele treue Freunde von uns leben. Mexiko —
Ih bin nit in Mexiko geboren, fiel Miguel dem alten
Buchhalter in's Wort, Indem eine Fupferfarbene Röthe fein bräun-
liches Geſicht überſlammte. Mein Vaterland iſt Brafilien, obwohl
ih es weniger fenne, als Mexiko und die Länder am merxikaniſchen
Golf, wo ich meine Jugend verliebte. Aber mozu fage ich Ihnen
dies, unterbrach er fi jelbft, Ih will ja nicht von mir, fonbern
von denen fprehen, welde biefem braven Manne hier’ fen Kind
fo freventlich raubten.
Der Quartiersmann drückte dem jungen Matroſen, den er
jetzt ganz in ſein Herz geſchloſſen und dem er ja bitteres Unrecht
im Stillen abzubitten hatte, dankend die Hand und Miguel begann
folgende Geſchichte zu erzählen. Wir ziehen es vor, feinen in un⸗
zufammenhängenden Broden gegebenen Vortrag in ein zufammen-
hängendes Ganzes umzuformen und fo fehneller dem Ziele zuzuetlen.
Eine trübe, rubelofe Jugend, die ih an fehr verfchiedenen
Drten, bald auf ermüdenden Wanderungen, bald unter Schaven,
bald auf ftürmifhen Meerfahrten durdlebte, gaben mir faum auf
Augenblide Gelegenheit, mih mit einiger Muße in meinen fo
häufig wecjelnden Umgebungen umzujehen. Das weibliche Ge-
ſchlecht lernte Ich gar nicht kennen oder doch nur etwa fo, wie eine
“ ” — 291 —
wohlgefällige Erſcheinung, die uns entgegentritt und ſchnell wieder
verſchwindet. Erſt als Zufall oder Beſtimmung mich in dieſe
Stadt führten, trat mir die Frauenwelt etwas näher. Ich hatte
das ſeltene Glück, gleich in den erſten Tagen meines Hierſeins das
reizende Mädchen zu erblicken, in dem ich bald darauf die Tochter
dieſes Mannes kennen lernen ſollte. Ich liebte Chriſtine damals,
wie ich fie jetzt noch liebe; ich betete fie an, wie cine Heilige, denn
ih fühlte mich in Ihrem bloßen Anſchauen beſeligt. Aller Drud,
. alle Noth, alle Qual meines vergangenen Lebens vergaß ich bet
dem Gedanken an Chriſtine! War es da ein Wunder, daß ich
ihr möglihft oft zu begegnen fuchte, deshalb mein Sinnen und
Trachten darauf -gerichtet war, fie genauer kennen zu lernen, fie
zu fprechen, meine Gefühle der Angebeteten zu offenbaren, fie end⸗
lid, wo möglih, ganz und dauernd zu befißen? — Ich entdedte
mich dem mir befreundeten Steuermanne Andreas, deſſen Charak-
terfeftigfeit und redlihe Gefinnung mir fein Geheimniß mehr wa
ven. Andreas beneidete mich faſt um die gemachte Entdeckung,
verſprach mich zu unterflügen und ſuchte, da er in der von mir
Geliebten eine Gefptelin erfannte, die Aeltern Chriftinens für mein
Anliegen günftig zu fiimmen. |
Es iſt ja möglich, dag ih, mit den Sitten und Gewohnhei⸗
ten dieſer Stadt nicht vertraut, die Grenzen nicht fireng genug
einbielt, welde von mir verlangt wurden. Mein Herz ſchwoll vor
Sehnfuht, mein jugendlihes Blut fürmte, und ich war elend,
wenn ich Ghriftinens Anblick entbehren mußte. Entſchuldigt dies
einen letdenfchaftlich Liebenden, fo bin ich entfhuldigt. Ich fparte
weder Zeit, noh Mühe, um der Geliebten zu begegnen; ich ging
ihr nad, ih lauerte ihr gewilfermagen auf, nur um ihre liebe
Geſtalt elaftifh an mir vorübergleiten zu laffen. Diefe auffallende
und vielleicht plumpe Zudringlichleit mag das arme Kind geäng-
fitgt haben. Gewiß warb fie die erſte DVeranlaflung zu dem Ent-
fhluffe der Aeltern, ihre Tochter dem Schutze, der Auffiht fremder
Augen zu übergeben. —
Durch Andreas erhielt ich bie nieberfchlagende Nachricht, Chri⸗
19°
—— 290 —
in fhwärmerifher Gluth, und indem er feine für einen Matrofen
Meine und ſchlanke ‚Hand aufs Herz legte, verfegte er mit unge⸗
heuchelter Wärme:
Wahr, Sennor, heiß und ewig! Immer würde ih gern
mein Leben für das Mädchen gelaflen haben, dem td ein treuer
Mächter, kein auf Böſes finnender Verfolger war!
Erzählen Ste, was Ste wiſſen, ermahnte nochmals Heiden⸗
fret, dem die innige Natürlichkeit des jungen Matrofen geftel. Er—
zählen Ste Alles, was Sie erlebt haben.
Mas ich erlebt habe? Das tft wenig und bod wieder auc
ſehr, ſehr viel, nur würde es die Herren bier nicht intereſſiren.
Uns intereffirt Ihr ganzes Leben, warf Treufreund ein. Sie
nennen ein Land Ihre Heimath, mit dem wir in nächſter Ver⸗
bindung ftehen, wo viele treue Freunde von ung leben. Mexiko —
Ih bin nicht in Mexiko geboren, fiel Miguel dem alten
Buchhalter in's Wort, indem eine Tupferfarbene Röthe fein bräun-
liches Geſicht überflammte. Mein Vaterland iſt Brafilten, obwohl
ih e8 weniger kenne, als Mexiko und bie Länder am mexikaniſchen
Golf, wo ich meine Jugend verlebte. Aber wozu fage ih Ihnen
dies, unterbrach er fi ſelbſt, ih will ja nicht von mir, fondern
von denen fprehen, welde diefem braven Manne hier’ fein Kind
fo freventlich raubten.
Der Quartiersmann drückte dem jungen Matroſen, den er
jetzt ganz in fein Herz geſchloſſen und ‚dem er ja bitteres Unrecht
im Stillen abzubitten hatte, dantend die Hand und Miguel begann
folgende Gefhichte zu erzählen. Wir ziehen es vor, feinen in un—
zufammenhängenden Broden gegebenen Vortrag in ein zufammen-
hängendes Ganzes umzuformen und fo fehneller dem Ziele zuzueilen.
Eine trübe, rubelofe Jugend, die ih an ſehr verſchiedenen
Orten, bald auf ermüdenden Wanderungen, bald unter Sclaven,
bald auf ftürmifhen Meerfahrten durchlebte, gaben mir faum auf
Augenblide Gelegenheit, mich mit einiger Muße in meinen fo
häufig wechfelnden Umgebungen umzuſehen. Das weibliche Ge-
ſchlecht Lernte th gar nicht Tonnen oder doch nur etwa fo, wie eine
“ “ — 291 —
wohlgefällige Erſcheinung, die uns entgegentritt und ſchnell wieder
verſchwindet. Erſt als Zufall oder Beſtimmung mich in dieſe
Stadt führten, trat mir die Frauenwelt etwas näher. Ich hatte
das ſeltene Glück, gleich in den erſten Tagen meines Hierſeins das
reizende Mädchen zu erblicken, in dem ich bald darauf die Tochter
dieſes Mannes kennen lernen ſollte. Ich liebte Chriſtine damals,
wie ich ſie jetzt noch liebe; ich betete ſie an, wie eine Heilige, denn
ich fühlte mich in ihrem bloßen Anſchauen beſeligt. Aller Druck,
. ale Noth, alle Qual meines vergangenen Lebens vergaß ich bei
dem Gedanken an Ghriftine! War es da ein Wunder, daß ich
ihr möglichſt oft zu begegnen ſuchte, deshalb mein Sinnen und
Trachten darauf -gerichtet war, fie genauer kennen zu lernen, fie
zu fprechen, meine Gefühle der Angebeteten zu offenbaren, fie end-
Ih, wo möglih, ganz und dauernd zu befipen? — Ich entdedte
mid dem mir befreundeten Steuermanne Andreas, befien Charaf-
terfeftigfeit und reblihe Gefinnung mir fein Geheimnig mehr wa-
ven. Andreas beneidete mich faſt um bie gemachte Entdedung,
verſprach mich zu unterſtützen und fuchte, da er in der von mir
Geliebten eine Gefptelin erfannte, die Aeltern Chriftinens für mein
Anliegen günftig zu fiimmen. |
&s- tft ja möglich, dag ich, mit den Sitten und Gewohnhet-
ten dieſer Stadt nicht vertraut, die Grenzen nicht fireng genug
einhielt, weldhe von mir verlangt wurden. Mein Herz ſchwoll vor
Sehnfuht, mein jugendliches Blut fürmte, und ih war elend,
wenn ich Ghriftinens Anblick entbehren mußte. Entſchuldigt Dies
- einen letdenfchaftli Liebenden, fo bin ich entſchuldigt. Ich Tparte
weder Zeit, noh Mühe, um der Geltebten zu begegnen; ich ging
ihr nach, ich Tauerte ihr gewiffermaßen auf, nur um ihre Liebe
Geftalt elaftifh an mir vorübergleiten zu laſſen. Diefe auffallende
und vielleicht plumpe Zudringlichleit mag das arme Kind geäng-
fiigt haben. Gewiß warb fie die erſte Veranlaffung zu dem Ent-
fhluffe der Aeltern, ihre Tochter dem Schutze, der Auffiht fremder
Augen zu übergeben. —
Durch Andreas erhtelt ich die niederſchlagende Nachricht, Chri⸗
19*
— 2929 — — W
ſtine habe die Wohnung der Aeltern verlaſſen und ſei wahrſchein
lich bet entfernten Verwandten auf einer der Elbinſeln untergebracht
worden. Ich eilte fofort nach den bezeichneten Inſeln, brachte
aber jehr bald in Erfahrung, daß ich auf falſcher Fährte fpürte.
Bet meiner Rüdfunft überrafchte, erfreute und erfchredte mich An
bread mit der inzwifhen von ihm gemachten Entdefung von Chri-
ftineng wirflihem Aufenthalte. Wir gingen ernftlih und - lange
mit und zu Rathe, was wir tbun follten; denn von der Gefahr,
welche der Arglofen gerade in dieſem Haufe drohen müfle, waren
wir beide überzeugt. Dennod hielten wir es für klüger, zu ſchwei—
gen, ba es mehr als wahrfheinfih war, daß die offene Darlegung
des Sachverhaltes damals für ſchändliche Verläumdung unferer-
fettS gehalten worden fein würde. Das aber Hätte uns in die miß-
lichſte Stellung bringen, unfere ganze Thätigfeit lähmen und Chri-
ftine weit bebentliher gefährden müſſen. Deshalb beichlofien wir,
die Geltebte heimlich, aber unabläffig zu bewacen ‚und vor Allem
Me Anftalten des Mannes genau zu beobachten, ber ſchon mehr
als einem Mädchen das Herz gebrochen, ihr Lebensglüd zerftört hat.
Nennen Sie den Namen dieſes Mannes, unterbrach Hier
Heldenfrei den ruhig Sprechenden, nennen Ste ihn ohne Furcht,
wenn Ste erforderlihen Balls auch beſchwören können, daß Ste
nur die Wahrheit fagen.
Jener Mann, den Chriftine mehr zu fürchten, mehr zu flie⸗
ben hatte, als jedes andere dem Menfchen beichtevene Unglüd,
heißt Don Alonfo Gomez.
Wirklich Don Gomez? fiel Eduard ein.
Ich vede nur die Wahrheit, fuhr Miguel fort, und id
werde. eines Tages wie ich hoffe, den Beweis führen, dag ich nur
Wahres gefprochen habe. Jetzt bin ich leider noch nicht im Stande,
dies thun zu können. Sie müflen mir glauben. Können ober
wollen Ste dies nicht, fo iſt al mein Mühen umſonſt.
Erzählen Ste weiter, ſprach der Rheder, der mit größter
Spannung den ferneren Erzählungen des ihm immer Intereflan-
ter und bedeutender werdenden Matrofen zubörte,
ee
— 293 —
Don Alonfo Gomez, fuhr Miguel fort, Hatte faſt gleichzeitig
mit mir Die Tiebreizende Tochter dieſes Mannes von Angeficht. zu
Angefiht Tennen gelernt. Er entbrannte zu ihr in leidenſchaftli—
her Liebe, wenn Liebe nichts Anderes ift, ald der Wunfch nach
Befriedigung lebhaft begehrter Genüffe Als ich dieſe Entdeckung
machte, bangte mir für Chriftine, deren Unerfahrenheit den feinen,
einjchmeichelnden Künften des reichen Mexikaners mit feinen vielen
beftehenden Eigenſchaften Leicht unterliegen Eonıte. Mein Freund
Andreas, dem ih mich rückhaltlos anvertraute und hinreichende
Mitthetlungen über die Vergangenheit und den wahren Character
des Mexikaners machte, theilte meine Beforgniffe und ficherte mir
uneigennüßig feine Unterflügung zu.
Ohne uns perfänlich irgend Jemand aufzudrängen, beobadhtes
ten und überwachten wir die Schritte dieſes gefährlihden Mannes,
und feines Vertrauten, des liſtigen und babei gewifjenlofen Mafter
Papageno. Es würde mir leicht fein, eine Lifte über bie tägli-
hen Zerftreuungen vorzulegen, denen ‘Don Gomez fi überließ. Sie
verfolgten mehr oder weniger nur das eine Ziel: Mannigfaltigfeit
des Genuffes und Anreizung zu neuem Amüfement. Chriſtine
ward nebenbei nicht aus den Augen verloren, um aber fiher zu
gehen, erlaubte fih der berechnende Mexikaner, die Aufmerkſamkeit
Aller anderswohln zu leiten. Nähere Andeutungen in biefer Be—
ztehung zu geben, dürfte überflüflig fein.
Unferm fortwährenden Spüren fonnte es nicht entgehen, daß
Mafter Papageno wiederholt geheime Befprehungen mit einigen
Fremden hatte, deren Charakter uns verborgen blieb. Auch machte
er Ausflüge von mehreren Tagen, desen Ziel wir ebenfalls nicht
ermitteln konnten. Andreas erfuhr die Vorbereitungen zu hiefem
glänzenden Familienfeſte In diefem Haufe, felbit die Namen der
bei den Borftellungen Mitwirkenden vermochte er zu ermitteln.
Mir fiel es fogleih auf, daß Chriſtine unter dieſen jo auffallend
bevorzugt warb und ich ſchöpfte Verdacht. Beſtärkt wurde ich darin
durch einen Meinen Nahen, der mehrmals fpat Abends langſam
die Kanäle befuhr, immer aber . wenige Käufer oberhalb des der
.
— 294 —
Familie Hetdenfrei zugehörenden wieder umkehrte. Den Führer
dieſes Nachens kannte ich nicht, ich bemerkte aber fehr deutlich,
bag er die Tiefe des Kanals an den feichteften Stellen erproben
wollte. Ä
Wozu, fragte ich mich, follen diefe nähtlihen Fahrten dienen?
Mas bedeutet das Erforfhen der Waffertiefe? Ich ging weiter
und ſah in ber Fluth- und Ebbetabele nad. Da fand ih, daß
in der Nacht des zum Zelte beftimmten Tages bald nad Mitter-
nacht Halbebbe, um drei ein halb Uhr aber das Wafler völlig ab⸗
gelaufen war. Bet Windftille oder öſtlich wehendem Winde mußte
dann der Boden des Kanaled ſchon vor drei Uhr troden Iiegen,
wehte ed aus Welt oder gar aus Norbweit, fo konnte in biefem
Falle der Kanal von einer leichten Jolle allerdings noch zu be=
fahren fein.
Andreas war feſt überzeugt, daß Don Gomez eine Entfüh-
rung Chriſtinens beabfihtige. Sein Vorfhlag ging nun dahin,
biefen Streih durd eine gelegte Falle zu vereiteln. Unſere Abe
fiht war, die Entführung wirklich gefhehen zu laſſen, dann aber
bie zitternde Chriftine zu befreien, die Räuber zu binden und im
Triumph mit unferer fchönen. Beute mitten in das Haus der
Freunde zurüdzuführen. Gelang diefer Anfchlag, woran wir gar
nicht zweifelten, fo mußte durch die ergriffenen Entführer ber ei-
gentlihe Anftifter der ſchlimmen That fi Leicht ermitteln Lafien,
und war dies erreicht, dann ftand Don Gomez entlarst ba und
ich konnte gegen ihn auftreten und Genugthuung von ihm fordern.
Ich erreihte Damit ein doppeltes Ziel: Ih nahm Rache an mei-
nem Feinde und eroberte mir, wenn nicht den fofortigen Befig
der Geliebten, doch jedenfalls das Recht, um Chriftinens Liebe
werben zu bürfen, was ihre Eltern ſchon deshalb zugegeben haben
würden, weil die Papiere, In deren Wiederbeſitz ich durch Die Ent-
larvung des Mexikaners zu kommen hoffte, aus dem armen DMa-
teofen Miguel einen begüterten Mann, Namens Don Pueblo y
Miguel Saldanha werden Iteßen.
Don Pueblo y Miguel Saldanha? riefen wie aus einem
— 295 —
Munde der Rheder und feine Söhne in höchſtem Erſtaunen aus,
über diefe völlig unerwartete Entdeckung ganz außer Faſſung ge=
bradt. Miguel konnte fi eines leichten, wohlgefälligen Lächelns
nicht enthalten.
Ich führte, wie ich glaube, fuhr er ruhig fort, felt vier Jah⸗
ren diefen Namen mit vollem Recht, als es aber diefem Don Go-
mez, meinem ärgflen Feinde, der mih haßte, noch ehe ich ihn
Fannte, gelungen war, mich zu berauben ober berauben zu laflen,
um durch mein Eigentbum das feinige noch zu mehren und mid
in das Elend mittellofer Armuth zu floßen, weil er eine gewifle
Scheu vor dem Blutvergießen hat, konnte mir ein fo Mangvoller
Name nichts mehr nützen. Ih gab ihn auf, befiere Zeiten erwar-
tend und den Räuber meines Eigenthbums als lebendige Nemefis
verfolgend. Ohne den Wunfh nad Rache, nach Wiedervergeltung
würde ich meinen Freund Andreas nie gefunden, würde ich biefe
Stadt nie betreten, das Himmelsauge Ghriftinens nie erblidt
haben.
Heidenfrei erhob ih. Er war fo erregt, daß er den jungen
Mann bat, eine Pauſe zu machen. Nicht weniger ergriff die Nen—
"nung dieſes Namens Eduard und Ferdinand. XTreufreund blieb
äußerlich am rubigften. Gr betaftete fi, bisweilen den Scheitel,
als beforge er, es fet nicht Alles mehr am rechten Plake und jah
dann unverwandt ben jungen Fremdling an, der ihm mit jeder
Minute merkwürdiger ward, |
Endigen Ste jetzt, wenn id. bitten darf, fprad der Rheder,
als er den Eindruck vollftändig bewältiget hatte, und nahm feinen
vorigen Pla wieder ein. Haben Ste die Wahrheit gejagt, dann
bleibt auch zwifchen uns noch viel Wichtiges, ja wohl das Wid-
tigfte, das es überhaupt geben Tann, zu erledigen. Es wäre fu-
perbe!
Jetzt war das Erftaunen auf Miguels Seite. Die Worte
bes Rheders klangen ihm fo räthjelhaft, daß er fie gar nicht zu
deuten wußte; denn was konnte er, der Fremde, einer andern
Hemiſphäre Ungehörende, Wichtiges mit dem ihm gänzlich unbe⸗
— 196 —
fannten, reichen Rheder der großen deutſchen Handelsſtadt zu be=
fprechen, zu erledigen haben? Der nochmaligen Aufforderung Hei⸗
denfrei's folgend, begann Miguel auf's Neue:
Gegen zehn Uhr an jenem verhängnißvollen Novemberabende
bemerkte ih eine Jolle, von zwei Mann geführt, in den Kanal
gleiten. Ruberihläge hörte ih nicht, denn der einzige Ruderer,
welcher die Jolle vorwärts trieb, hatte die Riemen ummidelt. Dies
fteigerte meinen Verdacht zur Gewißheit. Ich fehte fogleih An—
breas von dem Geſchehenen in Kenntnis, der als Wachthaltender
unter den neugierigen Gaffern auf der Straße der Ankunft der
zum Feſt Geladenen zuſah. Andreas hatte Don Gomez zugleich
mit Maſter Papageno eintreten fehen. Erit wenige Minuten vor
meiner Ankunft hatte der Mulatte das Haus wieder verlaffen, in
einen weiten Regenmantel gehüllt, den er irgend einem Andern
entlichen haben mußte, denn er trug nie zuvor einen ähnlichen.
Wir waren von jept an überzeugt, daß irgend ein Schelmen-
reich ausgeführt werden follte und zwar von der Waflerfelte aus.
Diefer Anſchlag zeugte von Klugheit und ließ fih nur dann verhin-
dern, wenn bereit Andere davon Kunde erhalten hatten, Wäh—
rend Andreas feinen Wachtpoften vor dem Haufe behielt, eilte id
an den Hafen. In einem mir bekannten Keller, wo viele See—
feute verkehrten, wartete meiner der Malaie Macs FJong-Kin, ein
fhlauer, gewandter, ungewöhnlich fräftiger Burjche, der vor meh—
reren Wochen Händel mit dem Mulatten gehabt hatte und ihm deshalb
nicht wohl wollte. Diefer follte uns behilflich fein, wenn die Zeit
gefommen fein würde, den frechen Räubern ihre Beute abzujagen.
Nachdem auch diefer genügend inftruitt war, begab ich mich aber-
mals zu Andreas und ging mit diefem an die Mündung des Ka-
nals, wo wir den Malaien bereits unferer harrend fanden. Gin
ftarfes, feites Boot fhaufelte auf dem dunkeln Gewäller, das vor
‚ dem heftigften Weftwinde aufrollend, ſchäumte und brauffte Im
Schutze einer Brüde legten wir uns auf bie Lauer, feit entſchloſſen,
. unfern Feind ruhig vorüberfahren zu laſſen.
Es kam Alles, wie wir vermuthet hatten. In unferm
— 297 —
Boote liegend erkannte ich den Mulatten, der Chriſtine hielt und
ihr eine dichte Kapuze über den Kopf geſtülpt hatte. Die Arme
wimmerte flehentlich. Das Steuer führte ein wüſter Amerikaner,
derſelbe Mann, der Don Gomez bei ſeinem gegen mich verübten
Schurkenſtreiche hilfreiche Hand geleiſtet. Ein Matroſe von der
Brigg Greatſtring's, die zwei oder drei Tage früher elbabwärts
geſegelt war, ruderte.
Unſer Anſchlag wäre ohne Frage geglückt ohne die Unvor⸗
fichtigkeit des Malaien. Als wir nämlich noch Innerhalb des Bin⸗
nenhafens an die Jolle heranfahren, ſie feſthalten, ich Chriſtine bei
Namen nenne und ihr Muth zurufe, ſpringt der Malaie aus un
ferm Nahen in die Folle, ſtürzt fih auf Mafter Papageno und
will diefen niederwürgen. Das Unglück will, daß er auegleitet,
in die Wellen ftürzt und auf der Stelle unter die vielen daſelbſt lie⸗
. genden Schuten getrieben wird. Bet Ausgang bes Winters ward
ein unfenntlich gewordener Leichnam auf Krautfand ausgeworfen
— es wird dies wahrfiheinlich der Körper des unglüdliden Ma⸗
laien gewejen fein.
Diefer böſe Unfall änderte fofort unfere Situation und
. brachte uns in Nachtheil. Wir wurden überwältigt, eht wir recht
zur Belinnung Tamen. Andreas, das geraubte Mädchen und Pa-
pageno landeten an einer Spelunfe, wo einige Helfershelfer bereit
ftanden, fie weiter fortzufchaffen. Ich felbit blieb in den Händen
des Amerikaners und feines Untergebenen. Es war ihm ein Leich—
tes, in feiner eigenen Jolle Blantenefe mit mir zu erreichen. Dort
vertaufchten wir den Nahen mit einem größeren Küftenfahrer, leg:
ten bei Glüdftadt an und pilgerten jeßt zu Fuße durch die Marſch
weiter. Noch einmal winkte mir das Glück. Die erweichten Marfch-
wege erjchwerten das Gehen. Ich wollte entfliehen — es entfpann
fich zwiſchen Greatfiring und mir ein verzweifelter Kampf. Unfer
Geihrei, dag wir theils aus Wuth, theils auch aus Angft halb
unbewußt ausſtießen, rief einige Marfchbauern herbei. - Diefe, bie
mid; eben fo wenig veritanden, wie ich fie, glaubten dem Ameri⸗
taner, Halfen mich binden und brachten mid an Bord der ameri⸗
— 298 ——
kaniſchen Brigg. Zum Glück rannte das Fahrzeug fpäter bet Hel-
goland auf; ich betrat die Felfeninfel und entfloh, nachdem ich die
Wachſamkeit Greatfiring’s durch erheuchelte Harmlofigfeit einge-
ihläfert Hatte, mit helgolander Lootſen glüdlih den Händen dieſes
gewiflenlofen Mannes, Was fpäter gefihchen tft, wiſſen Sie.
Es trat jet eine längere Paufe ein, in welcher der Rheber
tafh im Zimmer auf» und abging. Dann Öffnete er einen Se—
eretair und, entnahm biefem einen Brief, welden er vor fih auf
den Tifh legte. Jacob hatte bisher, fchweigend zugehört. Die
Angft des Vaters um fein Kind entlodte ihm jebt die Frage:
Bon meinem Kinde wiflen Ste wohl nichts, Kleber Herr?
Diefelbe Frage ſchwebte mir auf den Lippen, fiel Etuard ein.
Was wir bisher von Ihnen hörten, läßt uns erwarten, daß Ste
fid fireng an die Wahrheit gehalten haben, wir find aber wenig
gebeflert, Fönnen wir dieſem Manne, ber durch und für uns ge=
fitten hat, nicht fein Kind fret und rein in die Arme legen.
3ch Hoffe, Ste auch in dieſer Beziehung zufrieden ftellen zu
fönnen, erwiderte Miguel, Zwar weiß ich nicht, wo Ghriftine ver-
borgen gehalten wird, ich habe jedoch Grund anzunehmen, daß es
ihr wohl ergeht, daß fie nur der Freiheit entbehrt und daß fie alle
Anträge des Mexikaners mit Verachtung abgewieſen hat. Es würde
dies viel ſchwieriger geweſen fein, hätte fie ganz allein dageſtanden.
Der mit ihr fortgefchleppte Andreas aber war Flug genug, bas
unglüdlihe Mädchen nicht zu verlaflen, und fo feheiterte jeder fer⸗
nere DBerfud, die Entführte Don Gomez zu überantworten.
Wenn fie diefe Einzelnheiten in Erfahrung brachten, wie kam
e6, daß Ihnen der eigentlihe DVerftel des armen Mädchens ver-
borgen blieb ? fragte Ferdinand mit einiger Verwunderung.
Greatſtring, in deſſen Geſellſchaft ich ſo lange gezwungen
weilen mußte, verſetzte Miguel, ward bisweilen von Grillen geplagt,
die er am liebſten durch ſtarke Getränke vertrieb. Hatte er eine
gewiſſe Quantität derſelben zu ſich genommen, ſo ward er mit⸗
theilſam oder er verfiel in die für einen Menſchen, der Geheim⸗
niſſe in ſeiner Bruſt verſchließt, gefährliche Gewohnheit, laut mit
— 299 —
ſich ſelbſt zu ſprechen. Theils aus dieſen lauten Plaudereten des
Amerikaners, den ich in ſolchen ſchwachen Stunden belauſchte, theils
aus brockenweiſen directen Mittheilungen erfuhr ich, was ich bereits
angebeutet habe. So weit jeboh, daß er den Ort des Verſtecks
ausgeplaubert Hätte, vergaß er fi merkwürdigerweiſe nie. Diefen
indeß zu ermitteln, dürfte nicht ſchwer fallen. —
Wie! Ste glauben? unterbrach Hetdenfrei den jungen Mann.
Ich gelobe Ihnen den dritten Theil meines mühſam Erſpar⸗
ten, fagte Jacob, wenn Ste mir Chriſtine, meine liebe Herzens⸗
tochter, wieder zuführen. ”
Ich werde Ste an Ihre Dankbarkeit erinnern, verfebte Mi-
guel, für eine Handlung der Gerechtigkeit und Humanität aber
laſſe ih mid niemals bezahlen.
Was gedenken Ste zu thun? fragte der Rheder.
Don Gomez verkehrte einige Male mit einem jüdiſchen Han
delsmanne, ſprach Miguel, dem er manderlei alte Sachen, unter
Andern auch feine koſtbaren, veih mit Silberſtickerei verzierten
Kleider verkauft Hat. Diefer Mann tft von Natur weder gut
noch ſchlecht, aber er macht gern, wie viele andere Menfchen mehr,
einträglihe Geſchäfte. Die Natur folder Gefhäfte, mit denen man
ihn beehrt, Tümmert den praftifhen Mann nicht, wenn er fi
ſelbſt nur einigermaßen den Rüden frei halten Tann, die Haupt
ſache für ihn iſt immer bie, ob das Geſchäft viel oder wenig ab-
wirft. Der nämlide Dann fteht auch in fofern mit Greatiiting
in Verbindung, als er diefem, wie hundert Andern Geld vorſchießt,
oder verfhafft, oder ihnen Waaren zu doppelten Preiſen aufdringt.
Mer ihn gut bezahlt, dem dient ber gefällige Mann. Ich ſelbſt
tenne ihn oberflählih. Sein Name tft Mofes.
Superbe! ſprach hocherfreut Hetbenfrei, Dies tft in der That
ber richtigfte Wegwelfer zu Chriſtinens Verſteck. Es bleibt nichts
übrig als Mofes zu rufen, durch Gelb zu gewinnen und ihn da⸗
hin zu bringen, daß er auf geſchickte Weiſe von Don Gomez oder
beffen vertrautem Diener zu erfahren fucht, wo das arme Mädchen
gefangen gehalten wird.
ES
— 300 — "
Die Brüder ftimmten diefer Abficht bei und ſprachen vereint
mit dem Vater Miguel ihren, Dank für die wichtigen Entdeckun—
gen aus, bie er ihnen gemacht hatte. Jacob fehlte es an Worten.
Er war zu heftig erfehlittert, um viel fprechen zu können. Dafür
brüdte er dem jungen Manne, den er fo lange für feines Haufes
gefährlichftien Feind gehalten hatte, wieder und immer wicder die
Hand und ſchlang fogar fhmeihelnd ein paar Mal feinen Arm
um Miguel, als wolle er ihn recht warm und innig fi an’s
Herz legen.
Treufreund allein war bisher faſt bewegungslos geblieben.
Er ſah unverwandt den Sprehenden an, deſſen Stimme in fei-
nem. Herzen wunderbare Ahnungen wach rief, und je länger er bie
befeelten Züge des jungen Mannes betrachtete, deſto feltiamere
Gedanken fliegen in ihm auf.
Aus diefen träumertfhen Grübeleten wedte ihn bie frage
Heidenfrei's, der inzwiſchen leiſe mit feinen Söhnen geſprochen
hatte: . "
Was tft Ihre Anfiht Lieber Treufreund? Wenden wir uns
direct an den jüdischen Händler, oder wäre es vorzuziehen, Dies
durch eine Mittelöperfon zu thun?
Veberlaffen Sie mir dies Gefhäft, fiel der ehemalige Bud
halter lebhaft ein. Mit diefen Leuten verftehe ih von früher her
fehr gut umzugehen. Mid kennt der Mann nicht, faßt alſo auch
fehmerlih Verdacht, und überdies glaube th, bringe ich ben geld—
liebenden Händfer für nahe um den halben Preis der Summe,
welche das Haus. Peter Thomas Heidenfrei zahlen müßte, eben
fo gern zum Spreden.
Superbe! So fet es, bekräftigte Heidenfret. Zögern Ste
aber nicht, lieber Treufreund! Ste wiffen, Zeit tft Geld, manch⸗
mal auch noch viel mehr. Mich dünkt, Sie thäten am Bellen,
wenn Sie nod heute Abend dem Sfraeltten einen freundfchafte
lihen Beſuch abftatteten.
Ich made mich fogleih auf den Weg, fagte der dienſtwillige,
alternde Herr, weil ich aber bei Abend fchlecht zu Fuße bin, be=
— 301 —
fonders in. ber eigentlichen Dämmerung, Fönnte mid Jacob viel-
leicht-eine Strede begleiten.
Nicht mehr ale gern, fagte diefer eben fo bereitwillig. Vor⸗
läufig find wir ja wohl am Ende, und wenn Herr Heidenfrei —
Geh’ nur, geh’, Jacob, unterbrach ihn der Prinzipal, Deine
Angelegenheit ift jeßt in guten Händen, und wer weiß, ob aus
der ſchweren Trübfal, die unvermuthet über dih Fam, nicht eben
fo unvermuthet eine noch ungleich größere Freude erblüßt. Die
Wege des Herrn find oft wunderbar!
Einige Minuten fpäter ftand der Rheder mi feinen Sätnen
dem Matrofen Miguel allein gegenüber. |
Eilftes- Rapitel, |
Miguels Jugendſchickſale.
Wir ſind Ihnen zu Dank verpflichtet, junger Freund, redete
Heidenfrei den Matroſen jetzt wieder an, und Sie dürfen verfichert
ſein, daß wir es nicht blos bei leeren Worten werden bewenden
laſſen. Eine genauere gegenſeitige Bekanntſchaft kann nur dazu
dienen, uns feſter zu verbinden. Sie äußerten im Verlauf Ihrer
Erzählung, daß Don Gomez Ihr perſönlicher Feind ſei, daß Ih—
nen das Recht zuſtehe, einen andern Namen zu führen. Halten
Sie es nicht für ungebührende Zudringlichkeit, wenn ich und
meine Söhne die Bitte an Sie richten, uns Näheres über Ihre
Vergangenheit, über Ihr Verhältniß zu Don Gomez mitzutheilen.
Vor Allem veranlaßt uns zu dieſer Bitte der Name, den Sie
führen, er gibt uns ſogar ein Recht dazu; denn dieſer Name iſt
ſchon geraume Zeit der Gegenſtand angeſtrengter, leider aber bis
jetzt erfolglos gebliebener Nachforſchungen geweſen. Jedenfalls
find Sie diejenige Perſon, welche am ſicherſten Nachweiſe geben,
vielleicht uns ganz neue Ausfichten eröffnen kann.
— 302 —
Miguel Hatte bdiefer Anrede mit fleigender Aufmerkſamkeit
zugehört. Es überrafchte Ihn, daß fo fern von feiner Helmath
ein brfanntes Handlungshaus jeinen Namen kannte, indeß war
ja fein ganzes Leben ein folder Knäuel feltiamer Ereigniffe, Schid-
fale und Abenteuer, daß er es nit lange wunderbar fand. Nur
griff er ungern zurüd in das wüſte Chaos der Vergangenheit,
weil diefe ihm felbft unheimlih vorfam, ‚und der Gedanke, daß
er dazu genöthigt. werde, trieb ihm das Blut in's Gefiht und
machte ihn faſt ſchamroth.
Ich werde die Herren längere Zeit um Gehör bitten müſſen,
verſetzte Miguel, wenn ich fie, ſoweit ich dies überhaupt vermag,
in den Wirrniffen meiner Vergangenheit umberführen fol.
Gerade diefe Wirrniffe wünfhen wir Tennen zu lernen, ſprach
Ferdinand. | |
Darum zögern Ste nicht, fiel Eduard ein. Sie haben
ein dantbares, aufmerkſames Aubitortum vor fih, und find wir
erit eingeweiht in Ihre Lebensichidfale, dann iſt e8 uns vielleicht
vergönnt, diejenigen Partieen, die Ihnen ſtets dunkel geblieben
find, durch unfere Mittheilungen zu erhellen.
So aufgefordert und ermahnt fland Miguel nicht an, feine
Zugendgefcichte dem Rheder und deſſen Söhnen, In fo welt er
fie ſelbſt kannte und feine Erinnerung ihm treu geblieben war,
zu erzählen.
Das Land und ben Ort meiner Geburt habe ich eben fo
wenig gefannt, als meine Xeltern, fprad er. Ich bin früh, als
Kind von wenigen Wohen jhon zur Walfe geworden. Wer mid
gepflegt, mic aufgezogen hat, weiß ich nicht. Nur wie im Traum
ſchwebt mir eine endlos Tange Reife vor, die ih in Begleitung
eines Mannes machte, in welchem ich fpäter meinen Oheim ken—
nen lernte Ih muß damals ein Kind von höchſtens drei Jah—
ren gewefen fein. Bon den Mühen und Strapagen biefer Reife,
die über Hohe Gebirge, dur endlofe Waldungen, über fonnver-
brannte Ebenen führte, weiß ich natürlich nichts, wohl aber ha⸗
ben fi einzelne Momente, die dem Kinde von befonders hohem
— 303 —
Intereſſe gewefen fein müſſen, unaustöfchlih meinem Gedächtniß
eingeprägt. Darunter - zähle ih den Ritt durch eine in Rauch
und Flammen gebüllte Savanne, einen Kampf, welden mein
heim mit zwei bunt bemalten Indianern glüdlih beftand, einen
Bewitterfturm, der und in offenem Kanos auf einem feeartigen
Strome überfiel, endlich die Reife auf einem Segelfchiffe über ein.
weites Meer und die Landung im Hafen einer volfreihen, von
Menfhen aller Racen bewohnten Stadt. Ich vermuthe, daß jene
Stadt New-Orleans, das weite Meer der Golf von Meriko ger
wefen if, und daß ih mit meinem Oheim aus dem Innern
Brafiltens nach ben Vereinigten Staaten Nordamerika's fon in '
jo früher Jugend gekommen bin.
Kennen Ste den Namen Ihres Oheims? forfchte der Nheder.
Ih. hörte ihn nie anders, ald Don Ottavio nennen und
nannte ihn auch felbft fo. Dttavio mußte viel Trübes erlebt ha⸗
ben und, was ih aus einzelnen Aeußerungen erft fpäter fchloß,
in Folge wahrjheinlih eines furchtbaren Ereigniffes, das unſere
Familie traf und wobei meine Aeltern das Leben verloren haben
mögen, Rettung ‚in ſchleunigſter Flucht gefuht haben. Mein
Verhältnig zu Ottavio war übrigens eigenthlimlih genug. Er
Itebte mich zuweilen leibenfhaftlih und überjchüttete mich dann
mit Lieblofungen, gab mir die ſüßeſten Schmeichelnamen; mieber
anders geſtimmt, zeigte er eine unverholene Abneigung gegen
mich, die fogar momentan in ausgefprocdenen Haß überging. Ob
er Grund dazu hatte, ob fein Charakter aus fo grellen Wider:
ſprüchen beftand, konnte ich nicht ermitteln, ich bin aber vollfom-
men überzeugt, dag er mih nur in einer fo haßerfüllten Stim-
mung des Augenblids gänzlich verftieß, mich für eine Summe
Geldes, die ihm damals gerade fehr zu gelegener Zeit angeboten
warb, einem reihen Pflanzer in Teras, wohin fih mein Oheim
fhon wenige Monate nach unferer Ankunft in Louifiana mit mir
gewandt hatte, gewiffermaßen als Sclaven verkaufte.
In Teras? fagte Eduard. Seltfam, feltfam!
— 304 —
Verließ Ste denn Ihr helm für immer und hörten Sie
nte wieder von ihm? fragte Hetdenfrei den jungen Mann.
Ohne Abſchied zu nehmen, ging er von mir, fuhr Miguel
fort. I wußte nicht einmal, daß th meine Freiheit verloren
hatte, dag ih der Willkür, den Launen eines mir gänzlih Frem—
den machtlos verfallen war. Wir Iebten ſchon ein paar Jahre
auf der Pflanzung des Don Romerio Gomez, eines fehr begüter-
ten Mannes, dem mein Oheim ſich nützlich machte. Gin bis zweis
mal des Jahres befuchte ihn deſſen Goufin, ein Mertlaner von
Beburt, der vor früheren Jahren reich gewefen war, ein unge-
mein verſchwenderiſches Leben geführt und erſt fpät ſich mit einer
fhönen Dame aus dem Alteften Adel Mexiko's verhetrathet hatte.
Diefer Ehe war ein einziger Sohn entiprungen, der von beiden
Eltern Überzärtlich geliebt, aber auch maßlos verzogen ward. Gr
Iebte mit der Mutter in Mertko, denn aller Liebe der beiden Gat°
ten ungeachtet, fiheinen fie vereint doch, Fein fehr friedliches Leben
mit einander geführt zu haben. Diefer Merifaner, den ich immer
nur Don Gonfalvo Gomez nennen hörte, verjprad feinem Wetter,
Romerto, das kleine Beſitzthum, welches er bewohnte, Bet feinem
Kode ihm abzutreten, was aud kurz vor meinem Wegzuge aus
Terga geſchah. Den Sohn diefes Mannes, Alonfo, ſah th nie,
deſto mehr hörte ich fchon Damals von ihm. Es iſt derfelbe, den
Sie gegenwärtig als Don Alonfo Gomez fennen, und ber alles
Glück, das er bis jebt hatte, nur feinem elaftifhen Geifte, feiner
Kedheit, feinen glänzenden Naturanlagen dankt.
Wie konnten Ste mit diefom Manne, der ja Teinerlet Snter-
effe für Sie Hatte, in Feindſchaft gerathen? fragte Heidenfrei.
Veranlaſſung dazu hat Don Romerto Gomez gegeben. Die-
fer Dann, dem ich aus meiner Abneigung gegen ihn nie ein Ge-
heimniß machte, weil ich es thm nicht verzeihen Tonnte, daß er
mih gekauft hatte, betrachtete mich als fein Eigenthum. Ale
Sache gehörte ich gewiffermaßen zum Inventar der Pflanzung.
Nun aber feste ich allen feinen Befehlen eine ſolche Widerſt ands⸗
fraft entgegen, daß Don Romerio mehr Aerger, Verdruß und
——n |
— 305 —
da
Schaden ald Nuben von mir hatte. Sch wollte ihn dadurch er⸗
zürnen, ihn, zu einer Gewalthandlung veranlaffen, denn das Leben
war mir zur Laſt und ber Tod damals Tieber als eine Eriftenz
unter Sclaven. Ottavios Lehren trugen in diefer Beziehung bet
mir gute Früchte. Gr prägte mir fort und fort ein, der Menſch
müfle fi von Niemand unwürdig behandeln laſſen, gejchähe es
dennoch und könne man im Augenblide nichts dagegen thun, fo
müfle man fpäter Rache dafür nehmen. So habe er gehandelt,
fet aber freilih durd andere Unglücsfälle in eine mißlihe Lage
gefommen. Meinem ftarf entwidelten Unabhängigfeitsfinne behag-
ten diefe Grundfäge, und da ed mir nicht möglich war, Rache zu
nehmen an dem eigentlihen Urheber meines damaligen Elendes,
fo ließ id e8 den entgelten, der ohne Frage das Meiſte mit ba-
zu beigetragen, meinen Oheim zu dem Schritte, den er gethan,
zu verleiten.
Sicherlih bin ih dem Manne dadurch Täftig geworben, wes—
halb er mich auf gute Manier los zu werden fuchte. Gelegen-
heit dazu fand fih bald. in Schiffsrheder und Plantagenbefiker
auf Cuba, der dann und wann New-Orleans und einige Küften-
firiche von Texas beſuchte, Fam zufällig auf bie Pflanzung des Don
Romerio Gomez. Er ſah mih und ich geflel ihm, vielleicht ge=
rabe durch men flörrifhes Weſen. Er drang in ben Pflanzer
mid frei zu geben, er, der Schiffsrheder auf Cuba, wolle einen
Seemann aus mir mahen. Beide Herren einigten fih, unter
welhen Bedingungen, das kümmerte mich nidt. Ich war froh,
einer tyrannifhen Behandlung entriffen zu werben und ſchloß mid
beshalb mit einer meinem Charakter von Natur nicht eigenen Un⸗
terwürfigfeit an meinen Befreier an, ſo daß biefer mich wahrhaft
Iteb gewann. Er forgte väterlih für meine ganz vernadläffigte
Erziehung, gab aber den Gedanken, einen Seemann aus mir zu
bilden, niemals auf. Er felbft liebte das Meer mehr als feine
Plantage, die er der Beforgung Fremder überließ. Auf feiner
Brigantine ſchwärmte er, fo oft es fi thun ließ, zwiſchen ben
Antillen, im mertlanifhen Golf, an den Küften Süd - und Nord-
D. 8, XL, Willkomm's Rheder und Matroſe. 20
— 306 —
amerifa’8 umber, und war er auch fein zuverläffiger Seemann,
fo nahm er doch jederzeit die Miene eines ſolchen ay und hatte
das feltene Glück, daß Fein Sturm, feine no fo rafende See
nachtheilig auf feine Gejundheit wirkte. Wie hätte ich einen fol-
hen Mann, der wohlwollend von Gefinnung, gebildet, nad grö«=
ßerer Bildung ftrebend, dabei reich war, an mir hing, mich ſtets
bevorzugte und auszeichnete, nicht wieder lieben follen? Don
Pueblo y Miguel Saldanha ward mir Vater, ih ihm Sohn.
Er bejaß keine Kinder und als er flarb, vom gelben Fieber hin⸗
gerafft, ernannte er mich zu feinem Untverfalerben. Schon vier
Jahre früher hatte er mich geſetzlich aboptirt.
Diefer Unglüdsfall ereignete fih an der Küfte von Texas,
nahe bei der Inſel Galvefton. Kurz vor feinem Tode Hatte mir
mein Wohlthäter die betreffenden Papiere eingehändigt, die mid
als Erben legitimirien. Etwas früher war auch mein früherer
Gebieter in Teras, Don Romerio Gomez mit Tode abgegangen.
Auf der Pflanzung deffelben lebte feit einigen Jahren fein Ver⸗
wandter Alonfo Gamez, deſſen Vater ebenfalls verftorben war, vor⸗
her aber feinen Sohn zu fi gerufen Hatte. Ob Don Romerio
diefem Verwandten jeine reihe Pflanzung wirklich vererbte ober
ob der unternehmende junge Dann nur auf Ummwegen deren Bes
fig fi aneignete, mag dahin geftellt bleiben. Ich Iernte ihn zu⸗
fällig tennen, noh während mein Aboptivvater lebte. Gefprächs-
weife erfuhr er mein früheres Verhältniß zu feinem Better. Zum
Unglüd findet der fede Menih unter den Papieren bes verftorbe-
nen Don Romerio den Kaufbrief, kraft deſſen ich deſſen Eigen-
thbum geworden war. Dies flachelte den nah Reichthum Tüfternen
Mann an, feine Anſprüche auf mich geltend zu machen. Meines
Adoptivvaters Verhältniſſe waren befannt, der ſchlaue Mexikaner
wußte, daß außer fruhtbarem, großen Länderbefib aud ein be-
trächtlihes Baarvermögen vorhanden ſei. Ginen Theil deffelben
führte mein Wohlthäter mit fih und ich erbte es zugleich mit ſei⸗
nem übrigen Eigenthum.
Eines Tages, ich wollte eben bie Anker lichten und nach Cuba,
— 307 —
meiner nunmehrigen Heimath unter Segel gehen, erhalte ih ein
Billet, deflen Inhalt mich veranlaßte, nah New-Orleans zu rei—
fen. In demfelben zeigte mir nämlih Don Alonfo Gomez an,
daß er mir eine Mittheilung von größter Wichtigkeit für mic zu
maden habe. Arglos reifte ich nach New-Orleans, meine Papiere
und mein Vermögen mit mir nehmend. Ich finde Don Gomez,
ber außer feinem Mulatten noch einen fhlauen Amerifaner, Ma⸗
ſter Greatftring, bei fi hatte. Lachend zeigte er mir den gefun=
denen Kaufbrief, der von Ottavio unterzeichnet war und mich auf
Lebenszeit Don Romerio Gomez und deſſen Erben als Gigenthum
zuſprach.
Iſt das nicht luſtig, Sennor? ſagte höhniſch lächelnd Don
Alonſo. Wenn ich Gebrauch davon machen wollte, müßten Sie
mir als Sclave dienen. Das Recht dazu habe th. Ich denke
aber, wir vergleihen und. Ste find reich und willen am Ende
nit, was Sie mit Ihrem großen Vermögen anfangen follen.
Mir wäre mit einigem Zufhuß gedient, denn mein Fieber Vetter,
Ihr Herr, hat in den legten Jahren nicht ganz gut gewirthichafe
‚tet. Willen Ste was? Dies. Stüd Papier hier, das mir Ste
erb= und eigenthümlich zufpricht,, zerreiße und verbrenne ich, wenn
Ste mir freiwillig und fogleih das baare Vermögen des veritor-
benen Pueblo y Miguel Saldanha ausliefern. Ss beträgt, Ih
weiß ed, nahezu an hunderttaufend Dollars.
Sp tft es, fagte Faltblüttg Greatitring, der in ächt amert-
kaniſcher Indolenz eins feiner Iangen Beine über die Stuhllehne
hängte und feiner Gewohnheit gemäß ein Stüd Holz in Splitter
zerfihnigelte.
Und das hier iſt amerikaniſcher Boden, nicht wahr? fagte
Don Alonſo.
Iſt ein Fact! bekräftigte Greatſtring.
Das Geihäft tft einfah, wandte fih Don Alonfo wieder zu
mir. Ein kurzes Ja Ihrerfeits macht Sie frei. Sprehen Sie
e8 aus,
20*
\\
— 308 —
Ich antwortete nicht, fondern kehrte dem frehen Manne ver-
ächtlich den Rüden.
Sie wollen nit? rief mir der Mexikaner nad.
Niemals! erwiderte ich.
Dann made ih Gebrauch von diefem Papiere und Ste wer-
den mir als gehorfamer Diener zu folgen das Vergnügen haben.
Das Geſetz wird mid, nicht Ste fhüben. Iſt amerikanifcher
Grund und Boden hier. Kntlaufene Sclaven werden ausge—⸗
liefert.
Iſt ein Fact! betheuerte abermals trocken der Yankee.
Auch auf dieſe Drohung gab ich keine Antwort. Ich verließ
den Ort unſerer Zuſammenkunft, ein Kaffeehaus nahe dem Hafen.
Es war ſpät am Abend, der Himmel bewölkt. Kaum war ich
einige hundert Schritte gegangen, ſo fühle ich mich von hinten
umſchlungen. Ich werde zu Boden geworfen — ich erkenne in
dem Manne, der mir die Hände hielt, Greatſtring, der Mulatte
entriß mir den größten Theil meines Vermögens und bemächtigte
ſich meiner Papiere. Darauf riefen mir Beide lachend gute Nacht
zu und überließen mid meinem Schmerz.
Ih war anfangs wie vom Donner gerührt, gab mid aber
doch noch nicht verloren. Noch befaß ih mehrere taufend Dol-
lars, die Brigantine war ebenfalld mein Eigenthum, allein, ohne
zuvor in den Beſitz der mir geraubten Papiere gefommen zu fein,
fonnte ich das rechtmäßig mir zufommende Erbe meines verftor-
benen Adoptivvaters nicht antreten. Von Don Alonfo wußte ich,
daß er Iuftig zu leben gedachte. Er hatte Monate in der Loui—
fiana verſchwelgt, fih verlobt, wollte heirathen und dann eine
Reife nad) Europa antreten. Im Befig reicher Mittel und met-
ner Papiere konnte er, feinem ganzen Charakter nah, diefen
Plan nicht aufgeben. Unverweilt ſchrieb ih, um ihn nicht aus
den Augen zu verlieren, an den wirklichen Gapitain der Brigan—
tine und zeigte ihm an, daß dringende Gejchäfte” mich möglicher-
weife Monate Tang In der Union zurüdhalten würden; er folle
deshalb nah Cuba feuern und dort meine Rückkunft oder weitere
— 309 —
Befehle abwarten. Dann verftete ih mid, beobachtete, über—
wachte jeden Schritt des Merifaners, und als die auch hier graf-
firende Seuche Don Alonſo die Braut geraubt und er. aus ‚Furcht,
gleihem Schickſale zu erlegen, fih auf dem hamburgiſchen Schoo⸗
ner einſchiffte, Tteß ich mich als überzähligen Matrofen aufnehmen,
Auf See trat ih wie ein Geift vor Don Gomez. Er erſchrak
zwar, feine Kedheit aber überwand ſchnell diefe Meberrafhung und
ald wären wir alte Belannte, er aber mir durch Geburt und
Rang hoch Überlegen, behandelte er mich oft übermüthig, gebehr-
bete fi) wie mein Herr und fuchte fih dadurch im nicht geringen
Reſpect bei der Schiffsmannfhaft zu feben.
Dies die Gefchichte meines Lebens, ſchloß Miguel feine Er-
zählung, dies die Urfache meiner ftillen, aber unermüdlichen Ver⸗
folgung des Mannes, den ich feines gegen mid verübten Unrechtes
noch nicht zu überführen vermochte. Ich werde aber nicht eher
ruhen, bis ich in Beſitz der mir entwendeten Paptere gekommen
bin. Das Geld fann mid nicht glücklich mahen. Ich habe es
nit erworben, warum follte ich mich grämen, daß ein Anderer
es raſch unter die Leute bringt? Ich opfere es gern, Tönnte ich
dafür nur die Liebe Chriſtinens mir erobern!
Es war ſpät geworden über diefen Mitthetlungen, welche bie
Zuhörer in immer größere Spannung verfeßten. Dann und wann
während Miguels Erzählung warf Heidenfrei einen Blick in bie
Briefe, die vor ihm Tagen, gegen das Ende hin aber ftedte er
diefe wieder zu ſich.
Idhre Offenheit, junger Freund, ſprach jet der Rheder zu
Miguel, fordert uns auf, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Sie
haben Biel und Schreckliches erlebt. Wielleiht aber waren alle
biefe wechfelnden Ereigniſſe, diefe Schickſalsſchläge nur Vorberei—
tungen zu einem ruhigeren, gefiherteren Dafein, das die Vorfehung
Ihnen beitimmt bat. Ste find uns durch ein wunderbares Zus
fammentreffen von Umftänden näher gerüdt, in gewiflem Sinne,
möcht’ ich fagen, verwandt geworben. Kehren Sie oft zu uns zu⸗
rück. Die Fragen, deren ich vorhin gedachte, werde ich nad eini«
— 310 —
gen Tagen an Sie richten. Mich dünkt, ſie können Ihnen nützen
und zu Fingerzeigen werben, bie Ihnen die Spuren Ihrer wirk⸗
lichen Abftammung auffuhen helfen.
Miguel wußte fih dieſe räthfelhaft Elingenden Worte nicht
zu beuten, gern aber gab er bie Zufage, wieder zu fommen; denn
auch in ihm feßte fi ber frohe Gedanke feſt und bildete fih aus
zum Glauben, daß die Zeit der fchwerfien Prüfungen überflanden
ſei und eine heitere, glüdlichere Zeit, ein von andern Sternen
erhellter Himmel feiner in Zukunft wartete.
Bwölftes Kapitel.
Ein Brief.
Mas mahft du wieder für ein Geflht! ſprach Ferdinand zu
David, als diefer mit einem ganzen Packen Briefe, die er von den
verfchtedenen Poſten abgeholt hatte, zurüdtam. Man follte meinen,
ber Teufel fei dir begegnet.
Wenn nicht er felber, war's wohl fein Schuhpuger, der mir
ben Weg kreuzte, verfeßte David brummend.
Wer?. fragte der junge Heidenfrei zerſtreut, bie Briefe for-
tirend.
Gott verdamm' mich, einer vom Stamme Ebbes z’handeln.
Berdinand lachte. Du biſt unverbefierlich, fagte er. Laß doch
Jedem das Vergnügen, auf feine eigene Wetfe Gefchäfte zu machen.
Wir handeln aud, wenn gleich anders.
Es iſt nicht das, es iſt der Geiſt, ben ich nicht Leiden mag.
Berdinand fuhr in feiner Beſchäftigung fort.
Wollte er dir altes Silber billig ablaufen?
Die Herren befuchen wollte der Mofes, verfeßte David, den
Ion des iſraelitiſchen Händlers nach Kräften nachahmend. Hat er
— 311 —
doch mitzutheilen den Herrn viel Graußes, viel Neues, worüber
ſich werden freuen und erſtaunen Alle ſehr.
Ferdinand horchte auf. Schon? ſagte er, mehr zu ſich ſelbſt
als zu David ſprechend. Der Mann iſt exact, man kann ihn
brauchen. Weiſe ihn ja nicht ab, David, ſondern führe ihn Hin-
auf in das Zimmer des Vaters.
Den Landjuden? Gott verdamm' mich —
Moſes wird von dir in das Zimmer meines Vaters geleitet!
ſagte Ferdinand feſt und befehlend. Du wirſt ihn höflich empfan—
gen, ihn mit keinem Auge ſcheel anſehen, kurz, ihn ganz ſo be—
handeln, wie einen Mann, mit welchem das Haus Peter Thomas
Heidenfrei ein wichtiges Geſchäft abſchließen will.
David hätte gern widerſprochen, denn ſein Widerwille gegen
alles Jüdiſche kannte keine Grenzen. Da dies nun aber doch nicht
ging, er hätte denn ſeine einträgliche Stelle riskiren wollen, nahm
er fich zuſammen, biß ſich tüchtig auf die Lippe und ſagte, als
müſſe er ſaure Holzäpfel verſchlucken:
Herr, — Gott verdamm' mich — ich werd's thun.
Darauf kehrte er ſich um, wie ein Soldat und ging ſtockſteif
hinaus auf die Diele, wo er feine Wuth an den Reis- und Kaffee—
fäden, die In großen Haufen daſelbſt aufgeſchichtet lagen, ausließ,
und mit den neben der großen Wange ftehenden Gentnergemwichten
handtierte, als wolle er fih in den Künften üben, die „ſtarke
Männer” auf Meffen und Jahrmärkten zum Beſten geben, und
denen er verſchiedene Male mit Interefje auf dem Spielbudenplape
in St. Pauli zugefehen hatte.
Aus Bremen! fprad Ferdinand, einen der Briefe aufhebend.
Und diefe Handſchrift? Wahrlih, er kommt von ihm, von dem
heimgefehrten Oheim! — Xreufreund, be, Treufreund! rief er mit
lauter Stimme, fein Comptoir verlaffend. Sind Ste da?
Was beliebt? fagte der „Schatten”, den Kopf voritredend.
Ein Brief aus Bremen — Sie wiffen, von unferm wieder
erwachten Gorrefpondenten !
R___
— 312 —
Iſt's möglich! ſprach Treufreund, vor Freude erblaflend. Gr
ift auf deutſchem Boden angefommen!
Folgen Sie mir zum Bater, fuhr Ferdinand fort. Der Bru—
der muß fogleih kommen. Diefer Tag, fheint es, wirb ein ent-
fheidender, ein epochemachender in unferer Familie. Auch Mofes
hat fi melden laſſen und wird, wie ich feſt überzeugt bin, ficher
gute Nachricht bringen. Ste haben Ihre Sachen vortrefflich gemacht.
Obwohl dies kurze Gefpräh zwilhen Ferdinand und dem
alten Treufreund nur mit halblauter Stimme geführt ward, ent—
ging doch den Übrigen Comptoiriften nit, daß zwiſchen Beiden
von etwas Hochwichtigem die Rede fein müſſe. Es horchte deshalb
Jeder, legte die Hand an’s Ohr, zijchelte mit dem Nachbar und
fah endlich den Fortgehenden mit langem Halfe nad.
Richtig abgefhoben, brummte Anton, der mit Unbehagen be⸗
merkte, daß der „Schatten“ ſeit einiger Zeit offenbar in der Gunſt
des Prinzipals und der Söhne deſſelben geſtiegen ſei. Na, immer
man to, ik kam ok all dabi — mien Moder kann ſwemmen!
Er ſtieß die Feder auf's Papier, daß ſie weit ſpaltete und
die Dinte in einen großen Teich ausfloß.
Enormes Glück! murmelte der luſtige Correſpondent. Die
kleine Brünette mit den Gazellenaugen, die mich neulich bei Rain—
ville's ſo freundlich anblickte, gibt mir ſicherlich nächſtens einen
Kuß. —
Heidenfrei der Aeltere befand ſich ſeit der Zuſammenkunft
mit Miguel in einer aufreibenden Gemüthsſtimmung. Alles,
was der junge Mann ihm mitgetheilt hatte, konnte vollkommen
wahr ſein. Vieles harmonirte mit andern, von dritten Perſonen
herrührenden Angaben in auffallender Weiſe. Der junge Matroſe
ſelbſt machte nicht den Eindruck eines Abenteurers oder gar eines
Betrügers. Dazu trat er zu unbefangen auf, und ſein Auge
blickte zu ehrlich und ſtolz in die Welt. Dennoch konnte er ſich
vielfacher Zweifel, die, je länger er mit ſich zu Rathe ging, in
ihm aufſtiegen, nicht entſchlagen. Miguel haßte Don Gomez,
und der Haß erfindet oder vergrößert doch gern geſchehene Dinge,
— 313 —
ber Charakter des Mexikaners war — das ließ ſich kaum beſtrei—
ten — kein völlig reiner, — nur eines Verbrechens hielt er den
fein gebildeten, mit ſo ſeltenen Talenten begabten Mann nicht für
fähig. Die ſtrenge Gerechtigkeitsliebe des Rheders, der gerade,
redliche Bürgerfinn, der fein höchſtes Palladium war, geſtatteten
nicht ohne Weiteres eine Verurtheilung des Angeklagten. Gerade
dieſe Zweifel veranlaßten Heidenfrei auch, nicht gar zu raſch dem
jungen Matroſen unbedingtes Vertrauen zu ſchenken. Er wollte
zuvor prüfen und je nachdem dieſe Prüfung ausfallen würde, ei⸗
nen unumſtößlichen Entſchluß faſſen.
Seine Söhne billigten dies zögernde Hinhalten ihres Vaters
nicht ganz. Zwar waren ſie auch nicht ſo gegen Don Gomez ein⸗
genommen, daß ſie ihn für einen Ausbund aller Schlechtigkeiten
gehalten hätten, aber ſie wünſchten eine baldige Erledigung der
äußerſt fatalen Angelegenheit ſchon der leidenden Schweſter we⸗—
gen. Der Brief des Oheims konnte, fo hoffte Ferdinand, mögli-
cherweiſe eine ſolche Befchleunigung herbeiführen, und darum war
er begierig, den Inhalt defjelben zu erfahren.
Heidenfrei behielt das Schreiben einige Minuten finnend in
ber Hand, ehe er das Siegel zu Idfen wagte.
So ein Brief ift wie ein mit Glückslooſen gefülltes Rad,
fprah er. Man kann eine ganze Welt voll Freude und einen
unergründlichen Jammer darin finden. — Doch, da kommt Evu-
ard, Wir haben mithin feinen Grund, uns felbft länger auf bie
Folter zu fpannen.
Mit’ raſchem Druck brach Heidenfrei das Siegel, entfaltete
das Schreiben und trug e8 mit feiner Elaren, voiltönenden Stimme
gemeflen den Anmefenden vor. Auguſtin Hohenfels fehrleb:
Beiter Schwager !
Bor wenigen Stunden bin ich bier angelommen, und es tft
mir, als hätte ich eine neue Welt entdeckt oder erwachte aus ei«
nem langen, langen, ſchweren Traume und fähe mich wieder zus
rüdverfegt in die vergeffene Zeit heiterer Jugendiage. Wie ganz
anders ift es doch in dem Lande, das und geboren hat, wo wir
— 314 —
berangereift find zum firebenden Manne! Ich hätte nie geglaubt,
tag ih in meinen vorgerüdten Jahren, mit der Bergeslaft meiner
Erfebniffe auf dem Herzen, doch noch fo fröhlich aufjauchzen könnte,
wie ih es wirklich gethan habe, als ih die erften Marfchhöfe mit
ihren langen, grauen Strohdächern, am Giebel das altſächſiſche
Roß, neben dem Schornſtein das firuppige Storchneft, wieberfah.
Biel fehlte nicht, und ich hätte die Hände ausgeftredt und nad
ben lieben, theuern Gegenftänden, die da drüben vor meinen Au⸗
gen vorüberglitten, gegriffen, wie ein Kind, das noch Feine Vor-
ftiellung von Zeit und Raum hat. Niederfnieen, beten hätte ic
mögen beim Anblick dieſes Heimathbildes. Es war nad) endlos
langen Jahren wieder ber erfle wahre Pulsfchlag der Heimath-
erbe, deſſen Wiederhall ich Im Innerften meines Herzens fühlte... . .
Doch will ih nit in Empfindungen fehwelgen, und nicht
gleih von Anfang an wieder in den größten Fehler meines ver⸗
gangenen Lebens, der auch mein Unglüd geworden tft, fallen.
Der praktiſche Menfh, der Buß faflen will auf Erden, muß bie
Hallueinationen, die feinem gährenden Gehirn entkeimen und ale
verlodende Bilder den wirklihen Sehnero reizen und angenehm
täufgen, unbeachtet laſſen, fonft verirrt er fi in das Neid der
Unmöglichkeiten, wo nur die Phantafie des Dichters herrſcht. Sol:
hes Derirren koſtet aber immer, wenn nicht das Leben, doch dei-
fen fonnige Halbſcheid. Zu viel Schatten macht frieren und läßt
vor der Zeit alt werden.
Don meiner Reife kein Wort. Ste verlief fehr glücklich.
Wir find nicht völlig ſechs Wochen unterwegs gewefen. — Heute
will ih mich bier ausruhen, mich auch ein wentg deutſch civilifirt
kleiden. Ohnehin fehe ich vermaledeit barbarifh aus, auch wenn
ih mich noch fo ſchön auf neueſte Pariſer Manier frifiren laſſe.
Den tropiſchen Sonnenbrand wäſcht keine Seife fort, und die Nar⸗
ben, welche das Leben mir ins Geſicht geriſſen hat, vermag keine
Schminke zu übertünchen. Mach' dich alſo darauf gefaßt, lieber
Heidenfrei, in mir einen Menſchen wieder zu ſehen, der innerlich
ein weißer Europäer ächt germaniſchen Blutes geblieben iſt, äußer⸗
—— 315 —
ih aber vielleicht eine Teife Achnlichkeit mit einem Patagonter bat,
nur daß er nicht ganz fo ungefchlaht von Gliederbau tft und et-
nen kaukaſiſch gefchnittenen Kopf auf feinem ftrapazirten Rumpfe
trägt.
Sefund Kin td, nur etwas müde. Mebermorgen gedente ich
abzureifen. Darauf richte did ein. Stören möcht ich nicht gern,
weder in der Familie noh im Geſchäft. Ich verfpreche, mich ſtill
zu verhalten, wie ein Dachs der von feinem Wette zehrt. Noch
eine Bitte, liebſter Schwager! Bringe meine Rückkehr nicht aus!
Ich habe einen wahren Abſcheu vor der Geſchichte vom verlorenen
Sohne. Bin ih au, fireng genommen, fein folcher, es fieht doch
fo aus und die Leute meinen, es fet nicht anders. Gin Kalb zu
ſchlachten ob der Freude über meine Rückkehr wird ſchon deshalb
nicht von Nöthen fein, weil unfere fletfheflende Stadt Tag für
Tag fich diefer Freude verfündenden Beihäftigung hingibt.
. Bin ich erft bei Euch und th habe mid wieder an Hambur-
ger Art und Sitte gewöhnt, dann magft du leiſe anfchlagen laſ⸗
fen. Ausrufer der intereflanten Neuigkeit werden fi von felbft
mehr als zu viele finden. Auf den efiten Börfentag freue ich
mich fhon. Wenn nur die alte Barade nit auf ihrem fchlech-
ten Untergrunde in's Wadeln fommt, falls der Andrang Reugie-
riger zu groß werden follte. . .
Noch immer feine Spur von meinem Sohne? Daß er Icht,
weig ich jebt beftimmt, au dag er auf Cuba einige Jahre ge=
lebt hat. Desgleichen hat es feine Richtigkeit mit dem Namen
des Mannes, den ich dir genannt habe, Die Börfe fann ihn
nicht Tennen, denn er betrieb nie perſönlich kaufmänniſche Geſchäfte.
Betheiligte er fih an folden, was er häufig gethan haben foll, fo
bediente er fih dazu fremder Hände. Gin ganz kleines, aber un=
trüglihes Merkmal, an dem mein Junge zu erkennen tft, theile
ih dir mündlih mit. Vom Himmel herabfallen wird er nidt;
wir werden ihn vermuthlich erft finden nad langem Suchen und
unermüdetem Forſchen. Dies fol vorerft die nächfte Aufgabe mei—
nes Lebens fein. Gott, Hoff’ ich, wird mich dabei unterftüßen,
— 316 —.
damit meine Leiden doch einen Zweck gehabt haben. Auch das
Unglüd, die trübe Erfahrung, die harte Prüfung der eltern
baut zuwellen den Kindern Häufer. Wo bies geſchieht, da follen
fie befler Halten und fefter flehen, als die heitern Kartenhäufer des
Blüdes, die felten mehr als einen Sturm überdauern.
Herzensgrüße an dein Weib und deine Kinder. Auf Flügeln
der Sehnſucht eilt Dir zu
dein treugefinnter Schwager
Auguflin Hohenfelß.
Heidenfrei athmete freudig auf. Gott Lob, fprad er, dieſe
Laft, die ſchwer auf mich drüdte, wäre denn endlich abgewälzt!
Wir werden ihn wiederfehen, und dem heimkehrenden Vater, hoffe
ih, wird dann auch einft der Sohn folgen!
Es Eopfte. Ferdinand öffnete die Thüre, um zu fehen, wer
Einlaß begehre.
Sogleich, rief er hinaus, die Thür wieder ſchließend.
Mofes, der Sohn Bibrachs, wünfht di zu fpreden. Gr
darf doch kommen?
Ohne Frage, fprah Eduard. Das Glück, das von felbft an=
pocht, darf Niemand abweifen, fonft verjheuht man es für lange
Zeit, wenn nit für immer.
Heidenfrei's Auge leuchtete heller als gewöhnlich und indem
er dem Sohne zuwinkte, den draußen ftehenden Siraeliten herein⸗
zurufen, rieb er ſich, wie er ſtets in ſichern Augenblicken des
Glückes zu thun pflegte, die Hände und ſprach mehrmals ſchnell
hintereinander: Superbe, ganz ſuperbe!
—- 31T —
>»
| Dreizehntes Rapitel.
—
Moſes.
Unter vielen tiefen Bücklingen trat der jüdiſche Landkrämer
ein, ſein ſcharfes Auge mehr auf die eleganten Mobilien heftend,
als auf die Perſonen, mit denen er ſprechen wollte. Immer von
Neuem ſich bückend, trat er dem Rheder etwas näher, hob die
Hand auf und ſagte:
Wenn Sie auch nicht ſind der größte von den Herren, die
ich ſehe hier ſtehen um mich, bin ich doch dafür gut und weiß,
daß ich mich nicht kann irren, wenn ich Sie nenne den Herrn von
dieſem Haus und den Mann, der mit ſeinen Gedanken überfieht
Viele und macht gewaltige Geſchäfte in der alten Welt, wie in
der neuen. Großer Gott, ich bin ordentlich geworden gerührt, daß
ich ſoll ſehen vor mir ſtehen den Mann, welcher ausmacht und iſt
ganz allein ſchon die ſtolze Firma: Peter Thomas Heidenfrei, ſchlicht,
ganz ſchlicht, nichts dabei von 'nem Schlängel und lahm ‚hinten
nachklappernder Compagnie. Hab' ich recht, Herr Heidenfrei?
Man hat mir Sie von jeher als einen Mann von großer
Vorſicht, nicht minder als einen Freund der Wahrheit und des
Rechtes bezeichnet, verfehte der Rheder, um das ganze Vertrauen
des’ fchlauen Juden zu gewinnen. Iſt es Ihnen alſo gelungen,
in der betreffenden Angelegenheit, von welcher Sie biefer Herr hier,
mein Freund, unterrichtet bat, etwas Zuverläffiges zu erfahren,
fo werden wir außer dem Dank, den wir im Herzen tragen, Ih—
fien auch die zugeficherte Belohnung für einen fo menſchenfreund—
lichen Dienft gern entrichten.
Was follte mir nit gelungen fein! erwiderte Mofes mit
felbftzufriedener Miene und prahleriſch herausforderndem Auge.
Hat mir auseinander gefeßt diefer Herr da mit den röthlich ange-
laufenen Augen, daß man fie halten Könnte ſchier für ein paar
Blüthen von den: berühmten Rofen von Jericho, Mofes, hat er ge-
ſagt, 's iſt paffirt eine böfe Geſchichte, die often wird dem, ber
— 318 —
fie hat laſſen anzetteln, viel Geld, wo nicht gar die Freiheit und
die Reputation noch dazu, und es foll haben, hat er noch gefagt,
eine große Belohnung derjenige, welder bietet die Hand als ein
redlich denkender und ehrlich Handelnder Mann, damit gemadt
werben kann aus Unrecht wieder Recht und aus Krumm Gerade.
Er hat gefagt ferner, Mojes, hat er gejagt, wir find gemeint, ich
und ein anderer Mann, der höher ſteht als ih und mehr gilt an
ber Börfe als wir beide zufammen und nod ein halb Dutzend un⸗
ſeres Schlages dazu, daß Sie find vor Allen derjenige, der uns
helfen könnte mit feiner Klugheit aus der Patſche. Na, hab’ ich
da nicht geantwortet drauf: Was nicht kann Mofes, der Sohn
Bibrachs, das kann Keiner?
So iſt es, Mofes, ſprach Treufreund, und eben weil Sie fo
bereitwillig Ihr Wort verpfändeten, find wir begterig, die Neful-
tate Ihrer Nachforſchungen gegen pünktlihe Erfüllung ber einge
gangenen Berpflihtungen unfererfeit# zu erfahren.
Refultate! Was tft Refultate? IM das Mädchen aufgeho-
‚ber gewefen fo gut wie ber Augapfel, den Gott der Allmächtige
hat gefegt in ein knöchernes Gehäufe und drüber gehängt den
ſchimmernden Vorhang ſeidener Wimpern, damit er abhalte den
Staub und den grellen Schein brennender Sonnenftrahlen. Hat
fie doch gelebt in der Famtlie eines armen, aber gerechten Man-
nes von unfere Leut’, und lebt fie noch dort, zufammen mit ihrem
Bruder, der fie hütet. Was ſoll alfo fein 's Refultat, als daß
fie blüht, wie eine Rofe im Junimonat und ſpringt, wie ein
Lämmlein auf der Weide?
Aber wo, Moſes, wo? fiel fragend Eduard ein.
Gott, Gerechter! Wie kann doch der Menſch fein fo vergeß⸗
lid, dag er Überfpringt die Hauptſache und fih aufhält Tänger
als nothwendig bei Nebendingen. Aber Recht bleibt doch Recht
und ein Handel tft ein Handel. Hat der Herr mir gefagt zuerft,
ich folle berichten, ob das junge Mädchen, genannt Ghriftine, die
gefommen tft auf feltfame Welfe aus einem Haufe, wo es ihr
fehlte an nichts, was fih kann wünſchen ber Menſch, gejund fel
Pr
— 319 —
geblieben an Leib und Seele, und nachher, wo fie gewefen fet bie
Zeit über, in welcher fie nicht gefehen haben die Augen der Ihri⸗—
gen, welde häufig vergoffen Thränen um bie Vermißte. So ih
nun verfiche nur etwas von einem Handel, der giltig ft, fo werde
ih mid doch Taffen belohnen für die erfte Frage, wär fie auch
nicht die Hauptfahe, und nachher noch einmal für die Antwort
auf bie andere Frage, welde gilt für die Hauptſache. Iſt's nicht
fo einfach, daß es begreifen Tann ein Kind, wenn's eben anfängt
zu bewegen bie Lippen, als wolle es verſuchen zu gebrauden die
"Zunge, um auszubräden, was es noch gar nicht weiß? Hab’
th Unrecht?
Ueber Heidenfrei's feines Antlitz zudte ein humoriſtiſches Lä-
heln, während Treufreund über die Lift des gewinnſüchtigen Mor
fes vor Aerger, daß er fi hatte betrligen laſſen, faſt außer fih
gerieth, grimmige Blicke auf den Landkrämer warf, den Angft-
ſchweiß auf feiner Glatze trodnete und in eifrigem, halblautem Ge⸗
ſpräche Ferdinand nad einer Fenfterbrüftung zog.
Ste haben immer Recht, Mofes, erwiderte ber Rheber, der
jehr wohl einfah, dag nur die Zufiherung einer abermaligen Be⸗
lohnung den Juden zum Sprechen bringen würde. Was mein
Freund Ihnen zugefagt hat für diejenige Dienftleiftung, Die Sie
als die Nebenfache bezeichnen, haben Ste bereitö zu fordern; für
die Hauptſache fichere Ih Ihnen eine gleihe Belohnung zu.
Kann’s nicht thun, bei Gott, kann's nicht! 's Läuft gegen
mein Gewiſſen. Und wie gefagt: ein Handel tft ein Handel!
Und foll es bleiben in alle Ewigkeit. Ich lege deshalb noch
ein paar Portugalöfer zu. |
Ein paar? Soll ich verſtehen darunter zwei oder drei?
Verſtehen Ste dret darunter, Mofes.
Will ich alfo verflehen darunter drei, weil es der gnädige
Herr felber will fo haben, und kann ih darum gewiflenhaft und
auf Ehre und Seligkeit berichten, dag Chriftine und der junge
Menſch, den man hält für den Bruder der jungen Schönheit,
feit fie gegangen tft aus diefem Haufe und ausgeftiegen aus dem
— 320 —
Kahne, in dem es fie fhüttelte vor Froft und wohl aud ein we-
nig vor Furt, gelebt haben und noch leben glüdlih und zufrte=
den tm Haufe meines Teiblichen Verwandten, des Jacob oel
Acher, das er fi Hat gefauft in Moisling; 's tft eine gefunde
Luft in Motsling ‚ denn es iſt koſcher dafelbft Alles und der
Aufenthalt wird gepriefen von Jedermann, benn er bringt Glüd
und Gottes Segen in’ Haus. Drum laſſen fih daſelbſt und in
dem anftoßenden Orte Genin auch fo gern nieder die Störche,
die gefolgt find aus Aegypten, dem Lande ber Knechtſchaft, dem
Volke Gottes Überall bin, wo es wohnte gern und baute einen
Tempel zur Ehre des Allerhöchften.
In diefer Richtung die Vermißten zu fuhen, war Niemand
in den Sinn gefommen, wie aud Keiner auf den Gedanken der-
fallen fonnte, der Räuber Chriftinens Habe fich jüdtfcher Helfer
bedient. Heidenfrei wie‘ beffen Söhne erfannten darin die fein
berechnende Klugheit des Mexikaners und begriffen jebt exit, weld
großen Dienft der aufmerkffame, mißtrautfhe Miguel ihnen, wie
dem Quartiersmanne geleiftet hatte. Während Mofes ſeine letz⸗
ten Eröffnungen in der ihm eigenthümlichen Weife machte, waren
Ferdinand und Treufreund dem Erzählenden wieder näher getre-
ten. Ferdinand berührte jebt die Schulter des Juden.
Mofes, ſprach er herablaffend und doch auch fehr überlegen
lächelnd, wenn unter allen Umftänden Ihr Grundfag, ein Handel
fet ein Handel, gelten foll, wie es wohl aus Billigkeitsrückſichten
zu verlangen oder doch zu wünfchen wäre, fo fürdte ich beinahe,
Ste möchten bei dieſem Handel den Kürzern ziehen.
Auch Eduard lächelte und warf dem Bruder einen billigen-
den Blick zu. Treufreund wiegte bedächtig fein halbkahles Haupt
und rieb fich befriedigt Die Hände.
Kann ih doch nicht verftehen, was der gnädige Herr will fa=
gen damit? verfehte Moſes, einige Schritte zurücktretend. Machen
Sie mir nit vor einen Spaß, Ih bitte! Ich kann nicht fagen,
dag ih bin ein Freund vom Spaße.
Lächelnd fuhr Ferdinand fort: Ich will damit nur fagen,
— 321 —
daß es mir feheint, als hätte der kluge Handelsmann Moſes zwet
leidlich rentable Gefchäfte gemacht, zuerft mit der empfehlenswer-
then Firma Don Alonfo Gomez & Comp. und fpäter mit dem
befannten Handelshaufe Peter Thomas Heidenfrei. Fiele es nun
irgend einem Querkopf ein, den Handel felbft und die doppelte
Handlungsweiſe vor Gericht zur Sprache zu bringen —
Ich will nidts hören vom Gericht! unterbrach Moſes den
jungen Mann mit Heftigkeit. Wenn ich gefagt habe, ein Handel
tft ein Handel, was iſt's weiter? Ich hab's gefagt. Und wenn
ich's wieder umbrehe und will nicht gelten laſſen mein eigen Wort,
fann’8 mir Jemand verwehren? Was denkt der gnäb’ge Herr
von mir, he? Ich den®, ih bin ein ehrlicher Mann und fchltep’
ab ein ehrlich Geſchäft. Reden wir noh ein Wort mit einander
im Vertrauen und Zreundfhaft Über das Geſchäft, ehe wir machen
die Schlußnote. Aber nichts vom Gericht, gnädiger Herr, nichts
vom Gericht! Hab' ich Recht?
Aengſtigen Sie ſich nicht, Moſes, fiel begütigend Heidenfrei
ein. Mein Sohn will Ihnen nicht übel, er machte Sie nur auf
die Gefährlichkeit eines Handels aufmerkſam, der zweierlei Aus-
legungen zuläßt. Wir haben unter uns abgeſchloſſen und find
einig.
AH, brav gefprohen! Gefprocdhen wie der weiſe Daniel!
rief Mofes! Die Hand darauf, daß wir haben ehrlich und recht⸗
fhaffen mit einander gehandelt.
Der Rheder gab Mofes die Hand.
Es foll bleiben zwijchen ung, wie es ausgemadht tft — Soll
bleiben — fehr gut — bin vofffommen einverftanden damit.
Nur ein paar Fleine Bedingungen habe ich noch Hinzuzu-
fügen.
Bedingungen? Wozu nod Bedingungen?
Zu unfer Aller Sicherheit, Mofes. Ich kenne Ihr Verhält-
niß zu Don Gomez nit und will es aud) nicht Tennen lernen.
Ich fee aber voraus, daß der edle Mexikaner ein guter Kunde
iſt —
D. B. XI. Willkomm's Rheder und Matroſe. 21
— 322 —
Ein guter Kunde — das iſt das rechte Wort, warf Moſes
ein. Immer nobel und eine Freude iſt's ordentlich zu fehen, wie
er fih Mühe gibt, das Geld los zu werden. Gine ſehr fchöne
Eigenfhaft an einem Manne, der es nicht braucht und doch will
leben, um nik zu flerben wor Langweile.
Ehen deshalb, Mofes, wirb e6 gut fein, wenn ich nur un»
ter der Bedingung ben zweiten Theil unferes Hanbelögefchäftes
wirklich vollziehe, daß Don Gomez fein Wort davon erfährt. Die
Wände haben Ohren, pflegt man zu fagen, und ber Wind tfi eine
alte Plaudertafhe. Derftopfen Ste alfo die Ohren ber Wände
und legen Ste dem Winde ein Schloß vor den Mund, das erft
wieder abgenommen werben darf, wenn Ghriftine und ihr junger
Beſchützer glüdtih in diefe Stadt eingezogen find.
Wie ſollte der veiche Here Hören können, was wir haben zu⸗
fammen abgemadt hier, eine volle Wierteliunde Weges entfernt
von feinem Logement? Bezahlt Hat ee mid gut, es tik wahr,
und die Wahrheit muß man fagen auch von dem, ber nicht uns
fer Freund if. Hat er mich aber nit genannt das letzte Mal,
als ih ihm brachte den Schreibebrief aus Gurhaven, den Sohn
eines Hundes? Wie hört man wohl lieber fi tituliven — Sohn
eines Hundes oder: Lieber Mofes und ehrliher Mann? Leben
freilih Tann man nit von der Titulatur, aber 's tft doch eine
Manier darin, wenn man Ste handhabt fein und nicht grob.
Nein,- nein, gnädiger Herr! hat der Mofes ſich erft bezahlen laſ⸗
fen gut, wird er aud elften gute Dienſte. Was thu' ich mit dem
Mexikaner? Iſt's doch ein Fremder, den kann fortſchicken die
hohe Polizei, wenn er macht ſchlechte Streiche!
Es bleibt alfo dabei, Mofes, fagte Heldenfrei nochmals feft
und beftimmt. Sobald die Vermißten bier wohlbehalten ankom⸗
men, klingen bie Portugalöfer unten im Comptoir auf dem Zahl-
brette. Adieu, auf baldiges Wiederſehen!
Moſes war entlaffen, er wußte nit wie. Draußen vor ber
Thür drehte er noch feinen zerfnüllten Hut, unſchlüſſig, ob er
noch einmal umkehren und den Eintritt in das Zimmer bes Rhe⸗
— 323 —
ders verfuchen folle. Die Ausführung dieſes Wunſches ſchien ihm
aber doc höchſt bedenklich. Er ſtand deshalb davon ab und ging
langfam der Treppe zu.
's Geſchäft iſt nicht fhlecht, weiß Gott! ſprach er murmelnd
vor fih bin, 's iſt 'was verbient worden dabei, wofür man kann
thun eine Güte feinem Leibe, wenn man will, und doch iſt's
bloß ein halbes Geſchäft, denn die Zinfen von zwei oder breit
Tagen find pleite, bei Gott, fo wahr ich bin Mofes, der Sohn
Bibrachs, und der reihe Sadamober in Brody tft mein leiblicher
Vetter! — Na, 's iſt gut. Hat er doch gefagt der reihe Mann
mit dem vornehmen Weſen und dem herablaffenden Blick: Auf
Wiederfehen! Gr wird halten Wort, denn er {ft ein großer Herr
und immer contant. Schöne Sahe das, wenn der Menfh tft
immer contant. Läßt abfehreiben in der Bank von zehn Mark
bis zu dreimalhunderttaufend, fo ruhig wie man umbreht eine
Sand und fagt: Brofit, wenn einer nießt, dem Die Sonne fcheint
auf die Nafe. — 's Iſt ein großer Mann, bei Gott, ein vefpec-
‚tabler, ein vermögenter Mann, ber da weiß zu ſchätzen den Werth
von den edlen Metallen, bie die armen Menſchen kratzen und
fharren aus der Erde für geringen Lohn und mit denen bie Rei—
hen fih aufpugen ihre Zimmer wie geborene Fürften, und machen
damit Gefhäfte, dag fich Zinfen laſſen häufen auf Zinfen und
das Kapital wählt bis in die Wolken, wie der babylonifche
Thurm. Schöne Sahe, aus Geld machen Zinſen. Möchte wohl
auch abjchreiben und zufchreiben laſſen in der Bank, aber ich
kann's nicht. Haben fie gemacht eine fehlechte Einrichtung mit dem
Bankfolio. . . Koftet zu viel Geld einem Manne, der nicht gern
nimmt Geld von Geld, fondern legt lieber Geld zu Bel. . .
Was thu? ich damit? Mach’ ich doch Lieber Gefchäfte auf meine
Art, die mich Toften Feine achthundert Mark für ein Blatt Pa-
pier. . . Auf Wiederſehen Hat er gefagt und dabei geläcelt fo
fein, wie mein Großvater — der Herr hab’ ihn fellg — wenn
er fand einen Loggeb’or, der war ein halb AB fihwerer, als zu
fein braucht ein Schwimmer, den man flößt wieder hinaus in bie
0 21*
— _ 3% —
Welt. — DO, ih freu’ mich ſchon aufs Wiederfehen! Und ich
werd’ ihn wiederfehen, den höflihen Mann, der fpricht mit” Je—
dermann wie mit feines Gleichen. Ja, ich werd’ ihn wieber-
ſehen.
So ſprechend erreichte Moſes die Hausthür, es vergingen
aber mehr als fünf Minuten, ehe er dieſen kurzen Weg zurück—
legte, denn horchend, flüſternd, ſimulirend blieb er auf jeder
Treppenftufe flehen, um das zwar abgefchloffene, aber doch noch
nicht. in allen Theilen realifirtte Gefchäft in Gedanken nochmals
zu Üüberfchlagen.
Dierzehntes Kapitel.
— — —
Ein Wiederfinden.
Am nächſten Tage beſtiegen Jacob und Miguel, denen Fer—⸗
dinand Heibenfret ſich anſchloß, einen offenen holftetnifchen Stuhl:
wagen und traten ihre Reife nad) dem Dorfe Moisling bei Lübeck
an. Es war dies wirklich eine Reife zu nennen, denn in bama=
liger Zeit gab es zwifchen den beiden großen Schweiterftäbten noch
feine" Shauffee. Der Communicationsweg, welcher die alte Kö«
nigin der Oftfee mit der Handelsmetropole der Niederelbe ver⸗
band, war ein fo abſcheulicher Sandweg durch Steingerölle, moo⸗
rige8 Sumpfland und Knüppeldämme unterbrochen, daß viel Zeit
zu deſſen Paſſirung gehörte. : Die Retfenden machten fich deshalb
auch auf ein Ausbleiben von wenigftens ‚vier Tagen gefaßt.
- Der Rheder begab ſich gleichzeitig auf feine Villa, um einen
ganzen Tag ungeftört daſelbſt zu verweilen. Es war nöthig, die
Seinigen auf das Kommende vorzubereiten, fowie Eliſabeth in
zart fhonender Weiſe dasjenige mitzutheilen, was fie erfahren
— 325 —
mußte. Es geſchah dies liebevoll, väterlich mild, und Eliſabeth
nahm es mit der ganzen Ruhe einer ſchönen, klaren Seele auf.
Ste meinte nicht, als fie aus den Erzählungen des Vaters deut-
ih beraushörte, daß Don Gomez bei allen liebenswürdigen und
ausgezeichneten Gigenjchaften doch Fein Mann ſei, dem ein edles,
gebifvetes Mädchen ihr Herz ſchenken könne. Es Fam eine ftille
ernite Ruhe über die blühende Jungfrau, die ihr etwas Unnah-
bares gab. Alle Zröhlichfeit, alle Luft zu Scherz und heiterm
Spiel verlor ſich, aber fie blieb dabei freundlich gegen Jedermann,
und wer fie nicht früher in ihrer mädchenhaften Ausgeläffenheit
gekannt hatte, würde geglaubt haben, dieſer hohe majeftätifche Ernſt
jet ihr angeboren.
Bon Don Gomez warb nicht mehr gefproden. Er felbit
hatte nad) feiner lebten Zufammenfunft mit Ferdinand die Familie
des Rheders vermieden. Sein ganzes Benehmen bewies, entweder
dag er fih ſchuldig fühlte, oder daß er, durch die ausweichende
Antwort des Rheders verlegt, feine Abfichten für Immer aufzuge-
ben entichloffen fe. Da übrigens von Seiten der Familie Het-
denfrei fowohl die directen Schritte des Mexikaners, wie bie über
feine Bergangenheit erfahrenen Gerüchte vollfommen geheim
gehalten worden waren, drang feine Sylbe davon in Die
Oeffentlichkei. Das edle Gut der Preßfreiheit war damals noch
nicht entdeckt, mithin. Eonnte es auch feine Preſſe geben, die von
dem Mißbrauche der ihr großmüthig verliehenen Freiheit Gefchäfte
gemadt und in der Ausbeutung des Scandals die höchſte Auf-
gabe erblidt Hätte, welche das frei gegebene Wort zu erfüllen hat.
Heidenfret’s Mittheilungen riefen auf der Billa eine ver-
mehrte Thätigkeit hervor, die wohltbuend auf Elifabeth wirkte.
Die erwartete Ankunft des Oheims gab viel zu bedenken, zu be—
ſprechen. Es mußten für den lang Entbehrten Zimmer eingerid-
tet werden, wobet auch für Elifabetb und Ulrike mande Hand:
reihung übrig blieb. Beide junge Mädchen hatten zu forgen,
daß nicht die Meinfte Unbequemlichkeit fehle, daß die Zimmer den
freundlichſten Anblick darböten und den Eintretenden fefthielten,
— 326 —
. Darum beriethen die Mädchen mit dem Gärtner über die Blu-
men, welde die Zimmer fhmüden follten, mit dem Tapezierer
über den Stoff, die Farbe und Anordnung der aufzuhängenden
Gardinen. Das Alles gab eine unterhaltende Zerfireuung und
übte einen wohltäuenden, beruhigenden Einfluß auf Eliſabeth's
Gemüthsſtimmung. Auguſtin Hohenfels hätte zu Feiner pafjende-
ren Zeit feine Ankunft melden können.
Auch in der flädtifhen Wohnung machte fi der Eintritt von
etwas Ungewöhnlichem bemerkbar. Das Gomptoirperfonal war burd
den Rheder perſönlich von der Rückkehr feines Schwagers, den man
längft für todt gehalten, unterrichtet worden. Weitere Auslaffun-
gen üunterblieben, weshalb die auf dem Comptoir Beichäftigten un—
erfhöpflihen Stoff zu zahliofen PVermuthungen erhielten. Die
Metiten Tannten kaum den Namen Hohenfels, da mit dem Able-
ben des Waters die Firma erlofhen, das Geſchäft felbft aber auf
Heidenfrei übergegangen war. Mon bem jebt plötzlich wieder auf-
tauchenden fo nahen Verwandten des Rheders konnte begreiflicher⸗
weife im Geſchäftsleben nie oder doch nur zwifchen denen die Rede
fein, welche Auguftin früher gekannt und mit ihm in Verbindung
geftanden hatten. _
Es gab demnach viel zu benken, zu ſupponiren, zu rathen,
und da der Rheder perfönlih abweſend war, und Eduard häufig
ab⸗ und zuging, fo mwurde gegen die fonftige fireng eingehaltene
Gewohnheit etwas weniger fleißig, als dies beidenfrei beanſpruchte,
gearbeitet.
Anton hatte zufällig ein paar nicht ſtark beſetzte Tage. Die
engliſche Poſt war ausgeblieben. Er konnte ſich's alſo bequem
machen und, hatte er ſeine Arbeiten beendigt, thun und laſſen, wo⸗
zu er gerade Drang in ſich fühlte. Diesmal nun drängte es ihn,
ein wenig zu klatſchen, wenn man will, fih in ber Kunſt zu Üben,
durch leicht bingeworfene Hypotheſen Andere zu verbächtigen. Es
gab dies immer eine vecht artige Zerfireuung und brachte neues
Leben in die alftäglihe Langweiligkeit des gefchäftlihen Treibens.
Die eigentliche Deranlaffung zu den verbächtigenden Bemerkun«
— 397 —
gen des jungen Gorrefpondenten war eine bittere Verftimmung, die
fi feit einiger Zeit in ihm feſtgeſetzt hatte. Gr fühlte fi ver-
nadhläffigt, obwohl er es in keiner Weiſe war. Die große Wi:
tigkeit, welche der Rheder und beflen Söhne dem „Schatten“ ſichtlich
beilegten, war bie eigenslihe und alleinige Urfage von Anton’s
Aergerlichkeit. Ohne gerade Treufreund deshalb zu zürnen, ſetzte
er ihn anfänglich in feinen Gedanken herab und verkleinerte ihn
fp4ter mit Worten.
Manche Menfhen haben gleiches Schickſal mit alten Mobilten,
fagte er zu dem Buchhalter, der gleih Anton über das ruheloſe
Ab- und Zugehen Treufreund’s und deſſen leiſe Beſprechungen
mit Eduard vermundernd den Kopf fhüttelte. Je Alter und ge=
brehlicher fie werben, defto unlieber trennen fi manche Leute von
ihnen. Begreiflich iſt's freilich, das geb’ ich zu, aber praktiſch Tann
ih es nicht finden. Bei Mobilien laſſ' ich es noch eher gelten,
denn einen baufällig gewordenen Stuhl, Tiſch oder Sopha kann Ih
mit ein paar Nägeln und gut gekochtem Leim wieder zufammen-
flifen, bet einem Menfhen aber, der weder Haare auf dem Kopfe,
noch auf den Zähnen hat, ber über dem Hente bag Geflern ver⸗
gißt, eine fehs für eine neun anfieht und nur dann wirkfich recht
verfieht, wenn man fo laut fpriht, daß es Hundert Andere hören
fönnen, muß ih das ſchön bleiben laſſen. Und dennoch hätjchelt
und tätfhelt man folh zerfallendes Menfchenmöbel, als wär's
zuderfüß wie ein Marzipanmännden, während von anderer Leute
Eriftenz, die doc willen, wer und was fie find und bie noch etwas
poritellen, vieleicht auch noch viel mehr werden fönnen in der Welt,
gar nigt Notiz genommen wird,
Samtliengeheimnifje! exwiderte der Buchhalter, Das erklärt
Alles, was jet hier vorgeht.
Dat fih was zu geheimniſſen! verfehte der verfiimmte Anton.
Was ſoll's denn noch für Geheimniffe geben, die uns verborgen
wären? Der Schwager unferes höchſt ehrenwerthen Prinzipals iſt
noch am Leben und kann jede Stunde hier anlommen. Man hat
ihn, ich weiß nicht wie viele Jahre, für tobt gehalten. Nun, dere
— 328 —
gleichen ift häufig paffirt und läßt mich ganz gleidhgiltig, “Der
Alte Hat uns die Gefchichte oberflächlich felber erzählt, uns alfo
eingeweiht. Da fehe ich Fein Geheimnig mehr.
Weshalb iſt denn Fräulein Eliſabeth yplöglich fo ſtumm ge=
worden wie ein Fiſch? gegenfragte der Buchhalter. Warum fpielt
und fingt fie nicht mehr? Was hat ihre Wangen gebleiht? Was
macht ihre wunderfchönen Augen trüb? He?
Finden Sie aud, daß das Fräulein fo ſchöne Augen hat?
Sa, th finde es, wie mander Andere und irgend ein Ge—
wiffer es ebenfalld gefunden haben mag.
Anton erröthete, zog die Augenbrauen zufammen und fagte
abwehrend: In Mädchenangelegenheiten darf man fih nicht miſchen.
Der Buchhalter lachte. I
Da theilen Sie genau die Anfichten gerade des Mannes, der
Ihnen augenblidlich nicht gefällt, erwiderte cr. Treufreund kümmert ſich
gewig um Mädchenangelegenheiten nicht, aber Familiengeheimniſſe —
Ah was! unterbrad ihn Anton. Laſſen Sie mid mit Ihren
Familiengeheimniſſen in Ruhe! Das iſt's nicht.
| Das iſt's doch, betheuerte der Buchhalter, Und gefebt, Frau
lein Elifabety wäre nicht Gegenftand dieſes Geheimnifles, fo gibt
ed noch eine andere Perſon, die es fein kann. |
Was Sie nicht wiſſen!
Ich weiß leider nichts, aber ich vermuthe allerhand.
Zum Beifptel?
Nun, da bat neulid in der noch immer nicht genügend er-
Härten Berfchwindungsgefchichte der ſchönen Chriftine, deren Augen
Ihren Beifall ebenfalls zu haben ſchienen, ein junger Matrofe von
über der atlantifhen See her fich fehr wichtig gemacht. Es heißt
ja, er liebe die Chriftine, was ich unbefhworen glauben will, Der
nette, dralle, gewandte Junge bat ein verdammt gewinnendes Aeu—
Beres. Ob das au Treufreund troß feines fchlechten Gefichtes her⸗
ausgefunden hat oder ob's ein Dritter oder gar ein Geiſt ihm zu⸗
geflüftert, wer weiß es! So viel indeß iſt gewiß, daß er biefen
hübſchen Jungen ‚mit einer Urt Anbetung betrachtet und daß“rr,
-
nn m Bau
— 3239 —
wenn nicht ein wirkliches Geheimniß, worin der Miguel eine Haupt-
rolle übernommen hat, weiß, doch fiherlich eins wittert. Wer das
nicht merkt, der muß feine Augen haben. Und wer nicht gleiche
zeitig fpürt, daß eine gewiſſe geijtige Wahlverwandtihaft zwiſchen
biefem Matrofen, den jungen Herren und dem fihlürfenden „Schat-
ten“ vorhanden ift, den mag ih auch für feinen bejonders großen
Menſchenkenner und Seelenkündiger erklären.
Anton mußte zugeben, daß der Buchhalter ein guter Beob-
ashter fei, er konnte aber nicht umhin, vecht von Herzen auszurufen:
Das wäre fatal!
Warum? Berlören wir etwas durch eine Erweiterung Des
Familienkreiſes dieſes Hauſes, wo wir conditioniren ?
Anton murmelte unverſtändliche Worte, kehrte dem Buchhalter
den Rücken und nahm wieder Platz an ſeinem Pulte.
Dich kenne ich, flüſterte der Buchhalter vor ſich hin. Du
möchteſt am liebſten ſelber ein Bischen Familiengeheimniß ſpielen.
Proſit! Iſt noch nicht aller Tage Abend.
Und mien Moder kann ſwemmen, brummte Anton in ent⸗
ſchloſſenem Tone, donnerte mit der Fauſt auf ſein Pult, daß die
andern Comptoiriſten erſchraken, und ein Lehrling das Malheur
hatte, ſich in der Copie eines Briefes zu verſchreiben. Darauf
herrſchte wieder Ruhe, bis der hereinſchlürfende Schritt des „Schat-
tens” dieſe abermals unterbrach.
Zwei: volle Tage währte diefe erwartungsvolle Unruhe, die
Jeder fühlte, obwohl Keiner fi) etwas davon merken lief. Am
Abend des zweiten Tages fehrte Hetdenfrei von feiner Villa zus
rüd, arbeitete noch jpät und rief dann abermals den „Schatten“
zu fih. Anton ward darüber rabiat, ftürzte fi in einen Wein—
feller und begeiſterte fich bier bei Hummerfalat und feinem Bor=
deaux dergeitaft, daß er ihn, fein Haupt in ambrofifhe Wolfen
gehüllt, erſt ſpät wieder verließ, Am Morgen darauf war er nicht
flüger dadurch geworden, nur die Arbeit ward ihm jchwerer, als
gewöhnlich, und hätte nur feine Zeit es erlaubt, die heute gerade
ſehr beſchränkt war, jo würde er verfucht haben, fi wirklich im
— 330 —
Schwimmen zu üben. Das ließ ſich aber nicht thun, und beöhalb
ward er Immer verdrießlicher.
Da auf einmal hieß es: Er ift ba!
Wer? fragten alle Comptoiriſten den gerade eintretenden
David,
Bott verdamm’ mid, der Herr aus Südamerika.
Wo? — Wie fhaut er drein? — Wie fieht er aus? Br-
ſcholl es von verſchiedenen Pulten ber.
Boll mid der Donner zerſchmeißen, wenn ich's weiß, ermi-
berte der grobe Hausknecht. Ein Menfh war's, das habe Ich ge=
merkt, ob er aber fleinalt oder blos mällergrau geworden iſt, das
weiß ich, Gott verbamm’ mid, nicht! Werden 's ja zeitig genug
erfahren. Ste haben ihn bald zerriffen auf ber Diele.
Der Herr Prinzipal und die jungen Herren? fragte ber
Buchhalter. |
Die ganze Compagnie! Am Tolften machte es Herr Treu⸗
freund.
Wieder der Alte! fagte Anton. „Schatten”, bu wirft mir
zu did, ih muß ſehen, wie ih dich auf halbe Vertrauensrationen
feben kann,
Damit erreichten vorläufig die Fragen und Grkunbigungen
im Somptoir ein Ende. Es kamen und gingen Geſchäftsleute,
mit denen zu fpreden war, die Auskunft begehrien oder brachten,
und fo Zonnte aus Mangel an Zeit Niemand ber Beſchäftigten
feine Gedanken an das heften, was in ber pbern Etage, in ben
Gemachern bes Rheders vorgehen mochte.
In dieſen Räumen treffen wir eine Stunde ſpäter ben Rhe⸗
der nebſt Eduard und Treufreund im Geſpräche vertieft mit Au⸗
guſtin Hohenfels, daſſen modern- eurppäiſche Tracht nicht recht zu
feinem wenig eurepätihen Weſen paſſen will.
Zreufreund fpriht Feine Sylbe. Der ehemalige Buchhalter
Hat einen der bequemen Boliterfeflel dem heimgefehrten Freunde
gerade gegenübergeſtellt. Da fipt er jegt, vertieft in den Anblid
bes Mannes, den er unter Allen, die er je gekannt, am höchſten
— 331 —
verehrte, den «er jedem Andern vorzog, ohne irgend Jemand des:
halb zu vernadläffigen oder herabzufegen. Seine Augen fuchten
mit der Liebe einer Mutter, melde in den Zügen des Neugebo⸗
renen, der an. threm Bufen ſchlummert, Mebnlichkett an dem Va—⸗
ter finden will, in dem verwitterten, rauhen, gebräunten und nar⸗
benreihen Antlitz, das einem Indianer gehören konnte, nad alten
befannten Linien. Entdeckte dieſe Treufreund auch nit, fo bil-
dete er fih’s doch ein. Flog ein Lächeln über die krauſen Züge
Auguſtins, dann zudte der „Schatten” aufjaudzend zufammen,
denn nur in ſolchen Momenten enthüllte fi wirflih auf Augen
genblide der ganze in einem Leben voll Noth und Abenteuern un=
tergegangene frühere Menſch. Diefer Auguftin Hohenfels, der jegt
unter den europälfchen Freunden faß, kam Treufreund vor, wie
ein vermitterted Haus, das man als Kind verlaflen hat, wie es
eben erbaut worden war, und das man im Greifenalter bemoof't,
mit Wundenmalen der Zeit bededt, wieber fieht und kaum zu er⸗
kennen vermag.
Treufreund ſtieß ſich indeß nicht an Aeußerlichkeiten. Hatte
er fich ſelbſt doch ebenfalls ſehr verändert, obwohl ſein Leben im
Vergleich mit dem des Freundes ein friedliches, kaum von einem
Schatten getrübtes zu nennen war. Das Herz Auguſtins hatte
fich nicht verändert. Sein Geiſt war noch ſo friſch, frei, kräftig
und hochfliegend wie ehedem, und was Treufreund wahrhaft ent⸗
zückte, in dem tief in die Höhle verſunkenen Auge lebte noch die=
ſelbe Theilnahme, zuckte noch dieſelbe Gluth, wie vor zwanzig Jah⸗
ren, und auch der Ton der Stimme war kein anderer geworden.
Das Organ des durch die halbe Welt gehetzten Mannes klang ſo
mild, weich, voll, wie damals, als er ihm an Borb bes Schiffes,
das ihn der neuen Welt zuführen folkte, unter zitterndem Hände⸗
druck das letzte Lebewohl zurief, dann auf's Quarterdeck fprang
und den Hut fo lange in ber Luft ſchwenkte, bis der Schiffsrumpf
Hinter den Maften der vor Anker liegenden Fahrzeuge verſchwand.
Bon den Gefprähen, welche Auguftin Hohenfels mit feinem
Steven Schwanger und dem ihm fo geiſtesverwandten Eduard führte,
— 332 —
können wir ſchweigen, da fie im Allgemeinen nus Bekanntes be-
rührten und bei Weitem nicht fo fehleierlos das Innere des Man-
ned darlegten, wie dies feine uns zum Theil befannt geworde⸗
nen Aufzeihnungen thaten.
Die Unterredung hatte weit über eine Stunde gedauert, da
unterbrach fie Hetdenfrei mit den Worten:
Ich muß Briefe unterzeichnen, lieber Auguſtin. Ich denke,
du begleitet mid und fiehit dir die Räume an, wo bu früher ja
fo oft weilteft. Du wirft fie leicht wieder erkennen, denn ich har
be nur wenig daran verändern laffen. Außer einer Thellung
meines eigenen Zimmers, die ich für zweckmäßig hielt, tft, glaub’
ih, Alles, bis auf die Pulte und Seſſel geblieben, mie es war.
Doch nein, die Fenſter find etwas vergrößert und flatt der klei—
nen Scheiben, die immer ein fo faliches Licht gaben, groß und
Kar ſchimmernde eingeſetzt worden. Es läßt fi jebt ganz ſu—
perbe arbeiten, felbft bei dicker Nebelluft: |
Auguftin erklärte fich bereit zu diefem Gange Gr nahm
ben Arm jeinee Neffen und ein Seufzer entrang fi der Bruſt
des ſtarken Mannes.
Mein Sohn! ſprach er. Wär's mir doch vergönnt, auch mit
dem Sohne dereinft jo Arm in Arm über die Straße zu gehen!
Wo er wohl weilen mag, der Geliebte, der mid fo wenig kennt,
wie ich ihn, der von meinem Dafein nicht einmal eine Ahnung
haben kann?
Dieſe Zeit, glaube es meiner ahnenden Seele, Auguſtin,
wird kommen, wird bald kommen! ſprach Treufreund. Es wa=
ren die erſten Worte, die ſeit dem Bewillkommnungsgruße über
ſeine Lippen kamen.
Sodenfels ſchüttelte ungläubig das Haupt. |
Lieber, treuer, brüberlichstreuer Freund, verfegte er, Id
danke dir für diefen neuen Beweis deiner wunergründlichen Liebe
und innigen Theilnahme, die auch dieſe lange Zeit der Tren-
nung zwifchen ung, der Glaube an meinen Tod in deinem Her-
zen nicht hat abjchwächen können, Leider aber ift die Wirklichkeit
— 333 —
nur gar zu oft der Schalksnarr unſerer reinſten und beſten
Wünſche, der fie mit der Peitſche todtſchlägt und wenn fie nicht
gleich daran fterben wollen, noch obendrein, einen fchlechten Witz
reißend, luſtige Bodsfprünge auf ihnen macht. Ginen verlorenen
Sohn wiederfinden ift beinahe chen fo ſchwer, als das Herz eined
Mädchens entdecken, an dem man das eigene vertrauensvoll aus-
ruhen fann. Es gibt ſolche Glücksfälle, gewiß, aber fie find fo
var, wie die Menfchen, welche nur bismwetlen wifjentlih, um nicht
zu fagen, mit Vorfag, fehlen.
Bet den letzten Worten feines Schwagers öffnete Heidenfrei
die Thür zum Comptoir. Sämmtliche Angeftellte, welche den
Schritt des Prinzipals genau fannten und aus den lauten Wor-
ten des Sprechenden vermutheten, daß er in Begleitung Mehrerer
fomme, wandten fich neugierig nad der Thür um, wo ihnen bie
tmponirende Geftalt Hohenfele’ mit den markigen, braunfarbigen
Gefihtszügen fogletch auffallen mußte. Wie auf ein erhaltenes
Commandowort erhoben ſich Alle. im
Heidenfrei, der gerade im Gefchäftslocale am wenigſten red—
jelig war, hielt e8 für ſchicklich dem ganzen Perfonal feinen Ver—⸗
wandten ein für allemal mit bündigen Worten vorzuftellen. Er
fagte daher, wie ein Feldherr alle Gomptoiriften mit ſcharfem Auge
ſtreifend, zu dieſen:
Mein Schwager, Herr Auguſtin Hohenfels aus Rio!
Damit war der Förmlichkeit genügt und dem Gomptofrperfo=
nal zugleich aud angedeutet, daß jeder Einzelne ungeftört in ſei—
nen Arbeiten fortfahren möge. |
Anton war dies unlieb. Er hätte gern den Mann, von dem
in den legten Monaten fo oft die Rede gewefen war, der Wun⸗
derbares erlebt, viel Trübes und Schreckliches erduldet haben mußte,
obwohl darüber nur höchſt lückenhafte Gerüchte umliefen, etwas
ſchärfer in’d Auge gefaßt. Daran wurde er jedod vor allen
Nebrigen am metiten verhindert, denn der Rheder trat zu ihm,
richtete mehrere Fragen an ihn, die prompte und Mare Antwort
— 334 —
erheiſchten, und ließ ſich ſodann die fertigen Briefe geben, um fie
raſch zu überfliegen und zu unterzeichnen.
Am Pult jedes Arbeiters hatte ſo der Prinzipal Einiges zu
ſagen , nachzufragen oder anzuordnen. Dieſe günſtigen Minuten
benutzte, da auch Eduard einige Abhaltungen hatte, Treufreund,
um den Zurückgekehrten ganz in Beſchlag zu nehmen. Er hing
fi an Auguſtin's Arm, zog ihn in möglichſter Eile nad feinem
eigenen Urbeitöraume, deutete bier auf die Fenſter, dann auf das
Pult und den alten niedergefeflenen Comptoirbock, wo Hohenfels
mehr denn einmal gerubt und mit dem damals jugendlih rüftigen
Buchhalter intereffante Gefprähe vol Geiſt, unendlih reih an An⸗
fhauungen und weittragenden Gebanten, geführt hatte. Treufreund
verfagte abermals die Sprache. Sein Her; war fo übernoll, daß
ihm Worte wie eine Entweihung der Empfindungen vorfamen, bie
ihn jebt ganz befeelten, . beherrichten und beglüdten. Es waren
gewiß bie feligften Augenblide, die der „Schatten”, fo lange er hier
wirkte, verlebt haben mochte. Aber die Tiefe und Wahrheit jenes
Empfindens verliehen ihm die bezeichnendften Bebehrben, fo daß
Hohenfels den ſchweigſamen Freund, deflen Lippe nur dann und
wann zudte, oder deſſen Augenwimpern eine Breubenthräne zur Erde
fallen ließen, beffer verftand, als wenn er flüfternd, um die Andern
nicht zu flören, mit ihm geiprohen hätte.
Bon Zeit zu Zeit drückte Treufreund Hohenfels auch die
Hand oder ex Elopfte ihm lächelnd und liebkoſend fanft auf bie
gebräunte Wange. Endlich holte er ein paar der für ihn fo ehr⸗
furchtgebtetenden Handlungsbücher hervor, fhlug fie auf und deu⸗
tete Auguſtin Hohbenfels bie Notizen an, die er dazu gemacht hatte,
Ganz zulept aber erfhloß er das Pult, nahm das Briefpaquet,
bas wir ihn Eürzlih mit folher Andacht durchblättern fahen, zeigte
es dem geliebten Freunde und konnte fi nicht enthalten, unter
heftiger hervorbrechenden Thränen biefen höchſten Schatz flüchtig an
feine Lippen zu drüden.
Hohenfels reichte dem erprobten Freunde, der ihn jeberzett
ganz verſtanden hatte, feine Hand.
— 995 —
So große Anhänglichkeit habe ich wicht verdient, ſprach ex
bewegt, denn, um bie Wahrheit zu fagen, jo aufrichtig ich an Bir
bing, es find fpäter, als das große Unglück über mich fam, doch
viele Monate vergangen, ohne daß ih mich beiner erinnert habe.
Treufveund lächelte. War das ein Wunder? verſehte er.
Konnte es wohl anders fein? Wir bier Iebten in ber alten Welt,
die ihre von Kind auf Kindeskind vererbten. Gewohnheiten und
Veberlieferungen befigt und fefthält, die lebteſt prüben in ber neuen
Melt, wo ed weder Gewohnheiten noch Geſchichte gibt, ſondern
jeber neue Tag nur fi ſelbſt regelt, wie bu mis wiederholt ge⸗
ſchrieben haſt. Wo ſollteſt du in folder Welt bleiben mit den
fein empfindenden Nerven, die du aus dem alten Europa herüber⸗
brachteſtz Zu Grunde hätte du gehen müſſen mis einem Herzen
voll reinen europäifhen Blutes. Du mußtelt anderes, älteres bir
anfchaffen, und daß bu dies konnteſt, das hat dich erhalten in der
fhweren Trübfal, das ſchenkte uns bi mach fo langen Jahren
wieder. Dein Herz, deine Gefühle find birfelben geblieben, mit
benen bu bier an Bord bes Schiffes ging, du haft es drüben
nur in fiherem Gewahrfem untergebradt, wie man ein theures
Andenken verfchließt, damit es nicht verlosen gehe oder abgenutzt
werde.
Du meinft es gut, ich weiß es, ſprach Hohenfels, ben Freund
gerührt an feine Bruft ziehen. Wären alle Menſchen wie bu,
dann gäb' es Feine Feindſchaft, einen Haß, kein muthwillig er-
zengtes Elend auf Erden.
Während dieſer Unterhaftung, die fehr leiſe geführt warb,
und welde dem Gomptotrperfonal Zeit genug gab, um die Geftalt
des Allen merkwürdigen Mannes zu muftern, fuhr ein Wagen vor.
Bald darauf. trat David ein, raunte dem Prinzipal ein paar
Worte mit polternder Stimme zu und begab fich ſogleich wieder
an feine Arbeit auf ber Diele, wo er fih unter halben Schiffsla⸗
bungen, bie daſelbſt faft immer aufgeftapelt lagen, am gemüthlid«
ften fühlte,
Heidenfrei vief feinen Schwager, ber unverweilt, am Arme
— 334 —
erheiſchten, und ließ ſich ſodann bie fertigen Briefe geben, um fie
raſch zu überfliegen und zw unterzeichnen.
Am Bult jedes Arbeiters hatte fo der Prinzipal Einiges zu
fagen, nachzufragen oder anzuorbnen. Diefe günfttgen Minuten
benußte, da auch Eduard einige Abhaltungen hatte, Treufreund,
um ben Zurüdgefehrten ganz in Beihlag zu nehmen. Gr hing
fh an Auguſtin's Arm, z0g ihn in möglichſter Eile nad feinem
eigenen Arbeitöraume, deutete hier auf die Fenſter, dann auf das
Pult und den alten niedergefefienen Comptoirbod, wo Hohenfels
mehr benn einmal geruht und mit dem damals jugendlih rüftigen
Buchhalter intereffante Gefprähe vol Geift, unendlich reich an An⸗
fhauungen und meittragenden Gedanken, geführt hatte, Treufreund
verfagte abermals die Sprache. Sein Herz war fo übervoll, daß
ihm Worte wie eine Entweihung der Empfindungen vorfamen, bie
ihn jegt ganz beferlten, . beherrfchten und beglüdten. Es waren
gewiß die ſeligſten Augenblide, bie der „Schatten“, fo Iange er hier
wirkte, verlebt haben mochte. Aber die Tiefe und Wahrheit fetnes
Gmpfindens verliehen ihm die bezeichnendſten Gebehrden, fo daß
Hohenfels den ſchweigſamen Freund, deflen Lippe nur dann und
wann zudte, oder deſſen Augenwimpern eine Freudenthräne zur Erde
fallen ließen, befjer verftand, als wenn er flüfternd, um die Andern
nicht zu fiören, mit ihm gefprochen hätte.
Don Zeit zu Zeit brüste Treufreund Hohenfels auch bie
Hand oder er Mopfte ihm lächelnd und liebkoſend fanft auf bie
gebräunte Wange. Endlich holte er ein paar der für ihn fo ehr⸗
furchtgebietenden Handlungsbücher hervor, ſchlug fie auf und beu«
tete Auguftin Hohenfels die Notizen an, die er dazu gemacht Hatte,
Ganz zuletzt aber erfhloß er das Pult, nahm das Briefpaquet,
bas wir ihm kürzlich mit folder Andacht durchblättern fahen, zeigte
es dem geliebten Freunde und Tonnte fi nicht enthalten, unter
heftiger bervorbrechenden Thränen diefen höchſten Schatz flüchtig an
feine Lippen zu drüden.
Hohenfels reichte dem erprobten Zreunde, der ihn jederzeit |
ganz verfianden hatte, feine Hand.
u ____
— 995 —
So große Anhänglichkeit Habe ich wicht verbtent, ſprach er
bewegt, denn, um die Wahrheit zu fagen, fo aufrictig ich an bir
hing, es find fpäter, ald das große Unglüd über mich kam, doc
viele Menate vergangen, ohne daß ich mich beiner erinnert habe.
Treufveund lächelte. War bas ein Wunder? verfchte er.
Konnte es wohl anders fein? Wir bier lebten in der alten Welt,
die ihre von Kind auf Kindesktnd vererbten. Gewohnheiten und
Veberlieferungen befift und feRbält, die lebteſt prüben in ber neuen
Welt, wo ed weder Gewohnheiten noch Geſchichte gibt, fondern
jever neue Tag nur ſich felbfi regelt, wie bu mir wiederholt ge⸗
ſchrieben haſt. Wo ſollteſt du in folder Welt bleiben mit ben
fein empfindenden Nerven, bie du aus dem alten Europa herüber⸗
braten? Zu Grunde Hätte du gehen müſſen mis einem Herzen
voll reinen europälfchen Blutes. Du mußteſt anderes, kälteres bir
anfhaffen, und daß du Dies konnteſt, das hat dich erhalten in ber
fhweren Trübſal, das fihenkte uns Di mach fo langen Jahren
wieder. Dein Herz, deine Gefühle find biefelben geblieben, mit
denen du hier an Vord des Schiffes gingſt, du haſt es drüben
nur in ſicherem Gewahrſam untergebradt, wie man ein theures
Andenten verſchließt, damit es nicht verfoven gehe oder aßgennpt
werde,
Du meinft es gut, Ich weiß es, ſprach Hohenfels, den Freund
gerührt an feine Bruft zieherd. Wären alle Menſchen wie bu,
dann gäb’ es keine Feindſchaft, keinen Haß, kein muthwillig er⸗
zengtes Elend auf Erben.
Während diefer Unterhaltung, bie ſehr leiſe geführt ward,
und welche dem Gomptotrperfonal Zeit genug gab, um die Geſtalt
des Allen mertwürbigen Mannes zu muſtern, fuhr ein Wagen vor.
Bald darauf. trat David ein, rannte dem Prinzipal ein paar
Worte mit pokternder Stimme zu und begab fich fogleih wieder
an feine Arbeit auf ber Diele, wo er fih unter halben Schiffsla-
bungen, die bafelbft faft immer aufgeflapelt Lagen, am gemüthlich⸗
ften fühlte.
Heidenfrei vief feinen Schwager, ber unverweilt, am Arme
— 336 —
Treufreund's die Arbeitszimmer durchſchreitend, dem Rufe des
Schwagers folgte.
Ich habe dir noch eine Mittheilung von Wichtigkeit zu ma
hen, redete er ihn an, die Comptoiriften im Fortgehen freundlich
grüßend. Don meinen Söhnen wirft bu erfahren haben, daß ſich
im vorigen Herbft eine höchſt Argerlihe Geſchichte bier zutrug.
Die Sache überraſchte mich damals dergeitalt, dag ih Mühe hatte,
meine Ruhe zu behalten. Kein Menfh vermochte mit einiger Ge⸗
wißheit den eigentlihen Zufammenhang, viel weniger noch den
wahren Hergang zu errathen, ber mitten aus dem fröhlichen Le—
ben einer zahlreichen Gefelihaft ein junges, hübſches, von Jeder⸗
mann gern gefehenes Mädchen fpurlos verſchwinden Tief.
Die Tochter deines Quartiersmannes, fiel Hohenfels ein.
Ganz reiht, th entfinne mid. Eduard, glaub’ ih, hat mir über
dies auffallende Ereigniß ziemlich ausführlich gefchrieben. “Der
Verdacht fiel auf ein paar junge Seeleute, niht wahr? Hat man
fie entdedt, und find fie der frechen That geftändig?
Der Entführer oder vielmehr deren Anftifter tft entdeckt, ver-
ſetzte Heidenfrei, es fit aber ein ganz Anderer, als die wir an=
fangs für fhuldig hielten. Gerade jener Matrofe, ein Frembling
aus Süd» oder Mittel - Amerita war es, dem wir die Entdedung
des wirflihen Thäters verdanken. Die Geraubte befindet fih, Gott
Lob, Teiblih und geiſtig im beiten Wohlfen. Ihr Entführer hat
von feinem romantiſch-kecken, nah unfern Redtsanfichten höchſt
ftrafbaren Unternehmen nihts als den Schimpf und eine total
rutnirte gefellfhaftlihe Stellung. Ueber feine Perſönlichkeit ſollſt
du fpäter Weiteres von mir hören. Gegenwärtig wollte ich dir
nur fagen, daß Chriftine foeben von ihrem Vater aus dem bi8-
her fo glüdlich geheim gehaltenen Verftel abgeholt und zu meiner
Famtlie auf dem Lande gebracht worden iſt. Du follft das Mäd-
chen fpäter Fennen lernen und wirft es, Hoff ih, lieb gewinnen.
Der junge Mann, welcher uns den Thäter näher bezeichnete, war-
tet meiner, um mir Bericht abzuftatten. Es tft derfelbe, den wir
früher mit nit geringem Grunde für den wirklich Schuldigen
— 337 —
hielten. Haft du Luft feine Bekanntſchaft zu mahen? Er if
ja immer als geborner Brafilianer Halb und Halb dein Lands⸗
mann.
Wie nennt er ſich?
Sa, fiel Hetdenfrei ein, das mag ber gute Menſch fo ganz
genau wohl felbft nicht willen. Nach feinem Familiennamen has
ben wir ihn nicht einmal gefragt.
Er nennt fih Miguel, ſprach Treufreund, er glaubt in Süb-
amerifa geboren zu fein, tft aber fehr frühzeitig erbarmungslos in
die Welt hinausgeſtoßen worden und hat wunderbare Schickſale
gehabt.
Miguel! ſagte Hohenfels finnend. Miguel heißen viele Men⸗
fhen. Ich muß, wenn th diefen Namen höre, immer an Pueblo
y Miguel Saldanha denken.
Du könnteſt vielleicht den aufgewedten Matrofen nach diefem
Manne fragen, warf Heidenfrei ein. Mir iſt es noch nicht ein
gefallen oder richtiger, ih bin nicht dazu gekommen, da ung bie
Entdefung des Aufenthaltsortes der armen Entführten bei unfern
fettherigen Zufammenfünften ausſchließlich befchäftigte.
Das will ih auch, ſprach Hohenfels entfchloffen. Iſt biefer
Matrofe ein Brafilianer von Geburt, hat er längere Zeit in den
Küftenftrichen des mexikaniſchen Golfs und auf den Inſeln gelebt,
fo muß diefer Name ihm mehr als einmal zu Ohren gelommen
fein, denn der Mann, welcher ihn führte, war, wie ich durch un—
abläffige Nachfragen erfahren habe, eine überall gefannte und be—
liebte Perfönlichkeit.
Auf dem Gorridor erwartete der Quartiersmann ben Rheder.
Das Gefiht des in den letzten Monaten ſtark gealterten Mannes
ftrahlte vor Freude.
Du bringft gute Nachricht, ich fehe dir es an, ſprach Heiden⸗
frei. Superbe! Aber wo haft du deinen jungen Begleiter? Er
iſt doch nicht etwa mit deinem Willen durchgegangen? |
Alles in Ordnung, Herr, verfebte Jacob. Der Moſes hat
und ausgezeichnet bedient für die ſchönen Portugalöfer, die Ste
D. B. XI Willkomm's Rheder und Matroſe. 22
— 338 —
ihm ſo gnädig zugeſagt. Ich weiß gar nicht, wie ich das wieder
gut machen ſoll mit meinen beiden Händen. Arbeiten kann ich
wohl, aber mit Arbeit allein kann auch der redlichſte Mann ge⸗
noſſene Wohlthaten nicht vollſtändig abverdienen.
Still, ſtill, Jacob, unterbrach ihn der Rheder. Du biſt ſchon
ſehr nachſichtig gegen mich und mein Haus, wenn du mir erlaubſt,
daß wir nach dem, was Alles geſchehen iſt und wenn fortan deine
Tochter in meinem Hauſe bleibt und Unterricht genießt, wie ihre
natürlichen Anlagen ihn verlangen, mit einander einfach aufheben.
Abarbeiten! Pfui, Jacob! Wie magſt du ſolchem Gedanken dich
hingeben! Nichts mehr davon! Jetzt aber ſieh dich um und fag’
mal, ob du das Gefiht da Tennft oder ob es dir doch bekannt
vorkommt.
Der Rheder öffnete bei diefen Worten die Thür feines Zim⸗
mers, durch welche das volle Licht des Tages In den dunkeln Gor=
ridor und auf die Gruppe der hier Stehenden fiel. Jacob prallte
erſchrocken und verwundert zurück beim Anblid Auguftins, von befr
fen naher Ankunft er zwar gehört hatte, deſſen er fih aber nur
dunkel noch erinnern konnte, —
O Gott, o Gott! rief er aus, die Hände faltend. Wie hab'
ich mich erſchrocken! Da iſt ja Er! Nur etwas älter und härter
von Zügen, aber ganz Er, bis auf die Augen, die freilich mehr
in's Schwarze, als in's Graue hinüberſpielen.
Treufreund betaſtete bald ſeine Glatze, bald trocknete er ſich
die immerfort thränenden Augen, während er innerlich frohlockend
das Haupt hin- und herwiegte.
Bon wem fpriht der Mann? fragte fihtlih aufgeregt Hohen
feld. Wem fehe ich oder wer fieht mir ähnlich?
Ehe noch Jemand darauf antworten Tonnte, rief eine fugend=
Lich-frifhe Stimme den Namen Jacob und eflige Schritte ließen
auf der Treppe fi) hören.
Komm’, komm’, mein Junge! verfeßte Jacob, Heute gibt
es Freude auf Erden und Brohloden im Himmel! Komm’ ber
— 339 —
und laß dich anguden, damit man: erfährt, wo bu heimiſch bift
und wen du angehörft!
Miguel trat raſch in's Zimmer, durch deſſen Fenſter goldiger
Sonnenglanz ſchimmerte. Ihm gerade gegenüber ſtand Auguſtin
Hohenfels, ſeine ſcharfen Augen auf den hochgewachſenen, kräftigen
Jüngling heftend, der jetzt mit freudeſtrahlendem Antlitz ihm ents
gegentrat.
Himmel, was iſt das! rief der von ſo ſchweren Schickſalen
heimgeſuchte Mann, an allen Gliedern zitternd aus. Dieſer Junge
heißt Miguel? Ich will Gewißheit. Gib her die Linke, und wehe
mir, ein Fluch, ein Fluch auf dieſe Stunde, wenn du mich ſo
fürchterlich täuſcheſt!
Hohenfels warf einen ſchrecklichen Blick, aus dem das Feuer
des Wahnfinns zudte, gen Himmel, dann faßte er wild die Linke
Miguels, riß das blaugeftreifte Baummollenhemd, das eng am
Knöchel ſchloß, auf, flreifte es zurlid bis zum Ellenbogen und be=
trachtete bier die Innere Seite des Armes. Gin feines, granatfar-
benes Blatt von ſchönſter Zeichnung fehimmerte ihm als Mal ent-
gegen. .
Das Granatblatt! O Gott, das Granatblatt, deffen Fall
meine Dolores fo fehr erfchredte, als fie ihn unter dem Herzen
trug ! "
Auguftin Hohenfeld brach in ein convulfinifches Gelächter der
Freude aus, Sffnete beide Arme, riß Miguel an feine Bruft und
fant mit ihm zugleich, wiederholt die Worte rufend: Mein Sohn!
Mein Scmerzenstind! Kind meiner gemordeten, ewig geliebten,
unvergeßlichen Dolores! bewußtlos auf den .naheftehenden Divan.
Die Zeugen dieſes Wiederfindens verftummten im Anblid ei—
ned Glüdes, das denen, die es genofien, eben fo leicht den Tod
bringen, wie neues, frohes Leben ſchenken konnte. Treufreund
aber Inteete neben Vater und Sohn nieder, bewegte fprachlos Die
Lippen und legte feine weiße, zitternde Hand, als wolle er fie feg-
nen, auf Beider Scheitel.
22*
Drittes Buch.
Die Fluth.“
Erfies Kapitsel.
Auf der Alſter.
Ein kleines Geſchwader zierlicher Ruder- und Segelboote
ſchwamin über die breite Waſſerfläche der Außenalſter der Lom-
barbsbrüde zu. Der beinahe volle Mond fpiegelte fih in den Leicht
bewegten blauen Wellen und beftreute fie mit fliefendem Silper,
büben und drüben die fchön belaubten Ufer um Pöfeldorf und
die Häufergruppen der Vorſtadt St. Georg in buftigen Dammer-
glanz hüllend.
Es war ein Föftlicher, warmer Auguftabend, einer jener Abende
Die auch dem Norden füdlich gefättigte Tinten leihen. Der An
blit des großen, feebuchtartigen Waſſerheckens mit den vielen laut⸗
[08 darüber hingleitenden weißen Segeln, das Plätfchern im ra⸗
ſchen Takte gehandhabter Ruder, deren female Schaufeln beim
Emportauden aus dem Wafler im Monde glikerten und die herab-
träufelnden Waffertropfen in funkelnde Brillanten verwandelten,
bie Gruppen ſtill rudernder Schwäne, die ihr filbernes Gefieder
im Mondſchein badeten, endlih die Impofanten Häuferreihen des
alten und neuen SJungfernitieged und weiter im SHintergrunde
bie hohen Thürme ber braufenden Stadt, in feinem Nebel ver-
ſchwimmend: dies Alles war mohl geeignet, jeine Zauber auf em⸗
pfänglihe Gemüther auszuüben.
Obwohl die Luft nur wenig bewegt war, füllten fich doch bie
Segel der Teicht gezimmerten Aifterfähne und trieben diefe mit
ziemlicher Schnelligkeit über die fchimmernden Wellen. Die Ru
berboote vermochten nicht Schritt zu halten mit den Segelbarfen,
und oft, wenn einer der rafheren Segler an einem der Ruder-
— 344 —
boote vorlberraufchte, vernahm man Scherzworte und übermüthiges
Lachen fhälernder Mädchen. .
Diefe Flotille kehrte aus Eppendorf zurück. In dem reizend
gelegenen Drte war ein ländliches Felt von einer Anzahl Familten
arrangirt worden, das mit einem brillanten Feuerwerk endigte.
Dann fchiffte män fih ein, um den Reit bes froh verlebten Tages
noch recht zu genießen auf dem fühlen, mondbeleuchteten Wailer-
fptegel. Die jungen Leute, denen es Vergnügen machte, fich in
ber Führung eines Nahen, in geſchickter Handhabung eines Ru—
ber zu üben und darin eine gewiſſe Meifterfhaft zu erlangen,
gingen gegenfeitig Wetten ein, und firengten alle ihre Kräfte an,
um bie blauen, flimmernden Wellen am ſchnellſten zu burchfchnet-
den. Dies ertemporirte Wettrudern war gewiffermaßen eine Ber-
längerung bes fröhlichen Feſtes, denn aud diejenigen, welche fi
nicht daran betheiligten ober bethetligen Tonnten, hatten doch ein
Intereffe an dem Ausgang ber nächtlihen Ruderübung, und na=
mentlih waren es die Segelbarken, bie fich beeilten, vor Ankunft
ber Ruderboote die verfihtedenen Landungspläße zu erreichen.
Zwei Boote von ganz gleicher Bauart, ganz glei bemannt
und mit Hamburg’s wohlbekannter Flagge geztert hatten bis jept
fo genau mit einander Schritt gehalten, daß keins das andere auch
nur um eine Linie überflügelte.e Da, bei einer unbebeutenden
Wendung erhielt das eine den Vorſprung. Gin jubelndes Hurra
der Ruderer verkündigte ben Sieg und das Niedergleiten der
Flagge der Befiegten, das man ausbenungen hatte, zeigte zugleich
das Ende der Wettfahrt an.
Kurt trifft die Schuld, dag wir unterlegen find, fprach einer
der ſechs Ruderer, welde außer dem Steuermann im Boote fid
befanden. Hätte er, anftatt rechts zu wenden, links abgebogen,
gewannen wir früher die Strömung, und dann war das Lachen
auf unferer Seite. Weiß der Himmel, wie's kommt, diefem An⸗
ton, der früher kein befonderer Glücksvogel war, gelingt jeßt
Alles !
Ich wollte, du hätteſt ſtatt meiner das Steuer geführt, ver⸗
‘
— 345 —
fegte Kurt. Sch hab’ mic gemeigert, Ihr wißt es, denn ich fühle
mich zu fo_wichtigem Voſten nicht berufen.
Wir Alle fprehen dich frei von Schuld, fagte ein Dritter,
laß Julius räfonniren. Er ärgert fih nur, weil Anton im Grunde
Recht hat. Sagte er nicht fhon vor der Abfahrt: gebt Acht, das
Boot, welches Julius zu tragen befommt, wird ’überflügelt. Er
tft zu fett, es geht zu tief im Wafler.
Die Uebrigen mußten laden, Julius aber, auf deffen Koften
feine Gefährten fih amüfirten, legte ruhig fein Ruder nieder,
treuzte die Arme über der Bruft und fagte gelaflen: Thut nichts,
der größere Genuß bleibt uns doch. Wir mahen’s, wie die Ken
ner einer guten Tafel. Zum Deffert verfpeifen wir die rarſten
Delicateſſen. Was haben denn diefe fogenannten Steger von ihrem
Triumphe? Höchſtens außer müden Armen und keuchender Bruft
das holdjelige Lächeln von ein paar feingepußten Rhederstöchtern.
Wir dagegen, wir find freie fröhliche Menfchen. Uns gehört die
Welt, der köſtliche Mondfchein, die ganze Binnenalfter, und wollen
wir leben, wie es wahren Weltweifen des neunzehnten Jahrhuns
derts geztemt, fo legen wir jegt erſt vecht nicht an, fondern kreu—
zen noch ein halbes Stündchen auf dieſem mit Mondfilber gefüllten
Bottih und laſſen bei einem Glaſe Champagner, ben ich vorforg-
ih mit beigepadt habe, um im Falle eines Abtreibens nicht Noth
zu leiden, alle fchönen Augen und rofigen Xippen, die wir ung
jegt noch viel fhöner und ſchmackhafter vorftellen können, als fie
vielleicht in der Wirklichkeit find, Hoch leben.
Du biſt und bleibſt ein unverbefjerlicher Materiatifl ſprach
Kurt.
Ein fein und weiſe jeden Moment des Lebens genießender
Epikuräer, mußt du ſagen, erwiderte Julius. Lebt noch ſechs bis
acht Jahre länger und werdet ſo wohl beleibt, wie ich es, Gott
Lob, von Kindesbeinen an immer geweſen bin, und Ihr werdet
einſehen, daß meine Philoſophie die ſolideſte iſt.
| Die unverwüftlihe Laune des heitern Lebensmannes verſcheuchte
ſchnell die kleine Mißſtimmung, welche ſich in Folge der verlorenen
— 346 —
MWettfahrt einige Augenblide befonders bes fleuerführenden Kurt
bemädhtigt Hatte. Man fand den Vorſchlag des immer auf neue
Genüffe dentenden Julius ganz annehmbar, und da ber Abend
warm, ber Mondſchein gar zu verführerifh einladend war, fo grif-
fen die jungen Leute gern wieder zu ben Rudern, um nod ein
paarmal auf der prächtigen Binnenalfter die Runde zu machen,
Diefe nächtliche Spazierfahrt war unterhaltend genug, denn nicht
allein zeigte fi noch ein lebhaft bewegtes Treiben unter den ſchat⸗
tigen Linden des alten Jungfernftieges, auch Spiel und Gefang
war aus mehr denn einer der fafhtonablen Wohnungen vernehmbar.
Jetzt den® ich mir, ich bin einer ber Mächtigen aus ber alten
Dogenftadt an der Adria, fprah Julius, fein Ruder einziehend.
Dort der Brüdenbogen kann den Rialto vorftellen, die Windmühle
daneben — na, die fieht man nicht. Himmel und Wafjer nehmen
es wohl mit der venetianiſchen Meerflutb und dem Luftgewölbe,
das fi in ihr fpiegelt, auf, wenigftens. haben Kenner mid ver-
fichert, daß der berühmte Canale grande zu gewiflen Zeiten mit
unferm breiten Fleeth die größte Familienähnlichkeit haben fol.
Seht mal, Jungens, Ihr nennt mid immer materiell, und Id
widerfprehe Euch nicht, das aber babe ich doch vor Euch vor⸗
aus, daß id mir nämlich rund um mich herum Alles fo ſchön vor=
fiellen Tann, wie's mir beliebt. Macht mir das nad!
Das kommt' von deinem Appetit ber, erwiderte einer der
Ruderer. Ein übervoller Magen bet die tollſten Phantafieen aus,
Sapperment, rief Julius auflahend, wenn das wahr wäre,.
fo würde dieſe gute Stadt an Alfter und Elbe früh genug aus
einer handeltreibenden Metropole die Reſidenz der zahlreighiten
Poeten werden, die fih je an einem Orte zufammenfanden. Nein,
guter Junge, fo eingebildet bin ih nicht, aber das iſt wahr, das
Denken gelingt mir immer, wenn ich gar feinen Hunger mehr
fpüre, und am wohliten befinde ih mich geiſtig und leiblih dann,
wenn th die Blume des Weines, den ich zuletzt probirt, noch auf
der Zungenfpite ſchmecke. Doch, was geht uns Das an. Halten
wir und an bie Gegenwart, an das Gelende, wie bie neuellen
— 341 —
Philoſophen fih wiffenfhaftlih nobel ausdrüden. Die Gegenwart
tft das allein Sichere, und entfpricht fie unſern Wünfchen, fo füh«
len wir uns glücklich. Möge fie uns immer In fo feenhaften
Glanze, fo zauberhaft angethan, wie eben jept, erſcheinen.
Julius entkorkte den bereit gehaltenen Champagner, ließ den
Wein ins Glas fhäumen und trank es den Freunden zu. Die
Flaſche war bald geleert.
Fort mit ihr in Die "Unterwelt! ſprach ber fröhlihe Sohn
des Genuffes und fchleuderte die Flaſche in das Baffin. Die
Schaale einer genofjenen Frucht verdient immer zu Grunde zu
gehen.
Der Nahen, nur von zwei Ruderern — die Vebrigen fei=
erten — bewegt, trieb langfam auf dem blitzenden Gewäſſer.
Mo ftedt denn eigentlich unfer neufpanifher Hidalgo? ſprach
Kurt, bei dem SKlange einer Guitarre, der vom Jungfernſtiege
bherüberfchwirrte, des Fremdlings gedenkend. Ich glaube, es find
mehr als vier Wochen vergangen, feit wir zum lebten Male mit
ihm zu Abend fpeiften.
Julius lächelte höchſt verſchmitzt. J
Meinſt du, das wird man uns, die wir den Trefflichen ſo
gut kennen, auf die Nafe binden? ſagte er. Hat er nicht öffent-⸗
lich befannt gemacht, daß er verreifen will.
Das wohl ' erwiderte Kurt, nicht aber, wohin. Und dann,
wenn man nur auf furze Zeit verreift, fo kommt man auch
wieder.
Eine weife Bemerkung, um welche dich Polontus beneiden
Tönnte, ſprach Julius. Indeß verreif’t man auch zuweilen, um
von Andern nicht beläſtigt zu werden.
Mag ſein, bei Don Gomez jedoch möchte ich ein ſolches
Qui pro quo am wenigſten für möglich halten, entgegnete Kurt.
Er hatte ja immer fo viel Zeit übrig, und ward er nicht belä-
ftigt durch Befuhe und dergleichen, fo beläftigte ihn felbft die
Langeweile bergeftalt, daß er gegen feine angeborene Natur un»
liebenswürdig werden konnte.
— 346 —
Mettfahrt einige Augenblide befonders bes fteuerführenden Kurt
bemädtigt hatte. Man fand ben Vorfhlag des Immer auf neue
Genüſſe denkenden Julius ganz annehmbar, und ba ber Abend
warm, der Mondſchein gar zu verführertfh einladend war, fo grife
fen die jungen Leute gern wieder zu ben Rudern , um noch ein
paarmal auf der prädtigen Binnenalfter die Runde zu maden,
Diefe nächtliche Spazierfahrt war unterhaltend genug, denn nicht
allein zeigte fih noch ein lebhaft bewegtes Treiben unter den fhat-
tigen Linden des alten Jungfernſtieges, auch Spiel und Gefang
war aus mehr denn einer ber fafhtonablen Wohnungen vernehmbar.
Seht denk' ich mir, ih bin einer der Mächtigen aus ‚der alten
Dogenftadt an der Adria, fprah Julius, fein Ruder einziehend,
Dort der Brüdenbogen kann den Rialto vorftellen, die Windmühle
daneben — na, die fieht man nidt. Himmel und Wafler nehmen
es wohl mit der venettanifhen Meerfluth und dem Luftgewölbe,
das fih in ihr fpiegelt, auf, wenigſtens haben Kenner mid, ver-
fihert, daß der berühmte Canale grande zu gewiflen Zeiten mit
unferm breiten Fleeth die größte Familienähnlichkeit haben fol.
Seht mal, Jungens, Ihr nennt mich immer materiell, und ic
widerfprehe Euch nicht, das aber habe ih doch vor Euch vor-
aus, daß ih mir nämlih rund um mich herum Alles fo ſchön vor-
fielen Tann, wie's mir beliebt, Macht mir das nad!
Das kommt' von deinem Appetit ber, ermiberte einer der
Ruberer. Ein Überooller Magen bet die tollſten Phantafieen aus,
Sapperment, rief Julius auflahend, wenn das wahr wäre,.
fo würde dieſe gute Stadt an Alfter und Elbe früh genug aus
einer handeltreibenden Metropole die Refidenz der zahlreiſchſten
Poeten werden, bie, fi) je an einem Orte zufammenfanden. Nein,
guter Junge, fo eingebildet bin ich nicht, aber das ift wahr, das
Denken gelingt mir immer, wenn ih gar feinen Hunger mehr
fpfire, und am wohliten befinde ih mich geiſtig und leiblih dann,
wenn tch die Blume des Weines, den ich zulebt probirt, noch auf
der Zungenfpige ſchmecke. Doch, was gebt uns das an. Halten
wir uns an bie Gegenwart, an das Getende, wie bie neueſten
— 347 —
Philoſophen fich wiffenfchaftlich nobel ausbrüden. Die Gegenwart
ift das allein Sichere, und entſpricht fie unſern Wünfchen, fo füh«
fen wir uns glücklich. Möge fie uns immer in fo feenhaftem
Glanze, fo zauberhaft angethan, wie eben jept, erſcheinen.
Zulius entkorkte den bereit gehaltenen Champagner, ließ den
Wein ins Glas ſchäumen und trank e8 den Freunden zu. Die
Flaſche war bald geleert.
Fort mit ihr in Die Unterwelt! ſprach der fröhlihe Sohn
bes Genuffes und fchleuderte die Flaſche in das Baſſin. Die
Schaale einer genofjenen Frucht verdient immer zu Grunde zu
gehen.
Der Nahen, nur von zwei Ruderern — bie Uebrigen fei-
erten — bewegt, trieb langſam auf dem blienden Gewäſſer.
Wo ſteckt denn eigentlich unfer neufpanifcher Hidalgo? ſprach
" Kurt, bei dem Klange einer Guitarre, der vom Jungfernftiege
herüberjchwirrte, des Fremdlings gedenkend. Ich glaube, es find
mehr als vier Wochen vergangen, fett wir zum legten Male mit
ihm zu Abend fpeilten.
Julius lächelte höchſt verſchmitzt. J
Meinſt du, das wird man uns, die wir den Trefflichen ſo
gut kennen, auf die Naſe binden? ſagte er. Hat er nicht öffent- -
lich bekannt gemacht, daß er verreifen will.
Das wohl, erwiderte Kurt, nit aber, wohin. Und dann,
wenn man nur auf furze Zeit verretf’t, fo kommt man aud
wieder.
Eine weiſe Bemerkung, um welche dich Polontus beneiden
könnte, ſprach Julius, Indeß verreift man auf zuweilen, um
von Andern nicht beläftigt zu werden. |
Mag fein, bei Don Gomez jedoch möchte ih ein folches
Qui pro quo am wenigften für möglih Halten, entgegnete Kurt.
Er Hatte ja immer fo viel Zeit übrig, und ward er nit belä-
ftigt durch Befuche und dergleichen, fo beläftigte ihn felbft Die
Langeweile bergeftalt, daß er gegen feine angeborene Natur un»
liebenswürdig werden konnte.
— 348 —
Unfere Schönen hatten in Diefer Beziehung andere Anfichten,
_ warf ein Dritter ein.
Annahmen, Vermuthungen, nichts weiter, bemerkte ein Vier⸗
ter. Was fabelte und ztfhelte man fich im vorigen Winter nicht
Alles Ind Ohr, als der Meritaner gerade unter allen Manns
leuten das gejuchtefte Eremplar war, fchler als hätte alle Männ-
Tichtett fich in den bräunlichen Ritter geflüchtet, und doch — hat
Einer von Euch fpäter noch ein einziges Wort davon gehört?
Gehört? fagte Julius. Nein, das nicht, aber denken ließ
ſich doch allerhand.
Denke, fo viel du willſt, was du denkſt, ausfprechen wirft
bu es doch nicht.
Am Lande vieleicht nicht, auch fehwerlih, wenn der Wind
nordöftlih bläſ't, erwiderte Julius, auf dem Waffer aber unter
lauter verfchwiegenen Freunden, bei Windftile und nachtſchlafender
Zeit habe ih Courage, wie ber alte Ziethen binter'm Bufce.
Da wäre ih doch neugierig, deine Gedanken ein wenig ken⸗
nen zu lernen, erwiderte Kurt.
Weil ich einmal den Mund geöffnet habe, fuhr Julius fort,
will ich auch ſprechen. Es tft ja feine Gefahr dabei. Uebrigens
erlaube ich mir zu bemerken, daß ich mir gar nicht einbilde, Euch
etwas Neues mitzutheilen, vielmehr hege ich die Vermuthung, Ihr
wollt nur von meiner ebenfo vebeluftigen, als gefchmadvollen Zunge
hören, was Ihr felbft auszufprehen aus Delicateſſe, Politeſſe
oder Mangel an männlichem Freimuthe zu wagen Euch nit un-
terfangt. -
Ohne Einleitung, Lieber Jullus, und ohne Commentar,
wenn td bitten darf, fagte Kurt, durch einen Drud des Steuers
den Nachen abermals nördlich wendend.
Ganz zu Befehl, Herr Kommandeur, erwiderte Julius. Hier
alfo meine Gedanken, nad) neuefter deutſcher Façon in hochdeutſche
Worte gekleidet, — Meinem Dafürbalten nah hat Don Alonfo
Gomez in einem gewiffen vornehmen Haufe, das ich aus Nefpect
zu nennen unterlaffe, bet einer gewiffen Perſönlichkeit, die eine
— 349 —— '
ſehr begehrungswerthe, zarte Hand befigt, auf eine gewiffe an
biefelbe gerichtete Frage ftatt einer lauten Antwort eine ftumme
in Form eines gewiflen Geflechtes befommen, dem man im gemei⸗
nen Leben den profatfhen Namen „Korb“ zu geben pflegt. Was
fagt Ihr zu dieſer Einkleidung meiner Gedanken? Sf fie nidt
modern, vornehm, politiſch und doch allgemein verſtändlich?
Sie iſt deiner ganz würdig, ſagte Kurt. Nun aber deine
Gründe. Du ſcheinſt ein Eingeweihter, ein Wiſſender zu ſein.
Meine Gründe entſpringen meinen Augen, fuhr Julius fort
Ich Habe nur geſagt, was ih ſehe. Im Winter war Don Go⸗—
mez geſucht; man lächelte ihm freundlih zu unb er durfte fich
nicht entblöben' mit gutem Ton galant zu fein. Geit Anfang die
ſes Frühjahres warb er weniger, fpäter gar nicht mehr geſucht.
Er zog fih zurück, machte fi rar und verſchwand. Endlich ging
er auf Reifen, die gewiſſe Perſönlichkeit aber lacht jetzt fröhlicher
als früher, und wenn auch gewifle Leute die etwas gewagte Be-
hauptung aufitellen, ihre feinen runden Wangen glichen mehr
weißen Rofen mit fanft gerötheten Kelhen, als eben aufbrechen
den Gentifolien, : fo kann ich doch nicht umhin, zur Ehre bes gu⸗
ten Gefhmades auszufprehen, daß ih in biefer fein ſchattirten
Farbennüance nur einen Fortſchritt fih entwidelnder Frauenſchön⸗
heit erblide.
Die Zuhörer ſchwiegen alleſammt.
Hab' ich Euch ſtumm gemacht? fragte Julius nach turzer
Pauſe.
Deine Gedanken hören ſich gut an, verſetzte Kurt, es if
fogar möglich, daß ein Schimmer von Wahrheit fie umhüllt, Be-
weiſe jedoch möchtet du ſchwerlich dafür auffinden können.
Hab’ ich gar nicht behauptet, fagte Julius. Ih fühle nur
benfend und errathe manchmal ahnend das Richtige.
Geheimniſſe hat die Familie, nahm Kurt wieder das Wort,
das tft nicht zu. beftreiten und auch nicht zu verbergen. Aus der
Geſchichte mit dem Verfchwinden des jungen Mädchens an jenem
frohen Zefle, wo der königlich bäntihe Kaufmannsbiener Treu-
— 350 —
freund uns ſo königlich amüſirte, iſt in alle Ewigkeit nicht klug
zu werden. Während wir ſelbſt eine vornehme Fremde, ſpäter
beit Tafel eine Tänzerin in der Schönen vermutheten, warb zu-
legt ein ganz fimples Bürgermädchen aus ihr. Man fuhrt fie
ein volles halbes Jahr und plötzlich eines fchönen Tages iſt fie
wieder da, wohnt auf dem Landhaufe des Rheders, wird gehalten
wie eine Prinzeffin und läßt ſich von einem ſchwarzäugigen jungen
Kerl die Cour machen, der die merkwürdige Liebhaberet befigt,
immer in ber Kleidung eines ganz gewöhnlichen fpantfhen oder
portugiefiihen Matroſen ſich zu zeigen.
Man fagt, diefer junge Menſch fei der Bamilie Hetdenfret
nahe verwandt, bemerkte einer der Ruderer.
So? verfehte Julius. Sagt man das wirklich? Süh fo,
flopp, würde da mein Onkel aus der Marfch jagen.
Weißt du etwa mehr?
O , nicht befonders viel, fuhr Julius fort. Mein Tieber On-
tel, der zumellen recht unfreundlih mit mir fpricht, wenn ich ſei—
ner bejchränften Anfiht nah zu gut lebe und deshalb nicht fo
viele Species auf die hohe Kante ftellen Fann, als der arme Mann
mit feinem dürftigen Marfchhofe von Tumpigen 400 Tonnen Ader-
land; diefer nothleidende Mann wünſchte letzthin, ich möge fo tief
in Schulden gerathen, wie zu einer gewiſſen Zeit derfelbe Matrofe
unfern feiner Beligung tm Kleiboden flat, der gegenwärtig eine
Liebeserklärung eben fo gut auf Deutih, wie auf Spantfh und
Portugieſiſch zu drechſeln veriteht, und wenn er lacht oder freudig
erregt ift, einem gewiſſen ernften Manne, ber felten zum Vorſchein
fommt, merkwürdig ähnlich fieht.
Was foll nun das heißen ?
Das fol heißen, was längſt flabtbefannt iſt, daß ber todtge⸗
glaubte Schwager des reichen Heidenfrei lebt, daß er, wie Ihr
Alle wißt, in das Geſchäft des Rheders wieder eintreten wird, und
daß gleichzeitg, vielleicht auch fehon früher, der Sproffe einer hei-
pen Tropenliaiſon in der Geftalt befagten Matrofens als leiblicher
Neffe des Herrn Peter Thomas Heibenfrei mit in's Haus gefprun=
gen if.
Am Lande war es ftiller geworben. Die anfangs dicht ges
drängten Reihen der Spaziergänger Tichteten. fi immer mehr und’
mehr, und das Geraffel der hin und wieder vollenden Equipagen
verlor fih nah und nach. Eine Shit weißen, feuchten Nebels
umhüllte die Ufer des Baſſins wie mit einem Gazefchleter.
Mich dünkt, es fängt an feucht und fühl zu werben, ſprach
Kurt, in der Nähe der Lombardsbrüde, auf welder die Mühle tn
langfamen Takt ihre mit Segeltuch befpannten Flügel bewegte,
den Nahen abermals wendend. Habt Ihr Luft, die Orakel un«
feres fehr unterrichteten Freundes noch ferner zu vernehmen, fo
halte ih es ‚für zwedmäßiger, die Waſſerparthie zu beendigen,
Ein Stündchen unter der Erde in einer jener Höhlen, die mit
Hummerfcheeren, Hühnerpafteten, indiantfhen Wogelneftern, mit
Shildfröten, Aalen, Neunaugen und anderem Seegethter tapezirt
und garnirt find, dürfte nach diefem Luftbade höchſt gefchmadvoll
zu verleben fein. Julius ſtimmt mir bei, ich ſeh' es ihm an ben
Lippen an, bie fhon etwas Nufternarom und ben milchweißen
Schaum beiten Porters wittern.
Dein Einfall ift Elaffifch, verſetzte Julius, fein Ruder ins
Waſſer ſenkend und tüchtig ausſtreichend. Meine Gedanken bes
fommen Hochwaſſer, mein Wiſſen treibt auf Springfluthwogen.
Laßt und eilen, Kinder, damit wir die unferer noch harsenden
Götteraugenblide nicht verlieren. Ih fag’ Euch, Wunderdinge
weiß ich, und wenn Ihr nur Quft habt zu hören und die Kehle
mir nicht zu früh troden wird, fo will ich Euch erzählen bis der
neue Tag graut und unfere ihre Bürger trefflihd nährende Stadt
die Sperrfetten an ihren Thoren finfen läßt, damit jeglicher Freund
und Vetter Merkurs frei handeln und wandeln Könne.
Einige Minuten fpäter Tegte das Ruderboot an einem ber
Landungsplätze beim alten Jungfernftiege an, die jungen lebens⸗
luſtigen Leute fliegen aus, befeftigten es an dem ſchwimmenden
\
— 352 —
Baume und verſchwanden alsbald unter dem Ueberbau einer hell
erleuchteten Kellertreppe.
Bweites Anpitel,
— —
Unter der Erde
Kellner, vier ganz fein gehackte Sardellen, etwas rothe Beet
und ein hartgekochtes Ei! befahl Julius, fich bequem in die elaſti—
ſchen Sammetpolſter des gemüthlichen Raumes zurücklehnend, den
die ſpäten Gäſte zur Nachfeier des frohen Tages ſich ausgeſucht
hatten. Kein vernünftiger Mann, der etwas vom feinen Leben ver—
fteht, kann behaupten, wir Hamburger verachteten eine gute Küche.
Wer es dennoch ſagt, der lügt es in ſeinen Hals hinein, und für
ſolchen Frevel ſei er verdammt, ein Vierteljahr lang ſogenanntes
Rindernes zu eſſen, wie man es im deutſchen Reich ber Mitte,
dem Wälder-, Strubel-, Ew. Gnaden- und Herr Bon reichen Oefter-
reich tagtäglich vorgefept befommt. Dom Salat aber verfteht der
Hamburger nihts, gar nichts. Er bat feinen fo ausgebildeten
Salut = wie Auftern = oder Ochfenmürbebraten = Verftand. Die Ga-
ben find verfchteden vertheilt und das tft ein großes Glück. Da ich nun
aber dies Hamburg liebe, wie ich Die Bruſt Tiebte, Die mich zu die⸗
fem herrlichen Leben groß fäugte, das einige Halbtolle ein Jam—
merthal nennen, fo gebt in freien Stunden all mein Denken
und Dichten dahin, die Küche diefer Stadt, wo ich irgend weiß
und Tann, zu verbeflern. Es wäre mein größter Stolz und
Hamburgs dankbare Bürger würden mir eines Tages ein Dent-
mal votiren, wie dem tn Gott ruhenden Büſch, gelänge es
mir, Hamburgs Küche zu der bewundertſten der deutſchen Welt
zu machen. Mit Heinen DBerbefferungen fängt man an, meine
Breunde, und fo will ih Euch denn heute als Probe meiner
Studien im Fache des guten Geſchmackes einen Salat bereiten,
_
— 353 —
ten, wie ihn jeder lombardiſche Conte genießt. — Schön, Franz,
die Sardellen ſind gut, auch die rothen Beet, ſtatt dieſes Provencer
Oeles aber bitte ich mir anderes aus. Ach, ſeht, wie goldgelb
und durchſichtig, wie zart gefiedert, als wäre es cin Zwillingsge-
wächs jenes feinen roſenrothes Seetanges, der die helgolandifchen
Klippen fo reizend umhüllt, wie appetitlich lockend jehen dieſe En—
divien aus!
Während dieſes mit Feuer gehaltenen Vortrages bereitete
Julius auf ächt lombardifhe Weiſe einen Salat, den der ab= und.
zugebende Kellner leider nicht Tannte, weil die für gewöhnlich In
dem Delikateſſenkeller fih erfrifchenden Gäfte den feinen Gaumen-
veiz Diefes der römischen Küche entlehnten Gerichtes nicht zu wür—
digen verftanden. Seine Freunde dagegen ließen dem Gourmand
alle Gerechtigkeit widerfahren, priefen feinen Geſchmack und Iobten
fein Talent. Schade, dag du dich nicht der Kocfunft gewidmet haft,
fagte der Eine, du würdeſt fiherlih ein feltenes Glück gemadıt,
vielleicht gar eine Die ganze eiviliſirte Welt in Aufregung verfegende
Kücenrevolution veranlaßt haben.
Sehr möglich, erwiderte Julius, dennoch müßte ich für diefe
Ehre danken. Ein Koch kann Herrliche, Bewundertes und Stau—
nenswerthes erfinden, er kann ſich auch felbit Daran begeiftern, er
kann fich groß, unfterblich fühlen mitten unter feinen köſtliche Düfte
aushauhenden Schöpfungen; geniegen aber, meine Freunde, mit
der ganzen füßen Wolluft gebildeter Gefhmadsorgane das, was er
in Begeifterung erjchaffen hat, genießen kann er niht! Und das
eben ift ein Fehler, ein Unglüf! Ich meinestheils ſchwärme als
unvollkommener, fterblicher Menſch mehr für die Freude bes Ge-
nufles, als für die Ehre, einen Genuß mehr erfunden zu haben.
Seine Gefährten lachten. Sie kannten den Freund und wuß—
ten, daß ihn dies Thema höchlichſt amüſire und daß, geftatte man
ihm einige Variationen darauf zu fptelen, er ſich in den heiterſten
Gefelfhafter und Tiebenewürdigften Erzähler verwandle. Nachdem
man den lombarbifch=venetianifhen Salat, wie Julius feine Schöp-
fung nannte, mit Behagen verzehrt Hatte, und der bienftbereite
D. B. XI, Willkomm's Rheder und Matroſe. i 23.
— 354 —
Kellner andere den Appetit reizende und die Palpillen angenehm kitzelnde
Delikateſſen aufzutragen beordert worden war, bradte Kurt die
Unterhaltung nochmals auf das früher behandelte Thema zurüd.
Julius befand fih in der glüdlichften Laune. Er ging deshalb
gern auf den Wunfch der Freunde ein, etwas von feinen fehlau
erflügelten Geheimnifjen ihnen mitzutheilen.
Altwiffend bin ich nicht, fagt Mephiſtopheles, hob der Gour⸗
mand feine Erzählung an, durch bie Einflüfterungen gütiger Freunde
aber und durch mein gut cultivirtes Gehör iſt mir Vieles bewußt.
So kann ih Euch denn mitthetlen, dag men fehr Lieber Freund
Anton, deſſen Mutter, wie er häufig genug behauptet, ſchwimmen
gelernt bat, das erfte Sandforn entdedte, welches zu dem leuch—
tenden Pfade fihern Glüdes führt, Mehr fage th vor ber Hand
nicht, denn Alles, was ich noch hinzufügen könnte, wäre nur groß»
blafiger Schaum meines eigenen Gehirns. Glück aber macht mit-
thetlfam, meine Freunde, und die Tugend der Mittheilfamkeit iſt
eine höchſt Töblihe Für denjenigen, der die noch größere Tu—
gend ber Klugheit befitt, die wieder in zwei Sauptetgenfchaften zer-
fällt, nämlich in die Klugheit des Aushorchens und die Klugheit
des Ausſchweigens. Letztere iſt eine Erfindung der Diplomatie
und wird von den Meiftern der diplomatiſchen Kunft, wie ich von
Kennern höre, am vollendetiten in Delterreih geübt. Diefer Kunft
habe ich mich alfo mit Eifer beflifjen und darum ftede ih gegen
wärtig fo voll Weisheit.
Wie du zu diefem Wiffen gekommen bift, das wiffen wir jegt,
unterbrah Kurt den Rebfeligen, jedenfalld wird e8 uns intereflan=
ter fein, von deiner Weisheit nunmehr etwas zu profitiren. Da⸗
rum alfo, pad’ aus deine Waare, damit wir prüfen, wählen und
das Brauhbare ung davon aneignen können.
Durch Aushorden und Ausjchweigen, fuhr Julius fort, tft
mir die Gewißheit geworden, daß unjer gegenwärtig in die Fremde
gegangener Freund aus Mexiko eine doppelte, vielleiiht fogar eine
dreifache Rolle im gaftfreien Haufe des Rheders gefpielt hat. Die
Entführungsgefhichte iſt von ihm ganz allein angezettelt worden,
— 355 —
wenn ihm auch Helfershelfer zur Seite ſtanden. Ihr könnt Euch
darauf verlaſſen, nur bitte ich zugleich: ſchweigt Euch aus zu
Euerm eignen Wohle! Die Freunde der Entführten waren indeß
noch klüger als ihr pfiffiger Räuber; fie verſtanden, ihn fern von
ſeiner Beute zu halten, ſo daß er eigentlich der Betrogene war
und ſtets mit langer Naſe abziehen mußte.
Wie konnte dies geſchehen? fragte einer der Freunde.
Weil der Mexikaner ein Verächter des Handels iſt und ei⸗
nen total falfhen Begriff vom Handel hat, Er date, gehft bu
zu einem Manne, ber abftammt in gerader Linie von Abraham
und deſſen Nachkommen, fo Haft du einen klugen Mann bes alten
Bundes, der dir ficher iſt, wenn du ihm gibft Geld, viel Geld!
So dachte Don Gomez, der verliebte Schäfer und ging zu dem
raffinirteften Unterhänbler, der gegenwärtig hier Geſchäfte macht
vom Gefhäfte machen. Mofes, der Sohn Bibrachs, hatte gar
feine Bedenken, er half dem MVerliebten, aber gleichzeitig trennte
er den Schäfer von feinem Schäfchen. Lepteresübergab er der trau-
ten Pflege fiherer Verwandten, denn er wußte, daß bie behütete Tu-
gend der ſchönen Chriftine ihm dereinſt gute Zinfen tragen werde.
Mofes verrechnet fih nie und fo machte er-ein brillantes Geſchäft.
Als es Zeit war, den Aufenthaltsort der Entführten zu entdeden,
zögerte er nicht. Chriftine wurbe gefunden und ber Merifaner
war blamttrt.
Sp erklärt fih auch fein Verſchwinden aus der Geſellſchaft,
meinte Kurt. Da die Heidenfrei’s ihn aufgaben, mußte die ganze
Nobleffe ihn ebenfalls ignoriven. Und dies Fiasko ift nachträglich
wieder Urfache feines DVerreifens geworden.
Du könnteſt Glück machen im Crrathen des Wahren, wenn
du weniger raſch zu Werke gingeft, erwiderte Julius. Die Blame
ließ fih, einmal verrathen, Leicht ausbeuten und in ein Verbre⸗
hen verwandeln. Die Familie des Rheders war anfangs un»
ſchlüſſig, was das Befte, d. h. das Klügſte ſei. Ging fie weiter,
fo konnte ein arger Scandal daraus entftehen. Die Rückkehr je—
nes verſchollenen Schwagers nun, deſſen Griftenz beinahe eine
23*
— 356 —
Mähr für unſer ſchnell lebendes Geſchlecht geworden war, erfolgte
gerade zur glücklichen Stunde. Denn als Hohenfels den jungen
Matroſen ſah, der ſich Miguel nannte, und feinen Lebensſchickſa⸗
fen nachforſchte, entdeckte er in ihm den früh verlorenen Sohn.
Soweit ift die Gefchichte Far, nun aber Tegen fi, Nebel über das
fernere Lebensbild des jungen Mannes, die Anton fo wenig durch⸗
fhaute, daß er mir gar nichts ala Vermuthungen mittheilen Fonnte.
Zu diefen Vermuthungen gehört neben vielen anderen aud bie
Annahme, Don Alonfo Gomez und Miguel, jetzt Miguel Hohen-
fels-Saldanha genannt, Hätten ſchon früher in nahen Verhältnif-
fen zu einander geflanden, und Don Gomez habe ſich gegen den
etwas Jüngeren, vielleicht auch nicht fo Gewandten eine ftrafbare
Unredfichkeit erlaubt. Die Drohung der Familie Heidenfrei, den
böſen Handel mit der ſchönen Chriſtine gerichtlich anhängig zu
machen, ſoll den Mexikaner veranlaßt haben, ſein gegen Miguel frü—
“her verübtes Unrecht wieder gut zu machen. So, wie geſagt, er—
zählen fih die Lüfte dieſe geheimntgreihe Affaire. Und darum
verfchmand der Löwe des verfangenen Winters auf einige Zeit.
Kehrt er wieder, was ja Niemand weiß, fo ſteht e8 denen, die fidh
für ihn intereffiven und eine hellſtrahlende Sonne deshalb, wel
fie ein paar Flecke hat, nicht ganz entbehren wollen, frei, das Ver-
gangene für immer zu vergeflen und ihre Zirkel dem Sohne des
Glückes wieder zu erfchließen. .
Ungefähr fo mag es fih wohl verhalten, bemerfte Kurt, wenn
die etwas fehr verwidelte Angelegenheit fih au im Einzelnen et—
was anders geftaltet und in der Nähe vielleicht einen höchſt wun—
derlichen Anbliet gewährt. Was kümmert e8 ung! Mir perfön-
lich wäre es von weit mehr Intereſſe, wenn ich erfahren könnte,
weshalb Heidenfrei senior noch immer an der Börſe niemals von
feinem Schwager fpriht? Er fieht e8 offenbar ungern, wenn ſei—
ner gedacht wird, und an einen MWiedereintritt in das Gefchäft ale
Compagnon, wovon doch Unfungs immer die Rede war und was
Jeder vermuthete, wovon fogar die Meiften fi überzeugt hielten,
iſt jetzt ſchon feit einigen Wochen nicht mehr die Rede. Das fallt
— 357 — |
auf in faufmännifchen Kreiſen, das gibt Vermuthungen der felt-
famften Art Raum und ann unter Umftänden nachtheilige Fol-
gen haben. '
Julius zudte die Achfel und ſchenkte fih das letzte Glas
. Borter ein.
Niemand ift gehalten, mehr zu fagen, als was er weiß, er-
widerte er in forglofem Tone. Heidenfrei tft ein vorfichtiger und
wohlwollender Mann, aber fein Träumer. Handel und Wanbdel,
Rhederei und Schifffahrt find ihm Hebel, deren man fich bedient,
um Geld zu gewinnen, fih einen Namen in der Handelswelt zu
machen und, läßt es fich nebenbei ohne Verluft an baaren Mitteln
thun, auch noch zum Weberfluß bald den Kunftmäcen, bald den
MWeltbeglüder zu fpielen. So, denk’ ich mir, ift der alte Heiden-
frei in feinem unmodernen Rode , ‚feinem ſchlotterigen Schuhmerf
geartet, und ich meine, es fteht ihm das ganz fuperbe. Bei dem
Schwager, dem unter ber tropifchen Sonne das Bild des Lebens
fih in andern Farben gezeigt haben mag, dreht fi die Sadıe
wohl ungefähr um, fo daß ihm bei allem Unternehmungen die
Nebenſache Hauptzwed, diefer aber Nebenfache wird. Schon früher
habe ich gehört, daß Auguftin Hohenfels gemwiffermaßen ein poeti-
her Rheder genannt werden müfle, wenn man Dies überhaupt
fagen fann, ohne eine Narrheit auszufprehen. Ich referire nur,
ih urtheile nicht. Wenn ich aber von mir felbft auf Andere
fhliegen darf, fo follte ich denfen, möglich müfje es doch fein, auch
ald Kaufmann und Rheder poetifhe Entwürfe, ideale Pläne zu
haben, wie es ja auch möglih ift, am Tage tüchtiger Praftifer
und eracter Arbeiter im Comptoir und Abends poetiſcher Schwär—
mer im Genuſſe zu fein,
Sch hörte von Bolontfationsplänen fprechen, warf Kurt ein,
deren Realifatton für Hohenfels eine Lebensaufgabe fein fol. Schon
vor zwanzig Jahren, ald er eben erji den braſilianiſchen Boden
betreten hatte, trug er fih damit. Seine Vorſchläge fanden da—
mals feinen Anklang, kaum eine brieflihe Grwiderung, und Dicje
Nichtbeachtung feiner Pläne, erzählt man ſich, legte den eriten
— 358 —
Grund zu einem Zwiefpalt zwifchen dem heimifchen Haufe und ber
transatlantifchen Zweighandlung, der fpäter in einen offenen Bruch
überging und die Auflöfung aller Beziehungen zur Folge hatte.
Süh fo! verfeßte Julius, da Haft du ja nicht weniger ale
ich deine Vormars- und Oberkreuz-Segel dem Neuigfeitswinde zu⸗
gedreht. Aus welcher Himmelögegend weht er Dir?
Immer von der Seite, wo der Mond nie untergeht, erwie-
berte Kurt lachend. Was ich erfuhr oder erhorcdte, das fegte ich
mir aus gelegentlich bingeworfenen Aeußerungen des alten Treur
freund zufammen, ber feit ber Rückkehr Auguftin Hohenfels’ in
feiner Art wieder ein Lebemann geworden iſt. Ihr könnt ihn jcht
faft täglich etne Halbe Stunde nad der Börfe im alten Börfen-
Kaffechaufe finden, und kennt ihn einer etwas genauer und macht
ihn durch Fragen, auf die eine belehrende Antwort paflend tft,
zutraulih, fo verräth er auch kleine Geheimniffe, die ihm an’s
Herz gewachlen find, Für Hohenfels läßt der alte Buchhalter fein
Leben, das weiß Jeder, den Vorwurf eines ſchwärmeriſchen Kauf-
mannes aber Tann ihm Niemand mahen. Dennoch hält er jeden
Gedanken feines wiebergefundenen Freundes für einen göttlichen
Einfall, jeden feiner Pläne für unbedingt ausführbar. Er redet
ihm immer und überall das Wort; er vergißt momentan fogar
den Reſpect, den er dem Haufe Peter Thomas Heidenfrei fehuldig
it und diefem auch ſonſt unverweigerlih zufommen läßt. Erſt
vor einigen Tagen zudte er mipbilligend die Achfel und erwiderte
auf eine von mir ganz achtlos hingeworfene Bemerkung:
Sie wiffen, lieber Freund, ich werde nie perfönlich, das aber
fieht doch ein Lehrling ein, daß Heidenfrei senior und mein Freund
Auguftin Hohenfeld zwei Größen find, die feine Vergleichung zu-
laffen. Lieber Gott! Welche Gedanken hegt diefer Hohenfels! Es '
veriteht ihn Niemand, als etwa Eduard Heidenfrei. Wir Andern,
bie wir ihn verehren, wir können ihn höchſtens ahnend begreifen!
Er erſchrak, als ich ihn betroffen anfah, grüßte mit tiefer Verbeu-
gung und verließ, der vollendetite „Schatten" feines eben von ihm
hart getadelten Prinzipals, ſchlürfend das Zimmer.
— 359 —
Die Zuhörer ſchienen nad fo vielen Genüffen doch müde zu
fein. Ein paar der anfangs Munterften rieben fi gähnend die
Augen, ber Kellner, defjen Dienfte die Iufligen Brüder in ber leh-
ten halben Stunde nit beanſprucht hatten, war auf feinem Stuhle
fanft eingefhlafen in Iauter Ruf des noch völlig muntern
Julius erwedte ihn.
Hier, mein wahfamer Freund, unfere Zeche! Legen Ste fih '
aufs Ohr und träumen Gie ſüß. Wir unfererfetts wollen jebt
als foltve junge Männer nach Haufe geben, obwohl zwifchen Welt
und Oft noch kaum ein feiner Lichtfhtmmer fich zeigt. — — Hu,
’8 iſt kalt! fehte er hinzu, auf die Straße hinaustretend. Es Iebte
fih noch einmal fo ſchön, wenn das vermaledeite Nachhaufegehen
nicht ware. — Gute Nacht!
Bute Naht! — Auf Wiederfehen! —
— — —
Drittes Kapitel.
Ein Mann der Idee und die Männer der Praxis.
Mit Zügen, die geiflige Ermüdung verriethen, trat Hohenfels
in fein Zimmer, erfhloß einen Secretär, legte ein Paket Papiere
in ein Fach deſſelben und warf fih dann in die Ede des Sopha's.
Er mochte einige Minuten mit Halbgefchloffenen Augen bier ges
feffen haben, als das Deffnen der Thür ihn aufzubliden veran-
laßte. Es war Eduard, welcher den Oheim befuchte. Der junge
Mann fohritt einige Male im Zimmer auf und nieder, dann fagte
er zu Hohenfels:
Du fühlft dich beleidigt, Oheim, gefteh’ es, aber bu wirft mir
das Zeugniß geben, daß ich keine Schuld trage.
Hohenfels Tächelte bitter, Beleidigt? erwiderte er. Nein! Mid
Tann ſchon lange Niemand mehr beleidigen; was mid berrüdt und
wohl auch ängſtigt, das iſt viel ſchlimmer.
— 360 —
Noch ſchlimmer?
Ja, Eduard, für mich, nicht für Euch. Ich bin überflüſſig,
unnütz, vielleicht im Wege.
Das find finſtere Einbildungen eines erregten Gemüthes.
Keineswegs! Die Zeit der Illuſionen liegt hinter mir, und
wenn ich auch vielleicht heute noch nicht immer im gewöhnlichen
Sinne praktiſch bin, ein ziel- und ſinnloſer Schwärmer brauch' ich
doch deshalb nicht geſcholten zu werden!
Es hat dich Niemand ſo genannt.
Nicht mit Namen, das iſt wahr, die Bezeichnung aber galt
mir und konnte nur mir ganz allein gelten!
Mir möglicherweiſe auch, Oheim.
Du biſt gütig, Eduard, und dafür danke ich dir, dennoch
muß ich die harten Worte, die in der heutigen Verſammlung fie—
len, auf mich beziehen. Indeß auch dies würde ich, wie ſo Vie—
les verſchmerzen, ſähe ih nur irgendwo eine Ausſicht.
Der Vater unterſtützte ja deine Vorſchläge.
Hohenfels ſtand auf und ergriff den Arm ſeines Neffen. Mit
ihm auf- und abgehend, fuhr er lebhaft ſprechend fort:
Dein Vater, mein Schwager, tft ein vortrefflider, ein aus—
gezeichneter Mann. Sein Faufmännifher Blick bewegt fih nicht
in eng begrängten Zirfeln, er fihweift in bie Ferne und bat für
Großes, Neues, Sinn und Verſtändniß. Bei alledem aber geht
ihm "etwas ab, was ich überall an dem deutfhen Kaufmanne
mehr oder minder vermißte, das Talent, den rechten Augenblaäck
mit aller Kraft, raſch, die halbe Welt überrumpelnd, zu erfaffen.
Dein Vater iſt bald für cin gewaltige Unternehmen zu gewin—
nen, aber er beginnt es nicht. So war er immer, fo war aud
‚mein verftorbener Vater. Vor zwanzig und mehr Jahren mochte
ih wohl zu ungeſtüm verfahren, biswellen aud zu herausfordernd
an Andere herantreten, hätte mich aber damals bein Vater unter:
fügt, jo würde höchſt wahrfcheinlich Fein Bruch zwifchen mir und
dem Vater erfolgt fein, und mein ganzes Leben hätte ſich anders
geftaltet. Meinen Zeuereifer mäßigen, zugleich aber meine Pläne
— 361 —
unterſtützen mußte damals Heidenfrei. — Nun find zwei Jahr:
zehnte vergangen, die Welt hat in bdiefer Zeit. die größten Kriegs-
drangfale durdlebt, welche die Gefchichte kennt. Verluſte, wie fie
faum Jemand zu denken wagte, find erfolgt, ertragen, zum Theil
fhon verſchmerzt. Was beweif’t dies ? Daß die Sturmperiode,
bie hinter ung Liegt, die Völker nicht gebrochen, fondern fie nur
zu erhöhter Thätigfeit aufgerüttelt hat. So ein recht wilder Krieg
ift wie eine die ganze Welt ergreifende Turnübung. In dem
Schlagen, Kämpfen und Ringen löſ't ſich alles faule Fletfch ab, -
neues fegt fih an und mit der frifchen Muskelbildung erftarkt
au der Geift. Aehnlich iſt's in der Welt des Handels. Auch
diefe hat, wie immer, Nuben von der Kriegsfurie . gehabt, wenn
dieſe auch manche Geldfifte zerihlug und felbjt die Bank unferer
Baterftadt plünderte. Hamburg tft dadurch nicht arm geworden,
ihon jest fteht es größer und mächtiger da, als zu Anfange des
Jahrhunderts. Aber zum Henker, es fol fih jetzt auch rühren,
fag’ ih! Es fol aufhören, Immer nur in alten Geleifen feine
Hanbelsfchiffe fortgleiten zu laffen, was mir vorkommt, als ginge
Jemand ftets in geflidten Schuhen, weil er neue ihrer anfäng-
lichen Unbequemlichfeit wegen anzuziehen ſich ſcheut.
Zap uns Zeit, Oheim, und wir thun’s allen Andern gleich.
Das 'iſt's eben, erwiderte mit auflodernder Heftigkeit Augu—
fin Hohenfels. Wer fih Zeit läßt, fommt immer zu ſpät. Na—
poleon hat das den deutſchen Befehlshabern zwanzig Mal bewie-
fen, es ihnen vorgemadht, daß ihnen Hören und Sehen verging,
aber das alte träge Blut ift nicht rafcher in Girculation zu ſetzen.
Nicht nachtreten, vorangehen muß jeder Unternehmende Wenn
Ihr Euch Zeit laßt, fo verhungert Ihr allerdings dabei nicht,
aber Ihr jet Euch in einen Bequemlickeitsftuhl, während Andere
auf fihnaubendem Roſſe dur die Welt jagen! — Da ift nun
eine Erfindung gemacht für den Rheder wie gefihaffen. Er darf
nur zugreifen, fih nur verbinden mit Mechantfern, Mathematie
tern, Chemifern, kurz, er darf nur das thun, was id vor ziwan-
zig Jahren bereits in BVorfchlag brachte: die Wiſſenſchaften und
— 362 —
deren Entdefungen für das Leben und zum Belten der Welt
ausbeuten, und er ftellt fih unter die größten Wohlthäter der
Menſchheit! Warum denn zaudern, fih immer und immer nur
das Zopfband löſen und wieder zubinden nach langer Betrachtung
bes lieben, alten Dinges, anftatt es abzujchneiden und refolut
zuzugreifen? Meberflügelt werden fehmerzt, fih von Andern über-
flügeln laſſen, ift ein Verbrechen, ein Frevel gegen fich ſelbſt.
Wenn man jebt noch behaupten fann, meine wohlgemeinten Vor—
ſchläge feien bie eines ziellofen Träumers, fo gibt man damit
nur zu erkennen, daß man bie Zeit nicht begreift, nicht begreifen
will oder fann. Das aber madht mich unglüdlih und überflüflig.
Die Unterredung ward bier unterbrochen durch den Gintritt
Ferdinand’s und Treufreund’s,
Warum habt Ihr die Verfammlung nicht abgewartet? fagte
Ferdinand Heldenfrei. Es gab noch fo viele Punkte zu erörtern,
jo viele Fragen zu beantworten.
Wenn man mir von Anfang an die Haupffrage als ein
Phantom bezeichnet, will Ich nichts hören von den Nebenfragen, er
widerte Hohenfels. Konnte ih zu Worte fommen? War es mög-
lich, meine Gedanken darzulegen, meine Ideen zu entwideln?
Es wäre, glaub’ ich, möglich gewefen, befter Oheim, verfebte
Ferdinand, wenn du Rüdficht genommen hätteft auf die Mehrheit
der Anwefenden. Praktiiche oder, wenn du Lieber willft, profaifche,
zuerft auf Gewinn begierige Naturen gewinnt man nie für eine
Idee dur Herausfehren der ideellen Seite, zeigft du ihnen aber ®;
erſt bie praftifhe, die einträgliche Seite, und darauf ftügelt du
die culturbeförbernde, bann wirft bu prosperiren.
Lieber Bott, feld Ihr denn gar keiner Begeifterung fähig?
warf Hohenfels ein. Ich mußte mid immer erft für eine Sache
begeiltern können, ehe ich mich ihrer annahm, mich ganz an fie
hingab. | Ä
Sch perſönlich, befter Oheim, verfegte der jüngere Heidenfrei,
begeiftere mich gern, die Maffe der kaufmännifchen Welt jedoch ift,
glaub ich’ ich, nicht dafür, und das kann man ihr nicht verbenten,
— 363 —
Nicht verdenken! wiederholte Auguftin Hohenfels. Ich ver-
denke es Jedem, wenn er fich ‘den Ginwirkungen neuer been
verfchließt.
Damit ſchadeſt du dir und dem Allgemeinen, erwiderte in
wohlwollendem Zone Ferdinand. Die Menge tft nun einmal fo
geartet, daß fie von jedem Unternehmen reellen Nugen haben will.
Die Größe der Idee, an fich allerdings die Hauptjache, das eigent«
liche fruchttragende Capital, erfcheint Doch den Meiften, gegenüber
ben blinkenden Zinfen, alfo der bereits gebrochenen Frucht, erft in
zweiter Reihe. Klimpere und Tlappere- mit den blanfen Zinfen,
anftatt das Gold deines Gedankencapitals mit vollen Händen auge
zumwerfen, und man zuft dir ein Hurrah über das andere.
Hohenfels fenkte jeufzend das Haupt.
Ich glaube beinahe, der Bruder Hat Recht, fagte Eduard.
Dein Gedankengold lockt nicht, e8 macht die Helljehendften blind,
Du vergreifft di, begeiftert, wie du bift, ber profatfch vechnenden
Mehrheit gegenüber, in den Mitteln, und das veranlaßt fie, völlig
‚ungerechte Urtheile über dich zu fällen.
Niedergefchlagen und befümmert ftüßte fich der leicht erreg—
bare Mann auf Treufreund’s Schulter, indem er ſprach:
Alfo unnüg, ein Störenfried aus Begeifterung! Man tönnte
darüber lachen, wenn es nicht zum Weinen wäre.
Aufgefhoben ift nicht aufgehoben, tröftete Eduard.
Ein leidiger Troft, der Troft des Nahahmers, nit bes Er-
finders.
Du mußt aber doch ſelbſt zugeben, beſter Oheim, daß dein
Plan, deſſen Großartigkeit ich perſönlich bewundere, auch ſeine be—
denklichen Seiten hat, meinte Ferdinand.
Allerdings, ſagte Hohenfels, er hat ſie, das läugne ich nicht.
Alles Große tft bedenklich, wer aber immer bedenkt und vor lau-
ter Bedenklichkeit nie zu einem Entichluffe, viel weniger nach zu
einer That kommt, der wird auch nie Großes vollbringen. Bes
dachte fih Cäfar, als er über den Rubicon ging? Oder, um ein
Beifpiel, das uns näher liegt, anzuführen, Friedrich ber Große,
— — — — — — — — —— —— —
— 364 —
als er ſeine Krieger in Sachſen einrücken ließ, um Oeſterreich
anzugreifen? Mißglücken kann freilich Alles, auch das Beſte, wer
aber nie muthig ſich aufrichtet, wer niemals zulangt, bis man ihn
einladet, wird nie über die Mittelmäßigkeit hinauswachlen: Und
das, nehmt mir's nicht,übel, Ihr Herren, das gerade tft mir in
ber Seele zumibder.
Mein Freund, fagte Treufreund, du haft Dich durd bie erften
Einwürfe zu fehr ftören laſſen. Ich fah es dir gleich an, daß du
dich beleidigt fühltejt und In birfer gereizten Stimmung wohl etwag
zu weit gingeft. Werde erſt wieder ruhig, kühle dich ab, überlege
jelbit, gehe mit und zu Rathe, und dann lege noch einmal, aber
vorfichtiger Hand an's Wert,
Nie! rief Hohenfeld, Entweder fie fallen mich, wie ich es
für gut finde, mich auszudrüden, oder ich behalte meine Gedanken
für mid. Es kommt eine Zeit, ich weiß es, wo fih verwirklichen
wird, was fhon jetzt aueführbar wäre, fie wird aber erit dann
eintreten, wenn die Ehre, der Glanz und Ruhm deß Unterneh
mens an Schimmer gar viel verloren hat.
Noch einmal ergriffen und begeiftert von feiner Idee, 308
Hohenfels feine beiden Neffen neben fih auf's Sopha, während
Zreufreund finnend und ruhig zuhörend fih an den Secretair
lehnte. |
Seht, Freunde, nahm er das Wort, dies Deutfchland, dag
wir unfer Vaterland nennen, tjt fein Ganzes, feine weltgebietende
Macht, obwohl in Zranffurt am Main der Bundestag figt und
Gott weiß was Alles berathet und beflügelt. Draußen in der
Welt, jenfeitS des großen Oceans, wo die Keime einer gewaltigen
Bufunftscultur Liegen, dort draußen kennen die Menſchen dies hert—
liche Deutſchland vollends nicht, weil Niemand, fo lange er lebte,
jemals die deutfhe Flagge jah., Man kennt dort drüben im We—
fen und DOften nur Hamburger, Bremer, Oldenburger, Hannove—
raner. Defterreih und Preuffen, gerade die mächtigften Bunbes«
ftaaten, laflen dort ihre Flaggen fo felten wehen, dag man an
ihrem Ginfluffe zweifelt. Wir haben ferner feine Kriegsichtffe und
— 365 —
werben auch aus mehr denn hundert Gründen, die ich nicht ermit⸗
teln will, um mir Kopf- und Magenweh zu erſparen, ſobald noch
feine erhalten. Die deutfchen Handelsflaggen aber, ganz befonders
die alten bekannten hanfeatifhen find geachtet. Wem nun fann es denn
fhaden, wenn diefe Flaggen fi herausnehmen, Deutſchland, und war
das ganze Deutſchland an den Küſten der transatlantifchen Welt zu
vertreten? Iſt's eine Schande, unternehmend zu fein, ſich felbft etwas
zuzumutben und durch Erringung eigener Macht das große Ganze
mit zu ehren? Kann es Deutfchland und der deutfchen Nation —
um mid fo reſpectvoll auszudriiden — Eintrag thun, wenn wir
auf dem Wege kaufmänniſcher Unterhandlung in jenen von. der
Natur mit dem reichten Segen überfehütteten menfchenleeren Län—
dern ung ein Stück Erde erobern, auf dem ſich Golonieen anle-
gen laffen? Wie es uns an Kriegsfchiffen fehlt, fo gebricht ed
uns auch an Colonieen. Beides Hält unfere Kräfte mehr in Schach,
als hundert andere Gebrechen, von denen unnützerweiſe viel Redens
gemacht wird. Dieſem Mangel aber iſt abzuhelfen, wollen nur
die Rheder deutſcher Städte meine Idee für mehr, als blaſſe Hirn—
gefpinnfte -eines überijpannten Kopfes halten. Die Zeit, die Er-
findung, der glücdliche Griff des Mechantkers find dem Nheder vor=
zugsweiſe günftig, alfo feid Rheder, wie's Gott und der Welt ge-
fallt, und gründet der Cultur, der Cultur deutfhen Geiſtes, deut-
{her Sitte, deutſchen Fleißes drüben auf dem jungfräulihen Bo—
den der andern Erdhälfte Stätten, wo fie neue Keime treiben,
neue Blüthen und Früchte zeitigen Tann, wenn in Europa bie
Säfte ſchwach und matt werden follten! Ihr habt dann drüben
auf der andern Hemifphäre die Lymphe, mittelft welcher Ihr dem
alternden, ſchwächlichen Mutterlande nöthigenfalld neue Lebenskraft
einimpfen fünnt. Das, Ihr Lieben, ift einfach die Idee, für die
ich begeiftert bin, für die ich, wie die Begriffslofen und Stumpf-
finnigen zu fagen belieben, ſchwärme. Laßt mich ſchwärmen, ich
bedarf diefer Schwärmeret zum Leben. Ahr, die Ihr nicht fchwär-
men fönnt oder wollt, Ihr follt ja nur Sen Gewinn meiner dee
Euch zueignen. ft denn das eigennügig, gemein, finnlog?
— 366 —
Gewiß nicht, warf Treufreund ein, ich nenne es erhaben.
Und id begnüge mid ſchon, wenn man mir fo viel Humani«
tät zutraut, fuhr Hohenfels fort, daß ich einer Idee, von welcher
mein ganzes Vaterland bereinft Nupen haben wird, meine Lebens⸗
fraft zum Opfer bringen kann. Iſt es denn nun zu viel vers
langt, wenn ich wohlmwollend, rathend fage: greift zul Seid thä—
tig, fhaart Eu zufammen! Nehmt Euch ein Betfpiel an Euern
banfifchen Vorfahren und erobert ber Induftrie und ber Geiſtes⸗
herrſchaft Eures deutfhen Waterlandes durch einmüthiges Handeln
als Nheder bie transatlantifche Welt, wie jene ehedem den Nor»
ben Europas ſich unterthan machten. Diefe Weltaufgabe hat das
Dampfſchiff, und wenn die Rhederei Geift befigt und mittelft die⸗
ſes Geiſtes dem Capital Seele verleiht, ſo wird ſie materiell große
Reichthümer erwerben und ideal das Reich der Bildung auf Erden
ausbreiten helfen! Das tft meine ſinnloſe Idee. Mir iſt fie lieb
und theuer, und ich beklage nur, daß ich nicht Mittel beſitze, um.
ſie praktiſch in's Leben zu rufen. Ich glaubte, dieſe Mittel zu
finden, deshalb kehrte ich zurück. Wie es ſcheint, habe ich mich
getäuſcht, oder es geht mir wie Huß. Man verketzert mich, weil
ich das Unglück habe, heller in die Zukunft zu ſehen, als viele
andere brave, aber nur praktiſche Leute. Glaubt jedoch nicht,
baß ich einen einmal für gut erfannten Gedanken fo leicht auf-
gebe. Ich werde damit hauſiren gehen und ihn jebt ſtückweiſe
verwerthen. Eines Tages finden fih bie vereinzelten Stücke wohl
wieder zufammen und dann gibt ed, wenn ich's auch nicht mehr
ſehen Tann, doch zufeßt noch ein Tetdlich gutes Ganzes.
Hohenfels ſchwieg. Seine tief liegenden Augen glänzten mie
Sirfterne und das gebräunte Gefiht firahlte von geiftigem Feuer.
Es ift einmal Erdenſchickſal, fprah Eduard, daß wir nur
. zum Theil Zeugen der Schöpfungen find, die unfern Anftrengun-
gen ihre Entſtehung verdanken. Wie viele Väter fehen ihre Kin-
der kaum fih entwideln; was fie in ber Netfe ihres Alters, in
ber Fülle geiſtiger Kraft, fchaffen, bleibt ihnen immerdar verbor-
gen, und dennoch gebt in Erfüllung, was’ fie in ihren Wünfchen,
— 367 —
diefen Embryonen zukünftiger Thaten, ſchon fertig vor ihrem Geiſte
ftehen fahen. So, beiter Oheim, wird aud der Traum deines Les
bens dereinft in einer fchönen That, in einer That, bie fich fort-
zeugend immer von Neuem gebiert, den Nacgeborenen zur Gr«
jheinung kommen.
Ih möchte es doch ſo gerne erleben, fagte Hohenfels. Fit
es Sünde, einen folhen Wunſch zn haben? ber follte es Eitel⸗
fett, geiftiger Dünkel fein, der mich ihn ausſprechen, ihn nur bes
gen läßt?
Keins von Beiden, mein edler Auguftin, fprach Treufreund,
dem bewegten Manne die Hand drückend. Du bift noch Fräftig,
und darum ſchließe ih mich deinem Glauben an und theile beine
Wünſche. Erlebte auch ich noch den Tag, wo beutfhe Rheder
beide Hemisphären durch birecte Dampfichifffarthslinten mit ein-
ander verbänden, wo dieſe dampfenden Coloſſe unter deutſcher
Flagge die Wogen flampften und nah den Küſten Nord- und
Südamerikas den Ueberſchuß deutfcher Bildung im wettellen Sinne
des Wortes abgäben, dann wollte auch ich mich glücklich preifen
und fill zufrieden die Bilanz meines Lebens ziehen.
Hohenfels hielt die Hand des .Freundes lange in der Geint«
gen. Die Augen halb gefchloffen, blidte er vor fi nieder und
feine Gedanken fihtenen weit in die Ferne zu fchmweifen.
Eins freut mih, fprah er nah längerem Schweigen, daß
nämlih mein Sohn dem Seewejen ſich widmen will. Gr befigt
meine Energie, oder, wie andere fagen würden, meine Hartnädig-
keit. Was cr fi vornimmt, das führt er zu Ende; was er ein«
mal mit Liebe ergriffen hat, gibt er nicht wider auf. Solche Men-
fhen braudt unfere Zelt. Ste können, widmen fie fi) dem Seewe⸗
fen, der deutfchen Rhederei von außerorbdentlihem Nupen fein. Mi⸗
guel, der glüdlicherweife durch Eure, befonders durch deine Ver⸗
mittelung, befter Treufreund, wieder in den Befig feiner Papiere
gefommen tft, hat Hoffentlich mehr Süd, al ich, und fo denk' ich,
er wird aus einem Matrofen, wie er fein fol, dereinft auch ein
— 368 —
Gapitain werben, dem jeder Rheder ein Seeſchiff unbedenflih an—
vertrauen darf.
Die beiden Freunde hatten e8 nicht beachtet, daß während
ihres leiſe geführten Gedanfenaustaufches die Brüder abgerufen
worden waren. Seht trat abermals ein Diener ein und meldete,
daß Herr Heibenfrei in Folge einer gehabten ftarfen Alteration
fi unmwohl fühle und feinen Schwager fogleih zu fpredien wünfche.
Alteratton ? fagte Hohenfeld raſch aufipringend. Heidenfrei
kann fih unmöglich mehr alterirt haben, als ih. Aber er ift an
fo ftarfe Dofen heftiger Aufregung wohl nicht gewöhnt. Vielleicht
hat es ihn dverdroffen, daß man mich gar fo furz und obenhin be-
handelte und es bat ſchließlich mit einigen der Matabore der Börſe
einen herben Wortwechfel gegeben. Anders wenigftens wüßte ich
mir die Alteration meines wohlmeinenden Schwagers nicht zu er-
klaͤren.
Er verließ, von Treufreund begleitet, das Zimmer, der ihm
an der Treppe nochmaks recht herzlich die Hand ſchüttelte und dann
hinabſtieg, um ſich in's Comptoir zu verfügen. |
—
- Biertes Kapitel.
—-
Beforgnijie. Triumph der idee.
Heidenfrei ruhte entkräftet im Sopha. Gr ſah bleih und
äußerſt angegriffen aus, dennod Drang er darauf, daß man den
Arzt nicht rufe, überhaupt möglichjt wenig ton feinem Unmwohlfein
fprehe, das fih nach einiger Zeit von felbft wieder verlieren
werde.
Die Söhne, welche den Vater einer Ohnmacht nahe getroffen
hatten, waren in größter Beſtürzung. Auch Hohenfels fehien ber
Zuftand des bejahrten Schwagers bedenklich, weshalb er vorfchlug,
— 369 —
er möge erlauben, daß man ſeine Frau und Tochter in Kenntniß
ſetze. Davon jedoch wollte der Rheder vollends nichts wiſſen. Er
verneinte heftig, wünſchte allein zu bleiben mit ſeinen Söhnen und
Hohenfels, und befahl Ferdinand, nachdem der beſorgte Diener
das Zimmer zögernd verlaſſen hatte, die Thür zu verſchließen.
Als man diefem Wunfche des aufgeregten Mannes gewill⸗
fahrt Hatte, fehlen er ruhlger zu werben. Er bedeutete den An-
wefenden, fie möchten in feiner Nähe Plab nehmen, er habe ihnen
eine Mittheilung von Wichtigkeit zu machen. Gefpannt horchten
Alle auf.
Ich bin nicht krank, Ihr Lieben, ich bin nur angegriffen, hob
Heidenfrei mit halblauter Stimme an Die Verhandlungen, die
leider kein günſtiges Reſultat ergeben, haben dies nicht bewirkt,
abwohl ſie meinen Anſichten und meinen Erwartungen ſehr wenig
entſprachen. Eine Nachricht, die erſt ſpäter mich erreichte, hat mich,
weil ſie unerwartet kam, erſchüttert. Ich bin nämlich in große
Verluſte gerathen, und wenn Alles ſich beſtätigt, ſo wäre das
Schlimmſte denkbar.
Als Heidenfrei dies harte Wort ausgeſprochen hatte, fühlte
er ſich Leichter. Seine Söhne ſtanden ſprachlos und alle Farbe
wich aus ihren Wangen. Hohenfels dagegen blieb ruhig.
Sind ein paar der erften Häufer gefallen? fragte er.
Noch nicht, verfekte Heidenfrei, man vermuthet nur ihren
Fall. Sollte er eintreten, fo weiß ich nicht, wie ich mich halten
fol, denn mehr als zwei Drittheile meiner Habe ſchwimmt auf
bem Meere.
Wir müflen uns unverweilt Gewißheit zu verfchaffen fuchen
und dann umfihtig, aber auch raſch Handeln, fagte Hohenfels.
Wie hoch belaufen fich beine Verbindlichkeiten?
Hetdenfret nannte die Summe. 8 fehlte wenig an einer
Milton. Und wie viel davon kannſt du decken? forfchte ver Schwa-
ger weiter. Der Rheder zudte die Achjeln. Es wird wenig ge=
nug fein, denn, wie gefagt, mein Vermögen gehört Wind und
D. 3. XI. Willkomm's Rhedet und Matrofe. 24
Mogen und ich habe es vorgezogen, weber die Schiffe noch die
Waaren zu verfihern. Wenn jetzt ein Unglüd geſchieht —
Es darf nicht gefchehen, fiel der energiſche Hohenfels dem
Schwager in's Wort. Ich weiß, ober was baffelbe ift, ich ſchaffe
Rath,
Du? Wie vermöhtel du eine folhe Summe herbeizuſchaffen!
ſprach Eduard.
Ein entichloffener Mann vermag viel, verfehte Hohenfeld. In
vorliegendem Falle ift ohnehin, dünkt mid, leichter Rath zu ſchaf⸗
fen, da nur Vermuthungen vorhanden find, nur Befürchtungen
laut werben.
Gerade diefe Befürchtungen laffen mid das Schlimmite ah⸗
nen, fagte Heidenfrei. Der Ruf eines Haufes, das ſolche Befürd-
tungen zuläßt, tft ſchon verloren, nur ber Beweis des Gegentheils
fann ihn vollftändig wiederherſtellen.
Welche Schiffe erwartet Du? fragte ohne auf diefe letzte Be-
merkung des Rhebers ein Wort zu ermwidern, ber umfißtige Ho⸗
henfels.
Es müſſen in den nächſten Wochen zwei Briggſchiffe, eine
Fregatte, eine Schoonerbrigg und drei Kuffs theils hier, theils in
Bremen und Antwerpen einlaufen. Alle find gemeldet, die La—
dungen find werthvoll und der Gewinn ein bedeutender, wenn mir
das Glück treu bleibt. Stürzen aber die beiden englifhen Häu—
fer, mit denen ih liirt bin, fo entitehen mir die baaren Mittel,
und es tft fehr fraglich, ob ich in diefen ohnehin geldarmen Zei—
ten meinen Credit fo hoch anfpannen kann, daß ich mich halte,
ohne Verdacht zu erregen.
Du biſt gerettet, ſprach Auguſt Hohenfels zuverfichtlich Ver⸗
traue jetzt einmal mir, dem Schwärmer, fuhr er lächelnd fort, als
er die heiter werdende Miene des von der erſchütternden Kunde
niedergeſchmetterten Mannes ſah. In einem Falle, wie dieſer, iſt
ed gerade die Idee, die am ſicherſten Hilfe bringt. Darum ſteht
mir eine große Idee fo hoch, darum iſt fie mir unter Umftänden
mehr Werth, als das größte Elingende Gapital. Bieweilen, lieber
— 371 —
Heidenfrei, will mich bedünken, als fänden ſich arge Widerſprüche
in der kaufmänniſchen Welt vor. Ihr verlacht unſere Ideen, die
Ihr ziel- und ſinnlos nennt, und doch iſt jeder Wechſel, den Ihr
traffirt, auh nur eine Idee, und ber Credit, ohne welchen aller
Handel aufhören müßte, tft die Fühnfte aller Ideen. So lange
der Glaube an eine Idee währt, fo lange ift fie gut. Habt alfo
die Güte, meinen Ideen Glauben zu ſchenken und Ihr könnt ohne
Bedenken Wechfel darauf ziehen und Grebit darauf eröffnen.
Hetdenfret fah mit feinen ſcharfen, heilen Augen den Spre⸗
chenden groß an.
Du könnteſt Recht haben, verfeßte er, und fo will ich, ob⸗
wohl es gegen mein Prinzip verftößt, auf eine bloße dee, bie
bisweilen mit Chimäre gleichbedeutend if, Eredit geben. Du bift
zu ehrlich, als daß du mich, meinen Namen, mein ganzes Haus
einer Idee zu Liebe in's Unglück ftürzen kannſt. Vor zwanzig
Jahren, id befenne es offen, hätte ich dir folhen Glauben nicht
gefhentt. Damals warft du mir zu ſchwärmeriſch hochfahrend.
Jetzt biſt du mir an Lebenserfahrungen überlegen, ſtehſt frei und
vorurtheilslos da, haſt perſönlich keine Verbindlichkeiten, brauchſt
Niemand zu bitten, vor Niemand dich zu beugen, und haſt deshalb
ein Recht, den Kopf ein wenig hoch zu tragen, wenn Andere
Miene machen, dich überſehen zu wollen. Ich will ſogar, damit
du ſiehſt, daß ich fein Gegner deiner Pläne bin, wenn ich fie auf
nicht mit Meberzeugung als vortrefflihe zu den meinigen maden
kann, nicht einmal fragen, auf welche Weife du im Fall der wirf-
Lich eintretenden Gefahr mir Rettung bringen will.
Diefes unbegrenzte Vertrauen rührte und entzückte Hohenfels,
ber, ungeachtet feiner trüben Erlebniffe, einer gewiſſen Schwärmeret
fich lets von Neuem warm und innig hingab.
Ich danke dir, fprad er, ganz wieder Vertrauen und voll-
fommen verföhnt. In wenigen Tagen werde ich bir die Belege
übergeben, welche bich unter allen Umſtänden fiher ftellen. Biel-
leicht tragen fie mehr als meine feurigfien Worte Dazu bet, dich
und deine allernächften Freunde meinen Vorſchlägen geneigter zu
24”
— 372 —
machen. Auch damit würde ih fehon zufrieden fein, denn aus ber
Geneigtheit entwidelt fi fpäter die Luſt zu wagen, und ſchon das
erfte fogenannte Wagnig wird — ich bin davon Üterzeugt — ein
Triumph der Idee fein, von der th nicht laſſen Tann, die mid
nun einmal einzig und allein noch in der Welt fefthält, weil ich
in ihr einen neuen Prometheusfunfen die Völker der Erbe mit
frobem Lebensfeuer durchglühen fehe.
Heidenfrei’s Aufregung verlor fih während diefer Unterredung
und gleichzeitig kehrte dem entfchloffenen Manne feine phyfifche
Kraft zurück. Niemand im Haufe erfuhr auch nur eine Sylbe
von dem Inhalt des eben beendigten Geſprächs, nur bie beforgten
Mienen der Söhne bes Rheders wollten Manchem auffallen, da
beide Brüder gewöhnlich heiter und hoffnungsvoll fi zeigten. Da
indeß von Feiner Sette irgend eine Aeußerung fiel, auch ber Chef
des Haufes, von beffen vorübergehendem Unwohlfein das Gomptoir=
perfonal wohl etwas vernommen hatte, an demfelben Tage wieder
zum Vorſchein kam, und fonft Alles feinen gewohnten Gang ging,
ahnte Niemand die wahre Veranlaſſung der ernfteren Stimmung
Eduard’s und Ferdinand's.
Auguftin Hohenfeld ging inzwifchen unverweilt an’s Werk,
68 .erhob den ungewöhnlichen Mann, dag ihm ber Zufall, und an⸗
fheinend noch dazu ein unglüdliher Zufall, der hundert andere
bis zur gänzlihen Verwirrung erſchreckt haben würde, Gelegenheit
barbot, gewiſſermaßen die Probe auf feine Idee zu machen. Der
edle, große Charakter des viel verfannten und darum zur Unzeit
ſtill befeitigten Mannes zeigte ſich jest in feinem glänzendften Lichte,
Hohenfeld fchrieb mehrere Briefe an ihm bekannte Handelshäufer,
die, wie die Papiere feines Sohnes auswiefen, die Verhältniffe des
verftorbenen Pueblo y Miguel Saldanha, deſſen Erbe fein Sohn
geworden war, ganz genau fannten. Was er fonft noch Hinzu
fügte, biteb feinem Schwager ein Geheimnif. Von ber Lage Hei-
benfrei’s, im Fall die mit ihm verbundenen Häufer zu Grunde
gingen, war in feinem dieſer Schreiben bie Rede, deſto berebter
‚verbreitete ſich Hohenfels über feinen großen Gedankenplan, Süb-
— 973 —
Amerika der Golonifatton zu erſchließen und ben Zug tüchtiger,
nicht ganz unbemittelter Auswanderer, der ſchon damals den freien
Staaten Nordamerifa’s ſich zuwandte, nach dieſen an den koſtbar⸗
ften Produkten ver Welt viel reicheren Ländern zu leiten. Cr
drang auf Befahrung aller Meere durch Dampfichiffe, aber er kam
immer wieder auf die Grundidee zurüd, daß, folle eine derartige
Erweiterung der Rhederei von nationalem Nupen fein und denje-
nigen, die fie in bie Hand nähmen, ben unberechenbarften hans
delspolitifchen und culturbiftorifhen Einfluß in der neuen Welt
fihern, feine andere Staaten und Nationen fih dazwiſchen mengen
bürften. Herſtellung directer Schifffahrtslinten unter deutſcher Flagge,
bad war auch in diefen Briefen das große Thema, das er prebigte.
Als er die Schreiben fiegelte, fagte er zu ſich felbit:
Es wäre doch möglich, dag ich noch reuffirte. Sind bie Ei⸗
nen ſchläfrig oder ſchwer zu einem Entjchluffe zu bewegen, fo muß
man verfuhen, fie durch Andere, Rührigere aufweden zu laſſen.
Die Concurrenz tft eine gefährliche Waffe, die mit großer Geſchick⸗
lichkeit gehandhabt fein will, fol man fich felbft nicht verwunden.
Ste ift ein zweiſchneidiges Schwert ohne Griff, das man wirft,
wie ber Gallego fein im Aermel verborgen gehaltenes Dolchmeſſer
und das man am flumpfen Ende wieder auffangen muß. Aber
fei e8 drum! Der Preis tft groß, der Ruhm noch größer. Das
für muß ein unternehmender Mann nöthigenfalls Ehre und Kopf
einfegen.
Hohenfels war mit ſich zufrieden. Er trug die Briefe ſelbſt
auf die Poſt, damit Niemand erfahre, wer diejenigen ſeien, bie,
wie er ſich ausdrückte, eine bloße Fee als Wechſel arceptirten und
die Baluta baar dafür auszahlten. Er wußte, daß er fiher ging,
und dies Bewußtfein gab ihm feine geiftige Spannkraft wieder,
die Ihn während ber kleinlich profaifhen Verhandlung mit einer
Anzahl begüterter Menfchen verlaffen hatte, welche die Grofartig-
fett feiner weltbefruchtenden, völferbeglüdenden Idee über die Bes
rechnung des abfallenden Gewinnes ganz und gar vergefjen fonnten,
Ungeachtet der zur Zeit unferer Erzählung noch ziemlih man⸗
— 374 —
gelhaften Poſtverbindung, trafen die Antworten auf die entſendeten
Briefe doch ungewöhnlich pünktlich ein. Sie entzückten Hohenfels
in jeder Beziehung, denn fie gewährten ihm mehr, als er zu er-
warten gewagt hatte. Ein faſt unbegrenzter Credit war ihm er-
öffnet, fo daß mittelft deſſelben Heidenfrei feine Vexbindlichkeiten
auch im Falle eines wirklich eintretenden Unglüds erfüllen Tonnte.
Diefer Erfolg eines Experimentes, deſſen Natur Heibenfret
nicht genügend kannte, knüpfte zwifchen beiden Schwägern ein neues
Band feiten Vertrauens. Die Söhne drangen unabläffig in den
Vater, den Oheim, der einen fo großen faufmännifhen Blick ge—
rade tn jehwierigen Angelegenheiten befige, als wirklichen Compagnon
mit in das Geſchäft zu nehmen und ihm vorzugsmeife die Rhe—
beretangelegenheiten allein anzuvertrauen, bie, worauf Alles bin-
deute, binnen wenigen Jahren durch die immer zwedmäßigere Be—
nugung der Dampffraft unbedingt in ein ganz neues und eigen=
thümliches Stadium treten müßten.
Solchen Bitten, auf fo triftige Gründe fi ftüßend, vermochte
ber Vater nicht Länger zu widerſtehen. Auguftin Hohenfels trat
in das Geſchäft, und bald erregte es gewaltiges Auffehen an der
‚Börfe, als eines Tages Girculäre ausgegeben worben, welde biefe
wichtige Veränderung der europätfchen und außereuropälfchen Handels⸗
welt befannt madıten.
Glücklicherweiſe erwieſen fih die Befürchtungen Heidenfrei's
als völlig aus der Luft gegriffen. Ein allzu vorfichtiger Correſpon⸗
dent hatte das Hamburger Haus unnöthigerweife, aber in guter
Abficht, erfhredt. Es erfolgte nicht die geringfte Stodung, fo daf
Hohenfels den Credit, der ihm bewilligt worden war, gar nicht zu
benugen brauchte, wenn er nicht wollte. Mit Hilfe deffelben ließen
fih indep außergewöhnliche Refultate erzielen, und fo firengte denn
Hohenfels feine ganze geiftige Kraft an, um den Ideen, bie ihn
zurüd in's Vaterland geführt hatten, Leben einzuhauchen.
— 375 —
Fünftes Kapitel.
Spiel, Scherz und Ernft.
Die Tafel ward aufgehoben und die Gefellfhaft zerftreute
fi. Einige ältere Herren zogen ſich in ein als Zelt decorirtes
Zimmer zurüd, das bie Ausſicht auf bie unfern vorüberziehende
- Straße und darüber hinweg auf ein dicht belaubtes Bebüfh und
faftiggrüne Wiefenteppiche Hatte. Hier warb tiber verfihiedene Ge-
genftände geplaudert und von Ginigen eine Gigarre dazu geraudt.
Die Frauen traten in den Salon und taufhten, da und dort in
Gruppen vertheilt, ihre Meinungen und Anfichten aus über bie
neueiten Moden, wobei e8 an gegenfeitiger Mufterung der Kleider
und Shawls nicht fehlte. Andere ſprachen wohl auch über Muſik,
fritifirten die neuefte Oper, die Lürzlic im Stabttheater zur Auf:
führung gekommen, Iobten ober, tabelten, je nah Geſchmack und
Bunft, Sänger und Sängerinnen, und einigten fi nach lebhaften
Debatten endlich in der gemeinfamen Anficht, daß Opern doc viel
angenehmer, viel unterhaltender als Schaufpiele fein. In biejer
Beziehung fand die damalige Welt nicht nur bereits auf der Höhe
ber Zeit, fie griff dem Jahrzehnt fogar vor; denn was man in
jenen Tagen nur ſchüchtern und unfiher tajtend verfuchte, das tft
gegenwärtig Mode, ja fogar guter Ton geworden.
Die jüngeren Thetlnehmer an dem Fleinen Gaftmahle, wel⸗
ches Heidenfrei in Veranlaſſung der Erweiterung feiner Geſchäfts⸗
thätigkeit den ihm näher ſtehenden Perſonen auf ſeinem Landhauſe
gab, ſchwärmten unter Scherzen und allerhand Neckereien durch die
wohl gepflegten Gänge des geräumigen Gartens. Bald aber ward
man biefes zweckloſen Umherwanderns müde, da es zu fehr zer.
fireute und die jugendlih Fröhlichen ben fhönen Sommertag mög-
lichſt genießen wollten.
Laßt uns ein Geſellſchaftaſpiel arrangiren, ſchlug Ferdinand
vor, Fräulein Ulrike zuwinkend, fie möge ein ihr vorzugsweiſe an⸗
— 376 —
genehmes nennen. Eliſabeth kam ihr jedoch zuvor, indem fie faſt
gleichzeitig dem Correſpondenten Anton zurief:
Bitte, holen Sie die Reifen! Sie wiſſen ja am Beſten, wo
Sie damit geblieben ſind. Ein recht luſtiges Reifenwerfen muß
ſich heute, bei dieſem glänzend blauen Himmel, ganz allerliebſt aus-
nehmen. Und bier dieſer oblonge Rafenplag, von allen Selten
dicht beſchattet, gewährt allen Theilnehmenden gleiches Licht und
hält Jeden in beftimmten Grenzen. Da wollen wir uns vet
nad) Herzensluſt die niedlich bebänderten Reifen zumerfen.
Anton war längft hinter Alazien= und Berberisgeſträuch ver-
ſchwunden, bie Zurüdgebliebenen bildeten inzwifchen auf Anordnung
der Tochter des Haufes um den fammetweichen Rafen bunte Reihe,
wobei es nicht ohne kleine Schelmereten abging, bie bei Ginigen
wohl mit heimlichen Nebenabfihten gepaart waren. Diefe Auf:
ftelung war kaum beendigt, ald Anton eiligen Schritte mit einer
Anzahl Reifen am Arm und ausreihenden Stäben zurüdtam.
Die Reifen fahen in der That recht luſtig aus, denn einige was
ren mit blau und weißem, andere wieder mit roth und weißem
Seidenband ummunden. Raf griffen die jungen Mädchen zu,
bie jugendlichen Männer folgten, und bald kreuzten fi) bie dre⸗
henden Reifen in der Haren Luft über dem fchimmernden Ra⸗
fenplabe.
Ohne Neckereien verlaufen berartige Geſellſchaftsſpiele felten.
Gewöhnlich macht fi der Mebermuth junger Mädchen am meiften
babet geltend, die bald aus Neigung, bald zum bloßen Amüfement
einem oder dem andern ihrer Mitſpieler mehrere Reifen auf ein⸗
mal zuwerfen und ihn dadurch zu den poffierlichiten Sprüngen
und Stellungen veranlaflen. Diesmal ging das Spiel in Heiden-
frei's Eleinem Park eine Zeitlang ruhig feinen Bang. Keiner warb
ungeftüm, Keiner läſſig. Dean fpielte wirklich, um fi zu, ver
gnügen und eine gefunde Bewegung zu mahen. Nur hinſichtlich
ber Gruppen, die einander gegenfettig die bebänderten Reifen zu«
warfen, konnte man eine gewiffe Anzliehungskraft gewifler Indivi⸗
buen bemerken. Es war jeltfam, Ulrike's Reifen fielen mit ges
‚ — 377 —
ringen Ausnahmen regelmäßig auf Ferdinand's Stock, Anton war
ſo glücklich, die ſeinigen immer von Eliſabeth auffangen zu ſehen,
die in ihrem Roſakleide mit den langen hellbraunen Locken, die
um das zart geröthete Geſicht koſ'ten, in hohem Grabe liebens⸗
würdig ausſah. Chriſtine endlich, die ſeit ihrem Wiedereintritt in
die Familie Heidenfrei ſich darauf pikirt hatte, nie anders als
Schwarz zu gehen, und die demnach ein einfaches ſchwarzſeidenes
Kleid nach damaligem Modeſchnitt trug, womit ihre ebenſo ſchlichte
Haartour trefflich harmonirte, ſchien ſich um Niemand anders, als
um Miguel Hohenfels-Saldanha zu bekümmern. Dieſer junge
Verwandte Heidenfrei's war augenblicklich die intereſſanteſte Perſön⸗
lichkeit in der Geſellſchaft. Er machte den faſt ſpurlos verſchwun⸗
denen Mexikaner raſch vergeſſen, obwohl er ſich nicht rühmen konnte,
jo viele glänzende und wirklich beſtechende Talente zu befitzen.
Was ihm in diefer Hinficht abging, das erfehte reichlich fein aben-
teuerreiches, großentheils In das undurchdringlichſte Geheimniß ge=
hüllte Leben. Er ſelbſt fühlte fich nicht veranlaßt, davon zu fpres
hen, und Auguftin Hohenfels, der feiner ganzen eigengearteten
Natur nad Fein Mann der Gefellihaft war, no fein konnte, ba
er felten mit Vielen harmonirte, und zu ftolz, zu fehr vom Schick⸗
fal abgehärtet, daneben zu fireng an ernſtes Denken gewöhnt war,
um flachen Aeußerungen beizupflichten oder fie nur unerwidert an
feinem Ohr vorübergleiten zu laſſen: Auguftin Hohenfels ſchwieg
abfihtlih. Die Caprice Miguels, ſtets Matrofentracht zu tragen,
weil er unabänderlich bet feinem Entſchluſſe beharrte, ald Matrofe
in fein Geburtsland zurüdzufehren, hob feinen tabellofen Wuchs
und ſchmälerte in Feiner Weiſe den Eindrud feiner Erſcheinung.
Das Spiel der jungen Leute mochte unter Scherzen und La=
hen act bis zehn Minuten gedauert haben, als fi ein paar Zu=
fhauer einfanden. Es waren Auguftin Hohenfeld und Treufreund.
Beide hielt es nicht unter den rauchenden Männern, die nur zu
bald mitten in einem Geſpräche fi befanden, das fih nur um
bie neuelten Preisnotirungen handelte. Un derartiger Converſation
betheiligte ſich Hohenfels aus Grundſatz nie, weil er einen gang
— 378 —
andern Begriff von dem Vergnügen geſellſchaftlichen Lebens hatte.
Er war deshalb nicht beliebt, eher gefürchtet. Die Meiſten mieden
ihn, Einige weil fie ſeine geiſtige Ueberlegenheit ſcheuten, Andere
aus Furcht vor ſeinem geierartig ſcharfen Blicke, noch Andere, um
nicht in die fatale Nothwendigkeil zu kommen, mit dem philoſo⸗
phiſchen Kaufmanne, wie man ihn wohl ſpottweiſe in vertraulichem
Kreiſe nannte, ein unerquickliches Geſpräch anknüpfen zu müſſen.
Hohenfels ſtörte dieſe ſchlecht verhehlte Abneigung der Mehr⸗
zahl nicht. Er war ſeit langen Jahren daran gewöhnt, nur mit
ſich ſelbſt zu verkehren, fi ganz allein Geſellſchafter, Rathgeber,
Freund zu ſein. Er hielt ſich deshalb nur zu denen, die ihn wirk⸗
lich ſchätzten und aus uneigennütziger geiſtiger Anhänglichkeit ſeinen
Umgang ſuchten, einen ergiebigen Gedankenaustauſch oberflächlichem
Geſchwätz vorzogen. Unter dieſen Wenigen ſtanden die jüngeren
beiden Heidenfrei und der ehrliche Treufreund obenan.
Kaum gewahrten die Reifen werfenden Mädchen die beiden
Herren, fo flogen auch ſchon ein paar ber bebänderten Ringe wir-
belnd durch die Luft.
Herr Treufreund, Ste müffen mit von der Parthie fein. —
Das tft eine gefunde Bewegung, die thut Ihnen Noth! — DO bitte,
bitte, fommen Sie doch, Sie werfen fo fiher — wiffen Sie, Ste
haben mir Unterricht gegeben, als ich noch fo ganz Elein war. —
So ſprachen Eliſabeth und Ulrike, Beide ohne Umftände bie Hände
des „Schattens“ erfaſſend und ihn, ungeachtet ſeines Sträubens
und feiner Entfhuldigungen, mit fih in den Kreis der Spielen-
. den ziehend.
Das gibt einen göttlichen Spaß, flüſterte Anton einer Schö⸗
nen zu, die eben beſchäftigt war, ein loſe gewordenes Band wieder
feſt zu ſchlingen. Der gute alte Herr fieht nichts, Sonne und
Luft blenden thn, und ich möchte deshalb wetten, daß er zehnmal
vergebens einen Stoß mit ſeinem Stocke in die Luft führt, ehe er
ein einziges Mal den Reif fängt.
Ei, deſto luſtiger wird das Spiel verfeßte die Angeredete.
Der Ungeſchickte ift dazu In der Welt, bie Geſchickteren zu amüſiren.
— 379 ——
Herr Treufreund ft aber ein Treuzbraver Mann, ein nobler
Charakter.
DO, laſſen Ste ihn meinetwegen einen Halbgott fein, obwohl
er durhaus nicht fo ausfieht, follen wir deshalb keinen Spaß
haben?
Hier ftellen Ste fi her, mein befter Herr Treufreund, fagte
Eliſabeth in komiſch gebietendem Tone. Wie mögen Sie, ein
Mann von fo viel Erfahrung und von fo großem Verdienſt, un⸗
galant fein gegen Damen, bie Sie mit fo rührenden Bitten um—
fhmeiheln! Da, nehmen Ste meinen eigenen Wurfftab, er ift noch
warm von meiner Hand, und da haben Ste auch meinen Reif
mit den Hamburgifchen Farben. Ich will fehen, wo td ein Wurf-
inftrument- für mid auffinde.
Anton ſtand fhon an Eliſabeths Seite und bot thr feinen
Wurfflod an.
Bitte, Herr Anton, berauben Ste fih nit! Dort gewahre
ih ſchon ein Aushilfsinftrument. Die umgebrohene Fuchſia kann
ihren Stab auf einige Zeit entbehren.
Elifabeth trat wieder in ben Kreis der Spielenden, von denen
bereit8 Mehrere ihre Reifen dem noch ganz beftlirzten Treufreund
zugejchleudert hatten.
Ohne Kopfbedeckung, die Augen halb zugefniffen, machte der
wadere Herr, der fo Vielen zur Zielſcheibe diente, in dem altvä⸗
terifhen Schnitt feiner Kletver, die freilich fehr ſchlecht ſaßen, mehr⸗
mals gegen die kichernden jungen Mädchen, die alle ohne Aus-
nahme ausgelaffen Iufttg waren, fich verbeugend, eine wirklich höchſt
komiſche Figur. Erft der Ermahnung Eltfabeths folgte er zögernd,
indem er einen ber vor ihm niedergefallenen Reifen aufhob, den
Stock daran Iegte und ihm einen fo gewaltigen Schwung gab,
daß er weit über die Köpfe der Spielegpen fortflog und auf dem
Wipfel einer breitäftigen Blutbuche hängen blieb,
Zu ftark, zu flarf! rief mehr als eine Stimme. So müf-
fen Ste e8 machen, dann treffen Ste. Gleichzeitig ſchwirrten Rei⸗
fen von verſchiedenen Seiten gegen den armen „Schatten“ heran,
— 380 —
und ba er fi büdte, um ihnen auszuweichen, wollte e8 der Zu=
fall, daß zwei Reifen gerade auf feinen Kopf fielen und ihm bie
auf die Schulter herabfanfen.
Ein allgemeines Gelächter beglettete diefe glücklich gezielten
Würfe der Uebermüthigen, vermehrte aber nur noch die DVerlegen-
heit bes Gefoppten, der viel zu gutmüthig war, um den Scherz
übel zu nehmen. DBorfihtig, damit er die Reifen nicht zerbredie,
befreite er fih von der unerfreulichen Halszierde, reichte unter
tiefen DVerbeugungen der fchelmifh lächelnden Eltfabeth den kurz
vorher erhaltenen Stab nebit Reifen und fagte:
Verzeifung, mein Fräulein! Wie groß meine Kunft iſt,
haben Ste gefehen, und wie wenig ich zur Erhöhung des Der-
gnügens dadurch beitragen Tann, da ich es durch meine Unges
fhidlichkeit ganz und gar ftöre, beweiſ't diefe Armefündergeftalt,
die hier vor Ihnen flieht. Ich bitte, mich gnädigft zu entlaffen,
wäre ed au nur aus Mitleid mit meinen fohmerzenden Augen.
Treufreund blickte hiebei die ſchöne Tochter feines Prinzipals
fo offen an, als die biendend Helle Luft es ihm erlaubte. Glifa-
beth erröthete und fchlug bejhämt den Blid zu Boden. An die
letdenden Augen des guten Alten Hatte fie in ihrer Ausgelaſſen⸗
heit nicht gedacht. Ste reichte Treufreund die Hand und fprad
leife, aber bittend: Vergeben Sie mir! Ich hatte Unredht, Sie
fo übermüthig zu zwingen. Bitte, zürnen Ste nicht; es geſchah
aus Unbedachtſamkeit, nicht aus Luſt am Scherze!
Treufreund lächelte ſanft, ſtreifte mit der Lippe die weiße
zitternde Hand Eliſabeths, machte, einen Halbkreis beſchreibend,
eine ſeiner unvermeidlichen tiefen Verbeugungen, und ſchritt dann
Hohenfels nach, der mit faſt finſtern Auge dieſer Scene aus der
Ferne zugeſehen hatte.
Ihr Oheim zürnt, raunte Anton der etwas beſtürzten Eli⸗
ſabeth zu, ſich einen der von Treufreund erhaltenen Reifen er⸗
bittend. Ich wollte, ih vermöchte ſeinen Zorn von Ihnen auf
mich abzulenken.
Eliſabeth blickte auf, flug aber, als fie bem Blide bes
— 381 —
jungen Correſpondenten begegnete, ihr Auge ſogleich wieder zu
Boden. Um doch etwas zu ſagen, deutete ſie auf den in der
Blutbuche hängenden Reifen und ſagte:
Wenn ihn der Vater dort ſieht, wird er ſchelten. Ich würde
dem, der ihn herabſchüttelte, dankbar ſein.
Anton eilte ſogleich nach der Blutbuche, ſchüttelte ſie ſo ſtark
er konnte, und ſah den Reif zu ſeinem großen Vergnügen von
Zweig zu Zweig gleiten und ſanft auf den Raſen niederfallen.
Als er ſich bückte, um ihn aufzuheben, ſprach er in einer Art
melodiſchen Murmelns die Worte: „Mien Moder kann ſwemmen!“
leiſe vor ſich hin.
Während dieſes Intermezzo's war der Kreis der Spielenden
zerriſſen worden, und als man ihn auf Ulrike's Bitten wieder
ſchließen wollte, ergab ſich, daß Mehrere fehlten. Dies ſtillſchwei⸗
gende Austreten Einzelner konnte für ein Zeichen von Ermüdung
gelten, was nach einigem Hin⸗ und Herreden zu einer Beendi-
gung des Spieles felbit führte.
Unter die Ausgetretenen gehörten auch Ghriftine und Mi⸗
guel. Beide Hatten fih ganz zufällig, wie es ſchien, entfernt,
indem fie fi gegenfettig ein paar Reifen zumarfen und babet
immer nah einem feitwärts führenden Gange zurüdwihen. Zus
fälltg mochten fie wohl aud während dieſes Duo's in eine Laube
gerathen fein, und wir haben Grund zu vermutihen, daß hier
Miguel durch ein Ungefähr zum Straudeln gelommen iſt, anders
wenigftens wiffen wir ung die Situation nicht zu erklären, in ber
wir jegt die beiden jungen Leute wiederfinden.
Chriftine fißt auf einer Gartenbanf, Bor ihr, auf ein Knie
niedergelaflen, Iiegt Miguel, die Rechte des fchönen Mädchens in
beiden Händen haltend und der lieblich Erröthenden feurige Worte
zurufend. Obwohl man Geheimniffe Anderer nicht ausplaudern
fol, dürfen wir das, was der lebhafte Matrofe dem jungen
Mädchen vorſchwatzt, doch nicht verfchweigen, da wir andere un⸗
ſere Gefchichte nicht beendigen Könnten.
Ghriftine, Hören wir Miguel fprechen, es ift ein volles Jahr
— 382 —
vergangen, feit ich Ihre liebe Geftalt zum erften Male erblidte,
Ich machte, Ste wiffen es, nie ein Geheimniß aus den Gefühlen
meines Herzens, aber ich war ja arm, ein Fremdling, ein mittel-
Iofer Abenteurer, ohne "Namen, ohne Familie! Man entrig Ste
mir, ehe ih Ste noch fprehen konnte. Dennoch gab ich Ste nicht
verloren. Gin ahnungsvoller Zug meines Herzens flüfterte mir
Immer von Neuem zu, Ste feten mir vom Schiefale beftimmt,
und th, ih könne Ihnen nützlich fein. Da trat jene büftere Zeit
ein, die wir jest, nun fie hinter uns Itegt, mit andern ‚Augen
betrachten. Gerade biefe anfheinend fo ſchreckliche Periode tft Ih⸗
. nen günftig gewejen, denn fie hat einen Verfolger von Ihrem Les
benspfabe verſcheucht, der ung Allen bereinft gefährlih, ja furcht⸗
bar werden konnte. Ih will es nicht als ein Derbienit bezeich-
nen, daß meine nie ermüdende Wachſamkeit immer dem Schatten
folgte, den Ihre verfhwindende Geftalt warf. Es gelang mir,
Sie zu entdecken, Sie der Welt, Ihren eltern, Ihren Freunden
wiederzugeben. Soll ich allein, der ih Ste mit ber ganzen Hin-
gebung eines aufopferungsfähtgen Herzens Tiebe, fol ih allein
Ste entbehren? Chriftine! Es iſt das erfte Mal, daß ih mid
ohne Zeugen offen gegen Sie ausfprehen kann, es ſoll auch das
legte Mal fein. Jh will und kann ohne Ste nicht Ieben. Ge⸗
hören Ste mir an! Sagen Sie mir, daß ich Ihnen nicht gleich-
giltig bin!
Chriftine blickte verwirrt über das Haupt des Sinteenden, ber
feine heißen Lippen auf ihre Hand preßte.
Stehen Ste auf, Miguel, ich höre kommen.
Nicht, che Sie mir Antwort geben!
Sie compromittiren mih! . . . Wenn einige von ber Ge-
ſellſchaft — |
Lap Ste alle kommen, fiel Miguel der Beftürzten ins Wort,
ih wünjhe es. Dann bin ih Manns genug, meinen Arm um
deinen Leib zu Iegen uud ihnen dich, mit ober ohne deine Einwil-
gung, als meine verlobte Braut vorzuftellen.
Er war aufgeftanden und machte Miene, Chriſtine zu umar-
— 383 —
men. Dieſe aber wehrte ihn fanft ab, blickte Ihn lächelnd an und .
fagte mit ſchalkhaftem Webermuth: "
Ungeftümer Menfh! Bedenken Sie doch, daß Ste an ben
Ufern der Niederelbe,. nicht in der Umgegend des Amazonenftros
mes leben. Es mag Sitte fein in Ihrem ſchönen Vaterlande,
dag junge Herren, wenn fie verliebt find, mit Dolh und Piftole
den Gegenitand ihrer Liebe anfallen; in unſerm fühlen Deutſch-
land, wo alles feine Regeln hat, brauht man, um Erhörung ſei⸗
ner Wünſche zu erlangen, ein wenig längere Zeit. Webrigens will
ih, damit Ste nicht eine fo gar troftlos komiſche Miene machen,
über die ih am Ende lachen muß, Shnen nicht verhehlen, daß
Sie den allerglüdlichiten Weg ohne Ihr Zuthun gefunden Haben.
Er führt durch die romantiſch-anlockendſte Wildniß zu dem ſtrah⸗
lenden Schloß der verzauberten Prinzeffin, die Ste zu befreien
gelobten. Kennen Ste die Regeln einer anftändigen, ehrlichen
Bewerbung?
Miguel fhwieg und ſah die janft lachelnde Geliebte zwei⸗
felnd an, da er nicht wußte, ob er ihre Worte für Hohn oder
für eine ſchelmiſche Neckerei halten ſollte.
Ich will Ihnen ſagen, mein ungeſtümer, lieber Lebensretter
aus Braſilien, fuhr Chriſtine fort, was ein geſitteter junger Mann
hier zu Lande thut, wenn er die Abſicht hat, ein Mädchen, deren
Herz er zuvor erforſchte, zu feiner Braut zu erheben. Ein fol-
her Glücklicher wendet fi in den reſpectvollſten Redensarten, aljo
mit Hinweglaffung aller Worte, die nad Verzweiflung, Elend,
Gift, Tod u. f. w. ſchmecken, an die Xeltern der Geliebten, be=
weißt, daß er ein ehrlicher braver Mann fei, — dieſer Beweis
ift neuerdings in unferm Vaterlande fehr nöthig geworden — legt
ferner dar, dag er nicht Unglüd über das Haupt feiner Erwähl⸗
ten bringen wird, und erbittet fich fchließlih von den Aeltern die
Hand der Tohter. Se, lieber Miguel, fügte Chriſtine vertraulich
ermunternd hinzu, fo macht man das bei ung, und wenn ed vet
nett eingefleidvet wird und ber junge Mann wirflid ein liebens-
würdiges Subjekt ift, pflegt ein geſcheidtes Mädchen ungefähr fo
— 384 —
zu lächeln und mit niedergeſchlagenen Augen zu ſagen: Auf bal-
diges Wiederſehen! Be "
Eine rafhe Wendung entzog Chriftine, die in. ihrer erkünftel-
ten MWebermuthslaune bezaubernd war, dem flaunend zubörenden
Miguel, der beftürzt und doch innerlich hochbeglüdt in der Laube
zurüdblieb, Denn er konnte fi nicht wohl denken, daß ein jun-
ges Mädchen einen von Liebesgluth ergriffenen Mann, der ihr
feine hetligften Gefühle offenbare, in fo lieblich Elingenden, fanf-
ten Worten und mit fo warmen, fonnigeflaren Blicken einen Korb
ertheile.
Unentſchloſſen, was er thun ſolle, verweilte er noch kurze Zeit
in der Laube. Bald hörte er ſeinen Namen rufen. Er erkannte
die Stimme Ferdinands; um nicht Anlaß zu weiteren Nachfragen,
wo er ſich ſo lange verſteckt gehalten, zu geben, antwortete er und
ging dem Couſin entgegen, der lebhaft ſprechend aber in ſehr hei—
terer Stimmung Arm in Arm mit ihm der Villa zufchritt, wo bie
Geſellſchaft fich jetzt wieder ſammelte.
—
Sechstes Kapitel.
Der Morgen. Jacob und Ferdinand. Treufreund's
Entdeckung.
Ueber dem breiten Stromthale ber Elbe und ben vielen frucht-
baren Infeln lag eine weißlich-graue Nebelfchicht, aus welcher nur
bie gewaltigen Thürme der alten Hanſeſtadt, die hochgelegenen
Häufergruppen der Vorſtadt St. Pauli und Altona’s, und bin und
wieder einige Schiffsmaften hervorragten. Es war nod fehr früh,
vor Sonnenaufgang, und um biefe Zeit pflegt das Leben in einer
MWeltftadt, mit Ausnahme weniger Perfönlichkeiten, noch nicht wie=
ber erwacht zu fein. Wie es langſam und allmählich erſtirbt und
erit fehr ſpät im ber Nacht gänzlich aufhört, fo beginnt es auch nur
— 385 —
nad und nad. Dies allmählihe Erwachen zu belaufen, hat mehr
als eine intereflante Seite und lehrt uns recht eigentlich den Cha—
ratter ‚einer Stadt, die Eigenthümlichkeiten einer aus fo verſchiede⸗
nen Beſtandtheilen zufammengefehten Bevölkerung kennen.
Die vergangene Nacht, welche jetzt dem feuchten Morgennebel
der Dämmerung wich, war hell und warm geweſen. Erſt kurz vor
Sonnenaufgang machte ſich eine Luftbewegung bemerkbar, die man
jedoch weniger fühlte, als ſah. Die ſtreifigen Bildungen des Ne⸗
bels zerflatterten und verdünnten ſich, wurden länger, bildeten phan⸗
taſtiſche Geſtalten und ſchwammen dann, fortgetragen auf unſicht⸗
baren Luftfittichen, weſtwärts dem Meere zu.
Die letzten Repräſentanten der Nachtſchwärmer, an denen volk⸗
reihe Städte fo reich ſind, waren kaum von den Straßen ver⸗
ſchwunden, da ging bald da, bald dort eine Kellerthür auf, oder
ein Wohnſahl ward erſchloſſen und Männer, gewöhnlich in weiten
ſchlotternden Beinkleidern und kurzer Jacke von ſchwarzem Sam⸗
metmancheſter gekleidet, große Henkelkörbe mit grün gemalten Blech—
deckeln auf einer ihrer Schultern, traten heraus und eilten die
Straßen entlang, bis der Eine da, der Andere dort, oft auch
Mehrere an ein und derſelben Stelle, in einem Bäckerladen ver⸗
ſchwanden. Dies waren die Brodverkäufer, gemeinhin wohl auch
im gewöhnlichen Leben Bäcker genannt, welche Hamburgs erwachende
Bevölkerung an jedem neuen Morgen mit friſchem Brod verſorgen.
Der Bäcker und der Brodmann iſt der am früheſten munter und
thätig werdende Menſch in dem raſtlos arbeitenden Hamburg.
Auf ſeinem Rückwege vom Bäcker in ſeine Behauſung, wo er ein
ſchnell bereitetes Frühſtück einnimmt, ehe er ſein ſaures Tagewerk
wirklich antritt, das ihn nöthigt, täglich etwa zwiſchen ſechs und
ſieben deutſche Meilen zurückzulegen, begegnen ihm die Lumpen—
ſammler, um Alles, was am vergangenen Abende und in der Nacht
mit Abſicht oder durch Zufall auf die Straße geworfen worden
iſt, mit ihren Eiſenſtäben zu durchwühlen und das etwa noch Brauch⸗
bare aufzuheben, um es nochmals zu verwerthen. Auch jene Spe-
Iunfen der obdachsloſen Armuth, die berüchtigten Bettler- ober
D. B. XI. Willkomm's Rheder und Matrofe, 25
— 386 —
Braher-Herbergen, von denen „ber tiefe Keller“ eine gewiſſe Bes
rühmtheit erlangt hat, entlaffen ſchon einige ihrer nächtlichen Gäfte,
Die zerlumpt, ungefämmt, mit verlebten wüſten Geſichtern einfam
dur die Straßen fchleihen, bisweilen fröftelnd oder doch fich ſchut⸗
telnd ftchen bleiben, als fännen fie über etwas Wichtiges nad,
und dann wieder, bald raſch ausfchreitend, bald wankend unb mit
zitternden Glicdern weiter taumelnd — traurige Bilder gänzlider
Derlaffenheit oder rettungslofer Verkommenheit.
Zwiſchen vier und fünf Uhr werben fhon einige Arbeitsleute
fihtbar. Eine Menge Faftenartig gebanter, mit Bretterbeden be-
legter Wagen raſſeln zu allen Thoren herein und verbreiten ſich
durch die ganze weite Stadt, wo eine Stunde fpäter ihre Führer
in voller Thätigkeit betroffen werben, allen Schmug und Unvath in»
und außerhalb ber Häufer zu fammeln und Hinaus auf's Land
zu ſchaffen. Gleichzeitig eilen bald einzeln, bald truppenweiſe hier
junge Mädchen, dort flinfe Burfche nad den verſchiedenen Fabriken
ober Arbeitsflätten, bie ihnen Beichäftigung und Brod geben. In
den Schmiedewerkſtätten rühren ſich gefhäftige Hände, die Bälge
in Bewegung feßend, und glühende Gifenftangen mit wuchtigen
Hammerſchlägen benrbeitend., Der lärmende Klempner raffelt in
feinen Blechen, die Drofchlenkutfcher ſchirren gähnend ihre Pferde
an, dehnen ſich dabei und klappern phlegmatiſch auf ſchweren Holz-
pantoffeln bald aus dem Stafle auf die Straße, bald von der
Straße wieder in den Stall.
Inzwiſchen reißt die verhüllende Nebeldede, der Wind kommt
auf, die Sonne bricht durch, Alles In Golddunſt tauchend, dag bie
bogen Kirchthürme gleich Feuerflammen glänzen, und bie halbge—
vefften Segel ber Schiffe im Hafen rofigen Wolken ähneln, die im
Takelwerk hängen geblieben find.
Nun ſchwimmen eine Unmaffe Feiner und großer Ewer über
ben no immer dampfenden Strom und legen überall an ben
zublreihen Landungsplätzen an, um ihre Bewohner und deren Zu—
fuhren an. die Stadt abzugeben. Mit bem Landen biefer Fremd⸗
linge beginnt der ‚eigentliche Lärm des Tages, welcher bie vorneh⸗
— 887 —
mere und die für vornehm ſich haltende Bevölkerung weckt. Eine
unüberſehbare Schaar von Ausrufern und Handeltreibenden aller
Art: Milch- und Fiſchverkäufer, Grünzeughändler ꝛe. in malert«
ſchen Trachten ergießen fi durch alle Straßen, nehmen Platz an
allen Eden, alle Thüren öffnen ſich, die Kaufgewölbe werden ers
fhloffen, die blanken Scheiben der Schaufenfter noch blanfer ge=
putzt, und bald Iebt, lärmt, wühlt und fummt die ganze Stadt
von einem Ende zum andern.
Es war um die Zeit, wo die erften Fifchewer den Baum
paffirtten und die Brodverfäufer bereits von ihrem ermübenden,
Morgengange zurüdtehrten, als einer der Letzteren, ein unterfeßter
Mann von munterem Ausfehen, in der engen Mattentwiete einen
ihm raſch entgegenfommenden jungen Seemann etwas unfanft mit
feinem Korbe anftieß.
Stop, ſprach der Seemann, fi zur Seite biegend. Stedt
ein Licht an der Bramraae aus, wenn Ihr auf ſchmalem Fahr-
waſſer fteuert, fonft gibt's Gollifion und Havarie.
Die Stimme kam dem Brobverfäufer befannt vor. Er Tehrte
fih um, eine Entihuldigung auf der Lippe, und blidte in ein
wohlbefanntes Gefidht.
Biſt du's wirklich, Andreas? fagte er, dem Steuermann gut⸗
müthig die Hand reichende. Wie lange bift du mir nicht mehr zu
Gefiht gelommen!. Freilich du Fonnteft ja nicht, warft auswärts,
unter dem Volke Gottes. Na, das find wunderlihe Gefchichten,
die du mir 'mal aueführlich in einer ruhigen Feterabendftunde er⸗
zählen mußt. Du befuchft mid doch bald? Trudchen hat mehr
denn hundertmal nad dir gefragt, und die alte blinde Pathe bei-
nes in fo vornehme Geſellſchaft gerathenen Schützlings fehnt fi
auch, ein verftändiges Wort von dir im Vertrauen zu hören.
Andreas erwiderte den kräftigen Händedruck bes treugerzigen
Brodverfäufers.
Sobald ich mit Chriſtinens Water gefprochen habe, ehrlider
Peter Krume, ſiehſt bu mich, ſei's bet dir, ſei's bet der alten blin=
den Silberweiß. Ih komme direct aus London, wohin ich im
25*
— 388 —
Auftrage des Herrn Heidenfrei ging, um über gewiſſe Angelegen-
heiten bie ganze Wahrheit zu ermitteln.
Hoffentlich Haft du fie ermittelt.
Vollkommen. Meine Auftraggeber können und werben zu—
frieden fein.
Die enge Paffage in der belebten Twiete geftattete den bet-
ben Befannten feine längere Unterhaltung. Mit nochmaltgem
freundlichen Augenwink trennten fie fih, Peter Krume, um feinen
Wohnſahl Hinter den Böden aufzufuhen, der Steuermann Andreas,
um auf Ummwegen dem Haufe des reihen Rheders zuzufchreiten.
Als er dies nach einer guten halben Stunde erreichte, fand er bie
geräumige Diele voll arbeitender Menfchen, unter denen ber derbe
David mit feinen ſchrecklichen Flüchen der Tautefte, aber auch der
unermüblichite war. Andreas fragte nah Jacob, und erhielt von
David unter zugegebenem „Gottverdammmich“ die Antwort, daß
er den Quartiersmann auf dem oberften Speicherboden antreffen
werde. Der junge Herr ſei mit ihm binaufgeftiegen.
Der Steuermann traf Ferdinand Heidenfreti, den Quartiers-
mann und einige Arbeitöleute bei ber Lufe, um nach Amerika be=
fiimmten Flachs zu verladen. Ferdinand erwiderte mit Freundlid-
‘Zeit den Gruß Andreas’, während Jacob ihn wie einen Menfchen
empfing, dem man großen Dank ſchuldig iſt.
Ihre Briefe haben den Vater fehr befriedigt, fagte der junge
Hetdenfrei. Alles, was bis dahin noch unklar war, tft Damit er—
ledigt worden. Auch ich danke für Ihre Bemühungen. Es hängt
jept nur von Ihnen ab, ob Sie Ihre bisherige Stelle behalten
oder 0b Ste auf unferer neu erbauten Fregatte, die nächſtens in
See gehen foll, als Oberfteuermann eintreten wollen. Bis Sie
einen beſtimmten Entſchluß gefaßt haben, bleibt Ihnen diefer Po-
ſten reſervirt.
Andreas dankte, ging mit Jacob auf die Seite und ſagte
ihm leiſe in's Ohr: Heute Abend erfährſt du, was du zu wiſſen
braudft. Ich komme eigens deshalb hieher, um aller Ungemwiß-
heit ein Ende zu machen, weil ich weiß, daß fie am petnigenpften
— 389 —
tft. Es hängt jebt großentheild nur von dir und deiner rau ab,
die Sache zu Ende zu führen und ihr die günftigfte Wendung zu
geben. Jacob nidte ſchweigend mit dem Kopfe, fein Blick aber
war trüb, faft. finfter und es fihten, als feße er in die Worte des
Steuermannes wenig Vertrauen. Indeß fagte er zu und biefer
entfernte ſich wieder.
Jacob, ſprach Ferdinand Heidenfrei, als ber größte Theil des
Flachſes verladen war und die Arbeitsleute eine Paufe machten,
um ein ftärfendes Frühftüd einzunehmen, auf ein paar Worte!
Der Quartierdsmann folgte dem jungen Herrn, ber ihn in's
Comptoir hinabführte. ”
Wenn du ed noch nicht wiſſen follteft, Jacob, fagte hier Fer—
binand, fo will ich es dir mittheilen. Jeder Zweifel, dag Miguel
niht der Sohn meines Oheims fein möge, ift durch die Erfun-
Digungen, welche wir einziehen liegen, gehoben. Miguel ift mein
leiblicher, rechter Metter, der Achte einzige Sohn Auguftin Hohen-
fel®’. Alles, was er ung über das frühere Leben des Mexikaners
erzählt hat, ift ebenfalls Wort für Wort wahr, und fo dürfen
wir uns ja wohl alle aufridhtig der Freude hingeben.
Ich habe das immer vermuthet, verfeßte Jacob, und hielt
deshalb die Nachfragen, weldhe Herr Heidenfrei für fo unerläßlich
erachtete, eigentlich für überflüjfig. Uber ich errathe den wahren
Grund und fonnte es dem Herrn darum auch nicht verbenfen.
Wenn Ste aber meinen, mir perfönlic, meiner Familie, meiner
Tochter ſei damit groß gedient, fo muß th mir erlauben, zu be=
merken, daß ih mich diefer Anficht nicht anſchließen Tann.
Vergiß nicht, Jacob, daß du die Zufage meines Vaters haft.
Zweifelft du an feinem Worte, an der Redlichkeit eines Heidenfret ?
Gott wolle mich vor folder Zrevelet bewahren! verfeßte mit
Abſcheu der ergraute Quartiersmann. Nein, Herr, mich drücken
ganz andere und viel fhllinmere Bedenken.
Laß fie mich kennen lernen, vielleicht ſteht es in meiner
Macht, did zu beruhigen.
Jacob ſchwieg nachdenklich, dann fagte er: Daß meine Chris
— 390 —
fine von Ihrem Heren Vetter geliebt wird, weiß id, und bag
meine Tochter fi ſchwerlich weigern würde, einem Manne bie
Sand für's Leben zu reichen, der mehr für fie gethan hat, als ein
Bruder thun könnte, davon bin ich überzeugt. Was aber, mein
Iteber junger Herr, was wäre damit gewonnen? Meine Tochter
fäme durch eine Heirath mit Herrn Miguel Hohenfels-Saldanha
fretlih in eine große Familie, ihr Vater aber und ihre Mutter,
meine fchlichte ehrliche Doris, würden dadurch weder vornehm noch
geſellſchaftsfähig. Das taugt nichts, Herr Heidenfrei, glauben Ste
mir! Das ruintrt das Zutrauen zwifhen Aeltern und Kindern,
macht diefe hochmüthig und jene migmuthig, und wenn dann Ver—
hältniffe und Umſtände eintreten, oder ein Kleiner Zwiſt fallt vor,
wie’s ja auch in der glüdlichiten Ehe paffiren mag, fo kommt der
verſchiedene Stand zur Sprache, es gibt Vorwürfe und wie lange
dauert’, fo iſt das Unglüd fertig.
Ferdinand hatte die Bedenken des Quartiersmannes ruhig
angehört, jetzt lächelte er und verfeßte, die Hand zutraulih auf
Jacobs Schulter legend:
Ehrlicher, braver Jacob, wenn dieſe Bedenken allein dir Kum-
mer verurſachen, fo kann ich Dich beruhigen. Wahr mag es frei-
Ih fein, daß weder du noch deine Fahmende Frau in einem Sa—
lon unter vornehmen aufgedonnerten Damen und brüsk einherfchreiten-
ben reichen Matadoren der Gefellfhaft eine befonders angenehme Rolle
jpielen oder Euch glüdlich fühlen würdet, Aber tft denn das nöthig?
Begehrft du in diefe Zirkel zu treten? Wird irgend Jemand dich
zwingen, fie zu beſuchen? Gewiß nicht. Unfer Haus aber, Jacob,
das kennſt du und wenn es dem Bater einfällt, eine Familien—
mahlzett zu geben, meinft du, daß es dann unfchidlich wäre, dich des⸗
halb mit einzuladen, weil du zufällig beſſer mit einer Speicher:
winde als mit der Feder umzugehen weißt? Bit du etwa nicht
bewandert in ben Angelegenheiten, welche die Mehrzahl ber Kauf-
leute intereffirt? Können fie dich entbehren? Müſſen fie dich
nicht fo oft rufen, mit dir fprehen und unterhandeln, wie mit den
Fonds- und Wechſel-Maklern? Biſt du etwa ein unnüßes Glied
— 391 —
in der großen Kette, an der wir Alle uns feithalten, um mittelft
berfelben die Höhe zu erklimmen, die ung lodt und fo verführerifch
zuwintt? Du weißt, dem tft nidt fo. Du bift und eben fo un—
entbehrlih wie der Kaufmann und Rheder es wiederum dir und
deinen Genoffen find. Giner trägt und hält den Undern, Einer
Iebt mit und von dem Andern, und, was man nie vergeffen follte,
es ehrt der Eine ſich ſelbſt dadurch, daß er die Thätigkeit jedes
Einzelnen anerkennt und wirflih zu fhäßen weiß.
Jacob war immer noch nicht beruhigt, Cr ließ etwas von
Mißheirath verlauten und fprah von den traurigen Folgen folder
Ehebündniſſe, die immer erft dann ſich herausftellten, wenn es zu
fpät wäre und an eine Aenderung nicht mehr gedacht werben könnte.
Sollte man doch meinen, erwiderte Ferdinand, du hätteft Ir-
gendwo eine Zeitlang bet einem unferer vielen Fleinen Höfe unb
Höfgen einen Poften befleivet. Was fällt dir ein, von Mißhei—
rath zu fprehen. Streng genommen, gibt es dergleichen gar nit.
unter ehrlichen Bürgern eines freien Gemeinweſens. Sieh, alter
Jacob, ich will nicht Alles Toben, was wir haben, woran wir hans
gen, was wir nielleiht nur aus Gewohnheit beibehalten. Mans
ches Tiefe fih ändern oder ganz befeitigen, ohne daß das Allge—
meine einen Berluft hätte. Zmweierlet aber dürfen wir niemals auf-
geben, vielmehr müflen wir Gut und Blut daran feßen, damit es
und bleibt und fi unverfürzt vererbt auf unfere Kinder und ſpä—
‚teften Enkel. Es iſt das freie Bürgerthum, das ung als Han-
delsſtaat groß und troß unjerer Kleinheit doch ſtark gemacht bat
und die rein bürgerliche Auffaſſung aller Lebensverhältniffe, bie
unferm Gemeinwefen immer frifche Kräfte zuführt. Sieh did
‚um unter und, Jacob, und frage der Abjlammung aller derer
nad, die gegenwärtig die Börfe beherrſchen. Es find nicht Lauter
fogenannte Patrizier aus altem Stamme. Gar Mander befindet
fi unter ihnen, der als unbekannter, Arbeit fuchender Menj bei
ung einwanderte, durch Thätigkeit, gefundes Urtheil und Talent aber
fi) bald emporarbeitete, e8 zu etwas Tüchtigem brachte und eben des⸗
halb ein Wort mitjpricht in der Gemeinde, Ich weiß, es fehlt leider
— 399 —
auch bei uns nicht an dem, was man Nepotismus nennt, es gibt
ftolze, widerwärtige Menſchen, bie ſich, weil fie viel ererbten, für
befier und vornehmer halten, als Andere ; dennoch bleibe ih da=
bet, daß mit diefen Abarten bie Freiheit unferes bürgerlihen Seins
nicht beſchränkt wird. Wer fih emporarbeitet, der gilt und wird
den Erſten gleichgeachte. Wie man, deinen Sohn, hat er es big
zum Gapitain gebradht, die Führung des größten Schiffes mit der
toftbarften Ladung anvertraut, fo würde es ihm, widmete er fidy
dem Studium der Rechtsgelehrſamkeit, unbenommen bleiben, fi)
emporzufämwingen auf den Seſſel des Senators, falls er Kraft
und Talent genug dazu befist, und ſicherlich würde man ihn des—
bald, weil er der Sohn eines Quartierdmanned wäre, nicht we=
niger ehren, noch dich ob deiner Beſchäftigung gering achten. In
diefer Beziehung huldigen die Verftändigen unter und dem Grund-
fabe der Gleichheit und zu den Verfländigen, Jacob, wirft bu bie
Heidenfrei und Hohenfels doch wohl mitzählen, nicht wahr ?
Dem Quartierömann trat eine Thräne in’ Auge. So lies
bevoll, jo thetlnehmend, fo anerfennend hatte noch nie Jemand
mit ihm gefprochen. Gr fühlte feinen eigenen Werth durch Fer—
dinand's Worte ordentlih wachſen und die Bedenken, die fein
Herz beſchwerten, verloren mehr und mehr an Kraft.
Ste find gut, Sie find zu gut, werther Herr Heidenfrei,
verjegte er gerührt. Ich verdiene wahrhaftig nicht, fo hoch ge=
ftellt zu werden, obwohl mich's freut, daß Sie die Arbeit eines
redlichen Mannes, der nicht mehr leiften kann, als er eben ge-
lernt hat, achten. Recht mögen Sie auch wohl haben — und
dennoch — |
Dennoch? Woran flößt du dich jetzt noh? Fürchteſt du,
beine Tochter werde ſtolz werden und mit Geringfhäkung auf dic
herabfehen ?
Nein, lieber Herr, das fürcht' ich nicht, ermiderte Jacob
mit Lebhaftigkeit. Dazu hat fie ein zu liebevolles Herz, ein zu
weihes Gemüth. Nein, nein, ſtolz und hochmüthig und groß«
prablerifh wird mein Mädel nicht, aber —
— 393 —
Wie viele Aber tanzen denn noch auf deiner Zungenſpitze?
warf Ferdinand lächelnd ein.
Mir iſt nur bange um den Herrn Vater.
Um meinen Vater?
Nein, behüte Gott, um den Vater des Herrn Miguel.
Um Hohenfels? Wie kommſt du darauf, Jacob? Haſt du
denn ganz und gar vergeſſen, was mein Oheim erlebt hat? Wie
jedes Vorurtheil, falls ſolche in ihm vorhanden waren, von den
Erfahrungen, die er machte, getödtet worden iſt?
Das Alles macht mich nicht bange, ſagte Jacob; was mich
ſtört, iſt blos ſeind düſteres, unzufriedenes Weſen. Ich fürchte,
der gute Herr fühlt ſich noch jetzt nicht glücklich und wird es
überhaupt nie werden. Jetzt hat er freilich wieder etwas, das
ſeine Gedanken beſchäftigt und da mag es wohl eine Weile ge-
hen. Wenn aber fein Sohn, den er über die Maßen lieb zu
haben ſcheint, fih wieder mehr von ihm wendet, was bei einem
jungen Ehemanne ja gar nicht anders fein Tann, dann wird er
wieder umjchlagen und in's Grübeln verfinfen und immer un-
glüdlicher werden. Den? ich daran, Herr, und muß id mir fa-
gen, daß ih an folhem Unglüd mittelbar doch mit Schuld hätte,
weil es ja eigentlih nur durch meine Tochter entftanden it, jo
will mir.die ganze Sache nicht zu Sinne, und ed wäre mir lie-
ber, Chriftine kehrte in mein Haus zurüd und träfe eine Wahl,
wobei alle diefe Bedenten von felbft mwegfielen.
Das nenne ich gewiflenhaft fein, verfeßte Ferdinand fehr hei—
ter. Wahrhaftig, wollten Viele deine Anfichten ſich aneignen, fo
würde es, glaub’ ich, bald vor lauter Gewifenhaftigkeit gar
feine Exiſtenz mehr geben. Vorläufig, lieber Jacob, forge dich
nicht um das Kommende und überlaffe denen, die dir und beiner
Tamilie wohl wollen, die Ordnung einer Angelegenheit, die id
meinestheils fchon für ziemlich geordnet halte. Der Mißmuth
meined Oheims hat, bünft mich, ganz andere Gründe. Laſſen
dieje ſich bejeitigen, fo verliert er fih wohl auch nah und nad.
In eß will ich mich nicht vermeflen, behaupten zu wollen, daß
-— 394 —
wir im Stande find, folh ein Ziel zu: erreichen. Auguſtin Ho-
henfels tft ein ſchwer zu beurtheilender Mann, und mas er will,
davon bringen ihn die Eineden Hunderter unter fünfzig Fällen
faum einmal zurüd.
Mit diefen berupigenden Worten entließ Ferdinand ben be-
forgten Quartiersmann, der zwar fill, aber doch etwas heiterer
als zuvor fich feiner gewohnten Thätigkeit wieder hingab.
Schon während ber Unterredung bes jüngeren Heidenfrei mit
Jacob war es zu einer fehr heimlich geführten, aber Heftigen Un-
terhaltung zwiſchen Treufreund und Anton gelommen, die aud)
jetzt noch mit gleier Lebhaftigkeit fortgefegt ward.
Treufreund wollte bemerkt haben, daß der junge Gorrefpon-
dent feit Kurzem feine Handſchrift etwas vernachläſſigte. Anton
fehrieb zigentlih eine faubere, Taufmännifh ſchöne Hand. Wille
feine Buchſtaben waren feit und fiher, es konnte Jeder fie Leicht
leſen und unnüge Schnörkel brachte er nirgends an. Seht aber
war XTreufreund der Unfiht, der junge, zu Hoffnungen beredh-
tigende Mann vernadhläffige feine Handichrift, und wie dem pe-
bantifhen ehemaligen Buchbalter jede Vernadläffigung ein Gräuel
war, fo ärgerte er fih auch über diefe Saloperie, der fi Anton,
wie er glaubte, aus purem jugendlichen Leichtfinn hingebe. Er
nahm fi) deshalb vor, bei erfter Gelegenheit mit Anton über
diefe Vernadläffigung zu fprehen und ihm die fhlimmen Folgen
berfelben ernftlih zu Gemüthe zu führen. Cine folde Gelegen-
heit fand fih, als Anton ihm cine Mitteilung zu machen hatte
und 26 vorzog, dies fhriftlih zu then. Treufreund verlieh ſo⸗
fort fein Arbeitspult und kam zu dem Korrefpondenten. Das er-
bhaltene Blatt in der Hand, fragte er den jungen Mann:
Haben Ste dns geichrieben 2
Sweifeln Ste, da mein Name darunter fleht?
Es wäre mir lieb, wenn id zweifeln dürfte, ſprach Treu⸗
freund weiter, denn Ste dauern mid, wahrhaftig, Sie dauern
mich !
Ranu! Sept wird mir ſchwül.
— 395 —
Mir iſt's ſchon lange, lieber Anton, und wiſſen Sie, wa⸗
rum? Ihretwegen! Ganz gewiß, Anton! Ich werde nie per-
fönlih, das kann ich getroft behaupten, aber Ste wandeln auf
Abwegen, Ste geben mit fihnellen Schritten Ihrem Ruin ent-
gegen !
Anton hörte no ruhig und ernflhaft diefer ermahnenden
Anrede des „Schattens“ zu, er mußte aber ſchon an fih halten,
um länger ernfthaft bleiben zu können. j
Was berechtigt Ste denn eigentlih, mein verehrter Herr
Treufreund, min fo ſchwere Vorwürfe zu machen? fagte Anton.
Bin ih Ihnen zu nahe getreten? Habe th Ste beleidigt? Weber
Ste geladt oder Sie verläftert? Ich kann mich nicht befinnen,
indeß th bin ein unvolllommener Menſch und kann beshalb ja
gern einmal unwiſſentlich ein großes Unrecht begehen.
Das thun Sie auch, und eben weil Sie es unwiſſentlich
thun, iſt es Freundes⸗, Menſchen⸗ und Ghriftenpfligt, Ste darauf
aufmerffam zu mahen, Sie zurldzureifen von dem Abgrunde,
an deſſen Rande Ste wie ein Halbberauſchter herumtaumeln.
Entſetzlich! ſagte Anton, fih mit beiden Händen buch bie
Haare fahrend, daß fie in breiten, wilden Büſcheln in die Höhe
fanden. Was dem Menſchen doch Alles begegnen Tann, wenn
er nicht immer auf fi achtet!
Gerade fo, wie Sie jebt ausfehen, fuhr Treufreund fort,
muß Ihr Inneres ſich geftaltet Haben. Der äußere Menſch ift
immer nur ein Abklatfh unferes Innern. Betrachten Ste einmal
diefe Schriftzüge und. diefe hier. Beide haben ein und dieſelbe
begabte Perfon zum Berfafler; fehen fie fih aber wohl ähnlich,
wie ein Et dem andern?
Nein, fagte Anton, Diefe Hier find mehr rundlichvoll und
biefe bier mehr fharf und hager. Aus beiden aber bünkt mid,
läßt fi unfchwer der nämliche Verfaſſer erfennen.
Freilich, aber man erfhridt doc,
Weshalb?
Weit ein unklarer, vielleicht gar ein fon In Unordnung ge⸗
— 396 —
fommener Geift aus diefen ſcharfen und hagern Schriftzügen fpricht.
Sebt mußte Anton lahen. Mien Moder —
Laſſen Sie, ich bitte, Ihre Frau Mutter in Ruhe, unterbrad;
Treufreund den Gorrefpondenten. Es tft eine ernfthafte Sache,
die mi zu Ihnen führt, und wenn Ste im Stande find, darüber
zu laden, fo muß der Ieibhaftige Teufel Sie befiken, was mid
unendlich dauern follte, denn ich will Ihnen wohl, halte viel von
Ihnen und bin nebenbei ein chriftlih gefinnter Mann. Sehen
Ste denn nicht ein, mein Belter, daß, wenn Sie fo fortfahren,
Ihre ſchöne ſchlanke Handſchrift binnen Jahresfriſt fo verborben ift,
daß Sie Ihrer Stelle nicht mehr vorſtehen können? Und wäre
das nicht ein Unglück, ein unüberſehbares, nie wieder gut zu ma—
chendes Unglück für Sie ſelbſt?
Das weiß Gott! ſagte Anton, mit der Feder auf einem Stück
Papier kritzelnd und mittelſt raſch gezogenen Strichen die Umriſſe
eines menſchlichen Bruſtbildes entwerfend. Ich weiß nur nicht,
wie ich es anfangen ſoll, beſſer zu ſchreiben, als ich es jetzt noch
thue. "Steht es denn wirklich fo ſchlecht aus? Ich finde es nicht.
Sie finden es niht! fprah Treufreund mit unverhehltem
Erſtaunen. Ste finden es wirkfih nicht?
Nein, mein DBerehrtefter, fagte Anton, ungeftört fein zeichnen-
des Krigeln fortfegend, mir feheint fogar, als hätte meine Hand—
ſchrift an Charakter gewonnen. Sie hat fi aus der faden, run
den, unbeflimmten Jugendlichkeit zu männlicher Gntfchiedenhett
herausgearbeitet. Und das iſt ein Fortfchritt, dünkt mich, fein
Rückſchritt.
Treufreund's Blicke fielen zufällig auf das Papier, das An-
ton's fchaffende Feder in ungewohnter Schnelligkeit mit einem leid⸗
lich gut frifirten Mädchenkopfe gefhmüdt hatte. Gleichzeitig ge-
wahrte der „Schatten“ mehrere ähnliche Portraits, alle von gleichem
Gefichtöfchnitt, einige winzig Hein, Faum nagelgroß, andere in
größeren Umriffen. Das Blatt Papier entfiel ihm, er ſchlug die
Hände zufammen und fah den Teichtfinnigen Gorrefpondenten mit
erlöſchenden Augen an.
— 397 —
Was thun Ste, Anton! fprah er nur liopelnd. Wer ſoll
das ſein? Da, da — und da?
Treufreund deutete mit zitterndem Finger auf die Portraits,
welche die Schreibunterlage zierten. Anton erröthete.
Treffe ich etwa? fragte er dann mit verſchmitztem Lächeln.
Sie ſind ein Böſewicht, fuhr Treufreund heraus. Bis jetzt
hielt ich Sie nur momentan für leichtfertig, jetzt aber ſehe ich,
Sie können auch bös, Sie können gewiſſenlos ſein! — Treffen! —
Ja wohl treffen Sie. Aber Sie ſollten ſich ſchämen, eine ſo brave
junge Dame, die werth wäre, dereinſt die Stelle einer Jungfrau
Domina zu bekleiden, durch Ihre Kritzeleien zu compromittiren.
Wenn nun irgend ein Naſeweis von einem fremden Comptoir dieſe
nutzloſe Kleckſerei gewahrt, wird er's nicht auspoſaunen in allen
Pavillons und wo es ſonſt Gelegenheit gibt, ſich über Andere auf-
zuhalten, den Ruf, die Tugend Unbefcholtener zu benagen? Und
käme gar Ihre Portraitmaleret dem verehrten Chef zu Gefichte —
Märe mir gerade recht, unterbrad) Anton den fittenpredigen-
ben Treufreund. Sähe Herr Heidenfrei meine ſchwachen Verſuche
im Portrattmalen, fo würde er höchſt wahrfcheinlih ganz fo. wie
Sie, Verehrteſter, einige Gloffen darüber machen, wenn fie auch
anders lauten dürften. Das gäbe dann Anlaß zu einer Erwide⸗
rung, einer Erklärung, und wären die Sterne mir günſtig, wie
fie es bevorzugten Naturen ja immer fein ſollen, fo könnte ſich
meinerſeits leicht ein Geſtändniß daran knüpfen, das wieder zu
einem Familienrathe führte, an welchem dann eine gewiſſe ſehr
achtbare Perſönlichkeit, die einer früheren wichtigen Beſprechung
beiwohnte, nicht Theil nehmen dürfte. |
Treufreund verftummte auf einige Secunden.
Anton, lieber Anton! fprah er dann, rappelt’s bei Ihnen,
oder bin ich auf dem Punkte, den Verſtand zu verlieren?
Ich maße mir darüber kein Urtheil an, denn, wie ich mit
Bug und Recht fagen darf, ich meines Theils werde wirklich nie
perjönlich.
Sie wagen e8, Fräulein Elifabeth fo tief in Ihr Gedächtniß
— 398 —
einzuprägen, daß Ste im Stante find, ihr liebliches Geſichtchen
aus freier Hand und aus der Erinnerung mit ganz gemeiner
Somptoirdinte abzuconterfeien ?
Ich möchte wiffen, wer mich daran hindern follte, Herr Treu⸗
freund, wenn es mtr Spaß macht. Es freut mih, daß Ste das
Geſicht des Fräulein Elifabeth Ticblih finden, obwohl ich nicht um⸗
bin kann, Ihnen mit Iobendwerther Offenheit in's Gefiht zu fagen,
bag mir die Wahl gerade dieſes Epithetons nicht eben fehr glück⸗
lich dünkt und mir verräth, daß Ihr Gefchmad viel weniger fein
tft, als ih vermuthete. Talente aber laſſen ſich nicht geben, bie
Gunſt bes Himmels allein verfchentt fie und beglüdt bamit, wen
fie will. Ich, meines Theils fehe in Fräulein Eltfabeth einen
Engel, und th wüßte wirklih nicht, wie Ich eine freie Minute
beſſer vermenden könnte, als buch Nachahmung bes vor meiner
Seele ftebenden Engelsgebildes. Je mehr ich mich mit Abbildun⸗
gen dieſes göttlichen Mädchenköpfchens umgebe, in um fo beflerer
Geſellſchaft befinde ih mid. Leuchtet Ihnen das ein, Verehrteiter,
oder find Ihre Nerven zu ſchwach und flumpf geworden, um Dies
jen herrlichen Gedanken zu faffen, von ihm entzüdt zu werden?
Treufreund bitte dem Sprechenden unverwandbt in die freu—
big aufleuchtenden Augen! Er begriff, was in Anton vorging,
er hatte die bündigfte Erklärung für Die fheinbare Vernachläſſigung
feiner ſchönen Handſchrift erhalten, zu faflen aber vermochte er den
Gedanken bes jungen Mannes doch nicht, der es wagte, in folcher
Jugend ſchon es wagte, mit unvertennbarer Letbenfchaft zu einem
Mädchen aufzubliden, das ihm jo vortrefflid vorfam, daß er ben
Beſitz deſſelben Niemand. gönnte, weil er von Herzen überzeugt
war, e8 lebe zur Zeit fein eines folhen Herzens würbiger Mann.
Ste wiffen nicht, was Sie thun, Leber Anton, fagte er kopf⸗
ſchüttelnd. Daraus kann do nie etwas werben, ſelbſt, wenn Ste
hoch emporragten Über alle andern Gorrefpondenten.
Warum denn nicht? verfehte Anton, Sol Fräulein Eliſa⸗
beth etwa ewig Jungfrau bleiben oder einen reichen, verlebten
— 399 —
Wüſtling heirathen, was leider heut zu Tage nun zu oft vor⸗
kommt?
Aber es iſt nicht möglich!
Ja ſo! ſagte Anton gedehnt. Sie wollen damit andeuten,
daß Fräulein Eliſabeth einen fo luftigen Patron wie mich zu lie⸗
ben nicht fähig fei. Nun, mein verehrtefter Herr Treufreund, Wets
ten wollen wir darauf vorläufig nicht abſchließen. Luftig, vielleicht
zuweilen auch ein wenig Iuftig mag ich wohl fein; dann kommt
wieder eine Pertode, wo ich mit ernſten Leuten aud ernithaft fpre=
hen kann, und wenn ih die Geſchichte des weiblichen Herzens nur
halbweg kenne, fo weiß id, daß ein junges, ſchönes, geiftreiches
Mädchen, das bereitö einen tiefen Schmerz zu überwältigen wußte,
dem Manne, der es wagt, aus dem Gedächtniß ihr Bild zu ents
werfen, im Ernſte noch niemals böfe geworben ift.
Treufreund fühlte, daß feine Wiffenfhaft Hier am Ende fel.
Er machte deshalb, ohne noch ein Wort zu erwidern, eine tiefe
Verbeugung vor dem Gorrefpondenten und z0g fih, reicher um
eine Erfahrung, im, wie er glaubte, noch alleinigen Befig eines
großen Geheimniſſes, zurüd an fein Pult, wo er fih mit wahrem
Fanatismus auf die Arbeit warf, während Anton den ſchon fer-
tigen Köpfen Eliſabeths noch einen neuen, mit größerer Sorgfalt
ausgeführten hinzufügte, der ihm im Moment der Begeifterung
au viel beffer als alle früheren Verſuche gelang.
Siebentes Kapitel.
— — —
Ein Stilleben.
Die Strahlen der Abendſonne fielen ſchräg durch die leis
zitternden Blätter der Rüflern und Linden und beſtreuten die ſau—
ber gefcheuerte Diele der freundlichen SKellerwohnung mit gold-
gelben Zuntenfloden, bie häufig ihre Stelle wechſelten. Die große
_ 400 —
Tigerkatze lag ſpinnend am Ofen, leckte ſich. das ſammetweiche
Pfötchen und ſtrich fich damit putzend über den Kopf. Bisweilen
unterbrach das zahme, ſchöne Thier ſeine Toilette, blinzelte mit
den Augen und ſah dann neugierig auf die hin und wieder glet=
tenden Sonnenfunten. Plötzlich verließ fie ihren Platz, machte ei—
nen frummen Rüden und fuhr mit einem poſſierlichen Sprunge
nach den zitternden Lichtern, um fie zu fangen.
Trudchen, die neben der alten Großmutter am Fenfter faß,
lachte hell auf über das fptelende Thier, rief es, konnte es aber
doch nicht zu fih Inden. Grit als die Sonne Hinter dem vorfprin-
genden Giebel eines Nachbarhaufes verihwand, gab die Kate auch
ihren Fang der Goldfunfen auf, machte wieder einen hohen
Rüden und ſchmiegte ſich fpinnend an das heitere, fie liebkoſende
Kind.
Weißt du e8 auch, Großmutter, ſprach Trubchen zu der adıt-
ztgfährigen, alten Frau, bie noch immer fo zufrieden wie früher
aus den erlofchenen Augen blidte, weißt du, daß der muntere An
breas wieder da iſt? Mater iſt ihm heute Morgen begegnet und
wit dich mit ihm befuhen. Der wird aber erzählen können!
Denn außer den großen Reifen, die er ſchon früher machte, iſt er
auch neulich wieder in London gewefen.
Er war immer gut, der Andreas, fagte Frau Silberweiß.
Als Kind ſchon Half er gern Jedermann, duldete fein Unrecht,
litt aber wohl für Andere, wenn es fich gerade fo fügte. So tft
er nun auch geblichen, feit er zum Manne heranreifte. Die Ge-
felfchaft und das Leben in der wilden, ungefligen Welt hat fein
Herz nicht verborben. Die aufopfernde Hingebung, die er mel-
nem fchönen Pathchen bewiefen, zeugt Taut genug dafür. Ich
freue mid, aus feinem eigenen Munde zu hören, wie er ed an=
gefangen hat, um den böfen PVerfucher fo Tange Zeit immer fern
zu halten, j
Will denn Chriftine gar nicht mehr zu ung kommen? fragte
Trudchen. Ich mochte ſie ſo gern; ſie lehrte mich zuerſt Leſen,
— 401 — —
und dann wußte ſie ſo allerliebſte Geſchichten zu erzählen und ſo
prächtig aus den Legendenbüchern vorzuleſen.
Aus der Bibel, mein Kind, corrigirte die Blinde das ges
ſchwätzige Trudchen.
Nun alſo aus der Bibel — ja richtig, es war auch die
Bibel! Aber die große mit dem meſſingenen Beſchlag und den
ſilbernen Haspen, die ſo ſchwer aufgingen, Großmutter! Ich
weiß noch ganz genau die ſchöne Geſchichte von dem Splitter und
dem Balken. Wie iſt das ſo herrlich in ein wirkliches Bild ge⸗
bracht in der prächtigen Bibel! Ich ſehe den Mann noch, dem
ein großer Balken im Auge ſteckt, wie er dem Andern einen
ganz kleinen Splitter herausziehen will.
Dein verſtorbener Großvater, erklärte die Blinde, erhielt das
werthvolle Buch von ſeinem Beichtvater zum Geſchenk. Es iſt weit
über anderthalb hundert Jahre alt, und in vieler Gelehrten
Händen geweſen. Darum hab’ ich es auch immer fo hoch gehal-
ten und darin gelejen, biß der liebe Gott mir das Augenlicht
auslöfchte.
Warum bat der Itebe Gott das gethan, Großmutter ? warf
Trudchen ein. Es muß doch ſchrecklich fein, immer In tiefer, fin-
fterer Naht zu Leben? |
Er that e8 wohl, fagte die Greiſin mit mildem Lächeln, da=
mit das Licht, das ich in einem langen Leben in mid aufgenom=
. men hatte, mid nicht wieder verlafien möge. Darum ſchloß
er die Fenfter meiner Augen und riegelte fie feit zu. Nun tft
bas Licht in mir geblieben und wenn es auch außer mir immer-
dar Nacht bleibt, in mir ſtrahlt und funkelt das hellſte Licht, fo
daß th es außer mir gar nicht vermiffe. Siehft du, Trudchen, fo
macht es der liebe Gott immer, wie es am Belten iſt. Nur mur⸗
ren dürfen wir nicht, wenn wir die gute Abſicht nicht immer gleich
einfeben.
Dem Kinde mochte die Iehte Bemerkung ber Großmutter
nicht recht Mar fen. Es fehwieg aber und tändelte, auf einen
D. B. XI, Willemm’s Rheder und Matrofe, 26
andern Gegenftand überfpringend, mit ber immer lauter fhnur-
renden Katze. g
Es tft aber doch wahr, was die Leute fagen, fprah Trub-
hen nah einer Weile,
Mas iſt wahr, mein Kind?
Daß eine recht Fuge Kabe ein Bischen Verſtand hat.
Die Blinde lächelte. Gar zu viel wird fie doch wohl nicht
abbefommen haben, verfebte fi. Wie fällt dir das ein Trudchen?
Miege pußt fih heute ſo viel und jet fhon wieder, fagte
das Kind. Es Heißt doch immer, wenn die Katzen fih putzen, fo
kommt Befuh, nun und Heute will dich ja der gute Andreas
beſuchen.
Wenn er aber nicht kommen ſollte?
Ja, dann hätte die Katze und belogen, ſprach Trudchen ganz
ernſthaft. Ich würde dann mit ihr ſchelten und ſie würde mich
ganz gut verſtehen. Jedesmal, wenn ich ſie ausſchelte, zieht fie
den Schwanz ein und ſchleicht, ſcheu um ſich blickend, unter den
Ofen. Aber ſie lügt nicht, meine kluge, ſchöne Mietze, rief Trud—
hen in die Hände klatſchend, denn da kommen fie ſchon, der Va⸗
ter, der ſchmucke Andreas und auch Jacob!
Ste ſprang auf, öffnete Die Zimmerthür und rief den Herab-
fleigenden freundliche Grüße zu.
Komm, Andreas, fagte Frau Silberweiß, und laß mid bein
Geſicht befühlen. Ich muß es machen, wie der Grzvater Iſaac,
aber betrogen möchte ich nicht gern werden. — Sa, ja, fuhr fie
fort, mit zitternder Hand leicht Stirn und Wangen des jungen
Steuermannes betaftend, das tft noch immer meines wadern An
dreas rundliche Stien, das find feine Wangen mit den Grübchen, Nun
denn, herzlich willfommen, lieber Junge! Setze dih dicht zu mir.
Und du, Jacob, du nimmft mir gegenüber Platz. Krume fit zu
Trudchens Rechten, fo weiß ih Euch alfe zu finden und fann mir
Euch fo deutlich vorſtellen, ‘als ſähe ih Euch wirklich mit Augen.
Nah einigen allgemeinen Fragen Über das Befinden des
Steuermannes, über die Erlebniffe auf feiner letzten Reife und
— 403 —
dergleichen mehr, brachte die alte Silberweiß das Geſpräch Direct
und ohne alle Umſchweife auf ihre Pathe. |
Verſchweige mir nichts, Andreas, fprach die ehrwürdige Blinde,
ih will Alles willen und wenn ed mid auch grufeln follte.
Zunr Glück, Mutter Silberweig, verfeßte der junge Steuer-
mann, braudht Ihr Euch nicht zu grufeln; denn was Angſt und
Schreden einflögen kann in ber Gefhichte Eurer liebenswürdigen
Pathe, das hat man Euch fhon früher mitgetheilt. Mir bleibt
nur wenig noch zu erzählen. Dies Wenige bezieht fi bios auf
den Aufenthalt Chriftinens in Motsling, der freilich weit länger
dauerte, als wir vermutheten. Schuld daran war Niemand als
der ſchlaue, nach Verdienſt immer lüſterne Moſes, den wir übri⸗
gens nicht verklagen, noch weniger verdammen wollen, denn im
Grunde meinte er es redlich mit Jacob's Tochter, obwohl er von
dieſer Redlichkeit einen Gebrauch machte, der ihm ſelbſt doppelten
Gewinn abwarf. Anfangs ſah ich nicht klar in der Sache und
deshalb lebte ich die erſten Tage in großen Sorgen. Es ſchien
mir nicht Berechnung zu ſein, daß ein jüdiſcher Landkrämer die
Hhuptroffe in dem Spiel übernommen hatte, das weniger mit
Shriftine, als mit Don Gomez aufgeführt ward. Auf mic hatte
man nicht gerechnet, da ich aber dem zitternden Mädchen nicht von
ber Seite wih, fo mußte man mid dulden. Die Verwandten
unferes ſchlauen Unterhändlers mußten ſchon unterrichtet fein, denn
fie letfteten den Beftrebungen des Mexikaners durchaus feinen Vor-
hub. Als er fi drei Tage nah unferer Ankunft wirklich an-
melden lieg, befam er Chriftine nicht einmal zu Geſichte. Moſes
gab fe für frank aus und befland mit der dieſem Volke eigenthüm=
lihen Zähigfeit auf der Abreife des verliebten Thoren, fo daß
biefem nichts übrig blieb, als fih zu fügen. Diefe Srenen wie—
berhoiten fi) in der verfchiedeniten Weife mehrmals. Moſes ent-
faltete ein merkwürdige Talent in Auffindung immer neuer Hin-
derniſſe, fo "daß es mich wie Chriftine fogar unterhielt, wie oft
und mit welcher Schlauhelt er den Mexikaner immer von Neuem
wieder an ber Nafe herumführte. Seine beredte Zunge und fein
26*
— 404 ——
gänzliches Nichtachten aller, auch der gröbften Beleidigungen, trug
freifih fehr tel dazu bei, dies möglih zu machen. Ich Eonnte
ſehr bald bemerken, daß der Sohn Bibrachs nur verdienen wolle
und erlaubte mir deshalb, ihm Winfe zu geben und Anerbtetungen
zu machen, von denen ih mir einige Wirkung verfprad. Trat id
nun zu fhroff auf oder bot ich ihm zu wenig, Mofes achtete eben fo
menig auf meine Zingerzeige als auf die Schimpfreden und Dro—
hungen des heftigen Merifaners, Nur vor Papageno hatte er
Furcht, weil er glaubte, es käme dem Mulatten nicht darauf an,
Jemand auf Befehl eines Dritten ohne Bedenken aus der Welt
zu ſchaffen. Vielleicht hätte er unfern Verſteck dennoch früher vers
rathen, wäre er nicht durch Geſchäfte auf längere Zeit fern gehal-
ten worden. Diefe Wochen waren für mid, wie für Ghriftine bie
leidens- oder forgenreichiten. Don Gomez ward immer zubringlis
her, ungeflümer, fein Vertrauter immer nieberträchtiger. Gewiſſen—
108 hätte er das Gräulichite getan, wären wir Alle nicht ſehr
vorſichtig geweſen. Da endlich Fam gerade zu rechter Zeit Rettung;
Alles Ubrige wißt Ihr.
Wen Gott Tieb Hat, den züchtiget er, fagte die Greifin. Meine
Pathe war eine Eleine wilde Perfon, die ich oft erfolglos verwarnte.
Sie hat fpäter erfahren, daß es gefährlih ft, feine Blicke nicht
im Zaume zu halten.
Befte Mutter Silberweiß, fiel hier Jacob der Blinden in's
Wort, dafür kann man das gute Kind wahrhaftig nicht verant-
wortlih machen. Gin paar hübſche Eluge Augen find cben fo wohl
eine Gabe Gottes, als eine Flangreiche Stimme, ein paar Kleine, .
zierliche Füße, eine fehlanfe, nett aufgebaute Figur. Trägt irgend
Jemand mit Schuld an Chriſtinens Augenauffchlagen, fo wüßte ich
den Ort zu nennen, wo man biefen Jemand findet. Willſt bu
ihn wiſſen? |
Schweig nur, Jacob, du kannſt das Necken doch nicht Laffen,
fprach die Blinde gutmüthig. Ich weiß fchon, daß bu mich noch,
ald junger Burfhe mit meinen eigenen Augen aufgezogen haft.
Nun, damals mochten fie wohl leidlich Heil glänzen, Sept hat das
— 405 —
lange, lange Jahre ſchon aufgehört, und wäre ich mir irgend einer
ſchweren Sünde bewußt, die meine Augen mit hätten anſehen müſſen,
fo würde ih meine jetzige Blindheit für eine dafür gerechterweiſe
zu erleidende Strafe halten,
Gott Lob, fiel Peter Krume ein, daß Alles fo gut abgelau-
fen iſt! Mich und viele andere Leute, die etwas von biefem Han—
del gehört haben, plagt jebt die Neugierde zu erfahren, wo gegen-
wärtig Don Gomez mit feinem Diener lebt, und ob er, wie Viele
glauben, wirklich nicht wieder nad Hamburg zurüdfehren wird?
Diefe Neugierde kann ich befriedigen, verfeßte Andreas. Die
Angelegenheit des Merifaners mit Miguel, dem Neffen Heidenfrei's,
hat mir feinen jeßigen Aufenthalt Fennen lehren. Don Gomez
wirft augenblicklich feine verführerifche Angel an verfhiedenen Or-
ten aus, bat aber vorläufig feinen Wohnfig in Cuxhaven genom=
men. Lange oder gar für immer wird er fich dort fhmwerlich aufs
halten, aber ich glaube, er läßt einige Zeit verftreichen, bis bier
über Geſchichten, die ihn doch bei Einigen mißltebig gemacht haben,
Gras gewachfen if. Zum Winter, gebt Acht, fommt er auf einige
Wochen fiherlih wieder her, denn zulegt bietet unfere Stadt einem
lebensluftigen, zerftreuungsbedürftigen Menſchen doch zehnmal mehr
als jeder andere Ort.
- Dann maht der fchlehte Menfch noch ein paar unfchuldige
Kinder elend, fagte Jacob.
Das fürdte ich nicht, Vater Jacob, ermwiderte ber Steuer-
mann. Hier iſt man gewarnt und gefeßt, er läßt fich wieder
blicken, wird man ihm fcharf auf die Finger fehen und thn ftill-
ſchweigend ganz gehörig überwachen.
Kann ſolchem Volke gar nichts fhaden, meinte Trudchens
Vater. Man möchte fih ja vor der Zukunft fürdten, wenn
Streiche diefer Art fich wiederholen follten, : Welche Eltern möd-
ten e8 wagen, ihre heranwachſenden Töchter dann ohne männliche
Begleitung nur über die Straße zu ſchicken! Es gibt bei ung
der privilegirten Laſterhöhlen fihon mehr als zu viele, begünftigte
man nun noh die feine Verführungstunft sornehmer Wüftlinge
— 4106 —
dadurch, daß man fie unbehindert ihre ſchändlichen Schlingen aus—
werfen ließe, fo würden wir uns bald einen fehr ſchlechten Leu—
mund in der Welt maden.
Gar fo arg, als Ihr es macht, ift es wohl nicht, fagte die
Blinde. Ih bin doch auch einmal jung gewefen und hab’ man=
ches erlebt und gefehen, was mir nit gefiel. Hielt man es aber
zufammen mit tem, was gut und erlaubt war, fo fam es doch
nicht Dagegen auf. Freilich jet bin ich der Welt und dem Ke-
ben entfremdet worden; auch theile ih die Anficht aller älteren
Leute, daß es eher fchlehter als beſſer auf der Welt wird, und
darum ift es ja möglih, daß nah und nad) wieder einmal ein
Sodom und Gomorrha entftehen muß. Quälen wollen wir ung
aber deshalb nicht. Ich kümmere mich mehr um das Loos derer,
die wir lieben und nicht vor Augen haben, als um jolde, denen
wir täglich begegnen. Da tft z. B. dein Sohn, Jacob, von dem
bu jebt wieder in vielen Wochen nichts gehört Haft, ein folcher
Kummerftein für mein Herz Wär’ ich feine Mutter, ich könnte
mi nicht mehr um ihn abängftigen, als ih es faſt nächtlich tn
meinen Träumen thue, "
Schwere Träume bedeuten Glück, Mutter Silberweiß, fagte
Trudchens Vater.
Gar nichts bedeuten fie, erwiderte Andreas, und darum ſol⸗
len wir und aud nicht von Träumen bange machen und regie-
ren laſſen.
Seht den Aufgeflärten! rief Jacob. Der will ein Seemann
fein und verläugnet den Aberglauben! Na, meinetwegen. Uebri—
gend, Frau Gevatter, Fann ih berichten, daß mir für meinen Paul
nicht bange if. Er muß längſt fon über das Scidfal feiner
Schweſter beruhigt fein, das ihm damals viel böſe Stunden machte,
als wir ſelbſt noch nichts von ihr wußten. Geht es ihm und uns
nah Wunfhe, fo können wir zu Unfange des Herbſtes wieder
Briefe haben. Die „Marie Eliſabeth“ tft nach Melbourne gefe-
gelt, und von dort kommt fie fiher gerade zum Wiederbeginn ber
Schifffarth zurüd, Müßte fie aber auch bei Cuxhaven vor Anker
— 4107 —
gehen, falls dann das Elbeis noch ficht, fo thut das nichts. Wir
haben den Jungen wieber und gibt es eine Hochzeit, fo foll er
ein paar ganz neue Schuhe darauf in Grund und Boden tanzen.
Slaubft du an Hochzeit? fragte die Blinde. An Chriftineng
Hochzeit? ”
Geftern und auch heute früh, als ich mit ſchwerem Herzen
erwachte, glaubte ih noch nicht daran, erwiderte der Quartierd-
mann, feit ih aber den Sohn des alten Rheders gefprochen, und
feine Auslaffungen angehört habe, bin ich geneigt, mir Hoffnungen
zu machen. Es foll nichts übereilt werden, Mutter GSilberweiß,
du ſelbſt ſollſt auh ein Wort dazu fagen, wenn fih aber Alles
fo verhält, ‘wie der junge Herr es mir heute Vormittags ausein-
anderfegte, und wenn die Gefinnungen des alten Herrn Heiden-
frei und feines Herrn Schwagers wirklih denen des jungen Herrn
gleichen, fo will ih, der vielleiht aus Vorforglichkeit ein falfches
Urtheil fallen könnte, Tieber ein willige8 Ja als ein unmilliges
Nein auf offene Anfragen ſprechen.
Ich trete auf die Seite Herren Ferdinand Heidenfrei’s, fagte
Andreas. Miguels Papiere find in Ordnung; er ift ber recht—
mäßige Erbe des veritorbenen Pueblo y Miguel Saldanha. Die
Papiere, welhe Mater Bapageno ihm ftahl, find wieder in fel-
nen Händen, die Gewalt des Merifaners ift gebroden, und wenn
jebt ein Plantagenbefiter und Rheder von Cuba zu dir fommt,
der zugleih der nächſte Unverwandte des mächtigen Haufes Hei-
benfrei und Hohenfels ift, und fpridt zu dir: Water Jacob, td
habe dange um deine Tochter geworben, ohne etwas Anderes zu
gewinnen als fheele Blide und finftere Worte, jegt habe ich fie
gerettet und mir fie vervient, alfo gib fie mir, dann verdienteft
bu an der Speiherwinde aufgefnüpft zu werden, wenn bu in
bhartnädiger Starrheit ein brummiges Nein fagen wollteſt!
Erhige dich nicht, mein Junge, verfehte Jacob. Man zö—⸗
gert wohl, wenn ber Brei nicht gar tft, überlaufen aber laſſen
ihn nur die Thoren, Aber fieh, fieh, es wird ſpät. Trudchen
hat ſich bei unferm Gefpräch gelangweilt und tft mit ihrer Kape
— 408 —
fanft eingefhlafen. Du bit auch müde, Mutter Silberweiß, da=
um wird es Zeit aufzubrehen. Ohnehin geht es meiner Frau
heute wieder nit gut. Sie humpelt mehr als in den legten
Tagen, und wenn ih ſpät nach Haufe komme, firengt fie ſich mehr
an als ihr gut if. Darum ben?’ id, wir reihen uns die Hände
und ſcheiden allefammt mit dem aufrichtigen Wunfche eines baldi—
gen Wiederſehens.
Andreas begleitete Jacob, nur Peter Krume blieb noch ei—
nige, Zeit bei feiner alten Schwiegermutter, um dem ſchwer ſich er=
munternden Trudchen Zeit zu gönnen und noch einige Fleine Auf-
träge von der ehrwürdigen Blinden fih geben zu lafjen.
Adıtes Kapitel,
Neue Mittel, neue Pläne.
- Das Gewitter ſcheint fi verzogen zu haben, ſprach Don
Alonfo Gomez zu fi felbit, einen fo eben erhaltenen Brief weg⸗
legend. Zeit wäre ed auch, denn nod länger in biefer Zuräd-
gezogenheit, ohne erheiternden Umgang, ohne pifante Unterhaltung
zu leben, tft mir unmöglid. Ich würde entweder ein Duckmeiſer
oder toll, und eins taugt fo wenig wie das andere. Was aber
nun beginnen? Woher Gredit fich verfhaffen, nun der erfte völ-
lig erichöpft und die Quellen, bie einen neuen vermitteln können,
zu weit entfernt find? .
Der Mexikaner durchſchritt einige Male fein Zimmer, das
auf eine übe, jebt in der trüb-feuchten Nebel- Atmosphäre eines
Spätherbfttages faft traurig erfcheinende Gegend hinausſah.
Fort muß ih von bier, fuhr er fort, feine dunkeln, leiden⸗
fhaftlich flammenden Augen auf dies melancholiſche Nebelgemälbe
heftend. Der alte Schloßthurm dort, deſſen ſchadhafte Schiefer
fptge täglich von einer Schaar widerwärtig fihrelender Dohlen ums
lagert wird, da drüben auf dem künſtlichen Hügel die Winb-
mühle mit den ewigen Purzelbäumen threr weißlih- grauen Flü—
gelräder, und hier zur. Rechten das graue Einerlei eines breiten
Waſſers, das einem Flibuſtierverſteck ganz ähnlich fieht, müflen
den heiterften Menſchen verfiimmen, den Glüdlichften unglücklich
machen. Unglücklich aber will ich nicht fein. Noch Habe Ih Luft, zu
leben, zu genießen, und felbit auf die Gefahr hin, mid ben är-
gerlichſten Verwickelungen auszufepen, will ih es wagen, bie
Melt wieder zu betreten, die ich nunmehr feit beinahe vier Mo-
naten zu vergefjen mic vergebens angeftrengt habe. Käme nur
mein jchuftiger Diener zurück! — Freilich betrügt und belügt
mich der Spigbube, fo oft er für fi felbft daraus Vortheil zie⸗—
ben kann, ich darf ihn aber dennoch nicht fortjagen. Kein An⸗
derer läßt fi befier verwenden, ſei's zum Guten, ſei's zum
Schichten, Keiner ſchweigt fliller ald er, wenn er dafür bezahlt‘
wird, und endlih kennt er mid und mein Leben zu genau, um
thn fich felbit überlaffen zu dürfen. Er muß mir alfo auch ferner-
hin zur Seite ſtehen, ih muß ihn dulden.
Wieder fah Don Alonfo Gomez in bie Landſchaft hinaus,
die ihm heute noch mehr als ſonſt zuwider war. Die Rückerinne⸗
rung an das Vergangene trieb finſtere Schatien auf ſeiner Stirn
zuſammen. Gerade ſo war die Farbe des Himmels, als er den
Anſchlag auf Chriſtine ausgeführt, der fo ganz gegen alle Er⸗
wartung zu feinem Unglück ausfhlug Seit jenem Tage hatte
es ihm nicht mehr recht glüden wollen. Sein ganzes Leben ge=
ftaltete fih andere. Was bisher daran glänzend, erhetternd ge=
wejen, das verwandelte fih in farblofe Langweiligkeit. Und als
er nun vollends durch die Entdeckung von Chriſtinens Verſteck
genöthigt wurde, dem verhaßten Miguel, ber alle feine Schritte
kreuzte, alle feine Pläne zerftörte, die früher entwenbeten Papiere
wieber zu geben, mußte er feine mit fo vielem Glück gemachte
Eroberung als einen gänzlich verlorenen Poſten betrachten. Der
namen» und vaterlofe Miguel, der gewefene Sclave feines Oheims,
tonnte ihm micht gefährlich werden, der Sohn des einflußreichen,
met.
— 410 —
duch feine Familie mächtigen Hohenfels war ein achtunggebieten-
der Gegner.
Diefer Umfhwung der Verhältniffe, dem ein Gefinnungs-
wechſel folgen mußte, vertrieb ben abenteuernden Glüdsritter aus
Hamburg. Don Gomez verließ indeß die Stabt, die er in vieler
Hinfiht Tiebgewonnen hatte und in welcher leichter als Irgendwo
anders, des großen Weltverfehrs wegen, unter Benußung des
günftigen Momentes noch immer ein glänzendes Glück für ihn zu
erobern war, mit dem felten Entſchluſſe, nah Verlauf einiger
Zeit wieder dahin zurüdzufehren. Nöthigenfalld Tonnte er fih ja
einen andern Namen geben, einen imponirenden Titel beilegen.
Luft und Leben hatten in den lepten Monaten genug an ihm
genagt, daß er mit Hilfe der Kunft fein Aeußeres glüdlih mas⸗
firen und foldergeftalt einen ganz andern Menfchen anziehen
konnte. Es gab drüben in feinem transatlantifhen Baterlande
eine Anzahl Namen, die kein Europäer kannte, Die vielen polt-
tifhen Wandelungen, das heiße Durdeinander keck begonnener
und raſch brendigter Aufftände hatte manden früher unbefannten
Namen zu Geltung, Ruf und Ehren gebradht, und wenn ein
unternehmender Mann fih unterfing, auf fernem eurcpätfhen Bo-
ben den Namen eines foldhen, nur aus Zeitungsberichten befann-
ten, Mannes zu ufurpiren, fo war dabei gar feine Gefahr. Nur
Geld mufte man befiken, glänzend mußte man auftreten, um
die Teichtgläubige Welt, die fih von jeher durch Reichthum und
Flitter beftechen Tieß, zu verblenden und gläubig zu flimmen.
Leider fehlte dem Mexikaner gerade das Geld. Er hatte zu flott,
zu vornehm, zu Föniglich freigebig gelebt. Sein Credit war er-
[höpft und ließ fih nad) dem Vorgefallenen, das freilich nicht auf
ber Straße befproden und kritiſirt wurde, in früherer Weiſe
fhwerlich wieder gewinnen. Zu Don Alonfo Gomez würde faum
Einer volles Vertrauen gefaßt haben. Darum fort mit dem al-
ten abgenugten Namen.
Dies ungefähr war der Bedankengang, ber unfern alten,
unternehmenden Bekannten fhon "wochenlang befchäftigte und bem
—— 411 —
er fich auch jet wieder mit einer gewiſſen geiftigen Eitelkeit hin-
gab. Im Bei von Papieren, die ihn als Gigenthümer eines
beträchtlichen Vermögens documentirten, obwohl bereits ein guter
Theil davon verbraudt war, hoffte Don Gomez dur die dritte
oder vierte Hand eine Summe Geldes zu erheben, die bis zur
Ankunft neuer Rimeffen ihm die Fortſetzung eines luxuriöſen Le—
bens geftatten dürfte. Gr Eannte einen Mann, der helfen Tonnte,
und an diefen Mann hatte er feinen vertrauten Diener, Mafter
Papageno, mit unbegränzter Vollmacht abgeſchickt. Cinen ganzen
Tag lang lauerte der ungeduldige, gelangmweilte Genoffe ver
Freude der Rückkehr deffelben. Er mußte heute wiederkommen
oder doch wenigſtens fchreiben, und Dies Hoffen und Harren ver-
mehrte nod feine Ungeduld, fleigerte den Mißmuth, der wie ein
Geier an feiner Seele nagte.
Es ward Abend, die Straßenlaternen fhimmerten als große
leuchtende Ringe dur die feuchte Nebelluft, auf dem fern hin
ztehenden Strome ftrahlte heller die Flamme eines Leuchtfeucrs,
Der Wind heulte und vüttelte an den Zenftern, daß fie klirrten
und zitterten. Im Mebrigen war es till, fait todt; denn ber
Eleine Hafenort zeigte in diefer Jahreszeit wenig Leben.
Endlich vernahm Don Gomez das Schmettern eines Bofl-
hornes, für ihn ein ermunternder Ton. Diefe Poft mußte ihm
Nachricht bringen. Es vergingen nody zehn lange Minuten, dann
hörte er Schritte und gleich darauf ftand Mafter Papageno vor ihm.
Du bift der ſaumſeligſte Menjh, den ich kenne, herrfchte
der Merilaner den Mulatten an. Konntelt du nicht fchreiben,
wenn du fo lange Zeit braudtelt, einem gewinnfüchtigen Schur-
ten mit funfelnden Worten Herz und Augen zu verblenden? Wie
iſts? Bringft du Geld?
Nein, aber Er tft da. .
Mer?
Der als letzter Helfer zu ermitteln war.
Wo tft er?
— 4) —
Unten vor der Thür. Befehlen Ste und er macht feine de-
voteſte Aufwartung.
Dein Wip iſt ftumpf geworden in dieſem Nebelchima, fagte
Don Gomez. Im Thale von Tenochtitlan Hätteft du eher irgend
einem reichen Gauner bie Kehle zugefhnürt, ehe du einem Men-
fhen dich überlieferteft, der jet feinerfeitd an deinem oder vielmehr
an meinem Halſe diefen Kunftgriff einftudiren Tann. Zum Glüd
tft man hier zu Lande weniger heißblütig, als bei und, und zeigt
man fih nur willig, d. 6. fohließt man gefliffentlich die Augen,
um fih ungenirter betrügen zu laſſen, fo verträgt man fih allen-
falls wohl aud mit einem verhaßten Feinde. Ruf’ alfo deinen
Mann.
Der Mulatte entfernte fih, um ſchon nach einigen Secunden
in Begleitung bes hilfreichen jüdiſchen Unterhändlers, Gefchäftema-
herd und Speculanten wieder einzutreten.
Mofes, der Sohn Bibrachs fagte einen faum hörbaren Gruß,
benn er traute dem Handel nicht recht, und wäre der Gewinn,
ben man ihm bot, nicht gar fo verlodend gewefen, fo hätte er
wohl Anftand genommen, auf ein fo gewagtes Anerbieten ſich ein-
zulaffen. Nachdem er fich überzeugt hatte, daß Don Gomez allein
fet, fragte er mit größerer "Zuverfiht und offenbar erfreut, dag
ihm ein neuer Gewinn bevorftehe:
Was wünfhen der gnädige Herr, daß Sie laffen holen einen
jhwahen Mann viele Metlen weit bei diefem Wetter?
Diefe Frage ift überfläffig, ermwiderte der Mexikaner. Mein
Bevollmächtigter hatte Auftrag, dich zu unterrichten. Warum haft
du nicht mit ihm unterhandelt und abgefchlofjen ?
Wie Tann ih abſchließen ein Gefchäft mit einem Manne, den
ih habe erzüient, obwohl ich e8 meinte gut? verfehte Moſes. Ein
Feind ift immer ein Feind und fol ih machen ein Geihäft, kann
ich e8 doch nur machen mit einem Freunde. Alfo bin ich gefommen
mit dem Bevollmächtigten des gnädigen Herrn, um zu fragen den
Heren felber, ob er mir nod trägt nach eine menfchenfreundliche
Handlung, für die ich hätte verdient weit eher Lob als Tadel,
—- 43 —
Don "Vergangenem fol zwifhen uns nicht die Rebe fein,
Mofes, und ich will — verftanden? — ich will dir nicht zürnen.
Kannft du jegt mit mir ein Gefhäft machen?
Warum folt ih es nicht können, gnädiger Herr? Wovon
lebt der Menſch, als vom Gefhäft? — Gott, gerechter, was follte
anfangen der arme Mofes, wenn es .nicht gäbe Meufchen von groß-
müthiger Gefinnung, die ihn Tiefen verdienen zumeilen eine Klet-
nigfeit. Als ih hätte die Macht und das Vermögen, ich würde
Ew. Gnaden laffen feten ein Denkmal ganz verfilbert, und in⸗
wendig follt’s fein von purem Gold. Wahrhaftig, ich that's, beim
Barte meines Vaters, und Ste hätten’s verdient, fo wahr ih bin
gefund!
Don Gomez lächelte.
Ich danke für deine wohlwollende Gefinnung, lieber Mofes —
Lieber Moſes! wiederholte der jüdiſche Unterhändler, und zu
Mafter Papageno gewandt, fehte er Hinzu: Haben Sie's gehört,
Herr Bevollmädtigter? Er hat gejagt: lieber Mojes, Hat er ge⸗
fagt; werd’ ich doch machen mit dem gnäbigen Herrn ein befjer’
Geſchäft, als ich gemacht Hätte mit feinem Bevollmächtigten. Gott,
gerechter, lieber Moſes bat er gejagt!
Nun ja, lieber Mofes, fuhr Don Alonfo Gomez fort, ich
habe fo gefagt, und ich verjpreche dir, meine Redeweiſe nie zu än—
dern, wenn deine Handlungsweiſe den freundfchaftlihen Aeußerun-
gen entfpriht, die du fo eben gethan haft. Sieh, lieber Freund,
ih bin großmäthig und will die gern das Denkmal erlaffen, das
du mir fo gern feßen möchteſt, gleichviel, ob es inwendig von Gold
oder von Silber wäre. Weit mehr wirft du mich erfreuen und .
zu Dank verpflichten, wenn du mir gegenwärtig mit etwas baarer
Münze aushelfen Tann. Mein Bevollmächtigter hat dich gewiß
binlänglih in Bezug auf meine Wünſche unterrichtet —
Hinlänglich? Fa, fo fagen der gnädige Herr. Was aber tft
hinlänglich ?
Sahft du nicht die Papiere, Mofes, bie mein Bevollmächtig⸗
ter bir vorlegen follte? fragte etwas eritaunt Don Gomez.
L
— 414 —
Warum ſollt' ich ſie nicht haben geſehen? erwiderte ‘der Unter:
händler. Hab’ fie gehabt in biefen meinen beiden Händen und
bab’ fie gelefen mit diefen meinen Augen, und ich denke, es find
gute Paptere, fo gut, dag man fie könnte legen in die Bank als
Pfand, wenn es gäbe in Hamburg eine Bank für Papiere. Gott,
hat man doch feine Noth mit Alles, was heißt Papier!
Du fürdteft, fie könnten ihren Werth verlieren?
Der Mofes iſt ein verfländiger Mann, gnädiger Herr, ber
fih nicht fürdtet vor einem bloßen Dunft oder einem Popanz,
aber ein Papier bleibt ein Papier, und wenn es nicht gehört mir
eigenthümlich, daß ich kann machen damit, was ich will, hat es
doch verloren ſeinen Werth für mich, oder es kann Einer kommen
und ſagen: Moſes, wie biſt du gekommen zu dieſen Verſchreibungen?
Das ſehe ich ein, Lieber Freund, ſagte der Mexikaner, darum
eben war mein Bevollmächtigter von mir beauftragt, die in mei⸗
nem Namen Wechfel über die betreffende Summe auczuſtellen, die
ich ſpäter unterzeichnen wollte.
Ja, ſo hat er geſagt, der Herr Bevollmaͤchtigte , und darum
hab' ich auch ſchon mitgebracht die Wechſel, weil ich aber nicht
wiſſen konnte, daß der gnädige Herr mich wieder als Freund be⸗
handeln würden, wollte ich ſie nicht übergeben einem Andern, und
ſo bin ich gekommen ſelber in Wind und Wetter, und wenn der
gnädige Herr nur ſetzen darunter Ihren großherrlichen Namen, ſo
fol das Papier gelten fo viel, als wär's von ciſelirtem Gold ge⸗
macht und ringsherum eingefaßt mit Brillanten von reinſtem
Waſſer!
Moſes legte Don Gomez zwei Wechſel vor, bie bereits aus«
gefüllt und vollkommen rechtsgiltig waren, nur die Unterjärift bes
Meritaners fehlte noch.
Don Alonfo Gomez burdjlas die Papiere. Seine Augen
funtelten vor Freude, ald er die Summe überflog, zu deren Her-
beifhaffung der gefällige Moſes ſich bereit erklärte,
Um bir zu beweifen, Leber Mofes, daß ich weniger bedenk—
ih bin, als du, unterzeichne ich dieſe Papiere ſofort, ſprach der
⸗⸗
— 415 —
geldbedürftige Mexikaner. Sicherheit, wie du ſie nur wünſchen
kannſt, haſt du in dieſen Papieren. Ich erlaube mir nur noch
zu fragen, ob ich das Geld auch ſogleich in Empfang nehmen
kann!
Hab' es bei mir auf Mark und Schilling, erwiderte Moſes.
Die ganze Summe?
Die ganze Summe in einem einzigen leichten Papierchen an
meinen Wechsler, der es Ihnen auszahlt baar in Dritteln, Epe-
cie8 ober Grob - Gourant, wie es wünfchen werben der gnäbige
Herr.
Du bift ein wahrer Goldmann, jagte Don Gomez, und wüßte
ich nicht einen viel angenehmeren Gebrauch von gutem Stiber zu
maden, fo würde ich dir eine Bildfäule geloben in Lebensgröße,
accurat gemadt, wie dich Bott gefchaffen hat und wie du einher
gehft auf deinem ſchief getretenen Schuhwerk. Die würde ih auf-
ftellen auf der plaza mayor in Mexiko, meiner vielgeltebten Va—
terftadt, und würde fie mit der ſchönen goldenen Inſchrift verfehen:
Mofes, dem Sohn Bibrachs, dem ehrlichen Darleiher guten Gel⸗
des für dreißig Prozent!
Thun Sie's nicht gnädiger Herr, um Gott, thun Sie's nicht!
fiel der Unterhändler ein. 's Wäre eine Sünde vor Gott, dem
Herrn, der’d halten könnte für ein filbernes Kalb, vor dem ihre
Andacht wollten verrichten die dummen Menfchen, die nicht wiffen,
was für ein reeller Werth ftect in den edlen Metallen! — Recht
fo, gnädiger Herr, da ſteht Ihr Name ganz deutlich gefchrieben,
daß es kann Iefen jedes Kind, das kennt die Buchftaben und hat
ordentlich gelernt buchſtabiren nah der neueften Methode! Don
Alonfo Gomez haben Sie gefhrieben. — Schöner Name — klingt
wie veined Gold aus Peru ober wo es fonft gewachien fein mag
in gutem Boden! Sept kann's laufen von Hand zu Hand, das
Papieren, und wenn’s iſt girirt drei- ober viermal, fo kann's
noch verdienen unter Umftänden ein Procent mehr! — Schöne
Erfindung fo ein Wechſelchen! Iſt's doch geweſen ein kluger Kopf,
ber ein ſolch Papter hat zuerft unterfchrichen, und bin ich doch
— 46 —
ftolz darauf, daß gewefen iſt dieſer kluge Mann einer von un⸗
ſere Leut'!
Mährend der hocherfreute Moſes dem Erfinder des Wechſels
diefe entzückte Lobrede hielt, überreichte er dem nicht weniger glück—
lihen Don Gomez eine Anweifung auf eins der größten Wechſel⸗
häuſer in Hamburg, zahlbar nach Sicht.
Der Mexikaner ergriff es begierig und legte es behutſam in
ſein Portefeuille. Gleichzeitig langte er nach den Documenten,
aus denen der jüdiſche Unterhändler über den Beſitz feines Ver—
mögens fih Kenntniß dverfhafft hatte Moſes legte feine Hand
darauf.
Der gnäd'ge Herr werben verzeihen, ſprach er mit füßlichem
Lächeln, aber der Menih iſt eine gebrechliche Greatur, die Tann
ftolpern über einen Stein, fih ein Loch fallen im Kopf, und ehe
fie wieder auffteht, tt der Geift ausgefahren aus dem Loch und
verſchwunden dahin in alfe Winde. Was thu' ich mit einem Men⸗
fhen, der gekommen tft zu Tode, und wäre er fo vornehm wie
ber Kaifer von Rußland oder China? Iſt er doc nicht fo viel
werth, als ein todted Ferkel, das man noch Tann verkaufen an
arme Leute, die aud einmal wollen wiflen, wie es fchmedt, wenn
Einer ißt Fleiſch. Darum wollt! ich gebeten haben den gnäbigen
Herrn in aller ſchuldigen Unterthäntgkett, daß Ste mir geben eine
eine Verſchreibung, die mir zuipricht das Eigenthum biefer Pa
piere, falls — was Gott der Gerechte abwenden wolle in Gna=
den — Sie des Todes erblichen, ehe fie zurüdgezahlt Hätten das
vorgeſchoſſene Kapital mit allen Zinfen, wie's gefchrieben fteht auf
den Wechfeln, die ich will hüten'mwie meinen eigenen Augapfel.
Don Gomez war nahe daran, bei diefer neuen, ihm ganz
unerwartet kommenden Zumuthung die Geduld zu verlieren und
dem unentbehrlihen Manne ein paar harte Worte zu fagen, er
beherrſchte fih jedoch, da er einſah, daß weder freundliches Zure—
den noch ernfthafte Einfprüche die geringfte Wirkung haben wür—
den. Müde des früheren langen Harrens und durch das Geſchwätz
— 417 —
des Wucherers mehr gelangweilt als unterhalten, gab ev Mofes
auch die gewünfchte DVerfchreibung. -
Wenn der gnädige Herr kommen nah Hamburg, ſprach ber
Sohn Bibrachs, das Papier forgfältig einpadend, mwerbe th Sie
erfuchen, mit mir zu gehen zu einem Notar, damit er drüdt fein
‚Stegel unter die Verfehreibung und zwei zuverläffige Zeugen fehen
dabei ihre Namen. So wie ich da hab’ das Papier, iſt's nicht
viel werth und könnte mir höchſtens verhelfen zu einem langen
Prozeſſe, wobei Niemand gewänne etwas Reelles als bie Doctoren,
von denen ber Eine fagte zu mir: das wollen wir fchon Triegen
— nämlich das Geld — und ber andere fagte baffelbe zum Ge⸗
genpart. Aber der Moſes tft fein Mann, ber fegt ein Mißtrauen
in die Gefinnung von Ehrenmännern, mit denen er macht Ge-
ſchäfte, ſeis in Waaren ober ſei's in Geld, Nur damit Alles
fommen kann in Ordnung, wie e8 fein muß, tft er vorfichtig, wie
ein Mann, der hat beifammen feine fünf Sinne zu jeder Stunde!
Und fo der gnädige Herr iſt zufrieden mit mir, und ich bin es
mit dem gnäbigen Herrn, der mid großmüthig läßt verdienen
ein paar Spertes unter vielen Sorgen und Mühen, will ich jebt
‚fegen meinen Stab weiter. und dem Herm wünſchen von Herzen
eine gute Nacht und angenehme Träume. Bleiben Ste gefund!
Der Mulatte hatte dieſer ganzen Unterhandlung ſtillſchwei⸗
gend zugehört. Sept, als Mofes fih entfernte, näherte er ſich fet-
nem Herrn und fagte:
Wann gebenten Ste zu reifen?
Morgen, wenn es die Witterung erlaubt. Auf jeden Kal
beftelle ſchon jetzt Pferde. Die fchnelifte Beförderung tft für mid
bie bilfigfle. ®
Werden Ste incognito reifen? forfhte Mafter Papageno
wetter. ,
Noch bin ich nit ganz entichloflen, erwiderte Don Gomez.
Auch kommt wenig darauf an. Während der Nacht, die mir ohne
Zweifel die köſtlichſten Träume ſchenkt, wird mir ein guter Ge⸗
bante einfallen. Bade nur ein und rüfte did.
D. B. XI. Willkomm's Rheder und Matrofe, 27
— 4118 —
Wo befehlen Ste abzufteigen?
Hm — ja, daran hatt! ich beinahe nicht gedacht! — —
Sreilih, man muß ein Logis haben, man wird gefehen, es gibt
ein Hin- und Herreden — nein, das taugt nichts. Weißt bu
was, Papageno, wir nehmen vorerft auf dem Lande, nicht gar zu
weit von der Stadt Quartier. Etwa in Blanfenefe. Der Ort
Itegt angenehm, und man kann von da zu jeder Stunde leicht
Hamburg erreichen. Auch hat man unterwegs, bejonderd wenn mah
die Strede oft zurüdfegt, Gelegenheit, für Fünftige Tage in der
Stille Vorkehrungen zu treffen, um das Glück derer, die ung
nicht gewogen find, nicht gar zu üppig aufſchießen zu laffen.
Sind Sie geneigt, einen Rathſchlag oder eine Anfiht zu
hören?
Ich bin im Augenblide zu Allem geneigt, verfeßte Don Go—
mez. Predige Moral, lie mir ben Tert, Taf’ Weisheit von bei-
nen etwas ſtark aufgeworfenen Lippen träufeln, oder überhäufe
mid mit Echimpfworten, ich verfpreche dir, du ſollſt einen ganz
ſtillen Mann in mir finden.
Da Ste denn in fo ausgezeichnet guter Stimmung find,
ſprach der Mulatte, will Ih zu fernerer Begutachtung Ihrerſeits
nur bemerfen, daß, follten Ste in Hamburg zu bleiben gefonnen
fein, Niemand Sie direct moleftiren wird, großen Genuß aber
würden Sie von einem Aufenthalte, der länger als einige Tage
dauerte, nicht haben. Ich -pflichte deshalb dem eben gemachten
Vorſchlage, Blankenefe zum ferneren Wohnfige zu erheben, voll-
tommen bet.
Kannſt du nicht etwas verftänblicher fprechen? ermiderte ber
Mexikaner. Ich kenne zwar fo ziemlich beine Ltebhabereten, zum
Rätbfelauflöfen Habe ich aber weder Luft noch Gefhid, Was oder
wer bedroht mid?
Keine Perfon, nur eine Sache.
Eine Sade?
Nein, auch nicht, ein Etwas, das Nichts und doch Alles if.
Suter Papageno, ſei verfiändlih, meine vortreffliche Laune
— 419 —
könnte mir ſonſt plötzlich abhanden kommen und das, fürcht' ich,
würde dir fühlbar werden.
Die Langeweile bedroht Sie in Hamburg, ſagte der Mulatte,
und Sie wiſſen am Beſten, daß ſie Ihr allergrößter Feind iſt und
die alleinige Urſache aller Verlegenheiten, in die Sie ſo oft ſchon
gerathen find. Sie finden dort keinen Umgang, wie Sie ihn ge—
wohnt find und wie Sie ihn begehren, und der Mangel daran
würde Ste nur zu bald in traurige Gonflicte mit alles Welt brin-
gen. Entfchliegen Ste fih dagegen, außerhalb der Thore jener
verführerifchen Stadt zu verweilen und nur bisweilen, nur unter
dem Schube der Naht ihr Befuche abzuftatten, fo verfpreche ich,
meinen ganzen Scharffinn und alle meine noch übrigen guten und
böfen Eigenfhaften aufzubteten, um Ihnen für bie Wintermonate
ein Leben zu bereiten, wie Sie es bisher noch nicht Tannten. Sie
haben jeht Geld und Ste dürfen mithin etwas wagen. Auch Ge-
legenhett zur Rache wird fih finden. Ih babe Allerlei ausge-
Hügelt und wir müßten Beide allen Credit beim Teufel verloren
haben, wenn nicht ein oder ber andere Plan zu unferm oder —
um refpectooller zu jprehen — zu Ihren Gunften ausſchlüge.
Genug der Worte, unterbrah Don Gomez feinen Diener, ich
billige deine Vorfiht und gebe dir Vollmacht. Morgen, erlaubt
ed das Wetter, verlaffen wir dies öde Cuxhaven, wo man fih an
Krabben zuleßt den Magen verderben kann, und überfiedeln nad
Blantenefe oder irgend fonft wohin an den Elbufern, wo es fid
gut Ieben läßt. Was fpäter gefhehen fol, fielen wir als Achte
und vertrauensvolle Ritter des Glüdes dem Zufall, diefem hulb-
vollen Gotte aller Unternehmenden, getroft anheim.
27*
— 40 —
Ueuntes Kapitel.
Mäpchengeplauder. Ein Entfchluß Eduards.
Eliſabeth ſaß am Fenſter und ſtickte, ihr gegenüber beſchäf⸗
tigte ſich Ulrike mit einer landſchaftlichen Zeichnung. Aus dem
Nebenzimmer, deſſen Thür nur angelehnt war, hörte man Spiel
und Gefang.
Shriftine macht ſchnelle Fortſchritte und hat wirklich eine allers
liebfte Stimme, fagte Eltfabeth, die Nadel ruhen laſſend und auf
die vollen, weichen Töne des Liedes horchend, das die fich Lebende
zum Zorteptano fang. Wie fhade, daß fie nicht ein paar Jahre
früher ihre angeborenen Fähigkeiten entwideln konnte! Sie hätte
ed gewiß viel weiter gebracht, als. ih mit meiner fhwachen und ,
wenig metallteichen Stimme.
Etwas dünn finde ih den Ton doch immer noch, ermiberte
Ulrike, und ich glaube, ex bleibt es auch.
Daran tft eben die fpäte Uebung Schuld, meinte Eltfabeth,
wieder emfig in ihrer Arbeit fortfahrend. Miguel wirb fi aber
doch freuen, daß Ghriftine fo Leicht faßt und es bei fortgefehter
Mebung zu einer ganz anfehnlihen Fertigkeit bringen kann.
Er ſpielt ſelbſt nicht übel, verfegte Ulrike, wenn ich aber zu=
rüddente an —
Ste unterbrah fi und warf einen fhüchternen, bereuenden
Blick auf die Freundin, die indeß ruhig blieb und milb Lächelnd
zu ihr aufjah.
Immer fprih den Namen aus, fagte Elifabeth, ich habe dieſe
Gefühlsvertirrung Tängft überwunden. Das Hindert mid aber
nicht, Die Vorzüge deffen zu würdigen, ber fonft unfere Adtung
für immer durd feine unverantwortlide Handlungsweife und feine
leichtfertige Gewiſſenlofſigkeit vericherzt Hat.
Ulrike zeichnete ſchweigend eine Zeitlang fort, dann ſprach fie:
Er iſt neulich wieder gefehen worden.
— 41 —
Hier? fragte Eltfabeth, ohne von ihrer Arbeit aufzuſehen.
Ich glaubte, er lebe jetzt in Bremen.
Da ſoll er ſchon ſeit mehreren Wochen verſchwunden ſein.
Woher weißt du das?
Ulrike erröthete, indem ſie mit gedämpfter Stimme verſetzte:
Dein Bruder Ferdinand erzählte es uns ja geſtern oder vor⸗
geſtern.
| Uns? Ferdinand erzählte es uns? fragte Cliſabeth hedehnt.
Ich möchte wohl von dir erfahren, meine Herzens-Ulrike, wo dieſe
Mittheilung geihah und wer außer dir und meinem fehr aufmerk⸗
ſamen Bruder noch zugegen war.
Ulrike beugte ihr Gefiht tief auf die Zeichnung. Da hab’
ih mich ſchön verzeichnet, fagte fie ablentend. Kannft du in die⸗
fen Strihen die Veranda wieder erkennen, in der wir verganges
nen Sommer fo oft die Sonne untergehen fahen?
Ste ſtand auf und hielt der Freundin das halbfertige Blatt
bin. Glifabeth jedoch achtete nicht darauf. Ihr ſchien es weit
mehr Vergnügen zu gewähren, die Sreundin ein wenig zu neden,
Ste ergriff ihre Hand und fah ihr gutherzig in das von friſcheſtem
Jugendhauch geröthete Geſicht.
Set offen, Ulrike, ſprach fie, ſei es wenigſtens gegen mid!
Mein Bruder bat fih erklärt.
Ulrike fhüttelte leiſe auffeufzend das ſchön geformte dunkel⸗
lockige Haupt.
Dann wird er fih demnädft erklären, fuhr Eliſabeth fort.
Er zeichnet di fett langer Zeit fchon fichtlich aus, und ed wundert
mid) nur, daß es dem Vater noch nit aufgefallen ift und Mut-
ter bisher Fein Wort darüber verloren hat. Wie ich darüber denke,
meine befte Ulxite, das weißt du. Ih wünſche nur, daß Eure
Wünſche, Eure Hoffnungen fih ohne ermübende und aufreibende
Kämpfe erfüllen mögen.
Zweifelft du an deines Vaters Zuftimmung? fragte Ulrike
erſchrocken. Ferdinand iſt fein Liehling und ich glaube nicht, daß
ich ihm unangenehm bin und daß meine Gegenwart ihn beläftigt,
— 411 —
Gewiß nicht, aber Vater hat feine eigenen Pläne.
Die du kennſt?
Die ih ahne, vermuthe. Es iſt das eine Eigenſchaft der
meiften Väter.
Nicht auch der Mütter?
Seltener.
Und welche Pläne könnten dies wohl fein? forſchte Ulrike
mit unruhiger Neugierde weiter.
Vater ift Kaufmann, fagte Efifabeth, und fann man ihn als
ſolchen auch vorurtheilsfrei nennen, das DBeftreben, feine Mittel
möglichft zu vermehren, Mebt ihm doch auch an. Er wünſcht des—
halb reiche Schwiegertöchter. Früher, d. h. vor zwei bis drei Jah—
ten mochte dieſer Wunſch weniger Iebhaft in. ihm fein, fett aber
der Oheim aus Amerika zurüdgefehrt ift und die fo lange gepflo-
genen Unterhandlungen endlich fo weit gediehen find, daß Vater
mit feinen vertrauteften Gefhäftsfreunden jegt entſchloſſen iſt, auf
die Ideen bes Oheims einzugehen, feit dieſer Zeit iſt es ihm nicht
gleichgiltig, ob feine zukünftige Schwiegertochter Vermögen befikt
oder nicht.
Du Angftigft mich, verfehte die Liebende. Glaubfi du, daß
der zeitliche Vortheil deinem fo braven Vater höher ftehen Könnte,
als das Glück zweier Menſchen?
Nein, diefe Furcht hege ich nicht, aber ich fehe Sturmwolken
aufziehen und trübe, bange, gewitterfchwere Tage nahen. Hohen—
fels bedarf, wie du weißt, großer Summen. Das disponible Ver-
mögen meines Couſins Miguel reicht nicht aus, um die gewaltigen,
vielleicht im Voraus gar nicht genau zu bereihnenden Koften bes
precären Unternehmens zu deden; aud wäre es unflug Alles auf
biefe eine Karte zu feben. Und eben darum —
Sollte, ginge es ihm nad, fiel Ulrike bitter ein, jeder feiner
Söhne einen fogenannten Goldfifh als Frau heimführen ?
Die Wünſche der Eltern gehen nicht alle in Erfüllung.
Das iſt aud gut, meinte Ulrike, denn bisweilen find fie Doch
wahre Hemmſchuhe des Glückes ihrer Kinder,
Werde nicht lieblos, befte Ulrike, bat Eliſabeth. Vater meint
es immer gut; er ift nicht unbillig, und läßt man ihm nur Zeit,
jo findet er fih auch in dem zuredt, was ihm anfangs unbequem,
vielleicht fogar unrecht vorkam.
Mehrere Männerflimmen, die vor der Thür laut wurden,
unterbrachen bier das Geſpräch der jungen Mädchen. Ulrike fete
fih wieder an ihre Zeichnung. Eliſabeth ſtickte weiter und Chri—
ftine fuhr in ihren Gefangübungen fort.
Einige Minuten vergingen in tiefem Schweigen; da traten
beide Brüder in's Zimmer, denen bald darauf Hohenfels und Mi-
guel folgten. Chriſtine beendigte ihre Mebungen und gefellte ſich
zu ben Uebrigen. Miguel begrüßte die Geltebte, ergriff ihren
Arm und durchſchritt, leife plaudernd, mit ihr das Zimmer. Die
Verlobung der jungen Leute hatte vor einigen Wochen ftattgefun-
den, war aber auf Hohenfels Wunſch noch nicht öffentlich bekannt
gemacht worden. |
Während Ferdinand die Zeichnung Ulrike's betrachtete, welche
das Landhaus Heidenfrei's darftellte und mancherlei daran auszu—
feßen fand, was er der ſchönen Zeichnerin unter Scherzen bemerf-
lih machte, bewunderte Eduard die Stiderei feiner Schwefter fo
auffallend, dag Elifabeth darüber beinahe böfe geworden wäre.
Es ift nicht recht, daß du mich fo unbarmherzig verfpotteft,
fagte die Schweiter fhmollend und ein ſeidenes Tuch über die
faum halb fertige Arbeit heftend. Ich weiß, daß ich feine Mei-
fterin im Stiden bin. Ich kann es nicht fein, denn th übe mid
zu wenig, weil ich es für eine ziemlich untergeordnete Befchäftt-
"gung halte, ftatt der man etwas Belleres thun kann. Nur der
Wunſch der Mutter, mid zu üben und bie Freude des Vaters
an ſolchen Sachen laſſen mid bisweilen zur Nabel greifen.
Eduard horchte erflaunt auf und ſtrich fih mit der Rechten
über bie Stirn, |
Hab’ ich was Dummes gefagt? fragte er.
Aber befter Bruder, verfeßte Elifabeth, träumt du denn, wenn
du mit und untergeordneten Geſchöpfen fpricht ?
— 424 —
Kerbinand lachte. Du mußt es ihm verzeihen, liebe Schwe—
fter, fagte diefer, den Bruder entſchuldigend. Eduard hat fo eben
die Beftätigung eines Vorhabens durch ben Vater erhalten, das
wohl geeignet if, ihn abweſend zu machen.
Was ift es? fragten gleichzeitig Eltfabeth und Ulrike. Auch
Shriftine, die fih in heiterſter Weiſe mit Miguel unterhalten hatte,
horchte auf.
Ich reife mit dem Oheim nah Südamerika, fügte Eduard.
Nur unfer perfönlihes Erſcheinen auf dem Schauplatze unferer,
wir hoffen es, in Zukunft fegensreichen Thätigkeit, deren Ziel kein
anderes tft und fein fol, als der deutihen Induſtrie, deutſchem
Aderbau und dadurch deutichen Auswanderern in jenen unermeß-
lichen und fruchtbaren Länderſtrecken, die faum noch der Fuß ei—
nes Weiſen betrat, eine Golonie zu gründen, welde dereinſt den
Ueberfhuß der Bevölkerung unferes Vaterlandes aufzunehmen be=
rufen fein fann, wird im Stande fein, die zahlveihen Schwierig-
fetten zu überwältigen, bie fih uns von mehr als einer Seite
entgegenthürmen werden. Das Küftenland eignet fih, wie der
Oheim behauptet, wenig für deutfche Anfiedler, weil die Fieber da⸗
jelbft Herrfhend find und große Verheerungen anrichten. Im In—
nern iſt die Luft gefünder. Dort laſſen fi große Ländereien er-
werben, die eultivirt und rationell bearbeitet, unermeßlich reichen
Ertrag liefern müſſen. Es iſt unfere Abſicht, für dieſe neu zu
begründende Golonie eigene Verträge mit der Regierung Brafi-
liens abzufchließen, um fie völlig unabhängig zu machen. Gelingt
uns dies, und wir hoffen es, dann gedenken wir biefer Golos
nie eine den Verfaffungen der Hanfeftäbte ähnliche Gemeindever-
fafjung zu geben, doch ohne reitende Diener und andere Lurusartikel,
wie wir fie beſitzen, als uralte Heiligthümer mit in die neue Welt
überzufiedeln. Der Vater hat jegt eben eingemilligt, mich ziehen
zu laffen, damit der Oheim an mir eine Stübe habe, auf die er
fih verlaffen kann.
Eliſabeth zeihte dem Bruder ihre Kleine, weiche Hand,
Wenn du dich freuf, Eduard, fo will ich verfuchen, ob ich
— 425 —
mich auch freuen kann, ſagte ſie bewegt. Im Augenblick vermag
ich es nicht. Ich ſehe nur die Gefahren, die dich und den guten
Oheim umringen, und wenn ich dann ber Vergangenheit und ih-
rer Schreden gedente, wird mir das Herz ſchwer. Ih hoffte,
wir wollten nun endlich Alle beifammen bleiben und im Frieden
ein glüdliches Stillleben führen.
Das find Mädchengedanken, Heine Poetifche, fagte Heiden⸗
frei, der während der letzten Worte ebenfalls in das Zimmer ge⸗
treten war. Es ift überhaupt noch fehr fraglich, ob wir des Glückes
wegen und um ein ftilles gemüthliches Leben zu führen, auf die-
ſer Erde eine Zeitlang zu wanbeln berufen find, oder ob es nicht
mehr Wille und Zwed des Weltenlenkers tft, ung nur zu prüfen,
und durch fortgefegte, ſtets gefteigerte Prüfungen für eine höher
organtfirte Weltorbnung zu erziehen. Es wäre fuperbe.
Das verſteh' ich nicht, und wenn ich mit folcher Beſtimmt⸗
heit davon ſprechen höre, wird mir bange, verfegte Eliſabeth. Ich
fehe nur nicht ein, warum nun gerade Süd: Amerifa von Euch
auserwählt wird.
MWeil dort für alle großen Unternehmungen, die von ener-
giſchen Menſchen germanifhen Stammes ausgehen, die größten
Chancen vorhanden find, fiel Hohenfeld ein. Der Norden Ame—
rika's gehört den Anglo-Amerikanern und ift dieſen durd Nichts
mehr zu entreigen. Dort herrſcht nicht blos der Yankee, er
wird auch Alles, was auf und in die Unton fi flürzt, voll-
fommen verfhlingen. Mögen Millionen Deutſche und Fran-
zofen dahin einwandern, fie werben zulegt doch von ben eiſen⸗
harten Händen der Yankee's zerrieben und mit biefen verfchmolzen.
Anders in Südamerika, namentlih in den brafilianifhen La Plata—
Staaten. Dort iſt Alles erft im Werden, ja, man kann fagen,
das Werden felbft beginnt erfi Keime zu treiben. Die dortigen
Ureinwohner find noch völlig uncultisiet, ſchwache, wehr⸗ und
willenlofe Naturkinder, bie fogenannten Herren des Landes aber,
bie Abkömmlinge der portugiefifhen Groberer, eine indolente,
träge, energielofe- Maffe, zwar feandalluftig, aber nicht von wies
— 46 —
berhaltiger Kraft. Sie weiß nicht, was fie will; und Tann, oppo-
nirt fih ihr ein fefter Wille, tritt eine organtfirende Nationalität
ihr gegenüber, die fich rückſichtslos Reſpect verfchafft, diefer Teicht
unterworfen werden. Bis in jenes füdlihe Eden Amerifa’s bat
ber erobernde Dankee feine Hand noch nit ausgeftredt. Der We—
ften und die Küſte des ftillen Oceans mit ihren wahrſcheinlich reis
hen Schätzen edler Metalle, vielleicht au ein großer Theil Cen—
tral- Amerika’, Tiegen ihm näher und bequemer. Kommt alfo
ber deutjche Golonift ihm zuvor und verfteht diefer ſich feſtzuſetzen
im Süden; verfleht er, wozu er unbeftritten Talent befist, eine
tüchtige Adminiſtration in feinen Golonieen zu gründen und legt
er dadurch den’ feſten Grundſtein bürgerlicher Freiheit: fo ſchafft
er auf der andern Erdhälfte ein zweites Deutfhland, über deſſen
Gedethen, Über deſſen Macht unfere Enkel fih freuen werben.
Aber freilich, um dies große Ziel zu erreichen, bedarf es der
Thatkraft, einigen Handelns und großer Mittel. Deutfche Re-
gterungen bieten nicht die Hand dazu, ih weiß es, verfuch’ es
alfo der freie deutfche Bürger, der unabhängige Kaufmann, der
bemittelte Rheder, der nur die Segel an feinen Schiffen aufzu-
fpannen braudt, um die Menfhen, welge feinen Zwecken dienen
fönnen, dahin zu fihaffen, wo er fie nußen, ihnen ein neues
Reich gründen, neues Leben geben, neue Wirkungsfreife eröffe
nen will. |
Es ift ein großes Ziel, das wir ung fteden, fagte Eduard,
wohl werth, dag man ſich dafür begeiftert und Opfer dafür“ bringt.
Sollte es nicht möglich fein, auf diefe Weife in veränderter Ge—
ftalt die Hanfa wieder aufleben zu laffen, deren politifhe Bedeu-
tung an der Entdedung Amerika’ zu Grunde ging?
Man muß es verfuhen, ſprach Hohenfels. Ich, meinestheile,
ſchrecke vor Feiner Schwierigkeit zurüd, weil fehr Vieles möglich
tft, was man gewöhnlich für unmöglich halt, Englifhe Kaufleute
haben fih Dftindien erobert und beherrſchen es mit einer Hands
soll Soldaten. Diefe Eroberung hat fie zur feemädtigften Nas
tion gemadt. Deutfhland tft nun leider England nidt zu ver-
— 497 —
gleichen, dennoch kann es viel mehr fi ausbreiten über den Erbd-
freis und fi weit mehr Macht und Einfluß verfhaffen, wenn es
nur einmüthig große Pläne entwirft und fie energifch verfolgt.
Unfere Handelsmarine nimmt es auf mit jeder andern Nation,
und da allen Anzeichen nah die Zeit Friegerifher Groberungen
vorüber tft, müflen unternehmende Völker auf friedlihem Wege,
alfo Handel treibend, Colonieen gründend, Cultur verbreitend, zu
erringen fuchen, mas man ſich früher mit der Schärfe des Schwer:
tes nahm. Die deutſche Rhederei kann das, wenn fie will. Ihre
bewaffnete Macht hängt in den„Wanten, fit auf den Raaen,
plänfelt und handtiert auf den Topen. Was der Rheder denft,
ber Matroſe führt e8 unter dem Commando ders’ Capitains aus,
Das muß man begreifen, darüber muß man fi klar werden,
dad muß man Andern, bie nicht gern weit in die Seine bliden,
auseinanderfegen, damit fie wiflen, welche Miffion ber Rheder,
welde der Matrofe zu erfüllen berufen ift.
Da berührft du den faulen Punkt, der deinen ganzen Plan
zu Nichte machen Tann, bemerkte Heidenfrei. Die Größe deiner
Idee allein ift es, vor der mir bangt, du wirft immer Einzelne
finden, die fih daran erwärmen, fchwerlid aber Viele, welche ſich
betheiligen.. Du haft den Rheder im Gedanken, wie er fein
ſollte, vielleicht fein Lönnte, nicht wie er in Wirklichkeit an je-
dem Hafenfat angetroffen wird.
Iſt meine Idee gut, fo wird fie fih Bahn breden und in
Zukunft Früchte tragen, erwiderte Hohenfels. Alles wahrhaft
Gute braucht Zeit, um durchzubringen.
Ich pflichte dir bei, Oheim, fagte Eduard, und wie du mein
Wort Haft, daß ich dich begleite, fo gebe ich dir aud das heilige
Berfprechen, daß ich Dich nicht wieder verlaffe, daß ih unjerm
Ziele nicht den Rüden kehre, und follte es mich Geſundheit und
Reben koſten!
Menfhen von Eurer Energte find berufen, Staaten zu grün:
den, ſprach Ferdinand. Wir Andern, denen Gott nicht eine gleich
große geiftige Etaftichtät gegeben hat, müffen in zweitet Linie ſte—
— 41238 —
ben bleiben. Ihr greift an und faßt Pofto, wir find die Referve
und ſchicken, wo es nöthig ift, Hilfstruppen. Wo aber bleiben die
Adjutanten, die als Weberbringer neuer Befehle bin und wieder
eilen?
Vorläufig it es der Dampf und das von feiner Kraft be-
wegte Schiff, fagte Eduard.
Und fpäter, fiel Augufttn Hohenfels ein, tft es vielleicht bie
magnetifhe Kraft, die wir noch nicht genugfam kennen, ober wir
fhleudern gleih Jupiter den Blitz als leuchtenden und fpredhenden
Boten von Land zu Land, vom Meer zu Meer, während wir
jeßt nur noch mit ihm tändeln.
Einftweilen aber bauen wir Stilferen Hütten daheim, ſprach
Berdinand, und richten fie wohnlih ein mit einem Allerheiligiten,
wo bie Büſten derer, die voll eroberungsluftiger Gedanken hinaus-
ziehen, aufgeftellt und mit Lorbeeren befränzt werden, bis fie als
Helden zurüdtehren und felbft fich niederlaflen in dem Tempel,
welchen Liebe und Verehrung ihnen bereitet.
Ulrtfe war biefem Gefprähe mit großer Theilnahme, aber
fhweigend gefolgt. Jetzt flüfterte fie ganz leiſe dem neben ihr fte=
henden Ferdinand zu:
Ste gehen alfo nicht mit dem Oheim?
Wundert Sie das? gegenfragte der junge Mann.
Ulrike verneinte kopfſchüttelnd. Es freut mich, ſagte fie raſch,
einen großen hellen Blick auf ihn werfend. Wenn uns Alle ver⸗
ließen, müßte es doch zum Sterben langweilig werden.
Ste wollte ſich entfernen, die Zeichnung zuſammenrollend.
Ferdinand aber erfaßte ihre Hand, drüdte fie verfichlen und fagte,
fein fprechendes Auge auf Alrike richtend: Wenn Sie mid nit
gehen heißen, werbe ich am Tieben immer in Ihrer Nähe bleiben.
— 429 —
Behntes Kapitel.
Hohenfels und ſein Verhalten zur Geſellſchaft.
Es war nun täglich in der Familie Heidenfrei bie Rede von
biefer großen Unternehmung, die eine Menge umfaflender Arbeiten
und Vorbereitungen erforderte. Eduard ſtudirte die vorzügliäiten
Schriften über das Land, dem er feine Kräfte opfern wollte, zeich-
nete, entwarf Riffe und Pläne und ftedte auf biefen Straßen und
Kanäle ab, die dereinft dem Verkehre der Colonie dienen follten,
bie man zu gründen beabfihtigte. Ferdinand blieb bei diefen Ar⸗
beiten nicht glethgiltig, nur ließ er fich weniger als Eduard von
dem bloßen Reiz des großen Gedankens beherrihen. Er hatte
mehr die kühl berechnende Natur des Vaters, ber zwar jebe dee
hochfchähte, nicht aber ohne gründliches Erforſchen ihrer Tüchtigkett
fih ihr Hingab. Diefe verfchiedene Auffaflungswetfe ein und deſſel⸗
‘ben Gedantens führte oft zu lebhaften und lange dauernden De—
batten unter den trefflihen Menſchen, die alle das Gute wollten,
ohne ſich doch über die Mittel und Wege völlig einigen zu können,
die man einzufchlagen habe. Bisweilen fam es denn aud zu klei—
nen Spannungen, die wieder durch Vermittelung der weiblichen Mit-
glieder der Familie gehoben und mit milden Worten beigelegt wurben.
Darüber vergingen Wochen. Während berfelben leuchtete es
Allen ein, daß Auguftin Hohenfels, ungeachtet feines Fpeengeide
thums, feiner großen Herzensgüte, feiner nichtsachtenden Opferfä-
higkeit, im Grunde doch ein unglaublich ſchwer zu behandelnder
Mann fei. Selbft Eduard, der fi dem Oheim mit der vertrauen
den Hingebung eines Sohnes anſchloß, weil er den raſtlos ſchaf⸗
fenden Geiſt in ihm bewunderte und verehrte, mußte ſich zuweilen
Gewalt anthun, um nicht in Conflict mit ihm zu gerathen.
Margaretha, die Stiefſchweſter des hochſtrebenden Mannes, be⸗
trübte diefe Entdedung am meiften, und fo oft fie mit ihrem Gat-
ten allein war, fprah fie von ihrem Kummer um den Bruder,
— 410 — .
und von den Beforgnifien, die ihr Tag und Nacht die Ruhe
raubten.
Auguftin wird es nte zu einem dauernden Glüde bringen,
ſagte die feharffihtige Matrone. Kaum hat er etwas erreicht, fo
langweilt ihn dies Erreichte, oder es befriedigt ihn nit. Und fo
bet er fich ſelbſt ruhelos von einem Aeußerſten zum andern, bis
er in dem Kreife, den er befchreibt, eines Tages entjeelt zujam-
menbrechen wird. Ih wünſchte Eduard Tieße ſich Bewegen, vor⸗
läufig noch bei ung zu bleiben.
Eine derartige Andeutung würbe dein Bruder für bie größte
Beleidigung halten, erwiderte Heidenfrei, und in der That würde
‚fie auch einer groben Perfidie gleich zu achten fein. Nein, liebes
Meib, das geht nicht. Freude an dem Unternehmen habe ich felbit
auch noch nicht, es kann aber zum Glück ausfchlagen und ein
Grundftein unvergänglichen Ruhmes werben. Laſſen wir aljo bei-
nen Bruder und unfern älteften Sohn gewähren. Beide find un-
ternehmungsftarf, Beide flachelt der Trieb, etwas Bebeutendes zu
leiften, Beide endlich find ehrgeizig und ruhmſüchtig im ebelften
Sinne. Sie zurüdhalten, in kleinere Kreife bannen, würde thre
feltenen Anlagen zerfiören ‚und fie felbft getitig vernichten heißen.
Eduard tft mir gewiß lieb und ich behielte ihn am Liebiten in dem
Geſchäft, dennoch will ich ihn lieber noch an einer Idee zu Grunde
gehen, an der Unausführbarfeit eines großen Gedankens fih auf-
reiben, als ihn trübfeltg Hier verfümmern fehen. Menſchen wie
Hohgnfels und Eduard müſſen in's Große, in's Unabfehbare hin⸗
einarbeiten. Sie find eigentlih zu gewaltig für unfere Kleine
Zeit. Wäre es erlaubt, mit einer Handvoll unerſchrockener Män-
ner an irgend einer Küſte zu landen, fo würden Männer wie un-
fer ültefter Sohn und dein Bruder ein neues Rei erobern, oder,
Iegten fie fih mit der ganzen Innerlichkeit ihres Wollend auf die
religiöfe Seite, fo ftifteten fie entweder eine neue Religion oder
wenigſtens einen Mönchsorden, der mehr zu thun bekäme, als bios
einen Tag um den andern fo und fo viele Mefien zu leſen amd
Paternofter abzubeten.
— 4531 —
Geſpräche ſolcher Art wiederholten fih oft, endigten aber im⸗
mer damtt, daß Heidenfrei darauf beharrte, Die Strebenden und in
diefem Streben Glüdlichen nicht weiter zu flören.
Auguftin Hohenfels würde ſich auch wenig habe ftören laſſen.
Er befümmerte fih in feiner Weife weder um die Meinung Ans
berer, noch ließ er fih irgend einen Rath ertheilen. Ganz fo
fchroff, wie er es in feinen jüngeren Fahren gewejen war, trat er
jegt wieder auf, fo daß er nur zu bald für eine Perſönlichkeit galt,
welche die Meiften lieber gehen als kommen fahen. Bon feinem
Standpunkte aus war Hohenfels ohne Frage unbeftreitbar im Recht.
Er ragte geiftig fo hoch über die Mafle empor, daß fie ihm wohl
unbedeutend erjcheinen mochte, als Individuum aber gegenüber
einer Menge gleichberechtigter Individuen , die zufammen eine große
Gefellichaft firebender und wirkender Menſchen ausmachen, verging er
fih unverantwortlich an dem Geiſt der Affoetation. Die Größe feines
Talentes, die Macht feines Willens, bie Federkraft feines Geiſtes iſolirten
ihn. Der iſolirte Menſch aber iſt im neunzehnten Jahrhundert, und
befäß’ er bundertfache Kräfte, doch ein verlorner Poften ig allge-
meinen Drang und Kampf der millionenföpfigen Menge. Daß
Hohenfels dies nicht einfah oder nicht einjehen wollte, war von
jeher fein größtes Unglück geweſen. Er vepräfentirte als Indi⸗
vidunm den Nationalfehler der ganzen beutfhen Nation, deren
Schwächen er doch fo ganz kannte, bie er tief bellagte, bie er
durch fein eignes Streben, fo weit möglich, paralgfiren wollte. So
ſeltſam iſt oft der begabteſte Menſch geartet. Sp fchlägt die Kraft,
die fi ſelbſt Überhebt, in Ohnmacht um, und ftatt zu begfücen
und dem großen Ganzen nüplich zu werben, verkohlt fie langſam
in der Flamme ihres eigenen Geiſtesfeners.
Die Jahreszeit war zu weit sorgefchriiten, um bie beabfich«
tigte Reiſe noch im alten Jahre zu unternehmen, Auguſtin Ho-
henfels mußte fih deshalb bequemen, einen drutſchen Winter in
Umgebungen zu verlieben, die ihm fremd geworben waren unb de⸗
nen er fih nicht fügen mochte. Es wunderte ihn nichts mehr, ald
baß fein Sohn Miguel, der doch auch weit eher einem wild auf-
— 432 —
gewachſenen Savannenroffe als einem zahmen Füllen europätfcher
Civiliſation glich, anſcheinend ohne Göne dem Zwange ber Gefell-
[haft fih fügte, und es fehlte wenig, fo wäre es zwifchen Vater
und Sohn zu unliebfamen Grörterungen gekommen. Auch bier
griffen rechtzeitig die Frauen ein, nad beiden Seiten bin mit Bit-
ten Iindernden Balfam fpendend. Hohenfels überfah bet feinem
Sohne das Wichtigſte, feine Liebe zu Chriftine, und er hatte es
vergeffen, daß ein Liebender zu Allem fählg ift, daß er der Ge-
liebten zu Gefallen fi widerſtandslos in Feſſeln fehlagen und aud
Widerwärtiges ohne Murren über fi ergehen Täßt.
Außer Eduard war Treufreund des feltenen Mannes Tiebfter
Umgang. Der frühere Buchhalter widerſprach ihm nie, weil feine
Verehrung fo unbegrenzt war, daß er Alles bei Auguftin Hohen⸗
fel8 bewunderte. Auch das Sonderbarfte fand Treufreund, ſprach
es Hohenfeld aus oder vertheibigte er es, ganz vortreffliä, und da⸗
rum hielt diefer fi gern zu dem Jugendfreunde.
Das übrige Comptoirperſonal feines Schwagerd war Dagegen
nicht nach feinem Geſchmack. Der Süd -Amertlaner — wie alle
Gomptoiriften den hochfahrenden Mann nannten — fand hier
nur Anttpathien und wurde von den jungen Leuten unbarmherzig
feiner Schroffheit und feiner „fchnurrigen Pläne” wegen, bie freilich
nur in rohen Umriffen zur Kenntnig Aller kamen, Tritifirt. Gletd-
zeitig bedauerten Alle, daß Eduard diefem Gedanken =» Abenteurer
fi) fo ganz anſchloß, freuten fih der Zurückhaltung bes ruhigen,
immer Maren Ferdinand, und fekten auf den nahe bevorftehenden
Eintritt deffelden in die Handlung große Hoffnungen.
Um Miguel fümmerten fih nur Wenige. Anton war ber
Ginzige, der Häufig mit dem aufgewedten jungen Manne verkehrte,
ber fi mit Gifer auf Mathematik Iegte und Alles that, um ein
tüchtiger Seemann zu werden. Die flille Verlobung Miguels mit
ber Lieblihen Ghriftine, die dem Vernehmen nah zu Weib:
nachten öffentlich bekannt gemadt werden follte, erwedte eine
gute Meinung für ihn, denn der alte Jacob war ein großer
Liebling aller Gomptoiriften, und wollte Anton ben im Grunde
— 433 —
von Allen doch nur verkannten Hohenfels in Schutz nehmen, ſo
führte er an, daß gerade er derjenige geweſen ſei, der die Ver⸗
lobung feines Sohnes mit der unbemittelten Tochter des Quartiers⸗
mannes betrieben habe. Dies war allerdings fein ganz geringes
Verdienſt. Es harakterifirte den Mann und ftellte ihn in das
volle Kicht des ſchönſten Freiſinns. Unmöglich war es nicht, daß
gerade die Billigung dieſer Wahl, die freilih aud von der Fa⸗
milie Heidenfrei bevorwortet wurde, dem heimgefehrten Hohenfels
manden geheimen Gegner erwedte, denn Miguel mit feinem be«
deutenden Befitzthum auf Cuba war ein ganz refpectabler Mann
und konnte die größten Anfprüche machen.
Weihnachten war für die Familie Heidenfret eine Zeit glück⸗
lichen Genießens. Der reiche Rheder z0g lange vor dem Heran⸗
nahen des Feſtes Erfundigungen ein, um in Erfahrung zu bringen,
wo es Nothleidende, der Unterflügung Bedürftige und zugleich de⸗
ven Würdige gebe. Hatte er deren fo viele ermittelt, als er zu
befchenfen fich vorgenommen, fo forgte er mit größter Freigebigtett
für Alles, was fie beburften, und kam der Weihnachtsabend her⸗
. an, fo wurden die Auserwählten zu ihm entboten und die für fie
bereit gehaltenen Gaben ihnen von dem Rheder und feiner Frau,
wie von deflen Kindern unter freundlichiten Glüdwünfchen über-
geben. Die Zahl der fo beſchenkten Familien belief fih gewöhnlich
auf fünfzig. Heidenfrei prahlte aber nicht mit feiner Milbthättg-
fett. Gr ſprach mit Niemand als den Seinigen davon, höchſtens
ward Treufreund in's Geheimnig gezogen, wenn es galt, einem
ſehr verihämten Armen die Wohlthat der Hilfe zu Theil werben
zu laffen. Auch mußten die Befchentten dem Rheder jedesmal mit
Wort und Handfhlag geloben, nichts davon laut werden zu laflen.
Ward nun dies Verfprehen auf in fofern von Allen gewiſſenhaft
gehalten, als fie eben nicht öffentlich davon ſprachen, der Wohl:
thätigkettöfinn Heidenfrei's war doc allgemein bekannt, denn eine
Erzählung im Haufe, ein Lob, das man dem braven Manne tm
Beifein Bekannter und Theilnehmender fpendete, konnte unmöglich
ganz unterbrüdt werben.
D. B. XI. Willkomm's Rheder und Matrofe, 28
— 434 —
Auguftin Hohenfeld war diesmal Augenzeuge des Jubels, in
welchen die beſchenkten Familien am Weihnachtsabende im Haufe
feines Schwagers ausbrahen, und er mußte befennen, daß biefe
Berwendung eines Weberfchuffes von Glücksgütern Segen ftifte und
mande Thräne des Kummers trodne. In diefem Sinne äußerte
er fi anerfennend gegen feinen Schwager, zugleich hinzufügend,
daß er als müffiger Zufchauer eigentlih eine recht erbärmliche Fi⸗
gur gefpielt habe.
Mein lieber Auguftin, verſetzte Hetdenfrei auf diefe Bemer:
fung, wer in der Welt nüßen will und Gutes ftiften, der muß
feine Gaben gebrauchen, wie er e8 gerade kann. Du kennſt, den’
id, meine Anfihten, und weißt, mie hoch ich das fchäge, was du
für die Zukunft baueſt. Es iſt ganz fuperbe, fag’ th, aber per
ſönlich kann ich weiter nichts dazu thun, als einen Theil meiner
verfügbaren Mittel zur Förderung deiner Pläne opfern und dieſe
fomtt nah Kräften unterftüben; wo id Direct handeln fol, da
muß es mir näher gelegt werden. Du bauft und entwirfft Glide
tempel für ein zufünftiges Gefchlecht, das dich dafür einft fegnen
und deinen Namen als den eines Welt: und Volksbeglückers prei-
fen und verehren wird, ich mache ganz in der Stille einige meinet
Mitmenfhen und Mitbürger fatt und für einige Zeit auch wohl
zufrieden, Ruhm aber will ich dafür nicht Arndten. Mir macht es
viel mehr Vergnügen, wenn ich mit eigenen- Augen bie Freude ber
Glücklichen ſehen kann. Das Hilft mir das ganze Jahr lang über
mande trübe Stunde hinweg, und ih fage dir, lieber Schwager,
folche heimliche Troftfpender find bisweilen ganz fuperbe.
Hohenfels fchwieg nachdenklich. Er fühlte fih nicht glücklich,
obwohl die heiterfte, reinſte Freude um ihn ſcherzte. Es drüdle
und yeinigte ihn etwas, das er ſelbſt mit Worten nicht bezeichnen
fonnte. Gr fah den wiedergefundenen Sohn freubeftrahlend, Hoff:
nungsfroh am Arme feiner blühenden Braut neben Elifabeth und
Ulrike, die ebenfalle im Bewußtfein, Andere glücklich gemacht zu
haben, freudig erregt waren. Warum konnte er nicht Theil neh⸗
men an biefer gehobenen Stimmung? War er netbifh? Gönnte
—— 4395 —
er jenen nicht Die empfangenen Geſchenke, dieſen nicht bie frohe
Genugthuung, ein gutes Werk geftiftet zu haben? — Nein, das
Alles war nicht der wahre Grund jeiner geiftigen Verſtimmung.
Hohenfels kannte weder Neid noch Mißgunſt, höchſtens würde er
auf einen Menjchen, der ihn in Großmuth übertroffen hätte, net=
difh gewefen fein. Was ihn jegt, im erleuchteten Saal der Weih-
nachtsfreuden, beunrubigte und gemiflermaßen unglücklich machte,
lag viel tiefer. Es war der dumpfe Schmerz eines von Yugenb
auf unbefriebigt gebliebenen Herzens, ber jeßt, wo fo viele Andere
ganz befriedigt ihn anlächelten, wieder in der Bruft des ungewöhn⸗
lichen Mannes erwachte. Rechenſchaft über dies peinigende, na-
gende Gefühl konnte Hohenfels fid nicht geben, und well ber
Grund dieſer Dual ihm felbft nothwendig immer verborgen blet-
ben mußte, war und blieb er cin vom Geſchick Gezeichneter.
Er ſetzte fih auf einen Fauteuil und ftüßte den Kopf auf
ben Arm. Der Flug feiner Gedanken trug ihn hinaus aufs
Weltmeer. Er fah fich wieder wie Damals, als er bie Reife nad
Europa antrat und in ſtiller Mitternacht, unter dem Glanz des
troptfhen Himmels, das Bud feiner Erinnerungen aufſchlug, aus
denen er Glück und Unglüd, Freude und Leib fog.
So traf ihn Treufreund, denn die Webrigen, Lauter Freude
fi) bingebend, hatten den ſchweigſamen Mann, der halb Hinter den
niebergelaffenen, ſchweren Damaftgardinen ſaß, wirklih auf ei—
nige Zeit vergeffen.
Träumft oder ſchwärmſt du? redete der alte Buchhalter den
Freund an, deſſen Züge jebt wieder fo eifenhart und finfter aus-
fahen, daß ein verweichlichter europätjcher Salonmenfh wohl da—
vor zurüdgefhroden wäre. Auf Weihnachten freue ich mich das
ganze Jahr, nicht weil ich beſchenkt werde, fondern weil tch felber
mit ſchenken helfe.
Du? verfehte Hohenfels. Wem ſchenkſt denn du? Dod
nit der Frau Prinzipalin, meiner Schwefter, oder meiner Nichte?
Ich ſchenke den Armen, den Bebürftigen, wie ja Heidenfrei
auch. Nur kann td höchſtens drei ober vier bedenken, weil meine
. 28*
— 436 —
Mittel nicht gar weit reichen. Die von mir Beſchenkten jubeln
mit all' den Andern und denken, ſie haben das Ihrige auch von
dem reihen Manne. ch aber ſtehe daneben, weine innerlich
Freudenthränen und bin gerade darüber am frobeften, daß fie den
wirklichen Geber nicht in mir vermuthen.
Hohenfels fand auf und holte tief Athem,
Bott erhalte dir bein Glüd, alter Freund, fprah er. Du
haft es verdient mit deiner, ich möchte faft jagen, Heiligen Beſchei⸗
denheit. Könnte ih dies ſtürmiſche Herz bezwingen, bas fo wild
bier arbeitet und immer fo ungeftüm klopft, ich wäre dann wohl
auch ein mehr theilnehmender Menſch und Hätte weniger trübe
Stunden. Aber es fol und es darf wohl aud nicht fein. Da-
rum iſt es Zeit, daß th gehe, wanbere und ſuche. — Wäre nur
erft der Winter vorüber! Diefe nebelfhwere, dide Luft lähmt
meinen Geiſt auch und macht mich noch unleidlicher, als ih es
ohnehin von Natur bin. Komm, mein Freund, und laß uns ein
Stündchen fill auf deinem Zimmer verplaudern. Zu viel Licht
um uns erhellt nicht unfer Inneres. j
Treufreund war biefe Verftimmung bes verehrten Mannes
feine neue Erſcheinung; er kannte fie fhon längſt, aber es fiel
ihm auf, daß fie gerade jegt über ihn kam und noch dazu viel
heftiger, als gewöhnlich. Auch feiner Unterhaltung, die doch
mannichfache Themata anfhlug, wollte fie nicht ganz weichen.
Hohenfels gewann durch fie nur wieber bie volle Gewalt über fich,
ber ed gelang, jeden Schimmer von Mißmuth zu verwifchen und
Außerlih ruhig und heiter in den Schooß der glücklichen Familie
zurückzukehren.
— — — — — —
Eilftes Kapitel.
Anton und Heidenfrei.
Anton war ſehr verdrießlih. Es ging ihm heute Alles ver-
quer. Der Ghef des Haufes Hatte ihm ein paar unfreundlice
Worte gefagt, die eigentlih ihm ſelbſt gar nicht galten, fondern
die ganz einfache Folge eines Gefpräches waren, das Herr Het-
benfret in Affecuranz-Angelegenheiten gehabt hatte und das, aller
MWahrfcheinlichkeit nah, einen Argerlihen Prozeß nah fih zog.
Unangenehmer noch berührte e8 den Gorrefpondenten, daß er ver=
gebens nad der, feiner Anfiht nah, gelungeniten Federzeichnung
fjuchte, die er von Eltjabeth entworfen. Er wußte ganz beflimmt,
dies allerliebſte Gonterfei lag in feiner Schreibmappe, bie er Tags
vorher eigenhändig In fein Pult verfchloffen Hatte. Und jept war
ed fort, verfchwunden! Wie ging dies zu? Gab es Nachſchlüſſel
zu feinem Pult? Lebte man im Gomptoir des reichen Rheders
unter Dieben? Er hätte fluhen und fhimpfen mögen, um nur
bie Galle los zu werben, aber das war nit Ufance Es blieb
demnach nichts übrig, ald den Aerger ftill hinunterzuſchlucken und
fi entſchloſſen in die Arbeit zu flürzen.
Das that nun auch Anton, aber freilich mit Widerftreben
und alle Augenblicke eine nochmalige Unterfuhung ber Mappe
vornehmend. Dann fhielte er hinüber nah Treufreund’s Plage,
denn er traute dem „Schatten” ſchon lange nicht mehr und hatte ihn
ftarf in Verdacht unbefugter Zuträgerei, Direct zur Rede ſetzen
konnte er ihn allerdings nicht, da gar feine Beweiſe vorlagen.
Auch ſah der gute Alte fo fromm und unſchuldig aus, daß der
einer Sünde ſich fehuldig machen fonnte, der ed wagte, ihn einer
Unredlichkeit zu bezüchtigen. Dennoch fegte fih in dem argwöhni⸗
fhen Anton die Meinung fell, Niemand ald Treufreund könne das
wohl getroffene Portrait Eliſabeth's haben.
Der alte Narr tft verliebt bis über die Ohren, fagte er, und
Alter fügt ja vor Thorheit nicht. Ein Glück nur, daß er nidt
gefährlich werden kann. In fofern darf man fich beruhigen. Ich
muß aber doch willen, ob es einen Schlüffel im Comptoir gibt,
ber mehr als ein Pult öffnet. Heute um bie Börfenzeit werde
ich mir etwas zu fhaffen machen, um das in Erfahrung zu bringen.
Der Briefträger trat ein und brachte einige Briefe von ber
Stadtpofl. Einer derfelben war an Anton adrefjirt, weil biefer
— 438 —
aber keine Stimmung hatte, einen Brief zu leſen, deſſen Schreiber
ihn die Handſchrift ſchon errathen ließ, legte er ihn vorerſt bei
Seite und vertiefte ſich, um feinen Aerger zu verſcheuchen, in an—
genehmere Gedanken. Anlaß dazu gaben einige glücklich verlebte
Stunden während bes Feſtes, wo ihm wie allen Mitarbeitern bie
Ehre zu Theil geworden war, mit ber Familie Heibenfrei ein
paarmal zu fpeifen, einmal Mittags und einmal Abende. Aud
ber Neujahrstag ſtand rofenroth glänzend in feiner Erinnerung.
Er Hatte an bemfelden Momente erlebt, die man nicht blos glüd-
lid, die man groß nennen fonnte, und ohne das abhanden ge-
kommene Portrait der reizenden Elifabeth würde Anton heute mehr
als im gewöhnlichen Sinne glücklich gewefen fein.
Haben Ste nit aud fo eben einen Brief erhalten? fragte
jet den flarr vor fich Hinfehenden Anton der Buchhalter, ein noch
junger Mann reicher Herkunft, der von Zeit zu Zeit fih fehr gern
einem raſchen Lebensgenuffe bingab.
Ja, warum? verjehte Anton mürriſch.
Ich möchte willen, was Julius und Beiden an ein und dem:
ſelben Tage zu fihreiben hat?
Was theilt er Ihnen mit?
Leſen Sie erit Ihe Billet, dann wollen wir gegenfeltig ung
über den Inhalt beider ausfprechen.
Anton riß das Gouvert auf und durchflog die offenbar flüch-
tig hingeworfenen Zeilen.
Er iſt nicht vecht klug, ſprach er, eine halb Tächerliche Miene
ziebend. Welche Einfälle! Er findet Feine zehn Theilnehmer!
Ste find alſo auch eingeladen? fagte der Buchhalter. Gr-
lauben Sie?
Wenn mein fpaßhafter Freund Ihnen diefelben Vorſchläge
oder Anträge macht, wie mir, fo müflen Ste entweder fröhlicheren
Herzens und leichteren Sinnes oder reicher an Mitteln fein, alg
ih, falls Ste zufagen. Noch glaub’ ich es nicht.
Bitte, ftellen Ste ſich doch nicht wie ein Pietiſt an! erwiderte
ber Buchhalter, Mir find weder blind, noch taub und wiſſen fehr
— 439 —
gut, was Sie veranlaßt, ſeit nunmehr ſchon längerer Zeit ſo ehr⸗
bar zu thun, als wären Sie neuerdings Kirchen-Jurat geworden,
Warum ſoll denn Julius ſcherzen?
Weil ich es thöricht, übermüthig, ja halb verrückt finde, für
Ueberladung des Magens ſo viel Geld auszugeben.
Der Buchhalter lachte, indem er erwiderte:
Da fieht man's, die Liebe macht, wenn nicht blind, doch min⸗
deſtens kurzſichtig. Wo ſteht es denn gefhrieben, daß es gerate
ihm fo viel Geld koſten wird? Ich Iefe da nur etwas von einem
ausgefucht feinen Diner, wobei fih das Couvert, inclufive des
Weines und fonftiger Unterhaltungen während der Tafel, auf hun⸗
bert hamburger Thaler ftellen wird.
Irgend Jemand muß diefe lukulliſche Verſchwendung doch bes
zahlen, entgegnete Anton. Wen anders aber als die Theilnehmer
wird man dazu anhalten? Oder meinen Gie etwa, es liefen bei
und Thoren herum, die ihren Ueberfluß an Elingender Münze
niht auf angenehmere, viel unterhaltendere Weife los zu werben
müßten?
Das iſt Geſchmacksſache, erwiderte der Buchhalter. Ich, mei⸗
nes Theils, finde es ganz lobenswerth, daß man im Leben, ſo lange
man jung iſt und Freude am Genuſſe findet, Alles probiert. Warum
ſoll ich nicht auch einmal königlich zu Mittag eſſen? Es gibt Leute
genug, die in einer Viertelſtunde mehr verſpielen, als wir. hier
verprafjen wollen.
Verpraſſen, verfhlemmen, das iſt's, fiel Anton ein. Wir wer-
den verrufen im In» und Auslande mit unfern Praffereien. Eſſen
und immer efjen, das, behaupten Viele, fet unfere Looſung; vecht
gut, vet viel und recht theuer effen, fet unfer allerzallerhöchites
Vergnügen. Und doch iſt es nicht wahr. Wir haben, follte ich
‚meinen, auch für Beſſeres und Edleres Sinn, als für Eſſen und
Trinken.
Lieber Gott, werden Sie nur nicht hitzig, Ste Tugend-Aus⸗
hund, verjegte der Buchhalter. Meinetwegen leben Sie in Zus
funft nur von Wafler und ſchmachtenden Bliden, was mich betrifft,
U
— 440 —
ih will noch eine Zeitlang als Gulturmenfh der Gaben mid er-
freuen, die und die Erde, die Gärtnerei und die geſchickten Hände
begabter Köche mitleidig darreichen.
Wann und wo foll denn der Trödel vor fih gehen? fragte
Anton. Und wie mag Julius dazu fommen, ald Werber auf-
zutreten ?
Sechs Wochen, heißt es ja, braude man Zeit, um fi in
den Beſitz aller der Raritäten zu feßen, die unfern Gaumen gebo—
ten werden follen, erwiderte der Buchhalter. Seien Sie vernünf-
tig, Anton, nehmen Ste Theil an dem Spaße und laſſen Sie ung
noch heute Rückſprache mit Julius halten, um etwas Näheres über
das große Unternehmen zu erfahren. Julius tjt ganz der Mann
dazu, ein Junggefellen-Diner gefhmadvoll zu arrangiren. Hat er
ganz freie Hand, fo dürfen alle Theilnehmende fich gratulieren.
Er ſetzt uns ganz gewiß feine Hausmannskoſt vor. Es wird Alles
erquifit, den feiniten Küchen entlehnt, und ganz fuperbe zubereitet
fein. Und daß nebenbei noch für eine erquidliche Augenweide ge=
forgt werden fol, finde ich vollends charmant. Soll man den
Genuß bei Tafel entbehren, zwifchen anmuthigen, jungen Damen
zu fißen und mit ihnen heitere Scherzworte auszutaufchen, fo will
ich wenigftens hinter der Tafel artige Ltebeslieder ſchmelzend vor—
tragen oder ſchlank gewachfene Kinder in zterlichen Tänzen fi an—
muthig und graziög bewegen ſehen. Ich liebe überall die Kunft
und bleibe ein Verehrer des Schönen, fo lange es anftändig iſt.
Anton zauderte noch und war unfchlüffig, ob er kurz ab Rein
fagen oder einer Unterredung mit Jultus über dieſe wichtige An—
gelegenheit beiwohnen follte.
Wenn Ste fich feldft nicht zu rathen willen, ſprach der Buch—
halter, will ih Herrn Treufreund rufen. Er fchtelt ohnehin ſchon
ganz verdrießlih um die Ede.
Anton reichte dem Buchhalter die Hand.
Schreiben Ste an Julius, ſprach er, und melden Sie ihm,
daß ich heute Abend bei ihm den Thee mit Ihnen nehmen wolle,
.
— 441 —
Geben Ste Acht, außer Thee gibt es auch noch die ſchönſten Auftern
und zweierlei Champagner.
Finde ih ganz dem Thema des Geſprächs angemeflen, dem.
wir ein paar Stunden opfern wollen, verfehte der Buchhalter.
Man begeiftert fih nur zu einer geiftreihen Gonverfation über
gute Kühe bei dem Genufle trefflich zubereiteter Speifen, feiner
Delicateflen und edler Weine.
Es iſt gut, fagte Anton. Ich will mir die Tollheit wenig-
ſtens plaufibel vortragen und anpreifen laſſen. Jetzt aber wollen
wir abbrehen. Here Heidenfrei rüdt feinen Stuhl und flempelt
feine Briefe. Er wird fogleih die Runde mahen und Sie fen-
nen feine Liebhabereien und feine Antipathieen. Alſo — heut’
Abend beim Thee!
Der Buchhalter nidte und verfügte fih wieder an fein Pult.
Bald darauf machte Herr Heidenfrei einen jener Inſpectionsgänge
durh das Comptoir, die Jedermann kannte und die falt immer
genau zu ein und derfelben Minute ihren Anfang nahmen. Nach
Beendigung des vormittäglichen Ganges pflegte der Rheder zu früh:
ftüfen und dann die Börfe zu beſuchen. Während einer Stunde
blieb in diefer Zeit das Gomptoir meiftentheils gefchloffen oder es
bielt fi) nur einer der Burfchen oder Hausfnechte darin auf. Solch
ein Späher war leicht zu entfernen, und deshalb Hatte Anton fid
vorgenommen, gerade in biefer ihm günftigen Paufe einige Schlüf-
fel an feinem Pult zu erproben, die ein paar im Comptoir be-
findlihe Schränke erfchloffen.
Zu feinem größten Verdruſſe aber bedeutete Herr Hetdenfrei
ſchon jetzt dem Correſpondenten, er wünſche vor der Börſe noch
einige Worte mit ihm zu ſprechen, und damit ſie ungeſtört blieben,
erſuchte er ihn, nach dem Fortgange der übrigen Herren ſeine
Rückkunft im Comptoir abzuwarten.
Eine derartige Bitte war ein Befehl, dem Folge geleiſtet
werden mußte. Anton ſtammelte daher ziemlich unverſtändlich,
daß er es ſich ſehr zur Ehre ſchätze, den Herrn Prinzipal erwar⸗
ten zu dürfen.
— 44) —
Der Teufel tft 108 oder ich bin behert, brummte er. ganz
tefperat. Alles geht fchief und krumm. Die Federn fprigeln,
das Papter ift rauf, man ſchickt mir tolle Briefe zu, und nun
will der Alte auch noch zum Meberfluffe vertraulich werden, damit
ih ja nicht im Stande bin, belehrende Unterfuchungen über die
Kunft, englifhe Schlöffer ungefehen zu Öffnen und andern ihr
wohlerworbenes Eigentum zu entfremden, anftellen zu können.
Mit -fteigendem Aerger fah der Gorrefpondent einen feiner
Sollegen nah dem andern um die gewohnte Zelt das Comptoir
verlaffen. Um ſich keine Blöße zu geben, ftellte er fih ungemein
ſtark bejchäftigt und ſchrieb noch eifrig fort, während alle Webrigen
fhon ihre Hüte aufgeftülpt Hatten. Endlich war er allein. Er
holte tief Athem und ſah fih mit einer Mifhung von Neugierde
und Malice in den Räumen um, wo er augenblidiih fi als
Alleinherrfcher fühlte. Schon wollte er mit den Schlüffeln, die
ihm in die Augen flachen, einen Verfuh madhen, als er den
ihlürfenden Tritt des Prinzipald auf der Diele hörte. Er blich
beshalb finnend und nadläffig an fein Pult gelehnt fliehen und
erwartete deſſen Eintritt.
Es ift fuperbe von Ihnen, junger Mann, ſprach Heidenfret,
feinen bequemen Comptoirſtuhl einnehmend und fein Pult auf:
ſchließend, daß Ste meiner Weifung fo pünftlih Folge leiſten.
Was th mit Ihnen zu fprehen habe, liegt ganz außerhalb ber
Beihäftsiphäre, dennoch greift es mittelbar in diefelbe ein. Ich
bemerfe nämlich feit einiger Zeit, daß Sie neben Ihrer Thätigfeit
ale Handelscorrefpondent fih auch andern Lieblingsbefchäftigungen
hingeben. Ich will das nun nicht gerade ſchlechthin tadeln, denn
die meilten Menfchen Haben ihr Steckenpferd, bitten aber möchte
ih Sie doch, der Nebenbefchäftigung nicht zu viel Zeit zu opfern
und vor Allem fie etwas mehr im Stillen zu betreiben. Gie
find ein Freund und Verehrer der fchönen Künſte, nicht wahr ?
Anton Stand nicht blos auf Kohlen, es kam ihm vor, als
flüge ein ganzes Meer von Flammen über ihm zufammen, und
es verging ihm in der erflidenden Gluthatmosphäre buchſtäblich
— 443 —
Hören und Sehen. Er antwortete etwas, aber er wußte im Augen-
blide nicht, was er fprad, da er feines Gedankens mächtig war.
Ruhig und freundlich wie zuvor fuhr Heidenfrei fort: Bes
fonders lieb fcheint Ihnen die Malerei zu fein und wirklih haben .
Sie, wie mih dünkt, ein ganz ſchätzenswerthes Talent für die
Bortrattmalerei. Sie treffen fuperbe, mein’ id.
Heidenfrei öffnete fein Pult und langte aus demfelben eine
Mappe hervor.
Wenn diefe Wederzeihnung, wie ih vermuthe, Ihnen ihre
Entftehung verdankt, ſprach er weiter, ein Blatt feines Papier der
Mappe entnehmend, ſo muß ich Sie wirklich loben, und Ihnen
wohl verdiente Schmeicheleien Ihres Talentes wegen ſagen. Die
Stirn meiner Tochter, die Art, den Kopf zu tragen, ihre Locken —
das Alles iſt Ihnen ganz ſuperbe gelungen. Aber ich bitte Sie
dringend, junger Mann, zeichnen Ste nicht zu piel und beſonders un-
terlaffen fie fünftighin die Kederproben auf Ihren Bapteren. Auch folfte
man mit einer wohlgeratbenen Arbeit behutfamer umgehen, als
Sie es thun. Es zeigt von wenig Achtung, mein Freund, eine
junge Dame erft zu portraitiren und dann ihr Portrait nachläffig
auf die Diele zu werfen. Ein Glück, daß ich es fand, und nicht
ein Anderer. Das würde Ihnen böfe Tage bereitet haben! Hier,
junger Herr, ftelle ih Ihnen Ihr Eigentum wieder zu. Bewah—
ren Sie es künftighin forgfältiger, lafien Sie aber nunmehr das
fernere Abmalen ein und deſſelben Gegenftandes bleiben, wenn id
bitten darf. Es bildet ein Talent fih in ber Stille, fagt unfer
Goethe, und ich glaube dies, Talent aber hat man doch erft dann,
namentlih als Dilettant in der Kunft des Portraitmaleng, wenn
man die Köpfe und Büſten verfhtedener Perfonen trifft. Ich em-
pfehle Ihnen der Uehung wegen fish jebt an die Portraits meines
Schwagers und Herrn Treufreund’8 zu wagen. Das find ein paar
juperbe Köpfe, die jedem Maler von Kalent In die Augen fallen
müffen. Meinen Sie nit?
Anton hielt dag Portrait Eliſabeth's in der Hand und beant⸗
— 444 —
wortete die letzte Frage des Rheders nur mit einem Blick, der eben
ſo gut Alles, wie gar nichts ſagen konnte.
Da Ihnen meine Tochter ſicherlich nicht geſeſſen hat, fuhr
Heidenfrei fort, verdient Ihre glückliche Auffaſſungsgabe doppeltes
Lob. Sie würden ſich im Nothfalle als Portraitmaler, glaub'
ich, durch die Welt ſchlagen können. Dennoch rath' ich, der
Kunſt nicht mit Leidenſchaft ſich hinzugeben. Sie pflegt launen—
haft und wie alle verlockende Schönheiten, treulos und unzuver—
läſſig zu ſein. Ein tüchtiger, ſolider, fleißiger Correſpondent,
der ſeine fünf Sinne immer beiſammen hat und nebenbei ſeine
Handſchrift nicht vernachläſſigt, iſt unter allen Umſtänden beſſer
daran, als der Künſtler, welcher buch die Kunſt fein Brod ver—
dienen ſoll. Uebrigens, junger Mann, können Sie von mir
überzeugt ſein, daß ich reinen Mund halten werde. Mancher
Andere wäre nicht fo discret. Guten Morgen!
Der Rheder drehte raſch den Schlüfjel feines Pultes um,
ftedte ihn zu fih, fand auf und ging nah der Thür. Hier
zeigte er dem zurüdbleibenden Anton nochmals fein intelligentes
Gefiht mit den großen, hellen Augen, neigte ein wenig den
Kopf und ging hinaus. Anton fhien ed, als Habe SHeidenfret
warnend den Finger gegen ihn erhoben, als er die Thür ins
Schloß drückte.
Der Zurüdbleibende betrachtete einige Minuten ſprachlos die
Thür und das Pult, wo der Rheder gejeilen hatte, dann warf
er einen flüchtigen Blick auf das Portrait und legte es behutſam
in fein Taſchenbuch. Darauf fuhr er fih mit der Hand durch's
Haar, Daß es fich genial aufrichtete, indem er ausrief:
Ein verzweifelt delicater Handel! — Was nun maden! —
Der Alte ſieht mehr, als er fi merken läßt, aber der Teufel
werde Mug aus feinen Gedanken, die er fo gefehlt, wie ein
Mädchen ihre wahren Gefühle, zu verfleden weiß! O, ih Gim⸗
pel, ih Dompfaffe, ich dreimal dummer, blinder Heffe !
Er ſchlug fih in komiſchem Aerger vor den Kopf, ftülpte
ben feinen Caſtorhut ſchief auf den Kopf, zog die goldene Uhr
— 445 —
und ließ fie vepetiren. Dann warf er nochmals einen langen
Did auf die bemalten Papterränder, riß fie zähneknirſchend ab
und verließ endlid mit dem halblauten Stoßfeufzer: „Mien Mober
fann ſwemmen!“ das Comptoir.
Bwölftes Kapitel.
Vor dem Sturme.
Die See ging hoch. Capitän Ohlſen ſaß vor ſeinem Jour⸗
nal und notirte die Abtfrift des Schiffes ſeit den letzten zwölf
Stunden. Die Bark „Marte Elifabeth”, von Melbourne fommend
und nach Hamburg beftimmt, fegelte ſechs bis fieben Knoten in der
Stunde. Sie befand fih Im Eingange des Kanals, hatte ungün=
ftigen aber ftarfen Wind, und mußte wiederholt über Stag gehen.
Als der Capitän die Breite berechnet und fein Journal in Ord—
nung gebracht hatte, Tieß er von dem Schiffsvolk ein zweites Reef
in die Marsfegel fchlagen, die Bram-Raaen nieder, das große
Segel und das Kreuzfegel einnehmen. Es war Mitte Yebruar
1825. Das Schiff hatte eine glüdliche Reife gemacht und faft
immer guten Wind gehabt. Erſt auf der Höhe vom Gap Xinis-
terre änderte fi) das Wetter, die Luft ward unruhig, der Himmel
umzog fi mit ſchwerem Gewölk, der Wind Lief Häufig um und
das Schiff trieb vielmals ab. Kapitän Ohlfen beobachtete fehr
genau, traf alle Vorkehrungen für einen bevorſtehenden Sturm und
führte fein Schiffs-Journal mit der peinlichiten Gewiſſenhaftigkeit.
Es gibt Sturm, Capitän, fagte Steuermann Paul, als ſämmt⸗
lihe Bramfegel eingezogen und die Stengen eingenommen worden
waren. Die Böden häufen fih, der Seegang wird immer höher.
Alle Anzeichen deuten auf Sturm, verjeßte der Gapitän, ich
denke aber doch, wir paffiren, ehe er losbricht, den Kanal. Im
der Nordjee halten wir ihn dann wohl aus.
— 446 —
Die Dermuthungen des erfahrenen Seemannes beftätigten ſich
vollfommen. Das Schiff hatte häufige, harte Windſtöße auszuhal-
ten, denen dann wieder milderes Wehen, verbunden mit hohem
Seegange, folgte. Die Mannfhaft mußte hart arbeiten, blieb aber
vor jedem Unfalle beſchützt. Die Bart machte Teine Havarte und
erreichte nad “fünf Tagen glüllich die Mündung des Kanals. In
ber Nordfee aber trat fchon nah zwölf Stunden bet dider Luft
ein fteifer Wind ein, der abwechfelnd aus Welt, Südweſtſüd, Welt-
ſüdweſt und Nordweit wehte, und in einer Entfernung von vierzig
Seemeilen von der Inſel Helgoland plöglih in einen vollen Welt-
fturm überging, welcher Die Bart wett abtrieb in der Richtung nad
der Küfte Jütlands. Nah beinahe vierundzwanzigſtündigem Wehen
ding der Wind mehr nördlich, ließ zur Fluthzett nach, wuchs wäh—
vend der Ebbe von Neuem und ging zur nächften Fluth in einen
wilden Orkan über. Nur. der großen Umfiht Capitän Ohlſen's,
ber fräftigen Führung des Steuerd und der Aufopferung und
Ausdauer fammtlicher Mannfchaft verbanfte das ſchwer gefährdete
Schiff feine Rettung. Es verlor jedod in dieſem böfen Wetter
mehrere Segel, zwei Mann wurden von Sturzfeen über Borb ge-
fpült, und im Augenblif der äußerſten Bedrängniß fah der Ca—
pitän fih fogar genöthigt, reinen Theil der Ladung über Bord wer-
fen zu laflen. |
‚Während dies auf der See gefhah, trug fih In dem Kreiſe
unferer Zreunde ebenfalls mancherlei Wichtiges zu. Die Eolont-
fattorispläne Hohenfels’ waren In fo weit geordnet und der prak—
tiſchen Ausführung um ein Beträdtliches näher gebracht worden,
als fie für eine ganz ausgetragene Idee gelten Eonnten. Man
wartete nur anf befieres Wetter, um ohne Säumen die Reife nad
Skid⸗Amerika anzutreten und das gedanklich Fertige in die Welt
des Sichtbaren treten zu laflen. Eine der liebſten Gedanfenfeelen
bes hochſtrebenden Auguſtin Hohenfels follte die edel geformtefte
körperliche Hülle erhalten.
| Aus früderen Mittheilungen wiffen wir, daß Hohenfels ſehr
enge Verbindungen mit bedeutenden Handelshäufern theils Amfter-
— 47 —
dam’s, theils Bremen's angefnüpft hatte. Urfprünglih war dies
zur Sicherung des Haufes Hetdenfrei gefchehen, da aber die Mit⸗
tel deffelben ſich vollfommen ausreichend erwiefen, benußte Hohens
feld den ihm gewährten Credit zur Verwirklichung feiner eigenen,
ihm ohnehin viel höher ſtehenden Pläne. Es bedurfte jegt nur
noch einer lebten perſönlichen Rückſprache mit verfchiedenen einfluß⸗
reihen Männern, deren Stimme auch jenſeits bes atlantiſchen Mees
res galt, und deshalb reifte Hohenfels, von Eduard begleitet, in
der zweiten Woche des Februar genannten Jahres nach Bremen,
damit hier ein letzter Abſchluß raſch erzielt werben möge. inige
Tage fpäter — fo hatte man verabredet — follte Miguel dem
Bater folgen, denn da feine Itegenden Gründe auf Cuba, die der
verftorbene Plantagenbefiger Saldanha ihm vererbt hatte, die Haupt-
flüge des Credites bildeten, deſſen fein Vater ſich jegt erfreute, fo
mußte der felbfiftändige junge Mann nothwendig bei der Abwi⸗
delung der ziemlich weitläufigen Angelegenheiten mit zugegen fein.
Die Leſer erinnern ſich ferner, daß Don Alonfo Gomez fei-
nen Wohnfip abermals in die Nähe des an Zerflreuungen ver-
ſchiedenſter Art fo reihen Hamburg verlegt hatte. Seine Woh⸗
nung war nicht glänzend, aber nett, fie lag freundlich, hatte Die
volle Ausfiht auf den Strom und bot, wenn er zu Haufe fid
aufhielt, was nicht gar häufig gefhah, genug Zerftreuung für
einen Mann, deffen ganzes Sinnen und Trachten nur auf Mans
nigfaltigfett des MBergnügend, auf Abwechfelung im Genufle ge—⸗
richtet war.
Im Befite beträcgtliher Summen fümmerte fi der leichte
blütige Merilaner um die Zukunft eben fo wenig, als um bie
Vergangenheit. Seine mißglüdten Pläne Iodten nur vorüberge⸗
hend einen Schatten des Mifvergnügens auf feine Stien, ben er
ſehr bald wieder verſcheuchte. Wozu fih auch um Berlorenes, um
faft Vergeffenes noch quälen! Gin Mann von Energie, von frie
ſcher Spannfraft des Geiſtes ringt und firebt nach etwas Neuem,
vorzüglich nad etwas Beflerem, wenn das Ziel eines ernften Un—
ternehmens ibm verloren ging. Der Verluſt macht ihn nicht änpfte
— 448 —
lich und träge, fondern regt ihn vielmehr an und gibt ihm grö⸗
fere Spannkraft. Don Alonfo Gomez mollte deshalb das Leben
von einer neuen Seite, die er bisher nur leiſe geftreift hatte,
jegt ganz ernithaft faſſen. Abhängig, gebunden modte er nicht
wieder fein. Behagte ihm ein engeres Band, fo ließ fich ein fol
ches, meinte er, zu jeder Stunde beliebig anknüpfen.
„ Bigsher war Don Gomez in allen feinen Genüſſen gewiſſerma⸗
fen als Gentleman aufgetreten. Er war ftets wähleriſch, fehr
ſchwer zu befriedigen und dabei erclufiv egoiſtiſch. Das langweilte
ihn ſchon ſeit Monaten, und deshalb entihloß er fih, eine Zeit-
lang den Mäcen Anderer zu fpielen, eine fürftlihe Großmuth zur
Schau zu tragen und ed an Glanz und Freigebigfeit wo möglid
einem indijhen Nabob glei zu thun.
Verſchwender finden immer Genoffen, ſei's für feine, noble
Vergnügungen, ſei's für grobe Genüſſe. Gold Iodt, Schimmer
verführt, und verbinden ſich beide mit Gleganz, mit vornehmen
Geſchmack, fo berrihen fie über Viele oder, was bafjelbe tft, Viele
laſſen fi ohne Widerftreben von ihnen beherrſchen.
Es konnte dem Mexikaner nicht fehwer werden, binnen went-
gen Wochen einen ganzen Schwarm Verehrer um fih zu fammeln,
die bei Lichte betrachtet ganz diefelbe Stelle einnahmen, wie bei
den alten Römern die Speicdhelleder und Schmeidhler der Bor:
nehmen. Die WMeiften Tachten über bie tolle Verwendung bes
reihen Fremdlings, der ein eigenthümlihes Vergnügen darin fand,
fi) in das Incognito eines indiſchen Fürften zu hüllen und das—
felbe beizubehalten, obwohl cher die Maske auf ten eriten Blid
durchfchaute und den hinlänglih bekannt gewordenen Mexikaner
fofort wieder erkannte. Nur einzelne fehr reiche Lebemänner, die
es vorzogen, ledigen Standes zu bleiben, fhloffen fih dem Schwarme
meiſtentheils jüngerer, ebenfalls unverheiratheter Männer an, welche
großentheild mit Don Alonfo Gomez tafelten und den fehr Luftt-
gen und höchſt zufriedenen Hofftaat deffelben bildeten.
Um mit diefen auserwählten Söhnen des Glückes recht häufig
verkehren und ganz ungenirt fi des Lebens erfreuen zu können,
— 49 —
miethete der Mertlaner ein trefflih eingerichtetes Landhaus fehr
nahe bet der Stadt, das etwas einfam lag, die Ausfiht auf den
Strom hatte und, da es tn einem abgefchloffenen Garten ſich be⸗
fand, gegen jeden Zudringlichen abgefchloffen werben konnte. Hier⸗
her verfügte fih Don Alonfo Gomez, je nachdem ed ihm bequem
war, bald zu Wagen, bald zu Pferde, da er fi ein gutes Reit-
pferd und außerdem einen eleganten, von zwei kleinen eſthländi—
fhen Pferden gezogenen Wagen angefchafft Hatte. Selten verging
eine Woche ohne mehrmalige Schmauferei im Haufe des. angebli«
hen Nabobs; ein et folgte dem andern und überbot bas andere.
Diefen Feten fehlte nur der Schmudf jedes wahren und fihönen
gefelligen Vergnügens, nämlich die Gegenwart anmuthiger, gebtlde-
ter Frauen. Don Gomez konnte, ungeachtet er das Gold um fih
heritreute, als befiße er, unerſchöpfliche Bergwerke dieſes edeln Me—
talles, doch nur Junggeſellenfeſte geben. Aber man amüſirte ſich,
er ſelbſt befand ſich wohl in den immer neu ſich geſtaltenden For⸗
men des begonnenen Lebens, und ſehnte ſich vorerſt nicht nad ei—
nem luſtigeren, ſeinem Geſchmack mehr zuſagenderen.
Verwandte Seelen finden ſich immer und überall, Der ver-
gnügungsfüdtige Merifaner ermittelte daher fehr bald jüngere und
ältere Herren, die entweder feine LXebensanfichten vollkommen theil-
ten oder fih aus eigennüßigen Beweggrünbden denfelben accommo=
dirten. Die Zahl feiner Verehrer wuchs von Woche zu Woche,
und da Alle nur das Vergnügen, die Freude als Lebenszweck be-
tradhteten, jo konnte e8 nicht an DVorfchlägen fehlen, diefe Freuden
möglichſt mannichfach zu geſtalten und ihnen die ſchillerndſte Hülle
überzuwerfen.
Zu den früheſten Genoſen des angeblichen Nabobs gehörte
auch Anton’s Freund Julius. Diefen Lebemann unterhielt bie
Tollheit des Merifaners mehr noch, als feine trefflich beſetzte Ta-
fel ihm behagte. Den Tafelfreuden mit Letdenfchaft ergeben, ge⸗
noß Julius diefe do nie tm Uebermaß. Er war unter den
Gourmands ein feiner Aefthetifer, und wenn je ein Menfch An-
ſpruch Hatte auf den Namen eines Feinſchmeckers, eines Künftlers
D. 2. XI, Willlonm’s Rheder und Matrofe. 29
— 450 —
im Genuffe matertelliter Lebensgüter, fo kam dieſer dem appetit-
reihen Julius zu.
Don Alonfo Gomez mußte fich zur Acquifitton dieſes alle Küchen
der Welt genau durchmuſternden Eßgenies gratultren, denn ſtets war
es Zultus, der neue Gerichte in Vorſchlag brachte, und der wohl
felbft einmal Hand anlegte oder dem Koche doch gute Rathſchläge
gab. Seinen gaftronomifchen Studten verdankten Don Gomez und
feine Freunde mande ſeltene Schüffel, die früher Keiner gekannt
hatte und die nun doch Allen trefflih munbete,
Don Julius ging denn auch die während eines trefflichen
Mahles entitandene Idee aus, gelegentlich unter Freunden ein Di⸗
ner zu arrangiven, wie ed nur in ähnlicher Weife die Römer zur
Zeit ihrer größten politifchen Macht und auf dem Gipfel feinfter
Cultur kannten. ‚Diefer Gedanke fand allgemeinen Beifall, nur
war er leider nicht in der Weife ausführbar, wie Zultus es wünfchte.
Die Acht römiſchen Schüffeln ließen ſich kaum bereiten, da zu biefen
im germanifchen Norden großentheild die erforberlihen Zuthaten
fehlten. Auch hätte man, um etwa das Gaftmahl nachzuahmen,
das Lucullus feinem Freunde Cicero gab, die römifhe Sitte, bei
Tafel liegend die Spetfen zu genießen, beibehalten müffen. Dazu
gehörte ein eigens eingerichtetes Mobiltar, man bedurfte ferner
dazu antifer Kleidung, Rofenfränge und anderer Dinge Dies
Alles zufammen in gediegenfter Weiſe herbeizufchaffen, würde un-
geheure Eummen erfordert haben, bie zu opfern felbft Don Go—
mez Anjtand nahm.
Sultus fand aber bald einen Mittelweg, dem Alle ihren Bei-
fall gaben. Er ſchlug vor, ein Gaftmahl zu geben, bei welchem
bie feinften, koſtbarſten und feltenften Schüffeln aus din Küchen
verfchtebener Nationen und verfchtedener Zeiten vorhanden fein ſoll⸗
ten. Die Zahl der Gänge feßte man auf einige zwanzig fefl.
Wie viele und weldhe Sorten Weine man genießen wollte, ließ
man unbeflimmt. Man kam nur überein, von allen habhaft zu
werdenden Weinen blos die feinften und theuerften angufcheffen,
451 —
damtt dann jeder Mitgenießende nach Belieben und Geſchmack ſelbſt
eine Auswahl treffen Eönne.
Don Alonfo Gomez war ganz entzüdt über diefen Vorfchlag.
Er verlangte, man folle die Sache fehr reiflih überlegen, um nichts
Uebereiltes zu thun, und damit der Genuß ein recht eigenthümli=
cher werde, verfprach er Alles aufzubieten, um eine Truppe [pani»
her Zänzerinnen, die zugleih Meifterinnen auf der Guitarre
feten, herbeizufhaffen. Die Zreunde waren auch damit zufrieden,
und fo fegte man einen Zeitraum von anderthalb Monaten feit,
um dies eigenthümliche Mahl würdig vorzubereiten und glänzend
auszuſtatten.
Die Koſten waren dem Voranſchlage nach ganz enorm, das
aber hinderte die übermüthigen Genüßlinge nicht an der Ausfüh—
rung. Man kam überein, daß jeder Einzelne, welcher daran Theil
nehmen werde, nur eine runde Summe von dreihundert Mark
beiſteuern ſolle, den Reſt verſprach Don Gomez großmüthig zu
decken. Gäſte, die man dazu einladen wollte, ſollten frei gehalten
werden. Denn war es auch Abſicht, dieſe außergewöhnliche Schwel⸗
gerei ganz in der Stille recht gemüthlich durchzugenießen, ſo hatte
man doch nebenbei nichts dagegen, wenn einige dunkle Gerüchte
darüber ſich im Publikum verbreiteten. Und dieſe konnten nur
von ſolchen ausgehen, welche, Zeugen bes Feſtes geweſen waren,
ohne deſſen Koſten zu theilen.
Da man Julius den meiſten Takt zutraute, fo erhielt dieſer
ben Auftrag, die zu ladenden Gäſte auszuwählen und biefelben
perfönlich oder brieflich einzuladen. Es warb aber feitgefeßt, daß
biefe Einladungen ſehr zeitig erlaffen werden follten, damit nicht
unndthige Ausgaben erwachfen möchten, wenn Einer oder der An-
dere fpäter beim göttlihen Mahle ausbliebe. Wer Theil daran
nehmen wollte, mußte feſt zufagen und dieſe Zufage fhriftlih an
Julius gelangen laſſen.
Dieſer nun glaubte dem ſchelmiſchen Anton einen Gefallen
zu erweiſen, wenn er ihn ebenfalls einlade. Er zögerte alſo nicht
und ſchrieb ſowohl an dieſen wie an deſſen Collegen, den ihm be—
29*
— 451 —-
freundeten jungen Buchhalter. Es überrafchte den fröhlichen Lebe-
mann, daß Anton nicht zu überreden war, dem ausgefuchteften
Schmaufe, an welchem jemals deutfche Zungen ſich gelekt, beizu-
wohnen. Anton Tief fi aber durchaus nicht beſtimmen, obwohl
er mit dem Grunde feiner Weigerung zurückhielt. Auf wieder:
holtes Drängen fagte er nur: Ich habe feinen andern, als eine
ganz entfchtedene Abneigung. Folgte ih Euch, gäbe ih Euerm
Zureden nad, fo fürdtete ih Unrecht zu thun. Mir iſt's, als
ahne mir Schlimmes, ald müfle mir, follte ich fo fchwelgerifch mit
Euch fpeifen, ein ſchreckliches Unglüd paffiren.
Gott bewahre! verfeßte darauf der muntere Julius. rei
tft der Menfh und frei follen auch feine Genüffe bleiben. Iß
du große Bohnen mit Speck — meines Onfels Lieblingsgericht
und auch wirklich einem marſchländiſchen Magen fehr zuträglih —
während wir uns an geröfteten Taubenzungen den Appetit ſchärfen
wollen.
Damit war die Sache erledigt. Der Buchhalter dagegen
fagte zu, gab bie verlangte ſchriftliche Erklärung ab und erhielt
drei Wochen fpäter eine höchſt fplendid gebrudte Karte, auf ber
fein Name in Goldfchrift prangte und als Tag „des Mahles ber
jungen Götter”, wie es hieß, der zwei und zwanzigftie Februar
beftimmt war.
Das tft ein böſes Omen, fprad Anton, als ihm der Bud-
halter ‚die erhaltene Karte mit triumphirendem Lächeln zeigte. Wäre
ih am zwei und zwanzigſten Februar geboren, ich glaube, ich hätte
mid dann ſchon felbft erwürgt.
Sind Site unflug? erwiderte der Buchhalter, Die Karte zu
ſich ſteckend. Seit wann hängen Ste fih denn mit beiden Hän-
ben an den Schnack alter abergläubifher Weiber ?
Meine Mutter konnte den Tag nicht leiden, weil fie als ganz
junge Frau mit dem Schlitten an demfelben umgeworfen ward.
Aber ich denke, Ihre Frau Mutter kann fchwimmen ?
Wollen Ste gleih — aber was geht ed mich an, verfehte
ſcheinbar gleichgiltig Anton. Ste wollen nun einmal mit Gewalt
— 453 —
in Ihr Unglüd rennen. Alſo geben Sie immerhin, überladen Sie
fi bei unfinniger Schwelgeret den Magen, friegen Ste Krämpfe,
plaben Ste meinethalb, ich will gerade an dieſem vermalebeiten
Tage nur Thee trinken und dazu nichts wetter als ein einfaches
Hamburger Butterbrod genießen. Ha, wie will ih dann lachen,
wenn Ste kaum noch taumeln und kriechen können, während td
mit Leichtigkett fhmimme und durd die Lüfte fegle! Viel Glück
und großen Hunger zum herrlichiten zwei und zwanzigſten Fe—
bruar!
Dreizehntes Rapitel.
Das Mahl der jungen Götter.
Heute Mittag oder In nächſter Nacht gibt es Hochmwafler, ſprach
Jacob zu feiner Frau, die für ihre Tochter Leinwand abmaß.
Ich glaube, wir thun gut, wenn wir bet Zeiten unfere Kartoffeln -
aus dem Keller auf die Diele fchaffen. Sie find vergangenes
Fahr fo vorzüglich gerathen, daß ich fie ungern Im Wafler ver-
erben fehe. Aber was fpreche ich da für dummes Zeug, unter=
brach er ſich. Du lahmſt ja und kannſt die Treppen ſchwer ftei-
gen. Bleib’ fiten, Lieb’ Doris, und ſchneide frifh drauf [os in
die prächtige Leinwand hinein. Herrn Hetdenfrei kommt es auf
ein Stück mehr nicht an. Die feinfte aber Liefere ich noch nad.
Es it Holländische ausgefuchte Waare, die Miguel felber beftellt
hat. Kapitän van. Tolten bringt fie mit birect von Amfterdam,
Seine Tjalk Tiegt fhon in Cuxhaven. Kommt vielleicht heute Nacht
noch auf, wenn’s Wetter nicht zu bös wird,
Das bezweifle ich, erwiderte die fleißig meſſende und zufchneis-
dende Frau, Capitän van Tolten ift ein gar vorfihtiger Mann,
— 454 —
der ſich mit ſeinem Schiff nicht in Gefahr begibt. Weht es denn
ſo ſehr ſtark? Ich hab's noch gar nicht bemerkt.
Ste ſah hinaus nach dem Binnenhafen, wo wie immer zahl⸗
reiche Schuten, Ewer und andere kleine Fahrzeuge lagen und auf
dem ſtark bewegten Waſſer tanzten. Der Himmel war dicht mit
Wolken überzogen, die tief herabhingen, alle Thürme verhüllten
und ſelbſt die höchſten Giebel der Häuſer ſtreiften.
Der Wind iſt zu viel weſtlich, um ſich jetzt ſchon hörbar zu
machen, verſetzte Jacob, aber gleichviel, Hochwaſſer gibt es doch, und
darum will ich jetzt gleich ein Bischen im Hauſe aufpacken. Die
beiden Knechte können mir helfen.
Der Quartiersmann ſagte feiner Frau Adieu und war bald
in voller Arbeit. Auch die Nachbarn trafen Anftalt, dem Ein-
dringen bes Waflers diejenigen Gegenftände zu entrüden, die burd
Näffe befchädigt werden konnten. Alle freilich waren nicht jo glüd-
lich, dies möglih zu machen, denn überfiteg das Wafler die ges
wöhnliche Fluthhöhe nur um einige Buß, fo drang es in die tief
gelegenen Wohnteller und umſpülte Braudbares und Unbraudyba=
red. Weil aber Jedermann an foldhe Galamitäten gewöhnt war
und weil fie fih häufig wiederholten, fügten fih die Meiſten
mit Refignation in das Unabwendbare und fudten nur bie beffe-
ren Geräthe und werthuolleren Gegenftände ihrer Wohnungen für
bie Dauer der Hochfluth bei glüdlicher Logirenden Freunden und
Belannten unterzubringen. _
Treufreund ftand auf der Laube und biidte hinab auf ben
Fleeth, wo Jacob fo eben mit feiner Schute anlegte.
Wird die Fluth hochſteigen? fragte er den Quartiersmann.
Falls fie mehr als dreizehn Fuß erreicht, mußt du fogleich mit ein
paar Leuten in den Weinkeller.
Meiner Anfiht nach haben wir um Mittag dreizehn bis vier⸗
zehn Fuß Wafler, erwiderte der Quartiersmann. Go iſt deshalb,
denk' ich, am gerathenften, wir bringen den Wein zuvor in Si⸗
cherheit.
— 455 —
Dann eile, Jacob, Herr Heldenfret ober fein Sohn wird
gleich mitgehen. Ich jage ihnen Beſcheid.
Der „Schatten warf noch einen flüchtigen Blick auf die
gelbgrauen plätjchernden Wellen, die an den Vorfegen leckten, fah
nah dem gegenüberliegenden Speichergiebel, der ein bemaftetes
Schiff mit Segeln als Wetterfahne trug und fagte, fih umkehrend
und fein halbkahles Haupt bedenklich fehüttelnd: Weſtweſt zu
Nordwehtnord! Wir haben Vollmond, fünfzehn Fuß kann's am
Ende wohl geben; dann fahren wir bei St. Katharin auf Kähr
nen, oder bauen Brüden durch's Wafler oder wir Laffen uns auch
tragen. Es wird viel Umfag in guten Vierſchillingsſtücken geben.
Wie gut, dag Yan Blaufint,*) der Satansjunge, in der franzd=
fifden Zeit uns verloren gegangen tft! Als ich noch jung war,
hat er mich dreimal vom Belfchlage hinunter in's Wafler gerem-
pelt. Und doch iſt's auch wieder Schade um den fchmuden, ächt
hamburger Jungen, der allen Wig, allen Humor, alle Derbheit
unferes guten Volkes in ſich vereinigte=und von Allen geliebt war,
wenn auch Alle, befonders Frauen und Mädchen, ihn fürchteten.
Ein paar Species von diefem Jahr, ja felber ein paar vollwich-
tige hamburger Ducaten gäbe ich drum, könnte ich die luſtige Be—
gleitung des ausgelaffenen, tolldreiften Bengels nod einmal fingen
hören: „da kamt wi mit Jan Blaufint her!”
Treufreund verſchwand auf der Diele, verfügte fich fofort in’s
Comptoir und berichtete dem Rheder, was er von Jacob in Be
zug auf das zu erwartende Hochwafler gehört Hatte. Er beſchloß
feinen Beriht mit genauer Angabe der Windrichtung, um anzu=
deuten, daß der Quartiersmann wohl ein ſehr richtiges Urtheil ge=
fallt haben könne. Heidenfrei dankte, verfchloß fein Portefeuille
in's Pult und verließ feinen Plap.
*) In früheren Jahren der Repräfentant der hamburgiſchen Straßenfchel-
meret, Seinen Namen führte er von ber blauen Karbe feines Geſichtes. Gr
war der Urtypus bes hamburgifchen Gamin, verſchwand aber während ber franz
zöjifhen Occupation und iſt fpäter nicht wieder erfchtenen, vielleicht, weil dem
hamburger Volle während dieſer Leidenszeit der Humor ſtark abhanden kam,
— 456 —
Zwiihen Anton und dem Pulte des Buchhalters blieb Treu⸗
freund einige Augenblide fiehen. Er ſchien unſchlüſſig zu fein,
welchen von beiden er zuerjt mit einer Anrede beehren follte. End⸗
Tich wandte er fih an den Gorrefpondenten, indem er ihm fanft
auf die Schulter klopfte und kopfnickend fagte:
Gefällt mir fehr gut, lieber Freund, wirklich fehr gut! Zeugt
von gefehtem Wefen, von gefunden Anfichten, von gründlicher So—
lidität. Die Handſchrift weift es auch aus — da tft Alles wie-
ber gemeflen, fell, egal. Man freut fih beim Erblicken einer
ſolchen ſoliden Handſchrift. Ste wiffen, ich werbe nie perſönlich,
aber das muß ih Ihnen doch fagen, befler als in den letzten
Wochen haben Ste mir nie gefallen.
| Anton fah den lebenden „Satin? mit einem merkwürbig
ſchlauen Blide an.
Wiſſen Ste, woher das kommt? fagte er.
Don Ihrem gefunden Urtheil.
Nein, Herr Treufreund, erwiderte Anton, Mein Kopf hier
allein hätte das nit zu Stande gebracht. Er deutete mit ter
Fahne feiner Feder rückwärts. Der dort vorne, der Alte hat's ge-
than und — meine Portraitmalerei. Sp iſt's, auf Parole —
mien Moder —
Treufreund drehte fih wie ein Kreifel auf den Haden um,
weil ihm dies Wort des Gorrefpondenten gar zu verhaßt war.
Er trat neben das Pult des Buchhalters,
Haben Sie fhon wieder über nichts zu kichern? ſprach er. —
Bei Ihnen hängt der Himmel doch ewig voller Geigen, es mag
ftürmen, regnen oder die Sonne feinen. Wie tft das möglich!
Weil ih mein? Sad’ auf Nichts geftellt, erwiderte halb fin-
gend der heitere Buchhalter, und weil ich heute Iuftiger und beſſer
leben will, als alle Rheder und Fürſten Deutfchlande zufammen-
genommen,
Sp, fagte Treufreund. Ste wollen alſo wirklich die Thors
heit mitmachen?
3a, ich will efien und trinken, wie kein König auf Erden
— 457 —
in unferer fparfam Iebenden Zeit zu efjen und zu trinken pflegt.
Morgen will ih Ihnen die Speiſekarte vorlefen und da mögen
Site vor Sehnfuht die Lippen leden.
‚Erfäufen Sie fih nur nit, fagte der „Schatten“.
Im Wein oder im Waſſer?
Und bleiben Sie denkender und prüfender Menſch unter einer
Herde Schlemmer!
Danke für freundlichen Rath, ſprach der Buchhalter. Haben
Sie ſonſt noch 'was zu beſtellen? Ih gehe mich ankleiden.
Schon?
Nun, ich dädte, es wäre hohe Zeit. Um drei Uhr ſollen
wir verſammelt fein. Glock ſechs beginnt die Tafel. Drei Stun⸗
den Erholung, um an ſolcher Tafel würdig zu erſcheinen, däucht
mir nicht zu viel. Ich werde Ihrer gedenken und auf Ihr Wohl⸗
fein ein Glas leeren, wenn mir's am Beſten fchmedt.
Treufreund ſaß ſchon wieder an feinem Pulte und machte
ein fo ftarfes Geräuſch mit Papter, Lineal und Papterfeheere, daß
ihm die legten Worte des Buchhalter unverfiändlich blieben, der
jetzt Anton noch etwas leiſe zuflüfterte, dann ſowohl dieſen wie
ein paar andere Collegen grüßte und fortging, um Toilette zu
maden. —
Mider Erwarten trat fein Hochwaſſer ein, fo daß viele Kel-
ferbewohner ihre fhon in Sicherheit gebrachten Mobilten und Bor-
räthe während der Ebbe wieder an ihre gewöhnliche Stelle jchaff-
ten, Heidenfrei bereute es beinahe, fein Weinlager geftört zu ha⸗
ben, Ferdinand jedoch war froh, daß man die ziemlich anfjehn-
lihen Borräthe ficherer untergebracht hatte und meinte, was heute
nicht erfolgt fet, könne jeden nächſten Tag eintreten,
Am Unzufriedenften mit dem Ausbleiben des Hochwaſſers
war die Straßenjugend. Sie hatte den Anzeichen nah auf ein
erffeciliches Steigen ſich Hoffnung gemacht und danach ihre Maß
regeln ergriffen. Nun blieb das Wafler aus, keine Straße wurde
überſchwemmt, kein Keller füllte fih, es gab nirgends Gelegens
heit für ausgelafjene Jungen, Unfug zu treiben, Andere zu fop«
— 458 —
pen, fich gegenfeitig von den Betfchlägen Ind Waller zu werfen
oder zu drängen.
Don den Erfahrenen wunderten fi Diele Über das auffal-
lende Ausbleiben der Hochfluth. Der Wind hatte fih allerdings
gelegt, er war aber mehr nördlich gelaufen und trieb nun bie
Waſſermaſſen der Norbfee gerade in die Mündung ber Elbe.
Deshalb hatte Die Annahme derer, welche für bie nächſte Fluth—
zeit ein höheres Auflaufen des Waſſers vermutheten, etwas für
fi) und trug dazu bei, Einzelne wachſam zu maden.
Inzwiſchen verfammelten fich die Freunde, Anhänger und
Schmeichler des Mexikaners auf deſſen abgeſchieden gelegenen Land⸗
hauſe. Er ſelbſt war zugleich mit ſeinem Diener zu Pferde aus
Blankeneſe daſelbſt angekommen und empfing ſeine Gäſte mit der
herablaſſenden Zuvorkommenheit und chevaleresken Höfſlichkeit eines
vollendet vornehmen Mannes. Treu ſeiner Rolle, die er ſeit ſei⸗
ner Rückkehr in die Nähe der Weltſtadt ſpielte, trug er indiſche
Kleidung. Hätte er ſich gleich zuerſt in ſolchem Coſtüme der großen
Welt gezeigt und wäre er als der Prinz irgend eines obſcuren
indiſchen Fürſten der Geſellſchaft vorgeſtellt worden, wer weiß, ob
er als ſolcher nicht eine Menge Eroberungen gemacht hätte! Ob—
wohl Spuren eines ohne Unterbrechung nur dem raſcheſten Genuſſe
geweihten Lebens ſeinen Zügen eingedrückt waren, konnte Don
Alonſo Gomez doch immer noch für einen auffallend ſchönen und,
was vielleicht noch mehr war, unbedingt für einen intereſſanten
Mann gelten. Sein dunkler Teint gewann an Glanz und Farbe
durch die ſchimmernd weiße Gewandung, in die er ſich hüllte, und
die er mit dem vollendetſten Anſtande trug. Gr bewegte ſich leicht
und grazids darin und befaß Takt genug, nicht theatralifch aufzu⸗
treten. Wer ihn nicht früher gekannt hatte, mußte von ihm ge⸗
täufcht werden.
Auf Anrathen einiger greunde war der nicht fehr große Ge⸗
ſellſchaftsraum, wo das fhwelgerifhe Mahl eingenommen merben
follte, in ein feenhaft fchlmmerndes Zelt aus Gaze verwandelt
worden. Bunte Laternen, die nur den Schimmer heil brennender
— 459 —
Lichter, nicht den blendenden Schein der Flamme durdließen, ſchweb⸗
ten von ber Höhe diefes Zelthimmels herab. in Eöltlihes Arom .
durchduftete das Gemach, deſſen Temperatur weder zu warm, noch
zu kalt war.
Die Tafel war reich geſchmückt, nicht aber überladen. Alles
Geſchirr war einfach, aber gebiegen, bie Tafelaufläge geſchmackvoll
und in fommetrifher Ordnung aufgeftelt.e An ber einen Seite
bildete das Zelt eine Thür, die ein Vorhang ſchloß. Wollte diefer
zurüd, fo ſah man eine anmuthige Landihaft in fonnigen Duft
getaucht. Springbrunnen raufchten und eine angenehme Kühlung
ftrömte von dem riefelnden Waſſer in das Zelt. Alles Iud zum
Genuſſe, zu unbedingter Hingabe an bie Freude ein.
Zulius fand diefe Anordnungen vortrefflih und war mit ſei⸗
nen Lobfprüden gegen Don Gomez nicht zurüdhaltend.
Jh wette, außer und paar Glücklichen tafelt Heute Niemand
in ganz Deutſchland in ſolch Föftlichen Räumlichkeiten, mit ſolchem
Geſchmack und fo ganz unverborbenem Appetit, fprah er. Ich
wünfchte, meinen Onfel aus der Marſch hieher zaubern zu Tünnen,
nur, damit er fähe, dag man wirklih auch außerhalb der Marſch
‚zu leben verfteht, was er mit einer Hartnäckigkeit beftreitet, die
jeden vernünftigen Menfchen zur Verzweiflung bringen kann. Er⸗
fahren fol er's wenigfiens, wenn Ih auch eine ſchreckliche Straf-
predigt dafür anhören muß. Derfpielt er Sonnabends in feinem
Bauernclubb ein paar hundert Species im Tridtrad, wenn ihm
ber Sinn gerade danach fteht, "fo Tann Ih mid für den vierten
oder fünften Theil diefer Summe doch wohl aud einmal anflän-
big fatt effen. — Ah, unterbrach er ſich, in die Wohlgerüche In⸗
diens miſchen fich jetzt die noch beflechenderen würzigen Düfte einer
civilifirten europätfchen Küche!
In der von Fünftlichen fliegenden Sonnenftrahlen bald heil
beglänzten, bald von vorüberetlenden Wolken befrhatteten Land⸗
Haft ertönte Muſik frembartiger Inftrumente. Es ſchienen java-
nifhe Gamelans tarunter zu fen, die indeß nicht unangenehm
klangen. Diefe Klänge rauſchten aber ſchnell vorüber, es trat eine
— 460 —
furze Baufe ein, und fernher vernahm man Sattenfptel, das ſchnell
näher fam und mit dem Geflapper gefhidt gehandhabter Caſtag⸗
netten abwechfelte.
Don Alonio Gomez gab em Zeichen mit der Hand. Die
Landſchaft verfhwand, eine ſchimmernde, phantafttich erleuchtete Fel-
fengrotte wölbte ſich vor dem geöffneten Zelt, aus deren dunklem
Hintergrunde eine Gruppe junger, fhöner Zigeunermäbden, diefe
Gaftagnetten fhlagend, jene Tambourins fehwingend, unter origt-
nellen, feflelnden Tanzbewegungen gegen das Zelt heranfchwebte.
Die Säfte des Merifaners brachen in ein lautes Bravo aus.
Meine Freunde, fprah Don Gomez, wir find in Granada.
Ste befinden fi) im Thale des RXenil unterhalb der Alhambra,
wo meine Ahnen nad Vertreibung der Mauren einige Zeit ge-
wohnt und viele herrliche Liebesabenteuer erlebt haben follen. Es
fieht die wenigftens in meinen Familienpapieren, und da meine
Ahnen fehr zuverläffige Leute, und, wie ihre fpäteren Schickſale
nachweifen, auch Außerft glüdliche Eroberer waren, fo ſchenke ich
biefen Weberlieferungen vollen Glauben. Laffen Sie ung jebt bei
dem anmuthigen Tanz diefer anmuthigen Schönen, die wirklid
Andalufien ihr Vaterland nennen, unfere freundfchaftlihen Tafel:
freuden beginnen. Mein Diener Papageno tjt von mir zum Ta—
felmeifter ernannt worden, Er wird bei Verluſt feiner ehrenvol-
ien Stellung dafür forgen, daß feine Unordnung in ber Reihen-
folge der Genüffe vorkommt, bei denen wir uns des Xebens freuen
wollen.
Indiſch gekleidete Diener traten ein und das Mahl, dem
alle Geladenen erwartungsvoll entgegenharrten, begann. Zuerſt wurden
jedem Gaſte feine Porzellanteller mit chinefifcher Malerei vorgeſetzt, die
mit Acht chinefifch zubereitetem Salat gefüllt waren, Dieſes En-
tree, beftimmt, den Appetit zu reizen, beſtand aus gehadten Hum—
mern, fein gefehnittenem Schinken, chinefifcher Wurft und Froſch⸗
feulen. Damit die Geladenen dies ausgefucht feine Gericht ſich
nicht duch Berührung mit Metallgabeln verderben möchten, em⸗
pfing jeder berfelben zwei zierliche Glfenbeinftäbchen, mitteljt de⸗
— 461 —
nen die Delikateffe genoffen ward. Sie mundete allgemein, obs
wohl Einige vielleicht eine mehr europätfche Speife vorgezogen hät⸗
ten. Julius, der als hocdgebildeter Gaftronom Alles erprobte und
nichts ohne Grund verwarf, fand den Salat unübertrefflic und
benugte die günftige Gelegenheit, um einige praktiſche Bemerkun-
gen Über die Art und Weiſe, Speifen zum Munde zu führen,
daran zu knüpfen.
Wir jept lebenden Europäer rühmen uns, fprach er, in ber’
Gultur alle Völker der übrigen bewohnten Erde zu übertreffen.
Im Allgemeinen mag ed fih aud fo verhalten, im Einzelnen jes
doch können wir von Nichteuropäern noch manderlei lernen. Da
haben wir 3. B. den fatalen Gebrauch allermärts angenommen,
beim Eſſen ung metallener Meſſer und Gabeln zu bedienen, Diefe
Sitte ift meines Wiſſens erſt einige Jahrhunderte alt und td
mag fie durchaus nicht ganz abgeihafft wiſſen. Aber wozu gerabe
Gabeln und Mefler aus Stahl? Für die Zunge eines fein orga=
nifirten Menfchen gibt es nichts Widerwärtigeres, als der fäuer-
liche Gefhmad des Stahles, der fih jeder von ihm berührten
Speiſe mittheilt. Mir iſt's immer, als fühlte ich den ſchwachen
Schlag eines Zitteraales meine Nerven durchzucken. Silber wäre
fhon mehr zu empfehlen, leider aber tft es zu theuer. Gbenfo
iſt es mit Elfenbein, obwohl elfenbeinerne ſchön gefchnikte Beſtecke
ganz reizend ausſehen. Man müßte aljo zum gewöhnlichen groben
Horne feine Zuflucht nehmen, was ich nicht bevorworten will, wetl
es fein geruchlofes Horn gibt. Es bleibt alfo nichts übrig als
Holz, und da finde ih das Buchsbaumholz ganz gut verwendbar.
Die Chinefen, von uns gewöhnlich verachtet, und uns doch fo
merkwürdig verwandt, nicht blos als Verehrer der Zöpfe, die un-
jere Aeltern ihrer Zeit ebenfalls mit hohem Unftande zu tragen
verftanden, fondern durch thre Vorliebe für Veraltetes, für durch
das Alter lieb Gewordenes, find ungleich klüger als wir und be—
urfunden ſich ſchon dadurch, daß fie bie barbartihe Sitte des Ge-
brauchs von Mefjer und Gabel nicht in's himmliſche Reich einge-
laflen haben, als viel edler organifirte, in feinerem Nerpenäther
— 461 —
lebende Raturen als wir. Auch Griechen und Römer verflanben
etwas von der Kunft des Genuſſes, es tft Ihnen aber niemals in
den Sinn gekommen, ein zartes Gemüfe oder eine köſtliche Sauce
mit Metall zu berühren.
Aßen fie wirklich mit den Zingern? fragte ein nicht mehr
ganz junger Mann, ber fih durd die Weinröthe feines Gefichtes
auszeichnete, und jedenfalls mehr wohlgefüllte Flaſchen auf Borte
"geftellt, als Bücher von folchen herabgenommen hatte Wenn fie
es gethan haben, muß es nit allzu fauber anzufehen geweien fein.
Ste thaten’s wirflih, die Bedauernswerthen, Herr Glud, er-
widerte Julius, und ih finde es keineswegs lobenswerth, wenn
man aber lieſ't, wie fie e6 gemacht haben, fo wandelt einem doch
bisweilen die Luft an, ihre Xafelfreuden zu theifen.
Auf einen Wink des Hausherren ſchloß ſich der Zeltvorhang
geräufchlos, die Tamburtn- und Gaftagnettenmufit verfiummte, bie
Tänzer zogen fih zurüd. Bon den eintretenden Dienern wurde
jept Schildfrötenfuppe und Suppe von ächten indianiſchen Vogel⸗
neſtern herumgereicht.
Sie haben freie Auswahl, meine Herren, ſagte Don Alonſo
Gomez. Was mid betrifft, fo Halte ih mich an dieſe, tin Bonillon⸗
GSröme aufgeldften, Vogelneſter. Etwas Toffpielig find biefe klei⸗
nen delicaten Dinger, denn jedes einzelne Toftet — nun was mel-
nen Sie?
Hoffentlih erhält man ein paar Dupend zu billigerem Bretfe,
als wenn man nur einige wenige Tauft, fagte ein im Rechnen ge
übter Gaſt.
Das mag möglih fein, fuhr- der Mexikaner fort, ich habe
jedoch, offen geftanden, nicht danach gefragt, ja nicht einmal ge-
feilſcht, um nur das DBefte zu befommen. Ich ließ fie mir direct
aus London ſchicken, wo ih das Stück mit einer halben Guinee
bezahlte. Defto beſſer ſchmecken fie und ich muß meinem Koch bas
Zeugniß geben, bag er pie Zubereitung verfteht.
Bei Ceres, Bachus und allen Göttern, die für bes Leibes
Wohl und Ernährung forgen, ſprach ein wohlbeleibter Kornmaller,
— 463 —
babet Tiefe fih ein ganz einträgliches Gefchäft machen, wenn
man nur pünktlih zahlende Abnehmer dafür fände! Morgen ſchon
werde ich deshalb ‘an meinen Gorrefpondenten in St. Petersburg
ſchreiben. Die Herren Ruffen haben viel Geld, find fplendiver als
die Engländer, und mögen in threm ſataniſchen Clima verteufelt
gern vecht gut eſſen und trinken.
Bon den Aufwärtern waren Weine aus Cypern und Samos,
weißer Wein von Iſchia, dry Madeira und rother und weißer
Portwein zu beltebiger Auswahl herumgereicht worden. Während
die Gäfte die Blume derfelben erprobten und fehr kluge Bemer⸗
tungen über Weinbau und Weingenuß daran Tnüpften, warb bie
Zeltthür wieder von unfichtbaren Händen geöffnet und ein mauri⸗
fher Saal mit wunderbaren Arabesten verziert, zeigte fih den
Erftaunten. Junge, verführerifch gekleidete, maurtfhe Mädchen
traten ein und führten einen malerifhen, altmaurlihen Reigen
auf. Als diefer beendigt war und das Zelt fih wieder ſchloß,
begann das eigentliche Feſtmahl.
Der nähfte Bang, weldher hohe Befriedigung gewährte, be⸗
ftand aus vier verſchiedenen Schüſſeln. Es gab nämlich mit aus-
eriefenen feinen Kräutern gefüllte Wachteln, gedämpfte Enten-
- füße mit gefänittenen Taubeneiern, zu denen als Gemüfe grüne
Erbſen und Bohnen fich gefellten. Diefen fchloffen fih Paſtetchen
& la Reine und gekochte Hühner mit einer Sauce aus jungen
Schößlingen der Bambuspflanze an.
Sultus that fein Möglichites, um von allen Schüfleln zu
foften. Er fand jede einzelne tadellos, Iobte aber vor Allem den
eigenthümlich zarten Geſchmack der Bambusſchößlinge. Ich Habe
fhon früher davon gehört, fagte er, in China fehlt diefe Schüffel
nie bei einem gut geordneten Gaſtmahle. Schade, daß der Bam⸗
bus in unferm barbarifhen Glima nicht gebeiht. Die Gewächt-
häufer laſſen fi leider nur ein- bis zweimal im Jahre plündern,
und auch dann find es doch immer nur Schößlinge von Treib-
hauspflanzen. Ach Gott ja, ſchloß er feufzend feinen Sermon,
in der Bibel iſt es freilich zu Iefen, daß Bott der Herr, als er
— 452 —-
freundeten jungen Buchhalter. Es überraſchte den fröhlichen Lebe—
mann, daß Anton nicht zu überreden war, dem ausgeſuchteſten
Schmauſe, an welchem jemals deutſche Zungen ſich geletzt, beizu-
wohnen. Anton ließ ſich aber durchaus nicht beſtimmen, obwohl
er mit dem Grunde feiner Weigerung zurückhielt. Auf wieder⸗
holtes Drängen fagte er nur: Ich habe feinen andern, als eine
ganz entihiedene Abneigung. Bolgte ih Euch, gäbe ih Euerm
Zureden nah, fo fürdtete ih Unrecht zu thun. Mir iſt's, als
ahne mir Schlimmes, als müſſe mir, follte ich fo fehmelgerifch mit
Euch fpeifen, ein fchredliches Unglüd pafliren.
Gott bewahre! verfegte darauf der muntere Julius. Frei
tft der Menfh und frei follen auch feine Genüffe bleiben. Iß
bu große Bohnen mit Speck — meines Onkels Lieblingsgericht
und au wirklich einem marfhländifhen Magen fehr zuträglih —
während wir und an geröjteten Taubenzungen den Appetit ſchärfen
wollen.
Damit war die Sache erledigt. Der Buchhalter dagegen
fagte zu, gab die verlangte fehriftliche Erklärung ab und erhielt
drei Wochen fpäter eine höchſt fplendid gedrudte Karte, auf ber
fein Name tn Goldfhrift prangte und ald Tag „des Mahles der
jungen Götter”, wie es hieß, der zwei und zwanzigſte Februar
beitimmt war.
Das tft ein böſes Omen, fprad Anton, als ihm der Bud;-
halter ‚die erhaltene Karte mit triumphirendem Lächeln zeigte. Wäre
ih am zwei und zwanzigften Februar geboren, ich glaube, ich hätte
mich dann ſchon felbft erwürgt.
Sind Sie unklug? erwiderte der Buchhalter, die Karte zu
fich fieddend. Seit wann hängen Ste fih denn mit beiden Hän-
den an den Schnack alter abergläubifcher Weiber ?
Meine Mutter Tonnte den Tag nicht leiden, weil fie als ganz
junge Frau mit dem Schlitten an demjelben umgeworfen ward.
Aber ich denke, Ihre Frau Mutter fann ſchwimmen?
Wollen Sie gleih — aber was gebt e8 mich an, verfeßte
ſcheinbar gletchgiltig Anton. Sie wollen nun einmal mit Gewalt
— 453 —
in Ihr Unglüf rennen. Alſo gehen Ste immerhin, überladen Sie
fi) bet unfinntger Schwelgeret den Magen, Triegen Ste Krämpfe,
platzen Ste meinethalb, ich will gerade an dieſem vermaledeiten
Tage nur Thee trinken und dazu nichts weiter als ein einfaches
Hamburger Butterbrod genießen. Sa, wie will ih dann lachen,
wenn Ste kaum noch taumeln und riechen können, während ich
mit Leichtigkeit fhwimme und burd die Lüfte fegle! Viel Glück
und großen Hunger zum herrlichiten zwei und zmwanzigiten Fe—
bruar!
Dreizehntes Kapitel.
— —
Das Mahl der jungen Götter.
Heute Mittag oder In nächſter Nacht gibt es Hochwaſſer, ſprach
Jacob zu feiner Frau, die für ihre Tochter Leinwand abmaß.
Ich glaube, wir thun gut, wenn wir bei Zeiten unfere Kartoffeln °
aus dem Keller auf die Diele fchaffen. Ste find vergangenes
Jahr fo vorzüglich gerathen, daß ich fie ungern im Wafler ver-
berben fehe. Aber was fprehe ich da für dummes Zeug, unter-
brach er ſich. Du lahmſt ja und kannſt die Treppen ſchwer ſtei—
gen. Bleib’ fiten, lieb’ Doris, und ſchneide frifh drauf los in
bie prächtige Leinwand hinein, Herrn Heidenfrei kommt es auf
ein Stüf mehr nicht an. Die feinfte aber Tiefere ich noch nad.
Es iſt Holländifhe ausgefuchte Waare, die Miguel felber beftellt
hat. Kapitän van. Tolten bringt fie mit direct von Amiterdam,
Seine Tjalk liegt fhon in Cuxhaven. Kommt vielleicht heute Nacht
noch auf, wenn's Wetter nicht zu bös wird.
Das bezweifle ich, erwiderte die fleißig meſſende und zuſchnei—
dende Frau, Gapitän van Tolten iſt ein gar vorfihtiger Mann,
— 454 —
der ſich mit ſeinem Schiff nicht in Gefahr begibt. Weht es denn
ſo ſehr ſtark? Ich hab's noch gar nicht bemerkt.
Sie ſah hinaus nach dem Binnenhafen, wo wie immer zahl⸗
reiche Schuten, Ewer und andere kleine Fahrzeuge lagen und auf
dem ſtark bewegten Waſſer tanzten. Der Himmel war dicht mit
Wolken überzogen, die tief herabhingen, alle Thürme verhüllten
und ſelbſt die höchſten Giebel der Häuſer ſtreiften.
Der Wind iſt zu viel weſtlich, um ſich jetzt ſchon hörbar zu
machen, verſetzte Jacob, aber gleichviel, Hochwaſſer gibt es doch, und
darum will ich jetzt gleich ein Bischen im Hauſe aufpacken. Die
beiden Knechte können mir helfen.
Der Quartiersmann ſagte ſeiner Frau Adieu und war bald
in voller Arbeit. Auch die Nachbarn trafen Anſtalt, dem Gin-
bringen des Waſſers diejenigen Gegenflände zu entrüden, die durch
Näffe beſchädigt werben konnten. Alle freilich waren nicht fo glüd-
lich, dies möglich zu machen, denn überſtieg das Waller die ge-
wöhnliche Fluthhöhe nur um einige Fuß, fo drang es In bie tief
gelegenen Wohnkeller und umfpülte Brauchbares und Unbraudba-
red. Weil aber Jedermann an folhe Galamttäten gewöhnt war
und weil fie fih häufig wiederholten, fügten fih die Meiſten
mit Refignattion in das Unabwendbare und fuchten nur bie befle-
ren Geräthe und. werthvolleren Gegenftände ihrer Wohnungen für
die Dauer der Hocfluth bei glüdlicher logirenden Freunden und
Bekannten unterzubringen.
Treufreund ſtand auf der Laube und blickte hinab auf den
Fleeth, wo Jacob ſo eben mit ſeiner Schute anlegte. |
Wird die Fluth hochſteigen? fragte er den Quartiersmann.
Balls fie mehr als dreizehn Fuß erreicht, mußt du fogleich mit ein
paar Leuten in den Weinfeller,
Meiner Anfiht nach Haben wir um Mittag dreizehn bis vier⸗
zehn Fuß Wafler, ermwiderte der Quartiersmann. Es tft deshalb,
denk' ich, am gerathenften, wir bringen den Wein zuvor in Si⸗
cherheit.
— 455 —
Dann eile, Jacob, Herr Heldenfrei ober fein Sohn wird
gleich mitgehen. Ich jage ihnen Befchet.
Der „Schatten warf noch einen flüchtigen Blick auf die
gelögrauen plätjchernden Wellen, die an den Vorſetzen leckten, fah
nah dem gegenüberliegenden Spetchergiebel, der ein bemaftetes
Schiff mit Segeln als Wetterfahne trug und fagte, fich umkehrend
und fein halbkahles Haupt bedenklich fchüttelnd: Weſtweſt zu
Nordweftnord! Wir Haben Vollmond, fünfzehn Fuß kann's am
Ende wohl geben; dann fahren wir bei St, Katharin auf Käh—⸗
nen, oder bauen Brüden durch's Wafler oder wir laffen uns aud
tragen. Es wird viel Umſatz in guten Vierſchillingsſtücken geben.
MWie gut, daß Jan Blaufint,*) der Satansjunge, in der franzd-
ſiſchen Zeit uns verloren gegangen tft! Als ich noch jung war,
hat er mich dreimal vom Beifchlage hinunter in's Wafler gerem-
pelt. Und doch iſt's auch wieder Schade um den ſchmucken, ächt
hamburger Jungen, der allen Wis, allen Humor, alle Derbheit
unferes guten Volkes in ſich vereinigte=und von Allen geliebt war,
wenn auch Alle, befonders Frauen und Mädchen, ihn fürchteten.
Ein paar Species von dieſem Jahr, ja felber ein paar vollwich-
tige hamburger Ducaten gäbe ich drum, könnte ich die luſtige Be—
gleitung des ausgelaffenen, tolldreiſten Bengels noch einmal fingen
hören: „da kamt wi mit Jan Blaufin? her!“
Treufreund verſchwand auf der Diele, verfügte fich fofort in's
Comptoir und berichtete dem Rheder, wad er von Jacob in Be
zug auf das zu erwartende Hochwafler gehört hatte. Er befchloß
feinen Beriht mit genauer Angabe der Windrichtung, um anzu-
deuten, daß der Quartiersmann wohl ein fehr richtiges Urtheil ge-
fallt haben könne. Heidenfrei dankte, verfhloß fein Portefeutlle
in's Pult und verließ feinen Platz.
*) In früheren Jahren der Nepräfentant ber hamburgiſchen Straßenfchel-
meret, Seinen Namen führte er von der blauen Karbe feines Geſichtes. Cr
war ber Urtypus des hamburgifchen Gamin, verſchwand aber während der franz
zöſiſchen Occupation und iſt fpäter nicht wieder erfchlenen, vielleicht, weil dem
hamburger Volke während biefer Leidenszeit der Humor ſtark abhanden kam,
— 456 —
Zwiſchen Anton und dem Pulte des Buchhalters blieb Treu-
freund einige Augenblide fliehen. Er ſchien unſchlüſſig zu fein,
welchen von beiden er zuerft mit einer Anrede beehren follte. End⸗
lich wandte er fih an den Gorrefpondenten, indem er ihm fanft
auf die Schulter klopfte und Eopfnidend fagte:
Gefällt mir fehr gut, Lieber Freund, wirklich fehr gut! Zeugt
von gefehtem Wefen, von gefunden Anfichten, von gründlicher So⸗
lidität. Die Handfhrift weift es auh aus — da iſt Alles wie—
ber gemeffen, fell, egal. Man freut fih beim Erbliden einer
folhen foltden Handſchrift. Ste wiſſen, ich werde nie perſönlich,
aber das muß ih Ihnen doch fagen, befler als in den letzten
Wochen haben Sie mir nie gefallen,
Anton fah den lebenden „Schatten“ mit einem merkwürbig
fhlauen Blide an.
Wiffen Ste, woher das kommt? fagte er.
Don Ihrem gefunden Urtheil.
Nein, Herr Treufreuhd, erwiderte Anton, Mein Kopf bier
allein Hätte das nicht zu Stande gebraht. Er deutete mit ber
Sahne feiner Feder rückwärts. Der dort vorne, der Alte hat's ge-
than und — meine Portraitmalerei. So iſt's, auf Parole —
- mien Moder —
Zreufreund drehte fih wie ein Kreifel auf den Haden um,
weil‘ ihm dies Wort des Gorrefpondenten gar zu verhaßt war.
Er trat neben das Pult des Buchhalters.
Haben Sie ſchon wieder über nichts zu kichern? fprah er. —
Bet Ihnen hängt der Himmel doch ewig voller Geigen, ed mag
flürmen, regnen oder die Sonne feinen. Wie tft das möglich!
Weil ih mein’ Sad’ auf Nichts geftellt, erwiderte halb fin-
gend der heitere Buchhalter, und weil ich heute Iuftiger und beſſer
leben will, als alle Rheder und Fürſten Deutſchlands zuſammen⸗
genommen.
Sp, fagte Treufreund. Ste wollen alfo wirklich die Thor⸗
beit mitmachen ?
Sa, ih will eflen und trinken, wie kein König auf Erden
— 457 —
in unferer fparfam Iebenden Zeit zu efjen und zu trinken pflegt.
Morgen will ih Ihnen die Speiſekarte vorlefen und da mögen
Sie vor Sehnſucht die Lippen leden.
Erfäufen Ste fih nur nit, fagte der „Schatten“.
Im Wein oder im Waſſer?
Und bleiben Sie denkender und prüfender Menſch unter einer
Herde Schlemmer!
Danke für freundlichen Rath, ſprach der Buchhalter. Haben
Sie ſonſt noch 'was zu beſtellen? Ich gehe mich ankleiden.
Schon?
Nun, ich dächte, es wäre hohe Zeit. Um drei Uhr ſollen
wir verſammelt fein. Glock ſechs beginnt die Tafel. Drei Stun⸗
den Erholung, um an folder Tafel würdig zu erfcheinen, däucht
mir nicht zu viel. Ich werde Ihrer gedenken und auf Ihr Wohl⸗
fein ein Glas leeren, wenn mir's am Belten fchmedt.
Treufreund faß ſchon wieder an feinem Pulte und machte
ein fo ſtarkes Geräufh mit Papier, Lineal und PBapterfcheere, daß
ihm die lebten Worte des Buchhalter unverftändlich blieben, der
jebt Anton noch etwas Teife zuflüfterte, dann fowohl diefen wie
ein paar andere Bullegen grüßte und fortging, um Xotlette zu
maden. —
Mider Erwarten trat fein Hochwaſſer ein, fo daß viele Kel-
ferbewohner ihre ſchon in Sicherheit gebrachten Mobilten und Bor-
räthe während ber Ebbe wieder an ihre gewöhnliche Stelle ſchaff⸗
ten. Heidenfrei bereute e8 beinahe, fein Weinlager geftört zu ha=
ben, Berdinand jedoh war froh, daß man bie ziemlih anfehn-
lihen Vorräthe ficherer untergebracht hatte und meinte, was heute
nicht erfolgt ſei, Tönne jeden nächſten Tag eintreten.
Am Unzufriedenften mit dem Ausbleiben des Hochwaſſers
war bie Strafenjugend. Sie hatte den Anzeichen nah auf ein
erkleckliches Steigen fi Hoffnung gemacht und danach ihre Maß
regeln ergriffen. Nun blieb das Wafler aus, keine Straße wurde
überſchwemmt, kein Keller füllte fih, es gab nirgends Gelegen-
heit für ausgelaffene Jungen, Unfug zu treiben, Andere zu fop⸗
— 458 —
pen, fich gegenfeltig von den Belfchlägen ind Wafler zu werfen
oder zu drängen. |
Don den Erfahrenen wunderten fih Diele über das auffal-
Iende Ausbleiben der Hochſluth. Der Wind Hatte fih allerdings
gelegt, er war aber mehr nördlich gelaufen und trieb nun bie
Waflermaffen ber Norbiee gerade in die Mündung der Elbe.
Deshalb hatte Die Annahme derer, welche für die nächſte Yluth-
zeit ein höheres Auflaufen des Waflers vermutheten, etwas für
ih und trug dazu bei, Einzelne wachſam zu machen.
Inzwiſchen verfammelten fi die Freunde, Anhänger und
Schmeichler des Mexikaners auf deſſen abgeſchieden gelegenen Land⸗
hauſe. Er ſelbſt war zugleich mit ſeinem Diener zu Pferde aus
Blankeneſe daſelbſt angekommen und empfing ſeine Gäſte mit der
herablaſſenden Zuvorkommenheit und chevaleresken Höflichkeit eines
vollendet vornehmen Mannes. Treu ſeiner Rolle, die er ſeit ſei⸗
ner Rückkehr in die Nähe der Weltſtadt ſpielte, trug er indiſche
Kleidung. Hätte er fich gleich zuerft in foldem Coſtüme der großen
Melt gezeigt und wäre er als der Prinz irgend eines obfcuren
indiſchen Fürſten der Geſellſchaft vorgeftellt worden, wer weiß, ob
er als folcher nicht eine Menge Eroberungen gemacht hätte! Ob—⸗
wohl Spuren eines ohne Unterbrehung nur dem raſcheſten @enuffe
geweihten Lebens feinen Zügen eingedrüdt waren, konnte Don
Alonio Gomez doch Immer noch für einen auffallend ſchönen und,
was vielleicht no mehr war, unbedingt für einen intereflanten
Mann gelten. Sein dunkler Teint gewann an Glanz und Farbe -
dur die fhimmernd weiße Gewandung, in bie er fi hüllte, und
die er mit dem vollendetſten Anftande trug. Er bewegte fi Tetcht
und graztös darin und befaß Takt genug, nicht theatraliſch aufzu⸗
treten. Wer ihn nicht früher gekannt Hatte, mußte von ihm ge=
täufcht werden.
Auf Anrathen einiger Freunde war ber nicht fehr große Ge⸗
ſellſchaftsraum, wo das fehwelgerifche Mahl eingenommen werben
follte, in ein feenhaft fehimmerndes Zelt aus Gaze verwandelt
worden. Bunte Laternen, die nur den Schimmer hell brennender
— 459 —
Lichter, nicht ben blendenden Schein der Flamme burchließen, ſchweb⸗
ten von der Höhe diefes Zelthimmels herab. Ein Föftliches Arom .
durchduftete das Gemach, deſſen Temperatur weder zu warm, nod
zu kalt war.
Die Tafel war reich gefhmüdt, nicht aber überlaten. Alles
Geſchirr war einfach, aber gediegen, die Tafelauffäge geſchmackvoll
und in fommetrifher Ordnung aufgeftellt. An ber einen Seite
bildete das Zelt eine Thür, bie ein Vorhang ſchloß. Nolte diefer
zurüd, fo ſah man eine anmuthige Landſchaft in fonnigen Duft
getaucht. Springbrunnen rauſchten und eine angenehme Kühlung
firömte von dem riefelnden Wafler in das Zelt. Alles Iud zum
Genuffe, zu unbebingter Hingabe an die Freude ein.
Julius fand diefe Anordnungen vortrefflih und war mit ſei⸗
nen Lobfprüchen gegen Don Gomez nicht zurüdhaltend.
Ich wette, außer uns paar Glüdlichen tafelt heute Niemand
in ganz Deutjhland in ſolch köſtlichen Räumlichkeiten, mit ſolchem
Geſchmack und fo ganz unverborbenem Appetit, fprah er. Ich
wünfchte, meinen Onfel aus der Marfch hieher zaubern zu können,
nur, damit er fähe, dag man wirklich auch außerhalb der Marſch
zu leben verſteht, was er mit einer Hartnädigkeit beftrettet, die
jeden vernünftigen Menſchen zur Verzweiflung bringen kann. Er⸗
fahren fol er's wentgftens, wenn ih auch eine fihredlihe Straf
predigt dafür anhören muß. Merfpielt er Sonnabends in feinem
Bauernelubb ein paar hundert Species im Tridtrad, wenn ihm
ber Sinn gerade danach fteht, "fo Tann ih mich für ben vierten
oder fünften Theil dieſer Summe doch wohl aud einmal anftän-
big fatt eſſen. — Ah, unterbrad er fih, in die Wohlgerüche In⸗
diens miſchen fich jegt die noch beftechenderen würzigen Düfte einer
civilifirten europätfhen Küche!
In ber von künſtlichen fliegenden Sonnenftrahlen bald heil
beglänzten, bald von vorübereilenden Wollen befchatteten Land⸗
[haft ertönte Muſik frembartiger Inſtrumente. Es ſchienen java⸗
niſche Gamelans darunter zu ſein, die indeß nicht unangenehm
klangen. Dieſe Klänge rauſchten aber ſchnell vorüber, es trat eine
— 460 —
kurze Paufe ein, und fernher vernahm man Sattenfptel, das fchnell
näher fam und mit dem Geflapper geſchickt gehandhabter Caſtag⸗
netten abwechſelte.
Don Alonio Gomez gab ein Zeihen mit der Hand. Die
Landfchaft verſchwand, eine ſchimmernde, phantaſtiſch erleuchtete Fel-
ſengrotte wölbte ſich vor dem geöffneten Zelt, aus deren dunklem
Hintergrunde eine Gruppe junger, ſchöner Zigeunermädchen, dieſe
Caſtagnetten ſchlagend, jene Tambourins ſchwingend, unter origi⸗
nellen, feſſelnden Tanzbewegungen gegen das Zelt heranſchwebte.
Die Gäſte des Mexikaners brachen in ein lautes Bravo aus.
Meine Freunde, ſprach Don Gomez, wir ſind in Granada.
Sie befinden ſich im Thale des Kentl unterhalb der Alhambra,
wo meine Ahnen nad Vertreibung der Mauren einige Zeit ge:
wohnt und viele herrliche Liebesabenteuer erlebt haben follen. Es
fteht dies wenigftens in meinen Familienpapieren, und da meine
Ahnen fehr zunerläffige Leute, und, wie ihre fpäteren Schiefale
nachweiſen, auch äußerſt glüdliche Eroberer waren, fo ſchenke id
biefen Weberlieferungen vollen Glauben. Laſſen Sie ung jebt bei
dem anmutbigen Tanz dieſer anmuthigen Schönen, die wirklich
Andalufien ihr Baterland nennen, unfere freundfhaftlihen Tafel-
freuden beginnen. Mein Diener Papageno tft von mir zum Ta⸗
felmeifter ernannt worden. Gr wird bei Verluſt feiner ehrenvol-
len Stellung dafür forgen, daß feine Unordnung In der Reihen
folge der Genüffe vorkommt, bei denen wir ung des Lebens freuen
wollen.
Indiſch gekleivete Diener traten ein und das Mahl, dem
alle Geladenen erwartungsvoll entgegenharrten, begann. Zuerſt wurden
jedem Gafte feine Porzellanteller mit chinefifcher Malerei vorgefegt, bie
mit Acht chinefifch zubereitetem Salat gefüllt waren. Dieſes En-
tree, beitimmt, den Appetit zu veizen, beitand aus gehadten Hum⸗
mern, fein gefiänittenem Schinken, chinefifher Wurft und Froſch⸗
teulen. Damit die Geladenen dies ausgefucht feine Gericht fih
nicht durch Berührung mit Metallgabeln verberben möchten, em⸗
pfing jeder derſelben zwei zierliche Elfenbeinſtäbchen, mitteljt de⸗
— 461 —
nen die Delikateſſe genoffen ward. Ste munbdete allgemein, ob»
wohl Einige vielleicht eine mehr europäiſche Speife vorgezogen hät-
ten. Julius, der als hochgebildeter Gaſtronom Alles-erprobte und
nichts ohne Grund verwarf, fand den Salat unübertrefflich und
benugte bie günftige Gelegenheit, um einige praftifhe Bemerkun⸗
gen Über die Art und Welle, Spelfen zum Munde zu führen,
daran zu knüpfen.
Wir jept Iebenden Europäer rühmen uns, ſprach er, in der*
Gultur alle Völker der übrigen bewohnten Erde zu übertreffen.
Im Allgemeinen mag es fih auch fo verhalten, im Einzelnen je⸗
doch können wir von Nichteuropdern noch. manderlei lernen. Da
haben wir 3. B. den fatalen Gebrauch allerwärtd angenommen,
betm Eſſen uns metallener Meffer und Gabeln zu bedienen. Diefe
Sitte iſt meines Wiffens erſt einige Jahrhunderte alt und ich
mag fie durchaus nicht ganz abgefhafft willen. Aber wozu gerade
Gabeln und Meſſer aus Stahl? Für die Zunge eines fein orga-
nifirten Menfchen gibt es nichts Widerwärtigeres, als der fäuer-
liche Geſchmack des Stahles, der fi jeder von ihm berührten
Speife mittheilt. Mir iſt's immer, als fühlte ich den ſchwachen
Schlag eines Zitteraales meine Nerven durchzuden. Silber wäre
jhon mehr zu empfehlen, leider aber tit es zu theuer. Ebenſo
ift es mit Elfenbein, obwohl elfenbeinerne ſchön geſchnitzte Beſtecke
ganz reizend ausfehen. Man müßte aljo zum gewöhnlichen groben
Horne feine Zufluht nehmen, was ich nicht bevorworten will, weil
es fein geruchlofes Horn gibt. Es bleibt alfo nichts übrig als
Holz, und da finde ih das Buchsbaumholz ganz gut verwendbar.
Die Chinefen, von uns gewöhnlich verachtet, und uns doch fo
merkwürdig verwandt, nicht blos als Verehrer der Zöpfe, die un-
fere Neltern ihrer Zeit ebenfalls mit hohem Anftande zu tragen
veritanden, fondern dur ihre Vorliebe für PVeraltetes, für durch
das Alter lieb Gewordenes, find ungleich klüger als wir und be=
urkunden fich ſchon dadurch, daß fie die barbariſche Sitte des Ge-
brauche von Mefler und Gabel nicht in's himmlifhe Reich einge»
laffen haben, als viel edler organifirte, in feinerem Nervenäther
— 462 —
lebende Raturen als wir. Auch Griechen und Römer verflanden
etwas von der Kunft des Genufles, es iſt ihnen aber niemals in
den Sinn gelommen, ein zartes Gemüfe oder eine köſtliche Sauce
mit Metall zu berühren.
Aßen fie wirklich mit den Fingern? fragte ein nicht mehr
ganz junger Mann, ber fi durch bie Weinröthe feines Gefichtes
auszeichnete, und jedenfalls mehr wohlgefüllte Flaſchen auf Borte
"geftellt, als Bücher von foldhen Herabgenommen Hatte. Wenn fie
es gethan haben, muß es nit allzu fauber anzufehen geweſen fein.
Sie thaten's wirflih, die Bebauernswertben, Herr Gluck, er-
widerte Julius, und ich finde es keineswegs lobenswerth, wenn
man aber Lief’t, wie fie e6 gemacht haben, fe wandelt einem doch
bisweilen die Luſt an, ihre Tafelfreuden zu theifen.
Auf einen Wink des Hausherren ſchloß fi der Zeltvorhang
geräufchlos, die Tamburin⸗ und Gaftagnettenmufit verftiummte, bie
Tänzer zogen ſich zurüd. Don den eintretenden Dienern wurde
jest Schilpfrötenfuppe und Suppe von Achten indianiſchen Vogel⸗
neftern berumgeretät. "
Ste haben freie Auswahl, meine Herren, fagte Don Alonfo
Gomez. Was mich betrifft, fo Halte ih mich an biefe, in Bonillon⸗
Gröme aufgelöften, Vogelnefter. Etwas foffpiefig find dieſe klei⸗
nen belicaten Dinger, denn jebes einzelne Toftet — nun was mel-
nen Sie?
Hoffentlich erhält man ein paar Dupend zu billigerem Preife,
als wenn man nur einige wenige Fauft, fagte ein im Rechnen ge⸗
übter Gaſt.
Das mag möglich fein, fuhr. der Mexikaner fort, ih babe
jedoch, offen geftanden, nicht danach gefragt, ja nidt einmal ge-
feilſcht, um nur das Befte zu befommen. Ich ließ fie mir Direct
aus London ſchicken, wo ih das Stück mit einer halben Guinee
bezahlte, Defto beſſer ſchmecken fie und th muß meinem Koh das
Zeugniß geben, daß er die Zubereitung verfteht.
Dei Ceres, Bachus und allen Göttern, bie für bes Leibes
Wohl und Ernährung forgen, fprad ein wohlbeleibter Kornmakler,
— 463 —
dabei Tiefe fih ein gang einträglices Gefchäft mahen, wenn
man nur punktlich zahlende Abnehmer dafür fände! Morgen fon
werde ich deshalb ‘an meinen Gorreipondenten in St. Petersburg
ſchreiben. Die Herren Ruflen haben viel Geld, find fplendider als
die Engländer, und mögen in ihrem ſataniſchen Clima verteufelt
gern vecht gut efjen und trinken.
Von den Aufwärtern waren Weine aus Cypern und Samos,
weißer Wein von Iſchia, dry Madeira und vother und weißer
Portwein zu beltebiger Auswahl herumgereicht worden. Während
die Säfte die Blume derfelben erprobten und ſehr Eluge Bemer⸗
tungen über Weinbau und Weingenuß daran fnüpften, warb bie
Zeltthür wieder von unfichtbaren Händen geöffnet und ein mauri⸗
fher Saal mit wunderbaren Arabesten verziert, zeigte fih den
Erjtaunten. Junge, verführerifch gekleidete, mauriſche Mädchen
traten ein und führten einen malerifhen, altmaurifhen Reigen
auf. Als diefer beendigt war und das Zelt fi wieder ſchloß,
begann das eigentliche Feſtmahl.
Der nächſte Bang, weldher hohe Befriedigung gewährte, be=
ftand aus vier verſchiedenen Schüffeln. Es gab nämlich mit aus-
erlefenen feinen Kräutern gefüllte Wachteln, gebämpfte Enten-
- füße mit gefihnittenen Taubeneiern, zu denen als Gemüfe grüne
Erbjen und Bohnen fih gejellten. Diefen ſchloſſen ſich Paſtetchen
& la Reine und gefochte Hühner mit einer Sauce aus jungen
Schöglingen der Bambuspflanze an.
Julius that fein Möglichites, um von allen Schüfleln zu
foiten. Er fand jede einzelne tadellos, lobte aber vor Allem den
eigenthümlich zarten Geſchmack der Bambusſchößlinge. Ih habe
ſchon früher davon gehört, fagte er, in China fehlt dieſe Schüflel
nie bei einem gut geordneten Gaſtmahle. Schade, daß der Bam⸗
bus in unferm barbarifhen Clima nicht gebeiht, Die Gewächs-
häufer Laflen ſich leider nur ein= bis zweimal im Jahre plündern,
und auch dann find es bod immer nur Schößlinge von Treib-
hauspflangen. Ach Gott ja, ſchloß er feufzend feinen Sermon,
in der Bibel iſt es fteilich zu leſen, daß Bott der Herr, als er
— 464 —
fetn fiebentägiges Werk nad beendigter Schöpfung in Augenfchein
nahm, gefagt hat, es ſei Alles gut, wenn ich aber bie vielen Män«
gel durchmuftere, an denen wir uns im Leben und durd das 2e-
ben wund ftoßen, follte ih doch meinen, e8 hätte Manches noch
beſſer gemacht werden können.
Gerade diefe feheinbaren Mängel der Schöpfung auszugleichen,
fiel der Buchhalter des Hauſes Heidenfret ein, oder stelmehr um
barzuthun, daß fie im Grunde gar nicht vorhanden find, tft Die
höhere Kockunft erfunden worden, die uns in den Stand febt,
Alles, was die Erde hervorbringt, auf dem entfernteften Ende der—
felben zu genießen. Darum ein Hoch den gentalen Grfindern al-
ler guten Spetfen!
Die ſehr heitere Geſellſchaft trank biefen Toaft, dem zahl-
reiche Andere folgten, bereits in feinftem Bordeaur- und Ungar-
weine. Die Tänzerinnen erfchlenen abermals. Diesmal waren
es Genten, die unter mild Teuchtendem Sternenhimmel elfenartige
Tänze aufführten. Harmonikatöne erflangen fehmelzend, girrend,
die Nerven aufregend im Hintergrunde.
Zur Abwechslung kamen jebt einige kalte Schüffeln auf die
Tafel. Unter diefen fanden den meiften Betfall: Forellen - Filets
mit Schnittlaud-Sauce, Becaffinen in kaltem Gelee, Schneehuhn-
Pafteten mit Trüffeln gefüllt. Als ganz beſondere Deltcateffe
brachte ein zweiter Gang gebadene Haifiſchfloſſen, geröftete Fifch-
fiemen und SKlöshen aus fein gehadftem Steinbuttfleifh und
Entenragout.
Während die Gäfte unter heitern Gefprächen in diefen Ge-
nüffen ſchwelgten, machte fich ein dumpfes Geräuſch bemerkbar, das
bisher Niemand vernommen oder worauf doc Keiner geachtet Hatte.
Jetzt ließ es fich fo anhaltend hören, daß es Niemand mehr ent⸗
gehen konnte.
Ste haben wohl eine ganz neue Meberrafchung in petto, ſprach
ber dDide Kornmaller. Das rauſcht ja, als ließen Ste ganz tn
der Nähe einen Wafferfturz Ios. Wollen Ste uns etwa eine Vor-
— 465 —
ſtellung des wilden Jägers geben, wie er noch heutigen Tages von
Zeit zu Zeit im Odenwalde ſich blicken läßt? |
Don Alonfo Gomez antwortete nicht direct, er gab ein Zet-
chen und erwartete, daß diefem Folge geleiftet werde. Sein Auge
war auf die Zeltthür gerichtet, Die indeß verhüllt blieb. Mafler
Papageno, der ald Leibdiener hinter dem Stuhle des falfhen Na-
bob ftand, wenn feine Gegenwart nit anderwärts erfordert warb,
erhielt von Diefem einen geheimen Auftrag und entfernte ſich.
Das ſonderbare Geräuſch dauerte fort. Eiligen Schrittes trat bald
darauf der Mulatte wieder ein und ſagte ſeinem Herrn, offenbar
beſtürzt, einige leiſe Worte. Don Alonſo Gomez aber lächelte
und wies dem Diener ſeinen früheren Platz wieder an. Darauf
richtete er folgende Worte an ſeine Gäſte:
Unſern Huldinnen iſt eine kleine Fatalität zugeſtoßen. Sie
laſſen fich entſchuldigen und werben vorerſt ihre Unterhaltungen
aufhören laſſen.
Was kann den allerliebſten Kindern denn begegnet ſein?
fragte Heidenfrei's Buchhalter, der bet aller Hingabe an bie aus—
gefuchteften Gaumengenüffe doch noch meit mehr Vergnügen an den
graztöfen Stellungen und Bewegungen der ſchönen ſchlanken Tän—
zerinnen aus dem romantiihen Andalufien zu haben fchien.
Der Wind hat den fünftlihen Anbau, den ih den hübſchen
Kindern als Garderobe angemwiefen, in graufamer Weiſe wegge-
fegt, erwiderte Don Gomez. Die armen Dinger zittern vor Kälte
und würden fich den Tod holen, verlangten wir eine Fortſetzung
ihrer Vorſtellungen. Ste hoden jetzt beifammen in der Küche und
ſuchen Xroft bet den Weberreften, die von unferm Tifhe fallen.
Der Wind? verſetzte der corpulente Makler. Das muß ein
verteufelt heftiger Wind fein, der einen ganzen Anbau rafirt.
Es war doh um Mittag viel ftiller geworben.
Um zwei Uhr Tief er um und darauf begann es ſchon hef-
tig wieder zu wehen, fagte der Buchhalter des Haufes Hetbenfret.
Laßt es wehen, fo viel und fo lange es will, meine Freunde,
fiel Julius ein. Dem Glücklichen fchlägt feine Stunde, ftört fein
D. 3. XI Wilfomm’s Rheder und Matrofe. 30
— 466 —
Sturm. Wir ſitzen im Trockenen, befinden ung, denk' ich, in voll-
fommenftem Wohlfein und wollen als gute Chriften unfern
Nebenmenſchen, ich meine den deliciöſen Heinen fhelmäugigen und
granatblüthmündigen Zigeunerinnen, Maurinnen oder was fie fonft
fein mögeh, auch einen ſoliden Genuß gönnen. Se toller Boreas
bläf’t, defto beſſer ſoll es uns ſchmecken. Füllt die Gläfer, meine
Herren, und bringt dem Gott der Winde ein tief empfundenes
Hoch! Er ift mehr noch ald Merkur, ber Gott der Kaufleute;
denn was wäre unfer Leben ohne ihn! Gin elend »jämmerlicher
Popanz, fo dünn wie ein Leinweber und mit fo ledernem Geſicht,
fo tief liegenden Augen, wie ein Bergmann aus Johann-Geor⸗
genitadt! Es lebe der Wind, der Wind, das liebe, treue, Segen,
Glück und Gold fpendende Götterkind ! |
Die Gläfer der Schmaufenden Flangen unter dem lärmen-
ben Bivat aller Gäſte zufammen, draußen aber brach der Nord:
weitfturm Baume um und deckte Dächer ab. Die Wogen ber Elbe
hoben fi Höher und höher und rollten weißſchäumend gegen bie
fhügenden Deiche ber Infeln und Marſchen.
Ach, da kommt die große Prozeſſion! fagte Julius, als er
die Diener mit zerlegten duftenden Braten eintreten ſah. Ich
denfe, man darf fi noch etwas zumuthen, wenn man .nur weile
einzuthetlen verſteht. Ich verfuhe es alfo zuvörderſt mit biefen
auf Pariſer Manier zubereiteten Pfaubennen, fpäterhin werde id
noch ein kleines Stüdchen von dem in Madeira gefochten Achten
Schinken aus Salisbury darauf ſetzen. Zu beiden paßt fi dieſe
Schüſſel mit jungen Erbfen, an denen, wie ich ſehe, der Koch bie
trefflichften Perigord-Trüffeln nicht gefpart hat.
Ich ziehe vor wilden Schweinskopf mit diefer köſtlich Duften-
den böhmiſchen Sauce zu verfudhen, fagte Don Gomez. ,
Und ih werde mich an das auf neapolitanifhe Art zuberel-
tete Spanferkel halten, fiel der junge Buchhalter ein.
Na, dann greife ih auf gut Hamburgifh nad diefem lockend
ausfehenden Ochfenbraten, fagte der Makler. Iſt und bleibt doc
immer das Befte!
— 4617 —
Ein dumpfes Rollen, das wie ein fern verhallender Donner
ang, ließ fich zu wiederholten Malen hören. Gleichzeitig machte fi
das Rauſchen und Heulen der Windsbraut dergeftalt vernehmbar,
daß von Zeit zu Zeit Einer oder der Andere doch einen Augen—
blick Tang aufhorchte.
Es ſtürmt gewaltig, meinte der Makler.
Wird auch wieder aufhören, tröſtete Julius.
Morgen früh iſt Alles vorbei, ſagte Don Gomez.
Da krachten ſchnell hintereinander ganz vernehmbar drei Ka—
nonenſchüſſe. | |
Hochwaſſer, ſprach Heldenfrei’s Buchhalter, Es kommt richtig
wieder zur Nachtzeit. Was iſt die Glocke?
Neun Uhr vorüber, ſagte Julius. Was thut's? Wenn
wir mit dem Nachtiſche fertig ſind, wird es bereits Ebbe ſein.
Draußen entſtand Lärm. Don Gomez entſendete ſeinen Die—
ner, um nachzuſehen, was es gäbe.
Es iſt ein Mann draußen von groben Manieren ‚ meldete
der Mulatte zurüdtommend, der durchaus darauf befteht, den Herrn
von dem Somptotr des Rheders Heibenfrei zu fprechen.
Mid? fragte der Buchhalter, und fein bisher fo freudig ſtrah⸗
lendes Gefiht nahm einen fehr ernften Ausdruck an. Es wird
David fein, ih Tann mir's denken. — Mit Grlaubnif, meine
Herren, führ er aufftehend fort, wenn Herr Heidenfrei einen Ex—
preffen fendet, hat es Eile. Es muß etwas von Wichtigkeit vor-
gefallen fein.
Der Buchhalter entfernte fih, kam aber ſchon nach einigen
Minuten wieder zurück zur Geſellſchaft.
Nun, was gibt's? fragte Julius. Sie ſehen ja aus, als
‚hätten Ste ein Geſpenſt gefehen.
Alle blidten auf den jungen Mann mit dem fahlen, biutlo-
fen Geficht. .
Meine Herren, fprah er, ich rathe, die Tafel aufzuheben.
Ein Eitbote bringt die Nachricht, daß aller Wahrſcheinlichkeit nad
dieſe Nacht unabſehbares Unglück über die Anwohner der Nord-
30*
-
— 468 —
feetüften, über die Landſchaften der Niederelbe und wohl auc über
Hamburg felbft bringen wird. Meber fünfzehn Fuß fhon war bie
Springfluth vor einer halben Stunde aufgelaufen — da — hö-
ren Ste die Lärmfchüffe wiederum, die nah Rettung rufend in
bie finftere, wilde, kalte Sturmnacht hineinfchreien * Das Wafler
bringt ſchon in die unteriten Speicherräume, der vierte Theil ber
Stadt tft überfhwemmt, wählt es um noch einige Fuß, was zu
beforgen fteht, da der Sturm immer wilder raſ't und die Fluth
noch drei Stunden fteigt, fo fürdtet man Deichbrüche. Ich eile
bie Stadt zu erreihen und empfehle Allen, die etwas zu verlieren
haben, ein Gleiches.
Er verfhwand, ehe die Weberrafchten ſich erholen Tonnten.
Die ausgelaffenfte Fröhlichkeit machte trüber Beftürzung ängftlicher
Befangenhett Platz. Keiner war fih Kar, was er thun follte.
Einige wünfchten zu bleiben, weil fie von den Genüffen, benen fie
fi) hingegeben hatten, träg geworden waren, Andere hielten bie
Nachricht für übertrieben. Nur die Schredensihüffe, Die in immer
kürzeren Paufen folgten, ftraften fie Lügen und veranlaßten Don
Gomez doch, fhon nach einer Heinen halben Stunde die Tafel auf:
zuheben.
Maſter Papageno, dem es unheimlich zu werden begann, wie
immer, wenn der Sturm raſ'te, machte ſeinem Herrn bemerklich,
daß ſeine Wohnung in Blankeneſe ganz verlaſſen ſtehe und bei
ſo hoher Fluth leicht ebenfalls von den zerſtörenden Wellen erreicht
werden könne. Don Gomez leuchtete dies ein. Das Feſt war
einmal zerſtört, der Gipfel des Genuſſes ohnehin überſtiegen, und
da ſchon einige der Gäſte, unter denen ſich ſogar Julius befand, ganz
unvermerkt davon geſchlichen waren, fo dankte er den noch Zurück⸗
gebliebenen für die Ehre ihres Kommens, wünſchte Allen gute
Nacht und glückliche Heimkehr, und befahl dem Mulatten, unver⸗
weilt die Pferde zu fatteln.
Zwanzig Minuten fpäter jagte Don Gomez in Begleitung
Mafter Papageno’s die Straße entlang, bie nad Blankeneſe führte.
Die weiße, fhimmernde Tracht, die er im Dünfel, einen indiſchen
— 469: —
Fürften vorzuftellen, trug, leuchtete weithin unter dem ſchwarzen
Mantel, den der Sturm auseinander wehte. Die Wolfen rollten
wie ein Heer kämpfender Schatten über den ſpäten Reitern fort,
die Erde dröhnte unter ven Wetterſtößen des Orkanes, Bäume
brachen, Dachfirſten flogen durch die Luft, die Krähen ſchrieen zit
ternd, ihre ſchwarzen Flügel fhlagend, die Kühe in den Stallun-
gen der Bauernhäufer, die ſeitwärts Hinter den faufenden Kniden
lagen, brüllten, die Hunde fließen langes, klagendes Geheul aus.
Hinter den flüchtigen Reitern aber wimmerte von Zeit zu Zeit
Glockengeläut, dann wieder Trachten Schüſſe, und nun hörte man
Geſchrei bedrängter Menſchen und das gurgelnde Toſen gegen die
Ufer geſchleuderter Waſſerwogen.
Vierzehntes Kapitel.
Die Sturmfluth
Mutter Silberweiß war über dem Geplauder ihrer Nichte mit
Chriftine eingefchlafen. Die Verlobte Miguel’8 Hatte in den Ieß-
ten Wochen ſchon einigemal ihre ehrwürdige Pathe befucht, und ihr
dann wie früher aus der Bilderbibel vorgelefen. Ste kam feitvem
haufig, denn fie geſtand offen, daß fie jegt gern in dem kleinen,
aber fauber gehaltenen Kelleritübchen weile, weil e8 ber Ort fei,
wo ihr Miguel fie als unbedeutende arme Wäfcherin zuerft erblidt
habe. Chriftine mußte der Blinden viel von ihrem Verlobten und
deſſen Vater erzählen, da fie es nit müde ward, von den ganz
unglaubliden Schidfalen des Vaters und Sohnes zu hören. Co
unbegreiflid Mandes der blinden Gretfin vorfommen modte, fie
bezweifelte nie die Wahrheit des Gehörten, und fromm, gotterge-
ben, vertrauensvoll, wie fie Immer gewefen , fand fie überall die
feltende Hand des Schöpfer heraus und pried ihre junge Pathe
glüdlih, daß der Himmel ihr ein fo feltenes Loos beſtimmt habe,
— 470 —
Heute mußte Chriſtine der Pathe Silberweiß die Geſchichte
ron der Sündfluth vorleſen. Die Blinde erbaute ſich immer von
Neuem an dieſer bibliſchen Erzählung, wenn eine Hochfluth glück—
lich überſtanden oder eine mit Bangen erwartete gar nicht einge—
treten war. Trudchen hörte zwar auch auf die Worte der Leſen—
den, beihäftigte fih aber do mehr noch mit der fpielenden Katze
und befah nebenbei die in den Text der. Bibel eingedrudten Bilder,
welche die Arche Noäh, den Gintritt der Fluth, deren fchredliches
Wachen, den Tod der damaligen Erdbevölkerung, die Rückkehr der
Taube mit dem Delblatte, endlih das Gebirge Ararat mit der
Arhe und dem opfernden Noah daritellten.
Trudchen's Geplauder unterhielt Chriftine, und das junge
Mädchen würde nod mehr. Genug von dem Geſchwätz des Kindes
gehabt haben, Hätten die heftigen Windſtöße, die vaufchend über
bite hohen Giebeldächer fuhren, fie nicht bisweilen erfchredt. Chri-
fitne Liebte den Wind nicht. Sie mußte bei ftarfem Wehen im-
mer der Seefahrer und der ihnen drobenten Gefahren gedenten,
und dann zitterte fie für ihren Bruder Paul, der ja, wie fie wußte,
jeßt gerade unterwegs war und ſchon den Kanal erreicht haben
konnte Auch mußte fie unwillkürlich fchaudernd der windigen
Regennacht ſich erinnern, wo die beftochenen Helfershelfer des Mexi—
kaners fie mit folder Kedheit aus dem ſchützenden Haufe des rei—
hen Rheders entführten.
Ich wollte, Vater lieg nicht lange auf fi warten, fagte
Shriftine zu dem plaudernden Trudchen. Ich habe einen. jo häß—
ihen Heimweg, und bin ih glüdlih tim Haufe, quäle ih mid
wieder um ‚den heimfehrenden Vater. Bet folhem Wetter regnet
es in unfern engen Twieten immer Ziegelbroden und Dachpfannen.
Der Wind flug gegen die Kellerfenfter, als würfe man
grobförnigen Sand an das Glas. Mutter Silberweiß erwachte.
Was gab es? Rief mich Jemand? fragte die Blinde. Ihr
ſeid doch bei mir geblieben?
Gewiß, Pathe — Großmama, verfeßten gleichzeitig Chriſtine
und Trudchen.
-— 4711 —
Das Geräufh von vorhin wiederholte fich, aber jtärker, praf-
ſelnder. Ihm folgte der Sal eines harten ſchweren Gegenſtandes,
dann ein gleichmäßiges Rauſchen, das ſich eigenthümlich anhörte.
Es weht bös, Ihr Kinder, dag gibt Unglück auf See, fagte
Mutter, Silberweiß und faltete die Hände. Wenn Ihr morgen
oder übermorgen am Stod der Büchſe, wo für Schiffbrüdige ge=
fammelt mird, vorlibergeht, dann vergeßt ja nicht ein paar Schil—
finge in die Büchfe zu fleden! Die armen Menfhen brauchen’s.
— Da — find von mir au zwei Scillinge, die ftedt mit den
Eurigen hinein. — Hord, wie das brauf’t und heult! |
Hallo, Nachbarin, rief jeht eine Stimme auf dem Hofe, werft
Euern Pelz um und macht Eu fertig! Die Fluth kommt! Beim
Bippelhaufe ſtehen fchon alle Keller voll Waſſer. Habt Ihr das
Stürzen der Wellen noch nicht gehört?
' Um Gott, die Fluth fleigt und der Vater kommt nicht!
ſprach erſchrocken Chriftine, ftand auf und öffnete die Thür nad
der Treppe. Deutlih vernahm fie jeßt zwiſchen den braufenden
Stößen des Windes das gleichmäßige Rauſchen des feine Ufer
überfteigenden Waſſers, das in alle Vertiefungen in zahllofen
„Wafferfällen fih ergo. Auf den Wällen wurden die Kanonen
gelöftt. Meberall hörte man in den furzen Pauſen, die der Wind
“ machte, rufende Stimmen, die bald befehlshaberiſch, bald ängii-
ih klangen. Auch weinende Kinder freifchten dazwiſchen, aus—
gelaffene Jungen gröhlten und patſchten in die eriten trüben
Pfügen, die fih auf der Straße zeigten, während fie einander
jubelnd zuriefen: „Hochwater kommt an! Wie fhade, nu hefft
wi doch morgen all wedder School!“
Diesmal jedoch geftattete die Beſchaffenheit des Hochwaſſers
der Jugend feinen Spielraum zu unnüßen Störungen. Die Wos
gen der Elbe fttegen in fo erſchreckender Weife, der Sturm heulte
fo wild, der Regen flürzte in folden Maffen dabet aus den graus
gelben Wolken nieder, daß jedes Scherzwort erſtarb und Alle nur
zu bald den tiefen Ernſt des Augenblides erkannten und mit ſprach—
lofem Entjegen den Schreden der nächſten Zukunft entgegen fahen,
— 472 —
Chriſtine hüllte ſchnell entſchloſſen die alte Pathe in wär—
mende Kleider und ſprach ihr Muth zu.
Noch haben wir, Zeit, Pathe, ſprach das jetzt mit Umſicht han—
delnde Mädchen. Vater kennt die Elbe, wenn der Nordweſtſturm
fie aufwühlt, er kommt ſicher zur rechten Zeit, um uns'abzuholen.
Er muß nur zuvor auch die Mutter in Sicherheit bringen.
Trudchen begann zu weinen, nahm ihre Katze auf den Arm,
liebkoſ'te ſie und ſetzte ſich mit dem Thiere auf den Tiſch. Noch
vergingen lange, angſtvolle zehn Minuten, dann kamen Schritte
vom ſchmalen Gange herein, und die Harrenden erkannten in den
mit Abſicht ſehr laut Sprechenden die Stimme des Quartiersman⸗
nes. Chriſtine ging ihm bis auf den Hof entgegen.
O Vater, iſt das Wetter ſo bös? ſprach die Tochter. Gottlob, |
dag du da bit! Und da tft ja auch der treue Andread und
Trudchen's Vater. DO, wie dante ih Euch Allen! Wie möcht’ ich
Euch Allen fo recht, recht von Herzen erfenntlid fein!
Mach’ nur jebt nicht viel Worte, mein Kind, verfeßte Jacob
fehr ernit. Wir haben Eile. Geh’ voran mit Trudchen und An
dread, ih und Krume kommen mit der Pathe nah. Noch, Hoff
ih können wir mit Hülfe des an fchlimmeres Wetter gemwöhnten,
Undread die Hohe Brüde paffiren. Aber es, tft die höchſte Zeit.
Eine halbe Stunde fpäter Ihlägt der Sturm auch im Binnenha= '
fen die ſchwerſte Jolle um.
Den Flüchtenden kam das ftrudelnde Wafler ſchon entgegen.
Meberall vor den Eingängen der Höfe fah man Kähne, Laternen
eikten bin und wieder, Taue wurden aus den Häufern herabgelaf-
jen, Betten und andere Ütenfilien eingepadt, Männer fluchten,
Weiber jchrieen, Kinder weinten. Alles drängte vorwärts, und
Viele wurden in der Eile des Flüchtens beſchädigt.
Die Deiche brechen! rief plößlich eine Stimme.
Niemand wußte woher fie kam. Dann hörte man wieder
nichts, als das Niederſchurren abgeriffener Dachpfannen; Schorn-
feine ftürzten, die ganze Wand eines Hauſes ward nicdergeworfen,
Aus der entitandenen Deffnung fiel unter wimmerntem Weheruf
— 473 —
ein Menſch in den Fleeth, wo er noch ein paarmal auftauchte und
dann für immer verſchwand.
Die Geflüchteten erreichten glücklich die feſtgekettete Jolle. Ja⸗
cob und Krume trugen die Blinde, die Uebrigen waren ſchon ein⸗
geftiegen. Andreas faßte das Steuer, Jacob ergriff zwei Ruder
und fegte fie fiharf in das fhäumende, wühlende Wafler.
Das walte Gott! ſprach er, als Andreas durch eine Wendung
des Steuers den Nahen mitten in's Fahrwaſſer trieb, Wider Er-
warten erreichten fie ziemlich ſchnell den fchübenden Kanal und auf
diefem Heidenfrei's Haus. Hier erreichte dag Wafler fchon beinahe
bie Laube, und man konnte mit Sicherheit annehmen, daß bei
gleihmäßigem Steigen der Springfluth weder die Diele, noch die
Comptoirzimmer verfhont bleiben würden.
Der Rheder ftand mitten in einer Gruppe WMenfchen, die von
ihm Aufträge erhielten. Er grüßte die erfchrodene Chriſtine nur
flüchtig und rief Jacob zu, er möge fih parat halten, um mit eis
ner genügenden Zahl Arbeiter fogleich in den gemtetheten Speicher
zu gehen und dort im unterſten Raume die vom Waffer bedrohten
Waaren zu bergen. Der Quartiersmann bejahte kurz und trug
die vor Angſt und Froſt zitternde, ſprachloſe Blinde in das Zime
mer feiner Tochter, wo er fie nebft dem Kleinen, nicht weniger ge—
ängſteten Trudchen deren Pflege überließ.
Andreas hatte fi zu den Männern geſellt, welche Heidenfrei
umgaben. Gr fragte, ob der Rheder wünſche, daß er im Haufe
bleiben folle, da man ja im Voraus nidht alle möglicherweife ein-
tretenden Zwilhenfälle voraus berechnen könne. Das Krachen ber
Zärmfanonen, das fi jept abermals hören ließ, verfündigte von
Neuem das fortwährende Steigen der Springfluth.
Ich bin Ihnen für Ihr Anerbieten ſehr verbunden, verjegte
der Rheder. Verweilen Ste, wenn nicht dringende Geſchäfte oder
früher eingegangene Berbindlichkeiten Sie irgendwo andershin ru=
fen, bei uns. ine kräftige Hand ift unter folhen Verhältniſſen
oft viel werth. Ich felbft bin genöthigt, mein Haus zu verlaflen,
Ich Habe fo eben die wenig tröftlich lautende Nachricht erhalten,
— 474 —
daß der ſchwache Stadtdeich von der Fluth bedroht iſt. Kann ich
nun auch Unheil nicht abwenden, wenn die Gewäſſer den Anftren-
gungen menſchlicher Kräfte fpotten, jo iſt es doc Pflicht für mic,
denjenigen, bie in meinem Dienfte ftehen, fo viel als möglich
Hilfe angedeihen zu laſſen. Und überdies hab’ ich dort draußen
auch Eigenthum zu befhügen. Brit der Deich, fo ſchwemmt mir
die eindringende Elbe ein enormes Gapital fort, das ich In Holz
angelegt habe. |
Treufreund kam aus dem Gomptoir, eine Laft großer Bücher
auf dem Arm.
Wohin? fragte Heidenfret.
Nah meinem Zimmer, antwortete der „Schatten”. Es find
Hanptbüher, die ih geführt habe. Dringt das Waller ein, fo
wäre der Schaden, feuchtete es die Blätter diefer Bücher an,
duch nichts in der Welt mehr zu erfegen.
Aber, befter Treufreund, fiel der Rheder ein, wie joll das
Waſſer bis über die Pulte fteigen können! Halb Hamburg würde
ja in folhem Falle total von den Wellen verfhlungen werden! -
Der Dunft, Herr Heidenfrei, der bloße kalte Fleethdunſt,
der einen eigenthümlich ſcharfen Geruch befigt, erwiderte Treu—
freund, könnte fih in den Blättern feſtſetzen, und das wäre bei—
nahe ein eben fp großes Unglüd, als deren Durchweichung. Ich
ſtehe auf der Stelle wieder zu Befehl.
Damit zog er fein Käppchen vor dem Rheder, verbeugte fich
und flieg die Treppe hinauf, um den geliebten Büchern, in de—
nen das befte Theil feines Selbſt und, wie er oft behauptete,
die Ehre und Größe des Haufes Thomas Peter Heidenfrei auf-
bewahrt war, an einem völlig fihern Orte unterzubringen.
Heidenfret fhüttelte den Kopf über dies fonderbare Gebahren
bed wackern Alten, es blieb ihm aber nicht Tange Zeit, das Nutz⸗
loſe deffelben zu Überlegen, denn fein Sohn Ferdinand trat, von
bem ‚Gorrefpondenten Anton gefolgt, ſehr aufgeregt ins Haus.
Beiter Vater, ſprach Ferdinand, wenn mich nicht Alles trügt,
wird dieſe Nacht eine fehredenreiche, deren Angedenken lange fort
-
— 475 —
feben dürfte in den Annalen unferer Stadt. Das Waſſer ſteht
in diefem Augenblide bereits auf einer Höhe von einige Zolle
über fiebenzehn Fuß. Die halbe Altftadt wird von der Elbe durd-
ftrömt, alle Keller find erſäuft, die Noth der Geflüchteten tft
groß, das Jammern und Schreien Hilflofer, die nicht willen, wo
fie unterfommen, wohin fie fi vor dem Hagel niederſtürzender
Ziegelſtücke retten ſollen, zerſchneidet jedem Mitleidigen das Herz.
Am allertraurigſten aber lauten die Nachrichten vom Stadtdeich.
Dort rettet ſich bereits, wer kann und flieht der Stadt zu, denn
der Schwache, längſt ſchon ſtark mitgenommene Deih wird dem
furchtbaren Andrange der Wellen, dem wilden Schlagen und
PBeitihen der Sturmfluth ſchwerlich widerftehen. Ih komme, um
beine Meinung zu hören. Bit du noch Willens hHinauszufahren ?
Wir müſſen den Yeind befämpfen, fo lange wir können,
verjeßte der Rheder. Hier find meine Anordnungen getroffen, id)
jelbft bin vor der Hand entbehrlih. Da kommt auch Jacob zu=
rüd. Er gebt in den gemietheten Speicher, um bort zu vetten,
was möglich tft. Begleite ihn und thue, was der Augenblid er»
heiſcht. Ich eile nah dem Deich. Wer will mich begleiten?
Ih, ſprach Anton. Mein Auge tft fharf, mein Fuß fell.
Schwindlig und ſchreckhaft bin ih auch nicht, und außerdem fann
ih zur Noth noch ſchwimmen.
Wie ſeine Frau Mutter, murmelte unveritändlich der von
Oben wieder herabfommende XTreufreund, der im Vorübergehen
die legten Worte Anton’s hörte.
Wie fagen Sie? fragte Heidenfret.
Nichts, verfeßte der „Schatten“, kehrte fih um und machte
dem Gorrefpondenten eine Furze, ſpöttiſche Verbeugung.
But, fuhr der Rheder fort, ich nehme Ihre Begleitung an.
Machen Sie fich fertig, ich bin ſogleich wieder zur Stelle.
So fprechend, eilte der aufgeregte, dabei aber fehr befonnen
handelnde Rheder zu den Seinigen, jagte diefen mit kurzen Wor«
ten Adien, empfahl Allen Ruhe und Gottvertrauen und verfprad
— 4176 —
moglichſt bald zurückkommen. Bleibe er länger aus, ſollte man
ſich ſeinetwegen nicht ängſtigen, Anton begleite ihn.
O, Gott! ſeufzte Eliſabeth, und alle Farbe wich aus ihrem
ſanftem Geſicht. Wärſt du doch ſchon wieder bier und dieſe fchred-
liche Sturmnacht glücklich überſtanden.
Muth, mein Kind, Muth, und das Köpfchen immer oben be—
halten! verſetzte Heidenfrei ſcherzend. In der Noth nicht verzagen,
macht uns dieſes Lebens und der mancherlei Freuden und Seg—
nungen deſſelben erſt würdig!
Gott begleite Euch! ſagte Margaretha, den Gatten nochmals um⸗
armend und als er das Zimmer verlaſſen hatte, zwiſchen der bang
aufathmenden Tochter und der ganz ſchweigſamen Ulrike wieder Platz
nehmend, bie der bloßen Zerſtreuung wegen jede mit einer Hand—
arbeit ſich bejchäftigten.
Anton’d beherztes Wefen erlitt einen bedeutenden Stoß,
als er vor dem Deichthore einen erſten Blid auf den rafenden
Strom warf. Der Anblid war furchtbar ſchön, bis zum Entſetzen
erhaben. Bald Tagerten über dem gelbgrauen firudelnden Abgrunde
ſchwarze Regenwolfen, ‘die in vafender Eile vom Sturme gepeitſcht
jübwärts zogen, bald bob ſich diefe graue Wolfendede, zerflatterte
nach allen Seiten und einzelne Sterne blidten, brehenden Augen
eines Sterbenden ähnlih, auf den Graus der Erde. Die Elbe
wogte wie ein flürmijhes Meer. Zahlloſe Trümmer zerfchlagener
Holzflöße trieben und tanzten auf den gurgelnden, zifhenden Wel—
len, Hausgeräthe lag zerbrochen, vernichtet am Deichrande. Schau⸗
erlih Klang zwiichen dem Brüllen des Nordweititurmes das Hilfe
gefehret der Menfihen, welche die Fluth überrafht und jeder Aug:
fiht auf Rettung beraubt hatte, und nicht weniger erfüllte das
ärigitlihe Blöden fortgerifiener Schafe, das heiſere Brüllen der
Kühe, das wimmernde Wiehern fortgefchwemmter Pferde das Herz
jedes fühlenden Menfchen mit Entjegen. Wenn dann auf Aus
genblide ein großer heller Raum in die Wolken riß und das
bleiche, alte Mondliht auf die graufe Vernichtungsſcene fiel, er:
bedte auch der muthigite Daum vor dieſem Unblid, und der Käls
— 477 —
teſte, Hartherzigſte ſogar fühlte eine Anwandlung von Mitleid mit
den Unglücklichen, denen die entfeſſelte Wuth zweier Elemente
vielleicht Alles raubte.
Nur mit Aufwendung aller Kräfte gelang es dem Rheder,
die Gegend zu erreichen, wo ſich ſein Holzlager befand. Ein Theil
der, Bedachung war ſchon der Gewalt des Sturmes erlegen. Das
ganze Gebäude zitterte unter der Wuth der Windwogen, und von
der Stromſeite ziſchten bereits Waſſerſtrahlen über den Deichkamm.
Ueberall waren zahlreiche Hände beſchäftigt, den offenbar zu nied⸗
rigen Deich mittelft aufgehäufter Sandfäde zu erhöhen. Heiden⸗
frei war, ſoweit das andringende Waſſer es zuließ, überall zur
Hand und »Anton mit feinem ſcharfen Auge, feiner geſchmeidigen
Gitedergelentigkeit, die dem Sturme beffer, als ber hagere, ſchwache
Körper des Rheders die Spitze bot, leiſtete dieſem ſehr weſentliche
Dienſte.
Beinahe anderthalb Stunden kämpfte und rang die vereinte
Kraft vieler hundert Menſchen mit der immer höher ſteigenden
Fluth. Bei dem Durchglänzen vereinzelter Mondſtrahlen konnten
die Arbeitenden bemerken, daß die Waſſermaſſe immer wilder wogte
und alles Land weit umher ſchon in einen weiß ſchäumenden See
verwandelt war, aus welchem nur Baumgruppen, kahle, ſchwarze
Streifen von Deichen und hohe, ſteile Strohdächer umflutheter
Wohnungen emporragten.
Hetdenfrei Hatte die Holztreppe erftiegen, welche zu feiner
Niederlage führte, die großentheils hinter dem Deiche, mithin tief
unter dem Spiegel des angefchwollenen Stromes lag. Anton lei⸗
tete von ber unterjten Stufe der Treppe aus bie Arbeiten am
Deiche. Da drang plöglih ein wilder Schrei durd das Braufen
des Sturmes, ein Schauer trüben Waflers fprüßte herauf bie zum
Standorte des greifen Rheders, der fih, um dem Winde zu troßen,
mit beiden Händen an den obern Querbalfen der Thür fellflam-
merte und fich vergebens anftrengte, das Chaos zu durchſchauen,
das wenige Schritte entfernt fich geftaltete, Alles wankte, rollte,
ftürzte durd= und übereinander, der Strom brauf’te, die hochſchla⸗
— 418 —
genden Wogen fhäumten wie Meeresbrandung, Bäume fielen, die
Erde bebte, ſank ein, trieb fort, krachend verſanken Häufer, “Men
hen, Steinwert in einen breiten, ſtrömenden Wafferfturz, der Alles
in feine Strudel fortriß und begrub. Der Deich war gebrochen! —
Auch der Tautefe Ruf einer Menfchenftimme blieb in dem
Gebraufe von Wind und Wogen unhörbar. Heidenfrei bemerkte
das Fortfhurren bes Erddammes, er fühlte den Drud der Iv8-
geriffenen Scholfen gegen das Holzgebälk, das ihn trug, er fah,
wie Anton ftrauchelte, fiel, zwiſchen Grögeröll und braungelden
Wellen fih überfhlug — er rief ihm zu, er firedte die Hand
nah dem ſinkenden Jünglinge aus, erfaffen aber fonnte er ihn nicht.
Noch wenige Augenblide und bie Treppe brach. Auch Heiden-
fret flürzte zwifhen Brettern, Erdfhollen und Steingeröll in bie
brüllenden Wogen und trieb mit zahlreichen Andern fort auf den
zerftörenden Fluten. Sein graues, dünnes Haar flatterte im
Sturm und madte ihn Vielen tenntlih. Anton, der fo glücklich
war, einen gewichtigen Ballen zu faflen und fih rittlings darauf
zu ſchwingen, erfannte ben bebrängten alten Mann und rief ihm,
feine eigene Gefahr vergeffend, rathende Worte zu. Jede Rettung
aber würde unmöglich gemwefen fein, Hätte der erfte gewaltige
Schwall des Waffers, von der Menge Erde, die er mit fortrif, ſich
nicht Furze Zeit an einem querziehenden, mit vielem Bufchwerfe
befegten Damme geftaut. Hierhin trieben Viele ber Portgetrages
nen und Manchem gelang es, einen Baumaft zu erreichen, in ber
Angſt der Verzweiflung fih emporzufgmwingen und fo auf einem ber
ftarfen, alten Bäume vorläufig Rettung, oder doch wenigſtens eine
Zuflucht zu finden.
Zu diefen Glüclichen gehörte Anton. Kaum fah er fid ſelbſt
momentan geborgen, fo dachte er fhon auch an die Rettung An-
derer. Er gewahrte den Rheder auf den Trümmern ber Treppe,
die er mit beiden Händen feithtelt, fah ihn herantreiben, zwiſchen
den Baumftämmen verfhwinden, wieder erfcheinen, endlich fich feft-
baten. Ein Zeichen, ein Ruf, ein grellee Schrei machten Heiden-
fret aufhorden. Herr und Diener erfannten fil. Anton wagte,
— 479 —
wie eine Eichkatze weiter zu Eettern auf einem der breiteften Aefte
der blätterlofen NRüfter, die ihn trug. Die firudelnden Waſſer
ftreiften feine Füße, er tauchte fogar mit dem ſchwankenden Afte,
der feinen Körper faum zu tragen vermochte, bis zum halben Leibe
in die falte, Ichmige Fluth, aber cr verlor den Muth nicht und
gab aud fein Unternehmen nicht auf. Mit fat übermenſch⸗
licher Anftrengung ſchwang er fih auf einen andern Aft, von dies
fem auf einen vritten und vierten. Endlich faßte er wieder feiten
Fuß auf ſtarkem Inorrigem Stamme. Er nermochte, dem hier
zwifchen zwei Stämmen feftfibenden Nheder die Hand zu reichen und
zog ihn zu fih herauf. Aller Noth und Angſt des Augenblickes
vergefjend, rief er, als der zitternde Rheder neben ihm fand und
einen heißen Dank ftammelte:
Hurrah, mien Moder. kann ſwemmen!
Dann fhlang er feinen Arm um den Leib bes Prinzipals,
zog fein Tafchentuh, knüpfte es mitedem des Rheders zufammen
und band diefen, der mit gefchloffenen Augen den Stamm um-
klammerte, um von der raſch vorüberziehenden Fluth nicht ſchwind—
ih zu werden, mit diefem Nothtau, fo gut es gehen wollte, feit
an den fhhügenden Baum.
Fünfzehntes Kapitel.
Tod und Rettung. g
Don Alonfo Gomez und fein Diener hatten einen ſchweren
Stand. Nicht blos verfegte der Nordwefl-Sturm ihnen den Athem
und nötbigte fie, langfamer zu reiten, bie Pferde wurden aud
unruhig, ängſtlich und zuletzt ſtörrig. So Lange die Reiter zwi-
hen einigermaßen gefhügten Heden forttrabten, ftießen fie auf Fein
bedenkliches Hinderniß, als aber die Straße fich fenkte, die bewal⸗
— 480 —
beten Uferhöhen zur Rechten blieben und der braufende Strom zur
Linken fihtbar warb, da begannen die geängfteten Pferde zu fhnau-
ben und waren nur mit Mühe vorwärts zu bringen.
Don Gomez, ohnehin Argerlih darüber, daß fein Föftliches
Mahl ihm dur ein Naturereigniß fo unangenehm geftört worben
war, ſchimpfte, fluchte, ftieß die entfeglichften Gottesläfterungen aus
und traftirte dabet in der Wuth fein Thier in einer Weiſe, die
ganz und gar das Gegentheil von dem zur Folge haben mußte,
was er beabfihtigte.e Das Roß bäumte, fprang zur Seite unb
gab alle Zeichen eines nahe bevoritehenden Scheuwerdens von fi.
Mafter Papageno ließ fi weniger von blinder Leidenſchaft⸗
lichkeit beherrfhen. Cr begriff vollkommen, welcher Gefahr fie ſich
ausfesten, wenn die unruhigen Thiere dem Zügel nicht mehr
gehorchten.
Schmeicheln Sie dem Pferde, raunte er faſt gebieteriſch dem
heftigen Mexikaner zu. Die Gerte macht es nur wild und am
Ende wirft e8 Sie ab, wozu hier durchaus fein Platz if. In
einer Viertelftunde müflen mir die gefährliche Stelle zurüdgelegt
haben, wo bet Hodfluthen der Strom die Straße überfpült, fonft
fönnen wir umfehren oder unter fretem Himmel camptren.
Garajo, ich wollte meine Augen hätten dies verdammte Land
niemals gefehen! verfeßte Don Gomez. Es tft nichts Anziehendes
bier zu finden, als die jungen Mädchen und Frauen, und biefe
befigen neben allen Vorzügen nur wieder den einzigen großen Feh—
fer, daß fie eisfalte Herzen oder doch nur Herz für einen Einzi«
gen haben. Der Teufel hole fo Volk, wie Land! Immer raſe
zu, Sturm, immer rollt und brauf’t, wild empörte Fluthen, und
wollt Ihr mir einen Gefallen thun, fo überfhwemmt und ver-
fhlingt das ganze fifhblutartige Gefchlecht, das weder zu Tieben,
nod zu haſſen veriteht.
Es gelang ihm, das Thier wieder in Trab zu feken. Der
Mulatte ritt, da er bemerkte, daß das Pferd feines Herrn dann
Leichter vorwärts zu bringen war, biefem voraus. So vergingen
etwa zehn Minuten, Die brechenden Wogen des Stromes bon-
— 481 --——
nerten immer vernehmbarer, das hohe Schilf am Etrande yflif
unheimliche Weifen, hin und wieder ſcholl Hundegebell von dem
hohen Ufer herab, vereinzelte Lichtpunfte ſchimmerten düſter durch
die feuchtkalte Luft. Die Krähen krächzten und hodten Schaaren=
weife, mit den fhmwarzen Fittichen die Luft fchlagend, auf den ent-
blätterten Bäumen, deren Wipfel ber Sturm zerzauf’te oder wohl
auch brach.
Das Thier des Mulatten blieb ftehen, ftemmte beide Vorder⸗
füge fet in den Sandboden, fpigte die Ohren, fchnaubte und warf,
die Nüftern aufblafend, den Kopf zurüd, Der Rappe ded Me-
xikaners zitterte und machte ebenfalls, ſeitwärts blidend, Halt.
Mas gibt es fhon wieder ? fragte Don Gomez.
Fluth, Schaum und ein Schwarm weißer, gefpenftifcher Vö—
gel verfperren den Weg, verſetzte Mafter, Papageno. Wir müſ—
fen umkehren.
Lieber dem Teufel in den Rachen, als umkehren! ermiderte
Don Gomez. Vorwärts, fag’ id, und wenn die Beftte nicht will,
fo ſtoß' ihr die Sporen in die Weichen, dag du fie morgen früß
mit einem Schraubenzteher wieder herausziehen mußt.
Ich bin fein Thierquäler, Herr, fagte der Mulatte finfter,
fein Pferd leiſe feitwärts drängend. Merfuchen Sie felbft Ihr
Hell, wenn Sie meinen, die Glemente werden Ihnen eben fo wil=
ig dienen, wie die meilten- Menfchen.
Des Merifaners glühbende Augen fielen auf den wühlenden,
braujenden, vor= und rückwärts wogenden Schaum, den wohl drei-
Big bis vierzig Buß breit die Fluthbewegung des Stromes hier
über die Straße trieb. Ein dichter Mövenſchwarm ftieg einer weiß
glänzenden Wolfe gleich über der verhängnißvollen Stelle klagend
auf und nieder.
In des Teufels Namen, vorwärts! fchrie Don Gomez, den
ed empörte, daß er der eigenfinnigen Laune eines Thieres fih fü-
gen folte Der Rappe machte, vom fiharfen Sporn des wilden
Reiters getroffen, ein paar wüthende Sätze, berührte die ftrudelnde
kalte Schaummelle, bäumte und mwarf feinen Reiter ab, dann kehrte
D. 2. XI. Willkomm's Rheder und Matrofe, 31
— 481 —
er um und jagte unaufhaltfam rückwärts. Der Mulatte wollte
das fcheugewordene Roß am Zügel erfaflen, verlor dabei feldft
das Gleichgewicht und ward, von dem eigenen Thiere fortgerifien,
ebenfalls in die Fluth gefchleudert. Die Möven flogen unter grel-
lem Schrei hoch auf, fammelten fi aber ſchnell wieder über den
tanzenden Schaumfreifen und, blieben wie früher in fchwebender
Bewegung, ununterbrochen leiſe klagende Töne ausſtoßend, darüber
ſtehen.
Zu jeder andern Zeit würde es Don Alonſo Gomez leicht
geworden ſein, einem wirbelnden Waſſerſtrudel ſich zu entringen,
denn er war ein geübter Schwimmer, jetzt aber hinderte ihn die
lange, verhüllende, indiſche Kleidung an freier Bewegung feiner
Glieder, und während er, gegen den rollenden Triebfand unter
feinen Süßen und gegen ben Giſcht der ſchäumenden Strommellen
einerſeits kämpfte, fuchte er fih möglichſt fehnell der hemmenden
Hüllen zu entlebigen. Died gelang ihm zwar; ehe er fid cher
völlig frei und Herr feiner Kraft fühlte, hatte ber rafende Fluth-
from ihn ſchon erfaßt und trieb ihn, troß alles Ringeng, weit hin⸗
aus in die wild rollende Elbe.
Maſter Papageno hatte gleiches Schickſal mit ſeinem Herrn.
Auch er verſank in den Sand, die Wellen ſchlugen ihn um, das
Gefieder der Möven traf ſeine Augen, daß ſie Funken ſprühten
und alle Sehkraft von ihm wid. Er rief feinen Herrn,deſſen
Haupt er no Über den Wellen zu fehen glaubte; er ſtrengte ſich
an, ihn zu erreichen, aber der Unglüdliche Tonnte nicht ſchwimmen!
Er ſank, taudte wieder auf, ſchrie verzweiflungspoll den Namen
bed Merikaners in die rafende Sturmnadt, tauchte nochmals un-
ter und wiederum auf und verfant endlich in den gurgelnben
Wogen. Gin tricterförmiger Ring, der fehnell Meiner warb, be⸗
zeichnete die Stelle, wo der Mulatte fein Grab fand. Gin paar
Möven ſtrichen noch einige Male darüber Hin, bie äußerſten Spitzen
Ihrer Flügel in die Wellen tauchend und mit den langen fpigen
Schnäbeln deren Schaum berührend, — als pickten ſie Nahtung aus
dem trüben Gewäſſer. —
— 483 —
Inzwiſchen firengte Don Gomez alle Kräfte an, um fid
‚über Waffer zu halten. Er hörte den Verzweiflungsfchrei feines
Dieners und warf inſtinktmäßig einen Blid dem Ufer zu, wo er ihn
zuletzt verlaffen hatte, retten fonnte er nicht, wenn er auch ten be=
fien Willen dazu gehabt hätte. Es war aber jegt nicht Zeit zu
grübeln und über Unabwendbares unnüge. Betrachtungen anzuftel-
len. Don Gomez wollte fih ſelbſt um jeden Preis retten, denn
das Leben erſchien ihm doc ſchön und ftellte fich gerade jetzt, wo
er cin Spielball des erbarmungslofeften Elementes war, in fo
verlodenden Farben dar, daß er gar feinen anderen Gebanten, ale
den nad Rettung, zu faflen vermochte.
Muskelfräftig und in anhaltendem Schwimmen geübt, ge=
traute er fih, geraume Zeit einen Kampf mit den hochgehenden
Wellen beiteben zu fönnen, nur bie heftigen Windſtöße, bie wie
ſpitze Riefenfeulen in den Strom fuhren und bald tiefe Trichter
und Schlünde bildeten, bald die Fluthen zu fhäumenden Kämmen
aufrollten, drohten ihm Gefahr und mußten felbft die Kraft des
ſtärkſten Mannes binnen Kurzem ermatten.
Aber der Mexikaner war von jeher ein Kind des Glüdes
gewefen, und au jebt verließ es ihn nicht. Er bemerkte bald,
daß die Fluth mit einer Menge von Gegenfländen fpielte, bie
Sald nahe, bald fern an ihm vorübertrieben, oder, je nad ber
Bewegung der Wellen, auf einer Stelle zu weilen fchienen.
Einige Male täufchte er fih auch, denn die fchleppenden Wolfen
warfen frabenhafte Schatten, bildeten phantaftifhe Fahrzeuge, die
mit dunkelbauſchigen Segeln gefpenfterhaft ſtromaufwärts ſchaukel⸗
ten. Mitten in dieſen fehattenhaften Geftalten und den Gebtlden
der Einbildüngskraft, die des Mexikaners glühendes Auge auf
- der weiten Wafferwüfte auftauchen und wieder verfijwinden fah,
gab es auch reellere Gegenftände. Bald war es ein Losgerifjener
Baumftamm, der einen abgebrochenen Aft über die Fluth empor:
bob, wie ein Ertrinfender die Hand ausſtreckt und frampfhaft in
die leere Luft Hineinfaßt, bald trieb der Giebel eines eingeitürzten
Haufes, deſſen Warft die Fluth zerfhlagen, auf dem Strome,
31*
— 484 —
jetzt als breite Fläche, jetzt mit dem doppelten ſpringenden Roß
am Giebelende aufrecht im Waſſer ftehend. Dann wieder rollten
die Wellen einen Wagen auf ſilbernen Schaumgeleiſen oder breite,
hohe Schober Heu, die Sturm und Wogenſchlag noch nicht zer-
fhlagen konnten, ſchwammen gleih Oaſen, weldhe dem Sciff-
brüchigen einladend zumintten, fo nahe an ihm vorüber, daß
Don Alonfo Gomez fie beinahe greifen konnte. Immer aber
täufchte er fih, immer entriß ein Windſtoß oder eine hochgehende
Woge den rettenden Anker wieder feiner Hand, und immer mehr
erlahmte feine Kraft und Alles um ihn her, Luft, Wolken, Waſ—
fer nahm eine zitternde, wogende, brandrothe Farbe an. |
Schon glaubte der Bedauernswerthe fi verloren, da fah er
einen gewaltigen, hohen, ſchwarzen Gegenftand ſtromaufwärts
treiben. Diesmal täufchten feine von Waſſer entzündeten, heißen
Augen ihn nicht. Es war fein vorlberfegelnder Nebel, kein
Schiff feiner erhigten Einbildung, nur was die Wogen fchaufel:
ten, konnte er in der wüften Sturmnadt nicht erfennen.
Mit Aufbietung feiner letzten Kraft kämpfte Don Gomez ge:
gen die Fluth, um nicht rafcher aufwärts getrieben zu werben,
ale der finitere Gegenftand ihm ſich näherte. Es gelang ihm
wider Erwarten, Das ſchwarze Gebäude, das fi jekt als ein
wohl erhaltenes Strohdach zeigte, welches von den Fluthen irgendwo’
fortgeriffen worden war, ſchwamm näher und immer näher heran.
Dunkle Umrifje menſchlicher Geftalten regten fih auf ber Firſte
des fhwimmenden Daches. Wahrfcheinlih waren es tie Bewoh-
ner und Eigenthümer des Haufes, welhe, dem fihern Tode Im
Waſſer zu entgehen, diefen letzten Zufluchtsort geſucht hatten.
Don Alonfo Gomez fteuerte auf diefes Dad zu, er wagte
fogar zu rufen und glaubte an ben Bewegungen der Geftalten,
die e8 trug, zu bemerken, daß fein Ruf vernommen worden fei.
Noch einmal ftieß er einen wilden, gellenden Schrei aus und
fant zurüd in eine fih brechende Welle. Er fühlte etwas Hartes
feinen Körper berühren. Halb bewußtlos griff er danach und
faßte ein Tau. Er hielt es feit, bob fich wieder empor über ben
— 485 —
Spiegel ded Stromes und gemwahrte, daß er dem Dache um ein
Beträchtlihes näher gekommen fe. Noch verging eine bange,
jhredlihe Minute, dann ſtieß er.an das Stroh, faßte mit krampf⸗
haftem Griff in dasſelbe, mit der andern Hand das Tau haltend,
und in dem Augenblide, wo ihm die Sinne vergingen, fühlte er
nur noch, daß mitleidige Hände ihn ergriffen und emporriffen
aus der Fluth, die feine Glieder erflarren machte. Er fah und
hörte nichts mehr. Die ermübete Hand ſank kraftlos nieder, das
Auge Schloß fih und nur eine bumpfe Empfindung, wie fie uns
bisweilen im Traume ängfligt und das Athemholen beengt, jene
Empfindung, die man Alpdrüden nennt, knüpfte den Mexikaner
noch an das Keben. 0
Viertes Buch.
— —
| | Durh Nacht zum Fit,
Erfies Kapitel.
Am Morgen nach der Fluth.
Am Morgen des drei und zwanzigfien Februars 1825 boten
die Ufer der Niederelbe und die Küftenränder der Nordſee einen
herzzerreißenden Anblid dar. Wo am Tage vorher noch weite
Streden fruchtbarer Ländereien lagen, da ſah man jegt meilenweit
nichts als reinen ſchmutzig-gelben Wafjerfpiegel, auf dem zwifchen
Häufertrümmern und Geräthichaften aller Art zeritoßene Leichname,
ertrunfenes Vieh, zerbrohene Wagen, Bettitellen, Wiegen, Heudie—
men und zahlloſe andere Gegenftände fhwammen. Stehen geblie=
bene Wohnungen ragten mit den Dächern, höhere auch mit dem
halben Gefhoß Über das jet langſam ablaufende Wafler empor.
Auf vielen folder Häufer faßen frievende, von den erlebten Schreden
ſtier blidende Menfchengruppen. Aus mandem Gefiht blickte der
Wahnfinn, aus andern ſprach - die Falte Ruhe der Verzweiflung.
Es gab Männer, die mit feit gefalteten Händen auf die Verwü—
ftung rund umher, auf diefen wetten, im Winde zitternden Kirch—
hof hinabſahen und bei diefem Anblid in unaufhaltfiames Schlud-
zen ausbrachen. Andere zählten ihre Lieben und vermißten ein
oder das andere Haupt. Eine Mutter, die ihr halbjähriges Kind
in ein leeres Storchneft gebettet hatte, dann nochmals hinabgeſtie—
gen war in die Kammer, deren Benfter die Fluth ſchon zerbrach,
Iniete jeßt neben dem Neft und fuchte vergebens nad dem Säug-
linge. Der Sturm hatte das Neft zerftört und das Hilflofe Kind
in die Wogen geſchleudert.
Scenen folder Art kamen nicht vereinzelt vor, fie gehörten
in jenen Schredensftunden zu ben gewöhnlichſten Tagesbegebenbeiten,
Die Feder der Shroniften fand aber nicht Zeit, alle Schredniffe zu
— 490 —
verzeichnen, welche die grauenvolle Sturmnacht über Hunderttau⸗
ſende verhängte.
Wo am Morgen nach der großen Fluth kein Waſſer die ver-
heerten Gegenden bededte, da lag jebt fußhoher Sand oder ſchwe—
rer Lehmboden, oder dider, zäher Schlamm. Auch in diefem ent-
dedte man Leichname und als die Fluth wieder ſtieg, fiderte aber-
mals ſchmutziges Waller über das verichlammte Erdreich, denn Die
Elbe ergoß ihre Wogen durch die gebrochenen Deiche.
Vereinzelt fah man zwiſchen den Deichen in den überfhwenm-
ten Landestheilen Kähne fahren, um die auf Bäume und Däder
Beflüchteten zu retten und fie, nun das Wafler fie verſchont hatte,
nicht der qualvofleren Bein des Hungertodes Preis zu geben, Ans
dere waren auf den Deichen beichäftigt, die ſchon angetriebenen,
oder nah und nah anfhwimmenden Leichen der Ertrunkenen .auf-
zubeben und fie ben Ihrigen zur Beftattung zu übergeben. Oft
freilich mußte nur die Gemeinde die Beftattung dibernehmen, ‚denn
gar ‚viele Familien waren gänzlich umgelommen. Und doch konnte
das Loos folcher noch ein.beneidenswerthrs genannt werden gegen-
über den jammernd umberlaufenden Kindern, die vergebens nad)
den vermißten Aeltern riefen und dieſe erſt nach langem Suden,
in Schutt und Schmug begraben, als flarre, verſtümmelte Leichen
wiederfanden,
Ein fahles, kupferfarbiges Roth ſäumte die düſtern Wolken,
bie noch immer ziemlich raſch füdoftwärts zogen. Die Sonne brach
nur felten dur, und wenn es geſchah, beleuchteten ihre Strahlen
ein Gemälde, das keines Menſchen Hand zu ſchildern vermöchte
und das lieber in bie wohlthätigen Sqatten der Nacht für ewige
Zeiten gehüllt bleibt.
Diek⸗Johann hatte, gleich allen Bewohnern der Marſchen,
eine ſchwere, ſorgenvolle Nacht durchlebt. Wenn er aber auch in
ſeiner Art ein Mann des Vergnügens war und ſich körperlich nichts
abgehen ließ, ſo folgte er doch wieder ſtets dem Ausſpruche des
weiſen Salomo, der die Behauptung aufſtellt: Alles habe ſeine
Zeit. Arbeitete Diek⸗Johann, fo gab es für ihn, wie für Alle,
[_ ˖
— 491 —
die in feinen Dienften ftanden, nichts als ettel Arbeit. Und ber
reiche Marjhhofbefiger war ein firammer Arbeiter, der etwas leiſten
konnte und es mit Mandiem von längerer Statur und ſcheinbar
noch viel flärferer Organtfatton bequem aufnahm. Pflegte er der
Ruhe, fo ließ er fih darin auch nicht gern flören. Wer es wagte,
ben bediente er mit fehr unhöflichen Redensarten, gleichviel, ob es
ein Mann feines Gleichen oder ber Kirchſpielsvoigt war. Es
fam wohl vor, daß Bekannte und Freunde dem allzu rüdfichtslo=
fen Manne feines Benehmens wegen Borwürfe machten und ihm
zu bedeuten fuchten, es fei weder möglih noch vortheilhaft, mit
dem Kopfe gegen die Wand zu rennen. Wer das dennoch thue,
der fähe zu-fpät ein, daß ein menſchlicher Schädel leichter zerbreche,
als eine gut gemauerte Wand. Diek-Johann Anderte indeß troß
folder freundfchaftlihen Ermahnungen fein Betragen nidt. Er
fagte ganz troden auf die Iebte Bemerkung der Rathgeber: das
fommt auf den Kopf an, warf die Lippe nur noch trogiger auf,
als fonft, zog den feiften Kopf tief in die Schultern, wie eine
Schildfröte, wenn man fie berührt, und blieb genau fo, wie ihn
alle Welt von jeher gefannt hatte,
Als in der vergangenen Nacht der Sturm losbrach und bald
zum Orkan anwuchs, warf Diek-Johann fih in fein ſchwarzes
Regencoftüm, griff nah Hade und Schaufel, band fih den ge=
theerten Südwefter feſt unterm Kinn und fagte zu allen männlt-
hen Bewohnern des Marſchhofes: es gibt diefe Nacht eine Spring-
Sturmflutt. Wir müflen wah bleiben und den Deich fügen,
fonft find wir morgen früh allefammt erfoffen wie die Mäufe.
Da half Feine Widerrede. Diek-Johann war der Erfte auf
dem Deihe, deſſen ſchwächſte Stellen er genau kannte. An bie
gefährlichſte Stelle ſtellte er ſich felbft mit feinen Leuten und arbeitete,
daß ihm der Schweiß von ber Stirne troff. Die Nachbarn folg-
ten feinem Beifptele -und fo gelang es den Anftrengungen vieler
vereinter Kräfte, ben Deich gegen die Fluth glücklich zu vertheidi—
gen. Erſt als das Waſſer fiel, begab Diek-Johann ſich beruhigt
und zufrieden zurüd in feine Wohnung Wie furdtbar aud noch
— 493) —
ber Nordweſtſturm brauſ'te, wie wild die Wogen ſich an dem Stein-
geripp des Deiches brachen, ihn kümmerte die Wuth der Elemente
jebt nicht mehr. Er war von der angeflrengten Arbeit hungrig
geworden und ließ fi deßhalb nunmehr das Eſſen fhmeden. Alles
bat ja feine Zeit! — Morgen konnte ed abermals alle Hände voll
zu thun geben, und wer foll und kann tüchtig zugreifen, wenn ihm
der Hunger den Magen zufchnürt ?
Nah dem fehr fpäten Abendeffen fchlief er nur zwei Stunden
lang, frübftüdte mit Ruhe, warf abermals feinen Regen- und
Sturmhabtt über und war der Erfte wieder auf dem Deide.
Langſam befchritt der Marfchbewohner den Kamm des Dei-
ches, immer den noch ſtark bewegten Strom betrachtend, der jetzt
bet dem Wiedereintritt der Fluth heftig gegen den Deich brandete.
Andere gefellten fih zu Diek-Johann, wechſelten einige Worte mit
ihm und gingen dann fihweigend welter, da fie nur furze, mür-
rifhe Antworten erhielten.
Die Blide des reihen Marfihbauern waren meiltentheils auf
den Strom gerichtet, der ausgeftorben zu fein ſchien. Nirgends
fab man ein Schiff, nirgends einen Ewer, deren doch fonft an je-
dem Morgen zahlreihe von allen Uferorten auslaufen, um nad
Hamburg aufzufegeln.
Er blieb fliehen, ftübte fih auf feinen Springftod, den er
dieemal ftatt der Schaufel mitgenommen hatte, und fagte, dem Zug
der Wellen folgend, mit einem leichten Seufzer:
Ya, ja, der Strom {ft ſtill und wird's heute und morgen,
vielleicht wohl auch übermorgen noch bleiben; denn die Leute, die
ihn fonft befahren, haben Anderes zu thun. Ste begraben ihre
Todten! — Solch, eine Sturmnadt tft eine Schlacht, die Gott
der Herr der fündhaften Menſchheit liefert. Er hat nichts, was
Menſchen erfanden, womit fie ſich vertheidigen. Seine alleinige
Maffe tft eine Mütze vol Wind. Damtt löſcht er allen Wik und
Verſtand in den gefcheidteften Köpfen der nad feinem Ebenbilde
gemachten Menfhen aus, und fchlägt fie zu Hunderten und Tau-
fenden nieder. Das iſt Die Macht des Herrn, und fo oft er der
— 493 —
Menſchheit eine folhe Schlacht Iiefert, muß ih immer an ben
Apoftel Paulus denken, der von ſich fagte, damit Andere an fet-
nem Thun fi ein DBeifpiel nähmen: Nicht, daß ich's ſchon er-
griffen hätte oder ſchon vollkommen ſei, ich jage ihm aber nach, ob
ich's ergreifen möge! — Nun, will's Gott, und kann ich meinen
ſchwachen Willen durchſetzen, ſo denk' ich, der ſtarre Apoſtel, der
kein Faſelhans war, ſoll mir in Zukunft ein Beiſpiel bleiben, das
ich beherzigen werde, ſo viel ich kann.
Diek-Johann ſprach dieſe Worte nicht aus, ſie zogen nur
durch ſeine Gedanken, wie er ſo daſtand am äußerſten Deichrande,
der Wind in ſeinen Haaren wühlte und der feuchte Dunſt des
rauſchenden Stromes um ſein Antlitz fächelte. Unten am Fuße
des Deiches, wo ſonſt ein breiter Streif hohen Schilfes bei ge=
wöhnlihem Hochwaſſer nod über die Fluth emporragte, lag jebt
ein Knäuel Schlamm, Erde und Steingetrümmer, und zwifchen
diefem Fluthgeröll iganfelten die Wellen ein fchöned, großes Mut-
terſchaaf.
Das gegenüberliegende Ufer war kaum zu erkennen. Wie
ein ſchmaler, brauner Saum nur hob es ſich über das düſtere
Grau der Wogen, auf denen die verſchiedenſten Gegenſtände
trieben.
Es war Fluthzeit und die Strömüng ging rückwärts. Wie
nun Diek-Johann ſo hinausſah auf die breite Waſſerfläche und
ſeine Miene immer ernſter wurde bei den Gedanken, die in ihm
aufſtiegen, bemerkte er in ſehr großer Entfernung vom Ufer eine
hohe treibende Maſſe auf dem Waſſer. Er konnte nicht klug aus
dieſem Gegenſtande werden, den er bald für einen hohen Schober
Heu, bald für ein Haus hielt. Auch kam es ihm vor, als be—
wege ſich auf deſſen höchſter Spitze etwas Lebendiges.
Es werden Aaskrähen fein, dachte der Marſchbauer, ſah dem
Steigen der Fluth noch eine Welle zu, um einen Maaßſtab ſich
zu bilden für die Höhe, die fie wahrſcheinlich erreichen werde, und
verließ dann den Deich wieder, um feine beforgten Hausgenofjen
—
— 494 —
zu beruhigen, die noch Immer in Angft fchwebten und ein aber-
maliges bebrohliches Steigen der Gewäfler fürchteten. —
Um diefelbe Zeit war tim Haufe des Rheders große Freude.
Die Naht war der Familie Heidenfrei unter fchweren Aengften
vergangen. Das Ausbleiben des Waters, der Schredensruf der
Menfhen, der Deich fei gebrochen und die Elbe habe alles Land
weithin überfluthet, Häufer fortgefhwenmt und zahlreichen Men—
fhen den Tod gebradht, mußte die. Angft aufs Höchſte fteigern.
Ste fahen freifih ein, daß im Augenblick eine fihere Nachricht
von Niemand zu erlangen ſei. Die Fluth trennte Hunderte und
die finftere Sturmnacht machte jede Rettung, felbft alles Nahfor-
fhen völlig unmöglih. Man mußte das Sinfen des Waflers und
die Morgendämmerung abwarten, um mit nur einiger Ausficht
auf Erfolg das Rettungswerk beginnen zu können.
Ein Troft für die geängfteten Frauen war der Steuermann
Andreas. Diefer fprah Allen Muth zu, blich gelafjen, ja beinahe
heiter und betheuerte mehrmals, es fet nicht fo gefährlich, wie es
ausſehe. Seine wahre Herzensmeinung fretlid verbarg er oder
Außerte fie nur gegen Jacob.
Am unruhigſten von Allen zeigte ſich Treufreund, Als die
anderthalb Stunden vergangen waren, in denen er die Rüdfehr
des Rheders erwartet hatte, hielt e8 den wackern Alten an feinem
Orte länger, als fünf Minuten. Bald ftand er, fein geftidtes
Mügchen in der Hand drehend, vor Frau Margaretha, unzufam-
menhängende Fragen an die fo fchon ſchwer geängftete Matrone
tihtend, bald verfuhte er mit Eltfabeth und Ulrike zu ſcherzen,
die, um ihre Herzensangft den Andern nicht merken zu Taffen, mit
einer früher nie gefannten Gmfigfeit arbeiteten. Dann ftieg er
. eine Treppe höher, Elopfte an das Zimmer Chriftinens und fühlte,
als verftände er etwas von Arztlihen Dingen, der immer ſchwä⸗
her werdenden alten Stiberweiß den Puls, Auch mit Trudchen,
die noch immer ihre Katze Tiebkof'te, ließ fih der „Schatten? in
ein Gefpräh ein, erhielt aber von dem ängſtlich geworbenen Kinde
feine Antwort.
— 49) —
Nun begab fih Treufreund wieder in's Comptoir, deſſen Fuß⸗
boden von Drängmwafler feucht war, von da in den. anftoßenden
Speicher, wo unter Jaeob's Auffiht und Leitung noch immer raft-
108 gearbeitet ward. Dann beobachtete er wieder den Flug ber
Wolken, borchte auf das Heulen des Sturmes, auf das Raufchen des
MWaffers, faltete die Hände, ſchüttelte fein kahles Haupt und fagte
wohl hundert Mal im Laufe ber Naht: ine böfe, böſe Zeit!
Man Eönnte graue Haare davon bekommen, wenn noch welche vor⸗
handen wären. —
Andreas um ſeine Anſicht zu fragen, der unermüdlich thätig
war, wagte Treufreund nicht. Er hatte das vollſte Zutrauen zu
dem kräftigen, .entfchloffenen jungen Manne, nur gefielen ihm
heute deſſen Geſichtszüge nicht, wenn er meinte, er werde von An⸗
dern nicht beobachtet. Drang er nun ernſthaft in Andreas, fo bes
forgte er eine erichredende, niederſchlagende, vielleicht eine ganz
hoffnungsiofe Antwort zu hören, und eine foldhe, das fühlte ber
ehemalige Buchhalter, hätte er in diefen ſchweren Prüfungsitunden
nicht überlebt. Er wollte deshalb Lieber in quälerifher Ungewiß⸗
heit bkeiben, fih mit fchattenhaften, haltungslojen Annahmen und
Möglichkeiten aufrecht erhalten, als durch ein trojtlofes Wort ganz
zu Boden geſchmettert werden. Sah er ſich unbemerkt, ſo machte
er ſich wohl von Zeit zu Zeit mit dem Stoßſeufzer Luft: Uns⸗
glücklicher Heidenfrei! Arme, arme Familie!
Den Gipfel tiefſter Seelenangſt ſollte Treufreund erſt erſtei—
gen, als Andreas plötzlich ungeſtüm in das Comptoir trat, wo der
alte Buchhalter fih wieder etwas zu fchaffen machte, und nad)
ein paar Knechten fragte, Die im Speicher bejchäftigt waren. Treu—
freund wies den Steuermann dahin.
Gehen Sie, werther Herr, verjeßte Andreas, ich habe feine
Zeit. Das Gewölk hebt und theilt fih, eines Seemann’d Auge
ſieht ſcharf und jebt gerade dürfte es hohe Zeit fein, denen, bie
etwa auf Errettung noch hoffen können, diefe zu bringen. - Rufen
Sie unverweilt die Knete! Sie verfiehen einen Riemen zu band«
— 496 —
haben, ſind unerſchrocken und beſitzen Ausdauer. Solche Leute
gerade brauche ich, denn wir werden ein hartes Stück Arbeit haben.
„Der Schatten“ vermochte jetzt nicht mehr an ſich zu halten.
Er nahm ſein Mützchen ab, ſtrich ſich mit der Hand über die Glatze
und ſagte:
Ich gehe ſchon, Herr Steuermann — ich bin ſchon fort. Ich
denke Gott wird ſeine Hand über Herrn Heidenfrei —
Wenn Sie nicht laufen und mir die Knechte zur Stelle ſchaf⸗
fen, unterbrach ihn Andreas, fo wird unfer Herrgott weder an dem
- großen Rheder, noh an fonft Jemand Wunder thun. WMenjcen-
leihen find billig in den nächſten Tagen, darauf können Sie flu-
hen, wenn Ihnen das Beten nicht über bie Zunge gehen will,
und ob Rheder, ob Matrofe, wenn der Wind feine Tyrannenlaune
bat, it ihm Alles einerlei. Iſt Herr Heidenfrei nicht ſchon er-
foffen, fo follen Site ihn lebendig wieder haben, oder ich will fein
Salzwafjer mehr jehen!
Treufreund erftarb das Wort auf der Zunge. Gr ftierte
den ungeduldig drängenden Steuermann wie ein Blöbfinniger an,
rannte, als folge ihm die Fluth auf dem Fuße, aus dem Gomp-
toir in den Speicher und rief die begehrten Knechte laut ſchreiend
wiederholt bet Namen. Dann febte er fih auf eine leere Kifte
neben dem Tau, das durch die Luke von den verfchtedenen Böden
-berablief, faltete die Hände über dem Knte, beugte fein tief be=
fümmertes Haupt und begann bitterlich zu weinen. —
Sp traf ihn Jacob, der Quartiersmann. Alles Zureden des-
jelben konnte den treuen Diener nicht beruhigen.
Es geht zu Ende mit mir, ich fühl’ es, ſprach Treufreund.
Hohenfels verläßt mid) wieder, die Jugend fpricht mich nicht an
und nun begräbt ihn, der Alles zufammenhtelt, die Fluth!
Aber wer fagt denn das, Herr Treufreund ! erwiderte Jacob.
Der Herr Prinzipal tft ein vorſichtiger Mann, der ficherlich nicht
mit geraden Beinen in's Wafler hineinfpringen wird, und Herr
Anton gehört zu den Leuten, die das Pulver noch erfinden
— 417 —
Könnten, wenn’s nicht fhon erfunden wäre. Der wird den Herrn
Prinztpal nicht im Stiche laſſen.
Zreufreund ermiderte nichts auf diefe Bemerkungen.” Er blieb
im Speicher, erſtieg den oberften Raum und fah aus der Luke
hinunter nah dem Kanal. Wer da hinabfällt, murmelte er mit
wunderlihem Zuden der Augenbrauen, der hat's bald überftanden.
Er kann das Genick brechen, noch ehe er zum Ertrinken kommt!
Nah und nah entfernten fi die letzten Arbeiter aus dem
Speicher und Treufreund war allein. Die Einſamkeit that ihm
wohl. Ste geftattete ihm einen Rüdbli in die fernfte Vergangen⸗
heit, dem fich der alte Mann jetzt auch willig hingab. Dies Der:
fenfen in das einft Dagewefene machte ihn die peinigende Gegen—
wart vergefjen, und ein paar Stunden vergingen ihm verhältniße
mäßig ziemlih ſchnell. Aus feinem flilen Hinbrüten wedte ihn
erft ein Geräuſch vieler Stimmen im Nebenhaufe, das Immer ftär-
ter ward; das bald in frohlodenden Jubel überging, und offenbar
ein glüdliches Ereigniß verfündigen mußte. Treufreund trat hor⸗
hend an die offene Lufe in der Mitte des Speichers und erfaßte
das herabhängende Tau. Da hörte er deutlih, wie die grobe
Bapftimme des unhöflihden David rief: Bivat hoch Kerr Heidenfrei!
Es lebe Herr Anton und Steuermann Andreas, die ihn gerettet,
hoch! Und abermals hoch!
Andere Stimmen wiederholten den Jubelruf; Treufreund aber
war von diefer Ihn überrafhenden Nachricht dergeitalt beglüdt, daß
ihn feine gewohnte Ruhe verlief. Er mollte nur den verehrten
Prinzipal wiederjehen, ihm die Hand drüden, ihm, ſei's auch bios
durch Blide, fagen, daß er ganz, ganz glüdlih fei. In feiner
Aufregung erfaßte er das Tau mit beiden Händen, ſchwang ſich
über die Deffnung und fuhr blitzſchnell auf die Diele des Spei—
chers hinab. Der Aermſte verbrannte fih jämmerlich die weichen,
an derartige Turnübungen nicht gewöhnten Hände und verflaudte
fi) obendrein no den Iinfen Fuß. Zum Glüd trat Jacob ge=
xade ein, um dem alten Buchhalter die frohe Kunde von der glüd»
lichen Rettung des Prinzipaled mitzutheilen. Er ſchlug die Hände
D. 3. XI Willkomm's Rheder und Matroſe. 32
— 4198 —
über dem Kopfe zufammen, als er die fehwer befchäbigten Hände
des armen, aufgeregten Mannes fah. |
Mein Gott, Herr Treufreund, fprah er, wie fonnte Ihnen
auch fo etwas einfallen!
Thut nichts, thut gar nichts, Jacob, verfehte diefer, die blu-
tenden Hände in fein Taſchentuch hüllend. Hilf mir nur auf und
fhleppe mich hinüber zur Familie! ine zerfhundene Hand und
ein verftauchter Fuß heilen wieder, und dann gehören beide auch
einem Menſchen, der gar nichts zu bedeuten hat, von dem bie
Melt nichts weiß, wenn aber Herr Heidenfrei einen. Schlud Elb—
wafler zu viel getrunfen hätte, wäre er nie wieder zu fih gefom=
men, und mehr als taufend redlihe Menfchen würden eine Yluth
von Echmerzensthränen vergoffen haben.
Dem Quartiersmanne trat felbft eine Thräne in’s Auge, als
er den vermundeten Mann aufhob und, ihn füßend, unter heitern
Scherzen über den ihm zugeftoßenen Unfall in die Wohnung bes
Rheders geleitete.
Bweites Kapitel.
Huf Strom und Meer
Mo bin ich? fragte Don Alonfo Gomez, als er nad Furzer
Befinnungslofigfeit wieder zu fih fam und die Augen aufichlug,
Er erhielt Feine Antwort, aber er fühlte, daß er auf feuchten
Stroh im Augenblide wenigftens ficher liege. in Tau war um
feinen Leib gefhlungen und an eine Balken des mit Abficht
zum Theil durchbrochenen Dachftuhles befeftigt. Etwa zehn Schritte
von fid) entfernt ſah der Meritaner zwei Männer, von denen je-
der eine lange Stange hielt, Beide fahen aufmerffam auf den
Strom und deffen Bewegung. Näher als diefe beiden Männer,
aber auf der andern Hälfte des ſchwimmenden Daches, faßen eben-
— 4199 —
falls zweit Männer rittlings auf ter Birfte, bewaffnet wie jene und
ebenfo aufmerffam den Strom und die Fluth beobachtend. Diefe
rief Don Alonfo Gomez jet mit vernehmlihen Worten an.
Sie find gerettet, Herr, wie Sie fehen, verfegte der Größte
derfelben, ein alter Mann in Bauerntradt. Wenn Sie ſtark ge=
nug find, um eine ſchwere Stange zu regieren, fo können Sie un
fer Schiff mit fteuern helfen. Da unten liegen nod ein paar
folher Steden. “
Der Bauer deutete auf das Loch im Dache, aus dem die
feltfamen Schiffer ohne Zweifel auf die Firſt geftiegen waren.
Sol ih Euch Helfen, erwiderte der Merifaner, fo befreit
mich erjt von diefem Tau. Es drüdt mich ohnehin ziemlich une
fanft.
Ja fo, fagte der Bauer, ritt, mit den Händen fih vorwärts
jhiebend, während er feine Stange dem Gefährten reichte, zu dem
Gebundenen und Töfte den Knoten, Was find Ste denn eigent-
ih für ein Landsmann? fuhr er fort. Ste kommen mir etwas
ſtark ausländifch vor. j
» Das mag wohl fein, erwiderte Don Gomez. Mich über⸗
rafchte die Fluth drüben, unfern Blankeneſe, mein Pferd warb
fheu und warf mih ab. Dann trieben die Wellen mich fort.
Mein Bedtenter ift bei dem Spaß um's Leben gekommen.
Der teodene Bauer maß den Sprechenden mit einem erniien
Blick.
Na, ſagte er, den Spaß können wir alleſammt auch noch er-
leben. Der Zufall hat Ste auf mein Eigenthum geführt, Ste
find alfo mein Gaſt. Machen Sie's nun wie die Herren dort am ans
dern Ende, die auch meine Gäfte find. Mielleicht haben wir zu=
ſammen Glück und treiben mit ber Ebbe irgendwo an einer In⸗
fel an. Dann wollen wir und gegenfeitig für geleiftete Dienfte
bedanken.
Das iſt alſo Euer Hausdach? fragte Don Gomez, den jetzt
dies Abenteuer trotz der augenſcheinlichen Gefahr, in der er ſich
befand, zu amüfſiren anfing. Es war In der That eine Situation
32*
— 500 —
die ſich nicht oft wiederholen mag, und eben deshalb behagte fie
gewiſſermaßen dem nach Neuem ſtets lüſternen Mexikaner.
Es iſt der Reſt meines Hauſes, verſetzte kalt und reſignirt
der alte Bauer. Noch vor acht Stunden galt es für den ſchön—
ften Sandfrug im ganzen alten Lande, jetzt iſt's ein Iofes Gebälk,
das eine einzige hohe Welle oder ein harter Windſtoß zerfchlagen
ann.
Don Gomez erlaubte fih noch einige Fragen, aus beren
ſchlicher Beantwortung er erfuhr, daß die Wohnung des alten
Mannes außerhalb des Deiches gelegen habe, cin Krug- und zu—
gleih ein Fährhaus geweſen fei, wo häufig Retfende einfehrten,
die nach dem nörblihen Elbufer überfegen wollten. Die beiden
Männer auf dem Hintern Giebel feten ſolche Reiſende, erflärte ber
Krughalter. Ste hätten ſchon Mittags Über den Strom gewollt,
des ftarfen Windes wegen aber die Meberfahrt nicht gewagt, da
namentlich ber Eine, der Seemann ſei, das Unternehmen gefähr-
ih gefunden habe. - Darauf hätten fie ſich entſchloſſen, befjeres
Wetter abzuwarten, ald unvorbereitet der Nordweſtſturm die Fluth
zu Bergen aufgethürmt, die bünnen Badfteinmauern feines Hauſes
zerfhlagen und das Dach, wohin fie Alle geflüchtet, fortgerifien
hätte.
Ein Kind, ein liebes Mädchen trieb an's Land, ſchloß der
Bauer jeine furze Erzählung. Ich hoffe, Gott läßt fie am Leben,
und rettet er au uns, fo feh’ ich fie wohl nach ein paar Tagen
wieder. -
Der Sturm hatte etwas nachgelaflen, die Wogen gingen we—
niger hoch und es machte fih eine rüdgängige Bewegung ber
Strömung bemerkbar.
Ebbe! rief einer der Männer, welche der Bauer als Reifende
bezeichnet hatte. Gleichzeitig bewegte fi) das treibende Dach firom-
abwärts.
Beim Klange diefer Stimme horchte Don Gomez erfhroden
auf. Set langes, feuchtes Haar, das ber Wind beinahe getrodnet
hatte, vollends aus der Stirn ftreichend, heftete er feine dunkeln
— 501 —
Augen auf die beiden Männer, deren Geſichtszüge ihn das nädt-
liche Dunkel nicht erkennen ließ. Gr griff in das Stroh des Da-
ches und näherte ſich Triehend den am Gtebelende Hodenden. Da
ſah er ein Geficht über fih, vor dem er erbebte. Er flarrte es
an, wie ein Geiſt, regungslos, kalt, boshaft. Das Erkennen war
gegenfeitig. |
Don Gomez! — Miguel! tönte ed von Beider Lippen und
gleich darauf Flammerten fih die Hände der beiden Feinde wie Die
Krallen mwüthender Tiger in einander, und es begann auf bem
ſchwimmenden zitternden Dache, Über den gürgelnden Wafferftrudeln
ein Ringen, dem die andern drei Bewohner des gebrechlichen Ge—
rüſtes mit flarrem Entſetzen zuſahen. Die Kämpfenden mußten
ihre Kräfte figend erproben, da zu einem Fauſtkampfe im Stehen
fein Raum vorhanden war, Keiner fprah ein Wort, nur pfei—⸗
fende, kurze ſcharfe Töne entrangen fih bald der Bruft Miguel’s,
bald der des Mexikaners. Zum Glück fehlten den erbitterten:
Gegnern fharfe Waffen. Nur die Fauſt, die Gelenkigkeit der
Glieder, die Kraft dev Muskeln, ein Stoß, ein wilder, haſtiger
Griff konnten entfchetden.
Don Alonſo Gomez übertraf Miguel an Körperfraft, dieſer
dagegen war gelenfer und hatte vor feinem Gegner die Uebung,
auf ſchwanken, ſchwindligen Stegen glüdlih und ficher zu balan-
ciren, voraus. Auch waren feine Kräfte nicht fo erfchöpft, wie
die ded Mexikaners. Der Kampf währte daher nur wenige Mi-
nuten, dann brad Don Gomez unter einem Träftigen Yauftfchlage
Miguel's zufammen. Diefer wiederholte den Schlag in der Ra-
feret des Zornes, erfaßte den Mexikaner am Gürtel und hätte ihn
erbarmungslos fopfüber vom Dache herab in den wüthenden Strom
geitogen, wäre biefer übereilten Handlung nicht die Hand eine
Dritten zuvorgekommen.
Keinen Mord, Miguel! ſprach ernft, befchlend Eduard Hei—
denfrei. Du bit Sieger geblieben, der Weberwundene wird ben
” Bedingungen fi unterwerfen, die wir ihm, Angefihtd des fihern
Todes, zu dem wir ihn verurtheilen Können, dictiren wollen. Laß
— 502 —
mich Richter fein, Miguel, und mein Wort als Deutſcher darauf,
das Urtheil, das ich fälle, fol deinen Betfall haben. Erkennen
auch Ste mich für Ihren Richter an, Don Alonfo Gomez?
Der Mexikaner röchelte und flöhnte unter der würgenden Hand
des von ihm fo lange gemißhandelten Miguel.
Endigt, ftammelte er heifer. Ermordet mich meinethalb, nur
zwingt mich nicht, lange Eure mir verhaßten Gefichter fehen zu
müſſen!
Ste haben Freiheit, uns den Rüden zukehren zu dürfen, er-
wiberte Eduard. Wir find feineswegs gefonnen, uns an dem An-
blid eines Wehrlofen zu weiden. Wir haben Sie gemieden, Don
Gomez, fuhr Eduard fort, fett Ihr Charakter uns durch Zufall
enthüllt ward. Wir fuchten Ste nicht und würden Ste nie wieder
aufgefucht haben. Gott gibt Ste ung jegt in die Hände, und ein
Gottesgericht ſoll entfheiden zwiſchen Ihnen und uns. Sehen
Sie um ſich, wir treiben augenblicklich ohne Hoffnung auf Rettung
dem Meere zu. Noch tobt der Strom, noch hat der Sturm nicht
völlig ausgeraſ't. Mit der nächſten Fluth kann ein neues Wetter
über uns kommen und die Hand des Allmächtigen, die uns bis
jetzt ſo wunderbar ſchirmte, kann uns in die brauſende Tiefe ver-
ſenken. If dies Schiefal über uns verhängt, fo werden wir ihm
nicht entgehen. Es wäre aber auch möglih, daß ein glückliches
Ungefähr uns einem aufjegelnden Schiffe entgegenführte, deſſen
Befagung uns aufnähme. In diefem Falle follen Sie nicht mit
ung zurüdkehren, fondern am eriten, beften Küftenorte ausgeſetzt
und dem dortigen Voigte zur Verwahrung übergeben werden, bis
Sie von Hamburg aus weitere Befehle erhalten, die Sie in Ihr
Vaterland zurüdweifen.. Geſchieht auch Dies nit, fondern wäre
e8 und beſtimmt, rettungslos auf dem Waſſer herumtreiben zu
müſſen, bi8 die Wellen den lebten Balken diefes Dachftuhles zer
ſchlagen haben oder bis uns der Hungertod bedroht, fo machen
Ste den Mebrigen durch einen freiwilligen Tod zuerſt Plag, damit
der bürftige Reſt von Lebensmitteln, die wir befigen, für die An-
bern noch Furze Zeit länger ausreicht. Wir fterben demnach freie
— 503 —
willig in folgender Ordnung: zuerſt Ste, dann ich, zuletzt Miguel.
Als Fremdlinge, die wir bie Gaftfreiheit diefer wadern Leute ge=
nießen, ift es unfere Pfliht, alle Gefahren mit ihnen zu theilen,
nicht aber, ihnen den letzten Biſſen Brod vom Munde zu reißen,
Fügen Sie ſich?
Don Gomez flöhnte wie ein Sterbender.
Füge dich oder du ſtirbſt! rief ihm Miguel zu. Du haft
feine andere Wahl und ſollſt feine haben.
Es fei! ftammelte der Befiegte, die Hoffnung möglicher Ret-
tung als einzigen Anker feſthaltend.
Laß ihn frei, Miguel! ſprach Eduard. Er wird Diesmal fein
Wort nicht drehen. Diefer Himmel und bdiefer brülfende Strom
find uns zuverläffige Wächter. j
Es begann nun eine Zeit traurigen Zufammenlebend. Der
Dachſtuhl warb vom Ebbeſtrome raſch vorwärts getrieben, ſo daß
die Fortgeſchwemmten bet dem Wiedereintritt der Fluth ſchon unter-
Halb Glückſtadt fi befanden. Nirgends zeigte fih ein aufſegelndes
Schiff, nur Heine Nahen wurden an den fernen Ufern fichtbar. Das
Dach trieb immer mit dem flärkfien Strome, ließ ſich nicht fleuern
und Eonnte deshalb dem Lande nicht näher gebracht werden.
Die Bewohner deffelben verfielen alsbald in eine trübe Stim-
mung, die fich bedeutend fleigerte, als man erkannte, daß auch die
zweite Nacht auf dem unwirthlichen Strome fie überrafchen würde,
ehe irgend ein Menſch ihrer anfichtig werde. Mit Mühe befeftig-
ten die Unglüdlihen eine Stange im Stroh und banden an die
Spige derfelben ein Nothzeichen. Allein die Stange ragte, da fie
ziemlich tief in den Dachſtuhl hinunterreichte, um Feſtigkeit zu er-
halten, nicht hoch genug empor und war deshalb vom Lande aus
ſchwerlich zu erfennen.
Zweimal fluthete und ebbte das Meer und nod immer harr—
ten die fünf Männer vergebens auf Rettung. In der dritten
Bluthzeit war das Hausdach bis nahe an Cuxhaven hinabgeſchwom⸗
men und die Ausfiht auf Rettung verlor fih mehr und mehr.
Dis jet hatte Don Gomez fih ruhig verhalten. Gr genoß
— 504 —
fhweigend, was ber alte Bauer ihm reichte, den Anblid Miguel’s
und Eduard's fuchte er zu vermeiden. Nun aber trat bereits der
verhängnißvolle Augenblid ein, wo die Nahrungsmittel zu Ende
gingen und man voraus berechnen konnte, daß fhon nad vier und
zwanzig Stunden die Schredensherrfhaft des Hungers beginnen
werde. Durft litten die rettungslos Treibenden nicht, denn es fiel
hinlänglich Regen, den die Männer in thren Sübweftern auffingen.
Außer dem drohenden Hunger Tauerte aber noch eine andere
Gefahr. Das Gebälk des Daches, von den Wogen umbrauft,
warb lebendig. Es Inadte und ächzte in allen Fugen, ed zog und
dehnte fi und je Höher und länger die Wogen rollten, defto locke—
rer geftaltete fih der Bau. Es bedurfte nur einer ſtarken Bö,
einiger heftiger Wellenihläge, und bas ganze faum noch zufam=
menhängende Gerüft Iöf’te fih in viele einzelne Theile auf und
das Gottesgeriht war vollzogen. Alle fahen voraus, daß beim
Hinausfhwimmen auf das Meer nur Stüde und Splitter davon
übrig fein würden.
Es ift Zeit, fprah Miguel finfter, als fie am zweiten Abend
den Leuchtturm von Cuxhaven ſchon hinter fih Tiegen fahen. Wir
haben nur noch für zwei Perfonen eine halbe Ration Brod. Laßt
und beten und. dann ben Erften von uns in den Wogen begraben.
Don Gomez blikte wild auf und lächelte.
Begrabt mich, wenn Ihr könnt, verfehte er, freiwillig erfäufe
th mich nicht! Sterben müffen wir Alle, das weiß ich, und id bin
aut ganz damit zufrieden, nur würden mir die letzten Lebensmo-
mente. verfüßt werden, könnten wir Die Reife in jenes unbelannte
Land in brüberliher Gemeinfhaft antreten. Mann gegen Mann,
wenn's beliebt! Wir ftehen, mein’ th, Alle bier außer dem Gefepe!
Der alte Bauer und deffen Sohn würden zu jeder andern
Zeit als Vermittler aufgetreten fein, jebt achteten Beide nicht auf
den Streit ihrer Gefährten, denn der Hunger wühlte in ihren
Eingeweiden und die Verzweiflung machte Alles vor ihren Augen
flirren.
— 505 —
Don Gomez näherte fih Miguel — ſchon erhob er die Hand
gegen den Nebenbuhler — da rief Eduard jubelnd aus:
Ein Segel! Ein Segel auf unferm Cours!
Die erhobene Hand des Merifaners fant wie gelähmt auf
das zerftampfte, vom Sturmmwinde zerzauf’te Strohdach, deſſen Balz
fengerüft eingefunfen war, fo daß es jekt nur noch wie ein großer
Schirm auf den Wogen forttrieb. Alle fahen auf, Tonnten aber
mit Ausſchluß des weitfihtigen Miguel Nichts erfennen. Der
weißliche Schimmer,. der am äußerften Rande des Horizontes ab
und an fihtbar ward, konnte aud der weiße Schaumfamm einer
fpringenden Welle fein. Eduard behauptete jedoch fehr beftimmt,
ein Segel zu erbliden und nah Verlauf weniger Minuten flimm-
ten nicht blos Miguel, fondern auch der Bauer und deſſen Sohn
ihm bei. Die Bruft Aller hob fi freier, der nagende Hunger
war im Augenblide vergeffen, denn Jeder hoffte, Jeder ‚glaubte
wieder an Rettung!
Don Alonfo Gomez frohlodte im Stillen. Seine bis dahin
finftern, verbiffenen Züge wurben fanfter, faft freundlih. Es war,
man ſah es, plöplih eine große Aenderung in ihm vorgegangen.
Er gab jeden Gedanken an Kampf auf, blickte fih heiter um und
bot dem Gegner feine Hand zur Verföhnung.
Miguel wollte feinen Ohren nicht trauen, aber er konnte
nicht lange im Ungewiffen bleiben. Mit einem bittenden, aufrich—
tig flehenden Blick ſah Don Gomez ihn an und ftredte feine Hand
nah ihm aus.
Ich bin nicht fo verwahrloftt, fo 688 und unverſöhnlich, wie
du meinft, fprah er zu dem unfchlüffigen Miguel. Leichtfinnig nur
war ich immer, und weil ich alle Freuden des Lebens durchloften,
fein Glüd, keinen Genuß mir entgehen laſſen wollte, irrte und
fehlte ich häufig. Ich habe dich beleidigt, erzürnt, mir zum Feinde
gemacht, darum Haft du ein Recht, mich zu haflen. Aber was ich
gegen did und Ghriftine verbrochen, habe ich auch, obwohl mehr
gezwungen, als freiwillig, bereits wieder gefühnt. Nun führt ung
ein wunberfames Schickſal in der furdtbarften Bebrängnig, in
— 506 —
welche Menſchen tommen Finnen, zufammen ; wir fehen, als Feinde
neben einander hodend, zwei volle Tage dem Tode hundert mal
entgegen. Wir fterben Glied für Glied, wir dulden gemeinfchaft-
lich ale Qualen der entfeglihften Einbildungen! Wir rüften uns
{hon, den Tod zu empfangen, zu umarmen: da glänzt ein neuer
Rettungsftern und gießt neues Lebenslicht in unfer Auge, nept mit
neuem Hoffnungsthau unfere fhon verſchmachtenden Lippen! Sol-
fen wir jetzt noch hadern mit einander im Angefiht der Gnade
des Himmels? Ih kann's nicht, bei dem Wunderbild der aller-
heiligiten Madonna! Die Härte meines Herzens weicht der Milde,
die Luft nah Rache dem Drange der Verſöhnung. Seid mir
Freunde und Brüder und laßt ung in dem Moment, wo fchon
das Tau geſchwungen wird, das uns wieder an’d Land hiffen foll,
Frieden fchließen für ewige Zeiten !
Miguel blidte noch einmal hinaus auf das graue unbegrenzte
Meer, an deilen wogendem Horizonte jetzt immer deutlicher das
Dberbramfegel, das große Stengenftagfegel und der Über bemfel-
ben audgeftochene Flieger zu erkennen war. Dann fah er dem
Meritaner wieder in das männlich ſchöne, ausdrudsvolle Geſicht.
Ein dritter Blick fiel auf das immer tiefer einſinkende Strohdach,
deſſen ſchadhafte Stellen von den ſchäumenden Wellen in jeder
Minute mehr litten.
Schon neigte ſich die Sonne dem Untergange zu, die finſtere
Wolkenwand mit falben Lichtſtrahlen durchbrechend. Rechts und
links war kein Land mehr zu ſehen, nur weißer, rollender, bisweilen
hochaufſpritzender Schaum bezeichnete die gefährlichen breiten Sande,
welche das Einlaufen großer Schiffe in die Mündung der Elbe erſchweren.
Gib Friede! fagte nochmals in mild bittendem Tone der Me-
xikaner und feine Hand legte fih auf die Schulter Miguels. Dies
fer zauderte noch. Eduard erhob mit beiden Händen die Stange
mit dem daran befeftigten Nothzeihen. Er ſchwenkte fie hin und
wieder in der Luft, und ein blendend heller Sonnenftrahl beleuch⸗
tete das zerbrödelnde Floß mit der Gruppe der verlaffenen Män⸗
— 507 —
ner. Dann hüllte ſich Alles wieder in graue, dunſtige Nebelat-
mosphäre.
Da zeigte ſich, über die Segel aufwirbelnd, ein weißer Rauch,
gleich darauf rollte dumpfer Geſchützesdonner über das Meer.
Wir ſind entdeckt! Wir ſind gerettet! jubelte Eduard, noch
einmal die Stange mit dem Nothzeichen hoch in die Luft empor⸗
hebend. Ein zweiter Schuß dröhnte über die Wogen.
Gerettet! wiederholte Miguel. Gott will uns wohl, wir
ſollen nicht verderben. So ſei denn auch heute dir vergeben, was
du an mir verbrochen haſt. Werde mir fortan Freund, wie du
mir bisher Feind geweſen biſt!
Die Hand Miguels lag in der des Mexikaners. Dieſer riß
den Verſöhnten an ſein Herz und umarmte ihn ſtürmiſch. Ein
dritter Schuß hallte vom Schiffe her und beſiegelte das feierliche
Bündniß zweier Menſchen, die das Glück getrennt und verfeindet
hatte, die Todesnoth aber zu Freunden machte.
Drittes Kapitel.
Gerettet.
Immer höher gingen die Wogen, jetzt rollende Hügelreihen,
jetzt wieder breite, tiefe Thalſenkungen bildend. Tummler über-
ſchlugen ſich mit ihren plumpen Körpern in aufſtrudelnden Wel⸗—
lenkämmen und eine Schaar Möven umkreiſ'te unter kläglichem
Geſange die Ueberreſte des Daches, auf deſſen noch loſe zuſammen—
hängenden Sparren die fünf Männer mit jeder Secunde weiter
in die Nordſee hinaustrieben.
Es ward dunkel, Nebel breiteten ſich über die öde, endloſe
Waſſerwüſte. Am Himmel blickte da und dort durch fliegendes
Gewölk ein Stern, auch die Mondſcheibe wob ungewiſſe Dämmers
ungshelle um dichte ſchwarze Haufenwolken. Dann ſtreute fie wie«
— 506 —
welhe Menfchen kommen können, zufammen ; wir fehen, als Feinde
neben einander hodend, zwei volle Tage dem Tode hundert mal
entgegen. Wir fierben Glied für Glied, wir dulden gemeinfchaft-
lih ale Qualen der entfeglichften Einbildungen! Wir rüften uns
fon, den Tod zu empfangen, zu umarmen: da glänzt ein neuer
Rettungsftern und gießt neues Lebenslicht in unfer Auge, negt mit
neuem Hoffnungsthau unfere ſchon verfhmachtenden Lippen! Gols-
fen wir jetzt noch hadern mit einanter im Angefiht der Gnabe
des Himmels? Ih kann's nicht, bei dem Wunderbild der aller:
heiligiten Madonna! Die Härte meines Herzens weicht der Milde,
die Luft nah Nahe dem Drange der Verfühnung. Seid mir
Freunde und Brüder und laßt uns in dem Moment, wo fchon
das Tau geſchwungen wird, das und wieder an’d Land hiſſen foll,
Frieden fchließen für ewige Zeiten !
Miguel blidte noch einmal hinaus auf das graue unbegrenzte
Meer, an deſſen wogendem Horizonte jetzt immer deutlicher das
Oberbramfegel, das große Stengenftagfegel und ber über bdemfel-
ben ausgeftochene Flieger zu erkennen war. Dann fah er dem
Meritaner wieder In das männlich ſchöne, ausdrucksvolle Gefict.
Ein dritter Blick fiel auf das immer tiefer einfintende Strohdach,
deſſen fchadhafte Stellen von den fchäumenden Wellen in jeder
Minute mehr Titten.
Schon neigte fi die Sonne dem Untergange zu, die finftere
Wolkenwand mit falden Lichtitrahlen durchbrechend. Rechts und
links war fein Land mehr zu fehen, nur weißer, vollender, bisweilen
hochaufſpritzender Schaum bezeichnete die gefährlichen breiten Sande,
welche das Einlaufen großer Schiffe in Die Mündung der Elbe erfchweren.
Gib Friede! fagte nochmals in mild bittendem Tone der Me-
xikaner und feine Hand legte fih auf die Schulter Miguels. Dies
fer zauderte no. Eduard erhob mit beiden Händen die Stange
mit dem daran befeftigten Nothzeichen. Er ſchwenkte fie hin und
wieder in der Luft, und ein blendend heller Sonnenftrahl beleuche
tete das zerbrödelnde Floß mit ber Gruppe der verlafienen Män⸗
— 507 —
ner. Dann hüllte fih Alles wieder in graue, dunftige Nebelat-
mosphäre.
Da zeigte ſich, über die Segel aufwirbelnd, ein weißer Rauch,
gleich darauf rollte dumpfer Gefchlibesdonner über das Meer.
Wir find entdeckt! Wir find gerettet! jubelte Eduard, noch
einmal die Stange mit dem Nothzeihen hoch in die Luft empor=
hebend. Ein zweiter Schuß dröhnte über die Wogen.
Gerettet! wiederholte Miguel. Gott will und wohl, wir
ſollen nicht verderben. So ſei denn aud heute bir vergeben, was
du an mir verbrocdhen haſt. Werde mir fortan Freund, wie du
mir bisher Feind geweſen biſt!
Die Hand Miguels lag in der des Mexikaners. Dieſer riß
den Verſöhnten an ſein Herz und umarmte ihn ſtürmiſch. Ein
dritter Schuß hallte vom Schiffe her und beſiegelte das feierliche
Bündniß zweier Menſchen, die das Glück getrennt und verfeindet
hatte, die Todesnoth aber zu Freunden machte.
Drittes Kapitel.
Gerettet.
Immer höher gingen die Wogen, jetzt rollende Hügelreihen,
jetzt wieder breite, tiefe Thalſenkungen bildend. Tummler über—
ſchlugen ſich mit ihren plumpen Körpern in aufſtrudelnden Wei
lenfämmen und eine Schaar Möven umkreiſ'te unter kläglichem
Gefange die Ueberreſte des Daches, auf deffen noch loſe zuſammen—
hängenden Sparten die fünf Männer mit jeder Secunde weiter
in die Nordſee hinaustrieben,
Es ward dunkel, Nebel breiteten fih über die Bde, endlofe
Waſſerwüſte. Am Himmel blickte da und dort durch fliegendes
Gewölk ein Stern, aud die Mondfiheibe wob ungemwilfe Dämmer—⸗
ungshelle um dichte ſchwarze Haufenwolfen. Dann freute fie wie⸗
.
— 908 —
ber Zeitweife filberne Floden auf das Meer oder ein auffallend
heller Strahl traf die baufdhigen Segel des Schiffes, das ruhig
feinen Gours fteuerte. In längeren PBaufen fiel ein Schuß auf
dem Schiffe, und fonnten die Kortgetriebenen ihr unlenffames Floß
auch diefer rufenden Stimme nicht folgen laſſen, jo deutete fie
ihnen doch an, daß Freunde fich näherten und daß auf dem Top
ein ſcharfes Auge nad ihnen ausbliden müfle.
Endlich fahen die Treibenden den Rumpf des Schiffes, Hör-
ten ihr Rufen vom menſchlichen Stimmen beantwortet. Noch ver
gingen einige Minuten, dann vernahm Miguel das Commando
des Capitäns. Langſam drehte fich der ſchwarze Rumpf, die Lein-
wand fiel, die Mannihaft ſchlug Reefe in die quer gebraßten
Segel. Dann fant das Langboot auf's Meer, drei, vier Männer
beitiegen es, das Schiff drehte ab und über die gipfelnde Fluth
fort trieben das Boot kräftige Ruderfchläge. .
Bald war das Fahrzeug dem Floße fo nahe, daß deflen Be-
wohnern ein paar Taue zugeworfen werden fonnten. Die Sciff-
brüchtgen erfaßten diefe, fchlangen fie feſt um die Balkenſtümpfe
und holten das Rettungsboot an.
Zum Spreden, zum Grfundigen war in diefem Augenblide
feine Zeit. Der Mann, welder das Boot feuerte, ermahnte zur
Eile, denn ſchon wehte e8 wieder flärfer und die Wolkenbildung
am Kimming deutete auf nahende Windſtöße. Die Männer auf
dem zerbrechenden Gebälk fühlten nod weniger Bedürfniß zum
Sprehen. Alle drängten dem Rettungsbord zu, und ihr allzu
haftiges Anklammern an ein und dasſelbe QTauende hätte das
Heine Fahrzeug beinahe zum Kentern gebradt. Die Stimme des
Steuernden feuchte die Geängfteten nochmals mit hartem Wort
zurüd, gab dem Boot eine andere Richtung und nun erft wurden
alle fünf Männer einer nach dem andern an Bord gehißt. Kaum
hatte der Letzte — es war Don Alonſo Gomez, ber eigenfinnig
Darauf beſtand, bis zufeßt auszuhurren — das Gebälk verlaffen,
ale eine gewaltige Sturzwelle es vollends zerihlug und die Trüms
mer nad) verihiedenen Richtungen hin forttrieben,
—- 509 —
Mit eigenthümlichen Empfindungen fahen die Geretteten das
Zerbrechen ihres bisherigen Wrackes. Inzwifhen famen fie dem
Segelſchiffe jchnell näher, das Boot legte an und Eduard betrat
zuerſt das Ded des Schiffes, über deffen Brüftung neben dem
Fallreep ber Capitän auf die Ankommenden herabſchaute. Er
rief dem GSteuernden ein paar Worte zu, die Eduard aufhorchen
machten,
Wie heißt das Schiff? fragte der vor Hunger, Froſt und
Ermattung kaum feiner felbft mehr bewußte junge Mann.
Marie Eliſabeth, Capitän Ohlſen, Rheder: Peter Thomas
Heidenfrei, verfeßte ein eben vorübergehender Matrofe, \
Meines Vaters Bart! fagte Eduard, Welch’ glüdlicher Zus
fat! Waprlih, der Name meiner Schwefter iſt ein glüddrin-
gender Name! —
Mir dürfen wohl nicht erſt verfihern, daß die fo wunderbar
Geretteten auf ber Bark Heidenfrei’s eine Pflege fanden, die fie
bald alle erlebten Schreckniſſe der letzten Tage vergeflen lich.
Selbft daß Don Alonfo Gomez fih mit unter den Geretteten bes
fand, ftörte nur in den eriten Augenbliden die Freunde, namtnts
lich Paul, der aus leicht zu errathenden Gründen feine ſehr gute
Meinung von dem Merifaner hatte, ihm vielmehr im Herzen
grollte. Theils die Zureden Eduard's und Miguei’s, theils das
beitechende Wefen des ungewöhnlichen Mannes befänftigten indeß
fehnell die zornigen Aufwallungen Paul's, der Don Gomez wohl
fhwerlih die Hand geboten haben‘ würde, hätte er ihn früher
erkannt.
Alle fünf Geretteten faßen jebt in der Gajüte des Gapt-
täng und Tiefen fih den erwärmenden fleifen Grog und das
Ihmadhafte Fleiſch wohl ſchmecken, während die Reihe bed Er⸗
zählens bald Diefen, bald Jenen traf. Gapitän Olfen und
Paul waren begreifliherweife Außerft begierig, zu erfahren, welch’
jeltfame Ereigniſſe Menfchen fo verfhledenen Charakters in fo ver-
hängnigvollen Augenbliden zufammengeführt haben Fonnten, und
— 510 —
wie biefe einander fo feindlich Befinnten den Entſchluß, fih zu
verſöhnen, zu fallen vermochten.
Das Barkſchiff des Rheders war, wie ſchon früher angedeu⸗
tet wurde, vom Sturme erfaßt, bis hart an die Küften Jüt—⸗
lands verfchlagen worden und hatte dabei zwei Matrofen verloren.
Start von Bau, mit tüchtigem, feegemohntem Volt bemannt,
trefflih geführt und geftenert, überftand es den vermüftenden
Sturm glücklich. Wetter und Fluth waren auf hoher See viel
weniger gefahrvoll, ald an den Küften. Die anhaltende Ridstung
des Windes und ein Zufammentreffen verjchiebener ungünftiger
Umftände braten jenes große Unglück über die Küftenanwehner
und die Bevölkerung der Halligen, welde von allen Fluthverhee⸗
rungen bes neunzehnten Jahrhunderts die Sturmfluth des zwel-
undzwanzigſten Februars als die verhängnißvollſte bezeichnet. Spu-
ren biefer Verwüſtung hatte die Bark auf ihrer Fahrt nach ber
Mündung der Elbe entdeckt. Es war das erfte Schiff; weldes
eine dunkle Kunde davon an's Feſtland brachte.
Die Drangfale der Bewohner Hamburgs waren ben Ge:
retteten felbft nicht befannt. Ste hatten nur Vermuthungen, feine
Gewißheit, fürchteten aber, viel Trauriges zu erfahren. Don Go⸗
me; war ber Einzige, der wenigftend andeutungsweife das, mas
ihrer Harre, mitiheilen Tonnte. Er erzählte jetzt mit der ihm eige-
nen bezaubernden Anmuth von den Freuden des ſchwelgeriſchen
Mahles, das er feinen Freunden und Bekannten gegeben; er ver:
gaß nicht, der Abberufung des Buchhalters zu gedenken, der bdro-
hend lautenden Mittheilungen Davids und der damit eng zufam-
menbhängenden Unterbrehung und gänzlicher Aufhebung des mit
fo großen Opfern vorbereiteten und fo köſtlich arrangirten Feſtes.
Endlih erzählte er feine eigene Flucht mit Mafter Papageno,
fhilderte mit den Iebhafteften Farben den Aerger, der fich feiner
Seele bemädtigte, den Kampf mit feinem widerfpenftigen Rappen,
als die brüllenden Wogen fhaumftrudelnd die Straße überfluthe-
ten, enblih feine maßlofe Wuth, feinen Sturz, den Untergang
— 511 —
Papageno's und fein eigenes Forttreiben auf bem wild bewegten
Strome. |
Diefen Mitthetlungen fhloffen fih die Erzählungen Eduard
Heidenfrei’8 und feines DVetters Miguel an. Beide junge Män⸗
ner hatten zwei Tage vor dem böfen Unwetter Bremen verlaffen,
wo Auguſtin Hohenfels allein zurüdblieb, um noch Einiges zu
ordnen und die nöthigen Vorkehrungen zur Reiſe nah Südamerika
zu treffen. Das Haus Heidenfrei zog es vor, um den Wünſchen
bes dringend werdenden Hohenfels möglichſt nachzugeben, ein Bres
mer Schiff zu chartern, da die ihm zu Gebote ftehenden eigenen
Fahrzeuge, mit Ausnahme eines einzigen, nicht mehr ganz fees
tüchtigen Schooners, auf See waren. Zu diefem Entjchluffe tru=
gen wefenlih auch die Verbindungen bei, welche der verftorbene
Saldanha mit Bremen in früherer Zeit durch Vermittelung hol⸗
ländiſcher Bankiers eingegangen war. Alle diefe früheren Ger
ſchäftsfreunde des reihen Cubaners Fannten genau deſſen Verhält—⸗
niffe; die Verbindungen des ehemaligen Plantagenbefiberd con«
centrirten fih in der Handelsmetropole an der Wefer, und fo fand
von dort aus das neue eigenthümliche Unternehmen bes ideen—
reihen, weitſtrebenden Hohenfels die geeignete und ficherite
Förderung. |
Um nit den langweiligen Weg über die unintereflante Hatde-
fläche in kurzer Zeit wieder zurüdlegen zu müſſen, die namentlid
Eduard zu genau Fannte, zogen e& die jungen Männer vor, von
der großen Heerſtraße abzubeugen, einen links führenden Commu—
nicationsweg einzufhlagen und dem „alten Lande” einen Beſuch
abzuftatten. Erlaubte es die Witterung, die freilich ſchon zur Zeit
ihrer Abreiſe aus Bremen fih ungünfttg anlieg, wollten fie in
Stade einfprehen, wo das Haus Heldenfret ebenfalld Verbinduns
gen hatte. Diefer letzte Plan mußte aber aufgegeben werben.
Die Reifenden ließen ihr gemiethetes Fuhrwerk in Burtehude, wan⸗
derten zu Fuße wetter und wollten über die Elbe nad Blankeneſe.
Das Bedenken der Schiffer, welche über den inzwiſchen bereits ſehr
unruhig gewordenen Wind die. fhlimmflen Anfichten Außerten und
— 512 —
fi) entſchieden weigerten, bet den gefährlichen Windſtößen über den
Strom zu feben, machte auch Miguel bedenflih. Der Wirth des
Kruges gejellte fih zu den Berathenden und da auch diefer, ber
ein fehr ruhiger, alter Mann zu fein ſchien, ebenfalld den Schif—
fern beiftimmte, jo nahmen die Reifenden den Vorfchlag des Krug-
wirthes an, fo lange bei ihm zu raften, bis das Wetter ausgetobt
haben würde.
Endlich verfuchte der alte Bauer den Anprall der Sturmfluth,
ihr unerwartet ſchnelles Wacfen und die Beftürzung zu fchilbern,
die Alle ergriff, als die wilden Waſſer bei finfender Naht von
“allen Seiten um die fhuglofen Mauern feines Haufes zufammen-
jhlugen, diefe trümmerten, den ganzen Hausrath verwüfteten und
fortfhwennmten, den Viehftand erfäuften und ihn nebft feinen bei—
den Kindern und den Reifenden zu fchleunigfter Flucht auf den
Boden des Daches nöthigten.
Ich hätte nie geglaubt, fhloß der alte Krughalter feinen Bes
richt, daß Ständer, bie über vierzig Jahre jedem Waſſer trogten,
von zwei, drei fchlagenden Wellen zerbrochen werden fönnten. Und
wie nun gar das Dad fortfhurrte, fih auf den Wellen wiegte,
in den wüthenten Strom hineinfhoß, und die Tochter mir verlo-
ren ging; da hätte ih mih am liebften felber kopfüber in das
brodelnde Fluthwaſſer geftürzt, um dem Elende mit einem Male
für immer überhoben zu fein. Die Herren aber hielten mid zu—
rück und nun dan® ich Ihnen noch, daß fie es tbaten, denn ich
denke jept doch, meine an's Land zurücgetriebene Tochter wieder-
zufeben. _
Er reichte Eduard und Miguel feine harte, breite Hand, bie
den Druck berfelben herzlich erwiderten.
Unter diefem gegenfeittgen Austaufhe der jüngften Erlebnife
erreichte das Barkichiff die Höhe von Neuwerk. Die Leuchtfeuer
des großen und Fleinen Thurmes, ebenjo das heil glänzende Licht
von Cuxhaven warfen ihre Strahlen durd die wolfentrübe Nacht
auf die grauen, langen Wogenfämme ber hochgehenden Gee.
Das tft beinahe ein Anblick, wie damals, ald wir zum erften
— 513 —
Male die rothe Tonne paffirten, ſprach Don Alonſo Gomez zu
Miguel, der mit dem verfühnten Feinde jebt das Verdeck auf und
abſchrit. Nur war die Luft damals milder und id war befler
bei Kaffe, als ich es gegenwärtig bin. Weißt du, daß mich mein
leßtes Diner den Reft meincd Vermögens gefoftet hat?
Und das ſprichſt du fo leichthin aus, ohne Reue zu fühe
len? verfegte Miguel. Ih, an deiner Stelle, der Du von Jugend
auf an ein üppiges Xeben gewöhnt bift, würde mir bittere Vor—
würfe machen und mid noch obendrein unglücklich fühlen.
Don Gomez blieb neben dem Lootfen flehen, der das Schiff
in die Mündung der Elbe führte. Er Tegte feine Rechte in die
des jungen Hohenfels, indem er erwiberte:
Recht kannſt du haben, mein Freund, weiſer aber würdeſt bu
trogdem nit handeln. Reue mag gut fein, denn fie foll ja, wie
die Pfaffen behaupten, zur Erkenntnig und mithin zur Beflerung
führen. Dennoch will mich bedünken, taugt fie nicht für Jeden.
Deine deutichen Verwandten haben ein Lied, das diefe Anficht fehr
paſſend ausfpridt und damit alle nur denkbaren Falle erichöpft.
Es fängt, glaub’ ich, mit den Worten an:
„Eines ſchickt fih nicht für Alle,“
Für mich nun, lieber Miguel, für mich ſchickt ſich ganz ent-
fhieden die Reue nicht. Wie es kommt, wiflen die Hetligen, aber
ih Tann gar nichts bereuen, nicht einmal, daß ich den gewiß bum-
men Streih mit deiner’ fhönen Braut beging, die ich dir übri—
gend, nimm mir’s nicht übel, bis auf den heutigen Tag mißgönne.
Wäre ih nit ein fo Teichtblütiger Patron, ich glaube doch, bei
diefem herrlichen Mädchen hätte ich glüdlicher mit dir gerungen,
als auf dem fhlüpfrigen, moosbewachſenen Strohdache des alten
Krugbauers. Es Hat nicht fein follen, mithin bin ih beru-
ruhige: Die einzige wichtige Frage, die ih jetzt an mid rich—
ten muß, und Die mich auch wirklich fon ganz ernfthaft be-
häftigt, it: woher nehme ih Geld, um zu leben, um mid zu
halten und durd weile Sparfamfeit und Fluges Haushalten meine
in einige Unordnung gekommenen Verhältniffe wieder zu verbef-
D. B. XI. Willkomm's Rheder und Matrofe, 33
— 514 —
fen? Ic wüßte ein Mittel, nur weiß ich leider nicht, ob es an-
wendbar fein wird,
Welches meinft du? fragte Miguel, der mit fleigender Theil-
nahme dem harmlos PBlaudernden zubörte, defien Gemüthsruhe —
oder fjollte man es bodenlofen Leichtfinn nennen — ihm impo=
nirte.
Du könnteſt mir helfen!
Ich?
Ganz gewiß. Das wäre nicht nur ſehr edelmüthig, ſondern
auch verdienſtlich, und gleichzeitig bewieſeſt du mir damit, daß
deine Ausſöhnung ehrlich gemeint iſt, dein Haß in wirkliche Freund⸗
fchaft fi) verwandelt hat.
Aber ich begreife wahrhaftig nicht, wie ich dir helfen foll,
erwiderte Miguel. Baare Mittel befige ich augenblicklich nid.
Ich habe darüber disponirt, um die großen Pläne meines Vaters
und Vetters fördern zu helfen. Und ich fann mir denken, daß bir
mit einer Kleinigkeit nicht gedient fein wird,
Das iſt dumm, fagte Don Gomez, und dennoch wäre es
möglich.
Ich fehe keine Hilfe.
Der Mexikaner ergriff Miguel's Arm und trat mit ihm an
den Befanmaft.
Ich fehe ein, fuhr er fort, daß ich in der europäifchen Ge⸗
ſellſchaftswelt meinen Credit verfcherzt habe. Es gehört das zu
den vielen Dingen, die fich nicht ändern Iaffen, die Andern Qual
verurfachen, die ich dagegen für ein Schickſal hinnehme. Wozu
fol ih mid nun, in Anbetradht meiner Antecedentien, noch Länger
auf europäifhem Boden herumtreiben? Ich weiß im Voraus,
dag ih zwar manden Genuß und dennoch wenig Freude davon
haben würde. Meine ganze Organifation iſt nicht europäiſch.
Alſo fort von der alten Welt, deren Solidität ich vollkommen re«
fpectire, und deren liebreizende Töchter ich in der Erinnerung lie—
ben, verehren, anbeten will, fo lange mein Herz Plopft und meine
gottlofe Zunge noch Schmeiheleien in hübſche Wortſträuße zu bin-
— 515 —
den verfteht! Die neue Welt, unfer Beider wahre Heimath, fteht
meinem abenteuerlihen Sinne ohne alle Frage beffer an. Und
dag ich dort fortlomme und wieder felter Grund ſich unter meine
Füße ſchiebt, dazu ſollſt du mir behilflich fein.
Erklare dich deutlicher, denn noch fprihft du für mich in
Räthſeln, verſetzte Miguel.
Du biſt Beſitzer reicher Kaffee- und Tabacksplantagen, ſprach
Don Gomez. Ein beneidenswerihes Glück hat ſie dir geſchenkt.
Du läßt ſie, wie ich in Erfahrung gebracht habe, verwalten von
Leuten, die du ſelbſt nicht kennſt, denen du aber vertrauſt, weil ſie
Diener des Mannes waren, der dich Glückspilz an Sohnes Statt
angenommen hat. Meinſt du nicht, daß ein Freund, der früher
auch auf Plantagen lebte, der mit Sclaven umzugehen” weiß, der
ſelbſt noch Sclaven- und Plantagenbefiger tft, obwohl ein Jude
fie als Pfand in feinem weiten Sädel mit ſich herumſchleppt,
meint du nicht, daß ein folher Mann dir eben fo treu dienen
ann, als bezahlte Söldlinge es thun? Made mid zum General=
Inſpector deiner Plantagen auf Euba, befolde mich anfländig, gib
mir eine gute Provifion, wie die Kaufleute fagen, und lag mid
etwas Rechtes dabei verdienen. Bei meiner früheren Nichtsnutzig⸗
keit verfpreche ich dir, ehrlicher und gewifienhafter hat der alte
Hausnarr deines fehr refpeetablen Herrn Oheims feiner Zeit die
Buchführung nicht getrieben, als th fie in deinem Namen und in
deiner Abwefenheit handhaben will.
Miguel konnte fih eines Lächelns über die Ernfthaftigkeit
biefer Betheurung nicht enthalten.
Ja, du lachſt, fuhr der Mertkaner fort, und dennoch beharre
ih auf meinem Satze. Meinft du etwa, ih würde mich ſchlecht
für einen derartigen Poften eignen? Du irrſt, mein Freund! Es
gibt feine beſſeren Diebsfänger als Leute, die früher etwas confufe
Anfihten von dem Begriffe Eigentbum hatten. Betrügen laſſe ich
mih niht, und ſollte ih dich betrügen, fo fet es dir freigeftellt,
mid zu behandeln, wie e8 dir beliebt,
Du fprahft von einem Juden, dem du deine Befibungen in
33*
— 516 —
Texas verpfändet hätteſt, warf Miguel ein. Wer iſt der Mann,
und wie hoch beläuft ſich die darauf erhaltene Summe?
Don Alonſo nannte den Namen des hilfreichen Israeliten
und die Höhe des von ihm erhaltenen Geldvorſchuſſes.
Zu unterhandeln ift mit dem Manne, ſprach Miguel, denn
er verdient gern. Wir haben dies, mein’ ich, beiberfeitd kennen
gelernt. Laß mir Zeit, Alonfo, und warten wir vorerft ab, wie
meine Verwandten darüber benfen. Du wirft mich zu Feiner Ue⸗
bereilung veranlafien wollen, die ung Beiden nur Schaden verur-
fachen könnte. Vorerſt haft du bei mir offene Kaffe, deinen Vor—⸗
fhlag werde ich, iſt er ernſt gemeint, in Weberlegung ziehen.
Er iſt es, fagte mit feftem Tone Don Gomez.
Halb Steuerbord! rief der Lootſe. Macht die Lee= Braffen
dicht.
Der Befehl warb raſch vollzogen. Eduard trat in Beglei—
tung des Gapitäns und Paul’8 aus ber Gajlte. Hinter dem See:
deiche rechts Tonnte man dunkel die Häufer Cuxhavens, etwas ent-
fernter das breite, thurmartige Schloß von Rigebüttel mit feinem
hoben fpigen Dache ertennen.
Geit die Seegel auf! befahl der Lootfe, und bald verfchwand
alle LZeinewand, welche die Bart noch zeigte, an den Raaen. Das
Schiff wiegte fi Tangfam auf den hohen breiten Wellen.
Der nächte Befehl lautete, den Anker fallen zu laffen.
Die Kette klirrte, der Anker rollte in die Tiefe und faßte
bafd. in den fandigen Grund.
Die „Marie Eliſabeth“ Tag, von leichter Brife gefchaufelt,
auf! der Rhede von Cuxhaven.
— 517 —
Biertes Kapitel.
Zwei Freunde fajien wichtige Entſchlüſſe.
Gib mir von deiner beften Regalta, Lieber Anton, und bitte,
lafle das Predigen fein, fprah Julius, fih auf dem bequemen
Sopha im Zimmer des Freundes die feinem wohlbeleibten Körper
angenehmite Lage gebend, Du kennſt jegt meine Noth, mein Uns
glück, Vorwürfe ändern daran nichts, dad kann nur der Rath und
bie thatfächliche Hilfe eines oder "mehrerer Freunde.
Rede doch mit Kurt, mit unferm Buchhalter, mit dem lang⸗
halfigen Emil, der jetzt immer veilhenblaue Handfchuhe trägt, feit
man thn für den Grafen ©. gehalten hat, erwiderte Anton. Das
waren ja den ganzen Winter hindurch deine Gumpane. Ober
geh’ dem Makler zu Leibe, von dem bu gelernt haft, eine neue
Aufternfauce mit Burgunder zu bereiten. . Leute, bie jo viel Geld
aufgehen laſſen, müfjen fehr, fehr reich fein.
Julius rauchte mit großem Behagen. Gr erprobte die er-
haltene Regalta, ein Gefchent Heidenfrei's, auf alle Weife, Indem
er den Rauch derjelben bald raſch fortpaffte, bald ihn durch die
Nafe z0g, bald ihn gar, nah Art der Orientalen, verſchluckte
und ihn erft nah längerer Zeit in Form einer Diden breiten
Rauchſäule Über die Lippen Träufeln ließ.
Du dauerft mich, beiter Freund, verfegte er mit komiſcher
Feierlichkeit, wahrhaftig, du dauerſt mih! Für gar fo befchränkt,
fo philiſterhaft ehrlich Hätte ich Dich doch nicht gehalten. Da fieht
man’s, fügte er bedauerlich feufzend Hinzu, was der Umgang thut.
Ich meine, das fähe man am allerdeutlichiten bet bir, ver=
feßte Anton heiter, fih ebenfalls eine Cigarre anzündend. Es iſt
indeß mein voller Ernſt, was ich fage.
Der meinige ebenfalls, ermwiderte Julius. Wenn du aber
wirkich fo fhwer von Begriffen bift, fo will ich dir nur bedeuten,
daß derjenige, welder das Meifte darauf gehen läßt, in der Re—
— 518 —
gel das MWenigfte beſitzt. Sein Vermögen fteht gewöhnlich auf
Hoffnung. Er iſt ein Speculant in Fonds, die Andere befiten,
und die er ſelbſt ſfich wünſcht. Meinſt du, das fet nicht edel, nicht
fhön, nicht groß? Ih fage dir, es ift mehr noch, denn es ge—
hört Gleichmuth, Geiftesruhe,, Heiterkeit und Genie dazu! Aber
was fragt Ihr foliden Alltagsmenfchen nah Gentalität!
Genial, mein Freund, bin ich leider nicht, erwiderte Anton.
Ich bedaure es ſelbſt, Tann mid aber doch nicht klüger und ge-
fheidter machen, als ih bin. Wende dih an deinen Oheim.
Julius richtete fih auf, er fhludte zu viel Rauch und brad
in heftiges Huften aus, der ihm Thränen in die Augen trieb.
Als er wieder fprechen konnte, verfeßte er:
Wenn das ein freundfchaftliher Vorfchlag fein joll, fo kün—
dige ich dir hiemit meinerfeits die Freundſchaft. Mein Oheim!
Ha, ba, ha,’ ha! Der ftierföpfige Diek-Johann mit feinen ſechs
Joch fetten Ochfen und feinen vierhundert Tonnen Matichland!
Nein, der Gedanke iſt fo coloffal dumm, daß ich ihn beinahe ge=
ntal finde! Dreihundert Nafenftüber würde er mir geben, nicht
aber dreifundert Species. Eher läßt er mid einſtecken!
Dann kann ih dir nur vathen, fpiele noch einmal! fagte An-
ton. Ih führe nicht folde Summen und befäße th fie wirklich,
fo würde ich allerdings nicht genial genug fein, um fie dir zur
Aufbewahrung zu übergeben. Das haft bu von deinem Gefchlede,
von deinem Verkehr mit Schlemmern und von deinem lebten lu—
culliſchen Göttermahle, das der merifanifche Don, der jebt ebenfalls
am Hungertuche nagt und am Ende noch Stammgaft im tiefen
Keller, oder in der Kröte wird, am Tage der großen Fluth gab.
Julius nahm die Gigarren aus dem Munde.
Dom höhern Lebensgenufle verftehft du nichts, erwiderte er
pathetifih. Du kannt mid alfo auch nicht mit deinen oberflächli⸗
hen Bemerkungen beleidigen. Jenes Diner war mehr, als fuperbe,
wie es dein Alter genannt haben würde, es war göttlich! Schade,
daß es fo zeitig zu Ende ging!
Ihr hättet ja beiſammen bleiben können.
— 919 —
Hätten! Sehr wahr. Ohne Euern plumpklotzigen Kerl von
einem Hausknecht wären wir auch ſicher vor Tage nicht aufgeſtan⸗
den. Der Menſch müßte eigentlich des Mordes angeklagt werden.
Er iſt Schuld daran, daß der luſtige Narr, der buntfarbige Pa⸗
pagei, Maſter Papageno, im Waſſer umkam.
Dafür ward ſein Herr großmüthig gerettet. |
Sage lieber, höcdhft wunderbar. Ich finde überhaupt Vieles,
was in jener Naht und in den nächften Tagen gefhah, fehr wun⸗
berbar, nur dein Sigen auf per Rüfter und das Kauern bes
großen Rheders daneben kann ich in alle Ewigkeit nicht wunderbar
finden, denn ich muß regelmäßig lachen, wenn tch daran denfe und
mir Euch Beide in diefer vermaledeit komiſchen Sttuatton vorftelle.
Sie war ernfthaft genug, fagte Anton, und dennod möchte
th fie heute noch nicht mit deiner und deiner Freunde Genüſſen
in jener Schreckensnacht vertaufchen. Ich hatte Recht, als ih dem
Buchhalter abrieth, deine Einladung anzunehmen. Wäre ich eben
fo Tetchtfinnig gewefen, wie er, fo würde unabwendbares Unglüd
über die Familie Heidenfrei hereingebrochen fein.
Das tft Recht; dafür kann auch deine Mutter ſchwimmen.
Anton kehrte dem ſpöttiſch Lachenden den Rüden, trat an's
Senfler, Treuzte die Arme über der Bruft und rauchte mit Leiden-
ſchaft. Julius blieb ruhig fiten und blies den Rauch Tangfam
durch die Nafe.
Mit dem Pump alfo wär es nichts, begann er nach furzem
Schweigen das Geſpräch abermals. Na, gezwungen kann, fol und
darf Niemand werden, decken aber muß ich die Schuld. Es wären
nun, wm dies zu bewerkitelligen, nod zwei Wege einzufchlagen.
Entweder ih verkaufe Uhr, Ringe, Brillantnadel z2c. oder ich gehe
zum Juden. Was bältft du für das Beſſere?
Soll td} meine wahre Meinung fagen?
Ungenirt! Ich bin ein Weltmann und kann Alles anhören,
wenn {ch auch nicht Alles thue, was Andere fagen.
Gehe zu deinem heim und gib ihm ein gutes Wort.
Ich will es. nicht wieder thun, befter Oheim, Verzeihung!
— 520 —
Nicht fo? — Und wenn er mid dann doch noch ablaufen läßt? —
Den Teufel auf!
Er thut es nicht, denn er hält auf Reputation, fagte Anton.
Mas fagte er denn zu feinem verftorbenen Sohne, als er eine
ganze Laſt Waizen verfpielt hatte? — Er fragte nur, ob er den
Verluſt auch bezahlt Habe? Und als der Sohn fhüchtern genug bejahte,
fügte er kurz Hinzu: Dann iſt's ja gut. Nur um Gottes Willen
feine Schulden maden! |
Beim Himmel, du haft Reit! rief Julius hoffnungsvoll aus,
und mein Oheim mag ein halsſtartiger, eigenſinniger Dickkopf ſein,
ſeine Anſchauungsweiſe menſchlicher Verhältniſſe iſt doch keineswegs
gemein. Da, alter Freund, meine Hand darauf, ich gehe zu Diek⸗
Johann! Aber vorerfi noch eine von deinen köſtlichen Regalia's.
Es ſteckt ein Duft in ihnen, als berge fi bie Quinteffenz aller
Arome der Tropen in ihren Blättern. Und nun von etwas An-
berm. Was mag Wahres fein an dem Gerüht, das jet Yon
Mund zu Mund läuft?
Melches meinft Du?
Daß fih Miguel Hohenfels-Saldanha mit Don Alonfo Gomez
ausgejöhnt habe.
Freund, verſetzte Anton, das iſt ein Gegenftand, den id
ungern berührt, ſehe. Die große Fluth hat viel Trauriges gefchaf-
fen, viel Unvermuthetes herbeigeführt. Warum follte fie nicht aud
ein paar Menſchen einander näher bringen, die in Folge früherer
Begegnifle fih ziemlih fern flanden?
Kommt der Merikaner nicht wieder hier ind Haus?
Nein, fagte Anton kalt, es wäre auch höchſt überflüffig.
Aber man kennt doch Die ſtatigefundene Verſöhnung?
Kümmere mich nicht darum.
Die Andern auch nicht?
Mir einerlei.
Julius ſtand auf und trat zu dem mürriſchen Freunde. Er
ſah ihn forſchend an, dann drehte er ſich lachend auf dem Abſatzk
herum und rief aus:
— 541 —
Alfo doch richtig gefangen! Hab mir's gebaht! — Und ba-
rum edler Philifter, Schwärmer für folive Leute?. Darum pünkt-
lihfter Börſenbeſucher und liederlichſter, unzuverläffigiter Freund?
D, das ift himmliſch, göttlih! Das müſſen Kurt und der lang
halfige Emil erfahren. Diefer Neuigkelt wegen muß der ftier-
nadige heim In der Marfh ein Dupend Species mehr heraus⸗
rüden! Adieun, Süßholz raspelnder Sternguder! Werbe nur
nicht mondfüchtig.
Julius nahm feinen Hut und ging lachend fort. Anton ſah dem
leichtfertigen Freunde verſtimmt nach.
Ich hab's gedacht, ſagte er. Verborgen konnte es nicht lange
bleiben, ſeit ih mid erklärt und eine befriedigende Antwort er⸗
halten babe. Ich bin felbft Schuld daran, aber es wäre doch
ganz abſcheulich, wenn der nuplofe Menfch eine bloße Bermuthung
als ausgemahte Wahrheit feinen gefhwäßigen Gollegen im Pavil⸗
lon erzählte. Die ganze Familie wäre blamirt, durd mich bla⸗
mirt, und Gott weiß, wie die Sache endigte! Dem muß vorge⸗
beugt werden und zwar auf der Stelle. Es tft Heute Sonntag,
Herr Heidenfrei iſt bei vortreffliher Stimmung, denn Treufreund
befindet fich wohler. Ih wag's — mien Moder kann ſwemmen!
Zu einem felten Entihluffe gefommen, machte Anton aus-
gefucht feine Toilette, betrachtete feine Geſtalt wiederholt im Spie-
gel, bradte das Haar ein Elein wenig In geniale Unordnung, um
nicht gefchniegelt wie ein Bild aus dem Mode-Journale auszu=
ſehen, und ließ fi bei dem Rheder melden. Diefer nahm feinen
Gorrefpondenten fehr wohlwollend auf und hatte eine lange, bri=
nahe volle zwei Stunden dauernde Unterredung mit ihm, in der
er ſich nicht einmal von Ferdinand unterbrechen Tieß, der den Ba=
ter während berfelben zu fprehen wünſchte. Der Sohn ward ab-
gewiefen und hatte nichts Eiligeres zu thun, als biefe überraſchende
Nachricht mit fein lächelndem Munde feiner Schwelter Eliſabeth
mitzuthellen, die mit einge Stiderei beichäftigt war. Die Fleine
Poetiſche erſchrak darüber dergeftalt, daß fie fih in ben weißen
zarten Finger ſtach und einige Blutstropfen verlor.
— 522 —
Das iſt gut, ſagte Ferdinand ſchalkhaft. Du wirſt, wenn der
Volksmund wahr ſpricht, heute noch geküßt werden.
O, du biſt abſcheulich, erwiderte Eliſabeth ganz verwirrt,
raffte ihre Stickerei zuſammen und ging mit Ulrike, die ſie rief,
in Treufreund’s Zimmer, wo fid die Mitglieder des Hauſes ge=
wöhnlih kurz vor Tifhe zu verfammeln pflegten. Hier fanden fie
bereits Eduard, Miguel mit Ehriftine und Mutter Margaretha,
Der frühere Buchhalter fag in einem Rollſtuhle. Gr war
blaß und fehr Hager geworben und hatte beinahe alle Haare ver-
foren. Das bunte Mühen, das er noch immer trug, bedeckte
faum noch die große Glatze, welche fih bis weit auf den NHinter-
kopf erfiredte. Seine ſtark verwundeten Hände waren zwar ge=
heilt, ſchmerzten ihn aber noch immer, fo daß er ſie eigentlich
gar nicht gebrauchen konnte. Am liebſten bedeckte er ſie mit fei⸗
nen Handſchuhen, weil die neugebildete Haut ungemein empfindlich
gegen Einflüſſe der Witterung war. Schlimmer noch erging es
ihm mit dem verſtauchten Fuße. Dieſer bekam trotz aller Bemü⸗
hungen des Arztes ſeine Elaſticität nicht wieder. Er blieb ſtumpf,
faſt gefühllos und hinderte Treufreund an aller freien Bewegung.
Die Aerzte erklärten das Uebel für unheilbar und wollten ein
gänzliches Erlöſchen aller Nerven und Muskelthätigkeit darin er—
kennen.
So ward der alte redliche Diener des Hauſes durch ſeine
körperliche Schwäche zu andauernder Unthätigkeit verurtheilt. Im
Comptoir vermißte man „den Schatten” am meiſten, was früher
Niemand geglaubt haben würde. Man merkte jetzt, daß der alte
erfahrene Mann überall fehlte, daß er durchaus nicht überflüffig
. gewefen fet und Jeder mehr, denn einmal jeine Rathſchläge oder
Winke habe benügen können.
Treufreund felbft fand fih tn feine neue Lage mit großer
Geduld. Gr ſah Mandes, was er gewünſcht und erftrebt hatte,
jest feiner Verwirklichung entgegen gehen, und war aud Anderes
wieder nicht nach feinem Sinne, fo befaß er doch eine hinreichend
fügfame Natur, um auch ihm perſönlich Widerfircbendes zu über
—— 9233 —
windgn oder, da er es nicht hindern Fonnte, gehen zu laſſen. So
- bfieb er bei ‚gutem Humor und erhielt ſich eine Heiterkeit bes Gei⸗
ſtes und eine Sanftheit des Herzens, die Andere anlodte und ihm
die Herzen Vieler, wo nicht Aller, dauernd gewann.
Mer irgend Zeit gewinnen konnte von den Mitbewohnern
des Hauſes, der beeilte fih, dem alten Herrn etwas Angenehmes
zu fagen, eine Gefälligkett zu erzeigen, und, da Jeder den An-
dern in diefem Töblichen Eifer zu überbieten fuchte, fehlte es Treu«
freund nie an Unterhaltung und Zeitvertreib, Die Pein der Lanz
gewetle kannte er nicht, feine Schmerzen vergaß er über dem Ge—⸗
plauder der drei jungen Mädchen, die bald einzeln, bald ges
meinfhaftlih den armen Leidenden unterhielten. Nach beendig-
tem Tagewerk kam gewöhnlich Anton in Treufreund’s Zimmer,
fragte angelegentlich nad feinem Befinden und flattete regelmäßig
Bericht ab über die Vorkommniſſe des Tages, über den Bang ber
Geſchäfte, weil er wußte, der aufmerkſam zuhörende „Schatten“
habe Gefallen daran. Auch mie der neu eingetretene Caſſirer fi
beim Schtllingszählen anftelle, fagte Anton dem ehemaligen Bud:
halter, der die Bemerfung, es gehe dem fonft fehr netten und ge:
wandten Manne doch nicht fo flint von der Hand, wie einem ges
wiffen Jemand, mit fehmunzelndem Lächeln hinnahm. War dies
Alles verhandelt, fo las Anton am liebſten vor, bald ein Zeitungs-
blatt, bald ein gutes Buch, und als dankbare Zuhörerinnen fehl-
ten die jungen Mädchen dann nur felten. Der Rheder kam in
der Regel erſt fpäter, da er nad Aſche feinen Clubb auf ein
paar Stunden zu beſuchen pflegte.
Diefe früher nicht in folder Weife gefannte Hausordnung,
dies traufihe Zufammenleben der Familie entfremdete Anton der
Melt mehr vielleicht, als es wünfchenswerth fein mochte. Die Er⸗
lebnifje in der Sturmnacht, die Todesangſt, die er momentan in
derfelben ausgeltanden hatte, die entjeßensreihen Scenen, die er
nur mit halbem Auge ſah, von denen er aber doch Zeuge fein
mußte, waren nicht ohne tiefe Eindrüde geblieben. Gr ward von
Stunde an viel ernfter und konnte jegt gern für zehn Jahre Alter
— 514 —
gelten. Seiner geiftigen Heiterkeit jedoh, feinem Streben, und
Wirken that diefe Veränderung feines ganzen Übrigen Wefens durch—
aus keinen Abbruch.
Heidenfrei zeichnete ſeinen Correſpondenten ſeit jener Nacht
entſchieden vor allen Andern aus und behandelte ihn faſt wie einen
Mann, der mit ihm auf gleicher Stufe ſtand. Was Veranlaſſung
zu ſolcher Aufmerkſamkeit ſei, blieb den Hausgenoſſen nicht lange
verborgen. Anton hatte, das wußte bald der letzte Laufburſche,
durch ſeine Geiſtesgegenwart und durch gänzliches Selbſtvergeſſen
dem Chef des Hauſes nach dem Einſturz des Holzſpeichers das
Leben gerettet.
Treufreund erhielt früher noch als Andere davon Kunde, und
ſeitdem vergab er dem übermüthigen jungen Manne Alles, ſelbſt
bie bisweilen etwas zu weit getriebenen, freilich auch harmlos ge=
meinten Scherze, die feiner eigenen Perſon gegolten hatten. Der
Eorrefpondent ward fein erflärter Liebling. Cr verkündete fein
Lob Allen, die thn befuchten. '
Seit jener Zeit, Die Anton einige Tage nah der Kataftrophe
rin hartnädiges Wechſelſteber eintrug, fpeiffte der Gorrefpondent
täglich am Tiſche des Rheders. Dies war eine Aufmerkſamkeit,
deren Bedeutung Anton nicht verkannte. Er konnte fie beinahe
einer völligen Aufnahme tn die Familie des Rheders gleich achten.
Und wenn er etwas ſtolz auf eine ſolche Auszeichnung war und
mander Junggefellengewohnheit entfagte, die er früher nur fehr
fhwer zum Opfer gebrachn haben würde, fo Eonnten ihm Dies wohl
nur junge, flatterhafte Strudelköpfe verdenten, denen jeder Zwang
. ein Greuel war. |
Anton ließ fih nicht flören in feiner raſch veränderten Lebens-
weile. Er ertrug mit Gleihmuth die Hänfeleien feiner Collegen,
machte gelegentlih wohl felbft einen Scherz auf fein eingezogenes
Philiſterleben, gab es aber doch nicht auf. Der Magnet, welder
Anton fortan im Haufe des Rheders feſthielt, war der früher in
ſolcher Weiſe nie gefannte Umgang mit edlen, gebildeten Frauen.
Die Anmuth holder Weiblichkeit, der finnige Austaufch von Ges
— 515 —
banten und Empfindungen, die von Mäbchenlippen vernommen,
jeden unverborbenen jungen Mann in ein bis dahin ihn verfchloffen
gebliebenes Zauberland führen, Iegten unfichtbare Schlingen um
Anton’s Fuß und endlih auch um fein Herz.
Ferdinand ſcherzte mit Ulrike und flüfterte ihr allerhand Bes
merkungen zu, die das blühende Mädchen in Berlegenheit ſetzten,
als der Diener meldete, daß die Tafel angerichtet ſei. Gleich
‚ darauf trat Heidenfret ungewöhnlich heiter unter die feiner Har⸗
renden, fragte theilnehmend nah dem Befinden des Gelähmten
und gab Margarethe den Arm. Eliſabeth wollte ſich von Eduard
in das Speifezimmer geleiten laffen, der Vater aber befahl dem
hinter ihm erſchienenen, in fehr aufgeregter Stimmung fi befin-
benden Anton, er folle feine Tochter führen, und commandirte ſei⸗
nen Älteften Sohn hinter den Stuhl Treufreund’s.
Was man einen Tag, wie alle thut, Tangweilt zuletzt, fagte
er vorausſchreitend. Herr Anton hat nun ſchon länger als vier«
zehn Tage regelmäßig jeden Mittag den Rollſtuhl unferes Freun⸗
des vor fich hergefchoben, er fol deshalb für die nächften acht Tage
diefe Beihäftigung an Eduard abtreten. So — da geht Alles
paarmweife, erft die Alten, dann die Jungen — madt ſich ganz
fuperbe!
Fünftes Rapitel.
Eine Kundgebung am Familientifche.
Sp munter und aufgelegt zu Scherzen hatten Heldenfrei bie
Setnigen fett Tanger Zeit nicht gefehen. Es war, befonders in ben
legten Monaten häufig vorgelommen, daß über Tiſche eine tiefe,
brüdende Stille herrſchte, die Manchem den Appetit verdarb und
zu einem frühgren Aufheben der Tafel führte, als es für gewöhn⸗
— 526 —
lich üblich war, Veranlaſſung dazu gaben die vielen Sorgen und
Bekümmerniſſe, welche das Haupt des Rheders beugten, und die
fett der Rückkehr des Schwagers von Woche zu Woche ſich ver-
mehrten. Erſt als diefer, in feinen Entſchlüſſen beftärkt, ein be=
fimmtes Ziel gefunden hatte, auf das er jetzt wieder unbeirrt und
ohne ſich um Andere zu kümmern, Iosfteuerte, trat eine Aenderung
zum Beflern ein, Wirklihe Unbefangenheit bemerkten Scharffichtt«
gere exit nad erfolgter Abreife des genialen Sonderlings. .
Treufreund, welcher diefe Wandelungen in ben Stimmungen
bes Rheders ſchweigend belaufchte, wurde davon anfangs ſchwer
befümmert. Ausgleichend, vermittelnd einzufchreiten vermochte er
nit. Davon hielt ihn theils feine Stellung, thetls feine Pietät
gegen Heidenfrei und feine bewundernde Verehrung für Hohenfels
zurüd. Als Kaufmann und peinlich gewiſſenhafter Gefchäftsver-
ftänbiger mußte er dem Rheder unbedingt Recht geben, als Freund
ſprach fein Herz für Auguftin Hohenfels, defien Streben und Ent-
würfe er ftets mit bewundernder Liebe in Schuk nahm.
Die fhweren Verlufte, welche die Vermüftungen ber großen
Sturmfluth dem Rheder zugefügt hatten, konnten dieſe Mißſtim⸗
mung wohl noch fleigern. Dies geſchah jedoch nicht. Heidenfrei
war fein ängftliher Mann und blieb deshalb ruhig bei Verluften,
welche die force majeure ihm bereitete. Cine Sturmfluth ver-
mochte weder menſchliche Klugheit, noh Macht abzuwenden. Sie
war ein Schidjal, dem man fih fügen, dad man ertragen und fo
gut e8 gehen wollte, zu Aberwinden fuchen mußte. Heidenfrei ward
deshalb dur dieſe Verlufte nit in neue Betrübniß verſetzt. Es
fhien eher, als hätte er durch die Fluth etwas Unvergänglices
gewonnen, und wer ben alten Rheder genau kannte, wer fein Herz
durchſchaute, der mußte ihm freilich beipflichten. Die verheerenden Wo-
gen verfürzten ihm zwar fein Gigenthum, fie lehrten ihn aber gleich-
zeitig zwei treue, zuverläjfige Freunde fennen, auf die er ſich un-
tee allen Umfländen, im Glüd wie im Unglüd, verlaffen Tonnte.
Die Fluth ſchenkte ihm durch die Hand treuer Diener den einen
jeiner Söhne wieder, und ließ ihn tiefe Blicke thun tg das Seelenle-
— 527 —
ben zweier Männer, von denen der eine ihm durch Bande bes
Bluts verwandt, der andere durch Schiefalsfügungen feinem Haufe
und feiner Familie jo nahe gerüdt worden war, daß feine Geftalt
noch lange wie ein leichter Schatten durch daſſelbe gleiten mußte.
Und diefe Erkenntniß war eine beruhigende.
Sonach Hatte die immer ungenirter fi fundgebende Heiter-
keit Heidenfrei's ihre volle Berechtigung. Die Schweigfamteit bei
Tiſche verlor fih, und als man fi der gegründeten Hoffnung hin⸗
geben durfte, der fchwer verwundete Treufreund werde, wenn aud
nur langfam, genejen, fühlte fih die ganze Familie gehoben, und
alle fchlofien fih) enger, denn je an einander.
Ich babe Euch heute "zwei wichtige Neuigkeiten mitzutheilen,
ſprach der glüdliche Rheder, mit Eunftfertiger Hand einen gebrates
nen Puter zerlegend, den der Bebiente fo eben aufgefegt Hatte;
denn am gemwöhnlihen Familtentifche pflegte der wadere Herr nad
guter, deutſcher Hausfitte das Trandiren bei Tafel felbft zu be=
forgen. Er fand dies gemüthliher und patriarchalifcher,. als wenn
man einer fremden Hand dies wichtige Geſchäft überlafle, und dann
nur gewiffermaßen einen Gaft am eigenen Tifhe abgebe. Gin
Mann, den Ihr Alle kennt, deilen Namen ich aber nicht nennen
will, Hut alles Unrecht gegen und und manden Andern badurd
gut gemacht, daß er fein früheres Handeln jegt ſelbſt verdammt.
Ihm ift das Unglüd, der Schreden ein vortreffliher Lehrer gewe⸗
fen. Hätte die weile Vorſehung und nicht die große Sturmfluth
geichtelt, wer weiß, was wir dann noch Alles hätten erleben müf-
fen! Bei dem Manne, den ich meine, und den Ihr gewiß jept
ſchon Alle errathen fünnt, hat das Waller, dem viele Aerzte über-
haupt große Hetlfräfte beilegen wollen, wahre Wunder gewirkt... Er
tft ſchon jegt aus einem tollfühn in's Wilde hinein wirthichaften-
. den Verſchwender ein ſolid lebender Mann geworden. Seine Schul«
den find durd meine DVermittelung bezahlt, und einge fehle Stel-
fung tft ihm gefichert durch Miguel, dev, ebenfalle unter meinem
Belitgnde, einen, wie ich glaube, gang vorteilhaften Contract mit
dem Sohne aus dem Thale Tenochtitlan abgeſchloſſen ha In
— 5328 —
den nächſten Wochen ſchon reiſ't der Gebeſſerte nach Cuba ab, und
ich denke, ehe der Sommer herankommt, erhalten wir Nachricht,
daß fich ein Abkömmling der ritterlichen Conquiſtadoren als milder
Beherrſcher einer Anzahl arbeitender, der Allgemeinheit Nutzen
ſchaffender Menſchen nicht ſchlechter befindet, als wenn er gleich
ſeinem halben Landemanne, dem edeln Ritter von der Traurigen
Geſtalt, bald da, bald dort, auf theils lächerliche, theils thörichte,
theils gar verbrecheriſche Abenteuer auszieht! Wir thun, glaub' ich,
nichts Unnöthiges, wenn wir, dieſes Mannes und feiner glücklichen
Sinnesänderung thellnehmenb gedentend, jept ein Glas auf fein
Wohl und auf das Gelingen der Pläne leeren, die feine geprüfte
Seele gegenwärtig bejchäftigen !
Heidenfrei ergriff fein Glas und Fang zunächſt mit feiner
Frau an. Ale Tiſchgenoſſen folgten, Einige fih fprechende Blicke
zumerfend, Andere ſchweigſam die Augen verhüllend feinem Bei—
ſpiele.
Ich danke Euch in ſeinem Namen, fuhr der Rheder fort, das
Glas niederſetzend, denn dieſer Toaſt iſt zugleich der Abſchiedsgruß,
welchen der Abkömmling der Conquiſtadoren allen Denen durch
mich ſendet, die er hier in dieſem Zirkel kennt, und die jemals
Worte mit ihm gewechſelt haben. Sein perſönliches Erſcheinen
verhinderten viele Umſtände, die ſich nicht beſeitigen ließen. Er
bittet deshalb Alle und jeden Einzelnen wieder beſonders, ihm
dieſe unſcheinbare Unhöflichkeit verzeihen und ihm auch in der
Ferne ein freundliches Andenken bewahren zu wollen.
Und worin, Väterchen, befteht denn beine zweite Neuigkeit?
fragte Eliſabeth, der es nicht ganz gelingen wollte, eine in erhö—
heterem vofigen Eolorit ihrer Wangen fi fund gebende Befangen-
heit den Blidden der Beobachtenden zu verbergen. Haft du Chri-
fiinens Bruder den SOberfleuermannspoften auf deiner neuen fre-
gatte übertragen ?
Errathen, verjeßte Hetdenfrei, aber der trefflihe Junge weiß
noch nichts davon. Ich habe mir vorgenommen, ihn zu feinem
Geburtstage damit zu überrafhen. Auch fein Vater lebt noch in
— 529 —
völliger Unkenntniß. Ich bitte mir deshalb aus, daß man aller=
feits mein Geheimniß zu chren weiß und als Geheimniß behandelt.
Das Auge des Rheders ftreifte bei diefer legten Bemerkung
die lächelnde Ghriltine, die bejahend ihr ſchönes Haupt beugte. -
Dem zufünftigen Oberfteuermanne der Fregatte „Chriftine!”
ſprach Eduard, fein Glas füllend. Möge er ftets auf allen feinen
Reiien fo treu von gutem Glüd begleitet werden, wie biäher!
Keiner unterließ, das Wohl des Seemannes zu trinken, dem
Eduard und Miguel vorzugsweife ihre Errettung aus ber augen-
fheinlihften Todesgefahr zu verdanken hatten. Eduard mußte une
willfürlic jener ſchrecklichen Situation wieder gedenken und fah
ftil und ftarr in den goldenen Rheinwein.
Mas tft dir? fragte Ferdinand. Biſt du unmohl?
Im Gegentheil, erwiderte Eduard. Ich fah mid nur wieber
auf dem zufammenbrechenben Strohdache treiben und fühlte einen
Augenblid die Todesihauer, die mid bamals durchbebten. In je=
nen verhängnißpollen Minuten, wo das Leben von fünf Menfchen
nur an einem Faden hing, wo ein zu rafher Ruderſchlag, eine
etwas ſchnelle Wendung des heranrollenden Bootes unfere Zuflucht
zertrümmern, und Alle begraben Tonnte, habe th den Werth eines
tüchtigen Matrofen erft ganz fhägen gelernt. Paul bewährte in
jenen gefahrvollen Augenbfiden alle bedeutenden Eigenſchaften, die
jeder Matrofe befigen muß. Er war Faltblütig, entichloffen, ge=
wandt, durch nichts aus feinem Gleichmuth zu bringen. An dem
Gegendrud feines Fußes, an einer Tetfen Berührung des Steuers
hing fein und unfer Aller Leben. Nur der praktiſch gefchulte, tn
zahlreichen Stürmen wetterfeit und willensſtark gewordene Matrofe
vermag zu leiften, was bei der rothen Tonne der mwadere Paul
leiſtete. Und fo tft e8 immer und überall, auf allen Meeren, in
jedem Sturme. Wo der Matrofe nicht ein Mann tft in der voll-
ften Bedeutung des Wortes, da find Schiff, Ladung und Befagung
fhon beim Auslaufen aus dem Hafen ein Spiel der Launen des
Windes geworden. Der Capitän allein kann ein Schiff im Wo-
genſchwall nicht reiten, eben fo wenig ber Steuermann. Die Ma—
D. B. XI. Wiltomm’s Rheder und Matrofe, 34
— 530 —
teofen find es, die jeden Sieg gegen Stürme erfedhten. Und ohne
zuvor ein guter Matrofe geweſen zu fein, wirb kein Seemann ein
tüchtiger Pilot, fein Steuermann ein zuverläffiger Capitän! Mit-
hin liegt mehr oder minder auh das Glück, das Eigenthum der
Rheber, der Nationalreichthum aller mit einander Handel treiben-
der Völker in ber Hand des Matrofen.
Treufreund lächelte vergnügt, zufrieden. Er ſaß zwiſchen
Ulrike und Ghriftine, die den alten, gebrechlihen Diener mit Auf:
merkſamkeiten überhäuften.
So höre ich Ste gern fprechen, fagte er jebt. Es tft wieder
feine Stimme, die Stimme bes Freundes, ber uns fehlt. Aber
es foll und barf nichts vollkommen fein auf Erben, fonft wirb es
durch dieſe Vollkommenheit fhon wieder unvollkommen. Es Elingt
das wunderlich, meine Freunde, vielleicht gar altwätertfch = philifter-
baft, aber wahr iſt es doch. Wir Menſchen find bie gefhworenen
Feinde alles Volllommenen und die ganze Welt iſt genau ebenfo
gefinnt. Darum hat der fhalkhafte Satan des Dichters, aus bei-
gen „Fauſt“ mir neulich erſt Fräulein Eliſabeth die ſchönſten Stel-
Ien vorlag, Recht, wenn er In Bezug auf alle Mensen ihn ſa⸗
gen läßt: |
„Eu taugt einzig Tag und Naht!“
Sind Ste auch diefer Meinung, lieber Anton? fagte Heiden⸗
frei, den jungen Gorrefpendenten, ber fhon ein paarmal ben Kopf
gefhüttelt Hatte, mit merkwürdigem Blide treffend, Mir feheint,
Ahnen kommt die Welt ungleih volllommener vor, als unferm
kränkelnden Freunde. Ich habe wenigſtens kaum je ein fo voll⸗
kommen glüdlihes Antlig zu bewundern Gelegenheit gehabt, als
Ste e8 fett einer Stunde zeigen, wenn Ste mit Ihrer Nachbarin
zur Rechten ſprechen. Selbſt den matertellen Genuß, den, wie Sie
wiſſen, ich felbft durchaus nicht verachte, fcheinen Ste ganz und
gar über Ihre Glüdsfchwärmeret zu vergeffen. Wie fommt bas
wohl? Könnten Sie uns darüber beruhigende Aufſchlüſſe geben ?
Heidenfrei’s Stimme Hang Übermüthig fherzend, dennoch fühlte
ſich Anton etwas davon in Verlegenheit gefebt. Er flotterte einige
— 51 —
unverfländlihe, unzufammenhängende Satze, aus denen Niemand
Hug werden konnte. Selbſt bie fo ernſthafte Margaretha, SEliſa⸗
beth's Mutter, mußte lächeln. |
Wißt Ihr was, Kinder, nahm Heidenfrei abermals das Wort,
da fällt mir ein, daß ich kurz vor Tiſche noch eine dritte Reuig-
teit erfahren habe. Wenn ich wüßte, daß ich nicht anftieße bei der
PVerfon, die mir diefelbe anvertraut hat, fo wäre ich jept gerade in
der Laune, fie nur unter und, bie wir und ja alle fehr genau
fennen, auszuplaudern. — Ihr horcht? Ihr feht mich Ale fehwei-
gend, ein Paar, ich möchte beinahe fagen, verblüfft an? Nun, da '
muß ich zu einem andern Auskunftsmittel meine Zuflucht nehmen!
Wir wollen doch fehen, -was mächtiger ift, die Weberzeugung, im
Befige eines vollkommenen Glückes fi fiher zu wiſſen ober ber
Wunſch, dies Glück heimlih, von Niemand gelannt, zu gentefen.
Weigert fih aud nur eine Einzige Perfon, ein Glas von biefem
ganz fuperbe perlenden Champagner anzunehmen, fo ſchweige ich
wie das Grab und Jedem foll es freigeftellt bleiben, das Glas
auszutrinten ober auszugleßen. Machen Sie die Runde, Branz!
Der Bediente, welcher auf einen flummen Wink des Rheders
bie Kelchgläfer inzwiſchen mit dem köſtlich duftenden Weine gefüllt
hatte, kam dem erhaltenen Befehle nah. Es fand fih indeß Feine
weigernde Hand.
Es ift mir, wie ich fehe, erlaubt zu fprechen, fagte Heiden—
frei mit einer gewiffen Feierlichkeit. Wohlan denn! Sch leere
dies Kelchglas auf das Wohl, das irdiſche Glück und die Lebens-
wohlfahrt zweier Menſchen, die mir und allen hier Anweſenden
unausfprehlich theuer find, und bie ſich entſchloſſen haben, bereinft
immer nur eine und diefelbe Straße zu wandeln. Im gewöhnli⸗
Gen Leben pflegt man biefe Straße den Rofenpfab zu nennen, ob-
wohl er nicht gar felten jo dicht mit Dornen beftreut if, wie ein
Palliſadenwerk mit ſpaniſchen Reitern. Mit einem Wort: das
neuefte Brautpaar foll leben! Es gibt fi fo eben durch magne-
tiſches Kopfneigen zu ertennen.
Eliſabeth und Anton! ſprach Treufreund, fein Glas hebend
\ 84*
— 532 —
und es der fhönen Braut zum Anftoß darreichend. Wer hätte
das im vorigen Jahre gedaht! — Elifabeth und Anton!
Ein jubelndes Hoc übertönte das Klingen der Gläfer. Der
glückliche Anton dankte mit hochklopfendem Herzen, feiner ihm freund
lich zulächelnden Schwiegermutter die Hand küſſend. Als er noch⸗
mals mit Treufreund anftieß, fagte er triumphirend:
Hab’ ich nicht Recht? Mien Moder kann ſwemmen!
Was? fragte Hetdenfret, der nur das Wort „Moder? gehört
hatte Was ift’s mit der Mutter?
Treufreund beugte ſich etwas vor, und indem er faft fo ſchalk—
haft ausſah, wie der glückliche Bräutigam, fagte er ganz laut:
Herr Anton machte eben nur bie fehr pafjende Bemerkung,
daß feine Frau Mutter ſchwimmen könne!
Bifewicht! rief Anton, feiner auflodernden Lachluſt kaum
Meifter werdend. Eliſabeth konnte fi) ebenfalls nicht halten, und
die Mebrigen liegen ihrer Heiterkeit ungenict freien Lauf.
Das heißt, in gemein verftändliches Deutfh übertragen, er-
Märte der „Schatten“, man bat Glück. Und wirklich tft Diefe
Redensart ungemein bezeichnend. Nur wenn der Menfch zu rech—
ter Zeit immer fhwimmen kann, fommt er zu etwas, rettet er fidh
aus jeder Gefahr, Üübermindet er alle Angriffe, mögen fie fommen,
von wem fie wollen. Darum ein Lebehoh allen Müttern, ie
ſchwimmen fönnen und dieſe herrliche Kunft ihre Kinder lehren!
Meine längſt verftorbene Mutter war leider nicht im Beſitz diefer
Kunft, Eonnte fie alfo auch nicht aufmicd übertragen, und deshalb,
glaub’ ih, vermochte ih es auch nicht weiter zu bringen, als zu
einem gelähmten Zuße und zu faſt ganz unbraudbaren Händen.
Nur die Freundſchaft biieb mir treu und die Liebe edler Menſchen.
Auf diefem Doppelftrudel treibe ih nun wie ein Kreifel, und gehe
ih einft darin unter, dann werde th es mit dem freudigen Be—
kenntniſſe thun können: Liebe und Freundſchaft ehrten den thäti-
gen Mann, hatten Nahfiht mit dem Schwachen und pflegten
den hinfällig Gewordenen, bis er feiner Pflege ‚mehr bes
— 533 —
durfte. Solcher Freundſchaft, die immer über Waffer bleibt, gelte.
neben ber Mutter, die ſchwimmen Tann, dies mein letztes volles Glas!
Dem etwas gewagten Scherze bes alten Buchhalter ward
durch diefe Wendung jede verlegende Spite abgebroden. Man
that dem gelähmten Hausfreunde unter Scherzen, Ginige unter
Thränen lähelnd, Beſcheid, und der Rheder erklärte, den Reit ſei—
nes Glafes leerend und die Tafel 'aufhebend:
Das war eine ganz fuperbe Manter einem fchüchternen Braut:
paare Muth zu machen!
Er jhüttelte Anton wiederholt die Hand und fagte: Sobald
die Verlobung mit meiner Tochter publicirt iſt, treten Sie ale
Compagnon in das Gefhäft. Die Firma wird fünftighin faktiſch
heißen: Peter Thomas Hetdenfrei und Söhne.
“
Serhstes Kapitel.
Slüdlide Menſchen.
Julius faß mit verfhlungenen Armen auf dem elaftichen
Sopha, beugte den Kopf vor und hörte dem fhheltenden Oheim
mit großer Seelenruhe zu, der neben dem runden Tifhe fih nie=
dergelaffen hatte und die Hauptfäge ſeiner Rede mit ſtarken Fauft-
fhlägen begleitete. Als Diek-Johann eine Paufe machte und den
jhweigenden Neffen jehr unfreundlih anblidte, ſprach dieſer:
Ein wahrer Mufterprediger wärft du geworden, Oheim, id
fagt’ es immer! Welche Wucht Tiegt in deinen Worten, welche
Meberzeugung gibt fih im Ton deiner Rede fund! Du puffit die
Gewiffen der Sünder mit Keulenfchlägen, die fie wohl fühlen
müflen, und wer nad folhen Ermahnungen fih nicht befiert, der
verdient unbedingt in der Hölle zu brennen.
Süh fo, mein Junge, ftop! erwiderte der Marſchhofbeſitzer. Res
— 534 —
densarten verfangen be! mir nit, ich will bie That fehen. Laß
alfo dein Queſen und halte, was bu gelobt haſt. Ich helfe bir
zum eriien und lebten Male.
Du biſt großmüthig, Onkel, oder darf ich auch eine fo edle
Eigenfhaft nicht laut anerkennen und preifen?
Mir iſt's Lieber, du wirft vernünftig und fparfl. Heirathe!
Groß und ſtark dazu biſt du, und hat einer erft eine Frau zu er⸗
nähren, fo vergehen ihm die überluftigen Gedanken.
Gott bewahre, Onkel! Ih und heirathen! Was follte mir
eine rau! Ich könnte doch nur eine folde brauchen, die mir gleich
an Gefinnung wäre, die meine Anſichten, Gefühle, Neigungen
theilte. Wenn fie nun’ dann einen eben fo gefegneten Appetit
hätte, wie ich, müßte doch offenbar Eins von uns Beiden verhungern!
Stop, das ändert fi in der Ehe. Verthuſt du zu viel, fo
fhilt die Frau, fhilt die Frau, fo ärgerſt du dich, und ärgerſt bu
Di, ſchwindet der Appetit. Kenne das. In einem Bierteljahre
haft du dir das Effen fo ziemlich abyewöhnt. Süh fo!
Julius fhlug die Hände über dem Kopfe zufanmen. Ich
bewundere die Weisheit Der Marſch! ſprach er pathetiih. Solon
hätte bei dir in die Schule gehen können.
Wer? verjepte Diek-Johann. Iſt das etwa der Schulmelfter
geweſen, der di unterrichtet Hat? Wollte fon, ich Eriegte ihn
unter meine Fäuſte. Er follte fpüren, baß ihn ein ächter Dith-
marfher Mores lehrte.
Ich glaub’s, Oheim, ich glaub’s! Schade nur, daß de der dumme
Kerl ſich ſchon mauſetodt geſtorben hat.
Diek-Johann brummte und griff in eine der weiten Taſchen
feines Rockes. Ä \
Beſſern alfo willſt du dich? fragte er, einen gewichtigen Geld⸗
beutel vor fih auf den Tifch ftellend.
So wahr ih lebe, Oheim! Ih bin ja zur Erkenntniß mei⸗
ner Behler gefommen! Hätte ich es fonft gewagt, an dich zu ſchrei⸗
ben und dir mein Vergehen zu beichten?
— 535 —
Süh fo, ftop! fagte der reihe Mann aus der Mari. Wie
viel brauchſt du?
Dreihundert Species.
Biel Geld, Bott verdamm’ mih! Wenn der Raps mißräth,
wird mir's fehlen.
Er öffnete den Beutel und fehüttete die blanken Speries auf
den Tiſch.
Zähle nad! fagte er. Als Kaufmann wirft bu mit Geld:
zählen wohl Beſcheid wiflen.
Julius ließ ſich nicht zweimal zu einer fo angenehmen Bes
jhäfttgung auffordern. Er griff zu und zeigte im Zählen auch
wirklich eine Fertigkeit, weldhe das Wohlgefallen des Cheims erregte.
Süh fo, das geht, fagte Diek-Johann. Halt aljo doch etwas
gelernt. Freut mid. Iſt's recht? '
Runde breifundert Species, fagte Julius. Sol ich dir einen
Schein darüber ausftellen ?
Schein? Bleib mir mit deinem Schein vom Leibe! Ih wu
here nit und will die Leute nicht wiſſen laſſen, daß ich vielleicht
Geld an einen Narren weggeworfen habe. Stop, bleib fiten und
nimm's nicht übel. Meine nur fo. Bezahle jetzt beine Schuld,
werde vernünftig und ich helfe gern weiter. Wer mit Gelb um-
zugehen weiß, kann von mir immer Geld haben, Verſchwender aber
und Spieler befommen nichts. Bet bir mache ich eine Ausnahme,
der Familie wegen. Süh fo, fiop!
Er ftand auf, bededte fein Haupt und nidte dem Neffen ein
kurzes Adieu zu. Julius wollte ihm banken, Diek⸗Johann aber
hörte nicht. Er hielt den Stod vor, drüdte die Thür auf und
hätte einen Bebienten, der eben anklopfen wollte, beinahe umge⸗
rannt. Ohne fih weder um biefen noch um feinen Iebensluftigen
Neffen weiter zu kümmern, ging er achtlos feines Weges, ftteg in
den feiner harrenden Wagen und verließ unverweilt die Stadt,
bie er einzig deshalb befucht Hatte, um Julius aus feiner verdrieß⸗
Iihen Geldverlegenhelt zu befreien.
Diefer war ſeinerſeits glüdlich, feine Wünfche erfüllt zu fehen,
— 536 —
Mit Wohlgefallen ruhten feine Augen auf den blintenden Silber-
ſtücken, die im Augenblid eine größere Anziehungskraft für ihn
hatten, als alles Andere. Der Bediente überreichte dem jungen
Lebemanne ein Billet und entfernte fich wieder.
Ah, von meinem lieben Anton! fprah Julius, die Adreſſe
betrachtend. Was mag der mir zu melden haben? Er löſ'te das
Siegel und überflog die wenigen Zeilen des Freundes.
- Ganz, wie ich vermutete, fuhr er fort. Man konnt es ja
mit Händen greifen in den letzten Wochen. — Na, Glück zu! Es
tft doch nett von ihm, daß er feine Jugendfreunde wenigitens bei
feiner feterlihen Verlobung um fih haben will. Sehr angenehm,
und gewiß auch fehr unterhaltend, Es wird eine Mahlzeit geben,
die eines Rheders würdig iſt. — Gut, daß er mich fo zeitig benad-
richtigt. Es iſt dies eine Aufmerkjamfeit, die man loben muß.
Man kann fih einrichten, vorbereiten; man kann Alles thun, was
zu einiger Liebenswürbigkeit verhilft. Man fagt: es wird feine
Hochzeit vollbracht, es wird eine neue erbadt, und geſetzt auch,
mein Onkel hätte Recht, was ich bezweifle, gäbe er mir etwas
Tüchtiges- in's Geſchäft, falls eine Heinfüßige, ſchlanke Grazie mit
muntern Gazellenaugen ſolchen Geſchmack an mir fände, daß fie
Miene machte, mid vor Liebe aufzufreffen, fo riskirte ich's und
hetrathete Doc, ſelbſt auf die fchredliche Gefahr hin, mein ganzes
Leben lang ohne Appetit zu bleiben.
Julius überzählte nochmals das Geld, ſchloß es weg, fehte
fih an den Schreibeylinder, um Anton verbindlichit zu danken und
Glück zu wünfhen, und fchlenderte dann gemüthlih nah feinem
Comptoir, wo er etwas zu ſpät anfam und deshalb ein fcheeles
Geſicht als Morgengruß empfing. —
Der nämliche Bediente trat an demſelben Tage auch in die
Wohnung des Quartiersmannes, wo Frau Doris von drei Nähe⸗
rinnen umgeben, inmitten eines Berges blendend weißer, köſtlich
ſchimmernder feiner Leinewand ſaß. Capitän van Tolten, der
einſylbige Holländer, hatte ſie der glücklichen Mutter Chriſtinens
ſo eben überbracht und ging in dem ſauber gehaltenen Parterre⸗
‚zimmer, deſſen grau gemalte Diele wie ein polirter Spiegel glänzte,
auf und nieder, die vielen von Frau Doris an ihn gerichteten
Fragen freundlich, aber immer nur kurz beantwortend.
D, wer mag das glauben, Gapitän! fagte die glüdliche Grau.
Sie wollen mir wohl 'was aufbinden? Da müßten ja Ihre Lands-
leute lauter Milltonäre fein, wenn Alle folche Leinewand tragen
wollten, Was koſtet die Elle?
Zwei Gulden.
Das find ja drei Marf Hamburger Courant oder wohl gar
noch mehr! Und wenn nun der Led der Tall, die Sie führten,
größer und der Sturm ſchlimmer geworben wäre und das eindrin-
gende Salzwaffer die Kiften und Alles, was fih darin befand,
befhädigt hätte, fo würde ja die ganze Leinewand mit verbor-
ben fein.
Bis auf den lebten Faden, Mynvrouw, verfegte van Tolten.
Hätte aber nichts zu fagen. In Amfterdam gibt es mehr fol Zeug.
Mein Gott, mein Gott! rief Frau Doris, immer von Neuem
das ausgefucht feine Gewebe betrachtend und ‚befühlend, ih kann's
noch immer nicht begreifen, daß mein Kind in folches Zeug fid
hüllen fol. Manchmal dent’ ich fogar, 's iſt Sünde.
Iſt's nicht, Mynvrouw, fagte der Capitän. Was man zum
Geſchenk erhält von reihen Leuten, die e8 bezahlen können unb
es gern bezahlen, darf man unbedentlih annehmen.
Guten Tag, Franz, fagte Frau Doris, den Bebienten gewah⸗
vend, der fchon ein paar Minuten an der Thüre fland. Mein
Mann ift fon längſt ausgegangen. Ich glaube, er ift heute am
Pinnas befhäftigt. Haft du 'was zu beftellen? |
Blos ein Billet abzugeben, erwiderte dieſer, und von Fräu-
fein Chriſtine fol th ber Fran Mama die fhönften Grüße bringen.
Iſt das Billet an mich? fragte Frau Dorie. Ich kann Ges
ſchriebenes nicht mehr gut lefen.
Es It an Mann und Frau, verſetzte lächelnd der Bediente,
Und was enthält e8? forfchte die Frau des Quartiersmaunes
weiter.
— 538 —
So viel ich weiß, fagte Franz, kann ed nur eine Einladung
zu dem Feſte fein, das Herr Heldenfrei nächſtens geben wird.
Um Gott! Und da fol ih mit dabei fein und mein Alter au?
Warum nicht? verfeßte der Bediente. Da Fräulein Tochter
in die Familie des Rheders heirathet, dürfen die Aeltern der Braut
bob am Hochzeitstage nit bei den Zeftlichkeiten fehlen. Nur
nicht Angftlih, Frau Behnte! Es fährt Mander in einer Karofle,
der in. feiner Jugend auf Holzpantoffeln zur Schule ging. Haben
Sie's etwa nicht verdient, im Alter ein ſchwer ſeidenes Kleid zu
tragen und vornehm an einer berrihaftlihen Tafel zu eflen? Das
tommt Alles auf Gewohnheit an, Frau Behnke, und nichts auf
ber Welt lernt fi leichter, als das vornehme Leben in einem
großen Haufe. Die eriten paar Tage, als ih in das reihe Haus
fam, blos, weil ih ein fihmuder Junge war, griff ich Alles ver—
tehrt an und ftellte mich Linfifh. Die Andern lachten mich des-
wegen tüchtig aus und fließen mic zurecht, und fchon in der an—
dern Woche: that ich's den Geſchickteſten gleih. Bet Ihnen, Frau
Behnke, iſt's noch viel leichter. Sie find Gaſt, Sie ehrt man,
benn Ste gehören zu den Refpectöperfonen, und wenn Sie fid
nur recht ordentlich auftakeln laſſen von ber Brifeurin unferer Da
dame, jo weiß Ste kein Menjh von einer vornehmen Frau Con⸗
fulin zu unterfcheiden.
Wo denkſt du Hin, Franz! erwiderte Frau Doris. Ich mid
mit einer Frau Gonfulin mefien! Wenn ih nun, falls eine von
den Vornehmen mich anredete, im eriten Schreden eine platte
Antwort gäbe?
Franz lachte. Deiht em nids, Fru, erwiderte er. Gerade
die Allerreichften fprehen fo ſchön platt, daß es unfer einen
manchmal ärgern Tönnte, kommen fie bann aber wieber ing Hoch⸗
beutfche hinein, fo verliert fih der Aerger geſchwind.
Marum denn, Franz?
Ei, weil fie das nicht viel Müger, als wir gemeinen Leute
erarbeiten, .
Du haft eine böfe Zunge, Franz, fägte, drohend ben Finger
— 539 —,
gegen ihn hebend, Frau Doris. Wenn das fein gebildete Fräu⸗
lein Eliſabeth dich hörte, würde fie dich ausſchelten.
Das Fräulein gewiß nicht, verfeßte der zuverfichtlide DBe-
diente. Präulein Elifabeth gerade iſt es, die ſich jederzeit über
die Fehler der Vornehmen im Hochdeutſchen Iuftig mad.
Die böfe, junge Welt! ſprach Frau Doris. Na, Branz,
wenn’s nicht anders fein kann, will ich mid einzurichten fuchen.
Aber das made ich mir aus, Franz, in der Staatslaroffe der
Madame Heidenfrei mußt du mich abholen. Ich will mid bie
Zeit her ein wenig aufs vornehme Wefen Iegen, und wenn bu
dann kömmſt und mir den Wagenfchlag öffneſt und mid hinein-
hebſt — denn ein Bischen Geben mußt bu mich, weil th immer
noch lahm bin‘ und den Zuß fchleife — da will ih fo vornehm
berablaffend den Kopf leicht beugen, daß du denken fol, ich fe
über Naht ausgetaufcht worden. Aber fag mir, Franz, iſt's
wirktih fo, wie man fih erzählt? WI man drei Stiegen mit
einer Klappe terffen ?
Es wird wohl nicht anders werden, erwiderte der Bediente.
Den Borrichtungen nah muß man's glauben. Die Reife nad
Amerika ift auch fhon aufgefhoben. Herr Hohenfeld kommt zus
rüd aus Bremen, obwohl er es nit gern thut, und um eben
Alles auf einmal abzumachen, wird das Belt jo glänzend, und
die Verlobungen werden zugleich mit der Hochzeit gefeiert.
Der Bediente wendete fih zum Geben. Frau Doris rief ihn
nochmals zurück.
Du könnteſt mir einen Gefallen thun, Franz! Spring hin-
über zu der alten Silberweiß und erfundige dich nad Ihrem Be⸗
finden. Ich babe feine Seele, die ih fchiden Könnte. Paul iſt
auf der neuey Zregatte beſchäftigt, die nächſtens ihre erite Reife
antreten fol. Die alte Frau wird fehr ſchwach. Seit den Schreden
ber Waſſersnoth will fie ſich gar nicht mehr vecht erholen.
Soll gefchehen, abjüs! erwiderte Franz, und verließ, nod
einen forſchenden Blick auf die Jüngſte der Näherinnen werfend,
die Wohnung des Quartiersmannes.
— 540 —
Siebentes Kapitel.
—
-Ullerband Neuigkeiten.
Der Schooner. „Adolphine” hatte den Hafen verlaflen, um
eine Reife nach New⸗Orleans anzutreten. Eine Jolle, die meh—
vere Perfonen trug, legte am Johannis-Bollwerk an und die da—
rin Befindlichen ſtiegen an's Land.” Unter ihnen befanden fich
Miguel Hohenfels-Saldanha, Paul und Andreas, Alle drei
ſchienen verftimmt zu fein. Sie gingen, jeder für fi, einzeln den
Quai entlang, dann und wann zurückblickend auf die ausgefpannten
Srogelfittihe des Schooners, der langfam den Strom hinabfhwamm.
Lapt und hier vorgehen, fprah Andreas, am Commercial⸗
Hotel ftehen bleibend, vielleicht treffen wir einen oder den andern
Bekannten aus der Fremde. Wenn nicht, find wir doch ungeftört.
Im Baumbaufe wird es um diefe Stunde zu voll, und ih habe
feine Luſt heute mit Andern viel zu jprechen, mich ausfragen oder
mir Neuigkeiten erzählen zu laſſen, die mich im Augenbiide nicht
intereffiren.
Seine Begleiter ftimmten dem jungen Steuermanne dadurch
bei, daß fie zuerſt das genannte Hotel betraten. Die Ausficht
auf den Strom geftattete ihnen, noch eine Zeitlang das fort-
ſegelnde Schiff zu verfolgen. |
Das Gaftzimmer war leer. Miguel beftellte eine Flaſche
Mein, goß die Gläſer voll und ſprach, das feinige erhebend:
Möge es ihm und uns Allen wohlergehen! |
Paul und Andreas ftleßen an, leerten ſchweigend ihre &Tä-
fer und hingen abermals ihren Gedanken nad.
Ihr feid niht meiner Anſicht, hob Miguel nah kurzem
Schweigen an, weshalb ſeid Ihr es nicht? Tadelt Ihe mich, fo
bitte ih, laßt mid die Urſache willen, die Euch dazu veranlaßt.
Paul jah den zukünftigen Schwager treuherzig an.
Du verkennſt uns, erwiderte Chriſtinens Bruder, wir tabeln
— 541 — -
dich nicht, denn Alles erwogen, handelſt du recht, wir ſind nur
unzufrieden, weil — weil —
Weil Ihr nicht zufrieden ſeid, fiel Miguel ein. Nun ja,
das kommt wohl vor im Leben, doch ſollte man ſich gegen die
Herrſchaft ſolcher Mißſtimmung ſträuben, denn ſie erſchlafft, macht
unſchlüſſig und vergiftet uns die ſchönſten Stunden.
Du irrſt, verſetzte Paul. Ich hatte einen andern Lebens⸗
plan mir vorgezeichnet, und weil ich ſehen muß, daß dieſer jetzt
ganz in Nichts zerfällt, darum beſchleicht mich eine verzeihliche
Traurigkeit, die indeß bald überwunden ſein wird. Statt Ihn,
deſſen Abreiſe ich keineswegs beklage, auf jenem Schiffe fortſegeln
zu ſehen, hatte ich mir eingebildet, in deiner Geſellſchaft die
nämliche Reiſe anzutreten. Daß ich dieſer Hoffnung mich hingab,
iſt großentheild deine Schuld. Du ſchriebſt mir wiederholt und
deine beiden Couſins beftätigten es, daß es dein feiter Entihluß
fet, dich mit Liebe der Schifffahrt zu widmen. Du kannſt es,
fett du ein reicher Dann geworden bifl. Nun malte ich mir die
Zutunft mit Farben aus, die freilich meiner Phantafie allein ihre
Entitehung verdanken. Ich dachte mir, du würdeſt gar nicht anders
können und wollen, als mic auffordern, dich zu begleiten. Andreas,
der bir fo lange ein treuer und bewährter Freund war, konnte dann
ebenfalls mit ung reifen. Was hätte dies für ein Leben gegeben! Wir
würden Vergnügen und Genuß in reihem Maße non einer folhen
Reife gehabt haben, wir hätten unfere Anſichten ausgetauſcht, un=
fere nautifchen Kenntniffe vermehrt und wären durch ein ſolch' en⸗
ges Zufammenteben und Zufammenmwirken gewiffermaßen Mufter-
matrofen geworden. Das Alles hat fi zerichlagen. Du bleibft
rorläufig bier, am Ende bletbft du wohl ganz. Statt als Mae-
trofe, als Seemann der Welt nüglic zu werben, neue Entdeckun⸗
gen zu machen, ſchließt du dich, den Zureben beiner Verwandten
nachgebend, in eine Schreibftube ein, und alle Gedanken an Schiff»
fahrt gehen ſchlafen. Er iſt ja dort, wo du ſein fönnteft und
fein ſollteſt! Er ſchmeichelt dir, ex Tügt dir wohl auch in feiner
beredten Weife etwas vor, du, aber glaubft ihm, weil es dir be=
— — — SEE eur rn ES Er u | U — — —
— 342 —
quem if, und fo hat er ſchließlich doch feinen Willen durchgeſetzt.
Er ift, obwohl nur Verwalter, Infpertor deiner Plantagen, im
Grunde deren wirklicher Herr und Befiger, währen du großmü-
tbig ein Almofen von ihm erhältft, das den enden Kamen
Reinertrag führt.
Wie kann man nun fo mißtrauiſch, fo ungerecht ſein! erwi⸗
derte Miguel. Don Gomez iſt ohne alle Frage ein ſehr leicht⸗
finniger Mann, der allenfalls ſchlechte Streiche machen, ja ſogar
in Schlechtigkeit zu Grunde gehen Tann, verborben aber: iſt er eben
- fo wenig, als er das Boöſe aus Gefallen an dem Böen thut. Ich
babe ihn ftets nur für einen dem Augenblide gehorchenden, ohne . |
langes Nachdenken raſch handelnden Menſchen gehalten. Seit er
mir zuerſt vertrauensooll im Angefiht bes Todes bie Hand zur
Verſoͤhnung bot, hatte ich alle feine Beleidigungen vergefien. Er
hielt ſich ſeither gut; er lebte fill, eingezogen. Die Rathichläge
meines Oheims nahm er fih zu Herzen, feine Vermittelung ließ
cr fih dankend gefallen. Weshalb fol ich ihm in etwas hinber-
ih fein, wozu feine ganze Naturanlage fi) eignet? Geſetzt, ich
hätte ſchon jetzt meine. Pläne, die ich in keiner Weiſe aufzugeben
beabfichtige, wirklich ausgeführt, würbe dies mich, würde es dich
glüdtich gemacht haben? Denke doch nur an beine Schweſter!
Mas tft dabei zu bedenken?
Sollte ih fie verlaffen? Das vermöchte ih nicht. Und fie
auf eine fo weite und unfichere Reife mitzunehmen, trage ih Be⸗
denken. Wer weiß auch, ob Chriſtine ſelbſt Luft dazu hätte,
Ein rechter Seemann fragt dauach nicht, verfeßte Paul. Chri⸗
ftine fehlt es übrigens nicht an Muth, und da fie dir von Herzen
ergeben ift, mird fie fih gewiß nicht weigern zu thun, was du für
gut hältſt.
Dennoch ift es fo befler, fagte Miguel. Es wirb bier ohne⸗
hin genug Herzeleid geben, wenn bie Familie fih erſt tremnt.
Gleich nad meiner Verheiratfung verläßt uns mein Vater und
Eduard. Ferdinand dürfte, ſobald er die ſchlanke Ulrike heimge-
führt hat, ebenfalls das Bebürfnig einer längeren Reife fühlen,
— 543 —
und was dann Anton thut, wer kann das ſagen! Meine ſchöne
Coufine treibt gegenwärtig zu eifrig Italieniſch und Spaniſch, um
dahinter nicht eine geheime Abſicht zu verbergen. Die Flitterwo⸗
chen und den heißen Sommer hier zu verleben, wird ihr Niemand
zumuthen, wenn bie „kleine Poetiſche/“ den Wunſch äußern ſollte,
andere Xänder und Menſchen kennen zu lernen. Wer bleibt dann
noch zurück, der nach beiden Seiten Hin vermittelnd auftritt? Ich
- denke, Niemand als Chriftine und ih, denn bu ſchwimmſt doch in
nicht Tanger' Zeit wieder hinaus. Die Oberfteuermanngftelle auf
der Fregatte, die deiner Schwefter Namen trägt, Haft du ja zum °
Gecſchenk erhalten.
- Breilich, freilih! fagte Baul. Es wird mir etwas Anderes
nicht übrig bleiben. Aber was gedenkſt du zu thun, Andreas?
- Andreas fol Steuermann fein auf meines Glückes Schiff!
ſprach einfallend eine vergnügte Stimme. Es war Julius, der
unbemerft eingetreten war. Der beitere Lebemann konnte den ver⸗
ſchwenderiſchen Mertlaner, in deſſen Geſellſchaft er manche über⸗
fhwenglich vergnügte Stunde verlebt Hatte, nicht abreifen laſſen,
ohne ihm vom Strome aus noch einen Gruß zuzuminten. Getrof⸗
fener Abrede gemäß, ging er niht aufs Schiff, um bort von Don
Gomez Abſchied zu nehmen; er zog es vor, eine Jolle zu beſtei⸗
gen und auf den Strom binauszurudern. Hier erwartete er ben
vorüberfegelnden Schooner, hielt noch, dem Schiffe zur Seite blei⸗
bend, mit dem Belehrten eine kurze fröhliche Zwiefprach, ohne fich
durch Händedrücke und Umarmungen das Herz ſchwer zu machen,
lieg dann rafch die Jolle wenden und kehrte nach der Stabt zurück.
Ich glaube wahrhaftig, fuhr der wohlbeleibte Lebemann fort,
ich werde melandholiih. Was ein Wunder! Alle ehrlichen Bur-
fhen, bte fonft die Stunden nicht zählten und denen es gleichgül⸗
tig war, wie hoch ein Frühſtück zu flehen kam, wenn es nur des
likat zubereitet war und gut mundete, Duden entweder unter oder
empfehlen fih auf Sranzöfifh. entweder alſo muß ih auch zur
See gehen, und brauche alfo einen Steuermann oder ich bin eben-
falls genäthigt, eine Frau zu nehmen und mic in die unbequeme
— 544 —
Poſitur eines Haubenſtockes zu fügen. Schade, daß die Frauen
feine Reifröcke mehr tragen! Als Kleiderrechen für eine Frau
von Stande würde th mich In folchem Falle wohl nicht übel aus—
nehmen.
Diefe joviale Anrede verfcheuchte Die Grillen der drei jungen
Männer fhnel. Julius mußte fih zu ihnen ſetzen, und Alle wa—
ven es zufrieden, daß er größtentheild durch fen munteres Ge⸗
ſchwätz die Koften der Unterhaltung trug. Er probirte ben Wein
und fand ihn trinkbar, weshalb er ohne Weiteres noch eine
Flaſche von derſelben Sorte beſtellte.
Wäre ich Regent dieſer Stadt, ih machte Euch wahrhaftig
den Prozeß! hob Julius auf's Neue an. Wer die Luſt, die
Freude, die Zerſtreuung todt ſchlägt, verdient, daß man einen Zie=
gelſtein an ſeinen Hals binde und ihn erſäufe im Fleeth, wo er
am ſchmutzigſten iſt! Ja, Freunde, Ihr ſeid Todtſchläger ſolcher
Art. Ohne Euch und Eure Praktiken lebte der weiſeſte und lie—
benswürbigfte aller Erdenſöhne, der göttliche Don Alonſo Gomez
noch unter und und brädte Heiterkeit und Zerftreuung in unfere
perrüdenanbetende Gefellfhaft. Statt ihn reifen zu laſſen, mußte
man thm für fein loöbliches Beftreben, Amüfement in bie Welt
zu bringen, das Ehrenbürgerrecht geben. Aber es tft fein Sinn
. für das Herrlihe,, Originelle, weder in Euch noch in unferer
ganzen fletfleinenen Geſellſchaftswelt. Zu Tode Tönnte ich mich
weinen über ben erlittenen Verluſt, änderte eine fo graus
fame Selbftopferung etwas in der Sache. Da th einfche, daß
dies nicht gejchteht, fo will ich mih, muß es doch geftorben fein,
Ileber zu Tode leben. Stoßt an! Auf Eure Grablegung im
Arm der mweltbezwingenden Xiebe !
Um des Himmels willen, hören Sie auf! fprach Andreas.
Ich meines Theile vertrage viel und fo Leicht kann mich nichts aus
der Faflung bringen; Lieber aber mache ich einen Sturm auf den
Top des großen Maftes hängend mit, als ih eine ſolche Redefluth
um mid brechen höre!
Ich bin ſchon fill, meine Redebrandung verläuft fih fäu-
— 545 —
felnd im Sande meiner Gedanken, verfeßte Julius. Wißt Ihr
das Allerneuefle?
Vieleicht, Was iſt e8? fragte Miguel.
Es wird Ste gerade am meiften Intereffiren. Die Nachricht
langte erſt am Schluß der Börfe an.
Welche?
Die amerikaniſche Brigg „Selfgovernment,“ Capitain Jock
Charles Greatſtring, iſt unfern des Vorgebirges Landsend geſchei⸗
tert und mit Mann und Maus zu Grunde gegangen.
Auch der Capitän? fragte Paul.
Man fand ſeine Leiche am zweiten Tage nach der Kataſtro⸗
phe am Strande.
Gut für ibn, ſagte Andreas. Er iſt eines ehrlichen See-
mannstodes geftorben. Hätte er länger gelebt, wer weiß, ob man
ihn am 2ande fein Leben im Bette hätte beſchließen laffen.
Weiß es Don Gomez? fragte Miguel.
Sch konnte nicht umhin, ihm dieſe Nachricht als wohlthuen-
des Viatieum von meiner Jolle aus an Bord zu fchleudern, er-
widerte der unverwüftlich heitere Julius. Meine Freundfchaft,
müßt Ihr wiſſen, kennt feine Gränzen, und weil ich als ein klu⸗
ger, erfahrener Weltmann nur die angewandte Philoſophie für
zweckdienlich halte, glaubte ich dem ſcheidenden Alonſo keinen auf⸗
richtigeren Freundſchaftsbeweis geben zu können, als mit dieſer No—
tifieation. Es iſt eine Priſe aus meiner Sonntagsdoſe, etwas
ſtark, aber geſund. Möge er ſie tief einziehen, tüchtig nießen und
ſich ein Beiſpiel daran nehmen! — Nun, und wie wird Ihnen,
Miguel? Blos drei Tage noch frei wie der Vogel im Walde,
dann eingefangen in einen Käfig, deſſen Himmel von Seide und
glänzendem Haargeflecht, deſſen Stäbe aus weißen, ſammetweichen
runden Armen beſtehen? Geht die Welt bei dieſer toll machenden
Ausſicht nicht im Kreiſe mit Ihnen? "Nehmen Sie ſich in Acht!
Ich bin auch dabei, ich, und kann ich Sie retten, bei meinem Ge⸗
löbniß, jeden meiner Mitmenſchen in's Glück unterzutauchen bis
an die Naſenflügel, ich werde redlich das meinige thun!
D. B. XL Wilſtomm's Rheder und Matroſe. 35
— 944 —
Poſitur eines Haubenſtockes zu fügen. Schade, daß die Frauen
keine Reifröde mehr tragen! Als Kleiverrechen für eine Frau
von Stande würde ich mich in folchem Falle wohl nicht übel aus—
nehmen.
Diefe jovtale Anrede verſcheuchte die Grillen der drei jungen
Männer fhnel. Julius mußte fih zu ihnen feken, und Alle wa=
ven es zufrieden, daß er größtentheils durch fen munteres Ge⸗
ſchwätz die Koften ber Unterhaltung trug. Er probirte den Wein
und fand ihn trinkbar, weshalb er ohne Weiteres noch eine
Flaſche von derſelben Sorte beſtellte.
Wäre ih Regent dieſer Stadt, id machte Euch wahrhaftig
den Prozeß! hob Julius auf's Neue an. Wer die Luſt, die
Freude, die Zerſtreuung todt ſchlägt, verdient, daß man einen Zie⸗
gelſtein an ſeinen Hals binde und ihn erſäufe im Fleeth, wo er
am ſchmutzigſten iſt! Ja, Freunde, Ihr ſeid Todtſchläger ſolcher
Art. Ohne Euch und Eure Praktiken lebte der weiſeſte und lie—
benswürdigſte aller Erdenſöhne, der göttliche Don Alonſo Gomez
noch unter uns und brächte Heiterkeit und Zerſtreuung in unſere
perrückenanbetende Geſellſchaft. Statt ihn reiſen zu laſſen, mußte
man ihm für fein lobliches Beſtreben, Amüſement in die Welt
zu bringen, das Ghrenbürgerrecht geben. Aber es tft fein Stun
. für das Herrliche, Originelle, weder in Euch noch in unferer
ganzen fteifleinenen Geſellſchaftswelt. Zu Tode könnte ich mich
weinen über ben erlittenen Verluſt, änderte eine fo grau-
fame Selbftopferung etwas in der Sache. Da th einfche, daß
dies nicht gejchteht, fo will ich mid, muß es doch geftorben fein,
Iteber zu Tode leben. Stoßt an! Auf Eure Grablegung im
Arm der weltbezwingenden Liebe!
Um des Simmeld willen, hören Ste auf! fprad Andreas.
Ich meines Theile vertrage viel und fo leicht kann mich nichts aus
der Faflung bringen; Lieber aber made ich einen Sturm auf ben
Top des großen Maftes hängend mit, als ich eine folche Redefluth
um mid breden höre!
Ich bin fhon ſtill, meine Redebrandung verläuft fih fau-
—
— 545 —
ſelnd im Sande meiner Gedanken, verſetzte Julius. Wißt Ihr
das Allerneueſte?
Vielleicht. Was iſt es? fragte Miguel.
Es wird Sie gerade am meiſten intereſſiren. Die Nachricht
langte erſt am Schluß der Börfe an.
Melde?
Die amertlantfche Brigg „Selfgovernment, " Capitain Jod
Charles Greatſtring, iſt unfern des Morgebirges Landsend geſchei⸗
tert und mit Mann und Maus zu Grunde gegangen.
Auch der Gapitän? fragte Paul.
Man fand feine Leiche am zweiten Tage nach ber Kataftros
phe am Strande.
But für tn, fagte Andreas. Er iſt eines ehelichen See⸗
mannstodes geſtorben. Hätte er länger gelebt, wer weiß, ob man
ihn am Lande ſein Leben im Bette hätte beſchließen laſſen.
Weiß es Don Gomez? fragte Miguel.
Ich konnte nicht umhin, ihm dieſe Nachricht als wohlthuen-
des Viatieum von meiner Jolle aus an Bord zu ſchleudern, er⸗
widerte der unverwüſtlich heitere Julius. Meine Freundſchaft,
müßt Ihr wiſſen, kennt feine Gränzen, und weil ich als ein klu⸗
ger, erfahrener Weltmann nur die angewandte Philoſophie für
zweckdienlich halte, glaubte ich dem ſcheidenden Alonſo keinen aufs
richtigeren Freundfchaftsbeweis geben zu können, als mit diefer No=
tification. Es ff eine Prife aus meiner Sonntagsbofe, etwas
ftark, aber gefund. Möge er fie tief einziehen, tüchtig nießen und
fih ein Beifptel daran nehmen! — Nun, und wie wird Ihnen,
Miguel? Blos drei Tage noch frei wie der Vogel im Walde,
dann eingefangen in einen Käfig, deflen Himmel von Seide und
glänzendem Haargefleht, deflen Stäbe aus weißen, fammetweichen
runden Armen beftehen? Geht bie Welt. bet diefer toll machenden
Ausſicht nicht im Kreife mit Shnen? "Nehmen Sie fih in Acht!
Ich bin auch dabei, ih, und kann ich Sie retten, bei meinem Ger
löbniß, jeden meiner Mitmenſchen in's Glück unterzutauden bis
an die Nafenflügel, ich werde redlich das meinige thun!
D. B. XL Wilſtomm's Rheder und Matroſe. 35
— 546 —
Thun Sie es, ſagte Miguel lächelnd. Sie haben Vollmacht.
Die Wohlbeleibten waren es nicht, die Gäfar fürchtete, ihm bangte
immer nur vor den Hageren, den Dunkeläugigen, und dieſe Race
haben wir glücklich expedirt.
Weiſe, wie Salomo, der närriſche König des weiland jüdi—
ſchen Reiches, deſſen Geduld ſtärker geweſen ſein muß, als das
ſtärkſte Ankertau des größten Linienſchiffes, denn fie riß nicht, ob-
wohl nahe an taufend Weiber daran zerrten. Apropos, wißt Ihr
nichts von dem Freunde in der Noth, dem hilfreichen Mofes?
Wenn der feine Procentihen eingeftrihen hat, wird er ge-
wöhnlich unfichtbar, fagte Andreas. Bezahlt ift er meines Willens.
Geben Sie Acht, Miguel, er erfcheint zu rechter Zeit wieder.
Wie meinen Sie das?
Am Tage, wo Ste das fchönfte Joch, das die Welt kennt,
auf fih nehmen, verfegte Julius, deflen Lat ſüß, aber doch fehr,
fehr ſchwer zu tragen fein fol, namentlih dann, wenn andere
Leute behaupten, fie fer fchön. Ohne Ihrer Braut ein - Gefchent
zu überreichen fann der empfindfame jüdiſche Makler. doch unmög-
lich Ihren Hochzeitstag vorüber gehen laſſen, und folche Aufmerf-
famfeit muß ein junger Ehemann gut bonoriren.
Einftwetlen, dächt' ich, honorirten wir ben Kellner, fagte Paul.
Die Sonne geht unter, der Vater wird mic erwarten. Und ein
zartlicher Bräutigam gehört jo kurze Zeit vor ber Hochzeit auch
früßzeitig in’d Haus, damit er unter den Händen ber Liebe ſich
an folide Häuglichleit gewöhnt. Alſo commanbire ih: Anker
gelichtet, Segel ausgeftochen und leewärts abgedreht!
Brrr! fehnurrte Julius, den Freunden folgend. Solide Häus-
lichkeit! Dies Wort weht mich an wie eifiger Nordlandewind. Ich
denke doch, eine Zeitlang verfuche ich's noch mit der fröhlichen
Unhäuslichkeit. Auf Wiederfehen, Ihr Herren, auf Wiederfehen
am Tage, wo ein Thor mehr In den goldenen Käfig ſchlüpft!
——— —— — — — — — — — — —
— 547 —
Achtes Kapitel.
Vater und Sohn. Eine Hochzeit.
Auguſtin Hohenfeld ‚war aus Bremen zurückgekehrt, wo das
Schiff bereits fegelfertig lag, das Ihn und Eduard nad der Oftküfte
Südamerifa’8 tragen follte.e Er befand fi mit feinem Sohne
Miguel allein, der ſich anfchidte, Toilette zu machen, denn heute
follte er die geliebte Chriftine, um die er: fo Schweres gelitten,
bie er ſich vitterlich erkämpft hatte, als Gattin heimführen. Der
Vater fah mit düſtern Bliden auf das Treiben des Sohnes,
Du haft dich ſchnell europälfirt, ſprach Sohenfels, den Sohn
in dem mobernen PBarifer Anzuge muſternd. Mir würde das
nicht jo Leicht geworden fein. Findeſt du dieſe Tracht nicht une
fchön, lächerlich, narrenhaft ?
Es tft ein Kleidungsſtück wie jedes andere, Vater, verfehte
Miguel. Meinen Beifall hat es nicht und aus Liebhaberet würde
ih mir es. niemald wählen, da es nun aber allgemein getragen
wird und der Sitte fi fügen überall üblich iſt, bequeme Ih mich
ebenfalls, e8 anzulegen.
Die Tracht deines Vaterlandes iſt malerifcher, harakteriftifcher
und viel, viel kleidſamer.
Gewiß, beſter Vater, fie paßt nur nicht für Deutſchland.
Biſt du ein Deutſcher?
Miguel erröthete.
Du biſt, wenn's hoch kommt, ein Hamburger, fuhr Auguſtin
Hohenfels bitter fort. Auch das biſt du nur zur Hälfte, da dein
Geburtsland in der neuen Welt, in der goldenen Wiege einer
neuen, großen, glücklicheren Zukunft liegt. Siehe, mein Sohn,
fuhr er mit wunderbar leuchtenden Augen fort, Miguel's Hand
erfaffend und fie auf fein Herz legend, ein magnetiſcher Zug met-
nes Herzens führte mich von jenen fonnigen Geftaden, wo ih das
höchſte Glück ſchlürfte und das größte Leid erleben mußte, zurüd
in die nebelverhangene Heimath, damit th dDih, mein Kind, das
35 *
— 548 —
der Haß mir geraubt hatte, wieberfänbe. Für biefe Führung dan?’
th dem großen Geifte, den mir Gott nennen. Und doch bin td
nicht glücklich. Das Herz iſt es, das und erlöſ't und verbammt!..
Ih fuchte dich und als ih dich gefunden, wollte ich dich beſitzen
für immer. Ic hoffte, du würdeſt nicht blos ber Erbe meines
Namens, fondern auch der Erbe meiner Gedanken fen. Ich wünfchte
und glaubte, deine junge, fröhlicher aufblikende Geiftesflamme
würde den büftern Gedankenbau, den ich unter taufend Schmerzen
aufführte, mit wohlthuendem Licht erhellen. Ginen SHohenpriefter
an dem Altar, vor dem ich opferte mein Leben Tang, wollte ich
mir in dir erziehen, und bie @ebetesbroden, die ich vor biefem
Altar ftammelte, follteft du auffammeln und eine neue Lehre, ein
Buch des Lebens für alle zufünftigen Gefhlechter daraus zuſam⸗
menftellen. . . Du haft mich nicht verftanden, mein Sohn, wie bie
Melt mich nicht verfteht. Die Liebe eines Weibes ertöbtet In dir
die Liebe zur Weltbeglüdung. Ich table dich deshalb nicht, denn
ih weiß ja, es tft das fo der Lauf der Welt, es iſt irdiſch mans
gelhaft. Thue alfo, wozu dein Herz di drängt, nur Eins ver-
fprih mir, Miguel, werde nit modern und europätfh! Laß bich
nicht einpuppen in die Hülfen Alles deffen, was man Mode nennt!
Moden find gut für gefallfüchtige Weiber, für Mattreflen, für
Gecken und Weiberknechte. Solhem Gelichter verdanken fie ihren
Urſprung, ihre Verbreitung und ihre Vergötterung. Ein freier
Mann, der Träger und Bildner ſchöpferiſcher Gedanken, verachtet
ſie. Glaube mir, mein Sohn, Alles, was Mode heißt, trägt den
Tod in fih. Wer dem Modernen huldigt, hüllt ſich in Verweſung,
bettet das ewig Gelitige, das Zündende, Grleuchtende und neues
Leben Zeugende in Moderdunft! Darum graut mir vor allem mo—
dern Europäifhen; darum drängt es mich wieder fort von hier,
fort von dieſen Küften, an denen felbft bie Brandung nur noch
rollt, weil's Mode iſt. .. Drüben iſt zum Glück Alles noch un
modern, wenn aud roh, barbarifh, wüſt. In der Wüfte entftchen
bie wunderbarften Hallucinationen. Man fättigt an ihnen ben
hungernden Geiſt, tränkt in dem Springbrunnen der purpurnen
— 549 —
Atmosphäre die bürftende Seele, die in ber europäiſch-modern
überkleifterten Welt ftets verſchmachtet. . . DO, wie froh, wie leicht
werde ich aufatmen, wenn der ‚Dcean mit feinen tiefen Weltme-
Iodien mich wieder begrüßt! — Freiheit, Ungebundenheit, das if
mein Element! Die Freiheit, von der man bier plept, genügt nur
einem Gefhleht von Pygmäen. : . Folge mir, Miguel, wenn e8
mir gelingt mit Hilfe Eduards drüben der Freiheit, die ich meine,
dem Staate, den ich für den wahren, einzig glüdlichen halte, dem
Deutfhland, für das ich als Märtyrer bluten könnte, den Editein
zu errichten! — Bringe dann mit dein Weib, das du dir er-
rungen, die Kinder, bie fie dir gebären wird. Sie follen die erften
Bürger fein in der deutfhen Gofonte Hohenfelsland, die Stamm-
väter eincd Volkes der Zukunft, das Gott Licht, weil e8 den Geift
ber Menſchheit von der Walfenpflege, die- er jegt genießt, erlöjen
wird. Verſprich mir das, Miguel, und dann fei gefegnet!
Miguel hatte dem Vater, der mit einer Art Verzückung fpradh,
aufmerkfam zugehört. Er kam fich In feinem bräutlihen Anzuge
faft Hein vor gegenüber dem Manne in der fchlichten Tracht eines
brafilianifhen Pflanzers, die Auguftin Hohenfels auch jet noch
nicht ablegte.
Ich halte, was ich Tann, fagte Miguel feterlih, die Hand
des Vaters ergreifend.
Und ich nehme dich beim Worte, erwiderte Hohenfels. -Er-
ringe ih nicht, was ich will und anftrebe, fo grabe ich mir bie
Grube, wo th ſtill der Ewigkeit entgegenträumen werde. Meine
Golonie, den Tempelfodel meiner. Gedankenwelt findeft bu in der
Umarmung des raufhenden Urwaldes oder — mein Grab. Das
Eine wie das Andere ſei für dich und die, welde fi mir ver-
wandt nennen, ein Wallfahrtsort. Wunder werden Ste nicht thun,
auch Feine Heiligen bilden, wie Loretto, aber Menſchen nad) dem
Ebenbilde Gottes ziehen von dort aus in alle Welt und predigen als
Apoftel der Cultur das Reich des großen Geiftes auf Erden!
Die Thür öffnete fih, Eduard trat ein.
Dan wartet, Miguel, fprah der Goufin zu dem vom bes
— 550 —
Vaters Worten tief ergriffenen Bräutigam. Es iſt Alles bereit.
Die Zeugen ſind verſammelt, der Altar geſchmückt. Jetzt eben
tragen Diener die alte, blinde Pathe Silberweiß die Treppe her—
auf. Komm und laß dich der ſehnſüchtig harrenden Braut zuführen.
Eduard ergriff die Linke Miguels, dev Vater faßte des Soh-
nes Rechte. So traten ſie in den ihrer harrenden Familienkreis,
wo der vor Glück ſtrahlende Vater Jacob in ſeiner altmodiſchen
Feſttagstracht neben der glänzend herausgeputzten Doris nicht fehlte.
Die ernſte Geſtalt Auguſtin Hohenfels', die ſo merkwürdig
von allen Andern abſtach, machte einen faſt erſchütternden Eindruck.
Der düſtere Mann mit den blitzenden ſcharfen Augen, deſſen Blick
keiner als die glücklich lächelnde Chriſtine ertragen konnte, ſchritt
wie ein höheres Weſen durch die elegante Geſellſchaft. Manchem
kam er dämoniſch vor und Viele beſorgten, der ſo ganz aller Eti—
kette Hohn ſprechende Mann ſei eine Unheil verkündende Erſcheinung.
Jetzt ward auch die Ankunft des Predigers gemeldet, und
nach den üblichen Begrüßungen betraten Alle den feſtlich decorirten
Saal, wo die Trauung ſtattfinden ſollte.
Hier befanden ſich die zum Familienfeſte Geladenen, entfern—
tere Verwandte und treue erprobte Freunde der Familien, deren
Kinder jetzt durch die ſegnende Hand des Geiſtlichen für dieſes
Leben feierlich verbunden werden ſollten.
Zunächſt dem ſchlichten Altar, der zwei große ſilberne Arm=-
feuchter mit brennenden Wachskerzen, ein ſchön geſchnitztes Cruzifix
aus Elfenbein und eine Bibel trug, faßen rechts und links zu
beiden Seiten die ſtill verlobten Paare Anton und Eliſabeth, und
Ferdinand und Ulrike. Hinter diefen befanden ſich auf der einen
Seite die Plätze für den Rheder und Margaretha, auf der andern
für den Quartiersmann Jacob und Frau Doris. Ungefähr in
der Mitte des von Menfchen faft ganz erfüllten Saales faßen in
bequemen Lehnftühlen nebeneinander die greife Silberweiß und ber
gelähmte Treufreund. Der ehemalige Buchhalter litt heute mehr
als gewöhnlich an den Augen, weshalb er meiftens lächelnd vor
fi niederfah und nur biswellen einem näheren Bekannten flüchtig
Rh
zunickte. Im Hintergeunde unter den jüngeren Herren, wo auch
die Comptoiriſten des Haufeg fi befanden, hatten fich die früheren
Genofien Antons, der heitere Kurt, der die Julius, der Tanghal-
ſige Emil, der indeß heute fehr feine weiße Handſchuhe trug,
gruppfrt.
Als das Brautpaar vor den Altar geführt worden war, nah:
men Auguftin Hohenfeld und Eduard ebenfalls ihre Plätze ein.
Die Ceremonie währte beinahe eine halbe Stunde. Frauen .
und Mädchen vergoffen während der Rede des Paſtors viele Thrä-
nen, waren aber alle gleich fehr erbaut Davon.
Nah erfolgter Einfegnung wurden die Neuvermählter von
Schwärmen Glückwünſchender umlagert, worüber eine beträchtliche
Zeit verging. Diefe waren gerührt, Jene ernft und gemeflen,
Süngere feherzten und fonnten übermüthlge Nebenbemerfungen nicht
unterlaffen. Ganz ſchweigend verhielt fih nur Auguftin Hohen
feld, der feinem Sohne und feiner nunmehrigen Schwiegertodhter
in einem einzigen felten Händedrude die in Worte nicht zu faffen-
ben Gefühle feines übervollen Herzens zu erkennen gab.
Herr Heidenfrei. zeigte ſich ungleich beweglicher. Gr blidte
frei und zufrieden um ſich, ſprach vorzugsweife viel mit Jacob
und deſſen ftets überaus glücklich lächelnder Frau, ging dann wie-
ber zu Anton, dem er verfraulih auf die Schulter klopfte und
jhüttelte Paul die berbe Hand, indem er fagte:
Superbes Schiff, die neue Fregatte, ganz fo fuperbe wie bie
prächtige junge Frau da, deren Namen fie trägt.
Sp mahte Heidenfret unter dem immer Iauter werdenden
Surren der Hodzeitsgäfte die Runde. Im allgemeinen Jubel des
Glückwünſchens hatte man nur zwei Perfonen überfehen. Chriſtine
bemerkte dies zuerft. .
Ad, meine gute, liebe Pathe und mein trefflicher Treufreund,
ſprach ſie. Wie fonnten wir nicht längſt ſchon ihrer gedenken!
Komm, Miguel! Laß uns au fie um ihren Segen bitten!
Miguel folgte willig dem Wort der Gelichten. Beide tra=
ten zu den Sitzenden.
—— 550 —
Vaters Worten tief ergriffenen Bräutigam. Es iſt Alles bereit.
Die Zeugen ſind verſammelt, der Altar geſchmückt. Jetzt eben
tragen Diener die alte, blinde Pathe Silberweiß die Treppe her—
auf. Komm und laß dich der ſehnſüchtig harrenden Braut zuführen.
Eduard ergriff Die Linke Miguels, der Vater faßte des Soh-
nes Rechte. So traten ſie in den ihrer harrenden Familienkreis,
wo der vor Glück ſtrahlende Vater Jacob in ſeiner altmodiſchen
Feſttagstracht neben der glänzend herausgeputzten Doris nicht fehlte.
Die ernſte Geſtalt Auguſtin Hohenfels', die fo merkwürdig
von allen Andern abſtach, machte einen faſt erſchütternden Eindruck.
Der düſtere Mann mit den blitzenden ſcharfen Augen, deſſen Blick
keiner als die glücklich lächelnde Chriſtine ertragen konnte, ſchritt
wie ein höheres Weſen durch die elegante Geſellſchaft. Manchem
kam er dämoniſch vor und Diele beſorgten, der fo ganz aller Eti—
fette Hohn jprechende Mann fei eine Unheil verfündende Erſcheinung.
Sept ward auch die Ankunft des Prediger gemeldet, und
nach ben ‚üblihen Begrüßungen betraten Alle den feſtlich decorirten
Saal, wo die Trauung ftattfinden follte.
Hier befanden fih die zum Familienfeſte Geladenen, entfern-
tere Verwandte und treue erprobte Freunde der Familien, deren
Kinder jeßt durch die fegnende Hand des Geiltlichen für dieſes
Leben feterlich verbunden werden follten. |
Zunächſt dem fehlichten Altar, der zwei große filberne Arm=-
leuchter mit brennenden Wachskerzen, ein ſchön geſchnitztes Gruzifir
aus Elfenbein und eine Bibel trug, faßen rechts und linke zu
beiden Seiten die fl verlobten Paare Anton und Elifabetb, und
Ferdinand und Ulrike. Hinter diefen befanden fi auf der einen
Seite die Pläge für den Rheder und Margaretha, auf der andern
für den Quartiersmann Jacob und Frau Doris. Ungefähr in
ber Mitte des von Menfchen faft ganz erfüllten Saales faßen tn
bequemen Lehnftühlen nebeneinander die greife Silberweiß und ber
gelähmte Treufreund. Der ehemalige Buchhalter litt heute mehr
als gewöhnlih an den Augen, weshalb er meiltens lächelnd vor
fih niederfah und nur bisweilen einem näheren Bekannten flüchtig
[2
— 951 —
zunickte. Im Hintergrunde unter den jüngeren Herren, wo auch
die Comptoiriſten des Hauſes ſich befanden, hatten ſich die früheren
Genoſſen Antons, der heitere Kurt, der dicke Julius, der langhal⸗
ſige Emil, der indeß heute ſehr feine weiße Handſchuhe trug,
gruppirt.
Als das Brautpaar vor den Altar gefüßet worden war, nah⸗
men Auguſtin Hohenfels und Eduard ebenfalls ihre Plätze ein.
Die Ceremonie währte beinahe eine halbe Stunde. Frauen
und Mädchen vergoſſen während der Rede des Paſtors viele Thra-
nen, waren aber alle gleich fehr erbaut davon.
Nach erfolgter Einfegnung wurden die Neuvermählten von
Schwärmen Glüdwünfhender umlagert, worüber eine beträchtliche
Zeit verging. Diefe waren gerührt, Jene ernft und gemeflen,
Jüngere ſcherzten und- fonnten übermüthige Nebenbemerkungen nicht
unterlaſſen. Ganz ſchweigend verhielt ſich nur Auguflin Hohen=
fels, der feinem Sohne und feiner nunmehrigen Schwiegertodter
in einem einzigen feften Händedrude die in Worte nicht zu faſſen—
den Gefühle feines übervollen Herzens zu erkennen gab.
Herr Heldenfrei. zeigte fich ungleich beweglicher. Gr blidte
frei und zufrieden um fi), ſprach vorzugsweife viel mit Jacob
und deſſen ftets überaus glücklich Lächelnder rau, ging dann wie—
der zu Anton, dem er vertraulich auf die Schulter Elopfte und
fhüttelte Paul die derbe Hand, indem er ſagte:
Superbes Scif, die neue Fregatte, ganz fo fuperbe wie bie
prächtige junge Frau da, deren Namen fie trägt.
Sp mahte Heidenfret unter dem immer lauter werdenden
Surren der Hochzeitögäfte die Runde. Im allgemeinen Jubel des
Glückwünſchens hatte man nur zwei Perſonen überfehen. Chriſtine
bemerkte Dies zuerft. |
Ad, meine gute, liebe Pathe und mein trefflicher Treufreund,
ſprach fi. Wie konnten wir nicht längſt fehon ihrer gedenken!
Komm, Miguel! Laß uns aud fie um ihren Segen bitten!
Miguel folgte willig dem Wort der Geliebten. Beide tra-
ten zu den Sigenden.
— 592 —
Wir müffen uns wohl demüthigen, ſprach Chriftine lächelnd,
ſich auf ein Knie niederlaſſend und das feine Haupt, das der
bräutliche Kranz wie eine Glorie krönte, ein wenig vor der alten
Frau bückend.
Ich bin es, Pathe Silberweiß. Gebt mir Euern Segen!
Die blinde Greiſin legte ihre zitternde Rechte auf das Haupt
ber jungen Braut. Die Rechte Treufreund's fügte noch einmal
bie Hände der Vermählten zufammen. Sprechen konnte der alte
Buchhalter eben fo wenig, als die Greifin. Ein paar Thränen
benegten die Hände der Glüdlichen, wãhrend ber Gelähmte fie
wiederholt drückte.
Noch kniete Chriftine, denn die- Hand der Pathe ruhte feſt
auf ihrem Haupte.
Ich danke Euch, Pathe, ſprach ſie, Euer Segen wird mir
Glück bringen.
Glück, alles Glück dieſer Welt wünſche ich Euch! ſprach jetzt
Treufreund. Ich armer Menſch hab' weiter nichts, als mein
Herz. Das habt Ihr ſchon, ich brauch's Euch alſo nicht erſt zu
geben. Ihr wißt, ich werde nie perſönlich, heute aber muß ich
doch fagen, daß Ihr meinem alten Herzen doch gar zu arg mit—
jpielt. Steht auf, Ihr Lieben, und fetd froh!
Die Hand der Greifin lag ſchwer und regungslos auf dem
Haupte Chriſtinens. Diefe erfaßte fie jetzt felbft und nahm fie
herab. Die Blinde rührte fih nicht.
Die Freude hat fie überwältigt, fie iſt ohnmächtig geworden,
ſprach ſie leiſe zu Treufreund. Man muß ſie in friſche Luft
bringen. |
Die alte Frau ruhte, mild lächelnd, die Augen geſchloſſen,
mit bleichen Zügen, das von weißen Löckchen umſpielte Antlik et⸗
was niedergebeugt, im Polſterſtuhle. Zwei herbeigerufene Diener
trugen fie aus dem Saale in ein Iuftigeres Nebenzimmer. Die
Neuvermählten, denen fih Glifabeth, Ulrike und Margaretha ans
[Hlofien, folgten, Letztere hatte ein Flacon ſtärkender Eſſenzen bei
— 553 ——
fi. Als fie die Schläfen der Blinden damit rieb, trat Eduard
ein. Er erfaßte den Arm der Silberweiß. Der Puls ftand fill.
Laß es gut fein, beite Mutter, fagte er, fie bedarf unferer
Hilfe nicht mehr. Der Engel der Zreude hat 14 für fie in den
Todesengel verwandelt.
Chriſtine drüdte der Pathe die erdenmüden Augen zu, küßte
bie weiße ſchon erfaltende Hand und fant dann unter glüdlichem
Schludzen dem Geliebten in die Arme.
“Die Gäfte erfuhren nichts von diefem plötzlichen Todesfalle.
Alle gaben fih mit ganzem Herzen der Freude hin. Erſt fpät in
der Naht wurden die Hausgenoffen von dem Gefihehenen in Kennt-
niß gefebt, und die Blumen, die am Mittag den Altar gefhmüdt
hatten, blühten und dufteten jet zu den Füßen einer in filllem
Frieden Dahingeſchiedenen. .
Aeuntes Kapitel.
— — —
Laſſet uns Hütten bauen.
Wiederum vergoldete die Sonne die Zinnen der alten hoch⸗
gegiebelten Häuſer, zahlreiche Seeſchiffe blähten die halbgerefften
Segel im Hafen, und das ganze volle Xeben einer großen Han—
belsftadt fegte Taufende und Abertaufende in lebhafte Spannung.
Auch im Haufe des Rheders Thomas Peter Heidenfrei, das, wie
alle großen Kaufmannshäufer mit Eeiner gemahlten Firma prahlte,
bereite die gewohnte alte Thätigkeit, obwohl es weniger lebhaft
als früher daſelbſt zuging. Die Zahl der Hausbewohner hatte fidh
bedeutend vermindert. Beide Söhne waren auf Reifen, der Xel-
tefte auf ungewiſſe Zeit im Süden Amerika's, der zweite, Ferdi⸗
nand, erſt feit anderthalb Monaten, Auch die einzige Tochter des
Hauſes, früher die belebende Seele in allen Gefelfchaften, welche
ber Rheder gab, war am gleichen Tage mit ihrem jüngeren Bru:
— 592 —
Wir müflen uns wohl demüthigen, ſprach Chriſtine Tächelnd,
fih auf ein Knie niederlaffend und das feine Haupt, das der
bräutliche Kranz wie eine Glorie Erönte, ein wenig vor der alten
Frau büdend.
Sch bin es, Pathe Silberweiß. Gebt mir Euern Segen!
Die blinde Greiſin legte ihre zitternde Rechte auf das Haupt
ber jungen Braut. Die Rechte Treufreund's fügte noch einmal
bie Hände der Vermählten zufammen. Sprechen konnte der alte
Buchhalter eben fo wenig, als die Greifin. Ein paar Thränen
benegten die Hände der Glücklichen, wãhrend der Gelähmte fie
wiederholt drüdte.
Noch kniete Chriftine, denn die- Hand der Pathe ruhte feſt
auf ihrem Haupte.
Ich danke Euch, Pathe, ſprach ſie, Euer Segen wird mir
Glück bringen.
Glück, alles Glück dieſer Welt wünſche ich Euch! ſprach jetzt
Treufreund. Ich armer Menſch hab' weiter nichts, als mein
Herz. Das habt Ihr ſchon, ich brauch's Euch alſo nicht erſt zu
geben. Ihr wißt, ich werde nie perſönlich, heute aber muß ich
doch fagen, daß Ihr meinem alten Herzen doch gar zu arg mit—
fpielt. Steht auf, Ihr Lieben, und ſeid froh!
Die Hand der Greifin lag ſchwer und regungslog auf dem
Haupte Chriftinens. Diefe erfaßte fie jetzt felbft und nahm fie
herab. Die Blinde rührte fih nicht.
Die Freude hat fie überwältigt, fie ift ohnmächtig geworden,
ſprach ſie leiſe zu Treufreund. Man muß ſie in friſche Luft
bringen. |
Die alte Frau ruhte, mild lächelnd, die Augen geſchloſſen,
mit bleihen Zügen, das von weißen Löckchen umfptelte Antlik et
was niedergebeugt, im Polſterſtuhle. Zwei herbeigerufene Diener
trugen fie aus dem Saale in ein Iuftigeres Nebenzimmer. Die
Neuvermählten, denen fih Glifabeth, Ulrike und Margaretha ans
[Hlofien, folgten. Letztere hatte ein Flacon ſtärkender Eſſenzen bei
— 553 —
ſich. Als ſie die Schläfen der Blinden damit rieb, trat Eduard
ein. Er erfaßte den Arm der Silberweiß. Der Puls ſtand ſtill.
Laß es gut ſein, beſte Mutter, ſagte er, ſie bedarf unſerer
Hilfe nicht mehr. Der Engel der Freude hat ſich für fie in den
Todesengel verwandelt.
Chriſtine drückte der Pathe die erdenmüden Augen zu, küßte
die weiße ſchon erkaltende Hand und ſank dann unter glücklichem
Schluchzen dem Geliebten in die Arme.
»Die Gäſte erfuhren nichts von dieſem plötzlichen Todesfalle.
Alle gaben ſich mit ganzem Herzen der Freude hin. Erſt ſpät in
ber Nacht wurden die Hausgenoſſen von dem Geſchehenen in Kennt-
niß gefebt, und die Blumen, die am Mittag den Altar geſchmückt
hatten, blühten und dufteten jegt zu den Füßen einer in ſtillem
Frieden Dahingefchtedenen. .
Aeuntes Kapitel.
— — —
Laſſet uns Hütten bauen.
MWiederum vergoldete die Sonne die Zinnen der alten hoch⸗
gegiebelten Häufer, zahlreiche Seefchtffe blähten die halbgerefften
Segel im Hafen, und das ganze volle Xeben einer großen Han-
delsſtadt feßte Taufende und Ubertaufende in lebhafte Spannung.
Auch im Haufe des Rheders Thomas Peter Heldenfret, das, wie
alle großen Kaufmannshäufer mit Feiner gemahlten Firma prablte,
berrihte die gewohnte alte Thätigkeit, obwohl es weniger lebhaft
als früher daſelbſt zuging. Die Zahl der Hausbemohner hatte fich
bedeutend vermindert. Beide Söhne waren auf Reifen, der Xel-
tefte auf ungewiſſe Zeit im Süden Amerila’s, ber zweite, Ferdi⸗
nand, exit fett anderthalb Monaten. Auch die einzige Tochter des
Hauſes, früher die belebende Seele in allen Geſellſchaften, welche
ber Rheder gab, war am gleichen Tage mit ihrem jüngeren Bru=
— 554 —
ber verreift; denn beide Geſchwiſter hatten, mie fie gleichzeitig ver-
lobt worden waren, auch an ein und demfelben Tage fi kirchlich
einfegnen laſſen.
Ferdinand und Ulrike wandten fi nordwärts, befuchten zuerft
die däniſche Königsſtadt, erfreuten ſich der dortigen Kunſtſchätze,
der toyllifchen Umgebungen, der traulichen Buchenhaine des feen—
haften Seeland, und wendeten fih fpäter, den Sund überfchreitend,
der grotesfen Feljennatur Norwegens zu. Ulrike Tiebte in ber
Natur mehr das Erhabene als das Zarte, Elegiſche. Deshalb zog
es fie mit unmiderftehlicher Gewalt nad dem Kiölengebirge, deſſen
Fjällen und Fjorde fie mit fi immer fleigerndem Erftaunen und Ent-
zücken befuchte. Erſt oberhalb Tornea, hoch in Lappland, beſchlich
fie ein Gefühl bes Heimwehs. Sie bat Ferdinand, umzufehren,
bewunderte das ergreifende Schaufpiel der Mitternachtsfonne, ſchiffte
fi dann mit dem jugendlihen Gemahl nah Stodholm ein, und
brang bier jo lange tn ihn, bis dieſer ſich entſchloß, der jungen
wißbegterigen Frau, die ihn als fanft Bittende gänzlich bezauberte,
auch die Hauptitadt des Czarenreihes, das viel gepriefene und
viel verläfterte St. Petersburg zu zeigen.
Darüber verging der ganze Sommer, und als das glüdliche
Paar wieder heimfehrte, rollten die vor den Reifewagen gefpannten
Roffe ſchon Haufen raufchender Blätter vor fi her und mander
der ſchönen, großen Kaftantenbäume firedte bie gänzlich entblätter-
ten Aeſte in die fühle Herbitluft.
Elifabeth, die „Eleine Poetiſche“, wie fie der Vater nannte,
hatte nicht umfonft großen Fleiß auf die Erlernung der Spracde
Calderon's gewandt. Sie wollte Spanien und Portugal Eennen
Iernen, dem ihre Gedanken mit eigenthümlicher Vorliebe zugewandt
blieben. Anton, ihr Gemahl, machte deshalb Feine Einwendung,
als fie mit bezaubernder Beſtimmtheit entfchled, daß fie das Glück
ihrer Flitterwochen ayf ber pyrenätfchen Halbinfel genießen wollten.
Anfang Juni fon betraten die Retfenden den Boden Spanteng
und am Sohannistage erblikten fie, wie ein ſchwärmeriſcher Bricf
Eliſabeth's an ihre Aeltern meldete, die Zinnen ber wunderbaren
— 555 —
Alhambra. Ein mit Bleiſtift geſchriebenes Billet ſchilderte die Ein-
drücke, welche auf die kleine Poetiſche der berühmte Löwenhof ge⸗
macht hatte.
Von den drei jungen Ehepaaren waren nur Miguel und
Chriſtine daheim geblieben. Einige wunderten ſich darüber, weil
ſie nicht erwartet hatten, daß ein ſo lebhafter Geiſt, wie Miguel's,
ſich leicht in die Einfachheit eines ſtreng geordneten Lebens gewöh—
nen könne. Dieſe vergaßen, daß Miguel im Hauſe des Rheders
zum erſten Male in feinem unrubvollen ‚Leben eine Heimath ge»
funden hatte, daß er, des fortwährenden Umherirrens müde, fein
tieferes Leben erſt jebt fammeln Fonnte, fih nun erſt Über dag,
was ihm dienen und Andere fürdern Eönne, Elar zu werden ver⸗
modte. Und ein milderer, gewandterer und Tenntnißreicherer Leh⸗
rer als der alte Heidenfrei hätte ihm auf dem neu betretenen
Lebenspfade nicht geboten werden Können.
Ganz wider feinen Willen, aber doch völlig abfichtslos, fand
Miguel unter Heidenfrei's Anleitung mehr und mehr Gefallen an
den höheren kaufmänniſchen Geſchäften. Anfangs trat er freiwillig
als Gehtlfe ein, da er aber ſchnell faßte und bald einer beſtimm—
ten Branche des fo fehr verzweigten Geſchäftes volllommen vor—
ſtehen konnte, übertrug ihm Heidenfrei diefe Branche ganz. Die
Luft am Seewefen verlor fih dadurch begretflicherweife mehr und
mehr, und als der Sommer fih dem Ende zuneigte und die glüd-
liche GShriftine einen Iuftigen Schreihals auf den Knieen wiegte,
fühlte der junge Vater durhaus fein Bedürfnig mehr, zur See
zu gehen.
Gerade um dieſe Zeit traf zum britten Male ein längerer
Brief Eduard's aus dem Innern Brafiliens ein, der feinem gan
zen dunkel verhüllten Inhalte nah die Familie Heidenfrei nebit
fammtlicher Berwandtihaft in Unruhe verfehte.
Wenige Tage nad Miguel’s Vermählung mit Chriftine wa-
ven Auguftin Hohenfels -und Eduard nad dem Süden Amerika's
abgereiſſt. Eduard mußte fih ſogar noh aufs Bitten legen, um
den Oheim fo lange zu halten, bis die Pathe feiner jungen
⸗
— 556 —
Goufine, die greife Silberweiß, deren plößliches und kampfloſes
Hinſcheiden Niemand geahnt hatte, zur Erde bejtattet worden war.
Die Meberfahrt verlief ſchnell und glüdlich, der erfie Empfang auf
brafiltanifhem Boden war ein viel verfprechender, ja die Berichte
des Oheims wie des Neffen Tauteten anfangs fo hoffnungsvoll,
fo verführertfh, dag nur die ruhige Haltung des älteren Heidenfrei
und die Bitten Ghriftinens den leicht erregbaren Miguel abhalten
konnten, den bezaubernden Lodungen zu folgen, die ihın aus dem
Lande, wo er geboren war, in deflen Erde ſeine von ihm nie ge=
fannte Mutter fehltef, mit Strenenftimmen zum Kommen einluden.
Das zweite Schreiben lautete ſchon kühler. Es rührte von
Eduard allein her, Auguſtin ließ ſich entſchuldigen, da eine Menge
unerquicklicher Geſchäfte und eine ungewöhnliche Nervenreizbarkeit
ihm Schonung zur Pflicht machten.
Heidenfrei ſchüttelte zu dieſem Schreiben, das kurz vor der
Doppelhochzeit Eliſabeth's und Ulrike's einlief, den Kopf, und
äußerte des Abends im vertraulichen Familienzirkel, die Pläne ſei—
nes Schwagers felen zu groß entworfen, was von jeher feine An—
fiht gewejen wäre, und gerade an biefer ungemefjenen Größe wlür-
den fie wahrfcheinlich auch fcheitern.
Es tft das wie bei allen Speculatlonen, die über bie vor—
bandenen Mittel hinausgehen, fhloß der erfahrene Rheder feine
Bemerkung. Ein einziger Fehlſchlag wirft Alles über den Haufen,
zerſtört ſelbſt Die folidefte Grundlage, und es mag dann ein Gelft
noch jo groß und willensftarf, eine Idee noch fo fuperbe fein,
durchzuführen tft fie entweder gar nicht, oder Doch nur mit unvere
hältnißmäßig großen Opfern und äußerſt langſam.
Der Monat October war allerfeitd als der Zeitpunkt feftge-
jegt worden, wo bie einzelnen Familienglieder ſich im väterlichen
Haufe wieder fammeln follten. Diefe - Zeit hielten beide junge
Ehepaare ein. Noch vor dem 18, Detober, den man damals noch
mit großen Feſtlichkeiten beging, faßen Elifabeth und Ulrike wieder
neben Chriſtine am großen Samtlientliche, während Ferdinand und
Anton fid) im Comptoir möglichſt raſch zu orientiren fuchten,
—
— 557 —
Die Herbftftürme machten fih fühlbar, ſchon zweimal weckte
und erjchredte des Nachts der Donner der Lärmkanonen die Bes
wohner der Keller. Da tam ein viertes Schreiben aus Rio an,
das nicht an die Firma Peter Thomas Hetdenfret & Söhne, wie
die früheren Briefe, fondern fpectell und ausdrücklich an Ferbinand
und Miguel Hohenfels-Saldanha gerichtet war. Diefes Schreiben
brachte von Neuem Unruhe und. Trauer über Viele. Es lautete
wie folgt: |
Liebſter Bruder und Vetter!
Wenn ein General das Unglück gehabt hat, eine entfchel«
dende Schlacht zu verlieren, pflegt er den einzureichenden offictel-
len Bericht in Worten abzufaffen, die den erlittenen Derluft ver-
hülfen, in dieſer Verhüllung aber gerade die nadte Blöße recht
deutlich erkennen laffen. Ich befinde mich Heute leider in der Lage
eines folhen Generals. Verhüllen aber, entfchuldigen, befchönigen
mag und will ich nichts, weil mir ber reelle Gewinn eines ſolchen
Verfahrens nicht einleuchtet.
Unſer Coloniſationsplan iſt — mit zuckendem Herzen ſchreibe
ih es nieder — total geſcheitert, und wir, wir allein, unfer Eis
genfinn oder, wenn Ihr wollt, unfere eigen geartete Nationalität
trägt die Schuld dieſes Mißlingens. Onkel Auguftin, dem hier
faft Alle mit offenen Armen entgegenfamen, würde Wunder ge-
wirft haben, wäre er nur ein mwentg biegfamer gewefen. Daß er
in Nichts nachgab, keinem Vorfchlage ſich fügte, zuleht bei geftei-
gerter Reizbarkeit ſogar ungerecht gegen Andere und ung Wohl:
wollende werden konnte, brach dem ganzen Unternehmen die Spike
ab und ihm, dem edlen, großen, aber zu hartnädig einfeitigen
Manne das Herz. Die Colonie Hohenfelsland eriftirt dem Namen
nah. Sie iſt abgegrenzt, fie bildet ein eigenes, fehönes, cultur-
fähiges Territortum, das Raum genug hält, um ein paar Millio⸗
nen betriebfamer Menfchen zu ernähren und Allen zu Wohlſtand
zu verhelfen, aber fie it zur Zeit- nur noch ein Stück Land, des
Nachts von einem wunderbaren Sternenhimmel matt beleuchtet,
des Tages im. Goldrauch heißer Sonnengluth eine unglaublide
— )58 —
Fruchtbarkeit entfaltend. Häuſer, Anſiedelungen gibt es nicht,
Straßen bezeichnet nur die kleine Karavane von Schlachtvieh, die
ihre Spuren in den Savannen zurückläßt. Die Flüſſe tragen noch
feine Schiffe, die Wälder find nicht gelichtet, aber an der reizend—
ften Stelle des Landes, das uns von der Regierung überlaffen tft,
wenn wir uns entjehließen wollen, ihr einige Gonceffionen zu ma—
hen, tit der Grundriß einer Stadt abgeftedt und mit Spa-
tenftihen der Umfang angegeben, den fie vorläufig "einnehmen
fol. Es war die lebte, glüdlihe Arbeit des unglücklichen,
ſchon damals franfen Oheims. Ab, der gute Ohelm war
leider ſchon krank, als wir zu Schiffe gingen! Damals ver-
muthete ich freilich blos, was fpäter nur zu unverkennbar an’s
Tageslicht kommen folte! ine große fire Idee beherrfchte
tn ganz, verließ ihn nie wieder, und darum fonnte bie
Größe diefer Idee nicht lebendig werden unter den Menfchen !
Für mich perfönlih mag Died ein Gewinn genannt werden. ch
war nahe daran, auf Abnlihe Abwege zu gerathen. Auch mir
galt fhon fett geraumer Zeit die Idee, der befruchtende Gedanke
Alles, die Materie, diefe Erde, in welder der Gedanke doch Keime
treiben muß, um Wurzeln zu fehlagen, achtete ich nicht nur ge⸗
ring, ich veradhtete fie beinahe. Dasaber ift ein Fehler, der ſich
immer rät. Auguftin Hohenfels kam mir vor wie ein Gott, ber.
aus Nichts Welten fchaffen. will, dem der Wille Alles, Materie,
Geiſt und Frucht tft; der da nur zu fagen braudt: ſei! und es
it! Das kann und darf der Schöpfer, der fih aus fich felbit ge-
boren bat, nicht aber der Menſch, der nur ein winziger Sprößling des
Schöpfers, felbft bei größter innerer Gedankenzeugungskraft, if.
So verwundete fih denn der trefflihe Mann an den fharfen
Narben, welhe der MWeltihöpfer jeinem Gebilde eingebrüdt hat
und verblutete fih ſtill an dieſen ſelbſt gefchlagenen Wunden.
Als er feinen Irrthum erkannte, war ihm die Kraft des Geiftes
ausgefloffen. Auf dem Sodel des Gemeindehaufes, das Gerichts-
und Thingftätte des neuen Staates fein follte, den er der Zukunft
eines der alten Heimath überbrüffig gewordenen Gefchlecdhtes zu
— 559 —
gründen unternahm, ſaß er Stunden und Tage lang. Da hauchte
er eines Abends, als der ferne Urwald im Purpurbrand der Sonne
Naufloderte, als ob Gott ſelbſt über die Erde wandelte und feine
Boten ihm die Wege ebnen wollten, feine große Seele aus. An
der Stelle, wo der feltene Mann zuerft die Art einſchlug, dane-
ben ſich niederwarf und fill zu Gott betete, daß er Segen gebe
feinem Werfe, und es dereinft, wenn auch erft fpät, gelingen laffe,
habe ich ihn in die Erde gebettet. Gloden läuteten nicht über
feinem Grabe, fein Priefter bat ihn gefegnet, nur der Urwald
rauſcht früh und fpät um bie ftille, gefeite Gruft des Edlen und
Millionen Bogelfehlen fingen dem Sohne der Natur, dem Bereb-
ver des Gelftes der Natur Tag und Nacht die verſöhnendſten See-
len= und Todtenmeſſen.
Ich habe mir eine Hütte erbaut, um beflere Tage bier ab⸗
zuwarten. Noch glaube ih an die Verwirklichung der Pläne un—
feres großen Todten, nur müflen wir noch einige Zeit warten.
Dir, Miguel, Lege ih an's Herz, beine Muttererde zu befuchen,
fobald du kannfl. Auf dem Grabe deines Vaters wird ver Geiſt
über dich kommen, der ihn beſeelte. Grüßt die Eltern, gedenkt
des Strebenden, des Todten, und haltet immerbar fell an dem
Gedanken, der ihn durchdrang: die Gultur ift der einzig wahre,
der einzig unfterbliche Träger des Gottesgeiftes auf Erden. Brecht
ihr Bahn, weitet ihr Wege und Stege, und das taujendjährige
Reich, das Reich des ewigen Friedens, das Gottesreich auf Erden
bat begonnen! “Der Eurige
Eduard Hetdenfrei.
Diefer Brief ward Anlaß zu einer gänzlichen Uıngeftaltung
aller Verhältniſſe. Miguel befhlih ein Gefühl der Reue, er
gedachte der Mahnungsworte des nunmehr fchon verewigten Va—
ters an feinem Hochzeittage, uud die Schnfuht, am Grabe des
Todten zu beten, erfüllte bald feine ganze Seele. Beſtärkt in
feinem Vornehmen ward der junge Mann durch Treufreund, ter
son Stund’ an fih völlig ſchwarz Fleidete. Die Sonne iſt für
—
— 560 —
mid untergegangen, fagte er, mir bricht jegt kein Tag mehr
an, ich vegetire nur noch in Nacht und Dämmerung.
Geräuſchlos, aber energtfh traf Miguel Vorbereitungen zur
Reife nad Brafilien. Das nächte Frühjahr warb dazu feftgefeht.
Heidenfrei, der anfangs Gegenvorftellungen machte, weil er feft
überzeugt war, Miguel werbe nirgends ein fichereres Glück als
in feinem Haufe finden, ließ fih durch die Zureden ber drei jun
gen rauen, bie ganz die Partie Miguels ergriffen, umflimmen.
Ehe aber die Reife noch begonnen werden Tonnte, brachte ein
abermaliges Schreiben Eduards viel beruhtgendere Nachrichten.
Diefem zufolge hatte er in richtiger Würdigung der Verhältniffe
und durh genaue Abſchätzung dev Mittel den urfprüinglichen Plan,
welcher zu fehr ind Unbegrenzte ging, aufgegeben, und war zu
den Andeutungen zurüdgelehrt, welche fih in den „Aufzeichnun⸗
gen" des verftorbenen Oheims vorfanden. Diefe „Aufzeichnungen“
wurden überhaupt von jebt an für den praftifhen Eduard mid-
tige Leitſterne. An ihnen entzündete fih immer von Neuem feine
Strebeluft. Er fand darin ftetd neue und große Anregungen,
und fo gründete der junge Rheder im Verein mit Gleichdenkenden
zwar nicht große Golonieen, wohl aber fenkte er Wurzelfafern in
bie braftliantfhe Erde, die vielverſprechend aufiproßten und welde
gleich jenem wunderbaren Baume der neuen Welt, deſſen Zweige,
die Erde berührend, ſich von ſelbſt wieder in Wurzeln verwan—
bein und wette Streden bedecken, bereinft zu fchattigen Wäldern
fh vergrößern Tönnen, in deren Schuß eingewanderte Deutfche
dem deutfchen Geiſte Tempel der Cultur errichten werden. Was
der prophettfche Blick Auguftin’s in Momenten geiftiger Verzückung
vorahnend erkannte, das wuchs und gedieh langſam, aber ficher,
unter der forgenden Pflege feines Getftesverwandten und beffen
Freunden. Als Miguel acht Monate fpäter, von Chriftinen be=
gleitet, die neue Niederlaffung betrat, fand er fie in beflem Ge-
deihen. Der Fluß, welder das Land durchſtrömte, war ſchiffbar
und verband die bereit angelegten Factoreien mit dem Meere
und der europälfhen Welt. Das Grab feines Waters lag tn
— 561 - —
einem prächtigen Garten. Eduard hatte dem Andenken des Ber-
ftorbenen eine Marmorplatte gewidmet, welche außer dem Namen,
dem Geburts- und Todestage Auguftin’d nur noch die Worte trug ;
„Dem Märtyrer für eine große Jdee!"
Nach einem mehrmonatlihen Aufenthalte in Hohenfelsland
reif’te Miguel nah Cuba. Er hatte von Rio aus fhon an Don
Alonfo Gomez geſchrieben und dieſem feine Ankunft gemeldet.
Die Antwort des Mexikaners Iautete befriedigend, ſchlug einen hei—
teen, faft übermüthigen Ton an und enthielt die für alle Freunde
überrafhende Mittheilung von des flatterhaften Mannes Vermäh—
. lung mit einer jungen, reichen Greolin. Das Zufammentreffen
der alten Belannten auf Guba ward dadurch ein viel ungenirtes
red. Don Gomez ſchwamm in einem Meer von Glück, denn er
tonnte mit vollem Rechte behaupten, das fhönfte Mädchen ver
ganzen Infel als Gattin Heimgeführt zu haben. Später freilich
blieb dies Glück nicht ungetrübt, denn beide Gatten plagten einan-
der gegenfeitig durch eiferfüchtige Grillen und gaben leider aud)
zu folchen Vermuthungen beiderſeits Veranlaſſung.
Erſt nach drei Jahren kehrte Miguel wieder zurück in feine
neue Heimath. Er fand den Freund feines Vaters auf dem
Kranfenlager, hoffnungslos, aber heiter.
Nun iſt's gut, nun hab’ ich ihn doch noch einmal gefehen,
ſprach der redliche Mann, als er Miguel die Hand drückte. Aus
dem Morgenroth ift ein mildes Abendroth geworden. Es kann
jetzt der Dämmerung weichen, ich bin's zufrieden.
Und es wich der Dämmerung. Acht Tage ſpäter begrub man
Treufreund. Ein unabſehbarer Zug begleitete den Sarg des un-
eigennügigften Freundes und treueften Dieners zum Friedhofe.
Ungefähr um dieſelbe Zeit ſtarb auch der reiche Diek-Johann,
der wieder einmal zur Unzeit ſeinen Kopf aufgeſetzt und bei küh—
lem Wetter bis tief in die Nacht hinein im Freien geſpielt und
getrunken hatte, unerwartet am Schlage, und als man fein Te-
ſtament eröffnete, fand fih’s, dag er feinen Neffen Julius in grof-
müthigſter Weiſe bedacht hatte. Dies veranlaßte den heitern Lebe-
mann, dem Kaufmannsitande Balet zu fagen, fi ein Landgut
D. B. XI, Willkomm's Rheder und Matrofe. 36
— 561 —
zu Faufen und — zu heirathen. Daß die Freunde bei der Hochzeit
des Glücklichen nicht fehlen durften, verfteht fich von felbft, und
daf bet dem Zeltmahle der Geſchmack jedes Einzelnen befriedigt
Wurde, dafür hatte der gentalfte aller Gaftronomen Hinlänglich Sorge
getragen.
Heidenfrei übergab nah Miguels Rückkehr das Gefchäft fei-
nem 'Sohne und Schwiegerſohne, ohne die Firma zu -Andern. Er
309 fih} zurüd auf fein Landhaus und verfolgte hier mit großem
Intereſſe die außerordentlichen Entdeckungen auf dem Felde ber
Naturwiſſenſchaften, die Vervollklommnungen der Dampfmaſchinen zc.
Mit ſeinem Sohne Eduard blieb er in lebhafter Correſpondenz,
was den letzten Jahren ſeines Lebens einen neuen, immer friſch
bleibenden Reiz verlieh. Eduard ließ ſich ganz in Brafilien nie-
der, beſuchte aber von Zeit zu Zeit die geliebte Vaterſtadt.
Jacob, der Quartiersmann, verlor einige Jahre nah dem
Rücktritt des Rheders aus dem Befchäfte feine Frau, und da er
alt und flumpf ward, legte er ebenfalls feine Stelle nieder. Gr
befaß genug, um ſorgenlos leben zu können. Paul war fon längft
Capitän geworden und führte mit großem Glück die Fregatte
„Shrifttne”, welche als Schnellfegler gern zur Beförderung von
Briefen benutzt ward.
Die Niederlaffung auf Hehenfelsland erhielt immer mehr
Ausdehnung und hatte ſchon nad zehn Jahren eine folche Bedeu—
tung gewonnen, daß verfchtedene Hanbelsftaaten Conſuln daſelbſt
hielten, und man ihre Handelsgefchäfte nach Millionen zählte.
Deutfche Rheder waren ihre Gründer, deutſche Matroſen führ-
ten ihr Lebenselemente zu, und die geiftigen Schätze, welche fie
von dem Mutterlande eintaufchte gegen die Erzeugniſſe des Bo—
dens, befrudtet vom Thau tropifher Nächte, leben und wirken
noch fort und fort und werden das Wort Hohenfels’ dereinft zur
Wahrheit werben laſſen:
„Glück iſt nichts, der Wille, das Urtheil, die richtige Anwen—
dung unferer Kräfte und Anlagen, alſo die weifelte Ausbeutung
des Talentes vermögen Alles!“
—— Be —
Für die Befiter von Herder's Werfen,
fowie für alle Freunde der Deutſchen Claſſiker wird nachfol⸗
gendes Werk, welches Ende Auguſt ausgegeben wird, von großen
Intereſſe fein.
Aus Herder’s Nachlaß.
Ungebrudte Briefe
von
Herder, Goethe, Schiller, Klopſtock, Lenz, Jean Paul, Claudius,
Lavater, Fr. Jacobi, Mendelöfohn, Forſter, Zimmermann
und Caroline Flachsland.
Herausgegeben
Prof. Dr. 8. Düntzer
und
Ferd. Gottfried v. Herder.
3 Bände von je 30 Bogen 80 eleganter Ausſtattung.
Mit einer Handzeihnung Goethes in Stahl radirt.
Preis der 3 Bände, welche nicht getrennt gegeben werden, 6 Thlr. od. 10 fl, AS fr,
Prospectusl
Je eindringender und allfeitiger die Kenntniß von ber Entwidlung unferer
neueren beutfchen Dichtung und Wiffenfchaft gedeiht, um fo entfchievener treten
einzelne bedeutende Lücken hervor, die nur die Eröffnung neuer Quellen auszu⸗
füllen vermag.
Dem vorftehenden Wert wird der innere Beruf nicht abgefprocdhen werben
können, eine vor allem empfindliche Lücke diefer Art glüdlich zu befeitigen.
Herder's Sohn Herr Regierungsrath Dr. Emil Ootifriev von Herder in
Erlangen hatte vor einem Jahrzehnt in „Johann Gottfried von Herbers Le⸗
oerug den chronologiſch geordneten Briefwechſel Herders mit Benutzung aller
gedrudien und ungedruckten Briefe und Belege herauszugeben unternommen,
Aber das Werk gerieth gerade da Ins Stoden, wo es am anziehendften und
Iehrreichften zu werben begann. Schwierige Zeiten kamen dazmwifchen und ber
Herausgeber felbft trat von dem Schauplap ab, ehe er fein Werk vollenden
fonnte oder die werthuollen ungedrudten Briefe in anderer glüdlicherer Form
veröffentlichen konnte. ,
Mir haben nunmehr von dem Enkel des großen Mannes das Recht acqut-
rirt, aus dem vorliegenden Nachlaß das Bedeutendſte zu veröffentlichen,
was zur Kenniniß der claffifchen Periode von Wichtigkeit und Intereſſe ift.
Bon den vorhandenen Brieffammlungen haben einzelne nur einen fehr bebing-
ten Werth, fo daß fie nur als Quellen zu einer ausführlichen Lebensbeſchrej⸗
bung Herders zu benußen fein dürften, wie die Briefwechfel Herders mit Hart:
knoch, Gleim, Heyne, von Einſiedel, ven beiden Dalbergs u. A., wogegen ter
andere Theil, ben wir hier veröffentlichen und der uoch nirgends
veröffentlicht wurde, durd die gefftine Bedeutung ter Brieffteller und
ihrer Beziehungen fowte durch vielfache Andeutungen über einzelne Titerarifche
Ereigniffe und Erfcheinungen von höchſter Wichtigkeit find. _
Die Eintheilung des Werkes wurde von ven Herausgebern wic folgt feit-
geſtellt:
J. Band: Die Briefe von Goethe, Schiller, Klopſtock, Lenz,
Jean Paul, Claudius.
IL. Band: Die Briefe von Lavater, Jacobi, Merdelsſohn,
G. Forſter, Zimmermann.
III. Band: Der Briefwechſel zwiſchen Herder und feiner Braut (Caro:
line Flachsland).
Bon allerhöchfter Bedeutung find Goethes Briefe, von denen eintge ſei⸗
ner friſch ſprudelnden Sugendzeit, den Sahren 1771-1772 angehören, eine
Meihe anderer ven Sahren 1775— 1776, fehr aufflärend für Herbers Berufung
nad; Weimar, der größte Theil aber ftellt das herzliche Freundfchaftsperhältntg
zwifchen Goethe und Herder von 1783 — 1794 in das hellſte Licht.
Der Briefwechfel mit Herbers Braut vom April 1771 bis zu der am
22. Mat 1773 erfolgten Verheirathung, Härt nicht allein die Mißverſtändniſſe
zwifhen dem feltenen Paare, wie man fie feither anfah, glücklich auf, ſondern
bringt auch Goethes Verhältniß zum Darmſtädter Kreiſe, beſonders zu Merck
und dem empfindelnden Leuchſenring lebendig vor Augen. Ein langft gedrucktes
aber nirgends gewürdigtes Gedicht wird durch dieſe Briefe als Goethes Werk
nachgewieſen, und über die bisher mißdeuteten Gedichte „An Uranien“ und
„Pilgers Morgenlied“ erhalten wir hier die merkwürdigſten Aufſchlüſſe.
Ergibt fih auf dieſe Weiſe für die Kenntniß Goethes hier eine höchſt
wichtige Ausbeute, ſo nicht weniger für Herders Lebens- und Bildungsgang.
In den Briefen von Claudius tritt deſſen wunderlich ſpielende Gemüth⸗
lichkeit höchſt anziehend hervor, und dürften dieſelben um fo mehr Beachtung
verdienen, je kleiner gerade die Zahl der von ihm bisher bekannt. gewordenen
Briefe iſt. Auch die Freunde von Schiller, Jean Paul, ©. Forſter, Lenz, La
sater, Jacobt, Klopftod, Mendelsfohn werden hier manche neue Blicke gewinnen.
Die Herausgabe des Ganzen nad einem von einem Enkel Hervers, Herrn
Ferd. Gotitfr. von Herder in Albisheim genehmigten Plane hat Herr Profeſſor
Dünger in Cöln übernommen, der die nöthigen inleitungen und Erläuterun:
gen hinzufügen wird.
Die 3 Bände, jeder von ca. 30 Bogen, werden Ende Auguſt zur
Ausgabe kommen.
Die Verlagshandlung
Meidinger Sohn & Comp.
in Frankfurt a. I.
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