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Full text of "Rheder und Matrose : ein Hamburger Roman"

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Deutſche Bibliothek. 


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Sammlundiiiiz 


auserlejener ee Zu : : : 3; 2. 


Original— Nomane. 


Unter Mitwirfung von 


Ludwig Bechſtein, Adolf Glaßbrenner, 3. G. Kühne, 5. Klirnberger, 
Hermann Kurz, Hermann Marggraff, Theodor Mügge, Wolfgang 
Müller, Otto Miller, Robert Prutz, Otto Roquette, Neopold 
Schefer, I. V. Scheffel, Georg Schirges, And, Storch, 

E. Willkomm u. a. m. 





Eilfter Band. 


Nheder und Matrofe. 


Ein Hamburger Roman 


von 


Ernſt Willkomm. 


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Frankfurt a. M. 
Verlag von Meidinger Sohn & Ei 
1857. 


in Frankfurt a M. 


Drud von Wilhelm Küchler 


KRheder um Matrofe. 


Ein Hamburger Roman. 


&E rnit Willkomm. 


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Frankf urt a. M. 
Verlag von Meidinger Sohn 8 Cie. 
1857. 


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Dad Recht der Ueberſetzung tin fremde Sprachen behält ſich der 
Verfafler vor. 


Drud von Wilhelm Küchler 
in Sranffurt a. M. 


E:rftes Buch. 


Der Merikaner. 


D. B. XI Willlomm’s Nheder und Matrofe, 


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Dad Recht der Ueberſetzung tin fremde Spraden behält fi der 
Verfafler vor. 


Drud von Wilhelm Küchler 
in Kranffurt a. M. 





Erſtes Buch. 


Der Merikaner. 


D. B. XI, Willtomm’s Rheder und Matrofe, 


1222 7, 


Erſtes Kapitel, Bu 


Die Familie des Quartiersmannes. 


Nach einem heftigen Gewitter, das unter Sturm und Re—⸗ 
gen über die Küftenftrihe der Niederelbe von Süden nad Norden 
zog, trat ein erquidend milder Abend ein. Noch war viel Bewe- 
gung in der obern Luft, was fih an den raſch dahineilenden leich— 
ten Wolken bemerken ließ, der volle Glanz der Sonne aber, bie 
bereits niedrig ftand, und Erbe, Himmel und Gewölk mit flim- 
merndem Gold übergoß, verkündigte ſchönes Wetter. 

Das wilde Toben des Ungewitters hatte feiner langen Dauer 
wegen einige Stunden lang die Arbeiten im Freien unterbrochen, | 
befonders ftörend waren die flurmartigen Windſtöße und das Nie— 
derftürzen feharfer Hagelkörner den vielen im Hafen Hamburgs und 
auf dem Strome Beſchäftigten. Nothgezwungen mußten fie eine 
Zuflucht fuchen, Diefe auf vor Anker liegenden Schiffen, Jene am 
naben Lande, wo fie in die zahlreichen Keller an den Vorſetzen 
und den Kajen hinabftiegen. . 

Als der Sturm ausgetobt hatte, eilten Hunderte von Men- 
fhen wieder nad) Kähnen und Booten, der Strom belebte fi) von 
Neuem mit zahliofen Fahrzeugen verſchiedener Größe und Form, 
der monotone, bald fetfe, bald gefehretartig zum Quai herüberfchal- 
Iende Gefang der Matrofen auf den Schiffen, deren Ladung ge- 
löſcht ward, ließ ſich allerwärts wieder hören, und das Leben, na- 
mentlih im Binnenhafen, geftaltete fi gewühlvoller denn je. 

Wie hätte e8 auch anders fein können, da es Sonnabend 
war, und ber Tag bereitö zu Ende ging. Jeder wollte noch möge 

1* 


— 4 — 


lichſt viel vor Einbruch der Dunkelheit beſeitigen, und ſo haſteten 
denn ſchwer tragende Menſchen an allen Landungsplätzen, die Schu⸗ 
tenführer, firengten, ſich ar, ihre mit allerhand Kaufmannsgütern 
beladtiren Fahrzeuge:- direch· die Kanäle nach den Speichern zu be= 
fördern, ud. an- den Luken in den Speicherräumen fah man überall 
diele Hände "tn rihriger Thäligkeit, um aus den unten in den 
Sleethen Tiegenden Fahrzeugen bie erhaltenen Ballen und Säcke 
aufzuminden und fiher zu ſtauen. 

Diefem bewegten Leben fah, an die Bruftwehr auf dem Kehr- 
wieder gelehnt, ein Mann von etwa fünfzig Jahren wohlgefällig 
zu. Gr trug die gewöhnliche Tracht der Arbeiter, und feine ſchwie⸗ 
figen breiten Hände, fein geröthetes Gefiht, das fi vor feinem 
Wetter ſcheuen mochte, liegen auf den erſten Blick einen gefhäfts- 
fundigen, überall felbft mit zugreifenden Quartierdmann erkennen, 
deren die gewaltige Handelsſtadt viele befibt, und bie in mander 
Hinfiht ald Männer, denen man unbebingted Vertrauen ſchenken 
darf, die rechte Hand großer Hanbelsherren find. 

Jacob Behnke — fo mag der Quartierdmann heißen — war 
eben erit die ſteile zum Binnenhafen binabgeleitende Holztreppe 
bheraufgeftiegen und noch warm von der Anftrengung, die fein 
musculöfer Körper wohl vertragen konnte. Er kam zurüd vom 
Speiher eines Kaufmannes, wo er beim Ausladen der lebten 
Schute Waizen zugegen gemwefen war, und wollte nun, alter Ge- 
wohnheit gemäß, noch einen Blid auf das Lärmen im Hafen und 
auf das lebendige Durcheinander am gegenüberliegenden Ufer werfen. 

Auf den hochgegiebelten Häufern” und den Maſtenſpitzen der 
Seefhiffe, die großentheils mit befchlagenen, einige nur mit halb 
gerefften Segeln weiter draußen im Hafen und auf der Elbe Ia- 
gen, glänzte noch das Sonnenlicht, und die goldene Krone, welde 
die Spitze des Sanct Katharinenkirchthurmes umgibt, Teuchtete wie 
ein Feuerball und. zug wieberholt- die Blide des Quartiersmannes 
auf fi. 

Mit dem DVerfinfen der Sonne änderte ſich das fo interej- 
fante Bild ſchuell. Die auf Lauben und auf Beifchlägen figenden 


— 5 — 


Frauen und Mädchen verließen ihre bisher behaupteten Plätze, von 
wo aus ſie mit den Nachbarn plauderten; die hin und wieder durch 
den Hafen rudernden Jollenführer wurden immer ſpärlicher ſichtbar. 
Aus den Kellerwohnungen glänzten Lichter, das Baumhaus füllte 
ſich mit Gäſten, deren lautes Geſpräch und vergnügtes Lachen aus 
den geöffneten Fenſtern herüberhallte zum Kehrwiederwall und an⸗ 
zeigte, daß die Arbeit des Tages für beendigt gelten könne. 

Behnke hatte dieſen allmähligen Uebergang von der eifrigſten 
Thätigkeit zur völligen Sonnabendsruhe viele hundert Male beob— 
achtet. Er ſah nur Allbekanntes, und dennoch konnte er nie in 
ſeine beſcheidene Wohnung heimkehren, ohne, wenn das Wetter nicht 
gar zu Widerwärtig war, dieſen Anblick, an dem fein gut ham—⸗ 
burgifhes Herz fi labte, immer von Neuem wieder zu genießen. 
Er fühlte fih froh und glüflih, wenn er den Glanz und Wohl- 
fand der Stadt, deren Sohn er war, betrachten fonnte, und ob= 
wohl ihm felbft nur ein ſehr beſcheidenes Glücksloos zugefallen 
war, würde er es doch ſchwerlich mit einem andern, ſelbſt nicht 
mit einem glänzenderen, vertaufeht haben. 

Endlich dunkelte es. Behnke faßte mechaniſch an die Kette 
des Krahnes, neben dem er ſtand, und hob ſich etwas daran em= 
por, um hinabzufehen Auf das plätjchernde Wafler, wo feine Schute 
angefettet lag. Gerade als er fid fo überbeugte, flog nod ein 
Fleiner Nahen unter rafhen Ruderihlägen vom Baume herein, 
dem Binnenhafen zu. Außer dem Rudernden faß nur eine ein= 
zige Perfon darin. Der Quartiersmann fah fharf hinab und fein 
weittragended Auge erkannte einen Gapitain, den er lange nicht 
mehr gejehen hatte. 

Heda, Glaus, rief er dem im Nahen Sikenden zu, ſeid 
Ihr's wirklih? Mo habt Ihr jo lange vor Anker gelegen? Sn 
Brafilien oder an der Golbfüfte? 

Guten Abend, Jacob, verfegte der Capitain. Wie iſt's Be⸗ 
finden? Doch Alles tar im Haufe? 

Alles Mar, erwiderte der Quartiersmann. Und bei Eud, 
Glaus? 








— 6 — 


Muß es ebenfalls Toben, entgegnete der Capitain. Bin vor 
einigen Stunden erft aufgefommen mit der Zluth, tft aber gut 
gegangen. Alles gefund an Bord. Habt Ihr Nachricht von | Guerm 
Baul? 

Behnke Holte ſchwer Athem. Leider, nein, fagte er zögernd. 
Seit einem halben Jahre hat er nicht mehr gefchrieben. Als bie 
„Marie Elifabeth” in Rio angelommen war, meldete mir ber 
wadere Junge‘, wie es ihm ergangen fei auf feiner eriten großen 
Reife. Er war munter und verſprach vor Abgang des Schiffes 
nochmals zu fchreiben. Das hat er aber nicht gethan. | 

Nun, dann kann ih Euch fagen, daß ih ihm und die ge— 
fammte Mannihaft der „Marte Elifabeth” im merltanifchen Meer- 
bufen wohl angetroffen habe. Läßt Euch grüßen, Alter, im Oe— 
tober oder auch früher will er wieder an: feiner Mutter Tifh An- 
fer werfen. Guten Abend, Jacob, auf Wiederfehen! 

Behnke erwiderte dankend ben freundliden Gruß, der Na— 
hen ſchoß zwiſchen den vielen Ewern fort, dem Kajen zu, und ver- 
fhwand unter ber über den breiten Fleeth führenden hohen Brüde 
dem nahfchauenden Quartierdmanne. 

Diefe unerwartete Kunde von feinem Sohne, vor deſſen Leben 
ihm in den Tegten Wochen oft gebangt hatte, machte auf Jacob 
einen belebenden Eindruck. Paul war fein einziger Sohn und der 
Vater hätte e8 Lieber gefehen, er wäre ihm zur Hand gegangen, 
in feine Fußſtapfen getreten; denn bei dem Rufe, deſſen der Quar- 
tiergmann fich erfreute, und bei der großen Belanntfhaft, die er 
ſich ſowohl unter der Kaufmannſchaft wie unter den Arbettsleuten 
erworben hatte, konnte es nicht fehlen, daß der Sohn dereinit feine 
Stelle erhalten mußte. Paul aber zeigte einen fo unbezwingbaren 
Hang zum Seeleben, daß Jacob den Tag für Tag fich wiederho— 
lenden Bitten des Sohnes nicht widerftehen konnte. Er gab- feine 
Einwilligung, obwohl mit ſchwerem Herzen, ſprach mit ihm befann- 
ten Gapitainen und hatte bald einen Mann gefunden, dem er den 
eben der Schule entlaufenen Knaben anvertrauen durfte. Mit 
fünfzehn Jahren war Paul Schiffsjunge und machte als folder 


— 7 — 


zuerſt eine Reiſe nach England und Schottland. Seine Liebe zum 
Seeweſen erleichterte ihm den oft ſo ſchweren Schiffsdienſt, ließ ihn 
ſchnell das Schwierigſte faſſen und brachte ihn raſch vorwärts. Der 
Capitain war höchlichſt zufrieden mit dem behenden, muntern, 
kecken und immer gut gelaunten Paul, und als er fi in einen 
Matrofen verwandelt hatte, nahm er ihm mit auf einer Reiſe ing 
Mittelmeer, wo der faum zum Jüngling herangereifte Knabe die 
Häfen von Neapel, Palermo, Meffina befuchte, Malta kennen lernte, 
in Alerandrien, Tunis und Tripolis einlief, und auf der Rüdretfe 
einige Wocen- in Malaga, fowie in Liffabon unter jubelndem Ent- 
züden über die Wunderpracht diefes köſtlichen Glimas und bie ro- 
mantifche Herrlichkeit diefer ſchönſten Gegenden Europa’s verlebte. 

Diefe Reife währte beinahe zwei Jahre. Zu Behnke's gro= 

fem Leidwefen ftarb während derfelben der menfchenfreundlihe Ca⸗— 
| pitain, der bei Paul vollkommen Vaterſtelle vertreten hatte, und 
ber Oberfteuermann mußte vom Gap Finisterre aus das Com— 
mando übernehmen, um das jegt ihm anvertraute Schiff glüdlich 
in den Hafen zu führen. 

Paul blieb nad feiner Diesmaligen Rüdkehr einige Monate 
daheim, ftudirte fleißig Schifffahrtsfunde und erklärte mit ber ihm 
eigenen Beltimmthett, die immer das Zeichen eines ſtarken Charak— 
ters ift, daß er nur dann wieder eine Heuer annehmen werde, 
wenn es ihm gelänge, einen Gapitain zu finden, der ihn 'als Voll: 
matrofe auf einem Weft: oder Oftindienfahrer engagiren wolle. 

Jacob konnte wenig dagegen erinnern. Freilih war Paul 
noch fehr jung, aber er ſtrotzte vor Gefundheit, Hatte ſich Kenntniſſe 
mandjerlet Art erworben, darunter auch folhe, die den Matrofen 
gewöhnlihen Schlages faſt immer abgehen. Er fprad drei Spra- 
hen ziemlid geläufig, und da er Fräftig, gebrungen von Gellalt, 
jharfen Auges war und Muth und Geiftesgegenwart ihn nicht 
verließen, fo mußte ber gern zum Zaubern geneigte Vater wohl 
feine Beiftimmung geben, als der Sohn eines Tages wohlgemuth 
zu ihm trat und ihm meldete, daß er ein Schiff und einen Capi⸗ 
tain gefunden babe, wie er ihn begehre, 


— 8 — 


Vierzehn Tage fpäter fegelte der glüdliche Matrofe am Bord 
der Barf „Marie Eliſabeth“ von Glüdftadt ab und zwar vorerft 
nad Cuba. 

Aus Havanna, fpäter aus ber Hauptitadt Brafiliend waren 
bem Vater Pauls erfreulihe Nachrichten von dem Befinden bes 
jungen Matrofen zugegangen, fpäter aber erfuhr weder der Rhe⸗ 
ber des Schiffes noch font Jemand etwas von dem Schidſale der 
„Marie Eliſabeth“. 

Haſtiger als gewöhnlich trat Behnke in ſeine Wohnung, wo 
der Abendtiſch für den heimkehrenden Vater ſchon gedeckt war. 

Gute Botſchaft, Frau, ſagte er mit vergnügtem Geſicht, die 
kurze, weite Jacke ablegend, die er bei ſeiner Arbeit trug und ſich 
bequem in den Sorgenſtuhl am breiten Fenſter niederlaſſend, das 
auf den Binnenhafen und die Häuſerreihe am neuen Krahn hin⸗ 
ausſah. Unfer Sohn kommt boffentlih ſchon Anfang Herbit wohls 
behalten zurüd. Gapitain Glaus, deſſen Schooner heute aus New 
Orleans angekommen tft, hat das Schiff angeſprochen in der me 
xikaniſchen See. 

Die Testen Worte vernahm zugleih mit der Mutter ein jun- 
ges, fauber, aber bürgerlich einfach gefleidetes Mädchen, das ihren 
Geſichtszügen nad zu urtheilen, noch kaum zwanzig Jahre zählen - 
konnte. 

Paul lebt? Paul iſt geſund? rief ſie vor Freude erröthend 
dem Vater zu, das ſchmale feingeflochtene Körbchen mit dem kokett 
darüber gebreiteten hochrothen Tuche, deſſen eines Ende faſt den 
Fußboden berührte, auf die Tiſchecke ſtellend. Warum hat er ſo 
lange nichts von ſich hören laſſen? 

Danken wir Gott, daß wir jetzt Hoffnung haben, den ſo lange 
Entbehrten in einiger Zeit wieder zu ſehen, warf mit tadelndem 
Tone die Mutter ein. 

O, erzähle doch, Vater! drängte nichts deſto weniger Chri⸗ 

ſtine, deren liebliches Geſicht jetzt im Wiederſchein der ſchnell an⸗ 
gezündeten Lampe, welche die Mutter mitten auf den Tiſch ſtellte, 
noch an Reiz gewann. Chriſtine war in der That ein ſehr hüb⸗ 





_—g — 


ſches Mädchen, ſchlank gewachſen, voll und doch von zartem, gra⸗ 
ziöſem Gliederbau, mit reichem hellbraunem Haarwuchs und blauen 
Augen. Ihr Teint war dabei fo zart, weiß und rein, daß fie un- 
beitritten, wo nit das allerfchönfte, doch jedenfalls eines der fchön- 
flen Mädchen ihres Quartieres war. 

Schnell legte fie das Tuch zufammen, langte aus dem Körb- 
hen der Mutter ein paar Paquete, indem fie den dafür bezahlten 
Preis nannte, und einige kleine in ein Papier gewidelte Münze 
ebenfalls ber Mutter einhändigte. Dann Iief fie in den Hinter: 
grund des Zimmers und bradte dem Vater cin paar bequeme 
weiche Lederpantoffeln. 

Da, lieber Vater, mach’ dir's bequem, fagte fie mit liebevol— 
ler, weicher Stimme. ieh’ deine harten Schuhe aus; du haft fie 
nun jhon über fünfzehn volle Stunden an den Füßen, und 
ih weiß, daß fie dich dann drüden. So — und nun fprid! 
Sage uns, was du Gutes von dem. fernen Bruder erfahren haft? 
Mein Herz befommt vor lauter Sehnſucht orbentlih Ohren. Ich 
bin gar zu neugierig, recht viel Schönes, Liebes und Seltſames 
zu hören, fo etwas, daß einem äußerlich friert, während man in- 
nerlich vor lauter Seelenfreude fi ſchüttelt! 

Jacob mußte lahen, während er dem vor ihm auf der glän- 
zend gefcheuerten, mit blaßgrauer Delfarbe angeftrihenen Diele 
fnieenden Mädchen in das erwartungsvolle Geſicht fah. 

Kleine Närrin, verfeßte er, der Tochter einen leichten Klaps 
auf die rofige Wange gebend, wie fol td erzählen, wenn ich 
felber nichts weiß? Außerdem mahnt mid der Magen, daß die 
Glocke bald neun ſchlagen wird und du kennſt ja meine Schwäche. 
Hunger macht mih immer ſtumm; erſt wenn der geflrenge Her, 
dem wir die Biegſamkeit unferer Gliedmaßen und richtiges Denken 
zu verdanfen haben, fein Recht erhalten hat, erft dann werde ich 
beredt. Laß alfo fehen, was die Mutter bereit halt. 

Frau Doris hatte als forgfame Hausfrau einen Imbiß bes 
reitet, der wohl auch mandem andern gemundet haben würde, 
Da gab es rohen Schinken, gekochte Gier, weißes Brod in Fülle 


— 10 — 


und köſtliche goldgelbe Butter. Auch der Theekeſſel ſummte und 
puſtete über dem Torffeuer, obwohl Jacob als derber Arbeits— 
mann dem Thee nur ſelten zuſprach. Ein Glas Grog, einmal 
ſiedend heiß, ein andermal kalt, aber etwas ſtark, zog er dem 
Thee jederzeit vor. . 


An diefer ledern Tafel nahmen jetzt die drei Bewohner des 
Haufes, welches Jacob Behnke ſchon feit einer Reihe von Fahren 
fein Eigenthum nannte, Plab, und während Jeder nah Belieben 
und Bedürfniß von den vorhandenen Spetfen genoß, fuchte Vater 
Sacob feine neugierige Tochter nach Kräften zu befriedigen. 


Wem gehört denn das Schiff, das Gapitain Claus jept 
fteuert, fragte Chriſtine, die geleerten Taſſen zufammenftellend, 
dem Vater ein Glas mifchend und die gebräunte, mit bunten 
Papierflittern zterlih ummwundene lange Thonpfeife ihm reichen. 


Das Schiff hat meines Wiffens zwei Rheder, erwiderte Ja— 
cob, denn der Gapitain ift ſelbſt als Eigenthümer bethetligt. Als 
Correſpondenz-Rheder aber kennt man an der Börfe den Kauf: 
mann Chrenthal, Firma: J. K. Ehrenthal Söhne. 


Iſt mir nicht bekannt, fagte wichtig Chriſtine. Er hat wohl 
weniger Ruf als Herr Heibdenfrei? 

Stnd reihe Leute, die Ehrenthals, erwiberte Jacob, ein 
refpeetvolles Gefiht machend. Zwar fagen Manche, die den Söh— 
nen nicht wohl wollen, well fie früher etwas ftarf flott lebten 
und wohl auch mehr aufgehen liefen als gerade nothwendig war 
zur Ehre des Haufes, die Solidität des Gejhäftes, das der Va- 
ter gründete, ruhe nicht mehr auf fo fihern Grundlagen. Was 
mich betrifft, fo höre ich dergleichen, weiß aber nichts mehr davon, 
fobald die Worte verflungen find. Es kommt mir nidt zu über 
fo große Leute zu urtheilen. Mir wie Allen meines Standes 
fehlt dazu die Einfiht. Die Ehrenthals find nah wie vor — fo 
glaube ih — Ghrenleute, und wenn fie meiner Dienfte bedürfen, 
bin ih immer bereit, ihnen eben fo fehnell und gern meine Hände 
barzureihen, wie jedem Andern. 








— 1 — 


Herrn Heidenfrei kommen ſie doch nicht gleich, meinte Chri⸗ 
ſtine. F Lieber Gott, was iſt das ſeit vier oder fünf Wochen für 
ein Leben in dem Hauſe! Mir würde ſchwindlig, wenn ich den 
vielen Menſchen, die tagaus, tagein Fragen an den ſtillen, alten 
Herrn richten, Antwort geben ſollte. 

Glaub's wohl, lachte Jacob. Ein Kopf wie Herr Heiden- 
fret wird auch nicht alle Tage geboren, und noch feltener viel- 
leicht find die Herzen, die fih von folhem Kopfe nicht zermalmen 
lafjen. 

Warſt du heute im Comptoir? fragte Doris die Tochter. 

Im Comptoir nicht, blos auf der Diele, verfeßte Ghriftine. 
Ich gebe ungern in die Schreibzimmer, fuhr fie fort, denn ent- 
weder wimmelt es da von Malern und andern Herren, die alle 
etwas zu erfahren wünſchen, oder man flört die Herren in ihrer 
Arbeit. Und dann gibt es unter den jungen Leuten auch zwei, 
die eine häßliche Manier haben, ein Mädchen anzubliden. 

Ste werden fih doch Feine Frechheiten gegen dich erlauben? 
fagte Jacob auffahrend, indem er die Pfeife aus dem Munde 
nahm. Bin ih aud blos ein ungefhulter, plumper Quartiers⸗ 
mann, würde ih mir derartige Ungehörigfeiten doch fehr ver- 
bitten. Und mein fohlichtes, gerades Wort, denk' ich, gilt bet 
Herrn Heidenfret ebenfo viel, wo nicht mehr, als das zierliche 
Gefhnäbel von ein paar jungen Kiefindiewelt, die auf dem Gomp- 
toir des reihen Handelsherrn erſt etwas Rechtes lernen follen. 

Ah nein, Bater, das würde Feiner der Herren wagen, ver- 
fegte Chriſtine. Sie find eher zu Höflih, wenn fie mich fehen. 
Deshalb vermeide ich den Beſuch des Comptoirs. Letzthin nannte 
mich der eine ganz ehrerbietig Fräulein. 

Jacob murmielte unverftändliche Worte vor fih hin, brannte 
fi die erlofhene Pfeife wieder an und fügte Tauter Hinzu, er 
werde nächſtens Gelegenheit nehmen, mit Herrn Heidenfrei über 
bie fonderbaren Gonduiten feiner Gomptoiriften zu fpredhen. Gr 
bemerkte nicht, daß Chriſtine bet diefer Aeußerung erröthete, fonft 
hätte es allem Vermuthen nah einen fharfen Examen gegeben. 





— 12 — 


Zum Glück für das junge Mädchen ward die Aufmerkſamkeit des 
Vaters auf andere Dinge gelenkt, die ihn alsbald ganz in An— 
ſpruch nahmen. 

Schon während der Mittheilungen Chriſtinens drangen ab— 
geriſſene Töne eines mit ſchreiend lauten Stimmen geſungenen Lie- 
des in das tranliche Familtenzimmer des Quartiersmannes. Sept 
famen die Singenden näher. Es mochten Arbeitsleute oder Ewer- 
führerfnechte, vielleicht auch Matrofen fein. Solhe Sangesübungen 
fonnten Niemand auffallen, da fie täglich mehrmals fich wieder- 
holen, bejonders häufig aber ded Abends vorkommen. Die vielen 
Keller längs des Hafens, wd täglih Taufende verkehren und 
welche deshalb von Krughaltern und mit PVictualten aller Art 
Handel treibenden Bürgern außerordentlih geſucht find, füllen ſich 
früg und fpät mit Gäften, nie aber find fie zahlveiher mit Men- 
hen befett, als des Sonnabends. Dann wird gezeht, gefpielt, 
gefungen und Mander läßt, vom Dämon der Letdenjhaft erfaßt, 
oft den DVerdienft einer ganzen Woche beim Silentium oder irgend 
einem andern Hazarbfpiele, wie fie die niedern Volksklaſſen lieben, 
in die Hände "vom Glüde Begünftigter übergehen. Daß es dann 
auch wohl Streit und Rauferei gibt, verfteht fih von ſelbſt und 
gehört gewiffermaßen mit zu ten picanteren Genüffen des Lebens 
in den erwähnten Kreifen. 

Unter dem Wohnzimmer Jacob's befand fih, wie in den 
meiften Häufern, ein Keller, der ebenfalls zu einem Wirthichafts- 
feller eingerichtet worden war. Hier ging es verhältntgmäßig 
größtentheils ziemlich ruhig zu, was dem Quartiersmann zu be- 
fonderer Freude gereichte. Nur Sonnabends fand zumetlen eine 
Ausnahme ftatt, die denn Jacob nachſichtsvoll überfehen mußte. 
Da nämlih das Haus zwei Eingänge hatte, einen von der Straße 
her, einen zweiten vom hinter ber Häuferinfel fortlaufenden Walle, 
den ein Elbarm beſpült; fo kam auch von biefer Seite nicht 
felten Schiffsvolk, gewöhnlich holländifhen Stammes, in den Kel- 
ler. Geſchah dies, fo belebte fih die Befellihaft mehr als ges 
wöhnlih. Es warb dann Hoch gefpielt, man genoß ungewöhn- 








— 13 — 


liche Quantitäten fharfer Spirituofen und ließ ſchließlich Luft 
und Freude in überlautem Gejange aus. 

Die Singenden famen auch diesmal, wie Jacob am Schalle 
bemerfen konnte, vom Kebrwiederwalle. ALS fie die Treppenftufen 
hinuntergeftolpert waren, belebte fit das Local ſofort. Man hörte 
heftige Schläge auf die Tifhe, verworrene Stimmen ftellten vers 
fhiedene Forderungen an den Wirth, dazwiſchen fchallte Gelächter, 
lautes Jauchzen und der gellend gefungene Refrain eines hollän- 
difhen Volksliedes, das Jacob hundertmal gehört Hatte, nod 
immer «ber nicht verftand, weil die ungefchulten Sänger die ein⸗ 
zelnen Worte quetfchten und verſchluckten. 

Mehr als diefe ihm wohlbefannten obwohl ungern vernoms 
menen Laute feflelte ihn der harmontfhe Geſang eines fremdartig 
Mingenden Liedes, bad Träftige Männerfehlen anftlimmten, und 
das offenbar irgendwo tim Süden Europa's feine Heimath hatte, 
Diefer Gefang, dem aud Doris und Chriſtine verwundernd lauſch⸗ 
ten, kam jetzt ebenfalls näher. Man hörte deutlich Ruderſchläge, 
noch vergingen ein paar Secunden, dann ſchwiegen Die Sänger. 
Mellengeplätfcher ſchlug an die im Hafen Itegenden Fahrzeuge, 
eine Kette klirrte, Lachen, fremd tönende melodienreihe Worte 
hallten herauf, und endlich näherten fich fehnelle Schritte. Auch 
diefe neuen Ankömmlinge fliegen von der Straße her in ben 
Keller hinab. . 

Sofort mehrte fih der unten bereits tobende Lärm. Gläfer 
Hangen zufammen, die Verſammelten riefen jubelnd irgend Je— 
mand ein dreimaliges Lebehoih zu. Hierauf ward es wieder etwas 
ruhiger und die Familie Behnke vernahm Guitarrenfptel, zu dem 
eine fonore kräftige Männerftimme eine dem Ohre ſchmeichelnde 
Melodie fang. . 

Das find Spaniolen, th wette, ſprach Jacob, als der Sänger 
eine Pauſe machte und son einem lauten Hurrah der Webrigen 
für feine anmuthige Unterhaltung belohnt warb. Nach einem aber- 
maligen Zufammenflingen der Gläfer hob Spiel und Gefang von 
Neuem an, und fowohl die Beſucher bed Kellers wie die darüber 


— 14 — 


wohnende Familie hörten den wunderbar ſüßen Klängen des un« 
bekannten Sängers mit ſteigender Verwunderung zu. 

"Wer mag das wohl fein? unterbrach Jacob das allgemeine 
Schweigen, ald der Sänger abermals aufhörte. So lange ich hier 
wohne, babe ich dergleichen nicht vernommen. Spanifhe und por= 
tugiefifhe Matroſen gewöhnlichen Schlages pflegen zwar wentger im 
Trunk auszuſchweifen, ald Holländer, Dänen und Engländer, im 
Dortrage ſchlechter und ſchlecht gefungener. Lieder dagegen bleiben 
fie hinter feiner andern Nation zurüd, 

Chriſtine wollte etwas darauf erwidern, warb aber unter- 
broden, da der Gefang jebt zum dritten Male fih hören Tief. 
Am Ende erfholl das frühere Betfallsgefchrei unb ein noch un⸗ 
geſtümeres und anhaltenderes Gläſerklingen. 

Plötzlich ließen ſich eigenthümlich ſchnarxende Töne Hören, die 
unmittelbar ein lautes Lachen erregten; dann hörte man eine mo- 
notone, feelenlos klingende Stimme einzelne wentge Worte unbe- 
holfen ſprechen, als bemühe fih ein Papagei oder ein Staar ihm 
oft vorgefagte Worte mit ſchwerer Zunge nachzuſtammeln. Diefe 
feltfame Stimme wiederholte die Worte anfangs langſam, fpäter 
fihneller und betete fie endlih nad einem immer mehr fich beet- 
enden Tafte ber, als würden fie durch ein Uhrwerk hervorgebracht. 
Die Gäfte im Keller lachten Taut darüber. Jacob aber warb beim 
Anhören biefes immer unheimlicher klingenden Kollerns bald ernft, 
fein Geſicht verbüfterte fih, er legte die Pfeife weg. 

Das Klingt häßlich, meinte Chriſtine. 

Als ob ein Blödfinniger reden‘ lernen wollte, bemerkte bie 
Mutter, emfig die Nadeln an ihrem Strickſtrumpfe bewegend. 

Ich hab's, fagte Jacob. Es find Gaufler, vielleicht aus ber 
Gascogne, vielleicht au aus dem Baskenlande oder gar von Gra- 
nada her. Bor ein paar Tagen fhon hieß es, daß folh Volt 
mit einem fpantfhen Schiff hier eintreffen ſolle. Wahrſcheinlich 
tft einer oder der andere von der Gefellfhaft fhon früher einmal 
in Hamburg geweſen, hat bier Befanntfchaften gemadt und gibt 
nun vorläufig biefen Bekannten einige feiner Künfte zum Belten. 





— 15 — 


Ja, ja, fo wird's fein, ſetzte er beſtätigend und ſich ſelbſt beruhi⸗ 
gend hinzu. Da fängt der närriſche Spaß von Neuem an. Na, 
laßt fie machen. Schiffsvolk hat weder Sitte noch Bildung. Es 
muß auf feine eigene Art Vergnügen ſich ſchaffen, wenn es nicht 
vor Langeweile böfe Streihe machen fol. 

Sind es wirklich Gaukler, wie du fagft, Vater, bemerkte Chris 
ftine, fo könnten wir doch wohl aud einmal ihre Kunftjlüde zu 
Geſichte befommen. 

Wenn ſich's ſchickt, warum nicht, erwiderte troden der Vater. 
Mich dünkt indeg, wir befommen vorerit heute ſchon genug von 
diefen ausländtfchen Herrlichkeiten zu hören, und bamit wir morgen 
bei Zeiten wad find und die Kirche nicht verfäumen, halt’ ich es 
für's Befte, wir laſſen die unverbefferlihen Narren thun, was fie 
wollen, und fehen zu, daß und der Himmel einen riftlih er⸗ 
quidenden Schlaf ſchenkt. | 

Chriſtine Hätte gern noch eine Zeit lang dem Spiele zuge⸗ 
hört, das jebt wieder anhob, und wozu ein vierfiimmiger Gefang 
glodenrein angeftimmt ward, allein an unbedingten Gehorfam ge= 
wöhnt,. mußte fie fih dem Willen des Vaters ohne Widerrede fü- 
gen. Doch war das junge Mädchen in diefer Nacht nicht allein 
eine aufmerffame Zuhörerin der fremden Birtuofen, auch Jacob 
mußte bald auf die fihmelzenden Laute ihrer Lieder, bald wieder 
auf das unheimlich Elingende, monotone und feelenlofe Geſchwätz des 
fprehenden Vogels oder was es fonft fein mochte, hören. Mit 
dem feften Entſchluſſe, fhon am nächſten Morgen Nachfrage bei 
dem Kellerwirthe zu halten und über die wunderlihen Nachtſchwär— 
mer genauere Erfundigungen einzuziehen, fiel endlih der Quar- 
tiersmann nad langem Wachen in tiefen Schlummer, der ihn feſt 
hielt, bis ihn früh die dumpfen, hohlen Töne der Betglode vom 
St. Nicolaithurme wieder erwedten. 





— 16 — 


Bweites Kapitel. , 





% 


Don Alonſo Gomez. 


Etwas entfernt von den langen Reihen großer Seeſchiffe, 
welche innerhalb des fogenannten Schlengeld lagen, wiegte ſich auf 
dem fanft fluthenden Strome der Elbe ein zierlich gebauter Schoo- 
ner. Es war um die neunte Morgenfiunde. In der weichen kla⸗ 
ren Auguftluft ſchimmerte alles Tau- und Segelwerk, als fet es 
erit über Naht von unfichtbaren Geifterhänden erneuert worden. 
Auf allen Schiffen, welcher Nation fie angehören mochten, wehten 
Flaggen zur Feier des Sonntages. Auch der Schooner hatte feine 
Farben aufgehift und war jebt weithin als ein hamburgifches 
Schiff zu erkennen. 

Eben läutete die Glode in der Schiffskiche, als aus den 
Reihen der hoch emporragenden Schiffskörper eine Eleine Jolle 
in das bewegtere Wafler des Stromes ſchoß. Ein junger Mann 
in Matroſentracht, in jeder Hand ein Ruder, trieb gewandt und 
ſicher das kleine Fahrzeug quer durch den Strom. dem draußen 
liegenden Schooner zu. Als er noch etwa zwanzig Fuß vom 
Bord deſſelben entfernt ſein mochte, rief den Mann in der Jolle 
eine laute Stimme vom Hinterdeck des Schooners an. 

Bei meiner Mutter Augenbrauen, du biſt es! ſagte die 
Stimme, welche den Matroſen etwas unwirſch aufblicken machte. 
Wer hat dir erlaubt, Miguel, die ganze Nacht am Lande oder 
Gott weiß, wo ſonſt, zuzubringen? Ein Glück, daß der Capitain 
nichts von deinen Streichen wittert, ich fürchte ſonſt, er könnte dir 
die Schärpe, die ohnehin knapp genug um deine Hüften ſchließt, 
ſo eng zuſammenſchnüren, daß wir eine Ration Eſſen für einen 
Tag profitirten. 

Dieſe mit guter Laune in ſpaniſcher Sprache an den Matro- 
fen gerichteten Worte famen aus dem Munde des Steuermannes, 
der in ſchmucker Seemannstradt, ein rothfeidenes Tuh loſe um 
ben Hals gefchlungen, das vorn unter dem Kinne ein einfacher 








Yoldreif zufammenhielt, über die Schanzfleidung berabfah, Der 
Angeredete grüßte mürrifh, ließ die Jolle dicht an das Fallreep 
treiben, Eettete fie hier an und fprang dann behend, mie ein Gich- 
hörnchen, die fteil herabhängende Stiege hinauf an Bord des 
Schooners. 

Wo haſt du Don Alonſo gelaſſen und Maſter Papageno? 
fragte der Steuermann den flinken Burſchen, deſſen gedrungene, 
aber elaſtiſche Geſtalt Kraft und Gewandtheit verrieth, und deſſen 
Geſichtszüge und dunkles Haar die ſüdliche Abtunft nicht verläug⸗ 
nen konnten. 


Sie folgen mir Beide auf dem Fuße, erwiderte der Ma⸗ 


troſe. Sie waren noch nicht müde genug und mußten deßhalb 
noch einen kleinen Umweg machen. 

Hab's mir gedacht, daß es fo kommen würde, lachte der Steuer⸗ 
mann. Ich kenne das aus Erfahrung. Wer zwei Monate lang 
zur See geweſen iſt und allerhand Strapatzen durchgemacht hat, 
kennt, ſobald er wieder feſtes Land unter ſeinen Füßen fühlt, we⸗ 
der Zeit noch Stunde. Er muß toben, bis ihm vor Müdigkeit die 


Augen zufallen und die Glieder nicht mehr zuſammenhalten wollen. 


Noch während dieſer Auslaſſung erſchien zwiſchen den Reihen 
der Schiffe ein größeres Boot, von zwei Männern geführt, bie 
ebenfails mit langen Ruderſchlägen dem Schooner zuftrebten. 

MWahrhaftig, da kommen fie! fuhr der Steuermann fort, in- 
dem er feinen Pla auf dem Hinterded verließ und ſich der Mitte 
des Schiffes zuwendete. 

Guten Morgen, Don Alonſo, guten Morgen, Maſter! rief 
er heiter den beiden Ankömmlingen zu. Beſchleunigt Eure Schritte, 
damit ich beim Frühſtück erfahre, welch' ſeltſame Abenteuer Ihr in 
der erſten Nacht erlebt habt, die Ihr auf deutſchem Boden zu— 
bringt? — Wie gefällt Euch Hamburg? Iſt's nicht ein Ort, wo 
fih’8 vortrefflich leben läßt, und Hat der Achte hamburger Junge 
wohl Recht, wenn er voll Selbftbewußtfein .und den Kopf ftolz in 
den Naden werfend ausruft: „Dat gift man een Hamborg in 


D. B. XI, Willkomm's Nheber und Matroſe. 2 





— 18 — 


Während dieſer in heiterſter Stimmung und mit einem ge— 
wiſſen Uebermuth geſprochenen Worte waren die beiden jungen 
Männer an Bord gekommen und folgten dem Steuermanne in 
die Cajüte, wo ſchon ein Frühſtück bereit ſtand. Don Alonſo Go— 
mez ſtammte aus Mexiko, war reich und unabhängig und beſuchte 
Europa nur zu ſeinem Vergnügen. Der junge Mexikaner, der 
einer altſpaniſchen Familie angehörte, die ſeit der Eroberung in 
Mexiko begütert war, konnte für einen ſchönen Mann gelten. Hoch 
von Wuchs, von edler Geſichtsbildung, feurigen Auges und dabei 
eleganter Tournure, hatte die Natur ihn auch noch mit einer un— 
vergleichlihen Tenorſtimme und der anmuthigen Gabe des Gefan- 
ges ausgerüftet. Hätte Don Alonfo tm Mittelalter gelebt, fo 
würde er ohne Zweifel ein Troubadour geworden fein. In ſei⸗ 
nem paradieſiſchen Vaterlande und beſonders in der Stadt, die ihn 
geboren, lebte keine ſchöne Sennora und Sennorita, welche die 
Stimme Don Alonſo's und ſein meiſterhaftes Guitarrenſpiel nicht 
kannte. Der lebhafte junge Herr war Virtuoſe im Spiel wie in 
der Improviſation, und wäre er weniger flatterhaft, weniger ge⸗ 
nußſüchtig geweſen, und hätte nicht immer neuen Reizen oder pi— 
kanten Abenteuern nachgejagt, ſo würde er längſt ſchon das ſchönſte 
Mädchen Mexiko's als Gattin heimgeführt haben. Don Alonſo 
Gomez aber liebte den Wechſel, die Veränderung. Zu mannid- 
fah konnte fih der Genuß des Lebens für ihn nie geftalten. Er 
bedauerte nur den gebrechlichen Bau des menſchlichen Körpers, der 
nicht jegliche Laft ertragen kann und unter Tortgefegten Genüfjen 
oft vor der Zeit zufammenbridt. 

Diefer unbändige, von frühefter Jugend auf durch eine nur 
zu nachſichtige Erziehung genährte Hang nad unbegrenztem Ge— 
nuffe trieb den jungen und begüterten Dann von Sand zu Land. 
In Teras hatte er kurze Zeit eine Pflanzung befeflen, weil ihm 
aber der Verkehr mit Sklaven, die er nicht entbehren Tonnte, zu= 
wider war, veräußerte er fie fehr bald wieder. Darauf ging Don 
Alonfo nah New Orleans, wo die fhönen, zarten, graziöfen und 
üppigen Greolinnen ihn ein ganzes Jahr lang feſſelten. Gine 








diefer unwiderftehlichen Sirenen flößte ihm fogar eine fehr ernft= 
hafte Neigung ein, und vielleicht wäre e8 der glüdlihen Zauberin 
wirklich gelungen, den flatterhaften Meritaner für immer an fid 
zu fetten, hätte Died immer flärker und inniger fich geitaltende 
Herzensbündnißg nicht die Geißel der Louifiana, das furchtbare gelbe 
Fieber für immer gelöft. Don Alonſo's Geltebte ftarb an ber 
ſchrecklichen Seuche und der fo plöblih aus allen Himmeln ge= 
flürzte Mexikaner floh aus New-Orleans, ald würde er von ben 
Furien verfolgt. Er rettete ſich, nur von ſeinem treuen Diener, 
Maſter Papageno, begleitet, den er ſchon aus Mexiko mit nach 
Texas gebracht hatte, auf das Schiff eines hamburgiſchen Capi— 
tains, das fegelfertig im Hafen lag, und trat, fhnell entſchloſſen, 
leichtblütig und aud das lebte trübe Ereigniß raſch vergeffend, 
voll neuer Hoffnungen und Erwartungen eine Reife nah Europa an. 

Mafter Papageno, wie fein Herr ihn fiherzweife nannte, war 
ein Mulatte mit nicht eben ſehr einnehmenden Gefichtszügen. Ei— 
nige Jahre älter als fein glüdlicher Gebieter, fügte er fih doch 
mit ſklaviſcher Unterwürfigfett in alle Launen defjelben, und lieh 
nur zu oft Unternehmungen feinen Beiftand, die befjer unterblie- 
ben wären. Den Namen Papageno hatte Don Alonfo ihm deß- 
halb beigelegt, weil der Mulatte fih am liebſten in ſchreiend bunte, 
‚ gewöhnlih nicht mit einander harmonirende Farben Eleidete. Er 
trug feuerfarbene, weite Beinkleiver, gelbe Stiefel, eine himmel: 
blaue Jade, die Hüften umwand eine breite ſchwefelgelbe Schärpe 
und auf feinem dicken, wolligen Haare faß zum Meberfluffe nod 
der breitrandige Sombrero der Andalufier mit zwei fehr großen 
Mofetten an Kopf und Rand. 

Diefe beiden Fremdlinge faßen jet dem Steuermanne in ber 
Cajüte des Schooners gegenüber, um’ den guten Dingen zuzufpre- 
hen, welche der Schiffskoch für fie aufgetragen hatte. Der Steuer- 
mann Andreas, ein hamburger Kind, das früh die Aeltern ver- 
Ioren hatte und fchon fett feinem vierzehnten Jahre zur See gegangen 
war, lachte unmäßig über die luſtigen Erzählungen feines muntern 
Gaſtes. 

2* 





— 20 — 


Und wo habt Ihr denn all dies dumme Zeug angegeben? 
fragte Andreas. 

Da fragt Miguel, den widerſpenſtigen Schlingel, verſetzte der 
Mexikaner. Welcher ehrlichen Mutter Kind mag die gräßlich klin— 
genden Namen ausſprechen und welches Gedächtniß mag fie behal- 
ten können, die Ihr närrifhen Deutſchen erfonnen habt! Sch habe 
mich ganz himmliſch unterhalten, und das genügte mir. Die Ge— 
jelfhaft, in die ung ein paar andere durſtige Matrofen von ber 
Nation John Bulls führten, war allerdings nicht die feinfte — 
wenigſtens geht es in den Tertultas Mexiko's vornehmer und getft- 
reicher ber — aber das fümmert mid wenig. Die Leute vergaßen 
ihren Grog, wenn ih meine Guitarre erklingen ließ und eins 
meiner ihnen gänzlih unverftändlichen Liedchen anftimmte, die auf 
den durchfichtigen Wangen der fchönen Greolinnen in New-Orleang 
immer die Föftlihften Rofen der Schaam oder DVerlegenheit erblü- 
hen madten, woburd fie nur noch an Liebreiz gewannen. Zur 
Abwechſelung mußte dann noh Mafter Papageno ſchnarren, was 
er ja meiſterhaft veriteht, und Miguel, der fich feit Kurzem auf 
die Bauchredneret gelegt hat, ſprach dazwiſchen wie ein Papagei, 
ber das Reden gern lernen möchte, was das verfammelte halbtrun= 
fene Schiffsvolk beinahe toll machte. Denn fie glaubten fleif und 
feſt mit ſammt dem feiften und nicht fehr Hugen Wirthe, einer 
von ung trüge ein derartiges nachahmendes Thier in fetner Klei- 
bung verborgen. Um nun aber dem Spaße die Krone aufzuſetzen, 
gab ich Mafter Papageno einen Win. Auf unferm erften Streif- 
zuge den Hafen entlang hatte ich einen ſchwarzen Vogel, vermuth- 
lich eine Dohle, vor einem Haufe in geräumigem Käfig hängen 
fehen. Das Thier machte mich lachen und fah gerade fo aus in 
feiner Vogeldummheit, als müfle es teden können, wenn man ihm 
vernünftig vorſpräche. Maſter Papageno verſtand mid, ging fort 
und fam ſchon nad zehn Minuten zurüd, das glüdlih entführte 
Thier in feinen weiten Beinkleibern verbergend. Nun fing der 
Spaß von Neuem an und da inzwifhen die ganze Gejellihaft, 
bie uns zubörte, in jenen feligen Zuftand verfegt worden war, wo 











— A — 


der Menſch alles Leid vergißt und jeden Gegenſtand doppelt oder 
auch gar nicht mehr ſieht, ließ Maſter Papageno bei einer aber—⸗ 
maligen Kunſtleiſtung Miguels den ſchwarzen Vogel auf den Tiſch 
ſpringen. Alle wollten ihn ſehen, betaſten, angreifen. Das Thier 


ward aber desperat; es ſchlug mit den Flügeln, denen die Schwung⸗ 


federn fehlten, es krähte, kreiſchte und hackte mit dem Schnabel, 
als ſei es vom lebendigen Teufel beſeſſen, und als doch endlich ein 
paar derbe Fäuſte fi des widerſpenſtigen Vogels bemächtigten und 
ihn nun mit Gewalt zum Sprechen bewegen wollten, hielt ich es 
für gerathen, ganz geräuſchlos den Rüdzug anzutreten. - Wahr- 
fheinlih Haben fie dem wild gewordenen Thiere in ihrem Eifer 
den Hals umgedreht, aber das thut nichts. Ich Habe mich göttlich 
unterhalten und bin mit Vivats und Hurrahs und anderen Aeuße⸗ 
rungen des Entzückens geehrt worden wie ein Fürft. 

Andreas fiel abermals in fein ausgelafienes Lahen. Nimm 
bih in Acht, Freund Alonfo, fagte er, den Finger warnend gegen 
thn erhebend. Du haft von Glück zu fagen, daß die heilige Her⸗ 
mandab meiner guten Vaterſtadt nicht aufmerkfam geworben tft 
auf deine und Mafter Papageno's Tafchenfpielerfunftftüde. Hätte 
fie Euch bet der Entführung des armen Vogels ertappt, fo wür⸗ 
det Ihr jetzt Hinter ſchwediſchen Gardinen fiten und Euch recht Ieb- 
haft in Euer fonnenwarmes Vaterland zurüdverfehen können. 

Wo bleibt denn aber Miguel? fragte jetzt Don Alonfo, der 
die leßte Bemerfung des Steuermannes nicht, der Beachtung werth 
hielt. Der Burſche fängt an, auffäßig zu werben. Weshalb das? 

Weil er es nicht vertragen kann, ſich von feines Gleichen wie 
einen Knecht behandelt zu fehen, verfekte Andreas. 

Was frage ih danach, fagte Don Alonfo mit ber ganzen 
unnachahmlichen Erhabenheit eines Htdalgo von altkafttliihem Blute. 
Er tft der einzige unter den Matrofen, mit dem ich mich ungentrt 
unterhalten Tann. Ich bin nicht karg gegen ihn; im Gegentheil, 
er befommt viele und bedeutende Gefchente von mir, Dafür Tann 
er fih doch wohl auch meinen Launen und Neigungen fügen? 

Kann? Gewiß, aber er will nun einmal nicht. 


— 22 — | 


Und ich fage dir, Sreund, er foll es! rief trogig Don Alonfo. 

Sei vorfihtig und verlege feinen Stolz nid. 

Wie Tann ein faum zum Matrofen aufgeftiegener Gajüten- 
junge Stolz befiten, warf verächtlih der Merifaner ein. 

Er Tann nicht blog, er muß e8 fogar, erwiderte in erniterem 
fühlen Tone Andreas dem hocfahrenden Don. Wir Alle, die 
wir und dem Seewefen widmen, waren einft Gajütenjungen. Unfer 
Stolz befteht gerade darin, daß wir von unten auf gedient, daß 
wir ung Feiner Arbeit, keiner Dienftleiftung gefhäamt haben, um 
ung durch Gehorfam, durch Bekämpfung unferes Willens, vielleicht 
auch unſeres Eigenwillens und Dünkels, würdig zu machen einer 
höheren Stellung. Auf den zahliofen Schiffen, welche Deutfchlande 
Kaufmannfhaft in alle Weltgegenden entfendet, lebt auch nicht 
ein einziger Gapitain, der nicht aus eigener Erfahrung wüßte, wie 
es einem Shiffsjungen in feiner Haut zu Muthe wäre. Diefe 
jegensreiche, weiſe Einrichtung bildet die beften, zuverläffigften See— 
leute, und da man durchaus auf Schiffen feinen Unterſchied macht 
zwiihen Söhnen reicher, vornehmer und armer, dem Volle ange- 
hörender Aeltern, fo tft von ſelbſt aller Meberhebung der Geburt 
und des Glüdes ein Damm gebaut. Es Tennt Jeder feine Pflicht 
und thut fie gern, darum darf auch ein Gajütenjunge ftolz fein, 
er hat es aber eben fo wenig ald der Matrofe nöthig, fih von 
übermütbigen Pafjagteren hudeln zu laſſen. Ä 

O, über Euch deutihe Pedanten! lachte der Mexikaner. Da 
befomme ich gleich eine ganze Abhandlung über Moral-Philofophie 
zu hören, die, offen geftanden, außer meiner Begriffefähigfeit liegt. 
Nun, immerhin! Bleibt nur fo gefebesfromm, fo Eeinlich-geredht 
und Ihr werdet Euch ftets den Ruf des ehrlichſten Volkes auf 
Erden bewahren, von allen übrigen Nationen aber verdientermaßen 
hinterrücks ausgeladht werben. 

Wohl möglich, verfeßte troden der Steuermann, die mexika⸗ 
nifche Nation würde jedoch unter diefen Lachern fehlen dürfen. 
Ich wüßte wenigftens nicht, was fie bereditigen Könnte, ſich der⸗ 
. geftalt zu überheben. 


— 233 — 


Aus Don Alonſo's ſchwarzen Augen fiel ein Blick auf An- 
dreas, der wie blauer Stahl funfelte. 

Es iſt ſchon gut, fagte. der lebensluftige junge Mann. Ich 
fenne jebt deine Anfiht und will, da ic ja gewiſſermaßen nur 
ein Gaft auf diefem Bretterbau bin, fo gut ich vermag, in Eure 
bier zu Lande giftigen Gefege und Eure ftreng tugendhaften Ge- 
bräuche mich ſchicken, das heißt, jeßte er Teichtfertig- lachend Hinzu, 
jo lange ih an Bord dieſes ſchnell fegelnden Schooners weile. 
Was drüben am Lande gefchieht und innerhalb der Straßen dei— 
ner ohne Zweifel ebenfalls außerordentlich tugendhaften Vaterſtadt, 
wird ganz allein vor meinen eigenen, nad mexikaniſchem Zufchnitt 
erbauten, Richterftuhl gezogen. 

Andreas reichte dem übermüthtgen Paſſagiere gutmüthig bie 
Hand. 

Es wird dir Niemand Hinderlih fein, dich zu vergnügen 
wie du magft und Fannft, fagte er, nur bier auf dem Schiffe fet 
ein wenig vorfihtig und den Miguel laſſe — ich bitte dich da— 
rum — tin Ruhe! Er ſteht nicht in deinem Dienfte. Außerdem ift 
der Burfche ehrgeizig und, wie th weiß, von guter Familie. Du 
wirft demnach einfehen, daß es ihm über die Maßen ärgerlich fein 
muß, fih von dir behandelt zu fehen, als ſei er ein Farbiger. 

Ich verjprehe dir, Miguel’s mir unbefannte, vornehme Ab: 
ftammung von jet an vollkommen zu refpectiren, betheuerte mit 
fomifhem Ernft Don Alonfo. Seht aber laß und einen würdi— 
geren Gefprächsgegenftand wählen, fuhr der Merifaner fort, in- 
dem er dem Mulatten einen Wink gab fi zu entfernen. Noch 
bin ich unentfchloffen, ob ich hier bleiben, weiter landeinwärts 
reifen oder je eher je lieber wieder umkehren fol. Es tft gegen— 
wärtig Hochſommer bei Euch, wie du ſagſt, und wirklich hat es 
den Anfchein, als könne die Sonne Wärme von fi geben, vor- 
ausgefeht, daß dieſe merkwürdig intereflanten grauen Schleter, 
Wolken oder Nebel genannt, die fich bereits jebt wieder zeigen, 
ven fhönen Feuerball nicht in ihren feuchtfalten Händen abkühlen. 
Die Stadt, die ich freilich noch nicht Kenne, ſcheint verſchiedene 


— 24 — 

intereſſante Seiten zu haben, ſchön gebaut aber iſt ſie nicht, we— 
nigſtens konnte mir das, was id bisher davon ſah, wenig ge— 
fallen. Eine Entdefung nur hat meine Neugierde rege gemacht. 
Ich finde nämlih, daß in diefer feucht-fühlen Sonnen-Nebel-Luft 
— denn nur jo fann ich dieſe unbejchreibliche Atmosphäre an= 
nähernd richtig bezeichnen — das weibliche Geſchlecht vortrefflich 
gedeiht. Bisher kannte ich nur bräunlich angehaudte Evastöchter 
oder zarte weiße Rofen, hier habe ich zuerft Eöftlih blühende Cen— 
tifolten flüchtig geftreift, und fo denke ih denn, es müßte für 
mic, unbedingt und für das bier einheimifche Gewächs bedingungs— 
weiſe recht interefjant fein, wenn der Sohn der Gröfcholle, die 
einft das Reich der Azteken trug, fih auf das Studium der Cen— 
tifolten legte, welde in deutſcher Erde jo merkwürdig gut zu ges 
beihen ſcheinen. Was meinft du dazu, Andreas? 

Du biit ein unverbefjerliher Bonvivant, verfehte der Steuer- 
mann, 

Soll ich bleiben oder gehen? fragte der Mexikaner nochmals. 

Ich will dir einen Vorſchlag machen. 

Laß hören. 

Verſuch's auf vier Wochen, auf einen vollen Monat. Die 
fhöne Jahreszeit, die deinem verwöhnten Leibe freilich nicht ganz 
zufagt, erlaubt dir, Stadt und Umgegend genügend kennen zu 
lernen. Bei deinen Mitteln wird es dir nicht fehlen, alsbald 
Belanntfchaften zu machen. Der Gonful deines Landes, der ja 
zugleih aud dein Banquier iſt, wird did in die Gefellfchaft ein- 
führen. Du verſtehſt dich zu präfentiven, du weißt zu leben, bu 
bift mit einem Worte einer von den nihtswürdigen Gaunern, die 
mit ihrer bezaubernden Liebenswürdigkeit das größte Recht haben, 
fi) den Eroberern, den conquistadores, hetzuzählen. Nur Eins 
bitte th mir aus: laß dich felbft nicht etwa erobern! Wir Ham- 
burger find ein handeltreibend Volk, und unfere rofigen Schönen, 
mein lieber brauner Conquiſtadore aus dem Thale Tenochtitlan, 
unfere Schönen find tn der Kunft des Speculirens oft unfern 
feinft organtfirten Börfenfpeculanten noch voraus. 

















— 25 — 


Edler, braver Andreas, es ſei, wie dein von Weisheit Übers 
firömender Mund geiprochen hat! rief pathetifh der Merifaner, 
dem Steuermann feine ſchön geformte, Fleine Hand hinreichend, 
Jetzt, waderer Freund, will ich fürerfi in meine Koje kriechen, 
denn meine Augenbrauen find ſchwer, wie die Blätter der DBa- 
‚ nane, wenn ein Tornado fic beugt. Habe ich mich durch, ich 
hoffe, einen langen, von den ſüßeſten Träumen umgaufelten 
Schlummer vollfommen geftärtt, will ich einige Sorgfalt auf die _ 
Auftafelung dieſes Fahrzeuges, das man Körper nennt, verwen- 
den, in aller Ehrerbietung den Schooner verlaflen und ein Hotel 
beziehen. Wo wohnt man bei Euch gut, nobel, fein, elegant 
und theuer? 

Das Alles, fehr freigebiger Don Alonfo Gomez, findet man 
in vorzüglichfter Qualität, zur „alten Stadt London” am Jungs 
fernftteg. 

Was? Wie heißt die Strafe? 

Jungfernſtieg, Usted, wiederholte Andreas. Und das mit 
Recht. Es gibt Feine zweite Stadt In Deutfchland, wo für bie 
fein geformten Füßchen fchöner fittfamer Jungfrauen ein präd- 
tigerer Spazierweg von den welfen Vätern der Stadt angelegt 
worden wäre, als unfern Jungfernftieg! Was vornehm, reich, ele- 
gant, fremd, ſchön und — kokett iſt, das wandelt bei Sonnen- 
fhein und Sternenliht unter den fäufelnden Linden des Jungfern- 
ſtiegs, treibt Sternguderei, lechzt nad Lebensgenuß, gebt auf 
fügen Raub aus und läßt fi zuweilen von Raubrittern, welche 
als Bavaliere feinfter Bildung auftreten, auch fangen ! 

Bei der ſüßen Seele meiner Mutter, das tft ja der Ein- 
gang zum Paradiefe! rief entzüdt Don Alonfo Gomez. Höre 
auf, ich bitte dich, fonft verfheuhft du mir die hold nidenden 
Benien des Schlafed und ich bin genöthigt, ald Halb wacher 
Träumer die Schwelle des Paradtefes zu betreten. Es tft ent- 
fieden, die „alte Stadt London” fol der Palaft fein, welchem 
die hohe Ehre widerfahren wird, einen Urenkel der Conquiſtadoren 
und einen etwas entfernten Verwandten des längſt im Schooße 


— 26 — 


ſeiner treuloſen Götter ruhenden Montezuma zu beherbergen. Auf 
Wiederſehen am Jungfernſtiege! | 

Ein fpanifches Lied leiſe ſummend, begab fih Don Gomez 
in jeine Koje, Andreas aber ftieg wieder auf das Hinterdeck und 
überließ fih, Hier gemüthlih auf- und abgehend, feinen Gedan- 
fen, 518 das Boot des Capitains, das den Rheder trug, an dem 
Fallreep anlegte und ihn nöthigte, aus dem Reiche bunter Phan- 
tafteen in Die profatfche Wirklichkeit zurüdzufehren. 


Drittes Kapitel. 


Am Tungfernftieg. 


Unter den ſchattenden Linden am alten Jungfernſtiege flu- 
thete ein Strom elegant gekleideter Spaziergänger auf und nieder. 
Das prächtige Alfterbaffin, von einem weichen Südweſt faum be- 
wegt, glänzte jo blau, wie ein tiefer Gebirgsfee, und enthüllte 
jegt im Strahl einer warmen Auguftfonne all feine Zauberretze. 
Zahlreihe Schwäne glitten ſtolz und lautlos über das flimmernde 
breite Waſſerbecken. Zterlih gebaute Nahen mit weißen Segeln 
und rothen Flaggen durchkreuzten die fanft fih kräuſelnden Wel- 
len nad allen Richtungen. Cine Anzahl langer Ruderboote, biefe 
von vier, jene von fehs behenden jungen Männern in leichter, 
bequemer Matrofentracht raſch vorwärts getrieben, verſchwanden un- 
ter der Lombarbsbrüde, um auf ber breiteren Waflerflähe der Au-. 
Benalfter fih im Wettrudern zu üben. 

Aus den Pavillons am Jungfernſtiege hallte Muſik. Hier 
wimmelte es von Gäſten, die großenthetls im reiten unter ben 
Vorbauen faßen, um an dem fröhlich belebten Bilde, das mit je- 
der Minute neu fich geftaltete und das veizendite Kaleidoffop gro= 
pen Weltlebens entrollte, ſich zu weiden. 








— 27 — 


Das Gewühl auf dieſer ſchönſten und darum beſuchteſten Pro⸗ 
menade Hamburgs ward immer dichter, die hin und wieder rol⸗ 
lenden Karoſſen reicher Kaufleute, die in's Theater fuhren, die 
zahlreichen eleganten Droſchken, die glänzenden Equipagen vorneh⸗— 
mer und begüterter Fremden, welhe einige Zeit in ben berühm= 
teften Hoteld am Jungfernitiege Wohnung genommen hatten, mehr- 
ten ſich von Viertelftunde zu Biertelftunde. 

Bet Caffe und Gigarre fahen dieſem unterhaltenden Treiben 
eine Anzahl noch fehr junger Männer zu, die Im Innern des Als 
ſterpavillons an einem ber Tiſche in der Nähe der geöfineten Sen- 
fter fih zufammengefunden hatten. Sehr elegant und ganz nad 
ber neueften Mode gekleidet, ſah man es ihnen an, daß fie big 
jegt nur die heitere Seite des Lebens hatten kennen gelernt. Uns 
gentrt in ihrem Auftreten, etwas herausfordernd Taut, verriet ihr 
ganzes Weſen den Träftigen Freimuth, den ſtolzen Unabhängigkeits— 
finn, welcher den eingeborenen Hamburger kennzeichnet und der bis⸗ 
weilen fogar auffallen Tann, wenn er die Grenzen feiner Sitte 
achtlos überfpringt. Alle trugen ben wohlgebürfteten feinen Cy— 
Iinder, in dem fih nun einmal leider der europäiſche Geſchmack 
verbiffen zu haben ſcheint, auf dem Kopfe, der Eine ihn etwas 
teder als der Andere entweder in die Stirn oder in den Naden 
rückend. 

Die Meiſten laſen oder blätterten vielmehr in den auf dem 
Tifhe liegenden Tageblättern und Zeitungen, ohne fih dadurch in 
ihrem ſehr Laut geführten Geſpräche oder in ihren Beobachtungen 
fiören zu iaſſen. 

Künftigen Sonntag gibt es ja ein höchſt ſplendides Diner 
auf Heidenfrei's Landſitze, ſprach Einer der jungen Männer, ſich 
eine Cigarre anzündend. Hat Einer von Euch das hohe Glück, 
eingeladen worden zu ſein? 

Fängt Heidenfrei auch an zu traktiren? erwiderte ein Ande⸗ 
rer. Wie kommt der dazu? 

Mein Gott, Julius, fagte der Erſtere, ſtellſt du dich doch un⸗ 
ſchuldig, wie ein neugeborenes Kind! Gr muß, wenn er auch 





fein fonderlih großes Behagen daran findet. Seine Kinder find 
feit vorigen Winter in die große Geſellſchaft getreten, was freilich 
die höchite Zeit war, denn die reizende kleine Eliſabeth tft über 
fiebenzehn Jahre alt und, wenn mir ein Urtheil zufteht, eins der 
ſchönſten Mädchen, die jemals tn unferm guten Hamburg ſeidene 
Schuhe getragen haben. Nun, und die Söhne brauden’s, Ihr 
wißt, weßhalb. 

Freilich, fiel ein Dritter, den man Anton nannte, ein, bie 
Söhne müfjen wieder europätfche Sitten: lernen. 


Das wird ſchwer halten, fagte Kurt. Das Leben an der 
Meftfüfte Amerika's und fpäter am Golf von Merito hat ihnen 
jo gut gefallen, daß fie es Tächerlich, thöricht finden, unfere lieben 
vaterſtädtiſchen Gebräuche wieder In ihrer ganzen köſtlichen Unver- 
fälſchtheit anzunehmen. 

Alfo der Zopf gefällt ihnen nicht mehr? entgegnete Julius 
heiter lachend. Iſt er ihnen oben zu did und unten zu ſpitz, ober 
haben fie blos an der Fabrikation oder etwa an der Anwendung, 
bie man davon madıt, etwas auszufegen? 


Du Haft gut fpotten, meinte Kurt, ehrlich gefprochen aber 
dauern mich die guten Jungen. Ihr wißt, fuhr er zu den Uebri- 
gen gewandt fort, die mit Aufmerkſamkeit zuhörten, gefchetbt, pfiffig, 
unternehmend find die Heidenfrei's alle. Das haben die Söhne vom 
Alten fo gut ererbt, wie feinen Hang zum Sparen, was Viele 
Geiz nennen, und feine Abneigung gegen alles prunfende Auftre- 


‚ ten. Die frete perfönliche Bewegung aber, die man uns hier nicht 


nad allen Seiten hin geftattet, am wentgften dann, wenn Zamilten- 
intereffen dabei mit in’s Sptel fommen, brachten fie als eine neue 
Errungenfhaft aus Amerika zurüd und mit diefer ſtoßen fie zum 
Verdruß des Alten und zum Leidweſen ihrer Mutter und Tanten 
gar zu oft an, 

Der Argfte Verſtoß gegen die heimifche Sitte, fiel Anton ein, 
mag wohl die Hulbigung fein, welche Ferdinand einem Fleinen 


. obfeuren Mädchen barbringt, das vor Kurzem als Gefellfchafterin 


— 129 — 


in das Heidenfrei'ſche Haus gekommen fit, von guter Geburt, fet= 
ner Bildung, fehr hübſch, aber Leider blutarm fein foll, 

Man ſpricht davon, verfegte Julius, doch möchte ich rathen, 
etwas vorfichtig mit der Verbreitung diefes Gerüchtes zu fein. Ul⸗ 
rife ift ein befcheidenes, feines und ſchönes Kind, das fchwerlich 
daran denkt, einen ſolchen Goldfifch zu fangen, und Ferdinand wird 
eher feine Geburtsfladt für immer verlaffen, als dem entſchieden 
ausgefprohenen Willen feines Vaters zuwider handeln. Uber was 
geht da vor? Seht, die Menfchen drängen fi ja wie toll in den 
Thorweg zur „alten Stadt London!“ 

Die jungen Leute fanden auf, machten lange Hälfe und fa- 
hen neugierig, wie hundert Andere, nad der Pforte des berühm- 
ten Hotels, vor welcher einige Drojchlen neben einer Equipage mit 
goldbetreßtem Bedienten und Kutſcher hielt. 

Was wird es fein, fagte Julius, wieder bequem auf feinem 
Seffel Platz nehmend. Die Prinzeffin aus Mohrenland — oder 
war fie vielleicht aus dem Pfefferlande? — mit den merkwürdigen 
braunen Wangen, der Heinen breiten Nafe, den kurzen rothen Lip⸗ 
pen, die immer ihre weißen Perlenzähne — Gediß wäre richtiger — 
fehen läßt, und die, wenn fie vecht glänzende Toilette ge= 
macht Bat, ein Meffing- Diadem mit Pfauenfedern trägt, wird in 
bie Oper fahren. Hört fie dann die Föftliche Arte fingen: „Dies 
Bildniß tft bezaubernd ſchön“, fo fpringt ihr krummbeiniger Kam⸗ 
merdiener mit dem Affengefiht herbei und hält der Mohrenprin- 
zeffin einen Spiegel vor, damit fie glaubt, fie, die herrliche, ſei 
gemeint. 

Anton lachte laut auf. Jetzt kommt der wieder in fein Fahr⸗ 
wafler! fagte der junge Mann. Wann wirft du denn endlich ’mal 
anfangen Deine Phantafie zu zügeln und Dönchens in die Welt 
zu feben, die der .. 2... . nachdruckt? 

So lange ih mich dabet amufire, erwiderte mit ſtoiſchem 
Bleihmuth der Gefragte. Indeß mögt Ihr fagen, was Ihr wollt, 
etwas Ungewöhnliches geht doch vor in dem Hotel, defien Rein- 
ertrag ich jährlich als Tafchengeld einftreihen möchte, Geht hin! 





— — —— — — — nn 


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— 30 — 
Die Menge weicht zurüd; und zeigt feine Mohrenprinzeffin- ihr 
verzauberndes Antlig, fo iſtss — ih wette — eine Tänzerin oder 
ein im Schmud, aller feiner hohen Orden flolz einhergehender frem- 
der General. Perſonen folder Art Lieben wir Hamburger vom — 
Anfehen und fo lange fie flott Geld bet uns aufgehen laſſen. 

Der dichte Menſchenknäuel öffnete ſich jegt wirklich, um zwei 
ſchlanke junge Männer durchzulaffen, die beide fremdländiſch, doch 
nicht gerade ſehr auffallend gekleidet gingen. Nur die feinen, von 
bunter Seide gefertigten beutelartigen Mützen, die der breitrandige 
äußerſt Eleidfame Sombrero nicht ganz den Blicken der Neugierigen 
entzog, machte die Fremden zum Gegenftand der allgemeinen Auf: 
merkſamkeit. | | 

Ah, der reiche fpanifche Herr mit feinem Factotum! ſprach 
Julius, gelaffen den Reft feines Caffee's ſchlürfend. Was mag 
dieſen Nabob wohl hierher getrieben haben? 

Man fieht ihn erſt feit drei Tagen, ermwiderte Kurt. Deutſch 
veriteht er wenig, aber zu leben weiß er. Man fagt, er habe die 
halbe Etage des Hoteld zu miethen gewünſcht, obwohl er außer 
dem Mulatten, der ihm ftetS feinen Klimperkaſten nachſchleppen 
muß, keine Seele mitgebradht Hat. 

Was fümmert und das, fiel Anton ein. Hat er Geld, fo 
fommt es unferer Bevölkerung zu Gute, wenn er recht viele Pia— 
fter und Unzen ausftreut. Wohl aber möchte ich willen, ob er 
von hoher Abkunft ift, ob er hier DVerbindungen befigt und bie 
Ausficht hat, ein Mann der Gefellfchaft zu werden. Ihr begreift, 
feßte er mit bedeutungsvollem Augenmwinf hinzu, diefe Frage tft 
von hoher gefellichafterfhütternder Wichtigkeit. Es Iaffen fih fogar 
Gedanken an Revolution und anderes Unheil mehr daran Tnüpfen. 

Welch Glück, daß du nod keine Braut haft! lachte Kurt. 

Mir ganz aus dem Herzen geiprohen, fagte Anton. Ich 
fann mir für einen jungen Mann, welder das Bebürfnig fühlt, 
die Welt kennen zu lernen, was allein wieder nur durch den Ge⸗ 
nuß der größten perfünlichen Freiheit zu erreichen if, nichts Schreck⸗ 
licheres denken, als jo ein Mofa angelaufenes, ſchön verjhlungenes 








— 31 — 


Hemmteettchen, das zwei weiße Händchen handhaben und, ſoll's ganz 
erftaunlich ſchlimm werben, mit unfihtbaren Häkchen tief in fein 
Herz einfenken. Sagt mir, mie in aller Welt kann ein junger 
Mann folh ein Verhältniß ertragen! Entweder muß er in Unter- 
würfigfeit, Zärtlichkeit und GSittfamfelt zu Grunde gehen oder das 
nicht minder betrübende Schickſal, ein Herzensbrecher und Unheil- 
ftifter zu werden, ereilt ihn unausbleiblih. Verlieben foll man 
fih, das unterliegt gar feinem Zweifel, die Liebe hübfcher, frifcher, 
junger Kinder muß fih aber nie bis zu der unheilbaren Leiden— 
haft erheben, welche man in der bürgerlihen Welt Verlöbniß 
nennt. Sollte ih mid je entichließen, in den höchſt ehrenwerthen 
und rejpectabeln Bräutigamsftand zu treten, fo gefchieht es erit 
dann, wenn ich eine fichtbare Glatze habe. Meine dann ohne 
Trage höchſt glüdliche Braut — denn ich werde ein muflerhaft 
folider und treu ergebener Verlobter fein — mag diefe Lichte Stelle 
auf meinem Haupte mit goldenen Maſchen zudeden. So leben 
wir ficherlih wie die Kinder. 

Der will richtig fegeln, unterbrah Julius den gefhmwäßigen 
Anton, deflen Auslaffungen über Brautftand, Xiche und Ehe von 
den Freunden wenig beachtet worden waren. Gin hübfcher Junge 
is, mag man fagen, was man will. Wie köftlich ſteht ihm die 
bandbreite feidene Schärpe, und wie keck und fiegesgewiß blidt er 
um ſich! 

Fürwahr, ein gefährlicher Patron! meinte Kurt. Wir müſſen 
ung doch etwas genauer nad ihm erfundigen. Lohnt es der Mühe, 
jo jheint ex mir der Mann zu fein, der lieber drei Freunde mehr 
fih zulegt, als einen verliert. 

Du meinſt wahrfheinlih Freundinnen, fiel Anton ein. 

Da fliegt der Nachen über die Wellen, rief Julius aus. 
Still, Freunde, nicht mehr gefcherzt! Der verbammte Fremdling 
fteuert wie ein geſchulter Lootſe. Und fein brauner Kerl von einem 
Diener hat au ſchon mehr als ein Segel aufgehigt. 

Wirklich handhabte der Fremde das Steuer mit feltener Fer⸗ 
tigkeit und verftand das leichte Fahrzeug bei der nur geringen 





— 31 —. 
Luftbewegung fo dicht an ben Wind zu bringen, daß es raſch über 
den blauen Spiegel des Baſſins fortglitt und die meiſten übrigen 
Segler überholte. 

Diefe wmeifterhafte Führung des Ruderd und die Behändigfeit 
im Wenden des. Nahens lenkte die Blicke Vieler auf die Frem— 
den. Nicht blos Spaztergänger blieben ftehen, um dem gaufeln« 
den Schifflein zu folgen, deifen weißes Segel im Licht der nieder- 
finfenden Sonne bereits rofig angehaudt wurde, auch Drofihfen- 
futicher und mehr noch die vielen Jollenführer am Ufer, die Segel= 
Iuftige gern über das breite Waſſerbecken oder nad irgend einem 
befuchten Lantungsplate der Außenalſter feuern, madten ihre 
Sloffen über das gewandte Schifferpaar. Selbſt einige Frauen, 
die unmittelbar am Sungfernittege mit Wäſcheſpülen beichäftigt 
waren, unterbradhen ihre Thätigkeit, um dem allgemeinen Zuge 
der Neugierde, der auch ihnen fi mittheilte, nachzugeben. Cine 
diefer Frauen, deren etwa zehnjähriger Sohn durch Zutragen der 
Wäſche ihr an die Hand ging, hatte beim achtlofen Ausbliden auf 
bie kunſtreichen Manöver des fo geſchickt geleiteten Nachens das 
Unglüd, auf dem ſchlüpfrigen Spülbrett auszuglitſchen und fopf- 
über in das Baſſin zu ſtürzen. Ihre Gefährtinnen ſchrien laut 
auf, eine Menge Menſchen drängte ſogleich fragend und forſchend 
an die Barrieren, während einige Jollenführer ihre Jollen löſten, 
um die Unglückliche womöglich zu retten. 

Der Mexikaner hatte mit ſeinen ſcharfen Augen das BVerfin- 
fen der armen Wäfcherin ebenfalls bemerkt, wendete jofort das 
Segel und hielt auf die Stelle zu, wo bie Frau verſchwunden war, 

Nah einigen Sekunden tauchte diefe wieder auf. Tiefes 
Schweigen lag auf der am Lande gaffenden Menge, nur die kla— 
‚gende Stimme des Knaben der Armen erhob fi mit lautem Hilfe- 
ruf. Waren e8 nun diefe herzzerreißenden Laute ihres Kindes, 
welche die mit dem Waſſer Ringende vernahm, oder befaß fie Gel- 
fesgegenwart genug, um ſich fagen zu können, was zu ihrer mög- 
lichen Rettung dienlich fet: fie begann plößlih mit Händen und 
Füßen um fih zu fhlagen und gerieth dadurch in eine treibende 


— g33 — 


Bewegung. Bald darauf erreichte fie der Nachen Don Alonſo Go- 
mez’, ber fie mit Hilfe feines Dieners glücklich vom Tode errettete. 

Noch ehe dies aber gefhah, verwandelte fi unter der ängſt⸗ 
lich zufhauenden Menge am Ufer die Spannung und bange Gr- 
wartung in ausgelaflene Luſtigkeit. Denn kaum gewahrte der 
Knabe der Verunglüdten, daß fie auftauchte und auf der Ober⸗ 
flähe trieb, fo Elatfchte er munter in die Hände und ſchrie freu- 
benvoll, daß Jedermann es hören konnte: „Mien Moder Tann 
ſwemmen! Gott, mien Moder kann ſwemmen!“ 

Diefer Jubelruf des glüdlichen Kindes, das feine Mutter 
fhon dem Tode verfallen glaubte, fo natürlich er war und fo tief 
er aufquol! aus des Knaben innerfiem Herzen, machte doch auf 
die Menge einen komiſchen Eindruck. Am tiefilen empfand bie 
heitere Wirkung des kindiſchen Ausrufes der für alles Scherzhafte 
empfänglihe Anton, der fofort in die Hände fhlug und unter lau= 
tem Lachen feiner befreundeten GEoflegen mehrmals wiederholte: 
„Mien Moder kann ſwemmen! — Ein göttliher Einfall, wofür 
ih den Bengel küſſen möchte, wenn er nicht gar fo ungewafchen 
ausfähe.. Da fih nun das nicht thun läßt, ohne fih Das Jabot 
zu verderben und bie Handſchuhe zu befhmuben, fo laßt uns 
Ariftlich wohlthätig fein und den Jungen, befien Mutter ſchwim⸗ 
men kann, für diefen capitalen Einfall würdig belohnen. Ich 
gebe ihm ein Drittel. Kommt! 

Die Andern folgten lachend dem vorausfchreitenden Anton, 
der unterwegs die ihm fo wohl gefallende Phrafe noch mehrmals 
wiederholte und ſodann dem Knaben, der feine inzwiſchen glücklich 
an’s Land gebrahte, von Waſſer triefende Mutter feſt umklam— 
merte, das gelobte Geldſtück auch wirklich verabreichte. 

Hier, mein Junge, fagte er pathetiſch, das iſt für Dich, weil 
deine Mutter ſchwimmen Tann, 

Der überrafhte Knabe ſah das Geldſtück und deſſen Geber 
-groß an und reichte es dann dankend feiner nicht weniger erflaun- 
ten Mutter. Inzwifhen war Anton mit feinen Begleitern ſchon 
unter den Linden des Jungfernftieges verfchwunden. Nur einige Vor⸗ 

D. B. XI. Willkomm's Rheder und Matrofe, 3 





— 34 — 


übergehende, die nicht Zeugen des Vorgefallenen geweſen waren, hörten 
den übermüthigen jungen Mann die Phraſe: „Mien Moder kann 
ſwemmen!“ wiederholen und ſahen den lachenden Jünglingen Topf- 
ſchüttelnd nach, die jetzt auf die Großen Bleichen abbogen und den 
am Jungfernſtiege Luſtwandelnden alsbald aus den Augen ent— 
fhwanden. - 


Viertes Kapitel. 





Andreas und Miguel. 


Miguel fah büfter in die träg firömenden Wellen. Vom Kat 
herüber hallte Gefang, zahllofe Lichtpunfte glänzten aus den lan- 
gen Häuferreihen, über deren ſpitzen Giebeldächern rieſenhoch ber 
Thurm ber großen Michaelisfirhe emporfiteg. Cine Hand berührte 
fanft die Schulter des jungen Menſchen. Miguel Tehrte fih um. 

Mieder allein und immer ftill und ernft? fragte ihn ber 
Steuermann Andreas. Du haft deine ganze Natur verändert, feit 
wir im Hafen Liegen. Gefällt dir Hamburg denn gar nicht? 

Nein! Tautete die Furze Antwort des finftern Jünglings. 

Und warum? 

Weil ih mich langweile. 

Ein trifttger Grund, dem inbeß bald abzuhelfen wäre. 

Wie das? 

Man geht an's Land und amüfirt fich. 

Wo fol ich mich amüfiren? fragte beinahe verwundert der 
junge Matrofe. 

Das iſt freifich eine Höchft wunderlicde Frage, erwiderte An- 
dreas. Als ich in deinem Alter war, Miguel, freute ih mid 
mit allen meinen Kameraden jederzeit auf die Stunde, wo wir in 
. einem belebten Hafenorte vor Anker gehen würden. Matroſen find 








—3j3 — 


in ber Regel leicht zufrieden zu ftellen, wenn fie am Lande nur 
ein volles Glas, ein gefälliges, hübſches Kind und Tanzmuſik fin- 
den. Sollteft du, der Sohn des heißblütigen Südens, ganz allein 
eine Ausnahme mahen? Sieh da links hinüber. Kennft du die 
Häufer dort am hohen Uferrande? Wenn du ein leidlih gutes 
Gehör befißeft, vernimmft du felbft hier den Jubel, der von bort 
herab aus hundert offenen Zenftern halt, Auf dem hamburger 
Berge ftirbt nie die Freude, fo lange das Jahr währt. Dort fin- 
deft du auch Landsleute genug, denen du, wenn dich etwas drückt, 
bein Herz Öffnen kannſt. | 

Miguels fhwarze Augen glüßten. Ich haſſe die Freuden die- 
ſes Berges, jagte er heftig. - 

Ya, mein lieber Junge, verfebte Andreas zutraulich, da muß 
ich ſchon wieder nach dem Grunde dieſes Haſſes fragen. 

O über Euch grundliebende Deutſche, ſeufzte Miguel unge— 
duldig. 

Biſt du betrogen worden? 

Laßt mich, Andrea, erwiderte der Matroſe, und freut Euch, 
daß Ihr nicht mein Leid zu tragen habt. 

Der Steuermann entfernte ſich, kehrte aber bald wieder zu 
dem mürriſchen Burſchen zurück, der wie eine Bildſäule unbeweg— 
lich auf dem Deck ſtand und bald in die Fluth, bald oſtwärts auf 
die hohen Häuſermaſſen der gewühlvollen Stadt ſah. 

Du vermißt doch nicht Don Alonſo Gomez? redete Andreas 
den Schweigſamen abermals an. In der letzten Zeit unſerer Fahrt 
war er dir ja beinahe zuwider. 

Miguel kehrte ſich um und zeigte Andreas ein eiſenhartes kal⸗ 
tes Gefiht, dem nur ber flarfe Glanz feiner großen ausdruds- 
volfen Augen Leben verlieh. 

Es til, wie Ihr fagt, Sennor Andrea, verjebte er, und den 
noch vermiſſe ich ihn. 

Dann geh’ zu ihm und nimm Dienfte. 

Carajo! flieg Miguel, mit dem Buße ftampfend, dur Die 
Zähne, Indem er zugleich verächtlich ausfpudte. Ich und ihm 

—33 





dienen! — Erwürgen will ih ihn Hieber; es würde mir dann 
wohler fein. 

Man mordet Niemand ohne Veranlaſſung, fagte der Steuer- 
mann. 

Sch hätte mehr als eine Veranlaſſung und könnte Eure Net- 
gung für Alles Gründe zu erfahren, recht gut befriedigen, aber 
ich will nicht. 

Trauft du mir nidt? 

Mehr als mir felbit. 


Dann kannſt du mir auch die Gründe deines Haffes oder 
deiner Abneigung gegen Don Alonfo Gomez fagen. 

Es nützt nichts. 

Aber es kann deinen Kummer erleichtern. 

Schwerlich. 

Dennoch wär' es möglich. 

Don Gomez iſt reich, ich bin arm; er iſt ein freier Mann, 
ich bin gebunden. 


Und deshalb möchteſt Du ihn erwürgen? ſagte Andreas. 
Nein, lieber Miguel, das tft es nicht. Don Alonſo Gomez’ Reich—⸗ 
thum und Unabhängigkeit mögen dir unangenehm und unbequem 
fein, das gebe ih zu, dein heftiger Haß aber, den du fett einigen 
Tagen gar nicht mehr zu verbergen weißt, gründet fih darauf 
allein nicht. Soll ih dir fagen, was dich kränkt, was dich fo 
wild macht? 

Ihr könnt nicht in meiner Seele leſen, erwiderte Miguel 
ausweichend. 


Wer weiß, ſagte mit theilnehmender Freundlichkeit der Steuer- 
mann. Wenn ich nun annehme, du hätteſt ein paar merkwürdig 
glänzende Sterne von blauem Feuer entdeckt und ſeiſt in deren 
genauerer Beobachtung durch das kecke Dazwiſchentreten des reichen 
Don behindert worden, würde ich mit dieſer Annahme wohl fehl 
treffen? 
Der Matroſe warf Andreas einen jener ſcharfen, harten und 


— 37 — 


vielſagenden Blicke zu, mit denen er gewöhnlich eine laute Ant⸗ 
wort zu umgehen ſuchte. 

Verſtelle dich nicht, Miguel, fuhr der Steuermann fort. Es 
iſt, wie ich ſage, und wenn du in mir deinen Freund erkennen 
willſt, ſo verſpreche ich dir Schutz. Es ſoll mir ganz recht ſein, 
wenn der gar zu übermüthige Mexikaner ein wenig gedemüthigt 
werden kann. 

Miguel reichte Andreas ſeine Rechte. 

Habt ihr Zeit? fragte er. 

So lange du willſt. 

Dann möchte ich in Eurer Begleitung an's Land gehen. 

Gern, aber wohin, kleine Eiferſucht? 

Ich werde Euch führen. Wollt Ihr mir folgen? 

Du haſt mein Wort, und Seemannswort gilt bei uns zu 
Lande mehr oft, als eines hochgeborenen Ritters Ehrenwort. 

So laßt uns eilen. Ihr werdet Eure Freude an dem An- 
bli haben, den ih Euch verſchaffen will, zugleih aber auch ein- 
fehen, daß es mir in Eurer Vaterſtadt unmöglich gefallen kann. 

Erwartungsvoll beftieg Andreas mit dem Matrofen ein Boot, 
Die Freunde ruderten dem Lande zu. Hier ergriff Miguel den 
Arm des Steuermanned und ging mit diefem die fehr belebten 
Vorfegen entlang über den Baumwall, am Baumhaufe vorüber, 
kreuzte das Steinhöft, wendete fi über den Fleeth dem Kajen zu 
und erlangte fo, immer in unmittelbarer Nähe des Hafens blei— 
bend, die Broofsbrüde. Auch diefe ward von den Freunden über- 
fchritten. Miguel führte Andreas nah dem Brook. 

Wir find glei zur Stelle, fagte der Matrofe, deffen Blut 
lebhafter durh die Adern zu rollen begann. “Dort, wo die trübe 
Laterne über der fchmalen Gingangsthür brennt, ift der Ort. 

Andreas ließ fich fchweigend weiter führen. Sept erreich- 
ten fie Die bezeichnete Thür. Miguel trat in einen finitern Gang, 
den er langfam durchſchritt. Ein geräumiger, von hohen Gebäu- 

° den umfhloffener Hof nahm fie auf. Auf einer Seite befjelben 
glänzte Lichtfchein aus einer Kellerwohnung. Vor dem einzigen 


— 38 — 


Fenſter ſtand ein hoher alter Lindenbaum, deſſen Stamm ſtark ge— 
nug war, um einem ſchlanken Manne als Verſteck zu dienen. 
Hierher winkte jetzt Miguel ſeinen neugierigen Begleiter und deu— 
tete dann auf das Fenſter des Kellers, deſſen Inneres man von 
dieſem Standorte aus vollkommen überſehen konnte. Während 
Andreas den bezeichneten Platz einnahm, lehnte Miguel mit ge= 
freuzten Armen an der Wand, oft fehwer und tief Athem holend, 
wie ein Menſch, der von großer Angſt befallen tft und vergebens 
nach Luft ringt. 

Der Anblick, welhen Andreas von feinem Verſteck aus hatte, 
fef:Ite und entzüdte ihn zugleich. An einem fehr einfachen Tiſche 
faßen drei Perfonen, ein Kind von etwa acht Jahren, ein junges 
Mädchen, das eben das jungfräuliche Alter erreicht hatte, und ein 
ftetnaltes Mütterchen mit Haaren, weiß und glänzend wie Silber, 
die no fo flarl waren, daß fie unter der Haube hervorquollen 
und als blitende Locken auf die ſchmale, feine Stirn herabglitten. 
Dem Ausjehen nad mußte dies Mütterhen das höchſte Lebensalter 
erreicht Haben, und doch ſchien fie noch rüftig und munter zu fein. 
Auf ihrem von Feiner Runzel entitellten Gefiht lag ein Ausbrud 
fo tiefer Zufrtedenheit, fo inniger Herzensdankbarkeit, daß fie felbft 
einem verförperten Gebete zu vergleichen war. 

Das junge erwachſene Mädchen las der greifen Frau aus 
einem großen Bilderbude vor, und aus den Handbewegungen der 
Greifin ließ fi vermuthen, daß fie dem Gehörten Bemerkungen 
binzufügte, fo oft die Leſende inne hielt. Das Kind hörte auf: 
merffam zu, fptelte aber gleichzeitig mit einer ſchön gefledten Tiger- 
katze, die, als verftehe fih das von felbft, neben dem Buche ber 
Lejenden auf dem Tifche ſaß. 

Sp oft die Alte beiflimmend den Kopf bewegte, zitterten bie 
weißen Bänder ihrer Haube. Dann fprang die Katze auf und 
fuchte fie fptelend mit dem erhobenen weichen Pföthen zu erfafien, 
was jedesmal einen kurzen freundfchaftlihen Kampf zwifchen dem 
artigen Thiere und dem Meinen, laut auflachenden Kinde veran⸗ 
laßte. Auch die Alte mußte lächeln, wehrte jedoch taftend das 


— 39 — 


ſchmeichelnde Hausthier ab. Dies unſichere Taſten erſt verrieth dem 
Steuermann, daß die ehrwürdige Matrone völlig blind ſei. 

Dieſe Entdeckung vermehrte noch ſeine Spannung. Andreas 
heftete jetzt ſeine ſcharfen Augen auf die Vorleſerin. Es war eine 
Blondine von ſeltener Schönheit, mit reichem hellbraunen Haar, 
das ſie vorn auf der Stirn geſcheitelt trug und das in ſtarken 
Zöpfen den zierlich geformten Kopf umwand. Leider ward dieſe 
herrliche Zier durch eine Mütze großentheils verborgen, die aus 
blendend weißem Gekräuſe beſtand und dem jungen Mädchen einen 
Ausdruck rührender Unſchuld und glücklichſter Naivetät verlieh. Die 
übrige Kleidung der Schönen war ſchmucklos, einfach und konnte 
beinahe für ärmlich gelten. 

Was ſagt Ihr zu dieſem Bilde? flüſterte jetzt Miguel ſeinem 
Freunde zu. Habt Ihr je eine gemalte Madonna geſehen, die 
einen Vergleich aushalten könnte mit dieſem Götterbilde? Und 
möchte man nicht gleich anbetend niederfallen vor dieſem greiſen 
Friedensengel, der alle Schmerzen des Lebens durch felſenfeſten 
Glauben und durch jene ewige Liebe, deren ſchöpferiſcher Urquell 
das Herz des Weibes iſt und fein ſoll, ſchon Hier gänzlich über⸗ 
wunden hat? 

Aber wer ſind dieſe Leute und wie haſt du ſie gefunden? 
fragte Andreas. 

Wer ſie ſind? verſetzte Miguel. Fragt den Himmel, wo Ihr 
die Gottheit antreffen Eönnt, er wird Euch eben fo leicht Antwort 
geben! — Wer fie find! Es tit eine heilige Familie, das Bild 
der heiligen Dreteinigfeit, die unfere Kirche anbetet. Hier bie 
Weisheit, da die lehrende Milde, dort die fromme gläubige 
Kindlichkeit! Und wie ich fie gefunden habe, wollt Ihr wifjen ? 
ſetzte er ſchalkhaft Tächelnd Hinzu. Ach, das, mein Freund An- 
drea, das tft ein beſchämendes Geftändnig für mid. Die Lange 
weiligkett Eurer nebelteihen Vaterſtadt verlangte, daß ih mid 
nach Zerfireuung umfehen follte. Ich lief ftraßauf, ftrapab Immer 
tiefer in Eure fhmupige Stabt hinein. Da begegnete ih diefem 
Mabdonnengefiht, dem ich wohl eben fo auffallend und des Anſe⸗ 





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hens werth erſcheinen mochte, wie das herrliche Mädchen es mir 
war. Ich grüßte und redete das reizende Kind an, erhielt aber 
als Antwort nur ein köſtlich klingendes Lachen, weil ſie mein ſpa⸗ 
niſches Kauderwelſch nicht verſtand. Dann nickte ſie freundlich 
und lief auf ſchnellen Sohlen vor mir her, nicht, ohne noch ein 
paar Mal ſich mit den klugen, heiligen Himmelsaugen nach mir 
umzukehren. Es war ſehr lebhaft in allen Straßen, welche das 
Mädchen durchſchritt, und durch die ich ihr, ganz von ihrem An⸗ 
blick bezaubert, folgte. Ich würde mich gern an ihre Sohle ge⸗ 
heftet haben, wäre dies nicht gefährlich geweſen. Deshalb behielt 
ih die wunderbare Erſcheinung nur feſt im Auge, die meine Be- 
gegnung längſt vergeflen haben mochte. So entdedte ich dies ent- 
legene, ftil verborgene Paradies, nah dem th ſeitdem ein paar 
Mal gejhlihen bin, um an feinem Anblik mid zu weiden und 
den Schmerzenspfeil, der meine Bruſt durchbohrt hat, immer tiefer 
in mein Herz zu bdrüden, bis es an biefer unheilbaren Wunde vers 
bluten wird, 

Ich würde dich bedauern, wenn ich did nicht beneidete, ſagte 
Andreas, noch immer ganz vertieft in das Tieblihe Familienbild, 
das fo unerwartet feinem Blick enthüllt worden war. 

Daß ich den Beſitz dieſes reigenden Engels entbehren muß, 
fuhr Miguel fort, wäre noch zu ertragen. Mir kommt das Recht 
nicht zu, nach fo großem Glüde meine Hand auszuſtrecken. Bin 
ih doch nichts, als ein verlorenes oder verſtoßenes Kind, ohne Ael— 
tern, Verwandte, Freunde. Das Meer tft jetzt mein Tummelplatz, 
meine wette, unendliche Heimath; es wird bereinft auch mein Braut: 
bett werden. 

Unnüge, finftere Phantafien, verfeßte der Steuermann. Kort 
damit! Sie kommen und beläftigen uns noch früh genug, wenn 
Old Nick uns beim Kragen hat. Aber du Haft noch etwas auf 
bem Herzen. Ich ſeh's am Zuden deiner frifchen Lippen, die 
wohl am liebſten mit den beiden Roſenknöſpchen da unten recht 
Innige Bekanntſchaft maden möchten. 

Ich bete nicht allein diefe kindlich fromme Madonna an, fuhr 





— 41 — 


Miguel mit gepreßter Stimme fort. Ein Anderer, angelockt von 
ihrer Anmuth, von dem Reiz ihrer blendenden Geſtalt, verfolgt 
fie, ſtellt ihr nach, und ich fürchte, das unerfahrene, unbefangene 
Kind wird dem Köder nicht lange zu widerſtehen vermögen, den 
dieſer glückliche und geübte Eroberer von Frauenherzen unter ver= 
führeriſchen Formen auszuwerfen verſteht. 

Don Alonſo Gomez? fragte erregt Andreas. 

Derſelbe. 

Wie hat er ſie kennen lernen? 

In ſeiner jetzigen Wohnung. 

Was ſucht die kleine, niedliche Unſchuld dort? 

Geſchäftsgänge führen fie dorthin. 

Beruhige dich, Miguel. Diefe hübfche, Feine Landsmännin 
fol dem Mexikaner nit zum Opfer fallen. Mein Wort darauf! 
Zum Glück ift der Teufelsjunge der deutſchen Sprache fo wentg 
mächtig, wie du; der Ton feiner Worte, nicht deren Sinn könnte 
alfo Höcftens auf das Herz des Mädchens Eindrud mahen. Ich 
werde von heute an aufpaflen und ſchon morgen nad dem lieben 
Kinde mich erkundigen. Ihre Mutter kann die ehrwürbige Blinde 
nicht fein, vermuthlich alfo tft e8 Ihre Großmutter. Won thr werde 
ih erfahren, wer das Kind ift, ob fie Aeltern hat, wie ihre fon« 
ftigen Verhältniſſe befchaffen And, und dann follen den etwaigen 
Nachſtellungen des lüſternen Halbindianers fo viele und ſcharfe 
Zußangeln gelegt werben, daß ihn bei jedem Schritte fol ein 
Fangeifen beißt. 

Halt! rief in dieſem Augenblide eine Fräftige Mannesftimme 
und eine ſchwere Hand legte fih unfanft auf die Schulter des 
Steuermannes. Diefer aber, jung, gewandt und von nicht ge= 
wöhnlicher Körperftärte, fchüttelte Die Hand raſch ab, fprang ein 
paar Schritte zurüd in die Dunkelheit des Hofes und fuchte die 
Geftalt des unberufenen Ungreifere. Mit zwei Sägen war Mi- 
guel an der Seite feines Freundes, in feiner Hand funtelte der 
zweiſchneidige Stahl eines In der Schärpe ſtets verhongen getrages 
nen Dolches. 





— 42 — 


Andreas ſah einen ſtämmigen, breitſchultrigen Mann von bür- 
gerlih ehrbarem Anfehen neben der Linde fliehen. Die berben 
Schuhe, die ftarfen, fhanfwollenen Strümpfe, die feine Unterbeine 
bebedten, die bequeme Jade von dunkelfarbigem Tuch, mit ben 
vielen großen, filbernen Knöpfen fagten ihm, daß er einen Mann 
ber arbeitenden Klafje vor fih babe. Den Kopf diefes Mannes 
bededte eine Bärenpelzmüge mit auf einer Seite herabhängendem 
Sack von braunrotbem Sammet, der in einer kleinen Bummel en= 
Digte. 

Ich frage Euch, ſprach diefer Mann, unerfhroden den beiden 
Freunden fi nähernd, was Ihr Hier wollt? Weshalb Ihr Euch 
hinter Baumflämme und Mauerporfprünge drüdt und in einem 
Kaudermelih Euch flüfternd unterhaltet, das ficherlih der Teufel 
und feine Großmutter zum Aushecken von allerhand Teufeleten 
erfunden hat. Wenn ich nicht Lärm machen und Euch ohne viel 
Federleſens als vermuthliche Einſchleicher arretiren laſſen fol, fo 
fteht mir Rede! Hütet Euch aber, mir was vorlügen zu wollen! 
Ich bin nicht leichtgläubig und mit Narrenspoflen gebe th mid 
nicht ab. Nun, wird’s bald? 

Andreas beſchwichtigte den ungeltümen Miguel, der große 
Luft zeigte, mit dem ruhigen Bürger Händel anzufangen. Dann 
ſprach er: " 

Wir find Seeleute, mein lieber Mann, und befinden ung hier 
in durchaus feiner böfen Abſicht. 

Das veriteht fich, erwiderte Lachend der Bürger. Jeder Storch 
Mappert, wenn er fein Neft gefunden hat, ich bin nun aber fein 
Liebhaber, fremde Störde in mein Neft fleigen zu laſſen. 

Seid Ihr etwa der Vater des jungen Mädchens, das fo eifrig 
der greifen Frau da unten vorlieit? forfähte Andreas. 

Ada! erwiderte ber Bürger, ich merke jetzt, daß Ihr das Ehr- 
würbige liebt und es darum gern auffucht. Es iſt das Seemanns⸗ 
fitte, th fenne es. Sollte Eud aber nebenbei auch der Mund 
wäflern nad weniger ehrwürdigen Gegenfländen, fo muß ih Euch 
ohne Umfhweif jagen, laßt Euch den Appetit darauf vergehen, 





fonft Eönntet Ihr nicht mit einer, aber mit ein paar hundert Fäu⸗ 
ften Befanntfchaft machen, die alle an den Armen ehrlich gebore- 
ner und redlich fi nährender hamburger Jungen alten Sclages 
fiten! Jetzt wißt Ihr Beſcheid, und habt Ihr fonit noch was zu 
beftellen, Ihr Wintfänger, fo ftehe ich gern zu Dienften. Mein 
Name ift Jacob Behnke, Quartiersmann. Adjüs! 

Behnte! Jacob Behnte? rief tm heiterften Tone der Steuer- 
mann und fand neben dem eritaunten Quartiersmanne, deſſen 
Rede fo verdroffen und giftig Hang. Kennft du mid nicht mehr, 
Alterhen? Mein Vater war ja bein Schulkamerad! 

Beim Himmel, du bift’s! Andreas Wohlers! Und dort ber 
bräunfiche Junge, mit den blinfenden Augen? 

Ein Freund son mir, gut, aber unglücklich. Er bat da ei⸗ 
nen Bund gemadt, der ihm's Herz abdrückt. Weißt bu, Alter: 
hen? Die Kleine im Keller! 

So — ſo — fo! fagte Behnke gedehnt. Hm! hm! Weißt 
bu was, Andreas? Ich denfe, es wird gut fein, daß wir nad fo 
langer Zeit ein Gläschen mit einander trinfen. Was wir uns dann 
zu fagen haben, läßt fich dabei bequem abmachen. Dein Freund 
fann mitkommen. Ich will ihn gern ehren, weil’s eben ein Freund 
von bir ift, diefe Liebäugelet aber vom Hofe in ben Keller hin⸗ 
unter, und noch dazu am fpäten Abend, muß aufhören. Verſtehſt 
du mid, Andreas? Es iſt mein voller Ernft. 

Ich weiß es, Alterchen! 

Dann rede mit deinem unheimlich blidenden Spaniolen dort, 
ſprach Behnke, denn an der Hispanifchen See oder dort irgendwo 
herum muß er wohl zu Haufe gehören. Mach's aber Furz, denn 
ih babe wenig Zeit. Che Ihr mich begleitet, will ih nur noch 
zwei Worte mit dem ehrwürdigen Magnete fprechen, der für den 
fremden Jungen eine fo gewaltig große Anziehungsfraft befist. 

Hierauf ftieg Behnke die fchmale, ſteile Treppe hinab, welche 
zur Kellerwohnung führte, und Andreas theilte mit fliegenden Wor⸗ 
ten dem mißtrautfch drein fhauenden Miguel mit, welche Ente 
dbedung er gemacht habe, und daß jept Hoffnung zu einer Ver⸗ 





— 44 — 


ſtändigung vorhanden ſei, falls Miguel ſich entſchließen könne, 
Hamburg zu ſeiner zweiten Heimath zu wählen. 

Dieſer hörte ſchweigend und überraſcht zu. Noch ehe er zu 
einer Antwort ſich entſchließen konnte, ſtand ber rüſtige Quartiers— 
mann ſchon wieder neben den Freunden und nahm den Arm des 
jungen Matroſen, indem er freundlich zu ihm ſagte: Usted er⸗ 
laubt, bin amigo von dieſem Jungen da, alſo auch amigo von 
ſpaniſchem hombre. 

Mit dieſer gewaltigen Kundgebung feiner Sprachkenntniſſe 
verließ er den Hof und ſchlug direct den Weg nad feiner nicht 
fernen Wohnung ein. 


Fünftes Kapitel, 





Aufflärungen. 


Als Miguel die Hausfchwelle des Quartiersmannes über- 
fhreiten wollte, fiel fein Blick auf die offen ftehende Kellerthüre 
und die Figur des feiften Wirthes, der phlegmatifh an dem Ei— 
fengitter Iehnte, welches den Eingang gegen die Straße umfriedete. 
Er blieb ftehen, betrachtete aufmerkffam die Treppe und fagte dann 
fhnell und Iebendig ein paar fpanifhe Worte zu Andreas. Sept 
jah auch diefer hinab in den Keller, wo bereits vollauf zu thun war. 

Was meint der Spaniole? fragte Behnke den Steuermann. 

Mein junger Sreund behauptet, ſchon einmal da unten ges 
feflen zu haben, antwortete Andreas. 

Wann könnte das gewefen fein? 

Andreas richtete die nämlihe Frage an Miguel, der unter 
febhaften Gebehrden, während die beiden Freunde dem Quartiers- 
manne in's Haus folgten, ausführlih Antwort gab. 

Dachte ich mir's doc beinahe, daß es mir gelingen follte, 
einen der Störenfriebe Tennen zu lernen, bie mir fo vielen Vers 





— 45 — 


druß gemacht haben, verſetzte Behnke. Schade, daß ih den Eyas 
niolen nicht ſelber examiniren kann, er ſollte mir dann gehörig 
beichten. Aber ich denke, du wirft ihm die Hauptſache auch abfra= 
gen können, Andreas, und wenn du das redlih thun willft und 
mir verfprichft, nichts, was er erzählt, zu verheimlihen, will ich's 
Euch jungem Volk verzeihen, daß Ihr in etwas ungebührlicdher 
Manier meinem einzigen Mädel nachlauft. Wenn’s das junge 
Blut wüßte, fie könnte fih wahrhaftig was einbilden und würde 
am Ende ftolz, hochfahrend und ſchnippiſch. Gott wolle fie vor 
ſolchem Unglück behüten! 

Alterchen, verſetzte der Steuermann, du mußt ausnehmend 
gut angeſchrieben ſtehen beim großen Capitain, daß er dir eine ſo 
wunderliebliche Tochter geſchenkt hat. Es wäre mir, bei meiner 
Mutter Augenbrauen, wie man in Mexiko fagt, nicht eingefallen, 
die Föltliche Blondine, die dem armen Jungen da fo arges Herze- 
leid macht, für die Heine Ghriftine zu halten. Bor zwei Jahren 
war fie ja noch beinahe ein. Badfifh, und jetzt — mein Gott, wie 
fhnell verwandelt fih der Menſch! 

Inzwiſchen waren die drei Männer in Behnke's Wohnztinmer 
getreten. Frau Doris reichte Andreas, ale einem alten Befannten, 
mit freundlidem Gruße die Hand, während dem dunkeln Miguel 
nur ein fhüchterner, forfchender Blick als Bewilllommnung zu 
Theil ward. 

Du meint alfo der Burfche habe ein Auge auf mein Kind? 
fragte Behnke ernithaft. 

Es tft, wie ich fage. 

Dann mahe es ihm bet Zeiten begreiflih, daß ich von ber- 
gleihen Dingen nichts hören mag. Die Chriftine foll von jest 
an fein zu Haufe bleiben. 

Ein guter, ehrlicher Junge tft Miguel, erwiderte der Steuer- 
mann, auch rühmt er ſich vornehmer Abftammung, Geld und Gel- 
deswerth aber hat er freilich nicht. 

Darnach würde ich zulegt fragen. Gin tüchtiger Seemann 
findet faft immer fein Brod und kommt fogar zu Vermögen, wenn 


— 46 — 


er Glück hat, entgegnete Behnke, ich mag aber das welſche Volk 
nicht leiden, weil ihr ganzes Weſen und Thun, all' ihr Denken 
und Wollen dem unſern ſchnurſtracks zuwider läuft. Hoffentlich 
weiß Chriſtine nichts von des Burichen Verliebtheit, und fie ſoll 
auch, kann ich's verhindern, niemals ein Wort davon erfahren. 

Es könnte ein ſchreckliches Unglück geben! fiel die Mutter 
ein, die mit ſteigender Unruhe dieſer nur halblaut geführten Un- 
terrebung zugehört Hatte. 

Wir dürfen meinen Freund nicht länger vernadläffigen, ber 
merkte Andreas. Er iſt mißtrauiſch und könnte glauben, wir woll- 
ten ihm nicht wohl, wenn wir ihn ganz bet Seit’ Tiegen laſſen. 
Ich werde alfo in deinem Namen das angekündigte Eramen bes 
ginnen. 

Der Quartierdmann bejahte durch ſtummes Kopfniden. Die 
nun folgende Unterhaltung zwifhen Andreas und Miguel, von 
welcher Behnke nur einzelne Worte veritand, warb mit großer Leb⸗ 
haftigkeit geführt. Miguels funfelnde Blide, fein Stirnrunzeln, 
das eigenthlimliche Hervortreten feiner prächtigen weißen Zähne, 
fo oft er eine höhniſche Bemerkung machte, verrtethen den Zuhörern, 
bag der junge Menfh feinem deutihen Freunde eine Gefchichte 
erzählen müſſe, die feines eigenen Beifalls ſich nicht erfreue. ALS 
er endigte, reichte er Andreas die Hand, drürte fie Herzlich und 
deutete mit zuftimmendem Augenwinf und offenbar froh, eine Laft 
von feiner Bruſt gewälzt zu haben, auf die ehrbaren Bürgersleute, 
die ſchweigend ihm gegenüber faßen. 

Behnte erfuhr nunmehr aus der Berichterftattung des Steuer- 
mannes, daß die fremden Sänger und Spaßmader, die in ber 
erwähnten Sonnabendsnacht fowohl ihn felbft wie feine Familie fo 
angenehm unterhalten hatten, der Matrofe Miguel mit ſeinen Ge- 
fährten geweſen jet. Andreas erzählte ferner, fein junger Freund 
wäre nur widerſtrebend und halb gezwungen den Uebrigen gefolgt, 
habe fih aber den Wünfchen feiner ihn beherrfchenden Begleiter 
fügen müffen, um nicht in ernfthafte Händel zu gerathen. Und 
da babe er denn nah Kräften und auf den befondern Wunfc bes 


— 471 — 


ſtets herrifch fi gebehrdenden Don Alonfo Gomez alle feine Kunft« 
ftüde zum Bellen gegeben, welche die übrigen bereits fehr aufge⸗ 
regten Gäjte im Keller mit großem Staunen erfüllten. Erſt fpät 
nah Mitternaht wären fie aufgebrohen, um noch herumzuſchwär⸗ 
men, und dabei habe fih Miguel in fehr ernfthafter Weiſe mit 
Don Gomez überworfen, weil biefer feinen zu Allem verwentbaren 
Diener veranlaßt babe, eine Dohle zu entwenden, und zwar aus 
feinem andern Grunde und zu feinem andern Zwede, als um 
die über Miguels Kunitftüde in höchſtes Erftaunen gerathenen Gäfte 
bes Kellers recht tüchtig zu hänfeln. 

Der Quartierdmann mußte jetzt über bie Erzählung, die in 
Andreas Munde fomifh genug Fang, Lächeln. 

Gut, dab es noch fo abging, fagte er. Drei Tage fpäter 
würde ich den überluftigen Schwärmern, wären fie mir zufällig in 
den Weg gelaufen, fein ſehr freundliches Befiht gemacht haben. 
Die läppiſchen holländifchen und oberländifchen Schiffer, deren Köpfe 
an jenem Abende fo ſtark ilfuminirt waren, daß fie nicht deutlich 
mehr fahen, fetten dem entwendeten Vogel mit Kneifen und Zwiden 
bergeftalt zu, daß er fhon früh am Morgen tobt war. Der 
Wirth warf das arme Thier auf die Straße dicht vor mein Haus 
und da muß es juft der Befiter fhon am Sonntage finden, als 
der Henker ihn bier vorüberführt. Nun gab es Leinen fchlechten 
Spertafel. Der erbof’te Menfch behauptete ſteif und feit, der ihm 
fo Liebe Vogel fet ihm In vergangener Nacht von Iofen Buben 
geftohlen worden, und da er vor meiner Thüre jet mit umge⸗ 
drehtem Halfe liege, würden ſich die Diebe wohl innerhalb des 
Haufes finden. Du kannſt denken, Andreas, fuhr der Quartiers- 
mann fort, daß diefe Wendung mid rabiat machte. Gin Wort 
gab das andere und ehe wir uns verfahen, hatten wir und derge- 
ftalt mit Redensarten engagirt und gegen einander vergangen, 
dag die dumme Gefchichte vor der Poltzei erledigt werben mußte. 
Mein Mietbsmann im Keller wollte begreifliherweife von Nichts 
wiffen, Täugnete Stein und Bein und brachte mid dadurd fo auf 
gegen ihn und ſeine ganze Wirtbfchaft, dap Ich ihm kündigte. So 


— A — 


er Glück hat, entgegnete Behnke, ich mag aber das welſche Volk 
nicht leiden, weil ihr ganzes Weſen und Thun, all' ihr Denken 
und Wollen dem unſern ſchnurſtracks zuwider läuft. Hoffentlich 
weiß Chriſtine nichts von des Burſchen Verliebtheit, und ſie ſoll 
auch, kann ich's verhindern, niemals ein Wort davon erfahren. 

Es könnte ein ſchreckliches Unglück geben! fiel die Mutter 
ein, bie mit fteigender Unruhe biefer nur balblaut geführten Uns 
terredung zugehört Hatte, 

Wir dürfen meinen Freund nicht länger vernadläffigen, ber 
merkte Andreas. Gr iſt mißtrauiſch und könnte glauben, wir woll⸗ 
ten ihm nicht wohl, wenn wir ihn ganz bei Seit’ Tiegen Taffen. 
Ich werde alfo in deinem Namen das angekündigte Gramen bes 
ginnen. | 
Der Quartiersmann bejahte durch ſtummes Kopfniden. Die 
nun folgende Unterhaltung zwifchen Andreas und Miguel, von 
welcher Behnke nur einzelne Worte verftand, warb mit großer Leb⸗ 
haftigkeit geführt. Miguels funkelnde Blide, fein Stirnrungeln, 
das eigenthümliche Hervortreten feiner prächtigen weißen Zähne, 
fo oft er eine höhniſche Bemerkung machte, verrtethen den Zuhörern, 
bag der junge Menfh feinem deutihen Freunde eine Gefchichte 
erzählen müfle, die feines eigenen Beifalls fih nicht erfreue. ALS 
er endigte, reichte er Andreas die Hand, drüdte fie herzlich und 
deutete mit zuflimmendem Augenwink und offenbar froh, eine Laft 
von feiner Bruft gewälzt zu haben, auf bie ehrbaren Bürgersleute, 
die ſchweigend ihm gegenüber faßen. 

Behnfe erfuhr nunmehr aus der Berichterftattung des Steuer- 
mannes, daß die fremden Sänger und Spaßmader, die in der 
erwähnten Sonnabendsnacht fowohl ihn felbft wie feine Familie fo 
angenehm unterhalten hatten, der Matroſe Miguel mit feinen- Ge- 
fährten gewefen fe. Andreas erzählte ferner, fein junger Freund 
wäre nur widerfirebend und halb gezwungen den Uebrigen gefolgt, 
babe fih aber den Wünſchen feiner ihn beherrichenden Begleiter 
fügen müffen, um nicht in ernfthafte Händel zu gerathen. Und 
da habe er denn nah Kräften und auf den befondern Wunſch des 








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ſtets herriſch ſich gebehrdenden Don Alonſo Gomez alle ſeine Kunſt⸗ 
ſtücke zum Beſten gegeben, welche die übrigen bereits ſehr aufge⸗ 
regten Gäſte im Keller mit großem Staunen erfüllten. Erſt ſpät 
nah Mitternacht wären ſie aufgebrochen, um noch herumzuſchwär⸗ 
men, und dabei habe ſich Miguel in ſehr ernſthafter Weiſe mit 
Don Gomez überworfen, weil dieſer ſeinen zu Allem verwendbaren 
Diener veranlaßt habe, eine Dohle zu entwenden, und zwar aus 
keinem andern Grunde und zu keinem andern Zwecke, als um 
die über Miguels Kunſtſtücke in höchſtes Erſtaunen gerathenen Gäſte 
des Kellers recht tüchtig zu hänſeln. 

Der Quartiersmann mußte jetzt über die Erzählung, die in 
Andreas Munde komiſch genug klang, lächeln. 

But, daß es noch fo abging, ſagte er. Drei Tage fpäter 
würde ich den überluftigen Schwärmern, wären fie mir zufällig in 
den Weg gelaufen, ein fehr freundliches Geſicht gemacht haben. 
Die läppiſchen holländifchen und oberländifchen Schiffer, deren Köpfe 
an jenem Abende fo ftarf illuminirt waren, daß fie nicht deutlich 
mehr fahen, feßten dem entwendeten Vogel mit Kneifen und Zwicken 
bergeftalt zu, daß er fchon früh am Morgen todt war. Der 
Wirth warf das arme Thier auf die Straße dicht vor mein Haus 
und da muß es juft der Befiger ſchon am Sonntage finden, als 
der Henker ihn bier vorüberführt. Nun gab es keinen fchlechten 
Spertafel. Der erboſ'te Menſch behauptete ſteif und fell, der ihm 
fo liebe Vogel fet ihm in vergangener Naht von Iofen Buben 
geftohlen worden, und da er vor meiner Thüre jetzt mit umge- 
drehtem Halfe liege, würden fi) die Diebe. wohl innerhalb bes 
Haufes finden. Du kannſt denken, Andreas, fuhr der Quartiers⸗ 
mann fort, daß diefe Wendung mich rabiat machte. Ein Wort 
gab das andere und ehe wir uns verfahen, hatten wir und derge- 
ftalt mit Redensarten engagirt und gegen einander vergangen, 
dag die dumme Gefchichte vor der Polizei erledigt werden mußte. 
Mein Miethsmann im Keller wollte begreiflicherweife von Nichts 
wiffen, läugnete Stein und Bein und brachte mid dadurch fo auf 
gegen ihn und feine ganze Wirthſchaft, daß ich ihm kündigte. So 


— 48 — 


trug mir denn das allerliebſte Spiel und der ſehr wohlklingende 
Geſang der übermüthigen Spaniolen nichts ein, als Aerger und 
machte mir zum Ueberfluſſe noch ein paar Menſchen zu Feinden. 

Andreas unterrichtete von dem Vorgefallenen ſeinen Freund, 
ber gutmüthig und bedauernd hierauf dem Quartieremann bie 
Hand reichte und mit einer Fluth wohlklingender ſpaniſcher Worte 
ihn um Verzeihung bat. Behnke verſtand zwar nichts von dem, 
was Miguel ſagte, aber er errieth ſeine Abſicht und erwiderte mit 
einem beſchwichtigenden „Schon gut, ſchon gut; hat nichts weiter 
auf ſich.“ | 

Darauf wandte er ſich wieder zu Andreas. 

Wer tft denn aber eigentlich biefer Herr oder Don Gomez, 
fragte er, von deſſen Handlungen dein junger Freund nicht fehr 
erbaut zu fein ſcheint? 

Weiß ich's doch felber kaum, ermwiberte der Steuermann. 
Mexiko tft feine Heimath. Der junge Mann befibt große Reidh- 
thümer, rühmt fih vornehmer Herkunft und hat fi zu einer Reife 
nah Europa nur entſchloſſen, um mandes traurige Erlebniß im 
Daterlande, das feinen Getft verbüfterte, hier unter einem andern 
Himmel und unter andern Menfchen leichter zu vergeſſen. 

Nun, gar zu fhwermüthig ſchien mir der mexikaniſche Don 
nicht zu fein, warf der Quartiersmann ein. Mich will bebünfen, 
er gehört derjenigen Menfchenflaffe an, die man hier zu Lande, 
wo man noch etwas halt auf Solidität, Schwindler nennt. Am 
beften, habe ich mir fagen laſſen, gedeiht diefe Menfchenrace unter 
ben reihen Müffiggängern. 

Du biſt rafh in deinen Verdammungsurtheilen, Alterchen, 
verſetzte Andreas. Kennteſt du den Don, vielleicht ſprächeſt du 
anders. 

Bin gar nicht begterig, feine Bekanntſchaft zu machen, Tieber 
Sunge, fagte Behnfe. Meine grobe Jade, mein plumper Schuh 
und meine harten Hände taugen nicht für feine geputzte Ritters- 
leute von über See ber. Am liebften foll’s mir fein, wenn ich 
Ihn gar nicht fehe und noch mehr will id mich freuen, wenn er 


— 49 — 


nie wieder auf den Einfall geräth, unter Schiffern und Matroſen 
als fahrender ſpaniſcher Sänger aufzutreten. 

Letzteres haſt du wohl ſchwerlich zu befürchten, Alterchen, 
fiel der Steuermann ein. In dieſe obfeuren Regionen pflegt Don 
Gomez nur dann Hinabzufteigen, wenn fie ihm völlig unbekannt 
find und man ihn auch perjönlic deshalb ebenfalls nicht kennt. 
Sobald er Bekanntſchaften gemacht hat, zieht er ſich zurüd in 
Kreife, wo er fih heimifcher fühlt. Er liebt Glanz und Lurug, 
und wenn man ihn bewundert, fühlt er ſich gefihmeichelt und er- 
trägt ſelbſt Feffeln, die ihn unter andern Verhältniffen drüden 
würben. Ich wette, Alterhen, es vergehen feine acht Tage mehr 
und ganz Hamburg ſpricht von dein vornehmen Mexikaner wie von 
einem Meteor. | 

Mir ſoll's ſchon recht fein, meinte Behnke. Wenn die Vor: 
nehmen von ihm reden, haben wir niedrig geftellten Leute nichts 
weiter von ihm zu befahren. 

Miguel ftand auf. 

Wie ſteht's? fragte er Andreas. Kannft du mir Hoffnung ° 
maden ? 

Freund, verfegte der Steuermann, umgürte Deine Lenden mit 
Geduld. Wir leben gegenwärtig in Deutfchland und nod dazu 
im Norden Deutſchlands. Da will, wie unfer Sprichwort jagt, 
gut Ding Weile haben. 

Sch begehe ein Verbrechen, flüfterte Miguel mit unheimlich 
flammendem Auge dem Freunde zu, wenn ich das Mädchen nicht 
ſehen kann. 

Andreas reichte Miguel die Hand. 

Du ſollſt ſie ſehen, ſagte er zuverſichtlich, nur tobe und 
fluche nicht, wenn ein paar Tage darüber hingehen. 

Sie iſt des Alten Kind? 

Seine einzige Tochter. | 

Und er will feinen Fremden in feine Famtlie aufnehmen? 

Noch fträubt er fih dagegen, aber Zeit und geduldigee Aus⸗ 


harren machen Vieles möglich. 
D. B. XI. Willkomm's Rheder und Matroſe. 4 





— 50 — 


Er muß! murmelte Miguel. Ich verlaſſe Hamburg nicht 
eher, als bis ich Herz und Hand dieſes Engels mir erobert habe. 

Andreas legte dem leidenſchaftlich Erregten durch einen viel— 
fagenden Blick Schweigen auf, fagte den Quartiersleuten gute 
Naht und fhied mit dem Verſprechen, feinen Beſuch recht bald 
zu wiederholen. 

Deinen Freund Fannft du gern mitbringen, fagte Behnte; 
ed wird meine Sorge fein, daß er immer nur die Mutter, nie 
die Tochter im Haufe antrifft. | 

Andreas nidte, dachte aber im Herzen: Das findet fid. 
Junge Männer wiſſen junge Mädchen auch außer dem Haufe der 
Aeltern aufzujuchen. 


Serhfies Kapitel. 





Herr und Diener 


Wieder zwei Ginladbungsfarten? fagte Don Alonfo Gomez zu 
feinem Diener. Wie viele find nun im Ganzen feit den letzten 
acht Tagen eingegangen? 

Die zulegt abgegebene tit die fechlte, antwortete Mafter Pa- 
pageno. 

Bon wen? Laß fehen! 

Mafter Papageno reichte die elegante Karte feinem Herrn. 
Don Gomez betrachtete fie genau, an einem ber hellen Spiegel- 
feniter des höchſt luxuriöss ausmöblirten Zimmers Plab nehmend. 

Schöne Handſchrift, fagte er, Buchſtaben, wie in Kupfer 
geftochen. Wenn dieſe verdammten deutfhen Namen nur nicht fo 
ſchwierig zu lefen und noch ſchwieriger auszufpreden wären. Komm, 
Papageno, hilf mir! Du Haft ja bei den verfluchten Yankees le— 
fen gelernt wie ein Schriftgeleyrter. Wie buchjtabirft du die Un- 
terichrift des Einladers? 


— 51 — 


Maſter Papageno trat hinter den Seſſel ſeines Gebieters und 
nahm ſeine ganze Gelehrſamkeit zuſammen, um Don Alonſo die 
begehrte Auskunft zu geben. 

Peter Thomas Heidenfrei, ſagte nach einiger Zeit der ge— 
lehrte Mulatte. Genau ſo lauten die hier geſchriebenen Worte, 
fügte er hinzu. 

Peter Thomas Heidenfrei, wiederholte der Mexikaner. Merk— 
würdig! Ich habe nie eine Ahnung gehabt, daß ein Mann die— 
ſes Namens auf dem Erdballe wohnt, Pataten, oder wie ſie das 
Zeug hier nennen, Kartoffeln ißt und dieſe gemeine Nahrung zu 
ſeiner Veredlung mit Malaga, Portwein und Champagner hinunter- 
fpült. Wer tft der Mann? 

Mafter Papageno zudte die Achſeln. 

Carajo! rief Don Gomez auffpringend, ich will willen, wer 
bie Perfonen find, Die ſich die Freiheit nehmen, mid zu ſich ein- 
zuladen. Geſchwind, ſchelle dem Kellner! 

Der Mulatte vollzog ſchweigend den Befehl feines Herrn. 
Wenige Minuten fpäter Elopfte e8 und der tagen - Kellner trat 
mit der devoten Frage ein: was der gnädige Herr befehle? 

Adreßbuch! fagte kurz und barſch der Merifaner. Der Kell: 
ner verbeugte ſich dienfibefliffen und entfernte. fih, um das Ver— 
langte herbeizufchaffen. 

Sag’ mir, Papageno, wendete fih Don Gomez zu feinem 
ftet8 willigen und unbedingt jedes Winkes gewärtigen Diener, 
fage mir, wie fommt es eigentlih, daß mid die hamburger Pa— 
trizter, wie man diefe reichen Handelsherren bier zu nennen be— 
liebt, plößlich in ihre Kreiſe ziehen? Ich Habe Niemand befucht, 
al8 meinen Gonful, und aud das nur, weil eigenhändig abzu- 
gebende Briefe mich dazu nöthigten, indem er zugleich mein Ban— 
quier iſt. Ich Halte diefen Mann des Geldes aber durchaus nicht 
für fo wichtig und einflußreid , daß er mir die bedeutendften Sa- 
(ons der reichen und vornehmen hiefigen Welt zu öffnen vermöchte. 

Ew. Gnaden vergefjen, erlaubte fih der Mulatte hier ein- 
zufhalten, daß Ste vor zwei Wochen einer armen Frau bag 

| 4° 








30 
— — 2 mn 


Leben gerettet haben. Diefe ritterlihe und uneigennüßige That er- 
regte die allgemeinfte Aufmerkſamkeit. Lange Stunden noch ftan- 
den Hunderte von Menfchen vor dem Bortal des Hotels und be- 
gehrten Ew. Gnaden Namen zu erfahren. 

Närrifches Volk! lachte Don Gomez. Weil ich zufällig mich 
mit Segeln auf ſtillem Wafler amüfirte und dem verunglüdten 
Meibe nahe genug fam, um ihm eins unferer Ruder zu reichen, 
überhäuft man mid mit Aufmerffamfeiten? Wär’ mir nicht fo 
bequem gewejen, bei Torquemada, dem großen Birtuofen in der 
Kunft, Widerfpenftige zum Reden zu bringen, ich hätte das mir 
höchſt gleichgiltige Weib ertrinfen laſſen, wie eine Ratte. 

Bin davon vollfommen überzeugt, erwiderte mit Tnechttfcher 
Unterwürfigkett der Mulatte, da nun aber Ew. Gnaden einmal 
Großmuth gelibt haben, fo müflen Ste fi jetzt auch bequemen, 
bie Folgen Ihrer Handlungsmwetfe geduldig auf fi zu nehmen. 

Haft recht, Papageno, lachte Don Gomez, und ih wills 
tun mit einem Anftande und einer Beſchützermiene, als wäre id 
mindeflens der weiland allmächtige Vicekönig von Mexiko. 

Der Kellner Fam mit dem Adreßbuche zurüd. 

Hier, Papageno, fieh zu, ‚wer der große Herr ift, der mid 
ald fremden Lockvogel unter feine einheimifchen Schnatterer zu 
verfeßen wünſcht. 

Es verging einige Zeit, ehe der Mulatte in dem umfang- 
reihen Namenverzeichniß fich zurecht fand. Don Alonfo Tegte ſich 
inzwifchen an's Fenſter, brannte fih eine Gigarre an und ließ 
feine fharfen müßigen Augen bald unter. den Linden des Jung 
fernftieges fpazteren gehen, bald über die blaue Aliter hinüber- 
ſchweifen. 

Endlich hatte der Mulatte die gewünſchte Auskunft gefunden. 

Herr Heidenfrei, meldete er ſeinem Herrn, iſt Kaufmann 
und Rheder. 

War zu erwarten, erwiderte gleichgiltig der hochfahrende 
Mexikaner. Außer den Kaufleuten, glaub' ich, gibt es hier gar 
keine Menſchen, die ein Haus machen oder zu machen im Stande 








find. Gut denn, ih will mir's überlegen. Grfundige dich in- 
beffen nach den näheren Verhältniffen dieſes mir gänzlich unbe- 
fannten Mannes und beridte, was du erfährt, mir getreulic, 
wie ich e8 von dir gewohnt bin. — Doch, bald hätte ich's ver- 
geffen, unterbrah fih Don Gomez, du Haft mir noch nicht ge- 
fagt, wo die artige Kleine geblieben tft, die wir fihon einige 
Male bier aus- und eingehen ſahen, und von deren näherer Be- 
fanntfchaft ih mir großes Vergnügen verfprehe. Das Kind hat 
meinen volliten Beifall. Es tft fehr hübſch, tadellos gewachſen, 
naiv, arglos, unfhuldig wie die Engel im Himmel, und das 
Blau der köſtlichen Augen, deren es fih rühmt, erinnert mid an 
den woltenlofen Azur meines unvergleihlichen Vaterlandes. Konn— 
teft du die Wohnung diefes Juwels, der wohl in merikanifches 
Gold gefaßt zu werden verdient, noch nicht ermitteln ? 

Mafter Papageno verſetzte diefe Frage in nicht geringe Ver— 
legenheit. Da er fih nicht recht verjtändlih machen konnte, fo 
hatte er über Chriftine, die häufig in dem Hotel aus- und ein- 
ging, um feine Wäfche von einfehrenden Fremden abzuholen und 
fie gereinigt wieder dafelbft abzugeben — einen Nebenverdienft, den 
das fleigige Mädchen mit ihrer Mutter theilte — nichts Zuver- 
läffiges erfahren fönnen. Zögernd mußte er jegt dies Geftändnif 
ablegen, worüber Don Gomez ſo heftig ward, daß er thn mit ben aus- 
erfefenften Flüchen, an denen die jchöne fpanifche Sprache beinahe fo 
reich tft, wie Die magyarifche, überjchlittete. An derartige Zornausbrüche 
ſchon gewöhnt, nahm fie der Mulatte ruhig hin. Nur fein finfte- 
res Auge grollte und ſchoß heimliche Glutblicke nach dem erbitter- 
ten Herrn. . 

Als dlefer ſich ausgetobt hatte, jagte Maſter Papageno: 

Ich werde aufpaflen, Herr, und fobald id des Mädchens ane 
ſichtig werde, es verfolgen. 

Thue das, du ſollſt eine Dublone dafür haben. 

Ew. Gnaden müffen mir aber ein Verfprehen geben. 

Ich? Wozu? 

Damit ich nicht in Ungelegenheiten komme, 





— 52 —— 


Leben gerettet haben. Dieſe ritterliche und uneigennützige That er— 
regte die allgemeinſte Aufmerkſamkeit. Lange Stunden noch ſtan— 
den Hunderte von Menſchen vor dem Portal des Hotels und be— 
gehrten Ew. Gnaden Namen zu erfahren. 

Närriſches Volk! lachte Don Gomez. Weil ich zufällig mich 
mit Segeln auf ſtillem Waſſer amüſirte und dem verunglückten 
Weibe nahe genug kam, um ihm eins unſerer Ruder zu reichen, 
überhäuft man mich mit Aufmerkſamkeiten? Wär's mir nicht fo 
bequem gewefen, bei Torquemada, dem großen Virtuoſen in der 
Kunft, Widerfpenftige zum Reden zu bringen, ich hätte das mir 
höchſt gleichgiltige Weib ertrinten laffen, wie eine Ratte. 

Bin davon vollfommen überzeugt, erwiderte mit knechtiſcher 
Unterwürfigfeit der Mulatte, da nun aber Ew. Gnaden einmal 
Großmuth geübt haben, fo müfjen Ste fih jest auch bequemen, 
die Folgen Ihrer Handlungsweife geduldig auf fih zu nehmen. 

Haft reht, Papageno, lachte Don Gomez, und ih will's 
thun mit einem Anftande und einer Beſchützermiene, als wäre th 
mindeftend der weiland allmächtige Vicekönig von Mexiko. 

Der Kellner kam mit dem Adreßbuche zurück. 

Hier, Papageno, ſieh zu, wer der große Herr iſt, der mich 
als fremden Lockvogel unter ſeine einheimiſchen Schnatterer zu 
verſetzen wünſcht. 

Es verging einige Zeit, ehe der Mulatte in dem umfang⸗ 
reichen Namenverzeichniß ſich zurecht fand. Don Alonſo legte ſich 
inzwiſchen an's Fenſter, brannte ſich eine Cigarre an und ließ 
ſeine ſcharfen müßigen Augen bald unter. den Linden des Jung- 
fernftieges fpazteren gehen, bald über die blaue Aliter hinüber- 
fchweifen. 

Endlich hatte der Mulatte die gewünſchte Auskunft gefunden. 

Herr Hetdenfrei, meldete er feinem Herrn, ift Kaufmann 
und Rheder. 

Mar zu erwarten, erwiderte gleiähgiltig der hochfahrende 
Mexikaner. Außer den Kaufleuten, glaub’ ih, gibt es bier gar 
feine Menfchen, die ein Haus machen oder zu machen im Stande 





— 53 — 


ſind. Gut denn, ich will mir's überlegen. Erkundige dich in— 
deſſen nach den näheren Verhältniſſen dieſes mir gänzlich unbe— 
kannten Mannes und berichte, was du erfährſt, mir getreulich, 
wie ich es von dir gewohnt bin. — Doch, bald hätte ich's ver— 
geſſen, unterbrach ſih Don Gomez, du haſt mir noch nicht ge— 
ſagt, wo die artige Kleine geblieben iſt, die wir ſchon einige 
Male hier aus- und eingehen ſahen, und von deren näherer Be— 
kanntſchaft ich mir großes Vergnügen verſpreche. Das Kind hat 
meinen vollſten Beifall. Es iſt ſehr hübſch, tadellos gewachſen, 
naiv, arglos, unſchuldig wie die Engel im Himmel, und das 
Blau der köſtlichen Augen, deren es ſich rühmt, erinnert mich an 
ben wolkenloſen Azur meines unvergleichlichen Vaterlandes. Konn— 
teſt du die Wohnung dieſes Juwels, der wohl in merikanifches 
Gold gefaßt zu werden verdient, noch nicht ermitteln ? 

Mafter Bapageno verfegte diefe Frage in nicht geringe Ver— 
legenheit. Da er fih nicht recht verftändlih machen Fonnte, fo 
hatte er über Chriftine, die Häufig in dem Hotel aus- und ein— 
ging, um feine Wäfche von eintchrenden Fremden abzuholen und 
fie gereinigt wieder dafelbft abzugeben — einen Nebenverdienft, den 
das fleifige Mädchen mit ihrer Mutter theilte — nichts Zuver— 
läffiges erfahren fönnen. Zögernd mußte er jebt dies Geſtändniß 
ablegen, worüber Don Gomez fo heftig ward, daß er ihn mit den aus— 
erlefenften Flüchen, an denen die ſchöne fpanifche Sprache beinahe fo 
reich ift, wie Die magyarifche, überjchüttete. An derartige Zornausbrücde 
ſchon gewöhnt, nahm fie der Mulatte ruhig hin. Nur fein finfte- 
res Auge grollte und ſchoß heimliche Glutblicke nach dem erbitter- 
ten Herrn. 

Als dlieſer ſich ausgetobt hatte, ſagte Maſter Papageno: 

Ich werde aufpaſſen, Herr, und ſobald id des Mädchens an- 
ſichtig werde, es verfolgen. 

Thue das, du ſollſt eine Dublone dafür haben. 

Ew. Gnaden müſſen mir aber ein Verſprechen geben. 

Ich? Wozu? 

Damit ich nicht in Ungelegenheiten komme. 


— 54 — 


Ah fo, erwiderte lachend der leichtfertige Gomez. Du fürch— 
teft Händel, oder genirt dich etwa die Polizei? 

Beides, Herr, verfebte der Mulatte, und ich habe nicht Luft, 
in beiden Fällen allein den Lohn einzufteden. 

Schon gut, fagte Don Gomez. Du haft volle Freiheit, mei- 
nen Namen nad Belieben zu gebrauchen, und follte es troßdem 
doch zu Conflieten kommen, fo werde ich meinen ganzen Einfluß 
bei meinem Conſul anwenden, um die Folgen für dich nicht 
empfindlich zu machen. 

Diefe Zufiherung ſchien Mafter Papageno zu beruhigen. Er 
jummte ein heimathliches Lied vor fih bin, mährend cr die Gui— 
tarre feines mufif- und gefangliebenden Herrn mit einer neuen 
Quinte bezog und das Inftrument, auf dem er felbft einige Fer— 
tigkeit beſaß, glodenrein ſtimmte. 

Don Alonfo Gomez fuhr indeß fort, die Spaziergänger auf 
ber fhönen Promenade und was ihm fonft in die Augen fiel, zu 
muſtern. Traf es fih zufällig, daß ein vorüberwandelndes Mäd— 
hen aufblicte, nicht gerade in der Abficht, ihm irgend welche Auf- 
merkſamkeit zu ſchenken, fo verfland der galante Mexikaner durd 
den graztöfeften Gruß, fih der Unbekannten wenigſtens bemerklich 
zu machen, und mehr denn eine junge Dame ward dadurch mo- 
mentan in DVerlegenheit gefeßt. Don Gomez aber erreichte feinen 
Zwei. Er zwang die Schönheit von feinem Borhandenfein Notiz 
zu nehmen, und dad war für den gewandten Mann genügend, 
um weiter greifende Pläne im Stillen zu entwerfen. 

Wenn ih nur mwiffen könnte, wandte er fi jebt wieder an 
Mater Papageno, was dba in dem Haufe an der Ede für Zufam- 
menfünfte gehalten werden. Es verfehren da eine Menge Herren, 
metjtentheild ältere, Doc gibt e8 auch junge Darunter. Sie müf- 
fen den vornehmften Ständen angehören. Allabendlich geben fie 
fih wahrſcheinlich Tebhafter Unterhaltung Hin, denn dann zeigen 
fi die Räume des Haufes glänzend erleuchtet. 

Der Mulatte antwortete durch Achſelzucken. Diefe Art der 
Gebehrdenſprache erzürnte Don Gomez regelmäßig. Er fehte dann 


feine Nachforfchungen fo lange fort, bis er zu einem Refultate ge— 
langte. Auch jebt fehleubderte er feinem Diener ein paar wilde 
Slühe zu und nahm dann, um feine rege gewordene Neugierde 
zu befriedigen, abermals feine Zuflucht zum Kellner. 

Don diejem erfuhr er unter höchſt wichtigem Mienenfpiel, daß 
in dem bezeichneten Haufe die Mitglieder des Millionenelubs ſich 
regelmäßig zu verfammeln pflegten. | 

Millionenclub. Was fol das heifen? fragte Don Gomez. 

Das heißt, fuhr der Kellner erflärend und mit wo möglich 
noch wichtigerer Miene fort, es finden in dieſer Geſellſchaft höchſt 
ehrenwertber Männer nur Leute Zutritt, Die über ein Vermögen 
von Millionen zu verfügen oder die Ausficht haben, es bald big 
zum Millionär zu bringen. 

Aber zu welchem Zwede? fragte der wißbegierige 1 Merifaner. 

Zu welhem Zwede? Je nun, um nah beendigten Gefchäf- 
ten die Zeit ſich angenehm zu verkürzen. 

Mit jungen, fhönen Srauen? warf Don Gomez, wie ein 
Satyr lähelnd, ein. Bei meiner Mutter Augenbrauen, in diefem 
Falle möhte ih Mitglied diefes Clubs werden. 


Man bat niemals gehört, erwiderte der diplomatiſche Kellner, 
daß die höchſt reſpectabeln Mitglieder des Millionenclubs fo leicht: 
fertigen Vergnügungen fih crgeben hätten. Wan lebt immer 
folid in jenem erelufiven Zirkel und um nicht jedes landläufige Ge— 
nie und andere leichtfertige Geifter mehr darin auzulaffen, Hat 
man die weile Einrichtung getroffen, immer nur zu ſehr hoben 
Einſätzen Karten zu jpielen. 

Finde ih nur billig, fagte legere der Merifaner. Wie hoch 
zum Beijpiel? 

Es wird behauptet, fagte ſehr fein lächelnd der Kellner, daß 
haufig Verluſte eines Einzelnen an einem Abende in Belauf zu 
zehntaufend Mark und mehr notirt worden find. 


Don Gomez, welder diefe Unterhaltung mit dem Kellner am 
Senfter ftehend geführt hatte, drehte fih wie ein Kreijel um. 


Diablo! rief er aus. Das tft anſtändig. Ich fange an, 
große Hochachtung vor den ehrwürdigen Mitgliedern dieſes Ehr— 
furcht einflößenden Clubs zu empfinden. Kann man nidt die 
Namen Einiger erfahren? 

Don Gomez z0g fein Taſchenbuch hervor und blätterte in den 
erhaltenen Ginladungsfarten. 

Einige wenige find mir periönlich bekannt, fagte der. Kellner, 
deſſen Eitelkeit es jhmeichelte, den Glanz und Reichthum feiner 
Baterftadt vor einem ſtolz und gebieterifch auftretenden Eingebore— 
nen Mittel-Amerifa’3 recht hervorzuheben. 

Nun, ſo laßt hören. 

Der Kellner nannte zwei, drei Namen. Als der vierte über 
feine, Lippen glitt, murmelte der Merifaner erfreut abermals ein 
Diablo, denn er fand diefen Namen auf einer der erhaltenen Kar- 
ten. Der legte Name der nicht ganz kurzen Liſte des Kellners 
lautete: Peter Thomas Heidenfrei. 

Es tft gut, fagte Don Gomez, fein Taſchenbuch wieder jchlie= 

gend. Wo wohnt diefer Herr Heidenfrei? 
Außerhalb der Stadt. Er befißt drei ſchöne Landhäufer, von 
denen das practvollfte, größte, am glänzendften eingerichtete mitten 
in einem Park an den malerifchen Ufern der Elbe liegt. In die— 
jem Sommer refidirt die Familie Heidenfrei auf dieſem letzteren 
Landſitze. Alle Gäfte werden dort empfangen. Künftigen Sonn- 
tag tft, wie verlautet, ein großes Feſtin dafelbft. 

Don Gomez blidte noch einmal in fein Tafchenbuch, Lächelte 
zufrieden und entließ den Kellner, der ihm ein fo bereitwilliger 
Bicerone gewefen war, mit danfender Gönnermiene. 

Diablo! fprah er darauf zu Mater Papageno. Hamburg 
beginnt für mich intereffant zu werden. Ich babe früher oft ge- 
hört, der Fremde, der nicht des bloßen Geldverdienend wegen hier- 
herkomme, langweile fi bald, deun e8 mangle der großen Menge 
an jeglihem Sinn für die verfchönernden Künfte des Lebens, die 
Vornehmen und Reihen aber feien ſtolz, ſchwer zugänglich und 
Geiſt, Witz, Humor fänden fih nicht in dem Wörterbuche ihrer 





— 57 — 


Sprache. Nun iſt es zwar möglich, daß ſich das ganz ſo verhält, 
dennoch will mich bedünken, es müſſe in dieſem Falle ſich irgend 
ein Erſatz finden, der dieſen Mangel nicht bemerkbar werden läßt. 
Zweierlei weiß ich vorläufig: man hat hier die Mittel, um groß, 
vornehm und raffinirt zu leben, und man ſucht von dieſen Mit— 
teln Gebrauch zu machen. Außerdem gibt es Frauen und zwar 
ſehr hübſche Frauen. Das genügt vorerft. Ich werde den Einla= 
dungen der beiden Mitglieder des Millionenelubs Folge Teiften, 
und mas dann weiter gefchieht oder gefchehen ſoll, will ich getroft 
meinem Glüdsfterne überlaffen. — Zehntaufend Marf an einem 
Abend! Bei Gott und allen Schönen, die ih je geliebt, diefe 
Kaufherren haben einige ‚Recht, fich Königliche Kaufleute zu nen= 
nen. — Papageno, einen Wagen! Ich will hinausfahren an Die 
Elbe, da, wo dieſe Millionäre ihre Landfige haben. Es tt gut, 
wenn man den Boden, auf dem man wandeln oder tanzen foll, 
zuvor revidirt. 

Eine halbe Stunde ſpäter trug ein mit zwei feurigen Rap— 
pen beſpannter Wagen den lebensluſtigen Mexikaner und ſeinen 
Bedienten in raſchem Laufe durch die gewühlvollen Straßen der 
großen Stadt, deren zahllofe Ausrufer dem Sübländer viel Vergnügen 
gewährten, da die Lebendigkeit derfelben ihn im Geiſte zurüdver- 
feßte unter die heißen Strahlen der tropifchen Sonne. 


— — 


Siebentes Kapitel. 


Gebrüder Heidenfrei. 


In den ſchattigen Gängen des parkähnlichen Gartens, wel: 
her den prachtvollen Landſitz des reichen Rheders Heidenfrei um— 
gab, wandelten zwei junge Männer lebhaft ſprechend auf und ab. 
Beide gingen in bequemer, leichter Kleidung, wie man ſie in 
Mittel⸗Amerika auf den Pflanzungen zu tragen pflegt. Als Kopf⸗ 


— 58 — 


bedeckung diente ihnen ein ſehr breitkrempiger Strohhut mit herab- 
flatterndem gelbem Seidenband. 

Wir lernen in diefen Männern die Söhne des Kaufmannes 
Heidenfrei Eduard und Ferdinand fennen. Ste hatten einige Jahre 
fomohl in den Staaten der Union, wie im ſüdlichen Amerifa zu- 
gebracht und nad ihrer Rüdfchr in die Heimath gewifle ihnen Tieb 
gewordene Gewohnheiten beibehalten. Da dies einiges Aufichen 
unter ihrer Bekanntſchaft machte, jo nannte man die Brüder wohl 
bisweilen die Amerikaner, was dieje indeß wenig kümmerte. 

Bet einem freien Ausblif auf den Strom mit feinen frucht— 
baren Inſeln blieben die Brüder jegt ftehen und betrachteten einige 
Minuten lang das erhebende Bild. Mehrere große Kauffahrtet- 
ichiffe famen mit vollen Segeln den breiten Strom herauf, denn 
es wehte eine frifche Brife aus Welt und die Fluth trieb den Ebbe— 
from zurüd. . 

Handel und Schifffahrt gehen einer völligen Umgeſtaltung 
entgegen, ſagte Eduard, der ältere Bruder, zu dem jüngeren 
Ferdinand, wenn es der Wiſſenſchaft erſt gelungen fein wird, .diefe 
wichtige Erfindung mehr zu vervollkommnen und die bisher nod 
faum gekannte Elementarfraft dem Willen des Menfchen gänzlich 
dtenftbar zu maden. Diefe erften ſchwachen Verſuche überrafchen 
fhon, und doch liegt die ganze Erfindung, die Gonftruction des 
Mechanismus, welher durch die treibende Kraft des Dampfes in 
Bewegung gejeßt wird, nod in der Kindheit. Es kommt mir vor, 
wenn ich eins biefer Dampfichiffe die Wellen durdyfurden fehe, als 
beginne ein Kind eben zu laufen und wage nod nicht feft aufzu= 
treten. Das Rad, welches das Schiff vorwärts treibt, quirlt mehr, 
als es rudert, aber das will nichts fagen. Die Menjchheit tft in 
bas Zeitalter getreten, mo ed dem forjchenden Genie gelingen wird, 
alle Kräfte der Natur zu benugen, indem es fie fhärfer definirt. 
Der menſchliche Geift, der immer der Träger neuer fruchtbarer Ideen 
war, bat fi infofern einen viel weiteren Wirkungskreis ſelbſt ge- 
zogen, als er aus bloßem träumerifhen Taſten auf realen Boden 
herab: oder eigentlich heraufgeittegen ift. Dadurch allein kann und 


— 59 — 


wird das Licht der Wiſſenſchaft in jeder Beziehung eine dem großen 
Ganzen dienende, überall hin Strahlen der Aufklärung verſendende 
Weltleuchte, und das, will mich dünken, müßte Ziel und Zweck 
aller Wiſſenſchaft in unſerm Jahrhundert ſein. Die Wiſſenſchaft 
blos der Wiſſenſchaft wegen treiben, mag auch ſeine Verdienſte 
haben, ihre Aufgabe die Welt zu erhellen, die Menſchen aufzuklä— 
ren, erfüllt fie meiner Anfiht nah doch erft dann in weiteltem 
Sinne, wenn fie der todten Materie gleichſam Seele einhaucht. 

Du wirft mit diefer Anfiht auf viele und heftige Gegner 
ftoßen, jagte mild der jüngere Bruder. Alle Anhänger der Wiflen> 
fhaft waren und find jetzt noch erclufiv. Sie wollen die Schäße 
des Geifles nicht Gemeingut Aller werden laffen. Darin erbliden 
fie eine Profanation. Ich fürchte deshalb, die Wiflenfhaft wird, 
jobald fie dem Nützlichkeitsprincip dient, bei einer nicht geringen 
Anzahl gerade geiftig Begabter einen fchweren Stand haben. 

Mag fein, erwiderte Eduard, dennoch ift es unfere Pflicht, 
ja die wahre große Aufgabe unferes Lebens, nicht müſſig zu blei- 
ben. Jene Erelufiven, die den Champagnerſchaum geiftigen Schaf- 
fend nur für fih allein behalten wollen, taumeln auf Irrwegen 
umher. Die Achte Aufflärung darf fih nie verfteden, nie blog 
das Eigentfum weniger Auserwählter fein wollen, die bei ver— 
ſchloſſenen Thüren fih ftil an ihrem Feuer erwärmen. Was der 
Geift zeitigt, gehört der Welt, der ganzen Menfchheit an, und 
wenn es die Aufgabe eines Reformators in religiöfen Dingen tft, 
allen Menſchen die Segnungen freier Forſchung mitzutheilen, fo 
wird es vorzugsmeife die Weltaufgabe des Kaufmannes, der mehr 
als bloßer Krämer und Schadherer tft, fein müffen, der Erfindun- 
dungen des Scharffinnes, der Entdeckungen der Wiffenfhaft fih zu 
bemädtigen, um fie auf feine Weiſe zum Heile der Mit- und 
Nahmelt zu verwenden und zu verwerthen. Das mag egoiftifh 
fingen und nad Spefulationggeift duften, im Grunde heißt. es 
doch weiter nichts, als der Sultur, der Giviltfation, der Bildung 
im Großen auf friedlihem Wege eine Gaſſe bahnen. 

Wir denken wohl beide gleich über dieſe Angelegenheit, verfeßte 


— 60 — 


Ferdinand, und wenn wir feſt zuſammenhalten, andere Gleich— 
altrige für und zu gewinnen ſuchen, fo müſſen wir auch nach 
einiger Zeit mit unfern Plänen durchdringen. Vorläufig ' freilich 
wird nur große Behutfamkeit diefen förderlich fein. Die geringe 
Theilnahme, welde im Augenblid die Kaufmannfhaft der neuen 
Erfindung zuwendet, ift ganz allein in der mangelhaften Kenntniß 
der Naturkräfte zu fuhen. An Unternefmungsmuthigen fehlt es 
und nidt, nur bat felbit der Kühnfte nicht Luft, auf ein Unbe- 
kanntes zu fpefuliven und biejem große Summen zu opfern. 
Bildung aljo, möglihit erweiterte Bildung wird die Bedin— 
gung fein, welche auch in kaufmänniſchen Dingen uns die ganze 
Welt zu eigen gibt, fiel mit Jugendfeuer Eduard Dem. Bruder in's 
Wort. Wir haben demnah zunähft auf Vermehrung zmweddien- 
licher Bildungsmittel zu fehen. Verbeſſerung des Schulunterrichtg, 
Ausdehnung defjelben auch über die eigentliche Zeit der Lehrjahre 
hinaus, Verleihung nöthiger Mittel zu deffen Erlangung für die 
Armen, bejonders für den Arbeiterftand. Das Alles wird der In— 
telligenz der Handelswelt von unberehenbarem Nutzen fein. Ich 
läugne nicht, Bruder, daß bei und nod Vieles zu fehr nad altem 
überlieferten Schlendrian getrieben wird. Man jtolpert dabei frei— 
lich nicht Leicht, aber man bleibt doch in vielen Dingen Hinter dem 
Zeitgeifte zurüd. Diefe Einſicht hat mir Amerika gegeben, das ich 
fonft nicht gerade preifen möchte. Der Amerikaner beſitzt eine 
ſchnelle Safjungsgabe, er ift keck, wagt gern und richtet fein Augen- 


merk immer feit auf einen beftimmten Punkt. Das gibt ihm eine 


ſtaunenswerthe Sicherheit, verleiht ihm Vertrauen zu ſich felbft und 
da er leider das Herz nie fragt, fo macht er in allen rein praf- 
tiſchen Dingen wunderbare Fortichritte, erzielt die unbegreiflichiten 
Refultate. Wir Europäer haben eine andere Miffion zu erfüllen. 
Bei und darf das Nützlichkeitsprincip allein nicht maßgebend jein. 
Unfer Heimathland hat auch in Bezug auf Merkantilismus nicht 
mehr zu erobern, umzuflürzen, es joll nur reformiren. Und unter 
allen Nationen der Welt befißt die deutfche das meifte Reformationg- 
talent. Sie ift zäh, aber dehnbar, und hat fie einmal irgend 





— 61 — 


etwas als richtig erkannt, ſo jagt man ihr das nicht wieder ab, 
weder mit Feuer noch Schwert. Laſſe ſie dies Reformationstalent 
auch über das Weltmeer hinüber ſich geltend machen, indem ſie 
der wahren Cultur erwirbt, was der rohe, kräftige, egoiſtiſche Yankees— 
mus der gänzlichen Wildnig als Eroberer entreißt, und die ger= 
mantfhe Race macht fih überall zum geiftigen Herrn ber Welt, 
in Europa, wie in Amerika. 

Du haft Recht, fagte Ferdinand, fein Auge auf den lebhaften 
Strom heftend, der mit den vielen auffegelnden Schiffen einen 
großartigen Anblik gewährte und das Herz eines Welthandelsheren 
wohl höher ſchlagen machen konnte. Wir Hanfeaten zumal follten 
und müßten innig felt zufammenhalten, um, wohin deutiche Schiffe 
jegeln, die deutfhe Handelswelt auch würdig zu repräfentiren. 
Nennen wir und nah dem Bund der Hanfa noch immer Hanfeaten, 
jo thäten wir klug, wenn wir aud den Goalittonsfinn unferer 
Vorfahren in und wieder aufleben madhten. Hamburg, Bremen, 
Lübeck, in ihrem Streben einig, können nod immer eine Macht 
ausüben, vor der Jedermann den Hut ziehen muß. Aber zögern 
dürfen fie nicht, auch der Neid muß fih nicht in den Schooß ihrer 
Bürger einniften, fonft könnte der Kleinfichkeitsgeift des deutfchen 
Particularismug, der unfer Gefammtvaterland politiſch leider fo 
ohnmächtig macht, auch die Thatkraft der deutfchen, oder, was das⸗ 
felbe ift, der hanfeatifhen Handelsthätigkeit hemmen, vielleicht gar 
untergraben. 

Wie der alte Freiherr von Attinghaufen in des großen Dich- 
ters „Tell“ den Schweizern fterbend an's Herz legt, einig zu fein, 
fo wollen wir ale Lebende die Lehre vom Ginigfein und Einig— 
bleiben predigen, erwiderte Eduard. Als Apvftel einigen und 
freien Handelns wollen wir einen neuen Hanfabund gründen, deſſen 
Devife heißen fol: Eroberung auf friedlihem Wegel Es wird 
und an Jüngern, die fih ung gern und eifrig anfchliegen, nicht 
fehlen. Auch die ftilleren, gemeſſenen Leute, denen das Alte Tieb- 
geworden, bequemen fih dann zum Neuen, wenn fie einjehen, daß 
es nicht zerſtört, ſondern baut. Darin tft der Kaufmann jedem 


— 62 — 


Fortſchritt immer leichter zugänglich, als der Gelehrte. Seine Bil— 
dung gleicht immer einem Rechnenexempel. Sie mehrt ſich gemäß 
der Summe, bie er dabei zu erwerben did Ausſicht hat. Der 
Gelehrte dagegen zehrt allen realen Gewinn durch den rein geifti- 
gen auf. Darin befteht der Unterſchied zwilchen der Civiliſation, 
welche der Handel anbahnt, und jener, die ein Produkt der Ge- 
lehrſamkeit iſ. Wäre es nur möglih, einflußreiche Männer der 
MWiffenfhaft, deren Deutichland Gott Lob genug zählt, für dieſe 
Auffaffung aller commerciellen Fragen zu gewinnen, wie groß und 
raſch würden alsdann die Fortfchritte fein, welche beutfcher Geift 
und deutſcher Einfluß überall da gewinnen müßten, wo beutfdhe 
Handelsleute ein Comptoir anlegen und bie Flaggen der feefahren- 
den Staaten unfered Baterlandes an den Küften ferner Länder 
fih entfalten! 


Das Auge des Sprechenden glänzte in ftolzer Freude und 
jhmeifte abermals hinüber auf den Strom, den mit der wachen 
den Fluth immer mehr Schiffe erfüllten. Aus dem Landhauſe, 
deſſen Bedachung über eine Gruppe wohl gepflegter Bäume her— 
überblidte zu den beiden jungen Männern, ließ fich jegt eine ſtarke 
wohltönende Sopranftimme hören. 


Ulrike fingt, fagte Ferdinand, fih umfehrend, den Arm des 
Bruders ergreifend und dieſen mit ſich fortziehend. Laflen wir 
jebt unfere commerciellen Pläne ruhen und Huldigen wir den ſchö— 
nen Künften. Es tft doch etwas herrliches um eine Menſchen— 
ftimme, die in fo ſchmelzend füßen Klängen alle höchſten Freuden 
der Seele, alles tiefite Herzensweh aushauchen und es Andern 
an's Herz legen Tann. 

Das Mädchen fingt in der That wunderbar Iieblih, ſprach 
Eduard. Man wird gefeffelt, entzüdt, beraufht, fo oft fie eind 
ihrer Lieder zur Laute anftimmt.' 


Meint du nicht auch, dag Ulrike am gefühlvolliten fingt, 
wenn fie ganz allein tft und fi unbeachtet weiß oder doch glaubt? 
Ich habe nicht genau darauf geachtet, erwiderte Eduard, viel- 





— 63 — 


leicht, ſetzte er mit einem feinen Lächeln hinzu, weil ich die Farbe 
ihrer Augen nicht mit ſolchem Eifer wie jemand anders ſtudirte. 

Ferdinand ließ dieſe Bemerkung unbeachtet, dem Hauſe, das 
jetzt mit ſeiner in den Garten hinabführenden Freitreppe ganz vor 
ihnen lag, zuſchreitend. | 

Nur einmal, fuhr er fort, als hätten feine Gedanken in der 
Vergangenheit geweilt, babe ich Ulrike in Gefellihaft mit dem gan 
zen bewältigenden Zauber ihrer feelenvollen Stimme fingen hören, 
und id bedauere noch jebt, daß du damals gerade verreift warft. 

Beim legten Feſtin, das Vater gab? 

Sa, fagte Ferdinand, Don Gomez, der reiche Meritaner, der 
jo ſchnell ein ſtark begehrter Gaft in der guten Gefellfhaft gewor⸗ 
den tft, weil er fi gegen eine arme Frau mild und menfdhen- 
freundlih erwies, accompagnirte damals Ulrike. Er fpielt die 
Laute eben jo meilterhaft wie Ulrike nach meinem Dafürhal- 
ten fingt. | 

Man Hört viel von diefem Mexikaner fprechen, antwortete 
Eduard. Jedenfalls iſt er fein gewöhnlicher Alltagsmenſch. Ge— 
rade deshalb aber, dünkt mich, follte man etwas vorfſichtiger fein 
und ihm nicht fo fchnell volles Vertrauen ſchenken. Es gibt der 
Abenteurer gar zu Diele. 

Unter diefe Rubrif gehört Don Gomez fiherlih nicht, ver- 
ſetzte Ferdinand. Er ift unftreitig, wofür er ſich gibt, dennoch aber 
fann er gefährlich werben. 

Für Ulrife? fragte mit dem früheren feinen Lächeln Eduard. 

Vielleicht auch für Elifabeth, entgegnete Ferdinand. 

Der Gefang verftummte jeßt, und Eduard z0g den Bruder 
wieder feitwärts in einen Gang bes weitläufigen Gartens. 

Erkläre dich deutlicher, fagte er ernft. Du Haft den Merifa- 
ner gejehen, gefprocdhen, fogar beſucht. Du mußt dir ein ungefäh- 
res Urtheil über ihn gebildet haben. Ä 

Ferdinand' erzählte, 

Während deiner Abweſenheit erhielten wir eine Einladung zu 
Banquier M*, der eine feiner zahlreichen Gefellfhaften gab. Du 





’ — 64 — 


[ 


weißt, dem Vater liegt wenig an derartigen DVergnügungen. Ges 
fhäftsangelegenheiten nahmen ihn ganz in Anſpruch, auch fühlte er 
fid nicht wohl. Deshalb blieb er mit der Mutter zu Haufe, nur 
ih und Elifabeth folgten der erhaltenen Einladung. Wir unter- 
bielten ung ungewöhnlich gut, weil außer dem bekannten Kreife, 
der nicht geeignet tft, Leute jüngeren Alters und frifchen Streben 
befonbers zu fefleln, diesmal eine große Anzahl vornehmer Frem- 
ber zugegen war, die, auf ihrer Durchreife, einige Zett in Ham⸗ 
burg vermweilten und fih bei unferm Kröfus die Börfen füllten. 
Wir trafen alfo allerlei Volt und zwar Volt aller Nationen. 
Auch waren alle Stände jo ztemlich vertreten, denn es befanden 
fi unter der etwa aus fiebenzig Perfonen beftehenden Geſellſchaft 
zwei deutfche Fürften von Geblüt, ein früherer reichsunmittelbarer 
Graf, der mit feinen vielen Orden gewaltig paradirte. Ferner 
gab es Gelehrte, ein paar Virtuofen, zwei Maler, drei Poeten und 
fehr, fehr viele Jünger Merkur's. Es mußte demnach lebhaft, un⸗ 
terhaltend,, ja in gewiflem Sinne fogar ungenirt zugehen, was tn 
unfern Geſellſchaften gewöhnlich fchwer zu erreichen ift, da die Mei— 
ften die Gierfhaalen fteifer Etiquette immer mit fih herumtragen. 
Höchſtens zu Ende der Tafel vergißt fie der Eine oder Andere, 
dann geht aber das Vergnügen gewöhnlich raſch zu Ende. Unter 
ben Fremden fiel Jedem Don Alonfo Gomez fehr bald in die Au— 
gen. Die feine, ſchlanke Geftalt des jungen Merilaners, deſſen 
dunklere Gefihtsfarbe durch die moderne franzöſiſche Gefellihafts- 
trat eher hervorgehoben als verdedt wurde, machte ihn bald zum 
Gegenftand allgemeinfter Beobachtung. Man fragte bald leiſe, 
bald Tauter, woher ber lebhafte junge Mann komme, wie er heiße, 
was er in Hamburg wolle! Ob nur das Bebürfnig, fremde Völ— 
fer und Städte kennen zu lernen, oder ob Handelsgefhäfte ihn zu 
und geführt hätten? So wußte denn ſchon in der erften Stunde 
Jedermann, daß Don Gomez rei, unabhängig, unverheirathet ſei; 
daß er nur zu feinem Vergnügen Europa bereife, daß er in Ham— 
burg eine ebelmüthtge Handlung ausgeübt habe, und daß er einen 
höchſt Tiebenswürdigen Charakter befike. 





— 65s — 

Bedarf es mehr, um die Augen junger Frauen und Mädchen 
auf einen Mann zu lenken, der noch außerdem die Vorzüge ges 
felliger Talente mit den feinften Manieren vereinigt? Don Go- 
mez ward alsbald der bevorzugte Mittelpunft der ganzen Gefell- 
haft. Jeder wollte ihn fprechen, irgend eine feiner faft immer 
entweder wirklich originellen oder doc wenigftens originell Elingen- 
den Aeußerungen von ihm vernehmen. Er ſprach fi mit ſchö— 
nem, ja id mödte beinahe fagen mit hinreißendem Freimuth über 
die verſchiedenartigſten Gegenſtände aus. Auch unſere Stadt, ihr 
Leben, ihre Volksmaſſe, ſo weit er während der kurzen Zeit ſeines 
Aufenthaltes dies Alles hatte beobachten können, wurden von dem 
Mexikaner einer Beurtheilung unterworfen. So ſchief nun auch 
dies. Urtheil ausfiel und nothwendig ausfallen mußte, man fand 
es originell, koſtbar, entzückend, und beſonders die Frauen waren 
des Lobes voll über den unvergleichlich liebenswürdigen Sohn Me— 
xiko's. Ich glaube wirklich, manche unſerer Schönen hat noch in 
der Nacht fih aus irgend einer Leihbibliothek die Gefchichte der Er- 
oberung Mexiko's holen Lafjen, um den Boden und bie Stätte fen- 
nen zu lernen, wo der Mann, deflen Bild ſich ſchnell in Aller 
Herzen ftahl, geboren ward. 

Du wirft unliebenswürdig fpisig, warf Eduard ein. Dante 
Gott, daß Feine diefer Schönen dich hört, fie behielten ſich viele 
leicht vor, dir Alle beim nächſten Balle einen Korb zu geben. 

Endlich, fuhr Ferdinand in feiner Erzählung fort, ward mu— 
fietrt, in gewohnter Weiſe, wie das ja- fett Tange üblich tft, d. h. 
einer der geladenen Birtuofen ſetzte fih an den Flügel und extem— 
porirte unter Kopfihütteln und begetitertem Augenverdrehen, wo= 
bet die Mehrzahl aller Mebrigen ſich herzlich Tangmeilte, rauen und 
Mädchen fein fittfam in ihre Bacher ficherten, und wir Männer 
Thürpfoften, Wände und Pfeilertifchchen hielten, wohl auch insge⸗ 
heim zur Abwechſelung einmal gähnten. 

Spötter! fagte Eduard. Man wird dich aus der guten Ge: 
ſellſchaft verbannen müflen, um nur Ruhe vor deinen Bemerkun- 
gen zu haben. 

D. B. XI Willtomm’s Rheder und Matroſe. 5 


. — 66 — 

Don Gomez, erzählte Ferdinand weiter, langweilte fich eben⸗ 
falls, er war aber Flüger, als wir europäiſch Civiliſirten. Wäh— 
rend wir bildfäulenartig den Tönen bes Inftrumentes Taufchten, 
vtelleicht auch wohl im Stillen die Courſe berechneten und und 
heimlich nach dem Stande des Disconto erfundigten, erlaubte fi 
zum Grgögen aller Damen der unruhige Meritaner einem Komes 
ten gleich ganz allein dur den Salon zu fchweifen. Was einem 
Einheimtfhen von Niemand verziehen worden wäre, das fand bei 
bem Fremdlinge Jedermann delieiös. Und befjer hätte ſich ber 
fhlaue Don Gomez gar nicht präfentiren und Aller Augen vor= 
ftellen Tönnen, als auf diefer ruhelofen Kometenlaufbahn. Unſere 
Frauen und Mädchen fanden, daß fein Wuchs tadellos, fein Fuß 
ſchmal und Hein, fein Schritt elaſtiſch, feine Haltung biegfam, feine 
Tournüre von wunderbarer Natürlichkeit jet. Das glänzend ſchwarze 
Haar, das fein Friſeur mit feinen Pomaden parflümirt hatte, ſtach 
allen Mädchen in die Augen, und lange zuvor, ehe ber in Grtafe 
gerathene Virtuofe feine unklaren Gedanken in unverftändliche Mufit 
eingefleivet hatte, wußte die Blüthe der verfammelten Mädchenwelt 
genau, wie Don Gomez die Lippen fchürze, wenn er fein ober 
ſchalkhaft lächle, wie fein Blick befchaffen jet, und daß bie dunkle 
Farbe feiner Augen wie bläulih angelaufenes Emaille funfele und 
ſprühe. 

Als der Virtuoſe endigte, ward er pflichtſchuldigſt beklatſcht, 
nicht für den Genuß, den er ung bereitet hatte, ſondern aus tief- 
gefühltem Dank bafür, dag er aufzuhdren die Güte gehabt. Ein 
Einziger von Allen aber Flatfchte nicht und das war — 

Natürlich der unctvilifirte Sohn Gentral-Amerika’s, fiel Eduard 
dem Bruder in’d Wort, der übertrdifh natürlihe Don Alonfo 
Gomez. 

Anftatt in das begeiiterte Applaudiſſement der Männer alfo 
einzuflimmen , das Seitens des glüdlihen Virtuoſen durch wieder- 
holtes Schwenken ber lang herabhängenden Künftlerloden beant- 
wortet ward, fagte der Meritaner in feinem komiſch klingenden 
gebrochenen Deutfh, das abermals alle Welt delicids fand, ein 








— 67 — 


mexikaniſches Lied mit Guitarrenbegleitung klinge zwar nicht ſchö⸗ 
ner, ſei aber doch luſtiger anzuhören. 

Ich merke bereits, der Mann verſteht ſein Geſchäft, warf 
Eduard ein. Menſchen' ſolchen Schlages müſſen immer gefährlich 
werden. 

Augenblicklich ward er von wenigſtens zwei Drittheilen der 
Damen wie von einem ſummenden Bienenſchwarm umgeben. Un⸗ 
ter dieſen neugierigen Schwärmern für das exotiſche Männlein 
befand ſich auch unſere Schweſter. Ihre Schelmenaugen ſahen ſo 
pfiffig drein und das kleine Mündchen lachte ſo vergnüglich, daß 
die Grübchen in ihren Wangen immer tiefer wurden und aus 
jedem ein Amorettchen hervorguckte! 

Ad, könnten wir doch ein mexikaniſches Liedchen hören! wis- 
perte bort ein zartes Stimmen, flehte bier ein ſchöner Mund, 
bat daneben ein großes Teuchtendes Augenpaar. Don Gomez hätte 
ja ein Ungeheuer fein müflen, wäre er tm Stande geweſen, fo 
viele höher und wärmer fchlagende Frauenherzen auf einmal zu 
beleidigen. 

Wenn die Señorita's zufrieden fein wollen mit einer fchlechten 
Zetftung, fo würde ich gern mit Erlaubnig der Herrſchaften ein 
Liedchen vortragen, ermwiderte ohne alle Ziererei der Mexikaner, 
allein ich vermag unmöglich zu fingen ohne Zither oder Guitarre. 

Eine Buitarre! Eine Guitarre! baten, flehten, wisperten wie= 
ber die aufgeregten Schönen, und alsbald warb ein foldes In⸗ 
firument von einem der ſogleich abgefandten Bedienten des Hauſes 
herbeigefchafft. Es war ſchlecht genug, hölzern im Ton, mit etwas 
Elirrenden Saiten befpannt, bie alles Stimmen nicht heller tönen 
laffen wollte. Gerade dieſe Fehlerhaftigkeit der Guitarre erhöhte 
die Gefangesleiftung des Merifanerd. Auf demjelben Stuhle, wo 
ber fein gefhulte curopälfhe Virtuos, der von einer Kunftreife 
aus St. Petersburg zurrüdfchrte, unfere muſikaliſche Geduld auf 
eine ſchwere Probe geftellt hatte, nahm jegt Don Alonſo Gomez 
Platz. Er firih das in natürlichen Loden auf feine bräunlide 
Stirn Herabfallende Haar nachläſſig zurüd, präludirte mit wenigen 

5* 





feften Griffen und ftimmte nun zu einer merkwürdig einfachen Me» 
(odie ein Lied in ſpaniſcher Sprache an, das durch den Föftlichen 
Vortrag und die Elangreihe volle Tenorfiimme des Sängers jedes 
Herz bewegte. Don Gomez ward mit Applaus und Dankfagungen 
von allen Seiten überhäuft. Die Damen umdrängten ihn aber- 
mals und th bin feit überzeugt, viele haben ihm nicht blos ihre 
weichen Händchen gegeben, fondern fogar die Hand bes Föftlichen 
Virtuofen gedrüdt. Genug, feit jenem Tage warb Don Alonſo 
Gomez der Löwe des Tages, der erklärte, bewunderte Liebling aller 
Damen. Wie viele junge Frauen von ihm ſeitdem geträumt ha= 
ben, wie viele Mädchen gewünſcht haben mögen, Unterricht bei ihm 
in der fo füß und melodifch klingenden fpantfchen Sprache zu neh⸗ 
men, wird die Welt zum Glüd aller Männer nie erfahren. 

Du fhwärmit ja beinahe felbft, Indem du das Erlebniß er- 
zahlft, bemerkte Eduard. Doc ſprich: wie endigte diefe Intereffante 
Unterhaltung ? 

Ganz fo, wie fie endigen mußte, Iteber Bruder. Don Gomez 
war ohne Frage für einen großen Theil der Geſellſchaftswelt vor- 
läufig die wichtigfte, -begehrtefte Perföntlichkeit geworden. Jeder 
wollte den jungen, Liebenswürdigen Mann fennen lernen, der fo 
plöglih alle übrigen Männer verdunfelte. Die Einladungen häuf— 
ten fih, und da der Merikaner genug Weltkenntniß befigt, um zu 
wiffen, daß man fih ſuchen Laffen muß, wenn man mit jebem 
Tage begehrter fein will; jo flug er viele diefer Einladungen 
aus. Gleichzeitig Tiefen, vielleicht auf des ſchlauen Herrn eigene 
Veranlafjung, die merfwürdigften Gerüchte über ihn um. Es hie, 
er, den man bis jegt nur in heiterfter Stimmung, fprudelnd von 
Geiſt und Leben kannte, habe oft ſchwere Kämpfe zu beftehen, 
denn er ſei im Grunde ein Höchft unglüdlicher beflagengwerther 
Menſch. Bald erzählte man fih, eine Braut fei ihm durch india⸗ 
nifhe Krieger geraubt und ermordet worden, bald folkte er ſchon 
verhetrathet gewefen, feine junge Gattin aber von einem eiferfüch- 
tigen Anbeter, ber ihren Befig zu erringen gehofft babe, vergiftet 
worden fein. Ich, meines Theils, glaube an alle dieſe Gerüchte 


— 69 — 


nicht, deſto feiter hängen fi Frauen und Mädchen daran, aus 
purem Mitleiden, wollen fie behaupten, und da Don Gomez wirf- 
lich zuweilen einen romantifhen Anflug von Melancholie zur Schau 
trägt, muß natürlid Alles unbedingt wahr fein. Man beflagt. die 
furchtbaren Grlebniffe, die entfeglichen Erfahrungen des noch fo 
jungen, fo fhönen, fo anziehenden Mannes, und ftrebt nichts eifrt- 
ger an, als thn möglihft bald recht von Grund aus glüdlich zu 
maden. 

Sehr begreiflih, fagte Eduard. Und unter diefe Glücklich⸗ 
macherinnen gefellte ſich auch unfer Schweiterdhen ? 

Elifabeth verhielt fih anfangs fehr fill, berichtete Ferdinand, 
nur mit Ulrike mußte fie ſich über den auffallenden Fremdling weit= 
läufiger ausgefprochen haben. Ich erfuhr dies ganz zufällig einige 
Tage fpäter während des Frühſtücks, wobei ih die Bemerkung 
machte, daß beide Mädchen den Meritaner mehr als einmal zum 
Gegenftande ihrer Geſpräche gemacht haben mußten. Ulrike hielt 
nicht hinter dem Berge. Nach ihrer befcheidenen, ruhigen aber 
feften Art ſprach fie ed offen aus, daß fie den Fremden wohl fen- 
nen lernen möchte, und daß fie es durchaus nicht für unpafjend 
halte, wenn man ihn zur nächſten größeren Gefellihaft einlabe. 
Elifabeth fand dies glethfall® in der Ordnung, ja fie meinte fo- 
gar, es fet unerläplih, wolle das gaftfreie Haus Heidenfret nicht 
ungalant erfheinen. Die Mutter war bald gewonnen, ich felbit 
fonnte mit Zug und Recht nicht .widerfprehen, und der Pater 
fümmert fih, wie du weißt, um diefen Theil des Hausregimentes 
fehr wenig, wenn man ihm nur niht die Anordnung perfänlich 
zumuthet. So erfolgte denn eine Einladung an Don Gomez, 
dem ich, nachdem eine zufagende Antwort eingelaufen war, einen 
Beſuch abflattete. Der Mexikaner übertraf ſich felbjt an Liebenswür— 
digkeit, Nie hörte ich einen Mann feines Alters gewandter fid 
ausdrüden, nie fand th in der Perfon eines fo jungen Mannes 
größeres Selbitbewußtfein mit feinfter Weltfitte gepaart. Man 
burfte Don Gomez in diefer Beziehung in ber That für ein Phä- 
‚ nomen erklären! 





— 70 — 


Das Ende, das Ende! drängte Eduard, den Bruder auf 
die Bank niederziehend, von welcher aus der Strom und die 
prächtig beleuchtete Landſchaft mit einem Blick zu überſehen waren. 
Ich bin Außerft geſpannt, zu erfahren, wie der bewunderte Caballero 
ſich hier in dieſem Aſyl des nie geſtörten Familienglückes intro- 
ducirt hat. 

Er kam, ſah und ſiegte, ſagte Eduard in weniger freund⸗ 
lichem Tone. Sein Sieg war in jeder Hinſicht ein vollkommener; 
man konnte ihn mit vollem Recht einen Triumph nennen. Selbſt 
der Vater fühlte ſich angezogen, ja gefeſſelt. Er zeichnete Don 
Gomez aus und gab zuerſt das Signal zu einem Duett, das 
alsbald der Mexikauer mit Ulrike fang. Ich glaube nicht, daß 
irgend Jemand eine Empfindung von Neid Über die geiſtige Er— 
oberung fühlte, die der Fremdling fichtlih machte, obwohl keinem 
ber jüngeren Männer ein fo fiegesgewiffer Heros gleichgiltig fein 
fonnte. Die Gefellihaft vergaß über dem neuen Glement, Das 
mit ganz frifhem Lebensodem fie durdhaudte, alle gewohnten 
Zerftreuungen. Es ward den ganzen Abend Fein Spieltifch -zurecht 
gerüdt. Jedermann unterhielt fih und vergaß über der ſtets be- 
wegt bleibenden Unterhaltung, daß man gewiſſermaßen gegen fid 
ſelbſt und eine alte, gehetligte Sitte, ohne es zu wollen, fündige. 

In der Ferne fiel jetzt ein Schuß, der an den bebuſchten 
Nferhöhen in vielfahem Echo verhalfte. 

Da kommt ein Schiff auf und begrüßt das Landhaus feines 
Eigenthümers, fprah Eduard. Aber vollende deinen Bericht. 

Vergnügter und zufrievener denn je, fuhr Ferdinand fort, 
trennte ſich ſpät in der Nacht die ausgewählte Geſellſchaft, welche 
nad der Mutter und der Schweiter Wunfch zum befondern Empfange 
bes bevorzugten Mexikaners geladen worden war. Man fprad 
von dem Genuſſe biejes allerdings ungewöhnlichen Abende noch 
tagelang, aud über Tiſche, ohne daß es dem Vater unangenehm 
geworden wäre. Die Woche darauf machte Don Alonfo Gomez 
eine Viſite, unterhielt fih in der liebenswürdigſten Welfe, bes 
wunderte die Einrichtung unferes Haufes, fand bie Gartenanlagen 





’ — 71 — 


vortrefflich, die Ausſicht entzückend, und unterließ nicht, Schweſter 
Eliſabeth und die kleine ſtille Ulrike in der Botanik, von der er 
einige Kenntniß zu beſitzen ſcheint, beim Gewahren eines Ge— 
wächſes, das in feiner Heimath wild wächſt, zu unterrichten. Seit- 
dem hat er zweimal mit und dort im Zelt den Thee genommen, 
wobet denn auch die Guitarre nicht fehlen durfte. Kin Duett 
mit Ulrike ſchloß beide Male die fehr angenehme Unterhaltung. 

Es krachte ein. zweiter Schuß, den der Weltwind viel ver- 
nehmbarer gerade auf den Garten Heidenfrei's zutrieb, dieſem 
folgte ein dritter. Im Landhaufe öffnete fih die nah ber Frei— 
treppe führende Salonthür und ein paar rofige Mäbchengefichter 
ſteckten lauſchend die Iodenumifpielten Köpfchen heraus. Ferdinand 
fprang auf die Bank, um das Strombett bequemer überfehen zu 
fönnen. 

Beim Himmel, es tft unfere lang erfehnte Bart, es tft die 
„Marie Eliſabeth!“ Hurrah! . 

Eduard fand fhon neben dem Bruder. Beide zogen ihre 
Tafchentücher und winktten den auf den Raaen und in den Wanten 
hängenden Matrofen des ftolz auffegelnden Schiffes zu, an deſſen Gaffel 
die große Flagge Hamburgs ſich entfaltete und deſſen Schiffsgeſchütz 
abermals den Landfik des Rheders mit einer Freudenſalve begrüßte. 

Eiligen Laufes kamen die beiden Mädchen die breiten Sand⸗ 
mege daher? 

Was gibt es? Warum wird geſchoſſen? Iſt's ein befreunde- 
tes Fahrzeug, das auffegelt? fragte lebhaft die Schweiter der bei= 
den jungen Männer, während Ulrike durch das Gebüfh Tugte und 
bier den vollen Anblid des mit blendenden Segeln bededten Bark⸗ 
ihiffes Hatte. 

Hurrah! Marie Eltfabeth! riefen beide Brüder unter Iebhaf- 
tem Tücherfchwenten. Gin lang gezogenes Hurrah der Matrofen 
antwortete dumpf verhallend vom Schiffe herauf. 

Mein Namensträger kommt, fagte mit glüdlihem Lächeln die 
elfenhaft gebaute Eltfabeth, indem fie danfend unwillkürlich bie 
Heinen Hände faltete. Wie freue ih mich, daß bas große Schiff 


— 72 — 


glücklich von ſeiner langen erſten Reiſe zurückkehrt. Wie wird auch 
Vater ſich freuen! 

Dort kommt er ſchon, fiel Eduard ein. Er iſt früh unter— 
richtet worden, ſonſt hätte er heute das Comptoir nicht ſo zeitig 
verlaſſen. Laßt uns ihm entgegen gehen und ihn begrüßen! 


Achtes Kapitel. 


— 


In der Familie, 


Es war ein Bild des glücklichſten Familienlebens, das jetzt 
von dem terraſſenartigen Vorbau hinabblickte auf den Strom, um 
die große Bark majeſtätiſch und ſtill mit ihren aufgebauſchten, von 
der Abendſonne vergoldeten Segeln vorübergleiten zu ſehen. 
Heidenfrei der Aeltere ſtand zwiſchen ſeiner Tochter und Ulrike. 

Mit der Rechten ſchwenkte er grüßend ſeinen Hut gegen das Schiff, 
deſſen Mannſchaft noch in den Wanten hing. Ihm zur Linken 
hatten die beiden Brüder Platz genommen und an Eliſabeths Arm 
lehnte ſich froh lächelnd die Mutter. Dieſe Gruppe intelligenter 
Geſichter und edel geformter Köpfe umfloß der Duft der Abend- 
fonne wie ein purpurner Heiligenſchein. | 

Als nur noch der Wimpel des großen Maftes über den Ge- 
büfhen zu fehen war, kehrte Vater Hetdenfrei fih um, indem 
er ſagte: 

Kommt, Kinder, die Luft dünkt mich, ift feucht, und ich bin 
leicht gekleidet und innerlich erregt. Ein fuperbes Schiff, Eliſabeth, 
dem du deinen Namen gegeben haft! Macht dir's nicht auch Freude, 
folh einen flolzen Bau, unter deſſen Gallion dein wohlklingender 
- Name prangt, über die Weltmeere jhwimmen zu willen? 

Gewiß freut es mich, Bäterchen, verſetzte Eliſabeth, fich ſchmei⸗ 
chelnd und liebkoſend an den Arm des Vaters hängend, ich möchte 
nur auch bald erfahren, welche Abenteuer das Fahrzeug und feine 








— 73 — 


Bewohner erlebt haben mögen. Ein Schiff flößt mir immer Re= 
fpect ein. Es kommt mir vor, wie ein befeeltes Weſen, und in 
ber That glaub’ ich au, daß jeder tüchtige Seemann, jeder zu- 
verläffige Capitain ungefähr gleicher Anfiht mit mir fit. So 
erkläre ih mir die mancherlei poetifhen Sagen, an denen das 
Herz felbft des voheften, ungebilbetften Matrofen hängt. Die Ges 
falt 3. B. des Klabautermannes, den jeder ächte Seemann mit 
eigenen Augen zu jehen behauptet, an den er fo feit glaubt, wie 
ih an Gott, konnte meines Erachtens nur entftchen, weil der See⸗ 
fahrer fich gedrungen fühlt, fein Fahrzeug zu beleben. Der Klas 
bautermann ift die Seele des Schiffes, das ja dem Untergange, 
der Verweſung anheim fällt, wenn er es verläßt. 

Die Familie betrat die zum Gartenfalon führende Freitreppe. 

Geh’ nur voran, Meine Poetiſche, fagte Heidenfrei ſcherzend, 
indem er den Arm der Tochter frei gab. Ich muß mir noch einen 
bejondern Hauspoeten anſchaffen, damit du mit Ihm fo vet nad 
Herzensluft fhwärmen kannſt. Wäre das Poetenvolt nur nidt fo 
windig! Zwar bin ich ein Verehrer der Winde, ja, ih kann fogar 
fagen, wenn das nicht zu heidniſch MHingt, ein Windanbeter, denn 
wir armen geplagten Kaufleute leben ja großentheild von feiner 
Güte und Gnade, an den Menfhen aber, in denen der Wind erb- 
gefeflen tft, habe ich fein Wohlgefallen. Ja, gäbe es noch Dichter 
wie weiland unfer Klopftod einer war, der auch im Tode noch der 
unſrige geblieben tft, da ließ ich mir’s gefallen. Aber unjere Poe⸗ 
ten von heute und geftern — diefe Ban der Velde, Tromlig, Claus 
ven, die jebt vom Publikum vergöttert werden — nein, geht mir 
weg! Da tft mim ein Stüd Ghefterfäfe, Gott vergebe mir das 
Wort, wahrhaftig Lieber! 

Sollſt ihn heut’ Abend noch haben, Peter, fagte lächelnd Frau 
Margaretha, da fie wußte, dag ihr Gatte ein leidenſchaftlicher Ver⸗ 
ehrer dieſer ſchmackhaften Gottesgabe war. 

Aber Goethe und Tieck und Uhland, fiel Eliſabeth ein, und 
dann Walter Scott und der göttliche Lord Byron, magſt du von 
biefen Allen denn gar nichts willen? Site leben ja no und kön⸗ 





— 74 — 
nen zu dem vielen Herrlichen, das ſie der ganzen Welt bereits ga— 
ben, noch Herrlicheres fügen. 

Na, na, na, verſetzte Heidenfrei abwehrend, nur piano, meine 
Heine Poetiſche. Der Goethe Lebt freilich noch und vor ihm hab’ 
ih, ſchon weil er als großer Dichter auch ein höchſt praktifcher 
Mann war, der niemals in den Wollen fpazieren lief und alles 
irdiſche Gut nach Verdienſt zu würdigen verſtand, den größten Re- 
fpeet, den Tier! aber, mein liebes Kind, den verſteh' ich nicht ganz. 
Er macht mir zu viel blauen und rofarothen, oft auch grauen und 
grünen Dunſt vor, obſchon ih an manden feiner Hleineren Novel: 
len mid erlabt habe. Gedichte Tefe ich nicht, und Uhland fchreibt, 
glaub’ ih, nur Gedichte Ueber ihn alfo will ich nicht urteilen. 
Den Walter Scott dagegen laſſ' ich gelten, fhade nur, daß er zu= 
fällig in Schottland geboren, alſo Leider kein deutfches Gewächs tft. 
Ein Mann durh und dur, fuperbe! Mit deinem feuerfarbenen 
Lord aber bleib’ mir vom Leibe, Meine Poetiſche! Schrieb’ er 
nicht fo ein koſtbares Englifh, ich hätte den Kain und Mazeppa 
und gewiß aud feinen liederlichen Ritter Harold, in dem er fi 
ja doch nur felbft abeonterfeit hat, ſchon längſt verbrannt. 

D bitte, thu' es nicht! bat Eltfabeth. Ich laſſe die zufam- 
mengeflebten Blätter, wie du's vorgefchrieben, ganz unberührt, denn 
ih bin gar nicht neugterig, gar nicht! j 

Die Toter legte auf dies „gar nicht” einen fo gewaltigen 
Nahdrud, daß der Vater fie mit komiſchem Staunen anblidte, denn 
e8 wollte ihm dieſe Verfiherung nicht recht glaubwürdig vorfonmen. 

Alfo gar.nicht neugierig! wiederholte er, die Glasthür fehlie- 
end und dem in ber ſüdöſtlichen Ede angebrachten Divan zufchret- 
tend. Steh’ mal, das iſt ja fuperbe. Nun da laß uns bier auf 
dem ſüdöſtlichen Divan, wie du diefe Polfter poetiſch getauft haft, 
fo lange ruhen und plaudern, bi der Abendtiſch angerichtet iſt. 
Ich hoffe, Mutter läßt uns nicht lange warten, denn ich grob ma⸗ 
terielleer Menfh habe — mit Erlaubniß meiner Heinen Poetiſchen 
ſei's geſagt — einen ganz martlaltfhen Appetit. Die oftindifche 
Poſt hat meine Kräfte Heut gar zu fehr In Anfpruh genommen, 








— 75 — 


Auf den Ruf der von Madame Heldenfrei angezogenen Glode 
brachte der Bediente eine mildes Licht verbreitende Aftrallampe in 
den Salon. Beim gedämpften Schimmer diefed Lichtes wollen wir 
uns jebt die neu hinzu gekommenen Perfonen der. Familie etwas 
näher betrachten, 

Bater Heidenfrei machte beim erſten Anblick keinen befonders 
vortheilhaften Eindrud, Von Geftalt kaum mittler Größe, war 
er faft zart gebaut. Dabel Hager und ohne angeborenen Sinn. 
für Eleganz, trug er zwar feine, aber jederzeit ſchlecht fiende Klei⸗ 
ber. Am liebſten kleidete er fih nachläſſig, weil ihm dies beque= 
mer war und es feiner Reellttät widerftand, auf bloße Aeußerlich- 
teiten großes Gewicht zu legen. Nur dem fehönen Geſchlecht vindi- 
cirte er das Recht, fi fein, möglichſt geſchmackvoll und mit größ- 
ter Sorgfalt Eleiden zu dürfen. Männer hatten feiner Anficht nad 
Wichtigeres zu thun, als ſich zehnmal vor einem hohen Pfeilerſpie⸗ 
gel um thre eigene Achſe zu drehen, damit fie erkennen mödten, 
ob auch jedes Härchen in die rechte Lage gebradt worden fet und 
ob Alles nah den DVorfchriften der Zotlettenkunft, wie fie das 
neuelte Modejournal enthalte, ſitze. j 

Det diefer Gefinnung, die fih fett einem halben Menſchen⸗ 
alter in Heidenfret verfeftigt hatte, konnte es nicht fehlen, daß ber 
reihe, Hoch angeſehene Börfenherr fein Aeußeres bisweilen ganz 
unverantwortlich vernacdhlägigte. Auch jept, wie er auf dem Divan 
neben feiner Tochter faß, während die Brüder im Zimmer auf- 
und niedergingen und Ulrike Frau Margaretha bei Anordnung des 
Abendtiſches behülflih war, würde ihn Niemand für einen Kauf- 
mann eriten Ranges gehalten haben. Sein dunkelbrauner, ſchlott⸗ 
iger Rod, der fait bis auf die Knöchel Herabreichte, und die 
ſchlecht gearbetteten Lederſchuhe, deren Schleifen fi gelöft hatten, 
und welche beim Ausfchreiten ihres Beſitzers nicht die wetßeften 
Strümpfe fehen ließen, gaben Hetbenfrei etwa das Anſehen eines 
den Sonderling fpielenden alten und an Meraltetem hängenden 
Sprachlehrers. 

Wer freilich den Kopf dieſes Mannes in's Auge faßte und 





— 76 — 


fi einigermaßen" auf Phyfiognomik veritand, der mußte alsbald zu 
ber Meberzeugung kommen, bag er in Heidenfret einen nicht ge= 
wöhnlich begabten Menſchen vor fih habe. Diefe hohe, gewölbte, 
ſonnenklare Stirn, diefe großen, fprehenden Augen, die von Farbe 
tief dunfelblau waren und doch Häufig ſchwarz erfihtenen, je nach— 
bem Heidenfrei von irgend etwas mehr oder weniger angeregt war, 
die feinen, fait durchfichtigen Züge des ganzen mehr kleinen als 
großen Kopfes, den nur noch eine ſchmale Krone dünnen grauen 
Haares ſchmückte, imponirten Jedermann. Mean konnte nur be- 
dauern, daß ein ſo ſchöner Kopf auf einem ſo gebrechlich ausſe⸗ 
henden und überdies noch ganz ordinär gekleideten Körper ſitze. 

Das Geklapper filberner Löffel in porzellanenen Taffen und 
ein einlabendes Wort Margaretha’s rief jegt die Mitglieder der 
Familie an den Theetiſch. Heidenfrei erhob fih von dem ſüdöſt⸗ 
lihen Divan und nahm feinen gewöhnlichen Pla zwifchen Mutter 
und Tochter ein. Ulrike, ein ſchlankes Mädchen von auffallender 
Schönheit und dunfelem Haar, das in reihen Flechten ihren Schet- 
tel umwand und im Naden zu einer Art griechiſchen Knoten ver= 
fhlungen war, in welchem ein filberner Pfeil blitzte, reichte dem 
Hausheren eine Taſſe Thee, welche diefer mit freundlich danfendem 
Lächeln annahm, ohne ein mit den Söhnen angefnüpftes Gefpräd, 
bas eine rein kaufmänniſche Angelegenheit betraf, zu unterbrechen. 
Erſt ale Hetdenfrei den Thee mit prüfender Lippe gefoftet hatte, 
wandte er fein Auge der jugendlichen Hebe zu und fagte, nochmals 
freundlih nidend: 

Superbe, liebe Ulrike, ganz fuperbe! 

Als bald darauf der Vater das Geſpräch mit feinen Söhnen 
abbrah, fagte Eliſabeth: Kann man wohl erfahren, Väterchen, 
womit das ſchwimmende Gebäude, das id mit meinen fehwachen 
Armen, damals fat noh ein Kind, aus der Taufe heben mußte, 
beladen iſt? Bringt es denn aus den golde, biamanten- und 
ſchmuckreichen Ländern der neuen Welt, die es anlief, gar nichts 
mit, an dem aud ein thörichtes Mädchenauge fi ergötzen kann? 
Die andern vielen jhönen Sachen, welche nach Gentnern und Las 


fien gewogen werden, überlafle ich gern den ſehr Hochachtbaren Herren 
des Comptoirs, aber eine nieblihe Kleinigkeit für mein Boubotr, 
“etwa einen befonders fchönen Spiegel in einem Rahmen aus Ko— 
librifedern für meinen Totlettentifh, oder etwas für den Salon, 
das man als Eoftbare Rarität der Welt zeigen mag, wäünſchte ich 
wohl von meinem lieben Pathchen, für das ich mid ungemein 
lebhaft intereffire, als Andenken an feinen erften Ausflug zu er⸗ 
halten. 


Ja, mein liebes, eines Närrchen, verſetzte Heidenfrei fcher- 
zend, indem er der zierlichen Tochter, die eine frappante Geſichts⸗ 
ahnlichkett mit dem Vater hatte, nur dag fie bei aller Zartheit voll 
und mäbdchenhaft rofig erichten, einen Teller mit Geflügel abnahm, 
barauf Tann ich dir heute eine beftimmte Antwort nicht geben. 
Die Hauptladung meiner Bark befteht aus Kaffee, Reis und Roh» 
zucker. Was ber fehr umfihtige Capitän fonft noch unterwegs 
nebenbet eingenommen bat, weiß ich im Augenblide ſelbſt noch nicht. 
Ich bin vorerft froh, das Schiff wieder glüdlic im Hafen zu wif- 
fen. Es bat ſich als tüchtiger Segler bewährt, was mid) auch ver- 
anlaffen wird, von bemfelben Baumeifter den Kiel zu einer Fre— 
gatte noch tin diefem Jahre legen zu laſſen. Drei heftige Stürme, 
die es überftehen mußte, und von denen der Iebte bei den Azoren 
es in die gefahrvollſte Lage brachte, konnten ihm nichts anhaben. 
Und das, meine Tochter, das tt fuperbe! 

Mer tft denn der beneidenswerthe Glückliche, der mein Path- 
hen über die Meerfluth führte? fragte Elifabeth, 

Capitän Lars Ohlfen, fagte Heidenfrei. 


Der Sylter, der vor drei Jahren — oder — nein, e8 tft 
richtig, vor drei Jahren die merkwürdige Rettung mehrerer Schiff- 
brüdiger in der Mündung der Elde mit fo großem Muthe und 
jo ftaunenswerther Geiftesgegenwart bewertitelligte ? 


Derfelbe, mein liebes Kind. Ich fage dir, das tft ein See- 


mann, wie fie nicht alle Tage über ein Schiffsdeck fchreiten. Mir 
git er mehr als der fiegreichite General, obwohl ich auch vor 


— 78 — 


einem richtigen Kriegsmanne, wenn ich juſt Zeit finde, gern mei⸗ 
nen Hut ziehe. 

Es iſt in der That zu verwundern, fiel Eduard ein, dem 
Vater aus fein geſchliffener Karaffe ein Glas alten franzöſiſchen 
Haut-Sauterne einſchenkend, daß die „Marie Eliſabeth“ ſo jung⸗ 
fräulich unbeſcholten über alle Untiefen fort-, an allen verbor⸗ 
genen Riffen und Klippen vorübergeſegelt iſt. Dafür verdienen 
Capitän und Mannſchaft volle Anerkennung und unſern san | ber 
fondern Dank noch obendrein, 

So iſt es, fagte Heidenfrei, aud follen fie auf Beides nicht 
fange warten dürfen. Uebrigens bin ich begierig, Ohlſen perſönlich 
zu ſprechepy. Es tft mir in ber letzten Zeit fo Mandes zu Ohren 
gefommen, was mich momentan unrublg, fogar unfiher macht. 
Die BVerhältniffe auf der andern Welthälfte gehen einer Umgeftal- 
tung entgegen, find vielleicht zum Theil ſchon jetzt ganz andere ger 
worden. Die Concurrenz häuft fih dort, und zwar nicht blos bie 
Concurrenz Taufmännifcher Gapacitäten, auch bie Concurrenz ber 
Nationalitäten. Sonft hatten wir es allein mit den Yankees, im 
mexikaniſchen Golf höchſtens noch mit pfiffigen Creolen und gewinn- 
füchtigen Neufpantern zu thun, jebt, ja, du Lieber Gott, wer zahlt 
und nennt alle die Völkerableger, die gegenwärtig auf amerifant- 
fher Erbe neue Keime treiben und wo möglih auc einen neuen 
Volksſtamm groß ziehen möchten! ngländer, Franzoſen, Italte 
ner, Holländer, Rufen, Dänen, Schweden, ferner Abkömmlinge 
aller flavifhen Stämme, endlih gar Mongolen und Malaten 
fümpfen drüben mit allen Kräften des fpecultrenden Geiftes um 
den Preis, den der alte Gott Merkur dem glücklich Wagenden zu 
allgemeiner Bewerbung ausgeftellt hat! Da gilt es aufmerfen, 
fein fühlen, dreimal Hug und neunmal energifch fein, wenn man 
nit von Aufmerkfameren und mit noch feineren Nervenfühlfäden 
Begabten verdrängt, vielleicht gar in böfe Calamitäten verlodt fein 
will. Dies erfchwert das große überſeeiſche Handelsgefihäft ſchon 
jetzt außerordentlich, was freilih nur wir Kaufleute wiflen, bie wir 
unfere Gapitalten darin arbeiten laffen. Wenn man darüber bet Zei⸗ 





— 19 — 


ten grau und alt wird, fo iſt's Fein Wunder, Die Sorge, bie 
Erwartung, die Spannung und fleberhafte Unruhe, in der wir un 
unterbroden eben, reibt auf und madıt eben fo nervös reizbar, 
als es das Dichten mahen fol, wenn's auch ganz und gar nicht 
poetiſch iſt. Ehe ein Schnellfegler von jenen fernen Küften über 
das Meer zu und herüberſchwimmt, vergehen felbfi im glüdlichiten 
Falle doch immer ein paar Monate. In einer fo Tangen Zeit 
Tann das ficherfte Geſchäft unfiher werben, bie vorfichtigite und 
ſcheinbar Fügfte Unternehmung in das volle Gegentheil umfchlagen, 
Ja, wenn wir fliegen oder und mit der Schnelligkeit des Gedan⸗ 
tens unterhalten Tönnten! Das wäre freilich fuperbe, ganz ſu⸗ 
perbe, aber jo weit bringt es feine Wiſſenſchaft, fie mag nod fo 
exact fein, und fih anftellen, wie fie Luft hat. Engländer und 
Amerikaner haben allerdings viel Neues und Gutes ausgeffügelt, 
ih fürchte indeß, es geht Damit alebalb zu Ende. Dem Forfchen 
und Grübeln auch des fpintifirendften Menfchengeiftes ift ein Ziel 
gefept, über das hinaus er nicht weiter vordringen kann, um bie 
Geheimniſſe der Schöpfung feinem Egoismus und feinen Leiden- 
haften, vielleicht gar feinen Laftern dienſtbar zu maden. 


Dennoch, glaub’ ih, ftehen wir gerade jegt an einem merf- 
würdigen Wendepunfte, bemerkte Ferdinand. Es ift wahr, bie 
Melt wird von Tage zu Fage profaifcher, den Menſchen inteveffirt 
am meilten das, was fi berechnen läßt. Selbſt in Kunft und 
MWiffenfhaft rumort jenes feine Gift, das wir hinter dem wohl- 
Hingenden und’ fo gern gehörten Ausdruf Rationalismus in ein 
heilfames Arkanum zu verwandeln nicht Anftand nehmen. Es foll 
überall, in allen Fächern, in allen Wiffenfhaften hell werden. 
Die Aufklärung, die ſchon vor der franzöfifhen Revolution aud bet 
und Deutjchen eine Rolle fptelte und das Banner einer beitimm- 
ten Partei war, fie hat jetzt wirffih, um mit Goethe zu reden, 
alle Welt: beleckt. Und diefer Aufklärung, der ein tieferes Erfor- 
ſchen der Naturkräfte eine nicht wegzuftreitende Berechtigung gibt, . 
gelingt e8 ohne Zweifel, ſchon innerhalb weniger Jahre Wunder 





— 80 — 


zu bewirken, wenn wir auch mit ihrer Hilfe das Fliegen vorerſt 
noch nicht erlernen werden. 

Zu einem Kaufmanne, mein Sohn, philoſophirſt du mir zu 
viel, ſagte in etwas mißbilligendem Tone der Vater. Lerne, 
forſche, prüfe, eigne dir alles Beſte zu, ich habe nichts dawider, 
nur die Schwärmerei geleite mir nicht in's Haus, wenigſtens nicht 
in's Comptoir. Das iſt ein Gaſt, mit dem deine Schweſter, die 
kleine Poetiſche, ſchön thun mag, ſo lange ſie nichts Beſſeres 
vor hat. 

O bitte, Väterchen, fiel Eliſabeth ein, laſſe mir auch Ge⸗ 
rechtigkeit widerfahren! Ich ſchwärme nicht, ich verſchönere mir 
nur das Kben, und dazu verwende ich zuweilen ein ganz klein 
wenig Herzensfpirttus, deſſen regenbogenfarbiges Aufflammen zu⸗ 
gleich erquickt und beſeligt, 

Erquicke mich vor der Hand, wenn ich bitten darf, mit die— 
fen einladend ausfehenden Pfirfihen, fagte Heldenfrei, auf die 
filberne Schaale deutend, die der Bediente fo eben zum Nachtiſch 
aufgefebt hatte. Dein Spiritus foll dir zu beſſerer Pflege gei- 
ftiger Hausandacht und beliebiger Anbetung deiner poetifchen Ge⸗ 
nien unbenommen bleiben. Aber du wolltefi eine Bemerkung ein- 
halten, wendete er fih feinem älteren Sohne Eduard zu. Was 
war ed doch? Ich habe dich in Folge der Anterpellatton biefer 
Dpponentin gegen alles trdifh Gemeine vorhin unterbrochen. 

Ich wollte nur die Frage an did richten, verfekte Eduard, 
ob du noch immer fo wenig Vertrauen auf die Anwendung ber 
Dampfkraft zur Fortbewegung von Schiffen haft? 

Mit Euern Dampfichiffen, erwiderte Heidenfrei achjelzudend, 
während er die köſtlich duftenden Früchte, Erftlinge feiner eigenen 
Pfrfihbäume, mit Behagen zerlegte. Als Verſuche laſſe ich fie 
gelten, auch ihre Vortheile, befonters in der Flußſchifffahrt, will 
ih nicht ganz in Abrebe ftellen, auf dem Meere aber und zumal 
bei ftürmifchem Wetter und grimmig hohem Geegang, werben fie 
es mit Segelihiffen nie und nimmer aufnehmen fünnen. 

Und ih bin vom Gegentheil überzeugt, meinte Ferdinand. 











— 81 — 


Weil du ein halber Yankee geworden biſt während deiner 
amerikaniſchen Lehrjahre. 

Das bin ich nun zwar nicht, verſetzte Ferdinand, ebenſowenig 
wie der Bruder, obgleih es bir Vergnügen macht, uns fcherzweije 
häufig fo zu nennen, gelernt indeß haben wir etwas von den 
Amerikanern, die, wie der Sohn der Smaragdinfel zu fagen 
pflegt, mächtig kluge Galculatoren find. Ganz Europa kann oder 
tönnte, wenn ed Luft dazu hätte, noch ſehr viel von Amerika ler⸗ 
nen, wie dieſes umgekehrt in Europa Lehren ber Weisheit hören 
und benugen muß, will es dereinft eine der einflußreichiten Mächte 
ber Welt werden. Jung und fe, wie feine aus fo heterogenen 
Beſtandtheilen zufammengefehte Bevölkerung tft, Überflügelt es uns 
faft immer in al feinen praftifchen Unternehmungen. Dafür bleibt 
und, ben befonnener Taftenden, ben vorfihtiger Gründen und 
Principten Nachfpürenden, deren Wetterbildung und Vollendung. 
Amerika iſt das Treibhaus der Welt, in weldhem jegliches Ge- 
wächs vafh Keime, Blüthen anfegt und eine Menge unreifer 
Früchte trägt, Europa verpflanzt diefe Gewächſe auf feine nicht 
mehr jungfräulihe Erde, bedarf etwas mehr Zeit, um ihr Wachs- 
tum befördern zu helfen, bricht aber dafür alsbald beffere und 
faftigere Früchte. Mit der neuen Erfindung hinſichtlich der An- 
wendung des Dampfes auf Schiffe wird es ebenfo gehen. Bemäd- 
tigen wir ung jebt derfelben und fuchen wir fie mit der und an⸗ 
geborenen zähen Auedauer immer mehr zu vervollkommnen, fo 
wird uns Europäer bie Gefchichte dereinft als. bie größten Meifter 
in der Benugung eines glüdlichen Gedankens aufführen, und wer 
anders als wir und bie alte Welt werden den größten Nutzen 
davon haben ? 

Sugendträume, die in ben nächſten zehn Jahren verfliegen, 
fagte Heidenfrei abwehrend. Ich will In dieſe neue Speculation 
fein Geld fleden, obwohl ihr Beiden mir fhon oft dazu gerathen 
habt. Dem Wind und Wetter werben, jo Tange es Salzwafler 
gibt und unfer Herrgott fih die Herrfchaft über die Winde vor- 
behält, zulegt doch alle Schiffe dienen müffen. Dem Segel beugt 

D. B. ZI, Willkomm's Rheder und Matrofe. 6 


— 82 — 


ih auch das ſchwerfälligſte Fahrzeug oder das Segel reißt und 
zerflattert im Sturm. Euer Schaufelrad aber, mögt ihr es auch 
noch ſo flart machen, zerbriht ein flürmendes Meer, und wenn 
dann das Ding, was im Waffer rührt und quirlt, zerjplittert tft, 
was fangt ihr dann an mit einem Schiffsrumpf ohne Raaen, 
Stengen, Segel und Tauwerk? Geht mir, ich lobe mir ein gut 
gebautes Segelfhif. In ihm feiert der menſchliche Erfindungs⸗ 
geift feinen größten Triumph. 

Es wird wohl fchwerlih irgend: Jemand, der nur einige 
Kenntnif von Schifffahrt und Schifffahrtskunde beſitzt, einfallen, 
Segelſchiffe für veraltete Erfindungen erklären zu wollen, ſprach 
Eduard, Daß aber ungeachtet der bewunderungswürdigen Fort⸗ 
fhritte, welche die Schiffsbaufunft bereits gemacht hat, dennod 
viel zu verbeffern übrig bleibt, ehe man das möglichſt Vollkom⸗ 
mene erreicht, das zu beftreiten fällt dir felbft nit ein. Wer 
weiß, ob nicht Dampf- und Windesfraft fich zweckmäßig verbinden 
laffen; wer kann jetzt ſchon beftimmen, in welcher Weife beide 
Kräfte dem Menfchengeifte, dem cs gelingt, die Naturgeheimniife 
zu ergründen und fie auf von Cwigfeit ber beitehende Geſetze 
zurüdzuführen,, fih dienſtbar machen laſſen? Iſt dies aber möge 
lich, was ich allerdings glaube, fo treten mit dem Zeitpunfte, 
wo man biefe Entdeckung mahen wird, Schifffahrt und Welthan- 
bel in eine neue Xera, die an neuen, großen, unberechenbaren 
Umſchwüngen im Reiche der Induſtrie, des Handels und beffen 
politifcher Bedeutung eben fo reich fein dürfte, ale es die Ent- 
deckung Galilei's für die Umgeftaltung der Aftronomie war. Ue—⸗ 
berhaupt, will mich bebünfen, fann der Welthandel nur dann fich 
ſtolz und mit vollem Selbitbewußtfein neben die Wiſſenſchaft ftel- 
len, wenn er dad Recht hat, zu fagen, er fet ihr ebenbürtig als 
Verbreiter der Cultur, als Segenbringer im wettellen Sinne bes 
Wortes und als der treueſte und zuverläffigfte Sriedensbote, den 
Gott ſelbſt ausfendet, nicht etwa zur Belehrung ber Heiden, fon» 
dern um alle Nationen einzuladen, Theil zu nehmen an dem gro- 
ben DVerbrüderungsfefte, das die wahre Gultur, dies Kind der 


— 83 — 


reinften Erkenntniß, der vorurtheilsfreieften Aufflärung auf ben 
Trümmern des glüdlich geftürzten Aberglaubeng, der Vorurtheile 
und verrotteter Gewohnheiten feiert. 

Ich wollte, du hätteſt oder vielmehr du behielteſt Recht, ver— 
ſetzte Heidenfrei. Es wäre ganz ſuperbe. Da aber dieſe glück— 
liche oder Glück verheißende Epoche zur Zeit uns noch ſo fern 
liegt, wie das Himmelreich, auf das wir ja auch warten, und an 
das wir als gute Chriſten zu glauben berufen ſind, ſo wollen wir 
unſer ſicheres Haben vorerſt nicht an ein ungewiſſes Soll eitel 
ſchöner Hoffnungen hingeben, ſondern als erprobte vorſichtige Ge— 
ſchäftsleute dem Soliden vertrauen, einſtweilen und aber den Nach— 
tiſch mit Diefen fuperbe ausfehenden Korintben . aus Smyrna ver⸗ 
füßen. 

Eduard lächelte über diefe genial matertaliftifche Wendung, 
die der Vater dem Geſpräche zu geben verſtand. Er wußte, daß 
es deſſen Art war, ein Geſpräch, das ihm nicht ganz behagte, oder 
wobei er eine Ueberflügelung von ſeinem Gegner beſorgte, ſtets in 
ſolcher Weiſe abzubrechen. Und als ſei von fo ſchwer ernſten Fra⸗ 
gen gar nicht die Rede geweſen, wandte ſich Heidenfrei zu den 
bis jetzt ſchweigſam gebliebenen Frauen, indem er Eliſabeth und 
Ulrike gleichzeitig anblidend fagte: 

Was mag wohl unfer Seladon mahen? Hat er fich hier 
nicht wieder ſehen laſſen? 

Die jungen Mädchen erriethen fogleih, wer mit biefer Be— 
zeichnung gemeint war und ein kaum bemerfbarer, ſchnell wieder 
verfchwindender rofiger Hauch flog wie Morgenroth über die Wan- 
gen Beider. Ferdinand wechfelte verftohlen einen vielfagenden Blid 
mit Eduard. ° 

Vorgeftern fuhr er mit feinem braunen Bebtenten am Gar- 
tenthor vorüber, antwortete Eliſabeth. Er ſchickte äußerſt neugie- 
rige Blicke zu uns herein, ohne auch nur den Schatten eines Bänd- 
chens von uns entdecken zu können, was und viel Vergnügen ge- 
währte. 

Wir haben deshalb gewettet, bemerkte Alrike. 

6 * 





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Gewettet? Wie das? fragte Heidenfrei. 

Ja fieh', Väterchen! erzählte in heiterſter Laune Eliſabeth, 
ich war der Meinung, wenn wir uns nicht ſehen ließen, falls es 
dem vornehmen Don einfallen ſollte, ſeine Spazierfahrten hier in 
der Gegend zu wiederholen, ſo würde er auch ſeine Abendbeſuche 
früh genug einſtellen. Dagegen behauptete Ulrike, gerade unſer 
Nichtſehenlaſſen würde ihm zu häufigerem Kommen Anlaß geben. 


Und da habt Ihr gewettet? 

Ja, beſter Vater! 

Und wie ſteht dieſe Wette, wenn man fragen darf? 
Die Mädchen errötheten jetzt ſichtbar. 


Ich meines Theils wette, Ihr habt es auf irgend eine Schel⸗ 
meret abgeſehen, ſagte Heidenfrei. 

Nicht doch, erwiderte Ulrike. Behalte ich Recht — ſo lautet 
unſer Abkommen — dann muß Eliſabeth Don Alonſo Gomez auf⸗ 
fordern, ſie zu einem Liede zu begleiten, und gewinnt meine liebe 
Freundin, ſo habe ich daſſelbe zu thun. 

Eine ächte Mädchenwette, ſagte Ferdinand. Jetzt möchte ich 
zum Ueberfluſſe noch wetten, daß Fräulein Ulrife eben fo eifrig 
wünſcht, fie felbft möge verlieren, als meine Pleine übermüthige 
Schwefter. 

Diefe Behauptung fand, wie man fi denken kann, fo leb⸗ 
haften Widerſpruch Seitens ber Beſchuldigten, daß der Bru=- 
der dur die Heftigkeit Beider nur noch mehr in feiner Anficht 
beftärft wurde. Ulrike warb fogar, was man bei ihrem, fonft im⸗ 
mer ungewöhnlich ſtillen Wefen kaum erwarten follte, etwas warm, 
jo daß die würbige Gattin Heldenfrei’3 mit einigen freundlichen 
Morten den Heinen Zwiſt ſchlichten mußte. 

Wir kennen jept Eure Geheimniffe, fagte Margaretha mild, 
aber doch in fo beftimmtem Tone, bag bie jungen Mädchen fühl- 
ten, fie würden dem Ausſpruche der Matrone fih ohne MWiderrebe 
fügen müſſen. Gleichviel, ob Eliſabeth oder Ulrike das kleine 
Spiel gewinnt, jedenfalls werdet Ihr es mir überlaſſen, den Don 








— 85 — 


ſtatt Eurer aufzufordern, uns durch ſeine Kunſt im Zitherſpiel 
wieder einmal zu ergötzen. 

Recht ſo, Mama, ſprach Heidenfrei beiſtimmend. Mädchen 
ſollen nicht wetten, und thun ſie's dennoch, fo darf es nicht gel- 
ten. Aber ih fage dir, Eduard, wendete fi jegt der Vater zu 
feinem älteften Sohne, du wirft erflaunen über die merkwürdige 
Meifterfchaft diefes mexikaniſchen Kröfus in Spiel und Gefang. 
Mer ihn hört, iſt bezaubert. Gr iſt überhaupt für fein Alter ein 
ganz harmanter Mann, fuperbe im Spiel, fuperbe in al’ feinen 
Manieren. 

Ich babe den Namen diefes Fremden bereitd von mehrern 
- Selten nennen hören, verfebte Eduard, und bin nun felbft begie= 
rig, dies Wunder perfönlich begrüßen zu können. Iſt Don Goe 
mez in Gefchäften bier? 

Wenigftens nicht in kaufmänniſchen Gefhäften, erwiberte Hei⸗ 
benfrei. Zum Kaufmanne würde fih Don Gomez aud nicht eig⸗ 
nen. Ein guter Kaufmann muß immer ruhig, kalt, berechnend 
fein, wie ein guter Diplomat; er darf das Herz weder mit ber 
Zunge, noch den Kopf mit dem Herzen davon laufen laflen. Wäre 
Don Gomez in Europa geboren, gewiß würde er dann ein Vir—⸗ 
tuo8 geworden fein. 

Das ift er auch fo, betheuerten Eliſabeth und Ulrike, 

Nur ein Eleiner, ein Virtuos auf der Zither, fagte Heiden- 
frei, aber ganz fuperbe, obwohl ich wenig von dem mufitalifchen 
Firlefanz verſtehe. 

Die Hausglocke ward zweimal ſtark angezogen. 

Der hat es eilig, ſagte Ferdinand, wenn er noch ſtärker 
fhellte, würde er den Glodenzug abreifen. Man könnte glauben, 
es ſei ein Unglüd paſſirt. 

Nicht doch, fiel Heidenfret beruhigend ein. Ich habe vergef- 
fen Euch zu fagen, daß mir die fünamerifanifhe Poſt, die noch 
nicht ausgegeben war, als ich die Stadt verließ, nachgeſchickt wer« 
den ſollte. Wahrſcheinlich hat Treufreund das Portefeuille dem 
handfeften David Üibergeben, der an’s Laufen gewöhnt tt und bes 


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ſen plumpe Manieren ganz ſeinen ungehobelten Ausdrücken ent⸗ 
ſprechen. Was der Menſch anfaßt, das bricht, wenn's nicht von 
Stahl oder Eiſen iſt oder ſich unter ſeinen hornartigen Fingern 
biegt. 

Der Bediente trat ein und überreichte dem Hausherrn wirk⸗ 
ih das erwartete Portefeuille. Auf dem Vorplatze Tieß ſich Die 
rauhe Stimme Davids hören, ber vernehmbar zu irgend einem der 
Dienſtboten ſagte: 

Ich wollte der Herr hätte nichts Dringendes in der Stadt 
zu beſtellen, denn ich bin — Gott verdamm' mich — ſo müde 
wie ein Droſchkenpferd, und möchte am liebſten die Nacht in Neu— 
mühlen verbringen. Da gibt's luſtige Muſik, und wenn man dazu 
ein Bischen ſpringen kann, werden einem die von dem verfluchten 
Pflaſtertreten ſteifen Glieder wieder gelenkig. 

Gutmüthig rief Heidenfrei, das Portefeuille öffnend, dem 
Hausknecht zu: 

Schon gut, David, geh' nur und tanze. Dann ſchlaf' aus 
und ſei morgen um neun Uhr pünktlich wieder mit wohl einge- 
renkten Gliedern auf der Diele. Biel Vergnügen. 

Gott verdamm’ mich, der Herr hat's gehört! brummte ber 
plumpe David, riß die Thlr des Vorzimmers auf und flug fie 
ſo heftig wieder zu, daß fie zitterte. 

Ein entſetzlich klotziger Menfh, fagte Margaretha. Wie magit 
du diefen Bär behalten! 

Weil er treu und ehrlich tft und troß feiner groben, ja un- 
verihämten Redensarten, die er aus fchlechter Angewohnheit im- 
mer im Munde führt, doch ein grundbraver, gutmüthiger Kerl ift, 
ber auf mid und mein Haus nichts kommen läßt und fih mir zu 
Liebe eher todtſchlagen laſſen, als fortgehen würde. Solche Leute 
find felten und darum muß man fie fefthalten und der rauhen 
Schaale wegen nicht den edeln Kern, den fie umſchließt, verfennen. 

Hetbenfret hatte eine bedeutende Anzahl Briefe dem Porte⸗ 
feuille entnommen, betrachtete oberflächlich Adreſſe und Poſtſtempel 
und veichte mehrere feinen Söhnen. Aus faſt -allen größern Has 








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fenplägen der Oft- und Weſtküſte Südamerika's waren Schreiben 
an den Handelsherrn eingelaufen, deffen Verbindungen fo ziemlich 
ben ganzen Erdfreis umfpannten. Nur die aus Riv de Janeiro 
und Buenos -Ayred angelommenen Briefe Iegte Heidenfret neben 
fih auf den Tiſch. 

Als das Portefeuille geleert war, gab er ed an Ulrike, die 
es auf einen marmornen Pfeilertiſch ftellte. Heidenfrei ließ bie 
Briefe noch einmal durch feine Hände laufen, erbrad einige, auf 
beren Eintreffen er mit Sehnſucht gewartet hatte, durchflog ihren 
Inhalt und fledte fie dann befriedigt zu ſich. 


In Zuder machen wir diesmal ein fuperbes Geſchäft, fpradı 
er, zu den Söhnen gewendet. Habt morgen wohl Act, wie 
die Stimmung bafür an der Börfe tft. Sch denke, wir können 
noch eine gute Parthie Faufen. In Schlefien und Oefterreih tft 
dafür viel Begehr. 

Eduard und Ferdinand hatten ihre Schreibtafeln gezogen und 
notirten fi Giniges. Dann reichten fie zugleich mit den gemach— 
ten Bemerfungen die gelefenen Briefe ihrem Vater, der nur einen 
Blick auf die Notizen feiner Söhne warf, die Briefe felbit aber 
unbefehen in die wette Brufttafche feines fchlotterigen ' braunen 
Rockes ſchob. 

Kennt einer von Euch die Hand da? ſagte Heidenfrei, einen 
aus Rio eingelaufenen Brief mit größerer Aufmerkſamkeit betrach— 
tend. Sie kommt mir bekannt vor und doch kann ich mich nicht 
beſinnen, wem dieſe langen, ſteifen Schriftzüge angehören. Es 
muß ein alter Correſpondent ſein, der lange Zeit ſtillgeſchwiegen hat. 

Die Söhne muſterten ebenfalls den Brief und gaben ihn 
dann dem Vater mit dem Bemerken zurück, daß ihnen die Hand— 
ſchrift völlig unbekannt fet. 

Hetdenfret löſte darauf das Siegel, entfaltete das Schreiben 
und ſah zuvörderſt nach der Unterſchrift. 


Mein Gott, rief er verwundert, überraſcht und doch froh be⸗ 
wegt aus, bie Todten leben wieder auf! Wißt Ihr, wer da an 


mich ſchreibt, nachdem wir ihn ſchon feit fiebenzehn Jahren unter 
die Todten gezählt haben? 

Die Brüder, ebenfo Eliſabeth und Ulrike biidten den Vater 
erwartungsvoll, aber ſchweigend an, nur Margaretha, welche bie 
Farbe wechfelte, ſprach kaum hörbar: 

Doch nicht mein verſchollener Stiefbruder? 

Auguſtin Hohenfels, kein Anderer, fagte Heidenfrei, das Schrei- 
ben mit zitternder Hanb vollends entfaltend, Doch laßt und ver— 
nehmen, wie es ihm geht, welche feltfame Verfettung von Umſtän⸗ 
den ihn fo lange Jahre abgehalten hat, uns aud nur ein Lebend- 
zeichen anfommen zu laflen. 





Meuntes Kapitel. 


Blicke in die Vergangenheit. 


Auguftin Hohenfels, ein jüngerer Bruber Margaretha’s, aus 
ber zweiten Che ihrer Mutter entjproffen, war, nachdem er die 
Handlung erlernt hatte, nad Amerika gereift, nicht in der Abficht, 
fi) dort für immer niederzulaſſen, fondern lediglih, um merfan- 
tile Zwecke fürdern zu helfen, Verbindungen, die fein damals noch 
lebender Vater angelnüpft hatte, eine weitere Ausdehnung zu ge- 
ben und womöglih Schritte zur Anlegung einer Commanbdite oder 
eines Zweigcomptoirs des Hauſes Hohenfeld an einem der regſam⸗ 
ften Pläbe Südamerifa’s zu thun. Auguflin’s Beftrebungen ge= 
langen über alles Erwarten gut, fo daß ſchon nad. Ablauf kaum 
eines Jahres in Rio de Janeiro, der Hauptſtadt Brafiliens, die 
Firma: Hohenfeld Sohn & Comp. allgemein befannt und geachtet 
daftand. Dies fchnelle Gelingen, das dem Hamburger Mutter- 
hauſe nur Segen bringen konnte, machten es dem glüdlichen Be— 
gründer bes amertlantihen Comptoirs wünſchenswerth, länger und 








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zwar auf unbeſtimmte Zeit in der neuen Welt zu bleiben, deren 
reiche Natur und prachtvolle Vegetation den phantaſievollen jungen 
Mann ohnehin mit ungeahnten Zauberbanden feſthielt. Drei volle 
Jahre blühte das Geſchäft, an dem ſich auch Heidenfrei, welcher 
vier Jahre vor Auguſtin's Abreiſe nach Amerika mit deſſen älte- 
rer Halbſchweſter Margaretha ſich vermählt hatte, betheiligte. Im 
vierten Jahre ſtellten ſich einige Verluſte ein, die indeß Niemand 
auffielen und mit ächt kaufmänniſcher Seelenruhe ertragen wurden. 
Den Vater Hohenfels beunruhigte es nur, daß ſein Sohn immer 
ſeltener und dann regelmäßig in arger Verſtimmung ſchrieb. Er 
glaubte anfangs die Veranlaſſung dazu in der erſchlaffenden Ein— 
wirkung des Clima's ſuchen zu müſſen, von dem alle Einwande⸗ 
rer zu leiden haben. War doch Auguſtin nicht einmal von der 
Peſt dieſer paradieſiſchen Länder, vom gelben Fieber verſchont ge⸗ 
blieben. Deshalb Seitens des Vaters an ſeinen Sohn gerichtete 
Fragen beantwortete dieſer indeß verneinend, ſo wie er ſich auch 
gegen die Zumuthung, nach Europa wenigſtens auf einige Zeit 
wieder zurüdzufehren, mit faſt leidenſchaftlicher Heftigkeit ſträubte. 
Er ſprach dabei unumwunden aus, daß er nicht mehr daran denke, 
ſeinen jetzigen Aufenthalt je wieder mit Europa zu vertauſchen. 
Er liebe feine neue Heimath, er ſchwärme für fie, und da fein 
ganzes Herz jebt an dieſem Lande hange, wolle er auch daſelbſt 
leben und ſterben. 

Nach diefem in offenbar ungewöhnlich aufgeregter Stimmung 
gefchriebenen Briefe mußten den Vater des Abweſenden Beforgniffe 
mancherlei Art beſchleichen. Das Geſchäft machte dem Außern An- 
fheine nach die: beften Fortfhritte, es blühte, fegte viel um, und 
doch ventirte es nidt. Man zog aljo unter der Hand vorfictig 
Erkundigungen ein, deren Grgebniffe nad vielen Monaten bie 
Familie Auguftins in tiefe Bekümmerniß flürzte. , Auguflin war 
vermählt, nicht aber in gefeglih erlaubter Weile. Er Hatte die 
junge Frau eines unbemittelten Beamten, deren Schönheit ihn be= 
flohen, entführt und, ohne daß eine Scheidung erfolgt war, fi 
heimlich durch einen beftochenen Priefter mit ihr trauen laſſen. 





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Ein offenes Geſtändniß diefes Vergehens feinen Aeltern abzulegen 
und um deren DBermittelung zu bitten, hinderten ihn. Stoß und 
leidenfchaftliche Liebe. Auguſtin Hohenfeld griff daher zu einem 
anderen Mittel. Er fuchte mit Geld gut zu madhen, was fein 
Herz gefehlt und eine unüberlegt raſche That zu einem offenbaren 
Verbrechen geftempelt hatte. So erklärte fi die geringe Rentabt- 
lität des von Natur doch glänzenden Gejchäftes. 

Die großen Summen, welche Auguflin opfern mußte, um fich 
das Stillſchweigen feiner Helfershelfer zu erfaufen, den Behörden 
ben Mund zu flopfen und endlich den fo ſchwer beleidigten Gatten 
der Gntführten zu beruhigen, verſchlangen die Gewinne mehrerer 
Jahre, ohne doch das erftrebte Ziel wirklich zu erreichen. 

Auguftin gewahrte bald, daß feine mit fo großen Opfern 
erfaufte Frau heimlich beobachtet und den ihr ſchlau gelegten Schlin- 
- gen fhwerlic entgehen werde. Dies veranlaßte den von Furcht, 
Mißtrauen und Giferfucht gequälten jungen Mann mit Dolores 
unbemerft zu verreifen und fie auf einem verftedt liegenden Land⸗ 
hauſe, das Auguſtin auf einige Jahre miethete, etwa ſechs Legoas 
von der Hauptſtadt entfernt und in parabdiefifher Waldeinſamkeit 
gelegen, den Augen ihrer und feiner Feinde für immer zu entzie- 
hen. Auf diefem Landhaufe, welches der Tiebende, feine junge Gattin 
anbetende Augujtin mit allem Comfort ausftattete, deſſen er hab- 
haft werben Tonnte, gebar ihm einige Monate fpäter Dolores einen 
Sohn, das Ehbenbild feiner Mutter. Der glüdliche Vater jubelte 
vor Freude und wähnte im Augenblid der Aufregung, nunmehr 
würden für ihn die fihwerften Tage vorüber, ‚die hartnädigften und 
aufregenditen Kämpfe überitanden fein. Da erreichte ihn ein Brief 
feines Vaters, der in etwas barfcher Weife Rechenfchaftsablegung ver- 
langte, einen genauen fpecificirten Auszug aus den Handelsbüchern for- 
berte und nah Aufzählung und Vorhaltung der ihm gemachten 
Eröffnungen nur die einfache Frage an den Sohn richtete: ob er 
das ihm Schuld Gegebene einfah als Lüge bezeichnen und bie 
Unwahrbeit der Berichte Anderer nachweiſen könne? Sei dies 
nicht der Sal, fo fehe ſich die alte, unbefcholtene Firma der Hohen- 





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fels ihrer kaufmänniſchen Ehre wegen in die betrübende Nothwen⸗ 
digkeit verfeßt, fih unter der Belaffung der eingezahlten Capitalien 
von der ſüdamerikaniſchen Commandite zu trennen. Nur aus Hu—⸗ 
manttätsrüdfihten und um auch nicht den Schein ber Härte auf 
fi) zu Iaden oder gar bie Welt ahnen zu laſſen, daß im Schooße 
ber Familie Hohenfels ein unbeilbarer Bruch erfolgt fei, werde 
man die commerciellen Beziehungen mit der alsdann für eigene 
Rechnung weiter arbeitenden Firma in Südamerika fortfepen. 

In dem ganzen, äußerſt kühl gehaltenen Schreiben des Vaters 
an feinen Sohn ftand Fein Wort des Vorwurf. Es war genau 
fo Faltverftändig, fo einfah Mar abgefaßt, wie der fterilfie Ge⸗ 
ſchäftsbrief. Gerade dieſe fürdterliche Kälte aber, dieſer farblofe 
Geſchäftsſtyl traf den leidenſchaftlichen, nervös reizbaren Auguftin 
wie ein Donnerfhlag. Sein erfter Blick fagte dem Bedauerns⸗ 
werthen, daß jedes Band zwiſchen ihm und feinen flolzen Verwand⸗ 
ten in der Heimath für Immer durchſchnitten ſei, und daß er fid 
felbft und zwar fih ganz allein die Schuld davon beizumefien habe. 
Das gerade machte ihn vollends unglücklich— und brachte ihn faft 
dem Wahnfinne nahe. - 

Es wäre jedenfalls noch eine Verſtändigung zwifhen Mater 
und Sohn denkbar gewefen, hätte Lepteren die Leidenfchaft nicht 
gänzlich verblendet. Anftatt reuig dem Vater feine Schuld zu be- 
fennen und die etwaigen Entfhuldigungsgründe mit anzuführen, 
die einen jungen, leicht erregbaren Mann wohl in arge Verlegen— 
heiten bringen und unter Umftänden fogar zu einer verbrederifchen 
Handlung verleiten Können, ſetzte fi Auguftin in der heftigften 
Erbitterung bin, um buchſtäblich dem Verlangen des Vaters Ge— 
nüge zu leiten. Seine Schuld geftand er offen ein, beiläufig 
meldete ex feinen Xeltern au die Geburt eines Entelfohnes, ein 
Wort der Bitte aber, der Rechtfertigung ging eben fo mwentg über 
feine Lippen als e8 der Feder entfloß. Die gewünſchte Abrechnung 
warb ebenfalls durch feinen Buchhalter beſorgt. Zum Erſtaunen 
Auguftin’s, der fih von Stund’ an als einen Verftoßenen betrach⸗ 
tete, ftellte dieſe fi mehr als er zu hoffen wagen burfte, zu feinem 





Gunſten. Das Mutterhaus in Hamburg blieb ihm noch eine ganz 
erkleckliche Summe fehuldig, mit der fih, fobald fie baar einging, 
jhon etwas anfangen ließ. 

Als Auguftin Hohenfels ſolchergeſtalt feiner kaufmänniſchen 
Ehre ebenfalls vollkommen genügt hatte, erpedirte er bie erforder- 
fihen Papiere und Documente und wartete nun das Weitere mit 
ber Ruhe eines Stoikers ab. 

Hohenfels, der Vater, wollte lange Zeit nicht an die Wahrheit der 
ihm zugefommenen Mittheilungen über feinen Sohn und deſſen Auffüh- 
rung in Rio glauben. Er zögerte Deshalb’ mehrere Wochen, ehe er, von den 
Seinigen gedrängt, zu dem erwähnten Schreiben ſich entſchloß. Nicht Herz⸗ 
loſigkeit, fondern Berechnung ließ ihn den fühlen trocknen Ton bes Ge⸗ 
ſchäftsmannes wählen. Er hoffte mit Zuverficht, Auguftin werbe, falls 
er der Schuldige fei, daran erkennen, daß er bie ganze Angelegenheit 
vom geſchäftlichen Geſichtspunkte aus behandelt wiffen wolle, und daß, 
gerade weil dieſe Anficht in der Heimath bie vorherrſchende fel, eine 
Verftändtgung leichter fih anbahnen Laffen müfle, als wenn nur 
die Herzen oder altpatrizifher Dünkel das große Wort führten. 

In feiner Leidenfchaftlichfeit verfannte Auguftin leider diefe 
wohlwollende Abficht der Seinigen, und anftatt zu verföhnen, ftieß 
er feine ganze Verwandtſchaft durd die Haft, mit welcher er „das 
Geſchäft“, wie er ſich ſelbſt ausdrüdte, ohne Umſchweife abmachte, 
gänzlich von ſich. 

Die ſchon bejahrte Mutter überlebte dieſen harten Schlag, 
der ihr den einzigen Sohn raubte, nur wenige Monate, der Vater 
ward ſchwermüthig, konnte ſich aber doch nicht entſchließen, noch⸗ 
mals ein mildes Wort an den Sohn zu richten. Indeß Hohenfels, 
der Aeltere, ſtand nicht verlaſſen da. Seine Stieftochter Marga⸗ 
retha und deren rüſtiger Gatte Heidenfrei tröſteten den unglücklichen, 
bejahrten Mann und redeten ihm ſo lange zu, bis er dem Schwie⸗ 
gerſohne Erlaubniß gab, als Vermittler aufzutreten. 

Heidenfrei war nicht müßig. Er entwarf einen langen Brief, 
der mit Vermeidung jeglichen Vorwurfes dem fernen Schwager 
die traurige Gemüthsverſtimmung des Vaters, den kummervollen 


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Tod der Mutter ſchilderte, und fchlteßlich dringend um Um- und 
Heimkehr bat. Don der Gattin Auguftin’s war in dieſem Schrei» 
ben allerdings nur in fo fern Die Rebe, als es anbeutete, es werde 
auch diefer übereilte Schritt volle Verzeihung finden, wenn Augu- 
fin nur erft befenne, baß er gefehlt Habe und dem fchwer belet- . 
bigten Vater das erſte Wort gönne. Gleichzeitig mit Heibenfret 
fhrteb auh Margaretha an ihren Halbbruder, nicht, um Neues zu 
fagen, fondern den Bitten ihres Gatten noch mehr Nachdruck zu 
geben. 

Beide Briefe kamen zu fpät an ihren Beflimmungsort, um 
eine ſchon längſt vorbereitete Kataftrophe abwenden zu können. 

Der frühere Gatte der Dolores, Gonfalez, ein Portugieſe 
jähzornigen Charakters, vermochte den ihm angethanen Schimpf 
nicht zu vergeffen und ſchmiedete deshalb In aller Heimlichkeit Rache⸗ 
pläne gegen Auguftin Hohenfels. An käuflichen Subjecten der 
verfchlagenften Gattung konnte es bem &ingeborenen gegenüber 
dem Gingewanderten, bem verhaßten, weil unternehmenden Deut⸗ 
fhen, nicht fehlen. Es gelang ihm daher, den Verſteck ber jun- 
gen Frau früher auszufpüren, als Auguftin, der wohl zuweilen 
dies fürdtete, die Möglichkeit bes Gelingens eines ſolchen Ver⸗ 
fuches ahnte. Einmal fo weit gelangt, war alles Fernere leicht 
zu bemwerfftelligen. Der Betrogene, nad Rache lechzende Brafilia- 
ner wartete die ihm günftigfte Stunde ab, wo er Auguftin abwe- 
fend wußte. Dann umftellte er das einfame Landhaus mit zuvere 
läffigen Leuten, drang ein, bemächtigte fi der entfeßten Dolores 
und ihres Säuglinge, tödtete die Wärterin und führte Beide in's 
Innere des unermeflichen Landes. 

Auguftin Hohenfeld erfuhr erft am nächſten Morgen biefes. 
furchtbare Unglück, und nur der Gedanke, es ſei ein Fatum, ein 
ihm beftimmtes Verhängniß, verbunden mit ber Hoffnung, den Räu- 
ber feines Weibes und Kindes aufzufinden, gab ihm Kraft. Mit 
wentgen flüchtigen Worten meldete er feinem Schwager Heidenfrei 
das Vorgefallene, indem er hinzufügte, daß er ausführlihe Nach⸗ 
richten jenden werde, fobald er Über das Schiefal der” Seinigen 





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Gewißheit erhalten habe. Die Fortführung der Geſchäfte übertrug 
Auguftin feinem erprobten Quchhalter, einem feit langen Jahren in 
Rio lebenden und "mit den bortigen Handelsverhältnifien vollkom⸗ 
men vertrauten Deutfhen. Durch biefen follte aud die fernere 
Verbindung mit der Vaterſtadt aufrecht erhalten werben. Dies. 
Alles warb von dem in Angſt und Entſetzen lebenden jungen 
Manne nur angedeutet, denn er hatte Feine Zeit zu verlieren, 
wollte er den frechen Räubern feines Weibes und Kindes auf bie 
Spur kommen, 

Diefe wenigen und offenbar in ber furctbarften Aufregung 
gefchriebenen Zeilen Auguftin Hohenfels' waren das letzte fihtbare 
Zeichen feiner Exiſtenz. Nie erhielten die In Europa lebenden 
Verwandten des beflagenswerthen, talentsollen Mannes je wieder 
Kunde von ihm oder auch nur eine Hinweiſung auf feine fpätern 
Schickſale. Sein Stellvertreter und damals Chef der Handlung 
in Rio blieb ebenfalls ohne Nachricht. Er führte die Handlung 
unter großen Sorgen und Mühen nod einige Jahre fort, fah fi 
aber dann gendthigt, fie ein paar rüftigen, jungen Männern, zwei 
Brüdern abzutreten, da feine angegriffene- Gefundheit ein zurückge— 
zogened Leben von allen Geſchäften verlangte, 

Sp erlofh die Firma Hohenfeld Sohn für immer, und wie 
fein Name in der brafiltanifhen Hauptſtadt unter der bortigen 
Kaufmannswelt verfhwand, fo ging er auch bald tim Gedächtniß 
der Lebenden dieſſeits und jenſeits des atlantifhen Oceans werlo- 
ven. Wenn fpäter auch dann und wann Einer oder ber Andere 
des fo gänzlich Verſchollenen gelegentlih einmal gedachte, fo 
drängte man die Erinnernng an ihn gewöhnlich gefliffentlich wieder 
zurüd, dba man ja doch nur alte, ſchon vernarbte Wunden damit 
noch einmal aufriß, ohne Gefchehenes ungefhehen machen und 
einen fiherlih längſt Verftorbenen und Begrabenen dem geben 
wieder geben zu können. 

Die Familie Heidenfrei wurde von biefem büftern Verhäng⸗ 
niß ſchwer betroffen, und wie fehr aud ein feltenes Glück die im- 
mer viefenartiger fich geftaltenden Unternehmungen des Haufes bes 


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günftigte, oft drängte fi das Bild des Verlorenen wie ein dunk⸗ 
ler, drobender Schatten in bie fonnenhellften Tage. Am mriften 
litt Margaretha darunter, die in ber prunkvollen Herrlichkeit ihrer 
Häuslichteit mehr als Andere, von den Geſchäften des Tages in 
Anſpruch Genommene, von dem Schattenbilde des unglücklichen 
Bruders umſchwebt ward. 

Die Kinder Heidenfret’s erinnerten fih nur dunkel jener -trüs 
ben Tage, wo fih das ganze Haus in Schwarz Hüllte, um ben 
DVerfhollenen als einen Todten zu betrauern. Der wahre Vor— 
gang und die traurige Veranlaffung zu Auguftin’s unheimlichem 
Schickſal blieb Allen verborgen. Selten hörten die Heranwachſen⸗ 
den in fpätern Jahren des Onkels Auguftin gebenten, ber wie 
eine Mythe in bie Lebensfrifche Gegenwart der Familie hereinragte. 

Erft als fpäter die beiden Brüder die andere Hemifphäre be= 
fuhten, trug der Vater ihnen auf, Erkundigungen über den Oheim 
einzuziehen, indem er ihnen von den befannt gewordenen Lebens⸗ 
ſchickſalen das Nöthige mittheilte. Allein auch die Brüder hatten 
nicht mehr Glück, als frühere vertraute Sendlinge. Auguftin Ho— 
benfels blieb verfhwunden und man mußte annehmen, daß er in 
ben unzugänglihen Wilbniffen Inner-Amerika's bei Verfolgung 
der Räuber feines Weibes und Kindes umgefommen fe. Es war 
dies jo wahricheinlih und kam fo häufig vor, daß Niemand daran 
zweifelte. Dort in den unermeglihen Savannen Brafiliens, in 
ben undurddringliden Urmwäldern der Tropen, In den unzugäng- 
lihen Schluchten und Thälern der Gordilleren jhwärmten damals 
noch zahlreiche, wilde Indianerflämme, die jeden weißen Mann als 
einen Feind betrachteten und feine Tödtung für ein ihrem Volke 
verdienftliches Werk hielten. Wie Teicht alſo konnte unter ſolchen 
Berhältniffen ein nur von Wenigen begleiteter fühner Mann, den 
Leidenſchaft und Rachedurſt blindlings vorwärts trieben, in einen 
Hinterhalt fallen und nad heldenmüthigem Kampfe der Uebermadt 
erliegen! Daß gerade Auguftin Hohenfels ein ſolches Schiefal er= 
reicht haben möge, war um fo mehr anzunehmen, als fein Gegner 
viele Jahre fpäter wirklich in ähnlicher Welfe erlag. India⸗— 





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niſche Krieger erſchlugen ihn und feine Gefährten auf einem Jagd⸗ 
zuge. Die verſtümmelten Leichen der Unglücklichen entdeckte ein 
Trupp anderer Jäger zu ſpät, um die Thäter verfolgen und zur 
Rechenſchaft ziehen zu können. 

Von dieſem Manne nun traf jetzt nach ſiebenzehnjährigem 
Schweigen ein Brief ein. Dies Schreiben wirkte wie die Erſchei⸗ 
nung eines Beiftes und ergriff Margaretha fo heftig, daß fie einer 
Ohnmacht nahe war, 

Als man fih etwas beruhigt hatte, trug Heidenfrei ben Brief 
des Todtgeglaubten vor, Das Schreiben war, wie das Datum 
auswieß, welt über ein Jahr alt, doch fagte eine Nachſchrift, daß 
es erft vor fünf Monaten in Rio de Janeiro gefhloffen und da⸗ 
felbft zur PVoft gegeben worben ſei. Auguftin Hohenfels ſchrieb: 

Beliebter Schwager! 

In der Vorausſetzung, daß diefe Zeilen früher ober fpäter 
in deine Hände kommen werben, ergreife ih noch einmal die Fe— 
ber, obwohl es mir jet ſchwer fallt, fie zu führen. Don meinen 
perſönlichen Schiefalen will ich dich nicht lange unterhalten. Ich 
würde beim Nieberfchreiben berfelben nur ſchaudernd noch einmal 
In ber Rüderinnerung durchleben müffen, was ich in ber Wirklich⸗ 
fett bis zum Uebermaß ausgefoftet habe. Es liegt auch wenig 
daran. Darum ein Schleier über bie Vergangenheit und mit allen 
Rüdwärtsgedanten hinunter in die Gruft, wo die Verweſung hauf't 
und fchafft! 

Ueber die Meranlaffung meines Wegganges aus Rio de 
Janeiro müßt Ihr unterrichtet worden fein. Leider follte ih fein 
Glück haben! Die Spuren meines Tobfeindes und feiner Beglel- 
ter entdedte ich zwar nad einigen Tagen, ihm felbft aber habe ich 
nie wieder in das verhaßte Antlik bliden können. Nur ein Troft, 
ein einziger, kurzer Troft war mir befchteden. Dolores, mein ge= 
liebtes Wetb, bie Mutter meines Kindes, ftarb In meinen Armen. 

Es war eine wilde Jagd, die mich dieſes Glückes theilhaftig 
madte. Drei Monde lang war ih durch Steppe, Wald und 
Wildniß geirrt, Hatte reißende Bergflüffe durchwatet, mit wilden 


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Beſtien gekämpft, gehungert und gedurſtet, und immer beſaß ich 
nichts, als die unzweideutige Spur des dreimal Vermaledeiten. 
Endlich, endlich entdeckte ich feinen Lagerplatz! Am Fuße der Cor⸗ 
dillera grande, verſteckt unter rieſigen Farren, hatte der Schändliche 
Raſt halten müſſen, weil die zarte Dolores die Strapazen der 
Reife nicht mehr ertrug. Aber der unverſöhnliche Räuber war vor⸗ 
fihtig gewefen. Seine ausgeftellten Poften gewahrten uns zeitig 
genug, um ihm das Entlommen möglih zu machen. Auf einem 
Felsgrat, bis wohin ich ihm athemlos nachſetzte, fah ich ihn zum 
legten Male, mein Kind auf feinem Arme. Er ſchwang trium⸗ 
phirend die Büchſe gegen mich und antwortete auf bie Kugel, bie 
ih ihm in der Wuth nachfchtete, mit einem wilden Jauchzen, wie | 
es nur bie Indianer auszuftoßen pflegen. 

Zurüdgetehrt in das Zelt der Kranken, fand th Dolores be- 
mußtlos. Meine Iiebenden Schmeichelmorte bradıten fie auf kurze 
Zeit zu fi. Sie erkannte mid, fie fhlang ihre abgemagerten, 
tobesfeuchten Arme um meinen Naden, drüdte mich unter Küffen 
an fih und ftarb dann, wimmernd nad ihrem Kinde verlangend, 
an meinem Herzen. Unter Palmen habe ich fie begraben. Dann 
trocknete ich meine Thränen, umpanzerte mich mit Erz, nahm bie 
Büchfe wieder auf und zog weiter in die Wildniß ber Gebirge. 

Doch wozu noch mehr von meinem Elend reden. Es genügt 
die einfache Bemerkung, daß ich ganz Brafilten bis zum Aequator 
durchſtreifte. Darüber vergingen Jahre, nicht blos Monate. Ich 
gefellte mich wandernden ober mit andern Stämmen Krieg führen- 
den SIndianerhorden bet und ward unter thnen felbft ein Halbwil— 
der. Für einen Europäer würde mid ſchon damals ebenfomwenig 
Jemand gehalten haben, wie ich dies jebt verlangen möchte. 

So zog ich fort, immer nordwärts, über den Orinoco hinaus 
nah Denezuela, wendete mich fpäter dem Magdalenenftrome zu 
und erreichte das karaibiſche Meer. Hier beſtieg ich ein Schiff der 
vereinigten Staaten, denn id} vermuthete, Gonſalez werde fih nad) 
den fühlichen Staaten der Union gewendet haben, da er in ber 
Zouifiana wohlhabende Verwandte. befaß. 

D. 8, XI, Willtomm’s Rheder und Matrofe, 7 


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Wollte ih meine Nahforfhungen mit einiger Ausfiht auf 
Erfolg fortfegen, fo war es nöthig, mid hinter die Maske eines 
fremden Namens zu verfteden. Ich legte mir demnad einen ganz 
gewöhnlihen, unendlich Häufig vorkommenden, Acht amerikaniſchen, 
Namen bei, trieb Hanbelsgefhäfte in New-Orleans, wie fie mir 
eben vorkamen, hielt mid aber nur fo lange daſelbſt wie überhaupt 
in der ganzen Louiſiana auf, als nöthig war, um mir darüber 
Gewißheit zu verfchaffen, daß Gonfalez nicht in der Umgegend lebe. 

Auf die freilich ungewiffe Nachricht bin, derſelbe fet im We⸗ 
ften des Landes, in Teras, gefehen wurden, folle dafelbit fogar eine 
Befigung gekauft haben, machte ih mich dahin auf den Weg und 
entdeckte wirklich Spuren feines dortigen Aufenthaltes. Gin Knabe 
von vier Jahren, aus deflen Befchreibung mir die Züge feiner un« 
vergeßlihen Mutter entgegenlachten, beitärkte mich in meiner An 
nahme und da der Befiker deſſelben nah der Weſtküſte aufgebro- 
chen fein follte, richtete auch ich meine Schritte dorthin. , Hier war 
es, wo th an dich und den Vater fhrieb, um Euch willen zu 
laffen, daß ich lebe und Hoffnung habe, mein Kind wieder zu fin- 
den. Nur war mein Briefbote ein wentg zuberläffiger Menſch, 
ein fogenannter Bufchrandger, der ein Menjchenleben eben fo wenig 
achıtete, wie ein Stüd Papter. 

Wieder Toten mich untrüglihe Spuren immer weiter bis an 
die Felfengeftade des Rio Colorado, deilen Lauf ich, hundertmal in 
Todesgefahren, bis zu feiner Mündung in den Golf von Galifor- 
nien verfolgte. Hier endeten meine Nahforfhungen und nie wie- 
ber, obwohl ich bis in den eifigen Norden und abermals ſüdwärts 
in bie La Plata-Staaten vordrang, und Leiden erbuldete, wie fel- 
ten ein Sterblicher fie zu überſtehen Kraft und Willen beſaß, fah 
ih mein Kind und feinen Entführer, 

Kummer, geiftige Aufregung, Seelenfhmerzen und nie ru= 
hende Strapazen haben mih alt und fich gemacht. Die Barm⸗ 
herzigfeit meiner Landsleute, die mich nicht wieder erkannten, aus 
meinen Erzählungen aber doch die Meberzeugung gewannen, daß 
ih jener unglüdlihe Auguftin Hohenfels fein müfle, den man 





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längſt für todt gehalten, hat mir im deutſchen Hospital vorläufig 
ein Unterfommen verſchafft. Und da lebe ich denn, Lebe wie eine 
Raupe, die der Stunde harrt, wo fie ſich ihr eigenes Todtenkleid 
webt, um in deſſen Umhüllung ſtill zu flerben. 


Ich Hoffe nichts mehr von der Welt. Diefen Brief fchrieb 
ih nur, um Euch zu fagen, daß, wenn th gefehlt Habe, mein 
Vergehen durch die furdtbaren Leiden, bie Ich ertrug, zehnmal 
gefühnt iſt. Endlich aber drängt es mih, Euch mitzutheilen, daß 
mein Sohn entweber dereinft Europa und wahrſcheinlich auch 
Deutfhland befuchen wird, oder vielleicht ſchon jetzt irgendwo in 
ber alten Welt lebt. Ein alter Sclave bes Gonſalez, der diefen 
bet feiner räubertfchen Unternehmung begleitete, bat auf feinem 
Todbette gebeichtet, daß fein Herr den geraubten Knaben in Teras 
einem Pflanzer abgelafien, diefer den hübſchen Jungen aber wie⸗ 
der einem Kaufmann auf Cuba übergeben habe, der mit allen 
europätfchen Hafenplätzen in enger Verbindung fteht und die Eigen- 
heit befitt, die melften für feine eigenen Schiffe beflimmten Mann— 
fhaften unter feinen Augen zum Schiffspienft erziehen zu laſſen. 
Diefer Mann heißt, wenn ber Sterbende nicht gelogen hat, mas 
foum anzunehmen iſt, Don Pueblo y Miguel Saldanha. 


Lebt wohl! Gott ſei mit dir, meiner Schweſter und deinen 
Kindern! Dielleicht, obwohl ih es nicht glaube, wäre ung auf 
diefer qualvollen Erde doch noch die Freude eines kurzen Wieder- 
ſehens vergönnt. An diefe Hoffnung klammert fih mit glaubens- 
ftarfem Herzen Euer körperlich gebrochener, geiftig aber noch immer 
ungebeugt daſtehender Bruder und Schwager 

Auguſtin Hohenfels. 


Von der Vorleſung dieſes Briefes waren Alle tief ergriffen. 
Eliſabeth und Ulrike vermochten die ſchon längſt gewaltſam her- 
vorbrechenden Thränen nicht mehr zurückzuhalten. Laut ſchluchzend 
umarmten Beide die gefaßtere, innerlich aber vielleicht von ſämmt⸗ 
lichen Zuhörern am tiefſten erſchütterte Margaretha. 

Heidenfrei ſelbſt zeigte, wie immer, äußerlich keine Spuren 

7* 


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von ftarfer Gemüthsbewegung. Auch die Söhne behielten ihre 
ruhige Haltung bei, wie es Gejhäftsleuten zukommt. 

Alfo er lebt noch, ſprach nad kurzer Paufe der Vater, das 
umfangreihe Schreiben bedächtig zufammenfaltend und in ein be= 
fonderes Fach feines Taſchenbuches Tegend. Und er meint, aud 
fein Sohn, das Kind feiner Liebe, feiner Schmerzen fet noch am 
Leben? Hm, hm! Es wäre fuperbe, aber recht einleuchtend tft 
es mir nidt. 

Sollte Don Gomez nihts von dem SKaufmanne auf Cuba 
gehört haben? fagte Ferdinand. Er war ja einige Zeit Grund⸗ 
befiter in Texas, er muß die bebeutenderen Sandelöherren von 
den Infeln, die mit jenen Producenten in Iebhafter Gorrefpon- 
benz ftehen, kennen. 

Iſt fehr unwahrfeintich, meinte der Vater. Ich traue über- 
haupt diefer ganzen Angabe und Ausjage nicht, degn bei unferm 
ftarfen Verkehr mit Cuba müßte doch meines Erachtens der Name 
Pueblo y Miguel Saldanha irgendwie einmal auf der Börfe oder 

in einem Briefe, ald Gtro auf einem Wechſel vorgefommen jein. 

Seltfam iſt's, daß Diefe Firma wenigſtens nit bei und 
befannt zu fein ſcheint, fprah Eduard. Indeß dies beweilt 
noch immer nichts gegen die Eriftenz eines Mannes gleichen Na— 
mens. Wir werden vorfichtig Erfundigungen einziehen, wir wer- 
den vor Allem dem unglücklichen Oheim freundlih antworten und 
ihm die erforderlichen Mittel zumeifen, um feine erfchütterte Ge- 
jundheit womöglich wiederherzuftellen.. Inzwiſchen wollen wir auch 
Ordre geben, daß uns fein Spanier, der von den Küften Ame- 
rika's, gleichviel wie er fi nennt, oder was er treibt, bier an- 
fommt, unferer Nahforfhung entgeht. 

Dem ſtimme ich bei, fagte Ferdinand, und eben deshalb mag 
es nicht fihaden, wenn wir unferm lebensluſtigen Freunde behut- 
jam auf den Zahn fühlen. 

Heibenfret war bderfelben Anfiht, auch bie Mutter billigte 
fie, nur rieth fie zu größter Vorſicht, um den vornehmen Don 
nicht etwa zu beleidigen. 








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Es war darüber ſpät geworden, und obwohl Alle ſich noch 
in ſeltſamer Aufregung befanden, trennte man ſich doch, da Hei— 
denfrei ein längeres Beiſammenſein, das zu einer weiteren Be— 
ſprechung des aufregenden Gegenſtandes immer von Neuem führen 
müſſe, für ſtörend und mithin unzweckmäßig erklärte. 


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Behntes Kapitel un 2 NIE TEST 
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Ein alter treuer Diener. 


Es war zwifhen halb und drei Viertel neun Uhr Morgens. 
Die Comptoirzimmer in Heidenfrei's Haufe begannen fih mit den 
verſchiedenen Perfönlichkeiten zu bevölkern, welche ein feſtes Enga— 
gement bei dem viel vermögenden Handelsherrn gefunden hatten. 
Dieſe Zimmer bildeten eine ganze Reihe in einander mündender 
Gemächer, deren Fenſter, da fie im Hinterhauſe belegen waren, 
fammt und fonders eine fehr unerquickliche Ausficht auf den ſchma— 
len, hinter dem Haufe vorüberfließenden Fleeth und auf eine 
Reihe himmelhoher Speicher hatten. Nur die beiden VBorderzimmer, 
in deren einem Herr Heidenfrei felbit arbeitete, und von denen 
das zweite feinen Söhnen und dem erften Buchhalter eingeräumt 
war, hatten ein etwas freundlicheres Ausfehen. Da man aber 
an derartige Räume fett undenklihen Zeiten gewöhnt war, und 
die alte, gedrängte: Bauart der Häufer vor Allem Raumerfparniß 
erzielte, um Platz für Aufftapelung der Waaren, für deren Ver— 
und Umpackung zu gewinnen, fo fiel diefe abitoßende Unmwohn- 
fichfett Niemand auf, noch gab fie jemals Anlaß zu unfreund- 
lichen Aeußerungen. 

Zu den ſchon ſeit Jahren im Comptoir bes Rheders ange 
ftellten theils älteren, theils jüngeren Xeuten war fett einigen 
Wochen als englifcher und fpanifcher Gorrefpondent ein uns ſchon 
bekannter junger Lebemann gelommen, nämlich ber immer heitere, 


— 102 — 


zu Scherz und Luft aufgelegte Anton, deſſen Bekanntſchaft wir im 
Alſterpavillon machten. 

Anton ſaß auf dem hohen Polſterſchemel mit kurzer ſteifer 
Lehne an feinem Pult, ſchnitt ſich mit ſchwungvoll geführtem enge 
liſchen Meſſer ein ganzes Dutzend der ſchönſten hamburger Kielen, 
die damals eine in ganz Deutſchland geſuchte Waare ausmachten 
ond Heshald „einen: nicht unbebeutenden Handelsartifel bildeten und 
ſh jedesntaf, wenn ee eine Feder mit wohlgefälligem Lächeln vor 
;. ſich ia 3 den- fouber ‚gehaltenen grünen Tifhüberzug feines Arbeits- 
pultes Tegte, nad dem Fleeth hinaus; denn "in regelmäßigen 
Pauſen verdunfelten dire, an dem Fenfter vorüberſchwebende Ge- 
genftände den nicht befonders günftigen Stand des jungen Man 
nes. Arbeitsleute waren befhäftigt, große Ballen und Säcke 
einer fo eben gelöſchten Schiffsladung nah dem über ben be— 
wohnten Räumen des weitläufigen Haufes gelegenen Speicher zu 
ſchaffen. 

Endlich lag das Dutzend meiſterhaft geſchnittener dicker gelber 
Spulen vor dem zufrieden lächelnden Anton. Er ſchloß nun das 
Pult auf, nahm einige Bogen des glatteſten Briefpapiers von dem 
darin vorhandenen Vorrath heraus, zupfte ſich das fein gekräuſ'te 
Jabot und die nicht minder ſaubern Manſchetten zurecht und zog, 
da er zur Zeit noch keinen Rock beſaß, den er als Comptoirrock 
zu tragen für ſchicklich hielt, ein Paar aſchgraue Schreibärmel über 
feinen allerdings etwas zu eleganten Rod von feinſtem, niederlän— 
diſchen Tuche. Da hörte er Hinter ſich ſchlürfen und fodann ha— 
flige kurze Schritte. Er glaubte, Herr Heidenfrei fet es felbft, 
der zu fo ungewöhnlich früher Stunde das Comptoir beſuche, denn 
er hatte die Gewohnheit beim Gehen entweder vernehmlih zu 
fhlürfen oder ganz Heine, kurze Schritte zu machen. Seinen Irr⸗ 
thum fofort erfennend, kehrte er fi etwas brüsk wieder um, ftüßte 
den Kopf mit dem wohl geordneten Haare auf den rechten Arm, 
trommelte mit der Spike bes linken Fußes auf den Tritt unterm 
Schreibpulte und kaute feheinbar zerftreut ober grübelnd an ber 
Bahne der ergriffenen Feder. 











— 103 — 


Guten Morgen, wohl geruht zu haben, ſagte eine dünne, 
etwas heiſere Stimme. Anton ſchwieg. Hat man den neuen Herrn 
Correſpondenten etwa beleidigt? fuhr der vorige Sprecher fort. 
Guten Morgen, hab' ich geſagt. Guten Morgen! Verſtanden? 

Anton kehrte phlegmatiſch dem Sprechenden ein freundlich 
lächelndes Geſicht zu, in dem freilich alle kleine Teufelchen ber 
übermüthigften Laune ſchäkerten und kicherten. 

Allerſchönſten guten Morgen, Herr Treufreund, erwiderte der 
junge Correſpondent. Wie haben Sie geſchlafen? 

Geſchlafen? Wollen ſie mich foppen, Herr? Wiſſen Sie nicht, 
daß ich in voriger Nacht die Wache hatte? 

Nein, wahrhaftig nicht, verſetzte gutmüthig Anton. Ich bin 
noch etwas grün hier, und kenne mithin die Hausordnung nicht 
ſo genau, wie es für mich ſelbſt wohl wünſchenswerth wäre. Aber 
ich hörte doch letzthin, Sie könnten das Nachtwachen nicht gut ver⸗ 
tragen. 

Herr Treufreund war der älteſte, eigentlich ſchon längſt in 
Ruheſtand verſetzte Comptoiriſt im Heidenfrei'ſchen Geſchäfte, denn 
er hörte häufig außerordentlich ſchwer, ſah nicht gut und lag mit 
ſeinem Gedächtniſſe immer im Streit, obwohl er behauptete Nie— 
mand beſitze ein beſſeres und zuverläſſigeres als er. Treufreund 
war gewiſſermaßen ein Stück Inventarium, das eben ſo gut zur 
Handlung Peter Thomas Heidenfrei gehörte, wie das uralte, wurm— 
ftihige Pult und der knarrende, längſt ſchon durchgeſeſſene Schreib- 
ſtuhl, den er fih nicht nehmen ließ. Aus dem Geſchäft entlaffen 
wollte der Prinzipal diefen im Dienft der Firma alt und ſchwäch— 
lih gewordenen Junggefellen nicht, da er nur wenig eigenes Ver— 
mögen befaß und feine Angehörigen von ihm mehr lebten. Gine 
Penfion lehnte der ehrgeizige und höchſt empfindlihe Mann ab, 
und fo behielt denn Herr Heidenfrei den gutmüthigen, in jeder 
Hinfiht braven Alten in feinem Gefhäft, doch unter der Bedin⸗ 
gung, daß er nur ſolche Arbeiten übernehme, die ihm der Prinzte 
pal entweder ſelbſt zumelfe ober für welde Herr Treufreund ſich 
befonders intereffire. 


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Mit dieſen Bedingungen erklärte ſich der frühere Buchhalter 
— denn dieſe Stelle hatte er lange bekleidet — einverſtanden. 
Da er gern ſich unterhielt und Rath ertheilte, ſo wußte das ganze 
Comptoirperſonal Treufreund in einer für ihn, wie für alle Uebrigen 
gleich angenehmen Weiſe zu beſchäftigen. Jeder fragte ihn, ſelbſt 
in den allergleichgiltigſen Dingen, um ſeine Meinung, und dem 
gutmüthigen, ſchwachhörigen Comptoiriſten fiel es nicht ein, daß 
man ihn mit dieſen Fragen nur zum Beſten habe. 
Beſonders viel that ſich Treufreund auf feine Geſchicklichkeit 
im Rechnen und im Geldzählen zu Gute. Er hatte nämlich eine 
Reihe von Jahren die Functionen eines Caſſirers verſehen und ſich, 
wie er mit vollem Recht und mit einem gewiſſen Anflug von Stolz 
behaupten durfte, faſt nie verrechnet, ganz ſicher aber niemals 
verzählt. Das glaubte nun freilich nicht Jedermann, dennoch 
fagte Treufreund nur die Wahrheit. Es gab In der That fehr 
wenig Menſchen, bie es im raſchen und fihern Gelbzählen ihm 
glei, gewiß feine, die es ihm zuvorthun konnten. 


Für den Prinzipal Hatte diefer brave Mann eine unbegrenzte 
Verehrung, die fo weit ging, daß er fih auch die nicht gerade lo— 
benswerthen Cigenihaften" des ausgezeichneten Mannes aneignete. 
Er trug fih genau fo wie Heidenfrei, eben fo Tegere, eben fo 
ſchlotterig. Daß er auch den Gang des Prinzipald angenommen 
hatte, ift ſchon angeführt worden. Sämmiliche jüngere Mitglieder 
des zahlreichen Comptoirperſonals nannten deshalb den alten über— 
zähligen Heren „den Schatten”, eine Bezeichnung, die vollfommen 
zutreffend war, denn er glitt wirklich überall tote ber Schatten des 
Prinzipals im Hauſe umher. 

Dieſer Mann alſo ſtand jetzt mit verdrießlichem übernächtigen 
Geſicht neben Anton's Pult und ſagte auf den neugierig fragen- 

den Blick deſſelben: Freilich kann ich das Nachtſitzen nicht vertra⸗ 
gen, aber ich muß doch aushalten. 


Da möchte ich wohl nach dem Grunde fragen, mein verehr⸗ 


ter Herr Treufreund, erwiderte Anton, denn ſo viel ich mich er⸗ 


— 105 — 


innere, hat Sie Herr Heidenfrei ausdrücklich von den Nachtwachen 
diſpenſirt. 

Treufreund riß ſeine großen, verſchlafenen Augen noch größer 
auf und blickte ordentlich munter um ſich; dann mußte er ſich aber 
zur Seite wenden, denn als er den Mund zum Sprechen öffnete, 
überfiel ihn ein ſo gewaltiges Gähnen, daß der zahnloſe Mund 
des armen Mannes die Geſtalt eines Schlundes annahm. 

Anton probirte eine ſeiner ſchön geſchnittenen Federn und 
malte mit großen kecken Zügen ſeinen eigenen Namen auf ein 
Blatt Papier, um der Lachluſt, die ihn packte, Herr zu werden. 

Ich will aber nicht dispenſirt ſein, ſagte Treufreund trotzig, denn 
ich bin fein Krüppel, jondern ein für feine Jahre nach ganz rüftiger und 
zu jedem Gejchäfte brauchbarer Mann. Unfereins iſt auch jung gewefen 
und hat fein Leben genoflen wie Einer, aber mit Verftand, mit vielem 
Berftand — begriffen? Die jungen Herren von geftern und heute ge= 
nießen aud Das, was fie Leben nennen, Sinn und Berftand aber, mit 
Verlaub — ih werde nie perfönlih, Herr Anton — Sinn und 
Berftand ift felten in dieſem Genuſſe. Darum find die feinen 
Herren von heute mit dreißig Jahren Greife und haben eine Glape 
aufzumweifen, die größer ift, als die meinige, obwohl ich in fieben- 
zehn Tagen mein zwei und fechzigites Jahr beſchließe und ſechs 
und vierzig Jahre mich rühmen darf, ein Kaufmannsdiener gewe= 
fen zu fein, wie er fein fol, 

Treufreund nahm bei dieſem Sermon fein geftidtes, ſehr bun— 
tes Käppchen ab, verbeugte fi etwas fpöttiih vor Anton und 
zeigte ihm feine nicht gerade unbedeutende lage. 

Sehr wohl, fagte Anton. Sie dürfen. mit Recht von ſich 
fagen, Herr Treufreund, daß Ihnen das Alter in Ioyaljter Weife 
das Haupt erleuchtet Hat. Wahrhaftig, ich könnte ſtolz werben 
und wohl wünfhen, an Ihrer Stelle zu fein, wenn ich nicht fo 
verzweifelt jung wäre. Aber, um nochmals auf ihre Nachtwache 
zu kommen, wie haben Sie's denn angefangen, um den malitiöfen 
Sandmann zu verfcheuchen, der ihnen die Augen fo geröthet hat? 

Die Pulte der übrigen Comptoiriſten waren inzwilhen alle 


—— 106 — 


bejeßt, es rauſchte und raſchelte überall Papier, es knirſchte 
Streuſand, man vernahm Federgekritzel. Alle dieſe, Laute aber 
verſtummten, als Treufreund ſich zu einer Antwort anſchickte, und 
auf den Zehen geräuſchlos, mit langen Hälſen, Geſichter ſchnei— 
dend, ſchlich ſich das ganze Comptoirperſonal zur offenen Thür 
des Zimmers, wo Anton ſein Morgengeſpräch mit dem „Schatten“ 
hielt, der all den neugierigen Lauſchern jetzt den Rüden, mit fel- 
ner wunderbar geſchmackloſen Rodtatlle zeigte. Anton nahm eine 
Miene an, als wife er nichts von ter Gegenwart der fhelmifchen 
Lauſcher und fo gelang es ihm, Treufreund vollfommen zu täu= 
ſchen. Diefer griff jet in die tiefen Taſchen feines weiten Roses, 
die beutelartig aus dem ſpärlich vorhandenen Unterfutter bis fait 
zur Wade herabhingen, und langte daraus einige mit Bindfaden 
freuzweife umfnotete Papierbüten hervor. 

Was haben Sie denn da? fragte Anton. 

Kennen Sie das nicht? entgegnete der Schatten mit faft 
weinerlich klingender Stimme. 

Gexwiß, verfehte Anton. Wer wollte Kaufmann fein und 
Zehnthaler-Schillingsdüten nicht Tennen! Ich kann nur nicht ein- 
fehen, wie dieſe Düten mit Ihren gerötheten Augen zufammen- 
hängen. | 

Da fieht man wieder recht deutlih, wie Teichtfinnig die heu— 
tige Jugend ift — ich werde nie perfönlih — erwiderte ber Alte. 
Mein Streben war e8 ſtets, die Zeit nüßlih zu verwenden. Mü— 
Biggang kenne ich nicht, und wenn ich troßdem wie alle Menjchen 
auch meine Fehler habe, der Müßiggang hat fie nicht erzeugt. 
In früheren Jahren, wo mir die Augen noch nicht ablegten, 
führte ih, traf mich die Reihe der Nachtwache, gerade des Nachts 
bie Bücher. Es war mir nie wohler, als in ſolch einfamen, 
fiillen Stunden. Ich hörte das Kommen der Fluth am Geplät- 
fher der Wellen gegen die Vorſetzen, und meine Gedanken eilten 
hinaus auf den Strom. Jh war im Gelfte mitten unter aufs 
ſegelnden Schiffen, ich blickte in's Logbuch, ich ſtieg in den Raum, 
ſpähte umher unter den aufgeſtauten Waaren, und wußte ich, 


\ 


— 107 — 


dag für uns eine Ladung mit Golonialmaaren unterwegs war, 
da pridelte mir ber Duft des frifchen Kaffees oder der würzige 
Hauch von Zimmet und Musfatblüthe in der bloßen Einbildung 
fo Tebhaft in die Nafe, daß th niefen mußte. Und dabei konnte 
ich arbeiten, wie ein Halbgott! Sehen Ste einmal das Haupt 
buch nah von vor zwölf, fünfzehn Jahren. Sie können lange 
fuhen, ehe Ste ein zweites, fo accurat geführtes, fo gleihfam 
in Kupfer geftochenes, wiederfinden, obwohl’ blos von der Hand 
eines einzigen ſchwachen, aber freilih auch gewillenhaften Men 
jhen mit wohlgefhnittener Feder geſchrieben worden tft. Ich glaube 
nit, Herr Anton, dag mir Gott eine poetifhe Aber verlichen 
bat, aber die DVerfiherung kann ih Ihnen geben, zweimal bin 
th zum Dichten begeiftert worden beim Anblick diefer prächtigen 
flolgen, ſichern Zahlenreihen, von denen fich fein Häkchen weg= 
nehmen läßt und die mir mit taufend Stimmen zurufen: groß 
und hehr und mächtig tft das glorreihe Handelshaus Peter Tho⸗ 
mas Heidenfret! Ja, fehen Ste, Herr Anton, da wurde mir's 
warm um's Herz und das Blut ſtieg mir zu Kopfe, und — Gott 
wolle mir's verzeihen, — ich habe zwei Gedichte gemacht auf die 
Herrlichkeit unferes Hauptbuches. Wenn Ste ed wünfdhen, Tann 
ih Ihnen diefe meine einzigen Poefien eigener Fabrik vorlegen. 
Ich habe fie wohlbenächtig aufbewahrt, um in meinen alten Ta⸗— 
gen eine frohe Rüderinnerung an die glüdlidhften Stunden mel- 
nes Lebens zu haben. 

Ih werde mich eines ſolchen Vertrauens würdig zu machen 
ſuchen, fagte beiftimmend Anton mit einer Miene deren komiſcher 
Ernft einen Hypochondriften zum Lachen gebracht haben würde. 
Und die Schillingsdüten, Herr Treufreund, gehören die aud mit 
zur Hauptbucd = Poefie ? 

Hören Sie zu, damit Ste mich ganz verfiehen, fuhr „der 
Schatten“ ſehr ernfthaft fort. Ich fpreche von ſchönen, vergan= 
genen Zeiten, von der romantifhen Perlode meines Lebens. In 
jenen Nachtſtunden ftudirte ich auch, oder ich rechnete eine ſchwie⸗ 
vige Aufgabe aus, übte mich darauf ein und fepte am Tage mit 


n 


— 108 — 


meinem Wiffen manchen Herrn Obenhinaus in Verlegenheit und 
Erſtaunen. Dabei fnusperten die Mäufe fo vertraulih an meinen 
Schemelbeinen, daß mir immer wohliger ward. Ich Tiebe bie 
Mäufe, wenn fie nicht in ganzen Schaaren herumziehen. Dann 
werden fie pöbelhaft, gemein, und alles Pöbelhafte tft mir zu- 
wider. So ein einziges Mäuschen aber, das ein vecht glattes, 
feingraues Pelzchen befigt, mit zierlihem Schwänzchen graziöfe 
Linien auf der Diele bejhreibt, appetitlih eine Krume. verfpeift 
und babet die glänzenden fhwarzen Aeuglein wie ein Paar Sterne 
hin und wieder blitzen läßt, das hat etwas Ariftofratifches, Vor⸗ 
nehmes, das mag ich Leiden; mit folhem faubern Thierchen kann 
ih mid eben fo gut, wie mit einem Singvogel abgeben, obwohl 
den Mäufen die Gabe des Gefanges gänzlich abgeht. Ste ptepen 
oder pfeifen alle blos, das habe ich genau obſervirt. Solch ein 
ariftofratifches Mäushen nun Hatte id mir vollftändig erzogen. 
Es hörte auf das Schrillen meiner Feder, auf das Klopfen met- 
ned Fußes. Behend Eletterte es mit den fammetweichen, Kleinen 
Pföthen an meinem Pult in die Höhe und verzehrte Die ihm vor= 
gelegten Krumen, während ich ungeftört fortarbeiten Tonnte. Es 
war fo zahm geworden, daß ich ein paarmal, halb aus DVerfehen, 
halb zum Scherz feines fhönen langen Schwanzes mich als Lineal 
bediente. Ya, ja, laden Ste immerhin, es tft doch wahr, und 
hätte der damalige Hausknecht das unvergleichliche Geſchöpf, dieſe 
Muſtermaus, nicht eines ſpäten Abends, wo er mir noch eine 
Mittheilung zu überbringen hatte, todt getreten, ich glaube, ſie 
wäre mir zuletzt am hellen Tage wie ein Hund nachgelaufen. 

Das würde Aufſehen gemacht haben, warf Anton ein, zog 
fein Taſchentuch und trocknete ſich die vor innerlichem Lachen thrä= 
nenden Augen. Aber bie Schillings- Düten — 

Sp hören Sie doch auf meine Rede, Ste vorwihiger Thor, 
und fallen Ste mir nicht immer ins Wort, wie ein ungebildeter 
Bauer — ih werde nie perfönlih — ſagte Treufreund ganz 
hitzig. Anton machte eine entjchuldigende Bewegung und ber Alte 
fuhr fort: 


—— 109 — 


Seit ein paar Jahren ſchon kann ich die Buchftaben nicht mehr 
erfennen, und deshalb habe ih der Buchführung aus eigenem Ans 
triebe, obwohl erit nad langen ſchweren Kämpfen, entfagt. Leſen 
und ftudteren kann ich auch nicht mehr, die unterhaltenden Mäus- 
den hat man vertrieben. Womit foll nun ein Mann von altem 
Schrot und Korn in fliller Naht, wenn feiner Wachſamkeit das 
Wohl Taufender, Bekannter und Unbekannter, in allen Weltgegen- 
ben Zerfireuter, anvertraut iſt, den Schlaf von fi fern Halten, 
ber, je älter man an Jahren und je reifer am Berftande, gedie⸗ 
gener im Urtheile wird, immer mehr Zudringlichkeit zeigt? Der 
Nachtwächter macht fih’8 auch bequem und fingt Feine Stunde mehr 
ordentlich ab, wie’s ihm wohl zufäme. An bie Raffel tft man fo 
gewöhnt, daß man fie gar nicht mehr Hört, das Glockenſpiel bim⸗ 
melt immer ein und biefelbe Melodie und noch dazu fo Tangfam, 
daß einem ſchon vor Bangigkeit, dies Gebimmel die ganze Naht 
anhören zu müffen, von felbft die Augen zufallen. Wiffen Sie 
nun, was einem redlichen Manne in folder Salamität als einziges 
Rettungsmittel übrig bleibt, um den zudränglichen Kerl, den Schlaf, 
dies Ding ohne Seele, das in alle Poren dringt und Blei in alle 
Glieder gießt, von fih abzufhütteln und refolut unter die Füße 
zu kriegen? Wiffen Ste das, Ste Jünger und Verehrer der Neuzeit, 
ber die Anfangsgründe der Handelswiflenfhaft auf einem foge- 
nannten Snftitute fih Hat eintrichtern laſſen? Wiſſen Sie e8? 

Nein, ich weiß es nicht, darum eben bitte Ih, unterrichten, 
belehren Ste mich, fagte Anton. Nur fhreien Ste nit fo entſetzlich 
und fletfhen Ste mich nicht fo barbartih an. Das ganze Comptoir 
läuft ja zufammen. Ich glaube, die Herren beforgen, wir möchten 
nahe daran fein, uns in aller Freundſchaft die Hälfe zu brechen. 

Treufreund fah fih um und erblidte nun bie feltfame Gruppe 
der Zuhörer, ein Kopf über die Achjel des Andern gefhoben, Alle 
mit lachenden Gefichtern und vor Vergnügen zitternd. Diefer An— 
blick machte den entfchloffenen, nunmehr reht in Zug gefommenen 
Mann aber nicht irre. Er z0g vor den Laufchern grinfend fein 
elegant geftidtes Käppchen, zeigte ihnen im Verbeugen feine leuch— 








—— 110 — 


tende Glatze und lud durch eine beifällige Handbewegung bie ganze 
Gefellfhaft ein, eine Weisheitslehre aus feinem Munde zu ver- 
nehmen. 

Da ftedt das Geheimmittel, das auch den hartnäckigſten Schlaf 
vertreibt oder bändigt, ſprach er nachdrucksvoll, mit beiden Händen 
ein paar der Papierdüten gegen das Gomptoirperfonal emporhebend. 
Geld zählen muß der Menſch, wenn er Steger werden will über 
feine angeborene Schwachheit. Geldzählen corrigiet die Natur, 
ſchärft und wedt den Zahlengeiſt. Geldzählen tft meine Arbeit, 
für die man fih dankbar erweiſen follte, wenn ih zum Beſten 
Anderer mir den Schlaf ablnappe, obwohl ich es nicht. veriragen 
kann. Mber es thut nichts; ich ruinire mich aus Nächitenliebe, 
Sch opfere mich freiwillig der Ehre bes Haufes Peter Thomas 
Heidenfret, " 

Länger konnten die Zuhörer fi nicht halten. Auch Anton’s 
Ernſthaftigkeit Hatte ihre Endſchaft erreicht. Es brad ein Geläch— 
ter 108, wie es wohl feit Jahren in diefen nur ber ernfteflen Ar⸗ 
beit geweihten Räumen nicht gehört worden fein mochte, 

Zornig von Ginem zum Andern blickend, ſtand Treufreund 
ſprachlos zwifchen den Lachenden, die wohl verpadten und ohne 
Zweifel aud richtig gezählten Schillingsdüten nod immer In den 
Händen haltend. Da fuhr ein Laufburſche heran an die Phalanr 
der vergnügten Gomptoiriften und raunte ihnen zu, Herr Heiden 
frei's Wagen werbe gleich vorfahren. Sofort verfiummte das Ges 
lächter, die Gruppe ſtob auseinander, Jeder eilte an feinen Plab. 

Mit ungeduldiger Gebehrde und verächtlih um fi blickend 
ftedte Treufreund feine Düten ein und beftieg feinen zermürbten 
Seffel. Anton trocknete fih die Thränen ab, ergriff eine Zeber, 
legte einen Briefbogen zurecht und ſuchte Dur den Stoßfeufzer: 
„Mien Moder kann fwemmen”, Herr über fih und feine Stim— 
mung zu werden. 

Indeß verzögerte fih die Ankunft des Prinzipald noch eine 
ziemliche Welle. ° Es traten Mehrere ein, die mit dem Chef des 
Haufes perfönlich fprechen mußten, und fo gewann das auf fo merf- 


— 111 — 


würdige Weiſe erheiterte Comptoirperſonal Zeit genug, um den 
würdigen Herrn, wie es ſich ziemte, zu begrüßen. | 

Treufreund berubigte ſich mittlerweile ebenfalls. Gr ypadte 
feine Schillingsbüten in die unter feiner Auffiht und Verwaltung 
ftehende Kaffe, aus welcher die mancherlei Fleinen Ausgaben bes 
Tages, wie die DBriefporti bezahlt wurben, verließ dann nochmals 
fein Pult und fam abermals zu Anton. ’ 

Ih will Ihnen feine Vorwürfe maden, fagte der gutmüthige 
leicht verſöhnliche Mann, obwohl ich vieleicht ein Recht hätte, Ihnen 
recht .böfe zu fein und Sie gewiffermaßen für meinen perfönlichen 
Feind zu halten. Zum Beweiſe vielmehr, daß ich nicht nachtrage 
und die Vorzüge und Gaben jedes Einzelnen gern anerfenne, bitte 
ih um die Gefälligkeit, mir eine Ihrer fhönen Federn zu verehren. 
Mir will es nicht immer gelingen, einen völlig reinen Spalt zu 
erzielen, und beim Abfnippen ſchneide ih mir bisweilen in ben 
Finger, was äußerſt fatal tft. 

Mit dem größten Vergnügen, mein werther Herr Treufreund, 
fagte Anton. Alle meine Federn ftehen Ihnen zu Dienften. Hier, 
ſuchen Sie ſich diejenigen aus, die Ihnen zuſagen. Aber nun noch 
ein Wörtchen im Vertrauen. 

Treufreund neigte ſein Ohr dem ſchalkhaften Anton zu, und 
dieſer fragte ernſthaft, ob er ihm nicht mittheilen wolle, wie lange 
Zeit er brauche, um eine Schillingsdüte zu zehn Thalern richtig zu 
zählen? 

Diefe Frage erheiterte „den Schatten” fihtlih. Es war ja 
eine Bitte um Belehrung, die man an ihn ftellte, und damit konnte 
ben guten Alten Jeder Teicht verfühnen. Eifrig feßte er dem Fra= 
genden auseinander, daß Alles darauf anlomme, ob man blos mit, 
ber rechten Hand oder mit beiden Händen zugleich zähle; daß es 
ferner von der Schnelligkeit und Sicherheit der Würfe abhänge, 
und daß er felbft 3. B. Immer nur halb fo viel Zeit als bie 
meiften Andern brauche zur Abzählung von hundert Thalern in 
Shillingen, weil er es in ber Gewohnheit habe, regelmäßig mit 
zwei Händen auf einmal eine volle Mark zu werfen. Anton danfte 


— 11? — 


bem Rath Ertheilenden für diefe Belehrung mit einem Händedrud, 
und Treufreund zog fich, drei der fchönften Federn mitnehmend, zu= 
rück an fein Pult, als eben der Prinzipal in Begleitung beider 
Söhne das Comptoir betrat. - 


Eilftes Rapitel. 





Die Eröffnungen des Quartiersmannes. 


Heidenfret ward gegen anderthalb Stunden von einer Menge 
Menfhen in Anſpruch genommen, mit denen allen er freundliche 
Worte wechfelte. Dazwifchen hatte er wieder direct Befehle an 
Leute zu ertheilen, die fperiell in feinem Dienfte ftanden. Fonds⸗ 
und Wechſelmakler kamen In gewohnter Weife vor, um anzufragen: 
ob Heidenfret ihnen Aufträge zu ertheilen babe, oder in irgend 
einer Art ihre Vermittelung wünfhe? Mit diefen wichtigen Herren 
unterhielt fi der Prinzipal länger, da es fih im Gefpräce mit 
fo gewandten Gefdhäftsleuten um commercielle Fragen von Bebeu- 
tung handelte, und aus den eingegangenen Grkundigungen bie 
Stimmung der Börfe für den einen oder andern Artikel fih er⸗ 
forihen Tief. | 

Endlih Teerte fi das Comptoir und Heidenfrei fand Muße, 
mit Ruhe an feine Arbeit zu gehen. Lange jedoch follte er auch 
jeßt nicht ungeflört bleiben, denn der Quartiersmann Behnke, der 
ſchon vom frühen Morgen an im Dienft des reihen Rheders thä- 
tig gewefen war und mit feinen Leuten ein tüchtig Stüd Arbeit 
beſeitigt Hatte, trat jetzt, nach gehaltenem Frühſtück, in das Comp- 
toir, begleitet von einem jungen, hoch aufgeſchoſſenen Manne in 
Seemannstracht, der beim Gehen etwas hinkte. 

Guten Morgen, Jacob, redete Hetdenfrei den reblichen Arbeits- 
mann. an. Nun, Alles wohlauf daheim? Hat fi die Mutter 








—- 113 — 


wieder erholt von ihrem Falle auf der Treppe? Wie geht's ber 
hmuden Tochter? Ab, fieh, fieh, wer tft denn der Patron ba mit 
den frifch rothen Baden? Iſt er’s wirklich, dein Paul? 

Der Rheder richtete alle diefe Fragen fo rafch nach einander 
an Jacob, daß diefer nicht zu Worte kam, fondern jede einzelne 
nur mit ſtummem Kopfniden beantworten Tonnte. 

Ja, Here Hetdenfrei, fagte er jebt. Es ift der Paul, den 
ih Ihnen da voritellen will. Die zwei Jahre, Die er draußen auf 
der atlantifhen und der ftillen See herumgeſchwalgt tft, haben ihn 
geftredt, aber auch ſtark gemadt. Er tft ein ganzer Mann ge= 
worden und gelernt hat er auch etwas, Herr. Mir trat’s Wafler 
in die Augen und Mutter Doris dazu, wie ich ihn fo vom Bord 
der „Marie Eliſabeth“ abftogen und mit brei, vier gewaltigen 
Riemenftrihen gerade auf die Landungstreppe zufteuern ſah. Als 
er aber aus dem Nahen fprang und die Treppe heraufſtieg, er= 
fchrafen wir Beide ein wenig, denn er hinkte flarf, und das that 
er nicht, als er vor zwei Jahren geheuert ward. 

Heidenfrei reichte dem jungen Matrofen bie Hand und ſchüt⸗ 
telte fie mit Herzlichkeit. 

Willkommen in der Vaterftadt, willkommen tm guten, alten, 
leben Hamburg, ſprach er freundlih. Du bift brav geweſen, Paul, 
das iſt fuperbe. Hab fhon ein paarmal Gutes von bir gehört 
und werde mir das merken. Läuft die Fregatte vom Stapel, bie 
ich jeßt zimmern laſſe, und bat Gapttain Ohlfen, der di Tieb 
gewonnen hat, Luſt, fie ftatt der „Marte Eltfabeth” auf ihrer 
erften Reiſe zu commanbiren, fo kannſt du vielleicht bis dahin das 
Unterfteuermanns-Eramen machen und ihn als folder dann beglet- 
ten. Kommſt dabei mehr in der Welt herum, kannſt dir die Nie» 
derlaffungen der Engländer in Canton anfehen, die Zopfflechterei 
der Chineſen ftudiren und wenn du wieberfommft, belehrende Ver— 
gleiche anftellen zwifchen den Zöpfen der Mandarinen im himmli- 
fhen Reihe und dem Wuchfe diefer Haarbeutelet in unferer — 
Gott erhalte fie noch lange — fo gefegneten Freien- und Hanje- 
Stadt. Lernen kann nichts ſchaden, und zur guten Stunde einen 

D. B. XI. Willkomm's Rheder und Matrofe, 8 


— 114 — 


Mißbrauch rügen, tft fuperbe, Hilft oft mehr, als langes Debatti« 
ren. Alfo nohmals Willtommen! Aber du Hinkft, fagt der Vater. - 
Bit du gefallen? | 

Es hat nichts zu fagen, Herr Heldenfret, verjegte Paul mit 
Freimuth und ohne die geringfte Befangenheit. Als ung zwiſchen 
den kanariſchen Inſeln und den Azoren der furdtbare Sturm padte 
und und zwifchen Ießtere Infelgruppe verfhlug, traf mich das Ende 
einer brechenden Spiere, die einzige Beihädigung, welde die vor= 
trefflich fegelnde Barf erlitt, Die dem Winde dient, wie ih es kaum 
gefehen Habe. Das ſchwere Stück Holz fhrammte mir nur den 
Knöchel des linken Fußes, und jedenfalls hätte ich gar Feine wei⸗ 
teren Beſchwerden davon gehabt, wäre ih ſelbſt vorfichtiger gewe— 
fen. Ich fchonte mich aber nicht, obwohl der Capitain mich mehr- 
mals ermahnte, e8 zu thun. So entzündete ſich die Leichte Wunde 
und es bildete fi ein fehmerzhaftes Gefhwür, das felbft den Kno⸗ 
hen anzugreifen drohte. Ich war nun genöthigt, ruhig in meiner 
Koje zu bleiben, die ich erft geftern verlieh, nachdem wir Glüde 
ſtadt paffirt hatten. Beim Auffegeln an Ihrem Landhaufe ftteg Ich 
zum erften Male wieder die Wanten hinauf und feßte mid ritt- 
Iings auf die große Raa. Ich hab’ Ste gar wohl erkannt, Herr 
Heidenfrei, Sie und Ihre Herren Söhne, Auch den Damen hab’ ich 
recht von Herzen grüßend zugewinkt und der „Marie Eltfabeth“, 
bie und fo treu über die Meere getragen, bei jedem Böllerfhuß 
ein dreimaliges. Vivat gerufen. Möge fie noch vecht oft für das 
Haus Peter Thomas Heidenfrei die Salzfluth durchfurchen und im— 
mer fo glücklich und mit fo veiher Ladung in Hamburgs Hafen 
einlaufen, wie bei der Heimkehr von ihrer erften Reife! 

Danke, Paul, danke! fagte Heidenfret. Hoffentlich geht dein 
ehrlicher Wunfh in Erfüllung. Dean fagt ja immer, ein Schiff, 
das von einem jungen, unfhuldigen Mädchen aus der Taufe ge= 
hoben werde, könne neun Jahre lang fahren, ohne mit Old Nid 
ernfthaft Befanntfhaft zu machen. Für meine Fregatte will ich 
mir deshalb auch wieder ein hübfches, junges Mädchen zur Tauf- 
pathin ausfuchen. Sollſt bie lebendige „Marte Eltfabeth”, meine 


— 115) — 


Tochter, kennen lernen, wenn bu erſt wieder gerade und recht ftatt- 
lich auftreten kannſt. Das Kind ift groß geworben, wirft dich 
wundern. Iſt zwar fünf Jahre jünger, als du, aber fhon voll» 
fommene Dame. Kannft Englifch mit ihr fprehen, wenn du's 
Herz dazu haſt. Ste plappert gern und Hört noch licher von 
fremden Völkern und Sitten erzählen. | 

Paul ward von diefer ungewöhnlichen Freundlichkeit des Rhe— 
ders faft etwas in Verlegenheit geſetzt, weshalb er nur wenig dar⸗ 
auf erwiderte. Heidenfrei wandte ſich jegt an den Water des jun 
gen Matrofen, richtete einige ragen rein geſchäftlichen Inhalts 
an biefen, und fagte nad erhaltener Antwort: 

Hatteſt du nicht vor einiger Zeit in dem Wirthſchaftskeller un= 

ter deinem Haufe mit fremden Matrofen einen verbrießlichen Handel? 
Ach, fie meinen die Gejhichte mit dem Naben, erwiderte gut- 
müthig Tähelnd der Quartiersmann. Es war nicht ſchlimm und 
die ganze Sache iſt mir längft aus dem Gedächtniß entſchwunden. 
Mich kann's nur ärgern, daß ih dabet einen andern Miethsmann 
befomme. Wer weiß ob th nicht fehl greife und fpäter noch be= 
veue, daß ich des dummen Vogels wegen zur Kündigung ſchreiten 
mußte. 

Waren die Srevler nicht Spanier? fragte in Gedanken ver- 
funten Heidenfrei weiter, der kaum auf die Erwiderung Jacob's 
hörte, während er ein Paquet älterer Brieffhaften öffnete und eine 
Anzahl vergilbter Papiere aus demjelben hervorſuchte. 

Spaniolen und Holländer, wohl auch Amerikaner, verjette 
Jacob. Selbſt der vornehme Herr, der nun fhon feit Wochen fo 
großes Auffehen macht und fo nobel wohnt, als wäre fein Vater 
ein indifher Prinz und feine Mutter eine Kaiſerstochter, fol mit 
von der Partie gewejen fein. 

Superbe! rief Heidenfrei lachend. Aehnlich fieht das dem 
etwas tiberluftigen Gefjellen. Aber ih mag es doch leiden. Es 
beweiſ't, daß er das Volk nicht verachtet, daß er Kenntniſſe zu 
ſammeln ſich angelegen ſein läßt, und daß er ſich in alle Verhält⸗ 
niſſe zu ſchicken weiß. 

8* 





—— 116 — 


Sacob brummte kopfſchüttelnd. \ 
Meinft du nicht? jagte Heidenfreil. Nun dann war's viel⸗ 
leicht blos Marotte von dem Merilaner. 


Wird vermuthlich fo fein, beftätigte der Quartiersmann. 
Vornehmthun und herablafiendes Wefen vertragen fi felten yut 
mit einander. Vornehm aber tft der reihe Don, und über bie 
Achſel fieht er gern Alle an, die nicht eben fo veihlih mit Du— 
blonen gefegnet find, wie er felber. Das läßt er namentlich gern 
feine Landsleute fühlen. 


Leben deren hier einige? 

Kann’s nicht fagen, Herr Heidenfrei. 

Du haft ja‘eben davon geſprochen. 

Das heißt, fagte fih corrigirend der Quartiersmann, ich 
meinte damit eigentlich nur einen einzigen. 

Den du kennſt? 

Nun ja, Herr, d. h. ed wäre mir eigentlich Tieber, daß ich 
ihn nicht kennte. 

Deine Reden mahen einen ja ganz confus. Erkläre did 
deutliher, daß ich verftehe, was du fagen willft. 

Jacob räufperte fih und faßte fih ein Herz. Nun, heraus» 
rüden muß th ja doch, wenn id meine Sache dem Herrn vor— 
tragen will, Das heißt, ich möchte nicht mißverftanden. werben 
und nicht zudringlich erfheinen. Well aber ber Herr doch fo 
freundfih zu meinem Paul gefprodhen bat, da dachte ih, es 
könnte doch nicht .fchaden, wenn man facht anfragte von wegen. 

Jacob drehte feinen Hut und fah den aufmerffam zufören- 
den Heidenfret mit verfchmißten Augen an. Der „Schatten“ kam 
aus dem Gomptoir, warf einen Blid in das Privatgemah des 
Prinzipals, zog vefpeetvoll fein buntes Käppchen und zeigte, fi 
tief verbeugend, feine Glatze. 

Guten Morgen, lieber Treufreund, fagte Heidenfrei dan— 
kend. Bitte, nehmen Ste Hier diefe drei Briefe und geben Ste 
diefelben Herrn Anton zu fofortiger, Furzer Beantwortung. Die 





— 117 — 


Notizen find beigefügt. Er fah nad der Uhr. In einer halben 
Stunde müffen fie beantwortet fein. 

Sehr wohl, ſprach Treufreund, die Briefe empfangend und 
abermals ein tiefed Compliment machend. Dann eilte er mit 
furzen, ſtampfenden Schritten zurüf, um ben erhaltenen Auftrag 
unverweilt auszurichten. 

Alfo anfragen wollteft du? ſprach Heidenfrei zu Jacob, 
Weshalb? 

Ich habe, wie Sie willen, eine Tochter, ein Mädel, das 
ſich ſehen Laffen Tann, follte ich meinen. 

Kenne fie und mag fie leiden. Iſt fauber, flint, anftellig, 
geſcheidt, beicheiden, mit einem Worte: ganz fuperbe. 

Früher wuſch fie die feine Wäfche für die Herren Comptoi- 
riften, fuhr der Quartiersmann fort, denn well das Kind brav 
tft, wollte e8 auch 'was verdienen, um es mir und Mutter etwas 
leichter zu machen. Und Abends unterhielt fie dann ihre alte 
Pathe, die Gertrud Silberweiß, durch DBorlefen, denn die arme 
Frau ift blind und hat nichts als ihre Katze und thr Entelfind- 
hen, dad Semmel-Trudchen, wie wir fie nennen, weil der Va— 
ter als Brodmann fi den Lebensunterhalt ehrlich verdient. Ein 
hübſches, Tiebes Kind, voller Leben und .Schelmeret, Herr Hei— 
benfret. | 

Zur Sache, Jacob, zur Sache! drängte der Kaufmann, 
abermals feine goldene Repetiruhr ziehend. Die Bankzeit naht 
und ich habe vorher noch viele Dispofitionen zu treffen. 

Alſo das Mädchen möchte ich lebensgern in einem angefe- 
henen Haufe als angehende Köchin oder als Gehilfin einer folchen 
oder auch als Kammerjungfer der Herrfhaft unterbringen. 

Warum fol Chriftine denn nicht bei Euch bleiben? Kann 
fie der Mutter nicht zur Hand gehen und ihr die Führung der 
Wirthſchaft beinahe ganz abnehmen ? 

Jacob drehte abermals feinen Hut. 

Das könnte fie freifich nicht blos, fie kann es fogar, fagte 
der Quartiersmann, 's geht aber man doch nicht. 


— 118 — 


Da werde nun Einer Mug aus Euch dwatſchen Leuten! 
rief etwas verſtimmt Hetdenfrei. Ich Bitte Dich nochmals, Jacob, 
mach's kurz, oder ich ſchicke dich mit fammt deinem Anliegen in 
bie Schute, um binauszufahren an Bord der „Marie Eliſabeth.“ 

's geht eben Aicht, Herr, wiederholte der Quartiersmann, 
und wenn ih den Hals brechen fol und ganz Hamburg wadelt. 
Das fremde Volk aus Mexiko ober wo fie font ber fein mögen, 
hat es juft abgefehen auf mein Mädel, läuft ihm nah, läßt das 
Kind nirgends In Ruhe und verfolgt es bis in's väterlihe Haus, 
In dem Punkte follen. die Herren nicht die beiten Brüder fein, 
hab’ ich mir fagen laſſen. Und ber Miguel, der Matrofe, ift 
nun ganz und gar des Teufels und hat ein richtiges Auge auf 
das Kind. Damit nun nidhts Unrichtiges paſſiren könne, fol 
Chriſtine fort, und beſſer als in Ihrem Hauſe, Herr Heidenfrei, 
beſſer als unter dem Schutze der Frau Prinzipalin könnte meine 
Chriſtine in Abrahams Schooß nicht aufbewahrt ſein. Da wiſſen 
Sie die ganze Geſchichte, nehmen Sie mir's nicht übel. 

Was du willſt, Jacob, das weiß ich, verſetzte Heidenfrei, 
die ganze Geſchichte aber tft mir noch fo unklar, wie nur mög⸗— 
lich, indeß Licht, denk' ih, wird wohl drein zu bringen fein, 
wenn wir Zeit finden, und näher darüber auszufprehen. Im 
Augenblick erlauben bies meine Gefhäfte nicht, heute Abend aber 
will ich dir eine Stunde fchenfen. Bis dahin haft du Zeit dic 
vorzubereiten, dir zu überlegen, was bu mir in diefer Angele- 
genheit noch mitthetlen mußt, und wenn ich dann irgendwie dei— 
nes Kindes ober deines Haufes Wohl bedroht fehe, fo verlaffe 
dich auf Heidenfrei’s Wort: er trifft Vorforge, dag man bir und 
den Deinen fein Haar krümmt! Am allerwenigften follen Aus- 
länder, überfeetihe Fremde, und wären fie mit den beiten Gon- 
duiten verfehen, dergleichen Frevel verüben dürfen. Alſo auf 
Wiederſehen heute Abend! 

As Jacob Behnke mit feinem Sohne Paul das Comptoir 


bes Rheders verlaffen hatte, wendete fih Heidenfrei zu feinen 
Söhnen, 





— 119 — 


Das ſind wunderliche Eröffnungen, ſagte er, mit denen 
mich der redliche Mann da eben unterhalten hat. Ich bin wirk⸗ 
ih begterig, mehr und Verftändlicheres von ihm zu hören. Wer 
ift Diefer Matrofe Miguel? Steht er in Verbindung mit Don 
Alonſo Gomez? Auf welchem Schiffe mag er dienen? Wie kommt 
er in das Haus des Quartiersmannes? Das Alles find Fragen, 
bie fich fehneller thun als beantworten laffen. Und doch wird es 
nöthig fein, bier weiter, nur fehr behutfam vorzugehen. Ih muß 
die befannteften Schlafbaafe in's Geheimniß ziehen. Ste allein wiffen 
genau Beſcheid unter den Matrofen, und ihrer Vermittelung kann 
es am leichteften gelingen, auf der Stelle von jedem neu ange— 
fommenen Sremdlinge, tit er in der Mufterrolle eines Schiffers 
aufgeführt, Kenntniß zu erhalten. Es wäre fuperbe, wenn bes 
armen Hohenfels geraubter Sohn wirklich noch lebte und in Eu= 
ropa den Vater, den er nicht einmal kennt, wiederfände. 

Abermals eintretende Gefhäftsleute, darunter eine Menge 
Laufburfhe und Hausknechte, welche Wechſel zum Accept abgaben, 
oder Briefe und kaufmänniſche Girculare dem Chef des Handlungs- 
hauſes einhändigten, unterbrahen jede fernere Fortführung bes 
Gefpräches über diefen Gegenitand, welcher Hetdenfret Iebhafter 
befhäftigte und mehr in Anfprud nahm, als er e8 wünſchte. Litt 
au der Gefhäftsgang nicht unter diefer neuen Sorge, fein Geift 
ward dadurd in unruhige Spannung verfeßt, und die zu treffen- 
den Dispofitionen, das Ueberwachen des unermeßlichen Geſchäftes, 
deſſen VBerbindungsfäden eben fo gut hinauf nah St. Petersburg, 
Hammerfeſt, Arhangel und Kafan, wie ſüdwärts nad Galcutta, 
Canton, Valparaiſo und allen großen Handelspläßen des ganzen 
weiten amerifaniihen Feitlandes reichten, der näheren europälfchen 
Verbindungen gar nicht zu gedenfen, waren wohl geeignet, dem 
Manne, der bier zu beitimmen, überall das letzte enticheidende 
Wort zu fprechen hatte, Kopfichmerzen und fchlafloje Nächte zu 
verurſachen. | 

Ehe Heidenfrei zur Börfe ging, bergab er feinen Söhnen 
noch das Paquet vergilbter Briefe, die. längft zurüdgelegte Privat⸗ 


— 120 — 


Gorrefpondenz mit Auguftin Hohenfels, deren Durchſicht jest uner- 
läglich war, um aller vergangenen Umftände ſich vecht Deutlich wieder zu 
erinnern. Da Eduard und Ferdinand nur im Allgemeinen Die 
Lebensumriſſe ihres Oheims kannten, empfahl ihnen der Vater jept 
die aufmerkſamſte Lectüre diefer nur den-Augehörigen der Familien 
Heldenfret und Hohenfels zulommenden Briefe. Mit diefer Wei⸗ 
fung verließ Heidenfrei das Gomptoir, übertrug den Söhnen bie 
Erpedition der fälligen Poſten und gab ihnen noch einige für die 
Börfe zu beachtenne Winke, um ja in der ihm unbequemen Ges 
müthsbewegung Alles zu meiden, wodurd bie Ehre feines Hauſes 
in commercieller Hinfiht nur im Geringiten hätte compromittirt 
werden können. . 


Bwölftes Aapitel. 


Don Gomez und fein Diener, 


Don Gomez wiegte fih nah Art der Havanefen in einem 
Schaufelftuhle und blies den dunkelblauen Raud feiner Gigarre 
nadhläffig in die Luft. Mafter Papageno in feiner buntfchedigen 
Tracht ftand vor ihm, wie eine Ordonnanz, die Rapport erftattet. 

Was iſt mun beine Anfiht, Papageno, fprah Don Gomez, 
Immer mit größter Nachläffigkeit feinen Schaukelſtuhl In Bewegung 
baltend. Die meinige kennſt du. Haft du irgend einen Vorfchlag, 
ber mir annehmbar ſcheint, fo laß ihn hören. Ich lechze nach 
Zerſtreuung, nad) neuen Amüfementse. Die alten werden mir lang- 
meilig und das ernfihafte Volk hier ift fo diaboliſch ehrbar, fo 
infernalifch foltd, daß der Teufel felbft darüber in Verzweiflung 
gerathen Fönnte. Bel den Augenbrauen meiner hochfeligen Mutter, 
bie eine höchſt anfländige Frau, dabei aber doch feurig verliebt 
war, wie fich's für jede pornehme Dame ziemt, wer hat je im Les 


- 


—— 1211 — 


ben gehört, daß gebildetete Leute von Anfehen und Vermögen jeden 
Sonntag in die Kirche laufen und zwei Stunden lang dieſe ent- 
fegfihen Lamentationen eifriger Prediger andächtig, zur Erbauung 
ihrer Seelen anhören? Und wenn die Itebe Gottesfurdt zu Ende 
geht, was gibt's dann? Steife DVifiten, Feine Unterhaltung, mübe 
Gefichter, die das Anfehen geglätteten Papteres haben, und zulegt - 
Eſſen und abermals Eſſen ohne Maß und Ziel, und damit der 
geiftige Menſch nicht ganz einfchläft und von der Materie erbrüct 
wird, ein Spiel, das nur dann Intereſſe erregt, wenn viel Geld 
dabei roulirt. Offen geftanden, dieſe allerlegte Sonntagszerflreuung 
tft eigentlich no die vernünftigite; auf fie verſtehen fich Die hie— 
figen Nobilt auch noch am beiten, und was wahr if, muß man 
fagen, fie verlieren mit dem Anftande geborener Fürften und alt= 
adeliger Herren die größten Summen. Das allein, diefen Stoi— 
cismus im Unglüd refpectire ich, und weil dieſer Stoicismus wirk⸗ 
lich ein Nationalcharakterzug der biefigen Vornehmen, d. h. der 
reichen Handelsherren zu ſein ſcheint, bin ich großmüthig genug, 
ihnen viele ihrer übrigen Sünden gegen das geiſtige Wohlleben 
zu vergeben. Alſo deine Meinung. 

Ich habe keine, Sennor, erwiderte der Mulatte mürriſch. 

Du haſt keine? Du ſollſt aber eine haben. 

Für mich ja, nicht für Sie. 

Das iſt eine Halsſtarrigkeit, die ich dir austreiben werde. 
Weshalb willſt du deine Meinung für dich behalten? - 

Weil Sie niemals darauf achten. 

Carajo, da haft du allerdings Recht! Aber das Fümmert dich 
ja nicht. Man fpriht doch, man unterhält, man amüfirt ſich Dur 
Austauf feiner Gedanken, und hat man auch gar nichts davon, 
ſo iſt doch die Möglichkeit gegeben, irgend eine neue Anregung zu 
befommen, zum Entwurf eines kühnen Planes die erften Anknüpfungs⸗ 
punkte zu finden. | 

Ich würde Tieber vorfchlagen, wenn eben meine Anfiht Be⸗— 
achtung fände, alle Pläne vorläufig aufzugeben, fagte Papageno. 
Wir ertiden fonft unter der Laft diefer Pläne. 





— 122 —— 


Dann würden wir in fehr kurzer Zeit verloren fein, 

Begreife ich nicht, Sennor. 

Weil du ein Stierkopf biſt. Wir flürben an der Auszehrung, 
aus Mangel an wechſelnden Lebensbildern. Schlage alſo was 
Beſſeres vor. 

Treffen Ste felbft eine Wahl, fagte der Mulatte barſch. 

Zwifhen Vornehm und Gering oder unter den VBornehmen? 

Nach Ihrem Belieben. 

Ich will dir ein Geheimniß verrathen, guter Papageno. Mit 
“den Vornehmen unterhalte ih mich fehr gern, weil ich bemerken 
fann, dag th Eindrud mache, daß fie mid bewundern und td 
zweifle kaum, daß th als Herzenseroberer hier eine ganz angenehme 
Rolle fpielen würde. Nichtsdeftoweniger zieht: e8 mich unwider⸗ 
ftehlich fort zu den Geringen, weil bei diefen mehr Natvetät zu 
finden tft. Das erhöht die Pilanterte des Genufles-, aber Gott 
und die Madonna wollen mich vor erniten Verbindlichkeiten be= 
wahren! 

Nun, fo laffen Ste uns reifen. Ste haben dann fpäter nichts 
zu bereuen, und brauden in ber Bette Feine Todſünde zu bes 
fennen. 

Du biſt ein Narr! 

Iſt mir nichts Neues, zum Glück hat meine Narrheit aud 
brauchbare Seiten. 

Zugegeben, fagte Don Gomez, eine neue Gigarre abbeifend, 
und das abgebiffene Endchen Mafter Papageno in's Gefiht ſchnel⸗ 
Iend. Du bift z. B. ein fo Iiebenswürdiger Narr, mir die Wege 
zu zeigen, wohl aud zu bahnen, welde zum trdifchen Paradiefe 
geleiten. Du wirft demnach jedenfalls heute Beſcheid willen, wo 
das allerliebfte Tropköpfchen ſich aufhält, das, feit ich ihr den run 
den Arm gefniffen und ihr ein paar Iodere Schmeicheleien gejagt, 
nie mehr die Schwelle meiner Zimmer überſchritten hat? Die frifche, 
blutjunge Wäfcherin meine ich, 

Bedaure unendlich, nicht dienen zu können. 

Biſt ein ſchlechter Spürhund. 





— 123 — 


Weil ih die Witterung verloren habe. Vielleicht machten der 
gnädige Herr beſſere Gefhäfte, wenn Sie ſelbſt perſönlich fih im 
der Kunft bed Spionirens mehr üben wollten. Es gehört dazu 
freilich etwas Ausdauer und Selbitüberwindung. 

Deine Moralpredigten kannſt bu für fchlechtere Tage aufbe⸗ 
wahren, verfeßte der Mexikaner. Ich möchte jet lieber wiſſen, ob 
bu Miguel, dem trogigen Jungen nicht einmal begegnet biſt? 

Sogar dreimal. 

Spradit bu ihn? 

Kein, wir lieben uns ja nicht. 

Das weiß Gott und die Madonna! Und, als Caballero ge= 
fprochen, Papageno, Urſache, dich zu lieben, hat der arme betrogene 
Junge allerdings nicht. 

Mer trägt die Schuld davon? Ste oder Ih? verſetzte mit 
wild bligenden Augen der häßliche Mulatte. Ich vollzog nur Ihre 
Befehle. Ich war ein Inftrument, das Ste regierten. Hätt' ich's 
lieber nicht gethan, fo könnt' ich jeßt auf Cuba ober fonft wo in 
unferm herrlichen Clima, mid meines Lebens freuen, während ich 
nun bier frieren und mit diefer vermaledetten, ftintenden Nebelluft 
mir den Magen und den Geſchmack an der ganzen lieben Gottes» 
welt verderben muß. 

Gib dich nur zufrieden, mein maderer Bapageno, und werde 
vor allen Dingen nicht Teidenfchaftlih, fprach ungewöhnlich mild 
der Merifaner. Es kommt eine Zeit, wo du für deine Dienfte 
von mir Eöniglich belohnt werben ſollſt. Vorläufig aber mußt du 
mir veriprehen, den troßigen Miguel nicht ganz aus den Augen 
zu verlieren. Willſt du? 

Der Mulatte fhwieg einige Augenblide, dann fagte er feſt: 

Sa, ih will. 

Du mußt immer wiffen, wo er zu fe tft. 

Ich will auch das willen. 

Dafür danke ich dir. Hier ein Dutzend deiner Lieblingscigar— 
ren und dieſe Dublone verwende nach Belieben. Nur ſchaffe dir 
fein Liebchen an, ſonſt wirſt du- zerſtreut, und zerſtreute Diener 





— 124 — 


paffen fhleht auf. Laß dir bie Zeitungen und die heutigen 
Straßenanfhläge geben. Ich muß willen, ob das Raffinement der 
ſinnlich Genußſüchtigen nicht irgend etwas Neues ausgeflügelt hat, 
das auch mich kitzeln, feileln und die fpäteren Abendftunden mir 
auf originelle Weiſe angenehm verkürzen könnte. 


Mafter Papageno folgte dem Befehle feines Herren und kehrte 
alsbald mit Zeitungen und einer Menge großer Zettel, wie fie an 
allen Straßeneden Elebten, zurüd, In welche ber genuß= und zer- 
ftreuungsfüdtige Mexikaner fih fo eifrig vertiefte, als habe man 
ihm eine Herz und Geift feſſelnde Lectüre gereicht. _ " 


Es war Indeg nicht Leicht, dem. verwöhnten Mann, der fo 
ziemlich alle Genüffe, welche die große Seehandelsſtadt darbot, ſchon 
durchgekoſtet Hatte, etwas wirklich Neues zu bieten. Der feinfte 
wie der gröbfte Sinnengenuß war Don Gomez nicht fremb, und 
ließ fih bei etwaiger Wiederholung deſſelben nicht Irgendwie ein 
neuer Reiz anbringen, fo langweilte fih der ſchwer zu befriedigende 
und doch ſtets unerfättlihe, heigblutige Mexikaner. Die damals 
berühmteften Tummelplätze des Volkes, wo die gefallene Schönheit 
ihre Gewiffensbiffe und den nagenden Wurm der Reue im Rafen 
bachantiſcher Tänze tödtete, Fannte Don Gomez fhon längſt. Dies 
wilde, dämoniſche Treiben hatte ihn eine Zeitlang gefeflelt, denn 
e8 war in der Art, wie es fih gab, Ihm etwas Neues. Ebenſo 
gewährte der Beſuch der Salons auf dem fogenannten Hamburger 
Berge, wo vorzugsweiſe das Schiffsvolk fi erluftigt und häufig 
in zwei Nächten den unter taufend Gefahren erworbenen Verdienſt 
eines halben oder ganzen Jahres bei wüſten Orgien verpraßt, ihm 
vorübergehende Zerſtreuung. Alle diefe Vergnügungen aber hatten 
jept für ihn ihren Reiz verloren. Mißvergnügt warf er bie Zettel 
von fih, welche bei Peter Ahrens eine Aerndtefeitfeier im antiken 
Styl, in der Bachushalle infernalifhe Punfchbeluftigungen und in 
Stadt Rom ein Acht heidniſches Götterfeft verhießen. 


Bah, rief er gelangweilt aus. Das find Vergnügungen für 
ben geſchmackloſen, rohen Pöbel, der in jeder Phryne eine Böttin 





— 123 — 


erblicdt. Fort damit! Ich will mir ein anderes Amüſement ſuchen. 
Heda, Papageno! 

Was befehlen Sie? fragte der Mulatte, der mit großer Ge⸗ 
wandtheit aus dem feingeſchnittenen Taback einer Cigarre ſich mund⸗ 
gerechte Papiercigarren machte, die er mehr als das feinſte Kraut 
der Havanna liebte. 

Beſtelle eine Droſchke, aber mit zwei egalen, flinken und 
ſchönen Roſſen, kaufe einen feinen Shawl und ein halb Dutzend 
Handſchuhe, und packe meine Mandoline ein. Ich will zu Nacht 
bei der ſchönen Mathilde ſpeiſen. 

Maſter Papageno ſchien mit dieſem Auftrage ſeines Herrn 
ſehr zufrieden zu ſein, denn er zeigte ein freundliches Geſicht und 
freudig ſtrahlende Augen, und ſchneller als gewöhnlich, war er be⸗ 
veit, die Befehle des Gebieters zu vollziehen. 

Eine Stunde fpäter — es dämmerte bereits — lehnte Don 
Alonfo Gomez in den weichen Sammetpolitern eines vortrefflichen 
Wagens, der ihn nad der berühmten Schönheit führte, welche unter 
dem befannten Namen der „ſchönen Mathilde” zur Zeit unferer 
Geſchichte eine wichtige Rolle in ber vergnügungsfüdhtigen Welt 
Hamburgs fpielte. 


Dreizehntes Kapitel. 


Eine Zufage. Wünfche und Hoffnungen junger Rheder. 


Herr Heidenfret faß allein mit dem Quartiersmanne bei ver 
fhloffener Thür in feinem Privatzimmer. Jacob wiſchte fih den 
Schweiß von der Stirn, eine lange Erzählung ſchließend, welcher 
der Rheder aufmerkſam zugehört hatte. 

Du hätteſt ſchon früher mit mir darüber ſprechen ſollen, ſagte 
jetzt Heidenfrei aufſtehend, und wie es ſeine Art war, mit auf den 











— 126 — 
Rüden gelegten Händen fhlürfend dur das Zimmer gehend. Ge⸗ 
tert haft du dich doch in Feiner deiner Ungaben? Denn wir müſſen 
vor allen Dingen Sicherheit haben, feſten Boden unter unfern 
Fügen fühlen. 

Auf mein Gedächtniß, Herr, kann ich mich verlaffen. Es hat 
fih Alles genau fo zugetragen. 

Und wie lange ber iſt es? 

Es mögen gute ſechs Wochen fein. 

Du hälſt alfo den Steuermann Andreas für einen Ehrenmann? 

Er tft unter meinen Augen aufgewachfen, Herr, faft mit dem 
Paul, der. nur ein paar Fahre jünger iſt. Nun freilich, Ste wilfen 
ja, Jugend hat nicht Tugend, und ben Seeleuten muß ein ver- 
nünftiger Mann etwas zu Gute halten, aber redlich iſt der An« 
dreas, und einen ſchlechten Streih macht er nicht. 

Dann wird er auch feinen jungen Freund, den fpantfchen ober 
braſilianiſchen Matrofen, wohin er nun zu Haufe gehört, zu zügeln 
wiffen. Uber, Recht haft du doch, Jacob. Deine Tochter muß 
aus dem Haufe, in Umgebungen, wohin nicht einmal die Blicke 
des verliehten Thoren dringen können. Welch ein toller Einfall! 
Es iſt zu ſuperbe. Aber ganz fpanifch, wahrhaftig, ganz ſpaniſch. 

Der Herr wird alfo ein gutes Wort für mich einlegen? fragte 
der beforgte Quarttersmann. Es wäre mir banntg Tieb. 

Gewiß, Jacob, verficherte Hetdenfret, Hülfe muß geſchafft wer- 
den, und zwar bald, das fehe th ein. Zuvor aber muß th doch 
auch mit meiner Frau reden, denn eigentlich find Alles das, was 
du wünſcheſt, ächte Srauenzimmerfahen, mit denen wir Männer 
nicht recht umzufpringen verſtehen. Abſchläglich befchteden ſollſt du 
nicht werden, dafür laß mich forgen. Ich weiß nur nicht recht, in 
welcher Eigenſchaft Ehriftine bei ung eintreten fol. Alle Stellen 
find befeßt, obenein fo, dag meine Frau nicht wechſeln mag. Na, 
fhon gut, Jacob, nur nit ängſtlich! Es wird ſich ſchon ein Platz 
für deine Tochter finden. DBerfteht fie Handarbeiten zu fertigen? 

Vorzüglich, betheuerte der Quartiersmann. Ich hab’ es mir 

etwas koſten lafien, Herr, um das Mädel ein Bischen herauszu⸗ 




















— 117 — 


pugen. Nähen kann fie, wie bie befte Weißnäherin, und zum 
Stiden hat fie ganz abfonderlihes Gefhik, nur kam fie zu Haufe 
felten dazu, fi zu üben und mehr zu vervollkommnen. 

Schon gut, verfeßte der Rheder, pafl’ auf und hüte dein Kind 
nur nod ein paar Tage. Bis dahin will ih die Sache in Ord⸗ 
nung bringen. Als was es immer fein mag, Chriftine fommt in 
mein Haus. Früher aber, bis meine Familie in die Stadt zieht, 
wird es fich ſchwerlich thun laſſen. Das gefhieht jeboh in wents 
gen Wochen, und wenn bir befonders viel daran gelegen fein follte, 
das hübſche Geſichtchen möglihit bald den fuchenden Augen ihres 
fremdländifchen Bewunderers zu entrüden, fo Tann Ghriftine ſchon 
beim Einpaden bilfreihe Hand leiſten. Meine Tochter und bie 
Heine Urike haben hunderterlet Sachen, die nur eine Mädchenhand 
anzufaſſen beſtimmt tft. Dabet befommt fie gleich die erforderliche 
Einfiht und wird dadurch beim Ordnen bier im Haufe wieder von 
Nutzen fein. 

Jacob zeigte fi für dieſe Zufage des einflußreihen Mannes 
jehr dankbar. Ich gehöre Ihnen mit Haut und Saar, fagte er 
beim: Fortgehen in feiner treuherzigen, berben Weiſe. Gebrauden 
Sie mi, wozu. Ste. mollen, und wenn Fein Menſch mehr da wäre, 
den. Heidenfpei’s zu dienen, Jacob Behnke wird nie fehlen, fo lange 
er. lebt und noch ein Glied rühren Kann, für das Wohl Ihres 
Hauſes, Ihrer Firma fih zu opfern. Tauſend Dank, Herr, für 
Ihr« Güte! Wie wird Mutter Doris fih über diefe Nachricht 
freuen! Und Ghriftine dazu. Ihr fand der Sinn immer etwas 
hoch, und zu vornehm und groß kann's ihr gar nicht werben, ber 
einen Blitzkröte! — 

Um. dieſelbe Zeit waren bie beiden Söhne des Rheders be⸗ 
ſchäftigt, Die Beiefe ihres Onkels aus der Zeit feines erften Glückes 
durchzuleſen. Mus dieſen brieflihen Mittheilungen, Die ganz ohne 
Hintergebanfen niedergefihrieben waren und für den unverſchleier— 
ten Ausdruck eines übernollen, heißen und ftarfer Bewegungen 
fähigen Herzens gelten konnten, wurde den Brüdern Vieles, was 
ihnen biaher dunkel geblieben, in ein helleres Licht gerüdt. Beide 





— 128 — 


kamen während dieſer Lectüre, die ein paar Stunden in Anſpruch 
nahm, zu der Ueberzeugung, daß Onkel Auguſtin nicht allein 
Schuld ſei an den betrübenden Unfällen, die erſt ſpäter ſeine ganze 
Exiſtenz vernichtet Hatten. Es kamen Aeußerungen in feinen Brte= 
fen vor, welche ein bis zum Zerwürfniß gediehenes Mißverſtändniß 
zwiſchen Vater und Sohn vorausfegen ließen. Auguftin bezog fi 
auf Mittheilungen des Vaters, von denen einige fogar wörtlih an« 
geführt waren, die jeböch ohne Einſicht auch ber väterlichen Corre⸗ 
fpondenz völlig unverſtändlich blieben. Nur fontel ließ fih ahnen, 
daß Auguftin einer heftigen Neigung wegen das Baterland ver⸗ 
laffen hatte, weil der Vater diefe Neigung feines Sohnes nidt 
billigte und feine Einwilligung zu geben, auf das hartnädigfte 
verweigert haben mußte. In Brafilien fühlte Auguflin Hobenfels 
fih unabhängiger, und wenn es auch gewiß nicht in feiner Abſicht 
lag, auch bier wieder gegen den Willen des Vaters ſich zu verlo- 
ben, fo Tonnte doch, entſchloß er fi, feinem Vaterlande ganz zu 
entfagen, eine dem DBater mißliebige Heirath für ihn perſönlich 
feine unmtttelbar empfindlich nachtheiligen Folgen haben. 

Es iſt Doch ewig zu beflagen, daß unfere Familie von dieſem 
ſchrecklichen Unglück heimgefucdht wurde, fagte Eduard, die alten 
Brieffhaften nochmals durchzählend und fie ber Reihe und dem 
Datum nah ordnend. Einige nur trugen Fein Datum, Diefe 
waren offenbar in fehr aufgeregter Stimmung gefchrteben, enthiel⸗ 
ten aber fein Wort von fetnem Verhältnig zu Dolores. Eduard 
legte diefe bet Eette, um fpäter mit dem Pater barüber zu fpre- 
hen, da ihm der Inhalt nicht verftändlih war. Hätte Auguftin 
dem Gefhäft fi mit ganzer Liebe hingeben, fuhr er ert, und es 
leiten können mit ber gewaltigen Energie, die er in feltenem Grabe 
befitt und bie eine unfhäßbare Eigenſchaft vornehmlich eines Kauf- 
mannes in der neuen Welt iſt, wo überall neue Wege zu bahnen 
find, wie glänzend, wie groß, wie weithin Teuchtend würde ber 
Name auch unferes Haufes jegt dort daftehen! 

Wohl iſt es zu beklagen, fiel Ferdinand ein, indeß Hoff’ ich, 
es wird, was damals durch ein unglüdliches Zufammentreffen maß- 


— 129 — 


Iofer Leidenſchaft mit Unfällen anderer Art verloren ging oder in's 
Stoden gerieth, jeßt unter andern, und wie e8 mir fıheint, beffern 
Verhältniffen fi wieder aufnehmen und fehneller ausbilden Laffen. 

Das bezweifle ich ſehr, verfehte Eduard. Gegenwärtig herr- 
ſchen ändere Elemente als die, welche zur Zeit unferes Oheims 
der Verbreitung vorzugsweiſe deutfcher Cultur in jenen paradiefi- 
fhen Küftenlanden fo günſtig waren. Welche Empfänglichkeit unter 
den Eingeborenen für alles Fremde, das ihnen imponirte! Welche 
natve Hingabe an die ungewohnte Geiſtesnahrung, die dem natur« 
frifhen Brafilianer mundete! Sept ift Das anders geworden. Die 
Phantafie auch des Südemertfaners Tetdet unter dem Drud der 
Berechnung, die wie ein Alp vom Norden der Unton fi ſüdwärts 
wälzt. Sept Tann deutſche Bildung dort nicht mehr ein Leitftern 
für Alfe fein. 

So große Erfolge würden wir niemald errungen haben, er- 
widerte Ferdinand, ſchon deßhalb nicht, weil wir eine Nation find. 
Nicht als Deutfche, als Hamburger haben wir ein paar Fuß Bo— 
ben erobert, auf denen wir tn unferer Weife, d. h. wie es bie 
Zerfplitterung unferer politifhen Zuftände und erlaubt, erwerben, 
“und im Erwerben aud bildend auf unfere nächte Umgebung ein- 
wirken. Das tft aber auch Alles, was wir vermögen, fo lange 
wir nur als Kaufleute und zwar ausfchließlih des Handels wegen 
In der neuen Welt Hütten bauen, Firmen gründen, Banken an- 
legen. 


Haben wir den Willen und Taffen wir uns nicht beirren, fo. 


erreichen wir mehr, fagte zuverfihtlih Eduard. Freilich etwas ent- 
geht uns, das uns fein noch fo heißer Wunfh gewährt — eine 
Flotte, die ung fhüßt, uns ftärkt, unferm Bilden und Bauen un— 
ter fremden Nationen Nahdrud gibt. In diefer Beziehung waren 
unfere Ahnen glüdliher daran. Ohne die Kriegsflotte der Han— 
fen, wie wäre es möglich geweſen, Schoonen zu befegen, Wisby zu 
überflügeln, in Bergen, Riga, Nowgorod den Herrn zu fpielen und 
felbft an den Ufern der Themfe, unter den praftifchen Engländern, 
den Stahlhof anzulegen! Das müfjen wir Ietder jegt, d. h. vor⸗ 
D. 3. XI. Willkomm's Rheder und Matroſe. 9 











— 130 — 


Yäufig noch bleiben Tafen, denn mit Böllerſchüſſen flößt man feiner 
Nation, nicht einmal einer Bande Wilder, Reſpect ein. 

Leider, Leider! ſeufzte Ferdinand. Diefe unbeitreitbare That⸗ 
fache tft der ewige Hemmſchuh aller Thatkraft. 

Dennoch febe Ih große Hoffnungen auf die Zukunft, fuhr 
Eduard fort, und zwar deshalb, weil wir aus einer Epoche des 
Träumens und des mafchinenartigen Handelns nach alten und ver⸗ 
alteten Grundſätzen in das Zeitalter der Erfindungen getreten find, 
welche die vor und Lebenden nicht kannten. Außer der Erfindung 
bes Schteßpulvers und der Buchdruckerkunſt tft Feine Erfindung 
berufen, größere Umgeftaltungen beroorzubringen, als die Erfindung 
der Dampfmafchinen. Haben wir die Verwendbarkeit des Dampfes 
erft völlig erkannt, feine Wirkung auf Hebel und Ventile ermittelt, 
dann fhlagen wir dem Gott der Winde ein Schnippehen und ent= 
decken wohl auch noch eine neue Welt, wenigftens fuchen und fin= 
ben wir der Gultur andere, . früher nie geahnte Strafen. Unb 
wer mag behaupten, daß nit noch Größeres dem in die Natur - 
geheimniſſe fich vertiefenden Geiſte gelingt? Jeder Naturforfcher 
fHürft neue Stiber- und Goldgänge auf. Mit dem Grubenlicht 
feines hell brennenden Geiſtes figt er vor Ort und ſchwingt das 
Käuftel, deflen tönende Schläge wie Heil verfündendes Geläut von 
Geiſterſtimmen dröhnen. Gelang es Franklin, der auch nur ein 
fimpler Buchdruder war, den Blitz berabzuziehen aus den Wolfen 
und ihn unfhädlih zu machen, wer kann wiflen, ob nicht fon 
jest ein glücklicher Enfel geboren iſt, der mit dem Blitze ung fpte: 
len lehrt; der den Feuerfunken der Luft, deſſen Naderzeugung 
uns bereitö gelungen iſt, zum Sprechen bringt und der Menfchheit 
im Ganzen und Großen wirklich den heiligen Geift fendet, der fie 
reden läßt in allen Zungen und ihre Worte als geflügelter Bote 
fortträgt über Länder und Meere? 

Ferdinand lächelte. Der Bater bat doch wohl nicht ganz Un= 
recht, verſetzte er, wenn er bisweilen meint, zu einem Kaufmanne 
ſeiſt du etwas zu viel Philoſoph und ließeſt du deinen Gedanken 
zu ſehr den Zügel ſchießen. 





1311 — 


Ich ähnele darin dem unglüdlihen Oheim, fagte Eduard 
flienrungelnd. Gerade das iſt's, was mid fein Schickſal in dop⸗ 
pelt traurigem Lichte auffaflen läßt. Wie ftrebte, wie wirkte Augu⸗ 
ftin Hohenfels! Welche gewaltige Pläne wälzte er in feinem Geifte! 
Wie wahr, wie prophetifh erhaben waren die Gedanken, mit denen 
er fi trug und — o du mein Gott — mie wenig verftanden 
ihn diejenigen, denen er fein Herz rüdfihtslos erſchloß! Höre nur 
diefen einzigen Brief an feinen Vater, der, aller Wahrfcheinlichkeit 
nach, Feine fehr freundlihe Aufnahme gefunden hat. 

Eduard fuchte einen der geordnet vor ihm Tiegenden Briefe 
älteren Datums hervor und las: 

Brafilten tft, fo wett ih es jetzt kennen lernte, ein Land, das 
einer verſtändigen Coloniſation unter weiſen Geſetzen die größten 
Chancen bietet. Man klagt bei uns in Deutſchland über allzu 
großen Zuwachs der Bevölkerung, über Entkräftung des Bodens, 
über bedenkliche Vermehrung der Armuth. Iſt das Alles wahr, 
ſo wäre es Pflicht der Menſchlichkeit, in Zeiten, ehe das Volk 
ganz ausgemergelt iſt und mit der phyſiſchen Kraft auch die Spann⸗ 
kraft des Geiſtes verliert, dafür Sorge zu tragen, daß es anderswo 
beſſeren Boden fände. Legt Colsonieen an! Alle andere Völker 
eolonifiren, felbft das kleine Dänemark, das freilich Klein, in feiner 
Kleinheit aber des ftarfen und zähen Rationalwillens wegen viel 
ſtärker iſt als mander große Staat ohne Innere Ginigfeit, hat 
Colonieen. Wollen die deutſchen Regierungen nichts davon wiflen, 
gut, fo laßt uns alten Hanfeflädter wieder zufammentreten und 
zufammenwirten. Wir haben baare Mittel, wir befigen Schiffe, 
unfere Flagge vejpectirt jede Nation. An Grebit fehlt es eben- 
falls nicht, und wenn wir Gefellihaften bilden, Capitalien zufam- 
menſchießen, Ländereien faufen und Arbeitsträfte aus der Heimath 
berbeiziehen; fo kann fih auf diefer fruchtbaren fonnigen Erde 
binnen einem Bierteljahrhundert ein Träftiges, gefundheititrogendes 
und wohlhabendes Deutichland entwideln, das fih Achtung ver- 
ſchafft nah allen Seiten hin. Glaubt mir, die Zeit tft nicht fern, 
wo eine neue Völkerwanderung von Oſt nad Welt beginnen wird 

| g* 





— 132 - — 


und muß! Der große Ocean wird die Zahl der Schiffe nicht zählen 
fönnen, welche vom alten Europa nad dem jungen Amerika ber- 
überfommen, aber ih fürchte nur, die Mehrzahl wird an die falfche 
Küfte verfchlagen. Auswanderung in Mafle wäre ein Unglüd, 
Golonifation ein Segen. Und dann, wel ein Bortheil für unfere 
Handelömetropofen tm Mutiterlande, befonders, wenn die Verſuche 
mit den Dampfihiffen Erfolg haben! Ueberlege das doch, Vater, 
befprich dies Thema mit befreundeten Männern, mit meinem Schwa⸗ 
ger. Es iſt ter Mühe wertb, fih um folhe Gedanken und Pläne 
ein paar fchlaflofe Nächte zu machen. , 

An der That, das find Gedanken, die anregen müfjen und 
wohl aud ein an gemüthlich behäbiges Hinleben gemwöhntes Ge— 
müth verftiimmen können, fagte Ferdinand. Was uns die Mutter 
som Großvater erzählt hat, fpricht allerdings für die Vermuthung, 
daß er den Plänen feines unternehmenden Sohnes nicht Hold ge= 
wefen fein fann. Der Vater wollte feinen Befit erhalten, ihn 
geräufhlos, aber fiher mehren, der Sohn ‚erobernd eine fremde 
Welt an fih reifen und fie mit deutſchem Blute bevölkern. Augu- 
ftin erfaßte den großen Gedanken mit Enthuſiasmus, daß handel- 
treibende Völker die eigentlihm von Gott berufenen Apoftel der 
Cultur fein follten und müßten, wollten fie Ihre Weltmiffion wür- 
big und ganz erfüllen. Ihm war in feiner eriten, hellaufflammen- 
ben Jugendbegeifterung der Götterbote Mercur wirklich jener beflügelte 
Jüngling, der im eiligem Laufe den mit Nektar gefüllten Labebecher 
von der Tafel der fhmaufenden Götter nimmt, um ihn allen Völkern 
zur Grquidung und geiſtigen Stärkung darzureihen. Auguftin wäre 
unter den großen Kaufleuten der hochragende königlihe Mann ge— 
worden, deſſen Winf und Ruf Alle gefolgt fein würden, hätte man 
ihn verſtanden, rechtzeitig unterftügt und ihn nicht durch Anlegung 
fhmerzender Feſſeln, von denen man ſich freilich wohlthätige Züge- 
(ung verfprah, auf Abwege und in Extreme getrieben, in denen 
er leider zu früh fih felbft verlieren und untergehen mußte. 

Es iſt und bleibt ein tief beflagenswerthes Schidjal, fagte 
Eduard, aber laß uns Hoffnung faflen und handeln. Unfer Ba: 


—— 133 — 


ter liebt auch Vorfiht und Berechnung als Kaufmann , aber fein 
Blick tft weit, feine Gedanken find auf das Allgemeine, das 
Große gerichtet. Gin Funke, in feine Seele geworfen, zündet, 
wenn man ihm Zeit läßt zur Erholung. Er opponirt fi gegen die 
Dampfihifffahrt und fpottet fogar der bis jeßt erzielten Erfolge, 
aber er thut es im Grunde mit Widerftreben und weil es ihn 
ärgert, daß man nicht fehon größere Refultate damit erreicht hat. 
Sch Tonnte dies erſt neulich recht deutlich bemerken. Da über- 
raſchte ich den Mater beim Studium eines Werkes über Ma- 
ſchinenbau, und richtig war er befhäftigt, nad dem vor ihm lie— 
genden Rip eines Dampfkeſſels fich genau von der Einrichtung 
beffelben zu unterrichten und den Mechanismus, welder die Be- 
wegung tes Schiffes bedingt, ſich Har zu mahen. Das thut fein 
ftarrer Gegner einer neuen Erfindung, zu folden Studien ent: 
fhltegt fih nur ein Mann, der den Werth: derfelben erkannt hat, 
und dem Alles daran gelegen if, fie möglichit bald zum Heile 
der Gefammtheit in größerer Vollkommenheit zu erbliden. 


Laß uns jetzt vor Allem dahin fireben, nahm Ferdinand 
wieder das Wort, daß wir den Vater bewegen, dem unglüdlichen 
Oheim in Rio Mittel zulommen zu lafien, melde ihn in ben. 
Stand ſetzen, fih aus ber Lethargie emporzuraffen, in die fein 
Schickſal ihn hineingeſtoßen hat. Iſt es nicht ſchon zu fpät, fo 
wird jchleunige Hilfe ihm neue Spannkraft geben, feinen Geiſt 
wieder aufrichten. Wichtiger und von größerem Einfluß würde 
es noch fein, Liege irgend eine Spur von feinem verichollenen 
Sohne ſich entdeden. Dazu ift leider lange Zeit erforderlich, denn 
wie ſoll man es anfangen, einem Menjhen nahzufpüren, von 
bem man nichts weiter weiß, als daß er eben exiſtiren foll? 


Eine undankbare Aufgabe, ſprach Eduard ſchwer aufathmend. 
Dennoch müffen wir ung Mühe geben und uns rühren. Komm 
jest und laß und dem Vater mittheilen, welche Gedanken bie 
Lectüre dieſer Brieffchaften in ung gewedt hat. Ich glaube, er 
wird nicht lange zaubern, vielmehr ſchon mit nächſter Poft Briefe 


— 134 — 


und Anwetfungen dem Hilfsbebürftigen, nur zu lange unjerer Fa⸗ 
milte Enteiffenen, fenden. 

Das hoffe ih auch, meinte der Bruder, die Briefe zuſam⸗ 
menſchnürend. Eben fährt der Wagen vor, und da Hör’ ih ben 
Schritt des Vaters. 

Gleich darauf warb die Thür geöffnet und der eintretenbe 
Hetdenfret fragte mit funtelndem Auge die Söhne, ob fie die 
Lectüre beendet hätten? Auf erhaltene bejahende Antwort fagte 
“er ruhig: 

Superbe, dann fommt und laßt mich unterwegs Eure An- 
fihyten hören. 


Vierzehntes Kapitel. 





Im Baumhauſe. 


Es war ein trüber, kalter Herbſtabend. In den entblätter- 
ten Bäumen rauſchte der Wind, der feit einigen Stunden ſcharf 
aus Nordweſt wehte und von Stunde zu Stunde heftiger warb. 
Die Wogen der Elbe gingen hoch und da fih die Fluth einftellte, 
wanderte mander Kellerbewohner in der Nähe des Hafens nah 
dem nächſten Sluthmeffer, um zu ſehen, ob man fi vorfehen und 
bei Zeiten Anordnungen treffen müfle, damit etwaigen Beſchädi⸗ 
gungen durch ein Steigen der Fluth Über die Normalhöhe vor- 
gebeugt würde. 

Aus dem zu ebener Erde gelegenen geräumigen Gaftzimmer 
bes Baumhauſes glänzten ſchon Tängft bie angezüindeten Lampen, 
und von allen Seiten ftrömten in dem anlodenden Lokale abend 
liche Säfte zufammen. Der mitten im Zimmer befinbliche gewal- 
tige Eiſenofen ftrahlte eine gemüthliche Wärme aus und bie bei⸗ 
den in ber Mitte durch einen Wandausfchnitt in eins vereinigten 
Zimmer boten durch die große Sauberkeit, bie überall bemerkbar 





—— 135 — 


war, in ber That einen recht angenehmen Aufenthaltsort. Die 
großen, von Rauch etwas gefhwärzten Land» und Seekarten, bie 
Gemälde fegelnder Schiffe, die zierlihe Flaggenkarte und ans 
dere Gegenftände an den Wänden gewährten den in Menge hier 
verfehrenden Gapitainen und Steuerleuten Unterhaltung und gaben 
ihnen zugleih Gelegenheit, vorkommenden Falls etwaige getheilte 
Anfihten und Meinungen über Dinge, welche für Seefahrer wid 
tig find, zu berichtigen. 

Heute Abend war die Gefellihaft im Baumbaufe beſonders 
lebhaft und das Gefpräh ſehr aut. Die ſchon während ber 
Börſenzeit eingetroffene Nachricht von über alles Erwarten glüd- 
lich ausgefallenen Verſuchen eines neuen Dampfihiffes, das die 
Amerikaner erbaut hatten und mit dem fie den Hudſon herauf in 
unglaublih furzer Zeit gefahren waren, brachte eine förmliche 
Bewegung hervor. Nicht Alle aber freuten fih des Fortſchrittes 
der neuen Erfindung, denn auch unter dieſen Leuten gab es 
manche ſtark egoiftifhe Natur, Die von der Anwendung der Dampf- 
kraft auf Schiffe und non deren größerer Verbreitung arge Nach⸗ 
teile für die Segelihifffahrt befürchtete und fon im Geiſte Die 
Berlufte überfchlug, die, jedem Einzelnen aus einer folden Um: 
geftaltung im Schiffsweſen erwachſen würden. Daß aud bei der 
Erweiterung ber Dampfihifffahrt Schiffscapitatne nicht zu entbeh- 
ren ſeien, daran dachte mander Einzelne in der erften gewalti- 
gen Aufregung nicht. Nur etwa drei bis Hier der verfammelten 
Männer, die theils rauchend truppweiſe im geräumigen Zimmer 
fanden, theils an den Tifhen bei Wein und Grog fich gütlic 
thaten, theils auch mit Billardfptel fih die Zeit vertrieben, nah 
men feinen Theil an dem immer lebhafter werdenden Geſpräche. 
Mit auffallend ruhiger Micne hörte namentlih ein ſchon ältlicher 
Mann mit ſtarkem grauen Haar dem Gefprähe zu. Gr hatte 
neben der vergolbeten Büſte des lorbeergekrönten Feldmarſchalls 
Blücher Platz genommen, ſchlürfte bedächtig fein Glas Arracgrog 
und rauchte dazu eine dunkelbraune lange Thonpfeife, indem er 
den bläulichen Rauch des trefflihen Knaſters mit großer Virtuo⸗ 





— 134 — 


und Anwetfungen dem Hilfsbebürftigen, nur zu lange unjerer Fa⸗ 
milte Entriffenen, fenden. 

Das hoffe ih auch, meinte der Bruder, bie Briefe zufam- 
menſchnürend. Eben fährt der Wagen vor, und da Hör ih den 
Schritt des Baters. 

Gleich darauf ward die Thür geöffnet und ber eintretenbe 
Heidenfrei fragte mit funtelndem Auge die Söhne, ob fie bie 
Lectüre beendet hätten? Auf erhaltene bejabende Antwort fagte 
er ruhig: | 

Superbe, dann kommt und laßt mich unterwegs Eure An⸗ 
fihten Hören. 


Vierzehntes Kapitel. 





Im Baumhauſe. 


Es war ein trüber, kalter Herbſtabend. In den entblätter- 
ten Bäumen rauſchte der Wind, der feit einigen Stunden ſcharf 
aus Nordweft wehte und von Stunde zu Stunde heftiger warb. 
Die Wogen der Elbe gingen hoch und da fih die Fluth einftellte, 
wanderte mander Sellerbewohner in der Nähe des Hafens nad) 
dem nächſten Sluthmefler, um zu ſehen, ob man fih vorſehen und 
bei Zeiten Anordnungen treffen müffe, damit etwaigen Beſchädi— 
gungen durch ein Steigen der Zluth Über die Normalhöhe vor- 
gebeugt würde. 

Aus dem zu ebener Erde gelegenen geräumigen Gaftzimmer 
des Baumhaufes glänzten ſchon Längft die angezüindeten Lampen, 
und von allen Seiten ftrömten tn dem anlockenden Lokale abend- 
fihe Gäfte zufammen. Der mitten im Zimmer befindliche gewal⸗ 
tige Eifenofen ftrahlte eine gemüthlihe Wärme aus und hie bei⸗ 
ben in der Mitte durch einen Wandausſchnitt in eins vereinigten 
Zimmer boten durch die große Sauberkeit, bie überall bemerkbar 


— 135 — 


war, in ber That einen vecht angenehmen Aufenthaltsort. Die 
großen, von Raud etwas gefhwärzten Land» und Seekarten, bie 
Gemälde fegelnder Schiffe, die zierlihe Flaggenkarte und ans 
dere Gegenftände an den Wänden gewährten ben in Menge bier 
verfehrenden Gapitainen und Steuerleuten Unterhaltung und gaben 
ihnen zugleich Gelegenheit, vorkommenden Falls etwaige getheilte 
Anfichten und Meinungen Über Dinge, welche für Seefahrer wid 
tig find, zu berichtigen. 

Heute Abend war die Gelellihaft im Baumhauſe befonders 
lebhaft und das Gejpräh fehr laut. Die fehon während ber 
Börfenzeit eingetroffene Nachricht von über alles Erwarten glüd« 
lich ausgefallenen Verfuchen eines neuen Dampfidiffes, das bie 
Amerikaner erbaut hatten und mit dem fie den Hubfon herauf in 
unglaublih furzer Zeit gefahren waren, brachte eine fürmliche 
Bewegung hervor. Nicht Alle aber freuten ſich des Fortichrittes 
der neuen Grfindung, denn auch unter dieſen Leuten gab es 
manche ſtark egoiftifche Natur, die von der Anwendung der Dampf: 
fraft auf Schiffe und von deren größerer Verbreitung arge Nach— 
thetle für die Segelſchifffahrt befürdtete und ſchon im Geifte die 
Berlufte überſchlug, Die, jedem Ginzelnen aus einer folden Um— 
geftaltung im Schiffsweſen erwachſen würden. Daß auch bet der 
Erweiterung der Dampfihifffahrt Schiffscapitatne nicht zu entbeh- 
ten feten, daran dachte mander Ginzelne in der erſten gewalti- 
gen Aufregung nit. Rur etwa drei bis vier der verfammelten 
Männer, die theild rauchend truppweife im geräumigen Zimmer 
ftanden, theils an ben Tifhen bei Wein und Grog fih gütlic 
thaten, theild auch mit Billarbfpiel fih Die Zeit vertrieben, nah 
men feinen Theil an dem immer lebhafter werdenden Gefpräde. 
Mit auffallend ruhiger Miene hörte namentlih ein ſchon Altlicher 
Mann mit ſtarkem grauen Haar dem Geſpräche zu. Gr hatte 
neben der vergoldeten Büſte bes lorbeergekrönten Feldmarſchalls 
Blücher Plap genommen, fhlürfte bebädtig fein Glas Arracgrog 
und rauchte dazu eine bunkelbraune. lange Thonpfeife, indem er 
den bläulichen Rauch des trefflihen Knafters mit großer Virtuo⸗ 


— 136 — 


ſität in einer langen Kette zierlicher Ringe bald rechts, bald links, 
bald gerade vor ſich Hin in die Luft blies. Nur wenn ein flar- 
fer Windftoß am Fenſter rüttelte und die immer höher fletgende 
Fluthwelle raufhend gegen die Pfeiler ſchlug, auf denen das 
Baumhaus ruht, warf er phlegmatiih einen langen Blick auf 
die Elbe und die Schiffe, deren hohe, ſchlanke Maften jegt im 
Minde des trüben Octoberabends ſchwankten. 

Unfern des Ofens hatte es fih ein jüngerer Dann von flar- 
fem Gliederbau eigenthümlich bequem gemadt. In halb Tiegender 
Stellung fißend, hing fein rechtes Bein auf der Lehne eines da— 
neben ftehenden Stuhles. Den Hut nad vorn gerüdt, befhäftigte 
diefer fo unbequem wie möglich placirte Mann fi eifrigft mit 
dem Zerichnigeln eines Eleinen Stückchen Holzes, alles Andere, wie 
es fhien, über diejer wichtigen Arbeit vergeflend. Ein Dritter 
nahm die Ede des Zimmers ein und fhlief. Seinem flarf gerö- 
theten Gefihte fah man es an, daß er über Tafel dem Weine 
wohl mit etwas zu großer Ausdauer zugefprohen haben mochte, 

Zwei der lebhafteſten jungen Männer, die ſchon geraume Zeit 
das Geſprächsthema ungewöhnlih laut werden ließ, gingen dabei 
auf und ab im Zimmer und famen jegt in das Bereich des Ringe 
blafenden ftillen Rauchers. | 

Dan Tolten fol fein Urtbeil fällen, fprah der Eine, ein 
hoher, blonder Mann zu feinem breitfhultrigen, brünetten Gegner. 
‚Was haltet Ihr davon, Sapttain Ban Tolten? Wird ein Dampf- 
ſchiff, wenn's aud noch fo gut gebaut ifl, gegen Wind und Fluth 
zugleih anlaufen können? Ihr feid doc ein alter Seewolf, Habt 
viele Reifen gemacht, manchen Orkan überflanden und wißt alfo, 
was es heißt, wenn eine wüthende See bricht. Heraus alſo mit 
Eurer Anſicht! 

Dan Tolten hatte aufgehört zu rauchen, den jungen Mann, 
ber fich fo vertrauensvoll an Ihn wandte, ruhig mit gleichgiltigen 
Augen angefehen, und hob jeßt, als der Fragende erwartungspoll 
ſchwieg, die Pfeife wieder zum Munde, um eben fo ruhig weiter 
zu rauchen, Leider war fie ausgegangen. Dan Tolten nahm einen 


% 


— 1317 — 


Schluck aus dem neben ihm flehenden Glafe, fhlug das Auge 
nochmals zu dem jungen Gapitain auf und rief dann mit wun⸗ 
dervollem Phlegma : 

Sohann, een Blammetje! Hierauf gab er fein Urtheil mit 
dem einzigen Worte: Abwarten, Mynheer. 

Verdammtes holländiſches Phlegma! murmelte der junge Ca— 
pitain, mit ſeinem lächelnden Gegner ſich entfernend. Bisweilen 
kann es einen zum Verzweiflen bringen, obwohl man zugeben muß, 
daß es auch ſeine guten Seiten hat. Ich glaube, wenn der alte 
Holländer ſein Schiff mit Mann und Maus verſinken ſähe, ohne 
retten zu können, es würde ihn nicht mehr anfechten, als jetzt 
meine Frage, und feinen Rufe een Vlammetje! ließ er gewiß un⸗ 
mittelbar darauf nicht weniger ruhig vernehmen. 

Bei alledem ift er ein fehr tüchtiger Seemann, verjeßte der 
Brünette, ein Holländer von jener ächten Sorte, aus denen man, 
wenn es jein muß, de Rhuyter's macht. Vor etwa fünfzehn oder 
jechszehn Jahren verdankt der Nheder, für den Ban Tolten noch 
heute fährt, der Unerfchrodenheit und dem nie wantenden Gleich— 
muthe dieſes entfchloffenen, äußerlich gefrorenen Mannes die Ret— 
tung jeiner ganzen Mannfchaft bei der Strandung des Schiffes 
vor dem Texel. Gin Anderer hätte in gleicher Lage vieleicht kaum 
die Hälfte an's Land gebracht. 

Nun, das tft brav, indeß Andere verfiehen es auch, Kopf 
und Hände zu gleiher Zeit zu brauden, ermwiderte der Blonde. 
Sch denke, du felber, Ohlſen, haft e8 bewiefen. - 

Sprich nicht von diefer gefahrlofen Aufnahme einer Anzahl 
Schiffbrüchiger, jagte beſchwichtigend der Kapitain ber Bart „Marie 
Elijabeth”. Es war höchſtens eine Jolle dabei zu riskiren. Aber 
um wieder auf unjern Gegenftand zu kommen, über den wir ung 
übrigeng nicht erzürnen wollen, weißt du auch fchon, daß die heutige 
Rachricht für unfern Play nicht wirkungslos bleiben wird?! Mein 
Rheder, Peter Thomas Heidenfrei und einige der bedeutendften 
Gapitaliften, die fih bisher am Liebften blos mir discontiven be⸗ 


ihäftigten, find entfehloffen, auf eigene Koften ein paar Seedampf- 


— 138 — 


fhiffe bauen zu laſſen. Wer weiß, ob wir Beide niht am Ende 
no das Vergnügen Haben, die erftien Meerfahrten damit zu ver- 
fuhen? Dann wird unfere jepige Streitfeage fih unwiderleglich 

durch die Praxis entfcheiden laſſen. | 

Der Blonde wollte fih damit noch nicht zufrieden geben, 
Ohlſen aber: Tieß fich nicht weiter auf eine Widerlegung feiner 
Einwürfe ein, fondern brach das Geſpräch mit der Querfrage ab: 
Darüber, Freund, ftehe ih ein andermal Rebe, jetzt fage mir lieber, 
ob der nette Junge, von dem bu mir in New-Orleans erzählteſt, 
wirklich als Matrofe mit dir hieher gefahren tft? 

Melden meinft du? Do nicht den Miguel?. 

Ich glaube, fo hieß er — ja, ganz recht. 

Ih nahm ihn als Meberzäfligen und Freiwilligen mit. Ge⸗ 
beuert wollte er nicht fein. 

Nicht geheuert? wiederholte Ohlſen. Aber weshalb denn nicht? 
Verfteht er nichts vom Seewefen ? 

Doch, er iſt tüchtig, tüchtiger vielleicht, als mancher, der als 
Vollmatroſe dient, aber ed hat mit dem Jungen eine eigene Bewandt« 
niß. Bisweilen beſchlich mid der Gedanke, er fet nicht, was er 
feine, dann glaubte ich wieder, er würde, einmal hier angelom- 
men, feine Maske abwerfen, mir fagen, was er wolle, weshalb er 
biefe weite Reife unternommen habe und wie er fi wirklich nenne, 
zuweilen aber beforgte ich au, er gehe nicht freiwillig, fondern 
gezwungen mit, und nur, um biefen Zwang nicht merken zu laflen, 
fielle er fi, als liebe er das Meer und werde von einer unmwi- 
derftehlichen Leidenſchaft zum Seedienſt fortgerifien. Seit ich hier 
bin, urtheile ich allerdings anders. 

Ohlſen nahm feinen Sreund am Arm und führte ihn aus 
dem Gebränge ber Uebrigen in das weniger gefüllte Billarbzimmer, 
wo nur drei Spieltiihe arrangirt waren und der Spieler warteten. 
Dem ſchnißelnden Stummen den Rüden zukehrend, nahmen beide 
Gaptiaine Play an der Wand, welche den großen Raum in zwei 
Hälften trennt. | | | 

Wäre es nicht möglih, Claus, ſprach der Sylter, den wahren 


— 139 — 


Namen biefes jungen Mannes zu erfahren? Es liegt mir daran, 
zu wiflen, wie er heißt, wer feine Aeltern find oder waren, wo er 
geboren tft, was er in frühefter Jugend getrieben hat und auf 
welche Weiſe er zu bir aufs Schiff und zwar in biefer Begleitung 
aufs Schiff gekommen iſt? 

Mit Don Gomez und feinem närrifhen Diener, meinft du ?- 

Ganz recht, juſt mit dieſen beiden Menſchen. 

Und das intereffirt dich fo fehr? 

Außerordentlih, lieber Klaus, denn ich fürdte, es hat eine 
arge Spigbüberet zwijchen diejen drei Perfonen flattgefunden. 

Bei diefen Worten z0g der Schnigelnde fein Bein von der 
Stuhllehne, rüdte den zu weit nad vorn gefallenen Hut in den 
Nacken und fegte fih aufrecht, die linke Schulter gegen die Wand 
lehnend, Hinter welcher die beiden Freunde das anziehende Geſpräch 
führten. An den Gefihtözlgen bes Schnigelnden fah man, daß er 
aufmerkfam auf jedes Wort der Sprechenden horchte, dabet fehnikelte 
er jedoch ununterbrochen fo eifrig fort, als müfle er fi mit diefer 
nuglofen Spielerei das Brod verdienen. 

Mas berechtigt dich zu diefer Vermuthung? 

Nichts, wenn du willft, und doch aud wieder fehr viel. Haft 
du nie gehört oder gelefen, daß man Jemand feinen ehrlichen 
Namen geftohlen und den fo ſchmachvoll Beſtohlenen dadurch in 
das tiefſte Elend, in Armuth, ja Sclaverei geftürzt hat? 

Aehnliche Schurkereien find wohl vorgefommen, unfere Zeit 
aber, dünkt mid, ift zu aufgellärt, Die Menfchen. find zu gebildet und 
die Augen der Gerechtigkeit zu wachſam, als daß derartige Der- 
brechen ungeftraft jeht noch begangen werben Fönnten. 

Ohlfen zudte die Achſeln. Verbrechen find immer, auch un- 
ter ben beften Geſetzen möglich, fagte er, und mi plagt ſchon feit 
einigen Tagen eine ſchliume Ahnung. Uns Infelfrtefen hängt — 
du weißt es — immer ein Stückchen Aberglauben an, das und. 
bie Mütter fhon in die Wiege legen. Ganz wirb es aud ber 
Vorurtheilsfreifte niemals los, und fo fehleppe auch ich einen Reſt 
dieſes altfriefichen Gigenthums, oft zu meiner eigenen Qual, mit 


— 140 — 


mir herum. Die Vermuthung, die ich eben geäußert habe, würde 
mir niemals in den Sinn gekommen ſein, hätte nicht der Zufall 
bereitwillig die Rolle eines Vermittlers übernommen. Der Rheder 
Heidenfrei wünſchte mich dieſer Tage zu ſprechen, um mir verſchie— 
dene Mittheilungen zu machen, Erkundigungen über die Verhält- 
niſſe und die Volksſtimmung in der neuen Welt, namentlich im 
braſilianiſchen Staat einzuziehen; denn er geht, wie ich aus Allem 
entnehmen konnte, ſtark damit um, dort neuerdings große Ländereien 
anzukaufen und eine deutſche Colonie oder ſo etwas anzulegen. 
Na, iſt ſeine Sache und geht mich nichts an. Nachdem ich ihm 
Auskunft gegeben hatte, ſah er mich plötzlich mit feinen merkwür— 
dig großen Augen fharf an und fragte mit einer Beſtimmtheit, 
als ſei er Jahrelang irgendwo Verhörrichter geweſen: 

Capitain Ohlſen, tft Ihnen ein junger Matroſe, Namens Mi- 
guel befannt? 

Unbefangen erwiderte ih den Blick des Rheders und fagte, 
deiner Begegnung mich erinnernd, ebenſo unbefangen: 

Bekannt nicht, Herr, aber ich weiß, daß von New-Orleang 
aus ein Matroſe, der fih Miguel nannte, als Ueberzähliger, Dienite 
auf einem hamburgifhen Schiffe entweder wirklich genommen bat 
oder doch nehmen wollte, 

Name ded Schiffes, fuhr Heidenfrei kurz fragend fort. 

Ich nannte den von dir geführten Schooner. Der Rheder 
fagte nichts, nur das Schiff und deſſen Eigenthümer notirte er fid. 
Noch damit befhäftigt, brachte ein Lohnbedienter ein Billet. Hei— 
denfrei erbrach es, überflog die Zeilen und entließ den Bedienten 
mit der ſchnell gegebenen Antwort: 

Superbe. Bitte mein Gompliment zu mahen und Sennor 
Don Alonjo Gomez würde fehr angenehm fein. 

Don Alonfo Gomez! wiederholte ih Halblaut und vor mir 
ftehen jah th im Geiſte die Geftalt des abenteuernden Mexikaners, 
bon deſſen Verlobung mit dem ſchönſten Mädchen New-Orleang 
damals die Halbe Rouifiana ſprach, deſſen trübes Geſchick taufend 
(höne Augen in der Hoffnung beweinten, fie alle würden fo viel 


— 141 — 


Kraft und Schmelz befigen, den tief Betrübten jetzt in ihre Zau« 
berneße zu verloden. 

Kennen fie Don Gomez, Gapitain Ohlfen? fragte Hetbenfrei 
arglos. 

Ein wenig. 

Ein ſuperber Mann, ſagte er. 

Schön, jung, einſchmeichelnd, reich und gefährlich, gab ich zur 
Antwort. 

Superber Geſellſchafter! Iſt gegenwärtig ſehr en vogue hier. 
Wird in dieſer Saiſon ohne Frage die erſte Rolle ſpielen. 

Das Gefiht des Schnitzelnden hatte ſich langſam immer weis 
ter vorgefhoben und konnte jebt die beiden Männer in's Auge 
faffen. Capitain Ohlſen fuhr in feiner Erzählung fort: 

Ich erwiderte Feine Sylbe auf diefe Bemerkung, denn Don 
Gomez ftand fo Leibhaftig vor meines Geiftes Augen, daß ih Mühe 
hatte, feine fchattenhafte Gegenwart nicht für etwas mehr als bloße 
Sinnentäufhung zu halten. Und wie ein Gefpenft der Rade 
tauchte jest neben ihm der Matrofe Miguel auf, fo zornigen, vor: 
wurfsvollen Blickes, fo zerbrochen und doc, wieder jugendlich troßig, 
dag ich unmöglich zweifeln konnte, es müſſe zwifchen diefen beiden 
jungen Männern etwas vorgefallen fein, das fie in unverſöhnliche 
Feinde verwandelt habe. Ich weiß nicht, wie es kam, aber ih 
fonnte mic) des Gedankens nicht erwehren, daß eine unheimliche, 
in Naht gehüllte Frevelthat Beide trenne und doch wieder ver- 
fnüpfe. Und wie es und Nordfriefen in fo erregter Stimmung 
häufig zu gefchehen pflegt, es knüpfte fih an dieſen unwillkürlichen 
Gedanken Vergangenes und Zukünftige. Ein Meer, eine Welt 
von Nebelbildern ftürmte chaotiſch vorüber vor meinem träumeri- 
fhen Auge und überall ftanden als ſtarre, erbitterte Kämpfer der 
Merifaner und der finftere Miguel einander gegenüber, bis unter 
rollendem Gewölt, Sturmgebraus und frudelndem Wogengezifch 
Alles in Naht und Graus vor mir verfant. Ich mußte mid im 
Anſchauen biefes Gefichtes — meine Landsleute nennen es „Vor— 
ſpuk“ — wohl etwas verändert haben, denn Heidenfrei fragte theil- 





— 142 — 


nebmend, ob mir unwohl fei? Von jener Stunde an befinde ich 
mich in einer feltfamen Unruhe, und da ich zufällig in Erfahrung 
gebracht habe, daß au dem Rheder daran gelegen tft, zu ermit- 
‚teln, wo diefer Miguel ſich aufhält, wer ber junge Mann eigent» 
ih fein mag, Habe ich nicht Ruhe noch Raft, bis ih ihm begeg- 
nen werde. 

Dazu kann Rath werben, verfeßte Claus, zuvor jedoch möchte 
ich wiſſen, welche Gründe dich bewegen, ein fo befonderes Augen» 
merk dem uns Beiden jedenfalls ganz unbekannten und gleichgilti- 
gen Menſchen zu ſchenken. | 

Mir tft ber Aermſte nicht gleichgiltig, erwiderte Gapitain 
Ohlſen, denn ich trage die fefte Meberzeugung in mir, er tft ein 
Betrogener, ein ſchwer Beleibigter. Don Gomez hat ihm Vermö⸗ 
gen und Ehre geftohlen. 

Don Gomez ? 

Sp vermuthe ih, und diefe Vermuthung wird, ich hoffe es, 
dereinſt in eine unzweifelhafte Thatfache fi verwandeln. 

Der Schnigelnde warf einen flechenden, giftigen Blick auf die 
Sprechenden, zug fih zurüd und ließ feinen fchweren Körper mit 
folder Gewalt wieder auf den Stuhl fallen, daß die Freunde ihr 
Gefpräh abbrahen und aufltanden. Der Amerikaner hatte feine 
frühere Lage wieder eingenommen, auch fein Fuß hing wieder auf 
der Stubflehne, und als die Capitaine zurüdtraten in den größeren 
Raum, mußten Beide glauben, die ſchnitzelnde Maſchine habe fein 
Glied bewegt. 

Im Borübergehen reichte Klaus feinem Freunde die Hand, 
indem er ihm leiſe zuflüfterte: Mein Wort darauf, du folft Mi- 
guel jehen und fprechen, wenn nicht morgen und übermorgen, doch 
jedenfalls ſchon in den nächſten Tagen. 

Der alte Holländer ſaß noch immer bei ſeinem dampfenden 
Grog, von dem er eine unglaubliche Menge vertilgen konnte; auch 
ſeiner Thonpfeife entſtiegen nach wie vor maleriſche Ketten fich 
drehender Rauchringe. 











— 143 — 


Nun, wie ſteht's, Alter, ſprach Ohlfen, habt Ihr Euch jet 
auf eine Antwort befonnen? 

Dan Tolten ſah phlegmatifh auf, blies einen großen Rauch⸗ 
reif aus feinem Munde und fagte noch phlegmatifcher: 

Hab’ mich befonnen. 

Und wie lautet Eure Antwort? 

Abwarten! — Een VBlammetje, Johann! 

Der Gerufene reichte dem bequemen, trodenen Holländer den 
verlangten Fidibus, und die Freunde verließen lachend den ſchweig⸗ 
famen Alten, der heute weniger noch als fonft aus feiner beſchau⸗ 
lichen Ruhe und feiner Wortkargheit herauszubringen war. 





Fünfzehntes Kapitel. 


— 


Feltlihe VBorbereitungen. 


In Heidenfrei's Haufe war ungewöhnlihe Bewegung. Tiſch⸗ 
lee, Maler, Xapezierer und andere Handwerksleute hatten alle 
Hände voll zu thun, um die zu größeren Gefellfhaften beitimmten 
Räume neu zu decoriren und im neueſten Pariſer Gefhmad herz 
zuftellen. Heidenfrei wollte ein glänzendes Feſt geben und war 
biesmal der eigentliche Urheber al der Anftalten, die bazu getrof» 
fen wurden, und der großen Unruhe, unter welder das ganze 
Haus litt. Er beging nämlich fein dreigigjähriges DVerlobungsfeft 
mit feiner würdigen Gattin, ein Felt, das zugleih auf den Ges 
burtstag Margaretha’s fiel. Seinem Wunſche und ausdrücklichen 
Befehle zufolge follte dieſes Greignig mit all dem Aufwande bes 
gangen werden, ben er fih wohl bet einer ſolchen Veranlaflung 
erlauben durfte, denn der Rame feines Haufes war in den letzten 
dreißig Jahren ein hochachtbarer geworden, ein Glüd, das er zum 
Theil der Wahl feiner Battin und den bedeutenden Mitteln, die 
fie ihm zubrachte, mit zu verbanten hatte. 





— 144 — 


Der gefhäftsthätige Rheder befümmerte fih zum Grftaunen 
ber Seinigen um jede Kleinigkeit. Er ſah des Tags mehrmals 
nad, wie die arbeitenden Leute ihre Aufträge ausführten, er be— 
ftimmte die Zahl der Einladungen, die erlaffen werden follten, er 
vergaß auch nicht Küche und Keller, und traf rechtzeitig Anftalten, 
um das Seltenfte, Feinſte und Koftbarfte fr beide herbeizufhaffen. 
- Denn bet dieſem großartigen Familienfeſte wollte er den überra- 
fhenden Glanz eines wahrhaft Föniglihen Kaufmannes entfalten. 

Nur das Comptoir ward von ber im ganzen übrigen Hauſe 
herrfchenden Geſchäftigkeit und Unruhe nicht berührt. Hier ging 
Alles in gewohnter Weife einen Tag wie alle, und hatten auch 
die jüngeren Leute, die, wie fie vermutheten, Augenzeugen und 
Mitgentepende des zu erwartenden Feſtes fein würden, Luft barüı- 
ber zu fprehen, während der Arbeitsſtunden fand fih dazu burd- 
aus weder Gelegenheit noch Zeit. XTreufreund allein Tonnte ver- 
möge feiner Stellung fih erlauben, Hin und wieder ein Wort fallen 
zu laflen, und er that es aud. Diesmal aber Elangen feine abrupt 
" hingeworfenen Aeußerungen mißbilligend, was man bei dem „Schat- 
ten“ nicht vermuthet hätte, weil er fonft Alles, was der von ihm 
wirklich verehrte Prinzipal that, unbedingt guthieß. Er geftattete 
fih fogar eines Tages, ald er verwundert breit ganz neue reich 
vergoldete Pfetlertifche mit koſtbaren Marmorplatten hatte die Treppe’ 
hinaufihaffen fehen, gegen Anton die Aeußerung, der Herr Prin- 
- zipal müffe den Werth des Geldes nicht mehr zu ſchätzen wiflen. 
Er feinerjetts nenne das Verſchwendung und er müſſe befennen, 
daß er tn folhem Aufwande eine leiſe Anwandlung von Störung 
fonft bewundernswürdiger Geifteskräfte erblide, obwohl er niemals 
perfönlihd werde. Nachdem er Ddiefe feine Herzensmeinung dem 
fhalfhaften Gorrefpondenten im Vorübergehen — er machte fi 
viermal hinter einander etwas auf der Diele zu thun — zuges 
raunt hatte, nahm er feinen uralten Plab wieder ein und begann 
mit einem wahren Enthufiasmus zu rechnen. 

Ganz entgegengefekter Meinung waren bie Kinder Heidenfrei's 
und deren intimere Bekannte. Unmittelbar nah dem Umzuge vom 





—— 145 — 


Lande in die Stadt begangen bie filferen Vorbereitungen zu dem 
erwähnten Feſte. Die Kinder erbaten fih in fofern frete Hand 
von dem Vater, als fie das Begehr an dieſen ſtellten, er möge 
ihnen das Arrangement der geiftigen Feier, die neben ber mates 
riellen und gewiffermaßen kaufmänniſchen nicht fehlen bürfe, ganz 
allein überlaſſen. 


Heibenfret erffärte fi mit biefer Vertheilung der Rollen, zu 
Ehren des Haufes, wie er fagte, vollfommen einverflanden, und 
Elifabeth, die Meine Poetifche, Konnte nun ungejtört fchalten und 
walten, wählen und wieder verwerfen, bei dreißig Perfonen Rath 
holen und deren Anfichten hören, und zur Beihaffung biefer gei- 
fligen Feier engagiven, wer ihr irgend tauglich ſchien. 


Ulrike unterftügte Die Freundin treulich in biefer ſchwierigen 
Arbeit, die ſo unendlich Viel zu überlegen, zu berückſichtigen gab. 
Auch die Brüder waren nicht müßig, nur fehlte es ihnen häufig 
an Zeit, die vielen Vorſchläge und Auseinanderſetzungen der bei— 
den ſtets in Aufregung lebenden Mädchen anzuhören, und dies 
ſowohl wie Die zeitweilig ſich bemerkbar machende Zerſtreutheit der 
Brüder gab oft zu Heinen Disputen und vorübergehendem Schmol- 
len befonders der Schweiter Beranlaffung. Ste fam tn Verlegen 
heit und fürdtete in kleinmüthigen Momenten, ihre geiftige Feier 
werde aus Mangel an vorhandenen Kräften am Ende wohl gar 
fich in Nichts auflöfen, oder fie könne traurig, dürftig, mithin IA- 
cherlich ausfallen. 


Eine in überrafchend originellen Einfällen höchſt glückliche 
Perfon war Chriftine, die gleich nad der Rückkehr der Familie 
Heidenfrei in die Stadt mit großer Zuvorkommenheit in dem Haufe 
bes Rheders Aufnahme gefunden hatte. Chriſtine bekleidete nicht 
eigentlich eine beftimmte Stelle im Haufe, fondern wurde überall, 
wo fie verwendbar war, als Aushilfe benugt. Dies geſchah jedoch 
mit fo vielem Takt, fo freundlich, ja freundfhaftlich, daf bie Toch⸗ 
ter des Quartiersmannes, an fo zarte Behandlung von Jugend auf 
doch nicht gewöhnt, davon gerührt ward und mehr als zweite Ge- 

D. 8. ZI. Willkomm's Rheder und Matrofe, | 10 


— 146 — 


ſellſchafterin, denn als Dienende faſt ununterbrochen in der Nähe 
der Frau vom Hauſe ſich beſchäftigen mußte. 

Eliſabeth und Ulrike gewannen die aufgeweckte, von Mutter: 
witz überfprudelnde Chriftine ſchnell Iteb, und da vornehmlich Eli— 
fabeth feine, körperlich mohlgebildete, auf ihr Aeußeres etwas hal- 
tende Dienertnnen gern um fich hatte und Chriſtine dies Alles in 
hohem Grade in fi vereinigte, fo erklärte die Kleine Poetifhe das 
Mädchen fofort für ihren Liebling, und faßte fortan nur höchſt 
felten einen Entſchluß, ohne zuvor neben Ulrike? auch Chriſtine's 
Gutachten darüber einzuholen. 

Nach langen Deliberationen unter den Gefhwiltern, Ulriken 
und Chriftinen ward nun ein Programm entworfen, nah welchem 
die getftige Keftfeter darin beftand, daß unter Anderm auch eine 
dramatiſche Vorftellung gegeben werden follte, welde die Haupt: 
momente aus dem Leben der eltern zu verherrlichen beftimmt 
war. Als Acteure traten außer den beiden Brüdern und den drei 
Mädchen — denn Chriftine fonnte man fchon Ihrer vortheilhaften 
Figur wegen nicht entbehren. — aud noch einige jüngere Freunde 
und Freundinnen des Heldenfrei’fhen Haufes auf. Nur fehlte es 
noch am Beſten, nämlih an der Dramatifirung des guten Einfalle. 
Indeß aud hier ward Rath gefhafft. Ferdinand zeigte ein ganz 
letdliches Talent, einen Gedanken hübſch einzufleiden, auch Anton, 
der mit in's Geheimniß gezogen ward, erfreute fih wigiger Ein- 
fälle und befaß einige Routine im Verſemachen, wenn diefe auch 
nicht fehr poetiſch geriethen. Diefe Beiden follten alfo einen 
Brouillon entwerfen; dann wollte Eltfabeth, der man ben meliten 
Taft zutraute, den Gorrector fpielen, und endlich wurde befchloffen, 
das fo angefertigte Opus von allen Dreten nochmals begutachten 
zu laffen und gemeinfhaftlih etwa nöthige Verbefferungen daran 
vorzunehmen. 

. Niemand war über dieſen köſtlichen Einfall mehr erfreut, als 
Anton. Als Ferdinand ihm unter dem Stegel der größten Ver⸗ 
ſchwiegenheit von dem wichtigen Beſchluſſe des in Feſtangelegenhei— 
ten berathenden Comitee's in Kenntniß feßte, ließ er die Feder 








— 1417 — 


fallen und machte einen ſchrecklichen Klecks auf den ſchön fiylifirten 
Brief, den er eben fchrieb- 

Teufel noch’ mal, rief er aus, wenn das derr Heidenfrei ſähe! 

Thut nichts, ſagte Ferdinand, Sie werden Glück haben und 
Glückliche machen. 

Aber meine Reime ſind verteufelt ſchlecht, und was das 
Schlimmſte iſt, Ih kann nur männlihe Reime finden. Die weib— 
lichen Reime laufen in meinem Gedächtnig durch, wie Waſſer durch 
ein Sieb. 

Einerlei, lieber Anton, machen Ste immerzu Verſe mit männ⸗ 
lichen Reimen, meine Schweſter und ich wollen ſchon noch einige 
andere mit weiblichen Endreimen dazu ſetzen. 

Ah, Ihr Fräulein Schweſter! ſagte aufhorchend der junge 
Correſpondent. Ja, da muß man fich doch angreifen, es mag 
kommen wie es will. 

Thun Sie es, Anton, und wie geſagt, Sie werden Glück 
haben. 

Damit ging Ferdinand wieder an ſeine Arbeit, Anton aber 
zerriß den befleckten Briefbogen, zerſtampfte in einer Art poetiſcher 
Raſerei die Feder, daß ſie in Splitter zerborſt, und rief ſich ſelbſt 
pathetiſch, aber nur halblaut zu: 

Alſo ſchon Haus- und Familienpoet geworden? Na man zu, 
min Moder kann ſwemmen! | 

Den Schluß der geiftigen Feier des Tages, welche muſikali⸗ 
ſche Aufführungen eröffnen jollten, machten. eine Reihe fogenannter 
lebender Bilder, über die e8 ebenfalls Tagelang zu berathen gab. 
Der größeren Mannichfaltigkeit wegen und um diefe Bilder raſch 
auf einander folgen zu laflen, mußte man eine bedeutende Anzahl 
Mitwirkender anwerben. Dies Geſchäft übernahmen ausſchließlich 
die unermüdlichen beiden jungen Mädchen, die fo lange herum: 
fuhren und Befuche bei nahen und fernen Bekannten abftatteten, 
bis fie das erforberlihe Corps für die zu ſtellenden Bilder glüd- 
lih beiſammen hatten. 

Nun gab es wieder neue Sorgen, neue Mühen. Es fehlte 

10* 





— 148 — 


an den nöthigen Coſtümen, denn man hatte vorzugsweife in die 
Augen fallende Bilder, die reihe und glänzende Gewänder ver- 
langten, im Sinne. Diefe, Garderobe von Trödlern oder DVermie- 
thern derartiger Kleidungsſtücke zu entnehmen, widerftand Eftfabeth, 
aud waren ihr diefe aus eitel Schein und werthlofen Flitter zu= 
fammengefesten Gewandungen nicht vornehm genug. Es blieb alfo 
nichts übrig, als ganz neue Goftüme anfertigen zu laffen. Dies 
geihah denn auch, und damit man fi fpäter der’ Stoffe ander- 
weitig wieder bedienen könne, zog man es vor, nur Achte, haltbare 
Stoffe zu wählen und diefe von Sadhverfländigen im Haufe felbft 
jedem einzelnen Mitwirkenden auf den Leib anpaflen und anfer= 
tigen zu laffen. Die Mutter räumte zu diefem Behufe ihrer Tode 
ter zwei befondere Zimmer ein, und hier, unter den Augen Eli⸗ 
ſabeth's und Ulrike's, die beibe im Verein mit der fehr fleißigen 
und anftelligen Chriftine, nah Kräften thätig waren, entitanden 
die prunkvollſten, reizenditen Goflüme. Die Mädchen waren ganz 
felig, denn fie mußten fih fehon jegt unter vielen Umarmungen 
und Küffen geſtehen, daß die Enthüllung der Tebenden Bilder der 
Glanzpunkt des Feftes fein und alle Geladenen zu den raufchend- 
ften Betfallsäußerungen fortreißen würde. 

Unter diefen befand fih auch Don Alonfo Gomez. Der hei— 
tere, talentvolle junge Mann Fam fett der Rückkehr der Familie 
in die Stadt häufig in’d Haus und man fah ihn, was ihm nit 
entgehen fonnte, gern. In der That war ed auch kaum anders 
möglih, denn Don Gomez zeigte die einnehmendften Manieren, 
war Jedermann gefällig, gegen Damen die Aufmerkſamkeit felbft 
und zeichnete vor Allen Frau Heldenfrei aus, der er jederzeit etwas 
Angenehmes oder Derbindliches zu fager wußte. Mitunter machte 
er freilich auch einen Verſtoß gegen das deutſch Herfümmlice, der- 
gleichen Verſtöße aber erhöhten eher noch das Intereſſe für ben 
fhönen Fremdling, und was man einem Gingebornen höchlichſt 
übel genommen, wohl gar für groben Mangel an Bildung und 
Umgangsgewandtheit ausgelegt haben würde, fand man bei dem 
naiven Sremblinge pifant, anziehend, Itebenswürbig, originell. Kurz, 


149 — 


Don Gomez wurde der erklärte Löwe der Saiſon, war anerfann- 
termaßen der Liebling Aller und fpielte wirklich, wie Seibenfret, 
der Aeltere, gegen Gapitain Ohlſen geäußert hatte, die hervorra= 
gendſte Rolle in allen Gefellfhaften, wo er Zutritt hatte. 

Ein Mann von folder Feinheit, von fo glücklichem Humor, 
dabei fo jung, männlich ſchön und gewandt, durfte beim’ beab- 
ſichtigten Feſte im Heldenfret’fhen Haufe nicht fehlen. Er ward 
gleih Andern von dem Vorhaben unterrichtet und zuvörderſt um 
feine Mitwirfung im mufitalifhen Theile der Unterhaltung ange— 
ſprochen. Auch ohne die bittenden Lippen und die glänzenden 
Augen der beiden jungen Damen, welche ihr Anliegen im Bei— 
fein der Mutter dem Merifaner eröffneten, würbe biefer fih gern 
bazu bereit erklärt haben. Es follte ihm aber noch ein weit bö- 
herer Genuß zu Theil werden, deſſen Steigerung und Berlänge- 
rung ganz in feine Willfür gelegt war. Da er nämlich mufici 
ren, d. 5. die Zither oder Mandoline fptelen und Nattonallieder 
feiner Heimath fingen follte, wußte der ſchlaue Herr es fo ein- 
zurihten, daß die jungen Mädchen den Wunſch ausſprachen, fi 
felbft eines dieſer merkwürdig feflelnden Lieder in fpanifcher 
Sprache einzuüben. Denn Spaniſch follte um jeden Preis gefun- 
gen werben, weil die vollen tönenden Worte diefer herrlichen 
Sprache gar zu ſchön und doch aud wieder ein wenig fremdartig- 
pifant Fangen. 

Wer anders ald der bezaubernde Naturvirtuoſe konnte zu 
dieſem Behufe Eliſabeth und Ulrike Unterricht ertheilen! Das Un— 
terrichten, Probiren und Einüben erforderte cin häufigeres Kom— 
men, und bald verging ſelten ein Tag, an dem Don Alonſo 
Gomez nicht einige Stunden auf die angenehmſte Weiſe im Hauſe 
des Rheders zubrachte. 

Den Brüdern war dieſe Einbürgerung bes reichen Fremd⸗ 
lings nicht ganz angenehm, fie zu hindern ober zu bintertreiben 
hatten fie aber feinen triftigen Grund. Denn nit nur hielt fi 
Don Gomez fireng in den Gränzer eines mit Zuvorkommenheit 
aufgenommenen Gaftes, er zeichnete auch weder Eliſabeth noch 


EN 





— 150 — 


Ulrike in auffallender Weiſe aus. Er war nur höſlich, bienft- 
fertig, ein vollendeter Cavalier. | 


Dies gefiel, vielleicht auch regte fih in den Herzen beider 
Mädchen der Wunfh, ein wenig mehr Eindruf auf Don Gomez 
zu machen; denn es liegt nun einmal in der Natur des Weibes, 
aud des von Kofetterie nicht berührten, von dem ftarfen Geſchlecht 
Huldigungen zu empfangen, auögezeihnet zu werden. Obwohl 
Beide ſich nicht darüber ausfprachen, begegneten fie fi einander 
doch in ihren Gedanken, und gerade der gemeflene, feine Ton, 
welchen der Merxifaner Eliſabeth und Ulrike gegenüber tn der na— 
türlihften, ungezwungeniten Weiſe einhielt, veranlaßte diefe tm 
allerdings nur einzelnen unbewadhten Momenten zu einer etwas 
wärmeren Sprade. Don Gomez fühlte und wollte dies, es fiel 
ihm aber nicht ein, fi es merfen zu laſſen. Noch war es für 
ihn nicht Zeit, ein beitimmtes Verhältnig einzugehen, fi zu bin- 
ben, die Schläge feines Herzens zu meiftern, feine genußbebürftige 
Natur in Fefleln zu zwängen, die fie doch nur zu bald gewalt- 
fam gefprengt haben würde. 


Bei diefen Vorübungen für die Keftlichkeiten, die mit Ge- 
ſprächen über die Anfertigung zweier ächt mertlanifher Goftüme 
abmwechjelten und in denen Don Gomez das entjcheidendfte Wort 
hatte, lernte er auch Ghriftine, die er früher einige Male ge- 
fehen und der er auch nachgegangen war, näher kennen. Die 
Tochter des Quartierdmannes erfannte den auffallenden Herrn auf 
der Stelle wieder und erröthete bis in den Naden. Glüdlicher- 
mweife war ihre Herrin gerade ganz vertieft in die Befichtigung 
einiger Zeichnungen merikantfher und brafiltanifcher National⸗ 
anzüge, welche Don Gomez den Damen zur Auswahl vorgelegt 
hatte, um diefe Veränderung an Chriftine zu bemerken. Bald 
indeß rief fie ihr zu und forderte fie auf, aud ihr Urtheil ab- 
zugeben. Chriftine hätte augenblicklich lieber damit zurüdgehalten, 
aber Eliſabeth drängte fo ungeftüm, daß fie ſich entichließen 
mußte. Ste zeigte alſo auf das Bild, welches ihr wirklich am 


— 151 — 


beſten gefiel. Es war die Abbildung eines ächt mexikaniſchen 
Stutzers, maleriſch und phantaſtiſch, aber nicht geſchmacklos. 

| Don Gomez, der fettwärts dem Prüfen und Wählen der 

jungen Mädchen zuſah, Tächelte fein und ließ einen feiner bren- 

nendften Blide auf Chriftine fallen. 

Das Fräulein hat Recht, fprah er in feinem eigenthümlich 
gebrochenen Deutih, das Allen gefiel, weil ed ungemein naiv, 
und beitehend im Munde des Zremden Hang, es ift die reichſte 
Tracht meiner Landsleute, nur wird fie zu dem Bilde, das wir 
zu ftellen beabfihtigen, nicht paffen. Dafür müßte ich die Tracht 
tes Gaucho vorfchlagen. | | 

Er blätterte in dem mitgebrachten Bilderheft und zeigte ben 
erflaunten Damen einen jener wilden Jäger der’ Savannen Süd- | 
amertla’s, die auf fehnaubenden Roflen, den Laſſo ſchwingend, 
durch die fonnigen Ebenen fchweifen, um hier die weidenden, wil- 
ben Roſſe zu fangen. Alle drei riefen zugleich überrafcht aus: 
Wie prächtig! Eine wahre Göttergeftalt ! 

Aber das Finnen wir ja nicht darftellen, warf bedauernb 
Elifabeth ein. Erſtens tft uns das Roß Hinderlih, und fodann 
tft das ja aud Fein Deritaner, alſo nit Ihr Landsmann, 
Sennor? 

Gewiſſermaßen doch, mein gnädiges Fräulein, erwiberte ber 
Mertlaner. Als Abkömmlinge weiteuropätiher Eroberer und Ein- 
wanderer halten fih Brafilianer, Merilaner und Xeraner für 
Kinder eines Stammes, mithin für nächte Verwandte. Wir ha- 
ben. ähnliche, fait gleiche Sprache, gleihe Sitten, und aud un- 
fere Kleidung, unfere Neigungen und Leidenſchaften verrathen, 
dag das Blut ein und derſelben Aeltern durch unſer Aller Adern 
rollt. 

Chriſtine ſah den fremden Cavalier, deſſen dunkles Antlik 
bei dieſen Worten von ſchönem Stolz durchgeiſtigt ward, verſtohlen 
an und konnte nicht umhin, ſich im Stillen zu geſtehen, daß es 
unbedingt der ſchönſte, eleganteſte, beitehendfte Mann ſei, den 
jemals ihre Augen erblidt hatten, 





- 


— 152 — 


Wenn Ste meinen, fagte Elifabeth, der Ulrife einige bei- 
fitmmende Worte zuflüfterte, fo bin ich wohl geneigt Hinfichtlich 
des Geſchmacks mich unbedingt auf Ihre Seite zu ſchlagen. Nur 
ein Bedenken bleibt mir dabei. 

Das tft? fragte Don Gomez. 

Es war die Rede davon, den Kampf eines merikantichen 
Edlen mit einem Gingebornen barzuftellen in dem Augenblide, 
wo bie Kämpfer gezwungen werben, ihren Kampf freimillig zu 
endigen, indem das Erſcheinen eines blühenden Mädchens, der 
Verlobten des Merikaners, fie entwaffnet. 

So tif es, ſagte Don Gomez. Das hatt! ich ja ganz ver- 
geffen. Indeß es fallt mir ein, daß die Stellung dieſes Bildes, 
fol es Eindruck machen und nicht gegen den Geiſt der Nation 
verfioßen, deren Sitten es entnommen tft, uns große Schwierig- 
teiten bereiten dürfte. Diefe Kämpfe, wie die Kampfweife meiner 
etwas barbariſch gearteten Landsleute haben nichts gemein mit 
denen, die in Deutfchland oder überhaupt in Europa üblich find. 
Schon die Stellung der Kämpfenden tft der großen Mustelipan= 
nung wegen, bie fie erfordert, eine kaum zu Iöfende Aufgabe. 
Wollte auch ich felbft gern eine Rolle dabei übernehmen, da ich 
aus früheren Jahren noch einige Mebung darin befige, wo findet 
fi) der Andere, der noch dazu den Ureinwohner darftellen fol? 

Sie haben Recht, es geht nicht, fiel Eliſabeth fehr beitimmt 
ein. Wir könnten uns lächerlih machen und das würde mir und 
Allen den ganzen Abend und noch viele Tage hinterher verderben. 
Laffen Ste ung etwas Anderes erfinnen. 

Don Gomez meinte ja, der Gaucho fet leichter darftellbar, 
bemerkte Ulrike. Eliſabeth blidte den Mexikaner fragend an. 

Ich will durchaus den DVorfchlägen und Plänen der Damen 
nicht vorgreifen, fagte Don Gomez ausweichend. 

Sprechen Sie nur immer dreift aus, wie Sie's meinen und 
was Ste denken, bat Eliſabeth. Etwas Südamerikaniſches, und 
folt! es auch ein wenig exotifh, teopifh und urwalbartig ausfale 
ken, möcht? ih gar zu gern bei den Bildern haben, | 





, — 153 — 


Sie erinnern ſich gewiß des Raubes der Sabinerinnen, fagte 
Don Gomez, einer etwas außerhalb der Gefege civiliſirter Natio- 
nen liegenden Heldenthat, die indeß gute Folgen hatte, denn fie 
gab den Friegerifchen Bewohnern Rom's Die ihönften Frauen ber 
Welt. Sagt man doch, daß jene gewaltfame Entführung der 
fhönften Mädchen aus dem Lande der Sabiner ſelbſt dem heutigen 
Rom noch den Ruf erhält, fo veih an ſchönen Frauen zu fein. 
Etwas Achnlihes — fo fpriht die Sage — erlaubten die erobe= 
rungsmuthigen Spanier fih in Mittelamerika. Das bis zur Ent- 
deckung und ſpaniſchen Einwanderung unbefannte, von Fremden 
nicht betretene Zand von Mexiko, war ebenfalls veih an ſchönen 
rauen, die unter ungefünftelten Zufländen und unter der glüd« 
lichſten Sonne aufgewachſen, mit ihrer natürlichen Grazie die Eu— 
ropäer buchſtäblich bezauberten. Entführungen junger, ſchöner Ein= 
geborenen kamen daher häufig vor, und ich meine, es ließe jih 
eine ſolche Scene vet gut in einem lebenden Bilde veranjchauli= 
hen, vorausgeſetzt, Daß deutſche Frauen nichts Anſtößiges darin 
finden. 

Margaretha, welche biefen Verhandlungen bisher ſcheinbar 
theilnahmlos zugehört hatte, fand es jetzt gerathen, ein Wort drein 
zu reden. Glijabetb fowohl wie Ulrike zeigten eine gewille Be— 
fangenpheit, die eine Folge der heißen Blicke jein mochte, welche der 
immer Iebhafter werdende Merikaner von der Einen zur Andern 
jhweifen ließ. War es vielleicht Abfiht, Die jungen blühenden 
Mädchen zu verwirren, oder wollte er ermitteln, welche, getrieben 
von dem DBerlangen, ein glänzendes, neues und eigenthümlices 
Bild mehr zu flellen, fih freiwillig anbieten würde, darin eine 
Rolle zu übernehmen? Frau Margaretha gefiel Don Gomez zum 
eriten Dale, feit er im Haufe ein und ausging, nicht ganz. Es 
kam ihr vor, als fei er heute frivol, als Klinge feine Stimme 
ſcharf, fpöttifh, herausfordernd. Darum hielt fie es an ber Zeit, 
dem Geſpräche ein Ziel zu feßen. 

Meiner Unfiht nah, fprah auf die lebte Bemerkung des 
Mexikaners die würdige Matrone, iſt es zwechmäßiger, wir bewe— 





— 154 — 


gen uns bei Aufftellung ber beliebten Bilder in etwas engerem 
Kreife. Was Ste da in Vorſchlag gebracht haben, mein junger 
Freund, das mag höchſt originell und ganz -allerliebft anzufehen 
fein, nur würden Viele nicht willen, was fie fähen, fände fi 
nicht hinter einer Gardine irgendwo ein Erflärer., Das aber, mein 
Iteber Gomez, will mir nicht gefallen. Für deutſche Zufhauer, 
namentlich in Familienzirkeln, liegt der feinfte Reiz fich enthüflen- 
ber lebender Bilder darin, daß Jeder in dem Dargeftellten etwas 
Belanntes, etwas ihm Lieb und theuer Geworbenes erkennt, und 
fi) durch die Art des Arrangements, durch den geiftigen Hauch, 
der eine folde Gruppe befeelt, angenehm überrafht und fo recht 
innerlih befriedigt fühlt, Nebenbei befhäftigt fi ein und das 
andere fharfe Auge wohl auch mit den Perfönlichketten der Dar- 
fteller, und findet eine angenehme Unterhaltung darin, Belannte, 
Freunde, Verwandte aus der fremden Hülle herauszuerfennen. Ich 
denke, wir laflen dieſe ohnehin fchwer barfiellbaren Scenen aus 
dem Leben Ihres fchönen Vaterlandes ganz bei Seite. Sie haben 
deshalb nicht meinen Beifall, weil die Mehrzahl fie nicht verftehen 
würde. Wozu auch ſolche Räubergeſchichte! Davor kann ein 
deutſches Frauenherz erſchrecken. Nein, Kinder, da wüßte ich etwas 
Beſſeres. 


O ſprich, beſte Mutter, was denn? fragte erregt Eliſabeth. 


Wählt eine Reihe Bilder aus den Werken unſerer trefflichen 
Dihter. Da könnt Ihr herrliche Gruppen zufammenftellen, die 
Jeder verſteht, an denen Alle. fi erquiden. Nur laßt mir -alles 
Mythologiſche, Alt: und Neuheidniſche aus dem Spiele! 


Das iſt auch das Beſte, fagte Ulrike. Schiller, Goethe, Tied, 
mein Gott, welche Auswahl! Wie konnten wir auch nicht felbft 
darauf verfallen! 


Margaretha lächelte Weil Ihr deutfhe Mädchen feld, ver⸗ 
feste fie. Wenn das Fremdländiſche durch's Fenſter blickt, vergißt 
ber Deutſche leicht fein Liebites und Beſtes. Das iſt fo apart, fo 
neu, fo ganz anders! Das muß man haben, denn es reizt und 


—— 155 





beftiht. Ob man fi etwas Gefährliches Damit in's ftille Haus ' 
gelodt hat, danach wird nicht gefragt. 
Diefe lebte Aeußerung, obwohl fie von milder und ſcherzen— 
der Lippe Fam, blieb doch nicht ohne Eindruck. Sie klang den 
fröhlichen Kindern wie eine Warnung, ſich vorzuſehen, und Beide 
betrachteten den verführeriſchen Mexikaner mit Blicken, in denen ein 
Seelenkundiger hundert verſteckte Fragen leſen konnte. 


Ueber das Geſicht Don Alonſo's lief der Schatten inneren 
Mißbehagens, er war aber viel zu ſehr Weltmann, um ſich mer- 
ten zu laſſen, dag ihm diefe Wendung nicht gefalle. | 

Mit Vergnügen füge ih mid einem fo weifen Ausſpruche, 
fagte er, fih verbindlich gegen Margaretha verbeugend. Da ich 
leider noch fehr wenig heimiſch bin in der deutſchen Poeſie, bitte 
id) die Damen, Über die zu wählenden Bilder unter ſich zu bera- 
then. Jede Rolle, die Ihre Güte mir dabei zutheilen dürfte, werde 
ih mit dem freundlichiten Danfe übernehmen. 


Damit waren die Beratkungen gefehloffen. Don Gomez plau= 
berte noch einige Zeit mit Margaretha, richtete dann einige Fragen 
an Chriftine, die Fräulein Eliſabeth emfig zur Hand ging, une 
gefellte fich fpäter zu Ulrike, welche in feiner Bildermappe blätterte 
und fih nicht fatt fehen konnte an den phantaftifchen, fhimmernden 
Coſtümen, die fie enthielt. 


Wenn es Ihnen Freude macht, mein Fräulein, fagte Don 
Gomez, fo möchte ih Ste bitten, dieſe Heine Sammlung als Ihr 
Eigenthum zu betrachten. Ich befige deren nod mehrere. 

Ulrike blickte ihn fragend und dankend zugleich an. 

Sie fherzen, fpradh fir Wie dürfte ich cin fo werthvolles 
Geſchenk annehmen!. 

Weil fie ein offenes Auge für das Schöne haben und weil 
es mir wohlthut, in ber Fremde bie Herrlichkeit meines Vaterlan⸗ 
des fo bewundert zu fehen. So oft Ihre Augen fi weiden an 
ber Pracht diefer Coſtüme, an dem Farbenſchmelz diefer Landſchaf⸗ 
ten, werde ich die Genugthuung befigen, daß gleichzeitig wenigſtens 





— 156 — 


eine freundliche Erinnerung an den, der Ihnen dieſe kleine Freude 
bereitete, in Ihrem Gedächtniß auflebt. 

Ulrike vermochte nicht, ein ſo ſchönes, in ſo zart huldigender 
Weiſe ihr angebotenes Geſchenk zurückzuweiſen. Sie empfing es 
gerührt und dankerfüllt, aber nur ein langer tiefer Bid, welchen 
Don Gomez begterig mit feinem Feuerauge auffing, und eine un 
willfürlihe Bewegung des lieben Geſchenkes nad dem Herzen ver- 
tiethen die tiefe, frohe Bewegung des jungen Mädchens und fpra= 
hen deutlicher al8 Worte, wie hoch fie die Gabe und vielleicht 
auch den Geber fchäkte. 

Mit dem Verfprehen, am nächſten Tage eine Generalprobe 
mit Eltfabeth und Ulrike halten zu wollen, empfahl ſich hierauf. 
der Merilaner, um im Freien, von feinem Dritten beobachtet, dem 
in ihm kochenden Grolle Worte zu leihen, die indeß ungehört im 
fharfen Weſtwinde verhaflten. . 


Sechszehntes Rapitel. 


Das Felt. 


Die Küftres brannten, die Säle waren geöffnet und von buf- 
tendem Arom durchzogen. Gin ganzer Wald lebendiger Blumen, 
unter denen fi Eoftbare erotiihe Gewächſe von feltener Schönheit 
befanden, war. zu gefhmadooller Verzierung, ſowohl der Gejell- 
fhaftszimmer wie der Gorridore und der breiten Doppeltreppe, 
verwendet worden. . Teppiche bebedten die Treppenftufen und die 
weite Diele, auf welcher Heidenfrei eine Anzahl Büften berühmter 
beutfcher Gelehrten, Dieter und Componiſten hatte aufftellen Lafjen. 
Selbft bis auf die Straße hinaus erftredten fich diefe Teppiche, 
damit die zarte Zußbefleidung der zum Felt geladenen Damen 
nicht die feuchten . Steine berühren durfte; denn das Wetter war 
feineswegs angenehm. Es flürmte und vegnete und ber Himmel 


— 1517 — 


war fo dit mit grauen Wolken verhangen, wie man ihn gewöhn⸗ 
lih an Novembertagen im nörblihen Deutichland fieht. Troß dies 
ſes unfreundlihen Wetters aber fammelte fi doch ein Trupp 
Neugieriger an dem Hetdenfret’fhen Haufe, als eine Equipage nad 
der andern heranrolite und aus fall allen gefhmüdte Damen tn 
biißenden Kleidern, von Gdelfteinen und Blumen ſtrahlend, aus 
fliegen, ‚und leichten Fußes die Stufen binaufhüpften nah der von 
vielen gefchäftigen Dienern erfüllten Diele. 

Don Alonfo Gomez verwandte heut Abend die größte Sorg- 
falt auf feine Toilette, und als fie beendigt war, mußte er fid 
mit Tächelndem Auge felbit geftehen, daß er Senfatton erregen und 
viele fhöne Augen auf fih ziehen werde, Dies war aud fein 
Wunſch, denn das gewöhnliche Alltagsleben In der großen reichen 
Handelsftadt fing an, ihn wirklich zu ennuyiren, weil ihm die Leute 
zu ernſthaft waren und felbit das Heitere, Scherzhafte, aud wo 
fie ih ihm Hingaben, ernfthaft betrieben. Das war niht nad 
dem Geſchmack des heifblütigen, die möglichſt größte Veränderung 
lebenden Südamerifaners. 

Heute jedoch, im Haufe feines Gönners Heidenfrei, verſprach 
er fih Genuß und Zerſtreuung. Obwohl er feine Vorfchläge in 
Bezug auf die Feſtfeier mannichfach Hatte modificiren müfjen, feiner 
Gewandtheit gelang es dennoh, Einiges, woran ihm gerade am 
meiften gelegen war, durchzuſetzen. So war e6 ihm denn aud 
geglüdt, in mehreren Gruppen, melde die Gefellfhaft als „lebende 
Bilder” unterhalten follten, eine Rolle fih zu fihern, und zwar 
waren dies folche, wo er den vortheilhafteften Gebrauch von feinen 
Naturgaben mahen konnte. Er hatte dabei das Vergnügen, drei— 
mal als Liebender aufzutreten, und als folder, wenn auch nur 
ftumm, drei verfchtedenen jungen Mädchen feine Liebe zu erklären, 
oder doch, was man ihm ja nicht vermehren konnte, der einen oder 
anderen durch feine Blide ahnen oder wohl auch verſtehen zu laſen, 
was er für fie fühle. 

Um gleid bet feinem Eintritt in die Gefellfhaft das Augen- 
mer? Aller zu werben, beſchloß er, fo fpät wie möglich zu erjchel- 


—— 158 — 


nen. Vornehme und Hocgeftellte Perfonen laſſen warten. Ton 
Gomez fteß nun nicht blos warten, weil er fih ebenfalls zu den 
Dornehmen zählte, fondern weil er zu genau wußte, baß fein 
Nichtkommen die ganze Familie Hetdenfret in eine fieberhafte Span= 
nung verfeßen werde; denn gerade der mufikaltfche Theil der Feier, 
in welchem der bevorzugte Fremdling am meilten zu glänzen hoffte, 
war von ihm felbft fo geordnet, dag man ihn nicht beginnen laſſen 
fonnte, bis es ihm beltebte, die Harrenden und Sehnenden dur 
feinen E’ntritt zu beruhigen, wo nicht zu beglüden. 


Als Don Gomez endlich glaubte, es fet fpät genug, rief er 
feinen Diener, der thn bis an das Haus begleiten follte. Gin 
Wagen harrte ſchon geraume Zeit des neufpantfhen Herrn und 
nahm jegt die beiden Männer auf. Unterwegs entfpann ſich zwi« 
hen diefen folgendes Geſpräch. 


Ich darf alfo gewiß fein, daß du alle meine Befehle pünkt- 
lich und buchſtäblich vollzogen haft? fragte Don Alonfo den Mus 
latten. ’ 

Sie find vollzogen. 

Und du bift fhmeigfam gewefen, wie das Grab? 

Der Tod feldft kann nicht ſtummer, nicht kälter, nicht uner- 
bittlicher” fein, verfeßte Mafter Papageno. 

Schwöre, daß ed wahr tft, bier auf den Griff meines Dol- 
ches. Bel der ewigen Barmherzigfeit der heifigften Madonna! 

Es iſt nicht nöthig, Sennor. 

Aber ih will es, well es mich fiherer, kaltblütiger, entfchloffe- 
ner macht. Schwöre alfo! 

Der Mulatte legte feine Rechte auf den im Zwielicht der 
düfter brennenden Straßenlaternen unheimlich blikenden blauen 
Stahl und fagte mürrifh: Ich ſchwöre, Sennor, daß ih Eure 
Befehle pünktlih und buchſtäblich vollzogen habe, daß Niemand 
etwas davon weiß und daß ich gefehmwiegen habe, wie das Grab. 
Sp wahr Bott und die Heiligfte Madonna mir gnädig fein wollen 
in meiner lebten Stunde! | 


. 


— 159 — 


Es iſt gut, ſagte Don Gomez, ſichtlich zufriedener. Du wirſt 
ſehen, daß ich erkenntlich bin. 

In dieſem Augenblick hielt der Wagen, der Schlag ward 
aufgeriſſen und Don Gomez ſchwang ſich leicht und elaſtiſch wie 
der geübteſte Ballettänzer heraus. Als man ihn erkannte, rief 
man ſofort feinen Namen, damit er den ungeduldig des ſpät kom⸗ 
menden Gaſtes Harrenden unverweilt gemeldet werde. Ein ftolzes, 
zufriedenes Lächeln überglänzte einen Augenblid lang das Geficht 
bes Merilaners, der fich innerlich freute, eine fo wichtige, fo un 
entbebrlihe Berfon geworden zu fein. 

Ein paar Minuten fpäter trat Don Gomez, von dem Hause 
herrn freundlihft empfangen, in die Gefelihaft. Zu feiner größ- 
ten Genugthuung bemerkte er fogleih, daß Alle, namentlich aber 
die Damen, ihn fharf firirten. Sein verjpätetes Kommen fuchte 
er in ber liebenswürdigſten, ungezwungenften Weiſe durch eine gut 
erfundene Lüge zu enfhuldigen. Daß er die bereitwilligfte Ver⸗ 
zeihung fand, brauchen wir wohl faum anzuführen. Ä 

Außer der bedeutenden Anzahl fremder Gäſte waren als 
Theilnehmer zu diefem Familienfeſte auch fämmtliche im Comptoir 
Befhäftigte geladen, die ſich pflichtſchuldigſt zur beſtimmten Stunde 
eingefunden hatten. Der vedliche Treufreund fehlte natürlich nicht, 
obwohl der flumpf und fteif gewordene alte Herr wenig Stan für 
und noch weniger Genuß von fo großartigen Zeften hatte. Um 
ficher zu geben und nicht etwa gegen die Etiquette zu verftoßen, 
wagte er etwas an fid. Er beitellte ſich nämlich bei dem elegan- 
teften Schneider einen ganzen Gefellfhaftsanzug neueften, alfo mo- 
dernſten Schnittes. Diefen Anzug trug Treufreund Heute zum 
erfien und, wir dürfen es nicht verfhweigen, aud zum legten 
Male. Der wadere Mann mußte fi ſchmählich darüber ärgern, 
weil er fi bes Gedankens nicht erwehren fonnte, er müfle darin 
auf ein Haar einer Schwalbe ähnlich fehen. Sein Aerger ftieg 
noch, als er zum Entjeßen feiner beiden, krankhaft gerötheten Aus 
gen die Wahrnehmung machte, daß der Prinzipal nicht fo gene- 
veufe wie er felbft geweien war, fondern, als könne und dürfe das 


— 4160 — 


gar nicht anders fein, in einem Frack erſchien, der im erſten Jahr- 
zehnt des neunzehnten Jahrhunderts modern gemwefen fein mochte. 
Dennoch fah Herr Heidenfrei mit feinem zarten, weißlichen Haar, 
feinem fein geſchnittenen Geſichte, und in feiner Weiſe elegant ge» 
fletdet, von allen Männern eigentlih am Bornehmften "aus, Seine 
altmodifhe Tracht fiel Niemand auf, während der ehemalige Buch— 
halter in feinem modernen Anzuge Dielen komiſch vorkam und 
auch wirklich alsbald von einigen jüngeren Herren ſcharf beobachtet, 
gemuftert, befrittelt, endlich belächelt wurde. 

Zu Anton und den jüngeren Somptotriften im Beidenfrebfägen 
Haufe gefellten fih auch deſſen Freunde Julius und Kurt, bie 
beide in Häufern engagirt waren, welde in engiter Verbindung 
mit dem Rheder ftanden. Außerdem gehörten beide alten geadj- 
teten Familien an und verkehrten daher viel in den erften Zirkeln. 

Noch vor der Ankunft des Mexikaners, ber biefen jungen 
Männern fhon längſt Feine unbekannte Erfheinung mehr, wohl 
aber teine beſonders gern gefehene war, hatte der übermüthige 
Anton feine ebenfalls luſtigen Freunde In gewiſſe Heimlichkeiten 
bes Haufes Heidenfrei eingeweiht und ſchließlich eine fo Tomtfche 
Schilderung von dem „Schatten” entworfen, der leider heute ganz 
verloren ging, daß es den Zuhöhern fchwer fiel, ernfthaft zu blei— 
-ben. Anton winkte ihnen zu und fagte, fih eine Perle aus dem 
in Form einer dreifachen Krone herumgereichten Backwerke brechend, 
um es zu dem köſtlich duftenden Thee zu verfpelfen: 

Die allerfhönfte Geſchichte kennt Ihr noch nicht. Ste ift ei— 
gentlih ganz unbezahlbar und gemtiffermaßen, was man beffagen 
muß, DVeranlaflung geworden, daß der fo Tenntnifreihe und in 
feinem Bade tüchtige Dann fiben geblieben ift, die Welt fo gut 
wie gar nicht Fennen gelernt hat und nun in Pedanterte, Char- 
Iatanerte, blinder Nahahmung und unnübem Ratfonnement zu 
Grunde geht. 

Und das tft fpaßhaft? bemerkte Kurt ungläubig. 

So fpaßhaft, daß Ihr Thränen lacht. 

Kann man jederzeit brauchen, fagte Julius, Denn herzbaftes 





— 161 — 


Lachen fhärft den Appetit, und ih möchte mir heute ben Appe- 
tit einer halben Compagnie wünſchen. Schlecht Tochen läßt der 
Alte nicht, das hab’ th durch aM’ das Näucherfraut und den 
Blumenduft doc herausgemittert. In diefer Hinficht thu' ich's Euch 
einem Jagdhunde gleih. Meine vortrefflih organtfirte Nafe hat 
eine Feinheit und Hebung im Entdeden delicater Gerüche, daß th 
ordentlich ftolz darauf bin. Wäre ih niht Kaufmann, ich würde 
als Virtuoſe in der Kunft zarte Odeurs zu ermitteln, Vorftellun- 
gen geben und mir mein Brob ganz anfländig damit verdienen 
können. 

Hör' auf, ich bitte dich, ſagte Kurt, Wenn du anfängft, 
deiner Phantaſie die Zügel ſchießen zu laſſen, dann geht ſie durch, 
wie ein geſporntes ungeſchultes Roß. 

Einerlei, meinte Julius, mich wird's doch amüſiren, wenn 
wir erſt den muſikaliſchen, dramatiſchen und künſtleriſchen Kram 
überſtanden haben. Bis dahin iſt die Tafel gedeckt, und man 
weiß, wozu unfer Herrgott den Hunger erfunden hat. Ich fage 
Euch, Lucullus mag theuer gegeflen haben, beſſer und ſchmackhafter 
für Zungen, wie die Jetztzeit fie mit auf die Welt. bringt, bat er 
nicht gefpeift, als wir heut? Abend an beines hohen Mäcen’s ge= 
richtreicher Tafel. fpeifen werden. Doch jegt erzähle, du Mufter 
eines wachſamen &orrefpondenten ! 

Anton Tieß fih nicht zum zweiten Male dazu auffordern. 

Unfer Treufreund, begann er, flammt aus den Herzogthü— 
mern, ich weiß aber nicht, aus welchem von beiden. Die Hands 
lung erlernte er in Kopenhagen, von dort fam er nad Lübeck, 
wo ihm während eines mehrjährigen Aufenthaltes die übergroße 
Ehrbarkeit angeflogen fein mag. Endlich zog er in unfer Ham⸗ 
burg ein und fand ein bauerndes Engagement in dem geehrten 
Haufe Peter Thomas Heidenfrei. Ihr werdet fagen, das fet ein 
ganz gewöhnlicher, alle Tage im Jahre fi hundertmal wiederho- . 
Iender Lebenslauf, und nicht im Geringften ſpaßhaft. Getroffen 
von Eurem Witz beuge ich mich demüthig und gebe Euch Recht, 
aber es kommt noch. Herr Heidenfrei hatte eines Tages unerfreu- 

D. B. XI, Willtomm’s Rheder und Matrofe., 11 


— — 16? — 


liche Verwicklungen bekommen mit einem Kopenhagener Hauſe. Am 
liebſten wäre er perſönlich nach Dänemark gegangen, um die Sache 
abzuwickeln, allein dies erlaubte der Drang der Geſchäfte nicht. 
Treufreund, damals noch jung, kräftig, geſchäftserfahren und zu— 
verläſſig, erbot ſich, die ſchwierige Angelegenheit zu ordnen, wenn 
Heidenfrei ihm Vollmacht geben wolle. Dieſes Anerbieten nahm 
der Prinzipal an, Treufreund reiſte ab, verweilte einige Monate 
in der däniſchen Hauptſtadt, ordnete Alles zum Beſten, vielleicht 
günſtiger noch für ſeinen Auftraggeber, als es dieſem ſelbſt ge⸗ 
lungen ſein würde, und trat, froh des errungenen Vortheils, die 
Rückreiſe an. Nach ununterbrochenem Fahren auf den damals noch 
gänzlich grundloſen Wegen erreichte Treufreund des Nachts das 
hamburgiſche Gebiet. Müde und halb ſchlafend wird er am Thore 
um den Sperrſchilling angegangen und gleichzeitig nach Ramen und 
Charakter gefragt. Gewiß wollte er dem Thorwächter impontren, 
es kann aber au fein, daß er in dem titelreichen Dänemark, wo 
jeder Kaufmann , wenn er die rechten Wege einzufchlagen weiß, 
leicht Etatsrath werben kann, von dem Hochmuthsteufel angefterkt 
worden war. Kurz und gut, er bictirt dem Thorſchreiber feinen 
Namen in die Feder und gibt fi ben gloriofen Charakter eines 
Königlich däniſchen Kaufmannddieners. 

Anton mußte eine Paufe machen, denn feine bi dahin mit 
komiſcher Ernfthaftigkett ihn anftarrenden Zuhörer wurden plößlich 
bedenklich heiter, und Einige Eehrten fih um und ſuchten den ori= 
ginellen alten Buchhalter mit den Augen. 

Um Gotteswillen, mäßigt Euch! ermahnte fie Anton, fonft 
laß’ ih Euch mit der halbgebratenen Taube laufen. 

Ernfthafte Mienen und gemefjene Geftteulationen betheuerten 
dem Erzähler, daß fie feiner Mahnung eingedent fein wollten. 

Große Gelehrte, fuhr Anton fort, pflegen fih um bie fichere 
Stelle eines Thorfhreibers nicht zu bewerben. Unſer Normal- 
Thorfihreiber war wenigitend fein Gelehrter, eben fo wenig quälte 
er fih unnüb mit Gedanken. Ich glaube, hätte fih Jemand als 
König oder Kaifer von Orangoutanien am Thore gemeldet, er 








— 163 — 


würde dieſe Majeſtät ohne Bedenken als eine wirklich vorhandene 
aufgezeichnet haben. Darum nahm er denn auch keinen Anſtoß 
an dem Kaufmannsdiener im königl. dänifchen Groſſo-Geſchäft, 
und fo hatte nun das gefammte Somptoirperfonal mit dem Prin- 
zipal an der Spitze das unglaubliche Vergnügen, fhon am nächſten 
Morgen im Bremdenzettel den wohlbeflallten würbigen Buchhalter 
des Haufes Peter Thomas Heidenfrei zu einem fo phantaftifchen 
Poften erhoben zu ſehen! Der Prinzipal mußte freilich Lächeln, 
und nahm ben Scherz als Scherz, aber die jungen Leute — na, 
Ihr könnt Euch denken, wie. diefe Herren den armen Buchhalter 
mit feinem „föniglih * aufzogen! Zehn volle Jahre Hatte er zu 
thun, zu kämpfen, zu bitten, zu ignoriren, um das verteufelte Prä- 
dieat wieder los zu werden. Und auch da verihwand es nicht für 
immer. Hatte Jemand eine Heine Malice auf Treufreund, gleid 
warf er ihm den königl. Kaufmannspdiener an ben Kopf, um ihn 
zu ärgern und wohl auch in ſchäumende Wuth gerathen zu fehen. 
Erft als er leidend, hinfällig und fiumpf ward, und aus Grille 
und Verehrung fih in den „Schatten” des Prinzipals verwandelte, 
begrub man durch Conferenzbeſchluß den Töniglihen Kaufmanns 
diener, und ich möchte Niemand rathen, den todten Popanz wieder 
auferftehen zu laffen, will er nicht riskiren, innerhalb vier und 
zwanzig Stunden feine Entlafjung aus dem Geſchäft ſchriftlich in 
bie Hände zu befommen. In ſolchen Dingen verfteht der verehrte 
Chef ganz und gar keinen Spaß. 

Es war ein Glück, daß gerade bet Beendigung diefer Anton’- 
fhen Eröffnungen der Bediente den Neuſpanier anmeldete, der ihm 
auf dem Zufe folgte. Der längſt ſchon unzufriedene Treufreund 
hatte nämlich inftinktartig herausgefühlt, daß Die Gruppe junger 
Männer, welche fih in einer Ede des Saales feit zufammenhtelt, 
wenn nicht über ihn allein, doc jedenfalls über beftimmte Perfön- 
lichkeiten unnütze Gloſſen made. Langweilig fand er die ganze 
Gefelfchaft, da er aus Mangel an häufigem Verkehr in fo großen 
und eleganten Zirkein nicht wußte, was er beginnen, mit wem 
er fi unterhalten follte. Es waren freilich verſchiedene, ihm näher 

11* 





— 164 — 


Bekannte anweſend, diefe alle aber fanden über ihm, und fein 
Reſpect vor dem unternehmenden, felbit dispontrenden, auf eigene 
Rechnung und Gefahr fpeculirenden Kaufmann ließ es nit zu, 
mit ſolchen zuerft ein Gefpräh anzufnüpfen. Die jüngeren Colle— 
gen vermied er aus andern Gründen. Ihr Webermuth, ihre 
Zuftigkeit, ihre auf ganz anderer Baſis erbaute Welt ſtieß den 
pebantifch gewiſſenhaften Mann ab. Auch fürdtete er ihre Zunge 
und vermuthete immer, er könne diefen Grünſchnäbeln zur Ziel- 
fchetbe ihres beigenden Spottes dienen. Es blieb ihm demnach 
nichts übrig, als zu den Frauen feine Zuflucht zu nehmen. 

Wie aber das anfangen! Treufreund ſah fchleht und einer 
Brille. fonnte und mochte er fich nicht bedienen, weil er keine feinen 
Augen paflende fand. Nun firahlten und prunkten die Damen in 
einem Putz einher, der es thm unendlich erfääwerte, aus dieſem 
Schwarm durcheinander raufchender Effengeftalten, die indeß nicht 
alle elfenhaft zart gebildet waren, feine Belannten herauszufuchen. 
Der Geplagte ftand daher auch von diefem Verſuche ab, poſtirte 
fihh neben eine auf elegantem Poſtament ftehende koſtbare Blumen- 
vaſe und beobachtete die zifchelnde Gruppe der jungen Herren, in 
deren Mitte fichtlich vergnügt Anton das große Wort führte. Eine 
nicht mehr zu bewältigende innere Unruhe drängte ihn, dem Kreife 
der Slüfternden fih unbemerkt zu nähern, was ihm au gelungen 
fein. würde, Hätte das Erſcheinen des fpüten Gaftes nicht feinen 
Plan gekreuzt. | 

Ruhig, flüfterte Anton feinen Genoflen zu. Da fommt der 
Schatten angehüpft! Das Ohr Hat ihm geflungen und nun will 
er Nachfrage halten, ob diefes Klingen nicht von hier ausgegangen 
fei und fih ihm auf geheimnißvollem, magnetiſchen Wege mitge- 
theilt habe! Und da, Gott Lob, da haben wir ben fiegreihen Cä— 
far aus Mexiko! Seht, wie ftolz er einherfchreitet, mit welch ritter- 
licher Galanterie er die Prinzipalin begrüßt, wie göttlich er fich 
Verzeihung und Gnade zu erläheln weiß und wie er an fünfzig 
junge Lockenköpfe halbtoll macht! Das iſt dein Mann, Julius! Bet 
dem mußt du in die Schule geben, da erfährft du, was bir jekt 


— 165 — 


noch mangelt, und wenn du binnen vier Wochen nicht fehsmal 
wenigfiens Licheserflärungen ausgetaufcht haft, bift du nicht wert, 
beim Handel ald Nebentunft das Lügen mit velernt zu haben. 

"Che Julius auf diefe Bemerkungen etwas erwidern konnte, 
trat Treufreund in den Kreis feiner jungen Collegen. Er ſchritt 
oder ſchlürfte geradeswegs auf Anton zu, den er als den Meber- 
legenften, ungeachtet der Scheu, die er vor dem jungen Manne 
hatte, doch am meiften achtete. 

Gefällt Ihnen der Ausländer, Herr Anton? fragte er. Er 
wirft fih in die Bruft, als wolle er fagen: Verbeugt Euch fein 
demüthig vor mir, denn ich habe die Gnade gehabt, Eure Gefell- 
fhaft zu beſuchen. . 

Stolz will ih den Spanier, erwiderte Anton pathetifh. Gr 
fpielt heut, glaub’-ih, ein Stüdchen Romeo, ein Stüd Egmont 
und fogar ein Stück Fauſt. Wollen Ste noch mehr, Herr Treu- 
freund? Sie find ſelbſt Schuld daran, daß man Ste nicht mit be= 
wundern kann. Warum haben Sie fi geweigert, „den trodenen 
Schleicher“, den wiffensdurftigen berühmteften Famulus des berühm- 
teften Doctor’s darzuftellen? 

Ich werde mich wohl hüten, erwiderte mit Entrüflung der 
‚ehemalige Buchhalter, einem Pfau die Federn ausfpreiten zu hel— 
fen, damit er in noch ftrahlenderem Lichte prahlen und uns Alle 
verdunkeln könne. Das überlaffe ich der eingebildeten Jugend, 
lieber Herr Anton — ich werde nie perfönlid — mir älteren, 
gewiegten Leute willen unferen, eigenen Werth auch ohne ſolchen 
Firlefanz zu ſchätzen. | 

Der Anſchlag eines Accordes auf dem Piano machte dieſer 
Unterhaltung ein Ende. Jeder fuchte einen bequemen Plab zu 
erobern, was bei der großen Menge der Anmefenden nicht ganz 
leicht war und Dielen nicht gelang. Inzwiſchen orbneten fih Die 
Muſikaliſchen, um die Gefelfhaft dur ihre Vorträge zu untere 
halten. 

Muſik läßt fih nicht befchreiben. Wer muſikaliſch genießen 
will, muß Muſik hören. Es wird deshalb die Verfiherung genüs 





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gen, daß ſämmtliche nur von Dilettanten aufgeführten Vorträge 
in ihrer Art ſelbſt muſikaliſch ſchwer zu Befriedigende entzückten. 
Rauſchenden Beifall ärndteten Eliſabeth und Ulrike für ihre ſpa— 
niſchen Lieder, die Don Gomez auf der Zither ſchmelzend und 
meiſterhaft accompagnirte. 

Nicht ſo glücklich fiel der dramatiſche Verſuch aus, obwohl 
ihn die Geſellſchaft nachſichtsvoll beklatſchte. Es fehlte die Einheit, 
ber innere geiftige Zufammenhang der heiter- gehaltenen dramatie 
fhen Kleinigkeit, die aus dem Charakter? der Humoreske einige 
Male in lyriſche Sentimentalität fich verirrte. Dies ging ganz 
natürlich zu. Anton hatte nämlih mit leidlichem Geſchick feine 
Verſe. mit männlihen Reimen niedergefchrieben. Um diefe Ein- 
tönigfeit zu verwifchen, drechſelten Ferdinand und Eliſabeth einige 
in weiblichen NReimen ausgehende Verſe dazu, die beim Lefen fid 
ganz allerliebft ausnahmen, nur leider aller humoriſtiſchen Färbung 
entbehrten, fonft aber zum Ganzen paßten. Bel gemeinfamer 
Durdfiht und Meberarbeitung aller drei Poeten bemerkte Anton, 
der einen gefunden kritiſchen Scharfblid befaß, dieſen bedenklichen 
Fehler und erlaubte fih, auf das Gefährliche deſſelben bet der 
Aufführung Hinzudeuten. Er fand aber merkwürdigerweiſe ungläu— 
bige Zuhörer, und fo blieb das intereflante Produkt mit fehr ge= 
ringen Veränderungen ganz, wie es war. 

Ueber dies halbe Fiasco des dramatiſchen Spieles, das vor 
einem ftreng richtenden Publikum unrettbar zu einem ganzen fi 
gefteigert haben würde, triumphirte Treufreund. Schon während 
der Aufführung ließ cr Bemerkungen feinen höhniſch lächelnden 
Lippen entihlüpfen, die den Ohren des Autors nit angenehm 
klingen Tonnten. Schade nur, daß der kritifirende „Schatten” Recht 
hatte! Als nun aber der Vorhang des mit feinem Gefhmad auf- 
geſchlagenen Fleinen Theaters flel, pridelte es den alten Herrn, fein 
Müthchen zu kühlen. Er hing fih mit der freundlichften Miene 
an Antons Arm und fagte lächelnd, wie ein Satyr, dem es ge= 
Jungen ffl, eine badende Nymphe zu belaufen: 

Das gute, alte, derbe, deutſche Sprihwort: Schuſier, bleib 





—— 167 — 


bei deinem Leiſten! hat man auf dem vornehmen Inſtitute, wo 
Sie Ihre ausgezeichnete Bildung erhielten, wohl nicht gefannt? 

Doc, verjegte Anton troden, der fehr wohl wußte, wo hin- 
aus der verbiffene Treufreund wollte, doch, mein Verehrtefter, nur 
wählte man es nicht zum Gegenjtande eines befondern Vortrages. 

Es geſchieht Ihnen Redt, fagte der ehemalige Buchhalter, ganz 
Recht gefhieht Ihnen. Warum ließen Ste fih durch Selbftüher- 
ſchätzung verblendet, überreden, den Voeten in's Handwerk zu pfufchen ? 

Anton zudte die Adfeln. Haben wir und blamirt, mein 
Verehrteſter, verfeßte er, fo tragen wenigſtens drei zufammen an 
diefer Blame. Cine fo getheilte Laſt, die noch dazu auf den zar« 
ten Schultern einer Tiebenswürdigen, jungen Dame mit ruht, tft 
immer füß. Ich zweifle indeß nicht, daß Sie weit befugter dazu 
waren, ale ih, denn Sie haben ja in wirklicher poetifcher Begei— 
fterung zwei Gedichte gemacht. | 

Das war dem „Schatten” zu viel. Er fürdtete, der gereizte 
Anton könne die Indiscretion fo weit treiben, daß er aud bie 
Beranlaffung verrathen werde, die ihn zu dieſen poetifchen Verſu— 
hen getrieben, und um dies zu verhindern, machte er ein gewaltig 
grimmiges Geſicht, indem er fich tief verbeugte und mit den Worten; 

Gehorfamer Diener, meine Herren von Geltern! ſich ſtolz 
entfernte. Ä 

Anton war weit entfernt, dem alten Diener des Haufes feine 
freilih etwas unzarten Aeußerungen nadzutragen. Gr lächelte 
gutmüthig und benußte die jeßt entitandene Pauſe, in welcher die 
Damen wieder durcheinander raufchten, mit einigen diefer reizenden 
Huldinnen ein Gefpräh anzufnüpfen. Zu feinem Xeidwefen hatte 
Niemand Ruhe, auh war es zu voll, fo daß außer gäng und 
gaben Gefellihaftsphrafen ein ordentliches Geſpräch über einen be= 
fiimmten Gegenftand mit den flatterhaften Schönen nicht anzufpin- 
nen war. Anton gab daher feine Bemühungen bald auf. Eben 
wollte er fi) wieder zu feinen Gollegen verfügen, da gewahrte er 
das feine, intelligente, roſig angehauchte Gefiht Eliſabeth's, die 
mit fharfem Auge Jemand zu ſuchen ſchien. Faſt gleichzeitig er 





— 168 — 


blickte au ihn das junge Mädchen. Einige Worte bald an biefe, 
bald an jene Dame richtend, näherte fie ſich unmerklich dem talent- 
‚ vollen Eorrefpondenten, der ihr mit einigen fehmeichelhaften Worten 
nicht fowohl ein Kompliment zu fagen fih anfdidte, fondern ihr 
vielmehr Gelegenheit geben wollte, ihm etwas, und follte es auch 
etwas Unangenehmes fein, zu erwidern. 

Ih danke Ihnen, Herr Anton, für die übergroße Nachſicht, 
die Sie üben, verfebte Eltfabeth, ſtärker erröthend und ein bitten= 
des Auge zu ihm auffhlagend. Ich weiß recht wohl, daß Sie 
in diefem Augenblide nit ganz wahr find, aber ich weiß Dies 
zu ſchätzen. Laſſen Ste mir nebft meinem Bruder nur Verzei— 
bung angebeihen, daß wir in unferer eingebildeten Kurzfichtigkeit 
nicht begreifen wollten, wie volllommen gegründet Ihre Einwürfe 
und Bedenken waren. Unter uns, Herr Anton, wir haben ung 
ganz fhauderhaft blamirt! — Aber die Hand auf den Mund! 
Unfer Publikum ift größtentheils zufrieden, und Vater und Mut- 
ter find geradezu entzüdt! Das iſt die Hauptfache, alſo — fill 
geſchwiegen! — Nehmen Ste nochmals meinen vet, recht herz= 
lichen Dank! 

Eliſabeth grüßte mit der Hand und mifchte fih wieder unter 
bie Damen. Treufreund ftand abermals an Anton’s Geite. 

Werden Sie nur nicht ftolz, junger Freund, fagte der „Schat- 
ten.” Alle Weiber find wetterwendifh. Wenn fie uns heut’ ftrei- 
heln, wandelt fie morgen die Luft an, die roſigen Nägel an 
ihren Sammethändchen zu fchärfen, damit fie auf alle Fälle ge- 
fihert find. . Sehen Sie 'mal dort hinüber! Da plaufcht die 
jhöne Zee fhon wieder fo unbefangen heiter mit dem vergötterten 
Don, als wär’ der dunfeläugige Kerl wenigſtens ihr Halbbruber, 

Läftern Sie nit, Treufreund ! 

Behüte, ich ärgere mich nur. 

Dann legen Ste fih aufs Ohr und ſchlafen oder — willen 
Sie was — zählen Sie Schillinge. Es werden morgen ein hübſch 
paar Mark draufgehen. 

Adieu! ſagte der „Schatten.“ Mit unhöflichen Leuten, mein 


— 169 — 


lieber Herr Anton — ich werde nie perſönlich — kann ich mich 
nicht unterhalten. Vlelmehr danke ih für Ihren Rath. Mit dem 
Bilderfirlefang hat es wohl noch einige Zeit. Da will ich ’mal 
eine Inſpectionsreiſe antreten, das tft als ältefter Angeftellter 
ohnehin gemiffermagen meine Pfliht. Wenn die Engel tanzen, 
laden die Teufel. Adieu, meine Herren, auf Wiederfehen ! 

Ein mürrifher Kauz, fagte Kurt, aber bei Gott, eine treue 
Seele! Die Hetdenfret’s brauchen wahrhaftig feine Ginhäterin zu 
halten, ein Winf genügt fiherlih, um bdiefen Gerberus mit dem 
drolligen Aeußern und dem ebelften, aufopferungsluftigfien Herzen 
feft an's Haus zu fetten, "wenn alle Mebrigen den Genüffen ber 
Welt nahzulaufen das Bedürfnig fpüren. 

Ich ſag' Euch, betheuerte Anton, legt fi dereinft ber 
„Schatten“ in's Grab, fo wird bie Sonne nur jeden andern Tag 
über diefem Haufe aufgehen, das fie jet von früh Bis Abends 
mit Gold übergiept! 

Treufreund verließ unbemerkt die Gefellihaft, ging die Treppe 
‘ hinab über die jetzt file Diele, und verfügte fih in das Comp— 
toir, das Allerheiligfte des Haufes, wie er e8 nannte. Eine kleine 
Comptoirlampe anzündend, wanderte er langfam, in alle Ecken 
blidend, an jedem Pult furze Zeit verweilend, durch fämmtliche 
Zimmer. Auf feinem eigenen morfhen und zerfeflenen Stuhle 
erſt nahm. Treufreund Platz, um auszuruhen. Er ftellte die matt 
brennende Lampe mit dem grünen Schirme vor fih hin, daß fie 
ihr bleiches Licht über die ganze Breite des Schreibpultes ergoß. 
Wie oft Hatte er an diefem Pulte gefeflen, jebt freudig bewegt, 
ftolz im Gefühl der Buchhalter eines Haufes zu fein, das, nicht 
um zu prahlen und etwa todte Schäbe auf todte Schäbe zu häu⸗ 
fen, fondern um der Menfchheit zu nügen, gemeinnüßigen, Die 
Siviltfation, den Humanismus und europätfhe Bildung fördern 
den Zweden zu dienen, Millionen wagte; dann wieder von ſchwe— 
ren Sorgen und bangen Befürchtungen ntedergebrüdt, gelähmt | 
an Leib und Seele. In diefen braunen, fo unſchön ausfehenden 
Räumen waren große Pläne entworfen worden, große Entſchlüſſe 





— 170 — 


zur Reife gediehen. Aber die Welt, die nur das Strahlende, 
das laut und pomphaft Verkündete kennt, wußte wenig oder nichts 
davon, das Haus Peter Thomas Heidenfrei liebte es nicht, mit 
ſeinen Plänen zu prunken, erſt die gelungene That machte es 
einfach bekannt, weil ſie in ihren Wirkungen doch nicht lange 
verborgen bleiben konnte. 

Welch ein Abſtand zwiſchen dieſen jetzt fo leeren, ſchweig⸗ 
ſamen, ja todten Zimmern und dem Glanz und Leben, das über 
denſelben bunt flimmernd rauſchte! Wenn der weltmüde Menſch 
ſich aus dem Lärm des Menſchengewirres zurückzieht und Ruhe 
ſucht in der Einſiedlerhütte zwiſchen rauſchenden Bergtannen oder 
auf der Höhe eines unzugänglichen Felſengrats, kann ihm nicht 
wohler ſein, kann er in der beſchaulichen Stille ſeiner Einſamkeit 
nicht ſüßere Wonneſchauer ſein Herz durchbeben fühlen, als jetzt 
der alte Buchhalter, wie er in dem mürben Stuhle lehnte, dem 
Ticken der Todtenuhr im morſchen Holze zuhörte und fein ver- 
gangenes Leben in einer Reihe heiterer, ernſter und ſchreckhafter 
Schildereien an ſeiner Seele vorübergehen ließ. Er ſaß lange 
ſo, ohne ſich zu rühren, nur mit ſeinen Gedanken beſchäftigt. 
Zuweilen glaubte er das Raſcheln einer Maus zu vernehmen, 
oder hinter den alten, loſen Tapeten bröckelte Sand von der 
Mauer und rieſelte ziſchelnd nieder. Dann kam es ihm wieder 
vor, als regten ſich die Blätter in den bei Seite geſtellten Hand— 
lungsbüchern, die mit Staub bedeckt, von Spinneweben überzogen 
waren. Was flüſterten ſich wohl jetzt die großen Zahlen in ben. 
alten Büchern zu? Erzählten fie ſich vergefjene Geſchichten? Spra- 
shen fie wie Hundertjährige Diener von den ſchweren mühevollen 
Tagen, von den Arbeitslaften, weldhe das Haus Hetdenfrei fo 
groß, fo veih, fo mächtig gemacht hatten? 

Treufreund konnte fih das Vergnügen nicht verfagen, eins 
diefer für ihn ehrwürdigen Bücher aufzufhlagen und fih in bie 
Aufzeichnungen zu vertiefen, bie fie enthielten. Da lag fie vor 
ihm, die Zeit vergangenen Glüdes, freudigen Hoffens! Mon ben 
Küften der neuen Welt herüber rauſchten die Palmenhaine, Kos 


— 171 — 


libri's umflatterten ihn mit blitzendem Gefieder, räthſelhafte, ſelt— 
ſam geformte Blumen leuchteten und glühten, und es war ihm, 
als ſähe er das Wachſen der Diamanten Brafiliens, wo all’ das 
Seltene und Herrlihe, von dem er wachend träumte, etwas Alle 
tägliches war. 

Armer, armer Hohenfels! feufzte der alternde Mann und 
in feinen gerötheten Augen glänzte ein Thränendiamant von rein- 
ſtem Waſſer. Wo biſt du Hingelommen mit deinem großen, bie 
ganze Welt umſchließenden Herzen! Wer mag dich’ gepflegt, ge= 
tröftet haben in den fehmeren Stunden, welche das Unglüd über 
dich brachte und die Hartherzigkeit der Menfhen? — Ya, wäreft 
du am Leben und Chef der brafillanifhen Commandite geblieben, 
die fo große Erfolge verhieß, dann wäre auch hier manches an— 
ders und ich glaube fogar noch beffer, als es jetzt iſt. Auch ih 
felber, dein alter Freund, bein zuverläffigfter und längſter Gor- 
refpondent, wäre nicht fo zeitig ergraut und flumpf geworben. 
Ohne dein grauenvolles Schickſal, armer, verforener, hundertmal 
von mir beweinter Freund, hätte ih meine Kräfte gefpart und 
weifer hausgehalten! Als fie dich aber Alle aufgaben und mir 
auch die Handelscorrefpondenz mit dir unterfagt ward, da fühlte 
Hich, dag mein Herz Trank wurde, und ich gab mir ordentlich Mühe, 
es noch kränker zu machen. Was galt mir das Leben ohne dic, 
ohne den Balſamhauch deiner Briefe, die immer Engelömelodien 
meinem Ohre vorfangen und wahres Manna waren für meinen 
Geiſt. — Armer, armer Auguftin! — — O, wenn fie wüßten, 
bie Glücklichen, im Glück Scwelgenden, die jet da oben in den 
Prunfgemädern ſich gedankenlos vergnügen, mit wie viel Thränen 
bie Erde gedüngt werben mußte, um all diefe Herrlichkeit hervor- 
zubringen, es erfaltete wohl Manchem die Hand an dem erhobenen 
Glaſe und die Geifter der Vergangenheit ſchwebten unfichtbar und 
doch von Allen geahnt, über ben Häuptern der Geſchmückten durch 
bie Säle! — Das iſt's, was mic zuweilen drüdt, was ſchwer auf 
mir Iaftet, was mich ſchmerzt. — Es tft der einzige, nicht ganz 
helle Punkt auf der fo malellofen Firma dieſes Haufe, tn deſſen 





— 11} — 


Dienften ih grau und fteif geworden bin. Ich gäbe gern ben 
Reft meiner Jahre dahin, Fönnte ih auch diefen Flecken austilgen, 
aber ich kann es nicht, und Heidenfret, den im Grunde feine Schuld 
trifft, kann e8 eben fo wenig. So bleibe denn begraben, du großer 
Menfh mit den ſtarken Leidenfchaften, und wenn dein Geiſt nod 
meiner gedenft, dann gib mir ein Zeichen, damit ich ftark bleibe 
und an ein dereinftiges Wiederfehen glauben darf! 

Der ehemalige Buchhalter ſchlug das Buch wieder zu und 
flarrte mit merkwürdig glänzenden Augen in das Comptoir. Der 
Schein feiner Lampe bildete an der Dede einen hellen Reif. Durch 
diejen Reif zog jebt langfam ein Schatten, anfangs formlos, jpäter 
etwas mehr Geftalt annehmend. 

Treufreund erfhrad und hätte fih beinahe entſetzt; denn mit 
wie großer Liebe er auch an dem verloren geglaubten Hohenfels 
hing, ein Heldengeiſt wohnte nicht in feiner Bruft und mit Gei— 

ftern ſich herumzuſchlagen hatte er eben fo wenig Muth, als eine 
geladene Piſtole auf Jemand, und wär’ es fein Todfeind geweſen, 
abzudrüden. Er glaubte aber wirklich, fein aus tiefiter Seele ge— 
flüfterter Seufzer fei von den dunkeln Mächten erhört worden und 
der Geift des Todten trete in feine eigenfte Lebensatmoſphäre. Er 
fprang auf und jtieß dabei den Stuhl um, daß ein Stüd der 
alten morjhen Lehne davon abbrach. Der Schatten im Lichtfchein 
an der Dede war verfchwunden. 

Thor, der ich bin! rief Treufreund fih ermuthigend zu, und 
hob den Seflel wieder auf. Wie fann man doch verftändig und 
nebenbei auch fo kindiſch, fo Hafenherzig fein! Wie oft habe ich 
ganze Nächte durh allein an diefem Pulte zugebradt, ein Geiſt 
{ft mir nie erjchlenen. Aber woher der Schatten fam, das möcht’ 
ich doch wiffen. 

Treufreund heftete ſeinen Blick feſt an die Decke, bückte ſich, 
folgte dem Lichtſtrahl mit den Augen, entfernte ſich ſelbſt vom 
Pulte und näherte ſich dem nach dem Kanal hinausſehenden Fenſter. 

Nach kurzem Verweilen daſelbſt hörte er ein dumpfes Rau⸗ 
ſchen, wie wenn eine Jolle von raſchen Ruderſchlägen getrieben, 


X 


— 173 — 


die Fluth durchbricht, nur Ruderfchläge vernahm er nicht. Zu 
feinem nicht geringen Eritaunen glitt faft gleichzeitig der ungeftalte 
Schatten wieder, diesmal aber Außerft fehnell, dur den hellen 
Lichtfchein an der Dede. 

Diefe auffallende Erfcheinung reizte Treufreund’s Neugierde. 
Er ging zurüd zu feinem Pult, ergriff die Lampe und löſchte fie 
and. Dann fchlürfte er weiter dur die fibrigen Zimmer des 
Comptoirs, verſchloß dies und trat hinaus auf die heil erleuchtete 
Diele. Noch vernahm er an dem lauten Durdeinander vieler 
Sprechenden, daß die Vorbereitungen zu den „lebenden Bildern“ 
noch nicht beendigt fein Fonnten. Es blieb ihm deshalb Zeit, noch 
eine kleine Infpectton vorzunehmen, obwohl ihn perfönlich der Vers 
luft eines oder des andern Bildes, von dem man ſoviel im Vor⸗ 
aus gefprochen hatte, nicht gefhmerzt haben wiirde. Nur um jeg- 
liche Störung während diefer Darftellungen zu vermeiden, wünſchte 
Treufreund vor Beginn derfelben wieder in die Geſellſchaft zurüd- 
zufehren. 

Das Heidenfrei'ſche Haus war, wie dies bei vielen alten Ge⸗ 
bauden der Fall ift und wie man Einrichtungen ähnlicher Art in 
Hamburg noch bis auf den heutigen Tag fehen kann, an ber 
Kehrfeite mit einer fogenannten „Laube“ verfehen, die als breiter 
Gang über dem Fleeth hing. Hier wurden Gefchirre aller Art, 
wenn man fie gereinigt und gepußt hatte, ausgeftellt, auch Wäſche 
zum Trodnen aufgehangen und im Sommer ward der obere Theil 
der Laube mit einer Reihe Blumentöpfe befebt, was dem an fi 
wenig anziehenden Raume etwas Anmuthiges verlieh. An dem 
einen Ende dieſes Anbaues führte eine auf die Vorſetzen ſich ftü- 
bende Treppe hinab, deren unterfte Stufen zur Zeit der Fluth, 
blieb diefe eine normale, vom Waſſer überfpült wurden. Herr 
Heidenfrei hatte diefe Vorrichtung zu feiner eigenen Bequemlichkeit 
machen laſſen, denn war feine Anmwefenheit im Hafen nöthig, fo 
fonnte er gleich hier in eine Jolle fpringen und fih raſch auf bie 
Elbe Hinausrudern laflen. Oft indeß benußte er der unbequemen 
Paſſage wegen dieſe Gelegenheit nicht, und In den lebten drei oder 


— 174 — 


vier Jahren war es Niemand mehr eingefallen, von der Laube 
aus in eine Jolle zu ſteigen. Dagegen bedienten ſich ihrer die 
Schutenführer häufig, theils um auf der Treppe ſitzend, ihr Früh⸗ 
fü zu verzehren, theild um über biefelbe nach dem Gomptoir zu 
gelangen, wenn fie bier irgend etwas zu beforgen hatten. 

Anmittelbar an die Laube ftieß ein nicht großes, aber nett 
eingerichtete Zimmer, das früher ausjchlieplih als Garderobezim⸗ 
mer benußt worden war, ſeit der Aufnahme Chriftinens in bie 
Bamilie aber dieſer zur Unterbringung ihrer Habfeltgfetten eingeräumt 
wurde. Das einzige, hohe und breite Fenſter deſſelben ſah hinaus 
auf die Laube, In diefem Zimmer hatten am Feltabende alle 
Herren ihre Mäntel und Ueberwürfe abgelegt, "weshalb es Jeder» 
mann zugänglich war. 

Treufreund ging an dieſem Gemache vorüber, ftteg ein paar 
Stufen hinauf, öffnete die unverfchloffene Thür und trat hinaus 
auf die Laube. Noch immer vegnete und ftürmte .es, und bie Luft 
war fo did, daß felbft fharfe Augen wenig fehen Tonnten. Die 
bimmelhohen Giebel der Speicher, die krumme Richtung bes Kanals, 
befien träge Wellen jebt ſchwarz ausfahen, und das Pfeifen des 
Windes, der mit Fenſterläden klappte und die alten Wetterfahnen 
freifchend auf ihren roftigen Spillen drehte, gewährten einen faft 
fchauerlichen Anblick. Es überlief den alten Buchhalter kalt, als 
er fo rinſam hinunterftierte in die trübe, gurgelnde Fluth, während 
einzelne Regentropfen eifig kalt auf feinen nadten Schädel fielen. 

Er mochte ein paar Minuten fo geſtanden haben, als er 
wirklich eines Nachens anfihtig warb, ber drei bis vier Häufer 
weiter, unter einer Laube an den Vorſetzen angefettet fein mußte. 
Denn er tanzte auf dem ftark bewegten Wafler und blieb doch 
auf einer und drrfelben Stelle. Bemannt jedoch war er offenbar - 
nit. 

Treufreund durdfröftelte die Nachtluft; auch fühlte er ſich 
nicht verpflichtet zu unterfuchen, wem diefer Nahen wohl gehören 
möge und zu welchem Zwede man ihn dahin geichafft habe. Es 
waren ja hundert Gründe denkbar, und viele Schiffer und Sollen» 





— 15 -— 


führer ließen mit Abdficht ihre Fahrzeuge in ftürmifchen Nähten an 
gefhästen Stellen auf den Kanälen liegen. Zugleich vernahm er 
Rufen und fchnelles Hin» und Herlaufen der Diener, woraus er 
ſchloß, die Vorftellung werbe fogleich beginnen, das erite lebende 
Bild vielleicht fehon hinter der bergenden Gardine geftellt fein. Er 
verließ deshalb feinen Fühlen, windigen Ausfhau und eilte beru- 
bigter und in fich heiterer geftimmt, zur Geſellſchaft zurüd, als er 
fie früher verlaffen hatte. Gerade bei feinem Eintritt in den Sa⸗ 
„Ton erklang die filberne Schelle des bie Vorftellung leitenden Dis 
vertord, eine Rolle, welche Eduard zugefallen war, die Gardine 
flog auf und die Gefellfchaft erblidte, fogleih in ſtürmiſchen 
Applaus ausbrehend, das ſchmuckloſe Zimmer Clärchens, der Ge⸗ 
liebten des Grafen Egmont, in jenem entzüdenden Momente, 
wo. Glächen, nachdem fie bewundernd bie reiche ſpaniſche Tracht 
bes theuern Mannes betrachtet, zu feinen Füßen ſich nieder⸗ 
läßt, in feinem Anblick ſchwelgend. Diefer Egmont war ein 
Mann von wahrhaft hinreißender Schönheit, dennod aber ver- 
buntelte er nicht das zu feinen Füßen hingefunfene, durch ihr 
wunderbares Entzücken gleichfam verklärte Bürgermädchen, ine 
dem Jeder fofort Eliſabeth Heidenfret, die gefeterte Tochter des 
Haufes erkannte. Den Grafen verriethb ſchon der etwas dunkle 
Teint als Südländer. Don Alonfo Gomez, der kaum, eine glück⸗ 
lichere Wahl Hätte treffen können, war ihm daran gelegen, uner- 
fahrene Herzen unruhiger Elopfen zu machen und mehr als eine 
Einbildung mit füßem Köder zu vergiften, vepräjentirte den ritter- 
lihen Grafen mit vollendeter Grazie. Als der Vorhang nieder- 
rollte, ließ Heidenfrei ſelbſt, der in der vorderſten Reihe der Zus 
fhauer neben feiner Gemahlin faß, ein lautes Bravo erjchallen und 
gab damit das Signal zu neuem, nicht enden wollenden Applaus, 


Wie gefällt dir der Burfhe? fragte Anton feinen Gollegen 
Kurt. Mich dünft, es kann Niemand einen Grafen beffer fpielen, 
wenn er nicht zufällig ſchon von Geburt zum Grafen geftempelt 
worden ift. 








— 176 — 


Es freut mich, daß ich keine Schweſter habe, erwiderte der 
Gefragte. | 

Anton ſah ihn groß und ernfthaft an. 

Ja gewiß, fuhr Kurt fort, ich meine es, wie ich's fage. Einem 
Mädchen, das einigemale mit dieſem Pfeudografen das Pfeudo- 
Clärchen fpielte, könnte es paffiren, ſich plöglich, ohne es zu wollen 
und zu willen, in das wirkliche Clärchen mit all ihren Schmerzen 
verwandelt zu eben. 

Du haſt fhauerlihe Einfälle, fagte Anton ganz verftimmt. 
Doch horch, die Schelle gebietet Ruhe und fordert zur Aufmerk- 
famteit auf. 

Hinter der aufrollenden Courtine zeigte fi jegt die junoniſche 
Geftalt der „Jungfrau von Orleans“ in dem begeifterten Augen- 
bi, wo fie, aus dem Schatten des Druidenbaumes hervortretend, 
Bertrand den Helm mit den Worten entreißt: 

„Mein tft der Helm und mir gehört er zu.” 

Die Repräfentantin diefer Jungfrau war eine vollendete Schön= 
heit. Ste zeigte ein Ebenmaa der Glieder, eine fchlante Fülle 
der Formen, ein fo edel gefhnittenes Gefiht, wie man in folder 
Dolltommenheit fie nur felten antrifft. Am vollendetiten aber war 
bie Büſte der Jungfrau. Der Beifall der Zufhauer gab fi in 
einem letfen, bewundernden Ah! kund, die Darftellerin felbft aber 
erfannte oder kannte Niemand. Nur einige wentge Gingemwethte 
wußten, daß dies beneidenswerthe, fchöne Mädchen Chriftine, die 
Tochter eines Quartiersmannes fei, fie waren aber vorfichtig und 
ſchwiegen, was unter der Damenwelt Anlaß zu den kühnſten DVer- 
muthungen gab, und aud die Herren ftark beunruhigte; denn jene 
wollten doch um jeden Preis erfahren, wo eine Blume von fo un: 
gewöhnlicher Schönheit ſich verftedt halte, und diefe fühlten mehr 
oder weniger das Bebürfnig, dem ſchönen Mädchen Huldigungen 
barzubringen, wie fie in feinen Zirkeln üblich find. 

Man gloffirte noch darüber, als die Enthüllung eines dritten 
Bildes angekündigt ward. Diesmal zeigte ſich der ſchöngeformte 
Balcon eines fübeuropäifchen Palaſtes mit Dleandergebüfh, Myr⸗ 


— 117 — 


- ten- und Orangenbäumen. Zwiſchen biefen fland eine feine 
Mäpdchengeftalt mit reichen, dunklen Locken, die das fchmärmertfch- 
milde Gefiht weih umhüllten. Ste beugte fih herab über den 
Balcon, um einem Jünglinge, der in fehnfüchtiger Liebesgluth zu 
der Göttlihen aufblicte, zum Abjchiede die zarte Hand zu reichen. 
Schöner, idealer und doch fo ganz naturwahr konnte der Abſchied 
Romeo's von Julie, als der Anbruch des Morgens die Liebenden 
nöthigt, ihr ſüßes Geplaudeg abzubrehen, nicht wohl im Bilde 
bargeftellt werden. Niemand erinnerte‘ fih jemals auf dem Thea⸗ 
ter eine jo Eindlih naive und doch wieder fo edle Julie gefehen 
zu haben, Jeder geſtand es offen zu, daß, wäre dem wirklichen 
Darfteller des Romeo ein Anftand und eine Aeußerlichkeit verliehen, 
wie man ihn jet eben bewunderte, der Eindrud eines foldhen 
Glücklichen auf die Zuſchauer ein völlig unberechenbarer ſein müſſe. 
Die gewinnende Julie ſtellte Ulrike dar, und daß Romeo fein Ans 
derer fein fonnte, als der unentbehrliche Don Gomez, das hatte biefer 
bevorzugte Mann diesmal meht noch feiner Abſtammung als der 
Gunſt der Verhältniffe und den Wünfchen derer zu verdanken, die 
bei Vertheilung der einzelnen Rollen doch vorzugsweife gehört und 
auch möglihft erfüllt werden mußten. Eduard behauptete fpäter, 
er habe nie geglaubt, daß weiblicher Eigenſinn fo fich. verfchwiftern 
und treulih zufammenhalten könne mit verführerifchem Bitten from- 
mer Augen und Elug verfiedter Schelmeret. 

Die nächftfolgenden Bilder, ebenfalls Scenen und Situatio⸗ 
nen aus den Werken verſchiedener Klaſſiker des In- und Auslan— 
des vorführend — man hatte fih nämlich fireng nur an Dichter- 
werfe gehalten — machten weniger allgemeines Auflehen, obwohl 
fie alle gefielen. In ihnen "traten großentheild andere Perfonen 
auf, die jedoch für die Ereigniffe, die wir zu erzählen haben, von 
feiner Bedeutung find, weshalb wir fie mit Stillfehweigen übergeben. 

Endlich ward das legte Bild angekündigt. Neugierig heftete 
Jeder den Blick auf die fih Tangfam hebende Gardine. Bor Aller 
Augen lag das Innere der Herenfühe, wie fie Goethe im Faufl 
beſchreibt, Junker Satan mit dem Wedel in der Hand, ſaß höhniſch 

D. B. XI, Willtomm’s Rheder und Matrofe. 12 





— 178 — 


grinfend auf feinem Throne, Fauſt näherte fih dem geheimnißvollen 
Zauberfpiegel, der beim Aufrollen des Vorhangs noch verhüllt, 
jest fih plötzlich erleuchtete, und in überirdiſchem Aetherglanze 
ftrahlend das entzüdende Bild eines vollendet ſchönen Weibes in 
- antiter Gewandung, zeigte. Es war ohne Frage das gelungenfte 
aller vorgeführten Bilder. Unter den Mitwirfenden erfannte man 
im Fauſt abermals den gefeterten Löwen der Geſellſchaft, Don 
Alonſo Gomez, während die Geſichtßzüge der weich Hingegoffenen 
Srauengeftalt auf die Darfiellerin der Jungfrau von Orleans deu⸗ 
teten. Mephiftopheles hatte fih zu gut magfirt, um erkannt wer⸗ 
ben zu können. Es war aber Niemand anders hinter dem Schalte 
verſteckt, als unfer luſtiger Freund Anton. 

Während dies Bild noch die Blicke ber Zufchauer entzückte, 
ließ fih in den Nebengemäcern ein verdächtiges Klappern und 
Klirren vernehmen, das mandem Ohr wie Sphärenmufil Fang. 

Man richtet an, flüfterte Julius Kurt in's Ohr. Gott fei 
Dank, daß nah fo vielen fpirituellen und ideellen Genüflen end- 
lich auch ein gefunder materieller in Ausficht fieht! Mir iſt fchon 
ganz flau geworden bei diefem ewigen Schwärmen in Wolkendunſt 
und Nebelglanz. Ein Bischen ſolches Hofuspofus Laffe ich mir 
zur Abwechfelung wohl gefallen, dann aber wieder 'was berb Rea— 
les, das man fafjen, fefthalten und, til e8 eßbar, auch zermalmen 
kann. Dies gelftig zubereitete Zuderwafler mit Vanillezuſatz ver- 
birbt einem blos den Magen. 

Du biſt und bleibſt ein unverbeflerliher Matertalift, fagte 
Kurt lachend, 

Dafür nenn’ ih die fette Marfh meine Helmath, erwi- 
berte in befter Laune Julius, und wenn Ihr Anderen, die 
Ihr e8 ber Zeitbildung angemeflen erachtet, von den guten Dingen, 
welche die Erde uns fchenkt, nur gleihfam die Staubfäden der 
bontgreichiten Blumen auszufaugen, in Euern beiten Jahren zu- 
fammenjhrumpfen werdet zu Huzelmännden, gedenke ich als Achter, 
ftolger Hanfeftädter einherzuparabieren und bon mir fagen zu kön— 
nen, wie Goethe vom Doctor Luther: er bat fih ein Bäuchlein 








— 179 — 


angemäftt. Sa, der Goethe, das war doch noch ein Kerl! Bet 
all feinen poetifhen Schnurren blieb er immer durch und durch 
finnlich genteßender Menſch. Darum aud fchuf ‘er ewig lebende 
Charaktere und reichte uns in goldenen Schaalen die Luſt der Erbe 
zum Genießen dar! Prr, da fällt der Vorhang — das Gpiel 
iſt aus. 

Superbe! ſprach aufſtehend Herr Heidenfrei und rief den ſchon 
verſchwundenen Darſtellern noch ein lautes Bravo nach. 

Die nächſte Viertelſtunde ward Vielen lang, beſonders denen, 
welche wie Julius in der Materie recht eigentlich ihr Lebengele- 
ment fuchten und fanden. Nah und nad traten Die bisher un« 
fihtbar gewejenen Mitglieder der Geſellſchaft wieder ein, bie jept 
neues Leben, neue Unterhaltung in die ſchon ermübeten Gruppen 
brachten. Bon den Meiften aus Weberzeugung, von Einigen, bie 
wenig Sinn für Fünftlerifche Darftellungen und gar fein Urtheil 
befagen, aus Galanterie mit Lobſprüchen überhäuft, ärndteten vor 
Allen Elifabeth und Ulrike, mehr vielleicht noch der Mexikaner, der 
mit fiegesgewiffem Uebermuth königlich ftolz auftrat, den Dank für 
ihre aufopfernden Bemühungen. Nur die Schönfte der Schönen, 
bie herrliche Jungfrau von Orleans und bie Geftalt des Weibes 
im Zauberfptegel ward nicht fihtbar. Selbſt wiederholte Fragen 
und der beſtimmt ausgefprochene Wunſch Kinzelner, man möge 
doch der Geſellſchaft dies feltene Geſchöpf vorftellen,, bliepen wir- 
fungslos. Die Meijten vermutheten in der Unbelannten eine frembe 
Künftlerin, und als Eltfabeth endlich das Verfprehen gab, man 
würbe die viel Begehrte bei Tafel Fennen lernen, wünſchten Alfe 
obne Ausnahme das Zauberwort, weldes die Plügelthüren des 
Spetfefaales zu erſchließen pflegt, das Wort: es tft angerichtet! zu 
vernehmen. 

Auch diefer glüdliche Augenblick erſchien. Die Paare orbne= 
ten fih, und erwartungsvoll trat die Gefellfhaft in den prächtig 
decorirten Spetfefaal, wo auf der in Hufelfenform geordneten Ta= 
fel das reiche Silbergefchter des Hauſes zuvörderſt Jedermann In 
die Augen fallen mußte. Tafelauffähe von folder Größe, ſolchem 

| 12* 





— 180 — 


Werth, ſo geſchmackvoll geformt hatte manches fürſtliche Haus nicht 
aufzuweiſen. 

Wir ſchweigen von den culinariſchen Genüſſen, die nunmehr 
geboten wurden und die auch die weit getriebenſten Wünſche der 
größten Feinſchmecker vollkommen befriedigten. Neugierig warteten 
Viele auf die verheißene Erſcheinung der ſchönen Unbekannten, die 
ſchon geraume Zeit in der einfachen Tracht einer Tochter aus dem 
Volke unter den Aufwartenden ſich befand, in dieſer verbergenden 
Hülle aber von Niemand geſucht, mithin auch nicht entdeckt ward. 
Die Meberrafhung, das Staunen war daher allgemein, als Heiden⸗ 
feet ſelbſt dieſe Dienerin als Jungfrau von Orleans bezeidnete. 
Man fand biefen Scherz ganz allerliebſt, glaubte aber doch, daß 
fi hinter der fcheinbaren Dienerin eine Berühmtheit erften Ran= 
ges verberge, bie nur nicht befannt fein wolle, um fpäter, wenn 
fie Öffentlich auftreten werde, deſto größeres Auffehen zu machen 
und jubelnden Applaus einzuerndten. 

In diefer Annahme wurden fie noch beftärkt durch das auf- 
merffame, ja falt an Huldigung -ftreifende Benehmen Don Alonfo’g, 


der zwiſchen Eltfabeth und Ulrike, bie ihn fo würbig unterftügten, 
einen beneidenswertben, von Manden ihm aud) beneideten Plag 


gefunden Hatte. So oft Chriftine in die Nähe des Mertlaners :- 


fam, fagte er dem fchönen Mädchen ein paar verbindliche Worte, 
die fie erröthen machten und dadurch nur die keufhe Wetblichkett 
ihres ganzen Weſens noch mehr zur Geltung braten. Die Unter- 
haltung mit feinen beiden reizenden Nachbarinnen vernachläſſigte 
Don Gomez keineswegs. Das Geſpräch ftodte nie und war ein 
Thema erledigt, fo wußte der Mexikaner in ungezwungeniter Wetfe 
ein anderes anzufhlagen. Da er es liebte, junge Damen anzu 
regen, fo ftrebte Don Alonfo immer darnach, fie in Oppofition zu 
verfeßen. Dies gelang ihm auch jebt wieder, ald er die ganz 
aus der Luft gegriffene Behauptung aufitellte, Goethe habe bei 
Ausarbeitung des Fauft an Galderon gedachte und fet durch deſſen 
Myſterien erft darauf geführt worden. Man könne dies unzwei— 


— 181 — 


felhaft aus einzelnen Verſen in Calderon erfeben, bie tn ganz 
ähnlicher Weiſe fih im Fauſt mwiederfänden. 

Eliſabeth Tannte ihren Goethe und auch der große fpanijche 
Dramatiter war ihr fein Fremdling, dieſe Behauptung aber Fam 
ihr dod gar zu drollig vor. Don Gomez bradite mitunter wun- 
berlihe Dinge auf's Tapet, die man ihm eben als Fremden hin- 
gehen ließ, und oft fogar fih daran ergößte, diesmal aber galt 
es die Ehre des großen deutſchen Poeten zu reiten und deshalb 
warf ihm die Feine Poetifhe mit flammendem Auge und ſpöttiſch 
lähelndem Munde Unfenntniß der deutfhen Sprache vor. 

Sie follen entſcheiden, mein Fräulein, erwiderte Don Alonfo, 
Ste und Ihre liebenswürdige Freundin. 

Und Sie follen Abbitte thun! Aber woher einen Galderon 
nehmen? Ich befige die Werke des begelfterten Spaniers nicht. 

Aber ich, verfegte der Mexikaner. Ich habe den Band mite 
gebracht und mir die Stelle bezeichnet, von der ich behaupte, der 
deutſche Dichter habe daraus Fauftgedanfen gefogen. 

-Wo? Wo? fragte Ulrife. Zeigen Ste uns diefe Stelle ! 

Hier? gegenfragte Don Gomez, bier und jetzt? Ja, wenn 
Sie wünſchen — 
Gewiß! unterbrah ihn Eliſabeth ungebuldig. Wo befindet 
fih das Buch? 

An meinem Mantel unten in der Garderobe. Aber wer 
kennt meinen Mantel, ich würde ſelbſt — 

Iſt nicht nöthig, fagte Eltfabeth. Ich denke, da kommt Je— 
mand, der Ihren Mantel Tennt. 

Chriftine näherte fih der Tafel. 

Wenn das herzige Kind fo lange entbehrt werden kann — ? 

Was follte es nicht, fiel Eliſabeth ein. Bitte, Chriftine, 
flüfterte fie der Nahenden zu. Chriftine beugte fih zu dem Ohre 
ihrer milden, fehwelterlichen Herrin und empfing freundlich nidend 
ihren Auftrag. 

In der linken Seitentaſche, ergänzte Don Alonfo. Ich dante 


— 182 — 


Ihnen ſchon im Voraus, Holdſelige, und küſſe in Demuth und 
Verehrung Ihre Fingerſpitzen. 

Chriſtine warb purpurroth, Ulrike aber ſagte in mißbilligen- 
dem Tone und mit bittendem Blicke: Ste quälen das arme Mäd⸗ 
hen. Thun Ste es ferner nicht mehr, wenn Sie mir einen Ge- 
fallen erweiſen wollen, denn was foll das gutherzige Kind auf 
folhe Worte erwidern. 


Eine Bitte von Ihnen tft mir Befehl, erwiberte mit den 
einfhmeichelndften Lauten der galante Mexikaner, indem ein 
feuriger Blick die ſchöne Nachbarin nöthigte, das ſammtweiche 
blaue Auge niederzuſchlagen. 


Inzwiſchen hatte Chriſtine ſich entfernt, die Geſellſchaft in 
heiterſter Stimmung zurücklaſſend. Aus einem als Gartenlaube 
decorirten kleineren Zimmer ertönte jetzt Tafelmuſik, die ſpäterhin 
in Tanzmuſik ſich zu verwandeln beſtimmt war. Dies angenehme 
Intermezzo gab den Gedanken der Gäſte eine andere Richtung 
und es mochte wohl eine Viertelſtunde vergangen ſein, ſeit Chri— 
ſtine von ihrer Gebieterin nach dem Garderobezimmer geſchickt 
worden war. 


Unſere Jungfrau von Orleans bleibt lange aus, bemerkte 
Ulrike. 

Die Aermſte wird erſt ein paar Dutzend Ueberwürfe bei 
Seite packen müſſen, denn der Raum iſt etwas beſchränkt, meinte 
Eliſabeth. 


Vielleicht auch verlockt ſie die Neugierde, ein wenig in dem 
Buche zu blättern, ſagte Don Gomez. 

So ſcherzte man noch einige Zeit hin und wieder, zwiſchen⸗ 
durch den Klängen der Muſik lauſchend. Da aber trotz alles 
Wartens Chriſtine noch immer nicht zurückkam und man ſie bereits 
auch anderwärts vermißte, ward Eliſabeth beſorgt. Vielleicht war 
ihr unwohl geworden und ſie ſaß hilflos in dem dunſtigen, engen 
Stübchen. Das gutherzige Mädchen beſchlich plötzlich eine heftige 
Bangigkeit, ſie winkte einem Bedienten und befahl ihm, ſogleich 











— 183 — 


hinunter in die Herrengarderobe zu gehen und nachzuſehen, was 
Chriſtine dort mache und wie es ihr gehe. 

Schweigend entfernte ſich der Bediente. Nah wenigen Mi⸗ 
nuten ſchon kam er allein, blaß, ſichtlich beſtürzt zurück. 

Gnädiges Fräulein, ſagte er leiſe, an allen Gliedern zitternd, 
es muß ein Unglück geſchehen ſein. Fräulein Chriſtine iſt nicht in 
der Garderobe, aber Alles darin befindet ſich in ber größten Unord— 
nung und, was das Schredlichite tft, das Fenſter ſteht weit offen! 
Es iſt doch unmöglich — 

Eliſabeth winkte dem Bedienten zu ſchweigen. Ulrike hatte 
ihren Platz ſchon verlaſſen, um Heidenfrei und deſſen Söhne ſo⸗ 
gleich von dem Vorgefallenen zu unterrichten, obwohl ſie ſelbſt 
noch nicht wußte, was ſich eigentlich zugetragen haben mochte. 
Dies Alles konnte nicht ohne Aufſehen geſchehen, denn ehe noch 
Eduard und Ferdinand die überraſchende Kunde von Chriſtinen's 
Verſchwinden vernommen hatten, war Elifabeth ſchon dem voraus» 
eilenden Diener gefolgt und die Erfte in dem Garberobezimmer. 
Bald darauf trat der Vater mit den Brüdern ein, auch Ulrike 
erſchien, fpäter folgten Anton und felbft Don Alonfo Gomez. 

Bet der fofort angeftellten Unterfuhung war auch nicht ein 
auffallendes, verbächtiges Zeichen zu entdecken. Das Fenſter war 
nicht zerbroden, fondern von Innen geöffnet worden, weil es aber 
offen geblieben war, mußte man annehmen, daß die Verſchwun⸗ 
dene ihren Weg durch's Fenſter genommen hatte, was noch in ber 
Verfiherung mehrerer Diener ihre Bellätigung fand, die alle er- 
Härten, die Vermißte in das Zimmer gehen, nicht aber fie daſſelbe 
wieder verlaſſen gefehen zu haben. 

Eine freiwillige Flucht Chriftinen’s anzunehmen ‚ lag ganz 
außerhalb der Grenzen alles Denkbaren. Ste warb gehalten, 
geliebt, gepflegt wie das Kind im Haufe, Ste weilte gern ba= 
jelbft und wünſchte gar feine Aenderung ihrer Rage. Eben fo 
wenig konnte man an einen Selbſtmord glauben, man hätte 
denn annehmen müffen, das arme Mädchen fet urplöglih in 
Wahnſinn verfallen und habe fi tn blinder Naferei das Leben 


— 181 — 


Ihnen fhon im Voraus, Holbfelige, und küffe in Demuth und 
Verehrung Ihre Fingerſpitzen. 

Shriftine ward purpurroth, Ulrike aber fagte in mißbilligen- 
dem Tone und mit bittendem Blide: Ste quälen das arme Mäd- 
hen. Thun Ste es ferner nicht mehr, wenn Sie mir einen Ge— 
fallen erweifen wollen, denn was ſoll das gutherzige Kind auf 
ſolche Worte erwidern. 


Eine Bitte von Ihnen iſt mir Befehl, erwiderte mit den 
einfchmeichelndften Lauten der galante Mexikaner, indem ein 
feuriger Blick die ſchöne Nachbarin nöthigte, das ſammtweiche 
blaue Auge niederzuſchlagen. 


Inzwiſchen hatte Chriſtine ſich entfernt, die Geſellſchaft in 
heiterſter Stimmung zurücklaſſend. Aus einem als Gartenlaube 
decorirten kleineren Zimmer ertönte jetzt Tafelmuſik, die ſpäterhin 
in Tanzmuſik ſich zu verwandeln beſtimmt war. Dies angenehme 
Intermezzo gab den Gedanken der Gäſte eine andere Richtung 
und es mochte wohl eine Viertelſtunde vergangen fein, ſeit Chri⸗ 
fine von ihrer Gebleterin nad dem Garberobezimmer geſchickt 
worden war. 

Unfere Jungfrau von Orleans bleibt lange aus, bemerkte 
Ulrike. 

Die Aermſte wird erſt ein paar Dutzend Ueberwürfe bei 
Seite packen müſſen, denn der Raum iſt etwas beſchränkt, meinte 
Eliſabeth. 


Vielleicht auch verlockt ſie die Neugierde, ein wenig in dem 
Buche zu blättern, ſagte Don Gomez. 

So ſcherzte man noch einige Zeit hin und wieder, zwiſchen⸗ 
durch den Klängen der Muſik lauſchend. Da aber trotz alles 
Wartens Chriſtine noch immer nicht zurückkam und man ſie bereits 
auch anderwärts vermißte, ward Eliſabeth beſorgt. Vielleicht war 
ihr unwohl geworden und ſie ſaß hilflos in dem dunſtigen, engen 
Stübchen. Das gutherzige Mädchen beſchlich plötzlich eine heftige 
Bangigkeit, ſie winkte einem Bedienten und befahl ihm, ſogleich 


— 183 — 


hinunter in die Herrengarderobe zu gehen und nachzuſehen, was 
Chriſtine dort mache und wie es ihr gehe. 

Schweigend entfernte fi der Bediente. Nach wenigen Mi- 
nuten ſchon kam er allein, blaß, ſichtlich beftürzt zurück. 

Gnädiges Fräulein, ſagte er leiſe, an allen Gliedern zitternd, 
es muß ein Unglück geſchehen ſein. Fräulein Chriſtine iſt nicht in 
ber Garderobe, aber Alles darin befindet ſich in ber größten Unord— 
nung und, was das Schredlichite tft, das Fenſter ſteht weit offen! 
Es iſt doch unmöglich — 

Eliſabeth winkte dem Bedienten zu ſchweigen. Ulrike hatte 
ihren Platz ſchon verlaſſen, um Heidenfrei und deſſen Söhne fo- 
gleih von dem Vorgefallenen zu unterrichten, obwohl fie felbit 
noch nicht wußte, was ſich eigentlich zugetragen haben mochte, 
Dies Alles konnte nicht ohne Aufſehen gefhehen, denn ehe noch 
Eduard und Ferdinand die überrafhende Kunde von Chriftinen’s 
Verſchwinden vernommen hatten, war Eliſabeth ſchon dem voraus 
eifenden Diener gefolgt und die Erſte in dem Garderobezimmer. 
Bald darauf trat der Vater mit den Brüdern ein, auch Ulrike 
erihten, fpäter folgten Anton und felbjt Don Alonſo Gomez. 

Bei der fofort angeftellten Unterfuhung war aud nicht ein 
auffallendes, verbächtiges Zeichen zu entdecken. Das Fenſter war 
nicht zerbrochen, fondern von Innen geöffnet worden, weil es aber 
offen geblieben war, mußte man annehmen, daß die Verſchwun⸗ 
dene ihren Weg durch's Zenfter genommen hatte, was noch in der 
Verfiherung mehrerer Diener ihre Beflätigung fand, die alle er- 
Härten, die Vermißte in das Zimmer gehen, nicht aber fie bafjelbe 
wieder verlaſſen gefehen zu haben. 

Eine freiwillige Flucht Chriſtinen's anzunehmen, lag ganz 
außerhalb der Grenzen alles Denkbaren. Ste warb gehalten, 
geliebt, gepflegt wie das Kind im Haufe. Sie weilte gern ba- 
ſelbſt und wünfhte gar feine Aenderung Ihrer Lage. Eben fo 
wenig konnte man an einen Selbfimorb glauben, man hätte 
denn annehmen müflen, das arme Mädchen fet urplöglih im 
Wahnftnn verfallen und habe fih in blinder Naferet das Leben 


— 184 — 


genommen. Es blieb alſo nichts übrig, als die Vermuthung einer 
Gewaltthat. Dieſem Gedanken lieh zuerſt der erſchrockene Heiden— 
frei ſelbſt Worte: 


Man hat das Kind geraubt, entführt, fagte er beſtimmt. 
Arme, unglüdliche Aeltern! Und ich ſelbſt, wie bin ich beflagend= 
werth! Meiner Obhut hat der beforgte Vater fie anvertraut und- 
dennoch — dennoh — o, es iſt um den Verſtand zu verlieren! 


Hetdenfrei war indeß an ungewöhnlich eintretende Ereigniſſe 
zu fehr gewöhnt, als daß er fi lange vom Schmerz hätte bewäl- 
tigen oder vom Kummer niederdrücken laſſen. Raſches, energijches 
Handeln allein konnte möglicherweife von glüdlichen Folgen fein. 
AM fein Denken war deshalb fogleich darauf gerichtet, die erfor- 
derlichen Schritte zu thun, um die Entführte und ihre Räuber zu 
greifen, ehe e8 ihnen gelang, das Weichbild der Stadt zu verlaf- 
fen. Es hatte dies freilich deshalb große Schwierigkeiten, weil 
aud nicht die Ahnung irgend eines Verdachtes, viel weniger eine 
Spur vorhanden war, auf die man hätte fußen können. 


Heftig erregt trat jeßt mitten in die Gruppe der Beltürzten, 
zum Theil Entfeßten der alte Treufreund. Sein Auge glänzte 
getfterhaft, feine fehmalen, weißen, hagern Hände zitterten. 

Ich bin Schuld an dem Unglüf des armen Mäddeng, 
ſprach er tief erſchüttert. Warum ſchwieg ich und war fo unvor- 
fihtig, ftatt bier Wache zu halten, wieder hinaufzuellen, um bie 
Kurzweil mit anzüfehen. 

Don Alonſo Gomez warf dem ſchwächlichen Alten einen haß- 
erfüllten Blick zu. Heidenfrei beflürmte thn mit Fragen, die Treu- 
freund kurz und gegen feine Gewohnheit fehr beſtimmt beantwor- 
tete, indem er in fliegender Haft erzählte, was ihm begegnet war, 
was er gefehen hatte.‘ 

Keine Frage, Ghriftine ift entführt, fagte Heidenfrei, die 
Jolle, deren Raufhen im Waffer Ste vernahmen, ohne den Schlag 
der ohne Zweifel umwundenen Ruder zu hören, hat das unglüd- 
liche Kind, Gott weiß in welche Diebshöhle weiter befördert. Aber 


— 185 — 


es iſt noch gut, daß uns wenigſtens dieſer Fingerzeig gegeben iſt. 
Die Jolle kann uns die Entführer verrathen. 

Mittlerweile waren Eduard und Ferdinand auf die Laube 
hinausgetreten und hatten beim Scheine einer Laterne die Trep— 
penftufen und die Laube felbft genau unterfuht. Hier gewahrten 
fie troß des Regens, welder das Holzwerf angefeuchtet hatte, deut- 
lich die Abdrücke großer Nägelfhuhe, wie fie längerer Dauer we— 
gen Schiffer häufig tragen. Auch an den Stufen der Treppe Eonnte 
man bemerken, daß einige Zeit ein flarfed Boot fih an benfelben 
gefcheuert haben mußte. Endlich auch fand fih ein Stück Zeug 
an dem vorſtehenden Aft eines der Vorfeßen. Hier mußte das 
Kleid der gewaltfam Gntführten hängen geblieben fein, als der 
Nahen abſtieß. | 

Miguel! raunte Heidenfret verftohlen feinen Söhnen zu. Ich 
weiß, diefer fee, unternehmende Menſch hat geſchworen, nicht eher 
zu ruhen, bis Chriſtine in feinen Befit gekommen fei! 

Diefer betrübende Zwiſchenfall ſtörte die ferneren Freuden 
des Feſtes, das unter ſo glücklichen Auſpicien begonnen hatte und 
nun in einer grellen Disharmonie endigte. Heidenfrei erſuchte zwar, 
ſelbſt bald wieder gefaßt und den innern Sturm unter einer hei— 
tern Miene verbergend, ſeine Gäſte, ſich von dem Vorgefallenen 
nicht weiter beirren zu laſſen, allein die verloren gegangene Stim- 
mung fehrte nicht wieder zurüd, Bald brachen Cinzelne, dann 
Mehrere auf. Auh Don Gomez empfahl fih unter warmen Ber- 
fiherungen feiner innigften Theilnahme. Maſter PBapageno war 
bald nad Entdeckung des Gefhehenen in Gefellfhaft mehrerer an- 
deren Bedienten im Heidenfret’fhen Haufe angelommen, um feinen 
‚Heren abzuholen. Eine Stunde nah Mitternacht: durchwandelten 
nur noch die nächſten Freunde der Familie die Ieeren, von Blu— 
men= und Speifedüften erfüllten Säle, und die Geigen ded Mu: 
filhors, das fo Lange fptelen zu müflen glaubte, bis ihm die Wet- 
jung zugehen würbe, aufzuhören, klagten und wimmerten, als 
weinten bie edelften Herzen um die Seele einer ewig Verlorenen, 


Zweites Buch. 


— — — 


Auguſtin Hohenfels. 


Erfies Kapitel. 


— — 


Zwiſchen beiden Hemiſphären. 


Welches Schauſpiel iſt großartiger und erhebender, der Anblick 
einer Alpenlandſchaft von eiſiger Firn oder die Unermeßlichkeit des 
wogenden Oceans in mondheller Nacht? Wenn man dieſe Frage 
an ung ſtellte, würden wir uns für den Dcean entſcheiden, und 
zwar beshalb, weil bei aller Erhabenheit mannichfach geftalteter 
Bergformen das ungeheure Chaos der Gletfher und Schneefelder 
doch immer nur das grandiofefle Bild des ewig Todten uns ver= 
gegenwärtigt, während die nie ruhende Meeresfluth uns aud in 
der leblos genannten Natur das nie raftende Schaffen des Welt« 
geiftes ahnen und fühlen Täßt. | 

Wenn die Sonne langfam untertaucht in die rollende‘ Fluth 
und ber Himmel fi röthet, als ſchäme er fi) des letzten Abfchteds- 
tuffes, den der Gott des Tages ihm geraubt; wenn dann Altes 
fih in die ſchattige Gewandung der Nacht hilft und niederfinft, um 
an ihrem Bufen zu entiälummern; dann wacht mitten in ber 
fhlafenden Welt nur das endlofe Meer, das mit jeinen Riefen- 
armen die Erde umfängt, trägt und mit den MWiegenliedern feiner 
nie verflingenden Brandungsmelodieen einlullt am fpäten Abend 
und wieder wach ruft am frühen Morgen. Friede und tiefe Stille 
ruht auch auf dem Meere, aufdeflen fchwanfender Fläche der Mond die 
wunderbarften Palälte und Thürme erbaut und Hundert und aber- 
hundert Bewohner der Tiefe emporlodt mit magnetifch zwingender 
Gewalt in das Zauberreih fhwimmenden Lichtglanges, der rundum 
bie Welt umwebt. In der Tiefe aber, die keines Sterblichen Auge 


— 1% — 


ergründet hat, gährt und kocht es, die Woge hebt und fentt fi 
ftärker, ein Hauch, wie aus Geiſtermund, macht fie ſchäumen, auf- 
rollen, emporfpriken in gliterndem Silberfhaume, und die unge 
ftalten Thiere des Oceans verfinken erfchroden in ihre unterfeetfches 
Reih. Es iſt die Fluth, der geheimnigvolle Pulsſchlag des Welt- 
meeres, ber an bie Herzlammern beider Hemifphären Flopft und 
in gleichmäßig wieberlehrenden Schlägen den Menſchen verfündet, 
bag der Schöpfer des Als noch lebt und die Zügel des Univer- 
fums Hält. 

Veber dem blintenden Firn glänzt nur der Stern und bes 
fireut ihn mit den Farben des Prisma’s, von dem Gleiſcher herab 
donnert die Lawine, deren Frahendes Echo die Bewohner der Al- 
penthäler erjähredt und die Brut des Adlers auffheuht aus dem 
fihern Hort — es iſt die Hand des Todes, die ſchwer auf dem 
Weltherzen laſtet! Ueber den fluthenden Ocean aber zieht fill, 
majeftätifh, die weißen Segelfittihe wie Hände ausbreitend, die 
bittend und dantend fih zum flimmernden Sternenhimmel erheben, 
das Schiff, jene wunderbare Wohnung, die der Menſch fi) erbaute, 
um in ihr zu wandern von Pol zu Pol, von Küfte zu Küfte, von 
Bolt zu Volk, getrieben und getragen vom Sauce Gottes, der bie 
Sittiche dieſer Wandergebäude in Bewegung febt. Eine Mondnadt 
auf dem Weltmeere tft ein Gottesdienft unmittelbar vor dem Throne 
des Höchſten. Jedes Segel, das einer weißen Flamme glei fort- 
hüpft über die rollende Fluth, wird uns zu einem Boten Gottes, 
ben er ausgefendet bat, feine Herrlichkeit zu preifen und feinen 
Namen zu verfündigen. | 

In folder Naht führen wir den Lefer auf ein Schiff, das | 
von den Küften Südamerika’ kommend, nach Europa fegelt. Es 
iſt ein ſchönes, ſchlankes Fahrzeng, deflen fhwarzer Rumpf fi 
letht und fiher auf den Wogen wiegt. Mit halb gerefften Se- 
geln, die eine halbe Marsfegel- Kühlte fchwellt, fltegt es mit der 
Geſchwindigkeit von adt bis neun Knoten über die dunkelgrün 
[häumenden langen Wellen. Die Spigen der Maften glänzen wie 
Nadeln und es ſcheint, als folgten ihnen die Sterne bes tief dun⸗ 


e 


— 11 — 


keln Himmels, der jetzt in der Nacht faft ſchwarz ericheint, fo heil 
und durchfichtig fjt die Atmofphäre über dem großen Ocean. Bie⸗ 
weilen heben fi ein paar fliegende Fiſche aus dem Kryſtall ber 
Bogen und ftrelfen, Bäche filberner Tropfen von ihrem Schuppen- 
gefieder niedergießend, über die fhwer athmende Tiefe. Dann wie= 
ber glänzt die Schwinge eines Seevogeld, der auf der Raae ſich 
niederläßt, fein Gefieder zupft und mit neugterigem Auge auf die 
wenigen dunkeln Geſtalten und das ganze feltfame Gebäude, das 
ihn trägt, hinabblickt. Ein Schauer funtelnder Sternſchnuppen 
weht hoch oben durch bie Welträume und erhellt mit geheimniß« 
vollem Lichte jene mächtigen Gefllde bes Himmels, bie ſternenlos, 
verlaffen, öde, tobt, wie Kirchhöfe des Weltalls, auf denen ausge⸗ 
brannte Sonnen beftattet werden, den machtlofen Menfchen mit 
Staunen und Grauen vor Dem erfüllen, deſſen Namen jeber Den 
ende nur mit Andacht nennt. Es find die Koblenfäde der Aftro« 
nomen, die noch finfterer, noch nachtumdüſterter zwiſchen den er⸗ 
Teuchteten MWelträumen hängen, wenn das Irrlichtgeſchwader ver 
Sternfhnuppen In ungemefjenen Fernen verfehwindet oder im Schwas 
den unergründeter Schachte des Univerſums erliſcht. 

Es iſt gegen Mitternacht. Auf dem Dee des Schooners, ber 
die Bremer Flagge führt, Iehnt außer dem Manne am Steuer 
und der Wahe am Bug, nur noch ein Mann auf ber Leejette 
und blickt über die Schanzfleidung hinaus bald auf die endloſe 
Maflerwüfte, über und auf der des Mondes Zauber gaufeln, bald 
empor zum Sternenhimmel. Noch glüht dort im Süden, aber nur 
wenige Monpbretten über dem Horizonte, das wunderbarfte aller 
Sternbilder, das fürlihe Kreuz. Auf diefer Hieroglyphe bes Him- 
mels, die noch Fein Europäer erblidt hat, ohne tief ergriffen und 
in eine anbetende Stimmung verfeßt zu werden, ruht lange ber 
Bid des Einfamen, der, wie jeder Seemann, in grobtuchener be= 
quemer Jade einhergeht, ftatt der üblichen Kopfbebelung der Ma⸗ 
teofen aber einen breitrandigen Pflanzerhut trägt. 

Schiff In Sicht, Süd-Süd⸗Oſt zu Oft! ruft die Wade, und 
ber Paſſagier wendet das Auge der angedeuteten Gegend zu. Gleich⸗ 


- 19% -— 


zeitig tritt der Capitain aufs Ded, das Fernrohr in der Hand. 
Er beobachtet, Über das Quarterdeck fchreitend, den ſchnell fid 
nähernden Segler, beffen Tope ſchon fihtbar werden und bas 
Fahrzeug als eine große, ſchnell fegelnde Bark bezeichnen. _ Eine 
Flagge ift noch nicht zu fehen und würde auch kaum erfennbar 
fein, da das helle Mondlicht blendet und die Segel breite, flie- 
gende Schatten werfen. Nah mehrmaligem Auf- und Niederge- 
ben wendet fi der Gapttain zu dem faft regungslos die Woge, 
den Nachthimmel und das herannahende Schiff fill beobachtenden 
Paflagter. 

Wieder fchlaflos, Herr? redet er ihn im Vorübergehen an. 
Werden Ihrer Geſundheit fhaden. Die Nacht ift kühl, der Thau 
- feucht und durddringend. Können fih das Fieber holen. 

Fürchte ih nicht, Capitain, erwiederte der Paſſagier. Ich 
kenne das Clima dieſer Breiten und bin gegen alle Wettereinflüſſe 
unempfindlich. 

Aber die menſchliche Natur bedarf des Schlafes, um nicht 
zu ermatten. 

Sagen Sie lieber, die Natur der meiften Menſchen. Es gibt 
auch Ausnahmen. Laſſen Sie mich für eine ſolche gelten. 

Der Capitain ging kopfſchüttelnd nach dem Vordertheil des 
Schiffes und überließ den ſeltſam gearteten Paſſagier ſich ſelbſt 
und ſeinen Gedanken. 

Das fremde Schiff war inzwiſchen ſo nahe gekommen, daß 
man am Bord des Bremer Schooners bereits die ganze Takelage, 
ja die Zahl der Segel, die es aufgeſetzt hatte, erkennen konnte. 

Dem wachthabenden Matrofen mochte die Zeit lang werben, 
weshalb er erft nur leiſe ein Seemannslieb fummte, dann aber 
einen damals fehr belichten Matrofengefang mit heller, volltönen— 
der Stimme zu fingen begann, daß es weithinaus auf's Meer 
verhallte. 

Der Capitain Stand wieder beim Mann am Steuer, warf 
einen Blick auf die Buffole unter der Laterne und fagte: Einen 
halben Strih mehr Backbord, will das Schiff ſprechen. 


— 193 — 


Klirrend ließ der Steuermann das Rad um ein paar Spet- 
hen abfallen, die Wogen brauften und ſchlugen gegen Bug und 
Stern, der Schooner wiegte fih langſam, wie ein Reiter im Sate 
tel eines flark austrabenden Renners, die Segel baufchten flärfer 
auf, daß Raaen und Spieren ächzten, und das fremde Fahrzeug 
kam näher in Sicht. Noch einige Minuten und der ganze Rumpf 
bob fih aus dem leuchtenden Schaum ber fprühend verwehen- 
den Fluth. 

Der Capitain fehte fein Sprachrohr an den Mund und rief: 

Schiff shot! Aus welhem Hafen? Wohin beitimmt? 

Es vergingen wieder ein paar Minuten, dann wippte ein 
dunkler Gegenftand am hintern Maft auf zur Gaffel und gleiche 
zeitig dröhnte über das Meer herüber die dumpfe Antwort: 

Hamburger Bart „Marte Eliſabethꝰ, Capitain Ohlſen, nach 
Buenos⸗Ayres. 


Der Bremer Capitain nannte jetzt den Namen ſeines Schiffes 
und als Beſtimmungsort Bremen ſelbſt. Es kam von Rio. Von 
der hamburger Bark klang es wieder zurück: 

Alles wohl an Bord. Nichts Neues. 


Es wurden noch einige Worte zwiſchen den Führern beider 
Schiffe gewechſelt, dann mußte man die flüchtige Unterhaltung ein⸗ 
ſtellen, denn die friſche Briſe trennte die Fahrzeuge eben ſo Incl 
wieder als fie fie einander nahe geführt hatte. 

Der Capitain fah nad feinem Chronometer, 


Zwanzig Minuten nad zwölf, fagte er, einen Blick auf ben 
Himmel und den Mond werfend, der in ungetrübter Klarheit feine 
Bahn wandelte. Die Nacht bleibt ſchön, fuhr er, mit fich ſelbſt 
fprechend, fort, Morgen Vormittags aber wird der Wind wahrfihein- 
ih umlaufen und uns weniger gutes Wetter bringen. 


Er näherte fih nochmals dem immer noch an berfelben Stelle 
Ichnenden Pafjagtere, der den bläulich glänzenden Waſſerſtrudeln 
folgte, welche der Kiel des Schiffes aufrührte und bie oft ein 
wunderbar ſchönes Farbenlicht entwidelten, 

D. B. XI. Wiltomm’s Rheder und Matrofe, 13 


— 194 —— . 


Wollen Ste mid begleiten, Herr? fragte er. Mitternacht iſt 
vorüber, 

Sie find gütig, Herr Capitain, doch bitte ih, nicht auf mid 
warten zu wollen. 

Gute Naht denn, fprah der Gapitain. Morgen erreichen 
wir die Cap Verdi'ſchen Inſeln. 

Gute Nacht, erwiderte höflich der Paflagier, hüllte fich feſter 
in feine Jade, verfchräntte beide Arme über der Bruft und fah 
wie früher, unverwandt in das Rollen, Schäumen, Strubeln und 
Sprühen der Wogen hinab, die in vielgeftaltigen Formen, bald 
bebende Hügelreihen bildend, bald als wogende Thäler dem Schiffe 
nahend, bald wie galoppirende, Säulen und Thürme tragende 
Roſſe heranftürmend, an den feſten Planfen des Schooners zers 
bariten. 

Es mochten wohl zwanzig Minuten vergangen fein, da fah 
man von ber Hamburger Bark nur noch die oberiten Segel über 
den Wogen fhimmern. Ein Seufzer entrang fi) der Bruft des 
Paflagiers der jegt feinen Standort verließ, noch ein paarmal die 
Länge des Schiffes mit großen feiten Schritten durchmaß, den 
Steuermann ſtumm grüßte und endlih ebenfalls in die Cajüte 
ſich zurückzog. Beim Eintritt in dies zwar Meine, aber möglichſt 
comfortable eingerichtete Zimmer, obwohl man damals den Lurus 
jetziger Schiffsausftattungen noch nicht Fannte, wollen wir ung die— 
jen Mann etwas genauer betrachten. 

Start und muskulös von Körperbau, zeigte Das ganze Aeußere 
bed Fremden, daß ein Leben voll Strapazen ihn nicht eben fanft 
gewiegt haben mochte. Die Züge feines fehr dunfelbraunen, große 
Energie verfündenden Gefihts waren freng, hart, tief gefurcht, 
mit vielen Narben bedeckt. Das etwas ftruppige Haar, auf beffen 
Pflege fein Beſitzer ſchwerlich viel Zeit verſchwendete, zeigte eine 
fahlgraue Farbe, der aller Glanz natürlichen Haares fehlte. Dies 
machte einen nicht angenehmen Eindrud, denn es gab dem Träger 
defjelben das Anſehen eines Menfhen, der fih Das Haupt, biefen 
Sig der Intelligenz und vielleicht der eigentliche Duell bes Lebens, 


—— 195 — 


welcher den ganzen übrigen Körper durchrieſelt, mit etwas Todtem 
bedeckt hatte. Man konnte den Mann gern für ſechzig Jahre alt 
halten, obwohl er möglicherweiſe um Vieles jünger war, denn die 
ſtramme Haltung ſeines nervigen Körpers, der geierartige Blick 
feiner großen, in tiefen Höhlen liegenden dunkelblauen Augen ver- 
viethen, daß es ihm weder an phufifchen Kräften noch an einer 
unverwüftlichen Geſundheit mangele. 

In der Gajüte brannte die gewöhnliche von der Dede herab- 
hängende Lampe, deren gebämpftes Licht gerade hinreichend war, 
um den Fleinen Raum zu erhellen. 

Beim Eintritt in die Cajüte war der Paſſagier, der einzige 
auf dem ganzen Fahrzeuge, das außer dem Gapttain neun Mann 
Befabung hatte, fehr behutfam, um den Gapttain in feiner Koje 
nicht zu fiören. Grit, als er diefen mehrmals Taut huften hörte, 
that er fi) weniger Zwang an. Er öffnete mit einigem Geräufd 
bie zum Zurückſchieben eingerihteteg Thüren, eines Fleinen, nur zu 
feinem Gebraude ihm überlafienen Settenraumes, der außer einem 
bequemen Lager, noch verfchtevene Utenſilien für den täglichen Ge— 
brauch, einige Bücher, einen fehr großen Koffer und eine ſtark mit 
Stahlbändern umlegte und verfchloffene Chatulle enthielt. 

Wird es Ihnen doch endlich zu kühl auf Deck? fragte der 
thetlnehmende Gapitain aus feiner Koje, dem das merkwürdig rube> 
Iofe Wefen feines obenein ziemlich einſylbigen Paflagters faſt un— 
heimlich vorfam. Suhen Ste die Ruhe, denn‘ ih fage Ihnen, 
Herr, in der nächften Nacht wird uns ber Wind ſchwerlich fchlafen 
laſſen. 

Iſt mir ſehr gleichgiltig, erwiderte der Paſſagier. Ich habe 
etwas mit Napoleon gemein, der viel zu früh ganz ſchlafen ge⸗ 
gangen iſt, fett die Engländer ihn auf St. Helena wie einen 
Straßenräuber bewachten. IH Tann fchlafen, wenn ich will, alſo, 
wenn ich das Bedürfniß Dazu fühle, und ich kann wachen, ſobald 
ih mir fagen darf, daß nublofer Schlaf ein freiwilliger Todtſchlag 
ft, den leider fehr, fehr viele Menfchen an threr eigenen Seele 
begehen. 

13* 


— 196 — 


Der Gapitatn des Schooners war durchaus Fein philoſophiſch 
gebildeter Kopf, Er hütete fih deshalb wohl, eine Bemerkung 
zu machen, die feinen wunderlichen Paſſagier vielleiht zum Spre= 
chen bewogen hätte, Brummend vielmehr Fehrte er fih in feiner 
Kofe um und überließ tem nicht fehlaffeligen Fremden für den 
Reſt der Nacht die Gajüte zu beltebiger Benugung. 


Bweites Kapitel. 


Der einfame Paflagier. 


Diefer erfchloß jebt feine Chatulle und entnahm berfelben ein 
ziemlich voluminöſes Paket. Dann ſetzte er fih auf das Feine 
fhmale Sopha, welches an ber Rückwand der Cajüte angebracht 
war, und löſte die es umminbenden Schnüre. Außer einem Heft 
Papiere und einigen Briefen enthielt das Paket auch noch zwei in 
Gold gefaßte Medaillons. Der Fremde betradhtete eins derſelben, 
eine zarte, ungemein liebliche Srauengeftalt darftellend, in deren 
großen dunkeln Augen Schwärmerei und Leidenfchaft ſich begeg- 
neten, lange. Sein Mund zudte frampfhaft wahrend dieſes Be— 
fhauens, die buſchigen Augenbrauen, welche feine tief liegenden 
Augen überſchatteten, zogen fich fehmerzbewegt zufammen, und ein 
paar die, heiße Thränen fielen nieder auf die braunen, gefurd- 
ten Wangen des Fremdlings. Cr küßte das Bild und legte es 
tief auffeufzend bei Seite. Jetzt warf er auch auf das zweite 
Medaillon, auf dem fih das Bruſtbild eines in vollfier Jugend 
kraft ſtehenden Mannes befand, einen Blick. Diefer Mann mußte 
ſchön geweſen fein und viele Augen auf fich gezogen haben. Aus 
dem bligenden, freien Blick ſprachen Selbftgefühl und Intelligenz; 
bie hohe gemwölbte Stirne verkündete Gedankenreichthum und Un= 
ternehmungsgeift. Auch dies Bild warb lange Gegenftand einer 
ernften, wehmüthigen Muſterung. Plötzlich erhob fih der Fremd⸗ 


— 197 — 


Ting, kehrte fih um, daß er fein eigenes Antlig in dem fiber dem 
Sopha hängenden Spiegel betrachten konnte, und ballte im näch— 
ften Augenblide fetne Hand um das Medaillon, während er in 
ein heiferes, marterfhütterndes Lachen ausbrach. 


Matt zufammenbrechend, entfiel das Bild feiner Hand. Gr 
achtete nicht darauf. Die Hände tneinandergeflodhten und über 
feine Stirn gelegt, faß er da, ſchwer athmend. Er war das ver- 
förperte Unglück, das einfam, freundlos, ungefannt, in tiefer 
Naht auf dem Ocean treibt, nachdem es zehnmal Schiffbruch ge= 
Ittten im Leben und darin Alles verloren. Ihn flörte nicht Das 
Raffeln und Klirren der Steuerkette, die über feinem Haupte 
dur, die Klüfen lief, ebenfo wenig achtete er auf den dumpfen 
Schall der Tritte, die von Zeit zu Zelt, wenn die Wade bag 
Deck bejhritt, hörbar wurden. Das Schiff flog unbehindert raſch 
über die Wogen, die es leicht, bald ftärker, bald ſchwächer ſchau— 
kelten, und dieſe wiegende Bewegung war dem einſamen Paſſagier 
eher angenehm als unangenehm. 


Als der Fremde feinen Schmerz überwunden hatte und wie— 
der Herr über ſich jelbjt geworden war, ließ er die Hände finten, 
raffte beide Medaillons auf, ohne fie noch einmal eines Blickes 
zu würdigen, widelte fie ein und legte fie wieder in die Chatulle, 
Hierauf griff er nad den Briefen, von denen er einen fehr lan- 
gen, mehrere Seiten füllenden entfaltete.e Am Ende defjelben 
ftand der Name Eduard Heidenfret und diefer Name veranlaßt 
und, das für uns wichtige Schreiben zugleich mit dem Paſſagier 
zu lejen. 


Nun, vielleicht wird es dennoch beſſer! ſprach der Fremdling, 
fi ſelbſt ermuthigend, vielleicht blüht mir in meinem Alter nod 
jenes Glück, Das nah dem Willen Gottes und dem Geſetze der 
Natur nur die Jugend zu pflüden und wirklich zu genießen bes 
rufen if, Jetzt meinen fie es redlich mit mir; daß fie auch 
früber, als ih noch ſtark, willensträftig, freimüthig und unter- 
nehmend war, nur mein Beſtes gewollt Haben, will Ih annehmen. 


— 198 — 


Es nüßt ja doch nicht, die Iebendige Gegenwart mit dem Stid- 
ftoff der todten, verwefenden Vergangenheit zu vergiften. 

Den Brief entfaltend, begann er zu Iefen. Das Schreiben 
lautete: 

Beiter Oheim! | 

Ueber deine Antwort auf unfern erften Brief haben wir uns 
Alle fehr gefreut; vor Allem beruhigte e8 die Mutter, zu er- 
fahren, daß deine kräftige Natur gefiegt und du wieder in voller 
Geſundheit den Stürmen entgegentreten kannſt, die etwa noch in 
der Zukunft drohen mögen. 

Der Vater, mit welchem wir Brüder deinetwegen, beſter 
Oheim, lange und ernſte Unterredungen gepflogen haben, iſt kei— 
neswegs abgeneigt, auf deine Pläne einzugehen, nur wünſcht er 
fie zuvor ihrem ganzen Umfange nad kennen zu lernen; du darfſt 
ihm das nicht verdenfen, Vater kennt Brafilien nicht aus eigener 
Anfhauung, er kennt e8 nur aus deinen feurigen Schilderungen 
und unfern profaiihen Grzählungen. Auch liegt eine gewiſſe 
Wahrheit in der Behauptung des Vaters, daß es dir nah fo 
langen Irrfahrten ſchwer fallen werde, ein umfafjendes kaufmänni— 
ſches Gefhäft mit all der Liebe und eifernen Ausdauer zu leiten, 
die nun einmal zu beflen Gedeihen unerläßlih find. Laſſe did 
teogdem nicht abjhreden, der Vater willigt doc ein, denn es 
liegt ihm felbft zu viel an diefer Untegnehmung, ja, er Tann 
ihrer kaum mehr entbehren, weil fie der Ghriftophorus des hei— 
mifhen Gejhäftes fein wird. Im nädften Sommer befucht Did 
einer von und Brüdern. Dann bereifen wir mit dir das Land, 
jhließen mit der Regierung ab und thun den erſten Spatenftich 
zu ber Golonte, die Feinen andern Namen als deinen eigenen 
tragen ſoll. Geht es mir nah, fo taufen wir fie Hohenfelsland. 
Dort ſollſt du dann leben, regieren. König fein, freilich ohne 
Krone und Scepter, aber doch unabhängiger und freier, als jeder 
König in Europa, Du wirft herrſchen über die Herzen eines 
Volkes, dem dein Unternehmungsgeiſt Boden gegeben, dem bu 
eine Zukunft gegründet, eine Heimath erobert haſt. Man wird 


— 199 — 


dich lieben, verehren, anbeten, wie einen fegenfpendenden Apoftel, 
und in dem Bemwußtfein, dies Erlöfungswert aus der Knechtſchaft 
des Arbeitsprudes, aus der Qual des Hungers für Tauſende 
dur deine Energie begonnen zu haben, wirft du all die Schmer- 
zen vergeflen, welche beine Seele fo tief verwundeten und Dich 
Jahrelang verzweifeln ließen an der Menfchheit ! 

Sieh, befter Oheim, ih und Bruder Ferdinand, wir haben 
fo unfere eigenen Pläne und tragen und, wenn wir Abends eine 
Stunde allein find, mit gar wunderbaren Gedanken. Uns hat e8 
immer verdroflen, daß fo zahllofe Menfchen, denen es doch fonft 
weder an natürlidem Verſtande noh an Kenntniffen fehlt, mit 
einer gewiflen Geringfhäsung auf den Kaufmann herabfehen. Da 
wirft man immer und immer wieder mit „Pfefferſäcken“ um fid, 
um das grob Gemeine recht empörend roh audzudrüden, das an= 
geblich Teitendes Prinzip aller Kaufleute fein fol. Nun, th will 
gern zugeben, daß es fehr, fehr viele eigennüßige, geiſtlos egoi⸗ 
fifhe, widerwärtig gewinnfüchtige Naturen unter. den Millionen 
Kaufleuten gibt, welche die Erde trägt, Tann aber dieſe im Ver⸗ 
hältnig zum Ganzen doch immerhin geringe Anzahl den Stand 
ſelbſt herabſetzen? Ich Tenne Theologen, die wahrlih als Flid- 
ſchuſter befier am Plabe wären, mir find Zurtiten in den Weg 
gelaufen, die vor dem Rechtöbegriff ungefähr eben fo viel Refpect 
haben, als der Gärtner vor einem Regenwurm. Und Gelehrte 
gibt ed, Gelehrte von allen Farben, bie ihre Wiffenfchaft wie 
Färber betreiben und Alles in eine Brühe tauchen, um es ihrer - 
Anfiht nah für die Welt erft brauchbar zu mahen. Es fällt 
mir aber biefer geiftlofen Handlanger wegen nicht ein, alle Ge⸗ 
lehrſamkeit für überflüffig, der Jurtfterei und Theologie den Krieg 
zu erllären. 

Ich meinedtheils habe von dem Handel und von denjenigen, 
welche dem Handel ihre Kräfte, ihr Leben, ihr Talent — denn 
bas gehört ganz wefentlih mit dazu — aus innerm Triebe wid» 
men, einen ganz andern Begriff. Wer mich „Pfefferſack“ ſchimpft, 
fol es thun auf fein Gewiſſen und feine Verantwortung bin, er 





— 200 — 


mag fi aber vorjehen, daß ihm dieſes Wort nicht die letzten Xe- 
bensftunden erſchwert. Mich dünkt, ohne Handel würde die Welt, 
auch unfere faft überbildete europätfhe Welt, noch ziemlich tief In 
ber Barbarei fteden. 

Was heißt denn eigentlich Handel treiben? Darüber fuchen 
firh die Wentgften, wie leider über alles Andere auch nicht, Klar 
zu werden. Handel war und iſt noch bis auf den heutigen Tag 
nichts Anderes, als ein allgemeiner, die ganze Welt, Culturvölker 
und Wilde umfafjender Austaufh der verfchtedenften Producte, 
mögen es nun Rohproducte oder Grzeugniffe der Induſtrie und 
Kunft oder endlih DOffenbarungen der Wiflenfhaft fein. Ohne 
Handel, d. h. ohne dieſen unbegrenzten Austauſch aller, gröbfter 
wie edelfter, materieller wie geiftiger Producte, könnte die Welt 
ebenfo wenig beftehen, als es ohne Luft und Luftdrud, ohne bie 
Schwer: und Schwungfraft der Körper, ohne Magnetismus, An⸗ 
ztehungs= und Abſtoßungskraft im Weltall eine Welt voll Him— 
melölörper gäbe. Die Hand alfo aufs Herz, Ihr Feinde oder Ver⸗ 
Fleinerer des Handels, Ihr Alle treibt Handel, denn Leben heißt 
Handel treiben! Ohne biefen ewigen Austaufh von Mein und 
Dein, von Bedürfnig und Bedürfnig, was follte aus der Menſch— 
heit werden! Je größer die Cultur und mit ihr die Bedürfniſſe 
der Culturmenſchen werden, um fo bedeutungsvoller muß auch ber 
Handel fi geftalten. Das gebildetfte, eulturfähigſte Volk wird 
immer aud das handelsmächtigſte fein, wenn es fih culturgemäß 
aus fi ſelbſt entwideln darf und nicht fremde Fefleln feine Reg- 
ſamkeit hindern oder begränzen, Die Weltgefchichte hat es vor- 
zugsmeife dem Handelstriebe, der, wie der Fortzeugungstrieb in 
jedem Individuum Itegt, in dem einen aber mehr und flärfer als 
in dem andern entwidelt tft, zu danken, daß bie Cultur gegen- 
wärtig auf dem größten Theile der bewohnten Erde Hütten baut, 
Betrachten wir nur Amerika und zwar namentlih Nordamerika. 
Der „weiße Mann”, der an der Oſtküſte an’s Land ſtieg, er bat 
dieſen unermeplichen Gontinent fih und der gefammten Gulturwelt er⸗ 
pbert, nicht duch das Schwert, wenn auch mandes Boviemeſſer 











— 201 — 


geſchwungen und mande Riffle auf die wenig gewiſſenhaften Roth- 
häute Iosgefnallt ward, fondern vornehmlich durch die Art, den 
Pflug und den Handel. Dem Suuatter, der mitt der ganzen Zä— 
higheit einer Urwaldsnatur das Land reutete, der Cultur ſchmale 
Gaſſen In die Wildheit eines jungfräulichen Welttheiles hieb, folgte 
der Regulator mit dem grob gefehriebenen Gefeh: und Sittenbuche, 
um Ordnung in das Chaos, Licht in die Naht zu bringen. Dann 
drängte der Händler nad, ber Product gegen Product umtaufchte, 
dem Erwerb Quellen erfchloß und Wohlhabenheit gründete. Der 
Pelzhändler, der unternehmendfte aller Kaufleute, der in einer 
Perfon Krieger, Jäger, Kaufmann, Miffionär und Eroberer tft, 
flürmte weiter, von Thal zu Thal, von Prairie zu Prairte. Ihn 
hemmte fein Strom, kein Sumpf, fein Waſſerſturz. Den Büffel 
fing er ein mit ficher gefshleudertem Schwungfeil, oder erlegte thn 
mit weithin treffender Büchſenkugel, wenn er feiner bedurfte. Ein 
gefällter Ahorn oder Eichbaum oder Hickory war fein Nahen, der 
ihn über nie befahrene Ströme trug. Weber Felfenpyramiden und 
Eisfelder bahnte er fih, jetzt die Art ſchwingend, jept fein Pulver- 
born leerend, um Minen zu legen, einen Weg zu den unbetretenen 
Nadeln der Felfengebirge, überfiteg fie und warf den Trauungs— 
ring, mit dem er Befi nahm von der rauſchenden Meerfluth an 
der Weftfüfte, in die Brandung bes ftillen Oceans. Das Alles 
bat der Handelsgeift vollbracht, deſſen gewaltigfier Herold ein Mann 
deutſchen Stammes, ein armer verlaufener Junge unbemittelter 
Aeltern, Johann Jacob Aſtor war, einer der größten und ver⸗ 
dienſtvollſten Männer aller Zeiten. „Du, beſter Oheim, beſitzeſt 
ähnliche Triebe, und wenn du nur willſt und der Schwungkraft 
meines jugendlichen Geiſtes, die Alles zu unternehmen Luſt und 
Muth Hat, dich bedienen magſt, wie du kannſt und darfſt, jo kön⸗ 
nen wir vereint dem Süden Amerika's daſſelbe werden, was unfer 
vom Glück begünftigter Landsmann den Vereinigten Staaten Nord= 
amerika's bereits geworden iſt. 

Vergib mir, theuerſter Oheim, daß ich ſo ganz offen mein 
übervolles Herz bir enthülle. Ich muß es thun, denn es drängt 


— 202 — 


mich dazu. Wir müffen uns ganz kennen Iernen, um fpäter mit 
voller Kraft, mit ganzer Webereinftimmung wirken und unfere Welt- 
verbefferungspläne ausführen zu können. Darum bitte ich dic, 
wirf diefen Brief nicht von dir, fondern höre meinem Geſchwätz, 
das auf logiſche Folge Feinen Anſpruch macht, auch Länger noch zu. 

Ich läugne es nicht, Oheim, mir ſchwebt ein Ideal vor, bad 
am Tage mich entzückt und zu größter Thätigkeit anſpornt, und 
des Nachts meine Träume mit phantaſtiſch hellen Lichtern aus⸗ 
ſchmückt. Ein Traumbild, ein bleſes Phantom darf dies Ideal 
nicht bleiben, ſonſt würde ich mein Leben ein verfehltes ſchelten 
müſſen. 

Bisher war der Kaufmann mehr blos Eroberer und kluger 
Verwender der Schätze, die ihm der Handel zuführte, er kann und 
ſoll aber, wie ich die Aufgabe des Kaufmannes und Rheders faſſe, 
noch weit Größeres vollbringen. Der Handel kann dereinſt den 
Krieg ablöſen. Das mag parador klingen, dennoch liegt eine 
Wahrheit darin. Die Zriedensprediger, die bin und wieder ihre 
Stimme erheben, find zwar nicht nad) meinem Sefchntad, denn es 
liegt eine füßliche Unkraft in ihrem bittenden Geflöte, daß ich viel 
lieber ein herzhaftes Hedenfeuer anhören, und mitmachen will, als 
den Bügelhalter diejer näjelnden Kopfhänger abgeben, die mir vor- 
fommen wie Gaftraten des männlihen Stolzes und Muthes. 

Höre, wie ich mir dem frledlich erobernden Kaufmann denke. 
Bor meinem geiftigen Auge fieht ein Mann, jugendfräftig, geſund 
an Leib und Seele, fharfen Blides, hellen Verftandes, gebildet, 
was ich unter gebildet verftehe, tft alfo ein Mann, der nit nur 
feine vier Spectes, feine Kettenregel verftieht und weiß, was eine 
Primzahl tft, fondern, der mit Einjchluß der rein kaufmänniſchen 
Bildung mächtig iſt der berrihenden europäiſchen Sprachen, der 
auf einer gelehrten Schule fi genügende Kenntniffe claffifher 
Bildung angeeignet, auf einer Univerfität wenigftens ein Jahr 
lang Jurisprudenz und Gameralwiffenihaften gehört und auch 
wirklich ſtudirt, mithin begriffen hat. Ihm find ferner geläufig 
alle neueften Erfindungen, er tft heimiſch in den Naturwiſſenſchaf⸗ 


— 203 — 


ten und verfieht ein Urtheil abzugeben, wenn Jemand feinen Rath 
begehrt. Ein Kaufmann, der folhes Rüſtzeug führt, deflen Schild 
bie Bildung, deſſen Schwert die Zunge, deflen Wappen der Feder: 
zug tft, den er feinem Namen anhängt, bat die Kraft und den 
Beruf, überall fih und feinen Willen geltend zu machen. Wo er 
eriheint, weicht feinem beffern Willen die Uncultur. Gr fiegt im- 
mer und fiegend gewinnt er Boden, gründet er Golonieen. Die 
Colonie weitet fih aus zum Gemeinweſen, das Gemeinweſen er- 
blüht zum Staate, der fih felbft regiert durch die Intelligenz ſei⸗ 
ner Gründer. Das materielle Gut, das Product des Bodens und 
der arbeitenden Hand tauſcht dafür geiftiges But, das Product bes 
Denfers und des fhaffenden Gehirnes ein, und weil Staat und 
Gemeinde, Wohlfahrt des Einzelnen und Sicherheit Aller nicht 
denkbar find ohne Schule und Kirche, fo erbaut fi die Dankbar⸗ 
feit des Menfchen neben der Arbeitshütte von felbft den Tempel, 
in deſſen geheiligtem Raume die Andacht und der Glaube wohnt. 

Meint du wohl, daß einmal eine Zeit konmen wird, von 
der fih jagen läßt, es jet erfüllt, was ih im Hinblid auf die 
Zukunft und im gefiherten Beſitz deſſen, was wir errungen, hier 
als Ziel des Handels bezeichnet habe? Ich glaube es, Liebiter 
Dheim, ohne an Utopten zu glauben. Die Welt hat ganz un- 
glaublihe Fortſchritte gemacht, die nur benutzt fein wollen, und 
wir müſſen uns wirklich mit einem Poeten oder beſſer mit allen 
Männern geiftigen Forſchens affoeitren, wollen wir den Kriegsgott 
abfegen und ohne die Welt in Müffiggang und trägem Alltagsle- 
ben verfjumpfen zu laſſen, den Gott der Künfte und bes Handels 
an deſſen Stelle fegen. Wo die Mafchine fauft und mit ih— 
ren Hebeln, Zangen, Zähnen und Rädern die Hand des Menfchen 
erfegt, da hat der denkende Kopf Zeit genug, Über die Auflöfung 
noch unbetannter Welträthfel nachzudenken. Der Thätige, der 
Dentende und Schaffende aber verfumpft nie. Kriegsheere und Ka⸗ 
nonendonner rütteln die Völker auf, es tft wahr, follte fi denn 
aber nicht dafjelbe mit weniger traurigen Folgen, unter Thränen 
ber Freude, nicht des Schmerzes und Kummers, thun laflen, wenn 


— 204 — 


wir das Eiſen der fhaffenden Intelligenz dienftbar mahen? Nehmt 
alles Metal und verwendet es zur Hebung der Gultur. Löthet 
mit dem Schlagloth der Ideen, der Erfindungen die Kette zuſam⸗ 
men, die einen neuen Bund .fliftet unter den Völkern, den Frei— 
mauererbund der geiltig und materiell Strebenden, denen feine 
MWiffenfhaft zu neu und hoch, Tein Gedanke zu fühn, fein Wag— 
niß zu groß iſt, wenn es gilt, Die Menjchheit zu beglüden ! 
| Da, befter Oheim, Haft du ein flüchtig hingeworfenes Broufl- 
Ion ber Pläne, die in mir gähren. Alles, ih weiß es, wird fich 
nicht erfüllen, Manches aber fchlägt mir ficherlih ein, und wenn 
ih fterbe, Tann ich ruhig mein Haupt niederlegen und ausrufen: 
Herr, bier find fie alle, die du mir gegeben haft — die hoch aufs 
gefihoffenen Kinder meiner Gedanken, ohne Fehl, ein freudig in 
die Zufunft blidendes Geſchlecht, dem bereinft noch glüdlichere 
entkeimen werben. 

Ich fehe ein Lächeln über dein Gefiht gleiten, du Vielge— 
prüfter, das dem jugendlihen Schwärmer gilt, den bu vielleicht 
bemitleideſt. Ja, ih bin ein Schwärmer, und ich wünſche es zu 
bleiben, wenn Schwärmen nichts Anderes iſt, als Baufteine fam- 
meln, zuhauen und aufthürmen für die Erziehungshäufer, die Tem- 
pel und Kirchen des zufünftigen Geſchlechtes. Aber ich will und 
muß abbreden, da ich noch vielerlei Anderes auf dem Herzen und 
dir mitzutheilen habe. — — 

Der Lefende legte bier das Schreiben nieder und fügte fin= 
nend die gebräunte Stirn in feine Hand. Kein Lächeln erhellte 
feine hart gewordenen Züge. Die großen, tiefen Augen richteten 
fih nah Oben, als fuchten fie dort an dem ungewiſſen Lichtge- 
flimmer der Lampe, die ihren matten Schein über das Dedengebälf 
ber Cajüte ausgoß, eine Antwort zu leſen auf ſtill hingeworfene 
Fragen. 

Nah einiger Zeit nahm ber Ginjame 6 den Brief wieder auf 
und las welter: 

Unfer Familienleben, , beſter Oheim, tft felt dem Feſte, das 
ein fo betrübendes Ende nahm, ſtiller und einförmiger geworben 


— 105 — 


als früher. Der Vater mißtraut jebt faft allen Menſchen, die er 
nicht ganz genau kennt, und erſt, wenn er untrügliche Beweiſe von 
Jemandes Treue oder Zuverläſſigkeit in den Händen hat, erſchließt 
fich ſein großes, menſchlich gutes Herz, und von Neuem leben alle 
Pläne der Vergangenheit wieder in ihm auf. Am meiſten drückt 
den Vater der ſtille Kummer ſeines langjährigen Quartiersmanns 
um die noch immer nicht wieder gefundene Tochter, Wäre an⸗ 
zunehmen, daß fie verunglüdt jet, fo würde der brave Alte fid 
tröften und refolut fallen, wir find aber durch unermüdetes For- 
fhen zu der traurigen Weberzeugung gekommen, daß fie höchſt 
wahrſcheinlich lebt, vielleicht in harter Gefangenfchaft, vieleicht in 
glänzenden, aber entwürdigenden Verhältniffen. ine frevle Hand 
Hat die Unglüdlihe geraubt und irgendwo — ob nah, ob fern 
von der Heimath wer mag es fagen! — in fiherm Verſteck uns 
tergebraht. Wo aber tft die frevle Hand zu fuhen? Hat man 
fie aufzufpüren in den höchſten Schichten der Gefellfhaft, wofür 
fih) wenigſtens Vermuthungen aufftellen laſſen, oder muß man 
hinabfteigen in die tieferen Kreife, was abermals Manches für fi 
bat? Hier find den Vermuthungen, dem Verdachte enblofe Irr⸗ 
pfade eröffnet, denn an wirklich haltbaren Spuren fehlt es durch⸗ 
aus. Wir wiffen nur, daß ungefähr um die Zeit, wo Ghriftine 
verfhmunden tft, von einigen fehläfrigen Wächtern ein ſtarker Na= 
hen bemerkt wurde, welder mit langfamen Ruderfchlägen unter 
der Holzbrüde hindurchſchwamm. Die Wächter wollen drei Berfo- 
nen darin erfannt haben, die wie Fiſcher von den Injeln geflei- 
det waren. Der meifte Verdacht ruht bis jet noch auf einem 
Matrofen, Namens Miguel, einem jungen Manne von höchſt zwei- 
felhaftem Charakter, und auf befien Zreunde, dem Steuermanne 
Andreas vom Schooner „Adolphine”. Beide junge Leute waren 
befreundet und ftellten dem jungen Mädchen, noch ehe dafjelbe als 
Geſellſchafterin unſer Haus betrat, nad. Miguel, ber von unbes 
kannter neufpanticher oder Halbportugtefifcher Abkunft iſt — feine 
wirkliche Heimath iſt nämlich nicht befannt — hatte fogar wieder- 
Holt in Tetdenfchaftlichen Worten betheuert, dag er ohne Ghriftine 


— 206 — 


nicht leben könne. Auffallend nun iſt es, daß ſowohl Andreas 
wie Miguel in der Nacht, wo Chriſtine aus, unferm Haufe ge= 
raubt wurde, ebenfalls verfchwunden und zwar fpurlos verfhwun- 
ben find. Gegen neun Uhr Abends holte Andreas feinen Freund 
Miguel von feinem Schlafbans ab. Ste flüfterten Tebhaft mit 
einander, ehe fie fortgingen, und Andreas bat fogar den Baas, er 
möge bis nah Mitternaht auf fie warten, da fie erft um diefe 
Zeit zurückkommen würden. Der Baas Hat fpäterhin ausgefagt 
und feine Ausfage fogar eidlich erhärtet, daß Miguel fehr finfter, 
fat gefährlich wild ausgefehen und außer feinem gewöhnlichen 
Mefler, das er ftets bet ſich getragen, noch einen kleinen zierlichen 
Dolch in die Falten feiner Schärpe geſteckt habe. Dieſe Anzeichen 
deuten auf eine Entführung des jungen Mädchens durch die ge= 
nannten beiden jungen Männer. Etwas Wetteres, Verfänglicheres 
tft aber nicht ermittelt worden, ungeachtet die Behörde alle Mittel, 
allen Scharfſinn aufgeboten hat, um diefem höchſt feltfamen Hans 
bel auf Die Spur zu Fommen. 

Diefes fatale Ereigniß hat uns Alle, wie Du wohl denten 
kannſt, ſehr ſchwer betroffen. Es kähmte felbft in ben erſten Ta- 
gen unfere gewohnte Thätigleit, fo daß es falt etwas drüber und 
drunter ging. Da Iernten wir in der That mit Staunen und 
mit Rührung zugleich kennen, wie völlig unſchätzbar ein Menſch 
tft, deflen ganzes Dafein in einem ihm theuer gewordenen Gejhäft 
gleihjam aufgeht. Du erinnerft dich gewiß noch des veblichen, 
IN fleißigen, einfieblerifhen Buchhalters Treufreund, Vater fagt, 
er habe dich geliebt, wie einen Sohn und did ftets in Schuß ge⸗ 
nommen, wenn Andere dir Lieblofigfeit, Starrfinn und Hochfahren- 
beit Schuld gaben. Diefer brave Alte, der jebt manderlei lächer⸗ 
Iihe Gewohnheiten angenommen hat, weshalb er die Zielfcheibe 
junger Wiblinge tft, ohne es zum Glück zu bemerken, lebt nod 
in unferm Haufe und iſt nah Kräften thätlg. Als er nun un- 
jere Verſtörung ſah und den bedenklihen Trübfinn bes Waters, 
da fam jener wunderbare Getft der Aufopferung fiber ihn, den 
wir fo gern geneigt find, für Meberfpannungzzu halten, und ben 


— 307 — 


wir am Tiebften nur den Märtyrern vindiciren. Er gar auf ber 
Stelle die Seele des Haufed. Es gilt die Ehre, die Erhaltung 
der Firma, ſprach er zu fi jelbft, obwohl er zu den Nieberges 
Thlageniten gehörte, und als fei gar nichts vorgefallen, handelte 
er mit des Vaters Genehmigung für diefen und bewahrte das 
Haus dur fein wahrhaft bewundernswürdiges Verfahren vor bes 
traͤchtlichen Verluſten. Leider war es und bis jebt noch nicht 
möglich, der ehrlichen Seele mitzutheilen, daß du noch lebſt. Wir 
fürdten, die Freude möchte ihn tödten, Nur ein glüdlicher Zufall 
Tann diefe Mittheilung ermöglichen. Deine mit ihm geführte Cor⸗ 
vefpondenz tft Treufreund’s größter Schag. Diefe hält er vor Je⸗ 
bermannd Augen verborgen. Nur an fiillen Sonntagen, wenn 
das Haus leer geworden oder des Nachts, wenn Alles fchläft, 
fhlüpft der treue, tieffüblende Menſch in's Comptoir und ſtudirt 
in den alten Blättern, deren Dinte gewiß längit ſchon gelb und 
unfcheinbar geworden iſt. Er ſchließt fih dann ein, wie ber Gei⸗ 
zige, der über der offenen Gelbfifte ſitzt und bei verfchloffenen Thü— 
ren feine Augen an dem falten Silberglanz der blinfenden, in 
Menge zufammengetragenen Chabons *) weidet. Nur zählt Treu— 
freund feine filberne Doppelmarkftüde, fondern die Diamantfläub- 
hen, die von dem Herzen eines wahren Freundes an feiner Seele 
ſich angeſetzt haben. 

Von deinem Sohne, den du in Europa, ja ſogar in Deutſch⸗ 
land vermuthelt, haben wir bis zu biefer Stunde feine Spur zu 
entdeden vermocht. Die havanefifche Firma muß entweder erfuns 
den fein oder fett längerer Zeit nicht mehr beitehen. Man kennt 
fie niht. Auf diefem Wege alfo wird die Ermittelung Taum 
möglid, werden. Ja, wenn du irgend ein Merkmal angeben könn 
teft, dag fi nicht verwifchen läßt, Uber du biſt ja faum je im 
Befig deines Kindes geweſen und haft alfo wahrſcheinlich aud nicht 
darauf geachtet. 


*) Doppelmarkftüde von feinftem Silber, während der franzöſiſchen Herr» 
haft geichlagen, und gegenwärtig nur noch in geringer Anzahl vor- 
handen. 


— 208 — 


Bitteg beiter Oheim, ſchreibe unmittelbar nah Empfang die 
ſes Briefes wieder und laſſ' uns wiſſen, was du befchloffen haft. 
Wir müffen uns bald ſprechen, womdglih noch in diefem Jahre. 
Die Wiederaufrihtung der Handlung drüben, ſei's in Rio oder 
an einem andern, günftig gelegenen Plabe, fteht fe. Einer von 
und Brüdern tritt die Reife dahin an, fobald du geſprochen und 
einen unumſtößlichen Entſchluß gefaßt haſt. 

Von den Aeltern, Bruder Ferdinand und meiner kleinen zar⸗ 
ten Schweſter, die fett einigen Monaten die merkwürdige Ent- 
deckung gemacht zu haben fcheint, daß zwei Lichtfirahlen, die aus 
verfchtedenen Augen hervorbringend, fich begegnen, ein eigenthümlich 
wohlthuendes Gefühl im Herzen erzeugen, viele Grüße. Die Leb- 
tere pflegt mit aufopfernder Sorgfalt zwei fhöne Myrtenbaum- 
hen und behauptet mit Tiebenswürdiger Natvetät, fie würden bin— 
nen Sahresfrift groß genug geworben fein, um Retfer und Blüthen 
zu dem fhhönften Brautkranze herzugeben, ohne dadurch an Zierde 
und Kraft zu viel zu verlieren. Es iſt wunderbar, wie ſchnell 
bie Mädchen Hug werben, fobald fie volle achtzehn Sommer zäh— 
len. Deine Nichte Elifabeth gehört unbeftritten zu den allerge- 
ſcheidteſten, denn nicht allein,. daß fie fingt, fpielt, artig malt und 
ſchön ſchreibt; fie philofophtrt auch, macht niedliche Verſe, ohne fich 
in den Versfüßen zu verzählen, und tft fogar, was mir bisher 
bei feinem andern Mädchen ihres Alters vorgefommen, nicht im 
Geringften gegen das Heirathen eingenommen ! 

Lebe wohl, befter Onkel, und lies dir aus dieſem endlofen 
Schreiben fo viele Grüße eines dir treu ergebenen Herzens heraus, 
als du braucht, dich in deiner Einſamkeit zu ftärfen. 

Dein aufrichtiger Neffe 
Eduard. Heidenfret. 





— 209 — 


Drittes Rapitel. 





Gedankenſeelen eines angehenden Nhebers. 


Die Lectüre diefes Briefes mußte Auguftin Hohenfels, ben 
unfere Leſer bereits in dem einfamen BPaflagier erkannt haben, 
etwas beruhigt haben. Cr ſah heiterer, faſt glüdlih aus, und 
aus feinen großen Augen brach das fprühende Licht zündender 
Gedanfen. 

Das Schreiben feines Neffen, den er perfönlich eben fo wenig 
fannte, wie mandes andere Individuum, von weldhem die Rede 
darin war, hatte des eigenthümlihen Mannes ganzen Beifall, 
Auguftin Tiebte Eduard, nicht fowohl, weil er fein Neffe, das Kind 
feiner Schweſter war, fondern weil aus den Worten des jungen, 
ftrebenden, denkenden Kaufmannes ihm fein eigenes Wollen und 
Ringen in frifcher, fhöner Jugendblüthe entgegenfhlug. Darum 
war er auch weit entfernt, Die manderlei Auslaffungen, die aller= 
Dinge im Wunde eined nur berechnenden und großen Gewinn 
erztelenden Kaufmannes eigenthümlich Elangen, als unerreichbare 
Phantafieen eines Schwärmers zu belächeln. Hohenfels fühlte fich 
gehoben und geftärkt durch die Mitteilungen feines Neffen, und 
gerade, weil in einem Jüngeren Ideen Yebten, die den feinigen 
analog waren und diefe zum Theil noch ergäanzten, glaubte ber 
jet gereifte Mann, den fo viele Stürme nicht zu brechen vermod- 
ten, fein Leben und Wollen könne doch nicht ein ganz verfehltes 
genannt werden. 

Auguftin Hohenfels legte das Schreiben zu den beiden Me— 
daillons und ergriff jebt das ftarfe Gonvolut Dicht bejchriebener 
Papiere. Unſchlüſſig, ob er es öffnen folle oder nicht, faß er eine 
Heine Weile, dann Iöfte er mit raſchem Griff die Umhüllung und 
entfaltete ein Manufeript, das die Ueberfchrift trug: „Aufzeid- 
nungen aus meinem Leben.” | 

Wie er diefe Worte und den Tag las, an welchem er bie 
erften Blätter derfelben niedergefchrieben Hatte, überrieſelten fein 

D. B. XI Willkomm's Rheder und Matrofe, 14 


— 2110 — 


Herz abwechſelnd Schmerzens⸗- und Wonneſchauer. Noch zögerte 
er, und wohl dreimal zog er die Hand zurück von dieſen Aufzeich- 
nungen, als enthielten fie Gift, deſſen bloßer Duft ſchon lähmend, 
wo nicht tödtlich wirke. Auguftin kam fid) vor bald wie ein Tod⸗ 
tengräber, bald wie ein Geifterbanner, und in der That konnte er 
fib aus dem Sinen in den Anbern verwandeln. Es war fein 
Grabmal, deſſen Dedel er aufgebrochen hatte. Da drinnen in ber 
vergilbten Hülle diefer Paptere lag fein ganzes vergangenes Leben 
begraben. Da war ber Menfh, der er einft gewefen, unbemerkt 
vermodert, in Staub zerfallen. Ihn herausnehmen, die Atome 
dieſes Staubes jet wieder in einen Körper formen, hieß feinen 
eigenen Leichnam zu einer verfrühten Auferftehung zwingen. Und 
dann war er auch Geiftesbanner; denn war auch der Leib feines - 
Lebens verweſ't und verweht, wie die abgelaufene Stunde, der ver⸗ 
gangene Tag unwiberbringlih vom Schlund ber Zeit verſchluckt 
worden tft, die Seele, welde diefen Leib belebte, dieſe Seele glimmte 
no fort, ähnlich den unten unter ber Aſche, den ein Ieifer 
Athemzug wieder zu heil auflodernder Flamme anfahen Tann. 
Rief er diefe Seele wach, fo fliegen die Geifter der Vergangenheit 
vor ihm auf und zwangen ihn nod einmal, unter Jauchzen und 
Zähnellappen das Leben an ſich vorüberziehen zu laſſen, für das 
er bald geihwärmt, bald gelitten und geblutet Hatte, 

Endlih fiegte das Bedürfniß, feine Wünfche, die Tängft als 
bloge Chryfaltven der Zukunft in den Gden feiner begrabenen 
Vergangenheit des belebenden Sonnenftrahles harrten, zu durch⸗ 
muftern, über den Widerwillen oder die Furcht, fi ſelbſt Getßel- 
hiebe beizubringen. Auguftin Hobenfels flug die Blätter auf und 
begann bald da, bald dort darin zu lefen. 

Um den ungewöhnliden Mann, der fpäter noch mit gewalti- 
ger Hand beftimmend in die Greigniffe, welche wir mitzutbeilen 
haben, eingreifen wird, ganz zu verfiehen, fehen wir uns veran⸗ 
laßt, Einzelnes aus diefen Aufzeichnungen eines Kaufmannes und 
Rheders Hier mitzutheilen. 

Wenige Wochen nah Auguftin Hohenfels’ Ankunft in Bra- 





—— 27111 — 


filten und unmittelbar nad der Rüdfehr von einem längeren Aus- 
fluge in die nächte malerifche Umgebung ber paradiefifch gelegenen 
Hauptſtadt eröffnete er feine Aufzeichnungen mit folgenden Be— 
merfungen: 


Die Jünger Chrifti, nad deflen Namen die größte aller jet 
beftehenden Religtonsgemeinfhaften fid nennt, riefen aus: Hier 
laßt uns Hütten bauen, denn hier tft die Stätte des Himmels! 
Ohne Vorurtheil müffen wir Das von jedem Fußbreit Erde fagen, 
welche der Balfamhaud des Weltgeiftes befruchtet. Gottes Statt, 
der Himmel, das Paradies — es tft überall, wo ein Iebendiges, 
denfendes Atom der Gottheit weilt und fi bemüht, biefes Gott 
heitkeimes fich bewußt zu werden, bamit er treibe, blühe, Früchte 
trage! 


Wie feltfam tft doch der Menſch geartet! Wie unbegreiflich 
weit hat er fih entfernt von dem nährenden Born des wahren 
Lebens, des unverfiegbaren ewigen Glüdes, das doc Allen gege= 
ben, befchteden tft und das fo offen Iiegt vor Jedermanns Augen! 
— — Barum fehen und erkennen es nur fo Wenige? Warum 
ſtolpern Milftonen wild flürmend darüber hin und verrennen fi 
in das Chaos, in dem fie verfhmahten? — Weil die Leidenfchaft, 

der gemeine Dünkel fie abfallen läßt von der lichten Milchſtraße 
des Gedankens, die am Zenith unferes Seelenhimmels ſchimmert! 
— Nichts iſt Leichter als Glücklichſein, Glücklichwerden, denn Glüd 
ift die harmoniſche Entfaltung aller in ung ruhenden edeln Kräfte, 
welche das Gemeine, das Thieriſche niederhält und bezähmt. Das 
Glück regiert die Welt, wenn nur die Menſchen es wollen. Daß 
es fo Vielen ſich in Unglück verkehrt, davon trägt nur die Unver⸗ 
nunft, die wieder eine Folge der Unbildung fl, Die Schuld. Bil- 
det Euch und fiellt die Bildung unter die Obhut des in jedem 
Menfchen lebenden Geiftes, der jenes Wort des chriftiihen Jüngers 
immer und überall Euch in's Ohr raunt, und das Glüd kann 
Euch nie entfhwinden! Aber freilih, der Menſch tft ſchwach und 
gerade die Begabteften wühlen wie Maulwürfe am unabläffigften 

j 14* 


‘ 


— AL — 


in dem Boden, worauf das Fryftallene Sacramenthäuschen ihres 
Glückes fi erhebt. 

Es ift die banale Redensart aller Kaufleute, die man täglich 
hören muß — an der Börfe, am Hafen, auf der Werft, wenn 
ber Kiel zu einem neuen Fahrzeuge gelegt wird und wenn es von 
dem Helgen hinabfchießt in den Strom, jauchzend beklatſcht von 
den neugierig auftauchenden Nymphen, die es fhaufelnd und lä— 
helnd auf ihren weißen Händen wiegen: möchte das Glück ihm 
nur hold fein! Von dem Schiffe, das aus Holz und fo und fo 
viel eifernen Klammern durch Menſchenkunſt entitanden it, fann 
man vernünftigerweife nichts verlangen, nur wünfchen läßt ſich, 
ed möge gut ſchwimmen, raſch fegeln und von einem intelligenten, 
ruhigen, entſchloſſenen Capitain dereinft commandirt werden, ber 
Menſch aber, welher im Ernſt wünfhen kann, er möge Glüd has 
ben, verfündigt fi gegen die Gottheit, die ihn zum Rang eines 
denkenden Geiftes erhoben hat. Glück ift nichts, der Wille, das 
Urtheil, die richtige Anwendung unferer Kräfte und Anlagen, alfo 
die wetfefte Ausbeutung des Talentes tft Alles. Wer feine Ans 
lagen erkennt und wirklich benugt, aber in weitefler Ausdehnung 
benußt, der hat Glück, denn er muß und wird immer fiegen. 
Diefes Stegen aber ift Erfüllung feiner Weltfendung, iſt Gottan— 
betung, weil der Menfch die Erde, diefen Schemel Gottes, zu deffen 
Throne erhebt. Darum finde ih unter allerlei Volt, im Wald, 
auf dem Bergwall, in der Wüſte und dem Dünenthal jenes hoch— 
heilige Bethel, jene Stätte des Himmels, wo die nie ausſterbenden 
Jünger Chriſti, d. h. der ewig mwelterlöfenden, raſtlos fortjchreiten- 
den Geiftescultur aufgeforbert werden und fich felbit auffordern, 
Hütten zu bauen. - 





Die neue Welt! — Ein bezeichnenderer Ausdruf für den 
von Columbus entdedten großen, amerikaniſchen Gontinent kann 
nicht erfunden werden. Dem Guropäer, dem Sohne der alten 
Melt tft Alles bier in der andern Hemifphäre neu. Ein nie er— 
blickter Himmel mit Sternbtldern vol wunderbaren Glanzes, eine 


— 213 — 


Erde, aus Gonglomeraten zufammengefegt, Die man in Europa 
dem Fabellande verleihen würde, Pflanzen, Geſträuche, Bäume, 
deren Blätter, Blüthen und Sarbenmannicfaltigkeit und geradezu 
erichredt, Thiere, die wir ſchaudernd bewundern: dies Alles tit fo 
ungewöhnlich, erjheint fo geradezu aus der Luft herabgefallen, daß 
ed dem alt geworden Europa noch einige Jahrhunderte lang neu 
bleiben wird. Auch die Menfhen rechtfertigen daſſelbe Prädicat, 
Sie find zwiefach neu, als Race, wie als Erdenbewohner überhaupt. 
Jeder europäiſche Menſch it, jo wie er das Licht des Tages er- 
blickt und die vier Wände anfchreit, ein Stüd Hiſtorie. Sage und 
Märchen liegen wie eine Tarnkappe auf jedem Neugeborenen und 
flüftern ihm Gefhichten ter Vergangenheit zu, aus denen er Leben 
für Herz und Geift faugt, wie aus der Mutterbruft für den Xetb, 
Ein europätfches Kind, das allein laufen Tann, ift mehr hiſtoriſcher 
Menſch als Hier der Eingeborene ald Mann von fünfzig Jahren. 
Das Fennzeihnet Amerika und unterfheidet e8 am meilten von 
Europa. 

Alles, was hier Anfpruh macht auf Gefhichte, ſtammt aus 
Europa. Das gilt von der Bauart der hiefigen Orte von Be- 
deutung, von Hafen- und Straßenanlagen, von Handel und Schiffe 
fahrt, von Religion und Gefebgebung. Das Alles ift hierher aus 
Europa verfeßt und harmonirt im Grunde nur wenig mit dem 
Autohthonen. Das bier wirklich Heimifche bis hinauf zum Men- 
[hen hat gar feine Bedeutung, denn es fehlt jeder romantiſche 
Hintergrund, jede hiſtoriſche Baſis. Was in Amerifa urmwüdfig 
genannt werden kann, iſt von geftern, ſpricht alfo nicht mit; Es 
gefhieht ihm ſchon große Ehre, wenn man es überhaupt bejtehen 
lit... . 

Darin liegt das ganze Geheimniß des europäifchen Weberge- 
wichtes über die neue Welt. Dies amerikaniſche Fellland hat Gott 
entdeckt werden laſſen, um jein Reih auf Erden zu erweitern, 
feine Herrlichkeit, die unter dem Stoßen und Drängen der zu volf- 
reich gewordenen alten Welt etwas an Glanz verlor, weil diefe 
zahlloſen Millionen Hände zu viel Schmuß anſetzten, mit neuer, 





— A — 


größerer, wunderbarerer Glorie zu umgeben. Die alten, geſchicht⸗ 
lich gebildeten Menſchen mußten hier Fuß faſſen, um dieſe jung- 
fräulihe Erde zu befrudten. Spredt mir nicht von Grauſamkei⸗ 
ten der erften Eroberer — was fie thaten, obwohl es mandem 
kurzſichtigen Menſchen entjeglih, ungereht, barbariih erfcheinen 
mag, war eine gefchtchtliche Nothwendigkeit. Ein Land, das nicht 
die Bluttaufe empfängt, bleibt der Cultur unzugängli, und was 
nicht Cultur aufnimmt oder in fi zeitigt, fleht außer dem Ge- 
fege Gottes, deflen Gebot dahin geht, dag Alles ihm unterwürfig, 
db. h. der Bildung, wie fie ein denfender und fhaffender Menjchen- 
geift als Wert Gottes fih darſtellt, erfhloffen werde. 

Kann es anders fein, als es fhon jebt bier iſt? Wäre es 
möglich oder nur denfbar, daß der intelligente, mit hellem Geift 
und mit taufend Künften ausgerüftete Gindringling aus Europa 
dies Paradies deshalb wieder verlaflen follte, weil der rote Mann 
in feiner urwüchſigen Wildheit ihm bie Keule und das Skalpir⸗ 
meffer entgegenhält und mit Todtſchlag droht, wenn der Weiße 
ihm nicht gehorchen will? Ein Narr, ein Verdammter müßte er 
gefholten werben, ließe der Culturmenſch durch folhe Drohung 
fi zurückſchrecken in fein altes Heimathland! . . . Das erfte Pa- 
rabies verlor er um den Preis der Erkenntniß, im zweiten Para- 
biefe, das ihm als Frucht der gefteigerten Erkenntniß mit allen 
Gottesgaben gleihfam vom Himmel herab in den Schooß fiel, 
müßte er für ewige Zeiten als Gejpenft umgehen und trauern um 
das Teichtfinnig Verſcherzte, Tiefe er fih von den ſchreckhaft rau- 
fhenden Schatten einer Race, die ihm nicht ebenbürtig iſt, ver- 
jagen. 

Mir tft dies Amerika das wiedergefundene oder vielmehr das 
wiebereroberte Paradies. Hier ift der Menſch der alten Welt be= 
rufen, die Früchte zu breden, die eine fünftaufendjährige Griftenz 
feines Gefchlechtes, wo es die Noth zur Arbeit, die Arbeit zur Er» 
findung, die Erfindung zum berechtigten Herrſcher auf Erden er⸗ 
bob, langſam genug für ihn reifen ließ .... 


—— erden —— 





— 215 — 


Den Urwald fehen und dann noch Gott Iäugnen, wäre bie 
ärgfte aller Todfünden! Ich bin nie religidfer geftimmt, nie fröm«- 
mer und demüthiger gewefen, als vor drei Wochen, als th zum 
erften Male diefe Werkftätte der Natur betrat. 

ALS Kind mochte ich am Tiebften beten, wenn mich bie Mutter 
auf ihren Schooß nahm, fi mit mir an's Fenſter ſetzte und mir 
den geftirnten Himmel zeigte. Ich begriff dann, was Beten be= 
beutet, denn ein Hauch der Unendlichkeit, des Gottewigen ging mit 
dem Kuß der betenden Mutterliebe über mein heiß Elopfenbes 
Kinderherz. Später, als die Luft des Lebens um mid brandete, 
eine Schaar Iuftiger Gefellen an meinem Iuftig erbauten Tempel⸗ 
hen rüttelten, wo in fihimmernder Krippe das unmündige Kind 
meines Blaubens nicht lebte, fondern nur träumte, verlernte ich 
das Beten. Wohl ift mir dabei nie geworden, aber id meinte 
doch, es ſei mir wohl. Zu trogen tft für ein flürmifch fchlagen- 
des Herz gar angenehm, und es tft auch gut, denn aller Troß 
ſtählt die Kräfte, härtet ab, wedt auf, gibt und Gedanken und 
lehrt und erfennen. Darum Tann die Welt des Widerftandes nie 
entbehren, und ber feftefte Kitt des Weltgebäudes bildet der fre- 
velnde Geift, der ſich blutig rigt im Streben und fih dadurch 
felbft zum Beſſern emporarbettet. Das habe th recht durchgefühlt, 
als mir das Elend, die Noth mit brutaler Kauft in's Geficht 
flug. Der Rippenftoß jedes fogenannten Unglüdes tft ein Fin- 
gerzeig, der uns zurechtweifen will auf den wirr durcheinander lau⸗ 
fenden Lebenspfaden. Anfangs begriff ih das freilich nicht, mie 
th aber Hier in den Zaubern des Urwaldes beinahe meine Sinne 
verlor und das Auge einer gefräßigen Anaconda mit Baſilisken⸗ 
biiden mich firirte, da erwachte in mir die Gedankenkraft bes trotzi⸗ 
gen Menfhen, und ich rettete mich mit unmillfürlih betendem 
Munde aus ber Angft des Todes. So warb aus Troß ſelbſt⸗ 
erfannte Stärke, und der Starke tft immer in tiefiter Seele de= 
müthig. — — 


— 216 — 


Wohl dir, daß du Fein Enkel bift! fagt Goethe. Ich fühle 
mich, ſeit Ich dies Küftenland der neuen Welt betreten habe, an 
jedem Tage gedrungen, recht aus Herzensgrunde auszurufen: Wohl 
mir, daß ih ein Kaufmann, ein Rheder bin! 

Mie das? würden die gelehrten Katheberherren, die Männer 
mit weißen Halskraufen und ſchwarzen Roben und die überfhweng- 
Ih Mugen Büchermacer fragen. Darauf will ih Antwort geben, 
und ih bedauere nur, daß diefe Antwort, aller Wahrfcheinlichkeit 
nah, nie Jemand leſen wird. Dielleiht aber verhilft fie einer 
Motte zu Gedanken und jagt das Thierhen fort auf den Kragen 
eines ber Weiſeſten, um ihm bie fpintifirenden Gedanken eines 
grilfenfängerifchen Kaufmannes in's Ohr zu mwispern. 

Kaufmann fein, heißt, feit Gott die neue Welt uns fünden- 
beladene Europäer entdeden ließ, der Säemann werben, welcher 
überall Hin mit vollen Händen Fruchtlörner verftreut, damit fie 
aufgehen in Wind und Wetter, auf fleinigem Boden, unter Dor- 
nen und auf fruchtbarer Scholle. Es Liegt wenig daran, daß von 
diefer den ganzen Erdkreis umfaffenden Ausfaat des Kaufmannes 
da und dort ein Korn zerireten wird oder entartet und ald wu= 
cherndes Unfraut in Blüthe ſchießt. Das tft vielmehr erſt der 
rechte Segen des faufmännifhen Wirfens, denn er gebiert wieder 
den jätenden Gärtner und fördert das beſſere Gedeihen der übrt- 
gen Früchte. 

So lange der Handel beſchränkt war auf bie Grenzen der 
alten Welt, Eonnte er fih nur in beflimmten Kreifen, in ein und 
demjelben, wenn aud ziemlih weit gezogenen, Zirkel bewegen. - 
Angefommen an der Außerfien Peripherie diefes Zirkeld war er 
genöthigt, umzufehren und wieder den Mittelpunft aufzufuchen, 
damit er fih bier zu neuem Auslauf kräftige. Diefen Krebsgang 
braucht er jegt nicht mehr einzufihlagen. Der Handel geht, wie 
der praftifhe Engländer fagt, round the world. Die Schiffe, 
dieſe beflügelten Boten, deren der Kaufmann fich bedient, um über 
die rollende Fläche der Meere zu gleiten, eilen unabläffig, Tag 
für Tag, Jahr für Jahr, feit man die Welt umfegeln gelernt Hat, 





— 217 — 


als Weberſchiffe Gottes um den Erdball, und weben nicht blos, 
wie der Dichter jagt, „Gottes Tebendiges Kleid,“ fondern ſchürzen 
gleichzeitig auch Knoten in dies Gewebe, an denen die Menſchheit 
die Leuchten der Bildung aufhängen Tann, damit fie alle den 
Völkern, die noch nicht diefer Erkenntniß theilhaftig geworden find, 
zu Sammelpläßen dienen. 

Und ih follte mich nicht freuen, ein Kaufmann zu fein? Ich 
ſollte nicht froßloden, wenn an meines Strebens Schiff die Segel 
fih entfalten, wenn der Steuermann die Hand an das Rad legt 
und der Gapitain fein go on ruft? Die Welt des wahren Kaufe 
mannes ift die Welt der Achten, der unbegrängteften Intelligenz, 
bie erft im neungehnten Jahrhundert Wunder zu wirken berufen 
tft, weil dies zum Jahrhundert der Erfindungen fi ebenſo ficher, 
fo flaunenerregend emporfchwingen wird, wie das vergangene bie 
Geſchichte der Cultur als das Jahrhundert des Humanismus, der 
Philoſophie und Poeſie bezeichnet. 


— 





Die Anhänger, Bewunderer und Propheten des alten Bundes 
wußten die Herrlichkeit des gelobten Landes, das Gott dem aus: 
erwählten Volke zum Wohnſitz beftimmt hatte, nicht befler zu ſchil⸗ 
bern, als daß fie fagten, es fet ein Land, darin Milch und Honig 
flöſſe. Gäbe es jetzt noch Propheten alten Styls, gottbegeifterte, 
gotttrunfene Männer mit überfhmwänglicher, orientaltfher Phantafie 
ausgerüftet, fo würden diefe Brafilten ein Land nennen, wo Weih- 
rauch die Lüfte mit Wohlgerüchen ſchwängert, wo Balfam von 
Pflanzen und Bäumen träuft, Brod unter freiem Himmel wächſt, 
Alles, was die Erde an köſtlichſten Früchten trägt, im Weberfluffe 
vorhanden ift, und die Ströme, der Sand, der im Winde zer- 
fäubt, einen Teppich von Gold und Diamanten über die Erbe 
breitet. Wahrlich, das wäre das gelobtefte Land gewefen für das 
auserwählte Bolt Gottes, denn nirgend fonft Tann der Handels⸗ 
geift fih als Naturbedürfniß vafcher entwideln, wie unter dieſen 
an Schätzen aller Art wahrhaft überreichen Himmelsftrihen! 

Da wundern fih die Menichen, dag bis auf den heutigen 





— 2118 — 


Tag in den Juben ein fo unvertilgbarer Trieb, Handel zu trei- 
ben, wohnt. Alberne Menihen! Als ob das anders fein könnte. 
Gudt in die Bibel, die in fo fern das Buch der Bücher iſt und 
es auch in alle Ewigkeit bleiben wird, als die größten und tief- 
ften Gedanken, die feinften Geheimniffe und gewaltigften Para- 
doxen, die der menfchliche Geiſt gedacht und aufgeftellt hat, darin 
niedergelegt find. Wenn es bie Juden figelt, immer und immer 
Handel zu treiben, fo macht Joſua und Kaleb dafür verantwortlich. 
. Die die faftige Weintraube mit den eigroßen Beeren, an der zwei 
Mann zu fehleppen Hatten, und das fabelhaft fruchtbare Land, wo 
biefe Leckerbiſſen wuchfen, tft Schuld an dem Handelstriebe der Ju: 
ben. In ſterilen Ländern wachen keine Kaufleute, da gedeiht Höch- 
fiens der Krämer. Fruchtbarer Boden aber, eine Erde, die aus 
allen Boren Segen ſchwitzt, reizt zur Verwerthung, zur Vermeh— 
rung dieſes Gottesgeſchenkes, erzeugt alfo den Handelsgeiſt. Des- 
halb läßt fih die Behauptung aufitellen, die ganz biblifh parabor 
Klingt, Kaufleute ächten Schlages ſeien Menſchen nah dem Herzen 
Gottes. Ste mehren nämlich die Productiongkraft der Erde, fie 
verbreiten Segen überall bin, fie fleuern der Noth, fie geben Ar- 
beit, fie bilden durch Arbeit, denn Arbeit ehrt denken und den- 
kend bauen wir am Reiche Gottes. Ergo — kommt ber, Ihr ge= 
fhulten Logiker, und wenn Ihr mir beweifen könnt, daß das Beſte 
in Euern ſchönſten philoſophiſchen Syftemen auf foliderem Ge- 
bantengrunde ruht, wie meine parador klingende Behauptung, 
will ih in ein Klofter gehen und gläubig fagen: ben Rofenkranz 
beten ſei befier, als Straßen durch einen Urwald hauen und ein 
Canos über einen noch nie befahrenen Strom rudern. 

Himmel und Erde, was könnte aus diefem unbelannten Zande, 
deſſen Küftenftriche noch Taum genugjam entbedt worden find, ge⸗ 
macht werden, gründete bier ein neuer Hanjabund Golonteen ! 
Wahrlih, die Erde tft groß und reich genug, um nod vielen hun 
dert Millionen Brod in Fülle zu geben, es werben aber früßer 
oder fpäter troß alledem und alledem Millionen Unglüdliher in 
Noth und Elend untergehen, wenn ein hanbelspolitifcher Kopf nicht 


— 19 — 


die Wünſchelruthe entdedt, der es vorbehalten tft, dieſe verborgenen 
Quellen fließen zu maden. 


WBlüdliches Albion, ich könnte dich haſſen ob deines Glückes! 
Aber das tft ein thörtchter Gedanke, und wie PBolonius, das Pro- 
totyp aller königlichen brauchbaren Räthe fagt, eime gemeine Re- 
densart. Du verbienft dein Glück, Volk von Albion, Das eine 
feiner Wurzelfafern in beutfche Erde verſenkt hält, denn du halt 
es dir erobert. Als Deutſcher und zumal als deutſcher Kaufmann 
beneibe ih dich .... Ih fehe mich umfonft um auf der Flag⸗ 
genfarte nach dem Wimpel, der am Top deutſcher Kriegsſchiffe flat- 
tert. Deutſche Kriegsfhiffe! Es find tempi passati, bie fo 
glüdlih waren deutſche Kriegsihiffe mit hanfifchen Farben auf der 
Oſt⸗ und Nordfee und auf dem Mittelländifhen Meere zu fehen. 
Die letzten Weberrefte deutfcher Kriegsſchiffe, vor denen ehedem die 
Kanonen am Sunde verflummten und Dänen und Schweden ihre 
Flaggen ftrichen, verfaulen langfam in der Salztrave. Sonntags 
kinder wie ich haben das fatale Unglüd, jene verfuntenen Segler 
dann und wann wieder auftauchen aus ihrer kryſtallenen Gruft 
und neu befhmwingt, mit ben Farben des wiedererftandenen beut- 
fhen Reiches über die Meere fleuern zu fehen. Alexander Solt- 
webel fteht dann am Steuer, der Mann am Mittelmaft aber mit 
dem großen, folgen Herrfherblid fieht mir aus wie der im Kyff⸗ 
häufer fchlafende Rothbart . . . Träume, Träume, Träume! . . . 

Und doch — es kann, ed wird, ed muß und foll anders 
werden! Deutſchland kann nicht mehr Lange die Bedientenrolle 
unter den Völkern fptelen, weil es Selbitherrfcher im Reiche der 
Gedanken, im Reiche der Ideen tft. Es liefert die größten Bau⸗ 
meifter für das.auf Erden zu gründende Gottesreih, ben größten, 
fhönften, solllommenften Freiſtaat der Zukunft, für das Reich der 
wahren Intelligenz, die weder Glaubensſätze noch Vorurtheile, 
weder leere Geſetzesformeln noch beſchränkende Privilegien kennt. 
Wer weiß, ob nicht unſer Jahrhundert noch einen neuen Admiral 
Deutſchlands gebiert? Und ſollte er untergehen, wie der letzte 





—— 220 — 


banfifhe Kriegscapttain, der leider faſt im Gedächtniß felbft feiner 
engeren Landsleute, der Hamburger, verihollene Capitain Garp- 
fanger, es wäre Ehre genug für Die Ewigkeit, ald Admiral wies 
der auf einem nen erbauten deutihen Kriegsihiffe commanbirt 
und womöglih eine ordre de bataille ausgegeben zu haben — 
denn ohne etwas Pulverrauch und einige volle Lagen aus gut ge- 
zielten Breitfeiten wird fi eine deutſche Flotte ſchwerlich das 
Meerbürgerrecht erwerben können. 





Ze länger ich bier weile und je mehr ich mich in die Herr- 
lichkeit diefer Natur vertiefe, die mit vollftem Recht eine jung 
fräuliche genannt werden darf, deſto feiter ſetzt fih in mir die 
Meberzeugung, daß der wahre Segen biefes Wunderlandes erft 
durch Vermittlung deutfher Hände der Welt zu Gute kommen 
wird. Hier nun wäre den Regierungen” deutfcher Staaten eine 
würdige Aufgabe gegeben, wenn fie beweifen wollten, daß ihnen 
das Wohl ihrer Völker wahrhaft am Herzen liegt. Es kommt 
Alles auf tüchtiges Wollen, rühriges Angreifen, energifhes Han 
deln an. Mit bloßen Redensarten, mit officibſen Gonfularberich- 
ten wird nicht erzielt. Wenn man aber nicht ſäumig ift und ein 
wenig aus der Hülſe des leidigen Particulartsmus fih heraus— 
arbeiten fann, nur um die angeborenen Fühlfäden bes Geiſtes 
binauszuftreden in daß belebende Arom des brafilianifhen Son— 
nenfeuerd; da läßt fih hier für Deutfchland und zwar. für Ge- 
fammtdeutfhland mehr thun, als dur alle öffentlichen, von den 
Behörden fanctionirten Anbetteleien der Reihen zur Unterftügung 
der Nothleidenden in fo und fo vielen Gebirgen. 

Unerläßlih zuvörderſt iſt es, daß deutſche Bonfularagenten 
ſich mit der braſilianiſchen Regierung in Verbindung ſetzen und es 
dieſer plauſibel machen, wie glücklich und reich das Land durch 
deutſche Coloniſten, die überall mit freudiger Arbeitskraft den 
Sinn für Ordnung und Sitte in fremde Länder bringen, werden 
müſſe. Diefr Miſchung aus Portugieſen, Spaniern, unreinem 
Sklavenblut und wilden Eingebornen iſt zu träg, zu indolent, 





—- 2721 — 


um Bedeutendes zu ſchaffen. Das kann nur die ächt germanifche 
Race. Ferner muß man fi mit der handeltreibenden Welt afjo- 
eitren. Es geht nicht anders, ihr werthen Herren hinter den grüs 
nen Tifhen, die ihr Geſetze ſchmiedet und als Böttcher der Welt 
um das große Faß lauft, bie Reifen treibend, damit das, mas 
darin aufbewahrt wird, Volksglück und Volkswohlfahrt, nicht durch 
die ſchadhaften Dauben fih unbemerkt empfehle. Ohne die Unter: 
flützuüg des praftifchen Handelsftandes erſchließt fih die Blume des 
Glüdes für die darbenden Völker nicht mehr. Ihr Könnt den Ar— 
men Mittel geben, um fie auswandern zu laſſen, thr könnt fie 
fogar koftenfrei über das Meer transportiven, etwas anderes als 
die Verlegung des Elends von dem Diefjeits in’s Jenſeits der 
Atlantis erzielt ihr damit doch nicht. Coloniſation, das tft 
die Sache! Bolonifirt die ungefhwächte Erde dieſes neu. entdeck⸗ 
ten Paradiefes, forgt, daß deutfhe Goloniften Schub und Rechte 
erhalten, ohne Glaufeln, öffnet ihnen die Häfen, laßt Straßen, 
Brüden, Städte bauen, gebt ihnen Handel und Schifffahrt, ver» 
leiht ihnen die alte Flagge des deutfchen Reiches, die euch drüben 
ſchon längſt ein Gräuel geworden tft, und ftellt dieſe Flagge 
unter den Geſammtſchutz aller feebeherrihenden Nationen, wenn 
ihr euch jelbft nicht Kraft genug zutraut, oder nicht Energie ge= 
nug habt, ein paar Kriegsjchiffe auf eigene Fauft zu bauen, und 
ich ftehe dafür, ihr werdet Wunderdinge erleben! 


Sch babe dieſer Tage mir eine ungefähre Ucberfiht der Pro— 
ducte zu verfchaffen gefucht, die fammt und fonders in Brafilien 
gedeihen und welche die Natur in Maflen hervorbringt. Welch 
ein Reichthum des Edlen, welhe Mannichfaltigkeit in den For— 
men, Gebilden und Arten! Und das Alles iſt da, um genoffen, 
von den Menfchen zur Erweiterung ihrer Eriftenz gebraudt zu 
werden, und wie wenig adtet man es, weil das Land Feine 
Menſchen befigt, die es der Mühe werth halten, die goldene 
Frucht zu breden! Gin Kaufmann könnte über folhe Indolenz 
geradezu den Verſtand verlieren. Zwar gibt ed hier Leute, die 





— 122 — 


genaue Kenntniß von dem Reichthume des Landes befigen, theils 
aber liegt ihnen nichts daran, biefen gewaltigen Reichthum ber 
Melt zu verratheh, um "alle Goncurrenten fern zu Halten, theils 
befürchten fie — und vielleicht nicht ganz ohne Grund — es 
werde ein großer Zuftrom von unternehmenden Einwanderern bür- 
gerliche Unruhen zur Yolge haben, wobei das jept fpielend Er- 
worbene fich verzetteln könne. Auch ic möchte etwas Derartiges 
vorausſetzen, aber ich bin nicht Egoift genug und vielleicht zu feu- 
riger Anhänger der Lehre von der Entwickelung der Menſchheit zu 
einer Nation von Glücklichen, als daß ih einige Jahre Kampf, 
wenn es fein muß, felbft Krieg, fiheuen follte, um ein fo großes, 
glüdverheigendes Ziel zu erreichen. 


Dies Land erzeugt, felbft in feinem jebt faft noch wüſt lie⸗ 
genden Naturzuftande außer allen Produkten des gefammten ber 
gemäßigten Zone angehörenden Europa's, die nahrungsfräftigften 
Früchte, die wir Europäer fait nur dem Namen nad Tennen. Die 
Batate, der Mantof, der Piſang, Yams, Ananas und Kokospal⸗ 
menfrüchte wachen tin ungeheurer Menge falt überall und geben 
dem Handel Gelegenheit, fih in unerhörter Welfe zu vermeb- 
ren. Die Kaffeeärndten laſſen fih vielleiht auf das Hundert- 
fahe ihres jetzigen Ertrages bringen, der nahrungsreiche, ge= 
funde Gacao würde allein für Hunderte eine Quelle fihern Reich— 
thumes. Zuder, Baumwolle, Tabak, wer fann fagen, wie vie— 
fen Millionen fie nicht blos das täglihe Brod, fondern auch nod 
Glücksgüter in Menge gewähren? Und warum follten diefe Pro— 
ducte bet dem immer mehr ſich fleigernden Bedarf nicht ebenfalls 
dretmal mehr Menichen erhalten? Und dann, welche Fülle edelfter 
Nuphölzer, welcher Reichthum feiner Gewürze, welcher Ueberfluß 
an Farbehölzern, von dem blutrotben Braza bis zum gewöhnlichen 
Fernambuc, deren das induftrielle Europa gar nicht entbehren kann! 
Von den metalliihen Schägen will ich gar nicht fprehen. Um dieſe 
zu heben, bedarf es erft gefitteter Colonieen und ſchützender Geſetze. 
Vorerft wird man fih mit dem Auflefen der Brofamen begnügen 


— 12123 — 


müſſen, welche die Natur achtlos verftreut im Bewußtſein ihres 
Ueberfluffes. Diamantenhändler müßten hier Millionen verdienen, 
und würden bie reichen Goldadern, welche die Gebirge des Landes 
durchkreuzen, bergmänniſch erſchloſſen und geſchürft, jo dürfte Bra⸗ 
filien alsbald den Ruf des goldreichſten Landes der Erde ſich mit 
vollſtem Rechte verdienen. Aber ich fürchte, Deutſchland verkennt, 
wie ſchon ſo häufig, auch hier wieder den Beruf, der ihm eigent⸗ 
lich zugetheilt worden iſt, und was es, raſch und einig handelnd, 
ohne übergroße Mühe ſich und ſeinen Stämmen ſichern könnte, 
davon wird es höchſtens einen geringfügigen Bruchtheil im glück⸗ 
lichſten Falle ſein nennen, weil — nun weil Capitain Carpfanger 
mit ſeiner Kriegsfregatte in der Bucht von Cadix aufbrannte und, 
ſeit die Kanonen im aufflammenden Rumpfe ſeines Schiffes die 
Sterbeſtunde des letzten deutſchen Kriegsſchiffes verkündeten, das 
deutſche Handelsleute ſchützte und dem deutſchen Namen zu Reſpeect 
in der Fremde verhalf, von einer Kriegsmarine deutſcher Nation 
nie wieder die Rede geweſen iſt. ... 

Zuweilen Tann man doch Urfahe haben, netbifh zu werben 
oder dem freilich nur lähmenden Gedanken ſich hinzugeben, durch 
einen Zufall der Geburt nicht in die rechte Stellung zu Welt und 
Zeit gelommen zu fein. Es tft mir z. B. niemals eingefallen, 
einen Fürften zu beneiden, eben weil er als Fürft geboren tft und 
ihm fih Wege und Ausfichten öffnen, die jedem Privatmanne, felbft 
bem vermögendften, von ben Verhältniſſen höchſt begünftigten, ewig 
verfchloffen bleiben. Seit ich aber bier lebe, ſeit dies Wunder- 
land tagtäglich aus taufend blitzenden Augen mid anlächelt, fett 
ich fehe und mit jedem neuen Tage mehr erkenne, was hier fehlt, 
was eine ftarke, gebietende Hand hier thun könnte, wenn dieſe 
Hand von einem Kopfe in Bewegung gefept wird, der Mar denken 
und urtheilen Tann: feitdem Überfchleicht mich oft ein netdifches 
Unbehagen. Ein Privatmann kann bier, fängt er es recht an, 
immer viel Gutes filften, eine Aenderung der Verhältniſſe dm 
Großen aber bewirft er dadurch nicht. Das könnte nur ein ges 











— 224 — 


borener Fürft mit großen Mitteln, umgeben von beftechender Macht, 
die nirgends mehr als bei Völkern refpectirt wird, welche mehr 
oder weniger in der Kindheit der Gntwidelung fiehen. Da td 
leider nur ein wenig bemittelter Privatmann bin, begnüge ich mich, 
vorläufig das, was zu erfüllen meine Kräfte nicht ausreichen, zu 
meiner eigenen Unterhaltung aufzuzeichnen. Vielleicht kommt es 
fpäter irgend Jemand zu Gute. Wenn nit, fo werde ih doch 
eine Laſt los, die mir dad Herz befchwert und den Kopf wirr 
macht. Beides taugt wenig, denn ed hemmt allen Lebensmuth 
und zernagt als heimlich genährter Wurm bie beften und frifche- 
ften Gedankenkeime. 

Schon find: Jahrhunderte vergangen, fett bie Erfindung bes 
Compaſſes uns beimtfh machte auf den unenblihen Wüſten bes 
MWeltmeereds. Der Compaß, diefe kleine Magnetnadel, die ewig 
bewegt uns die Himmelsgegend anzeigt, wo jene geheimnißvolle 
Kraft im Schoofe des All's ruht, die alle Weltkörper auf vechtem 
Wege wandeln lehrt; fie iſt der Griffel, welchen der denkende 
Menſchengeiſt beim Blättern in dem großen Schöpfungsbuche der 
nachfichtigen Gottheit entwendete, um mit Hilfe deflelben wenigſtens 
das A B & der Geheimfärift entziffern zu lernen, die höher fteht 
als jegliche andere Wiſſenſchaft. Im Befik dieſes Gottheitsgriffels 
fanden wir in der neuen Welt das verlorene Paradies wieder. 
Er war und Wegweifer über Wafferfhlünde von mehr als taufend 
Meilen Breite, er lehrte uns die Grade zählen, unter denen wir 
und befanden, er gab mit einem Worte dem Schiffe, das früher 
nur der Inſtinkt und die Erfahrung geübter Schiffer, oder bes 
Sturmes Willfür und der unterfeetfhe Fluthitrom der Meereswoge 
trug und leitete, die beitimmende Seele. Mit Hilfe des Compaſſes 
denft das Schiff durch den Willen des Capitains und ift befeelter, 
lebensfähiger, Ieitbarer, als das klügſte Gefhöpf unter den Thieren. 
Darin liegt die unberechenbare Wichtigkeit der Schifffahrtsfunde, 
darin die große Bedeutung, welde ber feefahrende Menſch in der 
Gefchichte der Cultur, in der Kette denkender Wefen einnimmt, 
deren Aufgabe es tft, die Maſſe der Menfchheit, alle Nationen ber 


—11 — 


Erde mit den Segnungen bed ewig fid) fleigernden Fortſchrittes zu 
beglüden. | | | 

Rheder und Seemann — fie Beide haben. von ber gütigen - 
Gottheit eine Weltmiffion erhalten, die, obmohl jeder fie tagtäglich 
vor Augen hat, doch nur felten und nur von fehr Wenigen in 
ihrer ganzen Tragweite, Größe und Macht erkannt wird. 


Wenn der Rheder ein Seeſchiff in Fahrt febt, fo gefchteht Dies 
immer vorerft aus Intereſſen, die ihn am nächſten berühren, zu 
feinem eigenen Nußen und Gewinn. Niemand wird darin etwas 
Anftöpiges, Widerfinniges finden. Treibt aber das Schiff auf dem 
Deean, dann iſt es nicht mehr blos ber Träger der Waaren eines 
oder verſchiedener Kaufleute, Die ſich durch deren Verkauf in an⸗ 
dern Ländern oder Erdtheilen bereichern wollen, es führt außer 
biefen materiellen Gütern auch noch geiftige Güter an Bord, deren 
Werth häufig völlig unſchätzbar tft, und die zufammen die Summe 
eines Gapitals bilden, deſſen WReinertrag nit einem einzelnen 
Menfhen, fondern der ganzen Welt zu Gute kommt. 

Dies geiftige Capital, diefe materiell nicht ſchwer in's Ge- 
wicht fallende Fracht jeglichen Schiffes repräfentirt der Capitain 
mit feiner Mannſchaft. Es find nur eine Handvoll Menfchen, die 
da zufammen wohnen in einem ſchwimmenden Bretterhaufe, einan= 
der vielleicht ganz fremde Menfchen von fehr verfchiedener Bildung, 
aber doch unter fih jo eng verfchwiftert, wie feine andere Heinfte 
Gemeinde auf Erden. Alle dienen einem Zwei. Alle haben 
nur einen Gedanken, einen Willen, der fih in dem bes befeh— 
lenden Capitains concentrirt. Diefe intime Einheit, dies, ich möchte 
fagen, blinde Verfolgen eined und deſſelben Gedankens macht den 
Seefahrer fo mächtig und wichtig. Und doch iſt der gewöhnlichſte, 
der roheſte Matrofe an Bord Feine unbedeutende Perſönlichkeit. 
Gr vollzieht fraglos die Befehle. des Capitains, und von der Pünkt⸗ 
lichkeit und Rafıhheit, mit welcher dies gefchteht, hängt faſt immer 
das Schiefal eines Schiffes ab. Der Matrofe tft alfo die Hand 


des Gapitains, deren Gelenkigkeit der Rheder fein zeitlihes Glück, 
D. 3. XI Willkomm's Rheder und Matrofe, 15 





— 226 — 


die Gefittung der Völker, die Vermittelung mit neuen Jdeen, zahl» 
" Iofe Menſchen die Erfüllung ihrer heißeften Wünfche und Hoffnun⸗ 
gen zu danken haben. 
Wie danfend, wie Iohnend, wie beneldenswerth kann das Loos 
des Matrofen fein, wenn er feinen Beruf ganz erkennt! Betrady- 
tet die taufend und abertaufend Segler, die Jahraus Jahrein auf 
allen Meeren fhwimmen, und von denen fein einziges unbeſchä⸗ 
digt feinen Beitimmungsort erreichen würde, fügte nicht jeder Ma⸗ 
trofe fih dem Willen der taufend Capitaine, welche die über bie 
Wogen raufhenden Gulturträger führen. Mon den fernften Enden 
der Welt grüßen ſich die Schiffe auf dem Meere. Zugvögeln ähn⸗ 
ih fihweben fie aneinander vorüber, die einen vom Süd- die an— 
dern vom Nordpol fommend. Jedes Schiff trägt eine eigene ab« 
gefchloffene Welt in feinem Raume, jedes bat feine eigene Ge 
ſchichte, die zugleich die Gefchichte der ganzen Menſchheit iſt, oft 
vol ſchwerer, bitterer Leiden, vol trauriger Erfahrungen, voll der 
entfeglichften Abenteuer. Und faft immer beherbergt wieder dieſer 
ſchwarze oder graue Rumpf, mit dem der Meergott fptelt, wie Kin- 
der mit leichten Bederbällen, Perfönlicgleiten von großem Muth, 
von bewundernswürdiger Geiltesgegenwart und Unerihrodenheit. 
Was würde die Welt erfahren, wie unendlich viel würde fie ler⸗ 
nen, bliebe jedem Seefahrer Zeit übrig, feine Erlebniſſe nieber- 
zufhreiben und die Gefühle darin auszufprehen, die fein Herz in 
Sturm, Noth und Drang durchtobten, abwechfelnd mit dem fröhlichen 
Jauchzen der entzückten Seele, wenn die Wunder der Meere und der 
Erde fi erſchließen bet Nacht und Tag, in Nebel und bei Sonnenglanz, 
vom Mondesdämmer ummweht und in den Stunden, wo eine Wind- 
ftille den Herzihlag der Wogen ſtill fliehen und das Weltmeer in 
tiefen, tiefen Todesfchlaf verfinten maht! . . . Das Alles erlebt 
Niemand, als nur der Seefahrer. Diefe größten und jeligiten 
Momente geifttgen Entzüdens wie des erhabenſten Schredeng fühlt 
fein Menſch fo ganz durch, als der Matroje, der, und wäre er 
ein Solon an Weisheit, doch nie etwas Anderes wollen darf, als 
den Befehl des Capitains. Es gehört wahrlih mehr Willensfraft 





— 2127 — 


und GSelbftüberwindung dazu, als unfere Philofophen fih träumen , 
laffen, ungefäumt als Matrofe Alles zu tun, was der Führer 
eines Seefchiffes für nöthig erachtet! 

Diefe frühe Gewöhnung an harte Arbeit, an plötzlich ſich ein⸗ 
ſtellende große Gefahren, dies Vertrautwerden mit den größten. 
Nöthen, welde die empörten Elemente den Menſchen bereiten, end⸗ 
lich dies gänzlihe Aufgehen der Perſönlichkeit in den Teitenden 
Gedanken eines Andern gibt dem Seefahrer jene ftolge, oft an 
Verachtung ftretfende Würde, die felbft dem roheſten Matrofen an⸗ 
haftet, Die aber freilich leider auch am Lande und gegen Landrat⸗ 
ten in brutaler Wetfe fich geltend macht. Dennoch bleibt auch der 
ungebildete Matrofe in der Regel ein Menſch von mehr guten als 
ſchlechten Eigenſchaften. Gewöhnt, fremdem Willen zu dienen, 
folgt er gern den Lodungen des Herzens, und muthig, unerfchro- 
den, ausdauernd in Gefahren, wird er überluftig, leichtſinnig, ver⸗ 
fhwenderifch, genußfüchtig, wenn der Becher der Freude winkt und 
des Lebens Sonnenfhein feine wettergebräunte Stirn umfließt ... 


Hier endigte die erfte Abtheilung ber Aufzeihnungen Augu— 
fin Hobenfels’, die er nad feiner eriten Rückkunft aus den Ur- 
wäldern flüchtig und wie fie ihm gerade eingefallen waren, nie= 
dergeichrieben hatte. Ohne den Brief feines Neffen hätte der ſchwer 
geprüfte Mann fi ſchwerlich dieſer Paptere erinnert, denn Vieles 
mochte ihm jebt in einem ganz andern Lichte erfcheinen. Dennoch 
leuchtete fein Auge, wie e8 aus den Schriftzügen des Jünglings 
fein vergangenes Denken erquidend der ermatteten Seele zuftrömen 
fühlte. Auguftin Hohenfels ſchob jet das Manufeript zurüd und 
ließ träumeriſch erſchöpft, halb freudig bewegt, halb in Trauer fi 
büllend, das Haupt finken. 

Trümmer einer untergegangenen Welt! fprach er fpäter, mit 
fich ſelbſt redend. Wer achtet ihrer jebt, wo die Zeit ihren Mo— 
derſchutt Darüber gebreitet hat, und Nefjelfraut, Diftel und Dornen 
darauf wuhern? Es wäre bifler, fie eriftirten nicht, denn fie 
werden nur das Gefühl des Heimmwehs nad) einem längſt Vergan- 

15*. 


— 223 — 


. genen, das nie wiederkehrt. — So fteht der Infulaner, der am 
Dünenftrande wohnt, neben dem Steingeröll im Meeresgrunde, wo 
vor langen Fahren die Heerdflamme brannte, an der er fid 
wärmte, wenn er von gefahrnoller Fahrt auf dem Meere zurüd- 
fehrte. Damals lag die Düne zwiſchen dieſem geficherten Heerb 
und dem donnernden Wogenfchlage der Brandung. Aber Stürme . 
zerbrachen die Dünen und jehütteten weiße Sandwehen über das 
Haus des Schiffers, begruben es, thürmten Hügel darüber auf 
und trieben den Beſitzer von dem traulichen Heerde. Und wieder 
brandete die Woge an den Fuß der Düne, ein neuer Sturm brad 
fie und jagte fie wetter Iandeinwärts, dem Meere Platz machend. 
Da ſpülte die grüne Woge zerborftene Mauern fort und legte bie 
Grundfteine blos vor dem Auge bes vertriebenen, alt gewordenen 
Fiſchers .... Meine Gedanken von damals, als ich ein hoch— 
ftrebender junger Mann war, der fi) jeder Aufgabe gewachſen 
fühlte, find auch eine zerftörte Hütte, ein wärmender Heerd, in de= 
ven Schuß mir wohl war, wo th mich fiher fühlte... .. Und 
nun? .... Enttäuſcht, an hundert Klippen geſcheitert, treibt 
mich die Sehnſucht der alten Welt wieder zu, um dort einen Halt 
in firebender Jugend für meinen gebrechlih werdenden Willen zu 

finden! .... O, mödte ih diesmal nicht getäufcht werben! 
Möchte der Haud des mir verwandten Gelftes, der aus Eduard 
Heidenfrei's Briefe meinem Herzen taufend neue Hoffnungsblüthen 
zumehte, mich nicht betrügen! Wer weiß, ob dann nicht unter den 
pflegenden Händen des Oheims und Neffen doch noch ein Theil 
ber Gedankenſaat keimte, blühte und reifte, die unfer gemeinfames 
Erbtheil, unfere Lebensaufgabe tft, und deren Verwirklichung wir 
Alles, felbft Blut und Leben, zum Opfer bringen follen . . . . 

Ermüdet ſchloß Auguftin Hohenfels die vergifbten Blätter 
wieder in die Chatulle. Der Mann am Steuer Über feinem 
Haupte fummte ein Geemannslied, der Capitain in feiner Koje 
ſchnarchte. Hohenfels Tehnte fich zurüd in die Sophaede, und fet- 
nen Gedanken fih hingebend, umflüftert von den ſchäkernden Meer- 
mädchen, bie am Kiel des Schooners vorüberplätichernd, einander 








— 229 — 


fhalfhafte Märden erzählten, fiel auch der abgehehte Wanderer 
alsbald in feſten Schlummer. Wir überlaffen den fanft und glüd- 
lih Träumenden dem Schußgeifte des Schiffes, das Ihn trägt, um 
uns anderen Bekannten zuzuwenden, die wir längere Zeit aus den 
Augen verloren haben. 


Diertes Kapitel. 





Capitain und Steuermann. 


In derfelbden Nacht waren zwei Männer, von denen der eine 
faft no dem Jünglingsalter nahe fland, tn ein ernſtes Geſpräch 
vertieft. Dies fand Statt auf der uns ſchon bekannten hambur— 
ger Bark „Marta Eliſabeth“, und zwar in unmittelbarer Nähe 
des Steuerrades, deffen Speichen der Jüngere der beiden Männer 
handhabte. Außer, dem wachthaltenden Matrofen, der im Vorder— 
theil des Schiffes auf und abging, ftörte Niemand die nächtliche 
Ruhe am Bord. Diefe Ruhe, der flernbeglänzte Himmel, die 
leuchtende See, deren fanftwogende Fläche die wunderbarften Far— 
benfpiele enthüllte, waren wohl geeignet, Die Herzen Befreundeter 
zu erfchließen. 

Mir bangt vor meinem Vater, fprah der Mann am Steuer, 
befien offenes Gefiht uns an der Aehnlichkeit mit dem Quartiers— 
manne den früheren Matroſen Paul erkennen läßt. “Der junge 
Seemann hatte fein Steuermannseramen gemaht und fuhr als 
Unterfteuermann zum erften Male nad den Küften Südamerika's. 
Leicht gibt der Vater fih nicht, denn er hat einen flarfen Willen 
und feine Natur kann auch etwas erfragen; wenn aber Tag für 
Tag, Nacht für Nacht, ja Stunde für Stunde ein Wurm an un» 
ferm Herzen frißt, und der Kummer nie mehr die Schwelle unfes 
res Haufes verläßt; wenn der Gram mit und zu Bett geht und 
feine entjtellten Züge ber Spiegel find, in dem wir ung ſelbſt er- 


— 230 — 


blicken, ſobald wir die von ſchweren, bangen Träumen ermüdeten 
Augen öffneh: da ſchwindet zuletzt auch die rüſtigſte Kraft. Und 
ſtirbt man auch nicht alfogleih vor Gram und Kummer, fo wird 
man doch Hinfällig, fiech, elend davon. 

Es iſt und bleibt eine merkwürdige Geſchichte, verfehte Ca⸗ 
pitatn Olfen, und noch bis auf biefen Augenblid bin ih der 
Meinung, die Schuldigen find ganz wo anders zu fuchen, als wo 
man fie vermuthet. 

Meine Schwefter Tannte doch Niemand, warf Paul ein. 

Defto mehr war fie gekannt, fagte Ohlſen. Steh, mein Junge, 
fuhr er vertraulich fort, ih kann dir nicht verfhweigen, daß mir 
Alle, die wir alter Gewohnheit gemäß, gegen Abend das Baumes 
baus zu befuchen pflegen, ein liebes Auge auf deine Schmefter 
hatten, wenn wir ihrer anfihtig wurden. Und dies Glück hatten 
wir Häufig, als Chriſtine noch daheim verweilte. Etwas Schlim- 
mes hatte von uns freilich ficherlich Niemand im Sinne, obwohl 
ſich Mancher eine fo herzige, ſchöne, anmutbige Frau wünfchen 
mochte. Du weißt aber, lieber Junge, es gibt in Hamburg gar 
verfchtedene Sorten von Menjhen. Eine der ſchlimmſten und ge- 
fährlichiten für jedes junge Mädchen nun find jene reihen, vor- 
nehmen Wüftlinge, die vor lauter Uebermuth nicht willen, was fie 
beginnen, wie fie fi} Die Zeit vertreiben follen. Wie oft hatte ich Gelegen- 
heit, die ungenirten Unterhaltungen folder Ieichtfertiger Roue’s zu be= 
laufen, wenn fie in irgend einem der Pavillons ihre Cigarre rau- 
hen, Kaffee, Chocolade oder Madeira dazu fhlürfen, und nichts 
weiter zu thun und zu denten haben, als eine neue pilante Zer- 

— fireuung auszuflügeln. Du fannit Hundert gegen ins wetten, 
etwas Gutes führt diefe Gefellfhaft niemals im Sinne. Ste will 
fih nur vergnügen, nur genießen, und weil ihnen der Mammon 
ftet8 zu Gebote ſteht, iſt ihnen auch jedes Mittel recht, führt es 
nur zu neuen Genüffen. Glaubt du, ein fo auffallend ſchönes 
Mädchen wie deine Schweſter, ſei den ewig umbherfpürenden Augen 
biefer Lüftlinge entgangen? Den!’ nicht daran! Warum fonft brachte 
fie dein Vater in das Haus des reihen Rheders? 








— 231 — 


Ich kenne die Gründe des Vaters, ermwiderte Paul, und weil 
der Vater offen mit mir über Chriftine fprah, mir duch nicht ver- 
ſchwieg, daß ein junger Ausländer im Ernft ihr Anträge zu ma- 
hen geneigt jet, billigte ich die Ausführung feines Vornehmens. 

Warum aber mußte Chriftine gerade in das Heidenfrei'ſche 
Haus? 

Warum? wiederholte Paul. Konnte es denn irgendwo fonft 
für ein junges Mädchen von anziehendem Aeußern einen beſſern 
Zufluchtsort geben? 

Das weiß ich ſo genau nicht, verſetzte Capitain Ohlſen, ich 
denke nur, gerade in damaliger Zeit war ein gar zu großer Zu— 
fammenfluß von Menfchen im Haufe des Rheders, und wollte Je—⸗ 
mand etwas Ungewöhnliches unternehmen, fo lieh fi dies inmit- 
ten einer zahlreichen, glänzenden Geſellſchaft, die vorzugsweiſe ihre 
ganze Aufmerkfamkeit nur dem Genuß zumenbete, am leichteiten, 
fogar ohne allzugroße Gefahr, entdeckt oder auf der That ertappt 
zu werden, ausführen. Bedenke nur, welh ein Schwarm junger 
reiher Herren, unter denen ich verſchiedene Gndividuen als folche 
bezeichnen könnte, deren fittliher Ruf nicht gar fein iſt, waren an 
jenem Abend zugegen! 

Es iſt aber doch erwiefen, dag nicht ein einziger von allen 
Gäſten, ja nicht einmal einer der jüngeren Hausgenofien um die 
Zeit, wo meine Schweſter verſchwand, die Gefellfhaftsraume ver- 
laflen hatte. Ließe fit) auf irgend Jemand einen Verdacht werfen, 
fo würde man die ftrengfte Unterfuhung gegen den Verdächtigen 
eingeleitet haben. Wir willen aber Alle, du felbft nicht ausge- 
nommen, daß bis zum Tage unferer Abreife Niemand eines ders 
artigen Verdachtes bezüchtigt werden konnte. 

Du ſcheinſt demnach die Anfiht derer zu theilen, die, wie ja 
auch dein Vater, entweder Andreas oder den räthjelhaften Miguel, 
vielleicht gar Beide in einer Perſon für die Räuber Ghriftinen’s 
halten? 

Wird man nit dazu gezwungen? erwiberte Paul. Deutet 
nicht Alles darauf Hin, daß dieſe beiden zu Freveln aufgelegten 


nd 





— 132 — 


Unbefonnenen die verbrecherifhe That vollbracht haben? Beide hat- 
ten Wochenlang meine Schweſter gewiffermaßen verfolgt, Beide 
liebten fie vielleicht, Beide waren zu wiederholten Malen im Haufe 
meiner eltern, nachdem Chriſtine es verlaffen, und beftürmten 
erft den Mater, fpäter, als bdiefer fie furz und derb abwies, bie 
Mutter mit Bitten, ihnen doch nur von Zeit zu Zeit, aller drei 
oder Hier Wochen, einmal den Anblick Chriſtinens zu gönnen. 
Sehr verftimmt, nur mit Mühe lauter Drohungen ſich enthaltend, 
verließen fie unfere Wohnung, da ihnen aud dies Verlangen mit 
Entſchiedenheit abgefchlagen wurde. Keiner kehrte zurüd; Andreas 
wendete meinem Vater den Rüden, wenn er ihm zufällig begeg- 
nete. Er wollte ihn nicht mehr kennen und zürnte ihm offenbar 
als nachtragender, auf Rache finnender Feind. Noch auffälliger 
benahm fih der Teidenfchaftlihe Miguel. Diefer Enüpfte mit einem 
als bösartig befannten Malayen an, der mancher ſchlechten Streiche we⸗ 
gen ſchon ein paar Mal beftraft worden war, trieb fi, was er früher nie 
. that, in den befuchteften Tanzfalong auf dem Berge herum, und benahm 
fich ganz wie ein Meng, dem man Alles zumuthen dürfe. Endlich aber 
— und das verdächtigt Beide am meiſten — endlich haben mehr denn 
zwanzig Perfonen Andreas und Miguel einige Tage vor dem Feſte theils 
flüfternd vor dem Haufe des Rheders fiehen, theils fie zu ver— 
fchledenen Malen in einem Nahen den Canal, welcher deflen Spei- 
her bejpült, befahren fehen. Und damit beinahe aller Zweifel 
befeitigt werde, verſchwinden die Verdächtigen gleichzeitig mit der 
Geraubten, und nie wieder hat eines Menfhen Auge weder meine 

arme geliebte Schwefter, noch ihre wahrjcheinlichen Entführer gefehen! 
| Dies Alles, mein Freund, verdächtigt fie fehr ftarf, kann fie 
aber noch Lange nicht überführen. Wo in aller Welt follen zwei 
junge Leute, die gar fein Vermögen befigen, mit einem jungen, 
zierlich gekleideten Mäbchen bleiben, das noch dazu nur mit Ge⸗ 
walt zurüdgehalten werden kann? Verſchwinden, durch die Lüfte 
fliegen, unfihtbar machen können fie fih doch allefammt nid. 
Irgendwo alfo müſſen fie doc geblieben fein. Nun Haben aber 
alle Nachforſchungen, wie wir leider willen, zu gar einem Re⸗ 


%. 


— 233 — 


fultate geführt, weshalb man folgerichtig zu dem Schluffe gefom- 
men tft, die drei Verfchwundenen hätten ihr Heil wahrfcheinlid 
auf dem Waſſer gefucht und möchten in einem überfeetfhen Lande 
den Arm deutiher Gerechtigkeitöpflege nicht weiter fürchten. 


Mir fcheinen diefe Vorausfegungen und Vermuthungen fehr 
wohl begründet zu fein, fagte Paul. 

Und ich geftehe ganz offen, fuhr Olfen fort, daß ich mir 
etwas Unmwahrfheinlicheres gar nicht denken kann. 

Mel du Andreas gerne weiß brennen möchtet, ermiderte 
etwas gereizt der junge Steuermann. Gr war dir befreundet, ihr 
habt eine Zeitlang zufammen in Lima gelebt und feid vergnügt 
gewefen; du gewannft ihn feines einfchmeichelnden Weſens halber 
lieb und denkſt gern das Belle von einem Bekannten. Das tft 
ehrenwerth, das achte ich, kann aber die Verdachtsgründe, die nun 
einmal in überwiegender Menge gegen Miguel und Andreas vor- 
legen, bei mir nicht abſchwächen. 


Ich begreife dein Vorurtheil und fühle deinen Schmerz! ver- 
ſetzte vollkommen ruhig auf diefe haftig gefprochenen Worte Paul’s 
der Gapitain, indeß ließe fi z. B. nicht der Fall als möglich 
benfen, daß nicht bloß deine Schwefter entführt ſei, fondern daß 
gleichzeitig die beiven Bewunderer biefer Schönheit dem nämlichen 
Schickſale verfallen feten ? 

Paul frappirte dDiefer Einwurf Ohlſens dergeftalt, daß er 
einen Augenblid die Speichen des Rades gleiten ließ. Der Ga- 
pltain drehte fie zurüd und zwang das leicht abfallende Schiff 
in den eingehaltenen Curs. 

Eine kühne und wirklich ganz neue dee, ſprach nach einer 
Weile Paul mit finſterer Miene. 


Kühn? verſetzte der Capitain. Nicht im geringſten. Neu 
mag ich ſie auch nicht nennen; wenn aber meine Vermuthung 
richtig wäre, fo müßte man zugeben, daß ſie einem ſehr ug be— 
vechnenden Kopfe ihre Entſtehung zu verdanken haben würde, 

Um fo fhllmmer! feufzte Paul. Je fhlauer ber oder bie 





— 234 — 


Räuber Chriſtinen's find, deſto gewiſſer tft die Unglückliche ver- 
loren! 

Verloren geb' ich nur das, was ich wirklich in Trümmern, 
zerbrochen und zerſchlagen vor mir liegen ſehe. Ueberdies iſt 
deine Schweſter weder feig, noch leicht zu lenken. Vor ihr bangt 
mir wenig, beſonders, wenn meine Vermuthung auf der rechten 
Fährte ſpürt. Denn daß ich's offen herausſage: ich glaube, Chri— 
ftine lebt noch heute fo gut wie deine Xeltern in oder bet Ham- 
burg, und derjenige, der das Wageftüf unternahm, müht ſich 
vergebens ab, die widerfpenftige Ariadne zu verföhnen, ihre Ge— 
genliebe zu gemwinnen. 

Das wäre ja ein ganzer Roman! 


Es ift auch einer, glaube mir, Paul! Ich will nur wün—⸗ 
fhen, daß er ein recht erfreuliches, befonders die eigentliche Hel— 
din deſſelben vollfommen befriedigendes, Ende nehmen möge. 


Paul richtete noch mehrere direete Fragen an Ohlſen, um 
zu erfahren, ob diefer für feine Vermuthungen Gründe angeben 
tönne, der Capitain jedoch weigerte fi entfchieden, weil ihm zur 
Zeit noch nicht Hinreichende Verdachtsgründe vorlägen, um eine 
beftimmte Perfänlichkeit nambaft zu mahen. Nur die Behaup- 
tung ftellte er, fie fcharf betonend, noch einmal auf, daß bie 
Entführer Chriftinen’s aller Wahrfcheinlichkett, ja, feiner volfften 
Ueberzeugung nad, in den höchſten Kreifen der Gefellfhaft, nicht 
unter verliebten Seeleuten und Matrofen ohne Mittel und ohne 
reich bezahlte Helfershelfer, zu fuchen fein müßten. 

Paul verfant in fehweigendes Nachdenken, fein Augenmert 
nur auf die Führung des Steuerd und auf die Buffole richtend, 
deren nie ruhende Nadel dem Schiffe in der tropifhen Nacht bie 
Wandelbahn zeigte. Ohlſen überließ den jungen Mann, von dem 
er für die Zufunft Großes erwartete, feinen eigenen Gebanten. 
Er hatte, da Paul von felbft das Gefpräh auf die myſteriöſe 
Geſchichte brachte, es für feine Pflicht gehalten, ihm unverholen 
feine Anficht darüber mitzutheilen, da er glaubte, der Bruder ber 





— 235 — 


Verfchwundenen werde nicht verfehlen, ſchon tim nädften Hafen 
etwas Über das Vernommene an die Seinigen zu berichten. 


Fünftes Kapitel. 





Diet: Tohann, der Miarfchbaner. 


Ein Zeitraum von beinahe ſechs Monaten hatte in dem 
Haufe der Familie Heidenfrei feine weſentlichen Veränderungen 
hervorgebracht. Schon fett Wochen lebten die Frauen wieder auf 
dem maleriſch gelegenen Landfike an der Elbe, während der Chef 
des Haufes und deſſen Söhne es vorzogen, ihren bleibenden 
Aufenthalt in der gefhäftigen Stadt beizubehalten. Nur des 
Abends Fam gewöhnlich der Vater mit einem feiner Söhne zu den 
Seinigen auf's Land, das Beide fhon am frühen Morgen wieder 
verließen. Der einzige Tag, welder die ganze Familie zufammen« 
rief, war der gefchäftsfreie Sonntag. Heidenfrei vermied es, von 
den Vorgängen jener feftlihen Nacht zu ſprechen, die ein fo be- 
klagenswerthes Ende genommen. Er felbit wußte fih fo frei von 
Schuld wie alle feine übrigen Hausgenoffen. Ihm konnte Nie= 
mand einen Vorwurf machen, man hätte denn in ber Berettwil- 
ligkeit, mit welcher er und die Seinigen ber Tochter bes Quar⸗ 
tiersmannes ein Afyl gewährten, eine Nachläſſigkeit erbliden wol— 
len. Died kam nun freilid Niemand in den Sinn, denn ber 
Dater Chriſtinens verehrte den Rheder zu fehr und kannte zu 
genau deflen grundrechtlihe Gefinnung, um nur den leiſeſten 
Zweifel zu denen, wie viel weniger zu äußern. Weberhaupt war 
ber wadere Mann vom eriten Augenblide an, wo bie Xrauer- 
tunde ihm überbracht ward, feft überzeugt geweſen, es habe Tein 
Anderer als Miguel die räuberifche Hand nad feinem Kinde aus 
geſtreckt. Diefe Anfiht trug fehr viel auf den ganzen Gang ber 
angeftellten Nachforſchungen bet, die natürlih diejenige Richtung 





— 236 — 


verfolgten, welde von den am nächſten Betheiligten als bie 
wahrfcheinfichfte und am eheften zu einem günftigen Refultate füh: 
vende bezeichnet wurde. 

Anfangs warb an jedem Tage von Chriſtine geſprochen, 
denn es gab Niemand tm Hetdenfret’fhen Haufe, der das anmu— 
tbige, blühende, bildhübſche Mädchen nicht gern gefehen, ja lieb 
gehabt hätte. Als aber Wochen und Monate vergingen, ohne 
daß der Aufenthalt der Verſchwundenen entdedt werden Fonnte, 
gedachte man ihrer felten, zumal das rege Gefchäftsleben und eine 
Menge großer, weitgreifender Unternehmungen, welche die Zelt 
und Aufmerffamteit aller im Comptoir des Rheders Beihäftigten 
ausſchließlich in Anfpruh nahmen, das DVergangene weit in ben 
Hintergrund zurüddrängten. Nur Eliſabeth und Ulrike fprachen 
häufig über Chriftine, deren Gegenwart ihnen überall fehlte. Sie 
ließen auch nicht nah, unter der Hand zu forfhen und nachzu— 
fragen, und in diefem löblichen Streben fanden fie ganz in der 
Stille bereitwillige Unterftügung bei Anton, namentlich aber bei 
Treufreund, der einen Hang zur Schwermuth feit Chriſtinens 
Verſchwinden nicht mehr ganz loswerden konnte. 

Dieſe beiden Herren waren auch eine Augenweide und ein 
wahrhaft erhebender Troſt für Jacob, der raſtlos arbeitete, unver- 
droffen auf den Vortheil Heidenfrei's fah, deflen Haar aber unter 
der Hand des Kummers, die auf feinem Scheitel ruhte, ſichtlich 
erbleichte. 

Sp oft der alternde, um Vieles magerer gewordene Quar⸗ 
tiersmann in das Comptoir tvat, fand Einer oder der Andere Ge- 
legenheit, ihm ein paar freundliche Worte zuzurufen, ihm für einen 
geletfteten Dienft oder einen raſch und pünktlich vollzogenen Auf— 
trag zu danken. Erlaubte e8 die Zeit, was immer der Fall war, 
wenn Heidenfrei perfönlih im Comptoir fehlte, fo knüpften fie auch 
ein Geſpräch mit Jacob an, und fonnte man dem trauernden Va⸗ 
ter auch nichts Gewiſſes fagen, fo ſchien es diefen doch mit neuem 
Hoffnungsmuth zu erfüllen, wenn Treufreund thn mit einem bie= 
bern Händedrud und mit ber Verfiherung, es werde ſich noch Als 


— 237 — 


7 


le8 zum Beften wenden, entließ, oder wenn Anton einem herzlichen 
Worte noch feine betheuernde Lieblingsredensart: „Mien Moder 
fann ſwemmen“ hinzufügte. 

Eine Art Troſt lag in diefen Verfiherungen, das fühlte Ja⸗ 
cob; denn wer hätte geglaubt, daß der Schwager Heidenfrei's, 
jener Hohenfels, den die älteſten Perfonen im Gefhäft immer für 
einen kaufmänniſchen Abtrünnigen gehalten, und an deſſen wirklich 
erfolgtem Tode Niemand zu zweifeln gewagt, dennoh am Leben 
fet und nad fo langen Jahren wieder auftauchen werde? Nach 
und nad hatte fih nämlich die Kunde von dem Wiedererwachen 
des Verlorenen auch unter den Comptoiriſten verbreitet, und zwar 
nad dem ausdrüdlihen Wunſche Heidenfrei’s, da es diefem zweck⸗ 
mäßig ſchien, dem Bruder feiner Frau mit der Zeit abermals den 
Eintritt in das Geſchäft zu eröffnen. Er konnte das jebt um fo 
eher thun, als Hohenfeld buch fehwere Erfahrungen milder und 
leidenfhaftslofer geworben fein mußte, und in der Perfon einer 
feiner Söhne demfelben immer eine Art Moderator an die Seite 
gegeben werben Tonnte, falls Auguftin, wie Heidenfret hoffte, in 
Amerika bleiben werde. 

Die einleitenden Schritte zu treffen aberließ der Rheder ſei⸗ 
nen Söhnen. Beide kannten Amerika und auf Beide war, wie 
man dies ſo häufig zu beobachten Gelegenheit hatte, ein Zug des 
Onkels übergegangen, der, in einem jugendlichen Herzen Sprache 
gewinnend, den ſchwer geprüften Mann eigentlich ergreifen und 
für Heidenfrei’s größere Zwecke einnehmen mußte. In welcher 
Weiſe namentlich Eduard der Aufträge ſeines Vaters ſich entle— 
digte, haben wir bereits kennen gelernt. Es wäre indeß ſehr die 
Frage, ob der Vater des ſtrebenden, gedankenreichen, die Materie 
mit Idealismus beſeelenden Kaufmannes gerade dieſen Ton gebil- 
ligt haben würde. 

Nicht ganz ſo ſchwärmeriſch ſchrieb Ferdinand an den fernen 
Oheim, obwohl auch die brieflichen Auelaſſungen dieſes jungen 
Mannes von dem Kaufmanne gewöhnlichen Schlages, der nichts 
als nur materiell verdienen will, und dem ſelbſt das Höchſte nur 





— 238 — 


in fofern von einigem Werth tft, als fih damit klingendes Silber 
erwerben läßt, weber verftanden, noch weniger gar geachtet worden 
fein würde. 

Bald nach dem Abgange dieſer Briefe, von denen das Schrei= 
ben Eduard's Auguftin Hohenfels veranlafte, eine Reife nad Eu- 
vopa anzutreten, wurben Heidenfrei ſehr vortheilhafte Anerbtetun- 
gen in einem großartigen Getreidegefhäfte gemadt. Kaufmän- 
nifch betrachtet konnte es nicht Leicht ein Iucrativeres Unternehmen 
geben, denn flug es ein, wofür fait untrügliche Anzeichen vor⸗ 
handen waren, fo wurden binnen wenigen Monaten enorme Sum 
men verdient. Freilich aber konnte auch durch ein plögliches Um- 
ſchlagen der Gonjuncturen, was indeß wenig Wahrſcheinlichteit für 
ſich hatte, eben ſo viel verloren gehen. 

Heidenfrei war in allen Unternehmungen ein beſonnener, lei⸗ 
denſchaftsloſer, kalt berechnender Geſchäftsmann. Dieſen Eigen- 
ſchaften verdankte er fein auffallendes Glück. Cr hatte bisher im=- 
mer höchſt vortheilhaft fpecultrt, fo dag mander feiner Gollegen 
ihm ein eigenthümliches kaufmänniſches Ahnungsvermögen, eine 
Art merkantiler Prophetengabe zuerfannten. Dies fichere Zugrei- 
fen machte ihn zuverfihtlih, und da er in der That einen großen 
kaufmänniſchen Blick beſaß und niemals an Kleinigkeiten fih ſtieß, 
fo wagte er nicht felten mehr als Andere, bie über gleich große 
Mittel verfügen Tonnten und felbft den Rückſchlag eines verun- 
glüdten Unternehmens nicht zu fürchten brauchten. 

Um nit in. den Verdacht übereilten Handelns zu gerathen, 
beſprach er die Ihm gemachte Offerte mit feinen Söhnen, bie er, 
jeit beide mündig waren, ftets bei jedem großen Unternehmen zu 
Rathe zog. Zu Heidenfrei's großer und freudiger Genugthuung 
gingen diefe mit Lebhaftigkeit darauf ein, und fo warb denn ber 
Abſchluß des Geſchäftes befchloffen. 

Als Vermittler hatte das Haus Heibenfrei mit einem befann= 
ten, jehr reihen Hofbefiker in der Cremper Marſch zu verhandeln, 
ber zumellen, doch nur, "wenn er mußte, feinen gewaltigen Hof 
verließ und perfnlih nah Hamburg kam. Diefer Mann, Na- 





— 239 — 


mend Diel-Johann, der in früher Zeit wohl ein Spitzname gewes 
fen fein modte, bis die Befiger ihn fich wirklich beilegten, war «in 
naher Anverwandter bes lebensluftigen Julius, defjen Mutter eben⸗ 
falls aus der Marſch flammte, und Julius hatte zuerſt durch fei= 
nen Freund Anton dem Haufe Heidenfrei von dem gewinnverheis 
genden Unternehmen einen Wink gegeben. Sp fam es, daß aud) 
Antons Anficht, wenigſtens beiläufig, gehört ward, bie natürlich nur 
ermunternd ausfallen konnte. XTreufreund dagegen, den Niemand 
direct fragte, deffen Scharfblid und wahfamem Auge aber nicht 
das kleinſte Unternehmen zu verheimlichen war, fehüttelte in be= 
benflicher Weife den Kopf, murmelte etwas von gefährlihen Schwin- 
belgefchäften und zählte mit einer Ausdauer Schillinge für bie be= 
liebten Zehnthalerbüten ab, dag Heidenfret felbit dem unermüblich 
rührigen „Schatten” bedeuten mußte, daß er für Diesmal genug ge⸗ 
than habe. | 

Nach diefer freundlihen Ermahnung padte Treufreund bie 
fertigen, mit Bindfaden kreuzweis umſchnürten Düten ſtillſchwei⸗ 
gend in fein Pult, verſchloß dies ſorgſam, ſtieg von feinem hoch⸗ 
beinigen Schemel, rüdte das geftidte Käppchen aufs Iinfe Ohr 
und ſchritt auf Anton zu, der emfig englifche Briefe fchrieb. 

Wiſſen Sie, Herr Anton, dag ich anfange überflüffig zu wer- 
den? ſprach er zu dem muntern Gorrefpondenten. 

Unmöglich! fagte biejer. 

Nein, im Gegentheil, ganz ficher, betheuerte Treufreund. 
Wenn man nicht einmal mehr zum Abzählen von Schillingen taugt 
und fih vom Prinzipal fagen laſſen muß, ob der ſauber gemach— 
ten Düten genug find oder nicht, ba wird man überflüffig oder 
man tft e8 vielmehr fhon. Aber ich kenne die Quelle, aus wel- 
cher diefe Mipftimmung Herren Heldenfrei’d gegen feinen älteften 
Mitarbeiter fließt, ich Kenne fie, Herr Anton, und wenn id fie 
nicht verftopfe, gefchieht’8 aus purem Refpect vor einem großen kauf⸗ 
männtfhen Namen. Ich habe immer Refpect vor großen Namen 
gehabt. 

Ste haben den Herrn Prinzipal gewiß mißverflanden, Ver⸗ 


— 240 — 


ehrteſter, ſagte Anton beruhigend. Das ewige Zählen und Rechnen 
greift an, macht nervös, und wenn man nervös reizbar iſt, nimmt 
man leicht auch ein wohlwollendes Wort hoch auf. 

D, mein Tieber, junger Freund, erwiderte Treufreund, fo 
ſchwach und nervenzart bin ich noch nicht, daß ich nicht wüßte, was 
ih thue. Man wird älter und bebächtiger, und Alter und Be- 
dachtſamkeit find Feine Tugenden Teichtfertiger Jünglinge. Die 
Jugend indeß, befonders wenn fie überfeeifche Gefchäfte hat machen 
fehen, traut ſich jebt weit mehr Klugheit und Erfahrung zu als 
die Weisheit geprüfter Männer. Weiter will ich nichts fagen, 
lieber Anton, denn ich werde nie perfönlih, aber th hoffe, Sie 
find fo feinflhlend, um mid ganz zu verfiehen. 

Der „Schatten” verbeugte fih, ſchob Das Käppchen wieder mit- 
ten auf den Kopf und verließ hüftelnd das Gomptoir, vor dem 
Pulte Herrn Hetdenfret’s ſich tief verbeugend und eine fo hochmü— 
thig ſpöttiſche Miene annehmend, als wolle er fagen: Ihr verfennt 
Euern wahren Genius und werdet früh genug fpüren, was Ihr 
mit Eurer Nihtahtung für Unglück auf Euch herabftürzt. 

Es war ein nebelgrauer, Falter, windiger Tag Anfang März. 
Die Elbe trieb noch vereinzelte Eisfchollen, bie mit dem hoben 
Oberwafler aus dem Innern des Landes herabfamen. Die Unter- 
elbe war ſchon mehrere Tage ganz frei von Eis und bie Schiff- 
fahrt bereits wieder eröffnet. Das erfte Schiff, welches den Hafen 
verließ, war die Bart Heidenfrei's „Marie Elifabeth”, der wir 
fünf Wochen fpäter auf dem Ocean begegneten. 

Der Marfchbauer Diek-Johann Hatte dur feinen Verwandten 
Zultus bei dem Rheder anfragen laſſen, wann es biefem genehm 
jet, das bereits halb und Halb entrirte Gefchäft vollends zum 
Abihluffe zu bringen? An die Börfe zu gehen konnte er fich durch— 
aus nicht entfchließen. Dazu war er theils zu bequem, theils auch 
zu unbeholfen. Die vielen Menfchen, das Durcheinanderſchwirren 
vieler taufend Stimmen, das Hochdeutſch der vornehmen Handele- 
herren, das freilich von dem Plattdeutfch beinahe verdrängt wurde, 
machten den phlegmatifhen Bewohner der Marfch unfiher. Das 


— 241 — 


aber liebte Diel-Fohann nicht, denn auf Geſchäfte ließ er fih nur 
ein, wenn er völlig klaren Geiſtes war. Nicht einmal einen Het« 
nen „Slummer“ (flarfer Grog) erlaubte er fih zu genießen, ob« 
wohl er im Allgemeinen nur zu gern dieſem Lieblingsgetränt der 
meiſten Marſchbewohner zugufprechen pflegte. 

Heldenfrei beftimmte dem gewichtigen und als eigenfinnig hin- 
reihend befannten Manne eine Stunde und gab Befehl, ihn nicht 
in's Comptoir, fondern in fein Privatzimmer zu führen. Der 
Rheder z0g es vor, das Unternehmen nur im Betfein feiner Söhne 
abzufchliegen, Damit nicht Jedermann davon Kenntnig hielt. Konnte 
man doch ohnehin nicht willen, ob der harte dithmarſiſche Kopf fich 
fetht den Vorſchlägen fügen werbe, welche der Handeläherr ihm 
zu machen gedachte. 

Genau zur angegebenen Stunde hielt der offene, mit zwei 
prächtigen Füchſen befpannte Stuhlwagen des Hofbeſitzers vor Hei⸗ 
denfrei's Hauſe. Diek-Johann beſuchte Hamburg immer nur in 
eigenem Wagen, der zwar nicht beſonders elegant von Bauart, 
dafür aber deſto dauerhafter und gut gehalten war. Die Kummete 
der beiden Fuchsſtuten mit ihrem Meſſingbeſchlag ſahen ſo propre 
aus, daß einem ächten Bauer bei ihrem Anblick wohl das Herz im 
Leibe lachen konnte. 

Ein unterſetzter, breitfchultriger Mann, mit einem wahren 
Stiernaden und feiltem Gefiht, aus dem zwei kleine, graue, fte- 
chende Augen unter ſtarken Brauen feft und fiher in die Welt 
blickten, fiteg aus. Er trug über feiner gewöhnlichen Kleidung 
noch einen feften, fteifen Regenmantel, wie ihn die Lootſen führen, 
und ftatt des üblichen runden Hutes einen niedrigen, mit breiter 
Krempe, deſſen Wachstuchüberzug die Näffe abhielt. Die Füße 
ftaten in bequemen, an den Knieen niedergeklappten Waſſerſtiefeln. 

Das war der reihe Diek-Johann, ein pfiffiger Getratbehände 
fer, der fi rühmte, an jedem Sonnabende ein Spielen um hun⸗ 
dert Species ſchleswig- holſteiniſches Courant einzugehen. Es war 
diefem feiften, ftramm auftretenden Dithmarfcher anzufehen, daß, 


wer ihn übervortheilen wolle, früh aufſtehen müfle. 
D. B. XI. Willtomm’s Rhever und Matrofe, 16 


— 2142 — 


Heidenfrei fannte indeß feinen Mann und war ald vorfichtig 
handelnder Kaufmann Tängft mit fih im Reinen über die Bedin⸗ 
gungen, die er dem Händler bieten könne. Ihm war bie Zeit der 
Ablieferung und die Qualität des Gelraides, von dem er Proben 
befaß, die Hauptſache. 

Diek-Johann hätte Fein dithmarſcher Bauer fein müflen, wä⸗ 
ren ihm Gewinn und Verluft gleich geweſen. Merdienen, möglichſt 
viel verdienen, das war für Ihn der Zweck des Lebens, wer andere 
Gedanken hegte, andere Bedlirfniffe kannte, den verachtete er gründ⸗ 
ih. Gr ließd ihn kaum für einen vollen Menſchen gelten und 
würde ihn ſchwerlich lange neben fich geduldet haben. Knauſerig aber 
war Diek-Johann nicht. Wie er es liebte, gern viel Geld zu ver⸗ 
dienen, fo ließ er aud gern etwas drauf gehen. Schillinge und 
Marken kamen darum bei ihm im gewöhnlihen Umgangsleben 
gar nicht in Betracht. Da galt nur das Drittel, der Gourant- 
thaler und der Spected. Der Ginfachhelt wegen rechnete er am 
allerliebften nach Species, und ein Gefhäft in anderer Münze, als 
in blanfen Spertes mit Diek-Johann abgefchloffen zu haben, Konnte 
fih in den Marfchen, wie in Hamburg, Niemand rühmen. 

Dom Reden hielt er wenig, deshalb war er meiftentheils 
fhweigfam und machte wenig Worte. Er war aber geduldig im 
Anhören der Reden Anderer, und fonnte ohne eine Miene zu ver- 
ziehen, Biertelftunden lang einen Dritten fih abmühen Taflen. 
Hatte er mirklih eine Ginwendung zu machen, fo unterbrad er 
den Redner mit einem ſtereotypen: Ä 

Süh fo! Hoal ftop! Und dann legte er mit wenigen Flaren 
Morten feine eigene Anfiht offen dar. 

Diek-Johann hatte durchaus nichts Heimliches, nichts Ver— 
ftedted. Er war bei aller natürlihen Schlauheit eine gerade, ehr- 
liche Natur, die alle Winkelzüge haßte und deshalb nie mit Advo— 
faten in irgend eine Berührung gefommen war, Wer ihn aber 
mit Gewalt oder durch allerhand Intriguen und Fallen zwingen 
wollte, aus feiner Ghrlichkeit herauszugeben, ben behandelte er, 
fobald er fi feiner Sache gewiß war, mit wahrhaft göttlicher Grob- 








— 243 — 


heit. Es kam ihm dann nidt darauf an, einen Injurienprozeß 
zu riskiren, wirklich befommen hatte er aber noch feinen, vieleicht, 
weil ein fo derb Zurechtgewieſener ſpäterhin ſich felbft geſtand, daß 
er von dem ohne Umſchweife verfahrenden Ditbmarfchen vollkom⸗ 
men nad Verdienſt abgelohnt worden fel. 

Die Unterhandlungen Heidenfrei's und feiner Söhne mit die— 
fem originellen Manne verliefen viel vafcher, als der Rheder erwar- 
tet Hatte. Diek-Johann ſah auf der Stelle, daß er einen Kauf: 
mann großen Styls vor fi habe, der nicht um Kleinigkeiten feil⸗ 
fhe, und fo war das rein Gefhäftliche erledigt, ehe beide Par- 
teten es vermutheten. Ganz zufrieden und doch auch Halb ver- 
wundert fchloß der Dithmarſcher das für ihn fo rentable Gefchäft 
mit feinem Wort: 

Süh fo! Hoal, ftop! reichte dem Rheder wie deſſen Söhnen 
zur Belräftigung die Hand und erklärte fih mit den kaufmän— 
nifhen Formalitäten, deren Heidenfret noch erwähnte, vollfommen 
einverflanden. 

Der Rheder freute fih, dieſen Mann von dem er oft ſchon 
gehört hatte, näher kennen gelernt zu haben, und überſchlug ſchon 
jegt die Vortheile, welche aus diefer neuen commerctellen Belannt- 
{haft für ihn fih ergeben könnten. 

Diek-Johann war nicht weniger zufrieden und Iub den Kauf- 
mann ein, ihn in der Marſch zu befuchen. 

Sa, mein Xieber, erwiderte Hetdenfrei auf dieſe Einladung, 
e8 wäre mir ganz angenehm, Ihr Gewefe in Augenfhein zu neh= 
men, wenn man nur nicht beforgen müßte, das Fieber zu friegen. 
Ihr bradiges Waſſer verträgt Unfereiner keine zwei Tage. 

Diek-Johann z0g die Stirne faſt raus, blidte den Kauf- 
herren noch fchärfer wie gewöhnlich an, und verfepte: 

Süh fo, fiop! Es giebt nirgends gefünders Waller als in 
ber Marih, Herr Heidenfret. Iſt überhaupt nirgend befjer und 
angenehmer zu leben, als bei uns. Was habt Ihr denn hier draus 
Ben? Sih mal, wil’8 fagen: Ihr Habt Waller, Elbwaſſer, ge- 
rade wiewir, nur zu wenig. Ihr habt viel Strauchwerf und über- 

16 * 





— 2144 — 


flüffige Bäume. Iſt bei uns in der Marſch Gottlob wenig davon 
zu fpüren. Ihr habt gar Sandberge, die man unter Schweiß er- 
ftetgen muß. Kennen wir gar nidt. Bei uns iſt Alles eben, Al⸗ 
les fetter Kleiboden, viel frifhe Luft; Fein unnöthiges Geäſt ver- 
det uns ben Lieben blaßgrauen Himmel. Geht mir mit Euerm 
Land da draußen! Nur in der Marſch ift Lebensluft, da tft das 
Paradies, die ganze Übrige Welt außer der Marſch tft nichts als 
lauter Geeſt. Hul man Tann bei dem bloßen Gebanfen ſchon ma- 
‚ger werben. Süh fo, ftop! 

Heldenfrei rieb fih vor innerlihem Vergnügen die Hände, 
denn er mochte gern mit Menſchen originellen Schlages verkehren, 
und einer von ber allerurwüchfigften Art ftand da vor ihm. Die 

Brüder mußten an fich halten, um nicht einer zu auffallenden Luſt⸗ 
igkeit fih hinzugeben. Der Rheder konnte ben gewaltigen Dith- 
marfcher, befjen ganzes Auftreten ihm höchlichſt imponirte und gleich 
zeitig ihn auch Föftlich unterhielt, unmöglich fofort wieder gehen laſſen. 
Der Gedanke, von ber Einladung bes reihen Marſchbewohners gele- 
gentlih Gebrauh zu mahen, behagte ihm mehr und mehr. Er 
verfegte deshalb auf die letzte Aeußerung des höchſt ernfthaft blide 
enden Diek-Johann: 

Ste mahen mich neugierig, einen Blid in dies mir bisher 
unbefannt gebliebene und doc fo nahe gelegene Paradies zu thun. 
Wären nur die Wege in Ihrem gefegneten Lande etwas praktikab⸗ 
ler. Bon dieſen Marſchwegen aber babe ich fo viel Schlimmes 
erzählen hören, dag uns Stadibewohnern, mit Verlaub zu fagen, 
Angſt und vor Angft der Kopf did werben kann. 

Zum erften Male erheiterten fi die Züge des reichen Marſch⸗ 
bauern. Er nidte zuflimmend mit dem Kopfe und fagte: 

Man bat die Wahrheit gefagt. Unfere Wege gehören nicht 
zu den beften. Damen in feinem Schuhwerk, und elegante Her- 
ven, die aus Furcht vor Hühneraugen dünnes Sohlenleder einem 
ſtark mit Nägeln befchlagenen feſten Stiefel vorziehen, führen bei 
uns einen bannig ſchlechten Wandel. Hat aber fein Gutes, mein’ 
ih. Wer ſtecken bleibt in unferm Kleiboden, der muß aushalten, - 





— 45 — 


bis Einer kommt und ihn frei macht. Das Auf- und Davonlau⸗ 
fen tft bei uns ſchwierig. Gab letzthin eine nette Geſchichte das 
— haben viel darüber lachen müſſen Abends beim Trick⸗track. — 

Süh fo, hoal, ftop! | 

Diek⸗Johann puhftete, daß fein gewaltiger Bruſtkaſten dröhnte, 
denn eine gleich lange und zufammenhängende Rede hielt er felten 
und that er es, fo war dies ein fiheres Zeichen, daß er unges 
wöhnlich gut bei Laune war. Hätte dies Jemand bezweifeln wol- 
len, fo würde das herzhafte und zugleich herzliche Lachen ihn ei- 
nes Beſſeren belehrt haben. 

Darf man nicht Mitwiffer diefer Geſchichte fein? fragte Hei— 
denfret, nicht aus Neugier, fondern um noch etwas von dem vri- 
ginellen Hartfopf aus der Marſch erzählen zu hören. 

Warum nicht, Herr Heidenfret, verfebte Diel-Fohann, es wird 
Ihnen damit nur ſchwerlich etwas Neues vorgefegt werden, benn 
das Ding warb irgendwo in einem Wochenblatte gebrudt, weil 
fih’8 gar zu Iuftig leſen ließ. 

Ferdinand bemerkte dem Dithmarfcher, daß biefe Kleinen Blätt- 
hen in dem großen Hamburg, das genug eigene Zeitungen befäge, 
nicht gelefen würden, worauf dieſer fortfuhr : 

Hoal, ftop, will erzählen, was ich no Davon weiß. — Er 
dachte eine Welle nach, dann begann er aufs Neue: 

Recht, fo war es; befinne mic deutlih, Sit mir, als ſei's 
erſt vorgeftern paffirt. 

Er huſtete, holte tief Athem und puhſtete, ehe er weiter 
ſprach. 

Mitte Novembermonat — der Tag iſt mir entfallen — war 
ein bannig grimmiges Nebelwetter. Es regnete fein und doch ſo 
dicht, als wäre der ganze Himmel ein großes Haarſieb und das 
halbe Weltmeer brandete von oben hinein. Auch wehte es ſcharf 
aus Südweſt, daß ein einzelner Menſch auf dem Seedeichkamme 
ſchier wuchtig auftreten mußte, wollte er Stand halten. Die Krä⸗ 
hen faßen dicht Beifammen auf den Aeſten der entblätterten Ul- 
-men, bie um die Höfe rauſchten. Manchmal, wenn ber Wind bie 





— 146 — 


alten Bäume gar zu heftig fehüttelte, flogen fie auf und liegen 
fih auf den Hausdächern nieder, was fonft nicht ihre Art iſt. 
Auch auf die Dornenden der Storchnefter, die ja leer flanden, wag— 
‘ten fih einige ber keckſten. 's iſt unheimlich‘, Herr Heidenfrei, 
wenn das Genögel fo krächzt, fo unftät umher fliegt, und als ahne 
ihm ein Unglüd, die fehwarzen Flügel Über den Gräben und Waf- 
fertümpeln fchlägt. 

Im Paradies mag das anders geweien fein, warf Eduard 
ein, der eine Kleine Neckerei des auf feine Heimath fo ſtolzen Marſch- 
bewohners nicht unterbrüden konnte. Diefer ließ fich jeboch nicht 
ftören, fondern fuhr ruhig fort, einen fat fpöttifchen Blid aus fet- 
nen ſcharfen Eleinen Augen auf den jungen Kaufmann werfend. 

Stop, junger Herr! Bor dem Eingange zur Marſch ſitzt Fein 
Engel mit feurigem Schwert, wie vor dem Paradieſe; wer aber 
mit Wind und Wafler, mit Sumpf und Kleiboden nit umgehen 
fann, der mag wohl in ber fetten Erde, die uns Gingebornen ab- 
fonderlih gut gefällt, zu Schaden kommen. Meine, ed wäre paj- 
firt, ohne mein und meiner Nachbarn thätliches Einfchreiten. 

Es handelt fih um eine KLebensrettung? fragte Heidenfrei 
aufmerffamer. 

Ungefähr läuft es auf fo 'was hinaus. War aber Doch zu 
fpaßig anzufehen, wie fie jo im Drede faßen und einander bannig 
wilde Gefichter fehnitten. Süh fo, ftop. 

Mer befand fih denn in einer fo fatalen Situation ? fragte 
Ferdinand, 

Mer? fuhr Dief-Fohann fort. Darauf mag der Wind oder 
Deichkobold Antwort geben. — Uber füh fo — das wars... Ich 
fihe gerade beim Mittagefjen und fpüle die letzten paar Bilfen von 
einer Schweingrippe mit einem frifhen Slummer hinunter, da tritt 
eine der Mägde herein und fagt: Baas, an der Bohnenfoppel, wo 
der Fußfteig nad dem Binnendeihe über drei tiefe Gräben führt, 
heult’8, als ob ein Paar Teufel mit verdammten Niren fi zanf« 
ten. Dachte mir gleih, es möchten ein paar Verunglüdte fein. 
Stehe alfo auf, ftülpe mir einen Hut auf den Kopf, nehme Spring« 


— 1471 — 


tod und ein paar Taue mit und trete hinaus ins Freie. War 
bannig ſcharfes Novemberwetter — hörte die Elbe toben hinter 
dem Deihe. ‚Viel Wafler vom Oberlande, alle Gräben zum Ue— 
berlaufen voll. — Wie ih nun fo ſtehe und Horde, und der Wind 
mir Nebel und Regen gerade ins Geficht peitfcht, fehe ich beide 
Nachbarn ebenfalls aus ihren Höfen kommen und den gleichen 
Weg wie ich einfhlagen. Horch — da ruft's — grauenhaft wild 
— ein Schrei, der wie ein Todesſchrei Hang — In ber Luft 
heulte er fort, als röcdelten böfe Geifter — und die Krähen flo— 
gen auf und Freifchten, während die Strandmöven klagten, als 
fhrieen hungrige Kinder nah ihren Müttern. — Es ward mir 
faft grauferlih, liebe Herren, aber th mußte doch Mann bleiben 
und fo faßte ih meinen Stod, ſchwinge mich über den nächſten 
Graben und bin mit wenigen Schritten bei den Nachbarn. — Uns 
anfehen und veritehen, das war Eins. Indem heult’s wieder in 
der Luft und der Ton Mingt hohl, wie der eines Eritidenden 
oder doch eines Menſchen, der ein ficheres, jammervolles Ende vor 
Augen fieht. | 

Dort drüben iſt's, fagt Nachbar Sootſpring. Es müſſen 
Fremde fein, die fih vom Deiche im Nebel verirrt haben und nun 
weder vor: noch rückwärts können. Ein Glüf für fie, daß es juft 
erft dämmert. Wär’s Naht, fo kämen fie um im Schilf und 
morgen früh Hätte fie der Schlamm für ewige Zeiten begraben. 

So geben wir alfo zu Dreien dem Schreien vorfichtig nad, 
fpringen über vier, fünf, fehs Gräben, geben dem Angftrufen 
Antwort in unferer Weife, und finden nad einer Biertelftunde 
bie Stelle — war — Gott verdamm’ mid — ein Anblid zum 
Entjegen und doch aud wieder zum Laden, ben wir an jenem 
Novembernachmittage Hatten ! 

Zum Lachen? erwiderte in mißbilligendem Tone Eduard. 

Sage, zum Lachen, Herr, fuhr Diel-Johann in gemädlichiter 
Weiſe fort. Stedten zwei Menfhen, die einander fpinnefeind 
waren, im leimzähen Kletboden bis an die Knie’, zerrten einander 
bin und her, bald einen Kleidzipfel fallend, bald Einer des Ane 


- 


bern Haare zaufend; — riefen, ſchrien und fehimpften babet wie 
Befeffene, und konnten aljobald merfen, daß fie gar nicht aus 
Furcht und um Hilfe herbeizurufen, fo grimmig gezetert hatten, 
fondern weil die Wuth, der gegenfeitige Haß Befib genommen von 
ihren Herzen, und Einer den Andern binunterarbeiten wollte in 
Sumpf und Modergrund. So balgen fih und ringen Teufel aus 
der lichterloh flammenden Hölle mit einander, nit Menſchen, die 
fi Ghriften nennen. — Hab’ freilich nicht gefragt, ob die beiden 
Rafenden an Gott oder an Baal glaubten. Shre Worte und 
Werke jedoch Hangen mehr heidniſch als chriſtlich. 

Wer aber waren die Unfellgen, fragte Heidenfrei, und was 
tft aus ihnen geworden, da nun durch Euer friedensrichterliches 
Einfhreiten der Kampf Beider doch wohl ein Ende fand? 

Süh fo, ftop! puhftete Diek-Johann, tief aufathmend. Küm- 
mern wir uns in der Marſch wenig um anderer Leute Angelegen- 
heiten. Bringt felten Vortheil, öfterer Schaden, verurfacht Koften, 
Zauferei und macht immer Verdruß. Haben wir alfo die beiden 
Menſchen, von denen ber eine einige und dreißig und ber andere 
einige und zwanzig Jahre zählen mochte, weder nach Taufichein 
und Legitimation noch nach dem Grunde gefragt, aus dem fie fid 
tafelten und fih im Klei zertreten wollten. War das nicht unfe- 
res Amtes. 

Gewiß aber verſuchtet Ihr die Streitenden zu trennen und 
durch verſtändiges Zureden zu verſöhnen, meinte Ferdinand. 

War bannig naßkalt und ſchlecht ſtehen im finkenden Marſch⸗ 
boden, verſetzte Diek-Johann, und das iſt keine paſſende Zeit zu 
langen Unterhandlungen. Auseinander, braten wir die giftigen 
Ringer, getrennt für immer jedoh und verfähnt haben wir fle 
nicht. 

Weshalb nicht? fragte Eduard. 

Weil ber Eine, der Jüngere, ein wildfremder Kerl war, den 
wir platterdings nicht verftanden. Der große Lange, ein ſchieläu⸗ 
giger Amerikaner, wie er fagte, konnte fih gut auf Platt aus- 
brüden, und ber erzählte uns, daß ber unterfeßte Kleine, ein fpa« 





— 249 — 


niſches Blut, ihn unterwegs hinterrüds angefallen habe, um ihn 
zu berauben, fpäter gar zu tödten. Da ſei das Ringen Tosge- 
gangen, die Morbwaffe dem Miguel entfallen — 

Miguel? riefen Vater und Söhne wie aus einem Munde. 

Sp nannte der Yankee den wildblickenden Spanier, der aud 
wirklich wie ein in Wuth gerathener, gelb gekochter Teufel aus— 
fab und gegen uns eben fo drohend und immerfort fluchend die 
Hände ballte und die Zähne fletjchte, wie gegen den Amerikaner. 
Hatte prächtig weiße Zähne, das gelenke Kerlchen, Zähne, als hätte 
er von Jugend auf Schwarzbrob bei uns in der Marſch gegeffen. 

Der junge Spanier hieß alfo Miguel? unterbrach Heidenfrei 
den Marfchbauer nochmals mit fcharfer Frage, während Eduard 
und Ferdinand Arm in Arm, lebhaft, aber Ietfe fprechend, tm 
Zimmer auf und nieder gingen. 

Miguel oder Michal oder fo ungefähr, ſagte Diel- Johann 
höchſt gleichgiltig. IR uns an dem Namen eben fo wenig wie 
an dem Manne, ber ihn führte, gelegen geweſen. War jeden— 
falls ein ſchlimmer Gefelle, der unter ehrliche Leute nicht gehörte, 
— Süh fo, ftop! — Bradten wir alfo die fuchswilden Menſchen 
aus einander, halfen ihnen aus dem zähen Klei und nahmen fie 
mit und Meine Nachbarn führten den wilden Spanter, der vor 
Gift und Galle ordentlih ſchäumte, mit mir voraus ging der 
lange Amertfaner und erzählte mir eine wunderliche Gefchichte, 
aus der ich nicht recht Hug werden konnte. Intereſſirte mich fein 
Schnack eigentlih wenig, und glaube ih au, der Kerl log, was 
die Zunge halten wollte. Nur das Eine, die heftige Feindſchaft 
des Spanters gegen ben Amerikaner, war nicht erlogen. Weil 
aber der Leptere behauptete und viele glaubhafte Gründe dafür 
vorbrachte, daß der widerfpenftige Spanier ein ihm entlaufener 
Matrofe fei, der fih vor dem Tauende fürdte, fobald er ihn am 
Bord feines Schiffes habe, thaten wir ihm den Willen, nahmen 
ben geifernden Burfchen ſcharf in Obacht und brachten Beide auf 
einem Wagen nad Brunsbüttel, Dort padten wir fie in eine 
Sole, den fhimpfenden und greinenden Miguel oder Michal mit 


UN 





— 2350 — 


gebundenen Händen, und nun, füh fo, flop, fort mit dem un- 
nügen Volk auf Die breite, nebelbedeckte Elbe! — Verſchwand bie 
Jolle bald und Hat angelegt am Bord einer amerikaniſchen Brigg 
unter dem Jubel der ganzen Mannſchaft. Weiter aber tft nicht 
mehr von der Sache die Rede gewefen. 

Heidenfrei dankte dem Marfhbauer für diefe Mitteilung, 
fügte auch noch einige Fragen Hinzu, aus deren Beantwortung 
ih, je nahdem fie ausfielen, mancherlei Sclüffe ziehen laſſen 
fonnten. Diek-Johann hatte aber fein Neuigfeitshorn vollkommen 
geleert und war aus feinem phlegmatifhen „Süh fo, ſtop“ nicht 
mehr herauszubringen. Nur feine Einladung, die Mari zu be- 
fuchen, wiederholte er, und der Rheder ftand nah dem Vernom⸗ 
menen nicht an, dieſen Beſuch dem reihen Grundbefißer und Ges 
tratdehändler jeht ganz beſtimmt zuzufagen. 

Kaum hatte ſich Diek-Johann entfernt, fo traten die auf- 
geregten Söhne zu dem Vater, diefem mehr Fragen vorlegend, 
als er beantworten konnte. Hatte der Marjhbauer, woran nicht 
zu zweifeln war,. die ganze Wahrheit gefagt, fo konnten bie fo 
zufällig erhaltenen Andeutungen, vorfihtig benußt und verfolgt, 
zu meiteren Aufſchlüſſen führen. Miguel, der geheimnißvolle Ma- 
trofe aus dem ſpaniſchen Amerika, war dann nicht der Räuber 
Chriſtinens. Diefen mußte man anderswo fuchen. Wo aber war 
fein Sreund, der Steuermann Andreas geblieben? Wie hieß der 
Amerikaner, der in ſolche Todfeindfhaft mit Miguel gerathen war? 
Und endlih, wo und tin wellen Gewalt befand fih das junge, 
ſchöne Mädchen? 

Die Brüder wurden durch diefe Eröffnungen in die größte Un 
ruhe verſetzt. Ste beriethen fih geraume Zeit mit dem Vater und 
man faßte endlich gemeinfam den Beſchluß, vorerft Jacob von dem 
Gehörten Nachricht zu geben. Später wollte man unter der Hand 
und ganz nebenbei genaue Erkundigungen einzichen über alle um 
jene Zeit in See gegangenen amerikaniſchen Schiffe. Endlih mußte 
e8 die Aufgabe Aller, welche Theil nahmen an Chriſtinens Schick⸗ 
fale, fein, auch in Erfahrung zu bringen, wo Andreas, der Breund 





— 31 — 


und Gefährte Miguels, geblieben fet; denn daß Die gewaltfame 
Fortichleppung des Lebteren mit dem Verfchwinden des jungen 
Mädchens in Beziehung ſtehe, davon waren jebt Die Brüder eben 
fo feſt, wie der Vater überzeugt. 

Noch an demſelben Abende fchrieb Ferdinand einen ausführ- 
lichen Brief an Paul, den Bruder Gpriftinens, der gerade noch 
mit der directen Poft nach Südamertfa abging und, wenn nicht 
auffallende Störungen in der Natur eintraten, faft gleichzeitig mit 
der Bart „Marta Eliſabeth“ den Hafen von Buenos=-Ayres errei- 
chen fonnte, 


Sechſtes Kapitel. 


Eine unerwartete Neuigkeit. 


Der Mat iſt im höhern Norden Deutſchlands ſelten ein „wun⸗ 
derſchöner Monat” zu nennen. Oefter kommt es vor, daß er mit 
täufchender Aehnlichkeit den April nachahmt. Er verfteht fich auf 
anhaltende Regentage, auf Schneegeftöber und Schauer grobförnt- 
gen Eifes, auf Heftige Winde und bitterfalte Nächte ganz vortreff- 
Lich, die Fiebliche, Alles erquidende Maifonne aber fcheint meiſten— 
theils nur im Kalender. Der Norddeutfhe nennt dies nicht bios 
fruchtbares, fondern auch gefundes Wetter. Er tft nie rüftiger, 
fühlt fih nie behaglicher, al8 wenn es aus We und Südweſt 
tüchtig weht, wenn ein doppelt beſohlter Stiefel gute Dienfte 
thut oder wenn die Luft did von Nebel iſt. Die mancherlet 
Mebelftände, welche mit folcher Witterung ſtets verknüpft find, 
weiß er zu befiegen, wie er ſich ja auch voll beften Humors mit 
plöglih eintretenden Weberfchwenmungen, die gewöhnlich in die 
unerquidlichfte Jahreszeit fallen, abzufinden verfteht. 

Nicht fo Leicht wird e8 dem Fremden, und zumal dem Süd⸗ 
länder, diefe anhaltende Brtesgrämlichkeit des norddeutſchen Him⸗ 


— 232 — 


meld mit Gleichmuth zu ertragen. Das fühlte jetzt Niemand 
mehr, als Don Alonfo Gomez, der vom deutſchen Mat fchon tn 
feinem herrlichen Vaterlande viel Entzüdendes vernommen und ihn 
als den reizendften Monat im Fahre Hatte preifen hören. Das 
duftige Laubgrün des Mai, feine Blüthen- und Blumenpradt, die 
jonnig=fühlen Zaubhaine, deren goldiges Halbdunkel man ihm als 
die natürlichen Palläſte der Feenkönige und aller Elfenfchaaren 
gefchildert, erwartete der ungeduldige, genußfühtige Mexikaner 
den ganzen Winter bindurh mit Vorgefühlen glüdlicher Sehn— 
fugt. Allein der Mat fam nun wohl, nur nicht die Blüthen- 
fülfe, kein fonniger Himmel, fein duftender, fchattiggrüner Hain. 
Es regnete Tag für Tag, manchmal ohn' Aufhören, bisweilen 
nur ſechs- bis achtmal täglih. Es fchneite auch mehrmals, und 
bie Hagelförner, welche gegen die Fenſter praflelten, waren erbfen- 
groß und fielen in folchen Maſſen, daß fie an gefchüsten Orten 
einige Stunden liegen blieben. Des Nachts fror e8 dünnes, zars 
tes Eis, am Tage zeigte der Thermometer nur wenige Grabe. 
über Null. Die Herren rannten in ihrer Gefchäftsemfigfeit wie 
toll mit doppelten Röden durch die fchauerlich ſchmutzigen Stra= 
pen, und die Damen trugen Pelzkragen und dide Winterkleider. 
Und dabei las der Mexikaner mit größtem Crflaunen die ihm 
ganz unverftändliche Phrafe im Kalender, den er aus purer DVer- 
zweiflung zu Rathe zog: „Die hellen Nächte fangen an.” 
Don Gomez erfundigte fi) nach der Bedeutung diefer Worte 
und als er genügende Belehrung darüber erhalten Hatte, zerrif 
er den abjcheulichen Kalender, deſſen Wetterprophezeifungen ein 
fchauerliches Lügengewebe bildeten, befahl Feuer In den Ofen zu 
legen. und ftellte höchſt erbauliche Betrachtungen an über die Wan⸗ 
belbarfeit der Dinge, Über den Wechjel der Farben, über die 
Verſchiedenheit der Climate und über die Natur des Menjchen, 
ber überall derſelbe und doch wieder fo grenzenlos verfchteden iſt. 
Verdammtes Nebele und Regenland! rief er endlich ver- 
drießlih aus. Bei den fchönen Augen meiner Mutter, bätte td 
ahnen können, daß in diefer weltberühmten Stadt acht bis neun 





— 13 — 


Monate lang ein altes, ſchmutziges Segeltud, dem man ben poetifch 
Hingenden Namen Himmel gibt, die Luft vorftellt, und dag in den 
übrigen drei oder vier Monaten die boshaften Winde ab und zu 
“ ein paar'große und Feine Löcher hinein reißen, durch die aus uns 
ermeflenen Fernen die Sonne brütend=heife Strahlen fendet und 
Alles unter der ſchweren, drüdenden Dede in dunftige Treibhaus» 
ſchwüle hüllt, ih würde mid wohl gehütet haben und bet Zeiten 
umgefehrt fein, um Balfamdüfte zu athmen und in reinem Aether 
Auge und Geift zu baden. Hier könnte man aus reiner Verzweif⸗ 
lung über die Witterung ein Teufel werben, nur um einige Künfte 
zu profitiren, mit deren Hilfe man fich felbft und Andern, benen 
es nicht beffer ergeht, zur Zerftreuung und Kurzweil etwas vorzu= 
fügen vermöchte. — — Keinen Befud kann man maden, denn 
wer foll bet ſolchem Wetter auf's Land fahren und ein geheiztes 
Zimmer mit einem andern geheizten, vielleicht auch mit einem Fels: 
lerartig Falten oder feuchten Raume sertaufhen? — Ah, wäre Id 
Doh in meinem fchönen VBaterlande und könnte mich mit einer 
feiner Itebenswürdigen Sennoritas auf gut Spanifch ungentrt uns 
terhaften! — Die Weiber hier — nun ja, ſchön und liebreizend 
find fie zuweilen au, wenn fie nicht vom Gallapfel der Gelehr- 
ſamkeit genafcht haben, nur fo verteufelt ehrbar, fo brutal moralijch 
fo wahnfinnig decent, fo zum Anbeißen keuſch! Ich glaube wahr- 
haftig, fie denfen, aud wo fie wahrhaft und von ganzem Herzen 
Iteben, immer nur an's Heirathen . . . . Und darin fcheinen fie 
fih alle gleich zu fein, die Vornehmen und Reichen, wie die Ges 
meinen und Armen . . . Ein Mann, ein Mann! Das tit diefer 
ehrbaren Dulcineen, die freilich alle taufendmal ſchöner und ſüßer 
find, als die berühmte Dulcinea von Toboſo, Morgen: und Abend 
gebet. Garajo! 

Ein leiſes Klopfen ftörte den verſtimmten Mexikaner in feinen 
erbaulihen Gedanken, die wir in die Form eines Selbitgefpräches 
einkleideten. Er hatte jedoch nichts gegen jegliche Störung, denn, 
was es auch Immer fein mochte es war doch etwas Neues, den 
Augenblid auf irgend eine Weife anders beleuchtend, Er rief 





— 254 — 


deshalb mit vernehmbarer Stimme: SHerein! und fah zugleid er— 
freut und verwundert ein Männden in’s Zimmer ſchlüpfen, das 
fih unter zahlreichen devoten Büdlingen ihm fehüchtern näherte. 

Don Gomez hatte dies ſchmächtige Männden ſchon früher 
einige Male gefehen und erkannte fofort, daß er einen fpeculiren- 
den Sohn aus dem Stamme Juda oder Levi vor ſich habe. 

Der gnädige Herr wollen verzeihen, fagte das Männdhen, aus 
. großen, fehwarzen Augen einen Hug aufleuchtenden Blitz dem fehönen 
Mexikaner zumerfend, ih komme nicht um Profit, ich fomme, um 
zu maden dem Herrn eine Mittheilung. 

Hier dämpfte der vorfichtige Israelit feine Stimme, fah fi 
im Zimmer um und fuhr in lets flüfterndem Tone fort: 

Sind wir allein, gnädiger Herr? Kann uns hören Fein Dritter 
oder Vierter? | 

Es tft Niemand zugegen, mein Herr, verſetzte, Verdacht ſchöpfend 
der auf diefen Beſuch durchaus nicht gefaßte Mexikaner. Die nächſten 
Zimmer gehören, wie diefes, mir perfönlich zu und mein Diener iſt 
ausgegangen. 

So kann ih aljo ſprechen offen und fagen ohne Furcht, was 
ih mitzutheilen habe dem Herrn, ohne zu haben davon Verdruß? 

Wenn Ste e8 vor Ihrem Gewiſſen verantworten können und 
Ihr Auftrag oder Ihre Mitteilung tft wirklich für mich per- 
ſönlich beftimmt, was ich ja nicht weiß, fo reden Ste ungenirt. 
Horcher gibt es hier nicht. 

Der Jude trat zagend einen Schritt näher, ſcheue Blide auf 
ben Spiegeltifch werfend, an welhem Ton Gomez lehnte, und wo 
ihm der koſtbare Griff eines niedlichen Dolches nicht entgangen 
war. 

Sind Ste ja doch der vornehme Herr aus Mexiko, Don 
Alonfo Gomez, der tft fo reich wie der hochweiſe Ben Joſeph Sa- 
danober in Brody, den ich nenne meinen leiblichen Vetter? 

Don Alonfo Gomez ti mein Name, Ste willen es, fagte 
der Mexikaner Fühl, den Juden ſcharf firtrend und den Dold wie 
zum Tändeln aufnehmend. 


y 








— 255 — 


Das Feine, ſchmächtige Männchen mit ben großen Augen fuhr | 
unmillfürlic beim Anblick des blanken Stahles ein paar Schritte 
zurüd. Da der Mexikaner indeß regungslos feinen Platz behielt, 
trat der Jude wieder näher und fagte, immer nur halblaut fprechend: 

Komme ih doch von Cuxhaven und Ritebüttel, wo ich habe 
gehabt Gefchäfte viel und verdient wenig Geld, und bin ich zujam« 
mengetroffen mit einem Manne, der mid kennt genau und hält 
auf mich graufam viel, weil ich ihm hab’ geholfen aus mancherlei 
Nöthen. Der bat gefagt zu mir in freundfchaftlihem Tone und 
mir drüdend die Hand wie ein Freund, dem die Worte fommen- 
vom Herzen: | | 

Mofes, hat er gefagt, Mofes, Sohn Bibrachs, ich Hab’ did 
fennen gelernt als einen ehrlihen Mann, und weil ich weiß, daß 
du bift ehrlih und treu und Niemand thuft Unrecht, felbjt nicht 
deinem Feinde, will ich dir anvertrauen eine große Sache. Du 
mußt fie aber vollführen pünktlih, denn ic werde aud bezahlen 
pünftlih, und da hat er mir gegeben einen ganzen Portugaldfer, 
an dem hat kaum gefehlt ein Achtel Gran! Iſt's nicht nobel, gnä⸗ 
biger Herr? 

Mid dünkt, e8 war ein Handel, wie Ste ihn befler nicht ab» 
ſchließen könnten, verfeßte Don Gomez. 

Hab’ ih doch zu mir gefagt daffelbe, fuhr der geſchwätzige 
Sebräer fort, und darum bin ich geweſen bereit zu Allem. Und 
ber Herr, den ich kenne genau, wie er mir gibt das Zeugniß, daß 
ich ſei ehrlich, Hat mir eingehändigt ohne Bedenken einen Schreibe- 
brief und hat gefagt zu mir: Mofes, Sohn Bibrachs, hat er gejagt, 
gehe hin nach Hamburg, wo da werben gemacht große Gefchäfte und 
drunter mandje, die da find faul durch und durch, und bei denen 
geht pleite ganz und gar, der fie macht, gehe bin und mache -ab 
für dich und mid) und noch ein paar andere Leute ein Gefchäft 
und laß dir zahlen dafür noch zwei Portugalöfer, an denen fehlen 
fol auch nicht der achte Theil von einem Achtelgran. Gott, der 
Gerechte, gnädiger Herr, fol mich ftrafen, wenn ich nicht fage ge— 
nau, wie der Mann, den ich Tenne ganz und der kennt mic wie 











— 256 — 


fich ſelber, ſich hat ausgedrückt in feiner liebevollen Geſinnung zu 
mir! Und da hab' ich genommen den Schreibebrief, Hab’ ihn ein⸗ 
gewicelt fauber in ein ſeidenes Tüchlein, das ich gebraude zu gar 
nichts, damit er nicht beneßt werde vom Regen oder von dem 
Schweiß meines Leibes, was Teicht wäre möglich, da tch gehe Tag 
und Nacht immer zu Fuß, es mag regnen oder ſchneien, oder e8 
mögen fiheinen die Sonne oder Mond und Sterne. Und als ich 
gefommen bin vor zwei Stunden hier an, habe ich doch nichts ei= 
liger gehabt zu thun, als zu gehen tn biefem fchlechten Wetter, 
das mir macht naffe und alte Füße, was ich nicht Tann vertragen, 
von den Kohlhöfen, wo ich wohne, durch die Neuftrage und A-B-C- 
ftraße u. f. w. bis an den Jungfernftieg, um zu übergeben eigen» 
handig, wie's ausbedungen, den Brief an den gnädigen Herrn. 
Und als ich gehandelt hab’ als ein ehrlicher Mann, was beurthet- 
fen mögen der gnädtge Herr felber, bitte ich unterthänigft mir aus⸗ 
zuzahlen den Botenlohn, den ich nicht finde zu hoch für den Weg 
von Cuxhaven bis hierher in einem Wetter, wo man nicht gern 
jagt hinaus einen räudigen Hund! 

Während biefes langen, aber eiltgft gefprochenen Sermons 
hatte Mofes, der Sohn Bibrachs, aus feinem ſteil herabhängenden 
Rodelor ein forgfam zufammengefaltetes Tuch gezogen, daß indeß 
nicht ganz fo fauber ausfah, wie er es befchrieb, und mit größter 
Behutſamkeit einen Brief daraus hervorgezogen, den er jegt unter 
tiefer Verneigung dem erftaunt zuhörenden Merifaner überreichte. 

Don Gomez empfing das Schreiben, betrachtete die Adreſſe, 
und da ihm die Handichrift befannt war, riß er es ziemlich unges 
ſtüm auf. Sein Blick ward finfter, feine Gefichtsfarbe gelblich, 
während er den Brief las. Heftig mit dem Fuße flampfend riß 
er den Dolh aus der Scheibe, daß der ängftlihe Iſraelit laut 
auffhreiend bis zur Thüre reterirte. Nach beendigter Lectüre zer- 
knüllte Don Gomez den Brief, zog feine Börfe und fehleuderte 
dem Meberbringer ftatt zwei Portugaldfer deren drei zu, zugleid 
mit Donnerfiimme rufend: Fort, du Sohn eines Hundes! laß dich 
nie wieder vor mir bliden. 


— 17 — 


Moſes, der Sohn Bibrachs, ſammelte die Goldſtücke auf, 
machte drei tiefe Complimente und ging rückwärts aus der Thür. 
Dieſe zudrückend rannte er mit großen Schritten der Treppe zu, 
indem er, die Goldſtücke betrachtend, mehrmals wie zu feiner Be— 
rubigung ob des gehabten Schredens laut vor fih hinſprach: Hab’ 
ih doc gemacht Fein ſchlechtes Gefchäft, ob es ſchon war bei Gott 
ein Auftrag, der mir konnte eintragen blaue Flecke und rothe 
Striemen. Mein, wie heißt! Wie fann man fein ein vornehmer 
Herr und doch behandeln höflihe und ehrliche Leute, bie Jemand 
thun einen großen Gefallen für Geld, fo graufam grob! 

Erft als die Schritte des feltfamen Boten auf dem Corridor 
verhallt waren, entfaltete Don Gomez nochmals den empfangenen 
Brief, der nicht geeignet war, feine ohnehin ſchon mißvergnügte 
Stimmung aufzuridten. 

Das Schreiben rührte von einem Manne ber, der fih Jack 
Charles Greatitring unterzeichnete, war aus Cuxhaven datirt, lei⸗ 
der aber — und das ärgerte gerade den Merifaner — über einen 
Monat alt. Der Brieffteller hatte es nicht für nöthig erachtet, 
dieſes verfpäteten Abganges wegen fih zu entſchuldigen. Webrigens 
war es ja auch nicht gewiß, ob nicht der Ueberbringer ſaͤumig ge⸗ 
weſen und eines vielleicht vortheilhaftern Geſchäftes wegen bie Ab- 
gabe des Briefed um ein paar Wochen Hinausgefchoben Hatte. Wie 
dem nun immer fein mochte, das Schreiben Greatſtring's beunru- 
higte den Merilaner gewaltig und verfegte ihn in eine fo gewal- 
tig Teibenfchaftliche Aufregung, daß er die größten Thorheiten zu 
begehen fähig gemwefen wäre. Zu feinem eigenen Glüd hörte er 
bald darauf Maſter Papageno in’! Nebenzimmer treten. Don 
Gomez rief Taut feinen Namen und entbot den Mulatten augen 
blicklich zu ſich. 

Schöne Neuigkeiten, raunte er dem erprobten Diener zu, ihm 
den Brief in's Geſicht ſchleudernd. Da lies, kaufe dir einen Strick 
und hänge dich ſelber auf, damit du niemand Anderm unnöthige 
Mühe machſt, dich Dummkopf aus der Welt zu ſchaffen! 

Papageno war an derartige Grobheitsparoxismen, die ſeinen 

D. B. XL Willkomm's Rheder und Matroſe. 17 


— 258 —- 


beigblütigen Herrn nur zu häufig befielen, ſchon fo gewöhnt, daß 
fie ihn perfönlih wenig rührten. Er hob deshalb bas zu Boden 
gefallene Papier gemächlich auf, blies den daran haftenden Staub 
ab, lehnte fich Über die Lehne eines Stuhles, mit der Linken Fuß⸗ 
jpige die Diele Mopfend und begann, während Don Gomez unun=- 
terbrochen ſchimpfte, die ſchlechte Handſchrift mit großer Seelenrube 
zu entziffern. Darüber verging eine geraume Zeit. Als er enb- 
lich mit der Lectüre fertig war, ließ er den Brief fallen und fah 
feinen Heren mit fo kalten, fiteren Augen an, als beherberge fein 
Körper gar feine Seele. 

Nun, du gloßäugiger Stier, fuhr Don Gomez ihn an, was 
haft du jegt in deinem fehuftigen Gehirn für Rathſchläge übrig? 

Zuerft bitte ich mir eine von Ew. Gnaben beiten Gigarren 
aus, erwiderte der Diulatte. Denn, wenn th gründlich nachden⸗ 
fen fol, muß id meinem Geiſt Weihrauch zu riechen geben, damit 
er in eine heilige, erhabene Stimmung gerät. Das Unglüd iſt 
überdies alt, es bat alfo mit defien Repartrung nicht allzu große 
Eile. | 

Brummend warf Don Gomez dem etwas vorlauten Diener, 
der fein Vertrauen zu ſehr befag, um ihn rückſichtslos behandeln 
zu fönnen, feine Gigarrendofe zu, die Mafter Papageno gemädlid 
öffnete, und welder er die ihm zufagendfte Cigarre entnahm. 
Als er fie angezündet hatte, ſprach er, feine Stellung beibehaltend: 

So, Sennor, nun Fünnen wir zufammen überlegen. Was 
halten Ew. Gnaben von Mafter Greatitring? 

- Daß er an der Fodraae zu baumeln verdiente. 

Wenn alle Schufte gehangen würden, was follte dann in ber 
Welt aus dem Amüfement werden! 

Mache einen vernünftigen Vorſchlag und laß das Moralifi⸗ 
ren fein, fprah Don Gomez, unruhig im Zimmer aufe und ab- 
gehend. Miguel iſt fort, es wird nicht lange dauern, ſo jhnüffelt 
der Burfche wieder bier herum, Das wäre mehr ale gefährlich; 
denn erführe der mehr als pedantifh gemwiflenhafte Heidenfrei bie 
volle Wahrheit, fo feheiterten alle meine Pläne. 





— 259 — 


Sind Ste wirflih von ganzem Herzen verliebt? Verliebt in 
eine diefer ſchlanken, fammtweichen, weißen, beutfchen Elfen, die nie 
reizender ausfehen, als unter fonnenbeglänztem Buchenlaub ober 
im Mondſchein. Ich ſehe fie gern fpazleren gehen, lieben aber 
könnte ich fie nicht. 

Du brauhft dich um meine Hirzensangelegenheiten nicht zu 
befümmern, fagte der Meritaner ärgerlih. Thue, was du jo, 
halte mir die Spürhunde vom Leibe, forge für Zeriireuung und 
Amüfement und biete al’ deinen Wis, all’ deine Niederträctigkeit 
auf, um den Starrfinn biefer Widerfpänftigen zu brechen. 

Kann nichts nügen, Herr, erwiderte Papageno gelaflen. Ich 
babe es fatt, mid immer brutal behandeln zu laflen, und dann 
auch dauert mich das Mädchen, das hundertmal ehrenwerther if, 
ale unfere vornehmften Sennoritag. Gebt fie auf, ſchenkt ihr 
die Freiheit und laßt fie zuvor ſchwören, dag fie Niemand verrät, 
wo fie fo lange gewefen iſt. Schwört fie exit, ſo hält fie auch 
ihren Schwur, denn fie tft fromm und gläubig, ehrlich und tugend- ' 
haft wie die Teufchefte Nonne. 

Iſt das die Begeiſterung, die du aus meiner Cigarre ſaugſt? 
fragte Don Gomez. Mid dünkt, du wirft mehr als Läffig in dei⸗ 
nem Dienſt. Vergißt du ganz der Gefahr, der wir uns ausfeßen, 
wenn das fo lange vermißte Mädchen plößlich wieder erfcheint und 
in Anderer Umgebung mir entgegentritt? Gefebt, fie ſchwiege, wird 
fie durch ihre Miene, durch ihr Zufammenfahren bei meinem An⸗ 
blick ſich und uns nidht verrathen? Es wäre mehr als Thorheit, 
es wäre Wahnfinn, Ghriftine früher bier auftreten zu laſſen, ehe 
ich glüdlich meine Hochzeitsreife angetreten habe. 

Und Miguel? warf der Mulatte ein. Soll er leben? 

Ich will ihn nie wieder fehen! rief der Mexikaner voll Ab- 
ſcheu. Du darfſt meiner unbegrenzteſten Dankbarkeit verfichert fein, 
wenn bu ihn auffpüren und von Hier fernhalten kannſt, bis ich 
irgendwo anders ein neues Leben beginne, Wie du das anfan- 
gen willft, welcher Mittel du dich bedienſt, ſoll mich nicht kümmern. 
Du halt völlig freie Hand. Weber meine Börſe darfſt du verfügen. 

17* 


— 260 — 


Das läßt fich hören, und mir fallen bereits, unterflüßt durch 
den begeifternden Duft diefer trefflihen Havaneferin, einige gute 
Gedanken ein. Alfo fort mit Miguel! Ferner Befchwichtigung ber 
ſchön gefiederten Taube, die mehr für einen plattdeutihen Bauer- 
jungen, wie für einen Ablömmling der Conquiſtadoren ſchwelgt. 
Zuletzt — wozu id beſtens Glück wünfhe — alsbald eine be= 
frtedigende Heirath. Flagge dedt Ladung, jagen die praftifchen 
Herren, und fo den? id, eine legitime Ehe des reichen Don Alonfo 
Gomez mit einer nicht minder reichen Erbin wird alle früheren 
Gapereien des glüdlih Vermählten für ewige Zeiten vergeflen 
maden. 

Handle und fihweige! rief der Mertkaner feinem Diener zu, 
ih aber will fehen, ob es Zeit wird, die Aprochen zu eröffnen, 
um die längft vollfommen eingefchloffene Feſtung in raſchem An- 
lauf zu erſtürmen. Ein glüdlicher Sturm läßt feine weitere Un- 
terbandlungen zu. Der Befiegte pflegt fih dann immer unbedingt, 
alfo auf Gnade und Ungnade zu ergeben. 





— —— 


Siebentes Kapitel. 


Familienbekümmerniſſe. 


Eliſabeth ſaß am Fenſter, das nach dem Park hinausſah, und 
beugte ſich, mit zartem Finger eifrig die Nadel führend, tief über 
die feine Stickerei, an welcher ſie arbeitete. Eduard, deſſen Augen 
ungewöhnlich, nicht aber freudig glänzten, ging mit großen Schrit- 
ten im Zimmer auf und nieder. Nach einiger Zeit trat er an 
den Nähtifh der Schweiter, firich ihr die Loden, Die das edle Ge⸗ 
fiht umflatterten, zurüd von der Stirn und fagte mit innig theil⸗ 
-nehbmendem Tone: 

Du weinft, liebe Elifabeth ? Habe ich dir weh gethan? 





' 


— 2361 — 


Die Schwefter blidte den Bruder fanft mit thränennollen 
Augen an und reichte ihm die kleine volle Hand. 

Du meinft es ja gut, Eduard, ich weiß es, verfehte fie, und 
darum kann ih dir nicht böfe fein, aber vermag ich deshalb met- 
nem Herzen zu gebieten? Es tft möglih, daß ich Unrecht thue, 
dennoh — dennoh — o, laß mich doch weinen! 

Ein Strom heißer Thränen flürzte aus den Augen des jun- 
gen Mädchens und nöthigte es, bie Arbeit bei Seite zu ſchieben. 
Eduard ſchob ein niedriges Tabouret an ben Stk der betrübten 
Schwefter, nahm darauf Plab, ergriff ihre beiden Hände und fah 
der Weinenden lange und tief in die ſchönen blauen Augen. 

Immer weine dich aus, Eliſabeth, fprach er. Auf Regen 
folgt Sonnenfein, heißt es ja fchon im Spridwort, und wenn 
ber Schmerz die Wolken der Trübfal, die fi augenblicklich um 
bein Herz lagern, in Thränen aufgelöft hat, wird ber Himmel 
deiner Seele wieder in heller, durchfichtiger Bläue erglänzen und 
du wirft dich frei und leicht fühlen. 

Eliſabeth fhüttelte ungläubtg das Lockenköpfchen. Wenn du 
bie Wahrheit gefprochen haft, fagte fie, dann tft der Mat meines 
Lebens vergiftet. Zürne mir nicht, Lieber Bruder, aber ich kann 
nicht andere. Ich Eonnte von Alledem nichts wiffen, nichts ahnen, 
und — mein Herz, Eduard, zwingt mich dazu — ich kann e8 
auch jetzt noch nicht glauben. Bringt mir Bewelfe, untrügliche, 
unwiderlegliche, die ihn überführen, verurtheilen, und ich verfpreche 
Euch, mih dann felbft zu befiegen, wenn ich auch geiftig Darüber 
zu Grunde gehen follte! 

Die Leidenfchaftlichkeit der Schweſter machte Eduard beforgt. 
Er begriff, daß die Zeit einer ſchweren Prüfung für fie angebro- 
hen fei, die möglicherweife noch großes Wehe in ihrem Gefolge 
haben Tönne. 

Du kannſt nicht fagen, Eltfabeth, dag du nicht gewarnt wor⸗ 
den feift, begann Eduard nad kurzem Schweigen auf’d Neue. Ich 
perfönlih habe nie feine Partei genommen, ich war immer etwas 
mißtrauiſch. Sollte und konnte ich mehr thun, als mich in Tühle 


— 262 — 


Hoflichkeit Hilfen 7 Durfte ich den Mann verleumden, dem unſer 
Vater Wohlwollen zeigte, dem unſer Haus offen ſtand, den Jeder⸗ 
mann gern fommen ſah? Gewiß, Tiebe Schweiter, als Bruder er- 
füllte ich vollkommen meine Pflicht, wenn ich fcherzweife dich auf 
die Gefahren eines folden Umganges aufmerffam zu machen fuchte. 

Vergib mir, Eduard, entgegnete Elifabeth gefaßter, die Thrä= 
nen trodnend und wieder zur Nadel greifend. Ich bin gewiß 
thöricht gewefen, nicht aber Teichtfinnig, wahrlich, Tethtfinnig nicht! 
Und wie ich ſchon gefagt habe, dem unmiderleglichen Beweiſe bring’ 
ich mein Herz zum Opfer, und müßte ich das Xeben dafür laflen ! 

Sude vor Allem deine Gefühle zu beherrihen, fagte Eduard 
liebevoll bittend. Es wird Dich Niemand zu dem Unmöglichen 
zwingen. No tft von einem wirklichen Verhältniffe zwiſchen bir 
und Don Gomez nichts in der Gefellfhaft befannt. Ginzelne mö⸗ 
gen ed glauben, Diele e8 vermuthen, Keiner darf auftreten und 
fagen: es tft fo! Das nenne ich ein großes Glück. Was die Her- 
zen heimlich unter einander angefponnen haben, löſ't die Zeit lang⸗ 
fam, ohne daß die Schielichkett, der gute Ton und bie feine Sitte 
im Geringften verlebt werden. Gin noch größeres Glück ift es, 
daß Don Gomez erft jetzt eine förmlihe Erklärung verlangt, mit 
einem ernſt gemeinten Untrage, wie es ſcheint, offen hervortritt. 
Wenige Wochen früher würde ber Vater bie Einwilligung ſchwer⸗ 
lich verfagt haben. Jetzt hat er Urſache zu zögern, und es tft 
nur billig, wenn man ben kühnen Werber vorläufig mit der Be- 
merfung zur Ruhe verweift, daß du felbft dir Bedenkzeit ausbe- 
dingeſt. Vielleicht glaubt er nicht daran, vielleicht hält er es für eine 
alberne deutfhe Sitte — gleichviel. Was er immer babinter 
vermuthen mag, er tft vorerft in beftimmt gezogene Grenzen ge- 
wiefen, die ex, ohne gerabezu zubringlich und unhöflich zu werben, 
nicht überfchreiten darf. Du felbft aber, Hergensfchwefter, erhältſt 
ebenfalls Zeit, Dich zu prüfen, ein ruhiges Urtheil zu fällen und 
bie Gründe, welche gegen ihn zeugen, bebäctig aufzumägen. Hof⸗ 
fentlih find wir bald im Stande, etwas Gewiſſes vorbringen zu 
Tonnen, Wäre dies nicht möglich, erwiefe fih der erwachte Ver⸗ 


— 263 — 


dacht völlig grundlos, dann, glaube meinem Worte, Schweſter, bin 
ich gewiß der Erſte, welcher Don Alonſo Gomez dir zuführt! 

Dieſe Zuſicherungen des Bruders ſchienen einen beruhigenden 
Eindruck auf Eliſabeth zu machen. Ihre Thränen verfiegten, ihre 
Stimme erhielt wieder Klang. 

Du haſt mir noch nicht geſagt, ſprach ſie jetzt zu Eduard, 
was Euch Anlaß zu Eueren Vermuthungen gibt. Daß ich dies zu 
wiſſen wünſche, wirft du begreiflich finden. Es iſt fo ſchmerzhaft, 
ſo unglaublich kränkend, Jemand, den man achtet, den man, ſei⸗ 
ner ungewöhnlichen Eigenſchaften wegen, bevorzugt, ſchlechter Ab⸗ 
ſichten, ja ſogar begangener Verbrechen bezüchtigen zu hören. 

Wenn du Ruhe genug befitzeſt, Herzensſchweſter, um mid 
anzuhören, bin ich gern erbötig, deinen Wunſch zu erfüllen. 

Bin ich denn fo flatterhaft oder fo ungeduldig? verfehte Elt- 
ſabeth. Was kann th denn DBefleres thun, als mir von Andern 
erzählen laſſen, was meine verblendeten Augen nicht ſehen, mein 
arglofes Herz nicht ahnen konnte. Sprih nur, ich höre ſchwei⸗ 
gend und will verfuhen, ob mir unter Hören und Arbeiten bie 
Zeit etwas fehneller vergeht. 

Du erinnerft Dich gewiß noch, begann Eduard, von einem 
Matrofen fprechen gehört zu haben, den man Miguel nannte. 

Der die arme Chriftine verfolgte? 

So glaubte man zu feinem und des Mädchens Unglüd. Die- 
fer Matrofe nun tt dur eine Verkettung von Umftänden, bie an 
das Wunderbare ftreifen, fett einigen Wochen feiner Haft entlom- 
men, bat dur‘ Dermittelung des Gonfuls feines Geburtslandes 
bie Meldung bieher gemadt, dag er um den Raub feiner Gelieb— 
ten — wie er Chriftine nennt — wille, daß er, gewähre man 
ihm nur Schub und Hilfe, auch deren Verſteck zu ermitteln fich 
getraue, und daß er volllommen im Stande fei, den Urheber jener 
vollzogenen Entführung namhaft zu machen. 

Und das hat man fo ohne Weiteres dem Fremden, ben faft 
Niemand Tennt, geglaubt ? 

Man vermuthete im Gegentheil irgend eine Schurkerei da⸗ 


— 14 — 


hinter, lockte deshalb den Matroſen hieher und bemächtigte ſich ſei⸗ 
ner Perſon, wie der wenigen Habſeligkeiten, die er beſaß. In ſei— 
nem erſten Verhör jedoch hat Miguel Angaben gemacht, die ſchwer 
ins Gewicht fallen und welche zuerſt Don Alonſo Gomez compro⸗ 
mittirten. Weil man jedoch alles Aufſehn vermeiden will, ſchlug 
man den Weg behutſamſter Nachfrage ein. Unſer Haus konnte 
dabei nicht übergangen werden, denn hier war ja die eigentliche 
Quelle des Unglücks zu ſuchen. Sp erhielt denn ber Vater ge- 
fteen die erſte Nachricht von dem ſchweren Verdachte, welcher ſich 
gegen den Mann erhebt in dem enticheidenden Augenblide, wo der⸗ 
felbe um die Hand der Tochter anhält. Ein foldes Zufammen- 
treffen mußte den Vater tief erſchüttern. Er war nicht im Stande 


die Feder zu halten, weshalb ih in feinem Namen Don Gomez. 


in einigen höflichen Zeilen erſuchte, einige Tage fih zu gedulden, 
der Vater jet augenblidiih unmwohl, könne mit dir nicht fprechen 
und wolle eine fo wichtige Frage mit der Tochter, der fie gelte, 
doch felbft beſprechen. Diefe nothgebrungene Ausfluht gibt ung 
Zeit, zu forſchen und unfer fpäteres Verfahren und Benehmen ges 
gen Don Gomez darnad zu regeln. Dir aber konnte das Vorge- 
fallene nit verfehwiegen werden, da der Vater ja aus dem Briefe 
bes Mexikaners erfah, daß du gleichzeitig von feinem Schritte uns 
terrichtet worden feilt. 

Eliſabeths Thränen begannen auf's Neue zu fließen, benn 
wie ein drohender finfterer Schatten ftteg höher und immer höher 
Die Unglüd verheißende Wolle empor, welche die Sonne ihres jun 
gen Lebens vielleicht für lange Zeit verfinfterte, wo nicht für im⸗ 
mer auslöjchte. 

Bruder Ferdinand, fuhr Eduard fort, Hat Don Gomez heute 
einen Beſuch gemacht, um geſprächsweiſe womöglich feine Geſinnun⸗ 
gen zu ergründen. Der Mexikaner liebt Ferdinand, wie du weißt, 
und iſt deshalb gegen ihn wahrſcheinlich offener, wie gegen’ jeden 
Andern. PBerbinand tft befonnen, wird nichts überflürzen, Tann 
aber durd eine unerwartete Querfrage doch gelegentlich den 
Schleier Lüften oder Lüften helfen, welcher die Vergangenheit dies 


“ 


265 — 





fes reich begabten Mannes verhüllt. Wir erwarten ihn noch vor 
Abend zurüd. 

Noch vor Abend! wiederholte fihtbar erfhüttert und tief er- 
fchroden Eliſabeth. Die Glode tft ſchon fünf. 

In höchſtens zwei Stunden muß der Vater unterrichtet fein. 

Eliſabeth begann Frampfhaft zu zittern und fland auf. Sie 
war aber zu fhwah, um das Zimmer zu durchſchreiten und fiel 
dem Bruder ſchluchzend in die Arme. Eduard riß heftig an ber 
Schelle, rief dem herbeteilenden Bedienten zu, fogfeih Fräulein 
Ulrike zu rufen, um feiner Schweſter, die unmwohl geworden fet, 
beizuftehen, und bradte Eliſabeth mit Hilfe der edlen feinfühlen- 
den Freundin, die bereitd Kunde von dem Borgefallenen Hatte, in 
ihr Schlafzimmer. Hier überließ Eduard die Schwefter der Pflege 
und dem Zufpruche Ulrikens, deren Herzen er fie mit vollſtem Ver- 
trauen übergeben konnte. Cr felbit blieb in großer Aufregung, 
von Zweifeln gepeinigt, von ben widerfpredendften Erwartungen 
in Anfprud genommen, zurüd. Um feiner Aufregung Here zu 
werben, eilte er hinaus in ben Bart, deſſen von anhaltendem Re— 
genmetter noch feuchten Sandgänge er ruhelos nad den verfcie- 
denften Richtungen burchfreuzte. 

Bald nach fieben Uhr Abends traf Ferdinand auf dem Land- 
haufe ein. Gr fragte fogleich nach dem Bruder und verfügte ſich 
zu dieſem in den Park, wo Eduard fill brütend auf einer Bank 
faß und unverwandt auf Die belebte Elbe hinausſah. Bei dem 
Geräufh der im Sand Enirfhenden Schritte kehrte er fih um und 
trat dem Bruder unter beftigem Herzklopfen entgegen. Er wagte 
teine directe Frage an Ferdinand zu richten, ber vollkommen ruhig, 
ja befriedigt ſchien. 

Iſt Elifabeth unterrichtet? fragte er. 

Ste hat das Allernöthigfte durch mich erfahren. 

Wie nahm fie es auf? 

Ein Mädchen, das ihr Herz verfhentt Hat, tft immer un- 
glüklih, wenn es erfährt, daß der Gegenſtänd, dem fie vertraute, 
ein unwürdiger war. 


‘ 


— 266 — 


Ste wird genefen, fagte Ferdinand zuverfihtlih, nur Taf 
ung nicht zur Unzeit weihherzig, nicht beutfch-fentimental fein. 
Dieſe Neigung zu Don Gomez muß mit Stumpf und Stiel aus- 
gerodet werden. 

Iſt er ſchuldig? 

Ferdinand lachte fo laut und bitter, daß Eduard vor Er⸗ 
fchreden bleich warb. 

Du ängftigit mid, ſprach Eduard, rede! Entreiße mid die⸗ 
fer Ungewißheit! u 

Ferdinand ergriff des Bruders Arm und wanderte mit ihm 
burh die in voller Blüthe ſtehenden Hecken. Der Abend war 
mild und warm. Leichte, flodige Wolken überbedten wie ein 
Flor den Himmel, die Natur fhien zu neuem, fhöneren Leben 
erwacht, und während dort hinter den halb offenen grünen Ja⸗ 
loufieen das Herz eines jungen, blühenden Mädchens vor Schmerz 
beinahe brach, jauchzten in den Büſchen fröhliche Nachtigallen tm 
vollen, tönenden Schlägen ihren Jubel über die Wiederkehr des 
Wonnemonats aus. 

War es nicht hier, ſprach Ferdinand, wo ich dir im vers 
gangenen Jahre die erfien Mittheilungen über den Mann machte, 
der nun fo großes Herzeletd in unfere Familie. bringt? Als ob 
wir nicht an altem Elend noch genug zu zehren hätten! DO, es 
{ft himmelfhreiend, daß wir fo blind fein fonnten, daß wir nicht 
früher Verdacht fhöpften! Es gab doch fo viele DVeranlaflungen. 
Wir Alle wußten, dag Don Gomez in feiner Heimath die Liebe 
von mehr als einer Seite kennen gelernt hatte, daß er auch hier 
nicht immer fetne Leidenfhaften ftreng zügelte. Uber freilich, er 
war liebenswürdig, bezaubernd liebenswürdig, und wer wollte 
dem lieben Kinde jede unfhuldige Freude, die fie im Gefpräd 
mit Don Gomez fand, vergällen! An einen offenen Heiraths⸗ 
Antrag hätte ich nie geglaubt. 

Danken wir Gott, daß er erft jetzt damit hervorgetreten ift. 
Aber fage: wie benahm er fi? 

Dein Schreiben, fuhr Ferdinand fort, hatte ihn ſtutzig ger 


— 167 — 


macht. Ih fand ihn merkwürdig verſtimmt, fo düſter, hoffnungs⸗ 
los, gallig, wie ich ihn nie früher ſah. Er mußte mit ſeinem 
Bedienten, der Fratze, die mich von jeher anwiderte, einen Wort- 
wechſel gehabt haben, denn der ſchwarzbraune Flegel räfelte fi 
auf einem Lehnftuhle in fo brutaler Wetfe, daß ich ihn am Tieb- 
ſten aus der Thür geworfen hätte. Zwar ging er fort, als ih 
ihm durch Blide deutlich genug meine Herzensmeinung zu ver- 
ftehen gab, fein Höhnifch=triumphirendes Lächeln aber fagte mir, 
dag Don Gomez in feiner Gewalt fei. Diefer begrüßte mich ver- 
ftört, richtete zerftreute Fragen an mich und fagte zulegt: Es tft 
heute ein Unglüdstag. Alles ſchlägt mir fehl. Die Antwort, die 
ih da von Ihrem Bruder auf meine Anfrage erhalten, Blingt 
ganz wie ein proteflirter Wechſel. Ach betrachte fie als einen 
Korb, den Ihre Schweiter mir fendet, und fürdte nur, daß ich 
mich blamirt habe. — Dieſe Auslaſſungen gaben mir ſofort die 
ganze Ruhe und Kälte eines völlig Enttäuſchten. Ein Mann, 
der wahrhaft, innig, von ganzem Herzen, mit voller Seele liebt, 
ſpricht nicht ſo, nicht in ſo gleichgültigem, erbitterten Tone, wie 
Don Alonſo Gomez es that. Ich erwiderte deshalb nicht weniger 
ſcharf, wobei mein Auge tief in das ſeine fich verſenkte: Und 
weiter, Don Gomez, weiter beforgen Ste nichts? — Er fuhr 
auf. Was weiter? verfeßte er. Soll ih mir nod die Haare 
ausraufen oder Pulver und Blei verfchluden, um die Komödie 
in eine Tragödie zu verwandeln? Dazu, mein Herr, befiße ich 
juft heute zu wenig Humor. Ich denke alfo, wir thun beffer, 
unfere alte Freundfhaft neu zu ſtärken bei einem Glaſe feurigen 
Weines. — Wie gefällt dir das? 

Es iſt das Glaubensbefenntniß eines vollendeten Wüſtlings. 

Du Fannit dir denken, fprah Ferdinand wetter, daß met 
Sreundfchaftsgefühl nicht fehr heiß war. Ich ging deshalb auf 
feinen loderen Ton ein und verfegte: So gefallen Ste mir, Sen- 
nor? Ein Narr, der eines Mädchens wegen, die caprieiös iſt 
oder deren Unverwandte aus, Gott weiß, welchen Nüdfichten fie 
binter einen Glasſchrank einfperren möchten, damit ja kein fremder 


‘ 


— 2656 — 


Ste wird genefen, fagte Ferdinand zuverfihtlih, nur laß 
uns nicht zur Unzeit weichherzig, nicht deutſch-ſentimental fein. 
Dieſe Neigung zu Don Gomez muß mit Stumpf und Stiel aus- 
gerodet werden. 

Iſt er fchuldig? 

Ferdinand lachte fo laut und bitter, daß Eduard vor Er⸗ 
fchreden bleih ward. j 

Du ängftigft mid, ſprach Eduard, vede! Entreiße mid dies 
fer Ungewißheit! " 

Ferdinand ergriff des Bruders Arm und wanderte mit ihm 
durch die in voller Blüthe ftehenden Heden. Der Abend war 
mild und warm. Leichte, flodige Wolfen überbedten wie ein 
Flor den Himmel, die Natur ſchien zu neuem, fohöneren Leben 
erwacht, und während dort hinter den Halb offenen grünen Ja⸗ 
loufieen das Herz eines jungen, blühenden Mädchens vor Schmerz 
beinahe brach, jauchzten in den Büſchen fröhliche Nadtigallen tn 
vollen, tönenden Schlägen ihren Jubel über die Wiederkehr des 
Wonnemonats aus. 

War es nicht bier, ſprach Ferdinand, wo ich dir im vers 
gangenen Jahre die erften Mittheilungen über den Mann machte, 
der nun fo großes Herzeletd in unfere Familie. bringt? Als ob 
wir nicht an altem Elend noch genug zu zehren hätten! O, es 
it himmelfchreiend, daß wir fo blind fein konnten, daß wir nicht 
früher Verdacht jchöpften! Es gab doch fo viele Veranlaflungen. 
Wir Alle wußten, daß Don Gomez in feiner Heimath die Liebe 
von mehr als einer Seite kennen gelernt hatte, ‘daß er aud bier 
nicht immer feine Leidenſchaften ſtreng zügelte. Uber freilich, er 
war Hiebenswürdig, bezaubernd Tiebenswürdig, und wer wollte 
dem lieben Kinde jede unfhuldige Freude, die fie im Geſpräch 
mit Don Gomez fand, vergällen! An einen offenen Heiraths⸗ 
Antrag hätte ich nie geglaubt. 

Danten wir Gott, daß er erſt jebt bamit hervorgetreten tft. 
Aber fage: wie benahm er fih? v 

Dein Schreiben, fuhr Ferdinand fort, hatte ihn ſtutzig ger 








— 267 — 


macht. Ich fand ihn merkwürdig verſtimmt, fo düſter, hoffnungs⸗ 
los, gallig, wie ich ihn nie früher ſah. Er mußte mit ſeinem 
Bedienten, der Frage, die mid von jeher anwiderte, einen Wort- 
wechſel gehabt haben, denn der fchwarzbraune Flegel räkelte fih 
auf einem Lehnftuhle in fo brutaler Weiſe, dag ich ihn am Iteb- 
fien aus der Thür geworfen hätte. Zwar ging er fort, als id 
ihm durch Blicke deutlih genug meine Herzensmeinung zu ver- 
ftehen gab, fein höhniſch-triumphirendes Lächeln aber fagte mir, 
daß Don Gomez in feiner Gewalt fei. Diefer begrüßte mich ver- 
ftört, richtete zerftreute Fragen an mich und fagte zulegt: Es tft 
heute ein Unglüdstag. Alles ſchlägt mir fehl, Die Antwort, die 
ih da von Ihrem Bruder auf meine Anfrage erhalten, klingt 
ganz wie ein proteftirter Wechfel. Ich betrachte fie als einen 
Korb, den Ihre Schweiter mir fendet, und fürdte nur, daß ich 
mid blamirt habe. —  Diefe Auslaffungen gaben mir fofort die 
ganze Ruhe und Kälte eines völlig Enttäufchten. Ein Mann, 
der wahrhaft, innig, von ganzem Serzen, mit Holler Seele Itebt, 
fpricht nicht fo, nicht in fo gleichgültigem, erbitterten Tone, wie 
Don Alonſo Gomez es that. Ich erwiderte deshalb nicht weniger 
fharf, wobet mein Auge tief in das feine fich verfentte: Und 
weiter, Don Gomez, weiter beforgen Sie nichts? — Er fuhr 
auf. Was weiter? verfeßte er. Soll ih mir noch die Haare 
ausraufen oder Pulver und Blei verfchluden, um die Komödie 
in eine Tragödie zu verwandeln? Dazu, mein Herr, befige ich 
juft heute zu wenig Humor. Ich denke alfo, wir thun befler, 
unfere alte Freundfhaft neu zu flärfen bei einem Glaſe feurigen 
Weines. — Wie gefällt dir das? 

Es tft das Glaubensbekenntniß eines vollendeten Wüſtlings. 

Du kannſt dir denken, fprah Ferdinand weiter, daß mein 
Sreundfchaftsgefühl nicht fehr heiß war. Ich ging deshalb auf 
feinen lockeren Ton ein und verfeßte: So gefallen Sie mir, Sen- 
nor? Ein Narr, der eines Mädchens wegen, die capricids tft 
oder deren Anverwandte aus, Gott weiß, welchen Nüdfichten fie 
hinter einen Glasſchrank einfperren möchten, damit ja kein frember 





— 268 — 


Zuftzug fie berühre, ſich lange die Laune verderben läßt. Iſt's 
nicht Eltfabeth, jo fei’s vorläufig Chriſtine — — ! Diefen Namen 
betonte ich fharf und ſah Don Gomez gleichzeitig feft und doch 
lächelnd an. Er wechſelte die Farbe und zitterte Was, Sennor, 
Sie erfhreden? fuhr ih fort. Wiſſen Ste denn, was aus Chri— 
ftine geworden tft in jener Naht? Oder kennen Ste vielleicht bie 
beiden Fährleute, die unterhalb Glüditadt anlegten, und von denen 
der eine den Matrofen Miguel Iandeinwärts führte? Oder haben 
Sie von einem gewiſſen Greatfiring gehört, der in Verbindung 
fteht mit dem Landfrämer Mofes und diefem zweimal Briefe zur 
Beforgung an einen Manı: übergeben bat, der früher Iuftig in 
New-Orleans lebte? Eine Geſchichte folder Art hörte ich heut’ an 
der Börfe erzählen und ich zmweifle nicht, daß die darin Vermwidel- 
ten Unannehmlichkeiten davon haben werden. Wir, die es nichts 
angeht, laden dazu und darum, Sennor, auf ferneres Glück 
bet hübſchen Mädchen, lafien Ste uns einer ober zwei Plafchen 
altfpanifhen Weines fröhlich die Hälfe brechen! 

Das Alles wagteft du dem Don an den Kopf zu fchleudern? 
erwiderte Eduard nicht wenig erflaunt. Wir haben ja nur Ver- 
muthungen, feine Gewißheit, keine überzeugenden Beweiſe! 

Beſter Bruder, verfegte Ferdinand, ich that nur, wozu ein 
glücklicher Gedanke mid inftinctartig trieb. Als ih das Erblaſſen 
des Mexikaners bei Chriftinens Namen bemerkte, glaubte ih, es 
fönne gar nicht fhaben, wenn man den gewiß nit ganz Schuld: 
Iofen mit einer wahren Fluth von Anlagen überfhütte. Ich habe 
mich gebütet, ihm zu fagen: das Alles Haft du gethan! Ich habe 
ihm blos Gerüchte erzählt, mit denen ſich angeblich die halbe Bes 
völkerung unferer Stadt trägt. Daß ih zu diefem Mittel griff, 
ift mir unendlich lieb. Ich weiß jebt und bin moralifh davon 
überzeugt, Fein Anderer ald Don Gomez Tief Chriftine heimlich 
entführen, fein Anderer als er war es, der ben verliebten Matros 
fen Miguel und den Steuermann Andreas durch feine Helfershel⸗ 
fer feftzunehmen und unſchädlich zu mahen befahl, Erſt, als er 
einfab, daß die Entführte ftandhaft feine Künfte abſchlug, und als 


— 269 — 


er befürdten mußte, der entflohene Miguel werde ihm zuvorkom⸗ 
men, faßte er den Entihlug, dur eine Verlobung dem etwa aufe 
feimenden Verdacht den Kopf abzubeigen. Erhielt er die Zufage 
unferer eltern, ward die Verlobung dffentlih bekannt gemadt, 
dann ſtand er fiher, denn er berechnete fehr richtig, daß alle Bars 
teten möglichſt zufriedengeftelt werden würden, um einem öffent- 
lihen Scandal vorzubeugen. 

Glaubſt du wirklich, der unternehmende, vom Glück ver⸗ 
wöhnte Mann werde jo bald feine Pläne aufgeben? fragte Edu⸗ 
ard mit befümmerler Miene feinen Bruder. 

Was er thun wird oder will, verfeßte Ferdinand, darüber if 
er in diefem Augenblide mit fih felbit gewiß noch nicht im Rei— 
nen. Es ift mir gelungen, tin zu überrumpeln. Zwar nahm er, 
wie ich vermuthete, meine Unterftelungen wie eine Art Scherz auf, 
beuchelte eine heitere, ſogar ausgelaffene Stimmung und ging auf 
meine Ideen ein. Innerlich aber war er verftört, oft fogar ganz 
abmwejend, und da er auf nichts achtete, was um ihn her vorging, 


während meine Augen an der geringften Kleinigkeit hingen, gelang- 


ed mir, ein Papier zu erwifchen, das ihn im enticheidenden Augen 
blide überführen wird. Hier tft es. 

Ferdinand zog einen ganz zerfnitterten Brief aus der Taſche, 
den er im Zimmer des Mexikaners unter dem Sopha bemerkt und 
hervorgeholt hatte. Es war das Schreiben Greatftring’s, das Mo- 
jes, der vedfelige Sfraelit, Don Gomez überbradht hatte, und wel- 
ches diefen in ſo heftige Aufregung verfegte. Diefes Schreiben, 
Das, obwohl beſchmutzt, doch noch ganz erhalten war, lautete: 

Mein Herr! 

Es betrübt mich ſehr, Ihnen berichten zu müſſen, daß der 
liſtige Vogel, deſſen Aufbewahrung Ste mir an's Herz legten, un- 
geachtet aller Vorſicht, die ich angewendet habe, doch wieder ent- 
fommen if. Ein Geihäft ahnlicher Art und brächte es mir einige 
taufend Dollars: ein, werde ich nie wieder eingehen. Man hat 
nichts davon, als Aerger, Sorgen und Gefahren. Hätten nicht das 
böfe Wetter und das Teufelszeug, die Aaskrähen, mich bejchügt, 


Y 


— 20 — 


als ich mit dem verdammten Jungen feelenallein burd das Marſch— 
fand ging, um die Spuren für die etwa Verfolgenden zu verwi— 
ſchen, der rachfüchtige, falſche Halb-Havaneſe hätte mich umgebracht. 
Zum Glück hörten ein paar derbe Marfchbauern mein Schreien 
und fuchten uns auf, als wir uns fchon fo tief in den Schlamm 
hinein gerungen hatten, daß wenig mehr fehlte, der Gewanbtere 
hätte den weniger Gewandten untergefriegt. Da th das Platt 
biejer Leute verfiche, der dumme Junge aber fein Wort biejes 
Kauderwälfches begriff, log ich den phlegmatifchen Leuten vor, was 
mir gut dünfte Das half mir vorerft aus der Bebrängnif. Ge: 
bunden brachte ih Tags darauf den Lümmel an Bord meines 
Schiffes, obwohl er tobte, wie ein gefeflelter Stier. Schreien konnte 
er nicht, denn ich hatte ihm vorforglicherweife den Mund mit et- 
nem gut gedrehten Knebel verſtopft. Ich follte aber kein Glück 
haben, Widrige Winde hielten mich wochenlang auf der Elbe zu⸗ 
rüd. Nun hätte ich dem unbequemen Menfchen freilich einen 
Klaps geben und ihn in's Waffer werfen können — die Fluth würbe 


- ihn wohl feewärts getrieben haben — indeß dazu fehlte mir doch 


bte Courage. Der Schatten eines Grmordeten hat ſchon manches 
Schiff zum Kentern gebracht. Ich Lieg ihn alfo leben und hielt 
ihn kurz, damit er nicht gar zu fehr zu Kräften kommen möge. 
Endlich paffirten wir die Mündung ber Elbe, weil ich aber ver- 
fhiedener Gründe wegen keinen Lootfen einnahm, der Wind fchr 
eonträr und die Luft di von Nebel war, rannte mein Schiff bei 
Helgoland auf die Ausläufer des Wittkliffes, und. Alles, was id 
bei dem Gefhäft von Eud verdient hatte, fehludten die verbamm- 
ten Inſulaner, diefe Raubthiere unter den Menfchen. Bezahlen oder 
verfaufen! Das war ihre ganze Antwort, die fie auf alle meine 
Vorſchläge gaben. Was fonnte ich thun? Ich mußte zahlen. Das 
Schiff ward flott gemadt, war aber fo led, daß tch bie Ueberfahrt 
nicht risfiren durfte. Blieb alfo auf der langweiligen rothen Klippe 
fiten und vertrieb mir die Zeit, fo gut es gehen wollte. Darüber 
vergaß th, den Miguel jete Minute Iang zu bewacen, und fiehe 
da, eines Morgens, Mitte März; — es hatte: die Nacht wie rafend 





— 271 — 


geftürmt, mehrere Nothſchüſſe zeigten an, daß ein Fahrzeug in ber 
Nähe der Inſel in großer Gefahr fehweben mußte — war ber 
verfluchte Kerl verichwunden. Ohne Zweifel hatte er einen ber 
auslaufenden Sloops beftiegen und war fpäter auf dem Schiffe, 
das glücklich abgebracht wurde, geblieben. 

Hier in Cuxhaven, wo th nun feit vierzehn Tagen bin und 
mein Schiff ausbefjern Iafje, konnte ich nichts von dem Entſprun— 
genen erfahren. Ih weiß nicht, ob den Poſten zu trauen ifl 
Darum ziehe ich es vor, dies Schreiben einem jüdiſchen Handels⸗ 
manne anzuvertrauen, den wir Beide ja genau kennen und in deſ—⸗ 
fen Buche ich hoch genug angefchrieben bin, um von ihm für gu— 
ten Lohn einen Dienft verlangen zu dürfen. Sein Ste nicht gei⸗ 
ig und rüden Sie auch mit ein Paar Portugalöfern heraus. 
Geld lacht, fagt man, Diefer Jude aber lacht und greint, wenn 
er Gold blinken fieht, und macht fih anderntheils nichts daraus, 
Gott ober ben Teufel um eine Seele zu betrügen, merkt er, daß 
er es nicht mit Knickern zu thun hat. Ich. Hielt es für meine 
Pfliht Ste von dem DVorgefallenen zu unterrichten. 

Stets Ihr dienjtwilliger 

Jack Charles Greatitring, 
Capitain der amerikaniſchen 
Brigg Selfgovernment. 

Eduard hatte dies wichtige Schreiben mit größter, ſteigender 
Aufmerkſamkeit geleſen. Als er es jetzt dem Bruder zurückgab, 
ſagte er: | 

Das gewährt ja einen tiefen Einblick in ein ganzes Lager 
von Banditen. In welder Berbindung fteht unſer vornehmer 
Herr mit dieſem gewifjenlofen Greatfiring? Was Hat er mit 
Miguel ſchon früher vorgehabt und aus welchem Grunde verfolgt 
man den armen Jungen ? 

Noch einige Tage Geduld, verſetzte Ferdinand, und wir wer- 
den mehr willen. Miguel ift Hier, man fann uns nicht verweh— 
ren, mit ihm zu fprehen. Sein vergangenes Leben muß fih vor 
unfern Augen enteolien, fein feindliches Verhältniß zu dem intri— 


— 12 — 


guanten Meritaner und Kar werben, ehe mir einen Beſchluß faſ⸗ 
fen, der den Gekränkten Gewinn bringt, den Gefhädigten Genug> 
thuung verfchafft und diefen gefährlihen Mann unfhädlih macht. 
Nur laß uns vorfichtig fein, nichts übereilen und deshalb mit Ue— 
berlegung handeln. Die arme Schwefter muß inzwiſchen gejhont 
werden. Sie befißt zu viel gefunden Sinn, zu viel ächte, ſchöne 
Weiblichkeit, um nicht mit der Zeit eine Neigung zu erfliden, bie 
mehr in ihrer romantifhen Phantaſie, als in ihrem Herzen Nah 
rung fand. Don einem Manne, den fie ald unebel erfennt, wird 
ihr gefunder weibliher Sinn fit von felbft abwenden. Noch liebt 
fie Don Gomez nicht mit jener Innigkeit, Die nur im Befib des 
geliebten Gegenftandes Teben oder mit ihm untergehen will, fie 
ift von feinem Wejen, feinen beftechenden, geiftigen und leiblichen 
Eigenfhaften nur bezaubert. Diefer Zauber ſchwindet, wenn bie 
Maste fallt, und unter der beftechenden Hülle die grinfende Fratze 
eines gemeinen Abenteurers fihtbar wird. 

Laß und abbrechen, fagte Eduard, mit der Hand nad) einem 
der zum Landhauſe führenden breiten Gänge zeigend, welden ein 
Bedienter herabſchritt. Man fhidt nach une. 

Die Brüder gingen dem Bedienten entgegen. 

Hat unfere Schweiter fi son ihrem Unmwohlfein erholt? 
fragte ihn Eduard. 

Beide Fräulein befinden fih nad Ausfage der Madame Heiden 
fret wohl, verfeßte Diefer. Ich follte die Herren bitten, Ihre Frau 
Mutter zu befuchen. Madame Heldenfrei hätte Ihnen einige wich— 
tige ragen vorzulegen. 

Sag’ unferer verehrten Mutter, erwiderte Eduard, daß wir 
ſogleich bei ihr ſein würden. 

Der Bediente entfernte ſich. 

Eliſabeth iſt nicht unheilbar verwundet, ſagte hoffnungsfroh 
Ferdinand. Sie hat ihr Leid der Freundin geklagt, die vielleicht 
mit ihr zugleich leidet. Nun ſchwelgen Beide in den Genüſſen 
ſchöner vergangener Tage, bis fie ſich davon überſättigt haben, und 








— 18 — 


das Gegenwart/ dir: mir ihret Uninttelbtutett doch iminer! DATE 
Recht nauf.uns ha ihrena gzwingenden: Tinfſtuß Tote fin? un Ein 
3339 Beruhigter, sole fierfihl! begelißt hrtken,oſchritten Are Becber 
dem Randhaufeizk‘, badit im generiert: HlanzuollTuntehgehätiben 


Sonnenmie ein Palaſten fſlüffigen 2Golbes aus den durchlkachteben 


Saftgrumn deri Bäume: und: Gebliſche empsrfkiey. une nιν 
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Niederdeuticher Humor. hi 


v2 190: een: niedrigen Keller: am Vinnenhafen,! beiien: Aushän⸗ 
BÄREN eimtfeyeindes: Schiff zeigte und drr oſich Fülrhsend ee 
ner yar kletnän Nferſtädte der Miederelbe nannte, ſaß eine Anzahl ver⸗ 
gnütgter Beute ans: bene" Volk: bei Wein ind Abendimbiß. Gs 
werenio&werfühter,; MBeigertiüheretbiiher, Milchen und Xorfewen, 
Duartierds und. Mebeitsteuts; Haubküper anbitdetgleichen.: "Das 
Gefpruͤch; wartet und’ fehritehhaft "und; war: ausbſchließlich "in 
Mattbeatfiher: Munbart gefiihrt Da alle: dieſet Leute: in’ griten 
Verhältniffen Iebten, viel verdienten und mithintigdahrungsforgen 
ferta keiner Weiſe prinften 1 waren fie suefmmt“ sem deier⸗ 
abend inheiterſter· Gtimrung. salz onisraen, J 
‚sin Seltſamerweiſe oglaubte⸗man ma VE Veterlanded, 
ber Nele et durchgaͤngig rin ſchwerfalliget/ phlegmatiſcher 
end; tiefen‘ Mberr Mühle Blut Mage, ber’ ſchwer markt zu 
madeiifebj ſelten "ein " auftzewecktes / munteres Weſen“ zeige,” und 
dem "dl Bäbe "des? Witzez vnde des Humoris gänzlich abgehe. 
Dieſe Auſicht iſr eine durchaus erige. "Der Nlederbeutfiie räfon⸗ 
nirt in der Regel viel weniger als ber Süd⸗ und Mittelbentfhe; 
eri-Aft ſeltenſo Kehende; fo“ Teicht'anfehltefenn und ſo zutraulich. 
Er: wartet :gemi;t Abt es an Rh: kommen underſt, wenn: erbte 
Ucherzeugungt gewonnen· hat, daß ein Verkehr und Umgang ſich 
D. B. XI. Willkomm's Rheder und Matroſe. 18 


— 274 — 


antnüpfen lafle, thaut er auf. Wit und Humor aber fehlen ihm 
nicht, nur darf man nicht verlangen, daß er feinem innerften Ge— 
dankenleben in hochdeutſcher Sprahe Worte leihen fol. Wer dies 
beanſprucht, der wird faft immer einen ftilen Mann an ihm fin- 
den. Geftattet man ihm aber den Gebrauch des ihm zufagenden 
Plattdeutih, dann kommt er recht eigentlih in fein Fahrwaſſer, 
und wer nur Ohren bat zu hören und einen Organ für Humor 
befigt, der kann von einer Gejellfhaft plattdeutfch Redender, beim 
erheiternden Glafe Wein, die köftlichften, von dem Übermüthigften 
Humor erfundenen Geſchichten erzählen hören. Es ftedt in jedem 
achten Plattdeutfhen ein Stück Eulenfpiegel und die Lichter Eh— 
ven Reinekes funfeln unter mander büfter überhängenden Augen« 
braue. 

Weshalb biſt du heute ſo ſtill, Goldbarg, ſprach einer der 
erzaͤhlungsluſtigſten Ewerführer, der einen unerſättlichen Appetit 
zu haben ſchien, denn die ſtarken Portionen kräftigſter Nahrung, 
die er ſich vorſetzen ließ, verſchwanden raſch unter ſeinen raſtlos 
arbeitenden Kinnbacken. Gr trank nicht wenig dazu und trotz Die= 
fer doppelten Beihäftigung, fand er doch noch Zeit, Anecdoten 
und Gefchichten zu erzählen, die alle Zuhörer wiederholt zum La⸗ 
hen brachten. Haft du Dich felber gefehen und fürdteft did vor 
dem Knochenmanne? 

Goldbarg, ein geborner Vierlander, ber aber ſchon feit einem 
halben Menfchenalter ale Bürger in Hamburg lebte und burd 
feinen Handel mit Wild, Hühnern, Erdbeeren und Gemüfen aller 
Art, die er auf feinem eigenen ergiebigen Grund und Boden er- 
zeugte, aus einem wohlhabenden ein reiher Mann geworden war, 
fah den -Iuftigen Ewerführer ſchlau von ber Seite an, dampfte ge⸗ 
müthlich feine Pfeife fort und erwiderte, ohne im Geringften aus 
feinem fheinbaren Phlegma herauszufommen, im vollendetften Platt⸗ 
deutſch: 
Du haſt's getroffen, Smalbeer, ich hab' mich richtig mit eige⸗ 
nen Augen geſehen, und zwar genau fo, wie ich hier fige, In mei⸗ 
nem Zeuge, nur daß bie filbernen Knöpfe auf meiner Sonntage 





⁊ 


— 275s — 


weſte und an meiner Feiertagsbuxe noch größer waren und ſchöner 
blinferten. Und wo Hab’ ih mich gefehen, Smalbeer, ‘das rath’ 
mal! 

Vermuthlich im Waſſer, lachte der Ewerführer, denn wenn 
bu im Bette Tiegft, iſt das für dich ber ſicherſte Spiegel. 

Süh jo! riefen drei bis vier Andere. 

Das tft ganz natürlich, meinte Smalbeer. Wer fhon auf 
Erden wie im Himmel Iebt, dem kann's nicht ſchwer fallen, ben 
Himmel offen zu fehen. 

Wie war's denn im Himmel, Goldbarg? fragte ein Dritter, 
fi noch einen Polſchen*) vom Wirthe fordernd. Hat's bir ges 
fallen? 

Ganz ausnehmend gut, erwiderte der Vierlander, feine bis 
dahin ernft gebliebene Miene immer mehr und mehr erheiternd. 
Ich fag’ Eud, wir Hamburger find bort oben nicht ſchlecht ange⸗ 
ſchrieben. 8’gab ordentlich ein Aufjehen, wie ich fo ſelbſtbewußt 
und gar nicht ein Bischen ängſtlich angewadelt Fam. 

Läpt fih denken, lachte Smalbeer. Zwei von ben Erzengeln 
machten dir wohl die Himmelsthür fperrangelweit auf und St. 
Petrus verbeugte fi tief bis zur Erde? Nicht? 

Nein, es ward mir noch mehr Ehre angethan, und zwar pur, 
weil ich ein Hamburger war. 

Laßt doch den Schnack, fiel ein Fünfter ein, und du, Golb- 
barg, erzähle, was bir paffirt ift, wie du dich felber gefehen haft. 
Wir kennen dich fhon, du haft geftern Nacht gewiß zu viel Polfche 
getrunfen und aus dem Geift berfelben iſt dir ein himmliſcher 
Bi vor die Seele getreten. 

echt, mein Junge, fo war es, fagte der Vierlander, ich habe 
getsäumt, aber weiß Gott, wundervoll! Gar nicht, wie ein orbi- 
närer Menfch, fondern wie einer von den Großen, bie ftatt ber 
Filzhüte goldene Kappen tragen. 
Na, Taf Ins, fagte Smalbeer. Was hat dir geträumt? 


*) Ein großes halbes Glas Wein. j 
18 





— 176 — 


Inda Goledbarg ah iſichlächelndrim Krriſer am amd ſprachu Nocn 
Are. Mir trüumte, Sich. ware geſtrebendurnidiwürde begtabenetrSechs 
Pferde, alle egal weiß, wie gefallener Schnee, zogen meinen !Vein 
dyesswagen: und: der: Bergedorfer: &rhtsneloälternankikte: Herten Di- 
fitatoren and. Kamburg uns Kübecht firhtent: allafiinnttYEn ndiefer 
Trauer in ihren Staatswagem! hinter anhirsiheursir Bean IK warb 
nis Achter Merlander! zu Erdeiobeſtattririciat Naodie Weſchichte ſah 
gur nicht ſchlecht · aus unvrich! freute mh dvüber) deiß mir'si Hrẽ 
im Leibe lachte. Nah einer Weile kamenuwir Am igimmelemich, 
der prächtig ter Samt Yukb "Selbe: raudtapezierto wer zocvießAchöner 
und nobler,t als es: unfer: betr Vamburgar Bapeziareri nmachemnfarın 
Da ſah ih unſern Herrgott ſelbſt auf einem großmächtigen, Sgußde} 
wen Throne Age sand. neben: Ah aufrgeinom Stuhle mild ſteifer 
Sehne; der auch nicht kleine wanrmunfem: GerrurdEhr iſtum.cMWuadich 
nun grad hinrtntrat ⸗ An sven Hiinmeboſaalreunade aufgerichtet giag, 
wie ſichs fchicht Für men, fraian MHauiburgern Bürgebys da kurktiſtch 
richtig unſer Herxdott um⸗iblingeltiz mit mbar Augen tdmd ſ4agtonzu 
St. Petrus, ober: wars Ab Paulũs eben 'fa note chablaach nicht 
ddfgepaftr:- : Bin;ich: denn rietht dh ridas: nich Herr Gotbbang 
aus Hamburg, der dir gutem Küken: bat? Freilich, zwerfehzt deu: Aphe 
ſtel, os iſt Her Goldbarg ui’; ſelbſteigener Merfen aind, michl dünkt, 
nicht ſchlecht aufgeputzt. — Ruft mir drauf anferHerrgast du, und 
zwar Alles auf Plattdrutſche ala wie’. kwnnk uns Aufgewnchſfen und 
Hirt’ Ehreupforten mit uns gebaut: Mmm: näher/ Golsbarg, mb 
fag’. mir, wie Sehe · Euch;imHaniburg Was mucht iber 
ſtramme Ewerführer Emalberr?:: Immer gut ar Wiege? betr 
jein Appetit verloren? Schmedt ihm nuch ſein Molfchena Röthe 
moch wie die letzien gehn: Jahr her? NAusuehnmrud gut danke 
für die gictige Rachfrage, erwiderte ich glatt von dei Zungeweg, 
als dr: geſtern· Abend mich von. der Gibe empfahl, ira, enıfe- 
rade den achten Polfhen und fing an :iein Htochenezu⸗ſchwiemeln. 

Dummer Kerl, mupleft du bad auch gleich um: Dis“ große 
Glocke Hängen! unterbrad ihn der überraſchte Emerführer,.. daß 
alle Mebrigen in ein wieherndes Gelüchter ausbrachen. : * 


f 





_— 277 — 


uvit Kann's unicht helfech Frhr Goldbarg Fort; es fuhr mis: fo. here 
aus, nweil ich mich ſquglücklcht über das: Berahkafjeinber Ani 
ſen nunſces ngrnpimächtigemueurgott'asss@r dachte auch gattz luſtig 
drüber. Drauf ſtieß ner unſern Henn Shrifisfanftza: und ſprech 
zu ihm: Du, Graßerzoſtehhamgal auf und Ka Herrw Goldbarg 
ein paar Angendsidermiehrifigend:, Deraltec Junge Felbsceit 'mas 
surbentötcheßndergiäßfen Andi: memeimickteben Hamburg⸗ stand: inndel6 
jegt ausfieht, von wegen des diden Zopfesy idemsich,bewigaten 
Leuten noch immerodnicht ganzhabe habpreien.tängen. s3Bie’s den 
Rettedtensenscgehte Wien Bas:ıshilligfte, Begrkbutg holtet. und ob 
ihnen Maiſehkinder: heim MBalfengränn nach immer: ſh göttlich 
amüfiren? und dabei fjchüttelte er mir die Hand} daß achs: nad 
fühle: ING und &hr künnto denken,: däßr ich ihm was, Ordentliches 
unde recht vom dern Lebrv iweg jſerzähln habal, Da ſollnun Einer 
kommen und behauptenzsiögimktirg feb>iticht.:gutsangefchriehemsibeit 
enkermichhe@rgett! n Wenn fees einfachen Würger ford Auf- 
ah fin dat Am Himmels piero werden: ie micht herſt einnen Y@enntur 
oder taken Seutorſ oder gar seinen. praßidirenden Bürgermelſter da 
Oben empfangen! N10801 Bstg Bad stand mu she wand : 
177 Ale Aweender jexgötzten ſich nackiiitiber die »Grzählung Des 
Schalbes, der lüngſte Bonnie Mufe:ftaad,;; die amüfantefen 
Doönchenkngunerfinden „older »Töintrittaisinedsneneli Maſtes und 
Beffen Thule Stine, hie :affgemeine: Aufmerlſamkeit · dieſem sjumen+ 
betesıst Deusuttues Anlömilingtimar :keiıy Anderer, sale: wer :gehier 
Grobheft ewegen; hekanuten Hausknechte Mavid aus; Heidenfuet’sHGke 
fhäftascrs.s I 2 daee Tariniigent kin watt 
3a. WOnAt: verdamm Mnich xiefa dere wählte: Menſch,ſicha hefteg auf 
einen Schemel.o werfend ad mit Dee Fauſt uſrden Wiſch⸗ ſchlas 
gend; and bier Bläfer Dangen: „Ichwill sin Schuft fein, wennos 
nicht: grßere Schurken igkkt unter schein Vornehmen als: unted Reit 
Geriden luınll Sarg Bu np Juin? Anl ag Tore 
. in ren: ‚ke Aikedeng ce ibie Keane —— 
ei Wirtp,sdemg atersämfchheng: heftig) aufgewegter, Manne ein 
Glas vtichendeu she mene, Taum an / NensKupeichefoimben ſchon wilb 








— 1718 — 


der geriffen oder hat Herr Treufreund das Dintenfaß für die Streu- 
fanbbüchfe angefehen? So ’was Großes muß vorgefallen fein. 

34 will gehangen werden, und zwar in knieender Stellung, 
betheuerte Davtd, wenn’s jebt nicht beffer wird! 

Bet dir oder in Hamburg? fragte der Wirth, 

Weberall, fag’ ih. Aber Ihr müßt weit ab liegen von der 
Neuigkeitsſtraße, wenn Ihr allefammt nichts gehört Habt von dem, 
was vorgegangen it? 

's gibt doc Fein Unglück? fragte Smalbeer. 

Gott ſei Dank nein, erwiberte David, vielmehr wird bald 
großer Jubel fein in mehr als einem Haufe. Ihr kennt unfern 
Quartiergmann ? 

Wer kennte den ehrlichen Jacob nicht! meinte der Vierlan⸗ 
ber. Er wäre der glüdlichite, zufriedenfte Mann ohne die fatale 
Geſchichte, von der man Lieber nicht fpricht. 

Kann jeßt gern davon geſprochen werden, rief David, und 
wird hoffentlich noch vecht viel davon geſprochen. Wetten wir ein 
paar Buddel, daß die verfihwundene Tochter Jacobs in Zeit von 
at Tagen wieder im Haufe des Rheders lebt? 

Das wäre! — Süh jo! — Kiel, wat's bat! riefen mehrere 
zugleih und drangen mit Ungeftüm in David, er folle erzählen, 
was vorgefallen ſei; man würde ihn nicht eher von bannen laſ⸗ 
jen, bis er Alles, was ihm in dieſer wunderlichen Angelegenheit 
befannt geworden, ganz genau wiſſe. Die beiden Buddel könnten 
gleih jegt und zwar auf Abfchlag für noch Beſſeres und für Me- 
berbringung noch intereffanterer Neuigkeiten verbraucht werben. 

David machte Feine Einwendungen. Das Kurze und Lange 
von der Geſchichte iſt, Bott verdamm’ mid, fo wunderlih, daß ein 
Gelehrter zu thun haben würde, wollte er fie zu Paptere bringen. 
Ich kann nichts berichten, al8 was ich weiß. Der Herr Prinzipal 
erhielt geftern Befuh. Darauf gab es große Unruhe im Haufe; 
die jungen Herren waren faft außer fih, Herr Treufreund nahm 
fih wie ein Srommer. Etwas fpäter mußte ich den Jacob holen, 
Mit dem hatte Here Heidenfrei eine Tange Unterredung unter vier 


— 258 — 

Augen und bei verſchloſſenen Thüren. Ihr könnt denken, daß wir 
Alle neugierig waren. Hätt' ich mich nicht geſchämt und wär's 
keine Schande, die Geheimniſſe ſeiner Herrſchaft zu belauſchen, ich 
hätt’, Gott verdamm' mich, horchen können! Aber ich that's nicht, 
obwohl die ſchlanke Jule, das Stubenmädchen es verlangte. Nanu! 
Als endlich der Alte wieder zum Vorſchein kommt, ſieht er ganz 
verjüngt aus, ſein ganzes Geſicht ſtrahlt vor Freude, und Herr 
Heidenfrei drückt ihm die Hand wie ein Bruder und ſpricht: Es 
wird Alles gut, mein lieber Jacob, verlaß dich drauf. Chriſtine 
kehrt ſo ſchuldlos in deine Vaterarme zurück, wie ſie von dir ge⸗ 
gangen iſt, dem Miguel aber haben wir offenbar Unrecht gethan. 
Wir müſſen zufehen, daß wir dies auf andere Weiſe wieder in's 
Gleiche bringen. 

Da werde nun Einer Hug draus, verfehte der Ewerführer, 
mir klingt Alles wie Griechiſch. 

Wer iſt denn der Miguel? fragte der humoriftifche Bierlander. 

Wer der tft, das weiß Keiner genau, erwiderte David. Ich 
hab nur immer gehört, daß man ihn und ein paar feiner Ge- 
nofjien, untere denen fi ein Hamburger Kind befinden foll, für 
Shriftinens Räuber hielt. 

Und fie ſind's nicht? 

Mein, partoutement nicht, Gott verdamm’ mid! betheuerte 
David. 

Dann angeftoßen auf das Wohl des alten Jacob, feiner Toch⸗ 
ter und Derjenigen, denen es gelungen ift, die Verſchwundene zu 
entdeden ! | 

Diefem PVorfchlage des Ewerführers Tamen Alle nah, ber 
Vierlander warb fogar ausgelaffen Iuftig und gab, bis es ziemlich 
fpät geworden war, noch mehr als eine feiner ſchalkhaft⸗drolligen 
Gefchichten zum Beften. Als die forglofen Zehbrüder auseinander 
gingen, trug Jeder ein Meines Haarbeutelhen mit nah Haufe, 
David Hatte fogar einen recht flattlichen Zopf fih angefhafft, der 
ihm fo ſchwer im Naden hing, daß er herüber und hinüber wantte, 
auf mehr als einem Beiſchlage ausruhen und fi befinnen mußte, 


— do — 


mp er wandele, mad: in ein läſtetliches Fluchen: aufſich,ſelbſt gul⸗ 
brach. Nichta deſtoweniger ſtanderer nam nächſten: Werken miabkt 
Rramm auf ı ben. Beinanzı mr Konnte: æniſich das viehensKummoh 
Schnacket den ev. gchaht. una mit angehört. hatte, nicht gung gerne 
entfinnen«:- lv ra hl, bean id IAuemeie 
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. Heidenfrei betyachtete machdenllich seinen :::uer ke Uedenden 
Brief, den er vor Kurzem erhalten ıanbigelefen hakte. Mwohl 
aͤußerlich ruhkg,n mernteth buch: nd lebhafte bewegte: Hupe, daͤß eine 
Nachricht von ‚Bereutung. ſeinen Geiſt ungewöhnlich ſtarkbeſchäfti⸗ 
gan müſſeo. Nachneinigex Zeit twat m alte. Areufreunduum da 
Zimmer des Mäsderai'n. vu. 0. er chaos ai nilten 
Site haben mich rufen faffe, Bere Hetvenfuebtiidagte im thigde 

ſchüchternem Tone der geweſene Buchhalters.. = 3: «t Ja 
:... Bitte, nehmen: Mile Platz;TNeber Taeufveund, orwidertt Heiden⸗ 
frei, den treuen Diener freundfih auch durch eine Handbewegnüg 

zum; Sitzen eimlanend:::;, Zögernd folgte ber Buchhalter.n7 
Ich bin gendtätgt,:i. Lieben Tpeufveund, fuhn..beri Rhederufort, 
Ihnen eine Mitthetlung zu machen, bie Ste wahrſcheinlichbtiber⸗ 
rafhen,. ebenfo: ſehrnerſchrechen;, add: erfreuen: isirb. 3’ Vehnalten Sie 
ruhig Platz es: if michto Unangenehmes, mur Tetmns fehrel-iins 
gemöhnkiches, etwas beinahe: Wunderbaves. 1... mis; Hart 
.2. Debbenfret. fdteleg einige: · Augenblicke „und: Troufreund / bdrm 
vor geſpannter Erwartung: bald heiß, bald kalt: wurde / treclnvt⸗ 
ſich wiederholt. mi. feinem ſeidenen Taſchentuche die Olahe“ af“: 
IH darf: es. Ihren unter ter Augtnwohl ſagen,“ lichber 
Axenfreund,. begann der Rheder aufs Rene, ohne zu : beſorgen, 








— 284 — 


Sie möchtan ſich dosahalb· Nberha bem rdaß; Ih Mit. alsmeinem v a rptrobe 
geſten Mitaxbheitern Innern nmeituergweigten. Geſchäfte betr hocyt 
geſchätzt haben. Im FuhheresnißnhsensiWarens Sir Yanfighle Geile 
daflekhen, amentlich deß überfechihen transetlankifdren.! Thätles ses 
Womit das Haus Peter ThomasinHridenfreb nenig Wü 
hatter warf Kraufraund xin.10 waren traurige MWerhältniffe, un⸗ 
glückliche Rerungtupeni sun. "alnlindad med di Blomai Bnd 
— de mager fang ad: -hbetnpfte dns üproßer 
Unxuhe Inte. Glatze mit. dem; Rafıkentugesst Heidenfrei, warft ek 
ſharfen, qforſchenden; Blick, auff den redllchem Diehevias 13 mırd 
1,9 Damals; hatten se Wie; ichn ſowohl Wie mein Meitdenb ver⸗ 
fiarbenen Grfppiagerinter. :undsstioch minder‘ Andere söbefe Mnficht, 
fuſhr ar· fort, nur eines⸗ eanzigen Mannes: wroßocichImich i zu⸗ enint 
Re: walgen: anders uxtheilten Kennent Sie dieſen Manns Ikeber 
Treufreund? Er lebt noch. ‚nr e9rast nο u 
1 De Buhhakten xückted mruhig, und in agvöſßter;Werleenheit 
auf dem ſammtenen Polſterſtuhle Hin und hew + Stat eintrs Mint 
mortsthtachtesersiehl naesıdlafer Berbäugungen,iäie setmas: Komiſches 
Hatten, Dpr Rheder mußte auch wirklich dawüber Mächtkn. rt, (bi 
Ste haben wahrlich keine Unſache, ſich jetztynnach gweteFahr 
zehnten zu ſchqmen,dahl Ste Bamalsıunternalken Ketheilefähigen 
der Urthetlöfreiefte waren, ſprach Hetdenfrei weiter. Wenn. ichn Ihnen 
wos ıhartäieaft en Angeſicht FageyifetihelessihnntaurT etwas 
längſt Verfäumtes nad. Sie allein, lieber Treufteundnberutheit⸗ 
tem Hdamals din: Fachkagevichtig: wit Andern. ynreminbreiagenom- 
men undisbhriam befangen, m unfreinnſtitig imnanfernArtheilet 
Es iſtidies fee igu beblagen ae habe vig⸗⸗ wie Sei hatotiften, 
hart genug dafür büßen müſſendot sin ih mu il was yrolın 
13163 ai Wohl, jarcwohl bi ſagte· Treiafreulid, die: Hande⸗ſaltend. 
Sa en early Arme᷑ 4 Znasın TSC:Q 
33 1Sro onnte wit weiteen ſprechen; benmiäte. heeudicbreihenkrnt 
Thränen erititen feine Stimme. Auch Heibenifrets fhasieg’ Iekime 
Wille. nunni Bi som srduf, mind Sonde hin Ten) DD 


> gene Trotifreunbgshgnih siehe 


— 2382 — 


merkwürdige Mitteilung zu mahen babe, begann der Rheder 
wiederum, als er ſah, daß der alte Buchhalter feine Faflung 
wieder gewonnen hatte. Ste beweinten den DBerfhollenen, als 
das große Unglück gejhehen war und fein Vater ſtreng befahl, 
nie mehr davon zu fpreden. 

Es war ein böfes, Hartes Wort, das unglüdlichfte Wort, 
das jemals über Herrn Hohenfels’ sen. Lippen gekommen ift! 

Es hat ihn auch getödtet! ſprach Heidenfrei ſehr ernfl. — 
Aber wir haben kein Recht, ihn anzüuflagen, über einen Berftor- 
benen, ber das Gute wollte, felbft wenn er trrte, ja frevelte, 
Gericht zu Halten. Darum Friede feiner Ale! Nur den Ueber» 
lebenden, den noch Lebenden unfere ganze Aufmerffamfeit, uns 
fere vollite Thellnahme und Liebe zuzumenden, find wir verpflichtet, 
zumal dann, wenn dadurch früheres Unrecht einigermaßen wieder 
gut gemacht werden kann. 

Treufreund richtete ſich eritaunt auf und biidte den Rheder 
ungläubig fragend an. 

Ich verftehe Ste nicht, Herr Keidenfrei, fagte er. Wie foll 
ih Ihre räthſelhaft Elingenden Worte deuten? Ste fprechen von 
Ueberlebenden und noch Lebenden. 

Ich Hätte fagen follen, fiel der Nheder ein, Wiederaufer- 
ftandenen. 

Treufreund wechjelte die Farbe, Heidenfrei ergriff den vor 
ihm liegenden Brief. 

Sie ahnen jetzt, lieber Freund, welche Veröffentlichung Ihrer 
harrt, fuhr er fort. Der Mann, den wir für todt hielten, den 
wir betrauerten, deſſen unglückliches Schickſal tiefe Wunden in 
unſere Herzen riß; er iſt nicht todt, er lebt. 

Mein Gott — Auguſtin Hohenfels lebt! — Mein edler, 
großer Freund lebt! rief Treufreund aus, während Freudenthränen 
ſeine krankhaft gerötheten Augen Tüten, Und wir mußten es 
nicht! ſetzte er Hinzu, 

Seit länger als einem halben gehre war ich davon unter⸗ 
richtet, ſagte der Rheder. Wenn ich dennoch Ihnen die mir ge⸗ 


— 283 — 


wordene Kunde verheimliähte, fo gefhah dies nur aus Schonung. 
Die eriten mir zugehenden Nachrichten Tauteten wenig tröftlic. 
Mein Schwager war fieh, hinfällig; der Tod Konnte ihn ereilen, 
ehe er Rüdantwort von uns erhielt. Wäre es ba nicht graufam 
gewefen, Sie, lieber Treufreund, mit einer bloßen froben Hoff⸗ 
nung zu täufhen? Ich wollte Gewißheit haben, ehe th Ste in 
Kenntniß fehen durfte. - Diefe Gewißheit iſt jebt eingetreten. Aus 
guftin Hohenfels Tebt nicht blos in neu erftarkter Kraft, wenn 
auch fehr verändert, er gedenkt fogar uns wiederzufehen. 

Möchte ich diefe felige Stunde erleben! ſprach Treufreund. 
Ih wollte dann zufrieden das Hauptbuch meines Dafeins abe 
fliegen, die Bilanz ziehen und mich ruhig in bie kühle Erde 
betten laſſen ... Mein lieber, Tieber Auguſtin! ... O, verzeihen 
Sie, Herr Heidenfrei! IH bin wie ein Kind — das Herz läuft 
mit mir davon... Ih Tann wahrhaftig nicht dafür, aber ic 
önnte vor Freude fpringen und tanzen, ja fogar ein Gedicht 
machen. Hielt ih ihn doch fhon Hier in Diefen meinen Armen ! 

Hoffentlich gebt Ihnen dieſer Wunſch bald in Erfüllung, ver- 
feßte Heidenfrei. Mein Schwager fchreibt, dag er wenige Tage 
nah Abfendung dieſes Briefes fih auf einem Bremer Schooner 
nah Europa einzufäiffen gedenke. Ein Bremer Schiff, von Rio 
kommend, fprad meine Bart „Marte Eliſabeth“ an und dürfte 
bei den auf See In den legten Wochen herrfhenden Winden ſchon 
demnädft Bremerhafen erreichen. 

Auguftin Hohenfeld wieder auf europätfhem Boden! ſprach 
Treufreund, den Gedanken, daß der Freund ihm fo nahe fet, daß 
er ihn alsbald wiederfehen folle, Kaum faſſend. Wird er hier 
bleiben ? 
| Wer mag das jeht ſchon beſtimmen! erwiberte Heidenfrei. 
Das Herz, die Sehnfuht treiben ihn zu und Nicht allein alte 
Freunde, feine nädften Verwandten wünſcht er wieber zu fehen, 
er glaubt auch irgendwo in Deutſchland den einzigen Sohn wieder 
zu finden, den ihm Dolores gebar und ben ihm Gonfalez entriß, 

Auch diefer lebt? 


— 18 — 


gilt nr glaubt-ics End: em} fi: BGE DOGRT N ee TRIER 
WR pin mund mihlihnit neduuhsgug im meh 
‚ml; He Mitthellungen grdrückten Aruſreund· gheincche. ni 
mad Hille and: Img ſteller un all: bes: Prinzipal vbewerkte, 
mern Allge wiſſerzund ihn, un ginlher Zeitnerſuchte, enmäge 
der „Bufammepfunft hefwehnenur die mach beendigteu. ageageſchäfr 
tee Die aRdkehn, Migueſs auihame ihm:fxlbſt feinen; Söhenuund 
hatt. Qupgfhers wanxa nöthig machen fagkenenzwarı Aeraltellligngn 
bat aber, ‚nenhrn im angellärte-Sinfemteit, ſich zuxichziehen zu dürs 
Hude are empfangenen. Sinbrfifr zubor gänzlich bewäl⸗ 
tige, zin ut ee zux- Nahe Tome: und »Bnaft ae 
vohne nach ‚euer Gröffuungsn sah Mehazrajhumgen serttagemiigt 
fönven⸗ ae... Iniluech win) mio... witz) mirad 
us] Heidenfrej gewährte, dieſen Wunſch ſehr 1m see Rühlte fh 
berbit,.ngn eimensonoßen Sail, befxeit Helfdemn, auch heunweblihe alle 
RD, der miß Außopfernder Kiehen ſtets an denmuledenſchaftlichen 
Augaſin Hohenfela gehangen) Ihm gagenn Jedezmann gunermüdet 
und gufndig?Gofahn, hinzazſelbſt, aguntenleigeng zuzmöſſen, In 
Gmb ‚prapmman a.gon heilen Miedeyegwachen Kenntwiſtaxhalten 
hafthan mas rn Tan et Bad nnd bon 
ae Fregctreund mar eſer Hiag einer Ran mirhngbeunfehnen 
aquzen Behend, Wr.feiate ihn aide ghnlheuauch, ia einen Ihmıaigane 
 Himliähun: Belle inhemarn fie ſaigenn Seinen, Winklen Komp 
toirraume einſchloß, Nichts, was umı;ihp, harz .wergiugs Heachteten 
hndern ſich aganz. in ting Gedanken Iyeyſe nel. da age 
in9 ea einen, Gomptehrfalenter „unteririg den 
Ag Dreimgke mit; „guliner,. ‚Sinter med „Ihnleh 016 + Mpter ana bes 
Rand: „Auguftin Hohenfels iſt für mich heute von den sont 
exſanden⸗ yramlarıı n 5 gan pri 
a Damn an et, often Handlungtblicher HOF ‚. m. 046 
hien ahndich Agutende Matizen zu tushens Enke gastierte, 
iz⸗die Arlefe DeB,,Beundes,..Aigıdbrr on, pt inetruhen ade 
getrhſtet hakkem Der Belik Mein. Brleiesauehte.nibn.debarasih eng 
quickend an, jet aber, mo er wußte, daß sbiejer Weil made lebe, 








Yafıı eat ee an lich gu Aha 
Äh yeßchriebeniene. d Wortin deſſelben! HrelfucherLebeneivaft intienkes 
vbhnen: Rbeukteumd konnte! ſichen nichẽ mehr losreißentuvon dieſet 
Lectüterut Er Molke den: langeteurbehrten,nals taäbt.ı meinten 
Feennd! im ſeiner »ganzene . Weſenheit inficht vorgogenwig tinyen, Damiit, 
wenn er perſönlich vor ihn Kintreie, Yen AdigefreiibSfehiun try 
bilie Darüber vergingen ’&tundenj:hennE dor: swunfere: il las 
randen Bei mehn ul zweimab; Lerute manche Sıhdke ie, 
weil fie ihmt ſorauerordrattich ge yo een tigtmen rang 
WrBwindigi end: print ſich ſeibſt Shih, vier an Beſitz 
eines fo unbezahlbaren Schatzes befinda?.t9 nzsduoisd nos vagimae 

Mnteniwdltte den emſig Defehdertweihingaaus Mal ſtören, er 
unterließ es aber jedromalzuwennd evpo die gluüchſeligen Birke des 
abierndea en ne wirn einz Gotrorgellſterter 
in? Ben Brirffchaften blatterten unen fovſchte. SERIE Kon 
toirſchluß wagte er ſich an den Leſenden, indem er heflig am Kit 
verloren! Thurn rütteltee wu! Treufreundeiaunfzuſehenaibthigte. 
ber Biteriauſendmadi umnꝰ Entſchulbigunge ers Treufteund,n ſugte 
vor bufger Shall: Ich bini. ſchon zum funftew? aderriſochsczme Male 
Mi Zhrehohür j since: br iche Sie Ammevt ganau zuandorſelben Stelz 
Yimgraufitet hochbrinigen Thtvu itzonheh, ti das GeſtchlaAn 
Olückfeligkaitsſchlmmesnſtrahlend unſteif hewegungslos, Tein gefüdetz 
08 under: gemhltes Meonſchenbild, chi Ahambtei ich yRlept: wahrhaf 
ta, der Schlag Haberflenigerührt und in Engek: dad ısHatank Sie 
niseßtensiheiligenden !Angmblirte nontevr die · Seligenn verjegt, um 
Ehrbrusonz Tagen?! inte ber! Ehhrublint und: Seaphiausn Motunsſei 
Dimt, daß Sie suochebiben) mein! Werehrteſteri aHaben Sherrinteg 
jebt die Freundlichkeit oder Gnade und figew: Bit: air nebr 
güdenden ı Schauernu dronmmmels zuriiche auf beyinmedfatfhen 
Schlammdoden der althannburgiſchen Erde 3) von ven: ambrofiſchon Düf- 
trier der Setigen zu bin Dunſtigen: Aughanchungen⸗ unſerer:mährenden 
Floethe, demm ſümmtliche Räuine : des: Comptolts findubereits leer. 
Die: Federn können ihre: Schnäbel ſchließenr und ſchlafen gehen, 
ber Streuſand darf verrinnen und von den Dingenotsgumen,. bie 





— 286 — 


ihm vor die Augen gelommen find, nur dem Beſen wirb nicht 
erlaubt, ruhig in der Ede zu fiehen. David handtiert gewaltig 
damit herum, und wenn Sie fih nicht bald aufmaden und aus 
Ihrer Verzüdung zu fih kommen, edler Freund, fo wäre es 
möglich, der grobe Gottverdammih- Mann kehrte Sie mit fammt 
Pult und Sefjel zum Tempel hinaus. 

Anton, verſetzte Treufreund, Sie dauern mich eigentlich. 
Ih an Ihrer Stelle würde mit den Gaben, die Gott an Ste 
verfchwendet Hat, vernünftiger, haushälterifher umgehen. 

Ich fpüre aber gar nichts von Gaben Überhaupt, wie viel 
weniger von befondern Gaben, 

Weil Ste ein Leichtfuß, ein Spötter, ein Tollkopf find! 

Bitte fehr, mien Moder kann fwenmen! 

Meinetwegen aud boren, fagte Treufreund ärgerlich, die glück⸗ 
lich zu Ende gelefenen Briefe in fein Pult verſchließend. Mög- 
lich tft Alles. 

Aber wahrſcheinlich nicht, ſetzte Anton Hinzu. Webrigens ge- 
ftatten fie mir, bemerken zu bürfen, daß ih nur figürlich ſprach, 
eine Eigenthümlichkeit, die mir von Ihnen, der Sie ja Ihrer ei⸗ 
genen DVerfiherung nad, niemals perfönlich werben, angeflogen ift. 
Wollen wir heut Abend zufammen foupiren? Meine Freunde 
Julius und Kurt find mit von ber Partie. Wir fahren nad 
Rainville's. Der Abend tft fchön, die Nacht wird herrlich, unver- 
gleiylih, und wenn’s uns conventrt, laflen wir und aparte, en- 
tre nous etwas vortanzen von den niedlichen elfenhaften Dulct- 
neen, bie neuerdings aus Andalufien bier angelommen find. Man 
hat mir gefagt, die Grazien follen dieſen ſpaniſchen Maja's gegen- 
über plumpe Stallmägde fein. 

Vergnügen fie fih, wie fie können und müſſen, verſetzte 
Treufreund dem ewig heitern Gorrefpondenten folgend, ich bedaure, 
für diesmal Ihre Einladung nicht annehmen zu können. Wäre 
ih auch, was wirklich nicht der Fall ift, geneigt dazu, fo würbe 
mich doch eine. ſchon früher erhaltene fehr ehrenvolle Einladung 
daran verhindern. 





_— 23837 — 


Ganz obligirt, fagte Anton. Wer erft kommt, mahlt vor, 
heißt es im Sprichwort, es verfteht fih demnach ganz von felbft 
— am Rande — fpridt der Student, daß Sie biejer ehrenvollen 
Einladung den Vorzug geben. 

Herr Heidenfrei würde mih für einen Menſchen ohne alle 
Zebensart halten, was ich hoffentlich niemals war und nie zu wers 
den befürchte. 

Herr Heidenfrei? 

Unfer hochgeehrter Herr Prinzipal, wenn Sie nichts dagegen 

haben, mein lieber Herr Anton, verſetzte Treufreund, fein Käpp⸗ 
hen ziehend und fich fehr tief vor dem jungen Gorrefpondenten 
verbeugend. Gr gab mir die Ehre, mich zu erfuchen, ich möchte 
doch einer in wichtigen Bamillenangelegenheiten abzuhaltenben Be⸗ 
rathung meine Gegenwart nicht entziehen. 
Damit grüßte Treufreund lächelnd und ging von dannen. 
Anton ſah ihm etwas‘ verbupt nad, dann madte er eine Hand- 
bewegung nad feinem SKopfe, die ausdrüden Tonnte, e8 möge wohl 
Im Gehirn des „Schatten“ nit ganz richtig fein. 

Samtlienrathe beimohnen, wiederholte er, frin Pult ſchließend 
Was fo ein altes Möbel nicht Alles Tann oder will oder zu wol- 
len und zu können fi einbildet. — Na, man zu, id meines 
Theile, ich gehe nad Rainville's — mien Moder kann ſwemmen. 


Behntes Rapitel. 





Miguel’ Erzsäblung 


Es dunkelte bereits, als Ferdinand mit den Worten in das 
Zimmer feines Vaters trat, dem fein älterer Bruder und Treu⸗ 
freund Geſellſchaft Leifteten: 

Ehen find die Erwarteten angekommen. Jacob hat es vor⸗ 
gezogen, den Weg durch die Kanäle einzufhlagen. 





— 18 — 


„on Marten diesre-rtigte Heldenfreiſtreie innt \: Stande anzte 
Hat af der Dibkesans hi ya in rer oe no ih 
escufe fe mhomwerhtiheranfits mi ner — init oma — 

Ferdinand entfernte ſich wiederzuder Rheder legle iu Band 
auf Iresfrenktte Schulter und ſagte: le werden:nlt das Zeug⸗ 
ige Schiwäcre) neroſes Zagen nud Schwan⸗ 
fen meinem Gharafter fremd find. Ich habe made iſchwerẽ 
Stunde durchlebt, viele Schtefalsfhläge mit‘ Gleichmutheerlragen, 

und fa nieimbchte tl fageit,a bin ih "eiitert anſchekdender Stunde 
miele Srwartung, mitte petnbeller ""Shparnihg entgegruge⸗ 
gangen. AWare ich tbergtaubiſch jich Wagen dat Ar 
es rare org hm rn de Tg prrge 
SE Rufen wollre entwodrken, "yorirdeabert dirrch Haute Schere 
und das unmittelbar darauf!rfolgenve efftiew "ber Thürt dadkar 
verhindert.nre anin Ant Gnicchel er rend anpern ia? 
- SE Moch vrannte een Licht Ina des Rhebers erh vie Abendo 
dammerung warb durch mcdergerafffeno/i ſwern duuna ſtenr Gurbrurn 
von dunkler Seiden ſo aibgedänift, Bag die Weſtchtezüge derrehtzeln 
Ken Perſonen nicht ganz”: vblutlicho zu” vrfenten waren. nDeibenfrei 
miterfelmern: alteſten Sohne un Veufrteundſtaudelr ganz’ Inf Shit 
ken etwas: mehr Dllmmerungsſchetũ et" auff die Gtuppe ver 
treten den dies ber NYeder mit ſtümmem: Wink vegtätßte Gleichẽ⸗ 
zeitig erfaßte er den Glockenzug, worauf aus einem anſtoßenden 
Zimmer die Hand eines Bedienten die bereits angezündete Lampe 
durch den Spalt der Thür feinem Gebieter reichte, ohne ſelbſt ei= 
nen Blick in das Gemadzpafiefken;werker. zu können. 

Der helle Schein der Lampe. fiel jetzt grell auf die Gefichter 
ber Anmefenden, ven, denen zug ein pigziged yoyı Allen zugleich 
gefucht ward, die ernjten, gebräunten, harten Züge des Matrofen 
Miguel, het trogig' neben dem vierſchrötigen Suarlecsmanne Ran, 
biefen aber um faſt eine’ halbe 'Kupflänge' überragte. *7 
Auf einen zweiten Mint Heidenfrefs! hathmun ste‘ Een si 

den runden’, "mitten im Fimmer ſtehenden Liſch nur Treufreund 
zauderte, feine angegriffenen Augen blinzelnd und init ovrgebeugtem 





— 1389 — 


Kopfe eigenthüͤmlich ftier auf Miguel Heftend. Dies ‚merkwürdige 
Fixiren mochte wohl Urfache fein, dag auch Miguel nur zögernd 
zwifchen Ferdinand und Jacob fich niederließ. 

Es entitand eine Paufe die etwas Bängliches Hatte, und bie 
doch Fein Anderer als nur der Rheder füglih brechen Tonnte. 
Er that es auch endlich mit dem ihm geläufigen Aushilfsworte: 

Superbe, daß du fo pünktlich biſt, Jacob! Keine zwei Mi— 
nuten haſt du uns warten laſſen. Um fo befier. Und diefer 
ſchlanke, junge Mann da, feßte er etwas weniger zuverfichtlich hin⸗ 
zu, will uns fo wichtige Mittheilungen mahen? Ihre Papiere, 
‚mein Befter, find uns zugegangen. Diefe und einige mündliche 
Derfiherungen des Gonfuls, der Ihr Geburtsland bei unferer Re= 
gierung vertritt, Haben ung bewogen, Ste zu erſuchen, das, was Sie et⸗ 
wa wiſſen oder zu wiffen glauben, im Kreife dieſer Wentgen, ung zu fa- 
gen. Ste felbft behaupten und werden es, fo will und beblinten, 
auch zu beweifen vermögen, daß fie völlig ſchuldlos find an ber 
frevelhaften Entführung der Tochter diefes Mannes da aus dem 
Haufe, wo Ste jeßt weilen. Sprechen Sie ohne Rüdhalt, junger 
Mann. Man wird Ste mit Ruhe und Aufmerkſamkeit anhören; 
man wird Ihre Mittheilungen zwar einer ftrengen, aber auch völ⸗ 
fig unpartelifhen Prüfung unterwerfen, und wenn e8 Ihnen ge- 
lingt, überzeugende Gründe, beſſer noch gar Thatfachen anzugeben, 
welche die Entdeckung jenes Frevlers ermöglichen und die fo ſchwer 
Gekränkte ihren trauernden Eltern und uns Allen wiedergeben, 
fo dürfen Sie der Erkenntlichkeit unfer Aller, nicht minder jegli- 
her Unterftübung vergemwiffert fein, die Ste wünfchen mögen und 
wir gewähren können. 

Mit niedergefchlagenen Augen, vielleicht, um den raftlos fra- 
genden Blick Treufreunds zu vermeiden, hatte Miguel diefe mohls 
wollend und in aufmunterndem Tone gefprodhenen Worte des ehr- 
würdigen Rheders angehört. Da er nicht fogleih darauf antwor⸗ 
tete, wandte fi Eduard mit der Frage an ihn: 

Sie Itebten das Mädchen, nicht wahr? 


Miguel blickte raſch auf, fein fehönes, dunkles Auge flammte 
D. B. XI Willlomm’s Rheder und Matroſe. 19 


—— 290 — 


in ſchwärmeriſcher Gluth, und indem er feine für einen Matrofen 
Heine und ſchlanke ‚Hand aufs Herz legte, verfegte er mit unge⸗ 
heuchelter Wärme: 

Wahr, Sennor, heiß und ewig! Immer würde ih gern 
mein Leben für das Mädchen gelaflen haben, dem ich ein treuer 
Mächter, kein auf Böfes finnender Verfolger war! 

Erzählen Ste, was Ste wiffen, ermahnte nochmals Heiden- 
fret, dem die innige Natürlichfeit des jungen Matrofen geflel. Er⸗ 
zählen Sie Alles, was Sie erlebt haben. 

Mas ich erlebt Habe? Das tft wenig und bod wieder auch 
fehr, fehr viel, nur würde es die Herren bier nicht intereffiren. 

Uns Intereffirt Ihr ganzes Leben, warf Treufreund ein. Sie 
nennen ein Land Ihre Heimath, mit dem wir in nächſter Ver⸗ 
bindung ftehen, wo viele treue Freunde von uns leben. Mexiko — 

Ih bin nit in Mexiko geboren, fiel Miguel dem alten 
Buchhalter in's Wort, Indem eine Fupferfarbene Röthe fein bräun- 
liches Geſicht überſlammte. Mein Vaterland iſt Brafilien, obwohl 
ih es weniger fenne, als Mexiko und die Länder am merxikaniſchen 
Golf, wo ich meine Jugend verliebte. Aber mozu fage ich Ihnen 
dies, unterbrach er fi jelbft, Ih will ja nicht von mir, fonbern 
von denen fprehen, welde biefem braven Manne hier’ fen Kind 
fo freventlich raubten. 

Der Quartiersmann drückte dem jungen Matroſen, den er 
jetzt ganz in ſein Herz geſchloſſen und dem er ja bitteres Unrecht 
im Stillen abzubitten hatte, dankend die Hand und Miguel begann 
folgende Geſchichte zu erzählen. Wir ziehen es vor, feinen in un⸗ 
zufammenhängenden Broden gegebenen Vortrag in ein zufammen- 
hängendes Ganzes umzuformen und fo fehneller dem Ziele zuzuetlen. 

Eine trübe, rubelofe Jugend, die ih an fehr verfchiedenen 
Drten, bald auf ermüdenden Wanderungen, bald unter Schaven, 
bald auf ftürmifhen Meerfahrten durdlebte, gaben mir faum auf 
Augenblide Gelegenheit, mih mit einiger Muße in meinen fo 
häufig wecjelnden Umgebungen umzujehen. Das weibliche Ge- 
ſchlecht lernte Ich gar nicht kennen oder doch nur etwa fo, wie eine 





“ ” — 291 — 
wohlgefällige Erſcheinung, die uns entgegentritt und ſchnell wieder 
verſchwindet. Erſt als Zufall oder Beſtimmung mich in dieſe 
Stadt führten, trat mir die Frauenwelt etwas näher. Ich hatte 
das ſeltene Glück, gleich in den erſten Tagen meines Hierſeins das 
reizende Mädchen zu erblicken, in dem ich bald darauf die Tochter 
dieſes Mannes kennen lernen ſollte. Ich liebte Chriſtine damals, 
wie ich fie jetzt noch liebe; ich betete fie an, wie cine Heilige, denn 
ih fühlte mich in Ihrem bloßen Anſchauen beſeligt. Aller Drud, 
. alle Noth, alle Qual meines vergangenen Lebens vergaß ich bet 
dem Gedanken an Chriſtine! War es da ein Wunder, daß ich 
ihr möglihft oft zu begegnen fuchte, deshalb mein Sinnen und 
Trachten darauf -gerichtet war, fie genauer kennen zu lernen, fie 
zu fprechen, meine Gefühle der Angebeteten zu offenbaren, fie end⸗ 
lid, wo möglih, ganz und dauernd zu befißen? — Ich entdedte 
mich dem mir befreundeten Steuermanne Andreas, deſſen Charak- 
terfeftigfeit und redlihe Gefinnung mir fein Geheimniß mehr wa 
ven. Andreas beneidete mich faſt um die gemachte Entdeckung, 
verſprach mich zu unterflügen und ſuchte, da er in der von mir 
Geliebten eine Gefptelin erfannte, die Aeltern Chriftinens für mein 
Anliegen günftig zu fiimmen. | 

Es iſt ja möglich, dag ih, mit den Sitten und Gewohnhei⸗ 
ten dieſer Stadt nicht vertraut, die Grenzen nicht fireng genug 
einbielt, welde von mir verlangt wurden. Mein Herz ſchwoll vor 
Sehnfuht, mein jugendlihes Blut fürmte, und ich war elend, 
wenn ich Ghriftinens Anblick entbehren mußte. Entſchuldigt dies 
einen letdenfchaftlich Liebenden, fo bin ich entfhuldigt. Ich fparte 
weder Zeit, noh Mühe, um der Geliebten zu begegnen; ich ging 
ihr nad, ih lauerte ihr gewilfermagen auf, nur um ihre liebe 
Geſtalt elaftifh an mir vorübergleiten zu laffen. Diefe auffallende 
und vielleicht plumpe Zudringlichleit mag das arme Kind geäng- 
fitgt haben. Gewiß warb fie die erſte DVeranlaflung zu dem Ent- 
fhluffe der Aeltern, ihre Tochter dem Schutze, der Auffiht fremder 
Augen zu übergeben. — 

Durch Andreas erhielt ich bie nieberfchlagende Nachricht, Chri⸗ 

19° 





—— 290 — 


in fhwärmerifher Gluth, und indem er feine für einen Matrofen 
Meine und ſchlanke ‚Hand aufs Herz legte, verfegte er mit unge⸗ 
heuchelter Wärme: 

Wahr, Sennor, heiß und ewig! Immer würde ih gern 
mein Leben für das Mädchen gelaflen haben, dem td ein treuer 
Mächter, kein auf Böſes finnender Verfolger war! 

Erzählen Ste, was Ste wiſſen, ermahnte nochmals Heiden⸗ 
fret, dem die innige Natürlichkeit des jungen Matrofen geftel. Er— 
zählen Ste Alles, was Sie erlebt haben. 

Mas ich erlebt habe? Das tft wenig und bod wieder auc 
ſehr, ſehr viel, nur würde es die Herren bier nicht intereſſiren. 

Uns intereffirt Ihr ganzes Leben, warf Treufreund ein. Sie 
nennen ein Land Ihre Heimath, mit dem wir in nächſter Ver⸗ 
bindung ftehen, wo viele treue Freunde von ung leben. Mexiko — 

Ih bin nicht in Mexiko geboren, fiel Miguel dem alten 
Buchhalter in's Wort, indem eine Tupferfarbene Röthe fein bräun- 
liches Geſicht überflammte. Mein Vaterland iſt Brafilten, obwohl 
ih e8 weniger kenne, als Mexiko und bie Länder am mexikaniſchen 
Golf, wo ich meine Jugend verlebte. Aber wozu fage ih Ihnen 
dies, unterbrach er fi ſelbſt, ih will ja nicht von mir, fondern 
von denen fprehen, welde diefem braven Manne hier’ fein Kind 
fo freventlich raubten. 

Der Quartiersmann drückte dem jungen Matroſen, den er 
jetzt ganz in fein Herz geſchloſſen und ‚dem er ja bitteres Unrecht 
im Stillen abzubitten hatte, dantend die Hand und Miguel begann 
folgende Gefhichte zu erzählen. Wir ziehen es vor, feinen in un— 
zufammenhängenden Broden gegebenen Vortrag in ein zufammen- 
hängendes Ganzes umzuformen und fo fehneller dem Ziele zuzueilen. 

Eine trübe, rubelofe Jugend, die ih an ſehr verſchiedenen 
Orten, bald auf ermüdenden Wanderungen, bald unter Sclaven, 
bald auf ftürmifhen Meerfahrten durchlebte, gaben mir faum auf 
Augenblide Gelegenheit, mich mit einiger Muße in meinen fo 
häufig wechfelnden Umgebungen umzuſehen. Das weibliche Ge- 
ſchlecht Lernte th gar nicht Tonnen oder doch nur etwa fo, wie eine 





“ “ — 291 — 
wohlgefällige Erſcheinung, die uns entgegentritt und ſchnell wieder 
verſchwindet. Erſt als Zufall oder Beſtimmung mich in dieſe 
Stadt führten, trat mir die Frauenwelt etwas näher. Ich hatte 
das ſeltene Glück, gleich in den erſten Tagen meines Hierſeins das 
reizende Mädchen zu erblicken, in dem ich bald darauf die Tochter 
dieſes Mannes kennen lernen ſollte. Ich liebte Chriſtine damals, 
wie ich ſie jetzt noch liebe; ich betete ſie an, wie eine Heilige, denn 
ich fühlte mich in ihrem bloßen Anſchauen beſeligt. Aller Druck, 
. ale Noth, alle Qual meines vergangenen Lebens vergaß ich bei 
dem Gedanken an Ghriftine! War es da ein Wunder, daß ich 
ihr möglichſt oft zu begegnen ſuchte, deshalb mein Sinnen und 
Trachten darauf -gerichtet war, fie genauer kennen zu lernen, fie 
zu fprechen, meine Gefühle der Angebeteten zu offenbaren, fie end- 
Ih, wo möglih, ganz und dauernd zu befipen? — Ich entdedte 
mid dem mir befreundeten Steuermanne Andreas, befien Charaf- 
terfeftigfeit und reblihe Gefinnung mir fein Geheimnig mehr wa- 
ven. Andreas beneidete mich faſt um bie gemachte Entdedung, 
verſprach mich zu unterſtützen und fuchte, da er in der von mir 
Geliebten eine Gefptelin erfannte, die Aeltern Chriftinens für mein 
Anliegen günftig zu fiimmen. | 

&s- tft ja möglich, dag ich, mit den Sitten und Gewohnhet- 
ten dieſer Stadt nicht vertraut, die Grenzen nicht fireng genug 
einhielt, weldhe von mir verlangt wurden. Mein Herz ſchwoll vor 
Sehnfuht, mein jugendliches Blut fürmte, und ih war elend, 
wenn ich Ghriftinens Anblick entbehren mußte. Entſchuldigt Dies 
- einen letdenfchaftli Liebenden, fo bin ich entſchuldigt. Ich Tparte 
weder Zeit, noh Mühe, um der Geltebten zu begegnen; ich ging 
ihr nach, ich Tauerte ihr gewiffermaßen auf, nur um ihre Liebe 
Geftalt elaftifh an mir vorübergleiten zu laſſen. Diefe auffallende 
und vielleicht plumpe Zudringlichleit mag das arme Kind geäng- 
fiigt haben. Gewiß warb fie die erſte Veranlaffung zu dem Ent- 
fhluffe der Aeltern, ihre Tochter dem Schutze, der Auffiht fremder 
Augen zu übergeben. — 

Durch Andreas erhtelt ich die niederſchlagende Nachricht, Chri⸗ 

19* 





— 2929 — — W 


ſtine habe die Wohnung der Aeltern verlaſſen und ſei wahrſchein 
lich bet entfernten Verwandten auf einer der Elbinſeln untergebracht 
worden. Ich eilte fofort nach den bezeichneten Inſeln, brachte 
aber jehr bald in Erfahrung, daß ich auf falſcher Fährte fpürte. 
Bet meiner Rüdfunft überrafchte, erfreute und erfchredte mich An 
bread mit der inzwifhen von ihm gemachten Entdefung von Chri- 
ftineng wirflihem Aufenthalte. Wir gingen ernftlih und - lange 
mit und zu Rathe, was wir tbun follten; denn von der Gefahr, 
welche der Arglofen gerade in dieſem Haufe drohen müfle, waren 
wir beide überzeugt. Dennod hielten wir es für klüger, zu ſchwei— 
gen, ba es mehr als wahrfheinfih war, daß die offene Darlegung 
des Sachverhaltes damals für ſchändliche Verläumdung unferer- 
fettS gehalten worden fein würde. Das aber Hätte uns in die miß- 
lichſte Stellung bringen, unfere ganze Thätigfeit lähmen und Chri- 
ftine weit bebentliher gefährden müſſen. Deshalb beichlofien wir, 
die Geltebte heimlich, aber unabläffig zu bewacen ‚und vor Allem 
Me Anftalten des Mannes genau zu beobachten, ber ſchon mehr 
als einem Mädchen das Herz gebrochen, ihr Lebensglüd zerftört hat. 

Nennen Sie den Namen dieſes Mannes, unterbrach Hier 
Heldenfrei den ruhig Sprechenden, nennen Ste ihn ohne Furcht, 
wenn Ste erforderlihen Balls auch beſchwören können, daß Ste 
nur die Wahrheit fagen. 

Jener Mann, den Chriftine mehr zu fürchten, mehr zu flie⸗ 
ben hatte, als jedes andere dem Menfchen beichtevene Unglüd, 
heißt Don Alonfo Gomez. 

Wirklich Don Gomez? fiel Eduard ein. 

Ich vede nur die Wahrheit, fuhr Miguel fort, und id 
werde. eines Tages wie ich hoffe, den Beweis führen, dag ich nur 
Wahres gefprochen habe. Jetzt bin ich leider noch nicht im Stande, 
dies thun zu können. Sie müflen mir glauben. Können ober 
wollen Ste dies nicht, fo iſt al mein Mühen umſonſt. 

Erzählen Ste weiter, ſprach der Rheder, der mit größter 
Spannung den ferneren Erzählungen des ihm immer Intereflan- 
ter und bedeutender werdenden Matrofen zubörte, 











ee 


— 293 — 


Don Alonfo Gomez, fuhr Miguel fort, Hatte faſt gleichzeitig 
mit mir Die Tiebreizende Tochter dieſes Mannes von Angeficht. zu 
Angefiht Tennen gelernt. Er entbrannte zu ihr in leidenſchaftli— 
her Liebe, wenn Liebe nichts Anderes ift, ald der Wunfch nach 
Befriedigung lebhaft begehrter Genüffe Als ich dieſe Entdeckung 
machte, bangte mir für Chriftine, deren Unerfahrenheit den feinen, 
einjchmeichelnden Künften des reichen Mexikaners mit feinen vielen 
beftehenden Eigenſchaften Leicht unterliegen Eonıte. Mein Freund 
Andreas, dem ih mich rückhaltlos anvertraute und hinreichende 
Mitthetlungen über die Vergangenheit und den wahren Character 
des Mexikaners machte, theilte meine Beforgniffe und ficherte mir 
uneigennüßig feine Unterflügung zu. 

Ohne uns perfänlich irgend Jemand aufzudrängen, beobadhtes 
ten und überwachten wir die Schritte dieſes gefährlihden Mannes, 
und feines Vertrauten, des liſtigen und babei gewifjenlofen Mafter 
Papageno. Es würde mir leicht fein, eine Lifte über bie tägli- 
hen Zerftreuungen vorzulegen, denen ‘Don Gomez fi überließ. Sie 
verfolgten mehr oder weniger nur das eine Ziel: Mannigfaltigfeit 
des Genuffes und Anreizung zu neuem Amüfement. Chriſtine 
ward nebenbei nicht aus den Augen verloren, um aber fiher zu 
gehen, erlaubte fih der berechnende Mexikaner, die Aufmerkſamkeit 
Aller anderswohln zu leiten. Nähere Andeutungen in biefer Be— 
ztehung zu geben, dürfte überflüflig fein. 

Unferm fortwährenden Spüren fonnte es nicht entgehen, daß 
Mafter Papageno wiederholt geheime Befprehungen mit einigen 


Fremden hatte, deren Charakter uns verborgen blieb. Auch machte 


er Ausflüge von mehreren Tagen, desen Ziel wir ebenfalls nicht 
ermitteln konnten. Andreas erfuhr die Vorbereitungen zu hiefem 
glänzenden Familienfeſte In diefem Haufe, felbit die Namen der 
bei den Borftellungen Mitwirkenden vermochte er zu ermitteln. 
Mir fiel es fogleih auf, daß Chriſtine unter dieſen jo auffallend 
bevorzugt warb und ich ſchöpfte Verdacht. Beſtärkt wurde ich darin 
durch einen Meinen Nahen, der mehrmals fpat Abends langſam 
die Kanäle befuhr, immer aber . wenige Käufer oberhalb des der 


. 


— 294 — 


Familie Hetdenfrei zugehörenden wieder umkehrte. Den Führer 
dieſes Nachens kannte ich nicht, ich bemerkte aber fehr deutlich, 
bag er die Tiefe des Kanals an den feichteften Stellen erproben 
wollte. Ä 

Wozu, fragte ich mich, follen diefe nähtlihen Fahrten dienen? 
Mas bedeutet das Erforfhen der Waffertiefe? Ich ging weiter 
und ſah in ber Fluth- und Ebbetabele nad. Da fand ih, daß 
in der Nacht des zum Zelte beftimmten Tages bald nad Mitter- 
nacht Halbebbe, um drei ein halb Uhr aber das Wafler völlig ab⸗ 
gelaufen war. Bet Windftille oder öſtlich wehendem Winde mußte 
dann der Boden des Kanaled ſchon vor drei Uhr troden Iiegen, 
wehte ed aus Welt oder gar aus Norbweit, fo konnte in biefem 
Falle der Kanal von einer leichten Jolle allerdings noch zu be= 
fahren fein. 

Andreas war feſt überzeugt, daß Don Gomez eine Entfüh- 
rung Chriſtinens beabfihtige. Sein Vorfhlag ging nun dahin, 
biefen Streih durd eine gelegte Falle zu vereiteln. Unſere Abe 
fiht war, die Entführung wirklich gefhehen zu laſſen, dann aber 
bie zitternde Chriftine zu befreien, die Räuber zu binden und im 
Triumph mit unferer fchönen. Beute mitten in das Haus der 
Freunde zurüdzuführen. Gelang diefer Anfchlag, woran wir gar 
nicht zweifelten, fo mußte durch die ergriffenen Entführer ber ei- 
gentlihe Anftifter der ſchlimmen That fi Leicht ermitteln Lafien, 
und war dies erreicht, dann ftand Don Gomez entlarst ba und 
ich konnte gegen ihn auftreten und Genugthuung von ihm fordern. 
Ich erreihte Damit ein doppeltes Ziel: Ih nahm Rache an mei- 
nem Feinde und eroberte mir, wenn nicht den fofortigen Befig 
der Geliebten, doch jedenfalls das Recht, um Chriftinens Liebe 
werben zu bürfen, was ihre Eltern ſchon deshalb zugegeben haben 
würden, weil die Papiere, In deren Wiederbeſitz ich durch Die Ent- 
larvung des Mexikaners zu kommen hoffte, aus dem armen DMa- 
teofen Miguel einen begüterten Mann, Namens Don Pueblo y 
Miguel Saldanha werden Iteßen. 

Don Pueblo y Miguel Saldanha? riefen wie aus einem 


— 295 — 


Munde der Rheder und feine Söhne in höchſtem Erſtaunen aus, 
über diefe völlig unerwartete Entdeckung ganz außer Faſſung ge= 
bradt. Miguel konnte fi eines leichten, wohlgefälligen Lächelns 
nicht enthalten. 

Ich führte, wie ich glaube, fuhr er ruhig fort, felt vier Jah⸗ 
ren diefen Namen mit vollem Recht, als es aber diefem Don Go- 
mez, meinem ärgflen Feinde, der mih haßte, noch ehe ich ihn 
Fannte, gelungen war, mich zu berauben ober berauben zu laflen, 
um durch mein Eigentbum das feinige noch zu mehren und mid 
in das Elend mittellofer Armuth zu floßen, weil er eine gewifle 
Scheu vor dem Blutvergießen hat, konnte mir ein fo Mangvoller 
Name nichts mehr nützen. Ih gab ihn auf, befiere Zeiten erwar- 
tend und den Räuber meines Eigenthbums als lebendige Nemefis 
verfolgend. Ohne den Wunfh nad Rache, nach Wiedervergeltung 
würde ich meinen Freund Andreas nie gefunden, würde ich biefe 
Stadt nie betreten, das Himmelsauge Ghriftinens nie erblidt 
haben. 

Heidenfrei erhob ih. Er war fo erregt, daß er den jungen 
Mann bat, eine Pauſe zu machen. Nicht weniger ergriff die Nen— 
"nung dieſes Namens Eduard und Ferdinand. XTreufreund blieb 
äußerlich am rubigften. Gr betaftete fi, bisweilen den Scheitel, 
als beforge er, es fet nicht Alles mehr am rechten Plake und jah 
dann unverwandt ben jungen Fremdling an, der ihm mit jeder 
Minute merkwürdiger ward, | 

Endigen Ste jetzt, wenn id. bitten darf, fprad der Rheder, 
als er den Eindruck vollftändig bewältiget hatte, und nahm feinen 
vorigen Pla wieder ein. Haben Ste die Wahrheit gejagt, dann 
bleibt auch zwifchen uns noch viel Wichtiges, ja wohl das Wid- 
tigfte, das es überhaupt geben Tann, zu erledigen. Es wäre fu- 
perbe! 

Jetzt war das Erftaunen auf Miguels Seite. Die Worte 
bes Rheders klangen ihm fo räthjelhaft, daß er fie gar nicht zu 
deuten wußte; denn was konnte er, der Fremde, einer andern 
Hemiſphäre Ungehörende, Wichtiges mit dem ihm gänzlich unbe⸗ 





— 196 — 


fannten, reichen Rheder der großen deutſchen Handelsſtadt zu be= 
fprechen, zu erledigen haben? Der nochmaligen Aufforderung Hei⸗ 
denfrei's folgend, begann Miguel auf's Neue: 

Gegen zehn Uhr an jenem verhängnißvollen Novemberabende 
bemerkte ih eine Jolle, von zwei Mann geführt, in den Kanal 
gleiten. Ruberihläge hörte ih nicht, denn der einzige Ruderer, 
welcher die Jolle vorwärts trieb, hatte die Riemen ummidelt. Dies 
fteigerte meinen Verdacht zur Gewißheit. Ich fehte fogleih An— 
breas von dem Geſchehenen in Kenntnis, der als Wachthaltender 
unter den neugierigen Gaffern auf der Straße der Ankunft der 
zum Feſt Geladenen zuſah. Andreas hatte Don Gomez zugleich 
mit Maſter Papageno eintreten fehen. Erit wenige Minuten vor 
meiner Ankunft hatte der Mulatte das Haus wieder verlaffen, in 
einen weiten Regenmantel gehüllt, den er irgend einem Andern 
entlichen haben mußte, denn er trug nie zuvor einen ähnlichen. 

Wir waren von jept an überzeugt, daß irgend ein Schelmen- 
reich ausgeführt werden follte und zwar von der Waflerfelte aus. 
Diefer Anſchlag zeugte von Klugheit und ließ fih nur dann verhin- 
dern, wenn bereit Andere davon Kunde erhalten hatten, Wäh— 
rend Andreas feinen Wachtpoften vor dem Haufe behielt, eilte id 
an den Hafen. In einem mir bekannten Keller, wo viele See— 
feute verkehrten, wartete meiner der Malaie Macs FJong-Kin, ein 
fhlauer, gewandter, ungewöhnlich fräftiger Burjche, der vor meh— 
reren Wochen Händel mit dem Mulatten gehabt hatte und ihm deshalb 
nicht wohl wollte. Diefer follte uns behilflich fein, wenn die Zeit 
gefommen fein würde, den frechen Räubern ihre Beute abzujagen. 
Nachdem auch diefer genügend inftruitt war, begab ich mich aber- 
mals zu Andreas und ging mit diefem an die Mündung des Ka- 
nals, wo wir den Malaien bereits unferer harrend fanden. Gin 
ftarfes, feites Boot fhaufelte auf dem dunkeln Gewäller, das vor 
‚ dem heftigften Weftwinde aufrollend, ſchäumte und brauffte Im 
Schutze einer Brüde legten wir uns auf bie Lauer, feit entſchloſſen, 
. unfern Feind ruhig vorüberfahren zu laſſen. 

Es kam Alles, wie wir vermuthet hatten. In unferm 








— 297 — 


Boote liegend erkannte ich den Mulatten, der Chriſtine hielt und 
ihr eine dichte Kapuze über den Kopf geſtülpt hatte. Die Arme 
wimmerte flehentlich. Das Steuer führte ein wüſter Amerikaner, 
derſelbe Mann, der Don Gomez bei ſeinem gegen mich verübten 
Schurkenſtreiche hilfreiche Hand geleiſtet. Ein Matroſe von der 

Brigg Greatſtring's, die zwei oder drei Tage früher elbabwärts 
geſegelt war, ruderte. 

Unſer Anſchlag wäre ohne Frage geglückt ohne die Unvor⸗ 
fichtigkeit des Malaien. Als wir nämlich noch Innerhalb des Bin⸗ 
nenhafens an die Jolle heranfahren, ſie feſthalten, ich Chriſtine bei 
Namen nenne und ihr Muth zurufe, ſpringt der Malaie aus un 
ferm Nahen in die Folle, ſtürzt fih auf Mafter Papageno und 
will diefen niederwürgen. Das Unglück will, daß er auegleitet, 
in die Wellen ftürzt und auf der Stelle unter die vielen daſelbſt lie⸗ 
. genden Schuten getrieben wird. Bet Ausgang bes Winters ward 
ein unfenntlich gewordener Leichnam auf Krautfand ausgeworfen 
— es wird dies wahrfiheinlich der Körper des unglüdliden Ma⸗ 
laien gewejen fein. 

Diefer böſe Unfall änderte fofort unfere Situation und 
. brachte uns in Nachtheil. Wir wurden überwältigt, eht wir recht 
zur Belinnung Tamen. Andreas, das geraubte Mädchen und Pa- 
pageno landeten an einer Spelunfe, wo einige Helfershelfer bereit 
ftanden, fie weiter fortzufchaffen. Ich felbit blieb in den Händen 
des Amerikaners und feines Untergebenen. Es war ihm ein Leich— 
tes, in feiner eigenen Jolle Blantenefe mit mir zu erreichen. Dort 
vertaufchten wir den Nahen mit einem größeren Küftenfahrer, leg: 
ten bei Glüdftadt an und pilgerten jeßt zu Fuße durch die Marſch 
weiter. Noch einmal winkte mir das Glück. Die erweichten Marfch- 
wege erjchwerten das Gehen. Ich wollte entfliehen — es entfpann 
fich zwiſchen Greatfiring und mir ein verzweifelter Kampf. Unfer 
Geihrei, dag wir theils aus Wuth, theils auch aus Angft halb 
unbewußt ausſtießen, rief einige Marfchbauern herbei. - Diefe, bie 
mid; eben fo wenig veritanden, wie ich fie, glaubten dem Ameri⸗ 
taner, Halfen mich binden und brachten mid an Bord der ameri⸗ 





— 298 —— 


kaniſchen Brigg. Zum Glück rannte das Fahrzeug fpäter bet Hel- 
goland auf; ich betrat die Felfeninfel und entfloh, nachdem ich die 
Wachſamkeit Greatfiring’s durch erheuchelte Harmlofigfeit einge- 
ihläfert Hatte, mit helgolander Lootſen glüdlih den Händen dieſes 
gewiflenlofen Mannes, Was fpäter gefihchen tft, wiſſen Sie. 

Es trat jet eine längere Paufe ein, in welcher der Rheber 
tafh im Zimmer auf» und abging. Dann Öffnete er einen Se— 
eretair und, entnahm biefem einen Brief, welden er vor fih auf 
den Tifh legte. Jacob hatte bisher, fchweigend zugehört. Die 
Angft des Vaters um fein Kind entlodte ihm jebt die Frage: 

Bon meinem Kinde wiflen Ste wohl nichts, Kleber Herr? 

Diefelbe Frage ſchwebte mir auf den Lippen, fiel Etuard ein. 

Was wir bisher von Ihnen hörten, läßt uns erwarten, daß Ste 
fid fireng an die Wahrheit gehalten haben, wir find aber wenig 
gebeflert, Fönnen wir dieſem Manne, ber durch und für uns ge= 
fitten hat, nicht fein Kind fret und rein in die Arme legen. 
3ch Hoffe, Ste auch in dieſer Beziehung zufrieden ftellen zu 
fönnen, erwiderte Miguel, Zwar weiß ich nicht, wo Ghriftine ver- 
borgen gehalten wird, ich habe jedoch Grund anzunehmen, daß es 
ihr wohl ergeht, daß fie nur der Freiheit entbehrt und daß fie alle 
Anträge des Mexikaners mit Verachtung abgewieſen hat. Es würde 
dies viel ſchwieriger geweſen fein, hätte fie ganz allein dageſtanden. 
Der mit ihr fortgefchleppte Andreas aber war Flug genug, bas 
unglüdlihe Mädchen nicht zu verlaflen, und fo feheiterte jeder fer⸗ 
nere DBerfud, die Entführte Don Gomez zu überantworten. 

Wenn fie diefe Einzelnheiten in Erfahrung brachten, wie kam 
e6, daß Ihnen der eigentlihe DVerftel des armen Mädchens ver- 
borgen blieb ? fragte Ferdinand mit einiger Verwunderung. 

Greatſtring, in deſſen Geſellſchaft ich ſo lange gezwungen 
weilen mußte, verſetzte Miguel, ward bisweilen von Grillen geplagt, 
die er am liebſten durch ſtarke Getränke vertrieb. Hatte er eine 
gewiſſe Quantität derſelben zu ſich genommen, ſo ward er mit⸗ 
theilſam oder er verfiel in die für einen Menſchen, der Geheim⸗ 
niſſe in ſeiner Bruſt verſchließt, gefährliche Gewohnheit, laut mit 


— 299 — 


ſich ſelbſt zu ſprechen. Theils aus dieſen lauten Plaudereten des 
Amerikaners, den ich in ſolchen ſchwachen Stunden belauſchte, theils 
aus brockenweiſen directen Mittheilungen erfuhr ich, was ich bereits 
angebeutet habe. So weit jeboh, daß er den Ort des Verſtecks 
ausgeplaubert Hätte, vergaß er fi merkwürdigerweiſe nie. Diefen 
indeß zu ermitteln, dürfte nicht ſchwer fallen. — 

Wie! Ste glauben? unterbrach Hetdenfrei den jungen Mann. 

Ich gelobe Ihnen den dritten Theil meines mühſam Erſpar⸗ 
ten, fagte Jacob, wenn Ste mir Chriſtine, meine liebe Herzens⸗ 
tochter, wieder zuführen. ” 

Ich werde Ste an Ihre Dankbarkeit erinnern, verfebte Mi- 
guel, für eine Handlung der Gerechtigkeit und Humanität aber 
laſſe ih mid niemals bezahlen. 

Was gedenken Ste zu thun? fragte der Rheder. 

Don Gomez verkehrte einige Male mit einem jüdiſchen Han 
delsmanne, ſprach Miguel, dem er manderlei alte Sachen, unter 
Andern auch feine koſtbaren, veih mit Silberſtickerei verzierten 
Kleider verkauft Hat. Diefer Mann tft von Natur weder gut 
noch ſchlecht, aber er macht gern, wie viele andere Menfchen mehr, 
einträglihe Geſchäfte. Die Natur folder Gefhäfte, mit denen man 
ihn beehrt, Tümmert den praftifhen Mann nicht, wenn er fi 
ſelbſt nur einigermaßen den Rüden frei halten Tann, die Haupt 
ſache für ihn iſt immer bie, ob das Geſchäft viel oder wenig ab- 
wirft. Der nämlide Dann fteht auch in fofern mit Greatiiting 
in Verbindung, als er diefem, wie hundert Andern Geld vorſchießt, 
oder verfhafft, oder ihnen Waaren zu doppelten Preiſen aufdringt. 
Mer ihn gut bezahlt, dem dient ber gefällige Mann. Ich ſelbſt 
tenne ihn oberflählih. Sein Name tft Mofes. 

Superbe! ſprach hocherfreut Hetbenfrei, Dies tft in der That 
ber richtigfte Wegwelfer zu Chriſtinens Verſteck. Es bleibt nichts 
übrig als Mofes zu rufen, durch Gelb zu gewinnen und ihn da⸗ 
hin zu bringen, daß er auf geſchickte Weiſe von Don Gomez oder 
beffen vertrautem Diener zu erfahren fucht, wo das arme Mädchen 
gefangen gehalten wird. 


ES 


— 300 — " 

Die Brüder ftimmten diefer Abficht bei und ſprachen vereint 
mit dem Vater Miguel ihren, Dank für die wichtigen Entdeckun— 
gen aus, bie er ihnen gemacht hatte. Jacob fehlte es an Worten. 
Er war zu heftig erfehlittert, um viel fprechen zu können. Dafür 
brüdte er dem jungen Manne, den er fo lange für feines Haufes 
gefährlichftien Feind gehalten hatte, wieder und immer wicder die 
Hand und ſchlang fogar fhmeihelnd ein paar Mal feinen Arm 
um Miguel, als wolle er ihn recht warm und innig fi an’s 
Herz legen. 

Treufreund allein war bisher faſt bewegungslos geblieben. 
Er ſah unverwandt den Sprehenden an, deſſen Stimme in fei- 
nem. Herzen wunderbare Ahnungen wach rief, und je länger er bie 
befeelten Züge des jungen Mannes betrachtete, deſto feltiamere 
Gedanken fliegen in ihm auf. 

Aus diefen träumertfhen Grübeleten wedte ihn bie frage 
Heidenfrei's, der inzwiſchen leiſe mit feinen Söhnen geſprochen 
hatte: . " 

Was tft Ihre Anfiht Lieber Treufreund? Wenden wir uns 
direct an den jüdischen Händler, oder wäre es vorzuziehen, Dies 


durch eine Mittelöperfon zu thun? 


Veberlaffen Sie mir dies Gefhäft, fiel der ehemalige Bud 
halter lebhaft ein. Mit diefen Leuten verftehe ih von früher her 
fehr gut umzugehen. Mid kennt der Mann nicht, faßt alſo auch 
fehmerlih Verdacht, und überdies glaube th, bringe ich ben geld— 
liebenden Händfer für nahe um den halben Preis der Summe, 
welche das Haus. Peter Thomas Heidenfrei zahlen müßte, eben 
fo gern zum Spreden. 

Superbe! So fet es, bekräftigte Heidenfret. Zögern Ste 
aber nicht, lieber Treufreund! Ste wiffen, Zeit tft Geld, manch⸗ 
mal auch noch viel mehr. Mich dünkt, Sie thäten am Bellen, 
wenn Sie nod heute Abend dem Sfraeltten einen freundfchafte 
lihen Beſuch abftatteten. 

Ich made mich fogleih auf den Weg, fagte der dienſtwillige, 
alternde Herr, weil ich aber bei Abend fchlecht zu Fuße bin, be= 











— 301 — 


fonders in. ber eigentlichen Dämmerung, Fönnte mid Jacob viel- 
leicht-eine Strede begleiten. 

Nicht mehr ale gern, fagte diefer eben fo bereitwillig. Vor⸗ 
läufig find wir ja wohl am Ende, und wenn Herr Heidenfrei — 

Geh’ nur, geh’, Jacob, unterbrach ihn der Prinzipal, Deine 
Angelegenheit ift jeßt in guten Händen, und wer weiß, ob aus 
der ſchweren Trübfal, die unvermuthet über dih Fam, nicht eben 
fo unvermuthet eine noch ungleich größere Freude erblüßt. Die 
Wege des Herrn find oft wunderbar! 

Einige Minuten fpäter ftand der Rheder mi feinen Sätnen 
dem Matrofen Miguel allein gegenüber. | 


Eilftes- Rapitel, | 





Miguels Jugendſchickſale. 


Wir ſind Ihnen zu Dank verpflichtet, junger Freund, redete 
Heidenfrei den Matroſen jetzt wieder an, und Sie dürfen verfichert 
ſein, daß wir es nicht blos bei leeren Worten werden bewenden 
laſſen. Eine genauere gegenſeitige Bekanntſchaft kann nur dazu 
dienen, uns feſter zu verbinden. Sie äußerten im Verlauf Ihrer 
Erzählung, daß Don Gomez Ihr perſönlicher Feind ſei, daß Ih— 
nen das Recht zuſtehe, einen andern Namen zu führen. Halten 
Sie es nicht für ungebührende Zudringlichkeit, wenn ich und 
meine Söhne die Bitte an Sie richten, uns Näheres über Ihre 
Vergangenheit, über Ihr Verhältniß zu Don Gomez mitzutheilen. 
Vor Allem veranlaßt uns zu dieſer Bitte der Name, den Sie 
führen, er gibt uns ſogar ein Recht dazu; denn dieſer Name iſt 
ſchon geraume Zeit der Gegenſtand angeſtrengter, leider aber bis 
jetzt erfolglos gebliebener Nachforſchungen geweſen. Jedenfalls 
find Sie diejenige Perſon, welche am ſicherſten Nachweiſe geben, 
vielleicht uns ganz neue Ausfichten eröffnen kann. 


— 302 — 


Miguel Hatte bdiefer Anrede mit fleigender Aufmerkſamkeit 
zugehört. Es überrafchte Ihn, daß fo fern von feiner Helmath 
ein brfanntes Handlungshaus jeinen Namen kannte, indeß war 
ja fein ganzes Leben ein folder Knäuel feltiamer Ereigniffe, Schid- 


fale und Abenteuer, daß er es nit lange wunderbar fand. Nur 


griff er ungern zurüd in das wüſte Chaos der Vergangenheit, 
weil diefe ihm felbft unheimlih vorfam, ‚und der Gedanke, daß 
er dazu genöthigt. werde, trieb ihm das Blut in's Gefiht und 
machte ihn faſt ſchamroth. 

Ich werde die Herren längere Zeit um Gehör bitten müſſen, 


verſetzte Miguel, wenn ich fie, ſoweit ich dies überhaupt vermag, 


in den Wirrniffen meiner Vergangenheit umberführen fol. 

Gerade diefe Wirrniffe wünfhen wir Tennen zu lernen, ſprach 
Ferdinand. | | 

Darum zögern Ste nicht, fiel Eduard ein. Sie haben 
ein dantbares, aufmerkſames Aubitortum vor fih, und find wir 
erit eingeweiht in Ihre Lebensichidfale, dann iſt e8 uns vielleicht 
vergönnt, diejenigen Partieen, die Ihnen ſtets dunkel geblieben 
find, durch unfere Mittheilungen zu erhellen. 

So aufgefordert und ermahnt fland Miguel nicht an, feine 
Zugendgefcichte dem Rheder und deſſen Söhnen, In fo welt er 
fie ſelbſt kannte und feine Erinnerung ihm treu geblieben war, 
zu erzählen. 

Das Land und ben Ort meiner Geburt habe ich eben fo 
wenig gefannt, als meine Xeltern, fprad er. Ich bin früh, als 
Kind von wenigen Wohen jhon zur Walfe geworden. Wer mid 
gepflegt, mic aufgezogen hat, weiß ich nicht. Nur wie im Traum 
ſchwebt mir eine endlos Tange Reife vor, die ih in Begleitung 
eines Mannes machte, in welchem ich fpäter meinen Oheim ken— 
nen lernte Ih muß damals ein Kind von höchſtens drei Jah— 
ren gewefen fein. Bon den Mühen und Strapagen biefer Reife, 
die über Hohe Gebirge, dur endlofe Waldungen, über fonnver- 
brannte Ebenen führte, weiß ich natürlich nichts, wohl aber ha⸗ 
ben fi einzelne Momente, die dem Kinde von befonders hohem 





— 303 — 


Intereſſe gewefen fein müſſen, unaustöfchlih meinem Gedächtniß 
eingeprägt. Darunter - zähle ih den Ritt durch eine in Rauch 
und Flammen gebüllte Savanne, einen Kampf, welden mein 
heim mit zwei bunt bemalten Indianern glüdlih beftand, einen 
Bewitterfturm, der und in offenem Kanos auf einem feeartigen 
Strome überfiel, endlich die Reife auf einem Segelfchiffe über ein. 
weites Meer und die Landung im Hafen einer volfreihen, von 
Menfhen aller Racen bewohnten Stadt. Ich vermuthe, daß jene 
Stadt New-Orleans, das weite Meer der Golf von Meriko ger 
wefen if, und daß ih mit meinem Oheim aus dem Innern 
Brafiltens nach ben Vereinigten Staaten Nordamerika's fon in ' 
jo früher Jugend gekommen bin. 


Kennen Ste den Namen Ihres Oheims? forfchte der Nheder. 


Ih. hörte ihn nie anders, ald Don Ottavio nennen und 
nannte ihn auch felbft fo. Dttavio mußte viel Trübes erlebt ha⸗ 
ben und, was ih aus einzelnen Aeußerungen erft fpäter fchloß, 
in Folge wahrjheinlih eines furchtbaren Ereigniffes, das unſere 
Familie traf und wobei meine Aeltern das Leben verloren haben 
mögen, Rettung ‚in ſchleunigſter Flucht gefuht haben. Mein 
Verhältnig zu Ottavio war übrigens eigenthlimlih genug. Er 
Itebte mich zuweilen leibenfhaftlih und überjchüttete mich dann 
mit Lieblofungen, gab mir die ſüßeſten Schmeichelnamen; mieber 
anders geſtimmt, zeigte er eine unverholene Abneigung gegen 
mich, die fogar momentan in ausgefprocdenen Haß überging. Ob 
er Grund dazu hatte, ob fein Charakter aus fo grellen Wider: 
ſprüchen beftand, konnte ich nicht ermitteln, ich bin aber vollfom- 
men überzeugt, dag er mih nur in einer fo haßerfüllten Stim- 
mung des Augenblids gänzlich verftieß, mich für eine Summe 
Geldes, die ihm damals gerade fehr zu gelegener Zeit angeboten 
warb, einem reihen Pflanzer in Teras, wohin fih mein Oheim 
fhon wenige Monate nach unferer Ankunft in Louifiana mit mir 
gewandt hatte, gewiffermaßen als Sclaven verkaufte. 


In Teras? fagte Eduard. Seltfam, feltfam! 


— 304 — 


Verließ Ste denn Ihr helm für immer und hörten Sie 
nte wieder von ihm? fragte Hetdenfrei den jungen Mann. 

Ohne Abſchied zu nehmen, ging er von mir, fuhr Miguel 
fort. I wußte nicht einmal, daß th meine Freiheit verloren 
hatte, dag ih der Willkür, den Launen eines mir gänzlih Frem— 
den machtlos verfallen war. Wir Iebten ſchon ein paar Jahre 
auf der Pflanzung des Don Romerio Gomez, eines fehr begüter- 
ten Mannes, dem mein Oheim ſich nützlich machte. Gin bis zweis 
mal des Jahres befuchte ihn deſſen Goufin, ein Mertlaner von 
Beburt, der vor früheren Jahren reich gewefen war, ein unge- 
mein verſchwenderiſches Leben geführt und erſt fpät ſich mit einer 
fhönen Dame aus dem Alteften Adel Mexiko's verhetrathet hatte. 
Diefer Ehe war ein einziger Sohn entiprungen, der von beiden 
Eltern Überzärtlich geliebt, aber auch maßlos verzogen ward. Gr 
Iebte mit der Mutter in Mertko, denn aller Liebe der beiden Gat° 
ten ungeachtet, fiheinen fie vereint doch, Fein fehr friedliches Leben 
mit einander geführt zu haben. Diefer Merifaner, den ich immer 
nur Don Gonfalvo Gomez nennen hörte, verjprad feinem Wetter, 
Romerto, das kleine Beſitzthum, welches er bewohnte, Bet feinem 
Kode ihm abzutreten, was aud kurz vor meinem Wegzuge aus 
Terga geſchah. Den Sohn diefes Mannes, Alonfo, ſah th nie, 
deſto mehr hörte ich fchon Damals von ihm. Es iſt derfelbe, den 
Sie gegenwärtig als Don Alonfo Gomez fennen, und ber alles 
Glück, das er bis jebt hatte, nur feinem elaftifhen Geifte, feiner 
Kedheit, feinen glänzenden Naturanlagen dankt. 

Wie konnten Ste mit diefom Manne, der ja Teinerlet Snter- 
effe für Sie Hatte, in Feindſchaft gerathen? fragte Heidenfrei. 

Veranlaſſung dazu hat Don Romerto Gomez gegeben. Die- 
fer Dann, dem ich aus meiner Abneigung gegen ihn nie ein Ge- 
heimniß machte, weil ich es thm nicht verzeihen Tonnte, daß er 
mih gekauft hatte, betrachtete mich als fein Eigenthum. Ale 
Sache gehörte ich gewiffermaßen zum Inventar der Pflanzung. 
Nun aber feste ich allen feinen Befehlen eine ſolche Widerſt ands⸗ 
fraft entgegen, daß Don Romerio mehr Aerger, Verdruß und 








 ——n | 


— 305 — 


da 
Schaden ald Nuben von mir hatte. Sch wollte ihn dadurch er⸗ 
zürnen, ihn, zu einer Gewalthandlung veranlaffen, denn das Leben 
war mir zur Laſt und ber Tod damals Tieber als eine Eriftenz 
unter Sclaven. Ottavios Lehren trugen in diefer Beziehung bet 
mir gute Früchte. Gr prägte mir fort und fort ein, der Menſch 
müfle fi von Niemand unwürdig behandeln laſſen, gejchähe es 
dennoch und könne man im Augenblide nichts dagegen thun, fo 
müfle man fpäter Rache dafür nehmen. So habe er gehandelt, 
fet aber freilih durd andere Unglücsfälle in eine mißlihe Lage 
gefommen. Meinem ftarf entwidelten Unabhängigfeitsfinne behag- 
ten diefe Grundfäge, und da ed mir nicht möglich war, Rache zu 
nehmen an dem eigentlihen Urheber meines damaligen Elendes, 
fo ließ id e8 den entgelten, der ohne Frage das Meiſte mit ba- 
zu beigetragen, meinen Oheim zu dem Schritte, den er gethan, 
zu verleiten. 

Sicherlih bin ih dem Manne dadurch Täftig geworben, wes— 
halb er mich auf gute Manier los zu werden fuchte. Gelegen- 
heit dazu fand fih bald. in Schiffsrheder und Plantagenbefiker 
auf Cuba, der dann und wann New-Orleans und einige Küften- 
firiche von Texas beſuchte, Fam zufällig auf bie Pflanzung des Don 
Romerio Gomez. Er ſah mih und ich geflel ihm, vielleicht ge= 
rabe durch men flörrifhes Weſen. Er drang in ben Pflanzer 
mid frei zu geben, er, der Schiffsrheder auf Cuba, wolle einen 
Seemann aus mir mahen. Beide Herren einigten fih, unter 
welhen Bedingungen, das kümmerte mich nidt. Ich war froh, 
einer tyrannifhen Behandlung entriffen zu werben und ſchloß mid 
beshalb mit einer meinem Charakter von Natur nicht eigenen Un⸗ 
terwürfigfeit an meinen Befreier an, ſo daß biefer mich wahrhaft 
Iteb gewann. Er forgte väterlih für meine ganz vernadläffigte 
Erziehung, gab aber den Gedanken, einen Seemann aus mir zu 
bilden, niemals auf. Er felbft liebte das Meer mehr als feine 
Plantage, die er der Beforgung Fremder überließ. Auf feiner 
Brigantine ſchwärmte er, fo oft es fi thun ließ, zwiſchen ben 
Antillen, im mertlanifhen Golf, an den Küften Süd - und Nord- 

D. 8, XL, Willkomm's Rheder und Matroſe. 20 





— 306 — 


amerifa’8 umber, und war er auch fein zuverläffiger Seemann, 
fo nahm er doch jederzeit die Miene eines ſolchen ay und hatte 
das feltene Glück, daß Fein Sturm, feine no fo rafende See 
nachtheilig auf feine Gejundheit wirkte. Wie hätte ich einen fol- 
hen Mann, der wohlwollend von Gefinnung, gebildet, nad grö«= 
ßerer Bildung ftrebend, dabei reich war, an mir hing, mich ſtets 
bevorzugte und auszeichnete, nicht wieder lieben follen? Don 
Pueblo y Miguel Saldanha ward mir Vater, ih ihm Sohn. 
Er bejaß keine Kinder und als er flarb, vom gelben Fieber hin⸗ 
gerafft, ernannte er mich zu feinem Untverfalerben. Schon vier 
Jahre früher hatte er mich geſetzlich aboptirt. 

Diefer Unglüdsfall ereignete fih an der Küfte von Texas, 
nahe bei der Inſel Galvefton. Kurz vor feinem Tode Hatte mir 
mein Wohlthäter die betreffenden Papiere eingehändigt, die mid 
als Erben legitimirien. Etwas früher war auch mein früherer 
Gebieter in Teras, Don Romerio Gomez mit Tode abgegangen. 
Auf der Pflanzung deffelben lebte feit einigen Jahren fein Ver⸗ 
wandter Alonfo Gamez, deſſen Vater ebenfalls verftorben war, vor⸗ 
her aber feinen Sohn zu fi gerufen Hatte. Ob Don Romerio 
diefem Verwandten jeine reihe Pflanzung wirklich vererbte ober 
ob der unternehmende junge Dann nur auf Ummwegen deren Bes 
fig fi aneignete, mag dahin geftellt bleiben. Ich Iernte ihn zu⸗ 
fällig tennen, noh während mein Aboptivvater lebte. Gefprächs- 
weife erfuhr er mein früheres Verhältniß zu feinem Better. Zum 
Unglüd findet der fede Menih unter den Papieren bes verftorbe- 
nen Don Romerio den Kaufbrief, kraft deſſen ich deſſen Eigen- 
thbum geworden war. Dies flachelte den nah Reichthum Tüfternen 
Mann an, feine Anſprüche auf mich geltend zu machen. Meines 
Adoptivvaters Verhältniſſe waren befannt, der ſchlaue Mexikaner 
wußte, daß außer fruhtbarem, großen Länderbefib aud ein be- 
trächtlihes Baarvermögen vorhanden ſei. Ginen Theil deffelben 
führte mein Wohlthäter mit fih und ich erbte es zugleich mit ſei⸗ 
nem übrigen Eigenthum. 

Eines Tages, ich wollte eben bie Anker lichten und nach Cuba, 











— 307 — 


meiner nunmehrigen Heimath unter Segel gehen, erhalte ih ein 
Billet, deflen Inhalt mich veranlaßte, nah New-Orleans zu rei— 
fen. In demfelben zeigte mir nämlih Don Alonfo Gomez an, 
daß er mir eine Mittheilung von größter Wichtigkeit für mic zu 
maden habe. Arglos reifte ich nach New-Orleans, meine Papiere 
und mein Vermögen mit mir nehmend. Ich finde Don Gomez, 
ber außer feinem Mulatten noch einen fhlauen Amerifaner, Ma⸗ 
ſter Greatftring, bei fi hatte. Lachend zeigte er mir den gefun= 
denen Kaufbrief, der von Ottavio unterzeichnet war und mich auf 
Lebenszeit Don Romerio Gomez und deſſen Erben als Gigenthum 
zuſprach. 

Iſt das nicht luſtig, Sennor? ſagte höhniſch lächelnd Don 
Alonſo. Wenn ich Gebrauch davon machen wollte, müßten Sie 
mir als Sclave dienen. Das Recht dazu habe th. Ich denke 
aber, wir vergleihen und. Ste find reich und willen am Ende 
nit, was Sie mit Ihrem großen Vermögen anfangen follen. 
Mir wäre mit einigem Zufhuß gedient, denn mein Fieber Vetter, 
Ihr Herr, hat in den legten Jahren nicht ganz gut gewirthichafe 
‚tet. Willen Ste was? Dies. Stüd Papier hier, das mir Ste 
erb= und eigenthümlich zufpricht,, zerreiße und verbrenne ich, wenn 
Ste mir freiwillig und fogleih das baare Vermögen des veritor- 
benen Pueblo y Miguel Saldanha ausliefern. Ss beträgt, Ih 
weiß ed, nahezu an hunderttaufend Dollars. 


Sp tft es, fagte Faltblüttg Greatitring, der in ächt amert- 
kaniſcher Indolenz eins feiner Iangen Beine über die Stuhllehne 
hängte und feiner Gewohnheit gemäß ein Stüd Holz in Splitter 
zerfihnigelte. 

Und das hier iſt amerikaniſcher Boden, nicht wahr? fagte 
Don Alonſo. 

Iſt ein Fact! bekräftigte Greatſtring. 

Das Geihäft tft einfah, wandte fih Don Alonfo wieder zu 
mir. Ein kurzes Ja Ihrerfeits macht Sie frei. Sprehen Sie 
e8 aus, 

20* 


\\ 


— 308 — 


Ich antwortete nicht, fondern kehrte dem frehen Manne ver- 
ächtlich den Rüden. 

Sie wollen nit? rief mir der Mexikaner nad. 

Niemals! erwiderte ich. 

Dann made ih Gebrauch von diefem Papiere und Ste wer- 
den mir als gehorfamer Diener zu folgen das Vergnügen haben. 
Das Geſetz wird mid, nicht Ste fhüben. Iſt amerikanifcher 
Grund und Boden hier. Kntlaufene Sclaven werden ausge—⸗ 
liefert. 

Iſt ein Fact! betheuerte abermals trocken der Yankee. 

Auch auf dieſe Drohung gab ich keine Antwort. Ich verließ 
den Ort unſerer Zuſammenkunft, ein Kaffeehaus nahe dem Hafen. 
Es war ſpät am Abend, der Himmel bewölkt. Kaum war ich 
einige hundert Schritte gegangen, ſo fühle ich mich von hinten 
umſchlungen. Ich werde zu Boden geworfen — ich erkenne in 
dem Manne, der mir die Hände hielt, Greatſtring, der Mulatte 
entriß mir den größten Theil meines Vermögens und bemächtigte 
ſich meiner Papiere. Darauf riefen mir Beide lachend gute Nacht 
zu und überließen mid meinem Schmerz. 

Ih war anfangs wie vom Donner gerührt, gab mid aber 
doch noch nicht verloren. Noch befaß ih mehrere taufend Dol- 
lars, die Brigantine war ebenfalld mein Eigenthum, allein, ohne 
zuvor in den Beſitz der mir geraubten Papiere gefommen zu fein, 
fonnte ich das rechtmäßig mir zufommende Erbe meines verftor- 
benen Adoptivvaters nicht antreten. Von Don Alonfo wußte ich, 
daß er Iuftig zu leben gedachte. Er hatte Monate in der Loui— 
fiana verſchwelgt, fih verlobt, wollte heirathen und dann eine 


Reife nad) Europa antreten. Im Befig reicher Mittel und met- 


ner Papiere konnte er, feinem ganzen Charakter nah, diefen 
Plan nicht aufgeben. Unverweilt ſchrieb ih, um ihn nicht aus 
den Augen zu verlieren, an den wirklichen Gapitain der Brigan— 
tine und zeigte ihm an, daß dringende Gejchäfte” mich möglicher- 
weife Monate Tang In der Union zurüdhalten würden; er folle 
deshalb nah Cuba feuern und dort meine Rückkunft oder weitere 





— 309 — 


Befehle abwarten. Dann verftete ih mid, beobachtete, über— 
wachte jeden Schritt des Merifaners, und als die auch hier graf- 
firende Seuche Don Alonſo die Braut geraubt und er. aus ‚Furcht, 
gleihem Schickſale zu erlegen, fih auf dem hamburgiſchen Schoo⸗ 
ner einſchiffte, Tteß ich mich als überzähligen Matrofen aufnehmen, 
Auf See trat ih wie ein Geift vor Don Gomez. Er erſchrak 
zwar, feine Kedheit aber überwand ſchnell diefe Meberrafhung und 
ald wären wir alte Belannte, er aber mir durch Geburt und 
Rang hoch Überlegen, behandelte er mich oft übermüthig, gebehr- 
bete fi) wie mein Herr und fuchte fih dadurch im nicht geringen 
Reſpect bei der Schiffsmannfhaft zu feben. 

Dies die Gefchichte meines Lebens, ſchloß Miguel feine Er- 
zählung, dies die Urfache meiner ftillen, aber unermüdlichen Ver⸗ 
folgung des Mannes, den ich feines gegen mid verübten Unrechtes 
noch nicht zu überführen vermochte. Ich werde aber nicht eher 
ruhen, bis ich in Beſitz der mir entwendeten Paptere gekommen 
bin. Das Geld fann mid nicht glücklich mahen. Ich habe es 
nit erworben, warum follte ich mich grämen, daß ein Anderer 
es raſch unter die Leute bringt? Ich opfere es gern, Tönnte ich 
dafür nur die Liebe Chriſtinens mir erobern! 

Es war ſpät geworden über diefen Mitthetlungen, welche bie 
Zuhörer in immer größere Spannung verfeßten. Dann und wann 
während Miguels Erzählung warf Heidenfrei einen Blick in bie 
Briefe, die vor ihm Tagen, gegen das Ende hin aber ftedte er 
diefe wieder zu ſich. 

Idhre Offenheit, junger Freund, ſprach jet der Rheder zu 
Miguel, fordert uns auf, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Sie 
haben Biel und Schreckliches erlebt. Wielleiht aber waren alle 
biefe wechfelnden Ereigniſſe, diefe Schickſalsſchläge nur Vorberei— 
tungen zu einem ruhigeren, gefiherteren Dafein, das die Vorfehung 
Ihnen beitimmt bat. Ste find uns durch ein wunderbares Zus 
fammentreffen von Umftänden näher gerüdt, in gewiflem Sinne, 
möcht’ ich fagen, verwandt geworben. Kehren Sie oft zu uns zu⸗ 
rück. Die Fragen, deren ich vorhin gedachte, werde ich nad eini« 





— 310 — 


gen Tagen an Sie richten. Mich dünkt, ſie können Ihnen nützen 
und zu Fingerzeigen werben, bie Ihnen die Spuren Ihrer wirk⸗ 
lichen Abftammung auffuhen helfen. 

Miguel wußte fih dieſe räthfelhaft Elingenden Worte nicht 
zu beuten, gern aber gab er bie Zufage, wieder zu fommen; denn 
auch in ihm feßte fi ber frohe Gedanke feſt und bildete fih aus 
zum Glauben, daß die Zeit der fchwerfien Prüfungen überflanden 
ſei und eine heitere, glüdlichere Zeit, ein von andern Sternen 
erhellter Himmel feiner in Zukunft wartete. 


Bwölftes Kapitel. 





Ein Brief. 


Mas mahft du wieder für ein Geflht! ſprach Ferdinand zu 
David, als diefer mit einem ganzen Packen Briefe, die er von den 
verfchtedenen Poſten abgeholt hatte, zurüdtam. Man follte meinen, 
ber Teufel fei dir begegnet. 

Wenn nicht er felber, war's wohl fein Schuhpuger, der mir 
ben Weg kreuzte, verfeßte David brummend. 

Wer?. fragte der junge Heidenfrei zerſtreut, bie Briefe for- 
tirend. 

Gott verdamm' mich, einer vom Stamme Ebbes z’handeln. 

Berdinand lachte. Du biſt unverbefierlich, fagte er. Laß doch 
Jedem das Vergnügen, auf feine eigene Wetfe Gefchäfte zu machen. 
Wir handeln aud, wenn gleich anders. 

Es iſt nicht das, es iſt der Geiſt, ben ich nicht Leiden mag. 

Berdinand fuhr in feiner Beſchäftigung fort. 

Wollte er dir altes Silber billig ablaufen? 

Die Herren befuchen wollte der Mofes, verfeßte David, den 
Ion des iſraelitiſchen Händlers nach Kräften nachahmend. Hat er 








— 311 — 


doch mitzutheilen den Herrn viel Graußes, viel Neues, worüber 
ſich werden freuen und erſtaunen Alle ſehr. 

Ferdinand horchte auf. Schon? ſagte er, mehr zu ſich ſelbſt 
als zu David ſprechend. Der Mann iſt exact, man kann ihn 
brauchen. Weiſe ihn ja nicht ab, David, ſondern führe ihn Hin- 
auf in das Zimmer des Vaters. 

Den Landjuden? Gott verdamm' mich — 


Moſes wird von dir in das Zimmer meines Vaters geleitet! 
ſagte Ferdinand feſt und befehlend. Du wirſt ihn höflich empfan— 
gen, ihn mit keinem Auge ſcheel anſehen, kurz, ihn ganz ſo be— 
handeln, wie einen Mann, mit welchem das Haus Peter Thomas 
Heidenfrei ein wichtiges Geſchäft abſchließen will. 

David hätte gern widerſprochen, denn ſein Widerwille gegen 
alles Jüdiſche kannte keine Grenzen. Da dies nun aber doch nicht 
ging, er hätte denn ſeine einträgliche Stelle riskiren wollen, nahm 
er fich zuſammen, biß ſich tüchtig auf die Lippe und ſagte, als 
müſſe er ſaure Holzäpfel verſchlucken: 

Herr, — Gott verdamm' mich — ich werd's thun. 

Darauf kehrte er ſich um, wie ein Soldat und ging ſtockſteif 
hinaus auf die Diele, wo er feine Wuth an den Reis- und Kaffee— 
fäden, die In großen Haufen daſelbſt aufgeſchichtet lagen, ausließ, 
und mit den neben der großen Wange ftehenden Gentnergemwichten 
handtierte, als wolle er fih in den Künften üben, die „ſtarke 
Männer” auf Meffen und Jahrmärkten zum Beſten geben, und 
denen er verſchiedene Male mit Interefje auf dem Spielbudenplape 
in St. Pauli zugefehen hatte. 

Aus Bremen! fprad Ferdinand, einen der Briefe aufhebend. 
Und diefe Handſchrift? Wahrlih, er kommt von ihm, von dem 
heimgefehrten Oheim! — Xreufreund, be, Treufreund! rief er mit 
lauter Stimme, fein Comptoir verlaffend. Sind Ste da? 

Was beliebt? fagte der „Schatten”, den Kopf voritredend. 


Ein Brief aus Bremen — Sie wiffen, von unferm wieder 
erwachten Gorrefpondenten ! 





R___ 


— 312 — 


Iſt's möglich! ſprach Treufreund, vor Freude erblaflend. Gr 
ift auf deutſchem Boden angefommen! 

Folgen Sie mir zum Bater, fuhr Ferdinand fort. Der Bru— 
der muß fogleih kommen. Diefer Tag, fheint es, wirb ein ent- 
fheidender, ein epochemachender in unferer Familie. Auch Mofes 
hat fi melden laſſen und wird, wie ich feſt überzeugt bin, ficher 
gute Nachricht bringen. Ste haben Ihre Sachen vortrefflich gemacht. 

Obwohl dies kurze Gefpräh zwilhen Ferdinand und dem 
alten Treufreund nur mit halblauter Stimme geführt ward, ent— 
ging doch den Übrigen Comptoiriften nit, daß zwiſchen Beiden 
von etwas Hochwichtigem die Rede fein müſſe. Es horchte deshalb 
Jeder, legte die Hand an’s Ohr, zijchelte mit dem Nachbar und 
fah endlich den Fortgehenden mit langem Halfe nad. 

Richtig abgefhoben, brummte Anton, der mit Unbehagen be⸗ 
merkte, daß der „Schatten“ ſeit einiger Zeit offenbar in der Gunſt 
des Prinzipals und der Söhne deſſelben geſtiegen ſei. Na, immer 
man to, ik kam ok all dabi — mien Moder kann ſwemmen! 

Er ſtieß die Feder auf's Papier, daß ſie weit ſpaltete und 
die Dinte in einen großen Teich ausfloß. 

Enormes Glück! murmelte der luſtige Correſpondent. Die 
kleine Brünette mit den Gazellenaugen, die mich neulich bei Rain— 
ville's ſo freundlich anblickte, gibt mir ſicherlich nächſtens einen 
Kuß. — 

Heidenfrei der Aeltere befand ſich ſeit der Zuſammenkunft 
mit Miguel in einer aufreibenden Gemüthsſtimmung. Alles, 
was der junge Mann ihm mitgetheilt hatte, konnte vollkommen 
wahr ſein. Vieles harmonirte mit andern, von dritten Perſonen 
herrührenden Angaben in auffallender Weiſe. Der junge Matroſe 
ſelbſt machte nicht den Eindruck eines Abenteurers oder gar eines 
Betrügers. Dazu trat er zu unbefangen auf, und ſein Auge 
blickte zu ehrlich und ſtolz in die Welt. Dennoch konnte er ſich 
vielfacher Zweifel, die, je länger er mit ſich zu Rathe ging, in 
ihm aufſtiegen, nicht entſchlagen. Miguel haßte Don Gomez, 
und der Haß erfindet oder vergrößert doch gern geſchehene Dinge, 





— 313 — 


ber Charakter des Mexikaners war — das ließ ſich kaum beſtrei— 
ten — kein völlig reiner, — nur eines Verbrechens hielt er den 
fein gebildeten, mit ſo ſeltenen Talenten begabten Mann nicht für 
fähig. Die ſtrenge Gerechtigkeitsliebe des Rheders, der gerade, 
redliche Bürgerfinn, der fein höchſtes Palladium war, geſtatteten 
nicht ohne Weiteres eine Verurtheilung des Angeklagten. Gerade 
dieſe Zweifel veranlaßten Heidenfrei auch, nicht gar zu raſch dem 
jungen Matroſen unbedingtes Vertrauen zu ſchenken. Er wollte 
zuvor prüfen und je nachdem dieſe Prüfung ausfallen würde, ei⸗ 
nen unumſtößlichen Entſchluß faſſen. 

Seine Söhne billigten dies zögernde Hinhalten ihres Vaters 
nicht ganz. Zwar waren ſie auch nicht ſo gegen Don Gomez ein⸗ 
genommen, daß ſie ihn für einen Ausbund aller Schlechtigkeiten 
gehalten hätten, aber ſie wünſchten eine baldige Erledigung der 
äußerſt fatalen Angelegenheit ſchon der leidenden Schweſter we⸗— 
gen. Der Brief des Oheims konnte, fo hoffte Ferdinand, mögli- 
cherweiſe eine ſolche Befchleunigung herbeiführen, und darum war 
er begierig, den Inhalt defjelben zu erfahren. 

Heidenfrei behielt das Schreiben einige Minuten finnend in 
ber Hand, ehe er das Siegel zu Idfen wagte. 

So ein Brief ift wie ein mit Glückslooſen gefülltes Rad, 
fprah er. Man kann eine ganze Welt voll Freude und einen 
unergründlichen Jammer darin finden. — Doch, da kommt Evu- 
ard, Wir haben mithin feinen Grund, uns felbft länger auf bie 
Folter zu fpannen. 

Mit’ raſchem Druck brach Heidenfrei das Siegel, entfaltete 
das Schreiben und trug e8 mit feiner Elaren, voiltönenden Stimme 
gemeflen den Anmefenden vor. Auguſtin Hohenfels fehrleb: 

Beiter Schwager ! 

Bor wenigen Stunden bin ich bier angelommen, und es tft 
mir, als hätte ich eine neue Welt entdeckt oder erwachte aus ei« 
nem langen, langen, ſchweren Traume und fähe mich wieder zus 
rüdverfegt in die vergeffene Zeit heiterer Jugendiage. Wie ganz 
anders ift es doch in dem Lande, das und geboren hat, wo wir 


— 314 — 


berangereift find zum firebenden Manne! Ich hätte nie geglaubt, 
tag ih in meinen vorgerüdten Jahren, mit der Bergeslaft meiner 
Erfebniffe auf dem Herzen, doch noch fo fröhlich aufjauchzen könnte, 
wie ih es wirklich gethan habe, als ih die erften Marfchhöfe mit 
ihren langen, grauen Strohdächern, am Giebel das altſächſiſche 
Roß, neben dem Schornſtein das firuppige Storchneft, wieberfah. 
Biel fehlte nicht, und ich hätte die Hände ausgeftredt und nad 
ben lieben, theuern Gegenftänden, die da drüben vor meinen Au⸗ 
gen vorüberglitten, gegriffen, wie ein Kind, das noch Feine Vor- 
ftiellung von Zeit und Raum hat. Niederfnieen, beten hätte ic 
mögen beim Anblick dieſes Heimathbildes. Es war nad) endlos 
langen Jahren wieder ber erfle wahre Pulsfchlag der Heimath- 
erbe, deſſen Wiederhall ich Im Innerften meines Herzens fühlte... . . 

Doch will ih nit in Empfindungen fehwelgen, und nicht 
gleih von Anfang an wieder in den größten Fehler meines ver⸗ 
gangenen Lebens, der auch mein Unglüd geworden tft, fallen. 
Der praktiſche Menfh, der Buß faflen will auf Erden, muß bie 
Hallueinationen, die feinem gährenden Gehirn entkeimen und ale 
verlodende Bilder den wirklihen Sehnero reizen und angenehm 
täufgen, unbeachtet laſſen, fonft verirrt er fi in das Neid der 
Unmöglichkeiten, wo nur die Phantafie des Dichters herrſcht. Sol: 
hes Derirren koſtet aber immer, wenn nicht das Leben, doch dei- 
fen fonnige Halbſcheid. Zu viel Schatten macht frieren und läßt 
vor der Zeit alt werden. 

Don meiner Reife kein Wort. Ste verlief fehr glücklich. 
Wir find nicht völlig ſechs Wochen unterwegs gewefen. — Heute 
will ih mich bier ausruhen, mich auch ein wentg deutſch civilifirt 
kleiden. Ohnehin fehe ich vermaledeit barbarifh aus, auch wenn 
ih mich noch fo ſchön auf neueſte Pariſer Manier frifiren laſſe. 
Den tropiſchen Sonnenbrand wäſcht keine Seife fort, und die Nar⸗ 
ben, welche das Leben mir ins Geſicht geriſſen hat, vermag keine 
Schminke zu übertünchen. Mach' dich alſo darauf gefaßt, lieber 
Heidenfrei, in mir einen Menſchen wieder zu ſehen, der innerlich 
ein weißer Europäer ächt germaniſchen Blutes geblieben iſt, äußer⸗ 


—— 315 — 


ih aber vielleicht eine Teife Achnlichkeit mit einem Patagonter bat, 
nur daß er nicht ganz fo ungefchlaht von Gliederbau tft und et- 
nen kaukaſiſch gefchnittenen Kopf auf feinem ftrapazirten Rumpfe 
trägt. 

Sefund Kin td, nur etwas müde. Mebermorgen gedente ich 
abzureifen. Darauf richte did ein. Stören möcht ich nicht gern, 
weder in der Familie noh im Geſchäft. Ich verfpreche, mich ſtill 
zu verhalten, wie ein Dachs der von feinem Wette zehrt. Noch 
eine Bitte, liebſter Schwager! Bringe meine Rückkehr nicht aus! 
Ich habe einen wahren Abſcheu vor der Geſchichte vom verlorenen 
Sohne. Bin ih au, fireng genommen, fein folcher, es fieht doch 
fo aus und die Leute meinen, es fet nicht anders. Gin Kalb zu 
ſchlachten ob der Freude über meine Rückkehr wird ſchon deshalb 
nicht von Nöthen fein, weil unfere fletfheflende Stadt Tag für 
Tag fich diefer Freude verfündenden Beihäftigung hingibt. 

. Bin ich erft bei Euch und th habe mid wieder an Hambur- 
ger Art und Sitte gewöhnt, dann magft du leiſe anfchlagen laſ⸗ 
fen. Ausrufer der intereflanten Neuigkeit werden fi von felbft 
mehr als zu viele finden. Auf den efiten Börfentag freue ich 
mich fhon. Wenn nur die alte Barade nit auf ihrem fchlech- 
ten Untergrunde in's Wadeln fommt, falls der Andrang Reugie- 
riger zu groß werden follte. . . 

Noch immer feine Spur von meinem Sohne? Daß er Icht, 
weig ich jebt beftimmt, au dag er auf Cuba einige Jahre ge= 
lebt hat. Desgleichen hat es feine Richtigkeit mit dem Namen 
des Mannes, den ich dir genannt habe, Die Börfe fann ihn 
nicht Tennen, denn er betrieb nie perſönlich kaufmänniſche Geſchäfte. 
Betheiligte er fih an folden, was er häufig gethan haben foll, fo 
bediente er fih dazu fremder Hände. Gin ganz kleines, aber un= 
trüglihes Merkmal, an dem mein Junge zu erkennen tft, theile 
ih dir mündlih mit. Vom Himmel herabfallen wird er nidt; 
wir werden ihn vermuthlich erft finden nad langem Suchen und 
unermüdetem Forſchen. Dies fol vorerft die nächfte Aufgabe mei— 
nes Lebens fein. Gott, Hoff’ ich, wird mich dabei unterftüßen, 


— 316 —. 


damit meine Leiden doch einen Zweck gehabt haben. Auch das 
Unglüd, die trübe Erfahrung, die harte Prüfung der eltern 
baut zuwellen den Kindern Häufer. Wo bies geſchieht, da follen 
fie befler Halten und fefter flehen, als die heitern Kartenhäufer des 
Blüdes, die felten mehr als einen Sturm überdauern. 

Herzensgrüße an dein Weib und deine Kinder. Auf Flügeln 
der Sehnſucht eilt Dir zu 

dein treugefinnter Schwager 
Auguflin Hohenfelß. 

Heidenfrei athmete freudig auf. Gott Lob, fprad er, dieſe 
Laft, die ſchwer auf mich drüdte, wäre denn endlich abgewälzt! 
Wir werden ihn wiederfehen, und dem heimkehrenden Vater, hoffe 
ih, wird dann auch einft der Sohn folgen! 

Es Eopfte. Ferdinand öffnete die Thüre, um zu fehen, wer 
Einlaß begehre. 

Sogleich, rief er hinaus, die Thür wieder ſchließend. 

Mofes, der Sohn Bibrachs, wünfht di zu fpreden. Gr 
darf doch kommen? 

Ohne Frage, fprah Eduard. Das Glück, das von felbft an= 
pocht, darf Niemand abweifen, fonft verjheuht man es für lange 
Zeit, wenn nit für immer. 

Heidenfrei's Auge leuchtete heller als gewöhnlich und indem 
er dem Sohne zuwinkte, den draußen ftehenden Siraeliten herein⸗ 
zurufen, rieb er ſich, wie er ſtets in ſichern Augenblicken des 
Glückes zu thun pflegte, die Hände und ſprach mehrmals ſchnell 
hintereinander: Superbe, ganz ſuperbe! 





—- 31T — 


>» 


| Dreizehntes Rapitel. 


— 





Moſes. 


Unter vielen tiefen Bücklingen trat der jüdiſche Landkrämer 
ein, ſein ſcharfes Auge mehr auf die eleganten Mobilien heftend, 
als auf die Perſonen, mit denen er ſprechen wollte. Immer von 
Neuem ſich bückend, trat er dem Rheder etwas näher, hob die 
Hand auf und ſagte: 

Wenn Sie auch nicht ſind der größte von den Herren, die 
ich ſehe hier ſtehen um mich, bin ich doch dafür gut und weiß, 
daß ich mich nicht kann irren, wenn ich Sie nenne den Herrn von 
dieſem Haus und den Mann, der mit ſeinen Gedanken überfieht 
Viele und macht gewaltige Geſchäfte in der alten Welt, wie in 
der neuen. Großer Gott, ich bin ordentlich geworden gerührt, daß 
ich ſoll ſehen vor mir ſtehen den Mann, welcher ausmacht und iſt 
ganz allein ſchon die ſtolze Firma: Peter Thomas Heidenfrei, ſchlicht, 
ganz ſchlicht, nichts dabei von 'nem Schlängel und lahm ‚hinten 
nachklappernder Compagnie. Hab' ich recht, Herr Heidenfrei? 

Man hat mir Sie von jeher als einen Mann von großer 


Vorſicht, nicht minder als einen Freund der Wahrheit und des 


Rechtes bezeichnet, verfehte der Rheder, um das ganze Vertrauen 
des’ fchlauen Juden zu gewinnen. Iſt es Ihnen alſo gelungen, 
in der betreffenden Angelegenheit, von welcher Sie biefer Herr hier, 
mein Freund, unterrichtet bat, etwas Zuverläffiges zu erfahren, 
fo werden wir außer dem Dank, den wir im Herzen tragen, Ih— 
fien auch die zugeficherte Belohnung für einen fo menſchenfreund— 
lichen Dienft gern entrichten. 

Was follte mir nit gelungen fein! erwiderte Mofes mit 
felbftzufriedener Miene und prahleriſch herausforderndem Auge. 
Hat mir auseinander gefeßt diefer Herr da mit den röthlich ange- 
laufenen Augen, daß man fie halten Könnte ſchier für ein paar 
Blüthen von den: berühmten Rofen von Jericho, Mofes, hat er ge- 


ſagt, 's iſt paffirt eine böfe Geſchichte, die often wird dem, ber 


— 318 — 


fie hat laſſen anzetteln, viel Geld, wo nicht gar die Freiheit und 
die Reputation noch dazu, und es foll haben, hat er noch gefagt, 
eine große Belohnung derjenige, welder bietet die Hand als ein 
redlich denkender und ehrlich Handelnder Mann, damit gemadt 
werben kann aus Unrecht wieder Recht und aus Krumm Gerade. 
Er hat gefagt ferner, Mojes, hat er gejagt, wir find gemeint, ich 
und ein anderer Mann, der höher ſteht als ih und mehr gilt an 
ber Börfe als wir beide zufammen und nod ein halb Dutzend un⸗ 
ſeres Schlages dazu, daß Sie find vor Allen derjenige, der uns 
helfen könnte mit feiner Klugheit aus der Patſche. Na, hab’ ich 
da nicht geantwortet drauf: Was nicht kann Mofes, der Sohn 
Bibrachs, das kann Keiner? 

So iſt es, Mofes, ſprach Treufreund, und eben weil Sie fo 
bereitwillig Ihr Wort verpfändeten, find wir begterig, die Neful- 
tate Ihrer Nachforſchungen gegen pünktlihe Erfüllung ber einge 
gangenen Berpflihtungen unfererfeit# zu erfahren. 

Refultate! Was tft Refultate? IM das Mädchen aufgeho- 
‚ber gewefen fo gut wie ber Augapfel, den Gott der Allmächtige 
hat gefegt in ein knöchernes Gehäufe und drüber gehängt den 
ſchimmernden Vorhang ſeidener Wimpern, damit er abhalte den 

Staub und den grellen Schein brennender Sonnenftrahlen. Hat 
fie doch gelebt in der Famtlie eines armen, aber gerechten Man- 
nes von unfere Leut’, und lebt fie noch dort, zufammen mit ihrem 
Bruder, der fie hütet. Was ſoll alfo fein 's Refultat, als daß 
fie blüht, wie eine Rofe im Junimonat und ſpringt, wie ein 
Lämmlein auf der Weide? 

Aber wo, Moſes, wo? fiel fragend Eduard ein. 

Gott, Gerechter! Wie kann doch der Menſch fein fo vergeß⸗ 
lid, dag er Überfpringt die Hauptſache und fih aufhält Tänger 
als nothwendig bei Nebendingen. Aber Recht bleibt doch Recht 
und ein Handel tft ein Handel. Hat der Herr mir gefagt zuerft, 
ich folle berichten, ob das junge Mädchen, genannt Ghriftine, die 
gefommen tft auf feltfame Welfe aus einem Haufe, wo es ihr 
fehlte an nichts, was fih kann wünſchen ber Menſch, gejund fel 





Pr 


— 319 — 


geblieben an Leib und Seele, und nachher, wo fie gewefen fet bie 
Zeit über, in welcher fie nicht gefehen haben die Augen der Ihri⸗— 
gen, welde häufig vergoffen Thränen um bie Vermißte. So ih 
nun verfiche nur etwas von einem Handel, der giltig ft, fo werde 
ih mid doch Taffen belohnen für die erfte Frage, wär fie auch 
nicht die Hauptfahe, und nachher noch einmal für die Antwort 
auf bie andere Frage, welde gilt für die Hauptſache. Iſt's nicht 
fo einfach, daß es begreifen Tann ein Kind, wenn's eben anfängt 
zu bewegen bie Lippen, als wolle es verſuchen zu gebrauden die 
"Zunge, um auszubräden, was es noch gar nicht weiß? Hab’ 
th Unrecht? 

Ueber Heidenfrei's feines Antlitz zudte ein humoriſtiſches Lä- 
heln, während Treufreund über die Lift des gewinnſüchtigen Mor 
fes vor Aerger, daß er fi hatte betrligen laſſen, faſt außer fih 
gerieth, grimmige Blicke auf den Landkrämer warf, den Angft- 
ſchweiß auf feiner Glatze trodnete und in eifrigem, halblautem Ge⸗ 
ſpräche Ferdinand nad einer Fenfterbrüftung zog. 

Ste haben immer Recht, Mofes, erwiderte ber Rheber, der 
jehr wohl einfah, dag nur die Zufiherung einer abermaligen Be⸗ 
lohnung den Juden zum Sprechen bringen würde. Was mein 
Freund Ihnen zugefagt hat für diejenige Dienftleiftung, Die Sie 
als die Nebenfache bezeichnen, haben Ste bereitö zu fordern; für 
die Hauptſache fichere Ih Ihnen eine gleihe Belohnung zu. 

Kann’s nicht thun, bei Gott, kann's nicht! 's Läuft gegen 
mein Gewiſſen. Und wie gefagt: ein Handel tft ein Handel! 

Und foll es bleiben in alle Ewigkeit. Ich lege deshalb noch 
ein paar Portugalöfer zu. | 

Ein paar? Soll ich verſtehen darunter zwei oder drei? 

Verſtehen Ste dret darunter, Mofes. 

Will ich alfo verflehen darunter drei, weil es der gnädige 
Herr felber will fo haben, und kann ih darum gewiflenhaft und 
auf Ehre und Seligkeit berichten, dag Chriftine und der junge 
Menſch, den man hält für den Bruder der jungen Schönheit, 
feit fie gegangen tft aus diefem Haufe und ausgeftiegen aus dem 


— 320 — 


Kahne, in dem es fie fhüttelte vor Froft und wohl aud ein we- 
nig vor Furt, gelebt haben und noch leben glüdlih und zufrte= 
den tm Haufe meines Teiblichen Verwandten, des Jacob oel 
Acher, das er fi Hat gefauft in Moisling; 's tft eine gefunde 
Luft in Motsling ‚ denn es iſt koſcher dafelbft Alles und der 
Aufenthalt wird gepriefen von Jedermann, benn er bringt Glüd 
und Gottes Segen in’ Haus. Drum laſſen fih daſelbſt und in 
dem anftoßenden Orte Genin auch fo gern nieder die Störche, 
die gefolgt find aus Aegypten, dem Lande ber Knechtſchaft, dem 
Volke Gottes Überall bin, wo es wohnte gern und baute einen 
Tempel zur Ehre des Allerhöchften. 

In diefer Richtung die Vermißten zu fuhen, war Niemand 
in den Sinn gefommen, wie aud Keiner auf den Gedanken der- 
fallen fonnte, der Räuber Chriftinens Habe fich jüdtfcher Helfer 
bedient. Heidenfrei wie‘ beffen Söhne erfannten darin die fein 
berechnende Klugheit des Mexikaners und begriffen jebt exit, weld 
großen Dienft der aufmerkffame, mißtrautfhe Miguel ihnen, wie 
dem Quartiersmanne geleiftet hatte. Während Mofes ſeine letz⸗ 
ten Eröffnungen in der ihm eigenthümlichen Weife machte, waren 
Ferdinand und Treufreund dem Erzählenden wieder näher getre- 
ten. Ferdinand berührte jebt die Schulter des Juden. 

Mofes, ſprach er herablaffend und doch auch fehr überlegen 
lächelnd, wenn unter allen Umftänden Ihr Grundfag, ein Handel 
fet ein Handel, gelten foll, wie es wohl aus Billigkeitsrückſichten 
zu verlangen oder doch zu wünfchen wäre, fo fürdte ich beinahe, 
Ste möchten bei dieſem Handel den Kürzern ziehen. 

Auch Eduard lächelte und warf dem Bruder einen billigen- 
den Blick zu. Treufreund wiegte bedächtig fein halbkahles Haupt 
und rieb fich befriedigt Die Hände. 

Kann ih doch nicht verftehen, was der gnädige Herr will fa= 
gen damit? verfehte Moſes, einige Schritte zurücktretend. Machen 
Sie mir nit vor einen Spaß, Ih bitte! Ich kann nicht fagen, 
dag ih bin ein Freund vom Spaße. 

Lächelnd fuhr Ferdinand fort: Ich will damit nur fagen, 


— 321 — 


daß es mir feheint, als hätte der kluge Handelsmann Moſes zwet 
leidlich rentable Gefchäfte gemacht, zuerft mit der empfehlenswer- 
then Firma Don Alonfo Gomez & Comp. und fpäter mit dem 
befannten Handelshaufe Peter Thomas Heidenfrei. Fiele es nun 
irgend einem Querkopf ein, den Handel felbft und die doppelte 
Handlungsweiſe vor Gericht zur Sprache zu bringen — 

Ich will nidts hören vom Gericht! unterbrach Moſes den 
jungen Mann mit Heftigkeit. Wenn ich gefagt habe, ein Handel 
tft ein Handel, was iſt's weiter? Ich hab's gefagt. Und wenn 
ich's wieder umbrehe und will nicht gelten laſſen mein eigen Wort, 
fann’8 mir Jemand verwehren? Was denkt der gnäb’ge Herr 
von mir, he? Ich den®, ih bin ein ehrlicher Mann und fchltep’ 
ab ein ehrlich Geſchäft. Reden wir noh ein Wort mit einander 
im Vertrauen und Zreundfhaft Über das Geſchäft, ehe wir machen 
die Schlußnote. Aber nichts vom Gericht, gnädiger Herr, nichts 
vom Gericht! Hab' ich Recht? 

Aengſtigen Sie ſich nicht, Moſes, fiel begütigend Heidenfrei 
ein. Mein Sohn will Ihnen nicht übel, er machte Sie nur auf 
die Gefährlichkeit eines Handels aufmerkſam, der zweierlei Aus- 
legungen zuläßt. Wir haben unter uns abgeſchloſſen und find 
einig. 

AH, brav gefprohen! Gefprocdhen wie der weiſe Daniel! 
rief Mofes! Die Hand darauf, daß wir haben ehrlich und recht⸗ 
fhaffen mit einander gehandelt. 

Der Rheder gab Mofes die Hand. 

Es foll bleiben zwijchen ung, wie es ausgemadht tft — Soll 
bleiben — fehr gut — bin vofffommen einverftanden damit. 

Nur ein paar Fleine Bedingungen habe ich noch Hinzuzu- 
fügen. 

Bedingungen? Wozu nod Bedingungen? 

Zu unfer Aller Sicherheit, Mofes. Ich kenne Ihr Verhält- 
niß zu Don Gomez nit und will es aud) nicht Tennen lernen. 
Ich fee aber voraus, daß der edle Mexikaner ein guter Kunde 
iſt — 


D. B. XI. Willkomm's Rheder und Matroſe. 21 








— 322 — 


Ein guter Kunde — das iſt das rechte Wort, warf Moſes 
ein. Immer nobel und eine Freude iſt's ordentlich zu fehen, wie 
er fih Mühe gibt, das Geld los zu werden. Gine ſehr fchöne 
Eigenfhaft an einem Manne, der es nicht braucht und doch will 
leben, um nik zu flerben wor Langweile. 

Ehen deshalb, Mofes, wirb e6 gut fein, wenn ich nur un» 
ter der Bedingung ben zweiten Theil unferes Hanbelögefchäftes 
wirklich vollziehe, daß Don Gomez fein Wort davon erfährt. Die 
Wände haben Ohren, pflegt man zu fagen, und ber Wind tfi eine 
alte Plaudertafhe. Derftopfen Ste alfo die Ohren ber Wände 
und legen Ste dem Winde ein Schloß vor den Mund, das erft 
wieder abgenommen werben darf, wenn Ghriftine und ihr junger 
Beſchützer glüdtih in diefe Stadt eingezogen find. 

Wie ſollte der veiche Here Hören können, was wir haben zu⸗ 
fammen abgemadt hier, eine volle Wierteliunde Weges entfernt 
von feinem Logement? Bezahlt Hat ee mid gut, es tik wahr, 
und die Wahrheit muß man fagen auch von dem, ber nicht uns 
fer Freund if. Hat er mich aber nit genannt das letzte Mal, 
als ih ihm brachte den Schreibebrief aus Gurhaven, den Sohn 
eines Hundes? Wie hört man wohl lieber fi tituliven — Sohn 
eines Hundes oder: Lieber Mofes und ehrliher Mann? Leben 
freilih Tann man nit von der Titulatur, aber 's tft doch eine 
Manier darin, wenn man Ste handhabt fein und nicht grob. 
Nein,- nein, gnädiger Herr! hat der Mofes ſich erft bezahlen laſ⸗ 
fen gut, wird er aud elften gute Dienſte. Was thu' ich mit dem 
Mexikaner? Iſt's doch ein Fremder, den kann fortſchicken die 
hohe Polizei, wenn er macht ſchlechte Streiche! 

Es bleibt alfo dabei, Mofes, fagte Heldenfrei nochmals feft 
und beftimmt. Sobald die Vermißten bier wohlbehalten ankom⸗ 
men, klingen bie Portugalöfer unten im Comptoir auf dem Zahl- 
brette. Adieu, auf baldiges Wiederſehen! 

Moſes war entlaffen, er wußte nit wie. Draußen vor ber 
Thür drehte er noch feinen zerfnüllten Hut, unſchlüſſig, ob er 
noch einmal umkehren und den Eintritt in das Zimmer bes Rhe⸗ 


— 323 — 


ders verfuchen folle. Die Ausführung dieſes Wunſches ſchien ihm 
aber doc höchſt bedenklich. Er ſtand deshalb davon ab und ging 
langfam der Treppe zu. 

's Geſchäft iſt nicht fhlecht, weiß Gott! ſprach er murmelnd 
vor fih bin, 's iſt 'was verbient worden dabei, wofür man kann 
thun eine Güte feinem Leibe, wenn man will, und doch iſt's 
bloß ein halbes Geſchäft, denn die Zinfen von zwei oder breit 
Tagen find pleite, bei Gott, fo wahr ich bin Mofes, der Sohn 
Bibrachs, und der reihe Sadamober in Brody tft mein leiblicher 
Vetter! — Na, 's iſt gut. Hat er doch gefagt der reihe Mann 
mit dem vornehmen Weſen und dem herablaffenden Blick: Auf 
Wiederfehen! Gr wird halten Wort, denn er {ft ein großer Herr 
und immer contant. Schöne Sahe das, wenn der Menfh tft 
immer contant. Läßt abfehreiben in der Bank von zehn Mark 
bis zu dreimalhunderttaufend, fo ruhig wie man umbreht eine 
Sand und fagt: Brofit, wenn einer nießt, dem Die Sonne fcheint 
auf die Nafe. — 's Iſt ein großer Mann, bei Gott, ein vefpec- 
‚tabler, ein vermögenter Mann, ber da weiß zu ſchätzen den Werth 
von den edlen Metallen, bie die armen Menſchen kratzen und 
fharren aus der Erde für geringen Lohn und mit denen bie Rei— 
hen fih aufpugen ihre Zimmer wie geborene Fürften, und machen 
damit Gefhäfte, dag fich Zinfen laſſen häufen auf Zinfen und 
das Kapital wählt bis in die Wolken, wie der babylonifche 
Thurm. Schöne Sahe, aus Geld machen Zinſen. Möchte wohl 
auch abjchreiben und zufchreiben laſſen in der Bank, aber ich 
kann's nicht. Haben fie gemacht eine fehlechte Einrichtung mit dem 
Bankfolio. . . Koftet zu viel Geld einem Manne, der nicht gern 
nimmt Geld von Geld, fondern legt lieber Geld zu Bel. . . 
Was thu? ich damit? Mach’ ich doch Lieber Gefchäfte auf meine 
Art, die mich Toften Feine achthundert Mark für ein Blatt Pa- 
pier. . . Auf Wiederſehen Hat er gefagt und dabei geläcelt fo 
fein, wie mein Großvater — der Herr hab’ ihn fellg — wenn 
er fand einen Loggeb’or, der war ein halb AB fihwerer, als zu 
fein braucht ein Schwimmer, den man flößt wieder hinaus in bie 

0 21* 


— _ 3% — 


Welt. — DO, ih freu’ mich ſchon aufs Wiederfehen! Und ich 
werd’ ihn wiederfehen, den höflihen Mann, der fpricht mit” Je— 
dermann wie mit feines Gleichen. Ja, ich werd’ ihn wieber- 
ſehen. 

So ſprechend erreichte Moſes die Hausthür, es vergingen 
aber mehr als fünf Minuten, ehe er dieſen kurzen Weg zurück— 
legte, denn horchend, flüſternd, ſimulirend blieb er auf jeder 
Treppenftufe flehen, um das zwar abgefchloffene, aber doch noch 
nicht. in allen Theilen realifirtte Gefchäft in Gedanken nochmals 
zu Üüberfchlagen. 


Dierzehntes Kapitel. 


— — — 


Ein Wiederfinden. 


Am nächſten Tage beſtiegen Jacob und Miguel, denen Fer—⸗ 
dinand Heibenfret ſich anſchloß, einen offenen holftetnifchen Stuhl: 
wagen und traten ihre Reife nad) dem Dorfe Moisling bei Lübeck 
an. Es war dies wirklich eine Reife zu nennen, denn in bama= 
liger Zeit gab es zwifchen den beiden großen Schweiterftäbten noch 
feine" Shauffee. Der Communicationsweg, welcher die alte Kö« 
nigin der Oftfee mit der Handelsmetropole der Niederelbe ver⸗ 
band, war ein fo abſcheulicher Sandweg durch Steingerölle, moo⸗ 
rige8 Sumpfland und Knüppeldämme unterbrochen, daß viel Zeit 
zu deſſen Paſſirung gehörte. : Die Retfenden machten fich deshalb 
auch auf ein Ausbleiben von wenigftens ‚vier Tagen gefaßt. 

- Der Rheder begab ſich gleichzeitig auf feine Villa, um einen 
ganzen Tag ungeftört daſelbſt zu verweilen. Es war nöthig, die 
Seinigen auf das Kommende vorzubereiten, fowie Eliſabeth in 
zart fhonender Weiſe dasjenige mitzutheilen, was fie erfahren 


— 325 — 


mußte. Es geſchah dies liebevoll, väterlich mild, und Eliſabeth 
nahm es mit der ganzen Ruhe einer ſchönen, klaren Seele auf. 
Ste meinte nicht, als fie aus den Erzählungen des Vaters deut- 
ih beraushörte, daß Don Gomez bei allen liebenswürdigen und 
ausgezeichneten Gigenjchaften doch Fein Mann ſei, dem ein edles, 
gebifvetes Mädchen ihr Herz ſchenken könne. Es Fam eine ftille 
ernite Ruhe über die blühende Jungfrau, die ihr etwas Unnah- 
bares gab. Alle Zröhlichfeit, alle Luft zu Scherz und heiterm 
Spiel verlor ſich, aber fie blieb dabei freundlich gegen Jedermann, 
und wer fie nicht früher in ihrer mädchenhaften Ausgeläffenheit 
gekannt hatte, würde geglaubt haben, dieſer hohe majeftätifche Ernſt 
jet ihr angeboren. 

Bon Don Gomez warb nicht mehr gefproden. Er felbit 
hatte nad) feiner lebten Zufammenfunft mit Ferdinand die Familie 
des Rheders vermieden. Sein ganzes Benehmen bewies, entweder 
dag er fih ſchuldig fühlte, oder daß er, durch die ausweichende 
Antwort des Rheders verlegt, feine Abfichten für Immer aufzuge- 
ben entichloffen fe. Da übrigens von Seiten der Familie Het- 
denfrei fowohl die directen Schritte des Mexikaners, wie bie über 
feine Bergangenheit erfahrenen Gerüchte vollfommen geheim 
gehalten worden waren, drang feine Sylbe davon in Die 
Oeffentlichkei. Das edle Gut der Preßfreiheit war damals noch 
nicht entdeckt, mithin. Eonnte es auch feine Preſſe geben, die von 
dem Mißbrauche der ihr großmüthig verliehenen Freiheit Gefchäfte 
gemadt und in der Ausbeutung des Scandals die höchſte Auf- 
gabe erblidt Hätte, welche das frei gegebene Wort zu erfüllen hat. 

Heidenfret’s Mittheilungen riefen auf der Billa eine ver- 
mehrte Thätigkeit hervor, die wohltbuend auf Elifabeth wirkte. 
Die erwartete Ankunft des Oheims gab viel zu bedenken, zu be— 
ſprechen. Es mußten für den lang Entbehrten Zimmer eingerid- 
tet werden, wobet auch für Elifabetb und Ulrike mande Hand: 
reihung übrig blieb. Beide junge Mädchen hatten zu forgen, 
daß nicht die Meinfte Unbequemlichkeit fehle, daß die Zimmer den 
freundlichſten Anblick darböten und den Eintretenden fefthielten, 


— 326 — 


. Darum beriethen die Mädchen mit dem Gärtner über die Blu- 
men, welde die Zimmer fhmüden follten, mit dem Tapezierer 
über den Stoff, die Farbe und Anordnung der aufzuhängenden 
Gardinen. Das Alles gab eine unterhaltende Zerfireuung und 
übte einen wohltäuenden, beruhigenden Einfluß auf Eliſabeth's 
Gemüthsſtimmung. Auguſtin Hohenfels hätte zu Feiner pafjende- 
ren Zeit feine Ankunft melden können. 

Auch in der flädtifhen Wohnung machte fi der Eintritt von 
etwas Ungewöhnlichem bemerkbar. Das Gomptoirperfonal war burd 
den Rheder perſönlich von der Rückkehr feines Schwagers, den man 
längft für todt gehalten, unterrichtet worden. Weitere Auslaffun- 
gen üunterblieben, weshalb die auf dem Comptoir Beichäftigten un— 
erfhöpflihen Stoff zu zahliofen PVermuthungen erhielten. Die 
Metiten Tannten kaum den Namen Hohenfels, da mit dem Able- 
ben des Waters die Firma erlofhen, das Geſchäft felbft aber auf 
Heidenfrei übergegangen war. Mon bem jebt plötzlich wieder auf- 
tauchenden fo nahen Verwandten des Rheders konnte begreiflicher⸗ 
weife im Geſchäftsleben nie oder doch nur zwifchen denen die Rede 
fein, welche Auguftin früher gekannt und mit ihm in Verbindung 
geftanden hatten. _ 

Es gab demnach viel zu benken, zu ſupponiren, zu rathen, 
und da der Rheder perfönlih abweſend war, und Eduard häufig 
ab⸗ und zuging, fo mwurde gegen die fonftige fireng eingehaltene 
Gewohnheit etwas weniger fleißig, als dies beidenfrei beanſpruchte, 
gearbeitet. 

Anton hatte zufällig ein paar nicht ſtark beſetzte Tage. Die 
engliſche Poſt war ausgeblieben. Er konnte ſich's alſo bequem 
machen und, hatte er ſeine Arbeiten beendigt, thun und laſſen, wo⸗ 
zu er gerade Drang in ſich fühlte. Diesmal nun drängte es ihn, 
ein wenig zu klatſchen, wenn man will, fih in ber Kunſt zu Üben, 
durch leicht bingeworfene Hypotheſen Andere zu verbächtigen. Es 
gab dies immer eine vecht artige Zerfireuung und brachte neues 
Leben in die alftäglihe Langweiligkeit des gefchäftlihen Treibens. 

Die eigentliche Deranlaffung zu den verbächtigenden Bemerkun« 


— 397 — 


gen des jungen Gorrefpondenten war eine bittere Verftimmung, die 
fi feit einiger Zeit in ihm feſtgeſetzt hatte. Gr fühlte fi ver- 
nadhläffigt, obwohl er es in keiner Weiſe war. Die große Wi: 
tigkeit, welche der Rheder und beflen Söhne dem „Schatten“ ſichtlich 
beilegten, war bie eigenslihe und alleinige Urfage von Anton’s 
Aergerlichkeit. Ohne gerade Treufreund deshalb zu zürnen, ſetzte 
er ihn anfänglich in feinen Gedanken herab und verkleinerte ihn 
fp4ter mit Worten. 

Manche Menfhen haben gleiches Schickſal mit alten Mobilten, 
fagte er zu dem Buchhalter, der gleih Anton über das ruheloſe 
Ab- und Zugehen Treufreund’s und deſſen leiſe Beſprechungen 
mit Eduard vermundernd den Kopf fhüttelte. Je Alter und ge= 
brehlicher fie werben, defto unlieber trennen fi manche Leute von 
ihnen. Begreiflich iſt's freilich, das geb’ ich zu, aber praktiſch Tann 
ih es nicht finden. Bei Mobilien laſſ' ich es noch eher gelten, 
denn einen baufällig gewordenen Stuhl, Tiſch oder Sopha kann Ih 
mit ein paar Nägeln und gut gekochtem Leim wieder zufammen- 
flifen, bet einem Menfhen aber, der weder Haare auf dem Kopfe, 
noch auf den Zähnen hat, ber über dem Hente bag Geflern ver⸗ 
gißt, eine fehs für eine neun anfieht und nur dann wirkfich recht 
verfieht, wenn man fo laut fpriht, daß es Hundert Andere hören 
fönnen, muß ih das ſchön bleiben laſſen. Und dennoch hätjchelt 
und tätfhelt man folh zerfallendes Menfchenmöbel, als wär's 
zuderfüß wie ein Marzipanmännden, während von anderer Leute 
Eriftenz, die doc willen, wer und was fie find und bie noch etwas 
poritellen, vieleicht auch noch viel mehr werden fönnen in der Welt, 
gar nigt Notiz genommen wird, 

Samtliengeheimnifje! exwiderte der Buchhalter, Das erklärt 
Alles, was jet hier vorgeht. 

Dat fih was zu geheimniſſen! verfehte der verfiimmte Anton. 
Was ſoll's denn noch für Geheimniffe geben, die uns verborgen 
wären? Der Schwager unferes höchſt ehrenwerthen Prinzipals iſt 
noch am Leben und kann jede Stunde hier anlommen. Man hat 
ihn, ich weiß nicht wie viele Jahre, für tobt gehalten. Nun, dere 


— 328 — 


gleichen ift häufig paffirt und läßt mich ganz gleidhgiltig, “Der 
Alte Hat uns die Gefchichte oberflächlich felber erzählt, uns alfo 
eingeweiht. Da fehe ich Fein Geheimnig mehr. 

Weshalb iſt denn Fräulein Eliſabeth yplöglich fo ſtumm ge= 
worden wie ein Fiſch? gegenfragte der Buchhalter. Warum fpielt 
und fingt fie nicht mehr? Was hat ihre Wangen gebleiht? Was 
macht ihre wunderfchönen Augen trüb? He? 

Finden Sie aud, daß das Fräulein fo ſchöne Augen hat? 

Sa, th finde es, wie mander Andere und irgend ein Ge— 
wiffer es ebenfalld gefunden haben mag. 

Anton erröthete, zog die Augenbrauen zufammen und fagte 
abwehrend: In Mädchenangelegenheiten darf man fih nicht miſchen. 

Der Buchhalter lachte. I 

Da theilen Sie genau die Anfichten gerade des Mannes, der 
Ihnen augenblidlich nicht gefällt, erwiderte cr. Treufreund kümmert ſich 
gewig um Mädchenangelegenheiten nicht, aber Familiengeheimniſſe — 

Ah was! unterbrad ihn Anton. Laſſen Sie mid mit Ihren 
Familiengeheimniſſen in Ruhe! Das iſt's nicht. 
| Das iſt's doch, betheuerte der Buchhalter, Und gefebt, Frau 
lein Elifabety wäre nicht Gegenftand dieſes Geheimnifles, fo gibt 
ed noch eine andere Perſon, die es fein kann. | 

Was Sie nicht wiſſen! 

Ich weiß leider nichts, aber ich vermuthe allerhand. 

Zum Beifptel? 

Nun, da bat neulid in der noch immer nicht genügend er- 
Härten Berfchwindungsgefchichte der ſchönen Chriftine, deren Augen 
Ihren Beifall ebenfalls zu haben ſchienen, ein junger Matrofe von 
über der atlantifhen See her fich fehr wichtig gemacht. Es heißt 
ja, er liebe die Chriftine, was ich unbefhworen glauben will, Der 
nette, dralle, gewandte Junge bat ein verdammt gewinnendes Aeu— 
Beres. Ob das au Treufreund troß feines fchlechten Gefichtes her⸗ 
ausgefunden hat oder ob's ein Dritter oder gar ein Geiſt ihm zu⸗ 
geflüftert, wer weiß es! So viel indeß iſt gewiß, daß er biefen 
hübſchen Jungen ‚mit einer Urt Anbetung betrachtet und daß“rr, 


- 


nn m Bau 


— 3239 — 


wenn nicht ein wirkliches Geheimniß, worin der Miguel eine Haupt- 
rolle übernommen hat, weiß, doch fiherlich eins wittert. Wer das 
nicht merkt, der muß feine Augen haben. Und wer nicht gleiche 
zeitig fpürt, daß eine gewiſſe geijtige Wahlverwandtihaft zwiſchen 
biefem Matrofen, den jungen Herren und dem fihlürfenden „Schat- 
ten“ vorhanden ift, den mag ih auch für feinen bejonders großen 
Menſchenkenner und Seelenkündiger erklären. 

Anton mußte zugeben, daß der Buchhalter ein guter Beob- 
ashter fei, er konnte aber nicht umhin, vecht von Herzen auszurufen: 
Das wäre fatal! 

Warum? Berlören wir etwas durch eine Erweiterung Des 
Familienkreiſes dieſes Hauſes, wo wir conditioniren ? 

Anton murmelte unverſtändliche Worte, kehrte dem Buchhalter 
den Rücken und nahm wieder Platz an ſeinem Pulte. 

Dich kenne ich, flüſterte der Buchhalter vor ſich hin. Du 
möchteſt am liebſten ſelber ein Bischen Familiengeheimniß ſpielen. 
Proſit! Iſt noch nicht aller Tage Abend. 

Und mien Moder kann ſwemmen, brummte Anton in ent⸗ 
ſchloſſenem Tone, donnerte mit der Fauſt auf ſein Pult, daß die 
andern Comptoiriſten erſchraken, und ein Lehrling das Malheur 
hatte, ſich in der Copie eines Briefes zu verſchreiben. Darauf 
herrſchte wieder Ruhe, bis der hereinſchlürfende Schritt des „Schat- 
tens” dieſe abermals unterbrach. 

Zwei: volle Tage währte diefe erwartungsvolle Unruhe, die 
Jeder fühlte, obwohl Keiner fi) etwas davon merken lief. Am 
Abend des zweiten Tages fehrte Hetdenfrei von feiner Villa zus 
rüd, arbeitete noch jpät und rief dann abermals den „Schatten“ 
zu fih. Anton ward darüber rabiat, ftürzte fi in einen Wein— 
feller und begeiſterte fich bier bei Hummerfalat und feinem Bor= 
deaux dergeitaft, daß er ihn, fein Haupt in ambrofifhe Wolfen 
gehüllt, erſt ſpät wieder verließ, Am Morgen darauf war er nicht 
flüger dadurch geworden, nur die Arbeit ward ihm jchwerer, als 
gewöhnlich, und hätte nur feine Zeit es erlaubt, die heute gerade 
ſehr beſchränkt war, jo würde er verfucht haben, fi wirklich im 


— 330 — 


Schwimmen zu üben. Das ließ ſich aber nicht thun, und beöhalb 
ward er Immer verdrießlicher. 

Da auf einmal hieß es: Er ift ba! 

Wer? fragten alle Comptoiriſten den gerade eintretenden 
David, 

Bott verdamm’ mid, der Herr aus Südamerika. 

Wo? — Wie fhaut er drein? — Wie fieht er aus? Br- 
ſcholl es von verſchiedenen Pulten ber. 

Boll mid der Donner zerſchmeißen, wenn ich's weiß, ermi- 
berte der grobe Hausknecht. Ein Menfh war's, das habe Ich ge= 
merkt, ob er aber fleinalt oder blos mällergrau geworden iſt, das 
weiß ich, Gott verbamm’ mid, nicht! Werden 's ja zeitig genug 
erfahren. Ste haben ihn bald zerriffen auf ber Diele. 

Der Herr Prinzipal und die jungen Herren? fragte ber 
Buchhalter. | 

Die ganze Compagnie! Am Tolften machte es Herr Treu⸗ 
freund. 

Wieder der Alte! fagte Anton. „Schatten”, bu wirft mir 
zu did, ih muß ſehen, wie ih dich auf halbe Vertrauensrationen 
feben kann, 

Damit erreichten vorläufig die Fragen und Grkunbigungen 
im Somptoir ein Ende. Es kamen und gingen Geſchäftsleute, 
mit denen zu fpreden war, die Auskunft begehrien oder brachten, 
und fo Zonnte aus Mangel an Zeit Niemand ber Beſchäftigten 
feine Gedanken an das heften, was in ber pbern Etage, in ben 
Gemachern bes Rheders vorgehen mochte. 

In dieſen Räumen treffen wir eine Stunde ſpäter ben Rhe⸗ 
der nebſt Eduard und Treufreund im Geſpräche vertieft mit Au⸗ 
guſtin Hohenfels, daſſen modern- eurppäiſche Tracht nicht recht zu 
feinem wenig eurepätihen Weſen paſſen will. 

Zreufreund fpriht Feine Sylbe. Der ehemalige Buchhalter 
Hat einen der bequemen Boliterfeflel dem heimgefehrten Freunde 
gerade gegenübergeſtellt. Da fipt er jegt, vertieft in den Anblid 
bes Mannes, den er unter Allen, die er je gekannt, am höchſten 


— 331 — 


verehrte, den «er jedem Andern vorzog, ohne irgend Jemand des: 
halb zu vernadläffigen oder herabzufegen. Seine Augen fuchten 
mit der Liebe einer Mutter, melde in den Zügen des Neugebo⸗ 
renen, der an. threm Bufen ſchlummert, Mebnlichkett an dem Va—⸗ 
ter finden will, in dem verwitterten, rauhen, gebräunten und nar⸗ 
benreihen Antlitz, das einem Indianer gehören konnte, nad alten 
befannten Linien. Entdeckte dieſe Treufreund auch nit, fo bil- 
dete er fih’s doch ein. Flog ein Lächeln über die krauſen Züge 
Auguſtins, dann zudte der „Schatten” aufjaudzend zufammen, 
denn nur in ſolchen Momenten enthüllte fi wirflih auf Augen 
genblide der ganze in einem Leben voll Noth und Abenteuern un= 
tergegangene frühere Menſch. Diefer Auguftin Hohenfels, der jegt 
unter den europälfchen Freunden faß, kam Treufreund vor, wie 
ein vermitterted Haus, das man als Kind verlaflen hat, wie es 
eben erbaut worden war, und das man im Greifenalter bemoof't, 
mit Wundenmalen der Zeit bededt, wieber fieht und kaum zu er⸗ 
kennen vermag. 

Treufreund ſtieß ſich indeß nicht an Aeußerlichkeiten. Hatte 
er fich ſelbſt doch ebenfalls ſehr verändert, obwohl ſein Leben im 
Vergleich mit dem des Freundes ein friedliches, kaum von einem 
Schatten getrübtes zu nennen war. Das Herz Auguſtins hatte 
fich nicht verändert. Sein Geiſt war noch ſo friſch, frei, kräftig 
und hochfliegend wie ehedem, und was Treufreund wahrhaft ent⸗ 
zückte, in dem tief in die Höhle verſunkenen Auge lebte noch die= 
ſelbe Theilnahme, zuckte noch dieſelbe Gluth, wie vor zwanzig Jah⸗ 
ren, und auch der Ton der Stimme war kein anderer geworden. 
Das Organ des durch die halbe Welt gehetzten Mannes klang ſo 
mild, weich, voll, wie damals, als er ihm an Borb bes Schiffes, 
das ihn der neuen Welt zuführen folkte, unter zitterndem Hände⸗ 
druck das letzte Lebewohl zurief, dann auf's Quarterdeck fprang 
und den Hut fo lange in ber Luft ſchwenkte, bis der Schiffsrumpf 
Hinter den Maften der vor Anker liegenden Fahrzeuge verſchwand. 

Bon den Gefprähen, welche Auguftin Hohenfels mit feinem 
Steven Schwanger und dem ihm fo geiſtesverwandten Eduard führte, 


— 332 — 


können wir ſchweigen, da fie im Allgemeinen nus Bekanntes be- 
rührten und bei Weitem nicht fo fehleierlos das Innere des Man- 
ned darlegten, wie dies feine uns zum Theil befannt geworde⸗ 
nen Aufzeihnungen thaten. 

Die Unterredung hatte weit über eine Stunde gedauert, da 
unterbrach fie Hetdenfrei mit den Worten: 

Ich muß Briefe unterzeichnen, lieber Auguſtin. Ich denke, 
du begleitet mid und fiehit dir die Räume an, wo bu früher ja 
fo oft weilteft. Du wirft fie leicht wieder erkennen, denn ich har 
be nur wenig daran verändern laffen. Außer einer Thellung 
meines eigenen Zimmers, die ich für zweckmäßig hielt, tft, glaub’ 
ih, Alles, bis auf die Pulte und Seſſel geblieben, mie es war. 
Doch nein, die Fenſter find etwas vergrößert und flatt der klei— 
nen Scheiben, die immer ein fo faliches Licht gaben, groß und 
Kar ſchimmernde eingeſetzt worden. Es läßt fi jebt ganz ſu— 
perbe arbeiten, felbft bei dicker Nebelluft: | 

Auguftin erklärte fich bereit zu diefem Gange Gr nahm 
ben Arm jeinee Neffen und ein Seufzer entrang fi der Bruſt 
des ſtarken Mannes. 

Mein Sohn! ſprach er. Wär's mir doch vergönnt, auch mit 
dem Sohne dereinft jo Arm in Arm über die Straße zu gehen! 
Wo er wohl weilen mag, der Geliebte, der mid fo wenig kennt, 
wie ich ihn, der von meinem Dafein nicht einmal eine Ahnung 
haben kann? 

Dieſe Zeit, glaube es meiner ahnenden Seele, Auguſtin, 
wird kommen, wird bald kommen! ſprach Treufreund. Es wa= 
ren die erſten Worte, die ſeit dem Bewillkommnungsgruße über 
ſeine Lippen kamen. 

Sodenfels ſchüttelte ungläubig das Haupt. | 

Lieber, treuer, brüberlichstreuer Freund, verfegte er, Id 
danke dir für diefen neuen Beweis deiner wunergründlichen Liebe 
und innigen Theilnahme, die auch dieſe lange Zeit der Tren- 
nung zwifchen ung, der Glaube an meinen Tod in deinem Her- 
zen nicht hat abjchwächen können, Leider aber ift die Wirklichkeit 


— 333 — 


nur gar zu oft der Schalksnarr unſerer reinſten und beſten 
Wünſche, der fie mit der Peitſche todtſchlägt und wenn fie nicht 
gleich daran fterben wollen, noch obendrein, einen fchlechten Witz 
reißend, luſtige Bodsfprünge auf ihnen macht. Ginen verlorenen 
Sohn wiederfinden ift beinahe chen fo ſchwer, als das Herz eined 
Mädchens entdecken, an dem man das eigene vertrauensvoll aus- 
ruhen fann. Es gibt ſolche Glücksfälle, gewiß, aber fie find fo 
var, wie die Menfchen, welche nur bismwetlen wifjentlih, um nicht 
zu fagen, mit Vorfag, fehlen. 

Bet den letzten Worten feines Schwagers öffnete Heidenfrei 
die Thür zum Comptoir. Sämmtliche Angeftellte, welche den 
Schritt des Prinzipals genau fannten und aus den lauten Wor- 
ten des Sprechenden vermutheten, daß er in Begleitung Mehrerer 
fomme, wandten fich neugierig nad der Thür um, wo ihnen bie 
tmponirende Geftalt Hohenfele’ mit den markigen, braunfarbigen 
Gefihtszügen fogletch auffallen mußte. Wie auf ein erhaltenes 
Commandowort erhoben ſich Alle. im 

Heidenfrei, der gerade im Gefchäftslocale am wenigſten red— 
jelig war, hielt e8 für ſchicklich dem ganzen Perfonal feinen Ver—⸗ 
wandten ein für allemal mit bündigen Worten vorzuftellen. Er 
fagte daher, wie ein Feldherr alle Gomptoiriften mit ſcharfem Auge 
ſtreifend, zu dieſen: 

Mein Schwager, Herr Auguſtin Hohenfels aus Rio! 

Damit war der Förmlichkeit genügt und dem Gomptofrperfo= 
nal zugleich aud angedeutet, daß jeder Einzelne ungeftört in ſei— 
nen Arbeiten fortfahren möge. | 
Anton war dies unlieb. Er hätte gern den Mann, von dem 
in den legten Monaten fo oft die Rede gewefen war, der Wun⸗ 
derbares erlebt, viel Trübes und Schreckliches erduldet haben mußte, 
obwohl darüber nur höchſt lückenhafte Gerüchte umliefen, etwas 
ſchärfer in’d Auge gefaßt. Daran wurde er jedod vor allen 
Nebrigen am metiten verhindert, denn der Rheder trat zu ihm, 
richtete mehrere Fragen an ihn, die prompte und Mare Antwort 


— 334 — 


erheiſchten, und ließ ſich ſodann die fertigen Briefe geben, um fie 
raſch zu überfliegen und zu unterzeichnen. 

Am Pult jedes Arbeiters hatte ſo der Prinzipal Einiges zu 
ſagen , nachzufragen oder anzuordnen. Dieſe günſtigen Minuten 
benutzte, da auch Eduard einige Abhaltungen hatte, Treufreund, 
um den Zurückgekehrten ganz in Beſchlag zu nehmen. Er hing 
fi an Auguſtin's Arm, zog ihn in möglichſter Eile nad feinem 
eigenen Urbeitöraume, deutete bier auf die Fenſter, dann auf das 
Pult und den alten niedergefeflenen Comptoirbock, wo Hohenfels 
mehr denn einmal gerubt und mit dem damals jugendlih rüftigen 
Buchhalter intereffante Gefprähe vol Geiſt, unendlih reih an An⸗ 
fhauungen und weittragenden Gebanten, geführt hatte. Treufreund 
verfagte abermals die Sprache. Sein Her; war fo übernoll, daß 
ihm Worte wie eine Entweihung der Empfindungen vorfamen, bie 
ihn jebt ganz befeelten, . beherrichten und beglüdten. Es waren 
gewiß bie feligften Augenblide, die der „Schatten”, fo lange er hier 
wirkte, verlebt haben mochte. Aber die Tiefe und Wahrheit jenes 
Empfindens verliehen ihm die bezeichnendften Bebehrben, fo daß 
Hohenfels den ſchweigſamen Freund, deflen Lippe nur dann und 
wann zudte, oder deſſen Augenwimpern eine Breubenthräne zur Erde 
fallen ließen, beffer verftand, als wenn er flüfternd, um die Andern 
nicht zu flören, mit ihm geiprohen hätte. 

Bon Zeit zu Zeit drückte Treufreund Hohenfels auch die 
Hand oder ex Elopfte ihm lächelnd und liebkoſend fanft auf bie 
gebräunte Wange. Endlich holte er ein paar der für ihn fo ehr⸗ 
furchtgebtetenden Handlungsbücher hervor, fhlug fie auf und deu⸗ 
tete Auguſtin Hohbenfels bie Notizen an, die er dazu gemacht hatte, 
Ganz zulept aber erfhloß er das Pult, nahm das Briefpaquet, 
bas wir ihn Eürzlih mit folher Andacht durchblättern fahen, zeigte 
es dem geliebten Freunde und konnte fi nicht enthalten, unter 
heftiger hervorbrechenden Thränen biefen höchſten Schatz flüchtig an 
feine Lippen zu drüden. 

Hohenfels reichte dem erprobten Freunde, der ihn jeberzett 
ganz verſtanden hatte, feine Hand. 





— 995 — 


So große Anhänglichkeit habe ich wicht verdient, ſprach ex 
bewegt, denn, um bie Wahrheit zu fagen, jo aufrichtig ich an Bir 
bing, es find fpäter, als das große Unglück über mich fam, doch 
viele Monate vergangen, ohne daß ih mich beiner erinnert habe. 

Treufveund lächelte. War das ein Wunder? verſehte er. 
Konnte es wohl anders fein? Wir bier Iebten in ber alten Welt, 
die ihre von Kind auf Kindeskind vererbten. Gewohnheiten und 
Veberlieferungen befigt und fefthält, die lebteſt prüben in ber neuen 
Melt, wo ed weder Gewohnheiten noch Geſchichte gibt, ſondern 
jeber neue Tag nur fi ſelbſt regelt, wie bu mis wiederholt ge⸗ 
ſchrieben haſt. Wo ſollteſt du in folder Welt bleiben mit den 
fein empfindenden Nerven, die du aus dem alten Europa herüber⸗ 
brachteſtz Zu Grunde hätte du gehen müſſen mis einem Herzen 
voll reinen europäifhen Blutes. Du mußtelt anderes, älteres bir 
anfchaffen, und daß bu dies konnteſt, das hat dich erhalten in der 
fhweren Trübfal, das ſchenkte uns bi mach fo langen Jahren 
wieder. Dein Herz, deine Gefühle find birfelben geblieben, mit 
benen bu bier an Bord bes Schiffes ging, du haft es drüben 
nur in fiherem Gewahrfem untergebradt, wie man ein theures 
Andenken verfchließt, damit es nicht verlosen gehe oder abgenutzt 
werde. 

Du meinft es gut, ich weiß es, ſprach Hohenfels, ben Freund 
gerührt an feine Bruft ziehen. Wären alle Menſchen wie bu, 
dann gäb' es Feine Feindſchaft, einen Haß, kein muthwillig er- 
zengtes Elend auf Erden. 

Während dieſer Unterhaftung, die fehr leiſe geführt warb, 
und welde dem Gomptotrperfonal Zeit genug gab, um die Geftalt 
des Allen merkwürdigen Mannes zu muftern, fuhr ein Wagen vor. 
Bald darauf. trat David ein, raunte dem Prinzipal ein paar 
Worte mit polternder Stimme zu und begab fich ſogleich wieder 
an feine Arbeit auf ber Diele, wo er fih unter halben Schiffsla⸗ 
bungen, bie daſelbſt faft immer aufgeftapelt lagen, am gemüthlid« 
ften fühlte, 

Heidenfrei vief feinen Schwager, ber unverweilt, am Arme 


— 334 — 


erheiſchten, und ließ ſich ſodann bie fertigen Briefe geben, um fie 
raſch zu überfliegen und zw unterzeichnen. 

Am Bult jedes Arbeiters hatte fo der Prinzipal Einiges zu 
fagen, nachzufragen oder anzuorbnen. Diefe günfttgen Minuten 
benußte, da auch Eduard einige Abhaltungen hatte, Treufreund, 
um ben Zurüdgefehrten ganz in Beihlag zu nehmen. Gr hing 
fh an Auguſtin's Arm, z0g ihn in möglichſter Eile nad feinem 
eigenen Arbeitöraume, deutete hier auf die Fenſter, dann auf das 
Pult und den alten niedergefefienen Comptoirbod, wo Hohenfels 
mehr benn einmal geruht und mit dem damals jugendlih rüftigen 


Buchhalter intereffante Gefprähe vol Geift, unendlich reich an An⸗ 


fhauungen und meittragenden Gedanken, geführt hatte, Treufreund 
verfagte abermals die Sprache. Sein Herz war fo übervoll, daß 
ihm Worte wie eine Entweihung der Empfindungen vorfamen, bie 
ihn jegt ganz beferlten, . beherrfchten und beglüdten. Es waren 
gewiß die ſeligſten Augenblide, bie der „Schatten“, fo Iange er hier 
wirkte, verlebt haben mochte. Aber die Tiefe und Wahrheit fetnes 
Gmpfindens verliehen ihm die bezeichnendſten Gebehrden, fo daß 
Hohenfels den ſchweigſamen Freund, deflen Lippe nur dann und 
wann zudte, oder deſſen Augenwimpern eine Freudenthräne zur Erde 
fallen ließen, befjer verftand, als wenn er flüfternd, um die Andern 
nicht zu fiören, mit ihm gefprochen hätte. 

Don Zeit zu Zeit brüste Treufreund Hohenfels auch bie 
Hand oder er Mopfte ihm lächelnd und liebkoſend fanft auf bie 


gebräunte Wange. Endlich holte er ein paar der für ihn fo ehr⸗ 


furchtgebietenden Handlungsbücher hervor, ſchlug fie auf und beu« 
tete Auguftin Hohenfels die Notizen an, die er dazu gemacht Hatte, 
Ganz zuletzt aber erfhloß er das Pult, nahm das Briefpaquet, 
bas wir ihm kürzlich mit folder Andacht durchblättern fahen, zeigte 
es dem geliebten Freunde und Tonnte fi nicht enthalten, unter 
heftiger bervorbrechenden Thränen diefen höchſten Schatz flüchtig an 
feine Lippen zu drüden. 


Hohenfels reichte dem erprobten Zreunde, der ihn jederzeit | 


ganz verfianden hatte, feine Hand. 








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— 995 — 


So große Anhänglichkeit Habe ich wicht verbtent, ſprach er 
bewegt, denn, um die Wahrheit zu fagen, fo aufrictig ich an bir 
hing, es find fpäter, ald das große Unglüd über mich kam, doc 
viele Menate vergangen, ohne daß ich mich beiner erinnert habe. 

Treufveund lächelte. War bas ein Wunder? verfchte er. 
Konnte es wohl anders fein? Wir bier lebten in der alten Welt, 
die ihre von Kind auf Kindesktnd vererbten. Gewohnheiten und 
Veberlieferungen befift und feRbält, die lebteſt prüben in ber neuen 
Welt, wo ed weder Gewohnheiten noch Geſchichte gibt, fondern 
jever neue Tag nur ſich felbfi regelt, wie bu mir wiederholt ge⸗ 
ſchrieben haſt. Wo ſollteſt du in folder Welt bleiben mit ben 
fein empfindenden Nerven, bie du aus dem alten Europa herüber⸗ 
braten? Zu Grunde Hätte du gehen müſſen mis einem Herzen 
voll reinen europälfchen Blutes. Du mußteſt anderes, kälteres bir 
anfhaffen, und daß du Dies konnteſt, das hat dich erhalten in ber 
fhweren Trübſal, das fihenkte uns Di mach fo langen Jahren 
wieder. Dein Herz, deine Gefühle find biefelben geblieben, mit 
denen du hier an Vord des Schiffes gingſt, du haſt es drüben 
nur in ſicherem Gewahrſam untergebradt, wie man ein theures 
Andenten verſchließt, damit es nicht verfoven gehe oder aßgennpt 
werde, 

Du meinft es gut, Ich weiß es, ſprach Hohenfels, den Freund 
gerührt an feine Bruft zieherd. Wären alle Menſchen wie bu, 
dann gäb’ es keine Feindſchaft, keinen Haß, kein muthwillig er⸗ 
zengtes Elend auf Erben. 

Während diefer Unterhaltung, bie ſehr leiſe geführt ward, 
und welche dem Gomptotrperfonal Zeit genug gab, um die Geſtalt 
des Allen mertwürbigen Mannes zu muſtern, fuhr ein Wagen vor. 
Bald darauf. trat David ein, rannte dem Prinzipal ein paar 
Worte mit pokternder Stimme zu und begab fich fogleih wieder 
an feine Arbeit auf ber Diele, wo er fih unter halben Schiffsla- 
bungen, die bafelbft faft immer aufgeflapelt Lagen, am gemüthlich⸗ 
ften fühlte. 

Heidenfrei vief feinen Schwager, ber unverweilt, am Arme 


— 336 — 


Treufreund's die Arbeitszimmer durchſchreitend, dem Rufe des 
Schwagers folgte. 

Ich habe dir noch eine Mittheilung von Wichtigkeit zu ma 
hen, redete er ihn an, die Comptoiriften im Fortgehen freundlich 
grüßend. Don meinen Söhnen wirft bu erfahren haben, daß ſich 
im vorigen Herbft eine höchſt Argerlihe Geſchichte bier zutrug. 


Die Sache überraſchte mich damals dergeitalt, dag ih Mühe hatte, 


meine Ruhe zu behalten. Kein Menfh vermochte mit einiger Ge⸗ 
wißheit den eigentlihen Zufammenhang, viel weniger noch den 
wahren Hergang zu errathen, ber mitten aus dem fröhlichen Le— 
ben einer zahlreichen Gefelihaft ein junges, hübſches, von Jeder⸗ 
mann gern gefehenes Mädchen fpurlos verſchwinden Tief. 

Die Tochter deines Quartiersmannes, fiel Hohenfels ein. 
Ganz reiht, th entfinne mid. Eduard, glaub’ ih, hat mir über 
dies auffallende Ereigniß ziemlich ausführlich gefchrieben. “Der 
Verdacht fiel auf ein paar junge Seeleute, niht wahr? Hat man 
fie entdedt, und find fie der frechen That geftändig? 

Der Entführer oder vielmehr deren Anftifter tft entdeckt, ver- 
ſetzte Heidenfrei, es fit aber ein ganz Anderer, als die wir an= 
fangs für fhuldig hielten. Gerade jener Matrofe, ein Frembling 
aus Süd» oder Mittel - Amerita war es, dem wir die Entdedung 
des wirflihen Thäters verdanken. Die Geraubte befindet fih, Gott 
Lob, Teiblih und geiſtig im beiten Wohlfen. Ihr Entführer hat 
von feinem romantiſch-kecken, nah unfern Redtsanfichten höchſt 
ftrafbaren Unternehmen nihts als den Schimpf und eine total 
rutnirte gefellfhaftlihe Stellung. Ueber feine Perſönlichkeit ſollſt 
du fpäter Weiteres von mir hören. Gegenwärtig wollte ich dir 
nur fagen, daß Chriftine foeben von ihrem Vater aus dem bi8- 
her fo glüdlich geheim gehaltenen Verftel abgeholt und zu meiner 
Famtlie auf dem Lande gebracht worden iſt. Du follft das Mäd- 
chen fpäter Fennen lernen und wirft es, Hoff ih, lieb gewinnen. 
Der junge Mann, welcher uns den Thäter näher bezeichnete, war- 
tet meiner, um mir Bericht abzuftatten. Es tft derfelbe, den wir 
früher mit nit geringem Grunde für den wirklich Schuldigen 


— 337 — 


hielten. Haft du Luft feine Bekanntſchaft zu mahen? Er if 
ja immer als geborner Brafilianer Halb und Halb dein Lands⸗ 
mann. 

Wie nennt er ſich? 

Sa, fiel Hetdenfrei ein, das mag ber gute Menſch fo ganz 
genau wohl felbft nicht willen. Nach feinem Familiennamen has 
ben wir ihn nicht einmal gefragt. 

Er nennt fih Miguel, ſprach Treufreund, er glaubt in Süb- 
amerifa geboren zu fein, tft aber fehr frühzeitig erbarmungslos in 
die Welt hinausgeſtoßen worden und hat wunderbare Schickſale 
gehabt. 

Miguel! ſagte Hohenfels finnend. Miguel heißen viele Men⸗ 
fhen. Ich muß, wenn th diefen Namen höre, immer an Pueblo 
y Miguel Saldanha denken. 

Du könnteſt vielleicht den aufgewedten Matrofen nach diefem 
Manne fragen, warf Heidenfrei ein. Mir iſt es noch nicht ein 
gefallen oder richtiger, ih bin nicht dazu gekommen, da ung bie 
Entdefung des Aufenthaltsortes der armen Entführten bei unfern 
fettherigen Zufammenfünften ausſchließlich befchäftigte. 

Das will ih auch, ſprach Hohenfels entfchloffen. Iſt biefer 
Matrofe ein Brafilianer von Geburt, hat er längere Zeit in den 
Küftenftrichen des mexikaniſchen Golfs und auf den Inſeln gelebt, 
fo muß diefer Name ihm mehr als einmal zu Ohren gelommen 
fein, denn der Mann, welcher ihn führte, war, wie ich durch un— 
abläffige Nachfragen erfahren habe, eine überall gefannte und be— 
liebte Perfönlichkeit. 

Auf dem Gorridor erwartete der Quartiersmann ben Rheder. 
Das Gefiht des in den letzten Monaten ſtark gealterten Mannes 
ftrahlte vor Freude. 

Du bringft gute Nachricht, ich fehe dir es an, ſprach Heiden⸗ 
frei. Superbe! Aber wo haft du deinen jungen Begleiter? Er 
iſt doch nicht etwa mit deinem Willen durchgegangen? | 

Alles in Ordnung, Herr, verfebte Jacob. Der Moſes hat 


und ausgezeichnet bedient für die ſchönen Portugalöfer, die Ste 
D. B. XI Willkomm's Rheder und Matroſe. 22 


— 338 — 


ihm ſo gnädig zugeſagt. Ich weiß gar nicht, wie ich das wieder 
gut machen ſoll mit meinen beiden Händen. Arbeiten kann ich 
wohl, aber mit Arbeit allein kann auch der redlichſte Mann ge⸗ 
noſſene Wohlthaten nicht vollſtändig abverdienen. 


Still, ſtill, Jacob, unterbrach ihn der Rheder. Du biſt ſchon 
ſehr nachſichtig gegen mich und mein Haus, wenn du mir erlaubſt, 
daß wir nach dem, was Alles geſchehen iſt und wenn fortan deine 
Tochter in meinem Hauſe bleibt und Unterricht genießt, wie ihre 
natürlichen Anlagen ihn verlangen, mit einander einfach aufheben. 
Abarbeiten! Pfui, Jacob! Wie magſt du ſolchem Gedanken dich 
hingeben! Nichts mehr davon! Jetzt aber ſieh dich um und fag’ 
mal, ob du das Gefiht da Tennft oder ob es dir doch bekannt 
vorkommt. 

Der Rheder öffnete bei diefen Worten die Thür feines Zim⸗ 
mers, durch welche das volle Licht des Tages In den dunkeln Gor= 
ridor und auf die Gruppe der hier Stehenden fiel. Jacob prallte 
erſchrocken und verwundert zurück beim Anblid Auguftins, von befr 
fen naher Ankunft er zwar gehört hatte, deſſen er fih aber nur 
dunkel noch erinnern konnte, — 

O Gott, o Gott! rief er aus, die Hände faltend. Wie hab' 
ich mich erſchrocken! Da iſt ja Er! Nur etwas älter und härter 
von Zügen, aber ganz Er, bis auf die Augen, die freilich mehr 
in's Schwarze, als in's Graue hinüberſpielen. 

Treufreund betaſtete bald ſeine Glatze, bald trocknete er ſich 
die immerfort thränenden Augen, während er innerlich frohlockend 
das Haupt hin- und herwiegte. 

Bon wem fpriht der Mann? fragte fihtlih aufgeregt Hohen 
feld. Wem fehe ich oder wer fieht mir ähnlich? 

Ehe noch Jemand darauf antworten Tonnte, rief eine fugend= 
Lich-frifhe Stimme den Namen Jacob und eflige Schritte ließen 
auf der Treppe fi) hören. 

Komm’, komm’, mein Junge! verfeßte Jacob, Heute gibt 
es Freude auf Erden und Brohloden im Himmel! Komm’ ber 


— 339 — 


und laß dich anguden, damit man: erfährt, wo bu heimiſch bift 
und wen du angehörft! 

Miguel trat raſch in's Zimmer, durch deſſen Fenſter goldiger 
Sonnenglanz ſchimmerte. Ihm gerade gegenüber ſtand Auguſtin 
Hohenfels, ſeine ſcharfen Augen auf den hochgewachſenen, kräftigen 
Jüngling heftend, der jetzt mit freudeſtrahlendem Antlitz ihm ents 
gegentrat. 
Himmel, was iſt das! rief der von ſo ſchweren Schickſalen 
heimgeſuchte Mann, an allen Gliedern zitternd aus. Dieſer Junge 
heißt Miguel? Ich will Gewißheit. Gib her die Linke, und wehe 
mir, ein Fluch, ein Fluch auf dieſe Stunde, wenn du mich ſo 
fürchterlich täuſcheſt! 

Hohenfels warf einen ſchrecklichen Blick, aus dem das Feuer 
des Wahnfinns zudte, gen Himmel, dann faßte er wild die Linke 
Miguels, riß das blaugeftreifte Baummollenhemd, das eng am 
Knöchel ſchloß, auf, flreifte es zurlid bis zum Ellenbogen und be= 
trachtete bier die Innere Seite des Armes. Gin feines, granatfar- 
benes Blatt von ſchönſter Zeichnung fehimmerte ihm als Mal ent- 
gegen. . 

Das Granatblatt! O Gott, das Granatblatt, deffen Fall 
meine Dolores fo fehr erfchredte, als fie ihn unter dem Herzen 
trug ! " 

Auguftin Hohenfeld brach in ein convulfinifches Gelächter der 
Freude aus, Sffnete beide Arme, riß Miguel an feine Bruft und 
fant mit ihm zugleich, wiederholt die Worte rufend: Mein Sohn! 
Mein Scmerzenstind! Kind meiner gemordeten, ewig geliebten, 
unvergeßlichen Dolores! bewußtlos auf den .naheftehenden Divan. 

Die Zeugen dieſes Wiederfindens verftummten im Anblid ei— 
ned Glüdes, das denen, die es genofien, eben fo leicht den Tod 
bringen, wie neues, frohes Leben ſchenken konnte. Treufreund 
aber Inteete neben Vater und Sohn nieder, bewegte fprachlos Die 
Lippen und legte feine weiße, zitternde Hand, als wolle er fie feg- 
nen, auf Beider Scheitel. 


22* 





Drittes Buch. 


Die Fluth.“ 


Erfies Kapitsel. 


Auf der Alſter. 


Ein kleines Geſchwader zierlicher Ruder- und Segelboote 
ſchwamin über die breite Waſſerfläche der Außenalſter der Lom- 
barbsbrüde zu. Der beinahe volle Mond fpiegelte fih in den Leicht 
bewegten blauen Wellen und beftreute fie mit fliefendem Silper, 
büben und drüben die fchön belaubten Ufer um Pöfeldorf und 
die Häufergruppen der Vorſtadt St. Georg in buftigen Dammer- 
glanz hüllend. 

Es war ein Föftlicher, warmer Auguftabend, einer jener Abende 
Die auch dem Norden füdlich gefättigte Tinten leihen. Der An 
blit des großen, feebuchtartigen Waſſerheckens mit den vielen laut⸗ 
[08 darüber hingleitenden weißen Segeln, das Plätfchern im ra⸗ 
ſchen Takte gehandhabter Ruder, deren female Schaufeln beim 
Emportauden aus dem Wafler im Monde glikerten und die herab- 
träufelnden Waffertropfen in funkelnde Brillanten verwandelten, 
bie Gruppen ſtill rudernder Schwäne, die ihr filbernes Gefieder 
im Mondſchein badeten, endlih die Impofanten Häuferreihen des 
alten und neuen SJungfernitieged und weiter im SHintergrunde 
bie hohen Thürme ber braufenden Stadt, in feinem Nebel ver- 
ſchwimmend: dies Alles war mohl geeignet, jeine Zauber auf em⸗ 
pfänglihe Gemüther auszuüben. 

Obwohl die Luft nur wenig bewegt war, füllten fich doch bie 
Segel der Teicht gezimmerten Aifterfähne und trieben diefe mit 
ziemlicher Schnelligkeit über die fchimmernden Wellen. Die Ru 
berboote vermochten nicht Schritt zu halten mit den Segelbarfen, 
und oft, wenn einer der rafheren Segler an einem der Ruder- 


— 344 — 


boote vorlberraufchte, vernahm man Scherzworte und übermüthiges 
Lachen fhälernder Mädchen. . 

Diefe Flotille kehrte aus Eppendorf zurück. In dem reizend 
gelegenen Drte war ein ländliches Felt von einer Anzahl Familten 
arrangirt worden, das mit einem brillanten Feuerwerk endigte. 
Dann fchiffte män fih ein, um den Reit bes froh verlebten Tages 
noch recht zu genießen auf dem fühlen, mondbeleuchteten Wailer- 
fptegel. Die jungen Leute, denen es Vergnügen machte, fich in 
ber Führung eines Nahen, in geſchickter Handhabung eines Ru— 
ber zu üben und darin eine gewiſſe Meifterfhaft zu erlangen, 
gingen gegenfeitig Wetten ein, und firengten alle ihre Kräfte an, 
um bie blauen, flimmernden Wellen am ſchnellſten zu burchfchnet- 
den. Dies ertemporirte Wettrudern war gewiffermaßen eine Ber- 
längerung bes fröhlichen Feſtes, denn aud diejenigen, welche fi 
nicht daran betheiligten ober bethetligen Tonnten, hatten doch ein 
Intereffe an dem Ausgang ber nächtlihen Ruderübung, und na= 
mentlih waren es die Segelbarken, bie fich beeilten, vor Ankunft 
ber Ruderboote die verfihtedenen Landungspläße zu erreichen. 

Zwei Boote von ganz gleicher Bauart, ganz glei bemannt 
und mit Hamburg’s wohlbekannter Flagge geztert hatten bis jept 
fo genau mit einander Schritt gehalten, daß keins das andere auch 
nur um eine Linie überflügelte.e Da, bei einer unbebeutenden 
Wendung erhielt das eine den Vorſprung. Gin jubelndes Hurra 
der Ruderer verkündigte ben Sieg und das Niedergleiten der 
Flagge der Befiegten, das man ausbenungen hatte, zeigte zugleich 
das Ende der Wettfahrt an. 

Kurt trifft die Schuld, dag wir unterlegen find, fprach einer 
der ſechs Ruderer, welde außer dem Steuermann im Boote fid 
befanden. Hätte er, anftatt rechts zu wenden, links abgebogen, 
gewannen wir früher die Strömung, und dann war das Lachen 
auf unferer Seite. Weiß der Himmel, wie's kommt, diefem An⸗ 
ton, der früher kein befonderer Glücksvogel war, gelingt jeßt 
Alles ! 


Ich wollte, du hätteſt ſtatt meiner das Steuer geführt, ver⸗ 


‘ 











— 345 — 


fegte Kurt. Sch hab’ mic gemeigert, Ihr wißt es, denn ich fühle 
mich zu fo_wichtigem Voſten nicht berufen. 

Wir Alle fprehen dich frei von Schuld, fagte ein Dritter, 
laß Julius räfonniren. Er ärgert fih nur, weil Anton im Grunde 
Recht hat. Sagte er nicht fhon vor der Abfahrt: gebt Acht, das 
Boot, welches Julius zu tragen befommt, wird ’überflügelt. Er 
tft zu fett, es geht zu tief im Wafler. 

Die Uebrigen mußten laden, Julius aber, auf deffen Koften 
feine Gefährten fih amüfirten, legte ruhig fein Ruder nieder, 
treuzte die Arme über der Bruft und fagte gelaflen: Thut nichts, 
der größere Genuß bleibt uns doch. Wir mahen’s, wie die Ken 
ner einer guten Tafel. Zum Deffert verfpeifen wir die rarſten 
Delicateſſen. Was haben denn diefe fogenannten Steger von ihrem 
Triumphe? Höchſtens außer müden Armen und keuchender Bruft 
das holdjelige Lächeln von ein paar feingepußten Rhederstöchtern. 
Wir dagegen, wir find freie fröhliche Menfchen. Uns gehört die 
Welt, der köſtliche Mondfchein, die ganze Binnenalfter, und wollen 
wir leben, wie es wahren Weltweifen des neunzehnten Jahrhuns 
derts geztemt, fo legen wir jegt erſt vecht nicht an, fondern kreu— 
zen noch ein halbes Stündchen auf dieſem mit Mondfilber gefüllten 
Bottih und laſſen bei einem Glaſe Champagner, ben ich vorforg- 
ih mit beigepadt habe, um im Falle eines Abtreibens nicht Noth 
zu leiden, alle fchönen Augen und rofigen Xippen, die wir ung 
jegt noch viel fhöner und ſchmackhafter vorftellen können, als fie 
vielleicht in der Wirklichkeit find, Hoch leben. 

Du biſt und bleibſt ein unverbefjerlicher Materiatifl ſprach 
Kurt. 

Ein fein und weiſe jeden Moment des Lebens genießender 
Epikuräer, mußt du ſagen, erwiderte Julius. Lebt noch ſechs bis 
acht Jahre länger und werdet ſo wohl beleibt, wie ich es, Gott 
Lob, von Kindesbeinen an immer geweſen bin, und Ihr werdet 
einſehen, daß meine Philoſophie die ſolideſte iſt. 
| Die unverwüftlihe Laune des heitern Lebensmannes verſcheuchte 
ſchnell die kleine Mißſtimmung, welche ſich in Folge der verlorenen 


— 346 — 


MWettfahrt einige Augenblide befonders bes fleuerführenden Kurt 
bemädhtigt Hatte. Man fand den Vorſchlag des immer auf neue 
Genüffe dentenden Julius ganz annehmbar, und da ber Abend 
warm, ber Mondſchein gar zu verführerifh einladend war, fo grif- 
fen die jungen Leute gern wieder zu ben Rudern, um nod ein 
paarmal auf der prächtigen Binnenalfter die Runde zu machen, 
Diefe nächtliche Spazierfahrt war unterhaltend genug, denn nicht 
allein zeigte fi noch ein lebhaft bewegtes Treiben unter den ſchat⸗ 
tigen Linden des alten Jungfernftieges, auch Spiel und Gefang 
war aus mehr denn einer der fafhtonablen Wohnungen vernehmbar. 

Jetzt den® ich mir, ich bin einer ber Mächtigen aus ber alten 
Dogenftadt an der Adria, fprah Julius, fein Ruder einziehend. 
Dort der Brüdenbogen kann den Rialto vorftellen, die Windmühle 
daneben — na, die fieht man nicht. Himmel und Wafjer nehmen 
es wohl mit der venetianiſchen Meerflutb und dem Luftgewölbe, 
das fi in ihr fpiegelt, auf, wenigftens. haben Kenner mid ver- 
fichert, daß der berühmte Canale grande zu gewiflen Zeiten mit 
unferm breiten Fleeth die größte Familienähnlichkeit haben fol. 
Seht mal, Jungens, Ihr nennt mid immer materiell, und Id 
widerfprehe Euch nicht, das aber babe ich doch vor Euch vor⸗ 
aus, daß id mir nämlich rund um mich herum Alles fo ſchön vor= 
fiellen Tann, wie's mir beliebt. Macht mir das nad! 

Das kommt' von deinem Appetit ber, erwiderte einer der 
Ruderer. Ein übervoller Magen bet die tollſten Phantafieen aus, 

Sapperment, rief Julius auflahend, wenn das wahr wäre,. 
fo würde dieſe gute Stadt an Alfter und Elbe früh genug aus 
einer handeltreibenden Metropole die Reſidenz der zahlreighiten 
Poeten werden, die fih je an einem Orte zufammenfanden. Nein, 
guter Junge, fo eingebildet bin ih nicht, aber das iſt wahr, das 
Denken gelingt mir immer, wenn ich gar feinen Hunger mehr 
fpüre, und am wohliten befinde ih mich geiſtig und leiblih dann, 
wenn th die Blume des Weines, den ich zuletzt probirt, noch auf 
der Zungenfpite ſchmecke. Doch, was geht uns Das an. Halten 
wir und an bie Gegenwart, an das Gelende, wie bie neuellen 


— 341 — 


Philoſophen fih wiffenfhaftlih nobel ausdrüden. Die Gegenwart 
tft das allein Sichere, und entfpricht fie unſern Wünfchen, fo füh« 
len wir uns glücklich. Möge fie uns immer In fo feenhaften 
Glanze, fo zauberhaft angethan, wie eben jept, erſcheinen. 

Julius entkorkte den bereit gehaltenen Champagner, ließ den 
Wein ins Glas fhäumen und trank es den Freunden zu. Die 
Flaſche war bald geleert. 

Fort mit ihr in Die "Unterwelt! ſprach ber fröhlihe Sohn 
des Genuffes und fchleuderte die Flaſche in das Baffin. Die 
Schaale einer genofjenen Frucht verdient immer zu Grunde zu 
gehen. 

Der Nahen, nur von zwei Ruderern — die Vebrigen fei= 
erten — bewegt, trieb langfam auf dem blitzenden Gewäſſer. 

Mo ftedt denn eigentlich unfer neufpanifher Hidalgo? ſprach 
Kurt, bei dem SKlange einer Guitarre, der vom Jungfernſtiege 
bherüberfchwirrte, des Fremdlings gedenkend. Ich glaube, es find 
mehr als vier Wochen vergangen, feit wir zum lebten Male mit 
ihm zu Abend fpeiften. 

Julius lächelte höchſt verſchmitzt. J 

Meinſt du, das wird man uns, die wir den Trefflichen ſo 
gut kennen, auf die Nafe binden? ſagte er. Hat er nicht öffent-⸗ 
lich befannt gemacht, daß er verreifen will. 

Das wohl ' erwiderte Kurt, nicht aber, wohin. Und dann, 
wenn man nur auf furze Zeit verreift, fo kommt man auch 
wieder. 

Eine weife Bemerkung, um welche dich Polontus beneiden 
Tönnte, ſprach Julius. Indeß verreif’t man auch zuweilen, um 
von Andern nicht beläſtigt zu werden. 

Mag ſein, bei Don Gomez jedoch möchte ich ein ſolches 
Qui pro quo am wenigſten für möglich halten, entgegnete Kurt. 
Er hatte ja immer fo viel Zeit übrig, und ward er nicht belä- 
ftigt durch Befuhe und dergleichen, fo beläftigte ihn felbft die 
Langeweile bergeftalt, daß er gegen feine angeborene Natur un» 
liebenswürdig werden konnte. 


— 346 — 


Mettfahrt einige Augenblide befonders bes fteuerführenden Kurt 
bemädtigt hatte. Man fand ben Vorfhlag des Immer auf neue 
Genüſſe denkenden Julius ganz annehmbar, und ba ber Abend 
warm, der Mondſchein gar zu verführertfh einladend war, fo grife 
fen die jungen Leute gern wieder zu ben Rudern , um noch ein 
paarmal auf der prädtigen Binnenalfter die Runde zu maden, 
Diefe nächtliche Spazierfahrt war unterhaltend genug, denn nicht 
allein zeigte fih noch ein lebhaft bewegtes Treiben unter den fhat- 
tigen Linden des alten Jungfernſtieges, auch Spiel und Gefang 
war aus mehr denn einer ber fafhtonablen Wohnungen vernehmbar. 

Seht denk' ich mir, ih bin einer der Mächtigen aus ‚der alten 
Dogenftadt an der Adria, fprah Julius, fein Ruder einziehend, 
Dort der Brüdenbogen kann den Rialto vorftellen, die Windmühle 
daneben — na, die fieht man nidt. Himmel und Wafler nehmen 
es wohl mit der venettanifhen Meerfluth und dem Luftgewölbe, 
das fih in ihr fpiegelt, auf, wenigſtens haben Kenner mid, ver- 
fihert, daß der berühmte Canale grande zu gewiflen Zeiten mit 
unferm breiten Fleeth die größte Familienähnlichkeit haben fol. 
Seht mal, Jungens, Ihr nennt mich immer materiell, und ic 
widerfprehe Euch nicht, das aber habe ih doch vor Euch vor- 
aus, daß ih mir nämlih rund um mich herum Alles fo ſchön vor- 
fielen Tann, wie's mir beliebt, Macht mir das nad! 

Das kommt' von deinem Appetit ber, ermiberte einer der 
Ruberer. Ein Überooller Magen bet die tollſten Phantafieen aus, 

Sapperment, rief Julius auflahend, wenn das wahr wäre,. 
fo würde dieſe gute Stadt an Alfter und Elbe früh genug aus 
einer handeltreibenden Metropole die Refidenz der zahlreiſchſten 
Poeten werden, bie, fi) je an einem Orte zufammenfanden. Nein, 
guter Junge, fo eingebildet bin ich nicht, aber das ift wahr, das 
Denken gelingt mir immer, wenn ih gar feinen Hunger mehr 
fpfire, und am wohliten befinde ih mich geiſtig und leiblih dann, 
wenn tch die Blume des Weines, den ich zulebt probirt, noch auf 
der Zungenfpige ſchmecke. Doch, was gebt uns das an. Halten 
wir uns an bie Gegenwart, an das Getende, wie bie neueſten 


— 347 — 


Philoſophen fich wiffenfchaftlich nobel ausbrüden. Die Gegenwart 
ift das allein Sichere, und entſpricht fie unſern Wünfchen, fo füh« 
fen wir uns glücklich. Möge fie uns immer in fo feenhaftem 
Glanze, fo zauberhaft angethan, wie eben jept, erſcheinen. 

Zulius entkorkte den bereit gehaltenen Champagner, ließ den 
Wein ins Glas ſchäumen und trank e8 den Freunden zu. Die 
Flaſche war bald geleert. 

Fort mit ihr in Die Unterwelt! ſprach der fröhlihe Sohn 
bes Genuffes und fchleuderte die Flaſche in das Baſſin. Die 
Schaale einer genofjenen Frucht verdient immer zu Grunde zu 
gehen. 

Der Nahen, nur von zwei Ruderern — bie Uebrigen fei- 
erten — bewegt, trieb langſam auf dem blienden Gewäſſer. 

Wo ſteckt denn eigentlich unfer neufpanifcher Hidalgo? ſprach 
" Kurt, bei dem Klange einer Guitarre, der vom Jungfernftiege 
herüberjchwirrte, des Fremdlings gedenkend. Ich glaube, es find 
mehr als vier Wochen vergangen, fett wir zum legten Male mit 
ihm zu Abend fpeilten. 

Julius lächelte höchſt verſchmitzt. J 

Meinſt du, das wird man uns, die wir den Trefflichen ſo 
gut kennen, auf die Naſe binden? ſagte er. Hat er nicht öffent- - 
lich bekannt gemacht, daß er verreifen will. 

Das wohl, erwiderte Kurt, nit aber, wohin. Und dann, 
wenn man nur auf furze Zeit verretf’t, fo kommt man aud 
wieder. 

Eine weiſe Bemerkung, um welche dich Polontus beneiden 
könnte, ſprach Julius, Indeß verreift man auf zuweilen, um 
von Andern nicht beläftigt zu werden. | 

Mag fein, bei Don Gomez jedoch möchte ih ein folches 
Qui pro quo am wenigften für möglih Halten, entgegnete Kurt. 
Er Hatte ja immer fo viel Zeit übrig, und ward er nit belä- 
ftigt durch Befuche und dergleichen, fo beläftigte ihn felbft Die 
Langeweile bergeftalt, daß er gegen feine angeborene Natur un» 
liebenswürdig werden konnte. 


— 348 — 


Unfere Schönen hatten in Diefer Beziehung andere Anfichten, 
_ warf ein Dritter ein. 

Annahmen, Vermuthungen, nichts weiter, bemerkte ein Vier⸗ 
ter. Was fabelte und ztfhelte man fich im vorigen Winter nicht 
Alles Ind Ohr, als der Meritaner gerade unter allen Manns 
leuten das gejuchtefte Eremplar war, fchler als hätte alle Männ- 
Tichtett fich in den bräunlichen Ritter geflüchtet, und doch — hat 
Einer von Euch fpäter noch ein einziges Wort davon gehört? 

Gehört? fagte Julius. Nein, das nicht, aber denken ließ 
ſich doch allerhand. 

Denke, fo viel du willſt, was du denkſt, ausfprechen wirft 
bu es doch nicht. 

Am Lande vieleicht nicht, auch fehwerlih, wenn der Wind 
nordöftlih bläſ't, erwiderte Julius, auf dem Waffer aber unter 
lauter verfchwiegenen Freunden, bei Windftile und nachtſchlafender 
Zeit habe ih Courage, wie ber alte Ziethen binter'm Bufce. 

Da wäre ih doch neugierig, deine Gedanken ein wenig ken⸗ 
nen zu lernen, erwiderte Kurt. 

Weil ich einmal den Mund geöffnet habe, fuhr Julius fort, 
will ich auch ſprechen. Es tft ja feine Gefahr dabei. Uebrigens 
erlaube ich mir zu bemerken, daß ich mir gar nicht einbilde, Euch 
etwas Neues mitzutheilen, vielmehr hege ich die Vermuthung, Ihr 
wollt nur von meiner ebenfo vebeluftigen, als gefchmadvollen Zunge 

hören, was Ihr felbft auszufprehen aus Delicateſſe, Politeſſe 
oder Mangel an männlichem Freimuthe zu wagen Euch nit un- 
terfangt. - 

Ohne Einleitung, Lieber Jullus, und ohne Commentar, 
wenn td bitten darf, fagte Kurt, durch einen Drud des Steuers 
den Nachen abermals nördlich wendend. 

Ganz zu Befehl, Herr Kommandeur, erwiderte Julius. Hier 
alfo meine Gedanken, nad) neuefter deutſcher Façon in hochdeutſche 
Worte gekleidet, — Meinem Dafürbalten nah hat Don Alonfo 
Gomez in einem gewiffen vornehmen Haufe, das ich aus Nefpect 
zu nennen unterlaffe, bet einer gewiffen Perſönlichkeit, die eine 


— 349 —— ' 


ſehr begehrungswerthe, zarte Hand befigt, auf eine gewiffe an 
biefelbe gerichtete Frage ftatt einer lauten Antwort eine ftumme 
in Form eines gewiflen Geflechtes befommen, dem man im gemei⸗ 
nen Leben den profatfhen Namen „Korb“ zu geben pflegt. Was 
fagt Ihr zu dieſer Einkleidung meiner Gedanken? Sf fie nidt 
modern, vornehm, politiſch und doch allgemein verſtändlich? 

Sie iſt deiner ganz würdig, ſagte Kurt. Nun aber deine 
Gründe. Du ſcheinſt ein Eingeweihter, ein Wiſſender zu ſein. 

Meine Gründe entſpringen meinen Augen, fuhr Julius fort 
Ich Habe nur geſagt, was ih ſehe. Im Winter war Don Go⸗— 
mez geſucht; man lächelte ihm freundlih zu unb er durfte fich 
nicht entblöben' mit gutem Ton galant zu fein. Geit Anfang die 
ſes Frühjahres warb er weniger, fpäter gar nicht mehr geſucht. 
Er zog fih zurück, machte fi rar und verſchwand. Endlich ging 
er auf Reifen, die gewiſſe Perſönlichkeit aber lacht jetzt fröhlicher 
als früher, und wenn auch gewifle Leute die etwas gewagte Be- 
hauptung aufitellen, ihre feinen runden Wangen glichen mehr 
weißen Rofen mit fanft gerötheten Kelhen, als eben aufbrechen 
den Gentifolien, : fo kann ich doch nicht umhin, zur Ehre bes gu⸗ 
ten Gefhmades auszufprehen, daß ih in biefer fein ſchattirten 
Farbennüance nur einen Fortſchritt fih entwidelnder Frauenſchön⸗ 
heit erblide. 

Die Zuhörer ſchwiegen alleſammt. 

Hab' ich Euch ſtumm gemacht? fragte Julius nach turzer 
Pauſe. 

Deine Gedanken hören ſich gut an, verſetzte Kurt, es if 
fogar möglich, daß ein Schimmer von Wahrheit fie umhüllt, Be- 
weiſe jedoch möchtet du ſchwerlich dafür auffinden können. 

Hab’ ich gar nicht behauptet, fagte Julius. Ih fühle nur 
benfend und errathe manchmal ahnend das Richtige. 

Geheimniſſe hat die Familie, nahm Kurt wieder das Wort, 
das tft nicht zu. beftreiten und auch nicht zu verbergen. Aus der 
Geſchichte mit dem Verfchwinden des jungen Mädchens an jenem 
frohen Zefle, wo der königlich bäntihe Kaufmannsbiener Treu- 


— 350 — 


freund uns ſo königlich amüſirte, iſt in alle Ewigkeit nicht klug 
zu werden. Während wir ſelbſt eine vornehme Fremde, ſpäter 
beit Tafel eine Tänzerin in der Schönen vermutheten, warb zu- 
legt ein ganz fimples Bürgermädchen aus ihr. Man fuhrt fie 
ein volles halbes Jahr und plötzlich eines fchönen Tages iſt fie 
wieder da, wohnt auf dem Landhaufe des Rheders, wird gehalten 
wie eine Prinzeffin und läßt ſich von einem ſchwarzäugigen jungen 
Kerl die Cour machen, der die merkwürdige Liebhaberet befigt, 
immer in ber Kleidung eines ganz gewöhnlichen fpantfhen oder 
portugiefiihen Matroſen ſich zu zeigen. 

Man fagt, diefer junge Menſch fei der Bamilie Hetdenfret 
nahe verwandt, bemerkte einer der Ruderer. 


So? verfehte Julius. Sagt man das wirklich? Süh fo, 
flopp, würde da mein Onkel aus der Marfch jagen. 


Weißt du etwa mehr? 


O , nicht befonders viel, fuhr Julius fort. Mein Tieber On- 
tel, der zumellen recht unfreundlih mit mir fpricht, wenn ich ſei— 
ner bejchränften Anfiht nah zu gut lebe und deshalb nicht fo 
viele Species auf die hohe Kante ftellen Fann, als der arme Mann 
mit feinem dürftigen Marfchhofe von Tumpigen 400 Tonnen Ader- 
land; diefer nothleidende Mann wünſchte letzthin, ich möge fo tief 
in Schulden gerathen, wie zu einer gewiſſen Zeit derfelbe Matrofe 
unfern feiner Beligung tm Kleiboden flat, der gegenwärtig eine 
Liebeserklärung eben fo gut auf Deutih, wie auf Spantfh und 
Portugieſiſch zu drechſeln veriteht, und wenn er lacht oder freudig 
erregt ift, einem gewiſſen ernften Manne, ber felten zum Vorſchein 
fommt, merkwürdig ähnlich fieht. 

Was foll nun das heißen ? 


Das fol heißen, was längſt flabtbefannt iſt, daß ber todtge⸗ 
glaubte Schwager des reichen Heidenfrei lebt, daß er, wie Ihr 
Alle wißt, in das Geſchäft des Rheders wieder eintreten wird, und 
daß gleichzeitg, vielleicht auch fehon früher, der Sproffe einer hei- 
pen Tropenliaiſon in der Geftalt befagten Matrofens als leiblicher 


Neffe des Herrn Peter Thomas Heibenfrei mit in's Haus gefprun= 
gen if. 

Am Lande war es ftiller geworben. Die anfangs dicht ges 
drängten Reihen der Spaziergänger Tichteten. fi immer mehr und’ 
mehr, und das Geraffel der hin und wieder vollenden Equipagen 
verlor fih nah und nach. Eine Shit weißen, feuchten Nebels 
umhüllte die Ufer des Baſſins wie mit einem Gazefchleter. 


Mich dünkt, es fängt an feucht und fühl zu werben, ſprach 
Kurt, in der Nähe der Lombardsbrüde, auf welder die Mühle tn 
langfamen Takt ihre mit Segeltuch befpannten Flügel bewegte, 
den Nahen abermals wendend. Habt Ihr Luft, die Orakel un« 
feres fehr unterrichteten Freundes noch ferner zu vernehmen, fo 
halte ih es ‚für zwedmäßiger, die Waſſerparthie zu beendigen, 
Ein Stündchen unter der Erde in einer jener Höhlen, die mit 
Hummerfcheeren, Hühnerpafteten, indiantfhen Wogelneftern, mit 
Shildfröten, Aalen, Neunaugen und anderem Seegethter tapezirt 
und garnirt find, dürfte nach diefem Luftbade höchſt gefchmadvoll 
zu verleben fein. Julius ſtimmt mir bei, ich ſeh' es ihm an ben 
Lippen an, bie fhon etwas Nufternarom und ben milchweißen 
Schaum beiten Porters wittern. 


Dein Einfall ift Elaffifch, verſetzte Julius, fein Ruder ins 
Waſſer ſenkend und tüchtig ausſtreichend. Meine Gedanken bes 
fommen Hochwaſſer, mein Wiſſen treibt auf Springfluthwogen. 
Laßt und eilen, Kinder, damit wir die unferer noch harsenden 
Götteraugenblide nicht verlieren. Ih fag’ Euch, Wunderdinge 
weiß ich, und wenn Ihr nur Quft habt zu hören und die Kehle 
mir nicht zu früh troden wird, fo will ich Euch erzählen bis der 
neue Tag graut und unfere ihre Bürger trefflihd nährende Stadt 
die Sperrfetten an ihren Thoren finfen läßt, damit jeglicher Freund 
und Vetter Merkurs frei handeln und wandeln Könne. 

Einige Minuten fpäter Tegte das Ruderboot an einem ber 
Landungsplätze beim alten Jungfernftiege an, die jungen lebens⸗ 
luſtigen Leute fliegen aus, befeftigten es an dem ſchwimmenden 


\ 


— 352 — 


Baume und verſchwanden alsbald unter dem Ueberbau einer hell 
erleuchteten Kellertreppe. 


Bweites Anpitel, 


— — 


Unter der Erde 


Kellner, vier ganz fein gehackte Sardellen, etwas rothe Beet 
und ein hartgekochtes Ei! befahl Julius, fich bequem in die elaſti— 
ſchen Sammetpolſter des gemüthlichen Raumes zurücklehnend, den 
die ſpäten Gäſte zur Nachfeier des frohen Tages ſich ausgeſucht 
hatten. Kein vernünftiger Mann, der etwas vom feinen Leben ver— 
fteht, kann behaupten, wir Hamburger verachteten eine gute Küche. 
Wer es dennoch ſagt, der lügt es in ſeinen Hals hinein, und für 
ſolchen Frevel ſei er verdammt, ein Vierteljahr lang ſogenanntes 
Rindernes zu eſſen, wie man es im deutſchen Reich ber Mitte, 
dem Wälder-, Strubel-, Ew. Gnaden- und Herr Bon reichen Oefter- 
reich tagtäglich vorgefept befommt. Dom Salat aber verfteht der 
Hamburger nihts, gar nichts. Er bat feinen fo ausgebildeten 
Salut = wie Auftern = oder Ochfenmürbebraten = Verftand. Die Ga- 
ben find verfchteden vertheilt und das tft ein großes Glück. Da ich nun 
aber dies Hamburg liebe, wie ich Die Bruſt Tiebte, Die mich zu die⸗ 
fem herrlichen Leben groß fäugte, das einige Halbtolle ein Jam— 
merthal nennen, fo gebt in freien Stunden all mein Denken 
und Dichten dahin, die Küche diefer Stadt, wo ich irgend weiß 
und Tann, zu verbeflern. Es wäre mein größter Stolz und 
Hamburgs dankbare Bürger würden mir eines Tages ein Dent- 
mal votiren, wie dem tn Gott ruhenden Büſch, gelänge es 
mir, Hamburgs Küche zu der bewundertſten der deutſchen Welt 
zu machen. Mit Heinen DBerbefferungen fängt man an, meine 
Breunde, und fo will ih Euch denn heute als Probe meiner 
Studien im Fache des guten Geſchmackes einen Salat bereiten, 








_ 


— 353 — 


ten, wie ihn jeder lombardiſche Conte genießt. — Schön, Franz, 
die Sardellen ſind gut, auch die rothen Beet, ſtatt dieſes Provencer 
Oeles aber bitte ich mir anderes aus. Ach, ſeht, wie goldgelb 
und durchſichtig, wie zart gefiedert, als wäre es cin Zwillingsge- 
wächs jenes feinen roſenrothes Seetanges, der die helgolandifchen 
Klippen fo reizend umhüllt, wie appetitlich lockend jehen dieſe En— 
divien aus! 

Während dieſes mit Feuer gehaltenen Vortrages bereitete 
Julius auf ächt lombardifhe Weiſe einen Salat, den der ab= und. 
zugebende Kellner leider nicht Tannte, weil die für gewöhnlich In 
dem Delikateſſenkeller fih erfrifchenden Gäfte den feinen Gaumen- 
veiz Diefes der römischen Küche entlehnten Gerichtes nicht zu wür— 
digen verftanden. Seine Freunde dagegen ließen dem Gourmand 
alle Gerechtigkeit widerfahren, priefen feinen Geſchmack und Iobten 
fein Talent. Schade, dag du dich nicht der Kocfunft gewidmet haft, 
fagte der Eine, du würdeſt fiherlih ein feltenes Glück gemadıt, 
vielleicht gar eine Die ganze eiviliſirte Welt in Aufregung verfegende 
Kücenrevolution veranlaßt haben. 

Sehr möglich, erwiderte Julius, dennoch müßte ich für diefe 
Ehre danken. Ein Koch kann Herrliche, Bewundertes und Stau— 
nenswerthes erfinden, er kann ſich auch felbit Daran begeiftern, er 
kann fich groß, unfterblich fühlen mitten unter feinen köſtliche Düfte 
aushauhenden Schöpfungen; geniegen aber, meine Freunde, mit 
der ganzen füßen Wolluft gebildeter Gefhmadsorgane das, was er 
in Begeifterung erjchaffen hat, genießen kann er niht! Und das 
eben ift ein Fehler, ein Unglüf! Ich meinestheils ſchwärme als 
unvollkommener, fterblicher Menſch mehr für die Freude bes Ge- 
nufles, als für die Ehre, einen Genuß mehr erfunden zu haben. 

Seine Gefährten lachten. Sie kannten den Freund und wuß— 
ten, daß ihn dies Thema höchlichſt amüſire und daß, geftatte man 
ihm einige Variationen darauf zu fptelen, er ſich in den heiterſten 
Gefelfhafter und Tiebenewürdigften Erzähler verwandle. Nachdem 
man den lombarbifch=venetianifhen Salat, wie Julius feine Schöp- 


fung nannte, mit Behagen verzehrt Hatte, und der bienftbereite 
D. B. XI, Willkomm's Rheder und Matroſe. i 23. 


— 354 — 


Kellner andere den Appetit reizende und die Palpillen angenehm kitzelnde 
Delikateſſen aufzutragen beordert worden war, bradte Kurt die 
Unterhaltung nochmals auf das früher behandelte Thema zurüd. 
Julius befand fih in der glüdlichften Laune. Er ging deshalb 
gern auf den Wunfch der Freunde ein, etwas von feinen fehlau 
erflügelten Geheimnifjen ihnen mitzutheilen. 

Altwiffend bin ich nicht, fagt Mephiſtopheles, hob der Gour⸗ 
mand feine Erzählung an, durch bie Einflüfterungen gütiger Freunde 
aber und durch mein gut cultivirtes Gehör iſt mir Vieles bewußt. 
So kann ih Euch denn mitthetlen, dag men fehr Lieber Freund 
Anton, deſſen Mutter, wie er häufig genug behauptet, ſchwimmen 
gelernt bat, das erfte Sandforn entdedte, welches zu dem leuch— 
tenden Pfade fihern Glüdes führt, Mehr fage th vor ber Hand 
nicht, denn Alles, was ich noch hinzufügen könnte, wäre nur groß» 
blafiger Schaum meines eigenen Gehirns. Glück aber macht mit- 
thetlfam, meine Freunde, und die Tugend der Mittheilfamkeit iſt 
eine höchſt Töblihe Für denjenigen, der die noch größere Tu— 
gend ber Klugheit befitt, die wieder in zwei Sauptetgenfchaften zer- 
fällt, nämlich in die Klugheit des Aushorchens und die Klugheit 
des Ausſchweigens. Letztere iſt eine Erfindung der Diplomatie 
und wird von den Meiftern der diplomatiſchen Kunft, wie ich von 
Kennern höre, am vollendetiten in Delterreih geübt. Diefer Kunft 
habe ich mich alfo mit Eifer beflifjen und darum ftede ih gegen 
wärtig fo voll Weisheit. 

Wie du zu diefem Wiffen gekommen bift, das wiffen wir jegt, 
unterbrah Kurt den Rebfeligen, jedenfalld wird e8 uns intereflan= 
ter fein, von deiner Weisheit nunmehr etwas zu profitiren. Da⸗ 
rum alfo, pad’ aus deine Waare, damit wir prüfen, wählen und 
das Brauhbare ung davon aneignen können. 

Durch Aushorden und Ausjchweigen, fuhr Julius fort, tft 
mir die Gewißheit geworden, daß unjer gegenwärtig in die Fremde 
gegangener Freund aus Mexiko eine doppelte, vielleiiht fogar eine 
dreifache Rolle im gaftfreien Haufe des Rheders gefpielt hat. Die 
Entführungsgefhichte iſt von ihm ganz allein angezettelt worden, 





— 355 — 


wenn ihm auch Helfershelfer zur Seite ſtanden. Ihr könnt Euch 
darauf verlaſſen, nur bitte ich zugleich: ſchweigt Euch aus zu 
Euerm eignen Wohle! Die Freunde der Entführten waren indeß 
noch klüger als ihr pfiffiger Räuber; fie verſtanden, ihn fern von 
ſeiner Beute zu halten, ſo daß er eigentlich der Betrogene war 
und ſtets mit langer Naſe abziehen mußte. 

Wie konnte dies geſchehen? fragte einer der Freunde. 

Weil der Mexikaner ein Verächter des Handels iſt und ei⸗ 
nen total falfhen Begriff vom Handel hat, Er date, gehft bu 
zu einem Manne, ber abftammt in gerader Linie von Abraham 
und deſſen Nachkommen, fo Haft du einen klugen Mann bes alten 
Bundes, der dir ficher iſt, wenn du ihm gibft Geld, viel Geld! 
So dachte Don Gomez, der verliebte Schäfer und ging zu dem 
raffinirteften Unterhänbler, der gegenwärtig hier Geſchäfte macht 
vom Gefhäfte machen. Mofes, der Sohn Bibrachs, hatte gar 
feine Bedenken, er half dem MVerliebten, aber gleichzeitig trennte 
er den Schäfer von feinem Schäfchen. Lepteresübergab er der trau- 
ten Pflege fiherer Verwandten, denn er wußte, daß bie behütete Tu- 
gend der ſchönen Chriftine ihm dereinſt gute Zinfen tragen werde. 
Mofes verrechnet fih nie und fo machte er-ein brillantes Geſchäft. 
Als es Zeit war, den Aufenthaltsort der Entführten zu entdeden, 
zögerte er nicht. Chriftine wurbe gefunden und ber Merifaner 
war blamttrt. 

Sp erklärt fih auch fein Verſchwinden aus der Geſellſchaft, 
meinte Kurt. Da die Heidenfrei’s ihn aufgaben, mußte die ganze 
Nobleffe ihn ebenfalls ignoriven. Und dies Fiasko ift nachträglich 
wieder Urfache feines DVerreifens geworden. 

Du könnteſt Glück machen im Crrathen des Wahren, wenn 
du weniger raſch zu Werke gingeft, erwiderte Julius. Die Blame 
ließ fih, einmal verrathen, Leicht ausbeuten und in ein Verbre⸗ 
hen verwandeln. Die Familie des Rheders war anfangs un» 
ſchlüſſig, was das Befte, d. h. das Klügſte ſei. Ging fie weiter, 
fo konnte ein arger Scandal daraus entftehen. Die Rückkehr je— 
nes verſchollenen Schwagers nun, deſſen Griftenz beinahe eine 

23* 


— 356 — 


Mähr für unſer ſchnell lebendes Geſchlecht geworden war, erfolgte 
gerade zur glücklichen Stunde. Denn als Hohenfels den jungen 
Matroſen ſah, der ſich Miguel nannte, und feinen Lebensſchickſa⸗ 
fen nachforſchte, entdeckte er in ihm den früh verlorenen Sohn. 
Soweit ift die Gefchichte Far, nun aber Tegen fi, Nebel über das 
fernere Lebensbild des jungen Mannes, die Anton fo wenig durch⸗ 
fhaute, daß er mir gar nichts ala Vermuthungen mittheilen Fonnte. 
Zu diefen Vermuthungen gehört neben vielen anderen aud bie 
Annahme, Don Alonfo Gomez und Miguel, jetzt Miguel Hohen- 
fels-Saldanha genannt, Hätten ſchon früher in nahen Verhältnif- 
fen zu einander geflanden, und Don Gomez habe ſich gegen den 
etwas Jüngeren, vielleicht auch nicht fo Gewandten eine ftrafbare 
Unredfichkeit erlaubt. Die Drohung der Familie Heidenfrei, den 
böſen Handel mit der ſchönen Chriſtine gerichtlich anhängig zu 
machen, ſoll den Mexikaner veranlaßt haben, ſein gegen Miguel frü— 
“her verübtes Unrecht wieder gut zu machen. So, wie geſagt, er— 
zählen fih die Lüfte dieſe geheimntgreihe Affaire. Und darum 
verfchmand der Löwe des verfangenen Winters auf einige Zeit. 
Kehrt er wieder, was ja Niemand weiß, fo ſteht e8 denen, die fidh 
für ihn intereffiven und eine hellſtrahlende Sonne deshalb, wel 
fie ein paar Flecke hat, nicht ganz entbehren wollen, frei, das Ver- 
gangene für immer zu vergeflen und ihre Zirkel dem Sohne des 
Glückes wieder zu erfchließen. . 
Ungefähr fo mag es fih wohl verhalten, bemerfte Kurt, wenn 
die etwas fehr verwidelte Angelegenheit fih au im Einzelnen et— 
was anders geftaltet und in der Nähe vielleicht einen höchſt wun— 
derlichen Anbliet gewährt. Was kümmert e8 ung! Mir perfön- 
lich wäre es von weit mehr Intereſſe, wenn ich erfahren könnte, 
weshalb Heidenfrei senior noch immer an der Börſe niemals von 
feinem Schwager fpriht? Er fieht e8 offenbar ungern, wenn ſei— 
ner gedacht wird, und an einen MWiedereintritt in das Gefchäft ale 
Compagnon, wovon doch Unfungs immer die Rede war und was 
Jeder vermuthete, wovon fogar die Meiften fi überzeugt hielten, 
iſt jetzt ſchon feit einigen Wochen nicht mehr die Rede. Das fallt 





— 357 — | 

auf in faufmännifchen Kreiſen, das gibt Vermuthungen der felt- 
famften Art Raum und ann unter Umftänden nachtheilige Fol- 
gen haben. ' 

Julius zudte die Achfel und ſchenkte fih das letzte Glas 
. Borter ein. 

Niemand ift gehalten, mehr zu fagen, als was er weiß, er- 
widerte er in forglofem Tone. Heidenfrei tft ein vorfichtiger und 
wohlwollender Mann, aber fein Träumer. Handel und Wanbdel, 
Rhederei und Schifffahrt find ihm Hebel, deren man fich bedient, 
um Geld zu gewinnen, fih einen Namen in der Handelswelt zu 
machen und, läßt es fich nebenbei ohne Verluft an baaren Mitteln 
thun, auch noch zum Weberfluß bald den Kunftmäcen, bald den 
MWeltbeglüder zu fpielen. So, denk’ ich mir, ift der alte Heiden- 
frei in feinem unmodernen Rode , ‚feinem ſchlotterigen Schuhmerf 
geartet, und ich meine, es fteht ihm das ganz fuperbe. Bei dem 
Schwager, dem unter ber tropifchen Sonne das Bild des Lebens 
fih in andern Farben gezeigt haben mag, dreht fi die Sadıe 
wohl ungefähr um, fo daß ihm bei allem Unternehmungen die 
Nebenſache Hauptzwed, diefer aber Nebenfache wird. Schon früher 
habe ich gehört, daß Auguftin Hohenfels gemwiffermaßen ein poeti- 
her Rheder genannt werden müfle, wenn man Dies überhaupt 
fagen fann, ohne eine Narrheit auszufprehen. Ich referire nur, 
ih urtheile nicht. Wenn ich aber von mir felbft auf Andere 
fhliegen darf, fo follte ich denfen, möglich müfje es doch fein, auch 
ald Kaufmann und Rheder poetifhe Entwürfe, ideale Pläne zu 
haben, wie es ja auch möglih ift, am Tage tüchtiger Praftifer 
und eracter Arbeiter im Comptoir und Abends poetiſcher Schwär— 
mer im Genuſſe zu fein, 

Sch hörte von Bolontfationsplänen fprechen, warf Kurt ein, 
deren Realifatton für Hohenfels eine Lebensaufgabe fein fol. Schon 
vor zwanzig Jahren, ald er eben erji den braſilianiſchen Boden 
betreten hatte, trug er fih damit. Seine Vorſchläge fanden da— 
mals feinen Anklang, kaum eine brieflihe Grwiderung, und Dicje 
Nichtbeachtung feiner Pläne, erzählt man ſich, legte den eriten 


— 358 — 


Grund zu einem Zwiefpalt zwifchen dem heimifchen Haufe und ber 
transatlantifchen Zweighandlung, der fpäter in einen offenen Bruch 
überging und die Auflöfung aller Beziehungen zur Folge hatte. 

Süh fo! verfeßte Julius, da Haft du ja nicht weniger ale 
ich deine Vormars- und Oberkreuz-Segel dem Neuigfeitswinde zu⸗ 
gedreht. Aus welcher Himmelögegend weht er Dir? 

Immer von der Seite, wo der Mond nie untergeht, erwie- 
berte Kurt lachend. Was ich erfuhr oder erhorcdte, das fegte ich 
mir aus gelegentlich bingeworfenen Aeußerungen des alten Treur 
freund zufammen, ber feit ber Rückkehr Auguftin Hohenfels’ in 
feiner Art wieder ein Lebemann geworden iſt. Ihr könnt ihn jcht 
faft täglich etne Halbe Stunde nad der Börfe im alten Börfen- 
Kaffechaufe finden, und kennt ihn einer etwas genauer und macht 
ihn durch Fragen, auf die eine belehrende Antwort paflend tft, 
zutraulih, fo verräth er auch kleine Geheimniffe, die ihm an’s 
Herz gewachlen find, Für Hohenfels läßt der alte Buchhalter fein 
Leben, das weiß Jeder, den Vorwurf eines ſchwärmeriſchen Kauf- 
mannes aber Tann ihm Niemand mahen. Dennoch hält er jeden 
Gedanken feines wiebergefundenen Freundes für einen göttlichen 
Einfall, jeden feiner Pläne für unbedingt ausführbar. Er redet 
ihm immer und überall das Wort; er vergißt momentan fogar 
den Reſpect, den er dem Haufe Peter Thomas Heidenfrei fehuldig 
it und diefem auch ſonſt unverweigerlih zufommen läßt. Erſt 
vor einigen Tagen zudte er mipbilligend die Achfel und erwiderte 
auf eine von mir ganz achtlos hingeworfene Bemerkung: 

Sie wiffen, lieber Freund, ich werde nie perfönlich, das aber 
fieht doch ein Lehrling ein, daß Heidenfrei senior und mein Freund 
Auguftin Hohenfeld zwei Größen find, die feine Vergleichung zu- 
laffen. Lieber Gott! Welche Gedanken hegt diefer Hohenfels! Es ' 
veriteht ihn Niemand, als etwa Eduard Heidenfrei. Wir Andern, 
bie wir ihn verehren, wir können ihn höchſtens ahnend begreifen! 
Er erſchrak, als ich ihn betroffen anfah, grüßte mit tiefer Verbeu- 
gung und verließ, der vollendetite „Schatten" feines eben von ihm 
hart getadelten Prinzipals, ſchlürfend das Zimmer. 





— 359 — 


Die Zuhörer ſchienen nad fo vielen Genüffen doch müde zu 
fein. Ein paar der anfangs Munterften rieben fi gähnend die 
Augen, ber Kellner, defjen Dienfte die Iufligen Brüder in ber leh- 
ten halben Stunde nit beanſprucht hatten, war auf feinem Stuhle 
fanft eingefhlafen in Iauter Ruf des noch völlig muntern 
Julius erwedte ihn. 

Hier, mein wahfamer Freund, unfere Zeche! Legen Ste fih ' 
aufs Ohr und träumen Gie ſüß. Wir unfererfetts wollen jebt 
als foltve junge Männer nach Haufe geben, obwohl zwifchen Welt 
und Oft noch kaum ein feiner Lichtfhtmmer fich zeigt. — — Hu, 
’8 iſt kalt! fehte er hinzu, auf die Straße hinaustretend. Es Iebte 
fih noch einmal fo ſchön, wenn das vermaledeite Nachhaufegehen 
nicht ware. — Gute Nacht! 

Bute Naht! — Auf Wiederfehen! — 


— — — 


Drittes Kapitel. 





Ein Mann der Idee und die Männer der Praxis. 


Mit Zügen, die geiflige Ermüdung verriethen, trat Hohenfels 
in fein Zimmer, erfhloß einen Secretär, legte ein Paket Papiere 
in ein Fach deſſelben und warf fih dann in die Ede des Sopha's. 
Er mochte einige Minuten mit Halbgefchloffenen Augen bier ges 
feffen haben, als das Deffnen der Thür ihn aufzubliden veran- 
laßte. Es war Eduard, welcher den Oheim befuchte. Der junge 
Mann fohritt einige Male im Zimmer auf und nieder, dann fagte 
er zu Hohenfels: 

Du fühlft dich beleidigt, Oheim, gefteh’ es, aber bu wirft mir 
das Zeugniß geben, daß ich keine Schuld trage. 

Hohenfels Tächelte bitter, Beleidigt? erwiderte er. Nein! Mid 
Tann ſchon lange Niemand mehr beleidigen; was mid berrüdt und 
wohl auch ängſtigt, das iſt viel ſchlimmer. 


— 360 — 


Noch ſchlimmer? 

Ja, Eduard, für mich, nicht für Euch. Ich bin überflüſſig, 
unnütz, vielleicht im Wege. 

Das find finſtere Einbildungen eines erregten Gemüthes. 

Keineswegs! Die Zeit der Illuſionen liegt hinter mir, und 
wenn ich auch vielleicht heute noch nicht immer im gewöhnlichen 
Sinne praktiſch bin, ein ziel- und ſinnloſer Schwärmer brauch' ich 
doch deshalb nicht geſcholten zu werden! 

Es hat dich Niemand ſo genannt. 

Nicht mit Namen, das iſt wahr, die Bezeichnung aber galt 
mir und konnte nur mir ganz allein gelten! 

Mir möglicherweiſe auch, Oheim. 

Du biſt gütig, Eduard, und dafür danke ich dir, dennoch 
muß ich die harten Worte, die in der heutigen Verſammlung fie— 
len, auf mich beziehen. Indeß auch dies würde ich, wie ſo Vie— 
les verſchmerzen, ſähe ih nur irgendwo eine Ausſicht. 

Der Vater unterſtützte ja deine Vorſchläge. 

Hohenfels ſtand auf und ergriff den Arm ſeines Neffen. Mit 
ihm auf- und abgehend, fuhr er lebhaft ſprechend fort: 

Dein Vater, mein Schwager, tft ein vortrefflider, ein aus— 
gezeichneter Mann. Sein Faufmännifher Blick bewegt fih nicht 
in eng begrängten Zirfeln, er fihweift in bie Ferne und bat für 
Großes, Neues, Sinn und Verſtändniß. Bei alledem aber geht 
ihm "etwas ab, was ich überall an dem deutfhen Kaufmanne 
mehr oder minder vermißte, das Talent, den rechten Augenblaäck 
mit aller Kraft, raſch, die halbe Welt überrumpelnd, zu erfaffen. 
Dein Vater iſt bald für cin gewaltige Unternehmen zu gewin— 
nen, aber er beginnt es nicht. So war er immer, fo war aud 
‚mein verftorbener Vater. Vor zwanzig und mehr Jahren mochte 
ih wohl zu ungeſtüm verfahren, biswellen aud zu herausfordernd 
an Andere herantreten, hätte mich aber damals bein Vater unter: 
fügt, jo würde höchſt wahrfcheinlich Fein Bruch zwifchen mir und 
dem Vater erfolgt fein, und mein ganzes Leben hätte ſich anders 
geftaltet. Meinen Zeuereifer mäßigen, zugleich aber meine Pläne 





— 361 — 


unterſtützen mußte damals Heidenfrei. — Nun find zwei Jahr: 
zehnte vergangen, die Welt hat in bdiefer Zeit. die größten Kriegs- 
drangfale durdlebt, welche die Gefchichte kennt. Verluſte, wie fie 
faum Jemand zu denken wagte, find erfolgt, ertragen, zum Theil 
fhon verſchmerzt. Was beweif’t dies ? Daß die Sturmperiode, 
bie hinter ung Liegt, die Völker nicht gebrochen, fondern fie nur 
zu erhöhter Thätigfeit aufgerüttelt hat. So ein recht wilder Krieg 
ift wie eine die ganze Welt ergreifende Turnübung. In dem 
Schlagen, Kämpfen und Ringen löſ't ſich alles faule Fletfch ab, - 
neues fegt fih an und mit der frifchen Muskelbildung erftarkt 
au der Geift. Aehnlich iſt's in der Welt des Handels. Auch 
diefe hat, wie immer, Nuben von der Kriegsfurie . gehabt, wenn 
dieſe auch manche Geldfifte zerihlug und felbjt die Bank unferer 
Baterftadt plünderte. Hamburg tft dadurch nicht arm geworden, 
ihon jest fteht es größer und mächtiger da, als zu Anfange des 
Jahrhunderts. Aber zum Henker, es fol fih jetzt auch rühren, 
fag’ ih! Es fol aufhören, Immer nur in alten Geleifen feine 
Hanbelsfchiffe fortgleiten zu laffen, was mir vorkommt, als ginge 
Jemand ftets in geflidten Schuhen, weil er neue ihrer anfäng- 
lichen Unbequemlichfeit wegen anzuziehen ſich ſcheut. 

Zap uns Zeit, Oheim, und wir thun’s allen Andern gleich. 

Das 'iſt's eben, erwiderte mit auflodernder Heftigkeit Augu— 
fin Hohenfels. Wer fih Zeit läßt, fommt immer zu ſpät. Na— 
poleon hat das den deutſchen Befehlshabern zwanzig Mal bewie- 
fen, es ihnen vorgemadht, daß ihnen Hören und Sehen verging, 
aber das alte träge Blut ift nicht rafcher in Girculation zu ſetzen. 
Nicht nachtreten, vorangehen muß jeder Unternehmende Wenn 
Ihr Euch Zeit laßt, fo verhungert Ihr allerdings dabei nicht, 
aber Ihr jet Euch in einen Bequemlickeitsftuhl, während Andere 
auf fihnaubendem Roſſe dur die Welt jagen! — Da ift nun 
eine Erfindung gemacht für den Rheder wie gefihaffen. Er darf 
nur zugreifen, fih nur verbinden mit Mechantfern, Mathematie 
tern, Chemifern, kurz, er darf nur das thun, was id vor ziwan- 
zig Jahren bereits in BVorfchlag brachte: die Wiſſenſchaften und 


— 362 — 


deren Entdefungen für das Leben und zum Belten der Welt 
ausbeuten, und er ftellt fih unter die größten Wohlthäter der 
Menſchheit! Warum denn zaudern, fih immer und immer nur 
das Zopfband löſen und wieder zubinden nach langer Betrachtung 
bes lieben, alten Dinges, anftatt es abzujchneiden und refolut 
zuzugreifen? Meberflügelt werden fehmerzt, fih von Andern über- 
flügeln laſſen, ift ein Verbrechen, ein Frevel gegen fich ſelbſt. 
Wenn man jebt noch behaupten fann, meine wohlgemeinten Vor— 
ſchläge feien bie eines ziellofen Träumers, fo gibt man damit 
nur zu erkennen, daß man bie Zeit nicht begreift, nicht begreifen 
will oder fann. Das aber madht mich unglüdlih und überflüflig. 

Die Unterredung ward bier unterbrochen durch den Gintritt 
Ferdinand’s und Treufreund’s, 

Warum habt Ihr die Verfammlung nicht abgewartet? fagte 
Ferdinand Heldenfrei. Es gab noch fo viele Punkte zu erörtern, 
jo viele Fragen zu beantworten. 

Wenn man mir von Anfang an die Haupffrage als ein 
Phantom bezeichnet, will Ich nichts hören von den Nebenfragen, er 
widerte Hohenfels. Konnte ih zu Worte fommen? War es mög- 
lich, meine Gedanken darzulegen, meine Ideen zu entwideln? 

Es wäre, glaub’ ich, möglich gewefen, befter Oheim, verfebte 
Ferdinand, wenn du Rüdficht genommen hätteft auf die Mehrheit 
der Anwefenden. Praktiiche oder, wenn du Lieber willft, profaifche, 
zuerft auf Gewinn begierige Naturen gewinnt man nie für eine 
Idee dur Herausfehren der ideellen Seite, zeigft du ihnen aber ®; 
erſt bie praftifhe, die einträgliche Seite, und darauf ftügelt du 
die culturbeförbernde, bann wirft bu prosperiren. 

Lieber Bott, feld Ihr denn gar keiner Begeifterung fähig? 
warf Hohenfels ein. Ich mußte mid immer erft für eine Sache 
begeiltern können, ehe ich mich ihrer annahm, mich ganz an fie 
hingab. | Ä 

Sch perſönlich, befter Oheim, verfegte der jüngere Heidenfrei, 
begeiftere mich gern, die Maffe der kaufmännifchen Welt jedoch ift, 
glaub ich’ ich, nicht dafür, und das kann man ihr nicht verbenten, 











— 363 — 


Nicht verdenken! wiederholte Auguftin Hohenfels. Ich ver- 
denke es Jedem, wenn er fich ‘den Ginwirkungen neuer been 
verfchließt. 

Damit ſchadeſt du dir und dem Allgemeinen, erwiderte in 
wohlwollendem Zone Ferdinand. Die Menge tft nun einmal fo 
geartet, daß fie von jedem Unternehmen reellen Nugen haben will. 
Die Größe der Idee, an fich allerdings die Hauptjache, das eigent« 
liche fruchttragende Capital, erfcheint Doch den Meiften, gegenüber 
ben blinkenden Zinfen, alfo der bereits gebrochenen Frucht, erft in 
zweiter Reihe. Klimpere und Tlappere- mit den blanfen Zinfen, 
anftatt das Gold deines Gedankencapitals mit vollen Händen auge 
zumwerfen, und man zuft dir ein Hurrah über das andere. 

Hohenfels fenkte jeufzend das Haupt. 

Ich glaube beinahe, der Bruder Hat Recht, fagte Eduard. 
Dein Gedankengold lockt nicht, e8 macht die Helljehendften blind, 
Du vergreifft di, begeiftert, wie du bift, ber profatfch vechnenden 
Mehrheit gegenüber, in den Mitteln, und das veranlaßt fie, völlig 
‚ungerechte Urtheile über dich zu fällen. 

Niedergefchlagen und befümmert ftüßte fich der leicht erreg— 
bare Mann auf Treufreund’s Schulter, indem er ſprach: 

Alfo unnüg, ein Störenfried aus Begeifterung! Man tönnte 
darüber lachen, wenn es nicht zum Weinen wäre. 

Aufgefhoben ift nicht aufgehoben, tröftete Eduard. 

Ein leidiger Troft, der Troft des Nahahmers, nit bes Er- 
finders. 

Du mußt aber doch ſelbſt zugeben, beſter Oheim, daß dein 
Plan, deſſen Großartigkeit ich perſönlich bewundere, auch ſeine be— 
denklichen Seiten hat, meinte Ferdinand. 

Allerdings, ſagte Hohenfels, er hat ſie, das läugne ich nicht. 
Alles Große tft bedenklich, wer aber immer bedenkt und vor lau- 
ter Bedenklichkeit nie zu einem Entichluffe, viel weniger nach zu 
einer That kommt, der wird auch nie Großes vollbringen. Bes 
dachte fih Cäfar, als er über den Rubicon ging? Oder, um ein 
Beifpiel, das uns näher liegt, anzuführen, Friedrich ber Große, 


— — — — — — — — —— —— — 


— 364 — 


als er ſeine Krieger in Sachſen einrücken ließ, um Oeſterreich 
anzugreifen? Mißglücken kann freilich Alles, auch das Beſte, wer 
aber nie muthig ſich aufrichtet, wer niemals zulangt, bis man ihn 
einladet, wird nie über die Mittelmäßigkeit hinauswachlen: Und 
das, nehmt mir's nicht,übel, Ihr Herren, das gerade tft mir in 
ber Seele zumibder. 

Mein Freund, fagte Treufreund, du haft Dich durd bie erften 
Einwürfe zu fehr ftören laſſen. Ich fah es dir gleich an, daß du 
dich beleidigt fühltejt und In birfer gereizten Stimmung wohl etwag 
zu weit gingeft. Werde erſt wieder ruhig, kühle dich ab, überlege 
jelbit, gehe mit und zu Rathe, und dann lege noch einmal, aber 
vorfichtiger Hand an's Wert, 

Nie! rief Hohenfeld, Entweder fie fallen mich, wie ich es 
für gut finde, mich auszudrüden, oder ich behalte meine Gedanken 
für mid. Es kommt eine Zeit, ich weiß es, wo fih verwirklichen 
wird, was fhon jetzt aueführbar wäre, fie wird aber erit dann 
eintreten, wenn die Ehre, der Glanz und Ruhm deß Unterneh 
mens an Schimmer gar viel verloren hat. 

Noch einmal ergriffen und begeiftert von feiner Idee, 308 
Hohenfels feine beiden Neffen neben fih auf's Sopha, während 
Zreufreund finnend und ruhig zuhörend fih an den Secretair 
lehnte. | 

Seht, Freunde, nahm er das Wort, dies Deutfchland, dag 
wir unfer Vaterland nennen, tjt fein Ganzes, feine weltgebietende 
Macht, obwohl in Zranffurt am Main der Bundestag figt und 
Gott weiß was Alles berathet und beflügelt. Draußen in der 


Welt, jenfeitS des großen Oceans, wo die Keime einer gewaltigen 


Bufunftscultur Liegen, dort draußen kennen die Menſchen dies hert— 
liche Deutſchland vollends nicht, weil Niemand, fo lange er lebte, 
jemals die deutfhe Flagge jah., Man kennt dort drüben im We— 
fen und DOften nur Hamburger, Bremer, Oldenburger, Hannove— 


raner. Defterreih und Preuffen, gerade die mächtigften Bunbes« 


ftaaten, laflen dort ihre Flaggen fo felten wehen, dag man an 
ihrem Ginfluffe zweifelt. Wir haben ferner feine Kriegsichtffe und 





— 365 — 


werben auch aus mehr denn hundert Gründen, die ich nicht ermit⸗ 
teln will, um mir Kopf- und Magenweh zu erſparen, ſobald noch 
feine erhalten. Die deutfchen Handelsflaggen aber, ganz befonders 
die alten bekannten hanfeatifhen find geachtet. Wem nun fann es denn 
fhaden, wenn diefe Flaggen fi herausnehmen, Deutſchland, und war 
das ganze Deutſchland an den Küſten der transatlantifchen Welt zu 
vertreten? Iſt's eine Schande, unternehmend zu fein, ſich felbft etwas 
zuzumutben und durch Erringung eigener Macht das große Ganze 
mit zu ehren? Kann es Deutfchland und der deutfchen Nation — 
um mid fo reſpectvoll auszudriiden — Eintrag thun, wenn wir 
auf dem Wege kaufmänniſcher Unterhandlung in jenen von. der 
Natur mit dem reichten Segen überfehütteten menfchenleeren Län— 
dern ung ein Stück Erde erobern, auf dem ſich Golonieen anle- 
gen laffen? Wie es uns an Kriegsfchiffen fehlt, fo gebricht ed 
uns auch an Colonieen. Beides Hält unfere Kräfte mehr in Schach, 
als hundert andere Gebrechen, von denen unnützerweiſe viel Redens 
gemacht wird. Dieſem Mangel aber iſt abzuhelfen, wollen nur 
die Rheder deutſcher Städte meine Idee für mehr, als blaſſe Hirn— 
gefpinnfte -eines überijpannten Kopfes halten. Die Zeit, die Er- 
findung, der glücdliche Griff des Mechantkers find dem Nheder vor= 
zugsweiſe günftig, alfo feid Rheder, wie's Gott und der Welt ge- 
fallt, und gründet der Cultur, der Cultur deutfhen Geiſtes, deut- 
{her Sitte, deutſchen Fleißes drüben auf dem jungfräulihen Bo— 
den der andern Erdhälfte Stätten, wo fie neue Keime treiben, 
neue Blüthen und Früchte zeitigen Tann, wenn in Europa bie 
Säfte ſchwach und matt werden follten! Ihr habt dann drüben 
auf der andern Hemifphäre die Lymphe, mittelft welcher Ihr dem 
alternden, ſchwächlichen Mutterlande nöthigenfalld neue Lebenskraft 
einimpfen fünnt. Das, Ihr Lieben, ift einfach die Idee, für die 
ich begeiftert bin, für die ich, wie die Begriffslofen und Stumpf- 
finnigen zu fagen belieben, ſchwärme. Laßt mich ſchwärmen, ich 
bedarf diefer Schwärmeret zum Leben. Ahr, die Ihr nicht fchwär- 
men fönnt oder wollt, Ihr follt ja nur Sen Gewinn meiner dee 
Euch zueignen. ft denn das eigennügig, gemein, finnlog? 


— 366 — 


Gewiß nicht, warf Treufreund ein, ich nenne es erhaben. 

Und id begnüge mid ſchon, wenn man mir fo viel Humani« 
tät zutraut, fuhr Hohenfels fort, daß ich einer Idee, von welcher 
mein ganzes Vaterland bereinft Nupen haben wird, meine Lebens⸗ 
fraft zum Opfer bringen kann. Iſt es denn nun zu viel vers 
langt, wenn ich wohlmwollend, rathend fage: greift zul Seid thä— 
tig, fhaart Eu zufammen! Nehmt Euch ein Betfpiel an Euern 
banfifchen Vorfahren und erobert ber Induftrie und ber Geiſtes⸗ 
herrſchaft Eures deutfhen Waterlandes durch einmüthiges Handeln 
als Nheder bie transatlantifche Welt, wie jene ehedem den Nor» 
ben Europas ſich unterthan machten. Diefe Weltaufgabe hat das 
Dampfſchiff, und wenn die Rhederei Geift befigt und mittelft die⸗ 
ſes Geiſtes dem Capital Seele verleiht, ſo wird ſie materiell große 
Reichthümer erwerben und ideal das Reich der Bildung auf Erden 
ausbreiten helfen! Das tft meine ſinnloſe Idee. Mir iſt fie lieb 
und theuer, und ich beklage nur, daß ich nicht Mittel beſitze, um. 
ſie praktiſch in's Leben zu rufen. Ich glaubte, dieſe Mittel zu 
finden, deshalb kehrte ich zurück. Wie es ſcheint, habe ich mich 
getäuſcht, oder es geht mir wie Huß. Man verketzert mich, weil 
ich das Unglück habe, heller in die Zukunft zu ſehen, als viele 
andere brave, aber nur praktiſche Leute. Glaubt jedoch nicht, 
baß ich einen einmal für gut erfannten Gedanken fo leicht auf- 
gebe. Ich werde damit hauſiren gehen und ihn jebt ſtückweiſe 
verwerthen. Eines Tages finden fih bie vereinzelten Stücke wohl 
wieder zufammen und dann gibt ed, wenn ich's auch nicht mehr 
ſehen Tann, doch zufeßt noch ein Tetdlich gutes Ganzes. 

Hohenfels ſchwieg. Seine tief liegenden Augen glänzten mie 
Sirfterne und das gebräunte Gefiht firahlte von geiftigem Feuer. 

Es ift einmal Erdenſchickſal, fprah Eduard, daß wir nur 
. zum Theil Zeugen der Schöpfungen find, die unfern Anftrengun- 
gen ihre Entſtehung verdanken. Wie viele Väter fehen ihre Kin- 
der kaum fih entwideln; was fie in ber Netfe ihres Alters, in 
ber Fülle geiſtiger Kraft, fchaffen, bleibt ihnen immerdar verbor- 
gen, und dennoch gebt in Erfüllung, was’ fie in ihren Wünfchen, 





— 367 — 


diefen Embryonen zukünftiger Thaten, ſchon fertig vor ihrem Geiſte 
ftehen fahen. So, beiter Oheim, wird aud der Traum deines Les 
bens dereinft in einer fchönen That, in einer That, bie fich fort- 
zeugend immer von Neuem gebiert, den Nacgeborenen zur Gr« 
jheinung kommen. 


Ih möchte es doch ſo gerne erleben, fagte Hohenfels. Fit 
es Sünde, einen folhen Wunſch zn haben? ber follte es Eitel⸗ 
fett, geiftiger Dünkel fein, der mich ihn ausſprechen, ihn nur bes 
gen läßt? 


Keins von Beiden, mein edler Auguftin, fprach Treufreund, 
dem bewegten Manne die Hand drückend. Du bift noch Fräftig, 
und darum ſchließe ih mich deinem Glauben an und theile beine 
Wünſche. Erlebte auch ich noch den Tag, wo beutfhe Rheder 
beide Hemisphären durch birecte Dampfichifffarthslinten mit ein- 
ander verbänden, wo dieſe dampfenden Coloſſe unter deutſcher 
Flagge die Wogen flampften und nah den Küſten Nord- und 
Südamerikas den Ueberſchuß deutfcher Bildung im wettellen Sinne 
des Wortes abgäben, dann wollte auch ich mich glücklich preifen 
und fill zufrieden die Bilanz meines Lebens ziehen. 


Hohenfels hielt die Hand des .Freundes lange in der Geint« 
gen. Die Augen halb gefchloffen, blidte er vor fi nieder und 
feine Gedanken fihtenen weit in die Ferne zu fchmweifen. 


Eins freut mih, fprah er nah längerem Schweigen, daß 
nämlih mein Sohn dem Seewejen ſich widmen will. Gr befigt 
meine Energie, oder, wie andere fagen würden, meine Hartnädig- 
keit. Was cr fi vornimmt, das führt er zu Ende; was er ein« 
mal mit Liebe ergriffen hat, gibt er nicht wider auf. Solche Men- 
fhen braudt unfere Zelt. Ste können, widmen fie fi) dem Seewe⸗ 
fen, der deutfchen Rhederei von außerorbdentlihem Nupen fein. Mi⸗ 
guel, der glüdlicherweife durch Eure, befonders durch deine Ver⸗ 
mittelung, befter Treufreund, wieder in den Befig feiner Papiere 
gefommen tft, hat Hoffentlich mehr Süd, al ich, und fo denk' ich, 
er wird aus einem Matrofen, wie er fein fol, dereinft auch ein 


— 368 — 


Gapitain werben, dem jeder Rheder ein Seeſchiff unbedenflih an— 
vertrauen darf. 

Die beiden Freunde hatten e8 nicht beachtet, daß während 
ihres leiſe geführten Gedanfenaustaufches die Brüder abgerufen 
worden waren. Seht trat abermals ein Diener ein und meldete, 
daß Herr Heibenfrei in Folge einer gehabten ftarfen Alteration 
fi unmwohl fühle und feinen Schwager fogleih zu fpredien wünfche. 

Alteratton ? fagte Hohenfeld raſch aufipringend. Heidenfrei 
kann fih unmöglich mehr alterirt haben, als ih. Aber er ift an 
fo ftarfe Dofen heftiger Aufregung wohl nicht gewöhnt. Vielleicht 
hat es ihn dverdroffen, daß man mich gar fo furz und obenhin be- 
handelte und es bat ſchließlich mit einigen der Matabore der Börſe 
einen herben Wortwechfel gegeben. Anders wenigftens wüßte ich 
mir die Alteration meines wohlmeinenden Schwagers nicht zu er- 
klaͤren. 

Er verließ, von Treufreund begleitet, das Zimmer, der ihm 
an der Treppe nochmaks recht herzlich die Hand ſchüttelte und dann 
hinabſtieg, um ſich in's Comptoir zu verfügen. | 


— 


- Biertes Kapitel. 


—- 


Beforgnijie. Triumph der idee. 


Heidenfrei ruhte entkräftet im Sopha. Gr ſah bleih und 
äußerſt angegriffen aus, dennod Drang er darauf, daß man den 
Arzt nicht rufe, überhaupt möglichjt wenig ton feinem Unmwohlfein 
fprehe, das fih nach einiger Zeit von felbft wieder verlieren 
werde. 

Die Söhne, welche den Vater einer Ohnmacht nahe getroffen 
hatten, waren in größter Beſtürzung. Auch Hohenfels fehien ber 
Zuftand des bejahrten Schwagers bedenklich, weshalb er vorfchlug, 


— 369 — 


er möge erlauben, daß man ſeine Frau und Tochter in Kenntniß 
ſetze. Davon jedoch wollte der Rheder vollends nichts wiſſen. Er 
verneinte heftig, wünſchte allein zu bleiben mit ſeinen Söhnen und 
Hohenfels, und befahl Ferdinand, nachdem der beſorgte Diener 
das Zimmer zögernd verlaſſen hatte, die Thür zu verſchließen. 

Als man diefem Wunfche des aufgeregten Mannes gewill⸗ 
fahrt Hatte, fehlen er ruhlger zu werben. Er bedeutete den An- 
wefenden, fie möchten in feiner Nähe Plab nehmen, er habe ihnen 
eine Mittheilung von Wichtigkeit zu machen. Gefpannt horchten 
Alle auf. 


Ich bin nicht krank, Ihr Lieben, ich bin nur angegriffen, hob 
Heidenfrei mit halblauter Stimme an Die Verhandlungen, die 
leider kein günſtiges Reſultat ergeben, haben dies nicht bewirkt, 
abwohl ſie meinen Anſichten und meinen Erwartungen ſehr wenig 
entſprachen. Eine Nachricht, die erſt ſpäter mich erreichte, hat mich, 
weil ſie unerwartet kam, erſchüttert. Ich bin nämlich in große 
Verluſte gerathen, und wenn Alles ſich beſtätigt, ſo wäre das 
Schlimmſte denkbar. 

Als Heidenfrei dies harte Wort ausgeſprochen hatte, fühlte 
er ſich Leichter. Seine Söhne ſtanden ſprachlos und alle Farbe 
wich aus ihren Wangen. Hohenfels dagegen blieb ruhig. 

Sind ein paar der erften Häufer gefallen? fragte er. 

Noch nicht, verfekte Heidenfrei, man vermuthet nur ihren 
Fall. Sollte er eintreten, fo weiß ich nicht, wie ich mich halten 
fol, denn mehr als zwei Drittheile meiner Habe ſchwimmt auf 
bem Meere. 


Wir müflen uns unverweilt Gewißheit zu verfchaffen fuchen 
und dann umfihtig, aber auch raſch Handeln, fagte Hohenfels. 
Wie hoch belaufen fich beine Verbindlichkeiten? 

Hetdenfret nannte die Summe. 8 fehlte wenig an einer 
Milton. Und wie viel davon kannſt du decken? forfchte ver Schwa- 
ger weiter. Der Rheder zudte die Achjeln. Es wird wenig ge= 


nug fein, denn, wie gefagt, mein Vermögen gehört Wind und 
D. 3. XI. Willkomm's Rhedet und Matrofe. 24 


Mogen und ich habe es vorgezogen, weber die Schiffe noch die 
Waaren zu verfihern. Wenn jetzt ein Unglüd geſchieht — 

Es darf nicht gefchehen, fiel der energiſche Hohenfels dem 
Schwager in's Wort. Ich weiß, ober was baffelbe ift, ich ſchaffe 
Rath, 

Du? Wie vermöhtel du eine folhe Summe herbeizuſchaffen! 
ſprach Eduard. 

Ein entichloffener Mann vermag viel, verfehte Hohenfeld. In 
vorliegendem Falle ift ohnehin, dünkt mid, leichter Rath zu ſchaf⸗ 
fen, da nur Vermuthungen vorhanden find, nur Befürchtungen 
laut werben. 

Gerade diefe Befürchtungen laffen mid das Schlimmite ah⸗ 
nen, fagte Heidenfrei. Der Ruf eines Haufes, das ſolche Befürd- 
tungen zuläßt, tft ſchon verloren, nur ber Beweis des Gegentheils 
fann ihn vollftändig wiederherſtellen. 

Welche Schiffe erwartet Du? fragte ohne auf diefe letzte Be- 
merkung des Rhebers ein Wort zu ermwidern, ber umfißtige Ho⸗ 
henfels. 

Es müſſen in den nächſten Wochen zwei Briggſchiffe, eine 
Fregatte, eine Schoonerbrigg und drei Kuffs theils hier, theils in 
Bremen und Antwerpen einlaufen. Alle find gemeldet, die La— 
dungen find werthvoll und der Gewinn ein bedeutender, wenn mir 
das Glück treu bleibt. Stürzen aber die beiden englifhen Häu— 
fer, mit denen ih liirt bin, fo entitehen mir die baaren Mittel, 
und es tft fehr fraglich, ob ich in diefen ohnehin geldarmen Zei— 
ten meinen Credit fo hoch anfpannen kann, daß ich mich halte, 
ohne Verdacht zu erregen. 

Du biſt gerettet, ſprach Auguſt Hohenfels zuverfichtlich Ver⸗ 
traue jetzt einmal mir, dem Schwärmer, fuhr er lächelnd fort, als 
er die heiter werdende Miene des von der erſchütternden Kunde 
niedergeſchmetterten Mannes ſah. In einem Falle, wie dieſer, iſt 
ed gerade die Idee, die am ſicherſten Hilfe bringt. Darum ſteht 
mir eine große Idee fo hoch, darum iſt fie mir unter Umftänden 
mehr Werth, als das größte Elingende Gapital. Bieweilen, lieber 








— 371 — 


Heidenfrei, will mich bedünken, als fänden ſich arge Widerſprüche 
in der kaufmänniſchen Welt vor. Ihr verlacht unſere Ideen, die 
Ihr ziel- und ſinnlos nennt, und doch iſt jeder Wechſel, den Ihr 
traffirt, auh nur eine Idee, und ber Credit, ohne welchen aller 
Handel aufhören müßte, tft die Fühnfte aller Ideen. So lange 
der Glaube an eine Idee währt, fo lange ift fie gut. Habt alfo 
die Güte, meinen Ideen Glauben zu ſchenken und Ihr könnt ohne 
Bedenken Wechfel darauf ziehen und Grebit darauf eröffnen. 

Hetdenfret fah mit feinen ſcharfen, heilen Augen den Spre⸗ 
chenden groß an. 

Du könnteſt Recht haben, verfeßte er, und fo will ich, ob⸗ 
wohl es gegen mein Prinzip verftößt, auf eine bloße dee, bie 
bisweilen mit Chimäre gleichbedeutend if, Eredit geben. Du bift 
zu ehrlich, als daß du mich, meinen Namen, mein ganzes Haus 
einer Idee zu Liebe in's Unglück ftürzen kannſt. Vor zwanzig 
Jahren, id befenne es offen, hätte ich dir folhen Glauben nicht 
gefhentt. Damals warft du mir zu ſchwärmeriſch hochfahrend. 
Jetzt biſt du mir an Lebenserfahrungen überlegen, ſtehſt frei und 
vorurtheilslos da, haſt perſönlich keine Verbindlichkeiten, brauchſt 
Niemand zu bitten, vor Niemand dich zu beugen, und haſt deshalb 
ein Recht, den Kopf ein wenig hoch zu tragen, wenn Andere 
Miene machen, dich überſehen zu wollen. Ich will ſogar, damit 
du ſiehſt, daß ich fein Gegner deiner Pläne bin, wenn ich fie auf 
nicht mit Meberzeugung als vortrefflihe zu den meinigen maden 
kann, nicht einmal fragen, auf welche Weife du im Fall der wirf- 
Lich eintretenden Gefahr mir Rettung bringen will. 

Diefes unbegrenzte Vertrauen rührte und entzückte Hohenfels, 
ber, ungeachtet feiner trüben Erlebniffe, einer gewiſſen Schwärmeret 
fich lets von Neuem warm und innig hingab. 

Ich danke dir, fprad er, ganz wieder Vertrauen und voll- 
fommen verföhnt. In wenigen Tagen werde ich bir die Belege 
übergeben, welche bich unter allen Umſtänden fiher ftellen. Biel- 
leicht tragen fie mehr als meine feurigfien Worte Dazu bet, dich 
und deine allernächften Freunde meinen Vorſchlägen geneigter zu 

24” 


— 372 — 


machen. Auch damit würde ih fehon zufrieden fein, denn aus ber 
Geneigtheit entwidelt fi fpäter die Luſt zu wagen, und ſchon das 
erfte fogenannte Wagnig wird — ich bin davon Üterzeugt — ein 
Triumph der Idee fein, von der th nicht laſſen Tann, die mid 
nun einmal einzig und allein noch in der Welt fefthält, weil ich 
in ihr einen neuen Prometheusfunfen die Völker der Erbe mit 
frobem Lebensfeuer durchglühen fehe. 

Heidenfrei’s Aufregung verlor fih während diefer Unterredung 
und gleichzeitig kehrte dem entfchloffenen Manne feine phyfifche 
Kraft zurück. Niemand im Haufe erfuhr auch nur eine Sylbe 
von dem Inhalt des eben beendigten Geſprächs, nur bie beforgten 
Mienen der Söhne bes Rheders wollten Manchem auffallen, da 
beide Brüder gewöhnlich heiter und hoffnungsvoll fi zeigten. Da 
indeß von Feiner Sette irgend eine Aeußerung fiel, auch ber Chef 
des Haufes, von beffen vorübergehendem Unwohlfein das Gomptoir= 
perfonal wohl etwas vernommen hatte, an demfelben Tage wieder 
zum Vorſchein kam, und fonft Alles feinen gewohnten Gang ging, 
ahnte Niemand die wahre Veranlaſſung der ernfteren Stimmung 
Eduard’s und Ferdinand's. 

Auguftin Hohenfeld ging inzwifchen unverweilt an’s Werk, 
68 .erhob den ungewöhnlichen Mann, dag ihm ber Zufall, und an⸗ 
fheinend noch dazu ein unglüdliher Zufall, der hundert andere 
bis zur gänzlihen Verwirrung erſchreckt haben würde, Gelegenheit 
barbot, gewiſſermaßen die Probe auf feine Idee zu machen. Der 
edle, große Charakter des viel verfannten und darum zur Unzeit 
ſtill befeitigten Mannes zeigte ſich jest in feinem glänzendften Lichte, 
Hohenfeld fchrieb mehrere Briefe an ihm bekannte Handelshäufer, 
die, wie die Papiere feines Sohnes auswiefen, die Verhältniffe des 
verftorbenen Pueblo y Miguel Saldanha, deſſen Erbe fein Sohn 
geworden war, ganz genau fannten. Was er fonft noch Hinzu 
fügte, biteb feinem Schwager ein Geheimnif. Von ber Lage Hei- 
benfrei’s, im Fall die mit ihm verbundenen Häufer zu Grunde 
gingen, war in feinem dieſer Schreiben bie Rede, deſto berebter 
‚verbreitete ſich Hohenfels über feinen großen Gedankenplan, Süb- 





— 973 — 


Amerika der Golonifatton zu erſchließen und ben Zug tüchtiger, 
nicht ganz unbemittelter Auswanderer, der ſchon damals den freien 
Staaten Nordamerifa’s ſich zuwandte, nach dieſen an den koſtbar⸗ 
ften Produkten ver Welt viel reicheren Ländern zu leiten. Cr 
drang auf Befahrung aller Meere durch Dampfichiffe, aber er kam 
immer wieder auf die Grundidee zurüd, daß, folle eine derartige 
Erweiterung der Rhederei von nationalem Nupen fein und denje- 
nigen, die fie in bie Hand nähmen, ben unberechenbarften hans 
delspolitifchen und culturbiftorifhen Einfluß in der neuen Welt 
fihern, feine andere Staaten und Nationen fih dazwiſchen mengen 
bürften. Herſtellung directer Schifffahrtslinten unter deutſcher Flagge, 
bad war auch in diefen Briefen das große Thema, das er prebigte. 
Als er die Schreiben fiegelte, fagte er zu ſich felbit: 

Es wäre doch möglich, dag ich noch reuffirte. Sind bie Ei⸗ 
nen ſchläfrig oder ſchwer zu einem Entjchluffe zu bewegen, fo muß 
man verfuhen, fie durch Andere, Rührigere aufweden zu laſſen. 
Die Concurrenz tft eine gefährliche Waffe, die mit großer Geſchick⸗ 
lichkeit gehandhabt fein will, fol man fich felbft nicht verwunden. 
Ste ift ein zweiſchneidiges Schwert ohne Griff, das man wirft, 
wie ber Gallego fein im Aermel verborgen gehaltenes Dolchmeſſer 
und das man am flumpfen Ende wieder auffangen muß. Aber 
fei e8 drum! Der Preis tft groß, der Ruhm noch größer. Das 
für muß ein unternehmender Mann nöthigenfalls Ehre und Kopf 
einfegen. 

Hohenfels war mit ſich zufrieden. Er trug die Briefe ſelbſt 
auf die Poſt, damit Niemand erfahre, wer diejenigen ſeien, bie, 
wie er ſich ausdrückte, eine bloße Fee als Wechſel arceptirten und 
die Baluta baar dafür auszahlten. Er wußte, daß er fiher ging, 
und dies Bewußtfein gab ihm feine geiftige Spannkraft wieder, 
die Ihn während ber kleinlich profaifhen Verhandlung mit einer 
Anzahl begüterter Menfchen verlaffen hatte, welche die Grofartig- 
fett feiner weltbefruchtenden, völferbeglüdenden Idee über die Bes 
rechnung des abfallenden Gewinnes ganz und gar vergefjen fonnten, 

Ungeachtet der zur Zeit unferer Erzählung noch ziemlih man⸗ 


— 374 — 


gelhaften Poſtverbindung, trafen die Antworten auf die entſendeten 
Briefe doch ungewöhnlich pünktlich ein. Sie entzückten Hohenfels 
in jeder Beziehung, denn fie gewährten ihm mehr, als er zu er- 
warten gewagt hatte. Ein faſt unbegrenzter Credit war ihm er- 
öffnet, fo daß mittelft deſſelben Heidenfrei feine Vexbindlichkeiten 
auch im Falle eines wirklich eintretenden Unglüds erfüllen Tonnte. 

Diefer Erfolg eines Experimentes, deſſen Natur Heibenfret 
nicht genügend kannte, knüpfte zwifchen beiden Schwägern ein neues 
Band feiten Vertrauens. Die Söhne drangen unabläffig in den 
Vater, den Oheim, der einen fo großen faufmännifhen Blick ge— 
rade tn jehwierigen Angelegenheiten befige, als wirklichen Compagnon 
mit in das Geſchäft zu nehmen und ihm vorzugsmeife die Rhe— 
beretangelegenheiten allein anzuvertrauen, bie, worauf Alles bin- 
deute, binnen wenigen Jahren durch die immer zwedmäßigere Be— 
nugung der Dampffraft unbedingt in ein ganz neues und eigen= 
thümliches Stadium treten müßten. 

Solchen Bitten, auf fo triftige Gründe fi ftüßend, vermochte 
ber Vater nicht Länger zu widerſtehen. Auguftin Hohenfels trat 
in das Geſchäft, und bald erregte es gewaltiges Auffehen an der 
‚Börfe, als eines Tages Girculäre ausgegeben worben, welde biefe 
wichtige Veränderung der europätfchen und außereuropälfchen Handels⸗ 
welt befannt madıten. 

Glücklicherweiſe erwieſen fih die Befürchtungen Heidenfrei's 
als völlig aus der Luft gegriffen. Ein allzu vorfichtiger Correſpon⸗ 
dent hatte das Hamburger Haus unnöthigerweife, aber in guter 
Abficht, erfhredt. Es erfolgte nicht die geringfte Stodung, fo daf 
Hohenfels den Credit, der ihm bewilligt worden war, gar nicht zu 
benugen brauchte, wenn er nicht wollte. Mit Hilfe deffelben ließen 
fih indep außergewöhnliche Refultate erzielen, und fo firengte denn 
Hohenfels feine ganze geiftige Kraft an, um den Ideen, bie ihn 
zurüd in's Vaterland geführt hatten, Leben einzuhauchen. 





— 375 — 
Fünftes Kapitel. 


Spiel, Scherz und Ernft. 


Die Tafel ward aufgehoben und die Gefellfhaft zerftreute 
fi. Einige ältere Herren zogen ſich in ein als Zelt decorirtes 
Zimmer zurüd, das bie Ausſicht auf bie unfern vorüberziehende 
- Straße und darüber hinweg auf ein dicht belaubtes Bebüfh und 
faftiggrüne Wiefenteppiche Hatte. Hier warb tiber verfihiedene Ge- 
genftände geplaudert und von Ginigen eine Gigarre dazu geraudt. 
Die Frauen traten in den Salon und taufhten, da und dort in 
Gruppen vertheilt, ihre Meinungen und Anfichten aus über bie 
neueiten Moden, wobei e8 an gegenfeitiger Mufterung der Kleider 
und Shawls nicht fehlte. Andere ſprachen wohl auch über Muſik, 
fritifirten die neuefte Oper, die Lürzlic im Stabttheater zur Auf: 
führung gekommen, Iobten ober, tabelten, je nah Geſchmack und 
Bunft, Sänger und Sängerinnen, und einigten fi nach lebhaften 
Debatten endlich in der gemeinfamen Anficht, daß Opern doc viel 
angenehmer, viel unterhaltender als Schaufpiele fein. In biejer 
Beziehung fand die damalige Welt nicht nur bereits auf der Höhe 
ber Zeit, fie griff dem Jahrzehnt fogar vor; denn was man in 
jenen Tagen nur ſchüchtern und unfiher tajtend verfuchte, das tft 
gegenwärtig Mode, ja fogar guter Ton geworden. 

Die jüngeren Thetlnehmer an dem Fleinen Gaftmahle, wel⸗ 
ches Heidenfrei in Veranlaſſung der Erweiterung feiner Geſchäfts⸗ 
thätigkeit den ihm näher ſtehenden Perſonen auf ſeinem Landhauſe 
gab, ſchwärmten unter Scherzen und allerhand Neckereien durch die 
wohl gepflegten Gänge des geräumigen Gartens. Bald aber ward 
man biefes zweckloſen Umherwanderns müde, da es zu fehr zer. 
fireute und die jugendlih Fröhlichen ben fhönen Sommertag mög- 
lichſt genießen wollten. 

Laßt uns ein Geſellſchaftaſpiel arrangiren, ſchlug Ferdinand 
vor, Fräulein Ulrike zuwinkend, fie möge ein ihr vorzugsweiſe an⸗ 


— 376 — 


genehmes nennen. Eliſabeth kam ihr jedoch zuvor, indem fie faſt 
gleichzeitig dem Correſpondenten Anton zurief: 

Bitte, holen Sie die Reifen! Sie wiſſen ja am Beſten, wo 
Sie damit geblieben ſind. Ein recht luſtiges Reifenwerfen muß 
ſich heute, bei dieſem glänzend blauen Himmel, ganz allerliebſt aus- 
nehmen. Und bier dieſer oblonge Rafenplag, von allen Selten 
dicht beſchattet, gewährt allen Theilnehmenden gleiches Licht und 
hält Jeden in beftimmten Grenzen. Da wollen wir uns vet 
nad) Herzensluſt die niedlich bebänderten Reifen zumerfen. 

Anton war längft hinter Alazien= und Berberisgeſträuch ver- 
ſchwunden, bie Zurüdgebliebenen bildeten inzwifchen auf Anordnung 
der Tochter des Haufes um den fammetweichen Rafen bunte Reihe, 
wobei es nicht ohne kleine Schelmereten abging, bie bei Ginigen 
wohl mit heimlichen Nebenabfihten gepaart waren. Diefe Auf: 
ftelung war kaum beendigt, ald Anton eiligen Schritte mit einer 
Anzahl Reifen am Arm und ausreihenden Stäben zurüdtam. 
Die Reifen fahen in der That recht luſtig aus, denn einige was 
ren mit blau und weißem, andere wieder mit roth und weißem 
Seidenband ummunden. Raf griffen die jungen Mädchen zu, 
bie jugendlichen Männer folgten, und bald kreuzten fi) bie dre⸗ 
henden Reifen in der Haren Luft über dem fchimmernden Ra⸗ 
fenplabe. 

Ohne Neckereien verlaufen berartige Geſellſchaftsſpiele felten. 
Gewöhnlich macht fi der Mebermuth junger Mädchen am meiften 
babet geltend, die bald aus Neigung, bald zum bloßen Amüfement 
einem oder dem andern ihrer Mitſpieler mehrere Reifen auf ein⸗ 
mal zuwerfen und ihn dadurch zu den poffierlichiten Sprüngen 
und Stellungen veranlaflen. Diesmal ging das Spiel in Heiden- 
frei's Eleinem Park eine Zeitlang ruhig feinen Bang. Keiner warb 
ungeftüm, Keiner läſſig. Dean fpielte wirklich, um fi zu, ver 
gnügen und eine gefunde Bewegung zu mahen. Nur hinſichtlich 
ber Gruppen, die einander gegenfettig die bebänderten Reifen zu« 
warfen, konnte man eine gewiffe Anzliehungskraft gewifler Indivi⸗ 
buen bemerken. Es war jeltfam, Ulrike's Reifen fielen mit ges 





‚ — 377 — 

ringen Ausnahmen regelmäßig auf Ferdinand's Stock, Anton war 
ſo glücklich, die ſeinigen immer von Eliſabeth auffangen zu ſehen, 
die in ihrem Roſakleide mit den langen hellbraunen Locken, die 
um das zart geröthete Geſicht koſ'ten, in hohem Grabe liebens⸗ 
würdig ausſah. Chriſtine endlich, die ſeit ihrem Wiedereintritt in 
die Familie Heidenfrei ſich darauf pikirt hatte, nie anders als 
Schwarz zu gehen, und die demnach ein einfaches ſchwarzſeidenes 
Kleid nach damaligem Modeſchnitt trug, womit ihre ebenſo ſchlichte 
Haartour trefflich harmonirte, ſchien ſich um Niemand anders, als 
um Miguel Hohenfels-Saldanha zu bekümmern. Dieſer junge 
Verwandte Heidenfrei's war augenblicklich die intereſſanteſte Perſön⸗ 
lichkeit in der Geſellſchaft. Er machte den faſt ſpurlos verſchwun⸗ 
denen Mexikaner raſch vergeſſen, obwohl er ſich nicht rühmen konnte, 
jo viele glänzende und wirklich beſtechende Talente zu befitzen. 
Was ihm in diefer Hinficht abging, das erfehte reichlich fein aben- 
teuerreiches, großentheils In das undurchdringlichſte Geheimniß ge= 
hüllte Leben. Er ſelbſt fühlte fich nicht veranlaßt, davon zu fpres 
hen, und Auguftin Hohenfels, der feiner ganzen eigengearteten 
Natur nad Fein Mann der Gefellihaft war, no fein konnte, ba 
er felten mit Vielen harmonirte, und zu ftolz, zu fehr vom Schick⸗ 
fal abgehärtet, daneben zu fireng an ernſtes Denken gewöhnt war, 
um flachen Aeußerungen beizupflichten oder fie nur unerwidert an 
feinem Ohr vorübergleiten zu laſſen: Auguftin Hohenfels ſchwieg 
abfihtlih. Die Caprice Miguels, ſtets Matrofentracht zu tragen, 
weil er unabänderlich bet feinem Entſchluſſe beharrte, ald Matrofe 
in fein Geburtsland zurüdzufehren, hob feinen tabellofen Wuchs 
und ſchmälerte in Feiner Weiſe den Eindrud feiner Erſcheinung. 

Das Spiel der jungen Leute mochte unter Scherzen und La= 
hen act bis zehn Minuten gedauert haben, als fi ein paar Zu= 
fhauer einfanden. Es waren Auguftin Hohenfeld und Treufreund. 
Beide hielt es nicht unter den rauchenden Männern, die nur zu 
bald mitten in einem Geſpräche fi befanden, das fih nur um 
bie neuelten Preisnotirungen handelte. Un derartiger Converſation 
betheiligte ſich Hohenfels aus Grundſatz nie, weil er einen gang 


— 378 — 


andern Begriff von dem Vergnügen geſellſchaftlichen Lebens hatte. 

Er war deshalb nicht beliebt, eher gefürchtet. Die Meiſten mieden 
ihn, Einige weil fie ſeine geiſtige Ueberlegenheit ſcheuten, Andere 
aus Furcht vor ſeinem geierartig ſcharfen Blicke, noch Andere, um 
nicht in die fatale Nothwendigkeil zu kommen, mit dem philoſo⸗ 
phiſchen Kaufmanne, wie man ihn wohl ſpottweiſe in vertraulichem 
Kreiſe nannte, ein unerquickliches Geſpräch anknüpfen zu müſſen. 

Hohenfels ſtörte dieſe ſchlecht verhehlte Abneigung der Mehr⸗ 
zahl nicht. Er war ſeit langen Jahren daran gewöhnt, nur mit 
ſich ſelbſt zu verkehren, fi ganz allein Geſellſchafter, Rathgeber, 
Freund zu ſein. Er hielt ſich deshalb nur zu denen, die ihn wirk⸗ 
lich ſchätzten und aus uneigennütziger geiſtiger Anhänglichkeit ſeinen 
Umgang ſuchten, einen ergiebigen Gedankenaustauſch oberflächlichem 
Geſchwätz vorzogen. Unter dieſen Wenigen ſtanden die jüngeren 
beiden Heidenfrei und der ehrliche Treufreund obenan. 

Kaum gewahrten die Reifen werfenden Mädchen die beiden 
Herren, fo flogen auch ſchon ein paar ber bebänderten Ringe wir- 
belnd durch die Luft. 

Herr Treufreund, Ste müffen mit von der Parthie fein. — 
Das tft eine gefunde Bewegung, die thut Ihnen Noth! — DO bitte, 
bitte, fommen Sie doch, Sie werfen fo fiher — wiffen Sie, Ste 
haben mir Unterricht gegeben, als ich noch fo ganz Elein war. — 
So ſprachen Eliſabeth und Ulrike, Beide ohne Umftände bie Hände 
des „Schattens“ erfaſſend und ihn, ungeachtet ſeines Sträubens 
und feiner Entfhuldigungen, mit fih in den Kreis der Spielen- 
. den ziehend. 

Das gibt einen göttlichen Spaß, flüſterte Anton einer Schö⸗ 
nen zu, die eben beſchäftigt war, ein loſe gewordenes Band wieder 
feſt zu ſchlingen. Der gute alte Herr fieht nichts, Sonne und 
Luft blenden thn, und ich möchte deshalb wetten, daß er zehnmal 
vergebens einen Stoß mit ſeinem Stocke in die Luft führt, ehe er 
ein einziges Mal den Reif fängt. 

Ei, deſto luſtiger wird das Spiel verfeßte die Angeredete. 
Der Ungeſchickte ift dazu In der Welt, bie Geſchickteren zu amüſiren. 





— 379 —— 


Herr Treufreund ft aber ein Treuzbraver Mann, ein nobler 
Charakter. 

DO, laſſen Ste ihn meinetwegen einen Halbgott fein, obwohl 
er durhaus nicht fo ausfieht, follen wir deshalb keinen Spaß 
haben? 

Hier ftellen Ste fi her, mein befter Herr Treufreund, fagte 
Eliſabeth in komiſch gebietendem Tone. Wie mögen Sie, ein 
Mann von fo viel Erfahrung und von fo großem Verdienſt, un⸗ 
galant fein gegen Damen, bie Sie mit fo rührenden Bitten um— 
fhmeiheln! Da, nehmen Ste meinen eigenen Wurfftab, er ift noch 
warm von meiner Hand, und da haben Ste auch meinen Reif 
mit den Hamburgifchen Farben. Ich will fehen, wo td ein Wurf- 
inftrument- für mid auffinde. 

Anton ſtand fhon an Eliſabeths Seite und bot thr feinen 
Wurfflod an. 

Bitte, Herr Anton, berauben Ste fih nit! Dort gewahre 
ih ſchon ein Aushilfsinftrument. Die umgebrohene Fuchſia kann 
ihren Stab auf einige Zeit entbehren. 

Elifabeth trat wieder in ben Kreis der Spielenden, von denen 
bereit8 Mehrere ihre Reifen dem noch ganz beftlirzten Treufreund 
zugejchleudert hatten. 

Ohne Kopfbedeckung, die Augen halb zugefniffen, machte der 
wadere Herr, der fo Vielen zur Zielſcheibe diente, in dem altvä⸗ 
terifhen Schnitt feiner Kletver, die freilich fehr ſchlecht ſaßen, mehr⸗ 
mals gegen die kichernden jungen Mädchen, die alle ohne Aus- 
nahme ausgelaffen Iufttg waren, fich verbeugend, eine wirklich höchſt 
komiſche Figur. Erft der Ermahnung Eltfabeths folgte er zögernd, 
indem er einen ber vor ihm niedergefallenen Reifen aufhob, den 
Stock daran Iegte und ihm einen fo gewaltigen Schwung gab, 
daß er weit über die Köpfe der Spielegpen fortflog und auf dem 
Wipfel einer breitäftigen Blutbuche hängen blieb, 

Zu ftark, zu flarf! rief mehr als eine Stimme. So müf- 
fen Ste e8 machen, dann treffen Ste. Gleichzeitig ſchwirrten Rei⸗ 
fen von verſchiedenen Seiten gegen den armen „Schatten“ heran, 


— 380 — 


und ba er fi büdte, um ihnen auszuweichen, wollte e8 der Zu= 
fall, daß zwei Reifen gerade auf feinen Kopf fielen und ihm bie 
auf die Schulter herabfanfen. 

Ein allgemeines Gelächter beglettete diefe glücklich gezielten 
Würfe der Uebermüthigen, vermehrte aber nur noch die DVerlegen- 
heit bes Gefoppten, der viel zu gutmüthig war, um den Scherz 
übel zu nehmen. DBorfihtig, damit er die Reifen nicht zerbredie, 
befreite er fih von der unerfreulichen Halszierde, reichte unter 
tiefen DVerbeugungen der fchelmifh lächelnden Eltfabeth den kurz 
vorher erhaltenen Stab nebit Reifen und fagte: 

Verzeifung, mein Fräulein! Wie groß meine Kunft iſt, 
haben Ste gefehen, und wie wenig ich zur Erhöhung des Der- 
gnügens dadurch beitragen Tann, da ich es durch meine Unges 
fhidlichkeit ganz und gar ftöre, beweiſ't diefe Armefündergeftalt, 
die hier vor Ihnen flieht. Ich bitte, mich gnädigft zu entlaffen, 
wäre ed au nur aus Mitleid mit meinen fohmerzenden Augen. 

Treufreund blickte hiebei die ſchöne Tochter feines Prinzipals 
fo offen an, als die biendend Helle Luft es ihm erlaubte. Glifa- 
beth erröthete und fchlug bejhämt den Blid zu Boden. An die 
letdenden Augen des guten Alten Hatte fie in ihrer Ausgelaſſen⸗ 
heit nicht gedacht. Ste reichte Treufreund die Hand und fprad 
leife, aber bittend: Vergeben Sie mir! Ich hatte Unredht, Sie 
fo übermüthig zu zwingen. Bitte, zürnen Ste nicht; es geſchah 
aus Unbedachtſamkeit, nicht aus Luſt am Scherze! 

Treufreund lächelte ſanft, ſtreifte mit der Lippe die weiße 
zitternde Hand Eliſabeths, machte, einen Halbkreis beſchreibend, 
eine ſeiner unvermeidlichen tiefen Verbeugungen, und ſchritt dann 
Hohenfels nach, der mit faſt finſtern Auge dieſer Scene aus der 
Ferne zugeſehen hatte. 

Ihr Oheim zürnt, raunte Anton der etwas beſtürzten Eli⸗ 
ſabeth zu, ſich einen der von Treufreund erhaltenen Reifen er⸗ 
bittend. Ich wollte, ih vermöchte ſeinen Zorn von Ihnen auf 
mich abzulenken. 

Eliſabeth blickte auf, flug aber, als fie bem Blide bes 








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jungen Correſpondenten begegnete, ihr Auge ſogleich wieder zu 
Boden. Um doch etwas zu ſagen, deutete ſie auf den in der 
Blutbuche hängenden Reifen und ſagte: 

Wenn ihn der Vater dort ſieht, wird er ſchelten. Ich würde 
dem, der ihn herabſchüttelte, dankbar ſein. 

Anton eilte ſogleich nach der Blutbuche, ſchüttelte ſie ſo ſtark 
er konnte, und ſah den Reif zu ſeinem großen Vergnügen von 
Zweig zu Zweig gleiten und ſanft auf den Raſen niederfallen. 
Als er ſich bückte, um ihn aufzuheben, ſprach er in einer Art 
melodiſchen Murmelns die Worte: „Mien Moder kann ſwemmen!“ 
leiſe vor ſich hin. 

Während dieſes Intermezzo's war der Kreis der Spielenden 
zerriſſen worden, und als man ihn auf Ulrike's Bitten wieder 
ſchließen wollte, ergab ſich, daß Mehrere fehlten. Dies ſtillſchwei⸗ 
gende Austreten Einzelner konnte für ein Zeichen von Ermüdung 
gelten, was nach einigem Hin⸗ und Herreden zu einer Beendi- 
gung des Spieles felbit führte. 

Unter die Ausgetretenen gehörten auch Ghriftine und Mi⸗ 
guel. Beide Hatten fih ganz zufällig, wie es ſchien, entfernt, 
indem fie fi gegenfettig ein paar Reifen zumarfen und babet 
immer nah einem feitwärts führenden Gange zurüdwihen. Zus 
fälltg mochten fie wohl aud während dieſes Duo's in eine Laube 
gerathen fein, und wir haben Grund zu vermutihen, daß hier 
Miguel durch ein Ungefähr zum Straudeln gelommen iſt, anders 
wenigftens wiffen wir ung die Situation nicht zu erklären, in ber 
wir jegt die beiden jungen Leute wiederfinden. 

Chriftine fißt auf einer Gartenbanf, Bor ihr, auf ein Knie 
niedergelaflen, Iiegt Miguel, die Rechte des fchönen Mädchens in 
beiden Händen haltend und der lieblich Erröthenden feurige Worte 
zurufend. Obwohl man Geheimniffe Anderer nicht ausplaudern 
fol, dürfen wir das, was der lebhafte Matrofe dem jungen 
Mädchen vorſchwatzt, doch nicht verfchweigen, da wir andere un⸗ 
ſere Gefchichte nicht beendigen Könnten. 

Ghriftine, Hören wir Miguel fprechen, es ift ein volles Jahr 


— 382 — 


vergangen, feit ich Ihre liebe Geftalt zum erften Male erblidte, 
Ich machte, Ste wiffen es, nie ein Geheimniß aus den Gefühlen 
meines Herzens, aber ich war ja arm, ein Fremdling, ein mittel- 
Iofer Abenteurer, ohne "Namen, ohne Familie! Man entrig Ste 
mir, ehe ih Ste noch fprehen konnte. Dennoch gab ich Ste nicht 
verloren. Gin ahnungsvoller Zug meines Herzens flüfterte mir 
Immer von Neuem zu, Ste feten mir vom Schiefale beftimmt, 
und th, ih könne Ihnen nützlich fein. Da trat jene büftere Zeit 
ein, die wir jest, nun fie hinter uns Itegt, mit andern ‚Augen 
betrachten. Gerade biefe anfheinend fo ſchreckliche Periode tft Ih⸗ 
. nen günftig gewejen, denn fie hat einen Verfolger von Ihrem Les 
benspfabe verſcheucht, der ung Allen bereinft gefährlih, ja furcht⸗ 
bar werden konnte. Ih will es nicht als ein Derbienit bezeich- 
nen, daß meine nie ermüdende Wachſamkeit immer dem Schatten 
folgte, den Ihre verfhwindende Geftalt warf. Es gelang mir, 
Sie zu entdecken, Sie der Welt, Ihren eltern, Ihren Freunden 
wiederzugeben. Soll ich allein, der ih Ste mit ber ganzen Hin- 
gebung eines aufopferungsfähtgen Herzens Tiebe, fol ih allein 
Ste entbehren? Chriftine! Es iſt das erfte Mal, daß ih mid 
ohne Zeugen offen gegen Sie ausfprehen kann, es ſoll auch das 
legte Mal fein. Jh will und kann ohne Ste nicht Ieben. Ge⸗ 
hören Ste mir an! Sagen Sie mir, daß ich Ihnen nicht gleich- 
giltig bin! 

Chriftine blickte verwirrt über das Haupt des Sinteenden, ber 
feine heißen Lippen auf ihre Hand preßte. 

Stehen Ste auf, Miguel, ich höre kommen. 

Nicht, che Sie mir Antwort geben! 

Sie compromittiren mih! . . . Wenn einige von ber Ge- 
ſellſchaft — | 

Lap Ste alle kommen, fiel Miguel der Beftürzten ins Wort, 
ih wünjhe es. Dann bin ih Manns genug, meinen Arm um 
deinen Leib zu Iegen uud ihnen dich, mit ober ohne deine Einwil- 
gung, als meine verlobte Braut vorzuftellen. 

Er war aufgeftanden und machte Miene, Chriſtine zu umar- 





— 383 — 


men. Dieſe aber wehrte ihn fanft ab, blickte Ihn lächelnd an und . 
fagte mit ſchalkhaftem Webermuth: " 

Ungeftümer Menfh! Bedenken Sie doch, daß Ste an ben 
Ufern der Niederelbe,. nicht in der Umgegend des Amazonenftros 
mes leben. Es mag Sitte fein in Ihrem ſchönen Vaterlande, 
dag junge Herren, wenn fie verliebt find, mit Dolh und Piftole 
den Gegenitand ihrer Liebe anfallen; in unſerm fühlen Deutſch- 
land, wo alles feine Regeln hat, brauht man, um Erhörung ſei⸗ 
ner Wünſche zu erlangen, ein wenig längere Zeit. Webrigens will 
ih, damit Ste nicht eine fo gar troftlos komiſche Miene machen, 
über die ih am Ende lachen muß, Shnen nicht verhehlen, daß 
Sie den allerglüdlichiten Weg ohne Ihr Zuthun gefunden Haben. 
Er führt durch die romantiſch-anlockendſte Wildniß zu dem ſtrah⸗ 
lenden Schloß der verzauberten Prinzeffin, die Ste zu befreien 
gelobten. Kennen Ste die Regeln einer anftändigen, ehrlichen 
Bewerbung? 

Miguel fhwieg und ſah die janft lachelnde Geliebte zwei⸗ 
felnd an, da er nicht wußte, ob er ihre Worte für Hohn oder 
für eine ſchelmiſche Neckerei halten ſollte. 

Ich will Ihnen ſagen, mein ungeſtümer, lieber Lebensretter 
aus Braſilien, fuhr Chriſtine fort, was ein geſitteter junger Mann 
hier zu Lande thut, wenn er die Abſicht hat, ein Mädchen, deren 
Herz er zuvor erforſchte, zu feiner Braut zu erheben. Ein fol- 
her Glücklicher wendet fi in den reſpectvollſten Redensarten, aljo 
mit Hinweglaffung aller Worte, die nad Verzweiflung, Elend, 
Gift, Tod u. f. w. ſchmecken, an die Xeltern der Geliebten, be= 
weißt, daß er ein ehrlicher braver Mann fei, — dieſer Beweis 
ift neuerdings in unferm Vaterlande fehr nöthig geworden — legt 
ferner dar, dag er nicht Unglüd über das Haupt feiner Erwähl⸗ 
ten bringen wird, und erbittet fich fchließlih von den Aeltern die 
Hand der Tohter. Se, lieber Miguel, fügte Chriſtine vertraulich 
ermunternd hinzu, fo macht man das bei ung, und wenn ed vet 
nett eingefleidvet wird und ber junge Mann wirflid ein liebens- 
würdiges Subjekt ift, pflegt ein geſcheidtes Mädchen ungefähr fo 


— 384 — 


zu lächeln und mit niedergeſchlagenen Augen zu ſagen: Auf bal- 
diges Wiederſehen! Be " 

Eine rafhe Wendung entzog Chriftine, die in. ihrer erkünftel- 
ten MWebermuthslaune bezaubernd war, dem flaunend zubörenden 
Miguel, der beftürzt und doch innerlich hochbeglüdt in der Laube 
zurüdblieb, Denn er konnte fi nicht wohl denken, daß ein jun- 
ges Mädchen einen von Liebesgluth ergriffenen Mann, der ihr 
feine hetligften Gefühle offenbare, in fo lieblich Elingenden, fanf- 
ten Worten und mit fo warmen, fonnigeflaren Blicken einen Korb 
ertheile. 

Unentſchloſſen, was er thun ſolle, verweilte er noch kurze Zeit 
in der Laube. Bald hörte er ſeinen Namen rufen. Er erkannte 
die Stimme Ferdinands; um nicht Anlaß zu weiteren Nachfragen, 
wo er ſich ſo lange verſteckt gehalten, zu geben, antwortete er und 
ging dem Couſin entgegen, der lebhaft ſprechend aber in ſehr hei— 
terer Stimmung Arm in Arm mit ihm der Villa zufchritt, wo bie 
Geſellſchaft fich jetzt wieder ſammelte. 


— 


Sechstes Kapitel. 





Der Morgen. Jacob und Ferdinand. Treufreund's 
Entdeckung. 


Ueber dem breiten Stromthale ber Elbe und ben vielen frucht- 
baren Infeln lag eine weißlich-graue Nebelfchicht, aus welcher nur 
bie gewaltigen Thürme der alten Hanſeſtadt, die hochgelegenen 
Häufergruppen der Vorſtadt St. Pauli und Altona’s, und bin und 
wieder einige Schiffsmaften hervorragten. Es war nod fehr früh, 
vor Sonnenaufgang, und um biefe Zeit pflegt das Leben in einer 
MWeltftadt, mit Ausnahme weniger Perfönlichkeiten, noch nicht wie= 
ber erwacht zu fein. Wie es langſam und allmählich erſtirbt und 
erit fehr ſpät im ber Nacht gänzlich aufhört, fo beginnt es auch nur 








— 385 — 


nad und nad. Dies allmählihe Erwachen zu belaufen, hat mehr 
als eine intereflante Seite und lehrt uns recht eigentlich den Cha— 
ratter ‚einer Stadt, die Eigenthümlichkeiten einer aus fo verſchiede⸗ 
nen Beſtandtheilen zufammengefehten Bevölkerung kennen. 

Die vergangene Nacht, welche jetzt dem feuchten Morgennebel 
der Dämmerung wich, war hell und warm geweſen. Erſt kurz vor 
Sonnenaufgang machte ſich eine Luftbewegung bemerkbar, die man 
jedoch weniger fühlte, als ſah. Die ſtreifigen Bildungen des Ne⸗ 
bels zerflatterten und verdünnten ſich, wurden länger, bildeten phan⸗ 
taſtiſche Geſtalten und ſchwammen dann, fortgetragen auf unſicht⸗ 
baren Luftfittichen, weſtwärts dem Meere zu. 

Die letzten Repräſentanten der Nachtſchwärmer, an denen volk⸗ 
reihe Städte fo reich ſind, waren kaum von den Straßen ver⸗ 
ſchwunden, da ging bald da, bald dort eine Kellerthür auf, oder 
ein Wohnſahl ward erſchloſſen und Männer, gewöhnlich in weiten 
ſchlotternden Beinkleidern und kurzer Jacke von ſchwarzem Sam⸗ 
metmancheſter gekleidet, große Henkelkörbe mit grün gemalten Blech— 
deckeln auf einer ihrer Schultern, traten heraus und eilten die 
Straßen entlang, bis der Eine da, der Andere dort, oft auch 
Mehrere an ein und derſelben Stelle, in einem Bäckerladen ver⸗ 
ſchwanden. Dies waren die Brodverkäufer, gemeinhin wohl auch 
im gewöhnlichen Leben Bäcker genannt, welche Hamburgs erwachende 
Bevölkerung an jedem neuen Morgen mit friſchem Brod verſorgen. 
Der Bäcker und der Brodmann iſt der am früheſten munter und 
thätig werdende Menſch in dem raſtlos arbeitenden Hamburg. 
Auf ſeinem Rückwege vom Bäcker in ſeine Behauſung, wo er ein 
ſchnell bereitetes Frühſtück einnimmt, ehe er ſein ſaures Tagewerk 
wirklich antritt, das ihn nöthigt, täglich etwa zwiſchen ſechs und 
ſieben deutſche Meilen zurückzulegen, begegnen ihm die Lumpen— 
ſammler, um Alles, was am vergangenen Abende und in der Nacht 
mit Abſicht oder durch Zufall auf die Straße geworfen worden 
iſt, mit ihren Eiſenſtäben zu durchwühlen und das etwa noch Brauch⸗ 
bare aufzuheben, um es nochmals zu verwerthen. Auch jene Spe- 


Iunfen der obdachsloſen Armuth, die berüchtigten Bettler- ober 
D. B. XI. Willkomm's Rheder und Matrofe, 25 


— 386 — 


Braher-Herbergen, von denen „ber tiefe Keller“ eine gewiſſe Bes 
rühmtheit erlangt hat, entlaffen ſchon einige ihrer nächtlichen Gäfte, 
Die zerlumpt, ungefämmt, mit verlebten wüſten Geſichtern einfam 
dur die Straßen fchleihen, bisweilen fröftelnd oder doch fich ſchut⸗ 


telnd ftchen bleiben, als fännen fie über etwas Wichtiges nad, 


und dann wieder, bald raſch ausfchreitend, bald wankend unb mit 
zitternden Glicdern weiter taumelnd — traurige Bilder gänzlider 
Derlaffenheit oder rettungslofer Verkommenheit. 

Zwiſchen vier und fünf Uhr werben fhon einige Arbeitsleute 
fihtbar. Eine Menge Faftenartig gebanter, mit Bretterbeden be- 
legter Wagen raſſeln zu allen Thoren herein und verbreiten ſich 
durch die ganze weite Stadt, wo eine Stunde fpäter ihre Führer 
in voller Thätigkeit betroffen werben, allen Schmug und Unvath in» 
und außerhalb ber Häufer zu fammeln und Hinaus auf's Land 
zu ſchaffen. Gleichzeitig eilen bald einzeln, bald truppenweiſe hier 
junge Mädchen, dort flinfe Burfche nad den verſchiedenen Fabriken 
ober Arbeitsflätten, bie ihnen Beichäftigung und Brod geben. In 
den Schmiedewerkſtätten rühren ſich gefhäftige Hände, die Bälge 
in Bewegung feßend, und glühende Gifenftangen mit wuchtigen 
Hammerſchlägen benrbeitend., Der lärmende Klempner raffelt in 
feinen Blechen, die Drofchlenkutfcher ſchirren gähnend ihre Pferde 
an, dehnen ſich dabei und klappern phlegmatiſch auf ſchweren Holz- 
pantoffeln bald aus dem Stafle auf die Straße, bald von der 
Straße wieder in den Stall. 

Inzwiſchen reißt die verhüllende Nebeldede, der Wind kommt 
auf, die Sonne bricht durch, Alles In Golddunſt tauchend, dag bie 
bogen Kirchthürme gleich Feuerflammen glänzen, und bie halbge— 
vefften Segel ber Schiffe im Hafen rofigen Wolken ähneln, die im 
Takelwerk hängen geblieben find. 

Nun ſchwimmen eine Unmaffe Feiner und großer Ewer über 
ben no immer dampfenden Strom und legen überall an ben 
zublreihen Landungsplätzen an, um ihre Bewohner und deren Zu— 
fuhren an. die Stadt abzugeben. Mit bem Landen biefer Fremd⸗ 
linge beginnt der ‚eigentliche Lärm des Tages, welcher bie vorneh⸗ 


— 887 — 


mere und die für vornehm ſich haltende Bevölkerung weckt. Eine 
unüberſehbare Schaar von Ausrufern und Handeltreibenden aller 
Art: Milch- und Fiſchverkäufer, Grünzeughändler ꝛe. in malert« 
ſchen Trachten ergießen fi durch alle Straßen, nehmen Platz an 
allen Eden, alle Thüren öffnen ſich, die Kaufgewölbe werden ers 
fhloffen, die blanken Scheiben der Schaufenfter noch blanfer ge= 
putzt, und bald Iebt, lärmt, wühlt und fummt die ganze Stadt 
von einem Ende zum andern. 

Es war um die Zeit, wo die erften Fifchewer den Baum 
paffirtten und die Brodverfäufer bereits von ihrem ermübenden, 
Morgengange zurüdtehrten, als einer der Letzteren, ein unterfeßter 
Mann von munterem Ausfehen, in der engen Mattentwiete einen 
ihm raſch entgegenfommenden jungen Seemann etwas unfanft mit 
feinem Korbe anftieß. 

Stop, ſprach der Seemann, fi zur Seite biegend. Stedt 
ein Licht an der Bramraae aus, wenn Ihr auf ſchmalem Fahr- 
waſſer fteuert, fonft gibt's Gollifion und Havarie. 

Die Stimme kam dem Brobverfäufer befannt vor. Er Tehrte 
fih um, eine Entihuldigung auf der Lippe, und blidte in ein 
wohlbefanntes Gefidht. 

Biſt du's wirklich, Andreas? fagte er, dem Steuermann gut⸗ 
müthig die Hand reichende. Wie lange bift du mir nicht mehr zu 
Gefiht gelommen!. Freilich du Fonnteft ja nicht, warft auswärts, 
unter dem Volke Gottes. Na, das find wunderlihe Gefchichten, 
die du mir 'mal aueführlich in einer ruhigen Feterabendftunde er⸗ 
zählen mußt. Du befuchft mid doch bald? Trudchen hat mehr 
denn hundertmal nad dir gefragt, und die alte blinde Pathe bei- 
nes in fo vornehme Geſellſchaft gerathenen Schützlings fehnt fi 
auch, ein verftändiges Wort von dir im Vertrauen zu hören. 

Andreas erwiderte den kräftigen Händedruck bes treugerzigen 
Brodverfäufers. 

Sobald ich mit Chriſtinens Water gefprochen habe, ehrlider 
Peter Krume, ſiehſt bu mich, ſei's bet dir, ſei's bet der alten blin= 
den Silberweiß. Ih komme direct aus London, wohin ich im 

25* 








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Auftrage des Herrn Heidenfrei ging, um über gewiſſe Angelegen- 
heiten bie ganze Wahrheit zu ermitteln. 

Hoffentlich Haft du fie ermittelt. 

Vollkommen. Meine Auftraggeber können und werben zu— 
frieden fein. 

Die enge Paffage in der belebten Twiete geftattete den bet- 
ben Befannten feine längere Unterhaltung. Mit nochmaltgem 
freundlichen Augenwink trennten fie fih, Peter Krume, um feinen 
Wohnſahl Hinter den Böden aufzufuhen, der Steuermann Andreas, 
um auf Ummwegen dem Haufe des reihen Rheders zuzufchreiten. 
Als er dies nach einer guten halben Stunde erreichte, fand er bie 
geräumige Diele voll arbeitender Menfchen, unter denen ber derbe 
David mit feinen ſchrecklichen Flüchen der Tautefte, aber auch der 
unermüblichite war. Andreas fragte nah Jacob, und erhielt von 
David unter zugegebenem „Gottverdammmich“ die Antwort, daß 
er den Quartiersmann auf dem oberften Speicherboden antreffen 
werde. Der junge Herr ſei mit ihm binaufgeftiegen. 

Der Steuermann traf Ferdinand Heidenfreti, den Quartiers- 
mann und einige Arbeitöleute bei ber Lufe, um nach Amerika be= 
fiimmten Flachs zu verladen. Ferdinand erwiderte mit Freundlid- 
‘Zeit den Gruß Andreas’, während Jacob ihn wie einen Menfchen 
empfing, dem man großen Dank ſchuldig iſt. 

Ihre Briefe haben den Vater fehr befriedigt, fagte der junge 
Hetdenfrei. Alles, was bis dahin noch unklar war, tft Damit er— 
ledigt worden. Auch ich danke für Ihre Bemühungen. Es hängt 
jept nur von Ihnen ab, ob Sie Ihre bisherige Stelle behalten 
oder 0b Ste auf unferer neu erbauten Fregatte, die nächſtens in 
See gehen foll, als Oberfteuermann eintreten wollen. Bis Sie 
einen beſtimmten Entſchluß gefaßt haben, bleibt Ihnen diefer Po- 
ſten reſervirt. 

Andreas dankte, ging mit Jacob auf die Seite und ſagte 
ihm leiſe in's Ohr: Heute Abend erfährſt du, was du zu wiſſen 
braudft. Ich komme eigens deshalb hieher, um aller Ungemwiß- 
heit ein Ende zu machen, weil ich weiß, daß fie am petnigenpften 














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tft. Es hängt jebt großentheild nur von dir und deiner rau ab, 
die Sache zu Ende zu führen und ihr die günftigfte Wendung zu 
geben. Jacob nidte ſchweigend mit dem Kopfe, fein Blick aber 
war trüb, faft. finfter und es fihten, als feße er in die Worte des 
Steuermannes wenig Vertrauen. Indeß fagte er zu und biefer 
entfernte ſich wieder. 

Jacob, ſprach Ferdinand Heidenfrei, als ber größte Theil des 
Flachſes verladen war und die Arbeitsleute eine Paufe machten, 
um ein ftärfendes Frühftüd einzunehmen, auf ein paar Worte! 

Der Quartierdsmann folgte dem jungen Herrn, ber ihn in's 
Comptoir hinabführte. ” 

Wenn du ed noch nicht wiſſen follteft, Jacob, fagte hier Fer— 
binand, fo will ich es dir mittheilen. Jeder Zweifel, dag Miguel 
niht der Sohn meines Oheims fein möge, ift durch die Erfun- 
Digungen, welche wir einziehen liegen, gehoben. Miguel ift mein 
leiblicher, rechter Metter, der Achte einzige Sohn Auguftin Hohen- 
fel®’. Alles, was er ung über das frühere Leben des Mexikaners 
erzählt hat, ift ebenfalls Wort für Wort wahr, und fo dürfen 
wir uns ja wohl alle aufridhtig der Freude hingeben. 

Ich habe das immer vermuthet, verfeßte Jacob, und hielt 
deshalb die Nachfragen, weldhe Herr Heidenfrei für fo unerläßlich 
erachtete, eigentlich für überflüjfig. Uber ich errathe den wahren 
Grund und fonnte es dem Herrn darum auch nicht verbenfen. 
Wenn Ste aber meinen, mir perfönlic, meiner Familie, meiner 
Tochter ſei damit groß gedient, fo muß th mir erlauben, zu be= 
merken, daß ih mich diefer Anficht nicht anſchließen Tann. 

Vergiß nicht, Jacob, daß du die Zufage meines Vaters haft. 
Zweifelft du an feinem Worte, an der Redlichkeit eines Heidenfret ? 

Gott wolle mich vor folder Zrevelet bewahren! verfeßte mit 
Abſcheu der ergraute Quartiersmann. Nein, Herr, mich drücken 
ganz andere und viel fhllinmere Bedenken. 

Laß fie mich kennen lernen, vielleicht ſteht es in meiner 
Macht, did zu beruhigen. 

Jacob ſchwieg nachdenklich, dann fagte er: Daß meine Chris 


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fine von Ihrem Heren Vetter geliebt wird, weiß id, und bag 
meine Tochter fi ſchwerlich weigern würde, einem Manne bie 
Sand für's Leben zu reichen, der mehr für fie gethan hat, als ein 
Bruder thun könnte, davon bin ich überzeugt. Was aber, mein 
Iteber junger Herr, was wäre damit gewonnen? Meine Tochter 
fäme durch eine Heirath mit Herrn Miguel Hohenfels-Saldanha 
fretlih in eine große Familie, ihr Vater aber und ihre Mutter, 
meine fchlichte ehrliche Doris, würden dadurch weder vornehm noch 
geſellſchaftsfähig. Das taugt nichts, Herr Heidenfrei, glauben Ste 
mir! Das ruintrt das Zutrauen zwifhen Aeltern und Kindern, 
macht diefe hochmüthig und jene migmuthig, und wenn dann Ver— 
hältniffe und Umſtände eintreten, oder ein Kleiner Zwiſt fallt vor, 
wie’s ja auch in der glüdlichiten Ehe paffiren mag, fo kommt der 
verſchiedene Stand zur Sprache, es gibt Vorwürfe und wie lange 
dauert’, fo iſt das Unglüd fertig. 

Ferdinand hatte die Bedenken des Quartiersmannes ruhig 
angehört, jetzt lächelte er und verfeßte, die Hand zutraulih auf 
Jacobs Schulter legend: 

Ehrlicher, braver Jacob, wenn dieſe Bedenken allein dir Kum- 
mer verurſachen, fo kann ich Dich beruhigen. Wahr mag es frei- 
Ih fein, daß weder du noch deine Fahmende Frau in einem Sa— 
lon unter vornehmen aufgedonnerten Damen und brüsk einherfchreiten- 
ben reichen Matadoren der Gefellfhaft eine befonders angenehme Rolle 
jpielen oder Euch glüdlich fühlen würdet, Aber tft denn das nöthig? 
Begehrft du in diefe Zirkel zu treten? Wird irgend Jemand dich 
zwingen, fie zu beſuchen? Gewiß nicht. Unfer Haus aber, Jacob, 
das kennſt du und wenn es dem Bater einfällt, eine Familien— 
mahlzett zu geben, meinft du, daß es dann unfchidlich wäre, dich des⸗ 
halb mit einzuladen, weil du zufällig beſſer mit einer Speicher: 
winde als mit der Feder umzugehen weißt? Bit du etwa nicht 
bewandert in ben Angelegenheiten, welche die Mehrzahl ber Kauf- 
leute intereffirt? Können fie dich entbehren? Müſſen fie dich 
nicht fo oft rufen, mit dir fprehen und unterhandeln, wie mit den 
Fonds- und Wechſel-Maklern? Biſt du etwa ein unnüßes Glied 














— 391 — 


in der großen Kette, an der wir Alle uns feithalten, um mittelft 
berfelben die Höhe zu erklimmen, die ung lodt und fo verführerifch 
zuwintt? Du weißt, dem tft nidt fo. Du bift und eben fo un— 
entbehrlih wie der Kaufmann und Rheder es wiederum dir und 
deinen Genoffen find. Giner trägt und hält den Undern, Einer 
Iebt mit und von dem Andern, und, was man nie vergeffen follte, 
es ehrt der Eine ſich ſelbſt dadurch, daß er die Thätigkeit jedes 
Einzelnen anerkennt und wirflih zu fhäßen weiß. 

Jacob war immer noch nicht beruhigt, Cr ließ etwas von 
Mißheirath verlauten und fprah von den traurigen Folgen folder 
Ehebündniſſe, die immer erft dann ſich herausftellten, wenn es zu 
fpät wäre und an eine Aenderung nicht mehr gedacht werben könnte. 

Sollte man doch meinen, erwiderte Ferdinand, du hätteft Ir- 
gendwo eine Zeitlang bet einem unferer vielen Fleinen Höfe unb 
Höfgen einen Poften befleivet. Was fällt dir ein, von Mißhei— 
rath zu fprehen. Streng genommen, gibt es dergleichen gar nit. 
unter ehrlichen Bürgern eines freien Gemeinweſens. Sieh, alter 
Jacob, ich will nicht Alles Toben, was wir haben, woran wir hans 
gen, was wir nielleiht nur aus Gewohnheit beibehalten. Mans 
ches Tiefe fih ändern oder ganz befeitigen, ohne daß das Allge— 
meine einen Berluft hätte. Zmweierlet aber dürfen wir niemals auf- 
geben, vielmehr müflen wir Gut und Blut daran feßen, damit es 
und bleibt und fi unverfürzt vererbt auf unfere Kinder und ſpä— 

‚teften Enkel. Es iſt das freie Bürgerthum, das ung als Han- 
delsſtaat groß und troß unjerer Kleinheit doch ſtark gemacht bat 
und die rein bürgerliche Auffaſſung aller Lebensverhältniffe, bie 
unferm Gemeinwefen immer frifche Kräfte zuführt. Sieh did 
‚um unter und, Jacob, und frage der Abjlammung aller derer 
nad, die gegenwärtig die Börfe beherrſchen. Es find nicht Lauter 
fogenannte Patrizier aus altem Stamme. Gar Mander befindet 
fi unter ihnen, der als unbekannter, Arbeit fuchender Menj bei 
ung einwanderte, durch Thätigkeit, gefundes Urtheil und Talent aber 
fi) bald emporarbeitete, e8 zu etwas Tüchtigem brachte und eben des⸗ 
halb ein Wort mitjpricht in der Gemeinde, Ich weiß, es fehlt leider 


— 399 — 


auch bei uns nicht an dem, was man Nepotismus nennt, es gibt 
ftolze, widerwärtige Menſchen, bie ſich, weil fie viel ererbten, für 
befier und vornehmer halten, als Andere ; dennoch bleibe ih da= 
bet, daß mit diefen Abarten bie Freiheit unferes bürgerlihen Seins 
nicht beſchränkt wird. Wer fih emporarbeitet, der gilt und wird 
den Erſten gleichgeachte. Wie man, deinen Sohn, hat er es big 
zum Gapitain gebradht, die Führung des größten Schiffes mit der 
toftbarften Ladung anvertraut, fo würde es ihm, widmete er fidy 
dem Studium der Rechtsgelehrſamkeit, unbenommen bleiben, fi) 
emporzufämwingen auf den Seſſel des Senators, falls er Kraft 
und Talent genug dazu befist, und ſicherlich würde man ihn des— 
bald, weil er der Sohn eines Quartierdmanned wäre, nicht we= 
niger ehren, noch dich ob deiner Beſchäftigung gering achten. In 
diefer Beziehung huldigen die Verftändigen unter und dem Grund- 
fabe der Gleichheit und zu den Verfländigen, Jacob, wirft bu bie 
Heidenfrei und Hohenfels doch wohl mitzählen, nicht wahr ? 

Dem Quartierömann trat eine Thräne in’ Auge. So lies 
bevoll, jo thetlnehmend, fo anerfennend hatte noch nie Jemand 
mit ihm gefprochen. Gr fühlte feinen eigenen Werth durch Fer— 
dinand's Worte ordentlih wachſen und die Bedenken, die fein 
Herz beſchwerten, verloren mehr und mehr an Kraft. 

Ste find gut, Sie find zu gut, werther Herr Heidenfrei, 
verjegte er gerührt. Ich verdiene wahrhaftig nicht, fo hoch ge= 
ftellt zu werden, obwohl mich's freut, daß Sie die Arbeit eines 
redlichen Mannes, der nicht mehr leiften kann, als er eben ge- 
lernt hat, achten. Recht mögen Sie auch wohl haben — und 
dennoch — | 

Dennoch? Woran flößt du dich jetzt noh? Fürchteſt du, 
beine Tochter werde ſtolz werden und mit Geringfhäkung auf dic 
herabfehen ? 

Nein, lieber Herr, das fürcht' ich nicht, ermiderte Jacob 
mit Lebhaftigkeit. Dazu hat fie ein zu liebevolles Herz, ein zu 
weihes Gemüth. Nein, nein, ſtolz und hochmüthig und groß« 
prablerifh wird mein Mädel nicht, aber — 











— 393 — 


Wie viele Aber tanzen denn noch auf deiner Zungenſpitze? 
warf Ferdinand lächelnd ein. 

Mir iſt nur bange um den Herrn Vater. 

Um meinen Vater? 

Nein, behüte Gott, um den Vater des Herrn Miguel. 

Um Hohenfels? Wie kommſt du darauf, Jacob? Haſt du 
denn ganz und gar vergeſſen, was mein Oheim erlebt hat? Wie 
jedes Vorurtheil, falls ſolche in ihm vorhanden waren, von den 
Erfahrungen, die er machte, getödtet worden iſt? 

Das Alles macht mich nicht bange, ſagte Jacob; was mich 
ſtört, iſt blos ſeind düſteres, unzufriedenes Weſen. Ich fürchte, 
der gute Herr fühlt ſich noch jetzt nicht glücklich und wird es 
überhaupt nie werden. Jetzt hat er freilich wieder etwas, das 
ſeine Gedanken beſchäftigt und da mag es wohl eine Weile ge- 
hen. Wenn aber fein Sohn, den er über die Maßen lieb zu 
haben ſcheint, fih wieder mehr von ihm wendet, was bei einem 
jungen Ehemanne ja gar nicht anders fein Tann, dann wird er 
wieder umjchlagen und in's Grübeln verfinfen und immer un- 
glüdlicher werden. Den? ich daran, Herr, und muß id mir fa- 
gen, daß ih an folhem Unglüd mittelbar doch mit Schuld hätte, 
weil es ja eigentlih nur durch meine Tochter entftanden it, jo 
will mir.die ganze Sache nicht zu Sinne, und ed wäre mir lie- 
ber, Chriftine kehrte in mein Haus zurüd und träfe eine Wahl, 
wobei alle diefe Bedenten von felbft mwegfielen. 

Das nenne ich gewiflenhaft fein, verfeßte Ferdinand fehr hei— 
ter. Wahrhaftig, wollten Viele deine Anfichten ſich aneignen, fo 
würde es, glaub’ ich, bald vor lauter Gewifenhaftigkeit gar 
feine Exiſtenz mehr geben. Vorläufig, lieber Jacob, forge dich 
nicht um das Kommende und überlaffe denen, die dir und beiner 
Tamilie wohl wollen, die Ordnung einer Angelegenheit, die id 
meinestheils fchon für ziemlich geordnet halte. Der Mißmuth 
meined Oheims hat, bünft mich, ganz andere Gründe. Laſſen 
dieje ſich bejeitigen, fo verliert er fih wohl auch nah und nad. 
In eß will ich mich nicht vermeflen, behaupten zu wollen, daß 


-— 394 — 


wir im Stande find, folh ein Ziel zu: erreichen. Auguſtin Ho- 
henfels tft ein ſchwer zu beurtheilender Mann, und mas er will, 
davon bringen ihn die Eineden Hunderter unter fünfzig Fällen 
faum einmal zurüd. 

Mit diefen berupigenden Worten entließ Ferdinand ben be- 
forgten Quartiersmann, der zwar fill, aber doch etwas heiterer 
als zuvor fich feiner gewohnten Thätigkeit wieder hingab. 

Schon während ber Unterredung bes jüngeren Heidenfrei mit 
Jacob war es zu einer fehr heimlich geführten, aber Heftigen Un- 
terhaltung zwiſchen Treufreund und Anton gelommen, die aud) 
jetzt noch mit gleier Lebhaftigkeit fortgefegt ward. 

Treufreund wollte bemerkt haben, daß der junge Gorrefpon- 
dent feit Kurzem feine Handſchrift etwas vernachläſſigte. Anton 
fehrieb zigentlih eine faubere, Taufmännifh ſchöne Hand. Wille 
feine Buchſtaben waren feit und fiher, es konnte Jeder fie Leicht 
leſen und unnüge Schnörkel brachte er nirgends an. Seht aber 
war XTreufreund der Unfiht, der junge, zu Hoffnungen beredh- 
tigende Mann vernadhläffige feine Handichrift, und wie dem pe- 
bantifhen ehemaligen Buchbalter jede Vernadläffigung ein Gräuel 
war, fo ärgerte er fih auch über diefe Saloperie, der fi Anton, 
wie er glaubte, aus purem jugendlichen Leichtfinn hingebe. Er 
nahm fi) deshalb vor, bei erfter Gelegenheit mit Anton über 
diefe Vernadläffigung zu fprehen und ihm die fhlimmen Folgen 
berfelben ernftlih zu Gemüthe zu führen. Cine folde Gelegen- 
heit fand fih, als Anton ihm cine Mitteilung zu machen hatte 
und 26 vorzog, dies fhriftlih zu then. Treufreund verlieh ſo⸗ 
fort fein Arbeitspult und kam zu dem Korrefpondenten. Das er- 
bhaltene Blatt in der Hand, fragte er den jungen Mann: 

Haben Ste dns geichrieben 2 

Sweifeln Ste, da mein Name darunter fleht? 

Es wäre mir lieb, wenn id zweifeln dürfte, ſprach Treu⸗ 
freund weiter, denn Ste dauern mid, wahrhaftig, Sie dauern 
mich ! 

Ranu! Sept wird mir ſchwül. 











— 395 — 


Mir iſt's ſchon lange, lieber Anton, und wiſſen Sie, wa⸗ 
rum? Ihretwegen! Ganz gewiß, Anton! Ich werde nie per- 
fönlih, das kann ich getroft behaupten, aber Ste wandeln auf 
Abwegen, Ste geben mit fihnellen Schritten Ihrem Ruin ent- 
gegen ! 

Anton hörte no ruhig und ernflhaft diefer ermahnenden 
Anrede des „Schattens“ zu, er mußte aber ſchon an fih halten, 
um länger ernfthaft bleiben zu können. j 

Was berechtigt Ste denn eigentlih, mein verehrter Herr 
Treufreund, min fo ſchwere Vorwürfe zu machen? fagte Anton. 
Bin ih Ihnen zu nahe getreten? Habe th Ste beleidigt? Weber 
Ste geladt oder Sie verläftert? Ich kann mich nicht befinnen, 
indeß th bin ein unvolllommener Menſch und kann beshalb ja 
gern einmal unwiſſentlich ein großes Unrecht begehen. 

Das thun Sie auch, und eben weil Sie es unwiſſentlich 
thun, iſt es Freundes⸗, Menſchen⸗ und Ghriftenpfligt, Ste darauf 
aufmerffam zu mahen, Sie zurldzureifen von dem Abgrunde, 
an deſſen Rande Ste wie ein Halbberauſchter herumtaumeln. 

Entſetzlich! ſagte Anton, fih mit beiden Händen buch bie 
Haare fahrend, daß fie in breiten, wilden Büſcheln in die Höhe 
fanden. Was dem Menſchen doch Alles begegnen Tann, wenn 
er nicht immer auf fi achtet! 

Gerade fo, wie Sie jebt ausfehen, fuhr Treufreund fort, 
muß Ihr Inneres ſich geftaltet Haben. Der äußere Menſch ift 
immer nur ein Abklatfh unferes Innern. Betrachten Ste einmal 
diefe Schriftzüge und. diefe hier. Beide haben ein und dieſelbe 
begabte Perfon zum Berfafler; fehen fie fih aber wohl ähnlich, 
wie ein Et dem andern? 

Nein, fagte Anton,  Diefe Hier find mehr rundlichvoll und 
biefe bier mehr fharf und hager. Aus beiden aber bünkt mid, 
läßt fi unfchwer der nämliche Verfaſſer erfennen. 

Freilich, aber man erfhridt doc, 

Weshalb? 

Weit ein unklarer, vielleicht gar ein fon In Unordnung ge⸗ 


— 396 — 


fommener Geift aus diefen ſcharfen und hagern Schriftzügen fpricht. 

Sebt mußte Anton lahen. Mien Moder — 

Laſſen Sie, ich bitte, Ihre Frau Mutter in Ruhe, unterbrad; 
Treufreund den Gorrefpondenten. Es tft eine ernfthafte Sache, 
die mi zu Ihnen führt, und wenn Ste im Stande find, darüber 
zu laden, fo muß der Ieibhaftige Teufel Sie befiken, was mid 
unendlich dauern follte, denn ich will Ihnen wohl, halte viel von 
Ihnen und bin nebenbei ein chriftlih gefinnter Mann. Sehen 
Ste denn nicht ein, mein Belter, daß, wenn Sie fo fortfahren, 
Ihre ſchöne ſchlanke Handſchrift binnen Jahresfriſt fo verborben ift, 
daß Sie Ihrer Stelle nicht mehr vorſtehen können? Und wäre 
das nicht ein Unglück, ein unüberſehbares, nie wieder gut zu ma— 
chendes Unglück für Sie ſelbſt? 

Das weiß Gott! ſagte Anton, mit der Feder auf einem Stück 
Papier kritzelnd und mittelſt raſch gezogenen Strichen die Umriſſe 
eines menſchlichen Bruſtbildes entwerfend. Ich weiß nur nicht, 
wie ich es anfangen ſoll, beſſer zu ſchreiben, als ich es jetzt noch 
thue. "Steht es denn wirklich fo ſchlecht aus? Ich finde es nicht. 

Sie finden es niht! fprah Treufreund mit unverhehltem 
Erſtaunen. Ste finden es wirkfih nicht? 

Nein, mein DBerehrtefter, fagte Anton, ungeftört fein zeichnen- 
des Krigeln fortfegend, mir feheint fogar, als hätte meine Hand— 
ſchrift an Charakter gewonnen. Sie hat fi aus der faden, run 
den, unbeflimmten Jugendlichkeit zu männlicher Gntfchiedenhett 
herausgearbeitet. Und das iſt ein Fortfchritt, dünkt mich, fein 
Rückſchritt. 

Treufreund's Blicke fielen zufällig auf das Papier, das An- 
ton's fchaffende Feder in ungewohnter Schnelligkeit mit einem leid⸗ 
lich gut frifirten Mädchenkopfe gefhmüdt hatte. Gleichzeitig ge- 
wahrte der „Schatten“ mehrere ähnliche Portraits, alle von gleichem 
Gefichtöfchnitt, einige winzig Hein, Faum nagelgroß, andere in 
größeren Umriffen. Das Blatt Papier entfiel ihm, er ſchlug die 
Hände zufammen und fah den Teichtfinnigen Gorrefpondenten mit 
erlöſchenden Augen an. 





— 397 — 


Was thun Ste, Anton! fprah er nur liopelnd. Wer ſoll 
das ſein? Da, da — und da? 

Treufreund deutete mit zitterndem Finger auf die Portraits, 
welche die Schreibunterlage zierten. Anton erröthete. 

Treffe ich etwa? fragte er dann mit verſchmitztem Lächeln. 

Sie ſind ein Böſewicht, fuhr Treufreund heraus. Bis jetzt 
hielt ich Sie nur momentan für leichtfertig, jetzt aber ſehe ich, 
Sie können auch bös, Sie können gewiſſenlos ſein! — Treffen! — 
Ja wohl treffen Sie. Aber Sie ſollten ſich ſchämen, eine ſo brave 
junge Dame, die werth wäre, dereinſt die Stelle einer Jungfrau 
Domina zu bekleiden, durch Ihre Kritzeleien zu compromittiren. 
Wenn nun irgend ein Naſeweis von einem fremden Comptoir dieſe 
nutzloſe Kleckſerei gewahrt, wird er's nicht auspoſaunen in allen 
Pavillons und wo es ſonſt Gelegenheit gibt, ſich über Andere auf- 
zuhalten, den Ruf, die Tugend Unbefcholtener zu benagen? Und 
käme gar Ihre Portraitmaleret dem verehrten Chef zu Gefichte — 

Märe mir gerade recht, unterbrad) Anton den fittenpredigen- 
ben Treufreund. Sähe Herr Heidenfrei meine ſchwachen Verſuche 
im Portrattmalen, fo würde er höchſt wahrfcheinlih ganz fo. wie 
Sie, Verehrteſter, einige Gloffen darüber machen, wenn fie auch 
anders lauten dürften. Das gäbe dann Anlaß zu einer Erwide⸗ 
rung, einer Erklärung, und wären die Sterne mir günſtig, wie 

fie es bevorzugten Naturen ja immer fein ſollen, fo könnte ſich 
meinerſeits leicht ein Geſtändniß daran knüpfen, das wieder zu 
einem Familienrathe führte, an welchem dann eine gewiſſe ſehr 
achtbare Perſönlichkeit, die einer früheren wichtigen Beſprechung 
beiwohnte, nicht Theil nehmen dürfte. | 

Treufreund verftummte auf einige Secunden. 

Anton, lieber Anton! fprah er dann, rappelt’s bei Ihnen, 
oder bin ich auf dem Punkte, den Verſtand zu verlieren? 

Ich maße mir darüber kein Urtheil an, denn, wie ich mit 
Bug und Recht fagen darf, ich meines Theils werde wirklich nie 
perjönlich. 

Sie wagen e8, Fräulein Elifabeth fo tief in Ihr Gedächtniß 


— 398 — 


einzuprägen, daß Ste im Stante find, ihr liebliches Geſichtchen 
aus freier Hand und aus der Erinnerung mit ganz gemeiner 
Somptoirdinte abzuconterfeien ? 


Ich möchte wiffen, wer mich daran hindern follte, Herr Treu⸗ 
freund, wenn es mtr Spaß macht. Es freut mih, daß Ste das 
Geſicht des Fräulein Elifabeth Ticblih finden, obwohl ich nicht um⸗ 
bin kann, Ihnen mit Iobendwerther Offenheit in's Gefiht zu fagen, 
bag mir die Wahl gerade dieſes Epithetons nicht eben fehr glück⸗ 
lich dünkt und mir verräth, daß Ihr Gefchmad viel weniger fein 
tft, als ih vermuthete. Talente aber laſſen ſich nicht geben, bie 
Gunſt bes Himmels allein verfchentt fie und beglüdt bamit, wen 
fie will. Ich, meines Theils fehe in Fräulein Eltfabeth einen 
Engel, und th wüßte wirklih nicht, wie Ich eine freie Minute 
beſſer vermenden könnte, als buch Nachahmung bes vor meiner 
Seele ftebenden Engelsgebildes. Je mehr ich mich mit Abbildun⸗ 
gen dieſes göttlichen Mädchenköpfchens umgebe, in um fo beflerer 
Geſellſchaft befinde ih mid. Leuchtet Ihnen das ein, Verehrteiter, 
oder find Ihre Nerven zu ſchwach und flumpf geworden, um Dies 
jen herrlichen Gedanken zu faffen, von ihm entzüdt zu werden? 


Treufreund bitte dem Sprechenden unverwandbt in die freu— 
big aufleuchtenden Augen! Er begriff, was in Anton vorging, 
er hatte die bündigfte Erklärung für Die fheinbare Vernachläſſigung 
feiner ſchönen Handſchrift erhalten, zu faflen aber vermochte er den 
Gedanken bes jungen Mannes doch nicht, der es wagte, in folcher 
Jugend ſchon es wagte, mit unvertennbarer Letbenfchaft zu einem 
Mädchen aufzubliden, das ihm jo vortrefflid vorfam, daß er ben 
Beſitz deſſelben Niemand. gönnte, weil er von Herzen überzeugt 
war, e8 lebe zur Zeit fein eines folhen Herzens würbiger Mann. 

Ste wiffen nicht, was Sie thun, Leber Anton, fagte er kopf⸗ 
ſchüttelnd. Daraus kann do nie etwas werben, ſelbſt, wenn Ste 
hoch emporragten Über alle andern Gorrefpondenten. 

Warum denn nicht? verfehte Anton, Sol Fräulein Eliſa⸗ 
beth etwa ewig Jungfrau bleiben oder einen reichen, verlebten 








— 399 — 


Wüſtling heirathen, was leider heut zu Tage nun zu oft vor⸗ 
kommt? 

Aber es iſt nicht möglich! 

Ja ſo! ſagte Anton gedehnt. Sie wollen damit andeuten, 
daß Fräulein Eliſabeth einen fo luftigen Patron wie mich zu lie⸗ 
ben nicht fähig fei. Nun, mein verehrtefter Herr Treufreund, Wets 
ten wollen wir darauf vorläufig nicht abſchließen. Luftig, vielleicht 
zuweilen auch ein wenig Iuftig mag ich wohl fein; dann kommt 
wieder eine Pertode, wo ich mit ernſten Leuten aud ernithaft fpre= 
hen kann, und wenn ih die Geſchichte des weiblichen Herzens nur 
halbweg kenne, fo weiß id, daß ein junges, ſchönes, geiftreiches 
Mädchen, das bereitö einen tiefen Schmerz zu überwältigen wußte, 
dem Manne, der es wagt, aus dem Gedächtniß ihr Bild zu ents 
werfen, im Ernſte noch niemals böfe geworben ift. 

Treufreund fühlte, daß feine Wiffenfhaft Hier am Ende fel. 
Er machte deshalb, ohne noch ein Wort zu erwidern, eine tiefe 
Verbeugung vor dem Gorrefpondenten und z0g fih, reicher um 
eine Erfahrung, im, wie er glaubte, noch alleinigen Befig eines 
großen Geheimniſſes, zurüd an fein Pult, wo er fih mit wahrem 
Fanatismus auf die Arbeit warf, während Anton den ſchon fer- 
tigen Köpfen Eliſabeths noch einen neuen, mit größerer Sorgfalt 
ausgeführten hinzufügte, der ihm im Moment der Begeifterung 
au viel beffer als alle früheren Verſuche gelang. 


Siebentes Kapitel. 


— — — 


Ein Stilleben. 


Die Strahlen der Abendſonne fielen ſchräg durch die leis 
zitternden Blätter der Rüflern und Linden und beſtreuten die ſau— 
ber gefcheuerte Diele der freundlichen SKellerwohnung mit gold- 
gelben Zuntenfloden, bie häufig ihre Stelle wechſelten. Die große 


_ 400 — 


Tigerkatze lag ſpinnend am Ofen, leckte ſich. das ſammetweiche 
Pfötchen und ſtrich fich damit putzend über den Kopf. Bisweilen 
unterbrach das zahme, ſchöne Thier ſeine Toilette, blinzelte mit 
den Augen und ſah dann neugierig auf die hin und wieder glet= 
tenden Sonnenfunten. Plötzlich verließ fie ihren Platz, machte ei— 
nen frummen Rüden und fuhr mit einem poſſierlichen Sprunge 
nach den zitternden Lichtern, um fie zu fangen. 


Trudchen, die neben der alten Großmutter am Fenfter faß, 
lachte hell auf über das fptelende Thier, rief es, konnte es aber 
doch nicht zu fih Inden. Grit als die Sonne Hinter dem vorfprin- 
genden Giebel eines Nachbarhaufes verihwand, gab die Kate auch 
ihren Fang der Goldfunfen auf, machte wieder einen hohen 
Rüden und ſchmiegte ſich fpinnend an das heitere, fie liebkoſende 
Kind. 


Weißt du e8 auch, Großmutter, ſprach Trubchen zu der adıt- 
ztgfährigen, alten Frau, bie noch immer fo zufrieden wie früher 
aus den erlofchenen Augen blidte, weißt du, daß der muntere An 
breas wieder da iſt? Mater iſt ihm heute Morgen begegnet und 
wit dich mit ihm befuhen. Der wird aber erzählen können! 
Denn außer den großen Reifen, die er ſchon früher machte, iſt er 
auch neulich wieder in London gewefen. 


Er war immer gut, der Andreas, fagte Frau Silberweiß. 
Als Kind ſchon Half er gern Jedermann, duldete fein Unrecht, 
litt aber wohl für Andere, wenn es fich gerade fo fügte. So tft 
er nun auch geblichen, feit er zum Manne heranreifte. Die Ge- 
felfchaft und das Leben in der wilden, ungefligen Welt hat fein 
Herz nicht verborben. Die aufopfernde Hingebung, die er mel- 
nem fchönen Pathchen bewiefen, zeugt Taut genug dafür. Ich 
freue mid, aus feinem eigenen Munde zu hören, wie er ed an= 
gefangen hat, um den böfen PVerfucher fo Tange Zeit immer fern 
zu halten, j 


Will denn Chriftine gar nicht mehr zu ung kommen? fragte 
Trudchen. Ich mochte ſie ſo gern; ſie lehrte mich zuerſt Leſen, 








— 401 — — 


und dann wußte ſie ſo allerliebſte Geſchichten zu erzählen und ſo 
prächtig aus den Legendenbüchern vorzuleſen. 

Aus der Bibel, mein Kind, corrigirte die Blinde das ges 
ſchwätzige Trudchen. 

Nun alſo aus der Bibel — ja richtig, es war auch die 
Bibel! Aber die große mit dem meſſingenen Beſchlag und den 
ſilbernen Haspen, die ſo ſchwer aufgingen, Großmutter! Ich 
weiß noch ganz genau die ſchöne Geſchichte von dem Splitter und 
dem Balken. Wie iſt das ſo herrlich in ein wirkliches Bild ge⸗ 
bracht in der prächtigen Bibel! Ich ſehe den Mann noch, dem 
ein großer Balken im Auge ſteckt, wie er dem Andern einen 
ganz kleinen Splitter herausziehen will. 


Dein verſtorbener Großvater, erklärte die Blinde, erhielt das 
werthvolle Buch von ſeinem Beichtvater zum Geſchenk. Es iſt weit 
über anderthalb hundert Jahre alt, und in vieler Gelehrten 
Händen geweſen. Darum hab’ ich es auch immer fo hoch gehal- 
ten und darin gelejen, biß der liebe Gott mir das Augenlicht 
auslöfchte. 


Warum bat der Itebe Gott das gethan, Großmutter ? warf 
Trudchen ein. Es muß doch ſchrecklich fein, immer In tiefer, fin- 
fterer Naht zu Leben? | 

Er that e8 wohl, fagte die Greiſin mit mildem Lächeln, da= 
mit das Licht, das ich in einem langen Leben in mid aufgenom= 
. men hatte, mid nicht wieder verlafien möge. Darum ſchloß 
er die Fenfter meiner Augen und riegelte fie feit zu. Nun tft 
bas Licht in mir geblieben und wenn es auch außer mir immer- 
dar Nacht bleibt, in mir ſtrahlt und funkelt das hellſte Licht, fo 
daß th es außer mir gar nicht vermiffe. Siehft du, Trudchen, fo 
macht es der liebe Gott immer, wie es am Belten iſt. Nur mur⸗ 
ren dürfen wir nicht, wenn wir die gute Abſicht nicht immer gleich 
einfeben. 

Dem Kinde mochte die Iehte Bemerkung ber Großmutter 
nicht recht Mar fen. Es fehwieg aber und tändelte, auf einen 

D. B. XI, Willemm’s Rheder und Matrofe, 26 


andern Gegenftand überfpringend, mit ber immer lauter fhnur- 
renden Katze. g 

Es tft aber doch wahr, was die Leute fagen, fprah Trub- 
hen nah einer Weile, 

Mas iſt wahr, mein Kind? 

Daß eine recht Fuge Kabe ein Bischen Verſtand hat. 

Die Blinde lächelte. Gar zu viel wird fie doch wohl nicht 
abbefommen haben, verfebte fi. Wie fällt dir das ein Trudchen? 

Miege pußt fih heute ſo viel und jet fhon wieder, fagte 
das Kind. Es Heißt doch immer, wenn die Katzen fih putzen, fo 
kommt Befuh, nun und Heute will dich ja der gute Andreas 
beſuchen. 

Wenn er aber nicht kommen ſollte? 

Ja, dann hätte die Katze und belogen, ſprach Trudchen ganz 
ernſthaft. Ich würde dann mit ihr ſchelten und ſie würde mich 
ganz gut verſtehen. Jedesmal, wenn ich ſie ausſchelte, zieht fie 
den Schwanz ein und ſchleicht, ſcheu um ſich blickend, unter den 
Ofen. Aber ſie lügt nicht, meine kluge, ſchöne Mietze, rief Trud— 
hen in die Hände klatſchend, denn da kommen fie ſchon, der Va⸗ 
ter, der ſchmucke Andreas und auch Jacob! 

Ste ſprang auf, öffnete Die Zimmerthür und rief den Herab- 
fleigenden freundliche Grüße zu. 

Komm, Andreas, fagte Frau Silberweiß, und laß mid bein 
Geſicht befühlen. Ich muß es machen, wie der Grzvater Iſaac, 
aber betrogen möchte ich nicht gern werden. — Sa, ja, fuhr fie 
fort, mit zitternder Hand leicht Stirn und Wangen des jungen 
Steuermannes betaftend, das tft noch immer meines wadern An 
dreas rundliche Stien, das find feine Wangen mit den Grübchen, Nun 
denn, herzlich willfommen, lieber Junge! Setze dih dicht zu mir. 
Und du, Jacob, du nimmft mir gegenüber Platz. Krume fit zu 
Trudchens Rechten, fo weiß ih Euch alfe zu finden und fann mir 
Euch fo deutlich vorſtellen, ‘als ſähe ih Euch wirklich mit Augen. 

Nah einigen allgemeinen Fragen Über das Befinden des 
Steuermannes, über die Erlebniffe auf feiner letzten Reife und 





— 403 — 


dergleichen mehr, brachte die alte Silberweiß das Geſpräch Direct 
und ohne alle Umſchweife auf ihre Pathe. | 
Verſchweige mir nichts, Andreas, fprach die ehrwürdige Blinde, 
ih will Alles willen und wenn ed mid auch grufeln follte. 
Zunr Glück, Mutter Silberweig, verfeßte der junge Steuer- 
mann, braudht Ihr Euch nicht zu grufeln; denn was Angſt und 
Schreden einflögen kann in ber Gefhichte Eurer liebenswürdigen 
Pathe, das hat man Euch fhon früher mitgetheilt. Mir bleibt 
nur wenig noch zu erzählen. Dies Wenige bezieht fi bios auf 
den Aufenthalt Chriftinens in Motsling, der freilich weit länger 
dauerte, als wir vermutheten. Schuld daran war Niemand als 
der ſchlaue, nach Verdienſt immer lüſterne Moſes, den wir übri⸗ 
gens nicht verklagen, noch weniger verdammen wollen, denn im 
Grunde meinte er es redlich mit Jacob's Tochter, obwohl er von 
dieſer Redlichkeit einen Gebrauch machte, der ihm ſelbſt doppelten 
Gewinn abwarf. Anfangs ſah ich nicht klar in der Sache und 
deshalb lebte ich die erſten Tage in großen Sorgen. Es ſchien 
mir nicht Berechnung zu ſein, daß ein jüdiſcher Landkrämer die 
Hhuptroffe in dem Spiel übernommen hatte, das weniger mit 
Shriftine, als mit Don Gomez aufgeführt ward. Auf mic hatte 
man nicht gerechnet, da ich aber dem zitternden Mädchen nicht von 
ber Seite wih, fo mußte man mid dulden. Die Verwandten 
unferes ſchlauen Unterhändlers mußten ſchon unterrichtet fein, denn 
fie letfteten den Beftrebungen des Mexikaners durchaus feinen Vor- 
hub. Als er fi drei Tage nah unferer Ankunft wirklich an- 
melden lieg, befam er Chriftine nicht einmal zu Geſichte. Moſes 
gab fe für frank aus und befland mit der dieſem Volke eigenthüm= 
lihen Zähigfeit auf der Abreife des verliebten Thoren, fo daß 
biefem nichts übrig blieb, als fih zu fügen. Diefe Srenen wie— 
berhoiten fi) in der verfchiedeniten Weife mehrmals. Moſes ent- 
faltete ein merkwürdige Talent in Auffindung immer neuer Hin- 
derniſſe, fo "daß es mich wie Chriftine fogar unterhielt, wie oft 
und mit welcher Schlauhelt er den Mexikaner immer von Neuem 
wieder an ber Nafe herumführte. Seine beredte Zunge und fein 
26* 





— 404 —— 


gänzliches Nichtachten aller, auch der gröbften Beleidigungen, trug 
freifih fehr tel dazu bei, dies möglih zu machen. Ich Eonnte 
ſehr bald bemerken, daß der Sohn Bibrachs nur verdienen wolle 
und erlaubte mir deshalb, ihm Winfe zu geben und Anerbtetungen 
zu machen, von denen ih mir einige Wirkung verfprad. Trat id 
nun zu fhroff auf oder bot ich ihm zu wenig, Mofes achtete eben fo 
menig auf meine Zingerzeige als auf die Schimpfreden und Dro— 
hungen des heftigen Merifaners, Nur vor Papageno hatte er 
Furcht, weil er glaubte, es käme dem Mulatten nicht darauf an, 
Jemand auf Befehl eines Dritten ohne Bedenken aus der Welt 
zu ſchaffen. Vielleicht hätte er unfern Verſteck dennoch früher vers 
rathen, wäre er nicht durch Geſchäfte auf längere Zeit fern gehal- 
ten worden. Diefe Wochen waren für mid, wie für Ghriftine bie 
leidens- oder forgenreichiten. Don Gomez ward immer zubringlis 
her, ungeflümer, fein Vertrauter immer nieberträchtiger. Gewiſſen— 
108 hätte er das Gräulichite getan, wären wir Alle nicht ſehr 
vorſichtig geweſen. Da endlich Fam gerade zu rechter Zeit Rettung; 
Alles Ubrige wißt Ihr. 

Wen Gott Tieb Hat, den züchtiget er, fagte die Greifin. Meine 
Pathe war eine Eleine wilde Perfon, die ich oft erfolglos verwarnte. 
Sie hat fpäter erfahren, daß es gefährlih ft, feine Blicke nicht 
im Zaume zu halten. 

Befte Mutter Silberweiß, fiel hier Jacob der Blinden in's 
Wort, dafür kann man das gute Kind wahrhaftig nicht verant- 
wortlih machen. Gin paar hübſche Eluge Augen find cben fo wohl 
eine Gabe Gottes, als eine Flangreiche Stimme, ein paar Kleine, . 
zierliche Füße, eine fehlanfe, nett aufgebaute Figur. Trägt irgend 
Jemand mit Schuld an Chriſtinens Augenauffchlagen, fo wüßte ich 
den Ort zu nennen, wo man biefen Jemand findet. Willſt bu 
ihn wiſſen? | 

Schweig nur, Jacob, du kannſt das Necken doch nicht Laffen, 
fprach die Blinde gutmüthig. Ich weiß fchon, daß bu mich noch, 
ald junger Burfhe mit meinen eigenen Augen aufgezogen haft. 
Nun, damals mochten fie wohl leidlich Heil glänzen, Sept hat das 











— 405 — 


lange, lange Jahre ſchon aufgehört, und wäre ich mir irgend einer 
ſchweren Sünde bewußt, die meine Augen mit hätten anſehen müſſen, 
fo würde ih meine jetzige Blindheit für eine dafür gerechterweiſe 
zu erleidende Strafe halten, 

Gott Lob, fiel Peter Krume ein, daß Alles fo gut abgelau- 
fen iſt! Mich und viele andere Leute, die etwas von biefem Han— 
del gehört haben, plagt jebt die Neugierde zu erfahren, wo gegen- 
wärtig Don Gomez mit feinem Diener lebt, und ob er, wie Viele 
glauben, wirklich nicht wieder nad Hamburg zurüdfehren wird? 

Diefe Neugierde kann ich befriedigen, verfeßte Andreas. Die 
Angelegenheit des Merifaners mit Miguel, dem Neffen Heidenfrei's, 
hat mir feinen jeßigen Aufenthalt Fennen lehren. Don Gomez 
wirft augenblicklich feine verführerifche Angel an verfhiedenen Or- 
ten aus, bat aber vorläufig feinen Wohnfig in Cuxhaven genom= 
men. Lange oder gar für immer wird er fich dort fhmwerlich aufs 
halten, aber ich glaube, er läßt einige Zeit verftreichen, bis bier 
über Geſchichten, die ihn doch bei Einigen mißltebig gemacht haben, 
Gras gewachfen if. Zum Winter, gebt Acht, fommt er auf einige 
Wochen fiherlih wieder her, denn zulegt bietet unfere Stadt einem 
lebensluftigen, zerftreuungsbedürftigen Menſchen doch zehnmal mehr 
als jeder andere Ort. 

- Dann maht der fchlehte Menfch noch ein paar unfchuldige 
Kinder elend, fagte Jacob. 

Das fürdte ich nicht, Vater Jacob, ermwiderte ber Steuer- 
mann. Hier iſt man gewarnt und gefeßt, er läßt fich wieder 
blicken, wird man ihm fcharf auf die Finger fehen und thn ftill- 
ſchweigend ganz gehörig überwachen. 

Kann ſolchem Volke gar nichts fhaden, meinte Trudchens 
Vater. Man möchte fih ja vor der Zukunft fürdten, wenn 
Streiche diefer Art fich wiederholen follten, : Welche Eltern möd- 
ten e8 wagen, ihre heranwachſenden Töchter dann ohne männliche 
Begleitung nur über die Straße zu ſchicken! Es gibt bei ung 
der privilegirten Laſterhöhlen fihon mehr als zu viele, begünftigte 
man nun noh die feine Verführungstunft sornehmer Wüftlinge 


— 4106 — 


dadurch, daß man fie unbehindert ihre ſchändlichen Schlingen aus— 
werfen ließe, fo würden wir uns bald einen fehr ſchlechten Leu— 
mund in der Welt maden. 
Gar fo arg, als Ihr es macht, ift es wohl nicht, fagte die 
Blinde. Ih bin doch auch einmal jung gewefen und hab’ man= 
ches erlebt und gefehen, was mir nit gefiel. Hielt man es aber 
zufammen mit tem, was gut und erlaubt war, fo fam es doch 
nicht Dagegen auf. Freilich jet bin ich der Welt und dem Ke- 
ben entfremdet worden; auch theile ih die Anficht aller älteren 
Leute, daß es eher fchlehter als beſſer auf der Welt wird, und 
darum ift es ja möglih, daß nah und nad) wieder einmal ein 
Sodom und Gomorrha entftehen muß. Quälen wollen wir ung 
aber deshalb nicht. Ich kümmere mich mehr um das Loos derer, 
die wir lieben und nicht vor Augen haben, als um jolde, denen 
wir täglich begegnen. Da tft z. B. dein Sohn, Jacob, von dem 
bu jebt wieder in vielen Wochen nichts gehört Haft, ein folcher 
Kummerftein für mein Herz Wär’ ich feine Mutter, ich könnte 
mi nicht mehr um ihn abängftigen, als ih es faſt nächtlich tn 
meinen Träumen thue, " 

Schwere Träume bedeuten Glück, Mutter Silberweiß, fagte 
Trudchens Vater. 

Gar nichts bedeuten fie, erwiderte Andreas, und darum ſol⸗ 
len wir und aud nicht von Träumen bange machen und regie- 
ren laſſen. 

Seht den Aufgeflärten! rief Jacob. Der will ein Seemann 
fein und verläugnet den Aberglauben! Na, meinetwegen. Uebri— 
gend, Frau Gevatter, Fann ih berichten, daß mir für meinen Paul 
nicht bange if. Er muß längſt fon über das Scidfal feiner 
Schweſter beruhigt fein, das ihm damals viel böſe Stunden machte, 
als wir ſelbſt noch nichts von ihr wußten. Geht es ihm und uns 
nah Wunfhe, fo können wir zu Unfange des Herbſtes wieder 
Briefe haben. Die „Marie Eliſabeth“ tft nach Melbourne gefe- 
gelt, und von dort kommt fie fiher gerade zum Wiederbeginn ber 
Schifffarth zurüd, Müßte fie aber auch bei Cuxhaven vor Anker 





— 4107 — 


gehen, falls dann das Elbeis noch ficht, fo thut das nichts. Wir 
haben den Jungen wieber und gibt es eine Hochzeit, fo foll er 
ein paar ganz neue Schuhe darauf in Grund und Boden tanzen. 

Slaubft du an Hochzeit? fragte die Blinde. An Chriftineng 
Hochzeit? ” 

Geftern und auch heute früh, als ich mit ſchwerem Herzen 
erwachte, glaubte ih noch nicht daran, erwiderte der Quartierd- 
mann, feit ih aber den Sohn des alten Rheders gefprochen, und 
feine Auslaffungen angehört habe, bin ich geneigt, mir Hoffnungen 
zu machen. Es foll nichts übereilt werden, Mutter GSilberweiß, 
du ſelbſt ſollſt auh ein Wort dazu fagen, wenn fih aber Alles 
fo verhält, ‘wie der junge Herr es mir heute Vormittags ausein- 
anderfegte, und wenn die Gefinnungen des alten Herrn Heiden- 
frei und feines Herrn Schwagers wirklih denen des jungen Herrn 
gleichen, fo will ih, der vielleiht aus Vorforglichkeit ein falfches 
Urtheil fallen könnte, Tieber ein willige8 Ja als ein unmilliges 
Nein auf offene Anfragen ſprechen. 

Ich trete auf die Seite Herren Ferdinand Heidenfrei’s, fagte 
Andreas. Miguels Papiere find in Ordnung; er ift ber recht— 
mäßige Erbe des veritorbenen Pueblo y Miguel Saldanha. Die 
Papiere, welhe Mater Bapageno ihm ftahl, find wieder in fel- 
nen Händen, die Gewalt des Merifaners ift gebroden, und wenn 
jebt ein Plantagenbefiter und Rheder von Cuba zu dir fommt, 
der zugleih der nächſte Unverwandte des mächtigen Haufes Hei- 
benfrei und Hohenfels ift, und fpridt zu dir: Water Jacob, td 
habe dange um deine Tochter geworben, ohne etwas Anderes zu 
gewinnen als fheele Blide und finftere Worte, jegt habe ich fie 
gerettet und mir fie vervient, alfo gib fie mir, dann verdienteft 
bu an der Speiherwinde aufgefnüpft zu werden, wenn bu in 
bhartnädiger Starrheit ein brummiges Nein fagen wollteſt! 

Erhige dich nicht, mein Junge, verfehte Jacob. Man zö—⸗ 
gert wohl, wenn ber Brei nicht gar tft, überlaufen aber laſſen 
ihn nur die Thoren, Aber fieh, fieh, es wird ſpät. Trudchen 
hat ſich bei unferm Gefpräch gelangweilt und tft mit ihrer Kape 


— 408 — 


fanft eingefhlafen. Du bit auch müde, Mutter Silberweiß, da= 
um wird es Zeit aufzubrehen. Ohnehin geht es meiner Frau 
heute wieder nit gut. Sie humpelt mehr als in den legten 
Tagen, und wenn ih ſpät nach Haufe komme, firengt fie ſich mehr 
an als ihr gut if. Darum ben?’ id, wir reihen uns die Hände 
und ſcheiden allefammt mit dem aufrichtigen Wunfche eines baldi— 
gen Wiederſehens. 

Andreas begleitete Jacob, nur Peter Krume blieb noch ei— 
nige, Zeit bei feiner alten Schwiegermutter, um dem ſchwer ſich er= 
munternden Trudchen Zeit zu gönnen und noch einige Fleine Auf- 
träge von der ehrwürdigen Blinden fih geben zu lafjen. 


Adıtes Kapitel, 





Neue Mittel, neue Pläne. 


- Das Gewitter ſcheint fi verzogen zu haben, ſprach Don 
Alonfo Gomez zu fi felbit, einen fo eben erhaltenen Brief weg⸗ 
legend. Zeit wäre ed auch, denn nod länger in biefer Zuräd- 
gezogenheit, ohne erheiternden Umgang, ohne pifante Unterhaltung 
zu leben, tft mir unmöglid. Ich würde entweder ein Duckmeiſer 
oder toll, und eins taugt fo wenig wie das andere. Was aber 
nun beginnen? Woher Gredit fich verfhaffen, nun der erfte völ- 
lig erichöpft und die Quellen, bie einen neuen vermitteln können, 
zu weit entfernt find? . 

Der Mexikaner durchſchritt einige Male fein Zimmer, das 
auf eine übe, jebt in der trüb-feuchten Nebel- Atmosphäre eines 
Spätherbfttages faft traurig erfcheinende Gegend hinausſah. 

Fort muß ih von bier, fuhr er fort, feine dunkeln, leiden⸗ 
fhaftlich flammenden Augen auf dies melancholiſche Nebelgemälbe 
heftend. Der alte Schloßthurm dort, deſſen ſchadhafte Schiefer 
fptge täglich von einer Schaar widerwärtig fihrelender Dohlen ums 











lagert wird, da drüben auf dem künſtlichen Hügel die Winb- 
mühle mit den ewigen Purzelbäumen threr weißlih- grauen Flü— 
gelräder, und hier zur. Rechten das graue Einerlei eines breiten 
Waſſers, das einem Flibuſtierverſteck ganz ähnlich fieht, müflen 
den heiterften Menſchen verfiimmen, den Glüdlichften unglücklich 
machen. Unglücklich aber will ich nicht fein. Noch Habe Ih Luft, zu 
leben, zu genießen, und felbit auf die Gefahr hin, mid ben är- 
gerlichſten Verwickelungen auszufepen, will ih es wagen, bie 
Melt wieder zu betreten, die ich nunmehr feit beinahe vier Mo- 
naten zu vergefjen mic vergebens angeftrengt habe. Käme nur 
mein jchuftiger Diener zurück! — Freilich betrügt und belügt 
mich der Spigbube, fo oft er für fi felbft daraus Vortheil zie⸗— 
ben kann, ich darf ihn aber dennoch nicht fortjagen. Kein An⸗ 
derer läßt fi befier verwenden, ſei's zum Guten, ſei's zum 


Schichten, Keiner ſchweigt fliller ald er, wenn er dafür bezahlt‘ 


wird, und endlih kennt er mid und mein Leben zu genau, um 
thn fich felbit überlaffen zu dürfen. Er muß mir alfo auch ferner- 
hin zur Seite ſtehen, ih muß ihn dulden. 

Wieder fah Don Alonfo Gomez in bie Landſchaft hinaus, 
die ihm heute noch mehr als ſonſt zuwider war. Die Rückerinne⸗ 
rung an das Vergangene trieb finſtere Schatien auf ſeiner Stirn 
zuſammen. Gerade ſo war die Farbe des Himmels, als er den 
Anſchlag auf Chriſtine ausgeführt, der fo ganz gegen alle Er⸗ 


wartung zu feinem Unglück ausfhlug Seit jenem Tage hatte 


es ihm nicht mehr recht glüden wollen. Sein ganzes Leben ge= 
ftaltete fih andere. Was bisher daran glänzend, erhetternd ge= 
wejen, das verwandelte fih in farblofe Langweiligkeit. Und als 
er nun vollends durch die Entdeckung von Chriſtinens Verſteck 
genöthigt wurde, dem verhaßten Miguel, ber alle feine Schritte 
kreuzte, alle feine Pläne zerftörte, die früher entwenbeten Papiere 
wieber zu geben, mußte er feine mit fo vielem Glück gemachte 
Eroberung als einen gänzlich verlorenen Poſten betrachten. Der 
namen» und vaterlofe Miguel, der gewefene Sclave feines Oheims, 
tonnte ihm micht gefährlich werden, der Sohn des einflußreichen, 


met. 


— 410 — 


duch feine Familie mächtigen Hohenfels war ein achtunggebieten- 
der Gegner. 

Diefer Umfhwung der Verhältniffe, dem ein Gefinnungs- 
wechſel folgen mußte, vertrieb ben abenteuernden Glüdsritter aus 
Hamburg. Don Gomez verließ indeß die Stabt, die er in vieler 
Hinfiht Tiebgewonnen hatte und in welcher leichter als Irgendwo 
anders, des großen Weltverfehrs wegen, unter Benußung des 
günftigen Momentes noch immer ein glänzendes Glück für ihn zu 
erobern war, mit dem felten Entſchluſſe, nah Verlauf einiger 
Zeit wieder dahin zurüdzufehren. Nöthigenfalld Tonnte er fih ja 
einen andern Namen geben, einen imponirenden Titel beilegen. 
Luft und Leben hatten in den lepten Monaten genug an ihm 
genagt, daß er mit Hilfe der Kunft fein Aeußeres glüdlih mas⸗ 
firen und foldergeftalt einen ganz andern Menfchen anziehen 
konnte. Es gab drüben in feinem transatlantifhen Baterlande 
eine Anzahl Namen, die kein Europäer kannte, Die vielen polt- 
tifhen Wandelungen, das heiße Durdeinander keck begonnener 
und raſch brendigter Aufftände hatte manden früher unbefannten 
Namen zu Geltung, Ruf und Ehren gebradht, und wenn ein 
unternehmender Mann fih unterfing, auf fernem eurcpätfhen Bo- 
ben den Namen eines foldhen, nur aus Zeitungsberichten befann- 
ten, Mannes zu ufurpiren, fo war dabei gar feine Gefahr. Nur 
Geld mufte man befiken, glänzend mußte man auftreten, um 
die Teichtgläubige Welt, die fih von jeher durch Reichthum und 
Flitter beftechen Tieß, zu verblenden und gläubig zu flimmen. 
Leider fehlte dem Mexikaner gerade das Geld. Er hatte zu flott, 
zu vornehm, zu Föniglich freigebig gelebt. Sein Credit war er- 
[höpft und ließ fih nad) dem Vorgefallenen, das freilich nicht auf 
ber Straße befproden und kritiſirt wurde, in früherer Weiſe 
fhwerlich wieder gewinnen. Zu Don Alonfo Gomez würde faum 
Einer volles Vertrauen gefaßt haben. Darum fort mit dem al- 
ten abgenugten Namen. 

Dies ungefähr war der Bedankengang, ber unfern alten, 
unternehmenden Bekannten fhon "wochenlang befchäftigte und bem 








—— 411 — 


er fich auch jet wieder mit einer gewiſſen geiftigen Eitelkeit hin- 
gab. Im Bei von Papieren, die ihn als Gigenthümer eines 
beträchtlichen Vermögens documentirten, obwohl bereits ein guter 
Theil davon verbraudt war, hoffte Don Gomez dur die dritte 
oder vierte Hand eine Summe Geldes zu erheben, die bis zur 
Ankunft neuer Rimeffen ihm die Fortſetzung eines luxuriöſen Le— 
bens geftatten dürfte. Gr Eannte einen Mann, der helfen Tonnte, 
und an diefen Mann hatte er feinen vertrauten Diener, Mafter 
Papageno, mit unbegränzter Vollmacht abgeſchickt. Cinen ganzen 
Tag lang lauerte der ungeduldige, gelangmweilte Genoffe ver 
Freude der Rückkehr deffelben. Er mußte heute wiederkommen 
oder doch wenigſtens fchreiben, und Dies Hoffen und Harren ver- 
mehrte nod feine Ungeduld, fleigerte den Mißmuth, der wie ein 
Geier an feiner Seele nagte. 


Es ward Abend, die Straßenlaternen fhimmerten als große 
leuchtende Ringe dur die feuchte Nebelluft, auf dem fern hin 
ztehenden Strome ftrahlte heller die Flamme eines Leuchtfeucrs, 
Der Wind heulte und vüttelte an den Zenftern, daß fie klirrten 
und zitterten. Im Mebrigen war es till, fait todt; denn ber 
Eleine Hafenort zeigte in diefer Jahreszeit wenig Leben. 


Endlich vernahm Don Gomez das Schmettern eines Bofl- 
hornes, für ihn ein ermunternder Ton. Diefe Poft mußte ihm 
Nachricht bringen. Es vergingen nody zehn lange Minuten, dann 
hörte er Schritte und gleich darauf ftand Mafter Papageno vor ihm. 


Du bift der ſaumſeligſte Menjh, den ich kenne, herrfchte 
der Merilaner den Mulatten an. Konntelt du nicht fchreiben, 
wenn du fo lange Zeit braudtelt, einem gewinnfüchtigen Schur- 
ten mit funfelnden Worten Herz und Augen zu verblenden? Wie 
iſts? Bringft du Geld? 

Nein, aber Er tft da. . 

Mer? 

Der als letzter Helfer zu ermitteln war. 

Wo tft er? 


— 4) — 


Unten vor der Thür. Befehlen Ste und er macht feine de- 
voteſte Aufwartung. 

Dein Wip iſt ftumpf geworden in dieſem Nebelchima, fagte 
Don Gomez. Im Thale von Tenochtitlan Hätteft du eher irgend 
einem reichen Gauner bie Kehle zugefhnürt, ehe du einem Men- 
fhen dich überlieferteft, der jet feinerfeitd an deinem oder vielmehr 
an meinem Halſe diefen Kunftgriff einftudiren Tann. Zum Glüd 
tft man hier zu Lande weniger heißblütig, als bei und, und zeigt 
man fih nur willig, d. 6. fohließt man gefliffentlich die Augen, 
um fih ungenirter betrügen zu laſſen, fo verträgt man fih allen- 
falls wohl aud mit einem verhaßten Feinde. Ruf’ alfo deinen 
Mann. 

Der Mulatte entfernte fih, um ſchon nach einigen Secunden 
in Begleitung bes hilfreichen jüdiſchen Unterhändlers, Gefchäftema- 
herd und Speculanten wieder einzutreten. 

Mofes, der Sohn Bibrachs fagte einen faum hörbaren Gruß, 
benn er traute dem Handel nicht recht, und wäre der Gewinn, 
ben man ihm bot, nicht gar fo verlodend gewefen, fo hätte er 
wohl Anftand genommen, auf ein fo gewagtes Anerbieten ſich ein- 
zulaffen. Nachdem er fich überzeugt hatte, daß Don Gomez allein 
fet, fragte er mit größerer "Zuverfiht und offenbar erfreut, dag 
ihm ein neuer Gewinn bevorftehe: 

Was wünfhen der gnädige Herr, daß Sie laffen holen einen 
jhwahen Mann viele Metlen weit bei diefem Wetter? 

Diefe Frage ift überfläffig, ermwiderte der Mexikaner. Mein 
Bevollmächtigter hatte Auftrag, dich zu unterrichten. Warum haft 
du nicht mit ihm unterhandelt und abgefchlofjen ? 

Wie Tann ih abſchließen ein Gefchäft mit einem Manne, den 
ih habe erzüient, obwohl ich e8 meinte gut? verfehte Moſes. Ein 
Feind ift immer ein Feind und fol ih machen ein Geihäft, kann 
ich e8 doch nur machen mit einem Freunde. Alfo bin ich gefommen 
mit dem Bevollmächtigten des gnädigen Herrn, um zu fragen den 
Heren felber, ob er mir nod trägt nach eine menfchenfreundliche 
Handlung, für die ich hätte verdient weit eher Lob als Tadel, 











—- 43 — 


Don "Vergangenem fol zwifhen uns nicht die Rebe fein, 
Mofes, und ich will — verftanden? — ich will dir nicht zürnen. 
Kannft du jegt mit mir ein Gefhäft machen? 

Warum folt ih es nicht können, gnädiger Herr? Wovon 
lebt der Menſch, als vom Gefhäft? — Gott, gerechter, was follte 
anfangen der arme Mofes, wenn es .nicht gäbe Meufchen von groß- 
müthiger Gefinnung, die ihn Tiefen verdienen zumeilen eine Klet- 
nigfeit. Als ih hätte die Macht und das Vermögen, ich würde 
Ew. Gnaden laffen feten ein Denkmal ganz verfilbert, und in⸗ 
wendig follt’s fein von purem Gold. Wahrhaftig, ich that's, beim 
Barte meines Vaters, und Ste hätten’s verdient, fo wahr ih bin 
gefund! 

Don Gomez lächelte. 

Ich danke für deine wohlwollende Gefinnung, lieber Mofes — 

Lieber Moſes! wiederholte der jüdiſche Unterhändler, und zu 
Mafter Papageno gewandt, fehte er Hinzu: Haben Sie's gehört, 
Herr Bevollmädtigter? Er hat gejagt: lieber Mojes, Hat er ge⸗ 
fagt; werd’ ich doch machen mit dem gnäbigen Herrn ein befjer’ 
Geſchäft, als ich gemacht Hätte mit feinem Bevollmächtigten. Gott, 
gerechter, lieber Moſes bat er gejagt! 

Nun ja, lieber Mofes, fuhr Don Alonfo Gomez fort, ich 
habe fo gefagt, und ich verjpreche dir, meine Redeweiſe nie zu än— 
dern, wenn deine Handlungsweiſe den freundfchaftlihen Aeußerun- 
gen entfpriht, die du fo eben gethan haft. Sieh, lieber Freund, 
ih bin großmäthig und will die gern das Denkmal erlaffen, das 
du mir fo gern feßen möchteſt, gleichviel, ob es inwendig von Gold 
oder von Silber wäre. Weit mehr wirft du mich erfreuen und . 
zu Dank verpflichten, wenn du mir gegenwärtig mit etwas baarer 
Münze aushelfen Tann. Mein Bevollmächtigter hat dich gewiß 
binlänglih in Bezug auf meine Wünſche unterrichtet — 

Hinlänglich? Fa, fo fagen der gnädige Herr. Was aber tft 
hinlänglich ? 

Sahft du nicht die Papiere, Mofes, bie mein Bevollmächtig⸗ 
ter bir vorlegen follte? fragte etwas eritaunt Don Gomez. 


L 


— 414 — 


Warum ſollt' ich ſie nicht haben geſehen? erwiderte ‘der Unter: 
händler. Hab’ fie gehabt in biefen meinen beiden Händen und 
bab’ fie gelefen mit diefen meinen Augen, und ich denke, es find 
gute Paptere, fo gut, dag man fie könnte legen in die Bank als 
Pfand, wenn es gäbe in Hamburg eine Bank für Papiere. Gott, 
hat man doch feine Noth mit Alles, was heißt Papier! 

Du fürdteft, fie könnten ihren Werth verlieren? 

Der Mofes iſt ein verfländiger Mann, gnädiger Herr, ber 
fih nicht fürdtet vor einem bloßen Dunft oder einem Popanz, 
aber ein Papier bleibt ein Papier, und wenn es nicht gehört mir 
eigenthümlich, daß ich kann machen damit, was ich will, hat es 
doch verloren ſeinen Werth für mich, oder es kann Einer kommen 
und ſagen: Moſes, wie biſt du gekommen zu dieſen Verſchreibungen? 

Das ſehe ich ein, Lieber Freund, ſagte der Mexikaner, darum 
eben war mein Bevollmächtigter von mir beauftragt, die in mei⸗ 
nem Namen Wechfel über die betreffende Summe auczuſtellen, die 
ich ſpäter unterzeichnen wollte. 

Ja, ſo hat er geſagt, der Herr Bevollmaͤchtigte , und darum 
hab' ich auch ſchon mitgebracht die Wechſel, weil ich aber nicht 
wiſſen konnte, daß der gnädige Herr mich wieder als Freund be⸗ 
handeln würden, wollte ich ſie nicht übergeben einem Andern, und 
ſo bin ich gekommen ſelber in Wind und Wetter, und wenn der 
gnädige Herr nur ſetzen darunter Ihren großherrlichen Namen, ſo 
fol das Papier gelten fo viel, als wär's von ciſelirtem Gold ge⸗ 
macht und ringsherum eingefaßt mit Brillanten von reinſtem 
Waſſer! 

Moſes legte Don Gomez zwei Wechſel vor, bie bereits aus« 
gefüllt und vollkommen rechtsgiltig waren, nur die Unterjärift bes 
Meritaners fehlte noch. 

Don Alonfo Gomez burdjlas die Papiere. Seine Augen 
funtelten vor Freude, ald er die Summe überflog, zu deren Her- 
beifhaffung der gefällige Moſes ſich bereit erklärte, 

Um bir zu beweifen, Leber Mofes, daß ich weniger bedenk— 
ih bin, als du, unterzeichne ich dieſe Papiere ſofort, ſprach der 


⸗⸗ 











— 415 — 


geldbedürftige Mexikaner. Sicherheit, wie du ſie nur wünſchen 
kannſt, haſt du in dieſen Papieren. Ich erlaube mir nur noch 
zu fragen, ob ich das Geld auch ſogleich in Empfang nehmen 
kann! 

Hab' es bei mir auf Mark und Schilling, erwiderte Moſes. 

Die ganze Summe? 

Die ganze Summe in einem einzigen leichten Papierchen an 
meinen Wechsler, der es Ihnen auszahlt baar in Dritteln, Epe- 
cie8 ober Grob - Gourant, wie es wünfchen werben der gnäbige 
Herr. 

Du bift ein wahrer Goldmann, jagte Don Gomez, und wüßte 
ich nicht einen viel angenehmeren Gebrauch von gutem Stiber zu 
maden, fo würde ich dir eine Bildfäule geloben in Lebensgröße, 
accurat gemadt, wie dich Bott gefchaffen hat und wie du einher 
gehft auf deinem ſchief getretenen Schuhwerk. Die würde ih auf- 
ftellen auf der plaza mayor in Mexiko, meiner vielgeltebten Va— 
terftadt, und würde fie mit der ſchönen goldenen Inſchrift verfehen: 
Mofes, dem Sohn Bibrachs, dem ehrlichen Darleiher guten Gel⸗ 
des für dreißig Prozent! 

Thun Sie's nicht gnädiger Herr, um Gott, thun Sie's nicht! 
fiel der Unterhändler ein. 's Wäre eine Sünde vor Gott, dem 
Herrn, der’d halten könnte für ein filbernes Kalb, vor dem ihre 
Andacht wollten verrichten die dummen Menfchen, die nicht wiffen, 
was für ein reeller Werth ftect in den edlen Metallen! — Recht 
fo, gnädiger Herr, da ſteht Ihr Name ganz deutlich gefchrieben, 
daß es kann Iefen jedes Kind, das kennt die Buchftaben und hat 
ordentlich gelernt buchſtabiren nah der neueften Methode! Don 
Alonfo Gomez haben Sie gefhrieben. — Schöner Name — klingt 
wie veined Gold aus Peru ober wo es fonft gewachien fein mag 
in gutem Boden! Sept kann's laufen von Hand zu Hand, das 
Papieren, und wenn’s iſt girirt drei- ober viermal, fo kann's 
noch verdienen unter Umftänden ein Procent mehr! — Schöne 
Erfindung fo ein Wechſelchen! Iſt's doch geweſen ein kluger Kopf, 
ber ein ſolch Papter hat zuerft unterfchrichen, und bin ich doch 


— 46 — 


ftolz darauf, daß gewefen iſt dieſer kluge Mann einer von un⸗ 
ſere Leut'! 


Mährend der hocherfreute Moſes dem Erfinder des Wechſels 
diefe entzückte Lobrede hielt, überreichte er dem nicht weniger glück— 
lihen Don Gomez eine Anweifung auf eins der größten Wechſel⸗ 
häuſer in Hamburg, zahlbar nach Sicht. 


Der Mexikaner ergriff es begierig und legte es behutſam in 
ſein Portefeuille. Gleichzeitig langte er nach den Documenten, 
aus denen der jüdiſche Unterhändler über den Beſitz feines Ver— 
mögens fih Kenntniß dverfhafft hatte Moſes legte feine Hand 
darauf. 


Der gnäd'ge Herr werben verzeihen, ſprach er mit füßlichem 
Lächeln, aber der Menih iſt eine gebrechliche Greatur, die Tann 
ftolpern über einen Stein, fih ein Loch fallen im Kopf, und ehe 
fie wieder auffteht, tt der Geift ausgefahren aus dem Loch und 
verſchwunden dahin in alfe Winde. Was thu' ich mit einem Men⸗ 
fhen, der gekommen tft zu Tode, und wäre er fo vornehm wie 
ber Kaifer von Rußland oder China? Iſt er doc nicht fo viel 
werth, als ein todted Ferkel, das man noch Tann verkaufen an 
arme Leute, die aud einmal wollen wiflen, wie es fchmedt, wenn 
Einer ißt Fleiſch. Darum wollt! ich gebeten haben den gnäbigen 
Herrn in aller ſchuldigen Unterthäntgkett, daß Ste mir geben eine 
eine Verſchreibung, die mir zuipricht das Eigenthum biefer Pa 
piere, falls — was Gott der Gerechte abwenden wolle in Gna= 
den — Sie des Todes erblichen, ehe fie zurüdgezahlt Hätten das 
vorgeſchoſſene Kapital mit allen Zinfen, wie's gefchrieben fteht auf 
den Wechfeln, die ich will hüten'mwie meinen eigenen Augapfel. 


Don Gomez war nahe daran, bei diefer neuen, ihm ganz 
unerwartet kommenden Zumuthung die Geduld zu verlieren und 
dem unentbehrlihen Manne ein paar harte Worte zu fagen, er 
beherrſchte fih jedoch, da er einſah, daß weder freundliches Zure— 
den noch ernfthafte Einfprüche die geringfte Wirkung haben wür— 
den. Müde des früheren langen Harrens und durch das Geſchwätz 











— 417 — 


des Wucherers mehr gelangweilt als unterhalten, gab ev Mofes 
auch die gewünfchte DVerfchreibung. - 

Wenn der gnädige Herr kommen nah Hamburg, ſprach ber 
Sohn Bibrachs, das Papier forgfältig einpadend, mwerbe th Sie 
erfuchen, mit mir zu gehen zu einem Notar, damit er drüdt fein 
‚Stegel unter die Verfehreibung und zwei zuverläffige Zeugen fehen 
dabei ihre Namen. So wie ich da hab’ das Papier, iſt's nicht 
viel werth und könnte mir höchſtens verhelfen zu einem langen 
Prozeſſe, wobei Niemand gewänne etwas Reelles als bie Doctoren, 
von denen ber Eine fagte zu mir: das wollen wir fchon Triegen 
— nämlich das Geld — und ber andere fagte baffelbe zum Ge⸗ 
genpart. Aber der Moſes tft fein Mann, ber fegt ein Mißtrauen 
in die Gefinnung von Ehrenmännern, mit denen er macht Ge- 
ſchäfte, ſeis in Waaren ober ſei's in Geld, Nur damit Alles 
fommen kann in Ordnung, wie e8 fein muß, tft er vorfichtig, wie 
ein Mann, der hat beifammen feine fünf Sinne zu jeder Stunde! 
Und fo der gnädige Herr iſt zufrieden mit mir, und ich bin es 
mit dem gnäbigen Herrn, der mid großmüthig läßt verdienen 
ein paar Spertes unter vielen Sorgen und Mühen, will ich jebt 
‚fegen meinen Stab weiter. und dem Herm wünſchen von Herzen 
eine gute Nacht und angenehme Träume. Bleiben Ste gefund! 

Der Mulatte hatte dieſer ganzen Unterhandlung ſtillſchwei⸗ 
gend zugehört. Sept, als Mofes fih entfernte, näherte er ſich fet- 
nem Herrn und fagte: 

Wann gebenten Ste zu reifen? 

Morgen, wenn es die Witterung erlaubt. Auf jeden Kal 
beftelle ſchon jetzt Pferde. Die fchnelifte Beförderung tft für mid 
bie bilfigfle. ® 

Werden Ste incognito reifen? forfhte Mafter Papageno 
wetter. , 

Noch bin ich nit ganz entichloflen, erwiderte Don Gomez. 
Auch kommt wenig darauf an. Während der Nacht, die mir ohne 
Zweifel die köſtlichſten Träume ſchenkt, wird mir ein guter Ge⸗ 


bante einfallen. Bade nur ein und rüfte did. 
D. B. XI. Willkomm's Rheder und Matrofe, 27 


— 4118 — 


Wo befehlen Ste abzufteigen? 

Hm — ja, daran hatt! ich beinahe nicht gedacht! — — 
Sreilih, man muß ein Logis haben, man wird gefehen, es gibt 
ein Hin- und Herreden — nein, das taugt nichts. Weißt bu 
was, Papageno, wir nehmen vorerft auf dem Lande, nicht gar zu 
weit von der Stadt Quartier. Etwa in Blanfenefe. Der Ort 
Itegt angenehm, und man kann von da zu jeder Stunde leicht 
Hamburg erreichen. Auch hat man unterwegs, bejonderd wenn mah 
die Strede oft zurüdfegt, Gelegenheit, für Fünftige Tage in der 
Stille Vorkehrungen zu treffen, um das Glück derer, die ung 
nicht gewogen find, nicht gar zu üppig aufſchießen zu laffen. 

Sind Sie geneigt, einen Rathſchlag oder eine Anfiht zu 
hören? 

Ich bin im Augenblide zu Allem geneigt, verfeßte Don Go— 
mez. Predige Moral, lie mir ben Tert, Taf’ Weisheit von bei- 
nen etwas ſtark aufgeworfenen Lippen träufeln, oder überhäufe 
mid mit Echimpfworten, ich verfpreche dir, du ſollſt einen ganz 
ſtillen Mann in mir finden. 

Da Ste denn in fo ausgezeichnet guter Stimmung find, 
ſprach der Mulatte, will Ih zu fernerer Begutachtung Ihrerſeits 
nur bemerfen, daß, follten Ste in Hamburg zu bleiben gefonnen 
fein, Niemand Sie direct moleftiren wird, großen Genuß aber 
würden Sie von einem Aufenthalte, der länger als einige Tage 
dauerte, nicht haben. Ich -pflichte deshalb dem eben gemachten 
Vorſchlage, Blankenefe zum ferneren Wohnfige zu erheben, voll- 
tommen bet. 

Kannſt du nicht etwas verftänblicher fprechen? ermiderte ber 
Mexikaner. Ich kenne zwar fo ziemlich beine Ltebhabereten, zum 
Rätbfelauflöfen Habe ich aber weder Luft noch Gefhid, Was oder 
wer bedroht mid? 

Keine Perfon, nur eine Sache. 

Eine Sade? 

Nein, auch nicht, ein Etwas, das Nichts und doch Alles if. 

Suter Papageno, ſei verfiändlih, meine vortreffliche Laune 


— 419 — 


könnte mir ſonſt plötzlich abhanden kommen und das, fürcht' ich, 
würde dir fühlbar werden. 

Die Langeweile bedroht Sie in Hamburg, ſagte der Mulatte, 
und Sie wiſſen am Beſten, daß ſie Ihr allergrößter Feind iſt und 
die alleinige Urſache aller Verlegenheiten, in die Sie ſo oft ſchon 
gerathen find. Sie finden dort keinen Umgang, wie Sie ihn ge— 
wohnt find und wie Sie ihn begehren, und der Mangel daran 
würde Ste nur zu bald in traurige Gonflicte mit alles Welt brin- 
gen. Entfchliegen Ste fih dagegen, außerhalb der Thore jener 
verführerifchen Stadt zu verweilen und nur bisweilen, nur unter 
dem Schube der Naht ihr Befuche abzuftatten, fo verfpreche ich, 
meinen ganzen Scharffinn und alle meine noch übrigen guten und 
böfen Eigenfhaften aufzubteten, um Ihnen für bie Wintermonate 
ein Leben zu bereiten, wie Sie es bisher noch nicht Tannten. Sie 
haben jeht Geld und Ste dürfen mithin etwas wagen. Auch Ge- 
legenhett zur Rache wird fih finden. Ih babe Allerlei ausge- 
Hügelt und wir müßten Beide allen Credit beim Teufel verloren 
haben, wenn nicht ein oder ber andere Plan zu unferm oder — 
um refpectooller zu jprehen — zu Ihren Gunften ausſchlüge. 

Genug der Worte, unterbrah Don Gomez feinen Diener, ich 
billige deine Vorfiht und gebe dir Vollmacht. Morgen, erlaubt 
ed das Wetter, verlaffen wir dies öde Cuxhaven, wo man fih an 
Krabben zuleßt den Magen verderben kann, und überfiedeln nad 
Blantenefe oder irgend fonft wohin an den Elbufern, wo es fid 
gut Ieben läßt. Was fpäter gefhehen fol, fielen wir als Achte 
und vertrauensvolle Ritter des Glüdes dem Zufall, diefem hulb- 
vollen Gotte aller Unternehmenden, getroft anheim. 


27* 


— 40 — 


Ueuntes Kapitel. 





Mäpchengeplauder. Ein Entfchluß Eduards. 


Eliſabeth ſaß am Fenſter und ſtickte, ihr gegenüber beſchäf⸗ 
tigte ſich Ulrike mit einer landſchaftlichen Zeichnung. Aus dem 
Nebenzimmer, deſſen Thür nur angelehnt war, hörte man Spiel 
und Gefang. 

Shriftine macht ſchnelle Fortſchritte und hat wirklich eine allers 
liebfte Stimme, fagte Eltfabeth, die Nadel ruhen laſſend und auf 
die vollen, weichen Töne des Liedes horchend, das die fich Lebende 
zum Zorteptano fang. Wie fhade, daß fie nicht ein paar Jahre 
früher ihre angeborenen Fähigkeiten entwideln konnte! Sie hätte 
ed gewiß viel weiter gebracht, als. ih mit meiner fhwachen und , 
wenig metallteichen Stimme. 

Etwas dünn finde ih den Ton doch immer noch, ermiberte 
Ulrike, und ich glaube, ex bleibt es auch. 

Daran tft eben die fpäte Uebung Schuld, meinte Eltfabeth, 
wieder emfig in ihrer Arbeit fortfahrend. Miguel wirb fi aber 
doch freuen, daß Ghriftine fo Leicht faßt und es bei fortgefehter 
Mebung zu einer ganz anfehnlihen Fertigkeit bringen kann. 

Er ſpielt ſelbſt nicht übel, verfegte Ulrike, wenn ich aber zu= 
rüddente an — 

Ste unterbrah fi und warf einen fhüchternen, bereuenden 
Blick auf die Freundin, die indeß ruhig blieb und milb Lächelnd 
zu ihr aufjah. 

Immer fprih den Namen aus, fagte Elifabeth, ich habe dieſe 
Gefühlsvertirrung Tängft überwunden. Das Hindert mid aber 
nicht, Die Vorzüge deffen zu würdigen, ber fonft unfere Adtung 
für immer durd feine unverantwortlide Handlungsweife und feine 
leichtfertige Gewiſſenlofſigkeit vericherzt Hat. 

Ulrike zeichnete ſchweigend eine Zeitlang fort, dann ſprach fie: 

Er iſt neulich wieder gefehen worden. 














— 41 — 


Hier? fragte Eltfabeth, ohne von ihrer Arbeit aufzuſehen. 
Ich glaubte, er lebe jetzt in Bremen. 

Da ſoll er ſchon ſeit mehreren Wochen verſchwunden ſein. 

Woher weißt du das? 

Ulrike erröthete, indem ſie mit gedämpfter Stimme verſetzte: 

Dein Bruder Ferdinand erzählte es uns ja geſtern oder vor⸗ 

geſtern. 
| Uns? Ferdinand erzählte es uns? fragte Cliſabeth hedehnt. 
Ich möchte wohl von dir erfahren, meine Herzens-Ulrike, wo dieſe 
Mittheilung geihah und wer außer dir und meinem fehr aufmerk⸗ 
ſamen Bruder noch zugegen war. 

Ulrike beugte ihr Gefiht tief auf die Zeichnung. Da hab’ 
ih mich ſchön verzeichnet, fagte fie ablentend. Kannft du in die⸗ 
fen Strihen die Veranda wieder erkennen, in der wir verganges 
nen Sommer fo oft die Sonne untergehen fahen? 

Ste ſtand auf und hielt der Freundin das halbfertige Blatt 
bin. Glifabeth jedoch achtete nicht darauf. Ihr ſchien es weit 
mehr Vergnügen zu gewähren, die Sreundin ein wenig zu neden, 
Ste ergriff ihre Hand und fah ihr gutherzig in das von friſcheſtem 
Jugendhauch geröthete Geſicht. 

Set offen, Ulrike, ſprach fie, ſei es wenigſtens gegen mid! 
Mein Bruder bat fih erklärt. 

Ulrike fhüttelte leiſe auffeufzend das ſchön geformte dunkel⸗ 
lockige Haupt. 

Dann wird er fih demnädft erklären, fuhr Eliſabeth fort. 
Er zeichnet di fett langer Zeit fchon fichtlich aus, und ed wundert 
mid) nur, daß es dem Vater noch nit aufgefallen ift und Mut- 
ter bisher Fein Wort darüber verloren hat. Wie ich darüber denke, 
meine befte Ulxite, das weißt du. Ih wünſche nur, daß Eure 
Wünſche, Eure Hoffnungen fih ohne ermübende und aufreibende 
Kämpfe erfüllen mögen. 

Zweifelft du an deines Vaters Zuftimmung? fragte Ulrike 
erſchrocken. Ferdinand iſt fein Liehling und ich glaube nicht, daß 
ich ihm unangenehm bin und daß meine Gegenwart ihn beläftigt, 


— 411 — 


Gewiß nicht, aber Vater hat feine eigenen Pläne. 

Die du kennſt? 

Die ih ahne, vermuthe. Es iſt das eine Eigenſchaft der 
meiften Väter. 

Nicht auch der Mütter? 

Seltener. 

Und welche Pläne könnten dies wohl fein? forſchte Ulrike 
mit unruhiger Neugierde weiter. 

Vater ift Kaufmann, fagte Efifabeth, und fann man ihn als 
ſolchen auch vorurtheilsfrei nennen, das DBeftreben, feine Mittel 
möglichft zu vermehren, Mebt ihm doch auch an. Er wünſcht des— 
halb reiche Schwiegertöchter. Früher, d. h. vor zwei bis drei Jah— 
ten mochte dieſer Wunſch weniger Iebhaft in. ihm fein, fett aber 
der Oheim aus Amerika zurüdgefehrt ift und die fo lange gepflo- 
genen Unterhandlungen endlich fo weit gediehen find, daß Vater 
mit feinen vertrauteften Gefhäftsfreunden jegt entſchloſſen iſt, auf 
die Ideen bes Oheims einzugehen, feit dieſer Zeit iſt es ihm nicht 
gleichgiltig, ob feine zukünftige Schwiegertochter Vermögen befikt 
oder nicht. 

Du Angftigft mich, verfehte die Liebende. Glaubfi du, daß 
der zeitliche Vortheil deinem fo braven Vater höher ftehen Könnte, 
als das Glück zweier Menſchen? 

Nein, diefe Furcht hege ich nicht, aber ich fehe Sturmwolken 
aufziehen und trübe, bange, gewitterfchwere Tage nahen. Hohen— 
fels bedarf, wie du weißt, großer Summen. Das disponible Ver- 
mögen meines Couſins Miguel reicht nicht aus, um die gewaltigen, 
vielleicht im Voraus gar nicht genau zu bereihnenden Koften bes 
precären Unternehmens zu deden; aud wäre es unflug Alles auf 
biefe eine Karte zu feben. Und eben darum — 

Sollte, ginge es ihm nad, fiel Ulrike bitter ein, jeder feiner 
Söhne einen fogenannten Goldfifh als Frau heimführen ? 

Die Wünſche der Eltern gehen nicht alle in Erfüllung. 

Das iſt aud gut, meinte Ulrike, denn bisweilen find fie Doch 
wahre Hemmſchuhe des Glückes ihrer Kinder, 











Werde nicht lieblos, befte Ulrike, bat Eliſabeth. Vater meint 
es immer gut; er ift nicht unbillig, und läßt man ihm nur Zeit, 
jo findet er fih auch in dem zuredt, was ihm anfangs unbequem, 
vielleicht fogar unrecht vorkam. 

Mehrere Männerflimmen, die vor der Thür laut wurden, 
unterbrachen bier das Geſpräch der jungen Mädchen. Ulrike fete 
fih wieder an ihre Zeichnung. Eliſabeth ſtickte weiter und Chri— 
ftine fuhr in ihren Gefangübungen fort. 

Einige Minuten vergingen in tiefem Schweigen; da traten 
beide Brüder in's Zimmer, denen bald darauf Hohenfels und Mi- 
guel folgten. Chriſtine beendigte ihre Mebungen und gefellte ſich 
zu ben Uebrigen. Miguel begrüßte die Geltebte, ergriff ihren 
Arm und durchſchritt, leife plaudernd, mit ihr das Zimmer. Die 
Verlobung der jungen Leute hatte vor einigen Wochen ftattgefun- 
den, war aber auf Hohenfels Wunſch noch nicht öffentlich bekannt 
gemacht worden. | 

Während Ferdinand die Zeichnung Ulrike's betrachtete, welche 
das Landhaus Heidenfrei's darftellte und mancherlei daran auszu— 
feßen fand, was er der ſchönen Zeichnerin unter Scherzen bemerf- 
lih machte, bewunderte Eduard die Stiderei feiner Schwefter fo 
auffallend, dag Elifabeth darüber beinahe böfe geworden wäre. 

Es ift nicht recht, daß du mich fo unbarmherzig verfpotteft, 
fagte die Schweiter fhmollend und ein ſeidenes Tuch über die 
faum halb fertige Arbeit heftend. Ich weiß, daß ich feine Mei- 
fterin im Stiden bin. Ich kann es nicht fein, denn th übe mid 
zu wenig, weil ich es für eine ziemlich untergeordnete Befchäftt- 
"gung halte, ftatt der man etwas Belleres thun kann. Nur der 
Wunſch der Mutter, mid zu üben und bie Freude des Vaters 
an ſolchen Sachen laſſen mid bisweilen zur Nabel greifen. 

Eduard horchte erflaunt auf und ſtrich fih mit der Rechten 
über bie Stirn, | 

Hab’ ich was Dummes gefagt? fragte er. 

Aber befter Bruder, verfeßte Elifabeth, träumt du denn, wenn 
du mit und untergeordneten Geſchöpfen fpricht ? 


— 424 — 


Kerbinand lachte. Du mußt es ihm verzeihen, liebe Schwe— 
fter, fagte diefer, den Bruder entſchuldigend. Eduard hat fo eben 
die Beftätigung eines Vorhabens durch ben Vater erhalten, das 
wohl geeignet if, ihn abweſend zu machen. 

Was ift es? fragten gleichzeitig Eltfabeth und Ulrike. Auch 
Shriftine, die fih in heiterſter Weiſe mit Miguel unterhalten hatte, 
horchte auf. 

Ich reife mit dem Oheim nah Südamerika, fügte Eduard. 
Nur unfer perfönlihes Erſcheinen auf dem Schauplatze unferer, 
wir hoffen es, in Zukunft fegensreichen Thätigkeit, deren Ziel kein 
anderes tft und fein fol, als der deutihen Induſtrie, deutſchem 
Aderbau und dadurch deutichen Auswanderern in jenen unermeß- 
lichen und fruchtbaren Länderſtrecken, die faum noch der Fuß ei— 
nes Weiſen betrat, eine Golonie zu gründen, welde dereinſt den 
Ueberfhuß der Bevölkerung unferes Vaterlandes aufzunehmen be= 
rufen fein fann, wird im Stande fein, die zahlveihen Schwierig- 
fetten zu überwältigen, bie fih uns von mehr als einer Seite 
entgegenthürmen werden. Das Küftenland eignet fih, wie der 
Oheim behauptet, wenig für deutfche Anfiedler, weil die Fieber da⸗ 
jelbft Herrfhend find und große Verheerungen anrichten. Im In— 
nern iſt die Luft gefünder. Dort laſſen fi große Ländereien er- 
werben, die eultivirt und rationell bearbeitet, unermeßlich reichen 
Ertrag liefern müſſen. Es iſt unfere Abſicht, für dieſe neu zu 
begründende Golonie eigene Verträge mit der Regierung Brafi- 
liens abzufchließen, um fie völlig unabhängig zu machen. Gelingt 
uns dies, und wir hoffen es, dann gedenken wir biefer Golos 
nie eine den Verfaffungen der Hanfeftäbte ähnliche Gemeindever- 
fafjung zu geben, doch ohne reitende Diener und andere Lurusartikel, 
wie wir fie beſitzen, als uralte Heiligthümer mit in die neue Welt 
überzufiedeln. Der Vater hat jegt eben eingemilligt, mich ziehen 
zu laffen, damit der Oheim an mir eine Stübe habe, auf die er 
fih verlaffen kann. 

Eliſabeth zeihte dem Bruder ihre Kleine, weiche Hand, 

Wenn du dich freuf, Eduard, fo will ich verfuchen, ob ich 


— 425 — 


mich auch freuen kann, ſagte ſie bewegt. Im Augenblick vermag 
ich es nicht. Ich ſehe nur die Gefahren, die dich und den guten 
Oheim umringen, und wenn ich dann ber Vergangenheit und ih- 
rer Schreden gedente, wird mir das Herz ſchwer. Ih hoffte, 
wir wollten nun endlich Alle beifammen bleiben und im Frieden 
ein glüdliches Stillleben führen. 

Das find Mädchengedanken, Heine Poetifche, fagte Heiden⸗ 
frei, der während der letzten Worte ebenfalls in das Zimmer ge⸗ 
treten war. Es ift überhaupt noch fehr fraglich, ob wir des Glückes 
wegen und um ein ftilles gemüthliches Leben zu führen, auf die- 
ſer Erde eine Zeitlang zu wanbeln berufen find, oder ob es nicht 
mehr Wille und Zwed des Weltenlenkers tft, ung nur zu prüfen, 
und durch fortgefegte, ſtets gefteigerte Prüfungen für eine höher 
organtfirte Weltorbnung zu erziehen. Es wäre fuperbe. 

Das verſteh' ich nicht, und wenn ich mit folcher Beſtimmt⸗ 
heit davon ſprechen höre, wird mir bange, verfegte Eliſabeth. Ich 
fehe nur nicht ein, warum nun gerade Süd: Amerifa von Euch 
auserwählt wird. 

MWeil dort für alle großen Unternehmungen, die von ener- 
giſchen Menſchen germanifhen Stammes ausgehen, die größten 
Chancen vorhanden find, fiel Hohenfeld ein. Der Norden Ame— 
rika's gehört den Anglo-Amerikanern und ift dieſen durd Nichts 
mehr zu entreigen. Dort herrſcht nicht blos der Yankee, er 
wird auch Alles, was auf und in die Unton fi flürzt, voll- 
fommen verfhlingen. Mögen Millionen Deutſche und Fran- 
zofen dahin einwandern, fie werben zulegt doch von ben eiſen⸗ 
harten Händen der Yankee's zerrieben und mit biefen verfchmolzen. 
Anders in Südamerika, namentlih in den brafilianifhen La Plata— 
Staaten. Dort iſt Alles erft im Werden, ja, man kann fagen, 
das Werden felbft beginnt erfi Keime zu treiben. Die dortigen 
Ureinwohner find noch völlig uncultisiet, ſchwache, wehr⸗ und 
willenlofe Naturkinder, bie fogenannten Herren des Landes aber, 
bie Abkömmlinge der portugiefifhen Groberer, eine indolente, 
träge, energielofe- Maffe, zwar feandalluftig, aber nicht von wies 


— 46 — 


berhaltiger Kraft. Sie weiß nicht, was fie will; und Tann, oppo- 
nirt fih ihr ein fefter Wille, tritt eine organtfirende Nationalität 
ihr gegenüber, die fich rückſichtslos Reſpect verfchafft, diefer Teicht 
unterworfen werden. Bis in jenes füdlihe Eden Amerifa’s bat 
ber erobernde Dankee feine Hand noch nit ausgeftredt. Der We— 
ften und die Küſte des ftillen Oceans mit ihren wahrſcheinlich reis 
hen Schätzen edler Metalle, vielleicht au ein großer Theil Cen— 
tral- Amerika’, Tiegen ihm näher und bequemer. Kommt alfo 
ber deutjche Golonift ihm zuvor und verfteht diefer ſich feſtzuſetzen 
im Süden; verfleht er, wozu er unbeftritten Talent befist, eine 
tüchtige Adminiſtration in feinen Golonieen zu gründen und legt 
er dadurch den’ feſten Grundſtein bürgerlicher Freiheit: fo ſchafft 
er auf der andern Erdhälfte ein zweites Deutfhland, über deſſen 
Gedethen, Über deſſen Macht unfere Enkel fih freuen werben. 
Aber freilich, um dies große Ziel zu erreichen, bedarf es der 
Thatkraft, einigen Handelns und großer Mittel. Deutfche Re- 
gterungen bieten nicht die Hand dazu, ih weiß es, verfuch’ es 
alfo der freie deutfche Bürger, der unabhängige Kaufmann, der 
bemittelte Rheder, der nur die Segel an feinen Schiffen aufzu- 
fpannen braudt, um die Menfhen, welge feinen Zwecken dienen 
fönnen, dahin zu fihaffen, wo er fie nußen, ihnen ein neues 
Reich gründen, neues Leben geben, neue Wirkungsfreife eröffe 
nen will. | 

Es ift ein großes Ziel, das wir ung fteden, fagte Eduard, 
wohl werth, dag man ſich dafür begeiftert und Opfer dafür“ bringt. 
Sollte es nicht möglich fein, auf diefe Weife in veränderter Ge— 
ftalt die Hanfa wieder aufleben zu laffen, deren politifhe Bedeu- 
tung an der Entdedung Amerika’ zu Grunde ging? 

Man muß es verfuhen, ſprach Hohenfels. Ich, meinestheile, 
ſchrecke vor Feiner Schwierigkeit zurüd, weil fehr Vieles möglich 
tft, was man gewöhnlich für unmöglich halt, Englifhe Kaufleute 
haben fih Dftindien erobert und beherrſchen es mit einer Hands 
soll Soldaten. Diefe Eroberung hat fie zur feemädtigften Nas 
tion gemadt. Deutfhland tft nun leider England nidt zu ver- 














— 497 — 


gleichen, dennoch kann es viel mehr fi ausbreiten über den Erbd- 
freis und fi weit mehr Macht und Einfluß verfhaffen, wenn es 
nur einmüthig große Pläne entwirft und fie energifch verfolgt. 
Unfere Handelsmarine nimmt es auf mit jeder andern Nation, 
und da allen Anzeichen nah die Zeit Friegerifher Groberungen 
vorüber tft, müflen unternehmende Völker auf friedlihem Wege, 
alfo Handel treibend, Colonieen gründend, Cultur verbreitend, zu 
erringen fuchen, mas man ſich früher mit der Schärfe des Schwer: 
tes nahm. Die deutſche Rhederei kann das, wenn fie will. Ihre 
bewaffnete Macht hängt in den„Wanten, fit auf den Raaen, 
plänfelt und handtiert auf den Topen. Was der Rheder denft, 
ber Matroſe führt e8 unter dem Commando ders’ Capitains aus, 
Das muß man begreifen, darüber muß man fi klar werden, 
dad muß man Andern, bie nicht gern weit in die Seine bliden, 
auseinanderfegen, damit fie wiflen, welche Miffion ber Rheder, 
welde der Matrofe zu erfüllen berufen ift. 

Da berührft du den faulen Punkt, der deinen ganzen Plan 
zu Nichte machen Tann, bemerkte Heidenfrei. Die Größe deiner 
Idee allein ift es, vor der mir bangt, du wirft immer Einzelne 
finden, die fih daran erwärmen, fchwerlid aber Viele, welche ſich 
betheiligen.. Du haft den Rheder im Gedanken, wie er fein 
ſollte, vielleicht fein Lönnte, nicht wie er in Wirklichkeit an je- 
dem Hafenfat angetroffen wird. 

Iſt meine Idee gut, fo wird fie fih Bahn breden und in 
Zukunft Früchte tragen, erwiderte Hohenfels. Alles wahrhaft 
Gute braucht Zeit, um durchzubringen. 

Ich pflichte dir bei, Oheim, fagte Eduard, und wie du mein 
Wort Haft, daß ich dich begleite, fo gebe ich dir aud das heilige 
Berfprechen, daß ich Dich nicht wieder verlaffe, daß ih unjerm 
Ziele nicht den Rüden kehre, und follte es mich Geſundheit und 
Reben koſten! 

Menfhen von Eurer Energte find berufen, Staaten zu grün: 
den, ſprach Ferdinand. Wir Andern, denen Gott nicht eine gleich 
große geiftige Etaftichtät gegeben hat, müffen in zweitet Linie ſte— 


— 41238 — 


ben bleiben. Ihr greift an und faßt Pofto, wir find die Referve 
und ſchicken, wo es nöthig ift, Hilfstruppen. Wo aber bleiben die 
Adjutanten, die als Weberbringer neuer Befehle bin und wieder 
eilen? 

Vorläufig it es der Dampf und das von feiner Kraft be- 
wegte Schiff, fagte Eduard. 

Und fpäter, fiel Augufttn Hohenfels ein, tft es vielleicht bie 
magnetifhe Kraft, die wir noch nicht genugfam kennen, ober wir 
fhleudern gleih Jupiter den Blitz als leuchtenden und fpredhenden 
Boten von Land zu Land, vom Meer zu Meer, während wir 
jeßt nur noch mit ihm tändeln. 

Einftweilen aber bauen wir Stilferen Hütten daheim, ſprach 
Berdinand, und richten fie wohnlih ein mit einem Allerheiligiten, 
wo bie Büſten derer, die voll eroberungsluftiger Gedanken hinaus- 
ziehen, aufgeftellt und mit Lorbeeren befränzt werden, bis fie als 
Helden zurüdtehren und felbft fich niederlaflen in dem Tempel, 
welchen Liebe und Verehrung ihnen bereitet. 

Ulrtfe war biefem Gefprähe mit großer Theilnahme, aber 
fhweigend gefolgt. Jetzt flüfterte fie ganz leiſe dem neben ihr fte= 
henden Ferdinand zu: 

Ste gehen alfo nicht mit dem Oheim? 

Wundert Sie das? gegenfragte der junge Mann. 

Ulrike verneinte kopfſchüttelnd. Es freut mich, ſagte fie raſch, 
einen großen hellen Blick auf ihn werfend. Wenn uns Alle ver⸗ 
ließen, müßte es doch zum Sterben langweilig werden. 

Ste wollte ſich entfernen, die Zeichnung zuſammenrollend. 
Ferdinand aber erfaßte ihre Hand, drüdte fie verfichlen und fagte, 
fein fprechendes Auge auf Alrike richtend: Wenn Sie mid nit 
gehen heißen, werbe ich am Tieben immer in Ihrer Nähe bleiben. 


— 429 — 


Behntes Kapitel. 





Hohenfels und ſein Verhalten zur Geſellſchaft. 


Es war nun täglich in der Familie Heidenfrei bie Rede von 
biefer großen Unternehmung, die eine Menge umfaflender Arbeiten 
und Vorbereitungen erforderte. Eduard ſtudirte die vorzügliäiten 
Schriften über das Land, dem er feine Kräfte opfern wollte, zeich- 
nete, entwarf Riffe und Pläne und ftedte auf biefen Straßen und 
Kanäle ab, die dereinft dem Verkehre der Colonie dienen follten, 
bie man zu gründen beabfihtigte. Ferdinand blieb bei diefen Ar⸗ 
beiten nicht glethgiltig, nur ließ er fich weniger als Eduard von 
dem bloßen Reiz des großen Gedankens beherrihen. Er hatte 
mehr die kühl berechnende Natur des Vaters, ber zwar jebe dee 
hochfchähte, nicht aber ohne gründliches Erforſchen ihrer Tüchtigkett 
fih ihr Hingab. Diefe verfchiedene Auffaflungswetfe ein und deſſel⸗ 
‘ben Gedantens führte oft zu lebhaften und lange dauernden De— 
batten unter den trefflihen Menſchen, die alle das Gute wollten, 
ohne ſich doch über die Mittel und Wege völlig einigen zu können, 
die man einzufchlagen habe. Bisweilen fam es denn aud zu klei— 
nen Spannungen, die wieder durch Vermittelung der weiblichen Mit- 
glieder der Familie gehoben und mit milden Worten beigelegt wurben. 

Darüber vergingen Wochen. Während berfelben leuchtete es 
Allen ein, daß Auguftin Hohenfels, ungeachtet feines Fpeengeide 
thums, feiner großen Herzensgüte, feiner nichtsachtenden Opferfä- 
higkeit, im Grunde doch ein unglaublich ſchwer zu behandelnder 
Mann fei. Selbft Eduard, der fi dem Oheim mit der vertrauen 
den Hingebung eines Sohnes anſchloß, weil er den raſtlos ſchaf⸗ 
fenden Geiſt in ihm bewunderte und verehrte, mußte ſich zuweilen 
Gewalt anthun, um nicht in Conflict mit ihm zu gerathen. 

Margaretha, die Stiefſchweſter des hochſtrebenden Mannes, be⸗ 
trübte diefe Entdedung am meiften, und fo oft fie mit ihrem Gat- 
ten allein war, fprah fie von ihrem Kummer um den Bruder, 


— 410 — . 


und von den Beforgnifien, die ihr Tag und Nacht die Ruhe 
raubten. 

Auguftin wird es nte zu einem dauernden Glüde bringen, 
ſagte die feharffihtige Matrone. Kaum hat er etwas erreicht, fo 
langweilt ihn dies Erreichte, oder es befriedigt ihn nit. Und fo 
bet er fich ſelbſt ruhelos von einem Aeußerſten zum andern, bis 
er in dem Kreife, den er befchreibt, eines Tages entjeelt zujam- 
menbrechen wird. Ih wünſchte Eduard Tieße ſich Bewegen, vor⸗ 
läufig noch bei ung zu bleiben. 

Eine derartige Andeutung würbe dein Bruder für bie größte 
Beleidigung halten, erwiderte Heidenfrei, und in der That würde 
‚fie auch einer groben Perfidie gleich zu achten fein. Nein, liebes 
Meib, das geht nicht. Freude an dem Unternehmen habe ich felbit 
auch noch nicht, es kann aber zum Glück ausfchlagen und ein 
Grundftein unvergänglichen Ruhmes werben. Laſſen wir aljo bei- 
nen Bruder und unfern älteften Sohn gewähren. Beide find un- 
ternehmungsftarf, Beide flachelt der Trieb, etwas Bebeutendes zu 
leiften, Beide endlich find ehrgeizig und ruhmſüchtig im ebelften 
Sinne. Sie zurüdhalten, in kleinere Kreife bannen, würde thre 
feltenen Anlagen zerfiören ‚und fie felbft getitig vernichten heißen. 
Eduard tft mir gewiß lieb und ich behielte ihn am Liebiten in dem 
Geſchäft, dennoch will ich ihn lieber noch an einer Idee zu Grunde 
gehen, an der Unausführbarfeit eines großen Gedankens fih auf- 
reiben, als ihn trübfeltg Hier verfümmern fehen. Menſchen wie 
Hohgnfels und Eduard müſſen in's Große, in's Unabfehbare hin⸗ 
einarbeiten. Sie find eigentlih zu gewaltig für unfere Kleine 
Zeit. Wäre es erlaubt, mit einer Handvoll unerſchrockener Män- 
ner an irgend einer Küſte zu landen, fo würden Männer wie un- 
fer ültefter Sohn und dein Bruder ein neues Rei erobern, oder, 
Iegten fie fih mit der ganzen Innerlichkeit ihres Wollend auf die 
religiöfe Seite, fo ftifteten fie entweder eine neue Religion oder 
wenigſtens einen Mönchsorden, der mehr zu thun bekäme, als bios 
einen Tag um den andern fo und fo viele Mefien zu leſen amd 
Paternofter abzubeten. 











— 4531 — 


Geſpräche ſolcher Art wiederholten fih oft, endigten aber im⸗ 
mer damtt, daß Heidenfrei darauf beharrte, Die Strebenden und in 
diefem Streben Glüdlichen nicht weiter zu flören. 

Auguftin Hohenfels würde ſich auch wenig habe ftören laſſen. 
Er befümmerte fih in feiner Weife weder um die Meinung Ans 
berer, noch ließ er fih irgend einen Rath ertheilen. Ganz fo 
fchroff, wie er es in feinen jüngeren Fahren gewejen war, trat er 
jegt wieder auf, fo daß er nur zu bald für eine Perſönlichkeit galt, 
welche die Meiften lieber gehen als kommen fahen. Bon feinem 
Standpunkte aus war Hohenfels ohne Frage unbeftreitbar im Recht. 
Er ragte geiftig fo hoch über die Mafle empor, daß fie ihm wohl 
unbedeutend erjcheinen mochte, als Individuum aber gegenüber 
einer Menge gleichberechtigter Individuen , die zufammen eine große 
Gefellichaft firebender und wirkender Menſchen ausmachen, verging er 
fih unverantwortlich an dem Geiſt der Affoetation. Die Größe feines 
Talentes, die Macht feines Willens, bie Federkraft feines Geiſtes iſolirten 
ihn. Der iſolirte Menſch aber iſt im neunzehnten Jahrhundert, und 
befäß’ er bundertfache Kräfte, doch ein verlorner Poften ig allge- 
meinen Drang und Kampf der millionenföpfigen Menge. Daß 
Hohenfels dies nicht einfah oder nicht einjehen wollte, war von 
jeher fein größtes Unglück geweſen. Er vepräfentirte als Indi⸗ 
vidunm den Nationalfehler der ganzen beutfhen Nation, deren 
Schwächen er doch fo ganz kannte, bie er tief bellagte, bie er 
durch fein eignes Streben, fo weit möglich, paralgfiren wollte. So 
ſeltſam iſt oft der begabteſte Menſch geartet. Sp fchlägt die Kraft, 
die fi ſelbſt Überhebt, in Ohnmacht um, und ftatt zu begfücen 
und dem großen Ganzen nüplich zu werben, verkohlt fie langſam 
in der Flamme ihres eigenen Geiſtesfeners. 

Die Jahreszeit war zu weit sorgefchriiten, um bie beabfich« 
tigte Reiſe noch im alten Jahre zu unternehmen, Auguſtin Ho- 
henfels mußte fih deshalb bequemen, einen drutſchen Winter in 
Umgebungen zu verlieben, die ihm fremd geworben waren unb de⸗ 
nen er fih nicht fügen mochte. Es wunderte ihn nichts mehr, ald 
baß fein Sohn Miguel, der doch auch weit eher einem wild auf- 


— 432 — 


gewachſenen Savannenroffe als einem zahmen Füllen europätfcher 
Civiliſation glich, anſcheinend ohne Göne dem Zwange ber Gefell- 
[haft fih fügte, und es fehlte wenig, fo wäre es zwifchen Vater 
und Sohn zu unliebfamen Grörterungen gekommen. Auch bier 
griffen rechtzeitig die Frauen ein, nad beiden Seiten bin mit Bit- 
ten Iindernden Balfam fpendend. Hohenfels überfah bet feinem 
Sohne das Wichtigſte, feine Liebe zu Chriftine, und er hatte es 
vergeffen, daß ein Liebender zu Allem fählg ift, daß er der Ge- 
liebten zu Gefallen fi widerſtandslos in Feſſeln fehlagen und aud 
Widerwärtiges ohne Murren über fi ergehen Täßt. 

Außer Eduard war Treufreund des feltenen Mannes Tiebfter 
Umgang. Der frühere Buchhalter widerſprach ihm nie, weil feine 
Verehrung fo unbegrenzt war, daß er Alles bei Auguftin Hohen⸗ 
fel8 bewunderte. Auch das Sonderbarfte fand Treufreund, ſprach 
es Hohenfeld aus oder vertheibigte er es, ganz vortreffliä, und da⸗ 
rum hielt diefer fi gern zu dem Jugendfreunde. 

Das übrige Comptoirperſonal feines Schwagerd war Dagegen 
nicht nach feinem Geſchmack. Der Süd -Amertlaner — wie alle 
Gomptoiriften den hochfahrenden Mann nannten — fand hier 
nur Anttpathien und wurde von den jungen Leuten unbarmherzig 
feiner Schroffheit und feiner „fchnurrigen Pläne” wegen, bie freilich 
nur in rohen Umriffen zur Kenntnig Aller kamen, Tritifirt. Gletd- 
zeitig bedauerten Alle, daß Eduard diefem Gedanken =» Abenteurer 
fi) fo ganz anſchloß, freuten fih der Zurückhaltung bes ruhigen, 
immer Maren Ferdinand, und fekten auf den nahe bevorftehenden 
Eintritt deffelden in die Handlung große Hoffnungen. 

Um Miguel fümmerten fih nur Wenige. Anton war ber 
Ginzige, der Häufig mit dem aufgewedten jungen Manne verkehrte, 
ber fi mit Gifer auf Mathematik Iegte und Alles that, um ein 
tüchtiger Seemann zu werden. Die flille Verlobung Miguels mit 
ber Lieblihen Ghriftine, die dem Vernehmen nah zu Weib: 
nachten öffentlich bekannt gemadt werden follte, erwedte eine 
gute Meinung für ihn, denn der alte Jacob war ein großer 
Liebling aller Gomptoiriften, und wollte Anton ben im Grunde 


— 433 — 


von Allen doch nur verkannten Hohenfels in Schutz nehmen, ſo 
führte er an, daß gerade er derjenige geweſen ſei, der die Ver⸗ 
lobung feines Sohnes mit der unbemittelten Tochter des Quartiers⸗ 
mannes betrieben habe. Dies war allerdings fein ganz geringes 
Verdienſt. Es harakterifirte den Mann und ftellte ihn in das 
volle Kicht des ſchönſten Freiſinns. Unmöglich war es nicht, daß 
gerade die Billigung dieſer Wahl, die freilih aud von der Fa⸗ 
milie Heidenfrei bevorwortet wurde, dem heimgefehrten Hohenfels 
manden geheimen Gegner erwedte, denn Miguel mit feinem be« 
deutenden Befitzthum auf Cuba war ein ganz refpectabler Mann 
und konnte die größten Anfprüche machen. 

Weihnachten war für die Familie Heidenfret eine Zeit glück⸗ 
lichen Genießens. Der reiche Rheder z0g lange vor dem Heran⸗ 
nahen des Feſtes Erfundigungen ein, um in Erfahrung zu bringen, 
wo es Nothleidende, der Unterflügung Bedürftige und zugleich de⸗ 
ven Würdige gebe. Hatte er deren fo viele ermittelt, als er zu 
befchenfen fich vorgenommen, fo forgte er mit größter Freigebigtett 
für Alles, was fie beburften, und kam der Weihnachtsabend her⸗ 
. an, fo wurden die Auserwählten zu ihm entboten und die für fie 
bereit gehaltenen Gaben ihnen von dem Rheder und feiner Frau, 
wie von deflen Kindern unter freundlichiten Glüdwünfchen über- 
geben. Die Zahl der fo beſchenkten Familien belief fih gewöhnlich 
auf fünfzig. Heidenfrei prahlte aber nicht mit feiner Milbthättg- 
fett. Gr ſprach mit Niemand als den Seinigen davon, höchſtens 
ward Treufreund in's Geheimnig gezogen, wenn es galt, einem 
ſehr verihämten Armen die Wohlthat der Hilfe zu Theil werben 
zu laffen. Auch mußten die Befchentten dem Rheder jedesmal mit 
Wort und Handfhlag geloben, nichts davon laut werden zu laflen. 
Ward nun dies Verfprehen auf in fofern von Allen gewiſſenhaft 
gehalten, als fie eben nicht öffentlich davon ſprachen, der Wohl: 
thätigkettöfinn Heidenfrei's war doc allgemein bekannt, denn eine 
Erzählung im Haufe, ein Lob, das man dem braven Manne tm 
Beifein Bekannter und Theilnehmender fpendete, konnte unmöglich 
ganz unterbrüdt werben. 

D. B. XI. Willkomm's Rheder und Matrofe, 28 


— 434 — 


Auguftin Hohenfeld war diesmal Augenzeuge des Jubels, in 
welchen die beſchenkten Familien am Weihnachtsabende im Haufe 
feines Schwagers ausbrahen, und er mußte befennen, daß biefe 
Berwendung eines Weberfchuffes von Glücksgütern Segen ftifte und 
mande Thräne des Kummers trodne. In diefem Sinne äußerte 
er fi anerfennend gegen feinen Schwager, zugleich hinzufügend, 
daß er als müffiger Zufchauer eigentlih eine recht erbärmliche Fi⸗ 
gur gefpielt habe. 

Mein lieber Auguftin, verſetzte Hetdenfrei auf diefe Bemer: 
fung, wer in der Welt nüßen will und Gutes ftiften, der muß 
feine Gaben gebrauchen, wie er e8 gerade kann. Du kennſt, den’ 
id, meine Anfihten, und weißt, mie hoch ich das fchäge, was du 
für die Zukunft baueſt. Es iſt ganz fuperbe, fag’ th, aber per 
ſönlich kann ich weiter nichts dazu thun, als einen Theil meiner 
verfügbaren Mittel zur Förderung deiner Pläne opfern und dieſe 
fomtt nah Kräften unterftüben; wo id Direct handeln fol, da 
muß es mir näher gelegt werden. Du bauft und entwirfft Glide 
tempel für ein zufünftiges Gefchlecht, das dich dafür einft fegnen 
und deinen Namen als den eines Welt: und Volksbeglückers prei- 
fen und verehren wird, ich mache ganz in der Stille einige meinet 
Mitmenfhen und Mitbürger fatt und für einige Zeit auch wohl 
zufrieden, Ruhm aber will ich dafür nicht Arndten. Mir macht es 
viel mehr Vergnügen, wenn ich mit eigenen- Augen bie Freude ber 
Glücklichen ſehen kann. Das Hilft mir das ganze Jahr lang über 
mande trübe Stunde hinweg, und ih fage dir, lieber Schwager, 
folche heimliche Troftfpender find bisweilen ganz fuperbe. 

Hohenfels fchwieg nachdenklich. Er fühlte fih nicht glücklich, 
obwohl die heiterfte, reinſte Freude um ihn ſcherzte. Es drüdle 
und yeinigte ihn etwas, das er ſelbſt mit Worten nicht bezeichnen 
fonnte. Gr fah den wiedergefundenen Sohn freubeftrahlend, Hoff: 
nungsfroh am Arme feiner blühenden Braut neben Elifabeth und 
Ulrike, die ebenfalle im Bewußtfein, Andere glücklich gemacht zu 
haben, freudig erregt waren. Warum konnte er nicht Theil neh⸗ 
men an biefer gehobenen Stimmung? War er netbifh? Gönnte 


—— 4395 — 


er jenen nicht Die empfangenen Geſchenke, dieſen nicht bie frohe 
Genugthuung, ein gutes Werk geftiftet zu haben? — Nein, das 
Alles war nicht der wahre Grund jeiner geiftigen Verſtimmung. 
Hohenfels kannte weder Neid noch Mißgunſt, höchſtens würde er 
auf einen Menjchen, der ihn in Großmuth übertroffen hätte, net= 
difh gewefen fein. Was ihn jegt, im erleuchteten Saal der Weih- 
nachtsfreuden, beunrubigte und gemiflermaßen unglücklich machte, 
lag viel tiefer. Es war der dumpfe Schmerz eines von Yugenb 


auf unbefriebigt gebliebenen Herzens, ber jeßt, wo fo viele Andere 


ganz befriedigt ihn anlächelten, wieder in der Bruft des ungewöhn⸗ 
lichen Mannes erwachte. Rechenſchaft über dies peinigende, na- 
gende Gefühl konnte Hohenfels fid nicht geben, und well ber 
Grund dieſer Dual ihm felbft nothwendig immer verborgen blet- 
ben mußte, war und blieb er cin vom Geſchick Gezeichneter. 

Er ſetzte fih auf einen Fauteuil und ftüßte den Kopf auf 
ben Arm. Der Flug feiner Gedanken trug ihn hinaus aufs 
Weltmeer. Er fah fich wieder wie Damals, als er bie Reife nad 
Europa antrat und in ſtiller Mitternacht, unter dem Glanz des 
troptfhen Himmels, das Bud feiner Erinnerungen aufſchlug, aus 
denen er Glück und Unglüd, Freude und Leib fog. 

So traf ihn Treufreund, denn die Webrigen, Lauter Freude 
fi) bingebend, hatten den ſchweigſamen Mann, der halb Hinter den 
niebergelaffenen, ſchweren Damaftgardinen ſaß, wirklih auf ei— 
nige Zeit vergeffen. 

Träumft oder ſchwärmſt du? redete der alte Buchhalter den 
Freund an, deſſen Züge jebt wieder fo eifenhart und finfter aus- 
fahen, daß ein verweichlichter europätjcher Salonmenfh wohl da— 
vor zurüdgefhroden wäre. Auf Weihnachten freue ich mich das 
ganze Jahr, nicht weil ich beſchenkt werde, fondern weil tch felber 
mit ſchenken helfe. 

Du? verfehte Hohenfels. Wem ſchenkſt denn du? Dod 
nit der Frau Prinzipalin, meiner Schwefter, oder meiner Nichte? 

Ich ſchenke den Armen, den Bebürftigen, wie ja Heidenfrei 
auch. Nur kann td höchſtens drei ober vier bedenken, weil meine 

. 28* 


— 436 — 


Mittel nicht gar weit reichen. Die von mir Beſchenkten jubeln 
mit all' den Andern und denken, ſie haben das Ihrige auch von 
dem reihen Manne. ch aber ſtehe daneben, weine innerlich 
Freudenthränen und bin gerade darüber am frobeften, daß fie den 
wirklichen Geber nicht in mir vermuthen. 

Hohenfels fand auf und holte tief Athem, 

Bott erhalte dir bein Glüd, alter Freund, fprah er. Du 
haft es verdient mit deiner, ich möchte faft jagen, Heiligen Beſchei⸗ 
denheit. Könnte ih dies ſtürmiſche Herz bezwingen, bas fo wild 
bier arbeitet und immer fo ungeftüm klopft, ich wäre dann wohl 
auch ein mehr theilnehmender Menſch und Hätte weniger trübe 
Stunden. Aber es fol und es darf wohl aud nicht fein. Da- 
rum iſt es Zeit, daß th gehe, wanbere und ſuche. — Wäre nur 
erft der Winter vorüber! Diefe nebelfhwere, dide Luft lähmt 
meinen Geiſt auch und macht mich noch unleidlicher, als ih es 
ohnehin von Natur bin. Komm, mein Freund, und laß uns ein 
Stündchen fill auf deinem Zimmer verplaudern. Zu viel Licht 
um uns erhellt nicht unfer Inneres. j 

Treufreund war biefe Verftimmung bes verehrten Mannes 
feine neue Erſcheinung; er kannte fie fhon längſt, aber es fiel 
ihm auf, daß fie gerade jegt über ihn kam und noch dazu viel 
heftiger, als gewöhnlich. Auch feiner Unterhaltung, die doch 
mannichfache Themata anfhlug, wollte fie nicht ganz weichen. 
Hohenfels gewann durch fie nur wieber bie volle Gewalt über fich, 
ber ed gelang, jeden Schimmer von Mißmuth zu verwifchen und 
Außerlih ruhig und heiter in den Schooß der glücklichen Familie 
zurückzukehren. 


— — — — — — 


Eilftes Kapitel. 





Anton und Heidenfrei. 


Anton war ſehr verdrießlih. Es ging ihm heute Alles ver- 
quer. Der Ghef des Haufes Hatte ihm ein paar unfreundlice 


Worte gefagt, die eigentlih ihm ſelbſt gar nicht galten, fondern 
die ganz einfache Folge eines Gefpräches waren, das Herr Het- 
benfret in Affecuranz-Angelegenheiten gehabt hatte und das, aller 
MWahrfcheinlichkeit nah, einen Argerlihen Prozeß nah fih zog. 
Unangenehmer noch berührte e8 den Gorrefpondenten, daß er ver= 
gebens nad der, feiner Anfiht nah, gelungeniten Federzeichnung 
fjuchte, die er von Eltjabeth entworfen. Er wußte ganz beflimmt, 
dies allerliebſte Gonterfei lag in feiner Schreibmappe, bie er Tags 
vorher eigenhändig In fein Pult verfchloffen Hatte. Und jept war 
ed fort, verfchwunden! Wie ging dies zu? Gab es Nachſchlüſſel 
zu feinem Pult? Lebte man im Gomptoir des reichen Rheders 
unter Dieben? Er hätte fluhen und fhimpfen mögen, um nur 
bie Galle los zu werben, aber das war nit Ufance Es blieb 
demnach nichts übrig, ald den Aerger ftill hinunterzuſchlucken und 
fi entſchloſſen in die Arbeit zu flürzen. 

Das that nun auch Anton, aber freilich mit Widerftreben 
und alle Augenblicke eine nochmalige Unterfuhung ber Mappe 
vornehmend. Dann fhielte er hinüber nah Treufreund’s Plage, 
denn er traute dem „Schatten” ſchon lange nicht mehr und hatte ihn 
ftarf in Verdacht unbefugter Zuträgerei, Direct zur Rede ſetzen 
konnte er ihn allerdings nicht, da gar feine Beweiſe vorlagen. 
Auch ſah der gute Alte fo fromm und unſchuldig aus, daß der 
einer Sünde ſich fehuldig machen fonnte, der ed wagte, ihn einer 
Unredlichkeit zu bezüchtigen. Dennoch fegte fih in dem argwöhni⸗ 
fhen Anton die Meinung fell, Niemand ald Treufreund könne das 
wohl getroffene Portrait Eliſabeth's haben. 

Der alte Narr tft verliebt bis über die Ohren, fagte er, und 
Alter fügt ja vor Thorheit nicht. Ein Glück nur, daß er nidt 
gefährlich werden kann. In fofern darf man fich beruhigen. Ich 
muß aber doch willen, ob es einen Schlüffel im Comptoir gibt, 
ber mehr als ein Pult öffnet. Heute um bie Börfenzeit werde 
ich mir etwas zu fhaffen machen, um das in Erfahrung zu bringen. 

Der Briefträger trat ein und brachte einige Briefe von ber 
Stadtpofl. Einer derfelben war an Anton adrefjirt, weil biefer 


— 438 — 


aber keine Stimmung hatte, einen Brief zu leſen, deſſen Schreiber 
ihn die Handſchrift ſchon errathen ließ, legte er ihn vorerſt bei 
Seite und vertiefte ſich, um feinen Aerger zu verſcheuchen, in an— 
genehmere Gedanken. Anlaß dazu gaben einige glücklich verlebte 
Stunden während bes Feſtes, wo ihm wie allen Mitarbeitern bie 
Ehre zu Theil geworden war, mit ber Familie Heibenfrei ein 
paarmal zu fpeifen, einmal Mittags und einmal Abende. Aud 
ber Neujahrstag ſtand rofenroth glänzend in feiner Erinnerung. 
Er Hatte an bemfelden Momente erlebt, die man nicht blos glüd- 
lid, die man groß nennen fonnte, und ohne das abhanden ge- 
kommene Portrait der reizenden Elifabeth würde Anton heute mehr 
als im gewöhnlichen Sinne glücklich gewefen fein. 

Haben Ste nit aud fo eben einen Brief erhalten? fragte 
jet den flarr vor fich Hinfehenden Anton der Buchhalter, ein noch 
junger Mann reicher Herkunft, der von Zeit zu Zeit fih fehr gern 
einem raſchen Lebensgenuffe bingab. 

Ja, warum? verjehte Anton mürriſch. 

Ich möchte willen, was Julius und Beiden an ein und dem: 
ſelben Tage zu fihreiben hat? 

Was theilt er Ihnen mit? 

Leſen Sie erit Ihe Billet, dann wollen wir gegenfeltig ung 
über den Inhalt beider ausfprechen. 

Anton riß das Gouvert auf und durchflog die offenbar flüch- 
tig hingeworfenen Zeilen. 

Er iſt nicht vecht klug, ſprach er, eine halb Tächerliche Miene 
ziebend. Welche Einfälle! Er findet Feine zehn Theilnehmer! 

Ste find alſo auch eingeladen? fagte der Buchhalter. Gr- 
lauben Sie? 

Wenn mein fpaßhafter Freund Ihnen diefelben Vorſchläge 
oder Anträge macht, wie mir, fo müflen Ste entweder fröhlicheren 
Herzens und leichteren Sinnes oder reicher an Mitteln fein, alg 
ih, falls Ste zufagen. Noch glaub’ ich es nicht. 

Bitte, ftellen Ste ſich doch nicht wie ein Pietiſt an! erwiderte 
ber Buchhalter, Mir find weder blind, noch taub und wiſſen fehr 








— 439 — 


gut, was Sie veranlaßt, ſeit nunmehr ſchon längerer Zeit ſo ehr⸗ 
bar zu thun, als wären Sie neuerdings Kirchen-Jurat geworden, 
Warum ſoll denn Julius ſcherzen? 

Weil ich es thöricht, übermüthig, ja halb verrückt finde, für 
Ueberladung des Magens ſo viel Geld auszugeben. 

Der Buchhalter lachte, indem er erwiderte: 

Da fieht man's, die Liebe macht, wenn nicht blind, doch min⸗ 
deſtens kurzſichtig. Wo ſteht es denn gefhrieben, daß es gerate 
ihm fo viel Geld koſten wird? Ich Iefe da nur etwas von einem 
ausgefucht feinen Diner, wobei fih das Couvert, inclufive des 
Weines und fonftiger Unterhaltungen während der Tafel, auf hun⸗ 
bert hamburger Thaler ftellen wird. 

Irgend Jemand muß diefe lukulliſche Verſchwendung doch bes 
zahlen, entgegnete Anton. Wen anders aber als die Theilnehmer 
wird man dazu anhalten? Oder meinen Gie etwa, es liefen bei 
und Thoren herum, die ihren Ueberfluß an Elingender Münze 
niht auf angenehmere, viel unterhaltendere Weife los zu werben 
müßten? 

Das iſt Geſchmacksſache, erwiderte der Buchhalter. Ich, mei⸗ 
nes Theils, finde es ganz lobenswerth, daß man im Leben, ſo lange 
man jung iſt und Freude am Genuſſe findet, Alles probiert. Warum 
ſoll ich nicht auch einmal königlich zu Mittag eſſen? Es gibt Leute 
genug, die in einer Viertelſtunde mehr verſpielen, als wir. hier 
verprafjen wollen. 

Verpraſſen, verfhlemmen, das iſt's, fiel Anton ein. Wir wer- 
den verrufen im In» und Auslande mit unfern Praffereien. Eſſen 
und immer efjen, das, behaupten Viele, fet unfere Looſung; vecht 
gut, vet viel und recht theuer effen, fet unfer allerzallerhöchites 
Vergnügen. Und doch iſt es nicht wahr. Wir haben, follte ich 
‚meinen, auch für Beſſeres und Edleres Sinn, als für Eſſen und 
Trinken. 

Lieber Gott, werden Sie nur nicht hitzig, Ste Tugend-Aus⸗ 
hund, verjegte der Buchhalter. Meinetwegen leben Sie in Zus 
funft nur von Wafler und ſchmachtenden Bliden, was mich betrifft, 


U 


— 440 — 


ih will noch eine Zeitlang als Gulturmenfh der Gaben mid er- 
freuen, die und die Erde, die Gärtnerei und die geſchickten Hände 
begabter Köche mitleidig darreichen. 


Wann und wo foll denn der Trödel vor fih gehen? fragte 
Anton. Und wie mag Julius dazu fommen, ald Werber auf- 
zutreten ? 


Sechs Wochen, heißt es ja, braude man Zeit, um fi in 
den Beſitz aller der Raritäten zu feßen, die unfern Gaumen gebo— 
ten werden follen, erwiderte der Buchhalter. Seien Sie vernünf- 
tig, Anton, nehmen Ste Theil an dem Spaße und laſſen Sie ung 
noch heute Rückſprache mit Julius halten, um etwas Näheres über 
das große Unternehmen zu erfahren. Julius tjt ganz der Mann 
dazu, ein Junggefellen-Diner gefhmadvoll zu arrangiren. Hat er 
ganz freie Hand, fo dürfen alle Theilnehmende fich gratulieren. 
Er ſetzt uns ganz gewiß feine Hausmannskoſt vor. Es wird Alles 
erquifit, den feiniten Küchen entlehnt, und ganz fuperbe zubereitet 
fein. Und daß nebenbei noch für eine erquidliche Augenweide ge= 
forgt werden fol, finde ich vollends charmant. Soll man den 
Genuß bei Tafel entbehren, zwifchen anmuthigen, jungen Damen 
zu fißen und mit ihnen heitere Scherzworte auszutaufchen, fo will 
ich wenigftens hinter der Tafel artige Ltebeslieder ſchmelzend vor— 
tragen oder ſchlank gewachfene Kinder in zterlichen Tänzen fi an— 
muthig und graziög bewegen ſehen. Ich liebe überall die Kunft 
und bleibe ein Verehrer des Schönen, fo lange es anftändig iſt. 

Anton zauderte noch und war unfchlüffig, ob er kurz ab Rein 
fagen oder einer Unterredung mit Jultus über dieſe wichtige An— 
gelegenheit beiwohnen follte. 


Wenn Ste fich feldft nicht zu rathen willen, ſprach der Buch— 
halter, will ih Herrn Treufreund rufen. Er fchtelt ohnehin ſchon 
ganz verdrießlih um die Ede. 


Anton reichte dem Buchhalter die Hand. 
Schreiben Ste an Julius, ſprach er, und melden Sie ihm, 
daß ich heute Abend bei ihm den Thee mit Ihnen nehmen wolle, 


. 





— 441 — 


Geben Ste Acht, außer Thee gibt es auch noch die ſchönſten Auftern 
und zweierlei Champagner. 

Finde ih ganz dem Thema des Geſprächs angemeflen, dem. 
wir ein paar Stunden opfern wollen, verfehte der Buchhalter. 
Man begeiftert fih nur zu einer geiftreihen Gonverfation über 
gute Kühe bei dem Genufle trefflich zubereiteter Speifen, feiner 
Delicateflen und edler Weine. 

Es iſt gut, fagte Anton. Ich will mir die Tollheit wenig- 
ſtens plaufibel vortragen und anpreifen laſſen. Jetzt aber wollen 
wir abbrehen. Here Heidenfrei rüdt feinen Stuhl und flempelt 
feine Briefe. Er wird fogleih die Runde mahen und Sie fen- 
nen feine Liebhabereien und feine Antipathieen. Alſo — heut’ 
Abend beim Thee! 

Der Buchhalter nidte und verfügte fih wieder an fein Pult. 
Bald darauf machte Herr Heidenfrei einen jener Inſpectionsgänge 
durh das Comptoir, die Jedermann kannte und die falt immer 
genau zu ein und derfelben Minute ihren Anfang nahmen. Nach 
Beendigung des vormittäglichen Ganges pflegte der Rheder zu früh: 
ftüfen und dann die Börfe zu beſuchen. Während einer Stunde 
blieb in diefer Zeit das Gomptoir meiftentheils gefchloffen oder es 
bielt fi) nur einer der Burfchen oder Hausfnechte darin auf. Solch 
ein Späher war leicht zu entfernen, und deshalb Hatte Anton fid 
vorgenommen, gerade in biefer ihm günftigen Paufe einige Schlüf- 
fel an feinem Pult zu erproben, die ein paar im Comptoir be- 
findlihe Schränke erfchloffen. 

Zu feinem größten Verdruſſe aber bedeutete Herr Hetdenfrei 
ſchon jetzt dem Correſpondenten, er wünſche vor der Börſe noch 
einige Worte mit ihm zu ſprechen, und damit ſie ungeſtört blieben, 
erſuchte er ihn, nach dem Fortgange der übrigen Herren ſeine 
Rückkunft im Comptoir abzuwarten. 

Eine derartige Bitte war ein Befehl, dem Folge geleiſtet 
werden mußte. Anton ſtammelte daher ziemlich unverſtändlich, 
daß er es ſich ſehr zur Ehre ſchätze, den Herrn Prinzipal erwar⸗ 
ten zu dürfen. 


— 44) — 


Der Teufel tft 108 oder ich bin behert, brummte er. ganz 
tefperat. Alles geht fchief und krumm. Die Federn fprigeln, 
das Papter ift rauf, man ſchickt mir tolle Briefe zu, und nun 
will der Alte auch noch zum Meberfluffe vertraulich werden, damit 
ih ja nicht im Stande bin, belehrende Unterfuchungen über die 
Kunft, englifhe Schlöffer ungefehen zu Öffnen und andern ihr 
wohlerworbenes Eigentum zu entfremden, anftellen zu können. 

Mit -fteigendem Aerger fah der Gorrefpondent einen feiner 
Sollegen nah dem andern um die gewohnte Zelt das Comptoir 
verlaffen. Um ſich keine Blöße zu geben, ftellte er fih ungemein 
ſtark bejchäftigt und ſchrieb noch eifrig fort, während alle Webrigen 
fhon ihre Hüte aufgeftülpt Hatten. Endlich war er allein. Er 
holte tief Athem und ſah fih mit einer Mifhung von Neugierde 
und Malice in den Räumen um, wo er augenblidiih fi als 
Alleinherrfcher fühlte. Schon wollte er mit den Schlüffeln, die 
ihm in die Augen flachen, einen Verfuh madhen, als er den 
ihlürfenden Tritt des Prinzipald auf der Diele hörte. Er blich 
beshalb finnend und nadläffig an fein Pult gelehnt fliehen und 
erwartete deſſen Eintritt. 

Es ift fuperbe von Ihnen, junger Mann, ſprach Heidenfret, 
feinen bequemen Comptoirſtuhl einnehmend und fein Pult auf: 
ſchließend, daß Ste meiner Weifung fo pünftlih Folge leiſten. 
Was th mit Ihnen zu fprehen habe, liegt ganz außerhalb ber 
Beihäftsiphäre, dennoch greift es mittelbar in diefelbe ein. Ich 
bemerfe nämlich feit einiger Zeit, daß Sie neben Ihrer Thätigfeit 
ale Handelscorrefpondent fih auch andern Lieblingsbefchäftigungen 
hingeben. Ich will das nun nicht gerade ſchlechthin tadeln, denn 
die meilten Menfchen Haben ihr Steckenpferd, bitten aber möchte 
ih Sie doch, der Nebenbefchäftigung nicht zu viel Zeit zu opfern 
und vor Allem fie etwas mehr im Stillen zu betreiben. Gie 
find ein Freund und Verehrer der fchönen Künſte, nicht wahr ? 

Anton Stand nicht blos auf Kohlen, es kam ihm vor, als 
flüge ein ganzes Meer von Flammen über ihm zufammen, und 
es verging ihm in der erflidenden Gluthatmosphäre buchſtäblich 


— 443 — 


Hören und Sehen. Er antwortete etwas, aber er wußte im Augen- 
blide nicht, was er fprad, da er feines Gedankens mächtig war. 


Ruhig und freundlich wie zuvor fuhr Heidenfrei fort: Bes 
fonders lieb fcheint Ihnen die Malerei zu fein und wirklih haben . 
Sie, wie mih dünkt, ein ganz ſchätzenswerthes Talent für die 
Bortrattmalerei. Sie treffen fuperbe, mein’ id. 


Heidenfrei öffnete fein Pult und langte aus demfelben eine 
Mappe hervor. 


Wenn diefe Wederzeihnung, wie ih vermuthe, Ihnen ihre 
Entftehung verdankt, ſprach er weiter, ein Blatt feines Papier der 
Mappe entnehmend, ſo muß ich Sie wirklich loben, und Ihnen 
wohl verdiente Schmeicheleien Ihres Talentes wegen ſagen. Die 
Stirn meiner Tochter, die Art, den Kopf zu tragen, ihre Locken — 
das Alles iſt Ihnen ganz ſuperbe gelungen. Aber ich bitte Sie 
dringend, junger Mann, zeichnen Ste nicht zu piel und beſonders un- 
terlaffen fie fünftighin die Kederproben auf Ihren Bapteren. Auch folfte 
man mit einer wohlgeratbenen Arbeit behutfamer umgehen, als 
Sie es thun. Es zeigt von wenig Achtung, mein Freund, eine 
junge Dame erft zu portraitiren und dann ihr Portrait nachläffig 
auf die Diele zu werfen. Ein Glück, daß ich es fand, und nicht 
ein Anderer. Das würde Ihnen böfe Tage bereitet haben! Hier, 
junger Herr, ftelle ih Ihnen Ihr Eigentum wieder zu. Bewah— 
ren Sie es künftighin forgfältiger, lafien Sie aber nunmehr das 
fernere Abmalen ein und deſſelben Gegenftandes bleiben, wenn id 
bitten darf. Es bildet ein Talent fih in ber Stille, fagt unfer 
Goethe, und ich glaube dies, Talent aber hat man doch erft dann, 
namentlih als Dilettant in der Kunft des Portraitmaleng, wenn 
man die Köpfe und Büſten verfhtedener Perfonen trifft. Ich em- 
pfehle Ihnen der Uehung wegen fish jebt an die Portraits meines 
Schwagers und Herrn Treufreund’8 zu wagen. Das find ein paar 
juperbe Köpfe, die jedem Maler von Kalent In die Augen fallen 
müffen. Meinen Sie nit? 

Anton hielt dag Portrait Eliſabeth's in der Hand und beant⸗ 





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wortete die letzte Frage des Rheders nur mit einem Blick, der eben 
ſo gut Alles, wie gar nichts ſagen konnte. 

Da Ihnen meine Tochter ſicherlich nicht geſeſſen hat, fuhr 
Heidenfrei fort, verdient Ihre glückliche Auffaſſungsgabe doppeltes 
Lob. Sie würden ſich im Nothfalle als Portraitmaler, glaub' 
ich, durch die Welt ſchlagen können. Dennoch rath' ich, der 
Kunſt nicht mit Leidenſchaft ſich hinzugeben. Sie pflegt launen— 
haft und wie alle verlockende Schönheiten, treulos und unzuver— 
läſſig zu ſein. Ein tüchtiger, ſolider, fleißiger Correſpondent, 
der ſeine fünf Sinne immer beiſammen hat und nebenbei ſeine 
Handſchrift nicht vernachläſſigt, iſt unter allen Umſtänden beſſer 
daran, als der Künſtler, welcher buch die Kunſt fein Brod ver— 
dienen ſoll. Uebrigens, junger Mann, können Sie von mir 
überzeugt ſein, daß ich reinen Mund halten werde. Mancher 
Andere wäre nicht fo discret. Guten Morgen! 

Der Rheder drehte raſch den Schlüfjel feines Pultes um, 
ftedte ihn zu fih, fand auf und ging nah der Thür. Hier 
zeigte er dem zurüdbleibenden Anton nochmals fein intelligentes 
Gefiht mit den großen, hellen Augen, neigte ein wenig den 
Kopf und ging hinaus. Anton fhien ed, als Habe SHeidenfret 
warnend den Finger gegen ihn erhoben, als er die Thür ins 
Schloß drückte. 

Der Zurüdbleibende betrachtete einige Minuten ſprachlos die 
Thür und das Pult, wo der Rheder gejeilen hatte, dann warf 
er einen flüchtigen Blick auf das Portrait und legte es behutſam 
in fein Taſchenbuch. Darauf fuhr er fih mit der Hand durch's 
Haar, Daß es fich genial aufrichtete, indem er ausrief: 

Ein verzweifelt delicater Handel! — Was nun maden! — 
Der Alte ſieht mehr, als er fi merken läßt, aber der Teufel 
werde Mug aus feinen Gedanken, die er fo gefehlt, wie ein 
Mädchen ihre wahren Gefühle, zu verfleden weiß! O, ih Gim⸗ 
pel, ih Dompfaffe, ich dreimal dummer, blinder Heffe ! 

Er ſchlug fih in komiſchem Aerger vor den Kopf, ftülpte 
ben feinen Caſtorhut ſchief auf den Kopf, zog die goldene Uhr 








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und ließ fie vepetiren. Dann warf er nochmals einen langen 
Did auf die bemalten Papterränder, riß fie zähneknirſchend ab 
und verließ endlid mit dem halblauten Stoßfeufzer: „Mien Mober 
fann ſwemmen!“ das Comptoir. 


Bwölftes Kapitel. 


Vor dem Sturme. 


Die See ging hoch. Capitän Ohlſen ſaß vor ſeinem Jour⸗ 
nal und notirte die Abtfrift des Schiffes ſeit den letzten zwölf 
Stunden. Die Bark „Marte Elifabeth”, von Melbourne fommend 
und nach Hamburg beftimmt, fegelte ſechs bis fieben Knoten in der 
Stunde. Sie befand fih Im Eingange des Kanals, hatte ungün= 
ftigen aber ftarfen Wind, und mußte wiederholt über Stag gehen. 
Als der Capitän die Breite berechnet und fein Journal in Ord— 
nung gebracht hatte, Tieß er von dem Schiffsvolk ein zweites Reef 
in die Marsfegel fchlagen, die Bram-Raaen nieder, das große 
Segel und das Kreuzfegel einnehmen. Es war Mitte Yebruar 
1825. Das Schiff hatte eine glüdliche Reife gemacht und faft 
immer guten Wind gehabt. Erſt auf der Höhe vom Gap Xinis- 
terre änderte fi) das Wetter, die Luft ward unruhig, der Himmel 
umzog fi mit ſchwerem Gewölk, der Wind Lief Häufig um und 
das Schiff trieb vielmals ab. Kapitän Ohlfen beobachtete fehr 
genau, traf alle Vorkehrungen für einen bevorſtehenden Sturm und 
führte fein Schiffs-Journal mit der peinlichiten Gewiſſenhaftigkeit. 

Es gibt Sturm, Capitän, fagte Steuermann Paul, als ſämmt⸗ 
lihe Bramfegel eingezogen und die Stengen eingenommen worden 
waren. Die Böden häufen fih, der Seegang wird immer höher. 

Alle Anzeichen deuten auf Sturm, verjeßte der Gapitän, ich 
denke aber doch, wir paffiren, ehe er losbricht, den Kanal. Im 
der Nordjee halten wir ihn dann wohl aus. 


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Die Dermuthungen des erfahrenen Seemannes beftätigten ſich 
vollfommen. Das Schiff hatte häufige, harte Windſtöße auszuhal- 
ten, denen dann wieder milderes Wehen, verbunden mit hohem 
Seegange, folgte. Die Mannfhaft mußte hart arbeiten, blieb aber 
vor jedem Unfalle beſchützt. Die Bart machte Teine Havarte und 
erreichte nad “fünf Tagen glüllich die Mündung des Kanals. In 
ber Nordfee aber trat fchon nah zwölf Stunden bet dider Luft 
ein fteifer Wind ein, der abwechfelnd aus Welt, Südweſtſüd, Welt- 
ſüdweſt und Nordweit wehte, und in einer Entfernung von vierzig 
Seemeilen von der Inſel Helgoland plöglih in einen vollen Welt- 
fturm überging, welcher Die Bart wett abtrieb in der Richtung nad 
der Küfte Jütlands. Nah beinahe vierundzwanzigſtündigem Wehen 
ding der Wind mehr nördlich, ließ zur Fluthzett nach, wuchs wäh— 
vend der Ebbe von Neuem und ging zur nächften Fluth in einen 
wilden Orkan über. Nur. der großen Umfiht Capitän Ohlſen's, 
ber fräftigen Führung des Steuerd und der Aufopferung und 
Ausdauer fammtlicher Mannfchaft verbanfte das ſchwer gefährdete 
Schiff feine Rettung. Es verlor jedod in dieſem böfen Wetter 
mehrere Segel, zwei Mann wurden von Sturzfeen über Borb ge- 
fpült, und im Augenblif der äußerſten Bedrängniß fah der Ca— 
pitän fih fogar genöthigt, reinen Theil der Ladung über Bord wer- 
fen zu laflen. | 

‚Während dies auf der See gefhah, trug fih In dem Kreiſe 
unferer Zreunde ebenfalls mancherlei Wichtiges zu. Die Eolont- 
fattorispläne Hohenfels’ waren In fo weit geordnet und der prak— 
tiſchen Ausführung um ein Beträdtliches näher gebracht worden, 
als fie für eine ganz ausgetragene Idee gelten Eonnten. Man 
wartete nur anf befieres Wetter, um ohne Säumen die Reife nad 
Skid⸗Amerika anzutreten und das gedanklich Fertige in die Welt 
des Sichtbaren treten zu laflen. Eine der liebſten Gedanfenfeelen 
bes hochſtrebenden Auguſtin Hohenfels follte die edel geformtefte 

körperliche Hülle erhalten. 
| Aus früderen Mittheilungen wiffen wir, daß Hohenfels ſehr 
enge Verbindungen mit bedeutenden Handelshäufern theils Amfter- 








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dam’s, theils Bremen's angefnüpft hatte. Urfprünglih war dies 
zur Sicherung des Haufes Hetdenfrei gefchehen, da aber die Mit⸗ 
tel deffelben ſich vollfommen ausreichend erwiefen, benußte Hohens 
feld den ihm gewährten Credit zur Verwirklichung feiner eigenen, 
ihm ohnehin viel höher ſtehenden Pläne. Es bedurfte jegt nur 
noch einer lebten perſönlichen Rückſprache mit verfchiedenen einfluß⸗ 
reihen Männern, deren Stimme auch jenſeits bes atlantiſchen Mees 
res galt, und deshalb reifte Hohenfels, von Eduard begleitet, in 
der zweiten Woche des Februar genannten Jahres nach Bremen, 
damit hier ein letzter Abſchluß raſch erzielt werben möge. inige 
Tage fpäter — fo hatte man verabredet — follte Miguel dem 
Bater folgen, denn da feine Itegenden Gründe auf Cuba, die der 
verftorbene Plantagenbefiger Saldanha ihm vererbt hatte, die Haupt- 
flüge des Credites bildeten, deſſen fein Vater ſich jegt erfreute, fo 
mußte der felbfiftändige junge Mann nothwendig bei der Abwi⸗ 
delung der ziemlich weitläufigen Angelegenheiten mit zugegen fein. 

Die Leſer erinnern ſich ferner, daß Don Alonfo Gomez fei- 
nen Wohnfip abermals in die Nähe des an Zerflreuungen ver- 
ſchiedenſter Art fo reihen Hamburg verlegt hatte. Seine Woh⸗ 
nung war nicht glänzend, aber nett, fie lag freundlich, hatte Die 
volle Ausfiht auf den Strom und bot, wenn er zu Haufe fid 
aufhielt, was nicht gar häufig gefhah, genug Zerftreuung für 
einen Mann, deffen ganzes Sinnen und Trachten nur auf Mans 
nigfaltigfett des MBergnügend, auf Abwechfelung im Genufle ge—⸗ 
richtet war. 

Im Befite beträcgtliher Summen fümmerte fi der leichte 
blütige Merilaner um die Zukunft eben fo wenig, als um bie 
Vergangenheit. Seine mißglüdten Pläne Iodten nur vorüberge⸗ 
hend einen Schatten des Mifvergnügens auf feine Stien, ben er 
ſehr bald wieder verſcheuchte. Wozu fih auch um Berlorenes, um 
faft Vergeffenes noch quälen! Gin Mann von Energie, von frie 
ſcher Spannfraft des Geiſtes ringt und firebt nach etwas Neuem, 
vorzüglich nad etwas Beflerem, wenn das Ziel eines ernften Un— 
ternehmens ibm verloren ging. Der Verluſt macht ihn nicht änpfte 


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lich und träge, fondern regt ihn vielmehr an und gibt ihm grö⸗ 
fere Spannkraft. Don Alonfo Gomez mollte deshalb das Leben 
von einer neuen Seite, die er bisher nur leiſe geftreift hatte, 
jegt ganz ernithaft faſſen. Abhängig, gebunden modte er nicht 
wieder fein. Behagte ihm ein engeres Band, fo ließ fich ein fol 
ches, meinte er, zu jeder Stunde beliebig anknüpfen. 

„ Bigsher war Don Gomez in allen feinen Genüſſen gewiſſerma⸗ 
fen als Gentleman aufgetreten. Er war ftets wähleriſch, fehr 
ſchwer zu befriedigen und dabei erclufiv egoiſtiſch. Das langweilte 
ihn ſchon ſeit Monaten, und deshalb entihloß er fih, eine Zeit- 
lang den Mäcen Anderer zu fpielen, eine fürftlihe Großmuth zur 
Schau zu tragen und ed an Glanz und Freigebigfeit wo möglid 
einem indijhen Nabob glei zu thun. 

Verſchwender finden immer Genoffen, ſei's für feine, noble 
Vergnügungen, ſei's für grobe Genüſſe. Gold Iodt, Schimmer 
verführt, und verbinden ſich beide mit Gleganz, mit vornehmen 
Geſchmack, fo berrihen fie über Viele oder, was bafjelbe tft, Viele 
laſſen fi ohne Widerftreben von ihnen beherrſchen. 

Es konnte dem Mexikaner nicht fehwer werden, binnen went- 
gen Wochen einen ganzen Schwarm Verehrer um fih zu fammeln, 
die bei Lichte betrachtet ganz diefelbe Stelle einnahmen, wie bei 
den alten Römern die Speicdhelleder und Schmeidhler der Bor: 
nehmen. Die WMeiften Tachten über bie tolle Verwendung bes 
reihen Fremdlings, der ein eigenthümlihes Vergnügen darin fand, 
fi) in das Incognito eines indiſchen Fürften zu hüllen und das— 
felbe beizubehalten, obwohl cher die Maske auf ten eriten Blid 
durchfchaute und den hinlänglih bekannt gewordenen Mexikaner 
fofort wieder erkannte. Nur einzelne fehr reiche Lebemänner, die 
es vorzogen, ledigen Standes zu bleiben, fhloffen fih dem Schwarme 
meiſtentheils jüngerer, ebenfalls unverheiratheter Männer an, welche 
großentheild mit Don Alonfo Gomez tafelten und den fehr Luftt- 
gen und höchſt zufriedenen Hofftaat deffelben bildeten. 

Um mit diefen auserwählten Söhnen des Glückes recht häufig 
verkehren und ganz ungenirt fi des Lebens erfreuen zu können, 





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miethete der Mertlaner ein trefflih eingerichtetes Landhaus fehr 
nahe bet der Stadt, das etwas einfam lag, die Ausfiht auf den 
Strom hatte und, da es tn einem abgefchloffenen Garten ſich be⸗ 
fand, gegen jeden Zudringlichen abgefchloffen werben konnte. Hier⸗ 
her verfügte fih Don Alonfo Gomez, je nachdem ed ihm bequem 
war, bald zu Wagen, bald zu Pferde, da er fi ein gutes Reit- 
pferd und außerdem einen eleganten, von zwei kleinen eſthländi— 
fhen Pferden gezogenen Wagen angefchafft Hatte. Selten verging 
eine Woche ohne mehrmalige Schmauferei im Haufe des. angebli« 
hen Nabobs; ein et folgte dem andern und überbot bas andere. 
Diefen Feten fehlte nur der Schmudf jedes wahren und fihönen 
gefelligen Vergnügens, nämlich die Gegenwart anmuthiger, gebtlde- 
ter Frauen. Don Gomez konnte, ungeachtet er das Gold um fih 
heritreute, als befiße er, unerſchöpfliche Bergwerke dieſes edeln Me— 
talles, doch nur Junggeſellenfeſte geben. Aber man amüſirte ſich, 
er ſelbſt befand ſich wohl in den immer neu ſich geſtaltenden For⸗ 
men des begonnenen Lebens, und ſehnte ſich vorerſt nicht nad ei— 
nem luſtigeren, ſeinem Geſchmack mehr zuſagenderen. 

Verwandte Seelen finden ſich immer und überall, Der ver- 
gnügungsfüdtige Merifaner ermittelte daher fehr bald jüngere und 
ältere Herren, die entweder feine LXebensanfichten vollkommen theil- 
ten oder fih aus eigennüßigen Beweggrünbden denfelben accommo= 
dirten. Die Zahl feiner Verehrer wuchs von Woche zu Woche, 
und da Alle nur das Vergnügen, die Freude als Lebenszweck be- 
tradhteten, jo konnte e8 nicht an DVorfchlägen fehlen, diefe Freuden 
möglichſt mannichfach zu geſtalten und ihnen die ſchillerndſte Hülle 
überzuwerfen. 

Zu den früheſten Genoſen des angeblichen Nabobs gehörte 
auch Anton’s Freund Julius. Diefen Lebemann unterhielt bie 
Tollheit des Merifaners mehr noch, als feine trefflich beſetzte Ta- 
fel ihm behagte. Den Tafelfreuden mit Letdenfchaft ergeben, ge⸗ 
noß Julius diefe do nie tm Uebermaß. Er war unter den 
Gourmands ein feiner Aefthetifer, und wenn je ein Menfch An- 


ſpruch Hatte auf den Namen eines Feinſchmeckers, eines Künftlers 
D. 2. XI, Willlonm’s Rheder und Matrofe. 29 





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im Genuffe matertelliter Lebensgüter, fo kam dieſer dem appetit- 
reihen Julius zu. 


Don Alonfo Gomez mußte fich zur Acquifitton dieſes alle Küchen 
der Welt genau durchmuſternden Eßgenies gratultren, denn ſtets war 
es Zultus, der neue Gerichte in Vorſchlag brachte, und der wohl 
felbft einmal Hand anlegte oder dem Koche doch gute Rathſchläge 
gab. Seinen gaftronomifchen Studten verdankten Don Gomez und 
feine Freunde mande ſeltene Schüffel, die früher Keiner gekannt 


hatte und die nun doch Allen trefflih munbete, 


Don Julius ging denn auch die während eines trefflichen 
Mahles entitandene Idee aus, gelegentlich unter Freunden ein Di⸗ 
ner zu arrangiven, wie ed nur in ähnlicher Weife die Römer zur 
Zeit ihrer größten politifchen Macht und auf dem Gipfel feinfter 
Cultur kannten. ‚Diefer Gedanke fand allgemeinen Beifall, nur 
war er leider nicht in der Weife ausführbar, wie Zultus es wünfchte. 
Die Acht römiſchen Schüffeln ließen ſich kaum bereiten, da zu biefen 
im germanifchen Norden großentheild die erforberlihen Zuthaten 
fehlten. Auch hätte man, um etwa das Gaftmahl nachzuahmen, 
das Lucullus feinem Freunde Cicero gab, die römifhe Sitte, bei 
Tafel liegend die Spetfen zu genießen, beibehalten müffen. Dazu 
gehörte ein eigens eingerichtetes Mobiltar, man bedurfte ferner 
dazu antifer Kleidung, Rofenfränge und anderer Dinge Dies 
Alles zufammen in gediegenfter Weiſe herbeizufchaffen, würde un- 
geheure Eummen erfordert haben, bie zu opfern felbft Don Go— 
mez Anjtand nahm. 


Sultus fand aber bald einen Mittelweg, dem Alle ihren Bei- 
fall gaben. Er ſchlug vor, ein Gaftmahl zu geben, bei welchem 
bie feinften, koſtbarſten und feltenften Schüffeln aus din Küchen 
verfchtebener Nationen und verfchtedener Zeiten vorhanden fein ſoll⸗ 
ten. Die Zahl der Gänge feßte man auf einige zwanzig fefl. 
Wie viele und weldhe Sorten Weine man genießen wollte, ließ 
man unbeflimmt. Man kam nur überein, von allen habhaft zu 
werdenden Weinen blos die feinften und theuerften angufcheffen, 











451 — 


damtt dann jeder Mitgenießende nach Belieben und Geſchmack ſelbſt 
eine Auswahl treffen Eönne. 

Don Alonfo Gomez war ganz entzüdt über diefen Vorfchlag. 
Er verlangte, man folle die Sache fehr reiflih überlegen, um nichts 
Uebereiltes zu thun, und damit der Genuß ein recht eigenthümli= 
cher werde, verfprach er Alles aufzubieten, um eine Truppe [pani» 
her Zänzerinnen, die zugleih Meifterinnen auf der Guitarre 
feten, herbeizufhaffen. Die Zreunde waren auch damit zufrieden, 
und fo fegte man einen Zeitraum von anderthalb Monaten feit, 
um dies eigenthümliche Mahl würdig vorzubereiten und glänzend 
auszuſtatten. 

Die Koſten waren dem Voranſchlage nach ganz enorm, das 
aber hinderte die übermüthigen Genüßlinge nicht an der Ausfüh— 
rung. Man kam überein, daß jeder Einzelne, welcher daran Theil 
nehmen werde, nur eine runde Summe von dreihundert Mark 
beiſteuern ſolle, den Reſt verſprach Don Gomez großmüthig zu 
decken. Gäſte, die man dazu einladen wollte, ſollten frei gehalten 
werden. Denn war es auch Abſicht, dieſe außergewöhnliche Schwel⸗ 
gerei ganz in der Stille recht gemüthlich durchzugenießen, ſo hatte 
man doch nebenbei nichts dagegen, wenn einige dunkle Gerüchte 
darüber ſich im Publikum verbreiteten. Und dieſe konnten nur 
von ſolchen ausgehen, welche, Zeugen bes Feſtes geweſen waren, 
ohne deſſen Koſten zu theilen. 

Da man Julius den meiſten Takt zutraute, fo erhielt dieſer 
ben Auftrag, die zu ladenden Gäſte auszuwählen und biefelben 
perfönlich oder brieflich einzuladen. Es warb aber feitgefeßt, daß 
biefe Einladungen ſehr zeitig erlaffen werden follten, damit nicht 
unndthige Ausgaben erwachfen möchten, wenn Einer oder der An- 
dere fpäter beim göttlihen Mahle ausbliebe. Wer Theil daran 
nehmen wollte, mußte feſt zufagen und dieſe Zufage fhriftlih an 
Julius gelangen laſſen. 

Dieſer nun glaubte dem ſchelmiſchen Anton einen Gefallen 
zu erweiſen, wenn er ihn ebenfalls einlade. Er zögerte alſo nicht 
und ſchrieb ſowohl an dieſen wie an deſſen Collegen, den ihm be— 

29* 








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freundeten jungen Buchhalter. Es überrafchte den fröhlichen Lebe- 
mann, daß Anton nicht zu überreden war, dem ausgefuchteften 
Schmaufe, an welchem jemals deutfche Zungen ſich gelekt, beizu- 
wohnen. Anton Tief fi aber durchaus nicht beſtimmen, obwohl 
er mit dem Grunde feiner Weigerung zurückhielt. Auf wieder: 
holtes Drängen fagte er nur: Ich habe feinen andern, als eine 
ganz entfchtedene Abneigung. Folgte ih Euch, gäbe ih Euerm 
Zureden nad, fo fürdtete ih Unrecht zu thun. Mir iſt's, als 
ahne mir Schlimmes, ald müfle mir, follte ich fo fchwelgerifch mit 
Euch fpeifen, ein ſchreckliches Unglüd paffiren. 

Gott bewahre! verfeßte darauf der muntere Julius. rei 
tft der Menfh und frei follen auch feine Genüffe bleiben. Iß 
du große Bohnen mit Speck — meines Onfels Lieblingsgericht 
und auch wirklich einem marſchländiſchen Magen fehr zuträglih — 
während wir uns an geröfteten Taubenzungen den Appetit ſchärfen 
wollen. 

Damit war die Sache erledigt. Der Buchhalter dagegen 
fagte zu, gab bie verlangte ſchriftliche Erklärung ab und erhielt 
drei Wochen fpäter eine höchſt fplendid gebrudte Karte, auf ber 
fein Name in Goldfchrift prangte und als Tag „des Mahles ber 
jungen Götter”, wie es hieß, der zwei und zwanzigftie Februar 
beftimmt war. 

Das tft ein böſes Omen, fprad Anton, als ihm der Bud- 
halter ‚die erhaltene Karte mit triumphirendem Lächeln zeigte. Wäre 
ih am zwei und zwanzigſten Februar geboren, ich glaube, ich hätte 
mid dann ſchon felbft erwürgt. 

Sind Site unflug? erwiderte der Buchhalter, Die Karte zu 
ſich ſteckend. Seit wann hängen Ste fih denn mit beiden Hän- 
ben an den Schnack alter abergläubifher Weiber ? 

Meine Mutter konnte den Tag nicht leiden, weil fie als ganz 
junge Frau mit dem Schlitten an demfelben umgeworfen ward. 
Aber ich denke, Ihre Frau Mutter kann fchwimmen ? 

Wollen Ste gleih — aber was geht ed mich an, verfehte 
ſcheinbar gleichgiltig Anton. Ste wollen nun einmal mit Gewalt 








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in Ihr Unglüd rennen. Alſo geben Sie immerhin, überladen Sie 
fi bei unfinniger Schwelgeret den Magen, friegen Ste Krämpfe, 
plaben Ste meinethalb, ich will gerade an dieſem vermalebeiten 
Tage nur Thee trinken und dazu nichts wetter als ein einfaches 
Hamburger Butterbrod genießen. Ha, wie will ih dann lachen, 
wenn Ste kaum noch taumeln und kriechen können, während td 
mit Leichtigkett fhmimme und durd die Lüfte fegle! Viel Glück 
und großen Hunger zum herrlichiten zwei und zwanzigſten Fe— 
bruar! 


Dreizehntes Rapitel. 


Das Mahl der jungen Götter. 


Heute Mittag oder In nächſter Nacht gibt es Hochmwafler, ſprach 
Jacob zu feiner Frau, die für ihre Tochter Leinwand abmaß. 
Ich glaube, wir thun gut, wenn wir bet Zeiten unfere Kartoffeln - 
aus dem Keller auf die Diele fchaffen. Sie find vergangenes 
Fahr fo vorzüglich gerathen, daß ich fie ungern Im Wafler ver- 
erben fehe. Aber was fpreche ich da für dummes Zeug, unter= 
brach er ſich. Du lahmſt ja und kannſt die Treppen ſchwer ftei- 
gen. Bleib’ fiten, Lieb’ Doris, und ſchneide frifh drauf [os in 
die prächtige Leinwand hinein. Herrn Hetdenfrei kommt es auf 
ein Stück mehr nicht an. Die feinfte aber Liefere ich noch nad. 
Es it Holländische ausgefuchte Waare, die Miguel felber beftellt 
hat. Kapitän van. Tolten bringt fie mit birect von Amfterdam, 
Seine Tjalk Tiegt fhon in Cuxhaven. Kommt vielleicht heute Nacht 
noch auf, wenn’s Wetter nicht zu bös wird, 

Das bezweifle ich, erwiderte die fleißig meſſende und zufchneis- 
dende Frau, Capitän van Tolten ift ein gar vorfihtiger Mann, 


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der ſich mit ſeinem Schiff nicht in Gefahr begibt. Weht es denn 
ſo ſehr ſtark? Ich hab's noch gar nicht bemerkt. 

Ste ſah hinaus nach dem Binnenhafen, wo wie immer zahl⸗ 
reiche Schuten, Ewer und andere kleine Fahrzeuge lagen und auf 
dem ſtark bewegten Waſſer tanzten. Der Himmel war dicht mit 
Wolken überzogen, die tief herabhingen, alle Thürme verhüllten 
und ſelbſt die höchſten Giebel der Häuſer ſtreiften. 

Der Wind iſt zu viel weſtlich, um ſich jetzt ſchon hörbar zu 
machen, verſetzte Jacob, aber gleichviel, Hochwaſſer gibt es doch, und 
darum will ich jetzt gleich ein Bischen im Hauſe aufpacken. Die 
beiden Knechte können mir helfen. 

Der Quartiersmann ſagte feiner Frau Adieu und war bald 
in voller Arbeit. Auch die Nachbarn trafen Anftalt, dem Ein- 
dringen bes Waflers diejenigen Gegenftände zu entrüden, die burd 
Näffe befchädigt werden konnten. Alle freilich waren nicht jo glüd- 
lich, dies möglih zu machen, denn überfiteg das Wafler die ges 
wöhnliche Fluthhöhe nur um einige Buß, fo drang es in die tief 
gelegenen Wohnteller und umſpülte Braudbares und Unbraudyba= 
red. Weil aber Jedermann an foldhe Galamitäten gewöhnt war 
und weil fie fih häufig wiederholten, fügten fih die Meiſten 
mit Refignation in das Unabwendbare und fudten nur bie beffe- 
ren Geräthe und werthuolleren Gegenftände ihrer Wohnungen für 
bie Dauer der Hochfluth bei glüdlicher Logirenden Freunden und 
Belannten unterzubringen. _ 

Treufreund ftand auf der Laube und biidte hinab auf ben 
Fleeth, wo Jacob fo eben mit feiner Schute anlegte. 

Wird die Fluth hochſteigen? fragte er den Quartiersmann. 
Falls fie mehr als dreizehn Fuß erreicht, mußt du fogleich mit ein 
paar Leuten in den Weinkeller. 

Meiner Anfiht nach haben wir um Mittag dreizehn bis vier⸗ 
zehn Fuß Wafler, erwiderte der Quartiersmann. Go iſt deshalb, 
denk' ich, am gerathenften, wir bringen den Wein zuvor in Si⸗ 


cherheit. 








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Dann eile, Jacob, Herr Heldenfret ober fein Sohn wird 
gleich mitgehen. Ich jage ihnen Beſcheid. 

Der „Schatten warf noch einen flüchtigen Blick auf die 
gelbgrauen plätjchernden Wellen, die an den Vorfegen leckten, fah 
nah dem gegenüberliegenden Speichergiebel, der ein bemaftetes 
Schiff mit Segeln als Wetterfahne trug und fagte, fih umkehrend 
und fein halbkahles Haupt bedenklich fehüttelnd: Weſtweſt zu 
Nordwehtnord! Wir haben Vollmond, fünfzehn Fuß kann's am 
Ende wohl geben; dann fahren wir bei St. Katharin auf Kähr 
nen, oder bauen Brüden durch's Wafler oder wir Laffen uns auch 
tragen. Es wird viel Umfag in guten Vierſchillingsſtücken geben. 
Wie gut, dag Yan Blaufint,*) der Satansjunge, in der franzd= 
fifden Zeit uns verloren gegangen tft! Als ich noch jung war, 
hat er mich dreimal vom Belfchlage hinunter in's Wafler gerem- 
pelt. Und doch iſt's auch wieder Schade um den fchmuden, ächt 
hamburger Jungen, der allen Wig, allen Humor, alle Derbheit 
unferes guten Volkes in ſich vereinigte=und von Allen geliebt war, 
wenn auch Alle, befonders Frauen und Mädchen, ihn fürchteten. 
Ein paar Species von diefem Jahr, ja felber ein paar vollwich- 
tige hamburger Ducaten gäbe ich drum, könnte ich die luſtige Be— 
gleitung des ausgelaffenen, tolldreiften Bengels nod einmal fingen 
hören: „da kamt wi mit Jan Blaufint her!” 

Treufreund verſchwand auf der Diele, verfügte fich fofort in’s 
Comptoir und berichtete dem Rheder, was er von Jacob in Be 
zug auf das zu erwartende Hochwafler gehört Hatte. Er beſchloß 
feinen Beriht mit genauer Angabe der Windrichtung, um anzu= 
deuten, daß der Quartiersmann wohl ein ſehr richtiges Urtheil ge= 
fallt haben könne. Heidenfrei dankte, verfchloß fein Portefeuille 
in's Pult und verließ feinen Plap. 


*) In früheren Jahren der Repräfentant der hamburgiſchen Straßenfchel- 
meret, Seinen Namen führte er von ber blauen Karbe feines Geſichtes. Gr 
war der Urtypus bes hamburgifchen Gamin, verſchwand aber während ber franz 
zöjifhen Occupation und iſt fpäter nicht wieder erfchtenen, vielleicht, weil dem 
hamburger Volle während dieſer Leidenszeit der Humor ſtark abhanden kam, 


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Zwiihen Anton und dem Pulte des Buchhalters blieb Treu⸗ 
freund einige Augenblide fiehen. Er ſchien unſchlüſſig zu fein, 
welchen von beiden er zuerjt mit einer Anrede beehren follte. End⸗ 
Tich wandte er fih an den Gorrefpondenten, indem er ihm fanft 
auf die Schulter klopfte und kopfnickend fagte: 

Gefällt mir fehr gut, lieber Freund, wirklich fehr gut! Zeugt 
von gefehtem Wefen, von gefunden Anfichten, von gründlicher So— 
lidität. Die Handſchrift weift es auch aus — da tft Alles wie- 
ber gemeflen, fell, egal. Man freut fih beim Erblicken einer 
ſolchen ſoliden Handſchrift. Ste wiffen, ich werbe nie perſönlich, 
aber das muß ih Ihnen doch fagen, befler als in den letzten 
Wochen haben Ste mir nie gefallen. 
| Anton fah den lebenden „Satin? mit einem merkwürbig 

ſchlauen Blide an. 

Wiſſen Ste, woher das kommt? fagte er. 

Don Ihrem gefunden Urtheil. 

Nein, Herr Treufreund, erwiderte Anton, Mein Kopf hier 
allein hätte das nit zu Stande gebracht. Er deutete mit ter 
Fahne feiner Feder rückwärts. Der dort vorne, der Alte hat's ge- 
than und — meine Portraitmalerei. Sp iſt's, auf Parole — 


mien Moder — 


Treufreund drehte fih wie ein Kreifel auf den Haden um, 
weil ihm dies Wort des Gorrefpondenten gar zu verhaßt war. 
Er trat neben das Pult des Buchhalters, 

Haben Sie fhon wieder über nichts zu kichern? ſprach er. — 
Bei Ihnen hängt der Himmel doch ewig voller Geigen, es mag 
ftürmen, regnen oder die Sonne feinen. Wie tft das möglich! 

Weil ih mein? Sad’ auf Nichts geftellt, erwiderte halb fin- 
gend der heitere Buchhalter, und weil ich heute Iuftiger und beſſer 
leben will, als alle Rheder und Fürſten Deutfchlande zufammen- 
genommen, 

Sp, fagte Treufreund. Ste wollen alſo wirklich die Thors 
heit mitmachen? 

3a, ich will efien und trinken, wie kein König auf Erden 








— 457 — 


in unferer fparfam Iebenden Zeit zu efjen und zu trinken pflegt. 
Morgen will ih Ihnen die Speiſekarte vorlefen und da mögen 
Site vor Sehnfuht die Lippen leden. 

‚Erfäufen Sie fih nur nit, fagte der „Schatten“. 

Im Wein oder im Waſſer? 

Und bleiben Sie denkender und prüfender Menſch unter einer 
Herde Schlemmer! 

Danke für freundlichen Rath, ſprach der Buchhalter. Haben 
Sie ſonſt noch 'was zu beſtellen? Ih gehe mich ankleiden. 

Schon? 

Nun, ich dädte, es wäre hohe Zeit. Um drei Uhr ſollen 
wir verſammelt fein. Glock ſechs beginnt die Tafel. Drei Stun⸗ 
den Erholung, um an ſolcher Tafel würdig zu erſcheinen, däucht 
mir nicht zu viel. Ich werde Ihrer gedenken und auf Ihr Wohl⸗ 
fein ein Glas leeren, wenn mir's am Beſten fchmedt. 

Treufreund ſaß ſchon wieder an feinem Pulte und machte 
ein fo ftarfes Geräuſch mit Papter, Lineal und Papterfeheere, daß 
ihm die legten Worte des Buchhalter unverfiändlich blieben, der 
jetzt Anton noch etwas leiſe zuflüfterte, dann ſowohl dieſen wie 
ein paar andere Collegen grüßte und fortging, um Toilette zu 
maden. — 

Mider Erwarten trat fein Hochwaſſer ein, fo daß viele Kel- 
ferbewohner ihre fhon in Sicherheit gebrachten Mobilten und Bor- 
räthe während der Ebbe wieder an ihre gewöhnliche Stelle jchaff- 
ten, Heidenfrei bereute es beinahe, fein Weinlager geftört zu ha⸗ 
ben, Ferdinand jedoch war froh, daß man die ziemlich anfjehn- 
lihen Borräthe ficherer untergebracht hatte und meinte, was heute 
nicht erfolgt fet, könne jeden nächſten Tag eintreten, 

Am Unzufriedenften mit dem Ausbleiben des Hochwaſſers 
war die Straßenjugend. Sie hatte den Anzeichen nah auf ein 
erffeciliches Steigen ſich Hoffnung gemacht und danach ihre Maß 
regeln ergriffen. Nun blieb das Wafler aus, keine Straße wurde 
überſchwemmt, kein Keller füllte fih, es gab nirgends Gelegens 
heit für ausgelafjene Jungen, Unfug zu treiben, Andere zu fop« 





— 458 — 


pen, fich gegenfeitig von den Betfchlägen Ind Waller zu werfen 
oder zu drängen. 

Don den Erfahrenen wunderten fi Diele Über das auffal- 
lende Ausbleiben der Hochfluth. Der Wind hatte fih allerdings 
gelegt, er war aber mehr nördlich gelaufen und trieb nun bie 
Waſſermaſſen der Norbfee gerade in die Mündung ber Elbe. 
Deshalb hatte Die Annahme derer, welche für bie nächſte Fluth— 
zeit ein höheres Auflaufen des Waſſers vermutheten, etwas für 
fi) und trug dazu bei, Einzelne wachſam zu maden. 

Inzwiſchen verfammelten fich die Freunde, Anhänger und 
Schmeichler des Mexikaners auf deſſen abgeſchieden gelegenen Land⸗ 
hauſe. Er ſelbſt war zugleich mit ſeinem Diener zu Pferde aus 
Blankeneſe daſelbſt angekommen und empfing ſeine Gäſte mit der 
herablaſſenden Zuvorkommenheit und chevaleresken Höfſlichkeit eines 
vollendet vornehmen Mannes. Treu ſeiner Rolle, die er ſeit ſei⸗ 
ner Rückkehr in die Nähe der Weltſtadt ſpielte, trug er indiſche 
Kleidung. Hätte er ſich gleich zuerſt in ſolchem Coſtüme der großen 
Welt gezeigt und wäre er als der Prinz irgend eines obſcuren 
indiſchen Fürſten der Geſellſchaft vorgeſtellt worden, wer weiß, ob 
er als ſolcher nicht eine Menge Eroberungen gemacht hätte! Ob— 
wohl Spuren eines ohne Unterbrechung nur dem raſcheſten Genuſſe 
geweihten Lebens ſeinen Zügen eingedrückt waren, konnte Don 
Alonſo Gomez doch immer noch für einen auffallend ſchönen und, 
was vielleicht noch mehr war, unbedingt für einen intereſſanten 
Mann gelten. Sein dunkler Teint gewann an Glanz und Farbe 
durch die ſchimmernd weiße Gewandung, in die er ſich hüllte, und 
die er mit dem vollendetſten Anſtande trug. Gr bewegte ſich leicht 
und grazids darin und befaß Takt genug, nicht theatralifch aufzu⸗ 
treten. Wer ihn nicht früher gekannt hatte, mußte von ihm ge⸗ 
täufcht werden. 

Auf Anrathen einiger greunde war der nicht fehr große Ge⸗ 
ſellſchaftsraum, wo das fhwelgerifhe Mahl eingenommen merben 
follte, in ein feenhaft fchlmmerndes Zelt aus Gaze verwandelt 
worden. Bunte Laternen, die nur den Schimmer heil brennender 














— 459 — 


Lichter, nicht den blendenden Schein der Flamme durdließen, ſchweb⸗ 


ten von ber Höhe diefes Zelthimmels herab. in Eöltlihes Arom . 


durchduftete das Gemach, deſſen Temperatur weder zu warm, noch 
zu kalt war. 

Die Tafel war reich geſchmückt, nicht aber überladen. Alles 
Geſchirr war einfach, aber gebiegen, bie Tafelaufläge geſchmackvoll 
und in fommetrifher Ordnung aufgeftelt.e An ber einen Seite 
bildete das Zelt eine Thür, die ein Vorhang ſchloß. Wollte diefer 
zurüd, fo ſah man eine anmuthige Landihaft in fonnigen Duft 
getaucht. Springbrunnen raufchten und eine angenehme Kühlung 
ftrömte von dem riefelnden Waſſer in das Zelt. Alles Iud zum 
Genuſſe, zu unbedingter Hingabe an bie Freude ein. 

Zulius fand diefe Anordnungen vortrefflih und war mit ſei⸗ 
nen Lobfprüden gegen Don Gomez nicht zurüdhaltend. 

Jh wette, außer und paar Glücklichen tafelt Heute Niemand 
in ganz Deutſchland in ſolch Föftlichen Räumlichkeiten, mit ſolchem 
Geſchmack und fo ganz unverborbenem Appetit, fprah er. Ich 
wünfchte, meinen Onfel aus der Marſch hieher zaubern zu Tünnen, 
nur, damit er fähe, dag man wirklih auch außerhalb der Marſch 
‚zu leben verfteht, was er mit einer Hartnäckigkeit beftreitet, die 
jeden vernünftigen Menfchen zur Verzweiflung bringen kann. Er⸗ 
fahren fol er's wenigfiens, wenn Ih auch eine ſchreckliche Straf- 
predigt dafür anhören muß. Derfpielt er Sonnabends in feinem 
Bauernclubb ein paar hundert Species im Tridtrad, wenn ihm 
ber Sinn gerade danach fteht, "fo Tann Ih mid für den vierten 
oder fünften Theil diefer Summe doch wohl aud einmal anflän- 
big fatt effen. — Ah, unterbrach er ſich, in die Wohlgerüche In⸗ 
diens miſchen fich jetzt die noch beflechenderen würzigen Düfte einer 
civilifirten europätfchen Küche! 

In der von Fünftlichen fliegenden Sonnenftrahlen bald heil 
beglänzten, bald von vorüberetlenden Wolken befrhatteten Land⸗ 
Haft ertönte Muſik frembartiger Inftrumente. Es ſchienen java- 
nifhe Gamelans tarunter zu fen, die indeß nicht unangenehm 
klangen. Diefe Klänge rauſchten aber ſchnell vorüber, es trat eine 


— 460 — 


furze Baufe ein, und fernher vernahm man Sattenfptel, das ſchnell 
näher fam und mit dem Geflapper gefhidt gehandhabter Caſtag⸗ 
netten abwechfelte. 

Don Alonio Gomez gab em Zeichen mit der Hand. Die 
Landſchaft verfhwand, eine ſchimmernde, phantafttich erleuchtete Fel- 
fengrotte wölbte ſich vor dem geöffneten Zelt, aus deren dunklem 
Hintergrunde eine Gruppe junger, fhöner Zigeunermäbden, diefe 
Gaftagnetten fhlagend, jene Tambourins fehwingend, unter origt- 
nellen, feflelnden Tanzbewegungen gegen das Zelt heranfchwebte. 
Die Säfte des Merifaners brachen in ein lautes Bravo aus. 

Meine Freunde, fprah Don Gomez, wir find in Granada. 
Ste befinden fi) im Thale des RXenil unterhalb der Alhambra, 
wo meine Ahnen nad Vertreibung der Mauren einige Zeit ge- 
wohnt und viele herrliche Liebesabenteuer erlebt haben follen. Es 
fieht die wenigftens in meinen Familienpapieren, und da meine 
Ahnen fehr zuverläffige Leute, und, wie ihre fpäteren Schickſale 
nachweifen, auch Außerft glüdliche Eroberer waren, fo ſchenke ich 
biefen Weberlieferungen vollen Glauben. Laffen Sie ung jebt bei 
dem anmuthigen Tanz diefer anmuthigen Schönen, die wirklid 
Andalufien ihr Vaterland nennen, unfere freundfchaftlihen Tafel: 
freuden beginnen. Mein Diener Papageno tjt von mir zum Ta— 
felmeifter ernannt worden, Er wird bei Verluſt feiner ehrenvol- 
ien Stellung dafür forgen, daß feine Unordnung in ber Reihen- 
folge der Genüffe vorkommt, bei denen wir uns des Xebens freuen 
wollen. 

Indiſch gekleidete Diener traten ein und das Mahl, dem 
alle Geladenen erwartungsvoll entgegenharrten, begann. Zuerſt wurden 
jedem Gaſte feine Porzellanteller mit chinefifcher Malerei vorgeſetzt, die 
mit Acht chinefifch zubereitetem Salat gefüllt waren, Dieſes En- 
tree, beftimmt, den Appetit zu reizen, beſtand aus gehadten Hum— 
mern, fein gefehnittenem Schinken, chinefifcher Wurft und Froſch⸗ 
feulen. Damit die Geladenen dies ausgefucht feine Gericht ſich 
nicht duch Berührung mit Metallgabeln verderben möchten, em⸗ 
pfing jeder berfelben zwei zierliche Glfenbeinftäbchen, mitteljt de⸗ 

















— 461 — 


nen die Delikateffe genoffen ward. Sie mundete allgemein, obs 
wohl Einige vielleicht eine mehr europätfche Speife vorgezogen hät⸗ 
ten. Julius, der als hocdgebildeter Gaftronom Alles erprobte und 
nichts ohne Grund verwarf, fand den Salat unübertrefflic und 
benugte die günftige Gelegenheit, um einige praktiſche Bemerkun- 
gen Über die Art und Weiſe, Speifen zum Munde zu führen, 
daran zu knüpfen. 

Wir jept lebenden Europäer rühmen uns, fprach er, in ber’ 
Gultur alle Völker der übrigen bewohnten Erde zu übertreffen. 
Im Allgemeinen mag ed fih aud fo verhalten, im Einzelnen jes 
doch können wir von Nichteuropäern noch manderlei lernen. Da 
haben wir 3. B. den fatalen Gebrauch allermärts angenommen, 
beim Eſſen ung metallener Meſſer und Gabeln zu bedienen, Diefe 
Sitte ift meines Wiſſens erſt einige Jahrhunderte alt und td 
mag fie durchaus nicht ganz abgeihafft wiſſen. Aber wozu gerabe 
Gabeln und Mefler aus Stahl? Für die Zunge eines fein orga= 
nifirten Menfchen gibt es nichts Widerwärtigeres, als der fäuer- 
liche Gefhmad des Stahles, der fih jeder von ihm berührten 
Speiſe mittheilt. Mir iſt's immer, als fühlte ich den ſchwachen 
Schlag eines Zitteraales meine Nerven durchzucken. Silber wäre 
fhon mehr zu empfehlen, leider aber tft es zu theuer. Gbenfo 
iſt es mit Elfenbein, obwohl elfenbeinerne ſchön gefchnikte Beſtecke 
ganz reizend ausſehen. Man müßte aljo zum gewöhnlichen groben 
Horne feine Zuflucht nehmen, was ich nicht bevorworten will, wetl 
es fein geruchlofes Horn gibt. Es bleibt alfo nichts übrig als 
Holz, und da finde ih das Buchsbaumholz ganz gut verwendbar. 
Die Chinefen, von uns gewöhnlich verachtet, und uns doch fo 
merkwürdig verwandt, nicht blos als Verehrer der Zöpfe, die un- 
jere Aeltern ihrer Zeit ebenfalls mit hohem Unftande zu tragen 
verftanden, fondern durch thre Vorliebe für Veraltetes, für durch 
das Alter lieb Gewordenes, find ungleich klüger als wir und be— 
urfunden ſich ſchon dadurch, daß fie bie barbartihe Sitte des Ge- 
brauchs von Mefjer und Gabel nicht in's himmliſche Reich einge- 
laflen haben, als viel edler organifirte, in feinerem Nerpenäther 


— 461 — 


lebende Raturen als wir. Auch Griechen und Römer verflanben 
etwas von der Kunft des Genuſſes, es tft Ihnen aber niemals in 
den Sinn gekommen, ein zartes Gemüfe oder eine köſtliche Sauce 
mit Metall zu berühren. 

Aßen fie wirklich mit den Zingern? fragte ein nicht mehr 
ganz junger Mann, ber fih durd die Weinröthe feines Gefichtes 
auszeichnete, und jedenfalls mehr wohlgefüllte Flaſchen auf Borte 
"geftellt, als Bücher von folchen herabgenommen hatte Wenn fie 
es gethan haben, muß es nit allzu fauber anzufehen geweien fein. 

Ste thaten’s wirflih, die Bedauernswerthen, Herr Glud, er- 

widerte Julius, und ih finde es keineswegs lobenswerth, wenn 
man aber lieſ't, wie fie e6 gemacht haben, fo wandelt einem doch 
bisweilen die Luft an, ihre Xafelfreuden zu theifen. 
Auf einen Wink des Hausherren ſchloß ſich der Zeltvorhang 
geräufchlos, die Tamburtn- und Gaftagnettenmufit verfiummte, bie 
Tänzer zogen fih zurüd. Bon den eintretenden Dienern wurde 
jept Schildfrötenfuppe und Suppe von ächten indianiſchen Vogel⸗ 
neſtern herumgereicht. 

Sie haben freie Auswahl, meine Herren, ſagte Don Alonſo 
Gomez. Was mid betrifft, fo Halte ih mich an dieſe, tin Bonillon⸗ 
GSröme aufgeldften, Vogelneſter. Etwas Toffpielig find biefe klei⸗ 
nen delicaten Dinger, denn jedes einzelne Toftet — nun was mel- 
nen Sie? 

Hoffentlih erhält man ein paar Dupend zu billigerem Bretfe, 
als wenn man nur einige wenige Tauft, fagte ein im Rechnen ge 
übter Gaſt. 

Das mag möglih fein, fuhr- der Mexikaner fort, ich habe 
jedoch, offen geftanden, nicht danach gefragt, ja nicht einmal ge- 
feilſcht, um nur das DBefte zu befommen. Ich ließ fie mir direct 
aus London ſchicken, wo ih das Stück mit einer halben Guinee 
bezahlte. Defto beſſer ſchmecken fie und ich muß meinem Koch bas 
Zeugniß geben, bag er pie Zubereitung verfteht. 

Bei Ceres, Bachus und allen Göttern, die für bes Leibes 
Wohl und Ernährung forgen, ſprach ein wohlbeleibter Kornmaller, 


— 463 — 


babet Tiefe fih ein ganz einträgliches Gefchäft machen, wenn 
man nur pünktlih zahlende Abnehmer dafür fände! Morgen ſchon 
werde ich deshalb ‘an meinen Gorrefpondenten in St. Petersburg 
ſchreiben. Die Herren Ruffen haben viel Geld, find fplendiver als 
die Engländer, und mögen in threm ſataniſchen Clima verteufelt 
gern vecht gut eſſen und trinken. 

Bon den Aufwärtern waren Weine aus Cypern und Samos, 
weißer Wein von Iſchia, dry Madeira und rother und weißer 
Portwein zu beltebiger Auswahl herumgereicht worden. Während 
die Gäfte die Blume derfelben erprobten und fehr kluge Bemer⸗ 
tungen über Weinbau und Weingenuß daran Tnüpften, warb bie 
Zeltthür wieder von unfichtbaren Händen geöffnet und ein mauri⸗ 
fher Saal mit wunderbaren Arabesten verziert, zeigte fih den 
Erftaunten. Junge, verführerifch gekleidete, maurtfhe Mädchen 
traten ein und führten einen malerifhen, altmaurlihen Reigen 
auf. Als diefer beendigt war und das Zelt fih wieder ſchloß, 
begann das eigentliche Feſtmahl. 

Der nähfte Bang, weldher hohe Befriedigung gewährte, be⸗ 
ftand aus vier verſchiedenen Schüſſeln. Es gab nämlich mit aus- 
eriefenen feinen Kräutern gefüllte Wachteln, gedämpfte Enten- 
- füße mit gefänittenen Taubeneiern, zu denen als Gemüfe grüne 
Erbſen und Bohnen fich gefellten. Diefen fchloffen fih Paſtetchen 
& la Reine und gekochte Hühner mit einer Sauce aus jungen 
Schößlingen der Bambuspflanze an. 

Sultus that fein Möglichites, um von allen Schüfleln zu 
foften. Er fand jede einzelne tadellos, Iobte aber vor Allem den 
eigenthümlich zarten Geſchmack der Bambusſchößlinge. Ich Habe 
fhon früher davon gehört, fagte er, in China fehlt diefe Schüffel 
nie bei einem gut geordneten Gaſtmahle. Schade, daß der Bam⸗ 
bus in unferm barbarifhen Glima nicht gebeiht. Die Gewächt- 
häufer laſſen fi leider nur ein- bis zweimal im Jahre plündern, 
und auch dann find es doch immer nur Schößlinge von Treib- 
hauspflanzen. Ach Gott ja, ſchloß er feufzend feinen Sermon, 
in der Bibel iſt es freilich zu Iefen, daß Bott der Herr, als er 


— 452 —- 


freundeten jungen Buchhalter. Es überraſchte den fröhlichen Lebe— 
mann, daß Anton nicht zu überreden war, dem ausgeſuchteſten 
Schmauſe, an welchem jemals deutſche Zungen ſich geletzt, beizu- 
wohnen. Anton ließ ſich aber durchaus nicht beſtimmen, obwohl 
er mit dem Grunde feiner Weigerung zurückhielt. Auf wieder⸗ 
holtes Drängen fagte er nur: Ich habe feinen andern, als eine 
ganz entihiedene Abneigung. Bolgte ih Euch, gäbe ih Euerm 
Zureden nah, fo fürdtete ih Unrecht zu thun. Mir iſt's, als 
ahne mir Schlimmes, als müſſe mir, follte ich fo fehmelgerifch mit 
Euch fpeifen, ein fchredliches Unglüd pafliren. 

Gott bewahre! verfegte darauf der muntere Julius. Frei 
tft der Menfh und frei follen auch feine Genüffe bleiben. Iß 
bu große Bohnen mit Speck — meines Onkels Lieblingsgericht 
und au wirklich einem marfhländifhen Magen fehr zuträglih — 
während wir und an geröjteten Taubenzungen den Appetit ſchärfen 
wollen. 

Damit war die Sache erledigt. Der Buchhalter dagegen 
fagte zu, gab die verlangte fehriftliche Erklärung ab und erhielt 
drei Wochen fpäter eine höchſt fplendid gedrudte Karte, auf ber 
fein Name tn Goldfhrift prangte und ald Tag „des Mahles der 
jungen Götter”, wie es hieß, der zwei und zwanzigſte Februar 
beitimmt war. 

Das tft ein böſes Omen, fprad Anton, als ihm der Bud;- 
halter ‚die erhaltene Karte mit triumphirendem Lächeln zeigte. Wäre 
ih am zwei und zwanzigften Februar geboren, ich glaube, ich hätte 
mich dann ſchon felbft erwürgt. 

Sind Sie unklug? erwiderte der Buchhalter, die Karte zu 
fich fieddend. Seit wann hängen Ste fih denn mit beiden Hän- 
den an den Schnack alter abergläubifcher Weiber ? 

Meine Mutter Tonnte den Tag nicht leiden, weil fie als ganz 
junge Frau mit dem Schlitten an demjelben umgeworfen ward. 

Aber ich denke, Ihre Frau Mutter fann ſchwimmen? 

Wollen Sie gleih — aber was gebt e8 mich an, verfeßte 
ſcheinbar gletchgiltig Anton. Sie wollen nun einmal mit Gewalt 








— 453 — 


in Ihr Unglüf rennen. Alſo gehen Ste immerhin, überladen Sie 
fi) bet unfinntger Schwelgeret den Magen, Triegen Ste Krämpfe, 
platzen Ste meinethalb, ich will gerade an dieſem vermaledeiten 
Tage nur Thee trinken und dazu nichts weiter als ein einfaches 
Hamburger Butterbrod genießen. Sa, wie will ih dann lachen, 
wenn Ste kaum noch taumeln und riechen können, während ich 
mit Leichtigkeit fhwimme und burd die Lüfte fegle! Viel Glück 
und großen Hunger zum herrlichiten zwei und zmwanzigiten Fe— 
bruar! 


Dreizehntes Kapitel. 


— — 


Das Mahl der jungen Götter. 


Heute Mittag oder In nächſter Nacht gibt es Hochwaſſer, ſprach 
Jacob zu feiner Frau, die für ihre Tochter Leinwand abmaß. 
Ich glaube, wir thun gut, wenn wir bei Zeiten unfere Kartoffeln ° 
aus dem Keller auf die Diele fchaffen. Ste find vergangenes 
Jahr fo vorzüglich gerathen, daß ich fie ungern im Wafler ver- 
berben fehe. Aber was fprehe ich da für dummes Zeug, unter- 
brach er ſich. Du lahmſt ja und kannſt die Treppen ſchwer ſtei— 
gen. Bleib’ fiten, lieb’ Doris, und ſchneide frifh drauf los in 
bie prächtige Leinwand hinein, Herrn Heidenfrei kommt es auf 
ein Stüf mehr nicht an. Die feinfte aber Tiefere ich noch nad. 
Es iſt Holländifhe ausgefuchte Waare, die Miguel felber beftellt 
hat. Kapitän van. Tolten bringt fie mit direct von Amiterdam, 
Seine Tjalk liegt fhon in Cuxhaven. Kommt vielleicht heute Nacht 
noch auf, wenn's Wetter nicht zu bös wird. 

Das bezweifle ich, erwiderte die fleißig meſſende und zuſchnei— 
dende Frau, Gapitän van Tolten iſt ein gar vorfihtiger Mann, 


— 454 — 


der ſich mit ſeinem Schiff nicht in Gefahr begibt. Weht es denn 
ſo ſehr ſtark? Ich hab's noch gar nicht bemerkt. 

Sie ſah hinaus nach dem Binnenhafen, wo wie immer zahl⸗ 
reiche Schuten, Ewer und andere kleine Fahrzeuge lagen und auf 
dem ſtark bewegten Waſſer tanzten. Der Himmel war dicht mit 
Wolken überzogen, die tief herabhingen, alle Thürme verhüllten 
und ſelbſt die höchſten Giebel der Häuſer ſtreiften. 

Der Wind iſt zu viel weſtlich, um ſich jetzt ſchon hörbar zu 
machen, verſetzte Jacob, aber gleichviel, Hochwaſſer gibt es doch, und 
darum will ich jetzt gleich ein Bischen im Hauſe aufpacken. Die 
beiden Knechte können mir helfen. 

Der Quartiersmann ſagte ſeiner Frau Adieu und war bald 
in voller Arbeit. Auch die Nachbarn trafen Anſtalt, dem Gin- 
bringen des Waſſers diejenigen Gegenflände zu entrüden, die durch 
Näffe beſchädigt werben konnten. Alle freilich waren nicht fo glüd- 
lich, dies möglich zu machen, denn überſtieg das Waller die ge- 
wöhnliche Fluthhöhe nur um einige Fuß, fo drang es In bie tief 
gelegenen Wohnkeller und umfpülte Brauchbares und Unbraudba- 
red. Weil aber Jedermann an folhe Galamttäten gewöhnt war 
und weil fie fih häufig wiederholten, fügten fih die Meiſten 
mit Refignattion in das Unabwendbare und fuchten nur bie befle- 
ren Geräthe und. werthvolleren Gegenftände ihrer Wohnungen für 
die Dauer der Hocfluth bei glüdlicher logirenden Freunden und 
Bekannten unterzubringen. 

Treufreund ſtand auf der Laube und blickte hinab auf den 
Fleeth, wo Jacob ſo eben mit ſeiner Schute anlegte. | 

Wird die Fluth hochſteigen? fragte er den Quartiersmann. 
Balls fie mehr als dreizehn Fuß erreicht, mußt du fogleich mit ein 
paar Leuten in den Weinfeller, 

Meiner Anfiht nach Haben wir um Mittag dreizehn bis vier⸗ 
zehn Fuß Wafler, ermwiderte der Quartiersmann. Es tft deshalb, 
denk' ich, am gerathenften, wir bringen den Wein zuvor in Si⸗ 
cherheit. 











— 455 — 


Dann eile, Jacob, Herr Heldenfrei ober fein Sohn wird 
gleich mitgehen. Ich jage ihnen Befchet. 

Der „Schatten warf noch einen flüchtigen Blick auf die 
gelögrauen plätjchernden Wellen, die an den Vorſetzen leckten, fah 
nah dem gegenüberliegenden Spetchergiebel, der ein bemaftetes 
Schiff mit Segeln als Wetterfahne trug und fagte, fich umkehrend 
und fein halbkahles Haupt bedenklich fchüttelnd: Weſtweſt zu 
Nordweftnord! Wir Haben Vollmond, fünfzehn Fuß kann's am 
Ende wohl geben; dann fahren wir bei St, Katharin auf Käh—⸗ 
nen, oder bauen Brüden durch's Wafler oder wir laffen uns aud 
tragen. Es wird viel Umſatz in guten Vierſchillingsſtücken geben. 
MWie gut, daß Jan Blaufint,*) der Satansjunge, in der franzd- 
ſiſchen Zeit uns verloren gegangen tft! Als ich noch jung war, 
hat er mich dreimal vom Beifchlage hinunter in's Wafler gerem- 
pelt. Und doch iſt's auch wieder Schade um den ſchmucken, ächt 
hamburger Jungen, der allen Wis, allen Humor, alle Derbheit 
unferes guten Volkes in ſich vereinigte=und von Allen geliebt war, 
wenn auch Alle, befonders Frauen und Mädchen, ihn fürchteten. 
Ein paar Species von dieſem Jahr, ja felber ein paar vollwich- 
tige hamburger Ducaten gäbe ich drum, könnte ich die luſtige Be— 
gleitung des ausgelaffenen, tolldreiſten Bengels noch einmal fingen 
hören: „da kamt wi mit Jan Blaufin? her!“ 

Treufreund verſchwand auf der Diele, verfügte fich fofort in's 
Comptoir und berichtete dem Rheder, wad er von Jacob in Be 
zug auf das zu erwartende Hochwafler gehört hatte. Er befchloß 
feinen Beriht mit genauer Angabe der Windrichtung, um anzu- 
deuten, daß der Quartiersmann wohl ein fehr richtiges Urtheil ge- 
fallt haben könne. Heidenfrei dankte, verfhloß fein Portefeutlle 
in's Pult und verließ feinen Platz. 


*) In früheren Jahren der Nepräfentant ber hamburgiſchen Straßenfchel- 
meret, Seinen Namen führte er von der blauen Karbe feines Geſichtes. Cr 
war ber Urtypus des hamburgifchen Gamin, verſchwand aber während der franz 
zöſiſchen Occupation und iſt fpäter nicht wieder erfchlenen, vielleicht, weil dem 
hamburger Volke während biefer Leidenszeit der Humor ſtark abhanden kam, 


— 456 — 


Zwiſchen Anton und dem Pulte des Buchhalters blieb Treu- 
freund einige Augenblide fliehen. Er ſchien unſchlüſſig zu fein, 
welchen von beiden er zuerft mit einer Anrede beehren follte. End⸗ 
lich wandte er fih an den Gorrefpondenten, indem er ihm fanft 
auf die Schulter klopfte und Eopfnidend fagte: 

Gefällt mir fehr gut, Lieber Freund, wirklich fehr gut! Zeugt 
von gefehtem Wefen, von gefunden Anfichten, von gründlicher So⸗ 
lidität. Die Handfhrift weift es auh aus — da iſt Alles wie— 
ber gemeffen, fell, egal. Man freut fih beim Erbliden einer 
folhen foltden Handſchrift. Ste wiſſen, ich werde nie perſönlich, 
aber das muß ih Ihnen doch fagen, befler als in den letzten 
Wochen haben Sie mir nie gefallen, 

Anton fah den lebenden „Schatten“ mit einem merkwürbig 
fhlauen Blide an. 

Wiffen Ste, woher das kommt? fagte er. 

Don Ihrem gefunden Urtheil. 

Nein, Herr Treufreuhd, erwiderte Anton, Mein Kopf bier 
allein Hätte das nicht zu Stande gebraht. Er deutete mit ber 
Sahne feiner Feder rückwärts. Der dort vorne, der Alte hat's ge- 
than und — meine Portraitmalerei. So iſt's, auf Parole — 


- mien Moder — 


Zreufreund drehte fih wie ein Kreifel auf den Haden um, 
weil‘ ihm dies Wort des Gorrefpondenten gar zu verhaßt war. 
Er trat neben das Pult des Buchhalters. 

Haben Sie ſchon wieder über nichts zu kichern? fprah er. — 
Bet Ihnen hängt der Himmel doch ewig voller Geigen, ed mag 
flürmen, regnen oder die Sonne feinen. Wie tft das möglich! 

Weil ih mein’ Sad’ auf Nichts geftellt, erwiderte halb fin- 
gend der heitere Buchhalter, und weil ich heute Iuftiger und beſſer 
leben will, als alle Rheder und Fürſten Deutſchlands zuſammen⸗ 
genommen. 

Sp, fagte Treufreund. Ste wollen alfo wirklich die Thor⸗ 
beit mitmachen ? 

Sa, ih will eflen und trinken, wie kein König auf Erden 











— 457 — 


in unferer fparfam Iebenden Zeit zu efjen und zu trinken pflegt. 
Morgen will ih Ihnen die Speiſekarte vorlefen und da mögen 
Sie vor Sehnſucht die Lippen leden. 

Erfäufen Ste fih nur nit, fagte der „Schatten“. 

Im Wein oder im Waſſer? 

Und bleiben Sie denkender und prüfender Menſch unter einer 
Herde Schlemmer! 

Danke für freundlichen Rath, ſprach der Buchhalter. Haben 
Sie ſonſt noch 'was zu beſtellen? Ich gehe mich ankleiden. 

Schon? 

Nun, ich dächte, es wäre hohe Zeit. Um drei Uhr ſollen 
wir verſammelt fein. Glock ſechs beginnt die Tafel. Drei Stun⸗ 
den Erholung, um an folder Tafel würdig zu erfcheinen, däucht 
mir nicht zu viel. Ich werde Ihrer gedenken und auf Ihr Wohl⸗ 
fein ein Glas leeren, wenn mir's am Belten fchmedt. 

Treufreund faß ſchon wieder an feinem Pulte und machte 
ein fo ſtarkes Geräufh mit Papier, Lineal und PBapterfcheere, daß 
ihm die lebten Worte des Buchhalter unverftändlich blieben, der 
jebt Anton noch etwas Teife zuflüfterte, dann fowohl diefen wie 
ein paar andere Bullegen grüßte und fortging, um Xotlette zu 
maden. — 

Mider Erwarten trat fein Hochwaſſer ein, fo daß viele Kel- 
ferbewohner ihre ſchon in Sicherheit gebrachten Mobilten und Bor- 
räthe während ber Ebbe wieder an ihre gewöhnliche Stelle ſchaff⸗ 
ten. Heidenfrei bereute e8 beinahe, fein Weinlager geftört zu ha= 
ben, Berdinand jedoh war froh, daß man bie ziemlih anfehn- 
lihen Vorräthe ficherer untergebracht hatte und meinte, was heute 
nicht erfolgt ſei, Tönne jeden nächſten Tag eintreten. 

Am Unzufriedenften mit dem Ausbleiben des Hochwaſſers 
war bie Strafenjugend. Sie hatte den Anzeichen nah auf ein 
erkleckliches Steigen fi Hoffnung gemacht und danach ihre Maß 
regeln ergriffen. Nun blieb das Wafler aus, keine Straße wurde 
überſchwemmt, kein Keller füllte fih, es gab nirgends Gelegen- 
heit für ausgelaffene Jungen, Unfug zu treiben, Andere zu fop⸗ 


— 458 — 


pen, fich gegenfeltig von den Belfchlägen ind Wafler zu werfen 
oder zu drängen. | 

Don den Erfahrenen wunderten fih Diele über das auffal- 
Iende Ausbleiben der Hochſluth. Der Wind Hatte fih allerdings 
gelegt, er war aber mehr nördlich gelaufen und trieb nun bie 
Waflermaffen ber Norbiee gerade in die Mündung der Elbe. 
Deshalb hatte Die Annahme derer, welche für die nächſte Yluth- 
zeit ein höheres Auflaufen des Waflers vermutheten, etwas für 
ih und trug dazu bei, Einzelne wachſam zu machen. 

Inzwiſchen verfammelten fi die Freunde, Anhänger und 
Schmeichler des Mexikaners auf deſſen abgeſchieden gelegenen Land⸗ 
hauſe. Er ſelbſt war zugleich mit ſeinem Diener zu Pferde aus 
Blankeneſe daſelbſt angekommen und empfing ſeine Gäſte mit der 
herablaſſenden Zuvorkommenheit und chevaleresken Höflichkeit eines 
vollendet vornehmen Mannes. Treu ſeiner Rolle, die er ſeit ſei⸗ 
ner Rückkehr in die Nähe der Weltſtadt ſpielte, trug er indiſche 
Kleidung. Hätte er fich gleich zuerft in foldem Coſtüme der großen 
Melt gezeigt und wäre er als der Prinz irgend eines obfcuren 
indiſchen Fürſten der Geſellſchaft vorgeftellt worden, wer weiß, ob 
er als folcher nicht eine Menge Eroberungen gemacht hätte! Ob—⸗ 
wohl Spuren eines ohne Unterbrehung nur dem raſcheſten @enuffe 
geweihten Lebens feinen Zügen eingedrüdt waren, konnte Don 
Alonio Gomez doch Immer noch für einen auffallend ſchönen und, 
was vielleicht no mehr war, unbedingt für einen intereflanten 
Mann gelten. Sein dunkler Teint gewann an Glanz und Farbe - 
dur die fhimmernd weiße Gewandung, in bie er fi hüllte, und 
die er mit dem vollendetſten Anftande trug. Er bewegte fi Tetcht 
und graztös darin und befaß Takt genug, nicht theatraliſch aufzu⸗ 
treten. Wer ihn nicht früher gekannt Hatte, mußte von ihm ge= 
täufcht werden. 

Auf Anrathen einiger Freunde war ber nicht fehr große Ge⸗ 
ſellſchaftsraum, wo das fehwelgerifche Mahl eingenommen werben 
follte, in ein feenhaft fehimmerndes Zelt aus Gaze verwandelt 
worden. Bunte Laternen, die nur den Schimmer hell brennender 














— 459 — 


Lichter, nicht ben blendenden Schein der Flamme burchließen, ſchweb⸗ 
ten von der Höhe diefes Zelthimmels herab. Ein Föftliches Arom . 
durchduftete das Gemach, deſſen Temperatur weder zu warm, nod 
zu kalt war. 

Die Tafel war reich gefhmüdt, nicht aber überlaten. Alles 
Geſchirr war einfach, aber gediegen, die Tafelauffäge geſchmackvoll 
und in fommetrifher Ordnung aufgeftellt. An ber einen Seite 
bildete das Zelt eine Thür, bie ein Vorhang ſchloß. Nolte diefer 
zurüd, fo ſah man eine anmuthige Landſchaft in fonnigen Duft 
getaucht. Springbrunnen rauſchten und eine angenehme Kühlung 
firömte von dem riefelnden Wafler in das Zelt. Alles Iud zum 
Genuffe, zu unbebingter Hingabe an die Freude ein. 

Julius fand diefe Anordnungen vortrefflih und war mit ſei⸗ 
nen Lobfprüchen gegen Don Gomez nicht zurüdhaltend. 

Ich wette, außer uns paar Glüdlichen tafelt heute Niemand 
in ganz Deutjhland in ſolch köſtlichen Räumlichkeiten, mit ſolchem 
Geſchmack und fo ganz unverborbenem Appetit, fprah er. Ich 
wünfchte, meinen Onfel aus der Marfch hieher zaubern zu können, 
nur, damit er fähe, dag man wirklich auch außerhalb der Marſch 
zu leben verſteht, was er mit einer Hartnädigkeit beftrettet, die 
jeden vernünftigen Menſchen zur Verzweiflung bringen kann. Er⸗ 
fahren fol er's wentgftens, wenn ih auch eine fihredlihe Straf 
predigt dafür anhören muß. Merfpielt er Sonnabends in feinem 
Bauernelubb ein paar hundert Species im Tridtrad, wenn ihm 
ber Sinn gerade danach fteht, "fo Tann ih mich für ben vierten 
oder fünften Theil dieſer Summe doch wohl aud einmal anftän- 
big fatt eſſen. — Ah, unterbrad er fih, in die Wohlgerüche In⸗ 
diens miſchen fich jegt die noch beftechenderen würzigen Düfte einer 
civilifirten europätfhen Küche! 

In ber von künſtlichen fliegenden Sonnenftrahlen bald heil 
beglänzten, bald von vorübereilenden Wollen befchatteten Land⸗ 
[haft ertönte Muſik frembartiger Inſtrumente. Es ſchienen java⸗ 
niſche Gamelans darunter zu ſein, die indeß nicht unangenehm 
klangen. Dieſe Klänge rauſchten aber ſchnell vorüber, es trat eine 


— 460 — 


kurze Paufe ein, und fernher vernahm man Sattenfptel, das fchnell 
näher fam und mit dem Geflapper geſchickt gehandhabter Caſtag⸗ 
netten abwechſelte. 

Don Alonio Gomez gab ein Zeihen mit der Hand. Die 
Landfchaft verſchwand, eine ſchimmernde, phantaſtiſch erleuchtete Fel- 
ſengrotte wölbte ſich vor dem geöffneten Zelt, aus deren dunklem 
Hintergrunde eine Gruppe junger, ſchöner Zigeunermädchen, dieſe 
Caſtagnetten ſchlagend, jene Tambourins ſchwingend, unter origi⸗ 
nellen, feſſelnden Tanzbewegungen gegen das Zelt heranſchwebte. 
Die Gäſte des Mexikaners brachen in ein lautes Bravo aus. 

Meine Freunde, ſprach Don Gomez, wir ſind in Granada. 
Sie befinden ſich im Thale des Kentl unterhalb der Alhambra, 
wo meine Ahnen nad Vertreibung der Mauren einige Zeit ge: 
wohnt und viele herrliche Liebesabenteuer erlebt haben follen. Es 
fteht dies wenigftens in meinen Familienpapieren, und da meine 
Ahnen fehr zunerläffige Leute, und, wie ihre fpäteren Schiefale 
nachweiſen, auch äußerſt glüdliche Eroberer waren, fo ſchenke id 
biefen Weberlieferungen vollen Glauben. Laſſen Sie ung jebt bei 
dem anmutbigen Tanz dieſer anmuthigen Schönen, die wirklich 
Andalufien ihr Baterland nennen, unfere freundfhaftlihen Tafel- 
freuden beginnen. Mein Diener Papageno tft von mir zum Ta⸗ 
felmeifter ernannt worden. Gr wird bei Verluſt feiner ehrenvol- 
len Stellung dafür forgen, daß feine Unordnung In der Reihen 
folge der Genüffe vorkommt, bei denen wir ung des Lebens freuen 
wollen. 

Indiſch gekleivete Diener traten ein und das Mahl, dem 
alle Geladenen erwartungsvoll entgegenharrten, begann. Zuerſt wurden 
jedem Gafte feine Porzellanteller mit chinefifcher Malerei vorgefegt, bie 
mit Acht chinefifch zubereitetem Salat gefüllt waren. Dieſes En- 
tree, beitimmt, den Appetit zu veizen, beitand aus gehadten Hum⸗ 
mern, fein gefiänittenem Schinken, chinefifher Wurft und Froſch⸗ 
teulen. Damit die Geladenen dies ausgefucht feine Gericht fih 
nicht durch Berührung mit Metallgabeln verberben möchten, em⸗ 
pfing jeder derſelben zwei zierliche Elfenbeinſtäbchen, mitteljt de⸗ 











— 461 — 


nen die Delikateſſe genoffen ward. Ste munbdete allgemein, ob» 
wohl Einige vielleicht eine mehr europäiſche Speife vorgezogen hät- 
ten. Julius, der als hochgebildeter Gaſtronom Alles-erprobte und 
nichts ohne Grund verwarf, fand den Salat unübertrefflich und 
benugte bie günftige Gelegenheit, um einige praftifhe Bemerkun⸗ 
gen Über die Art und Welle, Spelfen zum Munde zu führen, 
daran zu knüpfen. 


Wir jept Iebenden Europäer rühmen uns, ſprach er, in der* 


Gultur alle Völker der übrigen bewohnten Erde zu übertreffen. 
Im Allgemeinen mag es fih auch fo verhalten, im Einzelnen je⸗ 
doch können wir von Nichteuropdern noch. manderlei lernen. Da 
haben wir 3. B. den fatalen Gebrauch allerwärtd angenommen, 
betm Eſſen uns metallener Meffer und Gabeln zu bedienen. Diefe 
Sitte iſt meines Wiffens erſt einige Jahrhunderte alt und ich 
mag fie durchaus nicht ganz abgefhafft willen. Aber wozu gerade 
Gabeln und Meſſer aus Stahl? Für die Zunge eines fein orga- 
nifirten Menfchen gibt es nichts Widerwärtigeres, als der fäuer- 
liche Geſchmack des Stahles, der fi jeder von ihm berührten 
Speife mittheilt. Mir iſt's immer, als fühlte ich den ſchwachen 
Schlag eines Zitteraales meine Nerven durchzuden. Silber wäre 
jhon mehr zu empfehlen, leider aber tit es zu theuer. Ebenſo 
ift es mit Elfenbein, obwohl elfenbeinerne ſchön geſchnitzte Beſtecke 
ganz reizend ausfehen. Man müßte aljo zum gewöhnlichen groben 
Horne feine Zufluht nehmen, was ich nicht bevorworten will, weil 
es fein geruchlofes Horn gibt. Es bleibt alfo nichts übrig als 
Holz, und da finde ih das Buchsbaumholz ganz gut verwendbar. 
Die Chinefen, von uns gewöhnlich verachtet, und uns doch fo 
merkwürdig verwandt, nicht blos als Verehrer der Zöpfe, die un- 
fere Neltern ihrer Zeit ebenfalls mit hohem Anftande zu tragen 
veritanden, fondern dur ihre Vorliebe für PVeraltetes, für durch 
das Alter lieb Gewordenes, find ungleich klüger als wir und be= 
urkunden fich ſchon dadurch, daß fie die barbariſche Sitte des Ge- 
brauche von Mefler und Gabel nicht in's himmlifhe Reich einge» 
laffen haben, als viel edler organifirte, in feinerem Nervenäther 





— 462 — 


lebende Raturen als wir. Auch Griechen und Römer verflanden 
etwas von der Kunft des Genufles, es iſt ihnen aber niemals in 
den Sinn gelommen, ein zartes Gemüfe oder eine köſtliche Sauce 
mit Metall zu berühren. 

Aßen fie wirklich mit den Fingern? fragte ein nicht mehr 
ganz junger Mann, ber fi durch bie Weinröthe feines Gefichtes 
auszeichnete, und jedenfalls mehr wohlgefüllte Flaſchen auf Borte 
"geftellt, als Bücher von foldhen Herabgenommen Hatte. Wenn fie 
es gethan haben, muß es nit allzu fauber anzufehen geweſen fein. 

Sie thaten's wirflih, die Bebauernswertben, Herr Gluck, er- 
widerte Julius, und ich finde es keineswegs lobenswerth, wenn 
man aber Lief’t, wie fie e6 gemacht haben, fe wandelt einem doch 
bisweilen die Luſt an, ihre Tafelfreuden zu theifen. 

Auf einen Wink des Hausherren ſchloß fi der Zeltvorhang 
geräufchlos, die Tamburin⸗ und Gaftagnettenmufit verftiummte, bie 
Tänzer zogen ſich zurüd. Don den eintretenden Dienern wurde 
jest Schilpfrötenfuppe und Suppe von Achten indianiſchen Vogel⸗ 
neftern berumgeretät. " 

Ste haben freie Auswahl, meine Herren, fagte Don Alonfo 
Gomez. Was mich betrifft, fo Halte ih mich an biefe, in Bonillon⸗ 
Gröme aufgelöften, Vogelnefter. Etwas foffpiefig find dieſe klei⸗ 
nen belicaten Dinger, denn jebes einzelne Toftet — nun was mel- 
nen Sie? 

Hoffentlich erhält man ein paar Dupend zu billigerem Preife, 
als wenn man nur einige wenige Fauft, fagte ein im Rechnen ge⸗ 
übter Gaſt. 

Das mag möglich fein, fuhr. der Mexikaner fort, ih babe 
jedoch, offen geftanden, nicht danach gefragt, ja nidt einmal ge- 
feilſcht, um nur das Befte zu befommen. Ich ließ fie mir Direct 
aus London ſchicken, wo ih das Stück mit einer halben Guinee 
bezahlte, Defto beſſer ſchmecken fie und th muß meinem Koh das 
Zeugniß geben, daß er die Zubereitung verfteht. 

Dei Ceres, Bachus und allen Göttern, bie für bes Leibes 
Wohl und Ernährung forgen, fprad ein wohlbeleibter Kornmakler, 





— 463 — 


dabei Tiefe fih ein gang einträglices Gefchäft mahen, wenn 
man nur punktlich zahlende Abnehmer dafür fände! Morgen fon 
werde ich deshalb ‘an meinen Gorreipondenten in St. Petersburg 
ſchreiben. Die Herren Ruflen haben viel Geld, find fplendider als 
die Engländer, und mögen in ihrem ſataniſchen Clima verteufelt 
gern vecht gut efjen und trinken. 

Von den Aufwärtern waren Weine aus Cypern und Samos, 
weißer Wein von Iſchia, dry Madeira und vother und weißer 
Portwein zu beltebiger Auswahl herumgereicht worden. Während 
die Säfte die Blume derfelben erprobten und ſehr Eluge Bemer⸗ 
tungen über Weinbau und Weingenuß daran fnüpften, warb bie 
Zeltthür wieder von unfichtbaren Händen geöffnet und ein mauri⸗ 
fher Saal mit wunderbaren Arabesten verziert, zeigte fih den 
Erjtaunten. Junge, verführerifch gekleidete, mauriſche Mädchen 
traten ein und führten einen malerifhen, altmaurifhen Reigen 
auf. Als diefer beendigt war und das Zelt fi wieder ſchloß, 
begann das eigentliche Feſtmahl. 

Der nächſte Bang, weldher hohe Befriedigung gewährte, be= 
ftand aus vier verſchiedenen Schüffeln. Es gab nämlich mit aus- 
erlefenen feinen Kräutern gefüllte Wachteln, gebämpfte Enten- 
- füße mit gefihnittenen Taubeneiern, zu denen als Gemüfe grüne 
Erbjen und Bohnen fih gejellten. Diefen ſchloſſen ſich Paſtetchen 
& la Reine und gefochte Hühner mit einer Sauce aus jungen 
Schöglingen der Bambuspflanze an. 

Julius that fein Möglichites, um von allen Schüfleln zu 
foiten. Er fand jede einzelne tadellos, lobte aber vor Allem den 
eigenthümlich zarten Geſchmack der Bambusſchößlinge. Ih habe 
ſchon früher davon gehört, fagte er, in China fehlt dieſe Schüflel 
nie bei einem gut geordneten Gaſtmahle. Schade, daß der Bam⸗ 
bus in unferm barbarifhen Clima nicht gebeiht, Die Gewächs- 
häufer Laflen ſich leider nur ein= bis zweimal im Jahre plündern, 
und auch dann find es bod immer nur Schößlinge von Treib- 
hauspflangen. Ach Gott ja, ſchloß er feufzend feinen Sermon, 
in der Bibel iſt es fteilich zu leſen, daß Bott der Herr, als er 


— 464 — 


fetn fiebentägiges Werk nad beendigter Schöpfung in Augenfchein 
nahm, gefagt hat, es ſei Alles gut, wenn ich aber bie vielen Män« 
gel durchmuftere, an denen wir uns im Leben und durd das 2e- 
ben wund ftoßen, follte ih doch meinen, e8 hätte Manches noch 
beſſer gemacht werden können. 


Gerade diefe feheinbaren Mängel der Schöpfung auszugleichen, 
fiel der Buchhalter des Hauſes Heidenfret ein, oder stelmehr um 
barzuthun, daß fie im Grunde gar nicht vorhanden find, tft Die 
höhere Kockunft erfunden worden, die uns in den Stand febt, 
Alles, was die Erde hervorbringt, auf dem entfernteften Ende der— 
felben zu genießen. Darum ein Hoch den gentalen Grfindern al- 
ler guten Spetfen! 

Die ſehr heitere Geſellſchaft trank biefen Toaft, dem zahl- 
reiche Andere folgten, bereits in feinftem Bordeaur- und Ungar- 
weine. Die Tänzerinnen erfchlenen abermals. Diesmal waren 
es Genten, die unter mild Teuchtendem Sternenhimmel elfenartige 
Tänze aufführten. Harmonikatöne erflangen fehmelzend, girrend, 
die Nerven aufregend im Hintergrunde. 


Zur Abwechslung kamen jebt einige kalte Schüffeln auf die 
Tafel. Unter diefen fanden den meiften Betfall: Forellen - Filets 
mit Schnittlaud-Sauce, Becaffinen in kaltem Gelee, Schneehuhn- 
Pafteten mit Trüffeln gefüllt. Als ganz beſondere Deltcateffe 
brachte ein zweiter Gang gebadene Haifiſchfloſſen, geröftete Fifch- 
fiemen und SKlöshen aus fein gehadftem Steinbuttfleifh und 
Entenragout. 


Während die Gäfte unter heitern Gefprächen in diefen Ge- 
nüffen ſchwelgten, machte fich ein dumpfes Geräuſch bemerkbar, das 
bisher Niemand vernommen oder worauf doc Keiner geachtet Hatte. 
Jetzt ließ es fich fo anhaltend hören, daß es Niemand mehr ent⸗ 
gehen konnte. 

Ste haben wohl eine ganz neue Meberrafchung in petto, ſprach 
ber dDide Kornmaller. Das rauſcht ja, als ließen Ste ganz tn 
der Nähe einen Wafferfturz Ios. Wollen Ste uns etwa eine Vor- 











— 465 — 


ſtellung des wilden Jägers geben, wie er noch heutigen Tages von 
Zeit zu Zeit im Odenwalde ſich blicken läßt? | 

Don Alonfo Gomez antwortete nicht direct, er gab ein Zet- 
chen und erwartete, daß diefem Folge geleiftet werde. Sein Auge 
war auf die Zeltthür gerichtet, Die indeß verhüllt blieb. Mafler 
Papageno, der ald Leibdiener hinter dem Stuhle des falfhen Na- 
bob ftand, wenn feine Gegenwart nit anderwärts erfordert warb, 
erhielt von Diefem einen geheimen Auftrag und entfernte ſich. 
Das ſonderbare Geräuſch dauerte fort. Eiligen Schrittes trat bald 
darauf der Mulatte wieder ein und ſagte ſeinem Herrn, offenbar 
beſtürzt, einige leiſe Worte. Don Alonſo Gomez aber lächelte 
und wies dem Diener ſeinen früheren Platz wieder an. Darauf 
richtete er folgende Worte an ſeine Gäſte: 

Unſern Huldinnen iſt eine kleine Fatalität zugeſtoßen. Sie 
laſſen fich entſchuldigen und werben vorerſt ihre Unterhaltungen 
aufhören laſſen. 

Was kann den allerliebſten Kindern denn begegnet ſein? 
fragte Heidenfrei's Buchhalter, der bet aller Hingabe an bie aus— 
gefuchteften Gaumengenüffe doch noch meit mehr Vergnügen an den 
graztöfen Stellungen und Bewegungen der ſchönen ſchlanken Tän— 
zerinnen aus dem romantiihen Andalufien zu haben fchien. 

Der Wind hat den fünftlihen Anbau, den ih den hübſchen 
Kindern als Garderobe angemwiefen, in graufamer Weiſe wegge- 
fegt, erwiderte Don Gomez. Die armen Dinger zittern vor Kälte 
und würden fich den Tod holen, verlangten wir eine Fortſetzung 
ihrer Vorſtellungen. Ste hoden jetzt beifammen in der Küche und 
ſuchen Xroft bet den Weberreften, die von unferm Tifhe fallen. 

Der Wind? verſetzte der corpulente Makler. Das muß ein 
verteufelt heftiger Wind fein, der einen ganzen Anbau rafirt. 
Es war doh um Mittag viel ftiller geworben. 

Um zwei Uhr Tief er um und darauf begann es ſchon hef- 
tig wieder zu wehen, fagte der Buchhalter des Haufes Hetbenfret. 

Laßt es wehen, fo viel und fo lange es will, meine Freunde, 


fiel Julius ein. Dem Glücklichen fchlägt feine Stunde, ftört fein 
D. 3. XI Wilfomm’s Rheder und Matrofe. 30 


— 466 — 


Sturm. Wir ſitzen im Trockenen, befinden ung, denk' ich, in voll- 
fommenftem Wohlfein und wollen als gute Chriften unfern 
Nebenmenſchen, ich meine den deliciöſen Heinen fhelmäugigen und 
granatblüthmündigen Zigeunerinnen, Maurinnen oder was fie fonft 
fein mögeh, auch einen ſoliden Genuß gönnen. Se toller Boreas 
bläf’t, defto beſſer ſoll es uns ſchmecken. Füllt die Gläfer, meine 
Herren, und bringt dem Gott der Winde ein tief empfundenes 
Hoch! Er ift mehr noch ald Merkur, ber Gott der Kaufleute; 
denn was wäre unfer Leben ohne ihn! Gin elend »jämmerlicher 
Popanz, fo dünn wie ein Leinweber und mit fo ledernem Geſicht, 
fo tief liegenden Augen, wie ein Bergmann aus Johann-Geor⸗ 
genitadt! Es lebe der Wind, der Wind, das liebe, treue, Segen, 
Glück und Gold fpendende Götterkind ! | 

Die Gläfer der Schmaufenden Flangen unter dem lärmen- 
ben Bivat aller Gäſte zufammen, draußen aber brach der Nord: 
weitfturm Baume um und deckte Dächer ab. Die Wogen ber Elbe 
hoben fi Höher und höher und rollten weißſchäumend gegen bie 
fhügenden Deiche ber Infeln und Marſchen. 

Ach, da kommt die große Prozeſſion! fagte Julius, als er 
die Diener mit zerlegten duftenden Braten eintreten ſah. Ich 
denfe, man darf fi noch etwas zumuthen, wenn man .nur weile 
einzuthetlen verſteht. Ich verfuhe es alfo zuvörderſt mit biefen 
auf Pariſer Manier zubereiteten Pfaubennen, fpäterhin werde id 
noch ein kleines Stüdchen von dem in Madeira gefochten Achten 
Schinken aus Salisbury darauf ſetzen. Zu beiden paßt fi dieſe 
Schüſſel mit jungen Erbfen, an denen, wie ich ſehe, der Koch bie 
trefflichften Perigord-Trüffeln nicht gefpart hat. 

Ich ziehe vor wilden Schweinskopf mit diefer köſtlich Duften- 
den böhmiſchen Sauce zu verfudhen, fagte Don Gomez. , 

Und ih werde mich an das auf neapolitanifhe Art zuberel- 
tete Spanferkel halten, fiel der junge Buchhalter ein. 

Na, dann greife ih auf gut Hamburgifh nad diefem lockend 
ausfehenden Ochfenbraten, fagte der Makler. Iſt und bleibt doc 


immer das Befte! 








— 4617 — 


Ein dumpfes Rollen, das wie ein fern verhallender Donner 
ang, ließ fich zu wiederholten Malen hören. Gleichzeitig machte fi 
das Rauſchen und Heulen der Windsbraut dergeftalt vernehmbar, 
daß von Zeit zu Zeit Einer oder der Andere doch einen Augen— 
blick Tang aufhorchte. 

Es ſtürmt gewaltig, meinte der Makler. 

Wird auch wieder aufhören, tröſtete Julius. 

Morgen früh iſt Alles vorbei, ſagte Don Gomez. 

Da krachten ſchnell hintereinander ganz vernehmbar drei Ka— 
nonenſchüſſe. | | 

Hochwaſſer, ſprach Heldenfrei’s Buchhalter, Es kommt richtig 
wieder zur Nachtzeit. Was iſt die Glocke? 

Neun Uhr vorüber, ſagte Julius. Was thut's? Wenn 
wir mit dem Nachtiſche fertig ſind, wird es bereits Ebbe ſein. 

Draußen entſtand Lärm. Don Gomez entſendete ſeinen Die— 
ner, um nachzuſehen, was es gäbe. 

Es iſt ein Mann draußen von groben Manieren ‚ meldete 
der Mulatte zurüdtommend, der durchaus darauf befteht, den Herrn 
von dem Somptotr des Rheders Heibenfrei zu fprechen. 

Mid? fragte der Buchhalter, und fein bisher fo freudig ſtrah⸗ 
lendes Gefiht nahm einen fehr ernften Ausdruck an. Es wird 
David fein, ih Tann mir's denken. — Mit Grlaubnif, meine 
Herren, führ er aufftehend fort, wenn Herr Heidenfrei einen Ex— 
preffen fendet, hat es Eile. Es muß etwas von Wichtigkeit vor- 
gefallen fein. 

Der Buchhalter entfernte fih, kam aber ſchon nach einigen 
Minuten wieder zurück zur Geſellſchaft. 

Nun, was gibt's? fragte Julius. Sie ſehen ja aus, als 
‚hätten Ste ein Geſpenſt gefehen. 

Alle blidten auf den jungen Mann mit dem fahlen, biutlo- 
fen Geficht. . 

Meine Herren, fprah er, ich rathe, die Tafel aufzuheben. 
Ein Eitbote bringt die Nachricht, daß aller Wahrſcheinlichkeit nad 
dieſe Nacht unabſehbares Unglück über die Anwohner der Nord- 

30* 


- 


— 468 — 

feetüften, über die Landſchaften der Niederelbe und wohl auc über 
Hamburg felbft bringen wird. Meber fünfzehn Fuß fhon war bie 
Springfluth vor einer halben Stunde aufgelaufen — da — hö- 
ren Ste die Lärmfchüffe wiederum, die nah Rettung rufend in 
bie finftere, wilde, kalte Sturmnacht hineinfchreien * Das Wafler 
bringt ſchon in die unteriten Speicherräume, der vierte Theil ber 
Stadt tft überfhwemmt, wählt es um noch einige Fuß, was zu 
beforgen fteht, da der Sturm immer wilder raſ't und die Fluth 
noch drei Stunden fteigt, fo fürdtet man Deichbrüche. Ich eile 
bie Stadt zu erreihen und empfehle Allen, die etwas zu verlieren 
haben, ein Gleiches. 

Er verfhwand, ehe die Weberrafchten ſich erholen Tonnten. 
Die ausgelaffenfte Fröhlichkeit machte trüber Beftürzung ängftlicher 
Befangenhett Platz. Keiner war fih Kar, was er thun follte. 
Einige wünfchten zu bleiben, weil fie von den Genüffen, benen fie 
fi) hingegeben hatten, träg geworden waren, Andere hielten bie 
Nachricht für übertrieben. Nur die Schredensihüffe, Die in immer 
kürzeren Paufen folgten, ftraften fie Lügen und veranlaßten Don 
Gomez doch, fhon nach einer Heinen halben Stunde die Tafel auf: 
zuheben. 

Maſter Papageno, dem es unheimlich zu werden begann, wie 
immer, wenn der Sturm raſ'te, machte ſeinem Herrn bemerklich, 
daß ſeine Wohnung in Blankeneſe ganz verlaſſen ſtehe und bei 
ſo hoher Fluth leicht ebenfalls von den zerſtörenden Wellen erreicht 
werden könne. Don Gomez leuchtete dies ein. Das Feſt war 
einmal zerſtört, der Gipfel des Genuſſes ohnehin überſtiegen, und 
da ſchon einige der Gäſte, unter denen ſich ſogar Julius befand, ganz 
unvermerkt davon geſchlichen waren, fo dankte er den noch Zurück⸗ 
gebliebenen für die Ehre ihres Kommens, wünſchte Allen gute 
Nacht und glückliche Heimkehr, und befahl dem Mulatten, unver⸗ 
weilt die Pferde zu fatteln. 

Zwanzig Minuten fpäter jagte Don Gomez in Begleitung 
Mafter Papageno’s die Straße entlang, bie nad Blankeneſe führte. 
Die weiße, fhimmernde Tracht, die er im Dünfel, einen indiſchen 





— 469: — 


Fürften vorzuftellen, trug, leuchtete weithin unter dem ſchwarzen 
Mantel, den der Sturm auseinander wehte. Die Wolfen rollten 
wie ein Heer kämpfender Schatten über den ſpäten Reitern fort, 
die Erde dröhnte unter ven Wetterſtößen des Orkanes, Bäume 
brachen, Dachfirſten flogen durch die Luft, die Krähen ſchrieen zit 
ternd, ihre ſchwarzen Flügel fhlagend, die Kühe in den Stallun- 
gen der Bauernhäufer, die ſeitwärts Hinter den faufenden Kniden 
lagen, brüllten, die Hunde fließen langes, klagendes Geheul aus. 
Hinter den flüchtigen Reitern aber wimmerte von Zeit zu Zeit 
Glockengeläut, dann wieder Trachten Schüſſe, und nun hörte man 
Geſchrei bedrängter Menſchen und das gurgelnde Toſen gegen die 
Ufer geſchleuderter Waſſerwogen. 


Vierzehntes Kapitel. 





Die Sturmfluth 


Mutter Silberweiß war über dem Geplauder ihrer Nichte mit 
Chriftine eingefchlafen. Die Verlobte Miguel’8 Hatte in den Ieß- 
ten Wochen ſchon einigemal ihre ehrwürdige Pathe befucht, und ihr 
dann wie früher aus der Bilderbibel vorgelefen. Ste kam feitvem 
haufig, denn fie geſtand offen, daß fie jegt gern in dem kleinen, 
aber fauber gehaltenen Kelleritübchen weile, weil e8 ber Ort fei, 
wo ihr Miguel fie als unbedeutende arme Wäfcherin zuerft erblidt 
habe. Chriftine mußte der Blinden viel von ihrem Verlobten und 
deſſen Vater erzählen, da fie es nit müde ward, von den ganz 
unglaubliden Schidfalen des Vaters und Sohnes zu hören. Co 
unbegreiflid Mandes der blinden Gretfin vorfommen modte, fie 
bezweifelte nie die Wahrheit des Gehörten, und fromm, gotterge- 
ben, vertrauensvoll, wie fie Immer gewefen , fand fie überall die 
feltende Hand des Schöpfer heraus und pried ihre junge Pathe 
glüdlih, daß der Himmel ihr ein fo feltenes Loos beſtimmt habe, 





— 470 — 


Heute mußte Chriſtine der Pathe Silberweiß die Geſchichte 
ron der Sündfluth vorleſen. Die Blinde erbaute ſich immer von 
Neuem an dieſer bibliſchen Erzählung, wenn eine Hochfluth glück— 
lich überſtanden oder eine mit Bangen erwartete gar nicht einge— 
treten war. Trudchen hörte zwar auch auf die Worte der Leſen— 
den, beihäftigte fih aber do mehr noch mit der fpielenden Katze 
und befah nebenbei die in den Text der. Bibel eingedrudten Bilder, 
welche die Arche Noäh, den Gintritt der Fluth, deren fchredliches 
Wachen, den Tod der damaligen Erdbevölkerung, die Rückkehr der 
Taube mit dem Delblatte, endlih das Gebirge Ararat mit der 
Arhe und dem opfernden Noah daritellten. 

Trudchen's Geplauder unterhielt Chriftine, und das junge 
Mädchen würde nod mehr. Genug von dem Geſchwätz des Kindes 
gehabt haben, Hätten die heftigen Windſtöße, die vaufchend über 
bite hohen Giebeldächer fuhren, fie nicht bisweilen erfchredt. Chri- 
fitne Liebte den Wind nicht. Sie mußte bei ftarfem Wehen im- 
mer der Seefahrer und der ihnen drobenten Gefahren gedenten, 
und dann zitterte fie für ihren Bruder Paul, der ja, wie fie wußte, 
jeßt gerade unterwegs war und ſchon den Kanal erreicht haben 
konnte Auch mußte fie unwillkürlich fchaudernd der windigen 
Regennacht ſich erinnern, wo die beftochenen Helfershelfer des Mexi— 
kaners fie mit folder Kedheit aus dem ſchützenden Haufe des rei— 
hen Rheders entführten. 

Ich wollte, Vater lieg nicht lange auf fi warten, fagte 
Shriftine zu dem plaudernden Trudchen. Ich habe einen. jo häß— 
ihen Heimweg, und bin ih glüdlih tim Haufe, quäle ih mid 
wieder um ‚den heimfehrenden Vater. Bet folhem Wetter regnet 
es in unfern engen Twieten immer Ziegelbroden und Dachpfannen. 

Der Wind flug gegen die Kellerfenfter, als würfe man 
grobförnigen Sand an das Glas. Mutter Silberweiß erwachte. 

Was gab es? Rief mich Jemand? fragte die Blinde. Ihr 
ſeid doch bei mir geblieben? 

Gewiß, Pathe — Großmama, verfeßten gleichzeitig Chriſtine 
und Trudchen. 





-— 4711 — 


Das Geräufh von vorhin wiederholte fich, aber jtärker, praf- 
ſelnder. Ihm folgte der Sal eines harten ſchweren Gegenſtandes, 
dann ein gleichmäßiges Rauſchen, das ſich eigenthümlich anhörte. 

Es weht bös, Ihr Kinder, dag gibt Unglück auf See, fagte 
Mutter, Silberweiß und faltete die Hände. Wenn Ihr morgen 
oder übermorgen am Stod der Büchſe, wo für Schiffbrüdige ge= 
fammelt mird, vorlibergeht, dann vergeßt ja nicht ein paar Schil— 
finge in die Büchfe zu fleden! Die armen Menfhen brauchen’s. 
— Da — find von mir au zwei Scillinge, die ftedt mit den 
Eurigen hinein. — Hord, wie das brauf’t und heult! | 

Hallo, Nachbarin, rief jeht eine Stimme auf dem Hofe, werft 

Euern Pelz um und macht Eu fertig! Die Fluth kommt! Beim 
Bippelhaufe ſtehen fchon alle Keller voll Waſſer. Habt Ihr das 
Stürzen der Wellen noch nicht gehört? 

' Um Gott, die Fluth fleigt und der Vater kommt nicht! 
ſprach erſchrocken Chriftine, ftand auf und öffnete die Thür nad 
der Treppe. Deutlih vernahm fie jeßt zwiſchen den braufenden 
Stößen des Windes das gleichmäßige Rauſchen des feine Ufer 
überfteigenden Waſſers, das in alle Vertiefungen in zahllofen 
„Wafferfällen fih ergo. Auf den Wällen wurden die Kanonen 
gelöftt. Meberall hörte man in den furzen Pauſen, die der Wind 

“ machte, rufende Stimmen, die bald befehlshaberiſch, bald ängii- 
ih klangen. Auch weinende Kinder freifchten dazwiſchen, aus— 
gelaffene Jungen gröhlten und patſchten in die eriten trüben 
Pfügen, die fih auf der Straße zeigten, während fie einander 
jubelnd zuriefen: „Hochwater kommt an! Wie fhade, nu hefft 
wi doch morgen all wedder School!“ 

Diesmal jedoch geftattete die Beſchaffenheit des Hochwaſſers 
der Jugend feinen Spielraum zu unnüßen Störungen. Die Wos 
gen der Elbe fttegen in fo erſchreckender Weife, der Sturm heulte 
fo wild, der Regen flürzte in folden Maffen dabet aus den graus 
gelben Wolken nieder, daß jedes Scherzwort erſtarb und Alle nur 
zu bald den tiefen Ernſt des Augenblides erkannten und mit ſprach— 
lofem Entjegen den Schreden der nächſten Zukunft entgegen fahen, 


— 472 — 


Chriſtine hüllte ſchnell entſchloſſen die alte Pathe in wär— 
mende Kleider und ſprach ihr Muth zu. 

Noch haben wir, Zeit, Pathe, ſprach das jetzt mit Umſicht han— 
delnde Mädchen. Vater kennt die Elbe, wenn der Nordweſtſturm 
fie aufwühlt, er kommt ſicher zur rechten Zeit, um uns'abzuholen. 
Er muß nur zuvor auch die Mutter in Sicherheit bringen. 

Trudchen begann zu weinen, nahm ihre Katze auf den Arm, 
liebkoſ'te ſie und ſetzte ſich mit dem Thiere auf den Tiſch. Noch 
vergingen lange, angſtvolle zehn Minuten, dann kamen Schritte 
vom ſchmalen Gange herein, und die Harrenden erkannten in den 
mit Abſicht ſehr laut Sprechenden die Stimme des Quartiersman⸗ 
nes. Chriſtine ging ihm bis auf den Hof entgegen. 


O Vater, iſt das Wetter ſo bös? ſprach die Tochter. Gottlob, | 


dag du da bit! Und da tft ja auch der treue Andread und 
Trudchen's Vater. DO, wie dante ih Euch Allen! Wie möcht’ ich 
Euch Allen fo recht, recht von Herzen erfenntlid fein! 

Mach’ nur jebt nicht viel Worte, mein Kind, verfeßte Jacob 
fehr ernit. Wir haben Eile. Geh’ voran mit Trudchen und An 
dread, ih und Krume kommen mit der Pathe nah. Noch, Hoff 
ih können wir mit Hülfe des an fchlimmeres Wetter gemwöhnten, 
Undread die Hohe Brüde paffiren. Aber es, tft die höchſte Zeit. 


Eine halbe Stunde fpäter Ihlägt der Sturm auch im Binnenha= ' 


fen die ſchwerſte Jolle um. 

Den Flüchtenden kam das ftrudelnde Wafler ſchon entgegen. 
Meberall vor den Eingängen der Höfe fah man Kähne, Laternen 
eikten bin und wieder, Taue wurden aus den Häufern herabgelaf- 
jen, Betten und andere Ütenfilien eingepadt, Männer fluchten, 
Weiber jchrieen, Kinder weinten. Alles drängte vorwärts, und 
Viele wurden in der Eile des Flüchtens beſchädigt. 

Die Deiche brechen! rief plößlich eine Stimme. 

Niemand wußte woher fie kam. Dann hörte man wieder 
nichts, als das Niederſchurren abgeriffener Dachpfannen; Schorn- 
feine ftürzten, die ganze Wand eines Hauſes ward nicdergeworfen, 
Aus der entitandenen Deffnung fiel unter wimmerntem Weheruf 








— 473 — 


ein Menſch in den Fleeth, wo er noch ein paarmal auftauchte und 
dann für immer verſchwand. 

Die Geflüchteten erreichten glücklich die feſtgekettete Jolle. Ja⸗ 
cob und Krume trugen die Blinde, die Uebrigen waren ſchon ein⸗ 
geftiegen. Andreas faßte das Steuer, Jacob ergriff zwei Ruder 
und fegte fie fiharf in das fhäumende, wühlende Wafler. 

Das walte Gott! ſprach er, als Andreas durch eine Wendung 
des Steuers den Nahen mitten in's Fahrwaſſer trieb, Wider Er- 
warten erreichten fie ziemlich ſchnell den fchübenden Kanal und auf 
diefem Heidenfrei's Haus. Hier erreichte dag Wafler fchon beinahe 
bie Laube, und man konnte mit Sicherheit annehmen, daß bei 
gleihmäßigem Steigen der Springfluth weder die Diele, noch die 
Comptoirzimmer verfhont bleiben würden. 

Der Rheder ftand mitten in einer Gruppe WMenfchen, die von 
ihm Aufträge erhielten. Er grüßte die erfchrodene Chriſtine nur 
flüchtig und rief Jacob zu, er möge fih parat halten, um mit eis 
ner genügenden Zahl Arbeiter fogleich in den gemtetheten Speicher 
zu gehen und dort im unterſten Raume die vom Waffer bedrohten 
Waaren zu bergen. Der Quartiersmann bejahte kurz und trug 
die vor Angſt und Froſt zitternde, ſprachloſe Blinde in das Zime 
mer feiner Tochter, wo er fie nebft dem Kleinen, nicht weniger ge— 
ängſteten Trudchen deren Pflege überließ. 

Andreas hatte fi zu den Männern geſellt, welche Heidenfrei 
umgaben. Gr fragte, ob der Rheder wünſche, daß er im Haufe 
bleiben folle, da man ja im Voraus nidht alle möglicherweife ein- 
tretenden Zwilhenfälle voraus berechnen könne. Das Krachen ber 
Zärmfanonen, das fi jept abermals hören ließ, verfündigte von 
Neuem das fortwährende Steigen der Springfluth. 

Ich bin Ihnen für Ihr Anerbieten ſehr verbunden, verjegte 
der Rheder. Verweilen Ste, wenn nicht dringende Geſchäfte oder 
früher eingegangene Berbindlichkeiten Sie irgendwo andershin ru= 
fen, bei uns. ine kräftige Hand ift unter folhen Verhältniſſen 
oft viel werth. Ich felbft bin genöthigt, mein Haus zu verlaflen, 
Ich Habe fo eben die wenig tröftlich lautende Nachricht erhalten, 


— 474 — 


daß der ſchwache Stadtdeich von der Fluth bedroht iſt. Kann ich 
nun auch Unheil nicht abwenden, wenn die Gewäſſer den Anftren- 
gungen menſchlicher Kräfte fpotten, jo iſt es doc Pflicht für mic, 
denjenigen, bie in meinem Dienfte ftehen, fo viel als möglich 
Hilfe angedeihen zu laſſen. Und überdies hab’ ich dort draußen 
auch Eigenthum zu befhügen. Brit der Deich, fo ſchwemmt mir 
die eindringende Elbe ein enormes Gapital fort, das ich In Holz 
angelegt habe. | 

Treufreund kam aus dem Gomptoir, eine Laft großer Bücher 
auf dem Arm. 

Wohin? fragte Heidenfret. 

Nah meinem Zimmer, antwortete der „Schatten”. Es find 
Hanptbüher, die ih geführt habe. Dringt das Waller ein, fo 
wäre der Schaden, feuchtete es die Blätter diefer Bücher an, 
duch nichts in der Welt mehr zu erfegen. 

Aber, befter Treufreund, fiel der Rheder ein, wie joll das 
Waſſer bis über die Pulte fteigen können! Halb Hamburg würde 
ja in folhem Falle total von den Wellen verfhlungen werden! - 

Der Dunft, Herr Heidenfrei, der bloße kalte Fleethdunſt, 
der einen eigenthümlich ſcharfen Geruch befigt, erwiderte Treu— 
freund, könnte fih in den Blättern feſtſetzen, und das wäre bei— 
nahe ein eben fp großes Unglüd, als deren Durchweichung. Ich 
ſtehe auf der Stelle wieder zu Befehl. 

Damit zog er fein Käppchen vor dem Rheder, verbeugte fich 
und flieg die Treppe hinauf, um den geliebten Büchern, in de— 
nen das befte Theil feines Selbſt und, wie er oft behauptete, 
die Ehre und Größe des Haufes Thomas Peter Heidenfrei auf- 
bewahrt war, an einem völlig fihern Orte unterzubringen. 

Heidenfret fhüttelte den Kopf über dies fonderbare Gebahren 
bed wackern Alten, es blieb ihm aber nicht Tange Zeit, das Nutz⸗ 
loſe deffelben zu Überlegen, denn fein Sohn Ferdinand trat, von 
bem ‚Gorrefpondenten Anton gefolgt, ſehr aufgeregt ins Haus. 

Beiter Vater, ſprach Ferdinand, wenn mich nicht Alles trügt, 
wird dieſe Nacht eine fehredenreiche, deren Angedenken lange fort 


- 








— 475 — 


feben dürfte in den Annalen unferer Stadt. Das Waſſer ſteht 
in diefem Augenblide bereits auf einer Höhe von einige Zolle 
über fiebenzehn Fuß. Die halbe Altftadt wird von der Elbe durd- 
ftrömt, alle Keller find erſäuft, die Noth der Geflüchteten tft 
groß, das Jammern und Schreien Hilflofer, die nicht willen, wo 
fie unterfommen, wohin fie fi vor dem Hagel niederſtürzender 
Ziegelſtücke retten ſollen, zerſchneidet jedem Mitleidigen das Herz. 
Am allertraurigſten aber lauten die Nachrichten vom Stadtdeich. 
Dort rettet ſich bereits, wer kann und flieht der Stadt zu, denn 
der Schwache, längſt ſchon ſtark mitgenommene Deih wird dem 
furchtbaren Andrange der Wellen, dem wilden Schlagen und 
PBeitihen der Sturmfluth ſchwerlich widerftehen. Ih komme, um 
beine Meinung zu hören. Bit du noch Willens hHinauszufahren ? 


Wir müſſen den Yeind befämpfen, fo lange wir können, 
verjeßte der Rheder. Hier find meine Anordnungen getroffen, id) 
jelbft bin vor der Hand entbehrlih. Da kommt auch Jacob zu= 
rüd. Er gebt in den gemietheten Speicher, um bort zu vetten, 
was möglich tft. Begleite ihn und thue, was der Augenblid er» 
heiſcht. Ich eile nah dem Deich. Wer will mich begleiten? 

Ih, ſprach Anton. Mein Auge tft fharf, mein Fuß fell. 
Schwindlig und ſchreckhaft bin ih auch nicht, und außerdem fann 
ih zur Noth noch ſchwimmen. 

Wie ſeine Frau Mutter, murmelte unveritändlich der von 
Oben wieder herabfommende XTreufreund, der im Vorübergehen 
die legten Worte Anton’s hörte. 

Wie fagen Sie? fragte Heidenfret. 

Nichts, verfeßte der „Schatten“, kehrte fih um und machte 
dem Gorrefpondenten eine Furze, ſpöttiſche Verbeugung. 

But, fuhr der Rheder fort, ich nehme Ihre Begleitung an. 
Machen Sie fich fertig, ich bin ſogleich wieder zur Stelle. 

So fprechend, eilte der aufgeregte, dabei aber fehr befonnen 
handelnde Rheder zu den Seinigen, jagte diefen mit kurzen Wor« 
ten Adien, empfahl Allen Ruhe und Gottvertrauen und verfprad 


— 4176 — 


moglichſt bald zurückkommen. Bleibe er länger aus, ſollte man 
ſich ſeinetwegen nicht ängſtigen, Anton begleite ihn. 

O, Gott! ſeufzte Eliſabeth, und alle Farbe wich aus ihrem 
ſanftem Geſicht. Wärſt du doch ſchon wieder bier und dieſe fchred- 
liche Sturmnacht glücklich überſtanden. 

Muth, mein Kind, Muth, und das Köpfchen immer oben be— 
halten! verſetzte Heidenfrei ſcherzend. In der Noth nicht verzagen, 
macht uns dieſes Lebens und der mancherlei Freuden und Seg— 
nungen deſſelben erſt würdig! 

Gott begleite Euch! ſagte Margaretha, den Gatten nochmals um⸗ 
armend und als er das Zimmer verlaſſen hatte, zwiſchen der bang 
aufathmenden Tochter und der ganz ſchweigſamen Ulrike wieder Platz 
nehmend, bie der bloßen Zerſtreuung wegen jede mit einer Hand— 
arbeit ſich bejchäftigten. 

Anton’d beherztes Wefen erlitt einen bedeutenden Stoß, 
als er vor dem Deichthore einen erſten Blid auf den rafenden 
Strom warf. Der Anblid war furchtbar ſchön, bis zum Entſetzen 
erhaben. Bald Tagerten über dem gelbgrauen firudelnden Abgrunde 
ſchwarze Regenwolfen, ‘die in vafender Eile vom Sturme gepeitſcht 
jübwärts zogen, bald bob ſich diefe graue Wolfendede, zerflatterte 
nach allen Seiten und einzelne Sterne blidten, brehenden Augen 
eines Sterbenden ähnlih, auf den Graus der Erde. Die Elbe 
wogte wie ein flürmijhes Meer. Zahlloſe Trümmer zerfchlagener 
Holzflöße trieben und tanzten auf den gurgelnden, zifhenden Wel— 
len, Hausgeräthe lag zerbrochen, vernichtet am Deichrande. Schau⸗ 
erlih Klang zwiichen dem Brüllen des Nordweititurmes das Hilfe 
gefehret der Menfihen, welche die Fluth überrafht und jeder Aug: 
fiht auf Rettung beraubt hatte, und nicht weniger erfüllte das 
ärigitlihe Blöden fortgerifiener Schafe, das heiſere Brüllen der 
Kühe, das wimmernde Wiehern fortgefchwemmter Pferde das Herz 
jedes fühlenden Menfchen mit Entjegen. Wenn dann auf Aus 
genblide ein großer heller Raum in die Wolken riß und das 
bleiche, alte Mondliht auf die graufe Vernichtungsſcene fiel, er: 
bedte auch der muthigite Daum vor dieſem Unblid, und der Käls 











— 477 — 


teſte, Hartherzigſte ſogar fühlte eine Anwandlung von Mitleid mit 
den Unglücklichen, denen die entfeſſelte Wuth zweier Elemente 
vielleicht Alles raubte. 

Nur mit Aufwendung aller Kräfte gelang es dem Rheder, 
die Gegend zu erreichen, wo ſich ſein Holzlager befand. Ein Theil 
der, Bedachung war ſchon der Gewalt des Sturmes erlegen. Das 
ganze Gebäude zitterte unter der Wuth der Windwogen, und von 
der Stromſeite ziſchten bereits Waſſerſtrahlen über den Deichkamm. 
Ueberall waren zahlreiche Hände beſchäftigt, den offenbar zu nied⸗ 
rigen Deich mittelft aufgehäufter Sandfäde zu erhöhen. Heiden⸗ 
frei war, ſoweit das andringende Waſſer es zuließ, überall zur 
Hand und »Anton mit feinem ſcharfen Auge, feiner geſchmeidigen 
Gitedergelentigkeit, die dem Sturme beffer, als ber hagere, ſchwache 
Körper des Rheders die Spitze bot, leiſtete dieſem ſehr weſentliche 
Dienſte. 

Beinahe anderthalb Stunden kämpfte und rang die vereinte 


Kraft vieler hundert Menſchen mit der immer höher ſteigenden 


Fluth. Bei dem Durchglänzen vereinzelter Mondſtrahlen konnten 
die Arbeitenden bemerken, daß die Waſſermaſſe immer wilder wogte 
und alles Land weit umher ſchon in einen weiß ſchäumenden See 
verwandelt war, aus welchem nur Baumgruppen, kahle, ſchwarze 
Streifen von Deichen und hohe, ſteile Strohdächer umflutheter 
Wohnungen emporragten. 

Hetdenfrei Hatte die Holztreppe erftiegen, welche zu feiner 
Niederlage führte, die großentheils hinter dem Deiche, mithin tief 
unter dem Spiegel des angefchwollenen Stromes lag. Anton lei⸗ 
tete von ber unterjten Stufe der Treppe aus bie Arbeiten am 
Deiche. Da drang plöglih ein wilder Schrei durd das Braufen 
des Sturmes, ein Schauer trüben Waflers fprüßte herauf bie zum 
Standorte des greifen Rheders, der fih, um dem Winde zu troßen, 
mit beiden Händen an den obern Querbalfen der Thür fellflam- 
merte und fich vergebens anftrengte, das Chaos zu durchſchauen, 
das wenige Schritte entfernt fich geftaltete, Alles wankte, rollte, 
ftürzte durd= und übereinander, der Strom brauf’te, die hochſchla⸗ 








— 418 — 


genden Wogen fhäumten wie Meeresbrandung, Bäume fielen, die 
Erde bebte, ſank ein, trieb fort, krachend verſanken Häufer, “Men 
hen, Steinwert in einen breiten, ſtrömenden Wafferfturz, der Alles 
in feine Strudel fortriß und begrub. Der Deich war gebrochen! — 

Auch der Tautefe Ruf einer Menfchenftimme blieb in dem 
Gebraufe von Wind und Wogen unhörbar. Heidenfrei bemerkte 
das Fortfhurren bes Erddammes, er fühlte den Drud der Iv8- 
geriffenen Scholfen gegen das Holzgebälk, das ihn trug, er fah, 
wie Anton ftrauchelte, fiel, zwiſchen Grögeröll und braungelden 
Wellen fih überfhlug — er rief ihm zu, er firedte die Hand 
nah dem ſinkenden Jünglinge aus, erfaffen aber fonnte er ihn nicht. 

Noch wenige Augenblide und bie Treppe brach. Auch Heiden- 
fret flürzte zwifhen Brettern, Erdfhollen und Steingeröll in bie 
brüllenden Wogen und trieb mit zahlreichen Andern fort auf den 
zerftörenden Fluten. Sein graues, dünnes Haar flatterte im 
Sturm und madte ihn Vielen tenntlih. Anton, der fo glücklich 
war, einen gewichtigen Ballen zu faflen und fih rittlings darauf 
zu ſchwingen, erfannte ben bebrängten alten Mann und rief ihm, 
feine eigene Gefahr vergeffend, rathende Worte zu. Jede Rettung 
aber würde unmöglich gemwefen fein, Hätte der erfte gewaltige 
Schwall des Waffers, von der Menge Erde, die er mit fortrif, ſich 
nicht Furze Zeit an einem querziehenden, mit vielem Bufchwerfe 
befegten Damme geftaut. Hierhin trieben Viele ber Portgetrages 
nen und Manchem gelang es, einen Baumaft zu erreichen, in ber 
Angſt der Verzweiflung fih emporzufgmwingen und fo auf einem ber 
ftarfen, alten Bäume vorläufig Rettung, oder doch wenigſtens eine 
Zuflucht zu finden. 

Zu diefen Glüclichen gehörte Anton. Kaum fah er fid ſelbſt 
momentan geborgen, fo dachte er fhon auch an die Rettung An- 
derer. Er gewahrte den Rheder auf den Trümmern ber Treppe, 
die er mit beiden Händen feithtelt, fah ihn herantreiben, zwiſchen 
den Baumftämmen verfhwinden, wieder erfcheinen, endlich fich feft- 
baten. Ein Zeichen, ein Ruf, ein grellee Schrei machten Heiden- 
fret aufhorden. Herr und Diener erfannten fil. Anton wagte, 





— 479 — 


wie eine Eichkatze weiter zu Eettern auf einem der breiteften Aefte 
der blätterlofen NRüfter, die ihn trug. Die firudelnden Waſſer 
ftreiften feine Füße, er tauchte fogar mit dem ſchwankenden Afte, 
der feinen Körper faum zu tragen vermochte, bis zum halben Leibe 
in die falte, Ichmige Fluth, aber cr verlor den Muth nicht und 
gab aud fein Unternehmen nicht auf. Mit fat übermenſch⸗ 
licher Anftrengung ſchwang er fih auf einen andern Aft, von dies 
fem auf einen vritten und vierten. Endlich faßte er wieder feiten 
Fuß auf ſtarkem Inorrigem Stamme. Er nermochte, dem hier 
zwifchen zwei Stämmen feftfibenden Nheder die Hand zu reichen und 
zog ihn zu fih herauf. Aller Noth und Angſt des Augenblickes 
vergefjend, rief er, als der zitternde Rheder neben ihm fand und 
einen heißen Dank ftammelte: 

Hurrah, mien Moder. kann ſwemmen! 

Dann fhlang er feinen Arm um den Leib bes Prinzipals, 
zog fein Tafchentuh, knüpfte es mitedem des Rheders zufammen 
und band diefen, der mit gefchloffenen Augen den Stamm um- 
klammerte, um von der raſch vorüberziehenden Fluth nicht ſchwind— 
ih zu werden, mit diefem Nothtau, fo gut es gehen wollte, feit 
an den fhhügenden Baum. 


Fünfzehntes Kapitel. 





Tod und Rettung. g 


Don Alonfo Gomez und fein Diener hatten einen ſchweren 
Stand. Nicht blos verfegte der Nordwefl-Sturm ihnen den Athem 
und nötbigte fie, langfamer zu reiten, bie Pferde wurden aud 
unruhig, ängſtlich und zuletzt ſtörrig. So Lange die Reiter zwi- 
hen einigermaßen gefhügten Heden forttrabten, ftießen fie auf Fein 
bedenkliches Hinderniß, als aber die Straße fich fenkte, die bewal⸗ 








— 480 — 


beten Uferhöhen zur Rechten blieben und der braufende Strom zur 
Linken fihtbar warb, da begannen die geängfteten Pferde zu fhnau- 
ben und waren nur mit Mühe vorwärts zu bringen. 

Don Gomez, ohnehin Argerlih darüber, daß fein Föftliches 
Mahl ihm dur ein Naturereigniß fo unangenehm geftört worben 
war, ſchimpfte, fluchte, ftieß die entfeglichften Gottesläfterungen aus 
und traftirte dabet in der Wuth fein Thier in einer Weiſe, die 
ganz und gar das Gegentheil von dem zur Folge haben mußte, 
was er beabfihtigte.e Das Roß bäumte, fprang zur Seite unb 
gab alle Zeichen eines nahe bevoritehenden Scheuwerdens von fi. 

Mafter Papageno ließ fi weniger von blinder Leidenſchaft⸗ 
lichkeit beherrfhen. Cr begriff vollkommen, welcher Gefahr fie ſich 
ausfesten, wenn die unruhigen Thiere dem Zügel nicht mehr 
gehorchten. 

Schmeicheln Sie dem Pferde, raunte er faſt gebieteriſch dem 
heftigen Mexikaner zu. Die Gerte macht es nur wild und am 
Ende wirft e8 Sie ab, wozu hier durchaus fein Platz if. In 
einer Viertelftunde müflen mir die gefährliche Stelle zurüdgelegt 
haben, wo bet Hodfluthen der Strom die Straße überfpült, fonft 
fönnen wir umfehren oder unter fretem Himmel camptren. 

Garajo, ich wollte meine Augen hätten dies verdammte Land 
niemals gefehen! verfeßte Don Gomez. Es tft nichts Anziehendes 
bier zu finden, als die jungen Mädchen und Frauen, und biefe 
befigen neben allen Vorzügen nur wieder den einzigen großen Feh— 
fer, daß fie eisfalte Herzen oder doch nur Herz für einen Einzi« 
gen haben. Der Teufel hole fo Volk, wie Land! Immer raſe 
zu, Sturm, immer rollt und brauf’t, wild empörte Fluthen, und 
wollt Ihr mir einen Gefallen thun, fo überfhwemmt und ver- 
fhlingt das ganze fifhblutartige Gefchlecht, das weder zu Tieben, 
nod zu haſſen veriteht. 

Es gelang ihm, das Thier wieder in Trab zu feken. Der 
Mulatte ritt, da er bemerkte, daß das Pferd feines Herrn dann 
Leichter vorwärts zu bringen war, biefem voraus. So vergingen 
etwa zehn Minuten, Die brechenden Wogen des Stromes bon- 

















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nerten immer vernehmbarer, das hohe Schilf am Etrande yflif 
unheimliche Weifen, hin und wieder ſcholl Hundegebell von dem 
hohen Ufer herab, vereinzelte Lichtpunfte ſchimmerten düſter durch 
die feuchtkalte Luft. Die Krähen krächzten und hodten Schaaren= 
weife, mit den fhmwarzen Fittichen die Luft fchlagend, auf den ent- 
blätterten Bäumen, deren Wipfel ber Sturm zerzauf’te oder wohl 
auch brach. 

Das Thier des Mulatten blieb ftehen, ftemmte beide Vorder⸗ 
füge fet in den Sandboden, fpigte die Ohren, fchnaubte und warf, 
die Nüftern aufblafend, den Kopf zurüd, Der Rappe ded Me- 
xikaners zitterte und machte ebenfalls, ſeitwärts blidend, Halt. 

Mas gibt es fhon wieder ? fragte Don Gomez. 

Fluth, Schaum und ein Schwarm weißer, gefpenftifcher Vö— 
gel verfperren den Weg, verſetzte Mafter, Papageno. Wir müſ— 
fen umkehren. 

Lieber dem Teufel in den Rachen, als umkehren! ermiderte 
Don Gomez. Vorwärts, fag’ id, und wenn die Beftte nicht will, 
fo ſtoß' ihr die Sporen in die Weichen, dag du fie morgen früß 
mit einem Schraubenzteher wieder herausziehen mußt. 

Ich bin fein Thierquäler, Herr, fagte der Mulatte finfter, 
fein Pferd leiſe feitwärts drängend. Merfuchen Sie felbft Ihr 
Hell, wenn Sie meinen, die Glemente werden Ihnen eben fo wil= 
ig dienen, wie die meilten- Menfchen. 

Des Merifaners glühbende Augen fielen auf den wühlenden, 
braujenden, vor= und rückwärts wogenden Schaum, den wohl drei- 
Big bis vierzig Buß breit die Fluthbewegung des Stromes hier 
über die Straße trieb. Ein dichter Mövenſchwarm ftieg einer weiß 
glänzenden Wolfe gleich über der verhängnißvollen Stelle klagend 
auf und nieder. 

In des Teufels Namen, vorwärts! fchrie Don Gomez, den 
ed empörte, daß er der eigenfinnigen Laune eines Thieres fih fü- 
gen folte Der Rappe machte, vom fiharfen Sporn des wilden 
Reiters getroffen, ein paar wüthende Sätze, berührte die ftrudelnde 
kalte Schaummelle, bäumte und mwarf feinen Reiter ab, dann kehrte 

D. 2. XI. Willkomm's Rheder und Matrofe, 31 


— 481 — 


er um und jagte unaufhaltfam rückwärts. Der Mulatte wollte 
das fcheugewordene Roß am Zügel erfaflen, verlor dabei feldft 
das Gleichgewicht und ward, von dem eigenen Thiere fortgerifien, 
ebenfalls in die Fluth gefchleudert. Die Möven flogen unter grel- 
lem Schrei hoch auf, fammelten fi aber ſchnell wieder über den 
tanzenden Schaumfreifen und, blieben wie früher in fchwebender 
Bewegung, ununterbrochen leiſe klagende Töne ausſtoßend, darüber 
ſtehen. 

Zu jeder andern Zeit würde es Don Alonſo Gomez leicht 
geworden ſein, einem wirbelnden Waſſerſtrudel ſich zu entringen, 
denn er war ein geübter Schwimmer, jetzt aber hinderte ihn die 
lange, verhüllende, indiſche Kleidung an freier Bewegung feiner 
Glieder, und während er, gegen den rollenden Triebfand unter 
feinen Süßen und gegen ben Giſcht der ſchäumenden Strommellen 
einerſeits kämpfte, fuchte er fih möglichſt fehnell der hemmenden 
Hüllen zu entlebigen. Died gelang ihm zwar; ehe er fid cher 
völlig frei und Herr feiner Kraft fühlte, hatte ber rafende Fluth- 
from ihn ſchon erfaßt und trieb ihn, troß alles Ringeng, weit hin⸗ 
aus in die wild rollende Elbe. 

Maſter Papageno hatte gleiches Schickſal mit ſeinem Herrn. 
Auch er verſank in den Sand, die Wellen ſchlugen ihn um, das 
Gefieder der Möven traf ſeine Augen, daß ſie Funken ſprühten 
und alle Sehkraft von ihm wid. Er rief feinen Herrn,deſſen 
Haupt er no Über den Wellen zu fehen glaubte; er ſtrengte ſich 
an, ihn zu erreichen, aber der Unglüdliche Tonnte nicht ſchwimmen! 
Er ſank, taudte wieder auf, ſchrie verzweiflungspoll den Namen 
bed Merikaners in die rafende Sturmnadt, tauchte nochmals un- 
ter und wiederum auf und verfant endlich in den gurgelnben 
Wogen. Gin tricterförmiger Ring, der fehnell Meiner warb, be⸗ 
zeichnete die Stelle, wo der Mulatte fein Grab fand. Gin paar 
Möven ſtrichen noch einige Male darüber Hin, bie äußerſten Spitzen 
Ihrer Flügel in die Wellen tauchend und mit den langen fpigen 
Schnäbeln deren Schaum berührend, — als pickten ſie Nahtung aus 
dem trüben Gewäſſer. — 











— 483 — 


Inzwiſchen firengte Don Gomez alle Kräfte an, um fid 
‚über Waffer zu halten. Er hörte den Verzweiflungsfchrei feines 
Dieners und warf inſtinktmäßig einen Blid dem Ufer zu, wo er ihn 
zuletzt verlaffen hatte, retten fonnte er nicht, wenn er auch ten be= 
fien Willen dazu gehabt hätte. Es war aber jegt nicht Zeit zu 
grübeln und über Unabwendbares unnüge. Betrachtungen anzuftel- 
len. Don Gomez wollte fih ſelbſt um jeden Preis retten, denn 
das Leben erſchien ihm doc ſchön und ftellte fich gerade jetzt, wo 
er cin Spielball des erbarmungslofeften Elementes war, in fo 
verlodenden Farben dar, daß er gar feinen anderen Gebanten, ale 
den nad Rettung, zu faflen vermochte. 

Muskelfräftig und in anhaltendem Schwimmen geübt, ge= 
traute er fih, geraume Zeit einen Kampf mit den hochgehenden 
Wellen beiteben zu fönnen, nur bie heftigen Windſtöße, bie wie 
ſpitze Riefenfeulen in den Strom fuhren und bald tiefe Trichter 
und Schlünde bildeten, bald die Fluthen zu fhäumenden Kämmen 
aufrollten, drohten ihm Gefahr und mußten felbft die Kraft des 
ſtärkſten Mannes binnen Kurzem ermatten. 

Aber der Mexikaner war von jeher ein Kind des Glüdes 
gewefen, und au jebt verließ es ihn nicht. Er bemerkte bald, 
daß die Fluth mit einer Menge von Gegenfländen fpielte, bie 
Sald nahe, bald fern an ihm vorübertrieben, oder, je nad ber 
Bewegung der Wellen, auf einer Stelle zu weilen fchienen. 
Einige Male täufchte er fih auch, denn die fchleppenden Wolfen 
warfen frabenhafte Schatten, bildeten phantaftifhe Fahrzeuge, die 
mit dunkelbauſchigen Segeln gefpenfterhaft ſtromaufwärts ſchaukel⸗ 
ten. Mitten in dieſen fehattenhaften Geftalten und den Gebtlden 
der Einbildüngskraft, die des Mexikaners glühendes Auge auf 
- der weiten Wafferwüfte auftauchen und wieder verfijwinden fah, 
gab es auch reellere Gegenftände. Bald war es ein Losgerifjener 
Baumftamm, der einen abgebrochenen Aft über die Fluth empor: 
bob, wie ein Ertrinfender die Hand ausſtreckt und frampfhaft in 
die leere Luft Hineinfaßt, bald trieb der Giebel eines eingeitürzten 
Haufes, deſſen Warft die Fluth zerfhlagen, auf dem Strome, 

31* 


— 484 — 


jetzt als breite Fläche, jetzt mit dem doppelten ſpringenden Roß 
am Giebelende aufrecht im Waſſer ftehend. Dann wieder rollten 
die Wellen einen Wagen auf ſilbernen Schaumgeleiſen oder breite, 
hohe Schober Heu, die Sturm und Wogenſchlag noch nicht zer- 
fhlagen konnten, ſchwammen gleih Oaſen, weldhe dem Sciff- 
brüchigen einladend zumintten, fo nahe an ihm vorüber, daß 
Don Alonfo Gomez fie beinahe greifen konnte. Immer aber 
täufchte er fih, immer entriß ein Windſtoß oder eine hochgehende 
Woge den rettenden Anker wieder feiner Hand, und immer mehr 
erlahmte feine Kraft und Alles um ihn her, Luft, Wolken, Waſ— 
fer nahm eine zitternde, wogende, brandrothe Farbe an. | 

Schon glaubte der Bedauernswerthe fi verloren, da fah er 
einen gewaltigen, hohen, ſchwarzen Gegenftand ſtromaufwärts 
treiben. Diesmal täufchten feine von Waſſer entzündeten, heißen 
Augen ihn nicht. Es war fein vorlberfegelnder Nebel, kein 
Schiff feiner erhigten Einbildung, nur was die Wogen fchaufel: 
ten, konnte er in der wüften Sturmnadt nicht erfennen. 

Mit Aufbietung feiner letzten Kraft kämpfte Don Gomez ge: 
gen die Fluth, um nicht rafcher aufwärts getrieben zu werben, 
ale der finitere Gegenftand ihm ſich näherte. Es gelang ihm 
wider Erwarten, Das ſchwarze Gebäude, das fi jekt als ein 
wohl erhaltenes Strohdach zeigte, welches von den Fluthen irgendwo’ 
fortgeriffen worden war, ſchwamm näher und immer näher heran. 
Dunkle Umrifje menſchlicher Geftalten regten fih auf ber Firſte 
des fhwimmenden Daches. Wahrfcheinlih waren es tie Bewoh- 
ner und Eigenthümer des Haufes, welhe, dem fihern Tode Im 
Waſſer zu entgehen, diefen letzten Zufluchtsort geſucht hatten. 

Don Alonfo Gomez fteuerte auf diefes Dad zu, er wagte 
fogar zu rufen und glaubte an ben Bewegungen der Geftalten, 
die e8 trug, zu bemerken, daß fein Ruf vernommen worden fei. 
Noch einmal ftieß er einen wilden, gellenden Schrei aus und 
fant zurüd in eine fih brechende Welle. Er fühlte etwas Hartes 
feinen Körper berühren. Halb bewußtlos griff er danach und 
faßte ein Tau. Er hielt es feit, bob fich wieder empor über ben 





— 485 — 


Spiegel ded Stromes und gemwahrte, daß er dem Dache um ein 
Beträchtlihes näher gekommen fe. Noch verging eine bange, 
jhredlihe Minute, dann ſtieß er.an das Stroh, faßte mit krampf⸗ 
haftem Griff in dasſelbe, mit der andern Hand das Tau haltend, 
und in dem Augenblide, wo ihm die Sinne vergingen, fühlte er 
nur noch, daß mitleidige Hände ihn ergriffen und emporriffen 
aus der Fluth, die feine Glieder erflarren machte. Er fah und 
hörte nichts mehr. Die ermübete Hand ſank kraftlos nieder, das 
Auge Schloß fih und nur eine bumpfe Empfindung, wie fie uns 
bisweilen im Traume ängfligt und das Athemholen beengt, jene 
Empfindung, die man Alpdrüden nennt, knüpfte den Mexikaner 
noch an das Keben. 0 








Viertes Buch. 


— — 


| | Durh Nacht zum Fit, 





Erfies Kapitel. 


Am Morgen nach der Fluth. 


Am Morgen des drei und zwanzigfien Februars 1825 boten 
die Ufer der Niederelbe und die Küftenränder der Nordſee einen 
herzzerreißenden Anblid dar. Wo am Tage vorher noch weite 
Streden fruchtbarer Ländereien lagen, da ſah man jegt meilenweit 
nichts als reinen ſchmutzig-gelben Wafjerfpiegel, auf dem zwifchen 
Häufertrümmern und Geräthichaften aller Art zeritoßene Leichname, 
ertrunfenes Vieh, zerbrohene Wagen, Bettitellen, Wiegen, Heudie— 
men und zahlloſe andere Gegenftände fhwammen. Stehen geblie= 
bene Wohnungen ragten mit den Dächern, höhere auch mit dem 
halben Gefhoß Über das jet langſam ablaufende Wafler empor. 
Auf vielen folder Häufer faßen frievende, von den erlebten Schreden 
ſtier blidende Menfchengruppen. Aus mandem Gefiht blickte der 
Wahnfinn, aus andern ſprach - die Falte Ruhe der Verzweiflung. 
Es gab Männer, die mit feit gefalteten Händen auf die Verwü— 
ftung rund umher, auf diefen wetten, im Winde zitternden Kirch— 
hof hinabſahen und bei diefem Anblid in unaufhaltfiames Schlud- 
zen ausbrachen. Andere zählten ihre Lieben und vermißten ein 
oder das andere Haupt. Eine Mutter, die ihr halbjähriges Kind 
in ein leeres Storchneft gebettet hatte, dann nochmals hinabgeſtie— 
gen war in die Kammer, deren Benfter die Fluth ſchon zerbrach, 
Iniete jeßt neben dem Neft und fuchte vergebens nad dem Säug- 
linge. Der Sturm hatte das Neft zerftört und das Hilflofe Kind 
in die Wogen geſchleudert. 

Scenen folder Art kamen nicht vereinzelt vor, fie gehörten 
in jenen Schredensftunden zu ben gewöhnlichſten Tagesbegebenbeiten, 
Die Feder der Shroniften fand aber nicht Zeit, alle Schredniffe zu 


— 490 — 


verzeichnen, welche die grauenvolle Sturmnacht über Hunderttau⸗ 
ſende verhängte. 

Wo am Morgen nach der großen Fluth kein Waſſer die ver- 
heerten Gegenden bededte, da lag jebt fußhoher Sand oder ſchwe— 
rer Lehmboden, oder dider, zäher Schlamm. Auch in diefem ent- 
dedte man Leichname und als die Fluth wieder ſtieg, fiderte aber- 
mals ſchmutziges Waller über das verichlammte Erdreich, denn Die 
Elbe ergoß ihre Wogen durch die gebrochenen Deiche. 

Vereinzelt fah man zwiſchen den Deichen in den überfhwenm- 
ten Landestheilen Kähne fahren, um die auf Bäume und Däder 
Beflüchteten zu retten und fie, nun das Wafler fie verſchont hatte, 
nicht der qualvofleren Bein des Hungertodes Preis zu geben, Ans 
dere waren auf den Deichen beichäftigt, die ſchon angetriebenen, 
oder nah und nah anfhwimmenden Leichen der Ertrunkenen .auf- 
zubeben und fie ben Ihrigen zur Beftattung zu übergeben. Oft 
freilich mußte nur die Gemeinde die Beftattung dibernehmen, ‚denn 
gar ‚viele Familien waren gänzlich umgelommen. Und doch konnte 
das Loos folcher noch ein.beneidenswerthrs genannt werden gegen- 
über den jammernd umberlaufenden Kindern, die vergebens nad) 
den vermißten Aeltern riefen und dieſe erſt nach langem Suden, 
in Schutt und Schmug begraben, als flarre, verſtümmelte Leichen 
wiederfanden, 

Ein fahles, kupferfarbiges Roth ſäumte die düſtern Wolken, 
bie noch immer ziemlich raſch füdoftwärts zogen. Die Sonne brach 
nur felten dur, und wenn es geſchah, beleuchteten ihre Strahlen 
ein Gemälde, das keines Menſchen Hand zu ſchildern vermöchte 
und das lieber in bie wohlthätigen Sqatten der Nacht für ewige 
Zeiten gehüllt bleibt. 

Diek⸗Johann hatte, gleich allen Bewohnern der Marſchen, 
eine ſchwere, ſorgenvolle Nacht durchlebt. Wenn er aber auch in 
ſeiner Art ein Mann des Vergnügens war und ſich körperlich nichts 
abgehen ließ, ſo folgte er doch wieder ſtets dem Ausſpruche des 
weiſen Salomo, der die Behauptung aufſtellt: Alles habe ſeine 
Zeit. Arbeitete Diek⸗Johann, fo gab es für ihn, wie für Alle, 





[_ ˖ 


— 491 — 


die in feinen Dienften ftanden, nichts als ettel Arbeit. Und ber 
reiche Marjhhofbefiger war ein firammer Arbeiter, der etwas leiſten 
konnte und es mit Mandiem von längerer Statur und ſcheinbar 
noch viel flärferer Organtfatton bequem aufnahm. Pflegte er der 
Ruhe, fo ließ er fih darin auch nicht gern flören. Wer es wagte, 
ben bediente er mit fehr unhöflichen Redensarten, gleichviel, ob es 
ein Mann feines Gleichen oder ber Kirchſpielsvoigt war. Es 
fam wohl vor, daß Bekannte und Freunde dem allzu rüdfichtslo= 
fen Manne feines Benehmens wegen Borwürfe machten und ihm 
zu bedeuten fuchten, es fei weder möglih noch vortheilhaft, mit 
dem Kopfe gegen die Wand zu rennen. Wer das dennoch thue, 
der fähe zu-fpät ein, daß ein menſchlicher Schädel leichter zerbreche, 
als eine gut gemauerte Wand. Diek-Johann Anderte indeß troß 
folder freundfchaftlihen Ermahnungen fein Betragen nidt. Er 
fagte ganz troden auf die Iebte Bemerkung der Rathgeber: das 
fommt auf den Kopf an, warf die Lippe nur noch trogiger auf, 
als fonft, zog den feiften Kopf tief in die Schultern, wie eine 
Schildfröte, wenn man fie berührt, und blieb genau fo, wie ihn 
alle Welt von jeher gefannt hatte, 

Als in der vergangenen Nacht der Sturm losbrach und bald 
zum Orkan anwuchs, warf Diek-Johann fih in fein ſchwarzes 
Regencoftüm, griff nah Hade und Schaufel, band fih den ge= 
theerten Südwefter feſt unterm Kinn und fagte zu allen männlt- 
hen Bewohnern des Marſchhofes: es gibt diefe Nacht eine Spring- 
Sturmflutt. Wir müflen wah bleiben und den Deich fügen, 
fonft find wir morgen früh allefammt erfoffen wie die Mäufe. 

Da half Feine Widerrede. Diek-Johann war der Erfte auf 
dem Deihe, deſſen ſchwächſte Stellen er genau kannte. An bie 
gefährlichſte Stelle ſtellte er ſich felbft mit feinen Leuten und arbeitete, 
daß ihm der Schweiß von ber Stirne troff. Die Nachbarn folg- 
ten feinem Beifptele -und fo gelang es den Anftrengungen vieler 
vereinter Kräfte, ben Deich gegen die Fluth glücklich zu vertheidi— 
gen. Erſt als das Waſſer fiel, begab Diek-Johann ſich beruhigt 
und zufrieden zurüd in feine Wohnung Wie furdtbar aud noch 


— 493) — 


ber Nordweſtſturm brauſ'te, wie wild die Wogen ſich an dem Stein- 
geripp des Deiches brachen, ihn kümmerte die Wuth der Elemente 
jebt nicht mehr. Er war von der angeflrengten Arbeit hungrig 
geworden und ließ fi deßhalb nunmehr das Eſſen fhmeden. Alles 
bat ja feine Zeit! — Morgen konnte ed abermals alle Hände voll 
zu thun geben, und wer foll und kann tüchtig zugreifen, wenn ihm 
der Hunger den Magen zufchnürt ? 

Nah dem fehr fpäten Abendeffen fchlief er nur zwei Stunden 
lang, frübftüdte mit Ruhe, warf abermals feinen Regen- und 
Sturmhabtt über und war der Erfte wieder auf dem Deide. 

Langſam befchritt der Marfchbewohner den Kamm des Dei- 
ches, immer den noch ſtark bewegten Strom betrachtend, der jetzt 
bet dem Wiedereintritt der Fluth heftig gegen den Deich brandete. 
Andere gefellten fih zu Diek-Johann, wechſelten einige Worte mit 
ihm und gingen dann fihweigend welter, da fie nur furze, mür- 
rifhe Antworten erhielten. 

Die Blide des reihen Marfihbauern waren meiltentheils auf 
den Strom gerichtet, der ausgeftorben zu fein ſchien. Nirgends 
fab man ein Schiff, nirgends einen Ewer, deren doch fonft an je- 
dem Morgen zahlreihe von allen Uferorten auslaufen, um nad 
Hamburg aufzufegeln. 

Er blieb fliehen, ftübte fih auf feinen Springftod, den er 
dieemal ftatt der Schaufel mitgenommen hatte, und fagte, dem Zug 
der Wellen folgend, mit einem leichten Seufzer: 

Ya, ja, der Strom {ft ſtill und wird's heute und morgen, 
vielleicht wohl auch übermorgen noch bleiben; denn die Leute, die 
ihn fonft befahren, haben Anderes zu thun. Ste begraben ihre 
Todten! — Solch, eine Sturmnadt tft eine Schlacht, die Gott 
der Herr der fündhaften Menſchheit liefert. Er hat nichts, was 
Menſchen erfanden, womit fie ſich vertheidigen. Seine alleinige 
Maffe tft eine Mütze vol Wind. Damtt löſcht er allen Wik und 
Verſtand in den gefcheidteften Köpfen der nad feinem Ebenbilde 
gemachten Menfhen aus, und fchlägt fie zu Hunderten und Tau- 
fenden nieder. Das iſt Die Macht des Herrn, und fo oft er der 








— 493 — 


Menſchheit eine folhe Schlacht Iiefert, muß ih immer an ben 
Apoftel Paulus denken, der von ſich fagte, damit Andere an fet- 
nem Thun fi ein DBeifpiel nähmen: Nicht, daß ich's ſchon er- 
griffen hätte oder ſchon vollkommen ſei, ich jage ihm aber nach, ob 
ich's ergreifen möge! — Nun, will's Gott, und kann ich meinen 
ſchwachen Willen durchſetzen, ſo denk' ich, der ſtarre Apoſtel, der 
kein Faſelhans war, ſoll mir in Zukunft ein Beiſpiel bleiben, das 
ich beherzigen werde, ſo viel ich kann. 


Diek-Johann ſprach dieſe Worte nicht aus, ſie zogen nur 
durch ſeine Gedanken, wie er ſo daſtand am äußerſten Deichrande, 
der Wind in ſeinen Haaren wühlte und der feuchte Dunſt des 
rauſchenden Stromes um ſein Antlitz fächelte. Unten am Fuße 
des Deiches, wo ſonſt ein breiter Streif hohen Schilfes bei ge= 
wöhnlihem Hochwaſſer nod über die Fluth emporragte, lag jebt 
ein Knäuel Schlamm, Erde und Steingetrümmer, und zwifchen 
diefem Fluthgeröll iganfelten die Wellen ein fchöned, großes Mut- 
terſchaaf. 


Das gegenüberliegende Ufer war kaum zu erkennen. Wie 
ein ſchmaler, brauner Saum nur hob es ſich über das düſtere 
Grau der Wogen, auf denen die verſchiedenſten Gegenſtände 
trieben. 


Es war Fluthzeit und die Strömüng ging rückwärts. Wie 
nun Diek-Johann ſo hinausſah auf die breite Waſſerfläche und 
ſeine Miene immer ernſter wurde bei den Gedanken, die in ihm 
aufſtiegen, bemerkte er in ſehr großer Entfernung vom Ufer eine 
hohe treibende Maſſe auf dem Waſſer. Er konnte nicht klug aus 
dieſem Gegenſtande werden, den er bald für einen hohen Schober 
Heu, bald für ein Haus hielt. Auch kam es ihm vor, als be— 
wege ſich auf deſſen höchſter Spitze etwas Lebendiges. 

Es werden Aaskrähen fein, dachte der Marſchbauer, ſah dem 
Steigen der Fluth noch eine Welle zu, um einen Maaßſtab ſich 
zu bilden für die Höhe, die fie wahrſcheinlich erreichen werde, und 
verließ dann den Deich wieder, um feine beforgten Hausgenofjen 


— 


— 494 — 
zu beruhigen, die noch Immer in Angft fchwebten und ein aber- 
maliges bebrohliches Steigen der Gewäfler fürchteten. — 

Um diefelbe Zeit war tim Haufe des Rheders große Freude. 
Die Naht war der Familie Heidenfrei unter fchweren Aengften 
vergangen. Das Ausbleiben des Waters, der Schredensruf der 
Menfhen, der Deich fei gebrochen und die Elbe habe alles Land 
weithin überfluthet, Häufer fortgefhwenmt und zahlreichen Men— 
fhen den Tod gebradht, mußte die. Angft aufs Höchſte fteigern. 
Ste fahen freifih ein, daß im Augenblick eine fihere Nachricht 
von Niemand zu erlangen ſei. Die Fluth trennte Hunderte und 
die finftere Sturmnacht machte jede Rettung, felbft alles Nahfor- 
fhen völlig unmöglih. Man mußte das Sinfen des Waflers und 
die Morgendämmerung abwarten, um mit nur einiger Ausficht 
auf Erfolg das Rettungswerk beginnen zu können. 

Ein Troft für die geängfteten Frauen war der Steuermann 
Andreas. Diefer fprah Allen Muth zu, blich gelafjen, ja beinahe 
heiter und betheuerte mehrmals, es fet nicht fo gefährlich, wie es 
ausſehe. Seine wahre Herzensmeinung fretlid verbarg er oder 
Außerte fie nur gegen Jacob. 

Am unruhigſten von Allen zeigte ſich Treufreund, Als die 


anderthalb Stunden vergangen waren, in denen er die Rüdfehr 


des Rheders erwartet hatte, hielt e8 den wackern Alten an feinem 
Orte länger, als fünf Minuten. Bald ftand er, fein geftidtes 
Mügchen in der Hand drehend, vor Frau Margaretha, unzufam- 
menhängende Fragen an die fo fchon ſchwer geängftete Matrone 
tihtend, bald verfuhte er mit Eltfabeth und Ulrike zu ſcherzen, 
die, um ihre Herzensangft den Andern nicht merken zu Taffen, mit 
einer früher nie gefannten Gmfigfeit arbeiteten. Dann ftieg er 
. eine Treppe höher, Elopfte an das Zimmer Chriftinens und fühlte, 
als verftände er etwas von Arztlihen Dingen, der immer ſchwä⸗ 
her werdenden alten Stiberweiß den Puls, Auch mit Trudchen, 
die noch immer ihre Katze Tiebkof'te, ließ fih der „Schatten? in 
ein Gefpräh ein, erhielt aber von dem ängſtlich geworbenen Kinde 
feine Antwort. 








— 49) — 

Nun begab fih Treufreund wieder in's Comptoir, deſſen Fuß⸗ 
boden von Drängmwafler feucht war, von da in den. anftoßenden 
Speicher, wo unter Jaeob's Auffiht und Leitung noch immer raft- 
108 gearbeitet ward. Dann beobachtete er wieder den Flug ber 
Wolken, borchte auf das Heulen des Sturmes, auf das Raufchen des 
MWaffers, faltete die Hände, ſchüttelte fein kahles Haupt und fagte 
wohl hundert Mal im Laufe ber Naht: ine böfe, böſe Zeit! 
Man Eönnte graue Haare davon bekommen, wenn noch welche vor⸗ 
handen wären. — 


Andreas um ſeine Anſicht zu fragen, der unermüdlich thätig 
war, wagte Treufreund nicht. Er hatte das vollſte Zutrauen zu 
dem kräftigen, .entfchloffenen jungen Manne, nur gefielen ihm 
heute deſſen Geſichtszüge nicht, wenn er meinte, er werde von An⸗ 
dern nicht beobachtet. Drang er nun ernſthaft in Andreas, fo bes 
forgte er eine erichredende, niederſchlagende, vielleicht eine ganz 
hoffnungsiofe Antwort zu hören, und eine foldhe, das fühlte ber 
ehemalige Buchhalter, hätte er in diefen ſchweren Prüfungsitunden 
nicht überlebt. Er wollte deshalb Lieber in quälerifher Ungewiß⸗ 
heit bkeiben, fih mit fchattenhaften, haltungslojen Annahmen und 
Möglichkeiten aufrecht erhalten, als durch ein trojtlofes Wort ganz 
zu Boden geſchmettert werden. Sah er ſich unbemerkt, ſo machte 
er ſich wohl von Zeit zu Zeit mit dem Stoßſeufzer Luft: Uns⸗ 
glücklicher Heidenfrei! Arme, arme Familie! 


Den Gipfel tiefſter Seelenangſt ſollte Treufreund erſt erſtei— 
gen, als Andreas plötzlich ungeſtüm in das Comptoir trat, wo der 
alte Buchhalter fih wieder etwas zu fchaffen machte, und nad) 
ein paar Knechten fragte, Die im Speicher bejchäftigt waren. Treu— 
freund wies den Steuermann dahin. 


Gehen Sie, werther Herr, verjeßte Andreas, ich habe feine 
Zeit. Das Gewölk hebt und theilt fih, eines Seemann’d Auge 
ſieht ſcharf und jebt gerade dürfte es hohe Zeit fein, denen, bie 
etwa auf Errettung noch hoffen können, diefe zu bringen. - Rufen 
Sie unverweilt die Knete! Sie verfiehen einen Riemen zu band« 


— 496 — 


haben, ſind unerſchrocken und beſitzen Ausdauer. Solche Leute 
gerade brauche ich, denn wir werden ein hartes Stück Arbeit haben. 


„Der Schatten“ vermochte jetzt nicht mehr an ſich zu halten. 
Er nahm ſein Mützchen ab, ſtrich ſich mit der Hand über die Glatze 
und ſagte: 

Ich gehe ſchon, Herr Steuermann — ich bin ſchon fort. Ich 
denke Gott wird ſeine Hand über Herrn Heidenfrei — 

Wenn Sie nicht laufen und mir die Knechte zur Stelle ſchaf⸗ 
fen, unterbrach ihn Andreas, fo wird unfer Herrgott weder an dem 
- großen Rheder, noh an fonft Jemand Wunder thun. WMenjcen- 
leihen find billig in den nächſten Tagen, darauf können Sie flu- 
hen, wenn Ihnen das Beten nicht über bie Zunge gehen will, 
und ob Rheder, ob Matrofe, wenn der Wind feine Tyrannenlaune 
bat, it ihm Alles einerlei. Iſt Herr Heidenfrei nicht ſchon er- 
foffen, fo follen Site ihn lebendig wieder haben, oder ich will fein 
Salzwafjer mehr jehen! 

Treufreund erftarb das Wort auf der Zunge. Gr ftierte 
den ungeduldig drängenden Steuermann wie ein Blöbfinniger an, 
rannte, als folge ihm die Fluth auf dem Fuße, aus dem Gomp- 
toir in den Speicher und rief die begehrten Knechte laut ſchreiend 
wiederholt bet Namen. Dann febte er fih auf eine leere Kifte 
neben dem Tau, das durch die Luke von den verfchtedenen Böden 
-berablief, faltete die Hände über dem Knte, beugte fein tief be= 
fümmertes Haupt und begann bitterlich zu weinen. — 


Sp traf ihn Jacob, der Quartiersmann. Alles Zureden des- 
jelben konnte den treuen Diener nicht beruhigen. 


Es geht zu Ende mit mir, ich fühl’ es, ſprach Treufreund. 
Hohenfels verläßt mid) wieder, die Jugend fpricht mich nicht an 
und nun begräbt ihn, der Alles zufammenhtelt, die Fluth! 

Aber wer fagt denn das, Herr Treufreund ! erwiderte Jacob. 
Der Herr Prinzipal tft ein vorſichtiger Mann, der ficherlich nicht 
mit geraden Beinen in's Wafler hineinfpringen wird, und Herr 
Anton gehört zu den Leuten, die das Pulver noch erfinden 





— 417 — 


Könnten, wenn’s nicht fhon erfunden wäre. Der wird den Herrn 
Prinztpal nicht im Stiche laſſen. 

Zreufreund ermiderte nichts auf diefe Bemerkungen.” Er blieb 
im Speicher, erſtieg den oberften Raum und fah aus der Luke 
hinunter nah dem Kanal. Wer da hinabfällt, murmelte er mit 
wunderlihem Zuden der Augenbrauen, der hat's bald überftanden. 
Er kann das Genick brechen, noch ehe er zum Ertrinken kommt! 

Nah und nah entfernten fi die letzten Arbeiter aus dem 
Speicher und Treufreund war allein. Die Einſamkeit that ihm 
wohl. Ste geftattete ihm einen Rüdbli in die fernfte Vergangen⸗ 
heit, dem fich der alte Mann jetzt auch willig hingab. Dies Der: 
fenfen in das einft Dagewefene machte ihn die peinigende Gegen— 
wart vergefjen, und ein paar Stunden vergingen ihm verhältniße 
mäßig ziemlih ſchnell. Aus feinem flilen Hinbrüten wedte ihn 
erft ein Geräuſch vieler Stimmen im Nebenhaufe, das Immer ftär- 
ter ward; das bald in frohlodenden Jubel überging, und offenbar 
ein glüdliches Ereigniß verfündigen mußte. Treufreund trat hor⸗ 
hend an die offene Lufe in der Mitte des Speichers und erfaßte 
das herabhängende Tau. Da hörte er deutlih, wie die grobe 
Bapftimme des unhöflihden David rief: Bivat hoch Kerr Heidenfrei! 
Es lebe Herr Anton und Steuermann Andreas, die ihn gerettet, 
hoch! Und abermals hoch! 

Andere Stimmen wiederholten den Jubelruf; Treufreund aber 
war von diefer Ihn überrafhenden Nachricht dergeitalt beglüdt, daß 
ihn feine gewohnte Ruhe verlief. Er mollte nur den verehrten 
Prinzipal wiederjehen, ihm die Hand drüden, ihm, ſei's auch bios 
durch Blide, fagen, daß er ganz, ganz glüdlih fei. In feiner 
Aufregung erfaßte er das Tau mit beiden Händen, ſchwang ſich 
über die Deffnung und fuhr blitzſchnell auf die Diele des Spei— 
chers hinab. Der Aermſte verbrannte fih jämmerlich die weichen, 
an derartige Turnübungen nicht gewöhnten Hände und verflaudte 
fi) obendrein no den Iinfen Fuß. Zum Glüd trat Jacob ge= 
xade ein, um dem alten Buchhalter die frohe Kunde von der glüd» 
lichen Rettung des Prinzipaled mitzutheilen. Er ſchlug die Hände 

D. 3. XI Willkomm's Rheder und Matroſe. 32 








— 4198 — 


über dem Kopfe zufammen, als er die fehwer befchäbigten Hände 
des armen, aufgeregten Mannes fah. | 

Mein Gott, Herr Treufreund, fprah er, wie fonnte Ihnen 
auch fo etwas einfallen! 

Thut nichts, thut gar nichts, Jacob, verfehte diefer, die blu- 
tenden Hände in fein Taſchentuch hüllend. Hilf mir nur auf und 
fhleppe mich hinüber zur Familie! ine zerfhundene Hand und 
ein verftauchter Fuß heilen wieder, und dann gehören beide auch 
einem Menſchen, der gar nichts zu bedeuten hat, von dem bie 
Melt nichts weiß, wenn aber Herr Heidenfrei einen. Schlud Elb— 
wafler zu viel getrunfen hätte, wäre er nie wieder zu fih gefom= 
men, und mehr als taufend redlihe Menfchen würden eine Yluth 
von Echmerzensthränen vergoffen haben. 

Dem Quartiersmanne trat felbft eine Thräne in’s Auge, als 
er den vermundeten Mann aufhob und, ihn füßend, unter heitern 
Scherzen über den ihm zugeftoßenen Unfall in die Wohnung bes 
Rheders geleitete. 


Bweites Kapitel. 





Huf Strom und Meer 


Mo bin ich? fragte Don Alonfo Gomez, als er nad Furzer 
Befinnungslofigfeit wieder zu fih fam und die Augen aufichlug, 
Er erhielt Feine Antwort, aber er fühlte, daß er auf feuchten 
Stroh im Augenblide wenigftens ficher liege. in Tau war um 
feinen Leib gefhlungen und an eine Balken des mit Abficht 
zum Theil durchbrochenen Dachftuhles befeftigt. Etwa zehn Schritte 
von fid) entfernt ſah der Meritaner zwei Männer, von denen je- 
der eine lange Stange hielt, Beide fahen aufmerffam auf den 
Strom und deffen Bewegung. Näher als diefe beiden Männer, 
aber auf der andern Hälfte des ſchwimmenden Daches, faßen eben- 





— 4199 — 


falls zweit Männer rittlings auf ter Birfte, bewaffnet wie jene und 
ebenfo aufmerffam den Strom und die Fluth beobachtend. Diefe 
rief Don Alonfo Gomez jet mit vernehmlihen Worten an. 

Sie find gerettet, Herr, wie Sie fehen, verfegte der Größte 
derfelben, ein alter Mann in Bauerntradt. Wenn Sie ſtark ge= 
nug find, um eine ſchwere Stange zu regieren, fo können Sie un 
fer Schiff mit fteuern helfen. Da unten liegen nod ein paar 
folher Steden. “ 

Der Bauer deutete auf das Loch im Dache, aus dem die 
feltfamen Schiffer ohne Zweifel auf die Firſt geftiegen waren. 

Sol ih Euch Helfen, erwiderte der Merifaner, fo befreit 
mich erjt von diefem Tau. Es drüdt mich ohnehin ziemlich une 
fanft. 

Ja fo, fagte der Bauer, ritt, mit den Händen fih vorwärts 
jhiebend, während er feine Stange dem Gefährten reichte, zu dem 
Gebundenen und Töfte den Knoten, Was find Ste denn eigent- 
ih für ein Landsmann? fuhr er fort. Ste kommen mir etwas 
ſtark ausländifch vor. j 

» Das mag wohl fein, erwiderte Don Gomez. Mich über⸗ 
rafchte die Fluth drüben, unfern Blankeneſe, mein Pferd warb 
fheu und warf mih ab. Dann trieben die Wellen mich fort. 
Mein Bedtenter ift bei dem Spaß um's Leben gekommen. 

Der teodene Bauer maß den Sprechenden mit einem erniien 
Blick. 

Na, ſagte er, den Spaß können wir alleſammt auch noch er- 
leben. Der Zufall hat Ste auf mein Eigenthum geführt, Ste 
find alfo mein Gaſt. Machen Sie's nun wie die Herren dort am ans 
dern Ende, die auch meine Gäfte find. Mielleicht haben wir zu= 
ſammen Glück und treiben mit ber Ebbe irgendwo an einer In⸗ 
fel an. Dann wollen wir und gegenfeitig für geleiftete Dienfte 
bedanken. 

Das iſt alſo Euer Hausdach? fragte Don Gomez, den jetzt 
dies Abenteuer trotz der augenſcheinlichen Gefahr, in der er ſich 
befand, zu amüfſiren anfing. Es war In der That eine Situation 

32* 


— 500 — 


die ſich nicht oft wiederholen mag, und eben deshalb behagte fie 
gewiſſermaßen dem nach Neuem ſtets lüſternen Mexikaner. 

Es iſt der Reſt meines Hauſes, verſetzte kalt und reſignirt 
der alte Bauer. Noch vor acht Stunden galt es für den ſchön— 
ften Sandfrug im ganzen alten Lande, jetzt iſt's ein Iofes Gebälk, 
das eine einzige hohe Welle oder ein harter Windſtoß zerfchlagen 
ann. 

Don Gomez erlaubte fih noch einige Fragen, aus beren 
ſchlicher Beantwortung er erfuhr, daß die Wohnung des alten 
Mannes außerhalb des Deiches gelegen habe, cin Krug- und zu— 
gleih ein Fährhaus geweſen fei, wo häufig Retfende einfehrten, 
die nach dem nörblihen Elbufer überfegen wollten. Die beiden 
Männer auf dem Hintern Giebel feten ſolche Reiſende, erflärte ber 
Krughalter. Ste hätten ſchon Mittags Über den Strom gewollt, 
des ftarfen Windes wegen aber die Meberfahrt nicht gewagt, da 
namentlich ber Eine, der Seemann ſei, das Unternehmen gefähr- 
ih gefunden habe. - Darauf hätten fie ſich entſchloſſen, befjeres 
Wetter abzuwarten, ald unvorbereitet der Nordweſtſturm die Fluth 
zu Bergen aufgethürmt, die bünnen Badfteinmauern feines Hauſes 
zerfhlagen und das Dach, wohin fie Alle geflüchtet, fortgerifien 
hätte. 

Ein Kind, ein liebes Mädchen trieb an's Land, ſchloß der 
Bauer jeine furze Erzählung. Ich hoffe, Gott läßt fie am Leben, 
und rettet er au uns, fo feh’ ich fie wohl nach ein paar Tagen 
wieder. - 

Der Sturm hatte etwas nachgelaflen, die Wogen gingen we— 
niger hoch und es machte fih eine rüdgängige Bewegung ber 
Strömung bemerkbar. 

Ebbe! rief einer der Männer, welche der Bauer als Reifende 
bezeichnet hatte. Gleichzeitig bewegte fi) das treibende Dach firom- 
abwärts. 

Beim Klange diefer Stimme horchte Don Gomez erfhroden 
auf. Set langes, feuchtes Haar, das ber Wind beinahe getrodnet 
hatte, vollends aus der Stirn ftreichend, heftete er feine dunkeln 





— 501 — 


Augen auf die beiden Männer, deren Geſichtszüge ihn das nädt- 
liche Dunkel nicht erkennen ließ. Gr griff in das Stroh des Da- 
ches und näherte ſich Triehend den am Gtebelende Hodenden. Da 
ſah er ein Geficht über fih, vor dem er erbebte. Er flarrte es 
an, wie ein Geiſt, regungslos, kalt, boshaft. Das Erkennen war 
gegenfeitig. | 

Don Gomez! — Miguel! tönte ed von Beider Lippen und 
gleich darauf Flammerten fih die Hände der beiden Feinde wie Die 
Krallen mwüthender Tiger in einander, und es begann auf bem 
ſchwimmenden zitternden Dache, Über den gürgelnden Wafferftrudeln 
ein Ringen, dem die andern drei Bewohner des gebrechlichen Ge— 
rüſtes mit flarrem Entſetzen zuſahen. Die Kämpfenden mußten 
ihre Kräfte figend erproben, da zu einem Fauſtkampfe im Stehen 
fein Raum vorhanden war, Keiner fprah ein Wort, nur pfei—⸗ 
fende, kurze ſcharfe Töne entrangen fih bald der Bruft Miguel’s, 
bald der des Mexikaners. Zum Glück fehlten den erbitterten: 
Gegnern fharfe Waffen. Nur die Fauſt, die Gelenkigkeit der 
Glieder, die Kraft dev Muskeln, ein Stoß, ein wilder, haſtiger 
Griff konnten entfchetden. 

Don Alonſo Gomez übertraf Miguel an Körperfraft, dieſer 
dagegen war gelenfer und hatte vor feinem Gegner die Uebung, 
auf ſchwanken, ſchwindligen Stegen glüdlih und ficher zu balan- 
ciren, voraus. Auch waren feine Kräfte nicht fo erfchöpft, wie 
die ded Mexikaners. Der Kampf währte daher nur wenige Mi- 
nuten, dann brad Don Gomez unter einem Träftigen Yauftfchlage 
Miguel's zufammen. Diefer wiederholte den Schlag in der Ra- 
feret des Zornes, erfaßte den Mexikaner am Gürtel und hätte ihn 
erbarmungslos fopfüber vom Dache herab in den wüthenden Strom 
geitogen, wäre biefer übereilten Handlung nicht die Hand eine 
Dritten zuvorgekommen. 

Keinen Mord, Miguel! ſprach ernft, befchlend Eduard Hei— 
denfrei. Du bit Sieger geblieben, der Weberwundene wird ben 

” Bedingungen fi unterwerfen, die wir ihm, Angefihtd des fihern 
Todes, zu dem wir ihn verurtheilen Können, dictiren wollen. Laß 


— 502 — 


mich Richter fein, Miguel, und mein Wort als Deutſcher darauf, 
das Urtheil, das ich fälle, fol deinen Betfall haben. Erkennen 
auch Ste mich für Ihren Richter an, Don Alonfo Gomez? 

Der Mexikaner röchelte und flöhnte unter der würgenden Hand 
des von ihm fo lange gemißhandelten Miguel. 

Endigt, ftammelte er heifer. Ermordet mich meinethalb, nur 
zwingt mich nicht, lange Eure mir verhaßten Gefichter fehen zu 
müſſen! 

Ste haben Freiheit, uns den Rüden zukehren zu dürfen, er- 
wiberte Eduard. Wir find feineswegs gefonnen, uns an dem An- 
blid eines Wehrlofen zu weiden. Wir haben Sie gemieden, Don 
Gomez, fuhr Eduard fort, fett Ihr Charakter uns durch Zufall 
enthüllt ward. Wir fuchten Ste nicht und würden Ste nie wieder 
aufgefucht haben. Gott gibt Ste ung jegt in die Hände, und ein 
Gottesgericht ſoll entfheiden zwiſchen Ihnen und uns. Sehen 
Sie um ſich, wir treiben augenblicklich ohne Hoffnung auf Rettung 
dem Meere zu. Noch tobt der Strom, noch hat der Sturm nicht 
völlig ausgeraſ't. Mit der nächſten Fluth kann ein neues Wetter 
über uns kommen und die Hand des Allmächtigen, die uns bis 
jetzt ſo wunderbar ſchirmte, kann uns in die brauſende Tiefe ver- 
ſenken. If dies Schiefal über uns verhängt, fo werden wir ihm 
nicht entgehen. Es wäre aber auch möglih, daß ein glückliches 
Ungefähr uns einem aufjegelnden Schiffe entgegenführte, deſſen 
Befagung uns aufnähme. In diefem Falle follen Sie nicht mit 
ung zurüdkehren, fondern am eriten, beften Küftenorte ausgeſetzt 
und dem dortigen Voigte zur Verwahrung übergeben werden, bis 
Sie von Hamburg aus weitere Befehle erhalten, die Sie in Ihr 
Vaterland zurüdweifen.. Geſchieht auch Dies nit, fondern wäre 
e8 und beſtimmt, rettungslos auf dem Waſſer herumtreiben zu 
müſſen, bi8 die Wellen den lebten Balken diefes Dachftuhles zer 
ſchlagen haben oder bis uns der Hungertod bedroht, fo machen 
Ste den Mebrigen durch einen freiwilligen Tod zuerſt Plag, damit 
der bürftige Reſt von Lebensmitteln, die wir befigen, für die An- 
bern noch Furze Zeit länger ausreicht. Wir fterben demnach freie 


— 503 — 


willig in folgender Ordnung: zuerſt Ste, dann ich, zuletzt Miguel. 
Als Fremdlinge, die wir bie Gaftfreiheit diefer wadern Leute ge= 
nießen, ift es unfere Pfliht, alle Gefahren mit ihnen zu theilen, 
nicht aber, ihnen den letzten Biſſen Brod vom Munde zu reißen, 
Fügen Sie ſich? 

Don Gomez flöhnte wie ein Sterbender. 

Füge dich oder du ſtirbſt! rief ihm Miguel zu. Du haft 
feine andere Wahl und ſollſt feine haben. 

Es fei! ftammelte der Befiegte, die Hoffnung möglicher Ret- 
tung als einzigen Anker feſthaltend. 

Laß ihn frei, Miguel! ſprach Eduard. Er wird Diesmal fein 
Wort nicht drehen. Diefer Himmel und bdiefer brülfende Strom 
find uns zuverläffige Wächter. j 

Es begann nun eine Zeit traurigen Zufammenlebend. Der 
Dachſtuhl warb vom Ebbeſtrome raſch vorwärts getrieben, ſo daß 
die Fortgeſchwemmten bet dem Wiedereintritt der Fluth ſchon unter- 
Halb Glückſtadt fi befanden. Nirgends zeigte fih ein aufſegelndes 
Schiff, nur Heine Nahen wurden an den fernen Ufern fichtbar. Das 
Dach trieb immer mit dem flärkfien Strome, ließ ſich nicht fleuern 
und Eonnte deshalb dem Lande nicht näher gebracht werden. 

Die Bewohner deffelben verfielen alsbald in eine trübe Stim- 
mung, die fich bedeutend fleigerte, als man erkannte, daß auch die 
zweite Nacht auf dem unwirthlichen Strome fie überrafchen würde, 
ehe irgend ein Menſch ihrer anfichtig werde. Mit Mühe befeftig- 
ten die Unglüdlihen eine Stange im Stroh und banden an die 
Spige derfelben ein Nothzeichen. Allein die Stange ragte, da fie 
ziemlich tief in den Dachſtuhl hinunterreichte, um Feſtigkeit zu er- 
halten, nicht hoch genug empor und war deshalb vom Lande aus 
ſchwerlich zu erfennen. 

Zweimal fluthete und ebbte das Meer und nod immer harr— 
ten die fünf Männer vergebens auf Rettung. In der dritten 
Bluthzeit war das Hausdach bis nahe an Cuxhaven hinabgeſchwom⸗ 
men und die Ausfiht auf Rettung verlor fih mehr und mehr. 

Dis jet hatte Don Gomez fih ruhig verhalten. Gr genoß 


— 504 — 


fhweigend, was ber alte Bauer ihm reichte, den Anblid Miguel’s 
und Eduard's fuchte er zu vermeiden. Nun aber trat bereits der 
verhängnißvolle Augenblid ein, wo die Nahrungsmittel zu Ende 
gingen und man voraus berechnen konnte, daß fhon nad vier und 
zwanzig Stunden die Schredensherrfhaft des Hungers beginnen 
werde. Durft litten die rettungslos Treibenden nicht, denn es fiel 
hinlänglich Regen, den die Männer in thren Sübweftern auffingen. 


Außer dem drohenden Hunger Tauerte aber noch eine andere 
Gefahr. Das Gebälk des Daches, von den Wogen umbrauft, 
warb lebendig. Es Inadte und ächzte in allen Fugen, ed zog und 
dehnte fi und je Höher und länger die Wogen rollten, defto locke— 
rer geftaltete fih der Bau. Es bedurfte nur einer ſtarken Bö, 
einiger heftiger Wellenihläge, und bas ganze faum noch zufam= 
menhängende Gerüft Iöf’te fih in viele einzelne Theile auf und 
das Gottesgeriht war vollzogen. Alle fahen voraus, daß beim 
Hinausfhwimmen auf das Meer nur Stüde und Splitter davon 
übrig fein würden. 


Es ift Zeit, fprah Miguel finfter, als fie am zweiten Abend 
den Leuchtturm von Cuxhaven ſchon hinter fih Tiegen fahen. Wir 
haben nur noch für zwei Perfonen eine halbe Ration Brod. Laßt 
und beten und. dann ben Erften von uns in den Wogen begraben. 

Don Gomez blikte wild auf und lächelte. 

Begrabt mich, wenn Ihr könnt, verfehte er, freiwillig erfäufe 
th mich nicht! Sterben müffen wir Alle, das weiß ich, und id bin 
aut ganz damit zufrieden, nur würden mir die letzten Lebensmo- 
mente. verfüßt werden, könnten wir Die Reife in jenes unbelannte 
Land in brüberliher Gemeinfhaft antreten. Mann gegen Mann, 
wenn's beliebt! Wir ftehen, mein’ th, Alle bier außer dem Gefepe! 

Der alte Bauer und deffen Sohn würden zu jeder andern 
Zeit als Vermittler aufgetreten fein, jebt achteten Beide nicht auf 
den Streit ihrer Gefährten, denn der Hunger wühlte in ihren 
Eingeweiden und die Verzweiflung machte Alles vor ihren Augen 
flirren. 





— 505 — 


Don Gomez näherte fih Miguel — ſchon erhob er die Hand 
gegen den Nebenbuhler — da rief Eduard jubelnd aus: 

Ein Segel! Ein Segel auf unferm Cours! 

Die erhobene Hand des Merifaners fant wie gelähmt auf 
das zerftampfte, vom Sturmmwinde zerzauf’te Strohdach, deſſen Balz 
fengerüft eingefunfen war, fo daß es jekt nur noch wie ein großer 
Schirm auf den Wogen forttrieb. Alle fahen auf, Tonnten aber 
mit Ausſchluß des weitfihtigen Miguel Nichts erfennen. Der 
weißliche Schimmer,. der am äußerften Rande des Horizontes ab 
und an fihtbar ward, konnte aud der weiße Schaumfamm einer 
fpringenden Welle fein. Eduard behauptete jedoch fehr beftimmt, 
ein Segel zu erbliden und nah Verlauf weniger Minuten flimm- 
ten nicht blos Miguel, fondern auch der Bauer und deſſen Sohn 
ihm bei. Die Bruft Aller hob fi freier, der nagende Hunger 
war im Augenblide vergeffen, denn Jeder hoffte, Jeder ‚glaubte 
wieder an Rettung! 

Don Alonfo Gomez frohlodte im Stillen. Seine bis dahin 
finftern, verbiffenen Züge wurben fanfter, faft freundlih. Es war, 
man ſah es, plöplih eine große Aenderung in ihm vorgegangen. 
Er gab jeden Gedanken an Kampf auf, blickte fih heiter um und 
bot dem Gegner feine Hand zur Verföhnung. 

Miguel wollte feinen Ohren nicht trauen, aber er konnte 
nicht lange im Ungewiffen bleiben. Mit einem bittenden, aufrich— 
tig flehenden Blick ſah Don Gomez ihn an und ftredte feine Hand 
nah ihm aus. 

Ich bin nicht fo verwahrloftt, fo 688 und unverſöhnlich, wie 
du meinft, fprah er zu dem unfchlüffigen Miguel. Leichtfinnig nur 
war ich immer, und weil ich alle Freuden des Lebens durchloften, 
fein Glüd, keinen Genuß mir entgehen laſſen wollte, irrte und 
fehlte ich häufig. Ich habe dich beleidigt, erzürnt, mir zum Feinde 
gemacht, darum Haft du ein Recht, mich zu haflen. Aber was ich 
gegen did und Ghriftine verbrochen, habe ich auch, obwohl mehr 
gezwungen, als freiwillig, bereits wieder gefühnt. Nun führt ung 
ein wunberfames Schickſal in der furdtbarften Bebrängnig, in 


— 506 — 


welche Menſchen tommen Finnen, zufammen ; wir fehen, als Feinde 
neben einander hodend, zwei volle Tage dem Tode hundert mal 
entgegen. Wir fterben Glied für Glied, wir dulden gemeinfchaft- 
lich ale Qualen der entfeglihften Einbildungen! Wir rüften uns 
{hon, den Tod zu empfangen, zu umarmen: da glänzt ein neuer 
Rettungsftern und gießt neues Lebenslicht in unfer Auge, nept mit 
neuem Hoffnungsthau unfere fhon verſchmachtenden Lippen! Sol- 
fen wir jetzt noch hadern mit einander im Angefiht der Gnade 
des Himmels? Ih kann's nicht, bei dem Wunderbild der aller- 
heiligiten Madonna! Die Härte meines Herzens weicht der Milde, 
die Luft nah Rache dem Drange der Verſöhnung. Seid mir 
Freunde und Brüder und laßt ung in dem Moment, wo fchon 
das Tau geſchwungen wird, das uns wieder an’d Land hiffen foll, 
Frieden fchließen für ewige Zeiten ! 


Miguel blidte noch einmal hinaus auf das graue unbegrenzte 
Meer, an deilen wogendem Horizonte jetzt immer deutlicher das 
Dberbramfegel, das große Stengenftagfegel und der Über bemfel- 
ben audgeftochene Flieger zu erkennen war. Dann fah er dem 
Meritaner wieder in das männlich ſchöne, ausdrudsvolle Geſicht. 
Ein dritter Blick fiel auf das immer tiefer einſinkende Strohdach, 
deſſen ſchadhafte Stellen von den ſchäumenden Wellen in jeder 
Minute mehr litten. 


Schon neigte ſich die Sonne dem Untergange zu, die finſtere 
Wolkenwand mit falben Lichtſtrahlen durchbrechend. Rechts und 
links war kein Land mehr zu ſehen, nur weißer, rollender, bisweilen 
hochaufſpritzender Schaum bezeichnete die gefährlichen breiten Sande, 
welche das Einlaufen großer Schiffe in die Mündung der Elbe erſchweren. 


Gib Friede! fagte nochmals in mild bittendem Tone der Me- 
xikaner und feine Hand legte fih auf die Schulter Miguels. Dies 
fer zauderte noch. Eduard erhob mit beiden Händen die Stange 
mit dem daran befeftigten Nothzeihen. Er ſchwenkte fie hin und 
wieder in der Luft, und ein blendend heller Sonnenftrahl beleuch⸗ 
tete das zerbrödelnde Floß mit der Gruppe der verlaffenen Män⸗ 


— 507 — 


ner. Dann hüllte ſich Alles wieder in graue, dunſtige Nebelat- 
mosphäre. 

Da zeigte ſich, über die Segel aufwirbelnd, ein weißer Rauch, 
gleich darauf rollte dumpfer Geſchützesdonner über das Meer. 

Wir ſind entdeckt! Wir ſind gerettet! jubelte Eduard, noch 
einmal die Stange mit dem Nothzeichen hoch in die Luft empor⸗ 
hebend. Ein zweiter Schuß dröhnte über die Wogen. 

Gerettet! wiederholte Miguel. Gott will uns wohl, wir 
ſollen nicht verderben. So ſei denn auch heute dir vergeben, was 
du an mir verbrochen haſt. Werde mir fortan Freund, wie du 
mir bisher Feind geweſen biſt! 

Die Hand Miguels lag in der des Mexikaners. Dieſer riß 
den Verſöhnten an ſein Herz und umarmte ihn ſtürmiſch. Ein 
dritter Schuß hallte vom Schiffe her und beſiegelte das feierliche 
Bündniß zweier Menſchen, die das Glück getrennt und verfeindet 
hatte, die Todesnoth aber zu Freunden machte. 


Drittes Kapitel. 





Gerettet. 


Immer höher gingen die Wogen, jetzt rollende Hügelreihen, 
jetzt wieder breite, tiefe Thalſenkungen bildend. Tummler über- 
ſchlugen ſich mit ihren plumpen Körpern in aufſtrudelnden Wel⸗— 
lenkämmen und eine Schaar Möven umkreiſ'te unter kläglichem 
Geſange die Ueberreſte des Daches, auf deſſen noch loſe zuſammen— 
hängenden Sparren die fünf Männer mit jeder Secunde weiter 
in die Nordſee hinaustrieben. 

Es ward dunkel, Nebel breiteten ſich über die öde, endloſe 
Waſſerwüſte. Am Himmel blickte da und dort durch fliegendes 
Gewölk ein Stern, auch die Mondſcheibe wob ungewiſſe Dämmers 
ungshelle um dichte ſchwarze Haufenwolken. Dann ſtreute fie wie« 


— 506 — 


welhe Menfchen kommen können, zufammen ; wir fehen, als Feinde 
neben einander hodend, zwei volle Tage dem Tode hundert mal 
entgegen. Wir fierben Glied für Glied, wir dulden gemeinfchaft- 
lih ale Qualen der entfeglichften Einbildungen! Wir rüften uns 
fon, den Tod zu empfangen, zu umarmen: da glänzt ein neuer 
Rettungsftern und gießt neues Lebenslicht in unfer Auge, negt mit 
neuem Hoffnungsthau unfere ſchon verfhmachtenden Lippen! Gols- 
fen wir jetzt noch hadern mit einanter im Angefiht der Gnabe 
des Himmels? Ih kann's nicht, bei dem Wunderbild der aller: 
heiligiten Madonna! Die Härte meines Herzens weicht der Milde, 
die Luft nah Nahe dem Drange der Verfühnung. Seid mir 
Freunde und Brüder und laßt uns in dem Moment, wo fchon 
das Tau geſchwungen wird, das und wieder an’d Land hiſſen foll, 
Frieden fchließen für ewige Zeiten ! 


Miguel blidte noch einmal hinaus auf das graue unbegrenzte 
Meer, an deſſen wogendem Horizonte jetzt immer deutlicher das 
Oberbramfegel, das große Stengenftagfegel und ber über bdemfel- 
ben ausgeftochene Flieger zu erkennen war. Dann fah er dem 
Meritaner wieder In das männlich ſchöne, ausdrucksvolle Gefict. 
Ein dritter Blick fiel auf das immer tiefer einfintende Strohdach, 
deſſen fchadhafte Stellen von den fchäumenden Wellen in jeder 
Minute mehr Titten. 


Schon neigte fi die Sonne dem Untergange zu, die finftere 
Wolkenwand mit falden Lichtitrahlen durchbrechend. Rechts und 
links war fein Land mehr zu fehen, nur weißer, vollender, bisweilen 
hochaufſpritzender Schaum bezeichnete die gefährlichen breiten Sande, 
welche das Einlaufen großer Schiffe in Die Mündung der Elbe erfchweren. 


Gib Friede! fagte nochmals in mild bittendem Tone der Me- 
xikaner und feine Hand legte fih auf die Schulter Miguels. Dies 
fer zauderte no. Eduard erhob mit beiden Händen die Stange 
mit dem daran befeftigten Nothzeichen. Er ſchwenkte fie hin und 
wieder in der Luft, und ein blendend heller Sonnenftrahl beleuche 
tete das zerbrödelnde Floß mit ber Gruppe der verlafienen Män⸗ 





— 507 — 


ner. Dann hüllte fih Alles wieder in graue, dunftige Nebelat- 
mosphäre. 

Da zeigte ſich, über die Segel aufwirbelnd, ein weißer Rauch, 
gleich darauf rollte dumpfer Gefchlibesdonner über das Meer. 

Wir find entdeckt! Wir find gerettet! jubelte Eduard, noch 
einmal die Stange mit dem Nothzeihen hoch in die Luft empor= 
hebend. Ein zweiter Schuß dröhnte über die Wogen. 

Gerettet! wiederholte Miguel. Gott will und wohl, wir 
ſollen nicht verderben. So ſei denn aud heute bir vergeben, was 
du an mir verbrocdhen haſt. Werde mir fortan Freund, wie du 
mir bisher Feind geweſen biſt! 

Die Hand Miguels lag in der des Mexikaners. Dieſer riß 
den Verſöhnten an ſein Herz und umarmte ihn ſtürmiſch. Ein 
dritter Schuß hallte vom Schiffe her und beſiegelte das feierliche 
Bündniß zweier Menſchen, die das Glück getrennt und verfeindet 
hatte, die Todesnoth aber zu Freunden machte. 


Drittes Kapitel. 





Gerettet. 


Immer höher gingen die Wogen, jetzt rollende Hügelreihen, 
jetzt wieder breite, tiefe Thalſenkungen bildend. Tummler über— 
ſchlugen ſich mit ihren plumpen Körpern in aufſtrudelnden Wei 
lenfämmen und eine Schaar Möven umkreiſ'te unter kläglichem 
Gefange die Ueberreſte des Daches, auf deffen noch loſe zuſammen— 
hängenden Sparten die fünf Männer mit jeder Secunde weiter 
in die Nordſee hinaustrieben, 

Es ward dunkel, Nebel breiteten fih über die Bde, endlofe 
Waſſerwüſte. Am Himmel blickte da und dort durch fliegendes 
Gewölk ein Stern, aud die Mondfiheibe wob ungemwilfe Dämmer—⸗ 
ungshelle um dichte ſchwarze Haufenwolfen. Dann freute fie wie⸗ 


. 





— 908 — 


ber Zeitweife filberne Floden auf das Meer oder ein auffallend 
heller Strahl traf die baufdhigen Segel des Schiffes, das ruhig 
feinen Gours fteuerte. In längeren PBaufen fiel ein Schuß auf 
dem Schiffe, und fonnten die Kortgetriebenen ihr unlenffames Floß 
auch diefer rufenden Stimme nicht folgen laſſen, jo deutete fie 
ihnen doch an, daß Freunde fich näherten und daß auf dem Top 
ein ſcharfes Auge nad ihnen ausbliden müfle. 

Endlich fahen die Treibenden den Rumpf des Schiffes, Hör- 
ten ihr Rufen vom menſchlichen Stimmen beantwortet. Noch ver 
gingen einige Minuten, dann vernahm Miguel das Commando 
des Capitäns. Langſam drehte fich der ſchwarze Rumpf, die Lein- 
wand fiel, die Mannihaft ſchlug Reefe in die quer gebraßten 
Segel. Dann fant das Langboot auf's Meer, drei, vier Männer 
beitiegen es, das Schiff drehte ab und über die gipfelnde Fluth 
fort trieben das Boot kräftige Ruderfchläge. . 

Bald war das Fahrzeug dem Floße fo nahe, daß deflen Be- 
wohnern ein paar Taue zugeworfen werden fonnten. Die Sciff- 
brüchtgen erfaßten diefe, fchlangen fie feſt um die Balkenſtümpfe 
und holten das Rettungsboot an. 

Zum Spreden, zum Grfundigen war in diefem Augenblide 
feine Zeit. Der Mann, welder das Boot feuerte, ermahnte zur 
Eile, denn ſchon wehte e8 wieder flärfer und die Wolkenbildung 
am Kimming deutete auf nahende Windſtöße. Die Männer auf 
dem zerbrechenden Gebälk fühlten nod weniger Bedürfniß zum 
Sprehen. Alle drängten dem Rettungsbord zu, und ihr allzu 
haftiges Anklammern an ein und dasſelbe QTauende hätte das 
Heine Fahrzeug beinahe zum Kentern gebradt. Die Stimme des 
Steuernden feuchte die Geängfteten nochmals mit hartem Wort 
zurüd, gab dem Boot eine andere Richtung und nun erft wurden 
alle fünf Männer einer nach dem andern an Bord gehißt. Kaum 
hatte der Letzte — es war Don Alonſo Gomez, ber eigenfinnig 
Darauf beſtand, bis zufeßt auszuhurren — das Gebälk verlaffen, 
ale eine gewaltige Sturzwelle es vollends zerihlug und die Trüms 
mer nad) verihiedenen Richtungen hin forttrieben, 








—- 509 — 


Mit eigenthümlichen Empfindungen fahen die Geretteten das 
Zerbrechen ihres bisherigen Wrackes. Inzwifhen famen fie dem 
Segelſchiffe jchnell näher, das Boot legte an und Eduard betrat 
zuerſt das Ded des Schiffes, über deffen Brüftung neben dem 
Fallreep ber Capitän auf die Ankommenden herabſchaute. Er 
rief dem GSteuernden ein paar Worte zu, die Eduard aufhorchen 
machten, 

Wie heißt das Schiff? fragte der vor Hunger, Froſt und 
Ermattung kaum feiner felbft mehr bewußte junge Mann. 


Marie Eliſabeth, Capitän Ohlſen, Rheder: Peter Thomas 
Heidenfrei, verfeßte ein eben vorübergehender Matrofe, \ 


Meines Vaters Bart! fagte Eduard, Welch’ glüdlicher Zus 
fat! Waprlih, der Name meiner Schwefter iſt ein glüddrin- 
gender Name! — 


Mir dürfen wohl nicht erſt verfihern, daß die fo wunderbar 
Geretteten auf ber Bark Heidenfrei’s eine Pflege fanden, die fie 
bald alle erlebten Schreckniſſe der letzten Tage vergeflen lich. 
Selbft daß Don Alonfo Gomez fih mit unter den Geretteten bes 
fand, ftörte nur in den eriten Augenbliden die Freunde, namtnts 
lich Paul, der aus leicht zu errathenden Gründen feine ſehr gute 
Meinung von dem Merifaner hatte, ihm vielmehr im Herzen 
grollte. Theils die Zureden Eduard's und Miguei’s, theils das 
beitechende Wefen des ungewöhnlichen Mannes befänftigten indeß 
fehnell die zornigen Aufwallungen Paul's, der Don Gomez wohl 
fhwerlih die Hand geboten haben‘ würde, hätte er ihn früher 
erkannt. 


Alle fünf Geretteten faßen jebt in der Gajüte des Gapt- 
täng und Tiefen fih den erwärmenden fleifen Grog und das 
Ihmadhafte Fleiſch wohl ſchmecken, während die Reihe bed Er⸗ 
zählens bald Diefen, bald Jenen traf. Gapitän Olfen und 
Paul waren begreifliherweife Außerft begierig, zu erfahren, welch’ 
jeltfame Ereigniſſe Menfchen fo verfhledenen Charakters in fo ver- 
hängnigvollen Augenbliden zufammengeführt haben Fonnten, und 


— 510 — 


wie biefe einander fo feindlich Befinnten den Entſchluß, fih zu 
verſöhnen, zu fallen vermochten. 


Das Barkſchiff des Rheders war, wie ſchon früher angedeu⸗ 
tet wurde, vom Sturme erfaßt, bis hart an die Küften Jüt—⸗ 
lands verfchlagen worden und hatte dabei zwei Matrofen verloren. 
Start von Bau, mit tüchtigem, feegemohntem Volt bemannt, 

trefflih geführt und geftenert, überftand es den vermüftenden 
Sturm glücklich. Wetter und Fluth waren auf hoher See viel 
weniger gefahrvoll, ald an den Küften. Die anhaltende Ridstung 
des Windes und ein Zufammentreffen verjchiebener ungünftiger 
Umftände braten jenes große Unglück über die Küftenanwehner 
und die Bevölkerung der Halligen, welde von allen Fluthverhee⸗ 
rungen bes neunzehnten Jahrhunderts die Sturmfluth des zwel- 
undzwanzigſten Februars als die verhängnißvollſte bezeichnet. Spu- 
ren biefer Verwüſtung hatte die Bark auf ihrer Fahrt nach ber 
Mündung der Elbe entdeckt. Es war das erfte Schiff; weldes 
eine dunkle Kunde davon an's Feſtland brachte. 


Die Drangfale der Bewohner Hamburgs waren ben Ge: 
retteten felbft nicht befannt. Ste hatten nur Vermuthungen, feine 
Gewißheit, fürchteten aber, viel Trauriges zu erfahren. Don Go⸗ 
me; war ber Einzige, der wenigftend andeutungsweife das, mas 
ihrer Harre, mitiheilen Tonnte. Er erzählte jetzt mit der ihm eige- 
nen bezaubernden Anmuth von den Freuden des ſchwelgeriſchen 
Mahles, das er feinen Freunden und Bekannten gegeben; er ver: 
gaß nicht, der Abberufung des Buchhalters zu gedenken, der bdro- 
hend lautenden Mittheilungen Davids und der damit eng zufam- 
menbhängenden Unterbrehung und gänzlicher Aufhebung des mit 
fo großen Opfern vorbereiteten und fo köſtlich arrangirten Feſtes. 
Endlih erzählte er feine eigene Flucht mit Mafter Papageno, 
fhilderte mit den Iebhafteften Farben den Aerger, der fich feiner 
Seele bemädtigte, den Kampf mit feinem widerfpenftigen Rappen, 
als die brüllenden Wogen fhaumftrudelnd die Straße überfluthe- 
ten, enblih feine maßlofe Wuth, feinen Sturz, den Untergang 





— 511 — 


Papageno's und fein eigenes Forttreiben auf bem wild bewegten 
Strome. | 

Diefen Mitthetlungen fhloffen fih die Erzählungen Eduard 
Heidenfrei’8 und feines DVetters Miguel an. Beide junge Män⸗ 
ner hatten zwei Tage vor dem böfen Unwetter Bremen verlaffen, 
wo Auguſtin Hohenfels allein zurüdblieb, um noch Einiges zu 
ordnen und die nöthigen Vorkehrungen zur Reiſe nah Südamerika 
zu treffen. Das Haus Heidenfrei zog es vor, um den Wünſchen 
bes dringend werdenden Hohenfels möglichſt nachzugeben, ein Bres 
mer Schiff zu chartern, da die ihm zu Gebote ftehenden eigenen 
Fahrzeuge, mit Ausnahme eines einzigen, nicht mehr ganz fees 
tüchtigen Schooners, auf See waren. Zu diefem Entjchluffe tru= 
gen wefenlih auch die Verbindungen bei, welche der verftorbene 
Saldanha mit Bremen in früherer Zeit durch Vermittelung hol⸗ 
ländiſcher Bankiers eingegangen war. Alle diefe früheren Ger 
ſchäftsfreunde des reihen Cubaners Fannten genau deſſen Verhält—⸗ 
niffe; die Verbindungen des ehemaligen Plantagenbefiberd con« 
centrirten fih in der Handelsmetropole an der Wefer, und fo fand 
von dort aus das neue eigenthümliche Unternehmen bes ideen— 
reihen, weitſtrebenden Hohenfels die geeignete und ficherite 
Förderung. | 

Um nit den langweiligen Weg über die unintereflante Hatde- 
fläche in kurzer Zeit wieder zurüdlegen zu müſſen, die namentlid 
Eduard zu genau Fannte, zogen e& die jungen Männer vor, von 
der großen Heerſtraße abzubeugen, einen links führenden Commu— 
nicationsweg einzufhlagen und dem „alten Lande” einen Beſuch 
abzuftatten. Erlaubte es die Witterung, die freilich ſchon zur Zeit 
ihrer Abreiſe aus Bremen fih ungünfttg anlieg, wollten fie in 
Stade einfprehen, wo das Haus Heldenfret ebenfalld Verbinduns 
gen hatte. Diefer letzte Plan mußte aber aufgegeben werben. 
Die Reifenden ließen ihr gemiethetes Fuhrwerk in Burtehude, wan⸗ 
derten zu Fuße wetter und wollten über die Elbe nad Blankeneſe. 
Das Bedenken der Schiffer, welche über den inzwiſchen bereits ſehr 
unruhig gewordenen Wind die. fhlimmflen Anfichten Außerten und 


— 512 — 


fi) entſchieden weigerten, bet den gefährlichen Windſtößen über den 
Strom zu feben, machte auch Miguel bedenflih. Der Wirth des 
Kruges gejellte fih zu den Berathenden und da auch diefer, ber 
ein fehr ruhiger, alter Mann zu fein ſchien, ebenfalld den Schif— 
fern beiftimmte, jo nahmen die Reifenden den Vorfchlag des Krug- 
wirthes an, fo lange bei ihm zu raften, bis das Wetter ausgetobt 
haben würde. 

Endlich verfuchte der alte Bauer den Anprall der Sturmfluth, 
ihr unerwartet ſchnelles Wacfen und die Beftürzung zu fchilbern, 
die Alle ergriff, als die wilden Waſſer bei finfender Naht von 
“allen Seiten um die fhuglofen Mauern feines Haufes zufammen- 
jhlugen, diefe trümmerten, den ganzen Hausrath verwüfteten und 
fortfhwennmten, den Viehftand erfäuften und ihn nebft feinen bei— 
den Kindern und den Reifenden zu fchleunigfter Flucht auf den 
Boden des Daches nöthigten. 

Ich hätte nie geglaubt, fhloß der alte Krughalter feinen Bes 
richt, daß Ständer, bie über vierzig Jahre jedem Waſſer trogten, 
von zwei, drei fchlagenden Wellen zerbrochen werden fönnten. Und 
wie nun gar das Dad fortfhurrte, fih auf den Wellen wiegte, 
in den wüthenten Strom hineinfhoß, und die Tochter mir verlo- 
ren ging; da hätte ih mih am liebften felber kopfüber in das 
brodelnde Fluthwaſſer geftürzt, um dem Elende mit einem Male 
für immer überhoben zu fein. Die Herren aber hielten mid zu— 
rück und nun dan® ich Ihnen noch, daß fie es tbaten, denn ich 
denke jept doch, meine an's Land zurücgetriebene Tochter wieder- 
zufeben. _ 

Er reichte Eduard und Miguel feine harte, breite Hand, bie 
den Druck berfelben herzlich erwiderten. 

Unter diefem gegenfeittgen Austaufhe der jüngften Erlebnife 
erreichte das Barkichiff die Höhe von Neuwerk. Die Leuchtfeuer 
des großen und Fleinen Thurmes, ebenjo das heil glänzende Licht 
von Cuxhaven warfen ihre Strahlen durd die wolfentrübe Nacht 
auf die grauen, langen Wogenfämme ber hochgehenden Gee. 

Das tft beinahe ein Anblick, wie damals, ald wir zum erften 











— 513 — 


Male die rothe Tonne paffirten, ſprach Don Alonſo Gomez zu 
Miguel, der mit dem verfühnten Feinde jebt das Verdeck auf und 
abſchrit. Nur war die Luft damals milder und id war befler 
bei Kaffe, als ich es gegenwärtig bin. Weißt du, daß mich mein 
leßtes Diner den Reft meincd Vermögens gefoftet hat? 

Und das ſprichſt du fo leichthin aus, ohne Reue zu fühe 
len? verfegte Miguel. Ih, an deiner Stelle, der Du von Jugend 
auf an ein üppiges Xeben gewöhnt bift, würde mir bittere Vor— 
würfe machen und mid noch obendrein unglücklich fühlen. 

Don Gomez blieb neben dem Lootfen flehen, der das Schiff 
in die Mündung der Elbe führte. Er Tegte feine Rechte in die 
des jungen Hohenfels, indem er erwiberte: 

Recht kannſt du haben, mein Freund, weiſer aber würdeſt bu 
trogdem nit handeln. Reue mag gut fein, denn fie foll ja, wie 
die Pfaffen behaupten, zur Erkenntnig und mithin zur Beflerung 
führen. Dennoch will mich bedünken, taugt fie nicht für Jeden. 
Deine deutichen Verwandten haben ein Lied, das diefe Anficht fehr 
paſſend ausfpridt und damit alle nur denkbaren Falle erichöpft. 
Es fängt, glaub’ ich, mit den Worten an: 

„Eines ſchickt fih nicht für Alle,“ 

Für mich nun, lieber Miguel, für mich ſchickt ſich ganz ent- 
fhieden die Reue nicht. Wie es kommt, wiflen die Hetligen, aber 
ih Tann gar nichts bereuen, nicht einmal, daß ich den gewiß bum- 
men Streih mit deiner’ fhönen Braut beging, die ich dir übri— 
gend, nimm mir’s nicht übel, bis auf den heutigen Tag mißgönne. 
Wäre ih nit ein fo Teichtblütiger Patron, ich glaube doch, bei 
diefem herrlichen Mädchen hätte ich glüdlicher mit dir gerungen, 
als auf dem fhlüpfrigen, moosbewachſenen Strohdache des alten 
Krugbauers. Es Hat nicht fein follen, mithin bin ih beru- 
ruhige: Die einzige wichtige Frage, die ih jetzt an mid rich— 
ten muß, und Die mich auch wirklich fon ganz ernfthaft be- 
häftigt, it: woher nehme ih Geld, um zu leben, um mid zu 
halten und durd weile Sparfamfeit und Fluges Haushalten meine 


in einige Unordnung gekommenen Verhältniffe wieder zu verbef- 
D. B. XI. Willkomm's Rheder und Matrofe, 33 


— 514 — 


fen? Ic wüßte ein Mittel, nur weiß ich leider nicht, ob es an- 
wendbar fein wird, 

Welches meinft du? fragte Miguel, der mit fleigender Theil- 
nahme dem harmlos PBlaudernden zubörte, defien Gemüthsruhe — 


oder fjollte man es bodenlofen Leichtfinn nennen — ihm impo= 
nirte. 

Du könnteſt mir helfen! 

Ich? 


Ganz gewiß. Das wäre nicht nur ſehr edelmüthig, ſondern 
auch verdienſtlich, und gleichzeitig bewieſeſt du mir damit, daß 
deine Ausſöhnung ehrlich gemeint iſt, dein Haß in wirkliche Freund⸗ 
fchaft fi) verwandelt hat. 

Aber ich begreife wahrhaftig nicht, wie ich dir helfen foll, 
erwiderte Miguel. Baare Mittel befige ich augenblicklich nid. 
Ich habe darüber disponirt, um die großen Pläne meines Vaters 
und Vetters fördern zu helfen. Und ich fann mir denken, daß bir 
mit einer Kleinigkeit nicht gedient fein wird, 

Das iſt dumm, fagte Don Gomez, und dennoch wäre es 
möglich. 

Ich fehe keine Hilfe. 

Der Mexikaner ergriff Miguel's Arm und trat mit ihm an 
den Befanmaft. 

Ich fehe ein, fuhr er fort, daß ich in der europäifchen Ge⸗ 
ſellſchaftswelt meinen Credit verfcherzt habe. Es gehört das zu 
den vielen Dingen, die fich nicht ändern Iaffen, die Andern Qual 
verurfachen, die ich dagegen für ein Schickſal hinnehme. Wozu 
fol ih mid nun, in Anbetradht meiner Antecedentien, noch Länger 
auf europäifhem Boden herumtreiben? Ich weiß im Voraus, 
dag ih zwar manden Genuß und dennoch wenig Freude davon 
haben würde. Meine ganze Organifation iſt nicht europäiſch. 
Alſo fort von der alten Welt, deren Solidität ich vollkommen re« 
fpectire, und deren liebreizende Töchter ich in der Erinnerung lie— 
ben, verehren, anbeten will, fo lange mein Herz Plopft und meine 
gottlofe Zunge noch Schmeiheleien in hübſche Wortſträuße zu bin- 








— 515 — 


den verfteht! Die neue Welt, unfer Beider wahre Heimath, fteht 
meinem abenteuerlihen Sinne ohne alle Frage beffer an. Und 
dag ich dort fortlomme und wieder felter Grund ſich unter meine 
Füße ſchiebt, dazu ſollſt du mir behilflich fein. 

Erklare dich deutlicher, denn noch fprihft du für mich in 
Räthſeln, verſetzte Miguel. 

Du biſt Beſitzer reicher Kaffee- und Tabacksplantagen, ſprach 
Don Gomez. Ein beneidenswerihes Glück hat ſie dir geſchenkt. 
Du läßt ſie, wie ich in Erfahrung gebracht habe, verwalten von 
Leuten, die du ſelbſt nicht kennſt, denen du aber vertrauſt, weil ſie 
Diener des Mannes waren, der dich Glückspilz an Sohnes Statt 
angenommen hat. Meinſt du nicht, daß ein Freund, der früher 
auch auf Plantagen lebte, der mit Sclaven umzugehen” weiß, der 
ſelbſt noch Sclaven- und Plantagenbefiger tft, obwohl ein Jude 
fie als Pfand in feinem weiten Sädel mit ſich herumſchleppt, 
meint du nicht, daß ein folher Mann dir eben fo treu dienen 
ann, als bezahlte Söldlinge es thun? Made mid zum General= 
Inſpector deiner Plantagen auf Euba, befolde mich anfländig, gib 
mir eine gute Provifion, wie die Kaufleute fagen, und lag mid 
etwas Rechtes dabei verdienen. Bei meiner früheren Nichtsnutzig⸗ 
keit verfpreche ich dir, ehrlicher und gewifienhafter hat der alte 
Hausnarr deines fehr refpeetablen Herrn Oheims feiner Zeit die 
Buchführung nicht getrieben, als th fie in deinem Namen und in 
deiner Abwefenheit handhaben will. 

Miguel konnte fih eines Lächelns über die Ernfthaftigkeit 
biefer Betheurung nicht enthalten. 

Ja, du lachſt, fuhr der Mertkaner fort, und dennoch beharre 
ih auf meinem Satze. Meinft du etwa, ih würde mich ſchlecht 
für einen derartigen Poften eignen? Du irrſt, mein Freund! Es 
gibt feine beſſeren Diebsfänger als Leute, die früher etwas confufe 
Anfihten von dem Begriffe Eigentbum hatten. Betrügen laſſe ich 
mih niht, und ſollte ih dich betrügen, fo fet es dir freigeftellt, 
mid zu behandeln, wie e8 dir beliebt, 

Du fprahft von einem Juden, dem du deine Befibungen in 

33* 


— 516 — 


Texas verpfändet hätteſt, warf Miguel ein. Wer iſt der Mann, 
und wie hoch beläuft ſich die darauf erhaltene Summe? 

Don Alonſo nannte den Namen des hilfreichen Israeliten 
und die Höhe des von ihm erhaltenen Geldvorſchuſſes. 

Zu unterhandeln ift mit dem Manne, ſprach Miguel, denn 
er verdient gern. Wir haben dies, mein’ ich, beiberfeitd kennen 
gelernt. Laß mir Zeit, Alonfo, und warten wir vorerft ab, wie 
meine Verwandten darüber benfen. Du wirft mich zu Feiner Ue⸗ 
bereilung veranlafien wollen, die ung Beiden nur Schaden verur- 
fachen könnte. Vorerſt haft du bei mir offene Kaffe, deinen Vor—⸗ 
fhlag werde ich, iſt er ernſt gemeint, in Weberlegung ziehen. 

Er iſt es, fagte mit feftem Tone Don Gomez. 

Halb Steuerbord! rief der Lootſe. Macht die Lee= Braffen 
dicht. 

Der Befehl warb raſch vollzogen. Eduard trat in Beglei— 
tung des Gapitäns und Paul’8 aus ber Gajlte. Hinter dem See: 
deiche rechts Tonnte man dunkel die Häufer Cuxhavens, etwas ent- 
fernter das breite, thurmartige Schloß von Rigebüttel mit feinem 
hoben fpigen Dache ertennen. 

Geit die Seegel auf! befahl der Lootfe, und bald verfchwand 
alle LZeinewand, welche die Bart noch zeigte, an den Raaen. Das 
Schiff wiegte fi Tangfam auf den hohen breiten Wellen. 

Der nächte Befehl lautete, den Anker fallen zu laffen. 

Die Kette klirrte, der Anker rollte in die Tiefe und faßte 
bafd. in den fandigen Grund. 

Die „Marie Eliſabeth“ Tag, von leichter Brife gefchaufelt, 
auf! der Rhede von Cuxhaven. 











— 517 — 


Biertes Kapitel. 





Zwei Freunde fajien wichtige Entſchlüſſe. 


Gib mir von deiner beften Regalta, Lieber Anton, und bitte, 
lafle das Predigen fein, fprah Julius, fih auf dem bequemen 
Sopha im Zimmer des Freundes die feinem wohlbeleibten Körper 
angenehmite Lage gebend, Du kennſt jegt meine Noth, mein Uns 
glück, Vorwürfe ändern daran nichts, dad kann nur der Rath und 
bie thatfächliche Hilfe eines oder "mehrerer Freunde. 

Rede doch mit Kurt, mit unferm Buchhalter, mit dem lang⸗ 
halfigen Emil, der jetzt immer veilhenblaue Handfchuhe trägt, feit 
man thn für den Grafen ©. gehalten hat, erwiderte Anton. Das 
waren ja den ganzen Winter hindurch deine Gumpane. Ober 
geh’ dem Makler zu Leibe, von dem bu gelernt haft, eine neue 
Aufternfauce mit Burgunder zu bereiten. . Leute, bie jo viel Geld 
aufgehen laſſen, müfjen fehr, fehr reich fein. 

Julius rauchte mit großem Behagen. Gr erprobte die er- 
haltene Regalta, ein Gefchent Heidenfrei's, auf alle Weife, Indem 
er den Rauch derjelben bald raſch fortpaffte, bald ihn durch die 
Nafe z0g, bald ihn gar, nah Art der Orientalen, verſchluckte 
und ihn erft nah längerer Zeit in Form einer Diden breiten 
Rauchſäule Über die Lippen Träufeln ließ. 

Du dauerft mich, beiter Freund, verfegte er mit komiſcher 
Feierlichkeit, wahrhaftig, du dauerſt mih! Für gar fo befchränkt, 
fo philiſterhaft ehrlich Hätte ich Dich doch nicht gehalten. Da fieht 
man’s, fügte er bedauerlich feufzend Hinzu, was der Umgang thut. 

Ich meine, das fähe man am allerdeutlichiten bet bir, ver= 
feßte Anton heiter, fih ebenfalls eine Cigarre anzündend. Es iſt 
indeß mein voller Ernſt, was ich fage. 

Der meinige ebenfalls, ermwiderte Julius. Wenn du aber 
wirkich fo fhwer von Begriffen bift, fo will ich dir nur bedeuten, 
daß derjenige, welder das Meifte darauf gehen läßt, in der Re— 


— 518 — 


gel das MWenigfte beſitzt. Sein Vermögen fteht gewöhnlich auf 
Hoffnung. Er iſt ein Speculant in Fonds, die Andere befiten, 
und die er ſelbſt ſfich wünſcht. Meinſt du, das fet nicht edel, nicht 
fhön, nicht groß? Ih fage dir, es ift mehr noch, denn es ge— 
hört Gleichmuth, Geiftesruhe,, Heiterkeit und Genie dazu! Aber 
was fragt Ihr foliden Alltagsmenfchen nah Gentalität! 

Genial, mein Freund, bin ich leider nicht, erwiderte Anton. 
Ich bedaure es ſelbſt, Tann mid aber doch nicht klüger und ge- 
fheidter machen, als ih bin. Wende dih an deinen Oheim. 

Julius richtete fih auf, er fhludte zu viel Rauch und brad 
in heftiges Huften aus, der ihm Thränen in die Augen trieb. 
Als er wieder fprechen konnte, verfeßte er: 

Wenn das ein freundfchaftliher Vorfchlag fein joll, fo kün— 
dige ich dir hiemit meinerfeits die Freundſchaft. Mein Oheim! 
Ha, ba, ha,’ ha! Der ftierföpfige Diek-Johann mit feinen ſechs 
Joch fetten Ochfen und feinen vierhundert Tonnen Matichland! 
Nein, der Gedanke iſt fo coloffal dumm, daß ich ihn beinahe ge= 
ntal finde! Dreihundert Nafenftüber würde er mir geben, nicht 
aber dreifundert Species. Eher läßt er mid einſtecken! 

Dann kann ih dir nur vathen, fpiele noch einmal! fagte An- 
ton. Ih führe nicht folde Summen und befäße th fie wirklich, 
fo würde ich allerdings nicht genial genug fein, um fie dir zur 
Aufbewahrung zu übergeben. Das haft bu von deinem Gefchlede, 
von deinem Verkehr mit Schlemmern und von deinem lebten lu— 
culliſchen Göttermahle, das der merifanifche Don, der jebt ebenfalls 
am Hungertuche nagt und am Ende noch Stammgaft im tiefen 
Keller, oder in der Kröte wird, am Tage der großen Fluth gab. 

Julius nahm die Gigarren aus dem Munde. 

Dom höhern Lebensgenufle verftehft du nichts, erwiderte er 
pathetifih. Du kannt mid alfo auch nicht mit deinen oberflächli⸗ 
hen Bemerkungen beleidigen. Jenes Diner war mehr, als fuperbe, 
wie es dein Alter genannt haben würde, es war göttlich! Schade, 
daß es fo zeitig zu Ende ging! 

Ihr hättet ja beiſammen bleiben können. 








— 919 — 
Hätten! Sehr wahr. Ohne Euern plumpklotzigen Kerl von 
einem Hausknecht wären wir auch ſicher vor Tage nicht aufgeſtan⸗ 
den. Der Menſch müßte eigentlich des Mordes angeklagt werden. 
Er iſt Schuld daran, daß der luſtige Narr, der buntfarbige Pa⸗ 
pagei, Maſter Papageno, im Waſſer umkam. 

Dafür ward ſein Herr großmüthig gerettet. | 

Sage lieber, höcdhft wunderbar. Ich finde überhaupt Vieles, 
was in jener Naht und in den nächften Tagen gefhah, fehr wun⸗ 
berbar, nur dein Sigen auf per Rüfter und das Kauern bes 
großen Rheders daneben kann ich in alle Ewigkeit nicht wunderbar 
finden, denn ich muß regelmäßig lachen, wenn tch daran denfe und 
mir Euch Beide in diefer vermaledeit komiſchen Sttuatton vorftelle. 

Sie war ernfthaft genug, fagte Anton, und dennod möchte 
th fie heute noch nicht mit deiner und deiner Freunde Genüſſen 
in jener Schreckensnacht vertaufchen. Ich hatte Recht, als ih dem 
Buchhalter abrieth, deine Einladung anzunehmen. Wäre ich eben 
fo Tetchtfinnig gewefen, wie er, fo würde unabwendbares Unglüd 
über die Familie Heidenfrei hereingebrochen fein. 

Das tft Recht; dafür kann auch deine Mutter ſchwimmen. 

Anton kehrte dem ſpöttiſch Lachenden den Rüden, trat an's 
Senfler, Treuzte die Arme über der Bruft und rauchte mit Leiden- 
ſchaft. Julius blieb ruhig fiten und blies den Rauch Tangfam 
durch die Nafe. 

Mit dem Pump alfo wär es nichts, begann er nach furzem 
Schweigen das Geſpräch abermals. Na, gezwungen kann, fol und 
darf Niemand werden, decken aber muß ich die Schuld. Es wären 
nun, wm dies zu bewerkitelligen, nod zwei Wege einzufchlagen. 
Entweder ih verkaufe Uhr, Ringe, Brillantnadel z2c. oder ich gehe 
zum Juden. Was bältft du für das Beſſere? 

Soll td} meine wahre Meinung fagen? 

Ungenirt! Ich bin ein Weltmann und kann Alles anhören, 
wenn {ch auch nicht Alles thue, was Andere fagen. 
Gehe zu deinem heim und gib ihm ein gutes Wort. 

Ich will es. nicht wieder thun, befter Oheim, Verzeihung! 


— 520 — 


Nicht fo? — Und wenn er mid dann doch noch ablaufen läßt? — 
Den Teufel auf! 

Er thut es nicht, denn er hält auf Reputation, fagte Anton. 
Mas fagte er denn zu feinem verftorbenen Sohne, als er eine 
ganze Laſt Waizen verfpielt hatte? — Er fragte nur, ob er den 
Verluſt auch bezahlt Habe? Und als der Sohn fhüchtern genug bejahte, 
fügte er kurz Hinzu: Dann iſt's ja gut. Nur um Gottes Willen 
feine Schulden maden! | 

Beim Himmel, du haft Reit! rief Julius hoffnungsvoll aus, 
und mein Oheim mag ein halsſtartiger, eigenſinniger Dickkopf ſein, 
ſeine Anſchauungsweiſe menſchlicher Verhältniſſe iſt doch keineswegs 
gemein. Da, alter Freund, meine Hand darauf, ich gehe zu Diek⸗ 
Johann! Aber vorerfi noch eine von deinen köſtlichen Regalia's. 
Es ſteckt ein Duft in ihnen, als berge fi bie Quinteffenz aller 
Arome der Tropen in ihren Blättern. Und nun von etwas An- 
berm. Was mag Wahres fein an dem Gerüht, das jet Yon 
Mund zu Mund läuft? 

Melches meinft Du? 

Daß fih Miguel Hohenfels-Saldanha mit Don Alonfo Gomez 
ausgejöhnt habe. 

Freund, verſetzte Anton, das iſt ein Gegenftand, den id 
ungern berührt, ſehe. Die große Fluth hat viel Trauriges gefchaf- 
fen, viel Unvermuthetes herbeigeführt. Warum follte fie nicht aud 
ein paar Menſchen einander näher bringen, die in Folge früherer 
Begegnifle fih ziemlih fern flanden? 

Kommt der Merikaner nicht wieder hier ind Haus? 

Nein, fagte Anton kalt, es wäre auch höchſt überflüffig. 

Aber man kennt doch Die ſtatigefundene Verſöhnung? 

Kümmere mich nicht darum. 

Die Andern auch nicht? 

Mir einerlei. 

Julius ſtand auf und trat zu dem mürriſchen Freunde. Er 
ſah ihn forſchend an, dann drehte er ſich lachend auf dem Abſatzk 
herum und rief aus: 








— 541 — 


Alfo doch richtig gefangen! Hab mir's gebaht! — Und ba- 
rum edler Philifter, Schwärmer für folive Leute?. Darum pünkt- 
lihfter Börſenbeſucher und liederlichſter, unzuverläffigiter Freund? 
D, das ift himmliſch, göttlih! Das müſſen Kurt und der lang 
halfige Emil erfahren. Diefer Neuigkelt wegen muß der ftier- 
nadige heim In der Marfh ein Dupend Species mehr heraus⸗ 
rüden! Adieun, Süßholz raspelnder Sternguder! Werbe nur 
nicht mondfüchtig. 

Julius nahm feinen Hut und ging lachend fort. Anton ſah dem 
leichtfertigen Freunde verſtimmt nach. 

Ich hab's gedacht, ſagte er. Verborgen konnte es nicht lange 
bleiben, ſeit ih mid erklärt und eine befriedigende Antwort er⸗ 
halten babe. Ich bin felbft Schuld daran, aber es wäre doch 
ganz abſcheulich, wenn der nuplofe Menfch eine bloße Bermuthung 
als ausgemahte Wahrheit feinen gefhwäßigen Gollegen im Pavil⸗ 
lon erzählte. Die ganze Familie wäre blamirt, durd mich bla⸗ 
mirt, und Gott weiß, wie die Sache endigte! Dem muß vorge⸗ 
beugt werden und zwar auf der Stelle. Es tft Heute Sonntag, 
Herr Heidenfrei iſt bei vortreffliher Stimmung, denn Treufreund 
befindet fich wohler. Ih wag's — mien Moder kann ſwemmen! 

Zu einem felten Entihluffe gefommen, machte Anton aus- 
gefucht feine Toilette, betrachtete feine Geſtalt wiederholt im Spie- 
gel, bradte das Haar ein Elein wenig In geniale Unordnung, um 
nicht gefchniegelt wie ein Bild aus dem Mode-Journale auszu= 
ſehen, und ließ fi bei dem Rheder melden. Diefer nahm feinen 
Gorrefpondenten fehr wohlwollend auf und hatte eine lange, bri= 
nahe volle zwei Stunden dauernde Unterredung mit ihm, in der 
er ſich nicht einmal von Ferdinand unterbrechen Tieß, der den Ba= 
ter während berfelben zu fprehen wünſchte. Der Sohn ward ab- 
gewiefen und hatte nichts Eiligeres zu thun, als biefe überraſchende 
Nachricht mit fein lächelndem Munde feiner Schwelter Eliſabeth 
mitzuthellen, die mit einge Stiderei beichäftigt war. Die Fleine 
Poetiſche erſchrak darüber dergeftalt, daß fie fih in ben weißen 
zarten Finger ſtach und einige Blutstropfen verlor. 


— 522 — 


Das iſt gut, ſagte Ferdinand ſchalkhaft. Du wirſt, wenn der 
Volksmund wahr ſpricht, heute noch geküßt werden. 

O, du biſt abſcheulich, erwiderte Eliſabeth ganz verwirrt, 
raffte ihre Stickerei zuſammen und ging mit Ulrike, die ſie rief, 
in Treufreund’s Zimmer, wo fid die Mitglieder des Hauſes ge= 
wöhnlih kurz vor Tifhe zu verfammeln pflegten. Hier fanden fie 
bereits Eduard, Miguel mit Ehriftine und Mutter Margaretha, 

Der frühere Buchhalter fag in einem Rollſtuhle. Gr war 
blaß und fehr Hager geworben und hatte beinahe alle Haare ver- 
foren. Das bunte Mühen, das er noch immer trug, bedeckte 
faum noch die große Glatze, welche fih bis weit auf den NHinter- 
kopf erfiredte. Seine ſtark verwundeten Hände waren zwar ge= 
heilt, ſchmerzten ihn aber noch immer, fo daß er ſie eigentlich 
gar nicht gebrauchen konnte. Am liebſten bedeckte er ſie mit fei⸗ 
nen Handſchuhen, weil die neugebildete Haut ungemein empfindlich 
gegen Einflüſſe der Witterung war. Schlimmer noch erging es 
ihm mit dem verſtauchten Fuße. Dieſer bekam trotz aller Bemü⸗ 
hungen des Arztes ſeine Elaſticität nicht wieder. Er blieb ſtumpf, 
faſt gefühllos und hinderte Treufreund an aller freien Bewegung. 
Die Aerzte erklärten das Uebel für unheilbar und wollten ein 
gänzliches Erlöſchen aller Nerven und Muskelthätigkeit darin er— 
kennen. 

So ward der alte redliche Diener des Hauſes durch ſeine 
körperliche Schwäche zu andauernder Unthätigkeit verurtheilt. Im 
Comptoir vermißte man „den Schatten” am meiſten, was früher 
Niemand geglaubt haben würde. Man merkte jetzt, daß der alte 
erfahrene Mann überall fehlte, daß er durchaus nicht überflüffig 
. gewefen fet und Jeder mehr, denn einmal jeine Rathſchläge oder 
Winke habe benügen können. 

Treufreund felbft fand fih tn feine neue Lage mit großer 
Geduld. Gr ſah Mandes, was er gewünſcht und erftrebt hatte, 
jest feiner Verwirklichung entgegen gehen, und war aud Anderes 
wieder nicht nach feinem Sinne, fo befaß er doch eine hinreichend 
fügfame Natur, um auch ihm perſönlich Widerfircbendes zu über 








—— 9233 — 


windgn oder, da er es nicht hindern Fonnte, gehen zu laſſen. So 
- bfieb er bei ‚gutem Humor und erhielt ſich eine Heiterkeit bes Gei⸗ 
ſtes und eine Sanftheit des Herzens, die Andere anlodte und ihm 
die Herzen Vieler, wo nicht Aller, dauernd gewann. 

Mer irgend Zeit gewinnen konnte von den Mitbewohnern 
des Hauſes, der beeilte fih, dem alten Herrn etwas Angenehmes 
zu fagen, eine Gefälligkett zu erzeigen, und, da Jeder den An- 
dern in diefem Töblichen Eifer zu überbieten fuchte, fehlte es Treu« 
freund nie an Unterhaltung und Zeitvertreib, Die Pein der Lanz 
gewetle kannte er nicht, feine Schmerzen vergaß er über dem Ge—⸗ 
plauder der drei jungen Mädchen, die bald einzeln, bald ges 
meinfhaftlih den armen Leidenden unterhielten. Nach beendig- 
tem Tagewerk kam gewöhnlich Anton in Treufreund’s Zimmer, 
fragte angelegentlich nad feinem Befinden und flattete regelmäßig 
Bericht ab über die Vorkommniſſe des Tages, über den Bang ber 
Geſchäfte, weil er wußte, der aufmerkſam zuhörende „Schatten“ 
habe Gefallen daran. Auch mie der neu eingetretene Caſſirer fi 
beim Schtllingszählen anftelle, fagte Anton dem ehemaligen Bud: 
halter, der die Bemerfung, es gehe dem fonft fehr netten und ge: 
wandten Manne doch nicht fo flint von der Hand, wie einem ges 
wiffen Jemand, mit fehmunzelndem Lächeln hinnahm. War dies 
Alles verhandelt, fo las Anton am liebſten vor, bald ein Zeitungs- 
blatt, bald ein gutes Buch, und als dankbare Zuhörerinnen fehl- 
ten die jungen Mädchen dann nur felten. Der Rheder kam in 
der Regel erſt fpäter, da er nad Aſche feinen Clubb auf ein 
paar Stunden zu beſuchen pflegte. 

Diefe früher nicht in folder Weife gefannte Hausordnung, 
dies traufihe Zufammenleben der Familie entfremdete Anton der 
Melt mehr vielleicht, als es wünfchenswerth fein mochte. Die Er⸗ 
lebnifje in der Sturmnacht, die Todesangſt, die er momentan in 
derfelben ausgeltanden hatte, die entjeßensreihen Scenen, die er 
nur mit halbem Auge ſah, von denen er aber doch Zeuge fein 
mußte, waren nicht ohne tiefe Eindrüde geblieben. Gr ward von 
Stunde an viel ernfter und konnte jegt gern für zehn Jahre Alter 


— 514 — 


gelten. Seiner geiftigen Heiterkeit jedoh, feinem Streben, und 
Wirken that diefe Veränderung feines ganzen Übrigen Wefens durch— 
aus keinen Abbruch. 

Heidenfrei zeichnete ſeinen Correſpondenten ſeit jener Nacht 
entſchieden vor allen Andern aus und behandelte ihn faſt wie einen 
Mann, der mit ihm auf gleicher Stufe ſtand. Was Veranlaſſung 
zu ſolcher Aufmerkſamkeit ſei, blieb den Hausgenoſſen nicht lange 
verborgen. Anton hatte, das wußte bald der letzte Laufburſche, 
durch ſeine Geiſtesgegenwart und durch gänzliches Selbſtvergeſſen 
dem Chef des Hauſes nach dem Einſturz des Holzſpeichers das 
Leben gerettet. 

Treufreund erhielt früher noch als Andere davon Kunde, und 
ſeitdem vergab er dem übermüthigen jungen Manne Alles, ſelbſt 
bie bisweilen etwas zu weit getriebenen, freilich auch harmlos ge= 
meinten Scherze, die feiner eigenen Perſon gegolten hatten. Der 
Eorrefpondent ward fein erflärter Liebling. Cr verkündete fein 
Lob Allen, die thn befuchten. ' 

Seit jener Zeit, Die Anton einige Tage nah der Kataftrophe 
rin hartnädiges Wechſelſteber eintrug, fpeiffte der Gorrefpondent 
täglich am Tiſche des Rheders. Dies war eine Aufmerkſamkeit, 
deren Bedeutung Anton nicht verkannte. Er konnte fie beinahe 
einer völligen Aufnahme tn die Familie des Rheders gleich achten. 
Und wenn er etwas ſtolz auf eine ſolche Auszeichnung war und 
mander Junggefellengewohnheit entfagte, die er früher nur fehr 
fhwer zum Opfer gebrachn haben würde, fo Eonnten ihm Dies wohl 
nur junge, flatterhafte Strudelköpfe verdenten, denen jeder Zwang 
. ein Greuel war. | 

Anton ließ fih nicht flören in feiner raſch veränderten Lebens- 
weile. Er ertrug mit Gleihmuth die Hänfeleien feiner Collegen, 
machte gelegentlih wohl felbft einen Scherz auf fein eingezogenes 
Philiſterleben, gab es aber doch nicht auf. Der Magnet, welder 
Anton fortan im Haufe des Rheders feſthielt, war der früher in 
ſolcher Weiſe nie gefannte Umgang mit edlen, gebildeten Frauen. 
Die Anmuth holder Weiblichkeit, der finnige Austaufch von Ges 





— 515 — 


banten und Empfindungen, die von Mäbchenlippen vernommen, 
jeden unverborbenen jungen Mann in ein bis dahin ihn verfchloffen 
gebliebenes Zauberland führen, Iegten unfichtbare Schlingen um 
Anton’s Fuß und endlih auch um fein Herz. 

Ferdinand ſcherzte mit Ulrike und flüfterte ihr allerhand Bes 
merkungen zu, die das blühende Mädchen in Berlegenheit ſetzten, 
als der Diener meldete, daß die Tafel angerichtet ſei. Gleich 
‚ darauf trat Heidenfret ungewöhnlich heiter unter die feiner Har⸗ 
renden, fragte theilnehmend nah dem Befinden des Gelähmten 
und gab Margarethe den Arm. Eliſabeth wollte ſich von Eduard 
in das Speifezimmer geleiten laffen, der Vater aber befahl dem 
hinter ihm erſchienenen, in fehr aufgeregter Stimmung fi befin- 
benden Anton, er folle feine Tochter führen, und commandirte ſei⸗ 
nen Älteften Sohn hinter den Stuhl Treufreund’s. 

Was man einen Tag, wie alle thut, Tangweilt zuletzt, fagte 
er vorausſchreitend. Herr Anton hat nun ſchon länger als vier« 
zehn Tage regelmäßig jeden Mittag den Rollſtuhl unferes Freun⸗ 
des vor fich hergefchoben, er fol deshalb für die nächften acht Tage 
diefe Beihäftigung an Eduard abtreten. So — da geht Alles 
paarmweife, erft die Alten, dann die Jungen — madt ſich ganz 
fuperbe! 


Fünftes Rapitel. 





Eine Kundgebung am Familientifche. 


Sp munter und aufgelegt zu Scherzen hatten Heldenfrei bie 
Setnigen fett Tanger Zeit nicht gefehen. Es war, befonders in ben 
legten Monaten häufig vorgelommen, daß über Tiſche eine tiefe, 
brüdende Stille herrſchte, die Manchem den Appetit verdarb und 
zu einem frühgren Aufheben der Tafel führte, als es für gewöhn⸗ 


— 526 — 


lich üblich war, Veranlaſſung dazu gaben die vielen Sorgen und 
Bekümmerniſſe, welche das Haupt des Rheders beugten, und die 
fett der Rückkehr des Schwagers von Woche zu Woche ſich ver- 
mehrten. Erſt als diefer, in feinen Entſchlüſſen beftärkt, ein be= 
fimmtes Ziel gefunden hatte, auf das er jetzt wieder unbeirrt und 
ohne ſich um Andere zu kümmern, Iosfteuerte, trat eine Aenderung 
zum Beflern ein, Wirklihe Unbefangenheit bemerkten Scharffichtt« 
gere exit nad erfolgter Abreife des genialen Sonderlings. . 

Treufreund, welcher diefe Wandelungen in ben Stimmungen 
bes Rheders ſchweigend belaufchte, wurde davon anfangs ſchwer 
befümmert. Ausgleichend, vermittelnd einzufchreiten vermochte er 
nit. Davon hielt ihn theils feine Stellung, thetls feine Pietät 
gegen Heidenfrei und feine bewundernde Verehrung für Hohenfels 
zurüd. Als Kaufmann und peinlich gewiſſenhafter Gefchäftsver- 
ftänbiger mußte er dem Rheder unbedingt Recht geben, als Freund 
ſprach fein Herz für Auguftin Hohenfels, defien Streben und Ent- 
würfe er ftets mit bewundernder Liebe in Schuk nahm. 

Die fhweren Verlufte, welche die Vermüftungen ber großen 
Sturmfluth dem Rheder zugefügt hatten, konnten dieſe Mißſtim⸗ 
mung wohl noch fleigern. Dies geſchah jedoch nicht. Heidenfrei 
war fein ängftliher Mann und blieb deshalb ruhig bei Verluften, 
welche die force majeure ihm bereitete. Cine Sturmfluth ver- 
mochte weder menſchliche Klugheit, noh Macht abzuwenden. Sie 
war ein Schidjal, dem man fih fügen, dad man ertragen und fo 
gut e8 gehen wollte, zu Aberwinden fuchen mußte. Heidenfrei ward 
deshalb dur dieſe Verlufte nit in neue Betrübniß verſetzt. Es 
fhien eher, als hätte er durch die Fluth etwas Unvergänglices 
gewonnen, und wer ben alten Rheder genau kannte, wer fein Herz 
durchſchaute, der mußte ihm freilich beipflichten. Die verheerenden Wo- 
gen verfürzten ihm zwar fein Gigenthum, fie lehrten ihn aber gleich- 
zeitig zwei treue, zuverläjfige Freunde fennen, auf die er ſich un- 
tee allen Umfländen, im Glüd wie im Unglüd, verlaffen Tonnte. 
Die Fluth ſchenkte ihm durch die Hand treuer Diener den einen 
jeiner Söhne wieder, und ließ ihn tiefe Blicke thun tg das Seelenle- 


— 527 — 


ben zweier Männer, von denen der eine ihm durch Bande bes 
Bluts verwandt, der andere durch Schiefalsfügungen feinem Haufe 
und feiner Familie jo nahe gerüdt worden war, daß feine Geftalt 
noch lange wie ein leichter Schatten durch daſſelbe gleiten mußte. 
Und diefe Erkenntniß war eine beruhigende. 

Sonach Hatte die immer ungenirter fi fundgebende Heiter- 
keit Heidenfrei's ihre volle Berechtigung. Die Schweigfamteit bei 
Tiſche verlor fih, und als man fi der gegründeten Hoffnung hin⸗ 
geben durfte, der fchwer verwundete Treufreund werde, wenn aud 
nur langfam, genejen, fühlte fih die ganze Familie gehoben, und 
alle fchlofien fih) enger, denn je an einander. 

Ich babe Euch heute "zwei wichtige Neuigkeiten mitzutheilen, 
ſprach der glüdliche Rheder, mit Eunftfertiger Hand einen gebrates 
nen Puter zerlegend, den der Bebiente fo eben aufgefegt Hatte; 
denn am gemwöhnlihen Familtentifche pflegte der wadere Herr nad 
guter, deutſcher Hausfitte das Trandiren bei Tafel felbft zu be= 
forgen. Er fand dies gemüthliher und patriarchalifcher,. als wenn 
man einer fremden Hand dies wichtige Geſchäft überlafle, und dann 
nur gewiffermaßen einen Gaft am eigenen Tifhe abgebe. Gin 
Mann, den Ihr Alle kennt, deilen Namen ich aber nicht nennen 
will, Hut alles Unrecht gegen und und manden Andern badurd 
gut gemacht, daß er fein früheres Handeln jegt ſelbſt verdammt. 
Ihm ift das Unglüd, der Schreden ein vortreffliher Lehrer gewe⸗ 
fen. Hätte die weile Vorſehung und nicht die große Sturmfluth 
geichtelt, wer weiß, was wir dann noch Alles hätten erleben müf- 
fen! Bei dem Manne, den ich meine, und den Ihr gewiß jept 
ſchon Alle errathen fünnt, hat das Waller, dem viele Aerzte über- 
haupt große Hetlfräfte beilegen wollen, wahre Wunder gewirkt... Er 
tft ſchon jegt aus einem tollfühn in's Wilde hinein wirthichaften- 
. den Verſchwender ein ſolid lebender Mann geworden. Seine Schul« 
den find durd meine DVermittelung bezahlt, und einge fehle Stel- 
fung tft ihm gefichert durch Miguel, dev, ebenfalle unter meinem 
Belitgnde, einen, wie ich glaube, gang vorteilhaften Contract mit 
dem Sohne aus dem Thale Tenochtitlan abgeſchloſſen ha In 


— 5328 — 


den nächſten Wochen ſchon reiſ't der Gebeſſerte nach Cuba ab, und 
ich denke, ehe der Sommer herankommt, erhalten wir Nachricht, 
daß fich ein Abkömmling der ritterlichen Conquiſtadoren als milder 
Beherrſcher einer Anzahl arbeitender, der Allgemeinheit Nutzen 
ſchaffender Menſchen nicht ſchlechter befindet, als wenn er gleich 
ſeinem halben Landemanne, dem edeln Ritter von der Traurigen 
Geſtalt, bald da, bald dort, auf theils lächerliche, theils thörichte, 
theils gar verbrecheriſche Abenteuer auszieht! Wir thun, glaub' ich, 
nichts Unnöthiges, wenn wir, dieſes Mannes und feiner glücklichen 
Sinnesänderung thellnehmenb gedentend, jept ein Glas auf fein 
Wohl und auf das Gelingen der Pläne leeren, die feine geprüfte 
Seele gegenwärtig bejchäftigen ! 

Heidenfrei ergriff fein Glas und Fang zunächſt mit feiner 
Frau an. Ale Tiſchgenoſſen folgten, Einige fih fprechende Blicke 
zumerfend, Andere ſchweigſam die Augen verhüllend feinem Bei— 
ſpiele. 

Ich danke Euch in ſeinem Namen, fuhr der Rheder fort, das 
Glas niederſetzend, denn dieſer Toaſt iſt zugleich der Abſchiedsgruß, 
welchen der Abkömmling der Conquiſtadoren allen Denen durch 
mich ſendet, die er hier in dieſem Zirkel kennt, und die jemals 
Worte mit ihm gewechſelt haben. Sein perſönliches Erſcheinen 
verhinderten viele Umſtände, die ſich nicht beſeitigen ließen. Er 
bittet deshalb Alle und jeden Einzelnen wieder beſonders, ihm 
dieſe unſcheinbare Unhöflichkeit verzeihen und ihm auch in der 
Ferne ein freundliches Andenken bewahren zu wollen. 

Und worin, Väterchen, befteht denn beine zweite Neuigkeit? 
fragte Eliſabeth, der es nicht ganz gelingen wollte, eine in erhö— 
heterem vofigen Eolorit ihrer Wangen fi fund gebende Befangen- 
heit den Blidden der Beobachtenden zu verbergen. Haft du Chri- 
fiinens Bruder den SOberfleuermannspoften auf deiner neuen fre- 
gatte übertragen ? 

Errathen, verjeßte Hetdenfrei, aber der trefflihe Junge weiß 
noch nichts davon. Ich habe mir vorgenommen, ihn zu feinem 
Geburtstage damit zu überrafhen. Auch fein Vater lebt noch in 





— 529 — 


völliger Unkenntniß. Ich bitte mir deshalb aus, daß man aller= 
feits mein Geheimniß zu chren weiß und als Geheimniß behandelt. 

Das Auge des Rheders ftreifte bei diefer legten Bemerkung 
die lächelnde Ghriltine, die bejahend ihr ſchönes Haupt beugte. - 

Dem zufünftigen Oberfteuermanne der Fregatte „Chriftine!” 
ſprach Eduard, fein Glas füllend. Möge er ftets auf allen feinen 
Reiien fo treu von gutem Glüd begleitet werden, wie biäher! 

Keiner unterließ, das Wohl des Seemannes zu trinken, dem 
Eduard und Miguel vorzugsweife ihre Errettung aus ber augen- 
fheinlihften Todesgefahr zu verdanken hatten. Eduard mußte une 
willfürlic jener ſchrecklichen Situation wieder gedenken und fah 
ftil und ftarr in den goldenen Rheinwein. 

Mas tft dir? fragte Ferdinand. Biſt du unmohl? 

Im Gegentheil, erwiderte Eduard. Ich fah mid nur wieber 
auf dem zufammenbrechenben Strohdache treiben und fühlte einen 
Augenblid die Todesihauer, die mid bamals durchbebten. In je= 
nen verhängnißpollen Minuten, wo das Leben von fünf Menfchen 
nur an einem Faden hing, wo ein zu rafher Ruderſchlag, eine 
etwas ſchnelle Wendung des heranrollenden Bootes unfere Zuflucht 
zertrümmern, und Alle begraben Tonnte, habe th den Werth eines 
tüchtigen Matrofen erft ganz fhägen gelernt. Paul bewährte in 
jenen gefahrvollen Augenbfiden alle bedeutenden Eigenſchaften, die 
jeder Matrofe befigen muß. Er war Faltblütig, entichloffen, ge= 
wandt, durch nichts aus feinem Gleichmuth zu bringen. An dem 
Gegendrud feines Fußes, an einer Tetfen Berührung des Steuers 
hing fein und unfer Aller Leben. Nur der praktiſch gefchulte, tn 
zahlreichen Stürmen wetterfeit und willensſtark gewordene Matrofe 
vermag zu leiften, was bei der rothen Tonne der mwadere Paul 
leiſtete. Und fo tft e8 immer und überall, auf allen Meeren, in 
jedem Sturme. Wo der Matrofe nicht ein Mann tft in der voll- 
ften Bedeutung des Wortes, da find Schiff, Ladung und Befagung 
fhon beim Auslaufen aus dem Hafen ein Spiel der Launen des 
Windes geworden. Der Capitän allein kann ein Schiff im Wo- 


genſchwall nicht reiten, eben fo wenig ber Steuermann. Die Ma— 
D. B. XI. Wiltomm’s Rheder und Matrofe, 34 


— 530 — 


teofen find es, die jeden Sieg gegen Stürme erfedhten. Und ohne 
zuvor ein guter Matrofe geweſen zu fein, wirb kein Seemann ein 
tüchtiger Pilot, fein Steuermann ein zuverläffiger Capitän! Mit- 
hin liegt mehr oder minder auh das Glück, das Eigenthum der 
Rheber, der Nationalreichthum aller mit einander Handel treiben- 
der Völker in ber Hand des Matrofen. 

Treufreund lächelte vergnügt, zufrieden. Er ſaß zwiſchen 
Ulrike und Ghriftine, die den alten, gebrechlihen Diener mit Auf: 
merkſamkeiten überhäuften. 

So höre ich Ste gern fprechen, fagte er jebt. Es tft wieder 
feine Stimme, die Stimme bes Freundes, ber uns fehlt. Aber 
es foll und barf nichts vollkommen fein auf Erben, fonft wirb es 
durch dieſe Vollkommenheit fhon wieder unvollkommen. Es Elingt 
das wunderlich, meine Freunde, vielleicht gar altwätertfch = philifter- 
baft, aber wahr iſt es doch. Wir Menſchen find bie gefhworenen 
Feinde alles Volllommenen und die ganze Welt iſt genau ebenfo 
gefinnt. Darum hat der fhalkhafte Satan des Dichters, aus bei- 
gen „Fauſt“ mir neulich erſt Fräulein Eliſabeth die ſchönſten Stel- 
Ien vorlag, Recht, wenn er In Bezug auf alle Mensen ihn ſa⸗ 
gen läßt: | 

„Eu taugt einzig Tag und Naht!“ 

Sind Ste auch diefer Meinung, lieber Anton? fagte Heiden⸗ 
frei, den jungen Gorrefpendenten, ber fhon ein paarmal ben Kopf 
gefhüttelt Hatte, mit merkwürdigem Blide treffend, Mir feheint, 
Ahnen kommt die Welt ungleih volllommener vor, als unferm 
kränkelnden Freunde. Ich habe wenigſtens kaum je ein fo voll⸗ 
kommen glüdlihes Antlig zu bewundern Gelegenheit gehabt, als 
Ste e8 fett einer Stunde zeigen, wenn Ste mit Ihrer Nachbarin 
zur Rechten ſprechen. Selbſt den matertellen Genuß, den, wie Sie 
wiſſen, ich felbft durchaus nicht verachte, fcheinen Ste ganz und 
gar über Ihre Glüdsfchwärmeret zu vergeffen. Wie fommt bas 
wohl? Könnten Sie uns darüber beruhigende Aufſchlüſſe geben ? 

Heidenfrei’s Stimme Hang Übermüthig fherzend, dennoch fühlte 
ſich Anton etwas davon in Verlegenheit gefebt. Er flotterte einige 


— 51 — 


unverfländlihe, unzufammenhängende Satze, aus denen Niemand 
Hug werden konnte. Selbſt bie fo ernſthafte Margaretha, SEliſa⸗ 
beth's Mutter, mußte lächeln. | 

Wißt Ihr was, Kinder, nahm Heidenfrei abermals das Wort, 
da fällt mir ein, daß ich kurz vor Tiſche noch eine dritte Reuig- 
teit erfahren habe. Wenn ich wüßte, daß ich nicht anftieße bei der 
PVerfon, die mir diefelbe anvertraut hat, fo wäre ich jept gerade in 
der Laune, fie nur unter und, bie wir und ja alle fehr genau 
fennen, auszuplaudern. — Ihr horcht? Ihr feht mich Ale fehwei- 
gend, ein Paar, ich möchte beinahe fagen, verblüfft an? Nun, da ' 
muß ich zu einem andern Auskunftsmittel meine Zuflucht nehmen! 
Wir wollen doch fehen, -was mächtiger ift, die Weberzeugung, im 
Befige eines vollkommenen Glückes fi fiher zu wiſſen ober ber 
Wunſch, dies Glück heimlih, von Niemand gelannt, zu gentefen. 
Weigert fih aud nur eine Einzige Perfon, ein Glas von biefem 
ganz fuperbe perlenden Champagner anzunehmen, fo ſchweige ich 
wie das Grab und Jedem foll es freigeftellt bleiben, das Glas 
auszutrinten ober auszugleßen. Machen Sie die Runde, Branz! 

Der Bediente, welcher auf einen flummen Wink des Rheders 
bie Kelchgläfer inzwiſchen mit dem köſtlich duftenden Weine gefüllt 
hatte, kam dem erhaltenen Befehle nah. Es fand fih indeß Feine 
weigernde Hand. 

Es ift mir, wie ich fehe, erlaubt zu fprechen, fagte Heiden— 
frei mit einer gewiffen Feierlichkeit. Wohlan denn! Sch leere 
dies Kelchglas auf das Wohl, das irdiſche Glück und die Lebens- 
wohlfahrt zweier Menſchen, die mir und allen hier Anweſenden 
unausfprehlich theuer find, und bie ſich entſchloſſen haben, bereinft 
immer nur eine und diefelbe Straße zu wandeln. Im gewöhnli⸗ 
Gen Leben pflegt man biefe Straße den Rofenpfab zu nennen, ob- 
wohl er nicht gar felten jo dicht mit Dornen beftreut if, wie ein 
Palliſadenwerk mit ſpaniſchen Reitern. Mit einem Wort: das 
neuefte Brautpaar foll leben! Es gibt fi fo eben durch magne- 
tiſches Kopfneigen zu ertennen. 

Eliſabeth und Anton! ſprach Treufreund, fein Glas hebend 

\ 84* 


— 532 — 


und es der fhönen Braut zum Anftoß darreichend. Wer hätte 
das im vorigen Jahre gedaht! — Elifabeth und Anton! 

Ein jubelndes Hoc übertönte das Klingen der Gläfer. Der 
glückliche Anton dankte mit hochklopfendem Herzen, feiner ihm freund 
lich zulächelnden Schwiegermutter die Hand küſſend. Als er noch⸗ 
mals mit Treufreund anftieß, fagte er triumphirend: 


Hab’ ich nicht Recht? Mien Moder kann ſwemmen! 


Was? fragte Hetdenfret, der nur das Wort „Moder? gehört 
hatte Was ift’s mit der Mutter? 


Treufreund beugte ſich etwas vor, und indem er faft fo ſchalk— 
haft ausſah, wie der glückliche Bräutigam, fagte er ganz laut: 


Herr Anton machte eben nur bie fehr pafjende Bemerkung, 
daß feine Frau Mutter ſchwimmen könne! 


Bifewicht! rief Anton, feiner auflodernden Lachluſt kaum 
Meifter werdend. Eliſabeth konnte fi) ebenfalls nicht halten, und 
die Mebrigen liegen ihrer Heiterkeit ungenict freien Lauf. 


Das heißt, in gemein verftändliches Deutfh übertragen, er- 
Märte der „Schatten“, man bat Glück. Und wirklich tft Diefe 
Redensart ungemein bezeichnend. Nur wenn der Menfch zu rech— 
ter Zeit immer fhwimmen kann, fommt er zu etwas, rettet er fidh 
aus jeder Gefahr, Üübermindet er alle Angriffe, mögen fie fommen, 
von wem fie wollen. Darum ein Lebehoh allen Müttern, ie 
ſchwimmen fönnen und dieſe herrliche Kunft ihre Kinder lehren! 
Meine längſt verftorbene Mutter war leider nicht im Beſitz diefer 
Kunft, Eonnte fie alfo auch nicht aufmicd übertragen, und deshalb, 
glaub’ ih, vermochte ih es auch nicht weiter zu bringen, als zu 
einem gelähmten Zuße und zu faſt ganz unbraudbaren Händen. 
Nur die Freundſchaft biieb mir treu und die Liebe edler Menſchen. 
Auf diefem Doppelftrudel treibe ih nun wie ein Kreifel, und gehe 
ih einft darin unter, dann werde th es mit dem freudigen Be— 
kenntniſſe thun können: Liebe und Freundſchaft ehrten den thäti- 
gen Mann, hatten Nahfiht mit dem Schwachen und pflegten 
den hinfällig Gewordenen, bis er feiner Pflege ‚mehr bes 





— 533 — 


durfte. Solcher Freundſchaft, die immer über Waffer bleibt, gelte. 
neben ber Mutter, die ſchwimmen Tann, dies mein letztes volles Glas! 

Dem etwas gewagten Scherze bes alten Buchhalter ward 
durch diefe Wendung jede verlegende Spite abgebroden. Man 
that dem gelähmten Hausfreunde unter Scherzen, Ginige unter 
Thränen lähelnd, Beſcheid, und der Rheder erklärte, den Reit ſei— 
nes Glafes leerend und die Tafel 'aufhebend: 

Das war eine ganz fuperbe Manter einem fchüchternen Braut: 
paare Muth zu machen! 

Er jhüttelte Anton wiederholt die Hand und fagte: Sobald 
die Verlobung mit meiner Tochter publicirt iſt, treten Sie ale 
Compagnon in das Gefhäft. Die Firma wird fünftighin faktiſch 
heißen: Peter Thomas Hetdenfrei und Söhne. 


“ 


Serhstes Kapitel. 





Slüdlide Menſchen. 


Julius faß mit verfhlungenen Armen auf dem elaftichen 
Sopha, beugte den Kopf vor und hörte dem fhheltenden Oheim 
mit großer Seelenruhe zu, der neben dem runden Tifhe fih nie= 
dergelaffen hatte und die Hauptfäge ſeiner Rede mit ſtarken Fauft- 
fhlägen begleitete. Als Diek-Johann eine Paufe machte und den 


jhweigenden Neffen jehr unfreundlih anblidte, ſprach dieſer: 


Ein wahrer Mufterprediger wärft du geworden, Oheim, id 
fagt’ es immer! Welche Wucht Tiegt in deinen Worten, welche 
Meberzeugung gibt fih im Ton deiner Rede fund! Du puffit die 
Gewiffen der Sünder mit Keulenfchlägen, die fie wohl fühlen 
müflen, und wer nad folhen Ermahnungen fih nicht befiert, der 
verdient unbedingt in der Hölle zu brennen. 

Süh fo, mein Junge, ftop! erwiderte der Marſchhofbeſitzer. Res 


— 534 — 


densarten verfangen be! mir nit, ich will bie That fehen. Laß 
alfo dein Queſen und halte, was bu gelobt haſt. Ich helfe bir 
zum eriien und lebten Male. 

Du biſt großmüthig, Onkel, oder darf ich auch eine fo edle 
Eigenfhaft nicht laut anerkennen und preifen? 

Mir iſt's Lieber, du wirft vernünftig und fparfl. Heirathe! 
Groß und ſtark dazu biſt du, und hat einer erft eine Frau zu er⸗ 
nähren, fo vergehen ihm die überluftigen Gedanken. 

Gott bewahre, Onkel! Ih und heirathen! Was follte mir 
eine rau! Ich könnte doch nur eine folde brauchen, die mir gleich 
an Gefinnung wäre, die meine Anſichten, Gefühle, Neigungen 
theilte. Wenn fie nun’ dann einen eben fo gefegneten Appetit 
hätte, wie ich, müßte doch offenbar Eins von uns Beiden verhungern! 

Stop, das ändert fi in der Ehe. Verthuſt du zu viel, fo 
fhilt die Frau, fhilt die Frau, fo ärgerſt du dich, und ärgerſt bu 


Di, ſchwindet der Appetit. Kenne das. In einem Bierteljahre 


haft du dir das Effen fo ziemlich abyewöhnt. Süh fo! 

Julius fhlug die Hände über dem Kopfe zufanmen. Ich 
bewundere die Weisheit Der Marſch! ſprach er pathetiih. Solon 
hätte bei dir in die Schule gehen können. 

Wer? verjepte Diek-Johann. Iſt das etwa der Schulmelfter 
geweſen, der di unterrichtet Hat? Wollte fon, ich Eriegte ihn 
unter meine Fäuſte. Er follte fpüren, baß ihn ein ächter Dith- 
marfher Mores lehrte. 

Ich glaub’s, Oheim, ich glaub’s! Schade nur, daß de der dumme 
Kerl ſich ſchon mauſetodt geſtorben hat. 

Diek-Johann brummte und griff in eine der weiten Taſchen 
feines Rockes. Ä \ 

Beſſern alfo willſt du dich? fragte er, einen gewichtigen Geld⸗ 
beutel vor fih auf den Tifch ftellend. 

So wahr ih lebe, Oheim! Ih bin ja zur Erkenntniß mei⸗ 
ner Behler gefommen! Hätte ich es fonft gewagt, an dich zu ſchrei⸗ 
ben und dir mein Vergehen zu beichten? 





— 535 — 


Süh fo, ftop! fagte der reihe Mann aus der Mari. Wie 
viel brauchſt du? 

Dreihundert Species. 

Biel Geld, Bott verdamm’ mih! Wenn der Raps mißräth, 
wird mir's fehlen. 

Er öffnete den Beutel und fehüttete die blanken Speries auf 
den Tiſch. 

Zähle nad! fagte er. Als Kaufmann wirft bu mit Geld: 
zählen wohl Beſcheid wiflen. 

Julius ließ ſich nicht zweimal zu einer fo angenehmen Bes 
jhäfttgung auffordern. Er griff zu und zeigte im Zählen auch 
wirklich eine Fertigkeit, weldhe das Wohlgefallen des Cheims erregte. 

Süh fo, das geht, fagte Diek-Johann. Halt aljo doch etwas 
gelernt. Freut mid. Iſt's recht? ' 

Runde breifundert Species, fagte Julius. Sol ich dir einen 
Schein darüber ausftellen ? 

Schein? Bleib mir mit deinem Schein vom Leibe! Ih wu 
here nit und will die Leute nicht wiſſen laſſen, daß ich vielleicht 
Geld an einen Narren weggeworfen habe. Stop, bleib fiten und 
nimm's nicht übel. Meine nur fo. Bezahle jetzt beine Schuld, 
werde vernünftig und ich helfe gern weiter. Wer mit Gelb um- 
zugehen weiß, kann von mir immer Geld haben, Verſchwender aber 
und Spieler befommen nichts. Bet bir mache ich eine Ausnahme, 
der Familie wegen. Süh fo, fiop! 

Er ftand auf, bededte fein Haupt und nidte dem Neffen ein 
kurzes Adieu zu. Julius wollte ihm banken, Diek⸗Johann aber 
hörte nicht. Er hielt den Stod vor, drüdte die Thür auf und 
hätte einen Bebienten, der eben anklopfen wollte, beinahe umge⸗ 
rannt. Ohne fih weder um biefen noch um feinen Iebensluftigen 
Neffen weiter zu kümmern, ging er achtlos feines Weges, ftteg in 
den feiner harrenden Wagen und verließ unverweilt die Stadt, 
bie er einzig deshalb befucht Hatte, um Julius aus feiner verdrieß⸗ 
Iihen Geldverlegenhelt zu befreien. 

Diefer war ſeinerſeits glüdlich, feine Wünfche erfüllt zu fehen, 


— 536 — 


Mit Wohlgefallen ruhten feine Augen auf den blintenden Silber- 
ſtücken, die im Augenblid eine größere Anziehungskraft für ihn 
hatten, als alles Andere. Der Bediente überreichte dem jungen 
Lebemanne ein Billet und entfernte fich wieder. 

Ah, von meinem lieben Anton! fprah Julius, die Adreſſe 
betrachtend. Was mag der mir zu melden haben? Er löſ'te das 
Siegel und überflog die wenigen Zeilen des Freundes. 

- Ganz, wie ich vermutete, fuhr er fort. Man konnt es ja 
mit Händen greifen in den letzten Wochen. — Na, Glück zu! Es 
tft doch nett von ihm, daß er feine Jugendfreunde wenigitens bei 
feiner feterlihen Verlobung um fih haben will. Sehr angenehm, 
und gewiß auch fehr unterhaltend, Es wird eine Mahlzeit geben, 
die eines Rheders würdig iſt. — Gut, daß er mich fo zeitig benad- 
richtigt. Es iſt dies eine Aufmerkjamfeit, die man loben muß. 
Man kann fih einrichten, vorbereiten; man kann Alles thun, was 
zu einiger Liebenswürbigkeit verhilft. Man fagt: es wird feine 
Hochzeit vollbracht, es wird eine neue erbadt, und geſetzt auch, 
mein Onkel hätte Recht, was ich bezweifle, gäbe er mir etwas 
Tüchtiges- in's Geſchäft, falls eine Heinfüßige, ſchlanke Grazie mit 
muntern Gazellenaugen ſolchen Geſchmack an mir fände, daß fie 
Miene machte, mid vor Liebe aufzufreffen, fo riskirte ich's und 
hetrathete Doc, ſelbſt auf die fchredliche Gefahr hin, mein ganzes 
Leben lang ohne Appetit zu bleiben. 

Julius überzählte nochmals das Geld, ſchloß es weg, fehte 
fih an den Schreibeylinder, um Anton verbindlichit zu danken und 
Glück zu wünfhen, und fchlenderte dann gemüthlih nah feinem 
Comptoir, wo er etwas zu ſpät anfam und deshalb ein fcheeles 
Geſicht als Morgengruß empfing. — 

Der nämliche Bediente trat an demſelben Tage auch in die 
Wohnung des Quartiersmannes, wo Frau Doris von drei Nähe⸗ 
rinnen umgeben, inmitten eines Berges blendend weißer, köſtlich 
ſchimmernder feiner Leinewand ſaß. Capitän van Tolten, der 
einſylbige Holländer, hatte ſie der glücklichen Mutter Chriſtinens 
ſo eben überbracht und ging in dem ſauber gehaltenen Parterre⸗ 











‚zimmer, deſſen grau gemalte Diele wie ein polirter Spiegel glänzte, 
auf und nieder, die vielen von Frau Doris an ihn gerichteten 
Fragen freundlich, aber immer nur kurz beantwortend. 

D, wer mag das glauben, Gapitän! fagte die glüdliche Grau. 
Sie wollen mir wohl 'was aufbinden? Da müßten ja Ihre Lands- 
leute lauter Milltonäre fein, wenn Alle folche Leinewand tragen 
wollten, Was koſtet die Elle? 

Zwei Gulden. 

Das find ja drei Marf Hamburger Courant oder wohl gar 
noch mehr! Und wenn nun der Led der Tall, die Sie führten, 
größer und der Sturm ſchlimmer geworben wäre und das eindrin- 
gende Salzwaffer die Kiften und Alles, was fih darin befand, 
befhädigt hätte, fo würde ja die ganze Leinewand mit verbor- 
ben fein. 

Bis auf den lebten Faden, Mynvrouw, verfegte van Tolten. 
Hätte aber nichts zu fagen. In Amfterdam gibt es mehr fol Zeug. 

Mein Gott, mein Gott! rief Frau Doris, immer von Neuem 
das ausgefucht feine Gewebe betrachtend und ‚befühlend, ih kann's 
noch immer nicht begreifen, daß mein Kind in folches Zeug fid 
hüllen fol. Manchmal dent’ ich fogar, 's iſt Sünde. 

Iſt's nicht, Mynvrouw, fagte der Capitän. Was man zum 
Geſchenk erhält von reihen Leuten, die e8 bezahlen können unb 
es gern bezahlen, darf man unbedentlih annehmen. 

Guten Tag, Franz, fagte Frau Doris, den Bebienten gewah⸗ 
vend, der fchon ein paar Minuten an der Thüre fland. Mein 
Mann ift fon längſt ausgegangen. Ich glaube, er ift heute am 
Pinnas befhäftigt. Haft du 'was zu beftellen? | 

Blos ein Billet abzugeben, erwiderte dieſer, und von Fräu- 
fein Chriſtine fol th ber Fran Mama die fhönften Grüße bringen. 

Iſt das Billet an mich? fragte Frau Dorie. Ich kann Ges 
ſchriebenes nicht mehr gut lefen. 

Es It an Mann und Frau, verſetzte lächelnd der Bediente, 

Und was enthält e8? forfchte die Frau des Quartiersmaunes 
weiter. 


— 538 — 


So viel ich weiß, fagte Franz, kann ed nur eine Einladung 
zu dem Feſte fein, das Herr Heldenfrei nächſtens geben wird. 

Um Gott! Und da fol ih mit dabei fein und mein Alter au? 

Warum nicht? verfeßte der Bediente. Da Fräulein Tochter 
in die Familie des Rheders heirathet, dürfen die Aeltern der Braut 
bob am Hochzeitstage nit bei den Zeftlichkeiten fehlen. Nur 
nicht Angftlih, Frau Behnte! Es fährt Mander in einer Karofle, 
der in. feiner Jugend auf Holzpantoffeln zur Schule ging. Haben 
Sie's etwa nicht verdient, im Alter ein ſchwer ſeidenes Kleid zu 
tragen und vornehm an einer berrihaftlihen Tafel zu eflen? Das 
tommt Alles auf Gewohnheit an, Frau Behnke, und nichts auf 
ber Welt lernt fi leichter, als das vornehme Leben in einem 
großen Haufe. Die eriten paar Tage, als ih in das reihe Haus 
fam, blos, weil ih ein fihmuder Junge war, griff ich Alles ver— 
tehrt an und ftellte mich Linfifh. Die Andern lachten mich des- 
wegen tüchtig aus und fließen mic zurecht, und fchon in der an— 
dern Woche: that ich's den Geſchickteſten gleih. Bet Ihnen, Frau 
Behnke, iſt's noch viel leichter. Sie find Gaſt, Sie ehrt man, 
benn Ste gehören zu den Refpectöperfonen, und wenn Sie fid 
nur recht ordentlich auftakeln laſſen von ber Brifeurin unferer Da 
dame, jo weiß Ste kein Menjh von einer vornehmen Frau Con⸗ 
fulin zu unterfcheiden. 

Wo denkſt du Hin, Franz! erwiderte Frau Doris. Ich mid 
mit einer Frau Gonfulin mefien! Wenn ih nun, falls eine von 
den Vornehmen mich anredete, im eriten Schreden eine platte 
Antwort gäbe? 

Franz lachte. Deiht em nids, Fru, erwiderte er. Gerade 
die Allerreichften fprehen fo ſchön platt, daß es unfer einen 
manchmal ärgern Tönnte, kommen fie bann aber wieber ing Hoch⸗ 
beutfche hinein, fo verliert fih der Aerger geſchwind. 

Marum denn, Franz? 

Ei, weil fie das nicht viel Müger, als wir gemeinen Leute 
erarbeiten, . 

Du haft eine böfe Zunge, Franz, fägte, drohend ben Finger 


— 539 —, 


gegen ihn hebend, Frau Doris. Wenn das fein gebildete Fräu⸗ 
lein Eliſabeth dich hörte, würde fie dich ausſchelten. 

Das Fräulein gewiß nicht, verfeßte der zuverfichtlide DBe- 
diente. Präulein Elifabeth gerade iſt es, die ſich jederzeit über 
die Fehler der Vornehmen im Hochdeutſchen Iuftig mad. 

Die böfe, junge Welt! ſprach Frau Doris. Na, Branz, 
wenn’s nicht anders fein kann, will ich mid einzurichten fuchen. 
Aber das made ich mir aus, Franz, in der Staatslaroffe der 
Madame Heidenfrei mußt du mich abholen. Ich will mid bie 
Zeit her ein wenig aufs vornehme Wefen Iegen, und wenn bu 
dann kömmſt und mir den Wagenfchlag öffneſt und mid hinein- 
hebſt — denn ein Bischen Geben mußt bu mich, weil th immer 
noch lahm bin‘ und den Zuß fchleife — da will ih fo vornehm 
berablaffend den Kopf leicht beugen, daß du denken fol, ich fe 
über Naht ausgetaufcht worden. Aber fag mir, Franz, iſt's 
wirktih fo, wie man fih erzählt? WI man drei Stiegen mit 
einer Klappe terffen ? 

Es wird wohl nicht anders werden, erwiderte der Bediente. 
Den Borrichtungen nah muß man's glauben. Die Reife nad 
Amerika ift auch fhon aufgefhoben. Herr Hohenfeld kommt zus 
rüd aus Bremen, obwohl er es nit gern thut, und um eben 
Alles auf einmal abzumachen, wird das Belt jo glänzend, und 
die Verlobungen werden zugleich mit der Hochzeit gefeiert. 

Der Bediente wendete fih zum Geben. Frau Doris rief ihn 
nochmals zurück. 

Du könnteſt mir einen Gefallen thun, Franz! Spring hin- 
über zu der alten Silberweiß und erfundige dich nad Ihrem Be⸗ 
finden. Ich babe feine Seele, die ih fchiden Könnte. Paul iſt 
auf der neuey Zregatte beſchäftigt, die nächſtens ihre erite Reife 
antreten fol. Die alte Frau wird fehr ſchwach. Seit den Schreden 
ber Waſſersnoth will fie ſich gar nicht mehr vecht erholen. 

Soll gefchehen, abjüs! erwiderte Franz, und verließ, nod 
einen forſchenden Blick auf die Jüngſte der Näherinnen werfend, 
die Wohnung des Quartiersmannes. 





— 540 — 


Siebentes Kapitel. 


— 


-Ullerband Neuigkeiten. 


Der Schooner. „Adolphine” hatte den Hafen verlaflen, um 
eine Reife nach New⸗Orleans anzutreten. Eine Jolle, die meh— 
vere Perfonen trug, legte am Johannis-Bollwerk an und die da— 
rin Befindlichen ſtiegen an's Land.” Unter ihnen befanden fich 
Miguel Hohenfels-Saldanha, Paul und Andreas, Alle drei 
ſchienen verftimmt zu fein. Sie gingen, jeder für fi, einzeln den 
Quai entlang, dann und wann zurückblickend auf die ausgefpannten 
Srogelfittihe des Schooners, der langfam den Strom hinabfhwamm. 

Lapt und hier vorgehen, fprah Andreas, am Commercial⸗ 
Hotel ftehen bleibend, vielleicht treffen wir einen oder den andern 
Bekannten aus der Fremde. Wenn nicht, find wir doch ungeftört. 
Im Baumbaufe wird es um diefe Stunde zu voll, und ih habe 
feine Luſt heute mit Andern viel zu jprechen, mich ausfragen oder 
mir Neuigkeiten erzählen zu laſſen, die mich im Augenbiide nicht 
intereffiren. 

Seine Begleiter ftimmten dem jungen Steuermanne dadurch 
bei, daß fie zuerſt das genannte Hotel betraten. Die Ausficht 
auf den Strom geftattete ihnen, noch eine Zeitlang das fort- 
ſegelnde Schiff zu verfolgen. | 

Das Gaftzimmer war leer. Miguel beftellte eine Flaſche 
Mein, goß die Gläſer voll und ſprach, das feinige erhebend: 

Möge es ihm und uns Allen wohlergehen! | 

Paul und Andreas ftleßen an, leerten ſchweigend ihre &Tä- 
fer und hingen abermals ihren Gedanken nad. 


Ihr feid niht meiner Anſicht, hob Miguel nah kurzem 


Schweigen an, weshalb ſeid Ihr es nicht? Tadelt Ihe mich, fo 
bitte ih, laßt mid die Urſache willen, die Euch dazu veranlaßt. 
Paul jah den zukünftigen Schwager treuherzig an. 
Du verkennſt uns, erwiderte Chriſtinens Bruder, wir tabeln 





— 541 — - 


dich nicht, denn Alles erwogen, handelſt du recht, wir ſind nur 
unzufrieden, weil — weil — 

Weil Ihr nicht zufrieden ſeid, fiel Miguel ein. Nun ja, 
das kommt wohl vor im Leben, doch ſollte man ſich gegen die 
Herrſchaft ſolcher Mißſtimmung ſträuben, denn ſie erſchlafft, macht 
unſchlüſſig und vergiftet uns die ſchönſten Stunden. 

Du irrſt, verſetzte Paul. Ich hatte einen andern Lebens⸗ 
plan mir vorgezeichnet, und weil ich ſehen muß, daß dieſer jetzt 
ganz in Nichts zerfällt, darum beſchleicht mich eine verzeihliche 
Traurigkeit, die indeß bald überwunden ſein wird. Statt Ihn, 
deſſen Abreiſe ich keineswegs beklage, auf jenem Schiffe fortſegeln 
zu ſehen, hatte ich mir eingebildet, in deiner Geſellſchaft die 
nämliche Reiſe anzutreten. Daß ich dieſer Hoffnung mich hingab, 
iſt großentheild deine Schuld. Du ſchriebſt mir wiederholt und 
deine beiden Couſins beftätigten es, daß es dein feiter Entihluß 
fet, dich mit Liebe der Schifffahrt zu widmen. Du kannſt es, 
fett du ein reicher Dann geworden bifl. Nun malte ich mir die 
Zutunft mit Farben aus, die freilich meiner Phantafie allein ihre 
Entitehung verdanken. Ich dachte mir, du würdeſt gar nicht anders 
können und wollen, als mic auffordern, dich zu begleiten. Andreas, 
der bir fo lange ein treuer und bewährter Freund war, konnte dann 
ebenfalls mit ung reifen. Was hätte dies für ein Leben gegeben! Wir 
würden Vergnügen und Genuß in reihem Maße non einer folhen 
Reife gehabt haben, wir hätten unfere Anſichten ausgetauſcht, un= 
fere nautifchen Kenntniffe vermehrt und wären durch ein ſolch' en⸗ 
ges Zufammenteben und Zufammenmwirken gewiffermaßen Mufter- 
matrofen geworden. Das Alles hat fi zerichlagen. Du bleibft 
rorläufig bier, am Ende bletbft du wohl ganz. Statt als Mae- 


trofe, als Seemann der Welt nüglic zu werben, neue Entdeckun⸗ 


gen zu machen, ſchließt du dich, den Zureben beiner Verwandten 
nachgebend, in eine Schreibftube ein, und alle Gedanken an Schiff» 
fahrt gehen ſchlafen. Er iſt ja dort, wo du ſein fönnteft und 


fein ſollteſt! Er ſchmeichelt dir, ex Tügt dir wohl auch in feiner 


beredten Weife etwas vor, du, aber glaubft ihm, weil es dir be= 


— — — SEE eur rn ES Er u | U — — — 


— 342 — 


quem if, und fo hat er ſchließlich doch feinen Willen durchgeſetzt. 
Er ift, obwohl nur Verwalter, Infpertor deiner Plantagen, im 
Grunde deren wirklicher Herr und Befiger, währen du großmü- 
tbig ein Almofen von ihm erhältft, das den enden Kamen 
Reinertrag führt. 

Wie kann man nun fo mißtrauiſch, fo ungerecht ſein! erwi⸗ 
derte Miguel. Don Gomez iſt ohne alle Frage ein ſehr leicht⸗ 
finniger Mann, der allenfalls ſchlechte Streiche machen, ja ſogar 
in Schlechtigkeit zu Grunde gehen Tann, verborben aber: iſt er eben 


- fo wenig, als er das Boöſe aus Gefallen an dem Böen thut. Ich 


babe ihn ftets nur für einen dem Augenblide gehorchenden, ohne . | 
langes Nachdenken raſch handelnden Menſchen gehalten. Seit er 
mir zuerſt vertrauensooll im Angefiht bes Todes bie Hand zur 
Verſoͤhnung bot, hatte ich alle feine Beleidigungen vergefien. Er 
hielt ſich ſeither gut; er lebte fill, eingezogen. Die Rathichläge 
meines Oheims nahm er fih zu Herzen, feine Vermittelung ließ 
cr fih dankend gefallen. Weshalb fol ich ihm in etwas hinber- 
ih fein, wozu feine ganze Naturanlage fi) eignet? Geſetzt, ich 
hätte ſchon jetzt meine. Pläne, die ich in keiner Weiſe aufzugeben 
beabfichtige, wirklich ausgeführt, würbe dies mich, würde es dich 
glüdtich gemacht haben? Denke doch nur an beine Schweſter! 

Mas tft dabei zu bedenken? 

Sollte ih fie verlaffen? Das vermöchte ih nicht. Und fie 
auf eine fo weite und unfichere Reife mitzunehmen, trage ih Be⸗ 


denken. Wer weiß auch, ob Chriſtine ſelbſt Luft dazu hätte, 


Ein rechter Seemann fragt dauach nicht, verfeßte Paul. Chri⸗ 
ftine fehlt es übrigens nicht an Muth, und da fie dir von Herzen 
ergeben ift, mird fie fih gewiß nicht weigern zu thun, was du für 
gut hältſt. 

Dennoch ift es fo befler, fagte Miguel. Es wirb bier ohne⸗ 
hin genug Herzeleid geben, wenn bie Familie fih erſt tremnt. 
Gleich nad meiner Verheiratfung verläßt uns mein Vater und 
Eduard. Ferdinand dürfte, ſobald er die ſchlanke Ulrike heimge- 
führt hat, ebenfalls das Bebürfnig einer längeren Reife fühlen, 











— 543 — 


und was dann Anton thut, wer kann das ſagen! Meine ſchöne 
Coufine treibt gegenwärtig zu eifrig Italieniſch und Spaniſch, um 
dahinter nicht eine geheime Abſicht zu verbergen. Die Flitterwo⸗ 
chen und den heißen Sommer hier zu verleben, wird ihr Niemand 
zumuthen, wenn bie „kleine Poetiſche/“ den Wunſch äußern ſollte, 
andere Xänder und Menſchen kennen zu lernen. Wer bleibt dann 
noch zurück, der nach beiden Seiten Hin vermittelnd auftritt? Ich 
- denke, Niemand als Chriftine und ih, denn bu ſchwimmſt doch in 

nicht Tanger' Zeit wieder hinaus. Die Oberfteuermanngftelle auf 
der Fregatte, die deiner Schwefter Namen trägt, Haft du ja zum ° 


Gecſchenk erhalten. 








- Breilich, freilih! fagte Baul. Es wird mir etwas Anderes 
nicht übrig bleiben. Aber was gedenkſt du zu thun, Andreas? 

- Andreas fol Steuermann fein auf meines Glückes Schiff! 
ſprach einfallend eine vergnügte Stimme. Es war Julius, der 
unbemerft eingetreten war. Der beitere Lebemann konnte den ver⸗ 
ſchwenderiſchen Mertlaner, in deſſen Geſellſchaft er manche über⸗ 
fhwenglich vergnügte Stunde verlebt Hatte, nicht abreifen laſſen, 
ohne ihm vom Strome aus noch einen Gruß zuzuminten. Getrof⸗ 
fener Abrede gemäß, ging er niht aufs Schiff, um bort von Don 
Gomez Abſchied zu nehmen; er zog es vor, eine Jolle zu beſtei⸗ 
gen und auf den Strom binauszurudern. Hier erwartete er ben 
vorüberfegelnden Schooner, hielt noch, dem Schiffe zur Seite blei⸗ 
bend, mit dem Belehrten eine kurze fröhliche Zwiefprach, ohne fich 
durch Händedrücke und Umarmungen das Herz ſchwer zu machen, 
lieg dann rafch die Jolle wenden und kehrte nach der Stabt zurück. 

Ich glaube wahrhaftig, fuhr der wohlbeleibte Lebemann fort, 
ich werde melandholiih. Was ein Wunder! Alle ehrlichen Bur- 
fhen, bte fonft die Stunden nicht zählten und denen es gleichgül⸗ 
tig war, wie hoch ein Frühſtück zu flehen kam, wenn es nur des 
likat zubereitet war und gut mundete, Duden entweder unter oder 
empfehlen fih auf Sranzöfifh. entweder alſo muß ih auch zur 
See gehen, und brauche alfo einen Steuermann oder ich bin eben- 
falls genäthigt, eine Frau zu nehmen und mic in die unbequeme 

















— 544 — 


Poſitur eines Haubenſtockes zu fügen. Schade, daß die Frauen 
feine Reifröcke mehr tragen! Als Kleiderrechen für eine Frau 
von Stande würde th mich In folchem Falle wohl nicht übel aus— 
nehmen. 

Diefe joviale Anrede verfcheuchte Die Grillen der drei jungen 
Männer fhnel. Julius mußte fih zu ihnen ſetzen, und Alle wa— 
ven es zufrieden, daß er größtentheild durch fen munteres Ge⸗ 
ſchwätz die Koften der Unterhaltung trug. Er probirte ben Wein 
und fand ihn trinkbar, weshalb er ohne Weiteres noch eine 
Flaſche von derſelben Sorte beſtellte. 

Wäre ich Regent dieſer Stadt, ih machte Euch wahrhaftig 
den Prozeß! hob Julius auf's Neue an. Wer die Luſt, die 
Freude, die Zerſtreuung todt ſchlägt, verdient, daß man einen Zie= 
gelſtein an ſeinen Hals binde und ihn erſäufe im Fleeth, wo er 
am ſchmutzigſten iſt! Ja, Freunde, Ihr ſeid Todtſchläger ſolcher 
Art. Ohne Euch und Eure Praktiken lebte der weiſeſte und lie— 
benswürbigfte aller Erdenſöhne, der göttliche Don Alonſo Gomez 
noch unter und und brädte Heiterkeit und Zerftreuung in unfere 
perrüdenanbetende Gefellfhaft. Statt ihn reifen zu laſſen, mußte 
man thm für fein loöbliches Beftreben, Amüfement in bie Welt 
zu bringen, das Ehrenbürgerrecht geben. Aber es tft fein Sinn 
. für das Herrlihe,, Originelle, weder in Euch noch in unferer 
ganzen fletfleinenen Geſellſchaftswelt. Zu Tode Tönnte ich mich 
weinen über ben erlittenen Verluſt, änderte eine fo graus 
fame Selbftopferung etwas in der Sache. Da th einfche, daß 
dies nicht gejchteht, fo will ich mih, muß es doch geftorben fein, 
Ileber zu Tode leben. Stoßt an! Auf Eure Grablegung im 
Arm der mweltbezwingenden Xiebe ! 

Um des Himmels willen, hören Sie auf! fprach Andreas. 
Ich meines Theile vertrage viel und fo Leicht kann mich nichts aus 
der Faflung bringen; Lieber aber mache ich einen Sturm auf den 
Top des großen Maftes hängend mit, als ih eine ſolche Redefluth 
um mid brechen höre! 

Ich bin ſchon fill, meine Redebrandung verläuft fih fäu- 








— 545 — 


felnd im Sande meiner Gedanken, verfeßte Julius. Wißt Ihr 
das Allerneuefle? 

Vieleicht, Was iſt e8? fragte Miguel. 

Es wird Ste gerade am meiften Intereffiren. Die Nachricht 
langte erſt am Schluß der Börfe an. 

Welche? 

Die amerikaniſche Brigg „Selfgovernment,“ Capitain Jock 
Charles Greatſtring, iſt unfern des Vorgebirges Landsend geſchei⸗ 
tert und mit Mann und Maus zu Grunde gegangen. 

Auch der Capitän? fragte Paul. 

Man fand ſeine Leiche am zweiten Tage nach der Kataſtro⸗ 
phe am Strande. 

Gut für ibn, ſagte Andreas. Er iſt eines ehrlichen See- 
mannstodes geftorben. Hätte er länger gelebt, wer weiß, ob man 
ihn am 2ande fein Leben im Bette hätte beſchließen laffen. 

Weiß es Don Gomez? fragte Miguel. 

Sch konnte nicht umhin, ihm dieſe Nachricht als wohlthuen- 
des Viatieum von meiner Jolle aus an Bord zu fchleudern, er- 
widerte der unverwüftlich heitere Julius. Meine Freundfchaft, 
müßt Ihr wiſſen, kennt feine Gränzen, und weil ich als ein klu⸗ 
ger, erfahrener Weltmann nur die angewandte Philoſophie für 
zweckdienlich halte, glaubte ich dem ſcheidenden Alonſo keinen auf⸗ 
richtigeren Freundſchaftsbeweis geben zu können, als mit dieſer No— 
tifieation. Es iſt eine Priſe aus meiner Sonntagsdoſe, etwas 
ſtark, aber geſund. Möge er ſie tief einziehen, tüchtig nießen und 
ſich ein Beiſpiel daran nehmen! — Nun, und wie wird Ihnen, 
Miguel? Blos drei Tage noch frei wie der Vogel im Walde, 
dann eingefangen in einen Käfig, deſſen Himmel von Seide und 
glänzendem Haargeflecht, deſſen Stäbe aus weißen, ſammetweichen 
runden Armen beſtehen? Geht die Welt bei dieſer toll machenden 
Ausſicht nicht im Kreiſe mit Ihnen? "Nehmen Sie ſich in Acht! 
Ich bin auch dabei, ich, und kann ich Sie retten, bei meinem Ge⸗ 
löbniß, jeden meiner Mitmenſchen in's Glück unterzutauchen bis 


an die Naſenflügel, ich werde redlich das meinige thun! 
D. B. XL Wilſtomm's Rheder und Matroſe. 35 


— 944 — 


Poſitur eines Haubenſtockes zu fügen. Schade, daß die Frauen 
keine Reifröde mehr tragen! Als Kleiverrechen für eine Frau 
von Stande würde ich mich in folchem Falle wohl nicht übel aus— 
nehmen. 

Diefe jovtale Anrede verſcheuchte die Grillen der drei jungen 
Männer fhnel. Julius mußte fih zu ihnen feken, und Alle wa= 
ven es zufrieden, daß er größtentheils durch fen munteres Ge⸗ 
ſchwätz die Koften ber Unterhaltung trug. Er probirte den Wein 
und fand ihn trinkbar, weshalb er ohne Weiteres noch eine 
Flaſche von derſelben Sorte beſtellte. 

Wäre ih Regent dieſer Stadt, id machte Euch wahrhaftig 
den Prozeß! hob Julius auf's Neue an. Wer die Luſt, die 
Freude, die Zerſtreuung todt ſchlägt, verdient, daß man einen Zie⸗ 
gelſtein an ſeinen Hals binde und ihn erſäufe im Fleeth, wo er 
am ſchmutzigſten iſt! Ja, Freunde, Ihr ſeid Todtſchläger ſolcher 
Art. Ohne Euch und Eure Praktiken lebte der weiſeſte und lie— 
benswürdigſte aller Erdenſöhne, der göttliche Don Alonſo Gomez 
noch unter uns und brächte Heiterkeit und Zerſtreuung in unſere 
perrückenanbetende Geſellſchaft. Statt ihn reiſen zu laſſen, mußte 
man ihm für fein lobliches Beſtreben, Amüſement in die Welt 
zu bringen, das Ghrenbürgerrecht geben. Aber es tft fein Stun 
. für das Herrliche, Originelle, weder in Euch noch in unferer 
ganzen fteifleinenen Geſellſchaftswelt. Zu Tode könnte ich mich 
weinen über ben erlittenen Verluſt, änderte eine fo grau- 
fame Selbftopferung etwas in der Sache. Da th einfche, daß 
dies nicht gejchteht, fo will ich mid, muß es doch geftorben fein, 
Iteber zu Tode leben. Stoßt an! Auf Eure Grablegung im 
Arm der weltbezwingenden Liebe! 

Um des Simmeld willen, hören Ste auf! fprad Andreas. 
Ich meines Theile vertrage viel und fo leicht kann mich nichts aus 
der Faflung bringen; Lieber aber made ich einen Sturm auf ben 
Top des großen Maftes hängend mit, als ich eine folche Redefluth 
um mid breden höre! 

Ich bin fhon ſtill, meine Redebrandung verläuft fih fau- 








— 


— 545 — 


ſelnd im Sande meiner Gedanken, verſetzte Julius. Wißt Ihr 
das Allerneueſte? 

Vielleicht. Was iſt es? fragte Miguel. 

Es wird Sie gerade am meiſten intereſſiren. Die Nachricht 
langte erſt am Schluß der Börfe an. 

Melde? 

Die amertlantfche Brigg „Selfgovernment, " Capitain Jod 
Charles Greatſtring, iſt unfern des Morgebirges Landsend geſchei⸗ 
tert und mit Mann und Maus zu Grunde gegangen. 

Auch der Gapitän? fragte Paul. 

Man fand feine Leiche am zweiten Tage nach ber Kataftros 
phe am Strande. 

But für tn, fagte Andreas. Er iſt eines ehelichen See⸗ 
mannstodes geſtorben. Hätte er länger gelebt, wer weiß, ob man 
ihn am Lande ſein Leben im Bette hätte beſchließen laſſen. 

Weiß es Don Gomez? fragte Miguel. 

Ich konnte nicht umhin, ihm dieſe Nachricht als wohlthuen- 
des Viatieum von meiner Jolle aus an Bord zu ſchleudern, er⸗ 
widerte der unverwüſtlich heitere Julius. Meine Freundſchaft, 
müßt Ihr wiſſen, kennt feine Gränzen, und weil ich als ein klu⸗ 
ger, erfahrener Weltmann nur die angewandte Philoſophie für 
zweckdienlich halte, glaubte ich dem ſcheidenden Alonſo keinen aufs 
richtigeren Freundfchaftsbeweis geben zu können, als mit diefer No= 
tification. Es ff eine Prife aus meiner Sonntagsbofe, etwas 
ftark, aber gefund. Möge er fie tief einziehen, tüchtig nießen und 
fih ein Beifptel daran nehmen! — Nun, und wie wird Ihnen, 
Miguel? Blos drei Tage noch frei wie der Vogel im Walde, 
dann eingefangen in einen Käfig, deflen Himmel von Seide und 
glänzendem Haargefleht, deflen Stäbe aus weißen, fammetweichen 
runden Armen beftehen? Geht bie Welt. bet diefer toll machenden 
Ausſicht nicht im Kreife mit Shnen? "Nehmen Sie fih in Acht! 
Ich bin auch dabei, ih, und kann ich Sie retten, bei meinem Ger 
löbniß, jeden meiner Mitmenſchen in's Glück unterzutauden bis 


an die Nafenflügel, ich werde redlich das meinige thun! 
D. B. XL Wilſtomm's Rheder und Matroſe. 35 





— 546 — 


Thun Sie es, ſagte Miguel lächelnd. Sie haben Vollmacht. 
Die Wohlbeleibten waren es nicht, die Gäfar fürchtete, ihm bangte 
immer nur vor den Hageren, den Dunkeläugigen, und dieſe Race 
haben wir glücklich expedirt. 

Weiſe, wie Salomo, der närriſche König des weiland jüdi— 
ſchen Reiches, deſſen Geduld ſtärker geweſen ſein muß, als das 
ſtärkſte Ankertau des größten Linienſchiffes, denn fie riß nicht, ob- 
wohl nahe an taufend Weiber daran zerrten. Apropos, wißt Ihr 
nichts von dem Freunde in der Noth, dem hilfreichen Mofes? 

Wenn der feine Procentihen eingeftrihen hat, wird er ge- 
wöhnlich unfichtbar, fagte Andreas. Bezahlt ift er meines Willens. 

Geben Sie Acht, Miguel, er erfcheint zu rechter Zeit wieder. 

Wie meinen Sie das? 

Am Tage, wo Ste das fchönfte Joch, das die Welt kennt, 
auf fih nehmen, verfegte Julius, deflen Lat ſüß, aber doch fehr, 
fehr ſchwer zu tragen fein fol, namentlih dann, wenn andere 
Leute behaupten, fie fer fchön. Ohne Ihrer Braut ein - Gefchent 
zu überreichen fann der empfindfame jüdiſche Makler. doch unmög- 
lich Ihren Hochzeitstag vorüber gehen laſſen, und folche Aufmerf- 
famfeit muß ein junger Ehemann gut bonoriren. 

Einftwetlen, dächt' ich, honorirten wir ben Kellner, fagte Paul. 
Die Sonne geht unter, der Vater wird mic erwarten. Und ein 
zartlicher Bräutigam gehört jo kurze Zeit vor ber Hochzeit auch 
früßzeitig in’d Haus, damit er unter den Händen ber Liebe ſich 
an folide Häuglichleit gewöhnt. Alſo commanbire ih: Anker 
gelichtet, Segel ausgeftochen und leewärts abgedreht! 

Brrr! fehnurrte Julius, den Freunden folgend. Solide Häus- 
lichkeit! Dies Wort weht mich an wie eifiger Nordlandewind. Ich 
denke doch, eine Zeitlang verfuche ich's noch mit der fröhlichen 
Unhäuslichkeit. Auf Wiederfehen, Ihr Herren, auf Wiederfehen 
am Tage, wo ein Thor mehr In den goldenen Käfig ſchlüpft! 


——— —— — — — — — — — — — 


— 547 — 
Achtes Kapitel. 


Vater und Sohn. Eine Hochzeit. 


Auguſtin Hohenfeld ‚war aus Bremen zurückgekehrt, wo das 
Schiff bereits fegelfertig lag, das Ihn und Eduard nad der Oftküfte 
Südamerifa’8 tragen follte.e Er befand fi mit feinem Sohne 
Miguel allein, der ſich anfchidte, Toilette zu machen, denn heute 
follte er die geliebte Chriftine, um die er: fo Schweres gelitten, 
bie er ſich vitterlich erkämpft hatte, als Gattin heimführen. Der 
Vater fah mit düſtern Bliden auf das Treiben des Sohnes, 

Du haft dich ſchnell europälfirt, ſprach Sohenfels, den Sohn 
in dem mobernen PBarifer Anzuge muſternd. Mir würde das 


nicht jo Leicht geworden fein. Findeſt du dieſe Tracht nicht une 


fchön, lächerlich, narrenhaft ? 

Es tft ein Kleidungsſtück wie jedes andere, Vater, verfehte 
Miguel. Meinen Beifall hat es nicht und aus Liebhaberet würde 
ih mir es. niemald wählen, da es nun aber allgemein getragen 
wird und der Sitte fi fügen überall üblich iſt, bequeme Ih mich 
ebenfalls, e8 anzulegen. 

Die Tracht deines Vaterlandes iſt malerifcher, harakteriftifcher 
und viel, viel kleidſamer. 

Gewiß, beſter Vater, fie paßt nur nicht für Deutſchland. 

Biſt du ein Deutſcher? 

Miguel erröthete. 

Du biſt, wenn's hoch kommt, ein Hamburger, fuhr Auguſtin 
Hohenfels bitter fort. Auch das biſt du nur zur Hälfte, da dein 
Geburtsland in der neuen Welt, in der goldenen Wiege einer 
neuen, großen, glücklicheren Zukunft liegt. Siehe, mein Sohn, 
fuhr er mit wunderbar leuchtenden Augen fort, Miguel's Hand 
erfaffend und fie auf fein Herz legend, ein magnetiſcher Zug met- 
nes Herzens führte mich von jenen fonnigen Geftaden, wo ih das 
höchſte Glück ſchlürfte und das größte Leid erleben mußte, zurüd 
in die nebelverhangene Heimath, damit th dDih, mein Kind, das 

35 * 


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der Haß mir geraubt hatte, wieberfänbe. Für biefe Führung dan?’ 
th dem großen Geifte, den mir Gott nennen. Und doch bin td 
nicht glücklich. Das Herz iſt es, das und erlöſ't und verbammt!.. 
Ih fuchte dich und als ih dich gefunden, wollte ich dich beſitzen 
für immer. Ic hoffte, du würdeſt nicht blos ber Erbe meines 
Namens, fondern auch der Erbe meiner Gedanken fen. Ich wünfchte 
und glaubte, deine junge, fröhlicher aufblikende Geiftesflamme 
würde den büftern Gedankenbau, den ich unter taufend Schmerzen 
aufführte, mit wohlthuendem Licht erhellen. Ginen SHohenpriefter 
an dem Altar, vor dem ich opferte mein Leben Tang, wollte ich 
mir in dir erziehen, und bie @ebetesbroden, die ich vor biefem 
Altar ftammelte, follteft du auffammeln und eine neue Lehre, ein 
Buch des Lebens für alle zufünftigen Gefhlechter daraus zuſam⸗ 
menftellen. . . Du haft mich nicht verftanden, mein Sohn, wie bie 
Melt mich nicht verfteht. Die Liebe eines Weibes ertöbtet In dir 
die Liebe zur Weltbeglüdung. Ich table dich deshalb nicht, denn 
ih weiß ja, es tft das fo der Lauf der Welt, es iſt irdiſch mans 
gelhaft. Thue alfo, wozu dein Herz di drängt, nur Eins ver- 
fprih mir, Miguel, werde nit modern und europätfh! Laß bich 
nicht einpuppen in die Hülfen Alles deffen, was man Mode nennt! 
Moden find gut für gefallfüchtige Weiber, für Mattreflen, für 
Gecken und Weiberknechte. Solhem Gelichter verdanken fie ihren 
Urſprung, ihre Verbreitung und ihre Vergötterung. Ein freier 
Mann, der Träger und Bildner ſchöpferiſcher Gedanken, verachtet 
ſie. Glaube mir, mein Sohn, Alles, was Mode heißt, trägt den 
Tod in fih. Wer dem Modernen huldigt, hüllt ſich in Verweſung, 
bettet das ewig Gelitige, das Zündende, Grleuchtende und neues 
Leben Zeugende in Moderdunft! Darum graut mir vor allem mo— 
dern Europäifhen; darum drängt es mich wieder fort von hier, 
fort von dieſen Küften, an denen felbft bie Brandung nur noch 
rollt, weil's Mode iſt. .. Drüben iſt zum Glück Alles noch un 
modern, wenn aud roh, barbarifh, wüſt. In der Wüfte entftchen 
bie wunderbarften Hallucinationen. Man fättigt an ihnen ben 
hungernden Geiſt, tränkt in dem Springbrunnen der purpurnen 


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Atmosphäre die bürftende Seele, die in ber europäiſch-modern 
überkleifterten Welt ftets verſchmachtet. . . DO, wie froh, wie leicht 
werde ich aufatmen, wenn der ‚Dcean mit feinen tiefen Weltme- 
Iodien mich wieder begrüßt! — Freiheit, Ungebundenheit, das if 
mein Element! Die Freiheit, von der man bier plept, genügt nur 
einem Gefhleht von Pygmäen. : . Folge mir, Miguel, wenn e8 
mir gelingt mit Hilfe Eduards drüben der Freiheit, die ich meine, 
dem Staate, den ich für den wahren, einzig glüdlichen halte, dem 
Deutfhland, für das ich als Märtyrer bluten könnte, den Editein 
zu errichten! — Bringe dann mit dein Weib, das du dir er- 
rungen, die Kinder, bie fie dir gebären wird. Sie follen die erften 
Bürger fein in der deutfhen Gofonte Hohenfelsland, die Stamm- 
väter eincd Volkes der Zukunft, das Gott Licht, weil e8 den Geift 
ber Menſchheit von der Walfenpflege, die- er jegt genießt, erlöjen 
wird. Verſprich mir das, Miguel, und dann fei gefegnet! 

Miguel hatte dem Vater, der mit einer Art Verzückung fpradh, 
aufmerkfam zugehört. Er kam fich In feinem bräutlihen Anzuge 
faft Hein vor gegenüber dem Manne in der fchlichten Tracht eines 
brafilianifhen Pflanzers, die Auguftin Hohenfels auch jet noch 
nicht ablegte. 

Ich halte, was ich Tann, fagte Miguel feterlih, die Hand 
des Vaters ergreifend. 

Und ich nehme dich beim Worte, erwiderte Hohenfels. -Er- 
ringe ih nicht, was ich will und anftrebe, fo grabe ich mir bie 
Grube, wo th ſtill der Ewigkeit entgegenträumen werde. Meine 
Golonie, den Tempelfodel meiner. Gedankenwelt findeft bu in der 
Umarmung des raufhenden Urwaldes oder — mein Grab. Das 
Eine wie das Andere ſei für dich und die, welde fi mir ver- 
wandt nennen, ein Wallfahrtsort. Wunder werden Ste nicht thun, 
auch Feine Heiligen bilden, wie Loretto, aber Menſchen nad) dem 
Ebenbilde Gottes ziehen von dort aus in alle Welt und predigen als 
Apoftel der Cultur das Reich des großen Geiftes auf Erden! 

Die Thür öffnete fih, Eduard trat ein. 

Dan wartet, Miguel, fprah der Goufin zu dem vom bes 





— 550 — 


Vaters Worten tief ergriffenen Bräutigam. Es iſt Alles bereit. 
Die Zeugen ſind verſammelt, der Altar geſchmückt. Jetzt eben 
tragen Diener die alte, blinde Pathe Silberweiß die Treppe her— 
auf. Komm und laß dich der ſehnſüchtig harrenden Braut zuführen. 

Eduard ergriff die Linke Miguels, dev Vater faßte des Soh- 
nes Rechte. So traten ſie in den ihrer harrenden Familienkreis, 
wo der vor Glück ſtrahlende Vater Jacob in ſeiner altmodiſchen 
Feſttagstracht neben der glänzend herausgeputzten Doris nicht fehlte. 

Die ernſte Geſtalt Auguſtin Hohenfels', die ſo merkwürdig 
von allen Andern abſtach, machte einen faſt erſchütternden Eindruck. 
Der düſtere Mann mit den blitzenden ſcharfen Augen, deſſen Blick 
keiner als die glücklich lächelnde Chriſtine ertragen konnte, ſchritt 


wie ein höheres Weſen durch die elegante Geſellſchaft. Manchem 


kam er dämoniſch vor und Viele beſorgten, der ſo ganz aller Eti— 
kette Hohn ſprechende Mann ſei eine Unheil verkündende Erſcheinung. 

Jetzt ward auch die Ankunft des Predigers gemeldet, und 
nach den üblichen Begrüßungen betraten Alle den feſtlich decorirten 
Saal, wo die Trauung ſtattfinden ſollte. 

Hier befanden ſich die zum Familienfeſte Geladenen, entfern— 
tere Verwandte und treue erprobte Freunde der Familien, deren 
Kinder jetzt durch die ſegnende Hand des Geiſtlichen für dieſes 
Leben feierlich verbunden werden ſollten. 


Zunächſt dem ſchlichten Altar, der zwei große ſilberne Arm=- 


feuchter mit brennenden Wachskerzen, ein ſchön geſchnitztes Cruzifix 
aus Elfenbein und eine Bibel trug, faßen rechts und links zu 
beiden Seiten die ſtill verlobten Paare Anton und Eliſabeth, und 
Ferdinand und Ulrike. Hinter diefen befanden ſich auf der einen 
Seite die Plätze für den Rheder und Margaretha, auf der andern 
für den Quartiersmann Jacob und Frau Doris. Ungefähr in 
der Mitte des von Menfchen faft ganz erfüllten Saales faßen in 
bequemen Lehnftühlen nebeneinander die greife Silberweiß und ber 
gelähmte Treufreund. Der ehemalige Buchhalter litt heute mehr 
als gewöhnlich an den Augen, weshalb er meiftens lächelnd vor 
fi niederfah und nur biswellen einem näheren Bekannten flüchtig 


Rh 








zunickte. Im Hintergeunde unter den jüngeren Herren, wo auch 
die Comptoiriſten des Haufeg fi befanden, hatten fich die früheren 
Genofien Antons, der heitere Kurt, der die Julius, der Tanghal- 
ſige Emil, der indeß heute fehr feine weiße Handſchuhe trug, 
gruppfrt. 

Als das Brautpaar vor den Altar geführt worden war, nah: 
men Auguftin Hohenfeld und Eduard ebenfalls ihre Plätze ein. 

Die Ceremonie währte beinahe eine halbe Stunde. Frauen . 
und Mädchen vergoffen während der Rede des Paſtors viele Thrä- 
nen, waren aber alle gleich fehr erbaut Davon. 

Nah erfolgter Einfegnung wurden die Neuvermählter von 


Schwärmen Glückwünſchender umlagert, worüber eine beträchtliche 


Zeit verging. Diefe waren gerührt, Jene ernft und gemeflen, 
Süngere feherzten und fonnten übermüthlge Nebenbemerfungen nicht 
unterlaffen. Ganz ſchweigend verhielt fih nur Auguftin Hohen 
feld, der feinem Sohne und feiner nunmehrigen Schwiegertodhter 
in einem einzigen felten Händedrude die in Worte nicht zu faffen- 
ben Gefühle feines übervollen Herzens zu erkennen gab. 

Herr Heidenfrei. zeigte ſich ungleich beweglicher. Gr blidte 
frei und zufrieden um ſich, ſprach vorzugsweife viel mit Jacob 
und deſſen ftets überaus glücklich lächelnder Frau, ging dann wie- 
ber zu Anton, dem er verfraulih auf die Schulter klopfte und 
jhüttelte Paul die berbe Hand, indem er fagte: 

Superbes Schiff, die neue Fregatte, ganz fo fuperbe wie bie 
prächtige junge Frau da, deren Namen fie trägt. 

Sp mahte Heidenfret unter dem immer Iauter werdenden 
Surren der Hodzeitsgäfte die Runde. Im allgemeinen Jubel des 
Glückwünſchens hatte man nur zwei Perfonen überfehen. Chriſtine 


bemerkte dies zuerft. . 


Ad, meine gute, liebe Pathe und mein trefflicher Treufreund, 
ſprach ſie. Wie fonnten wir nicht längſt ſchon ihrer gedenken! 
Komm, Miguel! Laß uns au fie um ihren Segen bitten! 

Miguel folgte willig dem Wort der Gelichten. Beide tra= 
ten zu den Sitzenden. 





—— 550 — 


Vaters Worten tief ergriffenen Bräutigam. Es iſt Alles bereit. 
Die Zeugen ſind verſammelt, der Altar geſchmückt. Jetzt eben 
tragen Diener die alte, blinde Pathe Silberweiß die Treppe her— 
auf. Komm und laß dich der ſehnſüchtig harrenden Braut zuführen. 

Eduard ergriff Die Linke Miguels, der Vater faßte des Soh- 
nes Rechte. So traten ſie in den ihrer harrenden Familienkreis, 
wo der vor Glück ſtrahlende Vater Jacob in ſeiner altmodiſchen 
Feſttagstracht neben der glänzend herausgeputzten Doris nicht fehlte. 

Die ernſte Geſtalt Auguſtin Hohenfels', die fo merkwürdig 
von allen Andern abſtach, machte einen faſt erſchütternden Eindruck. 
Der düſtere Mann mit den blitzenden ſcharfen Augen, deſſen Blick 
keiner als die glücklich lächelnde Chriſtine ertragen konnte, ſchritt 
wie ein höheres Weſen durch die elegante Geſellſchaft. Manchem 
kam er dämoniſch vor und Diele beſorgten, der fo ganz aller Eti— 
fette Hohn jprechende Mann fei eine Unheil verfündende Erſcheinung. 

Sept ward auch die Ankunft des Prediger gemeldet, und 
nach ben ‚üblihen Begrüßungen betraten Alle den feſtlich decorirten 
Saal, wo die Trauung ftattfinden follte. 

Hier befanden fih die zum Familienfeſte Geladenen, entfern- 
tere Verwandte und treue erprobte Freunde der Familien, deren 
Kinder jeßt durch die fegnende Hand des Geiltlichen für dieſes 
Leben feterlich verbunden werden follten. | 

Zunächſt dem fehlichten Altar, der zwei große filberne Arm=- 
leuchter mit brennenden Wachskerzen, ein ſchön geſchnitztes Gruzifir 
aus Elfenbein und eine Bibel trug, faßen rechts und linke zu 
beiden Seiten die fl verlobten Paare Anton und Elifabetb, und 
Ferdinand und Ulrike. Hinter diefen befanden fi auf der einen 
Seite die Pläge für den Rheder und Margaretha, auf der andern 
für den Quartiersmann Jacob und Frau Doris. Ungefähr in 
ber Mitte des von Menfchen faft ganz erfüllten Saales faßen tn 
bequemen Lehnftühlen nebeneinander die greife Silberweiß und ber 
gelähmte Treufreund. Der ehemalige Buchhalter litt heute mehr 
als gewöhnlih an den Augen, weshalb er meiltens lächelnd vor 
fih niederfah und nur bisweilen einem näheren Bekannten flüchtig 


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zunickte. Im Hintergrunde unter den jüngeren Herren, wo auch 
die Comptoiriſten des Hauſes ſich befanden, hatten ſich die früheren 
Genoſſen Antons, der heitere Kurt, der dicke Julius, der langhal⸗ 
ſige Emil, der indeß heute ſehr feine weiße Handſchuhe trug, 
gruppirt. 
Als das Brautpaar vor den Altar gefüßet worden war, nah⸗ 


men Auguſtin Hohenfels und Eduard ebenfalls ihre Plätze ein. 


Die Ceremonie währte beinahe eine halbe Stunde. Frauen 
und Mädchen vergoſſen während der Rede des Paſtors viele Thra- 
nen, waren aber alle gleich fehr erbaut davon. 

Nach erfolgter Einfegnung wurden die Neuvermählten von 


Schwärmen Glüdwünfhender umlagert, worüber eine beträchtliche 


Zeit verging. Diefe waren gerührt, Jene ernft und gemeflen, 
Jüngere ſcherzten und- fonnten übermüthige Nebenbemerkungen nicht 
unterlaſſen. Ganz ſchweigend verhielt ſich nur Auguflin Hohen= 
fels, der feinem Sohne und feiner nunmehrigen Schwiegertodter 
in einem einzigen feften Händedrude die in Worte nicht zu faſſen— 
den Gefühle feines übervollen Herzens zu erkennen gab. 

Herr Heldenfrei. zeigte fich ungleich beweglicher. Gr blidte 
frei und zufrieden um fi), ſprach vorzugsweife viel mit Jacob 
und deſſen ftets überaus glücklich Lächelnder rau, ging dann wie— 
der zu Anton, dem er vertraulich auf die Schulter Elopfte und 
fhüttelte Paul die derbe Hand, indem er ſagte: 

Superbes Scif, die neue Fregatte, ganz fo fuperbe wie bie 
prächtige junge Frau da, deren Namen fie trägt. 

Sp mahte Heidenfret unter dem immer lauter werdenden 
Surren der Hochzeitögäfte die Runde. Im allgemeinen Jubel des 
Glückwünſchens hatte man nur zwei Perſonen überfehen. Chriſtine 
bemerkte Dies zuerft. | 

Ad, meine gute, liebe Pathe und mein trefflicher Treufreund, 
ſprach fi. Wie konnten wir nicht längſt fehon ihrer gedenken! 


Komm, Miguel! Laß uns aud fie um ihren Segen bitten! 


Miguel folgte willig dem Wort der Geliebten. Beide tra- 
ten zu den Sigenden. 


— 592 — 


Wir müffen uns wohl demüthigen, ſprach Chriftine lächelnd, 
ſich auf ein Knie niederlaſſend und das feine Haupt, das der 
bräutliche Kranz wie eine Glorie krönte, ein wenig vor der alten 
Frau bückend. 

Ich bin es, Pathe Silberweiß. Gebt mir Euern Segen! 

Die blinde Greiſin legte ihre zitternde Rechte auf das Haupt 
ber jungen Braut. Die Rechte Treufreund's fügte noch einmal 
bie Hände der Vermählten zufammen. Sprechen konnte der alte 
Buchhalter eben fo wenig, als die Greifin. Ein paar Thränen 
benegten die Hände der Glüdlichen, wãhrend ber Gelähmte fie 
wiederholt drückte. 

Noch kniete Chriftine, denn die- Hand der Pathe ruhte feſt 
auf ihrem Haupte. 

Ich danke Euch, Pathe, ſprach ſie, Euer Segen wird mir 
Glück bringen. 

Glück, alles Glück dieſer Welt wünſche ich Euch! ſprach jetzt 
Treufreund. Ich armer Menſch hab' weiter nichts, als mein 
Herz. Das habt Ihr ſchon, ich brauch's Euch alſo nicht erſt zu 
geben. Ihr wißt, ich werde nie perſönlich, heute aber muß ich 
doch fagen, daß Ihr meinem alten Herzen doch gar zu arg mit— 
jpielt. Steht auf, Ihr Lieben, und fetd froh! 

Die Hand der Greifin lag ſchwer und regungslos auf dem 
Haupte Chriſtinens. Diefe erfaßte fie jetzt felbft und nahm fie 
herab. Die Blinde rührte fih nicht. 

Die Freude hat fie überwältigt, fie iſt ohnmächtig geworden, 
ſprach ſie leiſe zu Treufreund. Man muß ſie in friſche Luft 
bringen. | 

Die alte Frau ruhte, mild lächelnd, die Augen geſchloſſen, 
mit bleichen Zügen, das von weißen Löckchen umſpielte Antlik et⸗ 
was niedergebeugt, im Polſterſtuhle. Zwei herbeigerufene Diener 
trugen fie aus dem Saale in ein Iuftigeres Nebenzimmer. Die 
Neuvermählten, denen fih Glifabeth, Ulrike und Margaretha ans 
[Hlofien, folgten, Letztere hatte ein Flacon ſtärkender Eſſenzen bei 





— 553 —— 


fi. Als fie die Schläfen der Blinden damit rieb, trat Eduard 
ein. Er erfaßte den Arm der Silberweiß. Der Puls ftand fill. 

Laß es gut fein, beite Mutter, fagte er, fie bedarf unferer 
Hilfe nicht mehr. Der Engel der Zreude hat 14 für fie in den 
Todesengel verwandelt. 

Chriſtine drüdte der Pathe die erdenmüden Augen zu, küßte 
bie weiße ſchon erfaltende Hand und fant dann unter glüdlichem 
Schludzen dem Geliebten in die Arme. 

“Die Gäfte erfuhren nichts von diefem plötzlichen Todesfalle. 
Alle gaben fih mit ganzem Herzen der Freude hin. Erſt fpät in 
der Naht wurden die Hausgenoffen von dem Gefihehenen in Kennt- 
niß gefebt, und die Blumen, die am Mittag den Altar gefhmüdt 
hatten, blühten und dufteten jet zu den Füßen einer in filllem 
Frieden Dahingeſchiedenen. . 


Aeuntes Kapitel. 


— — — 


Laſſet uns Hütten bauen. 


Wiederum vergoldete die Sonne die Zinnen der alten hoch⸗ 
gegiebelten Häuſer, zahlreiche Seeſchiffe blähten die halbgerefften 
Segel im Hafen, und das ganze volle Xeben einer großen Han— 
belsftadt fegte Taufende und Abertaufende in lebhafte Spannung. 
Auch im Haufe des Rheders Thomas Peter Heidenfrei, das, wie 
alle großen Kaufmannshäufer mit Eeiner gemahlten Firma prahlte, 
bereite die gewohnte alte Thätigkeit, obwohl es weniger lebhaft 
als früher daſelbſt zuging. Die Zahl der Hausbewohner hatte fidh 
bedeutend vermindert. Beide Söhne waren auf Reifen, der Xel- 
tefte auf ungewiſſe Zeit im Süden Amerika's, der zweite, Ferdi⸗ 
nand, erſt feit anderthalb Monaten, Auch die einzige Tochter des 
Hauſes, früher die belebende Seele in allen Gefelfchaften, welche 
ber Rheder gab, war am gleichen Tage mit ihrem jüngeren Bru: 


— 592 — 


Wir müflen uns wohl demüthigen, ſprach Chriſtine Tächelnd, 
fih auf ein Knie niederlaffend und das feine Haupt, das der 
bräutliche Kranz wie eine Glorie Erönte, ein wenig vor der alten 
Frau büdend. 

Sch bin es, Pathe Silberweiß. Gebt mir Euern Segen! 


Die blinde Greiſin legte ihre zitternde Rechte auf das Haupt 
ber jungen Braut. Die Rechte Treufreund's fügte noch einmal 
bie Hände der Vermählten zufammen. Sprechen konnte der alte 
Buchhalter eben fo wenig, als die Greifin. Ein paar Thränen 
benegten die Hände der Glücklichen, wãhrend der Gelähmte fie 
wiederholt drüdte. 


Noch kniete Chriftine, denn die- Hand der Pathe ruhte feſt 
auf ihrem Haupte. 

Ich danke Euch, Pathe, ſprach ſie, Euer Segen wird mir 
Glück bringen. 

Glück, alles Glück dieſer Welt wünſche ich Euch! ſprach jetzt 
Treufreund. Ich armer Menſch hab' weiter nichts, als mein 
Herz. Das habt Ihr ſchon, ich brauch's Euch alſo nicht erſt zu 
geben. Ihr wißt, ich werde nie perſönlich, heute aber muß ich 
doch fagen, daß Ihr meinem alten Herzen doch gar zu arg mit— 
fpielt. Steht auf, Ihr Lieben, und ſeid froh! 

Die Hand der Greifin lag ſchwer und regungslog auf dem 
Haupte Chriftinens. Diefe erfaßte fie jetzt felbft und nahm fie 
herab. Die Blinde rührte fih nicht. 

Die Freude hat fie überwältigt, fie ift ohnmächtig geworden, 
ſprach ſie leiſe zu Treufreund. Man muß ſie in friſche Luft 
bringen. | 

Die alte Frau ruhte, mild lächelnd, die Augen geſchloſſen, 
mit bleihen Zügen, das von weißen Löckchen umfptelte Antlik et 
was niedergebeugt, im Polſterſtuhle. Zwei herbeigerufene Diener 
trugen fie aus dem Saale in ein Iuftigeres Nebenzimmer. Die 
Neuvermählten, denen fih Glifabeth, Ulrike und Margaretha ans 
[Hlofien, folgten. Letztere hatte ein Flacon ſtärkender Eſſenzen bei 





— 553 — 


ſich. Als ſie die Schläfen der Blinden damit rieb, trat Eduard 
ein. Er erfaßte den Arm der Silberweiß. Der Puls ſtand ſtill. 

Laß es gut ſein, beſte Mutter, ſagte er, ſie bedarf unſerer 
Hilfe nicht mehr. Der Engel der Freude hat ſich für fie in den 
Todesengel verwandelt. 

Chriſtine drückte der Pathe die erdenmüden Augen zu, küßte 
die weiße ſchon erkaltende Hand und ſank dann unter glücklichem 
Schluchzen dem Geliebten in die Arme. 

»Die Gäſte erfuhren nichts von dieſem plötzlichen Todesfalle. 
Alle gaben ſich mit ganzem Herzen der Freude hin. Erſt ſpät in 
ber Nacht wurden die Hausgenoſſen von dem Geſchehenen in Kennt- 
niß gefebt, und die Blumen, die am Mittag den Altar geſchmückt 
hatten, blühten und dufteten jegt zu den Füßen einer in ſtillem 
Frieden Dahingefchtedenen. . 


Aeuntes Kapitel. 


— — — 


Laſſet uns Hütten bauen. 


MWiederum vergoldete die Sonne die Zinnen der alten hoch⸗ 
gegiebelten Häufer, zahlreiche Seefchtffe blähten die halbgerefften 
Segel im Hafen, und das ganze volle Xeben einer großen Han- 
delsſtadt feßte Taufende und Ubertaufende in lebhafte Spannung. 
Auch im Haufe des Rheders Thomas Peter Heldenfret, das, wie 
alle großen Kaufmannshäufer mit Feiner gemahlten Firma prablte, 
berrihte die gewohnte alte Thätigkeit, obwohl es weniger lebhaft 
als früher daſelbſt zuging. Die Zahl der Hausbemohner hatte fich 
bedeutend vermindert. Beide Söhne waren auf Reifen, der Xel- 
tefte auf ungewiſſe Zeit im Süden Amerila’s, ber zweite, Ferdi⸗ 
nand, exit fett anderthalb Monaten. Auch die einzige Tochter des 
Hauſes, früher die belebende Seele in allen Geſellſchaften, welche 
ber Rheder gab, war am gleichen Tage mit ihrem jüngeren Bru= 


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ber verreift; denn beide Geſchwiſter hatten, mie fie gleichzeitig ver- 


lobt worden waren, auch an ein und demfelben Tage fi kirchlich 
einfegnen laſſen. 

Ferdinand und Ulrike wandten fi nordwärts, befuchten zuerft 
die däniſche Königsſtadt, erfreuten ſich der dortigen Kunſtſchätze, 
der toyllifchen Umgebungen, der traulichen Buchenhaine des feen— 
haften Seeland, und wendeten fih fpäter, den Sund überfchreitend, 
der grotesfen Feljennatur Norwegens zu. Ulrike Tiebte in ber 
Natur mehr das Erhabene als das Zarte, Elegiſche. Deshalb zog 
es fie mit unmiderftehlicher Gewalt nad dem Kiölengebirge, deſſen 
Fjällen und Fjorde fie mit fi immer fleigerndem Erftaunen und Ent- 
zücken befuchte. Erſt oberhalb Tornea, hoch in Lappland, beſchlich 
fie ein Gefühl bes Heimwehs. Sie bat Ferdinand, umzufehren, 
bewunderte das ergreifende Schaufpiel der Mitternachtsfonne, ſchiffte 
fi dann mit dem jugendlihen Gemahl nah Stodholm ein, und 
brang bier jo lange tn ihn, bis dieſer ſich entſchloß, der jungen 
wißbegterigen Frau, die ihn als fanft Bittende gänzlich bezauberte, 
auch die Hauptitadt des Czarenreihes, das viel gepriefene und 
viel verläfterte St. Petersburg zu zeigen. 

Darüber verging der ganze Sommer, und als das glüdliche 
Paar wieder heimfehrte, rollten die vor den Reifewagen gefpannten 
Roffe ſchon Haufen raufchender Blätter vor fi her und mander 
der ſchönen, großen Kaftantenbäume firedte bie gänzlich entblätter- 
ten Aeſte in die fühle Herbitluft. 

Elifabeth, die „Eleine Poetiſche“, wie fie der Vater nannte, 
hatte nicht umfonft großen Fleiß auf die Erlernung der Spracde 
Calderon's gewandt. Sie wollte Spanien und Portugal Eennen 
Iernen, dem ihre Gedanken mit eigenthümlicher Vorliebe zugewandt 
blieben. Anton, ihr Gemahl, machte deshalb Feine Einwendung, 
als fie mit bezaubernder Beſtimmtheit entfchled, daß fie das Glück 
ihrer Flitterwochen ayf ber pyrenätfchen Halbinfel genießen wollten. 
Anfang Juni fon betraten die Retfenden den Boden Spanteng 
und am Sohannistage erblikten fie, wie ein ſchwärmeriſcher Bricf 
Eliſabeth's an ihre Aeltern meldete, die Zinnen ber wunderbaren 


— 555 — 


Alhambra. Ein mit Bleiſtift geſchriebenes Billet ſchilderte die Ein- 
drücke, welche auf die kleine Poetiſche der berühmte Löwenhof ge⸗ 
macht hatte. 

Von den drei jungen Ehepaaren waren nur Miguel und 
Chriſtine daheim geblieben. Einige wunderten ſich darüber, weil 
ſie nicht erwartet hatten, daß ein ſo lebhafter Geiſt, wie Miguel's, 
ſich leicht in die Einfachheit eines ſtreng geordneten Lebens gewöh— 
nen könne. Dieſe vergaßen, daß Miguel im Hauſe des Rheders 
zum erſten Male in feinem unrubvollen ‚Leben eine Heimath ge» 
funden hatte, daß er, des fortwährenden Umherirrens müde, fein 
tieferes Leben erſt jebt fammeln Fonnte, fih nun erſt Über dag, 
was ihm dienen und Andere fürdern Eönne, Elar zu werden ver⸗ 
modte. Und ein milderer, gewandterer und Tenntnißreicherer Leh⸗ 
rer als der alte Heidenfrei hätte ihm auf dem neu betretenen 
Lebenspfade nicht geboten werden Können. 

Ganz wider feinen Willen, aber doch völlig abfichtslos, fand 
Miguel unter Heidenfrei's Anleitung mehr und mehr Gefallen an 
den höheren kaufmänniſchen Geſchäften. Anfangs trat er freiwillig 
als Gehtlfe ein, da er aber ſchnell faßte und bald einer beſtimm— 
ten Branche des fo fehr verzweigten Geſchäftes volllommen vor— 


ſtehen konnte, übertrug ihm Heidenfrei diefe Branche ganz. Die 


Luft am Seewefen verlor fih dadurch begretflicherweife mehr und 
mehr, und als der Sommer fih dem Ende zuneigte und die glüd- 
liche GShriftine einen Iuftigen Schreihals auf den Knieen wiegte, 
fühlte der junge Vater durhaus fein Bedürfnig mehr, zur See 
zu gehen. 

Gerade um dieſe Zeit traf zum britten Male ein längerer 
Brief Eduard's aus dem Innern Brafiliens ein, der feinem gan 
zen dunkel verhüllten Inhalte nah die Familie Heidenfrei nebit 
fammtlicher Berwandtihaft in Unruhe verfehte. 

Wenige Tage nad Miguel’s Vermählung mit Chriftine wa- 
ven Auguftin Hohenfels -und Eduard nad dem Süden Amerika's 
abgereiſſt. Eduard mußte fih ſogar noh aufs Bitten legen, um 
den Oheim fo lange zu halten, bis die Pathe feiner jungen 


⸗ 


— 556 — 


Goufine, die greife Silberweiß, deren plößliches und kampfloſes 
Hinſcheiden Niemand geahnt hatte, zur Erde bejtattet worden war. 
Die Meberfahrt verlief ſchnell und glüdlich, der erfie Empfang auf 
brafiltanifhem Boden war ein viel verfprechender, ja die Berichte 
des Oheims wie des Neffen Tauteten anfangs fo hoffnungsvoll, 
fo verführertfh, dag nur die ruhige Haltung des älteren Heidenfrei 
und die Bitten Ghriftinens den leicht erregbaren Miguel abhalten 
konnten, den bezaubernden Lodungen zu folgen, die ihın aus dem 
Lande, wo er geboren war, in deflen Erde ſeine von ihm nie ge= 
fannte Mutter fehltef, mit Strenenftimmen zum Kommen einluden. 

Das zweite Schreiben lautete ſchon kühler. Es rührte von 
Eduard allein her, Auguſtin ließ ſich entſchuldigen, da eine Menge 
unerquicklicher Geſchäfte und eine ungewöhnliche Nervenreizbarkeit 
ihm Schonung zur Pflicht machten. 

Heidenfrei ſchüttelte zu dieſem Schreiben, das kurz vor der 
Doppelhochzeit Eliſabeth's und Ulrike's einlief, den Kopf, und 
äußerte des Abends im vertraulichen Familienzirkel, die Pläne ſei— 
nes Schwagers felen zu groß entworfen, was von jeher feine An— 
fiht gewejen wäre, und gerade an biefer ungemefjenen Größe wlür- 
den fie wahrfcheinlich auch fcheitern. 

Es tft das wie bei allen Speculatlonen, die über bie vor— 
bandenen Mittel hinausgehen, fhloß der erfahrene Rheder feine 
Bemerkung. Ein einziger Fehlſchlag wirft Alles über den Haufen, 
zerſtört ſelbſt Die folidefte Grundlage, und es mag dann ein Gelft 
noch jo groß und willensftarf, eine Idee noch fo fuperbe fein, 
durchzuführen tft fie entweder gar nicht, oder Doch nur mit unvere 
hältnißmäßig großen Opfern und äußerſt langſam. 

Der Monat October war allerfeitd als der Zeitpunkt feftge- 
jegt worden, wo bie einzelnen Familienglieder ſich im väterlichen 
Haufe wieder fammeln follten. Diefe - Zeit hielten beide junge 
Ehepaare ein. Noch vor dem 18, Detober, den man damals noch 
mit großen Feſtlichkeiten beging, faßen Elifabeth und Ulrike wieder 
neben Chriſtine am großen Samtlientliche, während Ferdinand und 
Anton fid) im Comptoir möglichſt raſch zu orientiren fuchten, 


— 


— 557 — 


Die Herbftftürme machten fih fühlbar, ſchon zweimal weckte 
und erjchredte des Nachts der Donner der Lärmkanonen die Bes 
wohner der Keller. Da tam ein viertes Schreiben aus Rio an, 
das nicht an die Firma Peter Thomas Hetdenfret & Söhne, wie 
die früheren Briefe, fondern fpectell und ausdrücklich an Ferbinand 
und Miguel Hohenfels-Saldanha gerichtet war. Diefes Schreiben 
brachte von Neuem Unruhe und. Trauer über Viele. Es lautete 
wie folgt: | 
Liebſter Bruder und Vetter! 

Wenn ein General das Unglück gehabt hat, eine entfchel« 
dende Schlacht zu verlieren, pflegt er den einzureichenden offictel- 
len Bericht in Worten abzufaffen, die den erlittenen Derluft ver- 
hülfen, in dieſer Verhüllung aber gerade die nadte Blöße recht 
deutlich erkennen laffen. Ich befinde mich Heute leider in der Lage 
eines folhen Generals. Verhüllen aber, entfchuldigen, befchönigen 
mag und will ich nichts, weil mir ber reelle Gewinn eines ſolchen 
Verfahrens nicht einleuchtet. 

Unſer Coloniſationsplan iſt — mit zuckendem Herzen ſchreibe 
ih es nieder — total geſcheitert, und wir, wir allein, unfer Eis 
genfinn oder, wenn Ihr wollt, unfere eigen geartete Nationalität 
trägt die Schuld dieſes Mißlingens. Onkel Auguftin, dem hier 
faft Alle mit offenen Armen entgegenfamen, würde Wunder ge- 
wirft haben, wäre er nur ein mwentg biegfamer gewefen. Daß er 
in Nichts nachgab, keinem Vorfchlage ſich fügte, zuleht bei geftei- 
gerter Reizbarkeit ſogar ungerecht gegen Andere und ung Wohl: 
wollende werden konnte, brach dem ganzen Unternehmen die Spike 
ab und ihm, dem edlen, großen, aber zu hartnädig einfeitigen 
Manne das Herz. Die Colonie Hohenfelsland eriftirt dem Namen 
nah. Sie iſt abgegrenzt, fie bildet ein eigenes, fehönes, cultur- 
fähiges Territortum, das Raum genug hält, um ein paar Millio⸗ 
nen betriebfamer Menfchen zu ernähren und Allen zu Wohlſtand 
zu verhelfen, aber fie it zur Zeit- nur noch ein Stück Land, des 
Nachts von einem wunderbaren Sternenhimmel matt beleuchtet, 
des Tages im. Goldrauch heißer Sonnengluth eine unglaublide 


— )58 — 


Fruchtbarkeit entfaltend. Häuſer, Anſiedelungen gibt es nicht, 
Straßen bezeichnet nur die kleine Karavane von Schlachtvieh, die 
ihre Spuren in den Savannen zurückläßt. Die Flüſſe tragen noch 
feine Schiffe, die Wälder find nicht gelichtet, aber an der reizend— 
ften Stelle des Landes, das uns von der Regierung überlaffen tft, 
wenn wir uns entjehließen wollen, ihr einige Gonceffionen zu ma— 
hen, tit der Grundriß einer Stadt abgeftedt und mit Spa- 
tenftihen der Umfang angegeben, den fie vorläufig "einnehmen 
fol. Es war die lebte, glüdlihe Arbeit des unglücklichen, 
ſchon damals franfen Oheims. Ab, der gute Ohelm war 
leider ſchon krank, als wir zu Schiffe gingen! Damals ver- 
muthete ich freilich blos, was fpäter nur zu unverkennbar an’s 
Tageslicht kommen folte! ine große fire Idee beherrfchte 
tn ganz, verließ ihn nie wieder, und darum fonnte bie 
Größe diefer Idee nicht lebendig werden unter den Menfchen ! 
Für mich perfönlih mag Died ein Gewinn genannt werden. ch 
war nahe daran, auf Abnlihe Abwege zu gerathen. Auch mir 
galt fhon fett geraumer Zeit die Idee, der befruchtende Gedanke 
Alles, die Materie, diefe Erde, in welder der Gedanke doch Keime 
treiben muß, um Wurzeln zu fehlagen, achtete ich nicht nur ge⸗ 
ring, ich veradhtete fie beinahe. Dasaber ift ein Fehler, der ſich 
immer rät. Auguftin Hohenfels kam mir vor wie ein Gott, ber. 
aus Nichts Welten fchaffen. will, dem der Wille Alles, Materie, 
Geiſt und Frucht tft; der da nur zu fagen braudt: ſei! und es 
it! Das kann und darf der Schöpfer, der fih aus fich felbit ge- 
boren bat, nicht aber der Menſch, der nur ein winziger Sprößling des 
Schöpfers, felbft bei größter innerer Gedankenzeugungskraft, if. 
So verwundete fih denn der trefflihe Mann an den fharfen 
Narben, welhe der MWeltihöpfer jeinem Gebilde eingebrüdt hat 
und verblutete fih ſtill an dieſen ſelbſt gefchlagenen Wunden. 
Als er feinen Irrthum erkannte, war ihm die Kraft des Geiftes 
ausgefloffen. Auf dem Sodel des Gemeindehaufes, das Gerichts- 
und Thingftätte des neuen Staates fein follte, den er der Zukunft 
eines der alten Heimath überbrüffig gewordenen Gefchlecdhtes zu 





— 559 — 


gründen unternahm, ſaß er Stunden und Tage lang. Da hauchte 
er eines Abends, als der ferne Urwald im Purpurbrand der Sonne 
Naufloderte, als ob Gott ſelbſt über die Erde wandelte und feine 
Boten ihm die Wege ebnen wollten, feine große Seele aus. An 
der Stelle, wo der feltene Mann zuerft die Art einſchlug, dane- 
ben ſich niederwarf und fill zu Gott betete, daß er Segen gebe 
feinem Werfe, und es dereinft, wenn auch erft fpät, gelingen laffe, 
habe ich ihn in die Erde gebettet. Gloden läuteten nicht über 
feinem Grabe, fein Priefter bat ihn gefegnet, nur der Urwald 
rauſcht früh und fpät um bie ftille, gefeite Gruft des Edlen und 
Millionen Bogelfehlen fingen dem Sohne der Natur, dem Bereb- 
ver des Gelftes der Natur Tag und Nacht die verſöhnendſten See- 
len= und Todtenmeſſen. 


Ich habe mir eine Hütte erbaut, um beflere Tage bier ab⸗ 
zuwarten. Noch glaube ih an die Verwirklichung der Pläne un— 
feres großen Todten, nur müflen wir noch einige Zeit warten. 
Dir, Miguel, Lege ih an's Herz, beine Muttererde zu befuchen, 
fobald du kannfl. Auf dem Grabe deines Vaters wird ver Geiſt 
über dich kommen, der ihn beſeelte. Grüßt die Eltern, gedenkt 
des Strebenden, des Todten, und haltet immerbar fell an dem 
Gedanken, der ihn durchdrang: die Gultur ift der einzig wahre, 
der einzig unfterbliche Träger des Gottesgeiftes auf Erden. Brecht 
ihr Bahn, weitet ihr Wege und Stege, und das taujendjährige 
Reich, das Reich des ewigen Friedens, das Gottesreich auf Erden 
bat begonnen! “Der Eurige 


Eduard Hetdenfrei. 


Diefer Brief ward Anlaß zu einer gänzlichen Uıngeftaltung 
aller Verhältniſſe. Miguel befhlih ein Gefühl der Reue, er 
gedachte der Mahnungsworte des nunmehr fchon verewigten Va— 
ters an feinem Hochzeittage, uud die Schnfuht, am Grabe des 
Todten zu beten, erfüllte bald feine ganze Seele. Beſtärkt in 
feinem Vornehmen ward der junge Mann durch Treufreund, ter 
son Stund’ an fih völlig ſchwarz Fleidete. Die Sonne iſt für 


— 


— 560 — 


mid untergegangen, fagte er, mir bricht jegt kein Tag mehr 
an, ich vegetire nur noch in Nacht und Dämmerung. 
Geräuſchlos, aber energtfh traf Miguel Vorbereitungen zur 
Reife nad Brafilien. Das nächte Frühjahr warb dazu feftgefeht. 
Heidenfrei, der anfangs Gegenvorftellungen machte, weil er feft 
überzeugt war, Miguel werbe nirgends ein fichereres Glück als 
in feinem Haufe finden, ließ fih durch die Zureden ber drei jun 
gen rauen, bie ganz die Partie Miguels ergriffen, umflimmen. 
Ehe aber die Reife noch begonnen werden Tonnte, brachte ein 
abermaliges Schreiben Eduards viel beruhtgendere Nachrichten. 
Diefem zufolge hatte er in richtiger Würdigung der Verhältniffe 
und durh genaue Abſchätzung dev Mittel den urfprüinglichen Plan, 
welcher zu fehr ind Unbegrenzte ging, aufgegeben, und war zu 
den Andeutungen zurüdgelehrt, welche fih in den „Aufzeichnun⸗ 
gen" des verftorbenen Oheims vorfanden. Diefe „Aufzeichnungen“ 
wurden überhaupt von jebt an für den praftifhen Eduard mid- 
tige Leitſterne. An ihnen entzündete fih immer von Neuem feine 
Strebeluft. Er fand darin ftetd neue und große Anregungen, 
und fo gründete der junge Rheder im Verein mit Gleichdenkenden 
zwar nicht große Golonieen, wohl aber fenkte er Wurzelfafern in 
bie braftliantfhe Erde, die vielverſprechend aufiproßten und welde 
gleich jenem wunderbaren Baume der neuen Welt, deſſen Zweige, 
die Erde berührend, ſich von ſelbſt wieder in Wurzeln verwan— 
bein und wette Streden bedecken, bereinft zu fchattigen Wäldern 
fh vergrößern Tönnen, in deren Schuß eingewanderte Deutfche 
dem deutfchen Geiſte Tempel der Cultur errichten werden. Was 
der prophettfche Blick Auguftin’s in Momenten geiftiger Verzückung 
vorahnend erkannte, das wuchs und gedieh langſam, aber ficher, 
unter der forgenden Pflege feines Getftesverwandten und beffen 
Freunden. Als Miguel acht Monate fpäter, von Chriftinen be= 
gleitet, die neue Niederlaffung betrat, fand er fie in beflem Ge- 
deihen. Der Fluß, welder das Land durchſtrömte, war ſchiffbar 
und verband die bereit angelegten Factoreien mit dem Meere 
und der europälfhen Welt. Das Grab feines Waters lag tn 





— 561 - — 


einem prächtigen Garten. Eduard hatte dem Andenken des Ber- 

ftorbenen eine Marmorplatte gewidmet, welche außer dem Namen, 

dem Geburts- und Todestage Auguftin’d nur noch die Worte trug ; 
„Dem Märtyrer für eine große Jdee!" 

Nach einem mehrmonatlihen Aufenthalte in Hohenfelsland 
reif’te Miguel nah Cuba. Er hatte von Rio aus fhon an Don 
Alonfo Gomez geſchrieben und dieſem feine Ankunft gemeldet. 
Die Antwort des Mexikaners Iautete befriedigend, ſchlug einen hei— 
teen, faft übermüthigen Ton an und enthielt die für alle Freunde 
überrafhende Mittheilung von des flatterhaften Mannes Vermäh— 
. lung mit einer jungen, reichen Greolin. Das Zufammentreffen 
der alten Belannten auf Guba ward dadurch ein viel ungenirtes 
red. Don Gomez ſchwamm in einem Meer von Glück, denn er 
tonnte mit vollem Rechte behaupten, das fhönfte Mädchen ver 
ganzen Infel als Gattin Heimgeführt zu haben. Später freilich 
blieb dies Glück nicht ungetrübt, denn beide Gatten plagten einan- 
der gegenfeitig durch eiferfüchtige Grillen und gaben leider aud) 
zu folchen Vermuthungen beiderſeits Veranlaſſung. 

Erſt nach drei Jahren kehrte Miguel wieder zurück in feine 
neue Heimath. Er fand den Freund feines Vaters auf dem 
Kranfenlager, hoffnungslos, aber heiter. 

Nun iſt's gut, nun hab’ ich ihn doch noch einmal gefehen, 
ſprach der redliche Mann, als er Miguel die Hand drückte. Aus 
dem Morgenroth ift ein mildes Abendroth geworden. Es kann 
jetzt der Dämmerung weichen, ich bin's zufrieden. 

Und es wich der Dämmerung. Acht Tage ſpäter begrub man 
Treufreund. Ein unabſehbarer Zug begleitete den Sarg des un- 
eigennügigften Freundes und treueften Dieners zum Friedhofe. 

Ungefähr um dieſelbe Zeit ſtarb auch der reiche Diek-Johann, 
der wieder einmal zur Unzeit ſeinen Kopf aufgeſetzt und bei küh— 
lem Wetter bis tief in die Nacht hinein im Freien geſpielt und 
getrunken hatte, unerwartet am Schlage, und als man fein Te- 
ſtament eröffnete, fand fih’s, dag er feinen Neffen Julius in grof- 
müthigſter Weiſe bedacht hatte. Dies veranlaßte den heitern Lebe- 


mann, dem Kaufmannsitande Balet zu fagen, fi ein Landgut 
D. B. XI, Willkomm's Rheder und Matrofe. 36 


— 561 — 


zu Faufen und — zu heirathen. Daß die Freunde bei der Hochzeit 
des Glücklichen nicht fehlen durften, verfteht fich von felbft, und 
daf bet dem Zeltmahle der Geſchmack jedes Einzelnen befriedigt 
Wurde, dafür hatte der gentalfte aller Gaftronomen Hinlänglich Sorge 
getragen. 

Heidenfrei übergab nah Miguels Rückkehr das Gefchäft fei- 
nem 'Sohne und Schwiegerſohne, ohne die Firma zu -Andern. Er 
309 fih} zurüd auf fein Landhaus und verfolgte hier mit großem 
Intereſſe die außerordentlichen Entdeckungen auf dem Felde ber 
Naturwiſſenſchaften, die Vervollklommnungen der Dampfmaſchinen zc. 
Mit ſeinem Sohne Eduard blieb er in lebhafter Correſpondenz, 
was den letzten Jahren ſeines Lebens einen neuen, immer friſch 
bleibenden Reiz verlieh. Eduard ließ ſich ganz in Brafilien nie- 
der, beſuchte aber von Zeit zu Zeit die geliebte Vaterſtadt. 

Jacob, der Quartiersmann, verlor einige Jahre nah dem 
Rücktritt des Rheders aus dem Befchäfte feine Frau, und da er 
alt und flumpf ward, legte er ebenfalls feine Stelle nieder. Gr 
befaß genug, um ſorgenlos leben zu können. Paul war fon längft 
Capitän geworden und führte mit großem Glück die Fregatte 
„Shrifttne”, welche als Schnellfegler gern zur Beförderung von 
Briefen benutzt ward. 

Die Niederlaffung auf Hehenfelsland erhielt immer mehr 
Ausdehnung und hatte ſchon nad zehn Jahren eine folche Bedeu— 
tung gewonnen, daß verfchtedene Hanbelsftaaten Conſuln daſelbſt 
hielten, und man ihre Handelsgefchäfte nach Millionen zählte. 

Deutfche Rheder waren ihre Gründer, deutſche Matroſen führ- 
ten ihr Lebenselemente zu, und die geiftigen Schätze, welche fie 
von dem Mutterlande eintaufchte gegen die Erzeugniſſe des Bo— 
dens, befrudtet vom Thau tropifher Nächte, leben und wirken 
noch fort und fort und werden das Wort Hohenfels’ dereinft zur 
Wahrheit werben laſſen: 

„Glück iſt nichts, der Wille, das Urtheil, die richtige Anwen— 
dung unferer Kräfte und Anlagen, alſo die weifelte Ausbeutung 
des Talentes vermögen Alles!“ 


—— Be  — 


Für die Befiter von Herder's Werfen, 


fowie für alle Freunde der Deutſchen Claſſiker wird nachfol⸗ 
gendes Werk, welches Ende Auguſt ausgegeben wird, von großen 
Intereſſe fein. 


Aus Herder’s Nachlaß. 


Ungebrudte Briefe 
von 
Herder, Goethe, Schiller, Klopſtock, Lenz, Jean Paul, Claudius, 
Lavater, Fr. Jacobi, Mendelöfohn, Forſter, Zimmermann 
und Caroline Flachsland. 
Herausgegeben 


Prof. Dr. 8. Düntzer 
und 
Ferd. Gottfried v. Herder. 


3 Bände von je 30 Bogen 80 eleganter Ausſtattung. 


Mit einer Handzeihnung Goethes in Stahl radirt. 
Preis der 3 Bände, welche nicht getrennt gegeben werden, 6 Thlr. od. 10 fl, AS fr, 


Prospectusl 

Je eindringender und allfeitiger die Kenntniß von ber Entwidlung unferer 
neueren beutfchen Dichtung und Wiffenfchaft gedeiht, um fo entfchievener treten 
einzelne bedeutende Lücken hervor, die nur die Eröffnung neuer Quellen auszu⸗ 
füllen vermag. 

Dem vorftehenden Wert wird der innere Beruf nicht abgefprocdhen werben 
können, eine vor allem empfindliche Lücke diefer Art glüdlich zu befeitigen. 

Herder's Sohn Herr Regierungsrath Dr. Emil Ootifriev von Herder in 
Erlangen hatte vor einem Jahrzehnt in „Johann Gottfried von Herbers Le⸗ 
oerug den chronologiſch geordneten Briefwechſel Herders mit Benutzung aller 
gedrudien und ungedruckten Briefe und Belege herauszugeben unternommen, 
Aber das Werk gerieth gerade da Ins Stoden, wo es am anziehendften und 
Iehrreichften zu werben begann. Schwierige Zeiten kamen dazmwifchen und ber 
Herausgeber felbft trat von dem Schauplap ab, ehe er fein Werk vollenden 
fonnte oder die werthuollen ungedrudten Briefe in anderer glüdlicherer Form 
veröffentlichen konnte. , 

Mir haben nunmehr von dem Enkel des großen Mannes das Recht acqut- 
rirt, aus dem vorliegenden Nachlaß das Bedeutendſte zu veröffentlichen, 
was zur Kenniniß der claffifchen Periode von Wichtigkeit und Intereſſe ift. 
Bon den vorhandenen Brieffammlungen haben einzelne nur einen fehr bebing- 


ten Werth, fo daß fie nur als Quellen zu einer ausführlichen Lebensbeſchrej⸗ 
bung Herders zu benußen fein dürften, wie die Briefwechfel Herders mit Hart: 
knoch, Gleim, Heyne, von Einſiedel, ven beiden Dalbergs u. A., wogegen ter 
andere Theil, ben wir hier veröffentlichen und der uoch nirgends 
veröffentlicht wurde, durd die gefftine Bedeutung ter Brieffteller und 
ihrer Beziehungen fowte durch vielfache Andeutungen über einzelne Titerarifche 
Ereigniffe und Erfcheinungen von höchſter Wichtigkeit find. _ 

Die Eintheilung des Werkes wurde von ven Herausgebern wic folgt feit- 
geſtellt: 

J. Band: Die Briefe von Goethe, Schiller, Klopſtock, Lenz, 

Jean Paul, Claudius. 
IL. Band: Die Briefe von Lavater, Jacobi, Merdelsſohn, 
G. Forſter, Zimmermann. 
III. Band: Der Briefwechſel zwiſchen Herder und feiner Braut (Caro: 
line Flachsland). 

Bon allerhöchfter Bedeutung find Goethes Briefe, von denen eintge ſei⸗ 
ner friſch ſprudelnden Sugendzeit, den Sahren 1771-1772 angehören, eine 
Meihe anderer ven Sahren 1775— 1776, fehr aufflärend für Herbers Berufung 
nad; Weimar, der größte Theil aber ftellt das herzliche Freundfchaftsperhältntg 
zwifchen Goethe und Herder von 1783 — 1794 in das hellſte Licht. 

Der Briefwechfel mit Herbers Braut vom April 1771 bis zu der am 
22. Mat 1773 erfolgten Verheirathung, Härt nicht allein die Mißverſtändniſſe 
zwifhen dem feltenen Paare, wie man fie feither anfah, glücklich auf, ſondern 
bringt auch Goethes Verhältniß zum Darmſtädter Kreiſe, beſonders zu Merck 
und dem empfindelnden Leuchſenring lebendig vor Augen. Ein langft gedrucktes 
aber nirgends gewürdigtes Gedicht wird durch dieſe Briefe als Goethes Werk 
nachgewieſen, und über die bisher mißdeuteten Gedichte „An Uranien“ und 
„Pilgers Morgenlied“ erhalten wir hier die merkwürdigſten Aufſchlüſſe. 

Ergibt fih auf dieſe Weiſe für die Kenntniß Goethes hier eine höchſt 
wichtige Ausbeute, ſo nicht weniger für Herders Lebens- und Bildungsgang. 

In den Briefen von Claudius tritt deſſen wunderlich ſpielende Gemüth⸗ 
lichkeit höchſt anziehend hervor, und dürften dieſelben um fo mehr Beachtung 
verdienen, je kleiner gerade die Zahl der von ihm bisher bekannt. gewordenen 
Briefe iſt. Auch die Freunde von Schiller, Jean Paul, ©. Forſter, Lenz, La 
sater, Jacobt, Klopftod, Mendelsfohn werden hier manche neue Blicke gewinnen. 
Die Herausgabe des Ganzen nad einem von einem Enkel Hervers, Herrn 
Ferd. Gotitfr. von Herder in Albisheim genehmigten Plane hat Herr Profeſſor 
Dünger in Cöln übernommen, der die nöthigen inleitungen und Erläuterun: 
gen hinzufügen wird. 

Die 3 Bände, jeder von ca. 30 Bogen, werden Ende Auguſt zur 
Ausgabe kommen. 
Die Verlagshandlung 
Meidinger Sohn & Comp. 
in Frankfurt a. I. 


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