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UNIVERSITY OF CALIFORNIA.
OOT SO 189A
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RÖMISCHE HERRSCHAFT
IN
WESTEUROPA
VON
EMIL HUBNER
Berlin
Verlag von Wilhelm Hertz
(Bessersghe Buohhandlung)
1890
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Alle Rechte vorbehalten.
UNIVERSITY
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VOKWOET
Uie in diesem Buche vereinigten, bisher zerstreuten und
theilweis schwer zugänglichen Aufsätze sind hervorgegangen
aus langjähriger Beschäftigung mit den Quellen und wieder-
holtem Aufenthalt in den Ländern des westlichen Europa' s, mit
denen sie sich beschäftigen. Sie beanspruchen nicht, die alte
Geschichte dieser Gebiete des römischen Reiches in erschöpfen-
der Vollständigkeit zu erzählen. Sie wollen vielmehr aus eige-
ner Forschung und Anschauung detffeintergrund schildern, auf
welchem die römische Eroberung sich vollzog, und den noch
vorhandenen Spuren nachgehn, welche sie hinterliess. Frank-
reich, das nach-Spanien und vor Deutschland und England in
den Kreis der römischen Herrschaft eintrat, ist desshalb aus-
geschlossen; es gehört nicht zu den Ländern, über welche der
Verf. nach umfassenden eigenen Vorarbeiten berichten könnte,
obgleich ihm die Anschauung der hauptsächlichsten seiner
römischen Städte und Denkmäler nicht fehlt.
Diese Schilderungßn von Ländern und Städten, von grofsen
Befestigungsanlagen und mannigfachen anderen Denkmälern aus
römischer und vorrömischer Zeit wenden sich nicht nur an die
kleine Zahl der Mitforscher, sondern an den weiten Kreis von
Lesern, welche in der geschichtlichen Erkenntniss überhaupt und
besonders in verständnissvoUem Eindringen in die Lebensformen
des klassischen Alterthums noch immer die Grundlage aller
IV Vorwort
höheren Bildung sehen. Daher sind die gelehrten Belege fort-
gelassen; man findet sie an den tiberall angegebenen Stellen,
an welchen diese Abhandlungen früher erschienen sind. Doch
sind sie sämmtüch erweitert und mehr oder weniger umge-
arbeitet, auch überall bis auf den neuesten Stand der Unter-
suchung fortgeführt worden.
Die alten Städte und Denkmäler in den Ländern des Ostens,
in Aegypten, Griechenland und Italien, sind hundertfach beschrie-
ben worden. Die Reste des Alterthums in Westeuropa, die uns
weit näher liegen und weder an malerischem Reiz noch an
geschichtlicher Bedeutung jenen nachstehen, sind so gut wie
unbekannt. Vielleicht gelingt es diesen Blättern, auch ihnen
einiges Interesse zuzuwenden.
Berlin, im December 1889.
E. H.
'yUNIVERMTY
INHALT
Seite
Vorwort ni
I. England
I. Die Eroberung Britanniens 3
II. Die Verwaltung von Nero bis auf Hadrian .... 25
III. Die römischen Grenzwälle in Britannien
I. Der Wall des Hadrian 39
n. Der Wall des Pius 48
IV. Das Ende der römischen Herrschaft in Britannien . 52
V. Mars Thingsus 57
IL Deutschland
I. Der römische Grenzwall in Deutschland 71
I. Die raetische Grenze 78
II. Die Grenze von der Donau bis zum Main ... 88
UI. Die Grenze vom Main bis zum Bhein 96
n. Römische Städte in Deutschland .116
I. Raetien 121
n. Der Oberrhein 126
m. Der Main 128
IV. Der Rhein 139
V. Ergebniss und Aufgabe 146
HI. Arminius 153
HI. Spanien
I. Tarragona 167
II. Die Balearen 208
m. Citania 232
IV. Römische Bergwerksverwaltung 268
V. Die Heilquelle von ümeri 288
Nachträge und Berichtigungen 292
Register 293
I
ENGLAND
lÜNlVEKsiTY
Bübner, Weatenropa.
LfBR^;^^
I.
Die Eroberung Britanniens.
Verschiedene Vorträge, in der archäologischen Gesellschaft zu Berlin
gehalten aber nirgends gedruckt, liegen diesen Ausfuhrungen zu Grunde.
Kurz zusammengefasst erschien ihr Inhalt unter dem Titel „eine römische
Annexion^ in der Deutschen Rundschau, Jahrgang XV 1878 Heft 8
S. 221-^262, in englischer Uebersetzung von Thomas Hodgkin, dem
Verfasser des Werkes über die Ostgothen in Italien, in der Archaeologia
Aeliana New Series 1885 XI S. 82— 116; einen Auszug gab H. Schiller
in Bursians Jahresbericht XIX 1880 S. 443 ff.
Die Angaben über das römische Heer gehen auf eine Erstlingsarbeit
aus dem Jahr 1857 zurück; weiter ausgeführt und näher begründet sind
sie in der Abhandlung „das römische Heer in Britannien" im Hermes XVI
1881 S. 613 — 584, welcher eine Uebersichtskarte von H. Kiepert beige-
geben ist. Ueber die römischen Legaten und die römischen Bleigruben in
Britannien handeln Aufsätze im Rheinischen Museum XH 1857 S. 46 ff.
und S. 347 ff. Die Vermuthungen über die Zusammensetzung von Agricola's
Heer sind gegen Einwendungen anderer Gelehrten vertheidigt worden in dem
Aufsatz über „die gallischen und germanischen Auxiliartruppen in Bri-
tannien" in der Westdeutschen Zeitschrift für Geschichte und Kunst IH
1883 S. 398—407, vgl. IH 1884 S. 293. Dafs von den über die Eroberung
Britanniens aufgestellten Ansichten manche immer nur Vermuthungen blei-
ben werden, liegt in der Natur der Sache. Ich habe, was gegen sie vor-
gebracht worden ist, z. B. von KPanzerin den historischen Forschungen
für Arnold Schäfer (Bonn 1882 S. 106 ff.), sorgfältig geprüft, aber
mich nicht veranlasst gesehen, in Folge dieser Einwendungen von meinen
Ansichten abzugehen; doch sind sie in der hier gegebenen Darlegung
nicht unberücksichtigt geblieben. Der Versuch von H. Hayman, die
Marschlinie Agricola's vom Dee bis zum Clyde aus der Natur der Land-
schaft und aus Ortsnamen römischen Ursprungs genauer festzustellen (in
der Zeitschrift the Antiquary VI 1882 S. 92 ff., vgl. H. Schiller in Bur-
sians Jahresbericht XXXH 1882 S. 523) führt nicht zu sicheren Ergebnissen.
üeber Glevum und seine Bedeutung habe ich nach den Mittheilungen
des Herrn John Bellows in Gloucester die näheren Nachweisungen ge-
geben in den Jahrbüchern des Vereins von Alterthumsfreunden im Rhein-
1*
4: England
lande LIX 1876 S. 142 ff. und LX 1877 S. 157|f., über das Heiligthum
des Nodon habe ich ebendaselbst gesprochen LXVII 1879 S. 29 ff.
Karten des römischen Britanniens sind in vielen Werken zu finden;
eine sehr genaue von H. Kiepert ist dem siebenten Bande der Sammlung
der lateinischen Inschriften beigegeben.
Auf die in allen diesen Arbeiten gegebenen näheren Ausführungen
und Belege sei hier verwiesen.
??®v®? Bei keinem der modernen Kulturländer, welche einst unter ro-
und Vor- '
arbeiten mischer Herrschaft gestanden haben, fällt es uns so schwer, wie bei
England, das Bild von damals mit dem von heute in unseren Vor-
stellungen zu einem einheitlichen Ganzen zu verbinden. Der Orient
und der romanische Süden Europa' s tragen den Stempel der antiken
Kultur noch so deutlich eingeprägt in den Profilen der Landschaft,
in Bauten und Kunstwerken, in den Typen und Sitten der Bewohner,
dass es keiner Anstrengung bedarf und von Dichtem und Malern
hundert Mal versucht worden ist, den Geist des Alterthums dort in
die gewohnten Kreise heraufzubeschwören. Selbst in unseren rhei-
nischen Landen, auch abgesehen von Orten wie Trier, das ebenso
gut in Italien oder im südlichen Frankreich liegen könnte wie in
Deutschland, und hier und da an den Nordabhängen der Alpen weht
noch klassische Luft und vermag auch der ungeübte Blick, einmal
darauf aufmerksam gemacht, in Mauern und Thürmen, in dem schwarz-
äugigen Menschenschlag, in den zweirädrigen Karren und den die
Lasten auf dem Kopfe tragenden Frauen die letzten Reste altrömi-
schen Lebens zu erkennen. Aber in dem heutigen England, unter
dem Mastenwald seiner Häfen und den rauchenden Kaminen seiner
Fabriken, auf den saftigen Wiesenfiächen und buschigen Hügeln, in
den schattigen Parks, in dem Gewühl der Städte und der endlosen
Pracht grofser und kleiner Landsitze aller Art, das römische Bri-
tannien herauszuerkennen, dazu gehört Studium und Vertiefung in
Bücher und Sammlungen und eine gewisse Uebung in bewusster Ab-
straction von der Gegenwart und ihren überwältigenden Eindrücken,
welche den Meisten abgeht. Kein Wunder daher, dass selbst in dem
grofsen Emporium der Welt die Zahl derer unverhältnifsmässig gering
ist, welche die mit den Eisenbahnen in wenigen Tagen von Süd nach
Nord und von Ost nach West in allen Richtungen zu durchmessende
I. Die Eroberung Britanniens 5
heimathliche Insel nach den üeberresten der römischen Herrschaft
durchsucht haben. Auf das Land und in die kleinen Städte muss
man gehen, zu dem beschaulichen Stand der Geistlichheit, um die
Kenner dieser Besonderheit aufzufinden, welche sich in jenen Kreisen
von jeher der aufopferndsten Pflege erfreut hat. Die zünftigen
Gelehrten, die Professoren der beiden grofsen englischen Universi-
täten oder die der freien Londoner oder der schottischen, kümmern
sich um diese Dinge nicht; kein Newton oder Bentley, kein Porson
oder Dobree hat hiervon je Notiz genommen. Seit den Zeiten des
vortrefflichen William Camden, eines der Vorsteher des Heroldsamtes
unter der Königin Elisabeth und Verfassers der Britannia, der ersten
grofsen Landesbeschreibung (sie erschien zuerst im Jahre 1586 und
ist bei des Verfassers Lebzeiten sechs Mal, nachher bis in dieses
Jahrhundert noch öfter wiederholt und erweitert worden und aus
einem kleinen lateinischen Quartband zu vier Folios angeschwollen),
hat nur noch ein Engländer die Aufgabe, das römische Britannien
zu schildern, in grofsem Maafsstab sich gestellt und mit den be-
scheidensten Mitteln in seiner schlichten Weise annähernd gelöst.
Dies war ein Mann, dessen Namen man unter den berühmten Grofsen
der englischen Litteratur und Wissenschaft vergeblich sucht, ein Zeit-
genosse Bentley* s, aber, wie es scheint, auch von ihm nie beachtet,
und bis auf den heutigen Tag selbst in England nur den bezeich-
neten Kreisen der Lokalantiquare bekannt, unter welchen sein Buch
noch immer mit Recht in dem gröfsten Ansehen steht und mit
hohem Preis bezahlt wird. Er hiess John Horsley und hat es in
den sechsundvierzig Jahren seines Lebens (1685 — 1731) nur zu der
bescheidenen Stelle eines Pfarrers der presbyterianischen Gemeinde
von Morpeth, einem kleinen Flecken in Northumberland nahe der
schottischen Grenze, gebracht. Nicht einmal die Genugthuung ward
ihm zu Theil, dass er das Werk langjährigen Fleisses, den Folio-
band seiner Britannia Romana, welchem er Gesundheit und Vermögen
zum Opfer gebracht hatte, im Druck vollendet vor sich sah: das
Buch erschien erst kurz nach seinem Tode im Jahre 1732. Seit-
dem ist zwar in gröfseren und kleineren historischen Werken, in
Essays, Handbüchern und Encyklopädien der Gegenstand in- und
ausserhalb Englands in mehr oder weniger eingehender Weise oft
behandelt worden. Aber nicht einmal ein erheblicher Fortschritt
gegen Camden und Horsley, geschweige denn eine wirklich erschöpfende,
g England
alle Quellen je nach ihrem Werthe richtig verwendende Lösung der
mannigfachen Fragen, welche sich an diese Aufgabe knüpfen, ist da-
mit erreicht worden.
Und doch geniefst Britannien vor allen den früher erworbenen
Provinzen des römischen Reiches den neidenswerthen Vorzug, dass
wir eine zusammenhängende Geschichte seiner Eroberung und der
ersten vierzig Jahre seiner Verwaltung aus dem beredten Munde des
gröfsten Geschichtschreibers der Kaiserzeit besitzen. Tacitus, die
Zierde des trajanischen Zeitalters, hat in seiner ersten Schrift histo-
rischen Inhaltes, der im Jahre 98 veröffentlicliten Lobrede auf seinen
Schwiegervater Gnaeus Julius Agricola, die Eroberung Britanniens
bekanntlich deshalb in prägnanter Kürze erzählt, weil es dem Helden
des Buches, dem Agricola, beschieden war, während seiner sieben-
jährigen Statthalterschaft daselbst die Unterwerfung der Insel, wenn
auch durchaus nicht zu Ende, so doch um ein Erhebliches weiter
als seine Vorgänger zu führen. Freilich ist diese mit Recht viel-
gerühmte Darstellung in rednerischer Allgemeinheit gehalten. Von
ethnographischen und geographischen Angaben ist nur das Nothwen-
digste den gangbaren Hülfsmitteln der damaligen Kunde entlehnt.
Namen, Daten, Zahlen, topographische Angaben fehlen so gut wie
gänzlich. Der Verfasser wollte nach der langen gezwungenen Stille
unter Domitian's verhasstem Regiment die neue, durch Nerva und
Trajan begonnene Aera mit einem kurzen und eindringlichen Stück
hoher rednerischer Vollendung, nicht mit einer umständlichen histo-
rischen Arbeit begrüfsen. In weiser Beschränkung begnügte er sich
damit, das Interesse möglichst auf seinen Helden zu lenken, so wie
wenn etwa jetzt Jemand einen ausführlichen Nekrolog auf einen der
Feldherren im Krieg von 1870 schreibt nnd dabei das allen Lesern
noch in frischer Erinnerung Lebende als bekannt voraussetzt. Doch
unterlässt er dabei nicht, was uns fremdartig erscheint, dem Führer
der Caledonier Calgacus, ebenso wie dem Agricola selbst, vor der
einzigen Schlacht, welche er schildert (es ist die an dem vielge-
suchten und unfindbaren Berge Graupius), kurze Reden, nach dem
Muster des Sallustius verfasst, in den Mund zu legen. Als er in
seinen späteren und umfangreicheren Geschichtswerken im Laufe der
Erzählung auf die britannischen Ereignisse zurückkam, erzählte er
zwar weit umständlicher, aber zum Theil in noch höherem Maafse
ohne genaue thatsächliche Angaben. Die uns erhaltenen Theile seines
I. Die Eroberung BritaimlenB 7
letzten Werkes, der Annalen von Augustus' bis auf Nero's Tod. lassen
uns das wenigstens an einer wichtigen Episode, dem Aufstand der
Brittenfürstin Boudicca gegen den Legaten des Nero Suetonius Paul-
linus, zu unserem Bedauern deutlich erkennen. Leider fehlt uns von
den zeitgeschichtlichen, weit ausführlicheren Btlchem des Tacitus,
den Historien, welche er vor den Annalen verfasst hatte (sie be-
gannen mit der Erhebung Vespasians und endeten mit Domitian's
Tod), wie bekannt der weitaus gröfste Theil, welcher die Parallel-
darstellung gerade der Thaten des Agricola in dem gröfseren Rahmen
gleichzeitiger Ereignisse und aus einer Epoche vorgeschrittener schrift-
stellerischer Kunst des Verfassers enthielt. Der Grieche Dio konnte
sie für die betreffenden Abschnitte seiner grofsen römischen Ge-
schichte in achtzig Büchern, welche er in den ersten Decennien des
dritten Jahrhunderts schrieb, noch benutzen. In den Resten und
Auszügen dieses Werkes ist noch manches Goldkom der üeberliefe-
rung erhalten. Bei alle dem aber geben die Nachrichten im Agri-
cola und in den Annalen und Historien des Tacitus, richtig ver-
standen und verbunden mit dem, was in den anderen allgemeinen
historischen Quellen, wie für die übrigen Provinzen, so auch für
Britannien überliefert ist, sowie mit den Thatsachen, welche aus den
erhaltenen inschriftlichen Denkmälern und den üeberresten baulicher
Anlagen aus jener Zeit im liande selbst zu gewinnen sind, ein klares
Bild von den Mitteln und Zielen der Eroberung Britanniens, so wie'
von den hervorragendsten Männern, welche sie ausführten.
An mannigfachen Beiträgen zur Geschichte des römischen Kriegs-
wesens hat es in den letzten Jahren nicht gefehlt. Während Hand-
bücher und selbständige Werke den jetzigen Stand der Forschung
zusammenfassend darzulegen versuchen, haben nach und neben diesen
gröfseren Arbeiten zahlreiche Monographieen über das römische Lager
in seiner ursprünglichen Gestalt und späteren Erweiterung, über den
Bestand der einzelnen Truppenkörper, ihre Ober- und Unteroffiziere
und die weiteren Chargen, über ihr Avancement, über ihre Bewaff-
nung und Verwendung auf dem Marsch, im Lager und in der Schlacht,
und manches andere dahin gehörende, theils aus den in immer stei-
gender Zahl verwendbaren Inschriften und Denkmälern, theils aus
erneuter Erwägung der in Betracht kommenden Schriftstellerzeug-
nisse neue Ergebnisse zu gewinnen gesucht. Wieviel trotzdem noch
zu thun bleibt, soll hier nicht ausgeführt werden. Kaum in Angriff
^e UBRAßf^
8 England
genommen ist aber bis jetzt die Untersuchung über die Zusammen^
Setzung gröfserer Armeen, besonders in der Zeit von Augustus ab-
wärts, und ihrer Verwendung zu umfassenden Expeditionen. Neben
dem topographischen und epigraphischen Detail, das eine solche
Untersuchung beherrschen muss, ist die Frage nach der in den ein-
zelnen Gegenden jedesmal verfügbaren Truppenzahl von einleuchtender
Wichtigkeit. Ueber den Bestand der Legionen und Auxilien im All-
gemeinen und ihr gegenseitiges Verhältniss liegen aus der Zeit vor
Caesars gallischen Feldzügen nur sehr summarische Angaben vor.
Denn wenn auch häufig genug die in einem Feldzug zusammen ope-
rierenden Legionen aufgezählt werden und seltener, aber doch hier
und da, die Zalil der neben ihnen verwendeten Bundesgenossen wenn
auch nicht immer mit unzweifelhafter Zuverlässigheit namhaft ge-
macht wird, so fehlt doch fast durchgehends die Möglichkeit, den
Marsch und die Dislocationen eingehender zu verfolgen. Caesars
Berichte, oft und mit militärischer EinsicJit geprüft, ersetzen, so un-
vergleichlich sie in jeder Weise sind, doch auch nicht eine voll-
ständige Ordre de Bataille. Aus augustischer und nachaugustischer
Zeit werden erwähnt oder sind ihrem Bestände nach theilweise wenigstens
im Allgemeinen bekannt die Heere in einer ganzen Reihe von Pro-
vinzen, von Ober- und Untergermanien, von Afrika, Arabien, Panno-
nien, Blyrien, Moesien, Raetien. Die Vertheilung der Legionen auf
die einzelnen Provinzen ist im Wesentlichen genau überliefert; aber
auch was die Auxilia betrifft, so geben die Militärdiplome, inschrift-
liche Urkunden von der gröfsten historischen Wichtigkeit, und die
in den betreffenden Ländern gefundenen Inschriften, verbunden mit
den anderweitig inschriftlich oder sonstwie bezeugten Thatsachen,
eine ziemlich genaue Vorstellung von ihrer Anzahl im Allgemeinen.
Nur ist es meist nicht möglich, ihren Bestand zu verschiedenen
Zeiten genau auseinander zu halten. Das in jeder Hinsicht reichste
Material liegt wohl vor für das Heer in Britannien. Vor einigen dreissig
Jahren wurde von mir der erste Versuch gemacht, zunächst nur
statistisch die römischen Heeresabtheilungen in Britannien aufzu-
zählen. Die inzwischen erschienene und ihrer Vollendung entgegen-
gehende grofse Sammlung aller lateinischen Inschriften bildet die
Grundlage aller auf Fragen solcher Art bezüglichen Ermittelungen.
Diese Zeugnisse vermehren sich fortgesetzt durch neue Funde in
meist unerwarteter Weise, so dass die Untersuchung niemals zu völ-
I. Die Eroberung Britanniens 9
ligem Abschlnss gelangt. Dennoch verlohnt es sich anf Grand der
sämmtlichen epigraphischen und topographischen Funde sowie nach
den spärlichen Naclirichten bei den Schriftstellern hier zusammenzu-
fassen, was sich bis jetzt in Bezug auf den ursprünglichen Bestand
und die wichtigsten Veränderungen des britannischen Heeres als
wahrscheinlich ergeben hat.
Die Aufgabe, Britannien zu erobern, gehörte in allererster Linie ^^^J^^
zu der von Caesar seinem Nachfolger hinterlassenen Erbschaft. Zwei
Mal, im vierten und fünften Jahre seines achtjährigen Eroberungs-
krieges in Gallien, hatte er, in vollkommen richtiger Erwägung der
Sachlage, den Versuch gemacht, freilich auf unzureichende Trans-
portmittel gestützt, den Kanal zu überschreiten und die mit den fest-
ländischen von jeher eng verbundenen Kelten in Britannien wie jene
in den Kreis der Unterwerfung zu ziehen. Beide Male scheiterte
das Unternehmen, aus Ursachen, die klar zu Tage liegen und hier
nicht erörtert werden sollen. Caesar hatte seine erste Expedition Caesar
nach Britannien im Sommer des Jahres 57 v. Chr., eine Recognos-
cierung im grofsen Stil, unternommen mit nur zwei Legionen ohne
Tross, der siebenten und zehnten, und einer entsprechenden Anzahl
von Reitern. Die Legionen wurden auf 80, die Reiterei, welche erst
nach der ersten Schlacht aus Gallien eintraf, auf 18 Lastschiffen
hinübergeschaflft; ausserdem dienten noch einige Kriegsschiffe für den
Stab, den Quaestor, die Legaten und Praefecten. Für die zweite
Expedition entbot er ftlnf Legionen (von denen nur eine, wiederum
die siebente, genannt wird) und 2000 gallische Reiter. Durch die
Schwierigkeit des Landens an der flachen Küste dazu veranlasst Hess
er für den Transport des Heeres 600 Schiffe neu erbauen und 28 Last-
schiffe ausrüsten; 60 von den ersteren trafen nicht rechtzeitig ein,
doch traten dafür eine Anzahl Von denen der vorjährigen Expedition
(annottfUie) und solche für die den Legionen gewiss auch über das
Meer folgenden Händler, Marketender u. s. w. (privatere) hinzu, so-
dass eine Flotte von mehr als 800 Schiffen landete; zehn Cohorten
und 300 Reiter blieben zur Deckung des Schiffslagers zurück. Da-
durch war, ganz abgesehen von politischen Gründen, die militärische
Ehre des Reiches eingesetzt und musste über kurz oder lang einge-
löst werden. Die Eroberung Britanniens, von jeher als ein noth-
wendiges Moment für die vollständige Unterwerfung des gallischen
und germanischen Ländergebietes angesehen, war seitdem nur noch
10 England
Aujrustus eine Frage der Zeit und der passendsten Gelegenheit. Augustus
hatte zwei Mal, in den Jahren 34 und 27 vor Chr., alle Vorberei-
tungen zu einer neuen Expedition nach Britannien getroffen. Die
Dichter Virgil, Horaz und Properz spielen in schwungvollen Versen
auf diess Ruhm und Schätze versprechende Unternehmen des Kaisers
an. Die regelmäfsige Zusammenstellung der britannischen mit der
parthischen Expedition deutet auf ihre Wichtigkeit. Augustus scheint
sich aber, zuletzt durch seinen Aufenthalt in Gallien im Jahre 8 vor
Chr., von der Gröfse und Schwierigkeit des Unternehmens überzeugt
zu haben. Er gab es auf; in dem Verzeichniss seiner Thateu konnte
er nur davon berichten, dass zwei britannische Fürsten seinen Schutz
gesucht hätten, wahrscheinlich in Folge von einheimischen Streitig-
keiten. Dass diplomatische Verbindungen ihm und seinen Nachfol-
gern die Möglichkeit einer Intervention stets offen hielten, ist aus-
drücklich bezeugt: selbst Tiberius, welcher sonst in der auswärtigen
Politik bekanntlich die weiseste Zurückhaltung übte, sah, nach einem
bedeutungsvollen Wort des Tacitus, die Besetzung von Britannien als
eine unausweichliche Aufgabe an. Aber zur That schritt er nicht.
Die Gründe seiner Enthaltung entwickelt beredt und überzeugend,
vielleicht irgend einer authentischen Kundgebung des Kaisers Augustus
folgend, sein Zeitgenosse Strabo, der zugleich die Fortdauer diplo-
matischer Beziehungen (Gesandtschaft nach Rom , Aufstellung von
Weihgeschenken auf dem Capitol u. s. w.) bezeugt, bei denen der
Staat sich besser stehe, als bei der Besetzung. Wenn für diese
mindestens eine Legion und etwas Reiterei als erforderlich bezeichnet
wird, so beruht das offenbar auf der absichtlich verächtlichen Schilde-
rung des unbedeutenden Ertrags, den die Insel verspreche. Der
Kaiser Gaius (Caligula) kam nicht über Projecte zu einer Expedition
hinaus; doch unterwarf sich ihm einer der Söhne des Cunobellinus.
der von seinem Vater vertriebene Adminius, welcher mit einer kleinen
Schaar auf das Festland geflohen war. Caligula hatte an dem
Scheitern seines Feldzugs gegen Germanien, der wahrscheinlich die
Einleitung zu dem britannischen bilden sollte, genug. So ist es ge-
ciaudius kommen, dass die Ausführung des niemals völlig aufgegebenen grofsen
Planes dem schwachsinnigen Claudius vorbehalten blieb, dem aller-
uhbedeutendsten unter den Kaisern der julischen Dynastie, dem Ver-
fasser weitläufiger griechisch geschriebener Geschichtswerke, dem
Grammatiker und Rhetor, der seinem grofsen Bruder Germanicus
I. Die Eroberung Britanniens 11
Caesar so ungleich war, dass er den Zeitgenossen, weil er zufällig
in Lyon geboren war und eine oft ausgesprochene Vorliebe für seine
keltischen Landsleute in Gallien und Hispanien zeigte, für einen
halben Kelten galt. Dies schien dem Tacitus so wunderbar, dass
er meint, das Geschick habe wohl dadurch dem Yespasian, dem nach-
maligen Kaiser, Gelegenheit geben wollen, sich der Welt im Voraus
zu zeigen: denn er befehligte eine zu der Expeditionsarmee gehörende
Legion. /Der ausführliche Bericht des Dio, in allem Thatsächlichen
sicher aus des l'acitus verlorenem zehnten Buch der Annalen ge-
schöpft, zeigt, vielmehr deutlich, dass, wenn auch der Wille des
Kaisers den Ausschlag gegeben haben mag, doch die ganze Organi-
sation des Unternehmens, welches von Sueton kaum richtig ein mäfsi-
ges genannt wird, vielmehr dem Aulus Plautius zuzuschreiben ist,
wohl einem Verwandten de$ Kaisers und aus hochangesehenem Haus,
aus welchem später Kronprätendenten hervorgingen. Es ist wahr-
scheinlich, aber nicht durchaus noth wendig, dass er, weil schon ein
Mann in reiferen Jahren, da er bereits im J. 29 Consul gewesen
war, damals eines der beiden germanischen Heere befehligte. Sicher-
lich wird man dem Claudius selbst die militärischen Dispositionen
für den Feldzug, welchem unzweifelhaft diplomatische Verhandlungen
vorangegangen waren, nicht zuzuschreiben haben, sondern den er- ^'l^J^^-
probten Offizieren, mit denen er sich umgab, als er die Expedition
im Jahr 43 unserer Zeitrechnung persönlich antrat. Im Stabe des
Kaisers befanden sich eine Anzahl der vornehmsten jüngeren Offi-
ziere. Es gehörte zu ihnen Galba, der spätere Kaiser, wegen dessen
Erkrankung der Tag der Abfahrt nach Britannien verschoben wurde.
Er hatte sich schon unter Gaius als ausgezeichneter Offizier bewährt,
war zuletzt Legat des oberen Germaniens gewesen, und erhielt wahr-
scheinlich unmittelbar nach dem britannischen Triumph das Procon-
sulat von Afrika. Auch ein anderer Sulpicius, wohl ein Verwandter
des Galba, wird als Legat des Kaisers während der britannischen
Expedition genannt. Er stellte dem Kaiser für die glückliche Heim-
kehr und den britannischen Sieg ein Weihgeschenk auf, dessen Auf-
schrift zum Vorschein gekommen ist. Femer begleiteten den Kaiser
Valerius Asiaticus, damals Consular, die beiden späteren Schwieger-
söhne des Kaisers Lucius lunius Silanus und Gnaeus Pompeius Magnus,
welche die Siegesbotschaft nach Rom brachten; Tiberius Plautius Sil-
vanus Aelianus, wahrscheinlich ein NefTe des Aulus Plautius und daher
ziere
12 England
auch mit dem Kaiser Verwandt, damals Praetorier, dessen Grabmal
am Fusse der Höhen von Tivoli bekannt ist; endlich mit hervorragen-
dem Antheil am Erfolg Gnaeus Sentius Satuminus. Zwei berühmte
Aerzte machten den Feldzug mit, ein römischer, Scribonius Lar-
gus, der Verfasser einer noch erhaltenen Schrift über die Zusam-
mensetzung der Heilmittel, und ein griechischer, Stertinius Xenophon
von Kos. Von ihm wird berichtet, dass er dem Kaiser für die
Wohlthaten und Auszeichnungen, die ihm zu Theil geworden, schlecht
gelohnt habe; von Nero's Mutter angestellt, soll er den gewaltsamen
Tod des Claudius durch ein giftiges Brechmittel beschleunigt haben.
Legat der zweiten Legion unter Aulus Plautius war Vespasian; unter
ihm befehligte sein Bruder Flavius Sabinus; Legat einer anderen
Legion war Hosidius Geta. Beide, Vespasian und Geta, erhielten
dafür, obgleich sie dem Range nach noch nicht dazu berechtigt
waren, ebenso Didius Gallus, der spätere Statthalter der Provinz,
wie eine ihm in Olympia gesetzte Ehreninschrift gelehrt hat, die
hohe Auszeichnung des Triumphatorenschmuckes, Silanus dieselbe so-
gar trotz seines noch nicht mannbaren Alters. Rubrius Pollio, der
kaiserliche Praefectus praetorio, erhielt eine Statue und einen Sitz
im Senat neben dem Kaiser; Graecinius Laco, damals wohl Procu-
rator von Belgica und als solcher Kriegszahlmeister, ebenfalls den
Triumphatorenschmuck; wie der Kaiser denn überhaupt die Auszeich-
nungen für diesen Feldzug nicht sparte. Sogar einem der kaiser-
lichen Eunuchen, Posides, wurde neben den Militärs, gewiss keineswegs
zu deren Erbauung, eine der bekannten Kriegsdekorationen, die Ehren-
lanze, gegeben. Marcus Licinius Crassus Frugi, der Consul des J. 27,
erhielt den Triumphatorenschmuck zum zweiten Male und machte da-
her den Triumph zu Boss und in gesticktem Kleid mit. Zum Reichs-
verweser wurde während der Abwesenheit des Kaisers auf dem bri-
tannischen Feldzug Lucius Vitellius, der Vater des späteren Kaisers,
bestellt. Der eigentliche Leiter desselben aber war Aulus Plautius,
der, wenn bis dahin Inhaber des räumlich nächsten grofsen militäri-
schen Kommandos, als solcher der gegebene Führer war in einem
Kriege, der Caesar's Gedanken, den gallischen Provinzen ausser dem
Schutz der militärisch besetzten Rheingrenze auch noch die im Norden
offene Küste durch die Eroberung der sie beherrschenden Insel zu
sichern, nun endlich definitiv ausführen sollte. Dios Erzählung
giebt als äussere Veranlassung zu der Expedition die Flucht eines
I. Die Eroberung Britanniens 13
britannischen Fürsten Bericus an; derselbe ist sicher dem Namen,
wahrscheinlich auch der Person nach, identisch mit Verica, dem Sohn
des Commius, des Königs der Atrebaten, der noch erhaltene Mtlnzen
schlug. Dio berichtet ferner von dem Widerstand der Truppen gegen
die gefürchtete und unsichere Einschiffung, und wie erst der von
Claudius gesendete Narcissus, einer der einflussreichsten Hofleute, den
Widerstand brach, freilich, nach Dios Darstellung, nur dadurch, dass
sich der Unwille nun gegen ihn, statt gegen den Feldherm wandte.
Hierdurch auch verzögerte sich der Aufbruch.
Caesars beide Expeditionen nach Britannien haben den unge- jy^ ^^^^
fähren Maafsstab abgegeben für die Zusammensetzung der Armee des
Claudius, welche wir mit annähernder Sicherheit, obgleich in des
Tacitus Agricola kein Wort davon steht, zu reconstruieren vermögen.
Den Kern der Truppen bildeten vier Legionen, die zweite (genannt
Augusta), die neunte (Hispana), die vierzehnte (Gemina) und die
zwanzigste (Valeria Victrix). Drei derselben sind den germanischen
Heeren, eine dem paimonischen entnommen worden; man verwendete
natürlich zur Bildung einer Armee die nächsten verwendbaren Truppen.
Dazu kam eine Abtheilung von der achten ebenfalls Augusta ge-
nannten Legion, deren Standquartier Mainz waf, vielleicht als eine
Art Stabswacht des Feldherrn. Nicht sicher, aber auch keineswegs
unmöglich ist, dass noch von einer zweiten der in Mainz liegenden
Legionen, der vierten macedonischen, eine Abtheilung oder Vexillatio
zum britannischen Heer des Claudius gehört hat. Dem Bürgerheer der
Legionare trat seit der Heeresorganisation des Caesar und des Au-
gustus durchgehends eine an Stärke ungefähr gleiche Zahl sogenannter
Auxilia zur Seite, das heisst nicht in den Legions- (wir würden etwa
sagen Divisions-) Verband gestellter Kavallerie- und Infanterie -Ab-
theilungen (Alae und Cohortes) von im üebrigen der Legion ganz
gleichartiger Organisation und Bewaffnung, welche ursprünglich aus
den Nichtbürgem der Provinzen gebildet wurden. Nicht mit der
gleichen Bestimmtheit, aber doch mit annähernder Sicherheit lässt
sich, mit Benutzung besonders einer bestimmten Art inschriftlicher Denk-
mäler, der schon genannten Militärdiplome, der Umfang auch dieses
Theils des Expeditionsheeres ermitteln. Zahl und Namen der in Bri-
tannien stationierten Auxiliartruppen ergeben sich aus vier solchen Ur-
kunden auf Erz, die sich daselbst gefunden haben und im brittischen
Museum aufbewahrt werden, nebst einigen Fragmenten von gleich-
14 England
artigen Urkunden. Es sind diese sogenannten Militärdiplome Erz-
täfelchen in Diptychenform, enthaltend die für einen bestimmten
Eriegsmann in der üblichen doppelten Ausfertigung innen und aussen
darauf gravierte Kopie eines kaiserlichen Privilegiums, welches die
von Nichtbürgem bestimmter darin namhaft gemachter Truppentheile
oder von Veteranen während der Dienstzeit mit fremden Frauen ge-
schlossenen Ehen nach einer gewissen Anzahl von Dienstjahren
nachträglich legitimiert und denselben das Bürgerrecht sowie andere
Auszeichnungen verleiht. Solcher Urkunden, aus allen Provinzen des
Reiches und der Zeit nach von der Regierung des Claudius reichend
bis auf die des Diocletian, sind bis jetzt etwa achtzig bekannt ge-
worden; sie ersetzen einigermafsen die Quartierliste des römischen
Reichsheeres. Die vier auf das britannische Heer bezüglichen unter
ihnen fallen in die Jahre 103, 105, 124 und 146 unserer Zeit-
rechnung, also in die Regierungen des Trajan, Hadrian und Anto-
ninus Pius. Zusammen mit den ausserdem in England gefundenen
inschriftlichen Denkmälern geben sie uns eine fast vollständige Ueber-
sicht über die Cohorten und Alen, welche einst in den zahlreichen
Kastellen der Provinz in Garnison lagen. Das ist die eine Art ur-
kundlicher Ueberlieferung für unsere Kenntniss der britannischen
Truppen; sie giebt den Anhalt für die Statistik des nicht aus den
liCgionen bestehenden Theiles der Expeditionsarmee des Claudius.
Die Einzeluntersuchung führt zu dem übrigens nicht überraschenden
Ergebnifs, dass weitaus der gröfste Theil der Auxiliartruppen von
Anfang an in der Provinz gewesen und bis zur Aufgabe derselben
auch darin geblieben ist. Auf alle Fälle ist kaum eine der britan-
nischen Cohorten oder Alen dauernd aus der Provinz wegverlegt
worden; unfreiwillige Abgänge, wie die der meuterischen üsipierco-
horte, wurden durch Nachschübe ersetzt. Eine erhebliche Verstär-
kung des ursprünglichen Bestandes scheint, soweit sich das bis jetzt
aus der vergleichenden Statistik der in den übrigen Provinzen garni-
sonierenden Korps ermitteln lässt, nicht stattgefunden zu haben.
Wie schwierig es ist, trotz der vorher genannten mannigfachen
Quellen und Hülfsmittel, in diesen Fragen zu völliger Sicherheit zu
gelamgen, kann hier nicht näher ausgeführt werden. Manches wird
immer unsicher bleiben, wenn nicht unvorhergesehene Funde Auf-
klärung schaffen. Für vieles ergeben sich fortwährend Ergänzungen
und Aenderungen des annähernd Festgestellten aus den erst vor
I. Die Eroberung Britanniens 15
kurzer Zeit begonnenen und noch im Fluss befindlichen Untersuchungen
über die Aushebung und Zusammensetzung der römischen Heeres-
theile auf Grund des in steter Zunahme begriffenen inschriftlichen
Materiales. Im Grofsen und Ganzen steht fest, dass in dem Heer
des Claudius neben den in den Legionen dienenden Bürgern aus den
Stadtgemeinden Italiens und Galliens vorwiegend ans germanisch-galli-
schen und pannonischen Völkerstämmen ausgehobene Hülfstruppen Ver-
wendung gefunden haben, meist die vollständigen Kontingente einzelner
Völker, wie der Bataver, Nervier, Tungrer, Lingonen, Pannonier,
Dalmater und Thraker, oder die ersten ans vorher freien Stämmen
gebildeten Cohorten und Alen. Die auf meine Zusammenstellungen
und Berechnungen gegründeten Zahlenangaben über den Bestand des
Heeres sind jedoch nur als im weitesten Sinn annähernde zu be-
trachten. Es ist bekannt, dass vom Beginn der Kaiserzeit an bis
in die spätesten Zeiten eine fortwährende Steigerung der Ziffer des
stehenden Heeres stattgefunden hat. Die für das erste Jahrhundert
ermittelten Ziffern erscheinen nach unserem Maafsstab noch sehr
gering; dennoch habe ich sie für das claudische Heer vielleicht noch
zu hoch angesetzt. Das Ergebnifs der Untersuchung, deren Einzeln-
heiten nicht hierher gehören, ist, dass mindestens vierundzwanzig
Alae Kavallerie und nahe an sechzig Cohorten Infanterie zum Heere
des Claudius gehörten, ausnahmslos aus Völkerschaften des Nordens
und Westens, aus Thrakien und Pannonien, den germanischen Ländern
und Gallien, rekrutiert.
Hechnet man die vier Legionen einschliesslich der etwa 120
berittenen Gensdarmen einer jeden zu rund 6000 Mann, was, da
man gewiss für eine solche Expedition die möglichst hohe Kriegs-
stärke zu erreichen suchte, eher zu niedrig als zu hoch gegriffen
sein wird, und die Vexillation der achten zu 1000 Mann (diese Zahl
wird durch die Analogie ähnlicher Abtheilungen empfohlen), so ergiebt
dies einen Kern von 25,000 Mann Legionaren. Die sechzig Cohorten
werden durchschnittlich zu 5 bis 600 Mann anzusetzen sein; dass schon
damals wie später nicht selten einzelne auf die doppelte Stärke von
1000 bis 1200 Mann gebracht wurden, ist nicht ausgeschlossen.
Dieselbe Stärke hatten die Kavallerieabtheilungen; auch bei ihnen
kamen Doppelalae vor. Man kommt dabei also auf eine der der
Legionen ungefähr gleiche Stärke der Auxiliarinfanterie von 25 bis
30,000 Mann und auf ein Kavalleriecorps von 12,000 Mann. Eine
16 England
Armee von rund 70,000 Mann mit dem dazu gehörigen Train ist
ftlr jene Zeit einer zwar hoch entwickelten militärischen Technik,
aber einer höchst unzulänglichen Rekrutierung, eine sehr beträchtliche.
Die Zahl spricht ftlr die Wichtigheit und Schwierigkeit, welche man
dem Unternehmen beimafs.
Dass eine gewaltige Transportflotte dazu gehörte, um diese
Armee, wenn auch nur nach und nach, über den Kanal zu bringen,
versteht sich von selbst. Ftlr die üeberschiffung eines Heeres von
der angegebenen Gröfse mit dem entsprechenden Tross bedurfte es
einer Flotte, deren Segelzahl nicht unter der der zweiten caesarischen
zmückgeblieben sein wird. Die Flottenstationen in Italien, zu Mi-
senum und Ravenna, werden den Kern derselben gestellt, die gallischen
Häfen und das Gebiet der Rheinmündungen die nöthigen Verstär-
kungen geliefert haben. Auf den hervorragenden Antheil der Flotte
an dem Erfolg ist es wohl zurtlckzuftlhren, dass der Kaiser an den
Mtlndungen des Po — vielleicht bei der Rückkehr der zur ravenna-
tischen Flotte gehörenden Schiffe — eine Art von Seetriumph ver-
anstaltete. Er fuhr daselbst auf einem gewaltigen, haushohen Schiffe
in den Hafen ein. Es war dasselbe Schiff, welches unter seinem
Vorgänger Gaius einen Obelisken aus Aegypten gebracht hatte; später
wurde es von Claudius beim Hafenbau von Ostia versenkt. Erwähnt
wird die britannische Flotte zuerst im Krieg gegen den Civilis und
dann wiederholt in den Feldzügen des Agricola. Es scheint von
Anfang an eine eigene Flottenabtheilung, die „britannische Flotte",
gebildet worden zu sein, welche in den nordfranzösischen und süd-
englischen Häfen feste Station nahm, wie z. B. in Lymne in Kent
und Boulogne-sur-mer, und bis an das Ende der römischen Herrschaft
in Britannien zusammen blieb.
An der Südküste Englands nennen die alten geographischen
Verzeichnisse einen „grofsen" und einen „neuen Hafen''. Der grofse
Hafen ist der, der noch heute seinen römischen Namen trägt, Ports-
mouth, einer der schönsten und gröfsten Häfen der Welt. Später
sind der Flotte Ankerplätze auch an den Mündungen der Themse
und des Sevem u. s. w. nach Norden aufwärts angewiesen worden;
ohne den durch sie vermittelten Verkehr mit Gallien sind die Ope-
rationen gar nicht denkbar.
Die Be- ^1^ Abfahrt und Landung des Heeres erfolgte nach Dio's
Setzung B^pißj^i;^ natürlich unter günstigen Himmelszeichen, und in drei Ab-
Die Eroberung Britanniens 17
theilungen. An dem Punkt, von welchem die Abfahrt erfolgt war,
bei Gaesoriacum, wurde dem Claudius später ein Ehrenbogen er-
richtet; von ihm hat sich keine Spnr erhalten. Wie Caesars Portus
Itius wird er in nächster Nähe von Boulogne zu suchen sein,
üeber den oder die Landungspunkte, über den Occupationsplan
und seine Ausführung fehlt uns jede Nachricht. Dennoch ist es
möglich, mit Hülfe der aus der Natur der Sache sich ergebenden
Bedingungen und der sonsther bekannten Grundsätze der römischen
Taktik, sowie mit Benutzung einer besonderen Art monumentaler
Zeugnisse, auch darüber Vermuthungen aufzustellen, welche sich
schwerlich weit von der Wahrheit entfernen werden. Wie einst
Caesar gethan, dessen Landungsplatz übrigens trotz aller darauf ver-
wendeten Mühe und der sinnreichsten Combinationen von Beobach-
tungen über Stürme, Meeresströmungen und Fluthbewegung mit Sicher-
heit nicht zu ermitteln ist, benutzte man unzweifelhaft die im Kanal
herrschenden Südostwinde, um an der schmälsten Stelle desselben
von einer oder mehreren der schlechten nordfranzösischen Rheden
ans so schnell als möglich an die englische Küste zu gelangen. Wo
die erste Landung und Verschanznng des Landungscorps stattfand,
ist gleichgültig; sicher begannen die Operationen mit einer Concen-
tration der gesammten Armee an einem Punkt möglichst in der Mitte
des überhaupt für eine Landung möglichen Theiles der Südküste,
über deren topographische Beschaffenheit man gewiss längst im Besitze
jeder erreichbaren Kundschaft war. Auf einen oder mehreren Punkten
etwa zwischen Dover und Southampton (näher lässt sich das Gebiet
nicht begrenzen) muss die Landung erfolgt sein, auf der durch die „fünf
Häfen" (Sandwich, Dover, Romney, Hythe, Rye) bezeichneten Küsten-
strecke, auf welcher später auch Wilhelm des Eroberers Landung
stattfand. Die fast durchweg unnahbaren Felsenküsten von Comwall
und Devon kamen dabei natürlich nicht in Betracht. Höchst wahr-
scheinlich waren, um eine sichere Grundlage der Kriegführung zu
gewinnen, die Beziehungen zu britannischen Fürsten und Stämmen
dienlich, welche die ganze Expedition eingeleitet hatten. Ein oder
mehrere Lager mussten ja nothwendig nach dem bekannten römischen
Brauch erst errichtet sein, ehe an den weiteren Vormarsch gedacht
werden konnte. Wo haben wir uns die ersten Standlager der Armee
des Claudius zu denken? Schwerlich ist es ein Zufall, dass gerade
an einem fast centralen Punkte der südwestlichen Küste, in Chi-
Hübner, Westeuropa. 2
18 England
ehester, der alten Hauptstadt des Volksstammes der Regni, jetzt
einer der stillen und anmuthigen Kathedralenstädte, wie sie Dickens'
letzter Roman so tlheraus anschaulich schildeil, ein einheimischer
Fürst, der vom Kaiser Claudius das römische Bürgerrecht und den
Titel eines Legatus Augusti erhalten hatte, dem Neptun und der
Minerva zu Ehren des kaiserlichen Hauses einen Tempel errichten
Hess. In dem dem Herzog von Richmond gehörigen Park von Good-
wood steht das Denkmal dieses „Königs" Tiherius Claudius Cogi-
dumnus, wie er sich nennt, unhemerkt von den Tausenden, welche
dort jährlich zu den Goodwood Races zusammenströmen. Tacitus
bezeugt ausdrücklich, dass Claudius dem Könige Cogidumnus einige
Völkerschaften zum Geschenk gemacht und dafs dieser bis auf des
Agricola Zeit den Römern treu ergeben geblieben sei. Dies also
war sicher einer der ersten Punkte, an welchem die Besetzung,
unterstützt durch diplomatische Action, festen Fuss fasste. Ich gebe
nicht viel darauf, dafs unmittelbar südwestlich von Southampton erheb-
liche Reste eines römischen Lagers gefunden worden sind, wonach
man den in den römischen Itinerarien erwähnten Ort Clausentum
nach Bittern bei Southampton setzt. Der Ort hat, wie die meisten
römischen Niederlassungen im Süden Englands und im Norden Frank-
reichs, nur wenig römische Denkmäler aufzuweisen, was auf eine
frühe Gründung und spätere Vernachlässigung schliessen lässt. Doch
ist die Vermuthung nicht abzuweisen, dass der Name Clausentum
eine Bildung aus dem des Claudius sei, etwa für Claudientum.
Wenigstens entspräche dies durchaus dem alten Brauch der römischen
Eroberer. An den alten Atta Clausus, den Stammherm des clau-
dischen Geschlechtes, darf man dabei nicht denken. In Spanien,
Gallien, Germanien bezeichnen Stadtgründungen mit aus den Namen
der siegreichen Feldherren gebildeten Ortsnamen überall den Weg
der Eroberung. Es ist mithin mindestens sehr möglich, dass dieser
Ort gegründet wurde im Anschluss an eine der ältesten Flotten-
stationen in der neuen Provinz und seinen Namen erhielt, um des
Kaisers Landung und siegreichen Feldzug zu verewigen. Unmittel-
bar vor dem „grofsen Hafen" liegt die Insel Wight, deren aus-
drücklich überlieferte Besetzung während der Expedition des Clau-
dius, welche gleich zu erwähnen sein wird, es unzweifelhaft macht,
dafs hier die Operationen begamien.
strafsenbau Den damaligen Kulturstand der einheimischen Bevölkerung im
Die Eroberung Britanniens 19
Süden der Insel darf man sich nicht allzu gering vorstellen. Er
war mindestens dem der vorgeschrittensten unter den gallischen
Völkerschaften zu Caesars Zeit gleich, dem der Germanen der
gleichen Epoche überlegen. In der Zeit von Caesar bis Claudius
sind zahlreiche Münzen von den einheimischen Fürsten nach dem
Fufs der gallischen geschlagen worden. Der Name des sagenbe-
rühmten Cunobellinus, Shakespeares Cymbeline, erscheint unter an-
deren darauf; auch gab es einzelne Städte von verhältnissmäfsigem
Reichthum. Eines aber fehlte sicher, wie überall im Barbarenland,
ehe es der Fufs des römischen Legionars betrat, und zwar das
Nothwendigste für den Vormarsch einer Armee von mindestens
40,000 Mann (ich rechne gleich eine entsprechende Zahl ab für die
Sicherung der Küstenplätze und Flottenstationen): Strafsen. Der
Chef des Genies im Stabe des Kaisers, der römische Praefectus fa-
brum — seinen Namen kennen wir nicht — , gewiss der erste Mann
seines Faches und von hoher wissenschaftlich -militärischer Bildung,
legte unzweifelhaft damals schon den Grund zu dem Strafsennetz,
welches später nach und nach die Insel nach allen Richtungen hin
durchzog. Darin aber zeigt sich die sichere Gewöhnung einer wenn
auch an sich nicht grofsen Zeit, dafs man in solchen Dingen keinen
Schritt umsonst zu thun pflegte. Wir gewinnen mit dieser Erkennt-
nifs die Möglichkeit, aus dem späteren Strafsennetz sowie aus der
Lage der festen Standquartiere, welche gleich damals die Legionen
wenigstens bezogen, den langsam aber sicher vorschreitenden Gang
der Besetzung des Landes selbst zu erkennen. Nordwestlich von
€hichester weiter in's Land hinein liegt das seit der sächsischen
Eroberung und in der Kirchengeschichte hochberühmte Winchester,
damals Venta, der Hauptort der mächtigsten unter den südenglischen
Völkerschaften, der Belgae, unzweifelhaft eines früh erstarkten Ab-
legers des gleichnamigen festländischen Stammes. Dort ist ein kleiner
Altar gefunden worden (er steht jetzt im brittischen Museum), ge-
setzt von einem Ordonnanzoffizier (würden wir sagen) des Statt-
halters der Provinz den italischen, germanischen, gallischen und
brittischen „Müttern''. Aus den Männern dieser vier Regionen be-
stand der Kern des Heeres. Hier kann mit hoher Wahrscheinlich-
keit der erste Sitz des Armee- (und natürlich auch Provinzial-) Ober-
kommando's angenommen werden. Die Lage ist so systematisch
gewählt wie möglich: just die Mitte zwischen den tief einschneiden-
2*
20 England
den Mündungen der Themse . östlich und des Severn westlich, in
gerader und gewiss völlig gesicherter Verbindung mit dem durch die
davorliegende Insel Wight so unvergleichlich geschützten Hafen von
Southampton, dem alten Clausentum. Von Venta aus führt die
spätere Strafse in gleicher Richtung nach Calleva, der Stadt des
Verica (Silchester) ; auch darin mag, wer will, blolsen Zufall sehen.
Von hier aus erfolgte später der weitere Vorstofs gleichzeitig nach
Osten und nach Westen, immer auf den durch die üeberlieferung
der Reichsitinerare und zahlreiche üeberreste uns hinlänglich be-
kannten Strafsenzügen, welche noch über das Mittelalter hinaus unter
mannigfach wechselnden Namen die Hauptverkehrsadern des Landes
geblieben sind.
schLldun^s- Sowcit siud die Grundzüge der Eroberung topographisch mit
Schlacht einiger Wahrscheinlichkeit festzustellen. Wo die entscheidende Schlacht
stattfand, zu welcher des Kaisers Anwesenheit erwartet wurde, ist
weniger sicher. Der Bericht des Dio ist verständlich und in sich
zusammenhängend. Gesagt ist nur, dafs zuerst Caratacus, dann
Togodumnus, die Söhne des Trinovantenfürsten Cunobellinus und
Brüder des Adminius, einzeln geschlagen wurden, nicht aber wo. Sie
können sehr wohl dem von Verica und den Atrebaten geführten Heer,
das sie zuerst durch die bekannte Taktik des Zurückweichens in
Wälder und Sümpfe weit in das Land gelockt hatten, auf dem Marsche
gegen Camalodunum an verschiedenen Stellen in den Weg getreten
sein. Hierauf wird eine Völkerschaft unterworfen, die in einem Ab-
hängigkeitsverhältniss stand zu den Catuellaunen, iden alten Gegnern
der Trinovanten, und eine Besatzung bei ihnen zurückgelassen, wahr-
scheinlich in Glevum (Gloucester). Sie heifsen bei Dio Boduner;
genau in derselben Gegend, als unmittelbare Nachbarn der Atrebaten
nach der Seite der Silurer zu, nennt die Lisie, des Ptolemaeos
Dobuner oder Lobuner. Die Identification der Boduner und Dobuner
liegt so nahe, dafs sie bisher von fast allen, dife sich mit diesen
Fragen beschäftigt haben, angenommen worden ist. Aber wie man
auch über sie denkt, dafs diese Ereignisse im westlichen Britannien,
etwa in der Umgebung des Bristolkanals, sich abspielten, kann nicht
bezweifelt werden. Unsicher bleibt aber der Fluss, den die schwimm-
kundigen Bataver zur Ueberraschung der Barbaren durchschwammen;
er wird ausdrücklich von der nachher genannten Themse unter-
schieden. Man kann daher sehr wohl an den Avon (alt wohl Abona) .^
Die Eroberung Britanniens 21
denken. Hier erfochten Vespasianus und sein Bruder Sabinus, nach-
her Hosidius Geta an der Spitze ihrer Legionen Siege. Die alten
Biographen Vespasians haben verzeichnet, offenbar auf Grund einer
Triumphalinschrift des Kaisers, dafs er als Befehlshaber einer der
Legionen des Claudius in Britannien dreifsig Treffen geliefert,
zwei tapfere Völkerschaften und über zwanzig Ortschaften der-
selben, endlich, wie schon gesagt, die Insel Wight unterworfen
habe, und zwar theils unter dem Oberkommando des Kaisers selbst, .
theils unter dem des Aulus Plautius. Der Besitz von Wight war
gewiss eines der ersten Ziele der Eroberung: ich vermuthe, dafs
ihre Unterwerfung noch im ersten Jahre unter dem Kommando des
kaiserlichen Hauptquartiers erfolgte. Aus der Lage der Insel vor
dem grofsen Hafen, dem von Southampton, folgt mit grofser Wahr-
scheinlichkeit, dafs der Vormarsch von diesem ziemlich weit westlich
gelegenen Punkte aus erfolgte. Unter Plautius wird Vespasianus
dann in den folgenden Jahren seine übrigen Thaten verrichtet haben.
Nach den ersten Niederlagen weichen die Barbaren nach Osten zurück,
zu ihren alten Wohnsitzen nördlich der Themsemündung. Abthei-
lungen der Flotte werden vorher von Westen her in den Bristol-
kanal, nachher von Osten in die Themsemündung einfahrend den
Feldzug unterstützt haben. Hier erst erfolgte die entscheidende
Schlacht, zu welcher die Ankunft des Kaisers erwartet worden war.
Unmittelbar daran schliefst sich die Einnahme der Königsburg des
Cnnobellinus, Camalodunum, so genannt nach dem britannischen
Kriegsgott Camalus, worauf der Kaiser, nach nur sechszehntägigem
Aufenthalt auf der Insel, nach Gallien zurückkehrt. In diesem Be-
richt Dio's ist nichts, was über die durch Ort und Zeit gegebenen
Schranken hinausginge. Auf jenem Siegeszuge fand die Nieder-
werfung der elf Könige statt, welche die Inschrift des dem Kaiser
nachher in Korn errichteten Triumphbogens erwähnt.
Als der nördlichste Punkt, welcher auf der Ostseite der Insel ^»™^i<^^"-
' num
im ersten Jahre der Eroberung erreicht wurde, ist hiernach Cama-
lodunum anzusehen. Sicher ist, dafs dort dem Claudius noch bei
seinen Lebzeiten ein Tempel errichtet wurde, wahrscheinlich zugleich
mit der Göttin Roma und der Venus oder Victoria; denn so hiefs
bekanntlich die römische Venus als Stammmutter der Aeneaden und
des julischen Kaiserhauses. Das war der Mittelpunkt für den sofort
eingerichteten Provinzialkultus, ähnlich wie für das germanische
22 England
Grenzland der Altar des Augustus in der Ubierstadt Köln, für
Gallien der des Claudius bei Lyon am Zusammcnfluss von Bhone
und Saöne, fttr Hispanien der Tempel des Augustus in Tarragona.
Camalodunum hiefs danach in der amtlichen Sprache Golonia Yictrix.
In dem austemberühmten Golchester, das an seiner Stelle liegt, ist,
aufser der hohen Lia^e des alten Kastells mit seinem weiten Blick
über die Marschen und Küsten, einigen Mauerresten und den üb-
lichen Zeugen römischer Niederlassungen, Bronzen, Grabsteinen und
Geräthscherben, die ein sauberes städtisches Museum bewahrt, nicht43
vom alten Glanz der barbarischen Zeit zu sptlren. Ein schöner
Grabstein eines Centurionen der zwanzigsten Legion, mit dem Belicf- '
bild des Verstorbenen in ganzer Figur, ein anmuthiges Kunstwerk
wohl noch aus neronischer Zeit, bezeugt die militärische Bedeutung
der Stadt. Als eine Folge der Besetzung von Camalodunum wird
die Unterwerfung der nächst wohnenden Stämme, wie der Diener,
^ anzusehen sein. Bir König Prasutagus erscheint wie der der Begner
Cogidumnus unter den von Bom abhängigen britannischen Fürsten.
Bleiminen Wie woit uach Wcstcu in das Land hinein der Vorstofs der
Armee in den Jahren der ersten Statthalterschaft zu dauernder
Unterwerfung führte, ist nicht unmittelbar bezeugt. Doch lässt sich
dafür auf anderem Wege ein Zeugniss gewinnen. Seit den Tagen
des Pytheas von Massalia, des ersten Griechen, welcher das äufserste
Thule erreicht zu haben sich rühmte (gemeint sind damit die Orkney-
Inseln), ist der Beichthum der Berge des fernen Britanniens an edlen
und unedlen Metallen und seiner Meere an Perlen von Dichtem und
Prosaikern mit märchenhafter Uebertreibung gefeiert worden. Auch
Caesar zog es wenigstens mit in seine Berechnung, als er die britan-
nische Expedition unternahm, dafs damit möglicher Weise dem Beiche
ein zweites Hispanien als eine neue, unerschöpfliche Quelle des
Beichthums erworben werden könne. Und soviel steht ja fest^dafs
das Zinn und Blei, welches die zuerst vielleicht von den PhoeiUKiem,
dann von der einheimischen Bevölkerung eifrig bebauten und arg-
wöhnisch abgeschlossenen Minen von Comwall und Devon nach den
Scilly-Inseln lieferten, unter den Ausfuhrartikeln der Insel seit un-
vordenklicher Zeit die erste Stelle einnahm. Am östlichen Ufer der
Sevenimündung und südlich vom Avon, in dem nördlichsten Theil
des heutigen Somerset, liegt der noch jetzt bebaute Minenbezirk der
Mendiphügel. Dies war das erste von den Bömern in Betrieb ge-
Die Eroberang Britanuiens 23
noiTimene britannische Bergwerk; die Bergwerke von Devon und
Cornwall liefs man, wie bei der Landung, vor der Hand links liegen.
Die einzigen römischen Orte in jenen Gegenden, Durnovaria, das
spätere Dorchester, der Hauptort der Durotriger, von welchen die
Grafschaft Dorset ihren Namen hat, und die Stadt der Dumnonier
Isca, Exeter, scheinen erst viel später einige Bedeutung erlangt zu
haben. Aber in den Mendiphügeln sind seit dem sechzehnten Jahr-
hundert nach und nach etwa vierzig Bleibarren zum Vorschein ge-
kommen mit lateinischen, in die Gussform gestempelten Aufschriften.
Diese Aufschriften enthalten zum weitaus gröfsten Theil die Namen des
regierenden Kaisers als des rechtmäfsigen Besitzers der Minen (doch
kommen auch Namen von Privaten vor) und den des Bergwerks;
daneben findet sich zuweilen die Angabe, dafs das Metall aus silber-
haltigem Erz gewonnen sei. Die Barren wechseln im Gewicht
zwischen rund 50 und 225 englischen Pfunden; die jüngsten Kaiser-
namen, welche auf den bis jetzt vorliegenden sich finden, sind die
des Marcus Aurelius und Lucius Veras. Der älteste Barren aber,
jetzt im brittischen Museum, im Gewicht von 163 Pfund, trägt den
Namen des Britanniens und das Jahr 49 n. Chr. Also bereits sechs
Jahre nach der Invasion ist der Name des damals siebenjährigen Thron-
folgers, der schon in seinem vierzehnten Jahre starb, sicher mit Zu-
stimmung des Kaisers, dessen eigener Name wohl nur aus Zufall
bisher noch auf keinem Barren gefunden worden ist, diesem Er-
zeugniss der neuen Provinz aufgestempelt worden. Bis dahin ist
mithin die Besetzung gleich in den ersten Jahren vorgeschritten. Ob
dagegen das im westlichen Binnenlande etwa auf gleicher Höhe mit
Colchester gelegene Glevum (Gloucester) schon damals dauernd be-
setzt worden ist, muss nach den vorliegenden Berichten bezweifelt
werden; erst sieben Jahr später wird von einem gegen die Si-
lurej^errichteten Legionslager berichtet, womit nur Glevum gemeint
^ein Kann. Man wird die Linie Bath (Aquae Sulis), Silchester
(Calleva), London (Londinium) mit der vorgeschobenen Festung Col-
chester mit Wahrscheinlichkeit als die erste bezeichnen können, bis
9
ZU welcher die neue Provinz sich erstreckte.
Bereits im Jahre 44, also ein Jahr nach dem Aufbruch, ist der ^f^gSJ,^;
Kaiser wieder in Rom und feiert den britannischen Triumph. Sechs ""^p*i
Jahre später war auf dem Marsfeld schon zur Erinnerung an diesen
Triumph der prachtvolle Bogen errichtet, dessen Reste noch im fünf-
24 England
zehnten Jahrhundert den Corso beim Palast Sciarra sperrten. Die
grofsen Kcliefs desselben, die Parade der Armee vor dem Kaiser
und seinen Generalen darstellend, steif und ernst und ohne Anmuth,
sind theilweise noch erhalten und in der offenen Eingangshalle der
Villa Borghese zn sehen. Die Inschrift des Bogens, eine gewaltige
Marmorplatte mit grofsen, aus Erz eingelegten Buchstaben, ist nur
zur Hälfte noch vorhanden; sie befindet sich in einer Terrassen-
wand neben dem Palast Barberini eingemauert. Der Kaiser rühmt
sich darin, ohne jeglichen Verlust elf britannische Könige besiegt
und unterworfen und zuerst die Barbaren jenseits des Oceans dem
Beiche einverleibt zu haben. Auch Weihgeschenke wurden dem K^ser
in Kom für die glückliche Heimkehr und den Sieg aufgestellt. Den
Siegesnamen Britannicus aber lehnte Claudius für seine Person ab,
auch darin seinen Stiefgrofsvater Augustus nachahmend; ihn führte
seitdem der schon erwähnte unglückliche Sohn der Messalina, zuerst
Germanicus genannt. Von einem zweiten Bogen, der dem Kaiser
an der gallischen Küste da errichtet wurde, wo die Expedition hin- ^
übergegangen war, ist schon gesprochen worden. Auch in den
übrigen Provinzen des Reichs wurde der Sieg gefeiert. In Kyzikos
wurde dem Claudius ein Ehrenbogen errichtet, zugleich mit seinen
Vorgängern Augustus und Tiberius, dessen Aufschrift ihn, wie diö*
Aufschrift des Triumphbogens in Rom, als den Besieger von elf bri-
tannischen Königen feiert.
Der erste Statthalter von Britannien, Aulus Plautius, verwaltete
die neu erworbene Provinz, das heifst also den südlichsten Abschnitt
der Insel, noch weitere drei Jahre; bei seiner Heimkehr wari ihm
die Auszeichnung der Ovation oder des kleineren Triumphs zu Theil.
Dies Ergebniss spricht deutlicher als Schlachtberichte: die Expedition
muss so wohl vorbereitet gewesen und mit solchem Glück geleitet
worden sein, dafs sie vollkommen gelang.
Claudius, der Wasserkopf mit dem schielenden Blick und der
schweren Zunge, der Spott der Zeitgenossen, der das Sprichwort
wahr gemacht hatte, dafs man entweder als König oder als Tropf
zur Welt kommen müsse, er hatte wie spielend erreicht, woran
Caesars Glück und Augustus* Vorsicht gescheitert waren; er konnte
sich in der Rede, welche auf den grofsen Erztafeln des Museums
von Lyon, seiner Vaterstadt, erhalten ist, rühmen, das Reich über
den Ocean hinaus erweitert zu haben. In der römischen Anthologie
Die Verwaltung von Nero bis auf Hadrian 25
stehen nicht weniger als acht mehr oder weniger gelungene Epi-
gramme der Hofpoeten, welche das Ereigniss feiern. In einer der
geistreichsten, aber boshaftesten Satiren aus dem Alterthum, die wir
haben, in des jüngeren Seneca Apotheose oder Apokolokyntose (das
heifst Verkürbissung) des Claudius, lässt der Verfasser ein Trauer-
loblied auf ihn singen, als er auf des göttlichen Angustus Antrag
und den einstimmigen Beschluss aller Grötter aus dem Olymp, in
den er eben nach seiner Consecration eintreten soll, hinausgeworfen
und in den Orcus abgeführt wird. In diesem wird unter Anderem
gesagt, mit deutlicher Anspielung auf die ruhmredige Aufschrift des
Triumphbogens: „Er befahl, den Britannien! jenseit der Gestade des
bekannten Meeres und den Briganten mit ihren blauen Schilden den
Hals mit den römischen Ketten zu beschweren, und liefs selbst den
Ocean vor dem neuen Gebot der römischen Beile erzittern".
n.
Die Verwaltung von Nero bis auf Hadrian.
Es ist nicht meine Absicht, hier einen historisch-antiquarischen
Commentar zum Agricola des Tacitus vorzulegen. Freilich giebt es
keinen der Art, auf welchen verwiesen werden könnte, und der oft,
besonders von englischen Militärs gemachte Versuch, wie von dem
General Roy im vorigen Jahrhundert, die Erzählung des Tacitus mit der
Oertlichkeit in üebereinstimmung zu bringen, stöfst auf grofse
Schwierigkeiten. In kurzen Zügen hat der unerreichte Meister im
rhetorisch -poetischen Stil der Historiographie von jedem der Vor-
gänger des Agricola und seiner Thätigkeit, von den Fortschritten der
Besetzung und Unterwerfung des Landes ein scharf umrissenes Bild
gegeben, dessen Umrisse wiederum durch die allgemeine Analogie
des anderswo ähnlich Ueberlieferten, durch Denkmäler und Inschriften
Farbe und Leben gewinnen. Allein die Lösung dieser Aufgabe
fordert gi'öfseren Raum und weiteres Ausholen. Hier soll es ge-
nügen, gleichsam das Skelett der Ereignisse zu geben und die lei-
tenden Grundsätze der fortschreitenden Eroberung darzulegen, ohne
die der Geschichtschreibung vorbehaltene eingehende Schilderung der
Personen und der unter den verschiedenen Kaisem mit wechselndem
Glücke geführten Kämpfe.
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26 England
^ Städte*^ Etwa eiu Deccuiiium nach dem Beginn der Besetzung hatte eine
hinreichende Anzahl von Legionaren ihre Dienstzeit beendet und es
musste für die Ansiedelung dieser Veteranen in der neuen Provinz
gesorgt werden, um auf "diese Weise, nach den bekannten Grund-
sätzen römischer Verwaltung, einen sesshaften Kern der Bevölkerung
zu gewinnen, aus dem sich, neben und im engsten Anscliluss an die
befestigten Lagerplätze der Truppen, städtisches Leben mit Handel
und Gewerbe, Unterricht Hud Künsten entwickeln konnte. So sind
überall die römischen Lc^erstädte entstanden, deren rechtwinkelige
Anlage wenigstens in Strafsen und Thoren, Mauern und Thürmen
von so mancher modernen Stadt erkennbar ist, wo nicht der Wüsten-
sand allein sie bedeckt un4 in fast unberührter VoUständigkeit be-
wahrt hat, wie in der französischen Strafcolonie Lambessa, dem alten
Lambaesis, in Algier. Die erste Veteranencolonie in Britannien,
unter dem nächsten Nachfolger des Aulus Plautius zu Nero's Zeit
gegründet, war die von Camalodunum, das wegen der erwähnten
Stiftung eines gemeinsamen Kultus für die Provinz dasellbst die erste
Hauptstadt der neuen Provinz geworden sein muss und seinen Cha-
rakter als befestigtes Standquartier der vierzehnten Legion, der
Bändiger von Britannien, wie sie im Heere hiefsen, nach und nach
verlor. Tacitus hebt ausdrücklich hervor, dafs die Veteranencolonie
unbefestigt war, als sich der Aufstand der Dcener zunächst gegen sie
wendete. London, schon damals gewiss der wichtigste Handelsplatz
des Landes, wurde wahrscheinlich sogleich der Sitz eines römischen
Zollamtes für die von den gallischen und germanischen Kaufleuten
eingeführten Waaren und erhielt eine Flottenstation. Die anderen
alten Königsburgen der einheimischen Fürsten, wie die Burg der
Kantier, Durovemum (Canterbury), Calleva (Suchest er), Verulamium
(Verulam bei St. Albans), Duroconiovium (Cirencester, westlich von
Oxford), und andere, sind nie bedeutende römische Städte geworden.
Wo die alten Erdwerke der Lagerbefestigungen einigermafsen aus-
gebaut wurden und erhalten blieben, zeigt der stehende und sehr
begreifliche Brauch der sächsischen Eroberer an, welche alle solche
Orte ausdiücklich Castrum (ceaster) nannten, die alten, in natürlich
befestigter Lage, meist hoch gelegenen Orte ohne römische Werke
aber als Burgen (wie Canterbury, Shrewsbury, Peterborough) oder
wenigstens mit ihren alten Namen, ohne den Zusatz — ehester be-
zeichneten. Keineswegs darf man aus dem in den englischen Orts-
Die Verwaltung von Nero bis auf Hadrian 27
namen so ungemein häufigen Bestaudtheil ehester schliefsen, dafs es
ebensoviel römische Festungen im eigentlichen Sinne des Worts, be-
festigte Lagerplätze mit stehender Besatzung, in der Provinz gegeben
habe. In diesem Sinne ist in dem südlichen Theile der Insel aufser Gievum
Colchester nur noch eine römische Festung nachweisbar, Gievum,
ein alter Ort des Stammes der Dobuner, von den Sachsen Gleavan-
ceaster genannt, das heutige Gloucester, ein Name, dessen Klang
uns aus der geschichtlichen üeberlieferung weniger vertraut ist, als
aus Shakespeare* 8 Dichtungen. Wir wissen jetzt (es ist erst vor
Kurzem durch eines bescheidenen Lokalforschers Verdienst zu völliger
Evidenz gebracht worden), dafs dort wahrscheinlich gleich von An-
fang an eine andere von den britannischen Legionen, die zweite Au-
gusta genannte, ihr erstes Standquartier erhielt, an das sich wohl
ebenfalls früh eine Veteranencolonie anschloss. Merkwürdiger Weise
liegt Gloucester, wie ein Blick auf die Karte zeigt, westlich fast
genau auf demselben Breitengrade wie im Osten Colchester, und
beide fast ganz gleich weit entfernt von Calleva (Silchester), dem
ersten Knotenpunkt der beiden grofsen Hauptstraf sen, welche im
Osten und Westen der Insel nordwärts führten. Vielleicht bildete
also die Linie Gloucester -Colchester die zweite Nordgrenze der in-
zwischen dui'ch erweiterte Strafsenzüge und neue Flottenstationen an
beiden Küsten fester zusammengefassten Provinz. Bei oberflächlicher
Betrachtung kann es freilich scheinen, als ob weder Camalodunum noch
Gievum als die ersten Standquartiere der vierzehnten und der zwan-
zigsten Legion anzusehen seien, sondern als das jener vielmehr die britan-
nische Stadt Viroconium, bei dem heutigen Wroxeter unweit Shrews-
bury in Shropshire, im westlichen Theil des Landes. Man hat
diesen kleinen Ort mit einiger üebertreibung ein brittisches Pompeji
genannt. Es steht daselbst allerdings ein grofses Stück eines rö-
mischen Bauwerks aus der spätesten Zeit der römischen Herrschaft,
und Reste von ziemlich ausgedehnten Villen und Bädern, die Grab-
steine zweier Soldaten der vierzehnten und eines der zwanzigsten
Legion, sowie der eines thrakischen Reiters sind innerhalb des alten
Mauerrings gefunden worden. Dennoch ist Viroconium niemals Stand-
lager einer oder mehrerer Legionen gewesen, wie seine ganz ungleich-
mäfsige ovale ümwallung und seine Ueberreste deutlich zeigen; hat
auch später nie den Titel Colonie erhalten. Dafs einige Soldateu-
grabsteine daselbst gefunden worden sind, beweist so wenig für die
28 England
Colonie wie die weit zahlreicheren Funde gleicher Art für Londinium
oder Aquae Sulis (Bath). Jene Legionare scheinen während der Expe-
dition des Paullinas nach Mona, die gleich zu erwähnen ist, gefallen
zu sein; in beiden erscheint die Legion ohne die Beinamen Martia
Victrix, welche sie erst nach der Wiedereroberung von Camalodunura
erhielt. Sie gehören also in die frühere Zeit der Besetzung. Aber
Viroconium liegt so weit nördlich über die Linie Gloucester-Col-
chester hinaus, dafs nur zwingende Gründe dazu veranlassen könnten,
schon damals eine solche Ausdehnung der Eroberung anzunehmen.
Etwas südlich von Gloucester, bei Aylburton, sind hoch am
Severn gelegene Reste des grofsen Heiligthums eines britannischen
Gottes Nodon gefunden worden; eine merkwürdige und in ihrer Art
fast allein stehende Anlage.
«ca^'^üa ^^^ festen Standlager der Legionen waren die natürlichen Stütz-
punlite für die weiteren Operationen. Die übrigen Legionen und
sämmtliche Auxilia zu Fufs und zu Boss waren in vorübergehend
errichteten Lager- und Gamisonplätzen vertheilt; jeder Vormarsch in
feindliches Gebiet suchte natürlich sogleich wieder im Kleinen, wie
für das ganze Land im Grofsen, feste Stützpunkte zu gewinnen.
Von Gloucester erfolgte der Vorstofs gegen Wales, das schwer zu-
gängliche Bergland der Silurer und Ordoviker; die SilurerstÄdte
Venta (Caerwent, nicht zu verwechseln mit dem belgischen Venta in
Südengland) und Isca, im dritten Jahrhundert das Standquartier der
zweiten Legion, daher Caerleon, Castra Legionis — Caer ist die
welsche Umformung von Castra — in Südwales bezeichnen wohl unge-
fähr die erste Marschrichtung. Aus dem Bericht des Tacitus über
die Feldzüge des Ostorius Scapula, des Nachfolgers des Plautius,
ebenfalls eines vorzüglichen Offiziers, geht nur soviel deutlich hervor,
dafs er auf den beiden Kriegsschauplätzen, im Osten, auf Camalo-
dunum gestützt, gegen die Ikener, im Westen, auf Glevum gestützt,
gegen die Siluren, mit ungefähr gleichem Erfolge vorging. Während
Gamalodunum zur Colonie erhoben und mit zuverlässigen Veteranen
besiedelt wird, legt der Lagerpräfect der zwanzigsten Legion im Lande
der Siluren zerstreute Kastelle an, deren Besatzungen in der Vereinze-
lung theilweis unterliegen, bis die zusammengenommene Kraft der Le-
gionen die Feinde zurückwirft. Leider ist die einzige Ortsangabe für
diese Kämpfe in der Handschrift der Annalen des Tacitus verderbt
überliefert. Alle bisherigen Versuche den Namen des hier genannten
Die Verwaltung von Nero bis auf Hadrian 29
Flusses wieder herzustellen sind missglflckt: der neueste, der den
Antonafluss bei Southampton annimmt, führt zu weit nach Süden.
Das Wahrscheinlichste bleibt, dafs Ostorius in dem weiten Gebiet
zwischen Camalodunura und der Sevemmündung nach dem alten rö-
mischen Brauch Kastelle anlegte, ohne dafs daraus dauernde Nieder-
lassungen hervorgingen. Der Feldzug des Scapula endet zwar mit
der von Tacitus in den Annalen eindrucksvoll geschilderten Nieder-
lage der Britannier und der Gefangennahme ihres Fürsten Caratacus,
des Caradoc der Sagen von Wales, aber keineswegs mit der wirk-
lichen Besetzung des Landes, die erst zwanzig Jahr später durch-
geführt worden^ ist. In den nächsten sechs Jahren wurden die Gren-
zen der Provinz nicht erweitert. Erst Suetonius Paulliuus, ein ehr- suetonius
Paiillmus
geiziger Führer, voll Tapferkeit, der Rival des Corbulo, aber ohne
die nöthige Vorsicht, gewinnt, so scheint es, beträchtlich weiter
nördlich, an der Flussmündung des Deva, ein neues Standquartier
für die dritte der britannischen Legionen: es führte damals den
gleichen Namen wie der Fluss und hiefs später nur das Lager
schlechthin: Castra, ehester. Aus dieser ersten Zeit der Colonie ehester
sind zahlreiche Grabsteine von Legionaren, sämmtlich der zwanzigsten
Legion, erhalten. Bei der Erweiterung der Befestigungen im dritten
Jahrhundert sind sie in die nördliche Stadtmauer verbaut worden.
Paullinus versuchte es von da aus den Kanal von Bangor, den jetzt
die berühmte Eisenbahnbrücke überspannt, zu überschreiten und das
Eiland Anglesey, das alte Mona, den Hauptsitz des keltischen Gottes-
dienstes, zu erobern. Er mag sich das öde Felsplateau gröfser und
mächtiger vorgestellt haben, als es in Wahrheit ist. Segontium (Gaer
Seiont) wird damals schon von ihm zum Schutz des Uebergangs an-
gelegt worden sein. Inzwischen aber brach im Jahre 61 im Osten
der Insel, und zwar mit richtiger Berechnung von Seiten der Em-
pörer in Camalodunum selbst, in dessen Lager nur eine schwache
Garnison geblieben war, die erste und höchst gefährliche Rebellion
der unterworfenen Fürsten und Völker gegen das römische Joch aus.
Ihre Schilderung durch Tacitus hat strengen Tadel erfahren. Seine
Leser brachten den Dingen nicht das sozusagen technische Interesse
entgegen, wie wir es zu thtin pflegen; ihm selbst lag nur daran, die
Thatsachen wirkungsvoll zu verknüpfen. Ursachen aber und Wirkung
legt er gewiss richtig in ungefähr folgender Weise dar. Die Aus-
bebung und die Besteuerung, beide oft mit Gewalt und Erpressung
30 England
verbunden, machten den sonst meist der Ruhe geneigten gemeinen
Mann den hochfliegenden Plänen der Königin der Ikener Boudicca
willig. Sie seien vom Regen in die Traufe gekommen, hiefs es schon
damals; statt eines Fürsten hätten sie jetzt deren zwei, den Legaten
und den Procurator des Kaisers; der eine nimmt die Söhne vom
Pflug weg, der andere das Geld aus dem Kasten und das Korn aus
der Scheuer. Schamlose Unbill von Seiten der kaiserlichen Beamt<in
gegen das Fürstenhaus und frecher üebermuth der Veteranen gegen
die Gemeinden trugen das Ihrige bei. Wunder und Zeichen halfen
nach, die Menge zu fanatisieren : das Bild der Siegesgöttin im Tempel
des Claudius sollte von seinem Postament herabgestürzt sein oder
auch sich umgewendet haben, als wolle es weichen. Kurz, Besatzung
und Veteranen, damals, wie ausdrücklich gesagt ist, durch keine Be-
festigung geschützt, werden niedergemacht. Petillius Cerialis, der Legat
der nächsten Legion, der neunten, der zuerst gegen die Empörer
vorrückt, wird geschlagen und vermag sich kaum in Verschanzungen
mit dem geringen Rest seiner Truppen zu halten, bis endlich Sue-
tonius Paullinus mit einem Theile des Heeres erscheint. Er muss
blühende Städte, Londinium und Verulamium, und ihre römische Be-
völkerung der Rache und Beutelust der Barbaren preisgeben, um
seine Kräfte nicht zu zersplittern. Aber es gelingt der überlegenen
Taktik des römischen Heeres den Aufstand im Keime zu ersticken
und durch eine einzige siegreiche Schlacht die ganze Provinz dem
Reiche zu erhalten. Das Alles erzählt Tacitus, weit ausführlicher
und anschaulicher als im Agricola, in den Annalen, aber freilich
mit jenem dem rhetorisch -poetischen Stil eigenem Vermeiden fast
aller Ortsangaben, welches das Verständniss der Erzählung sehr er-
schwert. Dem Tacitus dient die Erzählung dieses und ähnlicher
Ereignisse aus Nero's Zeit dazu, auch die politische Verkommenheit
der Monarchie neben dem Sittenverfall der höchsten Stände zu be-
weisen. Aber wenn auch der Stern der julischen Dynastie im Sinken
war, so zeigen diese Ereignisse doch vielmehr, dafs deshalb das
Reich noch keineswegs in seinen Grundfesten, dem Heer und der
Verwaltung, wankte. Eine dauernde Hemmung der Eroberung von
Britannien ist durch jene wenn auch sehr gefährliche Episode nicht
eingetreten; ehester scheint nicht einmal aufgegeben worden zu sein.
Erhebliche Verstärkungen von Auxiliartruppen sind damals nach Bri-
CeriaUa^ taunieu gesendet worden. Der erste Legat Vespasians, Petillius
Die Verwaltung von Nero bis auf Hadrian 31
Cerialis, derselbe, welcher soeben erst die neunte Legion in Bri-
tannien kommandiert hatte, drang im Osten der Insel von Colchester
aus gegen den mächtigsten und kriegerischesten aller britannischen
Stämme, die Briganten, vor. Ihr Name wird von Seneca und Ta-
citus auch für die frühere Zeit schon als fast dem der Britannier
gleichbedeutend gebraucht, solchen Eindruck hatte er in Rom hinter-
lassen; mit dem modern italienischen brigante, Räuber, stimmt er nur
zufällig im Laut überein. Vespasian, der die Schwierigkeiten der
Aufgabe ans eigener Erfahrung kannte, sandte die von ihm im Jahre 70
neu aus Flottenmannschaften errichtete zweite Hülfsiegion, die Secunda
Adiutrix, aus ihren Quartieren in Pannonien sofort nach England,
zum Ersatz für die vierzehnte, welche inzwischen zum Kriege gegen
den Bataver Civilis nach Germanien zurückbeordert worden war und
seitdem dort geblieben ist. Der zweiten damals zuerst und nicht
auf lange Zeit nach Britannien versetzten Legion erwarb Cerialis ein
festes Standquartier in der Colonie Lindum, das davon noch heute
seinen Namen Lincoln führt. Zu Anfang von Domitians Regierung
stand sie schon wieder in Pannonien; ihr Aufenthalt in England fällt
also in die Zwischenzeit. Nur in Lincoln sind einige Grabsteine von
Soldaten dieser zweiten Legion gefunden worden; daher liegt es am
nächsten, ihren zeitlich begrenzten Aufenthalt mit dem Feldzug der
Cerialis in Verbindung zu bringen. Es ist wahrscheinlich, wenngleich
nicht mehr durch Denkmäler zu erweisen, dafs die vier Legionen,
welche in den ersten Jahren nach der Besetzung wohl noch wechselnde
Winterlager bezogen, mindestens seit der Verwaltung des Scapula,
also zu Nero*s Zeit, schon feste Standquartiere bezogen hatten.
Nach der älteren, erst von Domitian abgeschafften Ordnung lagen jQ
zwei Legionen in einem Lager; wo diese frühesten Doppellager sich
befanden, ist nicht zu ermitteln. Aber da es feststeht, dafs die
vierzehnte in jener zweiten Epoche, bis sie unter Nero aus Britannien
wegverlegt wurde, zu Camalodunum lag, so wird höchst wahrschein-
lich die neunte hispanische, die wir auch später im Osten finden,
nicht allzuweit davon ihr erstes Quartier gehabt haben. Man kann
an Calleva, die Stadt der Atrebaten, denken, die wohl wie Camalo-
dunum von Anfang an ein Stützpunkt der Eroberung war, ihrer
Lage nach und wegen der Beziehungen zu dem Atrebatenfürsten
Verica. Aus ähnlichen Gründen wird man das erste Standquartier
der zwanzigsten Legion in dem westlichen Theil der Insel, etwa
32 England
zwischen dem der neunten und dem der zweiten, Glevum, wie oben
vermuthet wurde, ungefähr in der Gegend von Durocornovium (Giren-
cester) und den Bädern der Sulis (Bath) suchen müssen. Dort sind
in der That die ältesten Inschriften von Soldaten der Legion ge-
Agricoia fuuden wordcu. Hier also hätte dann Agricola im Jahre 69 den
Befehl tiber die Legion übernommen. Er war von Licinius Mucianus,
dem Reichsverweser Vespasians, dazu ausersehen worden, in der ihm
schon durch die rudimenta castrorum im Contubernium des Suetonius
Paullinus bekannten Provinz sich weiteren Ruhm zu erwerben und
die Truppen dem Vespasian zuzuführen. Nachdem sein Vorgänger
Roscius Coelius im Streit mit dem Legaten Trebellius Maximus den
üebermuth der Truppen gefördert hatte, fiel ihm zunächst die schwie-
rige Aufgabe zu, die Disciplin wiederherzustellen. Unter Vettius
Bolanus, dem wenig thatkräftigen Nachfolger des aus der Provinz
herausgeärgerten Maximus, bot sich noch keine Gelegenheit zu krie-
gerischen Thaten. Erst unter dem Petillius Cerealis, dem einstigen
Legaten der neunten Legion, häbuerunt virtutes spatium exemplorum.
Leider ist auch hier die Schilderung dieser Thaten im Agricola zwar
wie immer voll der glücklichsten und gewähltesten Wendungen, aber
ohne alle topographische Grundlage und ohne thatsächliche Angaben.
Deutlich aber sehen wir, wie die Legion im Westen Fufs fasst,
schon ehe sie zu Ende etwa des ersten oder zu Anfang des zweiten
Jahrhunderts ihr bleibendes Standquartier in Deva (Chester) erhält,
neben welchem wahrscheinlich bald jene Lagerstadt erwuchs, die den
Namen des Lagers bis heute führt. Dort sind die meisten ihrer
Denkmäler im südlichen Theil der Insel überhaupt gefmiden worden;
nur hier finden sich die Ziegel derselben; von hier aus hat sie durch
Vexillationen und Gehörten die praesidia und casteUa längs der west-
lichen Küste anlegen helfen, wie unter Anderem ihre Arbeit in den
Steinbrüchen jener Gegenden zeigt. Lindum und Deva liegen vdede-
rum, wie Gamalodunum und Glevum, in fast genau gleicher Breite,
das eine zwischen der grofsen Bucht der flachen Ostküste, the Wash,
und der hafenähnlichen Flussmündung des Humber, das andere,
Chester, zwischen den Mündungen des Dee und Mersey, dem heutigen
Hafen von Liverpool, also an möglichst günstigen Punkten für den
Seeverkehr. Inzwischen hatte Sextus Julius Frontinus, der Nach-
folger des Cerialis im Kommando, einer der vorzüglichsten von Ves-
pasians Offizieren, der gelehrte Verfasser uns erhaltener Werke
Die Verwaltung von Nero bis auf Hadrian 33
kriegswissenschaftlichen und technischen Inhaltes, endlich auch das
Gebirgsland Wales unterworfen, so dafs die gröfsere südliche Hälfte
der Insel römisch war. Die Linie Chester- Lincoln bezeichnet deut-
lich die dritte Grenze, bis zu welcher die Provinz sich erstreckte, an
verhältnissmäfsig schmaler Stelle der Insel.
Des Frontinus Nachfolger im Oberbefehl war Agricola. Dafs
ihm, dem noch von Vespasian Ernannten, die Söhne und Nachfolger
desselben, Titus und Domitian, den britannischen Oberbefehl sieben
volle Jahre (von 78 — 85 n. Chr.) liefsen, mehr als doppelt so lange Zeit,
als gewöhnlich die Statthalterschaften zu dauern pflegten, zeugt ftir
das hohe Vertrauen, das er sich zu erwerben und zu erhalten ver-
standen hat. Die meisterhafte Schilderung seiner Verwaltung der
Provinz und seiner kriegerischen Thaten, welche wir der Pietät seines
Schwiegersohnes verdanken, tibertreibt in verzeihlichem und natür-
lichem Eifer wohl ein wenig den Werth der Thaten, wenn auch
sicher nicht den des Mannes. Zw^eierlei Aufgaben konnte ein ehr-
geiziger, kiiegserfahrener und rastlos thätiger Offizier, wie er, nach
Lage der Sache sich stellen: entweder das Werk der Vorgänger da-
durch zu krönen, dafs er alles innerhalb der bisherigen Grenzen der
Provinz belegene Gebiet vollständig und endgültig unterwarf, was
bis dahin keineswegs geschehen war, oder aber die Vorgänger da-
durch zu tibertreffen, dafs er noch nicht unterworfenes Gebiet in
möglichstem Umfang, wo möglich die ganze Insel, für das Reich ge-
wann. Beide Aufgaben scheint er sich in der That nacheinander
gestellt zu haben, keine von beiden hat er gelöst.
Gleich im ersten Jahre seines Oberbefehls gelang es ihm, einen
Aufstandsversuch der Ordoviker, welche die in einem nicht bekannten
Kastell zu ihrer Bewachung stationierte Reiterala fast völlig nieder-
gemacht hatten, zu dämpfen und Anglesey, das Suetonius Paullinus
hatte aufgeben müssen, mit Hülfe der das Schwimmen gewohnten
batavischen Cohorten endgültig zu erobern. Im folgenden Jahre schritt
die Unterwerfung innerhalb der bisherigen Grenzen weiter vor — , in
welcher Richtung, wissen wir nicht, da keine Namen von Orten oder
Völkern angegeben werden. Agricola beschäftigte sich, nach dem
Bericht des Tacitus, ausschliefslich mit der Einrichtung und Vervoll-
kommnung der bürgerlichen und militärischen Verwaltung. Im dritten
Sommer (den Winter, blieb man nach alter Weise in den Quartieren)
rückt er weiter gegen Norden vor und besetzt einen neuen Terrain-
Hübner, Westeuropa, ji^^ ÜBR^/^y 3
34 England
absclmitt, wahrscheinlich an der westlichen Küste; doch ist die
Meeresbucht, bis zu welcher er seine Besatzungen vorschob, das
Aestuarium Tanaum (denn so haben die Handschriften des Agricola),
sonst völlig unbekannt und geograpliisch nicht festzustellen. Im
vierten beginnt die grofse Expedition mit der ganzen mobilen Armee,
welche als die Veranlassung des verlängerten Oberbefehls anzusehen
ist. Die Erzählung des Tacitus hebt diesen augenfälligen Abschnitt
vielleicht absichtlich nicht besonders hervor. Allein es ist klar, dafs
dazu aus allen verfügbaren Truppen ein eigenes Expeditionscorps
gebildet worden ist, dessen Zusammensetzung und Stärke sich nur
annähernd aus den Angaben über die letzte Schlacht ermitteln lässt,
welche Agricola mit demselben schlug. Es müssen an Legionen,
Reiterei und Hülfscohorten nahe an 30,000 Mann gewesen sein, also
etwa die Hälfte des ganzen britannischen Heeres. Eine Flottenabthei-
lung begleitete die Expedition, wahrscheinlich auf der Ostküste. Zu
berücksichtigen ist dabei, dafs die eine der seit Vcspasian wieder
auf die ursprüngliche Vierzahl gebrachten britannischen Legionen,
die von ihm hinübergeschickte Secunda Adiutrix, inzwischen aus Ver-
anlassung von Domitians germanischem Feldzuge nach Pannonien
zurückkehrte, wodurch auch Lincoln seine Festungsbesatzung verlor,
falls nicht inzwischen die neunte I^egion dort eingerückt war; was
nicht unmöglich ist. Die Ermittelung der Truppenzahl und Zusammen-
setzung von Agricolas Heer ist ein nach den Angaben des Tacitus
und den Inschriften nur annähernd zu lösendes Problem. Agricola,
so heifst es in bündiger Kürze, marschiert nordwärts bis zu den
Aestuarien Clota und Bodotria und besetzt diese Linie mit Kastellen.
Das sind, wie anderweitig mit völliger Sicherheit feststeht, der Firth
of Clyde und der Firth of Forth in Schottland; es ist die Linie
Glasgow-Edinburgh, die nördlichste der ganzen Insel, welche je von
der römischen Eroberung erreicht worden ist, und zwar erst ein
volles Jahrhundert später. Denn auf dieser Linie legte, wie sich
nachher ergeben wird, der Kaiser Antoninus Pins den nördlichsten
Grenz wall der Provinz an. Hier ist in der Darstellung des Agricola
eine offenbare Lücke, welche die spätere Ausführung in dem ver-
lorenen Theile der Historien wahrscheinlich ergänzt haben wird. Denn
es ist undenkbar, dafs ein Vorstofs so weit nordwärts in Feindes-
land und sogar noch über diese Linie hinaus auch von dem kühnsten
Führer unternommen werden konnte, ehe nicht der gewaltige Raum
Die Verwaltung von Nero bis auf Hadrian 35
zwischen den Linien Chester- Lincoln im Süden und Glasgow-Edin-
burgh im Norden, in der erprobten Weise mit wenigstens einer
starken Festung besetzt, in gesicherten Land- und Seeverbindungen
die nöthige Rückzugslinic und die Möglichkeit des Nachschubs von
Proviant und Verstärkungen gewährte. Das Gebiet der Briganten,
welches gerade jenen mittleren Theil der Insel umfasst, muss noth-
nothwendig ebenso wie alle früher eroberten Gebiete erst unter-
worfen wordeit sein, ehe an einen Vormarsch so weit über dasselbe
hinaus vernünftiger Woiso gedacht werden konnte. Nun ist, wie
durch Schriftstellerzcugnisse und Inschriften in zweifelloser Weise
feststeht, spätestens seit Trajaus Regierung Eburacum, das heutige
York, der alte Haupt ort der Briganten, das Standquartier der letzten
unter den jetzt nur drei britannischen Legionen, nämlich der neunten
hispanischen, und zugleich der militärische Mittelpunkt des Landes.
Es begreift sich, dafs nachdem der Schwerpunkt der militärischen
Operationen in die Mitte und die nördliche Hälfte der Insel verlegt
worden war, während der ganze Süden in dauerndem Friedenszu-
stand sich mehr und mehr romanisiert hatte, das ferne Colchester
nicht mehr geeignet schien, den Legaten und sein Hauptquartier zu
beherbergen, zumal das Lager der vierzehnten Legion daselbst in-
zwischen eingegangen war, wie oben erzählt wurde. In Chester und
in gröfserem Maafsstabe in York haben seit dem Ende des ersten
Jahrhunderts die britannischen Legionen, die zwanzigste und die
neunte, zuerst in England gröfsere Bauten für Dienstzwecke nach der
heimischen Art ausgeführt und dazu die nöthigen Ziegeleien ange-
legt; in den südlichen Festungen hat man sich mit dem vorgefun-
denen Bruchsteinmaterial und mit Holzbauten begnügt. Nur in Chester
und York werden Ziegel mit den Stempeln der Legionen gefunden;
in dem schönen Museum von York, das in den erhaltenen Räumen
und den Gärten der alten Marienabtei aufserhalb der Stadtmauer
untergebracht ist, sind ganze Gräber der Legionare aus den grofsen
gestempelten Ziegeln der neunten Legion zu sehen. In York stand
das Prätorium des Statthalters, wie eine griechische Inschrift aus-
drücklich bezeugt. Hier hat sich neben dem militärischen, wenn
auch im Vergleich zu anderen Provinzen in geringem Maafse, muni-
cipales Leben entwickelt; die Soldaten aus allen Weltgegenden haben
fremde Kulte aller Art, wie den des Mithras und des löwenköpfigen
Aeon, hier eingeführt; die Kaiser Septimius Severus und Constantius,
3*
36 England
der Vater des Coiistantin, sind liier gestorben. York ist seitdem
unzweifelhaft die Hauptstadt der Provinz. Der Schluss, dafs Agri-
cola als sein eigentlicher Gründer anzusehen ist, lässt sich kaum
abweisen, wenn auch in des Tacitus Schrift Nichts davon steht — :
ob er eine Festung mehr oder weniger angelegt, da man dieser die
künftige Bedeutung damals nicht ansehen konnte, schien für die
Charakteristik seiner Thaten gleichgültig und keiner besonderen Er-
wähnung werth. York liegt von Lincoln und ehester gleich weit
entfernt an einem mittleren Punkte zwischen den beiden Meeren:
das strategische System der Besetzung erscheint hier in einen mächtigen
Mittelpunkt zusammengefasst, welcher die nothwendige Grundlage für
den Vormarsch nach Norden bildet. Dafs Agricola nach dem Ur-
theilc der Fachleute gerade in der Wahl der strategischen Positionen
aufsergewöhnlich geschickt gewesen sei, dafs nie ein von ihm be-
festigter Platz feindlichem Angriff erlegen oder durch üebergabo
oder Flucht aufgegeben worden sei, hebt Tacitus ausdiücklich hervor.
Da er das Kastell von Eburacum sicher noch nicht vorfand, so
muss er es wohl angelegt haben. Und gewiss war dies nicht das
einzige, das er gründete, da Cumberland und Northumberland und
das ganze südliche Schottland wenigstens einigermafsen besetzt sehi
mussten, ehe er an die Linie Glasgow-Edinburgh gelangte.
Im fünften Kriegsjahre setzte er zu Schiff wahrscheinlich über
den Firth of Clyde nach dem westlichen Schottland, Argyleshire oder
Arran, über. Denn hier kam ihm der Gedanke, dafs es leicht sein
müsse das gegenüberliegende Irland zu erobern. Er knüpfte, nach
althergebrachter Politik inneren Zwist benutzend, mit den einheimischen
Fürsten Verbindungen an; oft hat er noch später seinem Schwieger-
sohne gegenüber geäufsert, Irland könne mit einer einzigen Legion
und mäfsigen Hülfstruppen unterworfen und besetzt werden, und das
werde auch die Pacificierung Britanniens erleichtern, welches dann,
statt des Ausblicks in ein freies Land, überall römische Besatzungen
sehen würde. Man dachte sich, durch unvollkommene Karten ver-
leitet, Irland ungefähr in der Mitte zwischen Britannien und His-
pauien liegend; der Anklang des Namens Hibernia an den Hiberus,
den Ebro, und das iberische Land scheint dabei mitgewirkt zu haben.
Es schien somit das natürliche Verbindungsglied zu sein zwischen
den drei Provinzen des Westens, Hispanien, Gallien und Britamiien.
Wenn trotzdem Domitian oder seine militärischen Rathgeber, wie
Die Verwaltung von Nero bis auf Hadrian 37
zwischen den Zeilen zu lesen ist, die dazu verlangte vierte Legion
(denn die drei britannischen waren sicher dort nicht zu entbehren)
nebst den entsprechenden Hülfstruppen verweigerten, so handelten sie
offenbar gemäfs dem weisen Grundsätze, keine Erweiterung der
Reichsgrenzen vorzunehmen.
Der Heereszug nach Irland wurde aufgegeben; Irland ist nie-
mals von den Römern besetzt worden. Im sechsten Kriegsjahre
marschiert Agricola nach dem östlichen Schottland, trotz der sehr
begründeten Warnungen einzelner seiner Offiziere, während vorgeblich
das Heer darauf brannte, nun endlich das Ende der Insel zu er-
reichen, und trotzdem dafs bei dem mit einer Dreitheilung erfolgten
Vormarsche wiedenim die schwache neunte Legion in einem nächt-
lichen Ueberfall beinahe aufgerieben ward, und besetzt, mit Hülfe der
Flotte, die Gebiete jenseits des Firth of Forth. In dem rednerisch
mit am meisten ausgeführten Theile der Schrift, welcher diese Er-
eignisse umfasst, verliert aber des Tacitus Bericht jede weitere topo-
graphische Grundlage. Die wenigen Ortsnamen, welche überhaupt
vorkommen, der Berg Graupius (so haben die Handschriften des
Agricola; dafs man im siebzehnten Jahrhundert den Gebirgszug,
welcher sich nördlich von Blair Athol quer durch Schottland von
Südwest nach Nordost zieht, the Grampian mountains getauft hat,
der damals geltenden schlechten Lesart Grampius folgend, hat noch
die neuesten Herausgeber des Agricola getäuscht), das Volk der
Borester und der trucculensische Hafen, sind auch nicht mit an-
nähernder Wahrscheinlichkeit ihrer Lage nach zu bestimmen. Aber
genau ist die Angabe des Tacitus über das Heer des Agricola in
jener Schlacht. Aufser den vier britannischen Legionen mit höchstens
15,000 Mann, vorwiegend Mannschaften aus Gallien, Germanien und
Britannien, konnte er der Uebermacht des Feindes 8000 Auxiliarier,
gallische, germanische, panuonische und hispanische Truppen, nebst
3000 Reitern gegenüberstellen.
So viel ist aber deutlich: der Sieg über den Calgacus und seine
Caledonier im nächstfolgenden Sommer, dem siebenten Kriegsjahre,
am Berge Graupius ward trotz der schönen Rede des Agricola an
seine Truppen nur mit grofsem Verluste erkauft, und seine strate-
gische Bedeutung war gleich Null. Damit verträgt sich sehr wohl,
dafs der Sieg, wie ihn Tacitus in ziemlich verständlicher Weise
schildert, an sich ein vollständiger war. Das weite Gebiet der Bri-
38 England
ganten von York nordwärts blieb nach wie vor der Heerd des natio-
nalen Widerstandos. Eine der germanischen Cohorteii von dem alt-
berühmten Stamme der Usipier. welche in einem der römischen Ka-
stelle an der Küste, vielleicht in Uxellodunum (Maryport in Cumbcr-
land) in Garnison lag, erschlägt ihre wenigen römischen Offiziere und
sucht auf drei Transportschiffen die Heimath zu erreichen. Diese
Meuterei, blieb dem Feinde nicht unbekannt und gab trotz des tra-
gischen Endes der tollkühnen Wikingerfahrt, ein höchst gefährliches
Beispiel. Der Rückzug musste angetrclon werden, und zwar sofort,
wenngleich die nöthige Langsamkeit in der Beziehung der Winter-
quartiere den Schein ungebrochenen Muthes wahrte. Und zwar ging
der Rückzug herab bis auf die Linie von York, das vielleicht nun
erst vor ähnlichen Kastellen seiner centralen Lage wegen bevorzugt
und zu einer Festung ersten Ranges gemacht wurde. Nördlich von
York ist kein Denkmal gefunden worden, welches in die vortrajanische
Zeit hinaufreicht. Nur die Flotte umfuhr, wie einst Pytheas gethan.
die ganze Insel und erreichte das geographisch interessante, politisch
aber gleichgültige Ziel, das Ende der Welt, das äufserste Thule,
gesehen zu haben. Kein römisches Heer ist nach dieser Lehre je
wieder so weit nach Norden vorgedrungen. Dafs Agricola nach
seiner im folgenden Jahre erfolgten Abberufung vom Kaiser kühl
empfangen ward, obgleich er die höchste niilitärische Auszeichnung,
die Ehren eines Triumphators . erhielt, ist gewiss, wie die weiteren
Zurücksetzungen, welche er bis an seinen acht Jahre später erfolgten
Tod erfuhr, mit auf den heimtückischen Hass des Domitian zurück-
zuführen. Die Charakteristik dieses Kaisers, welche Tacitus bei jener
Gelegenheit giebt, ist in allem Wesentlichen richtig. Aber die beiden
Aufgaben, welche Agricola zu lösen sich' vorgenommen hatte, hat er
nicht gelöst: er hat keine neue Nordgrenze der Provinz gewonnen
und die überall drohende Rebellion unter den Briganten wahrschein-
lich durch die schottische Expedition eher befördert als unterdrückt.
Wohl aber konnte Juvenal, der Satirendichter, der vielleicht noch
unter Agricola eine Cohorte der Dalmatier als Tribun in Britannien
befehligt hat, rühmen, dafs die römischen Wafien siegreich bis
über Hibernien hinaus und zu den jüngst besetzten Orkneyinseln ge-
langt seien.
Mit dem Schluss von Tacitus' Schrift endet der zusammen-
hängende Bericht über die Geschichte Britanniens. Dafs Trajan,
Die römischen Grenzwälle in Britannien 39
Alles in Allem genommen der gröfste unter den römischen Kaisern,
nicht auch in das Geschick Britanniens, wie in das fast aller übrigen
Provinzen, mit kräftiger Hand eingegriffen zu haben scheint, mag
seine guten Gründe gehabt haben. Unsere Ueberliefcrung über ihn
ist zu dürftig und lückenhaft, als dafs man darüber mehr als Ver-
muthungen haben könnte. Einige seiner Legaten in Britannien, wie
der als Redner niclit unbedeutende Salvius Liberalis und Neratius
Marcellus, der als gelehrter Jurist bekannt ist, haben oETenbar nur
durch die Anwendung der altbewährten Methode ein mäfsiges Gebiet
nördlich von York durch Kastelle und Strafscn bleibend in römischem
Besitz erhalten. Eine Thatsache aber spricht deutlich: die neunte
Legion verschwindet nach Trajans Regierung, in welche ihre letzten
in York erhaltenen Denkmäler fallen, aus der Liste der römischen
Armee und wird unter Hadrian durch die sechste mit dem Beinamen
Victrix ersetzt, welche seit Augustus in Hispanien, zuletzt in Xanten
am Niederrhein ihr Standquartier gehabt hatte; sie liegt fortan in
York im Quartier. Die neunte, die schon zwei Mal, unter Petillius
Cerialis im Kampfe gegen Boudicca und unter Agricola vor der
Graupiusschlacht fast aufgerieben und wahrscheinlich seitdem nie
wieder auf die volle Stärke gebracht worden war, muss in den
Kämpfen mit den Brigantcn ihr Ende gefunden haben.
Dafs unter Hadrian eine grofse Zahl römischer Soldaten in
Britannien niedergemacht und damit die Befriedung wenigstens des
nördlichen Theils der Provinz von Neuem in Frage gestellt wurde,
ist ausdrücklich bezeugt. Nach fast hundertjährigen Kämpfen war
es also noch nicht gelungen, der Provinz nach Norden hin eine
sichere Grenze zu geben.
m.
Die römischen Grenzwälle In Britannien.
L
Der Wall des Hadrian.
Die näheren Nachweisungen und Quellenzeugnisse über die römischen
Wälle in Britannien sind auf Grund der ganzen einschlägigen Litteratur
und wiederholten Besuches (in den Jahren 186G und 1883) zusammenge-
stellt in den Inscriptioncs Britanniae Latinae, Band VII des Corpus in-
scriptionum Latinarum (Berlin 1873 fol.), besonders S. 99 ff. und S. 191 ff.
Das Kastell von South Shields habe ich in den Bonner Jahrbüchern LXIY
1878 S. 25 ff. beschrieben.
40 England
Aehnlich wie es einst dem unbedeutenden Claudius zum Er-
staunen seiner Zeitgenossen beschieden war, in Britannien die Pläne
seiner grofsen Vorgänger Caesar und Augustus zur That zu machen,
so ist es nicht dem Trajan, sondcni seinem weit weniger kriegerischen
Naclifolger Hadrian vorbehalten geblieben, in das bisherige System
der Besetzung Britanniens eine wesentliche Veränderung zu bringen.
Die noch immer ungebrochene Widerstandskraft der Briganten, von
welcher die Dichter jener Zeit zu erzählen wissen, wie Juvenal, der
wie schon gesagt selbst Offizier in Britannien gewesen war, und die
Vernichtung der neunten I^egion zwangen ihn zu Maafsregeln, von
welchen eine neue Epoche in der Verwaltung der Provinz datiert.
Hadrian ist der Schöpfer jenes erstaunlichen Denkmals der
Römerherrschaft in Britannien, dessen Name wohl, aber keineswegs
seine Bedeutung, in den weitesten Kreisen bekannt ist, des Pikten-
walles, wie man früher zu sagen pflegte, oder des römischen Walles,
wie er jetzt schlechthin genannt wird. Ich will versuchen, von ihm
eine kurze, auf eingehendes Studium aller einschlägigen Werke und
auf wiederholte Autopsie gegründete Schilderung zu geben.
Quer durch die Insel, von der Mündung des Tyneflusses öst-
lich von Newcastle-upon-Tyne in Northumberland bis zum Solway
Firth, dem Meerbusen westlich von Carlislc in Cumberland, erstreckte
sich ein gewaltiges, zusammenhängendes System von Mauern und
Thürmen, Wällen und Gräben und grofsen und kleinen Kastellen,
welche durch eine in deutlich erkennbaren Resten erhaltene römische
Strafse untereinander verbunden waren. Trotz der fortgesetzten
Kriege mit den nordischen Barbaren seit dem sechsten Jahrhundert
und der zerstörenden Wirkung, die sie nothwendig ausüben mussten,
waren grofse Strecken dieser Anlage das ganze Mittelalter hindurch
noch so wohl erhalten, dafs sie in den Fehden der schottischen und
englischen Nachbarn und der einzelnen Grafen und Barone unterein-
ander, wie die gleichzeitigen Berichte ergeben, in steter Benutzung
geblieben sind. Erst die Vereinigung der beiden Königreiche und der
im Frieden zunehmende Wohlstand des Landes brachte jene Bauwerke
zu allmäligem Verfall. Noch zur Zeit der Königin Elisabeth waren
die Grenzgebiete zwischen England mid Schottland so unsicher durch
Wegelagerer und Räuberbanden, die in den verfallenden Werken des
Walls bequeme Schlupfwinkel fanden, dafs der gelehrte Sir Robert
Cot ton und sein Begleiter, der Staatsarchivar William C am den,
Der Wall des Hadrian 41
der Verfasser der Britannia, welche den Wall im Jahre 1599 zu
besuchen wünschten, mit Bedauern davon abstehen mussten ihre
Wünsche zu befriedigen. Das folgende Jahrhundert, das siebzehnte,
die grofse Zeit der politischen Revolutionen und zugleich der mate-
riellen Entwickelung Englands, war den antiquarischen Forschungen
daselbst überhaupt nicht hold. Erst im dritten Decennium des acht-
zehnten Jahrhunderts wurde der Wall von Antiquaren besucht, von
dem sehr eingebildeten William Stukeley aus London (im Jahre 1724),
von dem bescheidenen schottischen Musilaneister Alexander Gordon
(1737), und endlich von dem vortrefflichen John Horsley, dessen
ich schon gedacht habe (S. 5), und, wenn auch noch in unvoll-
kommener Weise, beschrieben. Damals war schon Vieles ver-
schwunden, was im sechzehnten Jahrhundert noch vorhanden war.
Mehr aber hat die erst seitdem mächtig entwickelte Bebauung des
Landes durch Ackerwirthschaft und Strafsenanlagen in aller Stille
beseitigt, zur grofsen Betrtibniss der einheimischen Antiquare, die es
mit ansehen mussten, wie die sumpfigen Gräben des Walles in seiner
ganzen Länge von Jahr zu Jahr mehr trocken gelegt und bebaut,
die unfruchtbaren Steinhaufen der Mauern und Kastelle auf den Ab-
bruch verkauft, das Material zu Pächterhäusern und Viehställen ver-
wendet, der ehemals steinige Boden beackert ward — : sehr zur
Freude und zum Vortheil der Pächter und Grundbesitzer, welche
die Stätten früherer Kultur rings um die römischen Niederlassungen
als besonders fruchtbar schätzten und den Ertrag des Bodens in
jenen Gegenden sich nach und nach um das Zehnfache steigern sahen.
Die Chaussee von Newcastle nach Carlisle, bis vor etwa fünfzig
Jahren, als die Eisenbahn erbaut wurde, die Hauptverkehrsader
zvrischen den beiden Meeren, läuft in beträchtlichen Strecken auf
dem breiten Rücken der römischen Mauer, welche die Ingenieure
einfach als Fundament benutzten und dabei Erhebliches an den Bau-
kosten ersparten. Bei derselben Gelegenheit freilich, beim Chaussee-
bau und nachher mehr noch bei dem Eisenbahnbau, haben zuerst zu-
fällige Funde von allerlei Alterthümern den Eifer des Sammlens
und Erhaltens angeregt, nachher auch zu mehr oder weniger um-
fänglichen Ausgrabungen geführt. So wird, was die früheren Jahr-
hunderte durch Vernachlässigung gefehlt haben, jetzt durch verdop-
pelte Sorgfalt im Beobachten, Sammeln und Veröffentlichen einiger-
mafsen wieder gut gemacht. Nach Horsley haben sich John Hodgson,
tll^IVKllsiTl
42 England
der sorgfältige Geschichtschreiber seiner Heimath Northumberland (seit
1820), und vor Allem seit über vierzig Jahren J. CoUingwood Bruce
in Newcastle die gröfsten Verdienste um die Aufhellung der Geschichte
und die Beschreibung und Deutung des Baues und der Alterthümer
des Walles erworben. Algornon, der vierte Herzog von Northumber-
land, hat in den Jahren 1851 und 1852 ehie sorgfältige topogra-
phische Aufnahme des ganzen Walles und der mit ihm in Verbin-
dung stehenden römischen Strafsen und Kastelle, verbunden mit ver-
schiedenen Ausgrabungen, auf seine Kosten ausführen lassen. Römische
Denkmäler aller Art aus dem ganzen Norden von England werden in
den öffentlichen Sammlungen von Durham, Newcastle und Carlisle, in
den privaten des Herzogs von Northumberland auf dem prachtvollen
Schlosse zu Alnwick, und in der des ehi'würdigen Veteranen der
englischen Alterthumsforschung John Clayton zu Chester am Wall
aufbewahrt. Die mit vielen Abbildungen ausgestatteten, von der
archäologischen Gesellschaft zu Newcastle herausgegebenen Werke von
Bruce, die Beschreibung des Walles (1867) und die Sammlung der
Steindenkmäler des ganzen Nordens (1875), vermögen bis zu einem
gewissen Grade die mangelnde Anschauung zu ersetzen.
Für die wissenschaftliche Reconstruction des Walles und seiner
Stationen liegen uns aufserdem noch zweierlei Hülfsmittel vor. Als es
galt, die Kastelle längs des Walles mit stehenden Garnisonen zu ver-
sehen, waren die inzwiscJien auf drei rcducierten britannischen Le-
gionen, wie ich ausgeführt habe, bereits sämmtlich dislociert (in Gle-
vum, Deva und Eburacum); auch ward keines der Kastelle so grofs
angelegt, dass eine ganze Legion, sondern nur so, dafs eine oder
mehrere Gehörten oder Alen sowie andere kleinere Detachements
darin Platz fanden. Die Kenntniss der in den Kastellen liegenden
Truppen verdanken wir den oben (S. 14) erwähnten vier bri-
tannischen Militärdiplomen. Die in den einzelnen Kastellen längs
der Linie des Walles gefundenen Inschriften beweisen, dafs die Be-
satzungen von Hadrian bis auf das Ende des dritten Jahrhunderts
dieselben geblieben sind.
Dafür bietet eine Bestätigung die zweite Art von urkundlicher
Ueberlieferung, welche für diese Fragen in Betracht kommt. Er-
halten ist uns bekanntlich noch das unter den Kaisern Honorius und
Theodosius dem zweiten in den ersten Decennien des fünften Jahr-
hunderts abgefasste Staatshandbuch der beiden Reichshälften, genannt
Der Wall des Hadrian 43
die Notitia dignitatum. Diese enthält zwar im Uebrigen die Dislo-
cierung der Annce in den Provinzen für jene Zeit, für Britannien
allein aber hat sich aus einer älteren Redactiou in ihr die voll-
ständige Liste der inzwischen bereits aufgegebenen Garnisonen längs
des Walles erhalten, wie sie bis zu Ende des dritten Jahrhunderts
bestanden. Ihr allein verdanken wir die Kenntniss der Namen des
gröfsten Theiles jener britannischen Kastelle längs des Walles. Die
Truppentheilc, welche als in denselben garnisonierend darin aufge-
führt werden, sind fast durchgehend genau diejenigen, die sich aus
den Militärdiplomen und Inschriften als mindestens schon seit Anfang
des zweiten Jahrhunderts dort vorhanden ermitteln lassen. Für die
nördlichste Grenzlinie hat sich eine ähnliche, nur weniger vollstän-
dige und dabei stark verderbte Liste wenigstens der Stationen er-
halten in der sogenannten ravennatischcn Kosmographie, einem Com-
pendium des sechsten Jahrhunderts. Mit diesen Ilülfsmittcln lässt sich
über Ursprung und Zweck des grofsen Werkes, sowie über die Ver-
änderungen, die es betroffen, zu hinreichender Klarheit gelangen.
Der Gedanke, die Reichsgrenzc an dazu geeigneten Stellen durch
ausgedehnte Befestigungswerke förmlich zu schliefsen, ist in Britannien
nicht zum ersten Male ausgeführt worden. Das nächste Vorbild für
den britannischen Grenzwall bietet der deutsche, von dem weiter unten
die Rede sein wird. Hadrian, der gröfste Bauherr aller Zeiten (seine
Bauten übertreffen auch die der assyrischen und ägyptischen Könige an
Zahl, Mannigfaltigkeit und Ausdehnung), kam selbst im Jahre 121 nach
Britamiien; die Dichter seines Hofes fanden die Entsagungen dieser
Reise unbegreiflich. Er fasste daselbst den Gedanken, nicht etwa,
wie es der Zweck der oft mit Unrecht zum Vergleich herangezogenen
chinesischen Mauer gewesen zu sein scheint, das Reich durch solche
Anlage nach Norden hin hermetisch zu verschliefsen, sondern viel-
mehr, dem stets auch offensiven Charakter jeder wirkungsvollen De-
fensive entsprechend, statt des bisher angewendeten Systems einzelner,
nur durch Strafsen verbundener Kastelle von Meer zu Meer eine
langgestreckte Grenzburg zu schaffen, welche den Operationen nach
Süden (denn man war der Briganten keineswegs sicher) wie nach
Norden zur festen Basis dienen sollte. Thore und Strafsen führten
nordwärts über den Wall hinaus; nach Norden vorgeschobene Kastelle
beweisen, dafs man damals wenigstens noch keineswegs daran dachte,
44 England
den Plan Agricola's aufzugeben und den nördlichsten Theil der Insel
den Barbaren für immer zu überlassen.
Nahe der Mündung des Tyne bei Wallsend, östlich von dem
rauchgeschwärzten Newcastle mit seiner Eisenbahnbrücke und dem
normannischen Kastell beginnend erstreckt sich der Wall in einer
Ausdehnung von rund achtzig römischen oder etwa vierundsiebzig
englischen Meilen über Höhen und Thäler westlich bis Bowness am
südlichen Ufer des Solway Firth. Die Anlage ist in ihrer ganzen
Länge deutlich in drei verschiedene Theile gegliedert: auf der Süd-
seite der Erdwall, auf der Nordseite die steinerne Mauer mit kleinen
Kastellen und zahlreichen Thürmen, zwischen beiden die siebzehn
grofsen Kastelle und eine sie miteinander verbindende Strafse.
Der Erdwall im Süden ist ein dreifacher. Nördlich von dem
über dreifsig Fufs breiten (ich gebe abgerundete Maafse in englischen
Fufs) und zehn Fufs tiefen Graben ist er ein einfacher, südlich ein
doppelter, auf beiden Seiten je vierundzwanzig Fufs vom Graben ent-
fernt. Der nördliche und der innere der beiden südlichen Wälle
sind noch jetzt sechs bis sieben Fufs hoch, mit flach ansteigendem
Profil, der südlichste etwas niedriger. Der Kern der Konstruktion
ist vielfach, besonders auf sumpfigem Boden, unregclmäfsigcs Mauer-
werk. Die Entfernung des gesammten Erdwerkes von der nördlichen
Mauer wechselt zwischen 180 und 200 Fufs; an einer Stelle etwa in
der Mitte zwischen den beiden Meeren, da wo die Mauer die bis
zu einer Höhe von' etwa 300 Fufs über die Meeresfläche ansteigen-
den Felsen erklimmt, während der Wall der Thalsohle folgt, beträgt
sie 500 Fufs. Der Erdwall ist an beiden Enden um einigen eng-
lische Meilen kürzer als die Mauer.
Die steinerne Mauer im Norden ist, wie die fast durchgehends
noch kenntlichen Fundamente zeigen, sechs bis acht Fufs breit. In
der ursprünglichen zinnengeltrönten Höhe ist sie natürlich nirgends
mehr erhalten. Beda im achten Jahrhundert, der in dem nahen
Kloster Wearmouth bei Jarrow südlich von der Tynewündung lebte,
sah sie noch zwölf, verschiedene Zeugen des sechzehnten Jahrhun-
derts an einzelnen Stellen sogar noch sechzehn Fufs hoch; acht bis
zehn Fufs beträgt an einer Stelle die Höhe noch jetzt. Sie wird
ursprünglich etwa zwanzig Fufs gewesen sein. Den Kern des Mauer-
werkes bildet sogenanntes opus incertum: ein felsenharter Guss von
kleinen und grofsen, durch Mörtel verbundenen Steinblöcken. Die
Der Wall des Hadrian 45
nördliche Front ist bekleidet mit ziemlich gleichmäfsigen Quadern
von mäfsigem Umfang (meist zwanzig Zoll lang, zehn breit und acht
hoch), welche, wie üblich, der Länge nach in die Tiele der Mauer
gelegt sind, während die schmale Seite nach auswärts steht. Die
südliche Front ist durchgehends mit geringerer Sorgfalt und Gleich-
mäfsigkeit behandelt; die Quadeni sind kleiner und unansehnlicher
als auf der Nordseite; häufig springen gi-ofse Flächen in einer Tiefe
von acht bis zwölf Zoll ein. Der Stein, den man verwendete, ist
ein ziemlich harter, quarzhaltiger Sandstein, welcher in den Höhen-
zügen südlich vom Wall bricht. Eine Reihe von Steinbrüchen, aus
denen er stammt, lässt sich nachweisen: flüchtig in den natürlichen
Felsen eingehauene Inschriften bewahren die Erinnerung an die rö-
mischen Werkleute. In ungleichen Zwischenräumen lehnten sich an
die Mauer viereckige Thürmc von etwa zehn Fufs im Quadrat, mit
einer Eingangsthür an der südlichen Seite; die innere Construction
war aus Holz. Schon zu Horsle)''s Zeit wai^en von den etwa 320
Thürmen dieser Art, welche man nach den Abständen längs der
ganzen Mauer berechnet, nur noch di*ei an einer Stelle nebeneinan-
der w^ohl erhalten; nur noch ganz vereinzelte lassen sich jetzt er-
kennen; manche sind neu wieder aufgefunden w^orden. In Abständen
von ungefähr einer römischen Meile, aber natürlich mit Benutzung
jeder Gunst des Geländes, finden sich aufserdem kleine Kastelle,
deren man im Ganzen mithhi nahe an achtzig zählt; die Engländer
nennen sie nicht unpassend Meilenkastelle. Es sind vierseitige um-
mauerte Flächen, die Ecken an der Südseite abgerundet, von unge-
fähr sechzig Fufs im Quadi^at. Die Nordfront fällt meist mit der
der Mauer zusammen; zuweilen springt sie etwas über dieselbe vor.
Thore führen nicht blos an der Südseite hinein, sondern ebenso auch
an der Nordseite hinaus: die Kastelle sind also eigentlich in der
üblichen Weise befestigte Thore. Von Baulichkeiten innerhalb der-
selben hat sich so gut wie Nichts erhalten; es werden nui* Block-
häuser von Holz gewesen sein.
An der Nordseite läuft, wo es irgend das Gelände gestattet,
eüi Graben, wie der des Erdwalles auf der Südseite dreifsig Fufs
breit und acht bis neun Fufs tief. Wo Flüsse, wie der Tyne, den
Mauerlauf durchschneiden, verbinden vorzüglich gebaute Brücken, an
beiden Ufern durch brückenliopfartige Vorbauten geschützt, den
Strafsenzug längs der Mauer.
46 England
Etttllkb die siebzehn grorson Kastelle, Stationen oder Practen-
turen genannt, welche, mit Ausnahme von drei etwas südlich vom
Erdwall befindlichen, in sehr ungleichen Abständen von einander
zwischen Wall und Mauer liegen; im Durchschnitt sind sie etwa fünf
englische Meilen von einander entfernt. Leicht möglich, dafs Ha-
drians Ingenieure schon von der einheimischen Bevölkening befestigte
Punkte oder bei früheren Märschen römischer Heere gewählte Lager-
plätze in das Befestigungssystem hineingezogen haben. Allein im
Wesentlichen sind sie nach einheitlichem Plan und zu gleicher Zeit
hergestellt worden. Denkmäler, welche mit Sicherheit in die Zeit
vor Iladrian gesetzt werden müssten, sind in keinem derselben zum
A^orschein gekommen. Von den sämmtlich durch die Notitia digni'
tat um erhaltenen Namen derselben weist einer deutlich auf Titus
Aelius Iladrianus als Gründer: Newcastlc, mit seiner römischen
Di-ücke über den T3'ne, deren Pfeiler unter den späteren wieder ge-
funden worden sind, hiefs nach ihm Pens Aelius. Die Kastelle sind
alle ebenfalls von der bekannten quadratisch -oblongen Form; ihre
Gröfse wechselt je nach der Oertlichkeit zwischen drei und sechs
englischen Acres (fünf bis neun prcufsischen Morgen); Mauern von
etwa fünf Fufs Dicke, Erdwälle und Gräben umgaben sie; deutlich
sind noch fast in allen die vier Hauptthore und die rechtwinkelig
sich schneidenden Hauptstrafsen erkennbar. An einige haben sich,
wie an die grofsen Colonien, vorstädtische Anlagen angeschlossen,
Bäder, kleine Heiligthümer , ein Mal sogar ein Amphitheater. Die
bcsterhaltenc , einst Borcovicium geheifsen, von den Anwohnern als
IIousc Steads, die Häuserstätten, bezeichnet, wird von den Lokalanti-
quaren, wie Viroconium (oben S. 27) das englische Pompeji genannt.
Aufser den in nächster Nähe von Wall und Mauer liegenden Kastellen
gehört zu der grofsen Vertheidigungsanlagc aber auch noch eine An-
zahl von südlich davon, besonders an den beiden Endpunkten gele-
genen Kastellen, wie z. B. das von South Shields gegenüber von
Newcastle, das die Mündung des Tyne beherrschte.
An zwei Stellen, im Osten und im Westen, durchschneiden die
nordwärts führenden Strafsen den Wall. An ihnen, in Northumber-
land und im südwestlichen Schottland, liegen in passenden Abständen
je zwei, etwa in der Mitte des Walles noch ein vorgeschobenes Kastell;
im Ganzen also fünf.
Die monumentalen Thatsachen, die ich in möglichster Kürze
Der Wall des Hadrian 47
zusammciigefasst habe, sprechen an sich laut genug. Durch die oben
charakterisierten übrigen Quellen unserer Kcnntniss, die Militär-
diplome, die an Ort und Stelle gefundenen Inschriften, die Notitia
dignitatum. empfangen sie weiteres Licht. Der Legat des Hadrian,
unter dessen Befehl das Werk in den Jahren 122 bis 124 begonnen
und wahrscheinlich bald darauf im Wesentlichen vollendet wurde,
hiefs Aulus Platorius Nepos; er ist ein auch sonst bekannter Offizier.
Ausgeführt wurde der Bau durch die drei damals hi Britannien
stehenden Legionen, die zweite, sechste und zwanzigste, während
Dctachements dreier anderer, der siebenten, die in Hispanien stand,
und der beiden Mainzer, der achten, welche schon zum Heere des
Claudius ein Detachement gestellt hatte, und der zweiundzwanzigsten,
inzwischen den Dienst in der Front thaten. Aufserdem arbeitete ein
grofser Theil der Cohoi-ten und Alen, welche in den Kastellen ihre
Ganiison erhielten, mit an dem Werk. Zahlreiche grofse und kleine
Inschrift tafeln bezeugen den Antheil jedes einzelnen Truppentheils an
dem Bau, nicht selten mit Angabe des Maafses der von ihnen aus-
geführten Strecken. Jeder einzelnen Centurie fast ist auf diese
Weise ihr Ruhmesantheil an dem grofsen Werk, mit weiser Rück-
sicht auf den militärischen Ehrgeiz, urkundlich bescheinigt worden.
Die Zahl der zur Besetzung erforderlichen Truppen lässt sich nur
amiähernd bestimmen. Auch wenn man dem anderweit feststehenden
antiken Gebrauch entsprechend nur sehr niedrige Ziffern ansetzt, so
werden doch zehntausend Mann eher zu niedrig als zu hoch gegriffen
sein. Die sämmtliclien damals in Britannien befindlichen Auxilien
standen am Wall und in den Kastellen südlich und nördlich des-
selben, von den Legionen nur kleinere Abtheilungen.
Wenn man auf dem steilen Felsengrat bei Housesteads steht
und nordwärts auf die kleinen northumbrischen Seen herabblickt,
südwärts auf die reiche Hügelflur, welche die Eisenbahn durch-
schneidet, so erkennt man, von kundigen Augen darauf aufmerksam
gemacht, die Linien der Mauer und des Erdwalls, bergauf und ab
in gerader Richtung sich erstreckend und endlich im Westen wie im
Osten in nebliger Feme sich verlierend. In dem schattigen Park
von Chesters Hall, wo am buschigen Ufer des nördlichen Tyne die
Station Cilurnmn liegt, in dem kleinen Hotel von Gilsland Spa bei
RosebeiTy Hill, in Stanwix, mit der anmuthigen Aussicht auf den
berühmten Seendistrikt von Cumberland, dem eleganten Villenquartier
V c4LlFoa^*''■- "
48 England
von Carlisle, das gerade den hochgelegenen Platz des römischen
Kastells von Petrianae einnhnmt, am Meeresgestade an den beiden
Endpunkten und noch an manchen anderen Stellen des Walles kann
man Einzelnhciten desselben in Verhältnis smäfsig guter Erhaltung
sehen und deren Eindruck auf sich wirken lassen. Aber meist wird
es dorn Besucher jener Plätze gehen, wie dem, welcher zum ersten
Male das römische Forum betritt oder in den kleinen Gassen von
Pompeji wandelt. Das schwer zu bemeisternde Gefühl einer gewissen
Enttäuschung weicht erst nach und nach dem durch liebevolle Hin-
gabo gewonnenen Verständniss. Nur mit dem geistigen Auge ist die
grofsartige Anlage des römischen Walles in Nordengland recht zu
erkennen.
II.
Der Wall des Pius.
Dafür, dafs in der That der Grenzwall des Hadrian die Pro-
vinz keineswegs gegen Norden abschloss, sondern mit seinen beinahe
achtzig Thoren und den fünf nach Norden vorgeschobenen Kastellen
viel mehr ein gi'ofses Angiiffswerk war, bestimmt, die fortschreitende
Eroberung auf eine festere Grundlage zu stellen, als die vorüber-
gehende Besetzung durch Agiicola, dafür haben wir ein völlig aus-
reichendes Zeugniss. Es ist gar nicht unmöglich, dafs des Tacitus
vielgelesene Schrift die Veranlassung dazu gab, das Ziel, welches
Agricola einst erreicht, aber wieder aufgegeben hatte, die Linie Clota-
Bodotria (Glasgow-Edinburgh), die weitaus schmälste Stelle der ganzen
Lisel zwischen beiden Meeren, nun, auf den Wall Hadrians gestützt,
mit besserer Aussicht auf Erfolg von Neuem zu verfolgen. Gerade
zwanzig Jahre nach dem Beginn des Baues der hadrianischen Mauer
hat sein Nachfolger, der Kaiser Antoninus Pius, auf jener Linie ein
Erdwerk, wie es in dem einzigen erhaltenen Schriftstellerzeugniss
darüber ausdrücldich gesagt ist, errichtet, welches sich bis in das
vorige Jahrhundert hinein noch in deutlichen Resten erhalten hat
und, wie die Mauer Hadrians, durch inschriftliche Zeugnisse aufser-
dem in ausreichender Weise Licht erhält. Das Volk nannte den
Wall Grahams Dyke (oder Gryme's Dyke), nach dem Helden der
schottischen Sage Graeme, dem Stammvater des Geschlechts der
Grahams. Freilich hat das Erdwerk des Pius, zumal es, wie wir
sehen werden, früh verlassen wurde, weit weniger deutliche Spui*en
Der Wall des Pius 49
hinterlassen, als der massive Bau des Hadiian. Auch fehlt es für
dasselbe an einer so sorgfältigen, auf Ausgrabungen gestützten topo-
graphischen Aufnahme, wie wir sie für jenen haben. Die Linie des
Walles, von den schottischen Chroniken nur kurz erwähnt, erscheint
zum ersten Male auf einer alten Karte von Schottland aus dem
Jahre 1565 (von Timotheus Pont) eingetragen. William Camden
(1599) und die schottischen Antiquare Sir Robert Sibbald (1607)
und Doctor Irvine (1685), auch der Engländer William Stukeley
(1720) geben nur sehr obei-flächliche Notizen. Den schon beim
englischen Wall genannten Antiquaren des achtzehnten Jahrhunderts
Gordon und Horsley wird eine etwas genauere Beschreibung auch
von diesem Denkmal verdankt. Aber die ersten zuverlässigen An-
gaben brachte erst die allgemeine militärische Landesaufnahme, welche
in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in Schottland be-
gaim. Es ist das Verdienst eines ausgezeichneten Genieoffiziers, des
späteren Major-General William Roy, der sich während des sieben-
jährigen Ki'ieges hei-vorgethan hat, im Jahre 1764 die noch jetzt
einzige genaue topographische Aufnahme des schottischen Walles ge-
liefert zu haben. Der tapfere Offizier hat vi^ Mühe und Fleifs
darauf verwendet, eine grofse Anzahl alter Befestigungsanlagen in
ganz Schottland genau zu untersuchen. Er glaubte sichere Kiitcrien
gefunden zu haben für die Unterscheidung der verschiedenen Arten
derselben, der brittischen, römischen, sächsischen, dänischen, schot-
tischen u. s. w. Wenn er, gestützt auf diese der Natur der Sache
nach vielfach trügenden Beobachtungen, es unternahm, mit Berück-
sichtigung aller topographischen Hindernisse und mit genauer Berech-
nung der Marschfähigkeit und der Verpflegung der Truppen, Agri-
cola's Zug nach dem Norden zu reconstruieren und den Platz der
Schlacht am Berge Graupius endgültig, wie er meinte, zu ennitteln,
so hat ihn freilich darin seine umsichtig aufgestellte, aber gröfsten-
theils auf falschen Prämissen ruhende Berechnung getäuscht. Die
Frage nach dem Ort der Graupiusschlacht ist und bleibt eine offene,
fast so wie die nach dem der Teutoburger Schlacht und viele ähn-
liche Fragen. Aber dem auf ihre Lösung verwendeten Fleifse dan-
ken wir, wie gesagt, die noch unter verhältnissmäfsig günstigen Um-
ständen ausgeführte topographische Aufnahme des Walles und seiner
Stationen. Seit dem verflossenen Jahi-hundert ist die Zerstörung
aller erhaltenen Reste desselben mit reisseuden Schritten vorwärts
Hübner, Westeuropa. 4
50 England
gegangen. Eoy's Beschreibung folgen durchaus der vortreffliche John
Hodgson (1828) und ohne Eigenes liinzuzuthun der letzte, der den
Wall beschrieben hat, der verstorbene Robert Stuart (1840), ein
intelligenter Buchhändler von Glasgow, aber kein Gelehrter. Der
zweiten Auflage der „Caledonia Romana" dieses Verfassers hat sein
Schwiegersohn, Herr John Buchanan, Banquier in Glasgow, durch
eigene Untersuchungen an Ort und Stelle höheren Werth verliehen.
Das Bauwerk zu beschreiben genügen wenige Worte. Von
Carridden bei Borrowstowness am Firth of Forth, nördlich von Edin-
burgh, bis nach West Kilpatrik am Clyde bei Dunbarton erstreckt
sich in einer Länge von rund vierzig römischen oder siebenunddreifsig
englischen Meilen (also etwa halb so lang wie der Wall Hadrians)
durch das fast durchgehends ziemlich ebene Gelände, dessen mannig-
fachen Verschiedenheiten er überall folgt, ein Graben, etwa vierzig
(englische) Fufs breit und zwanzig tief. Ihn begleitet an der süd-
lichen Seite, in einer Entfernung von durchschnittlich fünfzehn bis
zwanzig Fufs, der Erdwall, wie der hadrianische mit fast überall
gemauertem Kern, der Jahrhunderte lang als Steinbruch gedient hat.
Seine Maafse sind .schwer zu bestimmen; Roy nimmt, wohl etwas
übertreibend, die Breite an der Basis auf vierundzwanzig, die Höhe
einschlief such einer Brustwehr auf zwanzig Fufs an; erhalten war
der Wall nirgends höher als fünf bis sechs Fufs. Ein gleichmäfsiger
Winkel des Profils liefs sich nicht ermitteln und wechselte wohl auch
von Anfang an je nach dem Gelände. Nur an einzelnen Stellen,
zwischen Rough Castle zum Beispiel und Castlecary, sind die Fun-
damente von Thürmen und kleineren Kastellen (wahrscheinlich Thoren)
beobachtet worden; erhalten hat sich von ihnen nichts. Endlich
ebenfalls südlich vom Graben liegen in sehr ungleichen Entfernungen
von einander die zehn grofsen Kastelle, mit der Nordfront überall
mit dem Erdwall zusammenfallend, alle von oblonger oder qua-
dratischer Form, im Umfang von rund 500 zu 300 bis auf 300 zu
200 Fufs wechselnd, von breitem Erdwall und Graben umgeben, meist,
wenn die Strafse sie schneidet, mit drei, zuweilen nur an der Süd-
seite mit einem Thor; die Nordscite überall geschlossen. Bauliche
Anlagen im Innern derselben sind nirgends kenntlich geblieben; es
waren dies wiederum wohl nur Holzbauten. Die Kastelle verbindet
wie am Wall Hadrians eine südlich des Grabens und der Kastelle
laufende, zuweilen jene durchschneidende Heerstrafse. Die Namen
Der Wall des Pius 51
der zehn Kastelle sind erhalten (was freilich keiner der hisherigen
Beai'beiter des Walles bemerkt hat), aber in arger Entstellung, in
dem oben (S. 43) erwähnten etwa im ' sechsten Jahrhundert am Hofe
zu Ravenna in griechischer Sprache zusammengestellten Reichsitinerar,
welches uns in einer durch unwissende Abschreiber völlig verwahr-
losten lateinischen Rückübersetzung vorliegt. Etwa fünfzig Inschriften
sind in den Stationen längs des Walles gefunden worden; sie befinden
sich zum gröfsten Theil in dem von dem Naturforscher Hunt er gegrün-
deten Museum der Universität von Glasgow; in Edinburgh sind nur
wenige. Es sind meist in gleichmäfsiger Weise gearbeitete grofse
Steintafeln, enthaltend eine Weihung an den Kaiser Antoninus Pius,
gesetzt von demjenigen Truppentheile, welcher den betreffenden Ab-
schnitt des Wallbaues ausgeführt hatte; die Schrittzahl dieser Ab-
schnitte ist hinzugefügt. Auf manchen sind Reliefs von roher Arbeit
angebracht: Götter, Mars, Victoria und die kaiserliche Tapferkeit,
den Kaiser hoch zu Ross die Feinde niederreitend, ein Festopfer zu
Ehren des Kaisers, die Abzeichen der Legionen, z. B. einen Eber,
und Aehnlichcs darstellend. Kein anderer Kaiser aufser Pius kommt
darin vor. Auch von den übrigen nicht zahlreichen Denkmälern, die
längs des Piuswalles gefunden worden sind, ist keines später als die
Zeit der Anlage. Diefs schliefst den Gedanken an einen Neubau des
Piuswalles unter Seveinis von vornherein aus. Der Legat des Kaisers,
welcher den Bau im Jahre 142 in Angriff nahm und wahrscheinlich
auch zu Ende führte, hiefs Quintus LoUius ürbicus; er ist aus den
Denkmälern seiner vor die britaimische fallenden Verwaltung von
Afrika bekannt. Die Truppen, welche den Bau ausführten, waren
wiederum Abtheilungen der drei britannischen Legionen und der
längs des Hadiianswalls stehenden Cohorten und Alen.
Deutlich ergibt sich mithin, dafs der Wall des Pius in allem
Wesentlichen eine Wiederholung des hadrianischen ist, nach den-
selben Grundsätzen angelegt (nur ohne die vielleicht beabsichtigte,
aber nie ausgeführte nördliche Mauer) und mit dem gleichen Zweck
wie dieser, die Unterwerfung des südlich davon liegenden Gebietes
abzuschliefsen nnd die des nördlichen vorzubereiten. Wenigstens ein
beträchtlich weiter nordwärts vorgeschobenes Kastell ist auch bei
ihm nachweisbar: bei Ardoch nördlich von Stirling. Dort ist der
Grabstein eines Soldaten der ersten hispanischen Cohorte gefunden
worden, welche zu Ende des zweiten Jahrhunderts eine Zeitlang da-
4*
52 England
selbst in Garnison gelegen haben muss. Das ist das am weitesten
nördlich gefundene Denkmal lateinischer Zunge, welches wir kenneu.
Dafs der Wall des Pius an die Stelle des hadiianischen getreten,
ihn zu ersetzen bestimmt gewesen sei, ist völlig ausgeschlossen.
Sicherlich diente auch er nur dazu, wie jener, die gewissermaafsen
freie Zone eines Vorlandes der Provinz zu umgrenzen. Der Wall
des Hadrian mit seinen Kastellen und Garnisonen bliisb, wie schon
bemerkt, bis zum Ende der römischen Herrschaft in Britannien ne-
ben dem des Pius bestehen.
IV.
Das Ende der römischen Herrschaft in Britannien.
Der Grenzwall des Pius ist die letzte grofse strategische An-
lage, welche die Geschichte der britannischen Provinz zu verzeichnen
hat. Mit ihr erst findet die Erorberung derselben ihren Abschluss.
Die Geschichte der folgenden drei Jahrhunderte der Provinz, bis
zum Abzug der letzten römischen Garnisonen, soll hier nicht aus-
führlich erzählt werden, obgleich auch ihr ein über das Durch-
schnittsmaafs der Provinzialgeschichte hinausgehendes Interesse sich
abgewinnen lässt. An der Hand der Denkmäler (denn eine litterari-
sche Ueberlieferung darüber ist kaum vorhanden) kann man bis in's
Einzelnste verfolgen, wie auf des Hadrian mid Pius erfolgreiche An-
strengungen in den nächsten sechzig Jahren, zunächst unter des philo-
sophischen Kaisers Marcus Aurelius mildem Scepter, auch für Bri-
tannien bis etwa auf die Scheide zwischen dem zweiten und dem
dritten Jahrhundert unserer Zeitrechnung eine Epoche des Friedens
und des materiellen Wohlstandes folgt. In dem vergleichsweise
milden Süden der Insel blühten Ackerbau und Handel; zahlreiche
römische Villenanlagen, mit allem südlichen Comfort von warmen
Bädern und weiten Hallen ausgestattet, mit Mosaikfufsböden, so grofs
und mannigfaltig, wie sie im Rheinthal, im südlichen Frankreich und
Spanien vorkommen, sind daselbst aufgedeckt worden. Nördlich von
York sind bis jetzt solche Anlagen kaum gefunden worden, nur in
der Nähe der gröfseren Kastelle des Walles sind sie ähnlich wie
bei den Stationen des germanischen Grenzwalles vorhanden. Die
Thermen der Göttin Sulis- Minerva zu Bath, dem berühmtesten
Badeort des vorigen Jahrhunderts, waren schon damals von den
Provinzialen eifrig besucht. Manches Kunstwerk von zierlicher Ar-
Das Ende der römischen Herrschaft 53
beit, das in jenen Gegenden gefunden worden ist, zeugt von dem
gebildeten Kunstgeschmack seiner früheren Besitzer.
Ein Bau von dem Umfang der hadrianischen Mauer, aller Un-
bill eines nordischen Klimans ausgesetzt, erforderte begreiflicher Weise
fortgesetzte Fürsorge; daher denn die Erinnerung an allerlei Wieder-
herstellungen desselben in verschiedenen Denlimälem bewahrt ist.
Aber von feindlichem Angriff ist nicht die Rede. Unter des Marcus
Aurelius Sohn Commodus regt sich wieder hier und da der alte
Freiheitssinn der Briganten. Der kriegstüchtige Kaiser Septimius
Severus kommt mit seinen beiden Söhnen Caracalla und Geta selbst
nach Britannien, um die in langer Friedenszeit gelockerte Disciplin
der Truppen wiederherzustellen, die Kastelle neu zu armieren und
jede aufständische Bewegung zu unterdrücken. Seine Thätigkeit am
Wall des Hadrian ist eine so umfassende, dafs schon bei seinen
ruhmredigen Biographen nicht Hadrian, sondern er für den Erbauer
wenigstens der Mauern, Thore und Thürme desselben angesehen wird.
Dies ist ein offenbarer und durch die oben dargelegten monumen-
talen Thatsachen leicht zu widerlegender Irrthum. Dennoch ist er
Veranlassung gewesen, dafs noch bis in die neueste Zeit hinein ein
heftiger Streit geführt worden ist zwischen den geschichtskundigen
Männern von North umberland, welche von ihrer Stadt Pons Aelius
aus mit vollstem Recht au Hadrian festhielten als Gründer des ganzen
Werkes in allen seinen Theilen, das nur ein einheitlicher Gedanke
habe eingeben können, und den Antiquaren von Cumberland, welche
zu Severus hielten, besonders weil die früh-mittelalterlichen Chronisten
den Severus für den Erbauer des Hadrianwalles hielten und noch in
den Liedern und Sagen ihrer Heimat der Wall Gual Sever, Wall
des Severus, genannt werde. Die Frage nach dem Antheil des
Severus an den britannischen Befestigungsanlagen wird nach Lage
der Ueberlieferung vielleicht niemals mit völliger Sicherheit ent-
schieden werden können. Die englischen Antiquare haben die An-
gaben seiner Biographen mit den älteren Ansprüchen des Hadrian
theilweis so zu vereinen gesucht, dafs sie diesem die ganze Anlage
und den doppelten Erdwall, dem Severus aber die steinerne Mauer
zusclirieben nach dem Wortlaut der Ueberlieferung in den Caesares
des Victor, aus welchen der Verfasser der Kaiserbiographien schöpfte.
Hier ist nur ungenau, dafs von einem Neubau gesprochen wird,
während es sich um Ausbau und Wiederherstellung der älteren
54 England
Anlage handelt. Dieser Erklärung steht die schon hervorgehohene
und in die Augen fallende Thatsache, dafs die ganze Anlage, Wall,
Maueni, Kastelle u. s. w. eine einheitliche ist, nicht im Wege. Eine
weitere Schwierigkeit bildet, dafs in einer unabhängigen Quelle die
Ausdehnung des dem Severus beigelegten Walles auf zweiunddreifsig
römische Millien angegeben wird. Diese Zahl passt weder auf den
Wall des Hadrian, der achtzig, noch auf den des Pius, der vierzig
Millien lang war; dafs 32 dieser Zahl etwas näher kommt, als der
anderen macht dabei keinen Unterschied. Die späteren Ausschreiber
der Nachricht haben die unmögliche Zahl willkürlich auf 132 Millien
erhöht. Mit demselben Rechte könnte man statt des überlieferten
XXXn etwa LXXXn verbessern, um damit der wirklichen Ausdehnug
des Hadrianwalls näher zu kommen. Zahlreiche Inschriften bezeugen
des Severus wiederherstellende Thätigkeit am Hadrianswall, während
am Piuswall nicht ein einziges Denkmal seiner Anwesenheit oder
überhaupt der eines späteren Kaisers gefunden worden ist. Die von
Bruce zuerst mit Nachdruck aufgestellte Meinung, dafs nur auf den
Wall des Hadrian sich des Severus Thätigkeit beziehen lasse, bleibt
daher die allein auf Zeugnissen und Denkmälern begründete. Sie steht
mit allem, was wir sonst von dieses Kaisers Politik wissen, in bestem
Einklang. Auch die grofsen Kastelle zwischen dem englischen und
schottischen Walle sind damals von Grund aus hergestellt und er-
weitert worden. Eines derselben, High Rochester, das alte Breme-
nium, welches der Herzog von Northumberland, dem der Boden ge-
hört, zum gröfsten Theil hat freilegen lassen, zeigt den Plan und
die Vertheilung der römischen Lagerbauten mit grofser Deutlichkeit.
Auch das an der Mündung des Tyne auf dem südlichen Ufer ge-
legene grofse Kastell von South Shields, am östlichen Endpunkt
des Walls, scheint erst von Severus angelegt worden zu sein, un-
zweifelhaft um die wichtige Verbindung mit der Flotte noch mehr
als bisher zn sichern. Grabsteine von Personen syrischer und afri-
kanischer Herkunft haben sich hier gefunden. Aufser dem Bri-
gantenland war Wales, das Land der Silurer, der Heerd unaufhörlicher
Aufstandsversuche seiner kriegerischen Bewohner. Wer den mäch-
tigen Snowdon kennt und die ihrer landschaftlichen Reize wegen so
hoch gepriesenen Thäler und Schluchten von Südwales, weifs, dafs
dies Land in seiner Eigenart zum kleinen Kriege förmlich heraus-
fordert. Auch da schaffte Severus endgültige Ordnung: er nahm, wie
Das Ende der römischen Herrschaft 55
früher erwähnt wurde, die zweite Legion aus ihrem alten Standquartier
Gloucester und legte sie weiter westlich in das Gebirgsland der Silurer
nach Caerleon in Südwales; auch gründete er neue Kastelle am iri-
schen Kanal. Dafs Isca nicht bereits zu den unter Nero angelegten
Legionslagem gehört hat, ergiebt sich nicht blofs aus seiner weit nach
Westen vorgeschobenen Lage, sondern mehr noch aus der baulichen
Beschaffenheit seiner Anlage und den dort gefundenen inschriftlichen
Denkmälern, von denen keines über die Zeit jenes Kaisers hinauf-
reicht. Auch Deva, das alte Standquartier der zwanzigsten Legion,
hat Severus, wie die neuen dort gemachten Funde zeigen, erheblich
erweitert und neu befestigt. Er ist der letzte Kaiser, welcher die
Provinz noch einmal auf lange Zeit hinaus der römischen Waffen-
gewalt völlig unterthänig gemacht hat.
Die grofse militärische Bedeutung der Provinz fand ihren Aus-
druck in dem Pronunciamiento der britannischen Armee zu Gunsten
des in Gallien und Germanien proclamierteu Gegenkaisers Albinus.
Solchen gefährlichen Vorgängen vorzubeugen theilte Severus die
Verwaltung der Provinz unter zwei coordinierte Offiziere, den Le-
gaten der oberen und den der unteren Provinz. Auch in anderen
Provinzen hatte man längst auf ähnliche Art den Gefahren der grofsen
Militärkommandos zu begegnen gesucht. Die Theilung des britan-
nischen scheint jedoch nicht lange Bestand gehabt zu haben.
Aber unter des Severus Regierung noch ward auch in Bri-
tannien der erste Schritt rückwärts gethan. Es ist glaubhaft über-
liefert, dafs damals schon die Garnisonen aus den Kastellen am
schottischen Walle zurückgezogen wurden. Die umfassende Neube-
festigung des Hadrianswalles und der ihn in der Front deckenden
Kastelle scheint mit jener Maafsregel im engsten Zusammenhang zu
stehen. Nur die Stationen der Strafse längs des schottischen Walls
werden in den Itinerarien des Reiches noch fortgeführt. Der ver-
hältnissmäfsig wenig entwickelte bürgerliche Wohlstand findet auch
in dieser Zeit noch seine Hauptstütze an den grofsen Besatzungen.
In den Kastellen am Wall haben syrische Männer aus Palmyi*a Handel
getrieben; eine ursprünglich aus einem syrischen Volksstanam gebildete
Cohorte stand daselbst. Die geringe Zahl inschriftlicher Denkmäler im
Vergleich mit den übrigen Provinzen darf nur bis zu einem gewissen
Grade als ein Beweis für mangelndes Durchdringen der römischen
Sitten angesehen werden. Wo gegraben wird oder der Zufall früher
56 England
verwendete Denkmäler blofslegt, wie in Chester, finden sich Zeug-
nisse des römischen Lebens in steigender Zahl und Bedeutung. Der
frühe Wohlstand des Landes hat viel einst Vorhandenes verbaut
und versteckt. Aber im Ganzen tritt doch zu jeder Zeit der krie-
gerische Charakter der Verwaltung und Bevölkerung deutlich hervor;
das erhebliche üeberwiegen militärischer Inschriften ist kein Zufall.
Dafs es daneben an höherer, auch griechischer, Bildung und feineren
Sitten, besonders im Süden der Insel, nicht gänzlich fehlte, versteht
sich; aber die Beweise dafür erscheinen als Ausnahmen gegenüber
der Regel. In den Städten des Südens, vor allem in Londinium,
lag bis an das Ende der römischen Herrschaft der Schwerpunkt des
bürgerlichen Lebens; in den grofsen Legionslagern, besonders in
Eburacum, der des militärischen. London übertrifft an Zahl und Reich-
thum antiquarischer Funde alle übrigen römischen Städte der Pro-
vinz. Denkmäler des ersten Jahrhunderts sind überhaupt nur im
Süden der Insel gefunden worden. York erscheint seit dem Beginn
des zweiten Jahrhunderts als die eigentliche Hauptstadt, als Sitz des
Legaten mit einem kaiserlichen Absteigequartier.
Im Laufe des dritten Jahrhunderts, unter dem ansteckenden
Einflüsse der das Reich nach allen Riclitungen hin durchwühlenden
centrifugalen, autonomistischen und föderalistischen Tendenzen und der
damals schon in den Armeen hervortretenden nationalen Reibungen
wird York noch einmal für vorübergehende Zeit, ähnlich wie Lyon
und Trier, der Sitz eines Gegenkaiserthums von nicht zu unter-
schätzender Bedeutung. Aber Diocletians kraftvolle Neugründung
der eigentlichen Monarchie und Constantins Ausbau derselben in der
freilich den Anfang vom Ende bezeichnenden Theilung des Reiches
zertraten der Hydra den Kopf. Die Barbaren, von Norden zu Land
und von Osten über das Meer eindringend, schwemmen, erst wie die
Fluth von fernher anschlagend, aber langsam nagend, nachher mit
immer stärkerer Bewegung den Fimiss römischer Gesittung weg, der
aufser in den Festungen und Kastellen nirgends tief eingedrungen
war noch fest anhaftete. Während im Innern des Landes, besonders
in der Mitte der Insel und im Westen, längst, wie es scheint, das
römische Element dem einheimischen gewichen war, hielt man, wie die
Notitia dignitafum ausweist, bis zuletzt die Grenzgarnisonen südlich
vom Hadrianswall, in den Küstenplätzen, vor Allem in den Häfen längs
des Kanals fest. Noch bis gegen das Ende des vierten Jahrhunderts
Mars Thingsus 57
war man, wie die erhaltenen Meilensteine zeigen, eifrig bemüht, das
die Kastelle verbindende Strafsennetz in gutem Stand zu halten und
zu erweitem. Die fremden Götter, die mit den gallischen und ger-
manischen Truppen neben den einheimischen, auch hier den ver-
wandten römischen gleichgesetzten verehrt wurden, daneben die orien-
talischen Kulte des Mithras, bereiteten wie tiberall dem Christenthum
den Weg. Damit tritt ein neues Interesse in dieser letzten Epoche
der Geschichte der Provinz, wie in der des Reiches, in den Vorder-
grund. Die einheimische britannische, nur wenig romanisierte, aber
früh dem Christenthum gewonnene Bevölkerung, die kleinen Leute
auf dem Lande, bewahren treu ihren christlichen Glauben allen In-
vasionen zum Trotz, und auch nachdem in den folgenden Jahrhun-
derten die sächsischen Eroberer selbst Christen geworden, diesen
gegenüber in besonderen Formen und Satzungen. Es erschien mehr
und mehr unthunlich, die militärische Besatzung und die römische
Verwaltung aufrecht zu erhalten. Um die Mitte des fünften Jahr-
hunderts wird die Provinz endgültig aufgegeben.
Fragt man nach dem bleibenden Ergebniss des mit so viel
Mühe und Opfern erreichten, mit so grofser Zähigkeit behaupteten
Besitzes der Provinz Britannien, so giebt die bündigste Antwort da-
rauf die englische Sprache. Sie ist eine germanische Sprache; ihre
romanischen Elemente verdankt sie ausschliefslich der normannischen
Eroberung. Nicht also hat, wie in Spanien und in Frankreich, die
römische Eroberung auch hier zu einer wahrhaften Assimilation geführt.
Fremd sind die Eroberer vier Jahrhunderte lang in England ge-
blieben, als Fremde haben sie endlich den frischen Nationalitäten
den Platz geräumt, welchen es bestimmt war, nicht blofs die Herren
des Landes zu sein, sondern ihre bleibende Heimath in ihm zu finden.
V.
Mars Thingsus.
Nach einer kurzen Nachricht über den Fund, der hier besprochen
werden soll, welche den Herren John Clayton imd Dr. Bruce verdankt
wird, in den Ftoceedings der Society of Antiqtuiries in Newcastle-upon-Tyne
I 1883 S. 104 ff., sind die Denkmäler des Mars Thingsus zuerst von mir
veröffentlicht worden in einem Aufsatz „Altgermanisches aus England"
in der Westdeutschen Zeitschrift für Geschichte und Kunst HI 1884
UNIVEKSITT
58 England
S. 120 — 129 und 287 — 293, — sein Inhalt ist mit einigen Bemerkungen
des Herausgebers Bruce und anderer Gelehrter wiederholt in der Archaeo-
logia Aeliana von Newcastle-upon-Tyne X 1884 S. 148 ff.; nachher von
dem verstorbenen W. Th. Watkin in der Archaeologia Aeliana X 1884
S. 150 ff. Darauf hat der verstorbene Wilhelm Scher er in den Sitzungs-
berichten der Berliner Akademie von 1884 S. 671 ff., theilweis mit Be-
nutzung von Bemerkungen W. Heinzeis in Wien, ihre Deutung eingehend
begründet, und H. Brunner dieselbe in bündiger Kürze mit werthv ollen
Ergänzungen wiederholt in der Zeitschrift der Savignystiftung V 1885
german. Abth. S. 226 f. Abgesehen von der Erörterung einiger epi-
graphischer Nebenfragen, die ich hier nicht anführe, ist dann der Gott
und sein Schwan zuerst von W. Ple'yte in den Mittheilungen der Amster-
damer Akademie von 1886 (mit 6 Taf. Letterkunde 3. Reihe 2. Theil S.
110 ff.; vgl. dazu J. Klein Bonner Jahrb. LXXIX 1885 S. 276 und F.
Möller Korrespondenzbl. der W. D. Z. V 1886 S. 256 ff.), nachher von
J. Hoffory in seinen Eddastudien, erster Theil Berlin 1889 S. 145 ff.,
mit der deutschen Sage vom Schwanenritter in Verbindung gebracht und
als der germanische Himmelsgott Tivaz, in seiner doppelten Eigenschaft
als Volksversammlungsgott und Wolkenhen^cher gedeutet worden. Hoffory
hat seiner Abhandlung auch Abbildungen der drei Denkmäler beigegeben.
Der verstorbene F. Möller in Metz wollte ohne Wahrscheinlichkeit nur
den römischen Mars mit der Gans in ihm erkennen, in dem Aufsatz über
die Gans auf Denkmälern des Mars in der Westdeutschen Zeitschrift für
Geschichte und Kunst V 1886 S. 321 ff. Eine neue Deutung der beiden
Begleiterinnen des Gottes versuchte K. Weinhold in der Zeitschrift für
deutsche Philologie XXI 1887 S. 1—16. Den Fund von Procolitia, die
Weihinschrifien der Göttin Coventina, habe ich im Hermes XII 1877 S.
267—272 besprochen.
Mit den Truppen von gallischer und germanischer Herkunft sind,
wie überall, so auch in Britannien fremde Gottesdienste eingezogen.
Davon verschieden ist noch die Frage, wie weit britannische Gott-
heiten in derselben Art römischen Göttern gleich gesetzt und neben
und mit ihnen verehrt worden sind, wie es von keltischen, germa-
nischen, hispanischen, pannonischen und dakischen bekannt ist. Die
inschriftlicben Denkmäler bieten reichen Stoff für darauf gerichtete
Untersuchungen; bisher ist eine solche nur für die keltischen und ger-
manischen Mütter unternommen worden. Bei einer der Stationen des
Hadrianswalles, Procolitia, jetzt Carrawburgh in Northumberland, haben
germanische Soldaten aus den Cohorten der Bataver und Cugerner
einer Quellgöttin Coventina kleine Altäre sowie thönerne Becher und
zahlreiche Münzen von Hadrian abwärts geweiht. Ob diese Göttin
fremden, germanischen Ursprungs ist oder vom Zusammenkonamen bei
Mars Thingsus 59
ihr einen lateinischen Namen führt, lässt sich mit Sicherheit nicht
entscheiden. Hier soll auf den Ursprung und die Verknüpfung solcher
fremder, aber doch in ihrem Urgrund mit den römischen stammver-
wandter religiöser Vorstellungen nicht eingegangen werden. Aus
einem anderen der von germanischen Hülfstruppen besetzten Kastelle
am Hadrianswall sind uns Denkmäler bekannt geworden, welche ein
überraschendes Licht auf die älteste Gottesverehrung unserer Vor-
fahren werfen. Sie verdanken der römischen Herrschaft in England
ihre Erhaltung; als eine schöne Frucht der auf ihre Erforschung ge-
richteten Untersuchungen verdienen sie die Aufmerksamkeit auch wei-
terer Kreise.
In dem Bezirk eines der gröfsten unter den Kastellen am
Hadrianswall, dem alten Borcovicium, dessen Ruinen, wie schon ge-
sagt (S. 46), den Namen Housesteads, die Häuserstätten, führen,
sind im November 1883 drei Steindenkmäler gefunden worden.
Herr John Clayton bewahrt sie in dem Museum seines Landsitzes
zu Chesters; das ist die heutige Bezeio.hnung für die Reste eines
anderen, weiter östlich liegenden Kastells am Wall, des alten Cilur-
num. Es sind zwei grofse Altäre und ein halbrundes bogenartiges
Relief, wahrscheinlich das Frontstück eines kleinen der Gottheit ge-
weihten Heiligthums.
Die beiden Altäre tragen Inschriften in grofser und schöner
Schrift, wie man sie in jenen entlegenen Orten und aus jener Zeit
kaum erwartet; sie gehören, wie sich gleich ergeben wird, in die
erste Hälfte des dritten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung. Aber
die Schrift ist auf dem nicht besonders harten granitartigen Sand-
stein, der dort bricht, durch Feuchtigkeit und langes Liegen in der
Erde sehr ausgewittert und stellenweise wie verwischt; im übrigen
sind die Altäre wohl erhalten. Die Bildwerke des Heiligthums
sind ziemlich roh und von flachem Relief, wie man es von den mili-
tärischen Steinmetzen aus ziemlich zahlreichen ähnlichen Werken
jener Gegenden gewohnt ist. Dennoch liefs sich die Lesung mit
Hülfe von künstlicher Beleuchtung der Steine, sowie von Papierab-
drücken und Photographien mit aller wünschenswerthen Sicherheit
feststellen. Hoffentlich zieren Gipsabgüsse dieser für das deutsche
Alterthum so wichtigen Denkmäler in nicht allzu langer Frist misere
Museen.
Der erste Altar, 2 Fufs 3 Zoll (englisch) hoch, 1 Fufs 5 Zoll
60 England
breit, trägt eine hohe, aber glatt gelassene Krönung und auf der
rechten Seite vom Beschauer eine weibliche Figur in flachem Relief.
Auf der linken Seite war gewiss einst eine entsprechende Figur be-
absichtigt; sie ist entweder heruntergemeifselt oder vielleicht nie aus-
geführt worden, etwa wegen des Raumes, in welchem der Stein auf-
gestellt war. Die Figur trägt weite Gewänder, unter denen die liinke
verborgen ist; die Rechte erhebt sie mit geöffneter Hand wie zum
Ruf. Den Kopf mit hoher Haartracht scheint kein Kranz oder Band
zu schmücken. Die Inschrift, mit grofsen und deutlichen Buch-
staben eingemeifselt und mit ziemlich häufigen raumsparenden Buch-
stabenverbindungen, wie sie zu der Zeit üblich waren, lautet:
Beo Marti Thingso et duahus Älaesiagis Bede et Fimmilene
et n(uminibus) Aug(usti) Germ(ani) cives Tuilianti v(otum) s(olve-
runt) l(ibentes) m(erito).
Die Lesung und Auflösung der Abkürzungen entspricht durch-
aus bekanntem Brauch und bedarf keiner Rechtfertigung. Welches
Augustus Numen oder Numina gemeint sind, ergiebt sich aus der
zweiten Inschrift.
Sie steht auf einem etwas kleineren Altar (hoch 2 Fufs, breit
1 Fufs 7 Zoll), dessen Krönung eine sehr gewöhnliche architektoni-
sche Form zeigt, an den Seiten zwei Voluten, vorn mit radförmigen
Rosetten verziert, in der Mitte ein kleiner Giebel, in welchem sich
eine Büste befindet, ohne Zweifel die des Gottes. Auf den Seiten
sind Opfergeräthe, rechts Kanne und Schale, links Messer und Beil
dargestellt, wie auf vielen gleichartigen Altären. Das erste Wort
der Inschrift steht vorn auf der Krönung des Altars. Der Text, in
Schriftformen, welche denen des ersten Altars ganz ähnlich und offen-
bar gleichzeitig sind, lautet:
Beo Marti et duahus Älaisiagis et n(uminibus) Aug(usti)
Grer(mam) cives Tuihanti cunei Frisiorum Ter . . . Ser . . . Älexan-
driani votum sölveru[nt] libentfes m(eriio)J,
Der Name des Kaisers, dessen Gottheit in beiden Inschriften
zugleich mit den übrigen Göttern geehrt wird, ergiebt sich mit
Sicherheit aus dem (oder den) Beinamen des cuneus Frisiorum: es
ist Severus Alexander, und damit ist die Zeit der Denkmäler sicher
auf die Jahre 222 bis 235 n. Chr. bestimmt.
Wir haben also zwei im wesentlichen gleiche Weihungen vor
uns, denselben Gottheiten von denselben Personen dargebracht. Nur
Mars Thingsus 61
dafs in der ersten die Namen der Gottheiten, in der zweiten dieje-
nigen der Weihenden vollständiger angegeben sind, als in der an-
deren. Man könnte fast vermuthen, dafs die zweite Inschrift wegen
einiger darin vorkommender Abkürzungen, die wahrscheinlich fehler-
haft sind, verworfen worden ist, Daraus würde sich erklären, dafs
die beiden letzten Zeilen anscheinend unvollendet geblieben sind.
Allein so gut sich ein solches Verwerfen eines nicht ganz gelungenen
Textes durch ähnliche Beispiele erläutern lässt, so ist doch auch die
Möglichkeit keineswegs ausgeschlossen, dafs beide Altäre nebenein-
ander, etwa an verschiedenen Oertlichlteiten des Heiligthums, für
welches sie bestimmt waren, Verwendung fanden. Die Undeutlich-
keit und UnvoUständigkeit des Textes lässt sich auch auf andere
Weise erklären.
Zunächst die Gottheiten, denen diese Altäre geweiht sind.
Mars, der an erster Stelle genannt ist, erscheint vielfach unter ein-
heimischen Anrufungen, welche mit seinem römischen Namen ver-
bunden werden, in Britannien zum Beispiel als Bclatucadi'us und
Cocidius. Thingsus, wie er hier auf dem ersten Altar genannt wird,
ist, me die Kenner der ältesten Formen unserer Sprache überein-
stimmend urtheilen, die Latinisierung eines germanischen Adjectivs,
gebildet von dem altnordischen thing, dem althochdeutschen ding, „Volks-
versammlung''. Mars Thingsus ist mithin der Vertreter des deut-
schen Tiu, wie er im Namen des Dienstages (holländisch noch heute
Dingstag), des dies Martis, als solcher erscheint. Tiu, der deutsche
Kriegsgott, ist mithin hier zugleich Gerichtsgott, wie Heeresfriede
und Thingfriede im deutschen Recht gleichbedeutend sind. Für die
Wechselbeziehung zwischen Kampf und Ding verwies Scherer auf das
althochdeutsche wehadinc als Bezeichnung des gerichtlichen Zwei-
kampfs, Brunn er auf das compthing, Kampf ding, des friesischen
Rechtes.
Auch erscheint der Name des Gottes hier nicht zum ersten Mal.
Auf einem schon länger bekannten kleinen Altar mit verwitterten
Schriftzügen, der in einem der Kastelle in Cumberland, südlich von
Hadrianswall, Brougham Castle (der antike Name ist unbekannt), zum
Vorschein gekommen ist, steht folgende Inschrift:
Deo Belatitcadro a micro siv[e] Tus Tingso ex cuneum
[Fr]is[iorum Gerjmanot'tim,
Die Lesung ist zwar nicht vollkommen zweifellos, aber doch
62 England
in der Hauptsache deutlich. Bemerkenswerth ist zunächst, dafs auch
hier wieder dieselbe friesische Heeresabtheilung als weihende erscheint,
wie auf den Altären von Borcovicium. Belatucadrus ist, wie schon
gesagt, der britannische Mars; er heifst a muro, der vom Wall, mit
auffälliger, aber doch verständlicher Kürze. Gemeint ist mit dem
murus natürlich der Wall des Hadrian. Durch das sive scheint der
britannische Mars noch deutlicher, wie in jenen anderen Weihungeu,
dem Thingsus (hier ohne die Aspiration geschrieben) gleichgesetzt
zu werden. In Tus liegt also wahrscheinlich der Name des deutschen
Tiu, in etwas missverstandener Umschrift. Die ungrammatische Ver-
bindung ex cuneiim für ex cuneo entspricht den zu jeder Zeit im
Volksmunde üblichen rein lautlichen Verwechselungen der Casus.
Mit Mars werden auf den Altären von Borcovicium nun femer
zwei weibliche Gottheiten genannt, die beiden Alaisiagae; ihre be-
sonderen Namen, Beda und Fimmilena oder Fimmila, hat nur die
Inschrift des ersten Altars erhalten. Dafs auf dem ersten Altar
Alaesiagae, auf dem zweiten Alaisiagae steht, ist nicht auffallend;
der ältere Diphthong ai hat sich neben ae in .einheimischen Namen
lange im Gebrauch erhalten. Was der Name Alaisiagae oder Alae-
siagae bedeutet, ist noch nicht mit völliger Sicherheit ermittelt
worden. Seh er er erklärte die Alaesiagen, vermuthungsweise und
zweifelnd, für die Allgeehrten; Weinhold hält die Form Alaisiagis
für verschrieben statt Alaisagiis — was ja immer bedenklich bleibt — ,
und deutet sie als die grofsen Gesetzsprecherinnen. Deutlicher sind
ihre besonderen Namen Beda und Finimilena. Nach Heinz eis Vorgang
erklärt sie Scher er, unter allseitiger Zustimmung der Kenner des
deutschen Rechtes, ftlr die Gottheiten zweier verschiedener Arten der
Volksversammlung, also als die rechten Gehülfinnen des Kriegs- und
Dinggottes Tius. Bodthing ist im friesischen Recht das regelmäfsige
Gericht, zu welchem eine Ladung stattfand, Beda, Bitte, später
Bot, Gebot. Davon verschieden ist das Fimmelthing oder richtiger
Fimelthing, das bewegliche Gericht, das nicht regelmäfsig stattfand,
sondern nur wenn ein besonderes Bedürfniss dazu vorlag. Es war
ein After- oder Nachding, welches die im Bodthing nicht zu Ende
gebrachten Sachen verhandelte. So sind also die beiden Alaisiagen
„Vertreterinnen der Ehrfurcht, welche Tius Things auf der Volksver-
sammlung heischt'', sie sind die Göttinnen des Thingfriedens, und
zwar Beda für das Bodthing, Fimmilena für das Fimmelthing, Bedas
Mars ThingsuB 63
Name erscheint selbstständig in dem Namen einer rheinischen Ortschaft,
dem pagits Bedae der römischen Itinerare, das dem heutigen Bitt-
burg entspricht. In dem Genetiv Fimmilene hat Weinhold vielleicht
mit Recht nach Wilhelm Wackeraagels Vorgang eine veränderte Ab-
leitung von dem Nominativ Fimmila erkannt. Deutsche Namen auf
a, männliche wie weibliche, werden im frühmittelalterlichen Latein
nicht selten wie Formen auf anus, ana decliniert: z. B. JSgica
(männlich) Egwani, Teudila (weiblich) Teudilane, und ähnliche.
Man erwartet freilich dann Fimmilane; doch läfst sich auch Finuni-
lene statt dessen wohl erklären. Wie dem aber auch sei, ob Fim-
mila oder Fimmilena, die Beziehung zum friesischen Fimmelthiug
ist auf dieser von Friesen gesetzten Weihung an den Mars Thingsus
neben der der Beda auf das Bodthing unzweifelhaft.
Die eine der beiden Alaisiagen ist mit grofser Wahrscheinlich-
keit in der weiblichen Gestalt auf der Seite des ersten Altars zu
erkennen; die Handbewegung stimmt gut zu ihrer Bedeutung.
Es entspricht nur der Treue gegen den kaiserlichen Kriegs-
herrn und weit verbreitetem Gebrauch in von römischen Beamten oder
Militärs gesetzten Weihungen der Kaiserzeit, wenn neben dem ein-
heimischen Gott und seinen Helferinnen auch noch die Gottheit des
Kaisers in der Weihung verehrt wird. Sie erscheint theils singu-
larisch bezeichnet, als numen Augusti, theils pluralisch, als mimina
Augusti oder Augustorum, mit einigen Gebrauchsverschiedenheiten,
die hier nicht zu erörtern sind.
Ehe ich in der Erläuterung der inschriftlichen Urkunden fort-
fahre, ist nun gleich noch des dritten Denkmals zu gedenken, welches
zugleich mit den beiden Altären gefunden worden ist. Das halb-
kreisförmige Relief war, wie schon gesagt, vielleicht bestimmt, die
Vorderfront am Heiligthum des Mars und seiner Nebengottheiten zu
schmücken, das an jener Stelle innerhalb des Kastells von Borcovi-
cium gestanden haben muss. Wie dies Heiligthum beschaffen gewesen,
haben die Ausgrabungen nicht aufgeklärt; die Bogenöffnung unter
dem Relief bildete wahrscheinlich den Eingang zu der Cella des
Gottes, vor welcher die beiden Altäre standen. In der Mitte des
Reliefs ist in über dem Bogen erhöhter Nische der Gott Mars dar-
gestellt, in der gewöhnlichen römischen Bewaffnung mit Helm, Har-
nisch, an der rechten Seite hängendem Schwert, Schild und
Speer. Der Helm scheint einen grofsen, zu beiden Seiten herab-
64 England
hängenden Helmbusch zu haben. Leider ist gerade der Kopf durch
die Verwitterung fast unkenntlich; mau sieht nur, dafs er nach rechts
gewendet ist. In der Rechten hält der Gott den Speer, die Linke
stützt er auf den runden Schild. Zu seiner Rechten unten sitzt ein
Schwan, der zu ihm aufblickt. Ein Schwan, nicht eine Gans, ebenso
wie auf einem in Lancashire gefundenen römischen Schildbuckel,
jetzt im brittischen Museum, neben dem Speer oder Feldzeichen,
das der thronende Mars in der Linken hält, deutlich ein Schwan
erscheint. Diesen Schwan hat zuerst W. Pleyte in Leiden mit dem
Schwan der Lohengrinsage in Verbindung gebracht. J. Hoffory
wies überzeugend nach, dafs Hönir, der Wolkenherrscher der skan-
dinavischen Götterwelt, aus dem alten schwanengleichen Tius (oder
Tivaz) hohnijaz hervorgegangen ist. Dieser aber ist wiederum kein
anderer als der Schwanenritter der Sage, die in zahlreichen Ab-
wandlungen überliefert ist. Alle ihre Wandlungen weisen auf das
nordwestliche Deutschland als Ursprungsort. Im dritten Jahrhundert
sind beide Gestalten des Tius von den Friesen verehrt worden, wie
der dem Gotte beigegebenc Schwan beweist.
So wird also die Bedeutung der grofsen Gottheit aus deutscher
Vorzeit, die aus ihrem Namen erschlossen wurde, durch die Darstel-
lung des Reliefs bestätigt.
Zu beiden Seiten der Nische des Gottes sind zwei gleichartige,
wie es scheint ganz nackte Knabengestalten schwebend angebracht,
die eine nach rechts, die andere nach links gewandt; sie sind stark
verwittert. In der erhobenen Linken tragen beide etwas, das wie
ein Stab oder ein Zweig aussieht; wahrscheinlich ist ein Zweig, wohl
ein Palmenzweig, gemeint. Die herabhängende Rechte hält einen
deutlichen Kranz. Nach den ersten Abbildungen und Beschreibungen
sah ich darin die beiden Alaisiagen, wobei vorausgesetzt wurde, dafs
sie kurze eng anliegende Gewänder getragen hätten. Allein die Photo-
gi-aphie lässt davon nichts erkennen. Ich bin daher jetzt geneigt,
die beiden nackten Genien mit Kranz und Zweig für die numina
Äugiisti zu halten; schon Pleyte hat sie für Eroten erklärt. Frei-
lich wird der römische Genius gewöhnlich anders dargestellt, als ein
Jüngling mit langem Mantel und Füllhorn. Aber wenn wir in der
Nische den Mars, auf der Seite des ersten Altars eine der Alai-
siagen fanden, so bleiben die Numina allein übrig als nicht darge-
Mars Thingsus 65
stellt. Für die Deutung des ganzen Denkmals ist unerheblich, was
mit den beiden Knabengcstalten gemeint war.
Ich kehre nun zu den inschriftlichen Urkunden zurück. Als
Weihende werden auf beiden Altäre genannt Gerniani cives Tmhanti,
d. h. Tuihanten von germanischer Herkunft. Auf dem zweiten werden
sie genauer bezeichnet als gehörig zu dem cuneus Frisiorum Ter.
Ser. Alexandrianus, und derselbe cuneus Frisiorum Germanorüm
erscheint auch auf der dritten Thingsusinschrift, der v^on Brougham
Castle in Cumberland. Ich beginne mit dem Unsicheren in diesen
Bezeichnungen. Die römischen Truppcntheile, Legionen, Cohorten,
Alen und andere, führen im dritten Jahrhundert nicht selten Ehren-
beinamen von dem jedesmal regierenden Kaiser. So heifst die hier
genannte Abtheilung auf einer vierzehn Jahr jüngeren Inschrift aus
einem anderen römischen Kastell in Cumberland, Papcastle, dessen
antiker Name Aballava war, cuneus Frisioniim Aballavensium Phüip-
pianuSf nach dem Kaiser Philippus (244 bis 249 n. Chr.). Die
nach dem Kaiser Scverus Alexander Ehrenbeinamen führenden Truppen-
abtheilungen pflegen sich durchweg nach seinen beiden Beinamen zu
nennen: also ala oder cohors Severiana Äkxandriana, numerus
Severianus Alexandrianus oder Severianorum Alexandrianorum, nie,
soviel ich sehe, Alexandriana oder Alexandrianus, Alexandriani
allein; was gewiss wohlbegründet ist. Daher bleibt es das wahr-
scheinlichste, dafs in dem überlieferten Ver. Ser, der Inschrift des
zweiten Altares nichts steckt als ein Versehen des provinzialen Stein-
metzen für Sever(ianus). Die einzige noch bleibende Möglichkeit
der Deutung wäre, Ser. für eine lautliche Zusammenziehung aus Sever.
und Ver. für eine Ortsbezeichnung zu halten, wie bei jenem cuneus
Frisionum von Aballava. Aber die Abkürzung Ser. für Setter, ist
unerhört und der Name des Ortes, an dem die Altäre standen, war
BorcoVicium, nicht Ver . . . . ; auch pflegen Ortsnamen nicht in so
vieldeutiger Weise abgekürzt zu werden. Der cuneus Frisionum von
Borcovicium führte also, so viel ist unzweifelhaft, nach bekanntem
römischem Gebrauch Ehrenbeinamen nach dem Kaiser Severus Alex-
ander. Daraus folgt, dafs die Weihungen während der Regierungs-
zeit jenes Kaisers, 222 bis 235 n. Chr., gesetzt worden sind; wie
schon gesagt wurde.
Die Weihenden nennen sich Gerinani, Deutsche, und zwar cives
Hübner, Westeuropa. 5
66 England
Tuilianti. Das Wort cives bedeutet in diesem Zusammenhang, ohne
Rücksicht auf rechtliche Stellung, die engere Heimath. So finden
sich auf einem in Schottland gefundenen Altar des Mars und der
Victoria cives Baeti militantes in cohorte secunda Tungrorum ge-
nannt; älmlich in einer schottischen Inschrift ein pagus Condrustis,
auch ein germanischer Gau, militans in cohorte secunda Tungrorum,
Der Name der Tuihanten lebt fort in dem Namen der niederländischen
Landschaft Twente. Das Wort ist ein zusammengesetztes und in
seinem ersten Theil steckt die Zweizahl, deutlich erhalten wie in
Tuisto. Hart an die Twente grenzt die Drente, alt Tliriauta, worin
die Dreizahl den ersten Theil der Zusammensetzung bildet. Woher
jene Stämme die Zahlennamen führen ist nicht bekannt. Von der
Bevölkerung der Twente war es streitig, ob sie für friesisch oder
für sächsisch oder für fränkisch- chaniavisch anzusehen sei. Die
Tuihanten im cuneus der Frisier zeigen, dafs der Stamm aller Wahr-
scheinlichkeit nach ursprünglich ein friesischer war.
In den beiden britannischen Inschriften, der des zweiten Altars
von Borcovicium und der von Brougham Castle, erscheint der cuneus,
der Keil, zum ersten Mal als technische Bezeichnung einer römischen
Heeresabtheilung. In der nachdiocletianischen Eintheilung des rö-
mischen Heeres finden sich aufserdem cunei als gröfsere Abthei-
lungen dalmatischer, maurischer, palmyrenischer, sarmatischer Reiter;
gennanische fehlen. Tacitus bezeugt von den Germanen ausdrücklich,
dafs ihre Schlachtordnung aus Keilen zusammengesetzt werde: acies
per cuneos componitur (Germania Cap. 6). Gewiss ist es kein Zu-
fall, dafs im römischen Heere des dritten Jahrhunderts das Wort
zuerst bei einer friesischen Abtheilung begegnet. Ueber den ger-
manischen cuneus ist von denen, die sich mit der Kriegführung und
Heeresverfassung unser Vorfahren beschäftigen, eingehend gehandelt
worden; wie der römische cuneus aus ihm hervorgegangen, ist schwer
zu sagen. Scher er hat es auf folgende Weise zu erklären versucht.
Die einzelne germanische Völkerschaft habe sich in der Schlacht als
Keil formiert: so viel Völkerschaften, so viel Keile, wie denn nach
Tacitus in den Historien (IV 16) unter Civilis Canninefaten, Friesen
und Bataver besondere Keite bildeten. Die Angehörigen eines Keiles
glaubten sich untereinander verwandt und nannten sich mit einem
gemeinsamen Namen. Zu jedem Keil gehörte nach der germanischeu
Mars Thingsus 67
Heersverfassuiig eine Abtlieilung Reiterei; in der Regel bildete den
Keil eine zur Hälfte aus Fufsvolk, zui* Hälfte aus Reiterei bestehende
Truppe. Diese gemischte Truppe wurde vor der Front aufgestellt;
noch in später Zeit war es eine Auszeichnung an der Spitze des
Keiles das Feldzeichen zu tragen. Der Keil war also eine Elite-
truppe; wenn die Römer die Elite der Friesen aushoben, so mochte
auf dieser Truppe der Name des Keiles haften bleiben. Soweit
Sc her er. Doch ist die keilförmige Schlachtordnung keineswegs aus-
schliefslich den Germanen eigen gewesen. Die Identificierung des
Keils mit der Völkerschaft lässt sich vielleicht auch auf folgende
Weise erklären. Jede zum Kreis zusammentretende Versammlung
von Geschlechts- oder Gaugenossen, welche, ihre Führer voran, in
sich geschlossen bleiben wollte, zerfällt in keilförmige Abtheilungen,
falls gleichmäfsige Annäherung aller Theile an den Mittelpunkt beab-
sichtigt war, der Vorsitz und Leitung in sich schliefsen musste. Aus
ähnlichem Grunde zerfällt der Zuschauerraum des griechisch-römischen
Theaters und Amphitheaters in Keile. Trat der Kreis einer Ver-
sammlung nach geschehener Berathung auseinander, etwa zum Kampfe,
so konnte die keilförmige Eintheilung als taktische Einheit beibe-
halten werden. Dann hätte der Keil der Friesen vielleicht noch
besondere Veranlassung dazu gehabt, den Tius Things zu ehren.
Auch würde sich so erklären, dafs die landsmannschaftlichen Heeres-
abtheilungen auch anderer Völker als der Germanen den Namen der
Keile übernommen haben. Immerhin bleibt es bemerkenswerth, dafs
zuerst im römischen Heer eine Abtheilung der Nervier, vielleicht
eine aus Reitern und Fufsvolk gemischte und besonders bevorzugte
Truppe, den Namen des Keiles führt. Aus den britannischen In-
schriften ist aufserdem nur noch eine Cohorte der Frisiavonen be-
kannt; man wii'd sie trotz der verschiedenen Nam.ensform (Frisia-
vonen für Frisier) für aus Friesen gebildet halten dürfen. Eine
Reiterabtheilung der Friesen gab es dagegen nicht. In dem Keil
der Friesen dienten also, wie wir aus den britannischen Inschriften
erfahren, im dritten Jahrhundert n. Chr. germanische Tuihanten,
^ Angehörige der Landschaft Twente. Sie hielten fest auch in der
Fremde und in römischer Heeresfolge an ihrem uralten Gottesdienst
und haben uns so die Erinnerung bewahrt an die poesievolle Ver-
5*
, >* Of THE '^
ÜNIVERSITI
68 England
ehrung des Schwanengottes Tius Things, den sie auf römisch Mars
Thingsus nannten.
Das ist die mannigfache und anziehende Belehrung über deut-
sches Alterthum in römischer Zeit, welche auf kleinem Raum die an
der Nordgrenze des römischen Reiches in Britannien gefundenen
Denkmäler uns bieten.
II
DEUTSCHLAND
Der römische Grenzwall In Deutschland.
Durch einen vom Verfasser am Winkelmannsfest der archäologischen
Gesellschaft zu Berlin am 9. December 1877 gehaltenen Vortrag ist das
Interesse an dem Gegenstand neu geweckt worden. Der Vortrag erschien
unter dem Titel „Kömisches in Deutschland" in der Deutschen Bundschau
Jahrgang V 1879 Heft 10 S. 116—131. Die Belege und näheren Aus-
fuhrungen dazu geben der Aufsatz „der römische Grenzwall in Deutsch-
land" in den Jahrbücheni des Vereins von Alterthumsfreunden im Rhein-
lande Heft LXIH 1878 S. 17 ff. nebst weiteren Beiträgen ebenda LXIV
1878 S. 33—62 und einem Nachtrag LXVI 1879 S. 13—25. Den Ertrag
der danach in grofsem Umfang aufgenommenen neueren Untersuchungen
fassten des Verf. „neue Studien über den römischen Grenzwall" in den
Bonner Jahrbüchern LXXX 1886 S. 23—149 zusammen. Endlich legen
den augenblicklichen Stand der Forschung und ihre Ergebnisse dar die
„neuesten Studien über den römischen Grenzwall in Deutschland", die in
denselben Jahrbüchern LXXXVIII 1889 erscheinen. Den beiden ersten Auf-
sätzen ist je eine Uebersichtskarte von H. Kiepert beigegeben. Von
anderen Spuren der römischen Herrschaft in Deutschand handelt ein
zweiter Aufsatz „Römisches in Deutschland" in der Deutschen Rundschau
XU 1886 S. 206—228. Verschiedene kleinere Beiträge des Verf. zur Lösung
dieser Fragen stehen in der Westdeutschen Zeitschrift für Geschichte und
Kunst H 1881 S. 393— 407 u. IV 1883 S. 238—244. In diesen verschiedenen
Aufsätzen ist die ausgedehnte und in steter Zunahme begriffene Litteratur
nachgewiesen, die sich auf alle Theile des Grenzwalles und die Städte
und Strafsen hinter ihm erstreckt.
Wie es die Römer angefangen haben, sich in den Besitz von
Deutschland zu setzen, welches zunächst ja nur als das natürliche
Vorland der durch den Rhein nicht hinlänglich geschützten gallischen
Provinzen und als eine nothwendige Folge der früheren Eroberungen
besetzt werden sollt«, dann aber Jahrhunderte lang der Schauplatz
72 Deutschland
der gröfsten kriegerischen Machtentfaltung blieb, deren sich Rom,
ja das ganze Alterthum überhaupt fähig gezeigt hat — tarn diu
Germania vindtur — , das soll hier nicht erzählt werden. Sondern
nur, wie sie es anfingen das Eroberte zu halten — denn difßcHius
est provincias öbtinere quam facere — , welche Spuren noch vor-
handen sind oder waren von dieser erhaltenden Thätigkeit, die nur
eine Seite der allgemeinen Verwaltungspolitik ist, bildet den Gegen-
stand der folgenden Darlegung. Sie wendet sich an alle Freunde
unserer ältesten Geschichte, insbesondere an alle diejenigen, welche,
dauernd oder vorübergehend, in der Lage sind, jenen Spuren nach-
zugehen und zu ihrer urkundlichen Feststellung, womöglich auch zu
ihrer Erhaltung beizutragen. Sie soll versuchen, das Interesse für
die Reste der römischen Herrschaft in Deutschland, das im wesent-
lichen auf den engen Kreis der Lokalforscher beschränkt ist, dadurch
zu beleben, dafs sie zeigt, wie verhältnissmäfsig leicht es ist, sie
aufzufinden und zu ihrer Erforschung und Erhaltung beizutragen,
wie nothwendig andererseits die allgemeine Betheiligung des Staates,
der Gemeinde, der Einzelnen erscheint an dem Werke der Erfor-
schung und Erhaltung, ehe es zu spät dazu ist.
Mauern im ^^^ Gebrauch, die Grenzen eines Landes durch feste Mauern
j^^Q^^g^^g^^abzuschliefsen, ist uralt. Das älteste Beispiel dafür ist die aus
land Xenophons Anabasis bekannte raedische Mauer zwischen Euphrat
und Tigris, deren Erbauung die Sage der Semiramis zuschrieb. Der
aegyptische Sesostris, Ramses der zweite, hat zum Schutz gegen feind-
liche Einfälle von Osten her eine Mauer von etwa 260 Kilometern
Länge von Heliupolis nach Pelusion erbaut. Auf dem Weg von
Syene nach Philae, an der südlichen Grenze Aegyptens, läuft
den Fluss entlang im Thale eine Mauer aus ungebrannten Back-
steinen. Man hält sie für eine Anlage zum Schutze der Grenze
aus ptolemäischer oder römischer Zeit; Lepsius glaubte mit älteren
Reisenden, dafs sie nur zur Sicherung der Strafse die Katarakte
entlang gedient habe. Die Nachfolger Alexanders haben auch in
anderen Gegenden des Ostens dergleichen ausgedehnte Befestigungen
angelegt. Bei D erbend an der Westküste des kaspischen Meeres
ist eine Mauer mit Thürmen vorhanden, die Persien gegen die Nord-
nomaden abschloss; man schreibt sie Justinian dem ersten oder dem
Kosru-Nuschirwan zu; ihr Ursprung ist völlig unbekannt. Antiochos
Soter erbaute den Grenz wall der Landschaft Margiana. Im per-
Der römische Grenzwall in Deutschland 73
gamenischen Reiche sind bei der jüngsten Erforschung des Landes
in der Richtung von Kane und Pitane nach Pergamon mit grofser
tektonischer Kunst ausgeführte Kastelle und Wachtthürme gefunden
worden, welche das Land in einer Linie durchqueren. Athens lange
Mauern bilden wohl die älteste bekannte Uebertragung der die Stadt
einschliessenden Mauer auf eine lang ausgedehnte Verbindung, welche
die Entfestigung der Burg möglich machte. Die langen Mauern
Athens sollen den älteren Vorbildern in Korinth und Megara folgen,
deren Ursprung nicht näher bekannt ist. Mit Unrecht hat man jedoch
geglaubt, die römische Provinz Afrika sei im Süden durch Wall und
Graben gegen die Wüste abgeschlossen gewesen; es liegt dieser An-
nahme nichts thatsächliches zu Grmide. Das berühmteste Beispiel
einer langausgedehnten Befestigung ist die grofse im Jahre 212 vor
Chr. erbaute chinesische Mauer; ob und wie weit für sie europäische
Vorbilder anzunehmen sind, etwa durch Alexanders Nachfolger ver-
mittelt, entzieht sich meiner Beurtheilung.
Alle jene Anlagen zeigen nur entfernte Aehnlichkeit mit den Römische
Grenzwälle
römischen Grenzwällen, als deren am besten erhaltene und am ge-
nauesten bekannte Beispiele die oben (S. 39 ff.) beschriebenen Wälle
des Hadrian und des Pius in Britannien anzusehen sind. Jene Be-
festigungen im Orient waren sämmtlich, soviel ich sehe, von Anfang
an feste Bauten aus Stein. Die römischen Anlagen dagegen sind in
ihrer Grundlage Erdwerke, hervorgegangen, wie wir an den beiden
britannischen Wällen deutlich erkennen, aus dem römischen Lager.
Man kann sie füglich als in die Länge gestreckte Lager bezeichnen,
nur dafs sie, statt von allen vier Seiten durch Erdwerke umgeben
zu sein, an zweien, den kurzen Querlinien, vom Wasser, Meer oder
Fluss, abgeschlossen werden. So erscheinen sie als eine nationale,
aus der römischen Kriegsweise hervorgegangene Erfindung. Caesars
Befestigungen des Rhönelaufs sowie seine ausgedehnten Belagerungs-
werke bilden eine Vorstufe zu der Uebertragung der Lagerbefesti-
gung auf die Grenzlinie, welche die neuen Aufgaben der kaiserlichen
Verwaltung nothwendig machten. Auch die römische Bezeichnung der
Grenze als Querstrafse, wenn dies als die Grundbedeutung von limes
gelten darf, ist von der Lagerumwallung hergenommen. Die nach
Art eines Lagerwalls befestigte Grenzlinie wird dadurch zur Grenz-
wehr. Ihre Verbindung mit davor und dahinter liegenden Lager-
plätzen, den grofsen und kleinen Kastellen und den Wachtthürmen,
74 Deutschland
macht sie zum befestigten Grenzwall. Aus der neueren Befestigungs-
kunst kann man den römischen Grenzwällen Wellingtons Linien von
Torres Vedras in Portugal vergleichen. Der deutsche Grenzwall ist
älter als die britannischen Wälle; er bietet überhaupt das älteste
Beispiel solcher Befestigungen.
QueUen Eine Zusammenhängende üeberlieferung über den römischen
Grenzwall in Deutschland, seinen Zweck, seine Entstehung und Ent-
wickelung, über den Ausbau der einzelnen Strecken und die Wieder-
herstellungen, die nach und nach nöthig werden mussten, liegt nicht
vor. Aehnlich wie die britannischen Wälle wird er nur nebenher
gelegentlich und nirgends mit deutlicher Bezeichnung seiner Aus-
dehnung erwähnt. Von den hunderten von Kastellen, die an ihm
lagen, sind dem Namen nach nur sehr wenige, der Entstehmig nach
kein einziges genauer bekannt. Die wenigen vorhandenen Erwäh-
nungen des Walles bei den römischen Schriftstellern werden nachher
an ihrer Stelle Besprechung finden. Auch hier also sind wir fast
ausschliefslich auf die erhaltenen Reste des Walles und seiner
Kastelle angewiesen. Aber nur in sehr viel geringerem Maafse als
bei den britannischen Wällen wird hier das stumme Zeugniss der
erhaltenen Reste durch die redenden Zeugen, die inschriftlichen
Denkmäler, unterstützt. Hier ist von der Zukunft noch mancherlei
Aufklärung zu erwarten. Denn vieles zwar, was früher vom Wall
sichtbar war, ist jetzt verschwunden; aber mit sorgfältiger Beschrei-
bung des vorhandenen und vor allem mit Ausgrabungen ist eben erst
ein Anfang gemacht. Meist zufällige Funde, besonders bei Strafsen-
und Eisenbahnbauten, haben manches Neue zu Tage gefördert. An-
dererseits wirkt die fortschreitende Bebauung des Landes, wie über-
all, verwischend und entstellt die schon geringen Reste von Jahr zu
Jahr mehr bis zu völliger Unkenntlichkeit. Auch geschichtliche und
archivalische Forschung ist mithin nothwendig. Manches verschwun-
dene Denkmal, hier und da ein ganzes römisches Kastell, hat aus
den Akten ausgegraben werden müssen. Um so mehr erscheint es
geboten, sich dasjenige zu vergegenwärtigen, was man wirklich weifs,
und Hand anzulegen zur Beschaffung des zur Vermehrung der Kennt-
niss nöthigen, so lange es noch geht.
Vorarbeiten Seit der Zeit, in der man in Deutschland nach dem Vorbild
der italienischen Renaissance begann den Resten des römischen Alter-
thums in der Heimat Interesse zuzuwenden, seit dem Ende des
Der römisclie Grenzwall in Deutschland 75
fflnfzehnten und dem Anfang des sechzehnten Jahrhunderts, ist man
auch hier und da auf die besonders in Süddeutschland damals besser
als jetzt erhaltenen römischen Strafsen und Befestigungslinien auf-
merksam geworden, welche die gröfseren ursprünglich römischen
Städte mit einander verbanden. So ist in gröfseren Pausen nach
und nach eine mehr umfang- als inhaltreiche Litteratur über diese
Dinge entstanden, die man erst in jüngster Zeit begonnen hat in er-
schöpfender und methodischer Weise auszunutzen. Jedes der früheren
Jahrhunderte hat eine oder die andere Untersuchung dieser Fragen
aufzuweisen; in gröfserem Zusammenhang werden sie erst seit wenigen
Jahrzehnten geführt. Alle diese Arbeiten erstrecken sich nur auf
einzelne Theile des grofsen Grenzwalls, auf einzelne Städte und
Landschaften. Im Jahr 1748 hatte die Berliner Akademie, vielleicht
unter des grofsen Königs Einwirkung, in französischer Sprache die
Preisaufgabe gestellt: wie weit der B;ömer Macht in Deutschland ein-
gedrungen sei. Christian Ernst Uansselmanns nachher noch zu
erwähnende Beschreibung des Grenzwalls in den hohenlohischen
Landen, ein Stück der Grenze des Zehentlandes, verdankt dieser
Anregung ihre Entstehung. Den Preis erhielt der Gamisonpfan'er
in Hameln Christoph Friedrich Fein. lieber das römische
Deutschland im Ganzen und besonders über den Grenzwall haben
erst seit den vierziger Jahren in summarischer Weise die Hand-
bücher der alten Geographie berichtet, wie das von Friedrich August
ükert. Etwas genauer und zum Theil de visu schildern ihn einzelne
englische Reisende, welchen die Vergleichung mit den britannischen
Wällen den deutschen nahe gebracht hatte, wie James Yates, der
treffliche Verfasser eines Werks über die antike Webekunst, und
William Bell aus Newcastle. Ihnen sind in jüngster Zeit gelehrte
Reisende, wie Thomas Hodgkin, der Verfasser der Geschichte
der Ostgothenherrschaft in Italien, und rüstige Fufswanderer, wie L.
G. Mowat, gefolgt. Erst vor etwa zehn Jahren ist das Bewusst-
sein von der Bedeutung dieses grofsen Denkmals der römischen
Herrschaft in Deutschland in weiteren Kreisen erwacht. Die Ge-
schichtschreiber, welche von den Anfängen unserer Geschichte ein-
gehender sprechen, wie Wilhelm Arnold, Georg Kauffmann,
Felix Dahn, oder die Geschichte des Kriegswesens behandeln, wie
der Oberstlieutenant Max Jahns, oder die römischen Kriege und
die römische Herrschaft in Deutschland prüfend untersucht haben,
76 Deutschland
wie der verstorbene Theodor Bcrgk und Mommsen in seiner rö-
mischen Geschichte der Kaiserzeit, haben ihm ihre Aufmerksamkeit
zugewendet. Ihnen kam zum Theil schon das Werk eines Mannes
zu gut, das trotz mancher begreiflicher UnvoUkommenheiten immer
einen hervorragenden Platz unter den hierhergehörigen Arbeiten ein-
nehmen wird. Es ist das Buch des früheren Obersten im Ingenieur-
corps und jetzigen Conservators des Museums zu Wiesbaden August
von Cohausen, „der römische Grenzwall in Deutschland'' (Wies-
baden 1885, mit Atlas von 52 Tafeln). Dieses Werk bietet eine
zuverlässige, technisch genaue Beschreibung der einst und noch jetzt
vorhandenen Ueberreste der römischen Befestigungsanlagen im Rhein-
land und hat damit die Grundlage für alle weiteren Untersuchungen
geschaffen, wenn auch nicht für die ganze gewaltige Ausdehnung der
542 Kilometer langen Limeslinie« so doch für den einen Haupttheil
derselben die Strecke zwischen Main und Rhein. Mit Benutzung
der älteren Vorarbeiten, aber im eigentlichsten Siime des Wortes
auf eigenen Füfsen stehend — er hat die oben bezeichnete Strecke
der Limes Schritt für Schritt, zum Theil wiederholt begangen — ,
in anschaulicher und auch dem Laien verständlicher Weise die Er-
gebnisse seiner Abmessungen und Aufnahmen darlegend (die aufge-
nommenen Profile füllen allein neun Doppeltafeln) lässt er die einzelnen
Abschnitte der ganzen Anlage an dem Auge des Lesers vorübergehen,
in ihren Einzelnheiten wie in den charakteristischen Eigenthümlich-
keiten, welche die Bodenbeschaffenheit ganzer Gegenden hervorruft.
Die kartographische Darstellung der Strecke von Grofskrotzenburg
am Main bis nach Hönningen gegenüber von Niederbreisig am
Rhein in zweiundzwanzig Kartenstreifen gewährt ein Bild von der
ganzen Anlage; die zahlreichen Profile des Walls und die nach
gleichem Maafsstab aufgenommenen Pläne der einzelnen Kastelle mit
gröfseren der Thümie, Thore und vorstädtischen Anlagen vervoll-
ständigen es. Für den bayerischen Theil des Limes liegen die noch
besseren Karten Friedrich Ohlenschlagers vor, wie wir sehen
werden; für die würtembergische und badische Strecke fehlen sie
theils noch ganz, theils sind sie in Zeitschriften versteckt. Lehrreich
besonders ist Cohausens üebersichtstafel , welche die Gröfsenverhält-
nisse der rheinischen und britannischen Limeskastelle und einiger
römischer Städte wie Köln, Heddernheim, Regensburg, zur An-
schauung bringt. Viele thatsächliche Berichtigungen von Cohausens
Der römische Grenzwall in DeutscMand 77
Buch werden den Forschern verdankt, die nach ihm und meist auf
seinem Werk fufsend die Untersuchung der im Boden steckenden
Reste gefördert haben. In einem zwei Jahr später erschienenen
Nachtrag hat der Verfasser selbst schon manches davon verwerthet.
Lange vor Cohausens Werk war der verstorbene Karl Samwer,
der bekannte holsteinische Patriot, nachher in gothaischem Staats-
dienst, zufällig aufmerksam geworden auf die spärliche üeberliefe-
rung über den römischen Grenzzolldienst. Dies veranlasste ihn, in
dem deutschen Grenzwall ausschliefslich eine Zollschranke zu sehen.
Es ist dankenswerth, dafs der praktische Verwaltungsbeamte auf
diesen bis dahin nicht gehörig betonten Zweck des Grenzschutzes
hinwies; nur dürfen darüber die anderen, wichtigeren Aufgaben des-
selben nicht aufser Acht gelassen werden.
Den Ertrag der Arbeit Cohausens und seiner Nachfolger haben
bald danach Ferdinand Hang in Mannheim, Hermann Haupt
in Giefsen, der verstorbene Albert Duncker in Kassel, zuletzt
Alexander Riese in Frankfurt und J. Asbach in Köln in gemein-
verständlicher Kürze zur Darstellung gebracht, jeder an seinem Theil
und aus dem ihm nächstliegenden Gebiete selbständiges beisteuernd.
Doch lagen ihnen Ohlenschlagers Arbeiten noch nicht vor; auch
fehlen noch die neuesten Untersuchungen über die Neckar-Mümling-
linie. Auf die in mancher Beziehung noch von einander abweichen-
den Ergebnisse aller dieser Betrachtungen konmie ich später zurück.
Eine zusammenfassende Darstellung des ganzen Werkes, auch ohne
Karten und Pläne verständlich und anschaulich, liegt noch nicht vor.
Der römische Grenzwall zerfällt, obgleich ein einheitliches Werk,
in drei Abschnitte, den Donaulimes oder die raetische Grenze, den
südlichen Theil des obergermanischen Limes oder die Grenze des
Decumatenlandes von der Donau bis zum Main, und den nördlichen
Theil des oberrheinischen Limes vom Main bis zum Rhein. Zum
zweiten Abschnitt gehört die Neckar -Mümlinglinie und ein Stück
nur durch den Main gebildete Grenze. Nach diesen drei Abschnitten
wird sich am leichtesten eine Uebersicht über das Ganze gewinnen
lassen.
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78 Deutschland
I.
Die raetische Grenze.
Da Donau und Rhein zusammen des Reiches nördliche Grenze
bildeten, so kann sich die Betrachtung nicht streng auf Deutschland
beschränken, sondern es muss ein Blick geworfen werden auf den
Lauf der Donau bis zu ihrer Mündung,
DaWsche Ehe Trajan Dakien, das heutige Siebenbürgen und Rumänien,
.renzwa e ^^^ römischen Reiche als neue Provinz hinzugefügt hatte, bildete
die Donau die nördliche Grenze der seit Augustus unterworfenen
römischen Provinzen unter- und Obermoesien, Pannonien und Noricum.
Erst seit Vespasian scheinen auf dem rechten Donauufer, abgesehen
von den älteren beiden Legionslagern in Singidunum (Belgrad) und
Viminacium (Kestolatz) in Moesien, gröfsere Kastelle bestanden zu
haben. Novae (bei Steklen unweit Sistow), Durostorum (Silistria)
und Troösmis (Iglitza) an der unteren Donau wurden wahrscheinlich
zu Anfang des zweiten Jahrhunderts gegründet. Seit dieser Zeit sind
an verschiedenen Stellen Ansätze dazu gemacht worden, das Gebiet
jenseits des Flusses durch Wälle zu schützen. Die äufserste nord-
östliche Grenze Dakiens, zwischen Pruth und Dniester, war durch
eine doppelte Linie von Wällen und Kastellen gesperrt. Dieser
moldauische Wall ist uns durch C. Schuchardts Untersuchung erst
neuerdings etwas genauer bekannt. Vom oberen Lauf des Sereth
nördlich von Nicoresci beginnend zieht er sich über den Berladfluss
in südöstlicher Richtung an den Pruth und den Jalpuch in Bess-
arabien nördlich von Belgrad und weiter, wie es scheint über Tabak
und Tartarbunar, zum Dniester nördlich von Akkjerman. Nur das
moldauische Stück ist von Schuchardt gesehen worden und kann für
römischen Ursprungs gelten. Ein zweiter weiter nördlich in Bess-
arabien zwischen Leowa am Pruth und Bendery am Dniester sicht-
barer Wall ist nur aus den englischen Aufnahmen der Donaumün-
dungen unvollkommen bekannt. Diese bessarabischen Wälle dienten
offenbar dazu, die römische Küste des Pontus gegen die Sarmaten
im Binnenlande zu schützen.
Zu irgend einer Zeit einmal, wohl ehe die Donaumündungen
von Galatz an die Reichsgrenze bildeten, ist die kurze Landstrecke
der Dobrugea von 6 Kilometern Breite von dem Flusslauf bei Cer-
nawoda, dem alten Capidava, nach Tomi-Konstanza am Pontus durch
Die raetische Grenze 79
Wälle gesperrt worden, in der Richtung von Westen nach Osten,
hinter den Karasuseen. Diese Befestigungslinie ist unter dem Namen
der Trajansmauer bekannt. Von ihr giebt die im Jahre 1840 ver-
öffentlichte Beschreibung nebst drei vorzüglichen Aufnahmen mit Pro-
filen von dem preufsischen Ingenieuroffizier Herrn von Vincke eine
ziemlich ausreichende Vorstellung. Weitere Mittheilungen über sie
gab Schuchardt. Der Grenzwall bestand demnach hier aus drei
befestigten Linien, einer steinernen Mauer und zwei Erdwällen; da-
hinter liegen in ungleichen Abständen Kastelle. Die südlichste Linie,
die für die älteste gilt, ist ein Erdwall mit nach Süden, also gegen
die Provinz, davorliegendem Graben. Von den beiden anderen ist
die eine ein bis drei M. hoher Erdwall, die andere ein weniger hoher
mit Steinen gefütterter Wall. Sie laufen oft dicht nebeneinander
her, anderswo weit von einander entfernt, und kreuzen sich etwa in
der Mitte, so dafs in der östlichen Hälfte der Erdwall, in der west-
lichen der Steinwall der nördlichere ist. Der Erdwall hat auf beiden
Seiten Gräben, der Stcinwall nur im Norden. Die Mauern von
Konstanza sind durch einen besonderen Wall mit den Linien in Ver-
bindung gesetzt. Wälle und Gräben sind in ihrem Lauf über Höhen
und Tiefen weithin bis zur See kenntlich; auch von dem Kastell
Capidava am Fluss lassen sich Umfang und Maafse noch erkennen.
Die Anlage scheint eine gewisse Aehnlichkeit mit dem britannischen
Wall Hadriaus zu haben, doch fehlt es auch hier noch ganz an in-
schriftlichen Zeugnissen. Es wird die Aufgabe des aufblühenden ru-
mänischen Staatswesens sein, hier weitere Aufklärungen zu schaffen.
Unterhalb Drobetae, d. i. Turnu-Severin am eisernen Thor der
Donau, bei der scharfen Biegung des Flusses nach Westen, beginnt
eine gi'ofse Wallanlage, die ziemlich parallel der Donau durch Ru-
mänien von Westen nach Osten zieht. Der Wall wird vom Volk
Trojan genannt, da von dem Lokalgelehrten dort überall die Reste
der Vorzeit mit Trajan in Verbindung gebracht werden, oder auch
die Novaksfurche; ein Name, für den es bis jetzt keine Erklärung
giebt. Ueber Craiowa (das ist Castra nova), Schoperlitza , wo ihn
Schuchardt selbst sah, zur Aluta und über diese hinaus zieht sich
der Wall bis nach Greci am Argeschflusse. Von da ab schwindet
jede nachweisbare Spur. Allein dafs der Wall dort nicht im Leeren
abbrach, sondern von da weiter nördlich von Bukarest über Plo-
jesci und Buzeu z\m Seretb bis nach Galatz lief und dort einen
80 Deutschland
festen Anschluss finden musste, ist eine naheliegende und allgemein
angenommene Yennuthung. Denn am unteren Lauf des Sereth bei
Serbesei beginnt wiederum ein Stück Wall, das in der Anlage völlig
mit dem südlichen bessarabischen tibereinstimmt. Es zieht sich in
nordöstlicher Richtung bei Tulucesci an der Nordwestspitze des
Brateschsees vorbei und endet 15 Kilometer nördlich von Galatz.
Wenn dies Schlussstück eines dem Fluss parallel laufenden Limes
römischen Ursprungs ist, woran nicht wohl gezweifelt werden kann,
so wird man auch den Anfang bei Drobetae und mithin die ganze
ursprünglich etwa 600 Kilometer lange Linie mit einiger Wahr-
scheinlichkeit für römisch halten dürfen. Schuchardt hält den An-
fang, da er für den römischen Ursprung der ganzen Linie in der
Geschichte der dakischen Provinz keine passende Veranlassung findet,
für einen von dem Gothenkönig Athanarich im Jahre 376 gegen die
Hunnen errichteten Verhau, von dem Ammianus Marcellinus berichtet.
Schwerlich dürfte ein eiliger Bau der Art eine solche Ausdehnung
gehabt und so erhebliche Spuren zurückgelassen haben. Unsere
Kenntniss von den dakischen Feldzügen Domitians und Trajans ist
ganz unvollständig und unsicher. Ich will nicht behaupten, dafs eine
so grofse Wallanlage, deren Ausdehnung die des ganzen germa-
nischen Limes noch überträfe, als ein unmittelbarer Vorläufer der
Besetzung Dakiens durch Trajan angesehen werden könne; wie Do-
mitians Wall in Deutschland mit seinem Chattenkrieg in Verbindung
stand. Römische Strafsenzüge mögen diese Anlage später gekreuzt
und über sie hinausgeführt haben. Dakien galt stets als eine weit
vorgeschobene Provinz und Avurde deshalb früher aufgegeben als die
älteren. Die grofse rumänische Wallanlage, die zugleich das Hinter-
land in Schach hielt, würde mit Dakiens Lage nicht in nothwendigem
Widerspruch stehen. Aber freilich, noch ist kein Spatenstich am
rumänischen Wall gethan, kein Stein, keine Ziegelscherben, geschweige
eine römische Inschrift daher bekannt geworden. Nur seine allge-
meine Aehnlichkeit mit den grofsen römischen Anlagen des Westens
springt in die Augen. Auch andere Völker, nach und neben den
Römern, haben in jenen Gegenden wahrscheinlich, wie die Gallier
und Germanen im Westen, Verhaue und Brustwehren, Gräben und
Ringwälle zu ihrem Schutze gegen den Feind angelegt. Es bedarf
noch viel genauerer Untersuchung, bis man hier das römische von
dem nichtrömischen wird sicher unterscheiden können. Vielleicht
Die raetische Grenze 81
hat hier doch der volksmäfsige Name Trojan eine geschichtliche Er-
innerung bewahrt, so leicht auch oft für volksmäfsig und alt gehalten
wird, was neuerer Gelehrsamkeit seinen Ursprung verdankt.
In späterer Zeit haben, nach den Untersuchungen Karl Torma's
in Budapest, an der nordwestlichen und an der südwestlichen Grenze
der dakischen Provinz zwei verschiedene Walllinien bestanden. Die
erste, nördliche Linie, von Tliho-Nyirsid bei Porolissum (Moigrad)
nach Kis-Sebes nordwestlich von Napoca, Klausenburg, die in einer
Inschrift des dritten Jahrhunderts (C. I. L. IQ 827) erwähnt wird,
ist 65 Kilometer lang, und bildete also wohl die Grenze der Provinz
zwischen den Flüssen Szamos und Koros. Der Wall ist an seinem
Fundament 11,2 und 12 Meter breit, an seiner Krone 1,40 bis
2,30 Meter. Die innere Höhe beträgt zwischen 2,5 und 6 Meter,
die äufsere wechselt je nach der Wichtigkeit des bedrohten Punktes
zwischen 3,5 und 7 Meter. Der Wall besteht, wie in sehr sum-
marischer Weise angegeben wird, theils aus Steinmassen, theils aus
Pflasterwerk, theils aus blofsen Erdschanzen. Der davorliegende
Graben ist vielfach nicht mehr oder war überhaupt nicht vorhanden.
Längs des Walles sind dreiundzwanzig kleinere runde Kastelle be-
obachtet worden; siebzehn oder achtzehn werden als aufserdem noch
vorhanden angenommen, sodafs erst auf 2000 Schritt je eines kam.
Hinter dem Wall, 1,50 bis 7,75 Kilometer entfernt, in den nahen
Thälem, liegen sieben gröfsere Kastelle, durch Strafsen mit dem
Wall verbunden. Das bedeutendste unter ihnen ist das aus In-
schriften ermittelte Resculum (bei Sebesväralja). Die römischen
Strafsen führen durch den Wall hindurch in das Feindesland zu vor-
geschobenen Kastellen und, falls ich den Bericht recht verstehe, zu
einer zweiten noch wenig erforschten weiter nordöstlich liegenden
Befestigungslinie im Biharer Comitat, zwischen den Flüssen Kräszna
und Koros. Sieben Stationen derselben, Kräszna-Beltek, Kegye,
Zalnok, Sziplak, Baromlak, Verzdr und Püspöki am Koros sind er-
mittelt. Dies ist die beim Volke unter dem Namen „ Teufelsmauer "
(Czörsz-arka?) gehende Linie. Die runde Form der Kastelle deutet
auf Ursprung in nachdiocletianischer Zeit.
Später hat Torma auch den südlichen Theil des dakischen
Grenzwalles zwischen Maros und Donau an der südöstlichen Grenze
der Provinz untersucht, welcher die Hauptstadt Sarmizegetusa (Värhely)
schützte; doch sind mir genauere Aufnahmen davon noch nicht
Hübner, Westeuropa. 6
82 Deutschland
bekannt geworden. Noch also vermögen wir nicht ganz den grofsen
Zusammenhang der römischen Grenzlinie von Westen nach Osten,
das vielleicht schon unter Nero und Vespasian erdachte, von Domitian
begonnene und von Trajan und Hadrian vollendete Werk zu über-
sehen.
Pannoniens Grenze von Singidunum (Belgrad) bis hinauf über
Camuntum (Deutsch -Altenburg zwischen Wien und Presburg) hat
stets nur die Donau gebildet mit zahlreichen Kastellen, von denen
das letztgenannte, eines der gröfsten und durch die neuen Ausgra-
bungen der Wiener Altcrthurasfreunde und Alterthumskenner am besten
bekannten, wahrscheinlich schon unter Claudius angelegt und durcli
Vespasian erweitert worden ist. In einem jener Kastelle, dem von
Matrica, südlich von Budapest, ist eine dem Kaiser Commodus im
Jahre 185 gesetzte Inschrift gefunden worden, in der es heifst, er
habe das ganze Ufer geschätzt durch Burgen (burgis), die er von
Grund auf durch seine Legaten habe erricLlen lassen, uud durch
Wachtmannschaften, die an geeigneten Stellen das heimliche Hinüber-
kommen von Wegelagerern zu verhindern hatten. Wachtposten mussten
also hier neben den Kastellen an Stelle eines Grenzwalles die nur
durch den Fluss gebildete Grenze schützen helfen. Auch Noricum
und Raetien bis über Regensburg hinaus haben nur die Donau als
natürliche Grenze gegen das Barbarenland; hier erst beginnt die
natürliche Befestigungslinie,
s^he umes ^^ unsichcr auch unsere Kenntniss von jenen dakischen Wällen
ist, nur erst seit wir von ihnen überhaupt etwas wissen reiht sich
der raetisch-germanische Limes für unsere Anschauung in ein grofses
System gleichartiger Befestigungswerke ein.
Die bayerische Strecke des raetischen Grenzwalles gehört zu den
theilweis am frühesten bekannten der ganzen Anlage. Der bayerische
Chronist Johannes Thurmayr von Abensberg, der sich lateinisch
Aventinus nannte, hat schon um die Mitte des sechzehnten Jahr-
hunderts einige Andeutungen über den Wall gegeben. Zu Anfang
des achtzehnten hat dann erst wieder Johannes Alexander Döder-
lein, der Rector des Lyceums von Weifsenburg, in zwei 1723 und
1731 in Nürnberg gedruckten Schriften einzelne Theile davon ziem-
lich eingehend beschrieben. Es folgen Redenbacher und der baye-
rische Staatsrath von Stichaner, dann Johann Andreas Buch-
ner, Professor in Regensburg, der in den Jahren 1818 bis 1820 die
Die raetische Grenze 83
ganze Strecke von Kehlheim bis Lorch beging, und Dr. Anton Mayer,
Pfarrer in Gelbelsen bei Kipfenberg. Er hat in sechzehn Jahren,
1821 bis 1838, wiederholt den ganzen bayerischen Grenzwall be-
schritten, an vielen Stellen Grabungen veranstaltet, und vieles mit
ziemlicher Genauigkeit ermittelt. Als er am Ende seiner Wanderung
angelangt ist, kniet er in tiefer Erregung im weichen Moos unter
den rauschenden Baumwipfcln nieder, um Gott zu danken, dafs es
ihm vergönnt gewesen sei, noch in vorgerücktem Alter das Ziel zu
erreichen und eine genaue Beschreibung dieses schönen Denkmals römi-
scher Baukunst zu geben. Allein über wichtige Fragen der Bauart
wie des Zuges blieben noch erhebliche Zweifel, denen Cohausen in
seinem Werke wiederholt Ausdruck gegeben hat. Seit Jahren lag
die Aufgabe, hier an die Stelle des Zweifels und der Unsicherheit
bestimmtes Wissen zu setzen, in den bewährten Händen des Herrn
Friedrich Ohlenschlager in Speier. Nach einer Reihe von
gröfsem uud kleinern Vorarbeiten hat er vor wenigen Jahren sein
Werk „über die römische Grenzmark in Bayern" (München 1887 4.,
mit 4 Kartentafehi) vorläufig abgeschlossen. Er beherrscht, was bei
diesen Untersuchungen nothwendig ist, da jedes Jahr weiter den vor-
handenen Bestand der Ueberreste verändert und vermindert, die
gesammte handschriftliche und gedruckte Litteratur; eine Anzahl ver-
schollener handschriftlicher Quellen hat er mit glücklichem Spürsinn
zuerst wieder aufgefunden. In wiederholten Wanderungen hat er das
ganze bayerische Landesgebiet durchschritten. Doch ist er weit ent-
fernt, mit seiner bisherigen Arbeit die Untersuchung überhaupt für
erledigt anzusehen; sein Zweck ist vielmehr, neben der Feststellung
und Mittheilung des Erreichten und Erforschten zu zeigen, was noch
zu thun ist. Seine Aufnahmen, in die Karten des neuesten topo-
graphischen Atlas von Bayern (Maafsstab 1 : 50000) eingetragen, sind
die vorzüglichsten, welche bisher überhaupt von irgend einem Theile
des römischen Limes in Deutschland gegeben worden sind; sie können
sich dreist neben die bisher unerreichten englischen Aufnahmen des
Hadrianswalles in England stellen.
Ich beginne mit den Kastellen zum Schutze der Donaugrenze
östlich am Anfang des raetischen Limes. An der Grenze der Provinzen
Noricum und Raetien liegen sich gegenüber, durch den dort in die
Donau mündenden Inn getrennt, die norische Zollstation Boiodurum
und die Altstadt von Pas sau, die raetischen Castra Batava. Eben-
6*
34 Deutschland
falls unmittelbar an der Donau, 24 römische Meilen nordöstlich von
Passau, folgt Künzing, das seinen Namen von dem dort gelegenen
Kastell Quintanae, an dem Flüsschen gleichen Namens, führt, un-
gefähr so grofs, wie das römische Kastell von Wiesbaden. Weitere
30 römische Meilen westlich — denn „die Wischelburg", zehn rö-
mische Meilen vorher, scheint eher vorrömischen oder barbarischen
Urspi-ungs — liegt Straubing, das alte Sorviodurum, im zweiten
Jahrhundert Standquartier der ersten Cohorte der Canathener, erbaut
oder erweitert von Mannschaften der zweiten Raetercohorte und der
dritten italischen Legion. Endlich Regensburg, die Regina Castra,
seit Marc-Aurel Standquartier der neu errichteten dritten italischen
Legion, aus deren Lager die heutige Stadt hervorgegangen ist.
Südwestlich von Regensburg, am Einfluss der Alcimona (Altmühl)
in die Donau bei Kelheim, beginnt der raetische Limes, dessen Zug
wir jetzt erst vollständig und genau übersehen, Dank den Bemühungen
Ohlenschlagers. Ueber Kipfenberg nördlich von Eichstädt, Weifsen-
burg, Gunzenhausen gelangt er in einer nach Norden vorspringenden Bo-
genlinie zur württembergischen Grenze bei Mönchsworth, etwas südlich
von Dinkelsbühl. Das württembergische Stück ist zwar im Allge-
meinen so bekannt wie das bayerische, aber eine der Ohlenschla-
gerischen ebenbtlrtige kartographische Aufnahme fehlt noch. Nördlich
von Bopfingen, Aalen, Mügglingen gelangt der Limes über Pfahlbronn
an einen Punkt zwischen Lorch im Remsthal und Welzheim, von
dem an er seine Richtung, wie wir sehen werden, wechselt.
Der raetische Grenzwall läuft nicht in schnurgerader Richtung,
wie der überrheinische in Württemberg, sondern benutzt überall, wo
es angeht, die oft stundenlang ausgedehnten nattlrlichen Hochflächen
der dortigen Gebirgsbildung, nur unterbrochen durch eine nicht sehr
grofse Zahl meist tief eingeschnittener Thäler. Diese werden senk-
recht durchquert, um die unvermeidliche, aber störende Lücke mög-
lichst zu verkleinern. Wasserläufe von gleicher Richtung mit dem
Grenzwall werden vor ihm gelassen; beherrschende, weithin sichtbare
Höhen in das römische Gebiet hereingezogen. Die Grenze war mithin
auf einem grofsen Theil dieser Strecke von Anfang an eine natürliche,
die man geschickt benutzte. Wo die natürliche Grenze ihrer längeren
Ausdehnung wegen verlassen wird, bietet sie doch in leicht erreich-
barer Entfernung von dem Wall eine erhebliche Verstärkung. Das-
selbe ist an Hadrians brittischem Wall zu beobachten. Nicht umsonst
Die raetische Grenze 85
führt dieser Theil d^s Grenzwalles den alten Namen der Teufels-
mauer. Auf gemauertem Unterbau von ungefähr 1,30 m Breite
erhob sich aus den verschiedenen Gesteinen der nächsten Umgebungen
theils ohne Mörtel geschichtet, theils regelrecht gemauert, je nachdem
zu verschiedener Zeit nachlässiger oder sorgfältiger gearbeitet werden
konnte, eine etwa 1 m breite Mauer, deren Höhe sich zu höchstens
2,50 m annehmen lässt. Unmittelbar mit der Mauer verbunden
waren in ziemlich gleichen, durch die Verschiedenheit des Geländes
bedingten Abständen ummauerte Lagerstellen (wie die Hammer-
schmiede bei D a m b a c h) und zahlreiche quadratische Wachtthtirme
vorhanden, überall an Hochpunkten gelegen; zuweilen, wenigstens auf
dem württembergischen Theil, stützen Strebepfeiler die Mauer auf
der südlichen Seite. Auch Thore zum Einläss der Grenzbevölkerung
fehlen in der Mauer nicht. Beim Abstecken der Linie scheinen den
römischen Feldmessern Ausblicke auf entferntere Höhen, wie z. B. auf
den Hohenstaufeu, behülflich gewesen zu sein.
Vor dem Wall nach Norden hin, etwa zwanzig Schritt entfernt, läuft
überall ein Graben, aufser wo ihn der stete Abfall des Geländes
überflüssig machte. Er war durchschnittlich einst wohl 3 m breit
und von ungleicher Tiefe; an vielen Stellen in den Wäldern und
Schluchten, welche bisher erfolgreich der Bodenkultur getrotzt haben,
ist er noch deutlich; oft freilich gänzlich verschwunden. Auf der
Höhe des Walles, wir wissen nicht, ob vor oder auf der Mauer, zog
sich einst, längst freilich spurlos verschwunden, die Pallisadenreihe
hin, welche dem ganzen Werk seinen zuerst im vierten Jahrhundert
vorkommenden deutschen Namen gegeben hat: palae die Pfähle.
Das älteste Zeugniss dafür findet sich bei Ammianus Marcellinus
(XVni^ 2, 15), der in der Erzählung von Julians Alamannenkrieg
vom Jahr 359 von einer Gegend an der Grenze zwischen Alamannen
und Burgundiern spricht, cui capellatii vel palas nomen est Dafs
damit ein Theil des Decumatenlandes gemeint sei, ist sicher. Capella-
tium bedeutet wahrscheinlich, wie im heutigen italienisch capellaccio,
Mauersteine. Also ist damit wohl die Verbindung von Mauerbau
und Pallisadenreihe angedeutet. Pfähle gehören schon nach den Vor-
schriften der griechischen Befestigungstechniker zu den notwendigen
Bestandtheilen von Erdwerken mit Wall und Graben. Stets ist das
römische Lager mit Pfahlwerk befestigt worden; der Schanzpfahl ist
seit alter Zeit ein so wichtiges Ausrüstungsstück des römischen
86 Deutschland
Legionars wie seine Waffen. Es erscheint undenkbar, dafs eine so
grofse römische Befestigungsanlage überhaupt des Pfahlwerks gänzlich
entbehrt haben sollte. Tritt zu diesen Erwägungen nun noch das
Zeugniss des Ammianus und die in der Ueberlieferung erhaltene
Bezeichnung hinzu, so sollte jeder Zweifel ausgeschlossen sein. Denn
in den verschiedenen Gegenden kommen abwechselnd für den Wall
vor die Namen Pfahlrain, Pfahlgraben, Pfahldamm und ähnliche.
Daher ferner die Namen zahlreicher Ortschaften längs desselben, wie
Pfahlbach, Pfahlbronn, Pfahldorf, Pfahlholz, Pfahlwiesen und ähnliche.
Die deutschen Anwohner des Grenzwalls müssen also die Pfähle als
eine bezeichnende Eigenthümlichkeit der ganzen Anlage gekannt und
als solche hervorgehoben haben.
Der Anfangspunkt des Limes am linken Donauufer beim Einfluss
der Altmühl oberhalb Kelheim, eine halbe Stunde von dem auf dem
linken Ufer liegenden Hienheim und gegenüber von Staubing auf dem
rechten, ist genau ermittelt. Vier Kilometer südlich davon, am rechten
Ufer, liegt das den Anfang schützende Kastell Eining am Abensflufs,
des Chronisten Aventinus Heimat, der sich danach den lateinischen
Namen gab. Aber der alte Name, wie ihn für dieses und einige der
folgenden Kastelle das römische Staatsliandbuch des fünften Jahr-
hunderts erhalten hat, war vielmehr Abusina, wie auch der Fluss
hiefs; Thurmair hätte sich richtiger Abusinensis nennen können. Das
Kastell, von 150 zu 120 m, ist schon zum Theil ausgegraben. Die
Ziegelstempel bezeichnen als Erbauer Mannschaften der dritten itali-
schen Legion von Regensburg, der ersten Canathenercohorte, wie in
Straubing, und der dritten brittischen Cohorte, deren Tribun die Notitm
dignifatum nach Abusina setzt. Zwischen Abusina und dem Limes lagen
zwei jetzt nicht mehr sichtbare kleinere Befestigungen. Dann folgt,
in einer Linie, die 2,5 bis 11 Kilometer vom Limes sich entfernt,
eine Reihe von Kastellen, untereinander und mit der Grenze durch
Strafsen verbunden, an welchen Ohlenschlager auch noch kleinere
Lagerstellen beobachtet hat: Irnsing, Pföring mit seiner Biburg
(Celeusum), Kösching, Pfünz (Vettonianae) , Weifsenburg (Biri-
cianae?) bei Ellingen, wo ein Militärdiplom des Trajan gefunden
wurde und die Frauen noch bis zum Jahr 1771 zu einem römischen
Götterbild wie zu einer Inno Lucina wallfahrteten, ferner T heilen -
hofen bei Gunzenhausen (Iciniacum?), Gnotzheim, Weiltingen;
diese alle in Bayern. In Württemberg sind Bopfingen (Opia), Buch
Die raetische Grenze Sl
bei Ellwangen, Aalen (Aquileia), ünterböbingen, Schirenhof
und Lorch theilweis bereits als Kastelle ermittelt. Lorch (Lauriacum,
wie das gleichnamige Kastell an der Donau und das rheinische an
der Wispermündung), durch seine Benedictinerabtei berühmt, ist längst
als römisches Kastell bekannt. Aufserdem zieht sich weiter südlich,
zwischen der raetischen Grenzlinie und der Donau eine vielleicht
ältere Linie von Kastellen, der nördlichen ziemlich parallel, von
Osten nach Westen: Gaimersheim, Nassenfeis, durch ziemlich
zahlreiche Inschriften hervoiTagend, Faimingen, Heidenheim ge-
hören dazu. Ferner gehören dahin die römischen Kastelle von Man-
ching, Neuburg und Günzburg. Aber auch weiter hinauf, bei
Mengen, Möfskirch, Tuttlingen fehlt es nicht an Spuren römi-
scher Städte oder ländlicher Niederlassungen. Die Donau, noch
weiter südlich und westlich der Rhein bildeten hier einst die Linie,
von der aus die römische Eroberung nach Norden vordrang. Der
württembergische Theil der Grenzlinie und ihre Kastelle sowie die
übrigen römischen Orte zwischen Donau und Bodensee haiTcn noch
genauerer Untersuchung und Feststellung.
Des raetischen Limes erwähnt zuerst Tacitus in der Germania,
wo er den friedlichen Verkehr der an ihm wohnenden Hermunduren
mit den Römern zur Zeit der flavischen Kaiser schildert. Im Gegen-
satz zu der überall sonst an den Grenzen festgehaltenen strengen
Absperrung, die dem Fremdling nur unter militärischer Begleitung
den Eintritt in das römische Gebiet gestattete und von jeder Einfuhr
einen Zoll erhob, durften jene friedlichen Leute ungehindert ein- und
ausgehen und ihre Waaren bis nach Augsburg auf den Markt bringen.
Ein Jahrhundert lang etwa genügte der Schrecken, der den römischen
Waffen voranging, die Grenze zu schützen. Ueberall, wo die Grenze
über die grofsen Ströme hinaus vorgeschoben wurde, ist zunächst
wohl eine Grenzlinie abgesteckt und, wo die Natur des Geländes es
erforderte, durch Wall und Graben bezeichnet worden. Das reichte
unter friedlichen Verhältnissen, wie an der raetischen Grenze, lange
Zeit für den Grenz verkehr und die Zollerhebung aus. Aber als vom
zweiten Jahrhundert an die ersten Flutwellen der grofsen Wander-
züge unter den Völkern des Nordens gegen die nördlichen Grenzen
des Reiches anschlugen, um sich von da an in immer stärkerem
Anprall zu wiederholen, genügte die blofse Grenzlinie nicht mehr;
sie wurde zu einer Grenzwehr ausgebaut. Das scheint in Raetien
88 Deutschland
erst vom zweiten Jahrhundert an, vielleicht schon unter Hadrian
geschehen zu sein; sicher erfolgte es unter den Kaisern Pius und
Marcus, deren Kriege mit den Markomannen um jene Zeit heginnen.
Damals wurden auch die grofsen Donaukastelle, wie Regensburg, ver-
stärkt und ausgebaut. In diese Zeit lässt sich mit einiger Wahr-
scheinlichkeit, nach den bisherigen Funden und Beobachtungen, der
Bau der Teufelsmauer setzen. An ihr und an den daran und da-
hinter liegenden Thtirmen und Kastellen haben die folgenden Jahr-
hunderte bis zum Ende der römischen Herrschaft in jenen Gegenden
einen festen, erst nach und nach geringer werdenden Schutz gefunden.
Die Mauer allein wäre dafür nicht ausreichend gewesen; aber mit
den dahinter liegenden Kastellen und ihren im Fall der Noth aus
aller waffenfähigen Mannschalt der Grenzbezirke verstärkten Be-
satzungen bildete sie eine sehr ausreichende Befestigungslinie. So
ist der raetische Limes vielleicht als das letzte, aber als ein gleich-
artiges Glied den grofsen Grenzbefestigungen von der Donau bis zum
Rhein eingefügt worden.
II.
Die Grenze von der Donau bis zum Main.
Die württembergische Strecke des Grenzwalles gehört in einigen
ihrer Theile zu den am frühesten bekannten. Auf Christian Ernst
Hansseimanns umständlichen Bericht (1768 und 1773) ist schon
hingewiesen worden. Ihm folgten Julius Leichtlen (1818 und 1825),
ein sorgfältiger Forscher, und Friedrich von Stalin (1841), der
treftliche württembergische Geschichtschreiber. Seit den sechziger
Jahren ist Eduard von Paulus, der schon früher den Alterthümem
des Landes als Forstmann und Topograph Aufmerksamkeit geschenkt
hatte — eine Frucht dieser Studien ist seine archäologische Karte
von Württemberg mit erklärendem Text — , der Erforschung des
württembergischen Limes näher getreten und hat diese Aufgabe auf
seinen Sohn und Wandergenossen den jüngeren Paulus vererbt.
Gelegentliche Arbeiten anderer Gelehrten, wie Otto Kellers Ab-
handlung über Oehringen, haben nicht wenig dazu beigetragen, klarere
Anschauungen von der römischen Kultur dieser Landstriche zu ver-
breiten. Seit dem Jahr 1876 hat die württembergische Regierung
durch eine Kommission von Topographen, Statistikern und Antiquaren
(Professor E. Herzog in Tübingen leitet den antiquarischen Theil
Die Grenze von der Donau bis zum Main 89
der Arbeit) eine vollständige Anfnabme der liimeslinie in AngriiT ge-
nommen. Das Ergebniss der Vermessung ist im Jahr 1880 mitge-
theilt (in den Württembergischen Vierteljahrsheften für Landes-
geschichte) und auf eine Karte (Maafsstab: 1 : 200000) eingetragen
worden. Die Begehung der ganzen Strecke erwies sich auch in land-
wirthschaftlicher Beziehung als äufserst lohnend; sie gab ein grofs-
artiges Gesammtbild von der ganzen Anlage. Seitdem sind neben
Paulus eine Reihe von jüngeren württembergischen Forschem wie
Bück, Drück, Gufsmann thätig, unter denen ich Konrad Miller
hervorhebe.
Der militärischen Besetzung des Decumatenlandes durch die
Römer hat ein gelehrter Offizier, der jüngstverstorbene württember-
gische General E. von Kallee, als Mitarbeiter Herzogs durch eine
Reihe von topographischen Aufsätzen bekannt, eindringende Unter-
suchungen zugewendet. Er hat eine Reihe von römischen Kastellen
südlich der Rems und am oberen Neckarlauf zuerst genau bestimmt.
Nur eines ist noch nicht genau ermittelt: der Punkt, an welchem
der raetische Limes mit dem obergermanischen zusammentraf. Die
Ansichten der betheiligten Forscher gehn darüber noch ziemlich weit
auseinander.
Wo die Donaugrenze aufhört und der Rhein seinen Lauf nach
Norden richtet, ändert sich die Front der Grenze. Bis dahin nörd-
lich, also von West nach Ost gezogen, wird sie nun eine östliche,
von Süd nach Nord gerichtete. Hier musste die bis dahin mehr
oder weniger natürliche Begrenzung zuerst durch eine durchaus künst-
liche Grenzlinie ersetzt werden. Zwischen den Kastellen Haaghof
bei Pfahlbronn, unweit Lorch im Remsthal, und Welzheim, dem
ersten der an der östlichen Grenzfront liegenden, hat sich der
Richtungswechsel bereits vollzogen. Es fragt sich, ob die südnörd-
liche Linie nicht schon südlich von Remsthal, gegen den Hohenstaufen
hin, begann. Die Ansicht der württembergischen Forscher hat sich
von jeher dieser Annahme zugeneigt. Herr von Cohausen bestreitet
sie; und der topographische Nachweis ist allerdings bis jetzt noch
nicht geführt worden. Es wäre nicht unmöglich, dass der raetische
Limes von dem Kastell Hesse Iberg aus ursprünglich, wenn auch nur
als Linie, durch die Kastelle Sixenhof, Gmünd, Staufen, Köngen
bezeichnet war. Von Köngen am Neckar könnte dann eine engere
ältere Grenzlinie über Neckarelz nach Wörth am Main geführt
• UNIVERBITT
90 Deutschland
worden sein. Doch dies sind vor der Hand nur Vermuthungen.
Unentschieden ist femer noch, ob das letzte Stück des raetischen
Limes auf der Hochebene zwischen Rems und Lein bis zum Haaghof
lief, wie Herzog annahm, oder in das Remsthal nach Lorch hinab-
stieg, wie Paulus und mit ihm Cohausen glauben. Herzog nahm
an, das Stück vom Brackwanger Hof bis Pfahlbronn sei nicht Grenz-
mauer, sondern römische Heer straf se gewesen, die nördlich vor dem
Limes lief. Paulus lässt den Grenzwall von beiden Seiten, im Norden
und Süden, von Kastellen begleitet sein, gleichsam wie einen Rücken-
markstrang der Befestigungslinie. Beide Annahmen werden schwer-
lich vor der Bodenuntersuchung Stand halten. Dafs diese hier noch
fehlt, ist die einzige erhebliche Lücke in der Kenntniss des ganzen
deutschen Grenzwalls. Die Frage hängt eng zusammen mit der Fest-
setzung der Grenze zwischen Raetien und Obergennanien, welche
grade von hier ab zur Donau und zum Bodensee lief, aber noch nicht
genauer ermittelt ist.
Sicher aber ist, dafs vom Haaghof ab der Grenzwall in fast
schnurgerader Richtung (was oft als unmöglich bezweifelt worden ist)
von Süden nach Norden, mit geringer Abweichung nach Nordwest,
quer durch Württemberg läuft, nördlich von Jagsthausen auf badi-
sches Gebiet tritt, den Odenwald in der Richtung von Osterburken
auf Walldürn schneidet und endlich in mehrmals wechselnder Rich-
tung auf bayerischem Gebiet bei Miltenberg den Main erreicht.
Die xinlage dieses Stückes des Grenzwalls ist genau bekannt.
Er ist ein Erdwall, keine Mauer, wie in Bayern. Davor liegt ein
Graben und dahinter in Abständen von 12 bis 14 Kilometern Kastelle;
dazwischen auch hier Wachtthürme und kleinere Lagerplätze. Die
Linie von Wall und Graben, hier und da sogar noch die breite Wal-
deslichtung vor dem Pfahlwerke, die einst überall vorhanden gewesen
sein muss, ist in ihrer Lage und Richtung fast überall kenntlich
und meist in einer Breite bis zu 20 m festgestellt.
Es steht fest, dafs das germanische Grenzland, welches durch
die überrheinische Grenzlinie gegen den Osten abgegrenzt wird, von
Vespasian dem Reiche zugefügt worden ist. Wir haben dafür das
klassische Zeugniss des Tacitus, welches uns zugleich die amtliche
römische Bezeichnung dieses anfänglich nicht der Provinz Gallien
einverleibten, aber doch unter römischer Hoheit stehenden Land-
striches erhalten hat. Er sagt in der Germania (Cap. 29), zu den
Die Grenze von der Donau bis zum Main 91
Völkern Germaniens wolle er, obwohl sie jenseits des Rheins und
der Donau wohnten, die nicht rechnen, welche die Zehentäcker be-
bauten; wer von den Galliern den leichtesten Muth und jene Kühn-
heit besessen habe, welche die Armut verleiht, der habe sich Besitz
in dem zweifelhaften Gebiet angeeignet. Nachher erst sei der Grenz-
wall gezogen und Besatzungen dorthin vorgeschoben worden, sodal's
sie als ein Winkel des Reichs und ein Theil der Provinz angesehen
würden. Zehentäcker, agri decumates oder decumani, denn beides
ist gleichbedeutend , nannte man also das Gebiet , wohl weil die
Bewohner zwar den Zehnten vom Bodenertrag der römischen Steuer-
verwaltung in Gallien zahlten, aber zu den übrigen Lasten der Pro-
vinz noch nicht herangezogen wurden, und noch keine Besatzung
das Land zur römischen Provinz gemacht hatte. Das geschah erst
später, und zwar kurz bevor Tacitus schrieb. Im Verein mit in-
schriftlichen Zeugnissen, welche beweisen, dafs die erste Anlage der
römischen Strafsen in diesem Gebiet durch Vespasian geschehen ist,
darf man also die Einverleibung des Decumatenlandes mit gröfster
Wahrscheinlichkeit den flavischen Kaisern zuschreiben, Durch sie
sind dazu an der natürlichen Grenze jenseit des Rheines nach Osten
hin, an der Neckarlinie, die ersten festen Lagerplätze für römische
Truppen angelegt worden.
Damals wird man sich, wie gleichzeitig oder wenig später in
Raetien, mit der Absteckung der Grenze und ihrer Befestigung durch
Wall und Graben zunächst begnügt haben. Die Verstärkung des
Werks durch die Anlage fester Kastelle dahinter mag schon unter
Trajan oder Hadrian begonnen worden sein. Die Kastelle der würt-
tembergischen Linie sind von Haaghof nordwärts Welz heim. Murr,
hardt, Mainhardt, Oehringen, Jagsthausen, Osterburken.
Schon ist mit ihrer Aufgrabung ein Anfang gemacht worden. In
Murrhardt ist der Umfang des Kastelles (185 zu 150 m) ermittelt
und Inschriften des Kaisers Severus Alexander und der Julia Domna
gefunden worden, gesetzt von der 24. Cohorte der Freiwilligen.
Oehringen ist schon länger bekannt; als sein alter Name oder als
der des damit verbundenen Fleckens ist jüngst vicus Aurelianus er-
mittelt worden. Es war im dritten Jahrhundert Standquartier eines
numerus AureKanensis. Seine inschriftlichen Denkmäler reichen bis
in die Zeit Marc Aurels hinauf. In Jagsthausen, Goetzens Burg,
die auf klassischem Boden liegt, noch jetzt Sitz der Herren von Ber-
92 Deutschland
lichingen. ist ebenfalls die Lage des Kastells ermittelt. Das letzte
Stück dieser Limesstrecke, von dem Kastell Osterburken und dem
Wachtthurm im Hettinger Walde südlich von Walldürn an, mit den
Kastellen Alteburg bei Walldürn, der Hasselburg bei Reinhard-
sachsen, endlich der Alteburg am Main unterhalb Miltenberg,
und dazwischen die Grundmauern von einundzwanzig in Abständen
von 900 bis 1000 Schritten liegenden Wachtthürmen hat nach älteren
Versuchen verschiedener Gelehrter Wilhelm Conrady in Miltenberg,
einer der sorgfältigsten Erforscher unserer heimischen Alterthümer,
ermittelt. Walldürn führt seinen Namen übrigens nicht vom Wall,
sondern, wie Wallhausen und Grofswallstadt, entweder, wie man an-
nimmt, von den Welschen, den Fremden, oder von Wallfahrten.
Von Walldtlrn an hört die gerade Richtung des Grenzwalls auf. Bis
Miltenberg mussten die römischen Feldmesser, dem Gelände folgend,
wiederum wie in Raetien mehrere Winkelschläge eintreten lassen.
Auch hier wird die Aufgrabung der einzelnen Kastelle, die noch kaum
ernstlich in Angriff genommen worden ist, für ihre Anlage und ihren
Ausbau wahrscheinlich die gleichen Ergebnisse liefern, wie die der
württembergischen Kastelle. Miltenberg, W. Conrady' s Wohnsitz, war
nach inschriftlichen Zeugnissen im zweiten und dritten Jahrhundert
Lagerort einer Abtheilung von Vortruppen, welche den Namen eocplo-
rafores Seiopenses führten. Seiopa oder Seiopum scheint daher Milten-
bergs alteinheimischer Name gewesen zu sein. Wie sehr seine Lage
gerade für eine Abtheilung militärischer Kundschafter sich eignet,
bedarf keiner Ausführung. Eine Anzahl Soldateninschriften, die dort
gefunden wurden und von L. von Urlichs in Würzburg gelehrt er-
klärt worden sind, bestütigen seine militärische Bedeutung. Zu den
hier gemachten Funden hat der Bau der Eisenbahn Miltenberg-
Aschaffenburg den ersten Anstofs gegeben.
Die Ehe ich mich zu der von hier ab dem Main folgenden Grenz-
eckar in e jj^^ i^endc, ist noch einer anderen Vertheidigungslinie des Decumaten-
landes zu gedenken. Von Vindonissa, Windisch in der Schweiz
etwa in der Mitte zwischen Zürich und Basel, einem der alten Lager-
orte der gallischen Legionen, führte eine Strafse über den Rhein
und nordwärts, die Donau unweit Donaueschingen überschreitend,
nach Rottweil am oberen Neckar. Dort hatte Vespasian bei der
Besetzung des Decumatenlandes einen oder mehrere Altäre für die
göttliche Verehrung seines Hauses gestiftet, so wie Augustus und
Die Grenze von der Donau bis zum Main 93
Drusus einst in den Pro vinzialbaupt Städten Altäre der Göttin Roma
und des julischen Hauses errichtet hatten. Das Kastell von Rottweil,
das den Namen der „flavischen Altäre'' führte, ist nebst einer Reihe
anderer in jenem Gebiete liegender römischer Kastelle von den ein-
heimischen Gelehrten, dem General von Kallee und Professor K.
Miller durch Untersuchung und Grabung festgestellt worden. Von
dort zieht sich, dem Laufe des Neckar folgend, der ja an sich eine
Parallele zum Lauf des Rheines bildet, ähnlich wie hinter dem raeti-
schen Grenzwall, eine Kette von Kastellen nordwärts, welche als eine
Staffel und zugleich als eine Rückendeckung der Linie Lorch-Milten-
berg anzusehen ist. Das also sind die Besatzungen, welche nach
dem Zeugniss des Tacitus in das Barbarenland vorgeschoben worden
waren. Auf Rottweil folgen, sämmtlich am linken Neckarufer, wobei
ich kleinere Kastelle übergehe, Rottenburg, im Alterthum Sumelo-
cennae (in der Sülcheukapelle daselbst ist ein Rest des alten Namens
erhalten), der Sitz der Steuer Verwaltung in dem neu erworbenen
Zehentland, Köngen, die Altenburg bei Cannstadt (Clarenna),
Benningen (der vicus Murrensis mit römischer Neckarbrücke),
Walheim, Böckingen-Heilbronn, Neckarmühlbach bei Gundels-
heim. Nördlich davon wendet sich der Neckar nach Westen dem
Rhein zu.
Wo die natürliche Flussgrenze aufhört, beginnt eine Linie von
Kastellen und Thürmen, nicht durch Wall und Graben verbunden,
welche über die Höhe des Odenwaldes dem Main zustrebt, den sie
bei Wörth erreicht. Man nennt sie die Neckarmümlinglinie,
von einem der kleinen Flüsse, deren Thäler die Linie schneidet: die
Modau, die Mümling, die Gersprenz. Ihre ersten Kastelle sind „ Bürg '^
bei Neckarburken und „die Burgmauer'' bei Oberscheidenthal;
es folgen die nicht grofsen, aber offenbai' nach gleichmäfsigem Plane
angelegten Kastelle Schlossau, Hesselbach, Würzberg, Eul-
bach, Hainhaus, Lützelbach und zuletzt Wörth am Main; nur
wenige aber von ihnen sind genauer bekannt. Sie liegen alle auf
weithin herrschenden Höhenpunkten an den Hauptübergängen aus dem
Main- in das Mtimlingthal. Im Park der Grafen zu Erbach-Erbach
in Eulbach sind allerlei Ueberreste dieser Kastelle gesammelt. Nach
den älteren nicht ausreichenden Nachrichten über sie, die dem ge-
ehrten badischen Staatsrath J. F. Knapp und Friedrich Creuzer,
dem Heidelberger Philologen, verdankt werden, war schon vor Jahren
94 Deutschland
eine Aufnahme derselben auf Veranlassung der badischen und hessi-
schen Regierung in Aussicht genommen worden. Da von dem Fort-
gang dieser Arbeit nichts verlautete, hat in den letzten Jahren ein
einsichtiger Liebhaber dieser Studien, Friedrich Kofier in Darmstadt,
die Linie und ihre Kastelle auf eigene Hand sorgfältig begangen
und soweit möglich festgestellt. Die Linie folgt der Hauptsache
nach der „hohen Strafse" im Odenwald; zwischen den KasteUen
liegen auf zur Beobachtung nach vor- und rückwärts geeigneten
Punkten Wachtthürme. Aber Wall und Graben fehlen durchaus;
sie würden auf solcher Höhe zwecklos gewesen sein. Nur ein Ver-
bindungsweg, keine Heerstrafse, läuft zwischen den Kastellen. Es
liegt nahe, in diesen Kastellen am Neckar und im Odenwald eine
ältere überrheinische Grenzlinie des Zehentlandes zu erkennen, eine
Staflel wiederum und zugleich eine Rückendeckung der Linie Lorch-
Miltenberg. Die Kastelle beider Linien stehen in enger Verbindung
miteinander und hatten gleichzeitig Besatzungen derselben Truppen-
körper. Vielleicht also wurden diese Kastelle und Wachtthürme
zuerst schon zu Ende des ersten Jahrhunderts angelegt. Die ältesten
inschriftlichen Zeugnisse, die sich bis jetzt in ihnen gefunden haben
z. B. in Hesselbach und in Eulbach), sind aus der Zeit des Pius,
also den raetischen und denen der Linie Lorch-Miltenberg gleichzeitig.
Damals wird also auch ihnen Ausbau und Verstärkung zu Theil ge-
worden sein. Nicht blofs gegen den Feind aufserhalb der Grenzen
sollten Grenzlinien und Grenzwälle schützen; auch in dem eroberten
Lande selbst gab es eine zahlreiche einheimische Bevölkerung, die
scharf überwacht werden rausste. Griechische Befestigungskunst hat
in den asiatischen Reichen der Nachfolger Alexanders schon der-
gleichen Kastelle und Wachtposten im eroberten Laude angelegt:
auf die pergamenischen Kastelle ist oben (S. 72) bereits hingewiesen
worden, Auch das grichische Wort für Thurm, Tcupyo^, ist als
hurgus in den römischen Gebrauch tibergegangen. Einige der ober-
germanischen Kastelle, wie die pannonischen (oben S. 82), werden
auf Inschriften lurgi genannt. Daher finden sich hier, wie an der
Taunuslinie, viele mit Burg gebildete Namen für die Linieskastelle;
Alteburg ist einer der häufigsten.
Die Von Miltenberg bis Hanau fliefst der Main fast genau von Süden
Mainiinie ^^^^ Norden parallel dem Rhein und bildet die natürliche Fortsetzung
der beiden ktlnstlichen Grenzlinien Lorch-Miltenberg und Rott-
Die Grenze von der Donau bis zum Main 95
weil-Wörth. Ungenaue Keiintniss der Oertlichkeiten und ihrer
Ueberreste, phantastische lieber Schätzung der römischen Herrschaft
und ihrer Ausdehnung nach Osten haben ältere Lokalgelehrte, wie
den Baumeister Karl Arnd, der ein nicht sorgfältig beobachtender
Enthusiast war, und den ganz unkritischen J. W. Chr. Steiner
in Seligenstadt zu der an sich nicht unmöglichen Vermuthung ge-
bracht, der überrheinische Grenzwall habe sich jenseits des Maines,
bei Freudenberg, wie sie meinten, über den Spesshardt hin fort-
gesetzt, bei Gelnhausen etwa die Einzig überschritten und am
westlichen Abhang des Vogelsbergs entlang ziehend Laubach als
nördlichsten Punkt berührt und von da erst sich .westlich wendend
den Taunus erreicht. Sic folgten darin einem Irrthum Gibbons,
des Historikers, der eine Nachricht über den Kaiser Probus damit
in Verbindung brachte. Diese beträchtliche Erweiterung der römi-
schen Macht in Deutschland hat sich, wie Albert Duncker und
Friedrich Kofi er zeigten, als ein Truggebilde erwiesen. Vor
wenigen Jahren hat H. Haupt in Giessen durch eine Begehung
der ganzen Strecke den Nachweis geführt, dafs was Arnd für römi-
sche Wälle und Gräben ansah, sehr junge Anlagen verschiedener
Art sind. Kein behauener Stein römischen Ursprungs, kein Legions-
oder Cohortenziegel, keine römischen Thonscherben, geschweige denn
irgend ein gröfseres inschriftliches Zeugniss hat sich in diesem ganzen
Gebiete gefunden. Wir dürfen mit Sicherheit annehmen, dafs es
niemals zum römischen Provinzialland gehört hat.
Zwischen Miltenberg und Grofskrotzenburg, welches ober-
halb der Kinzigmündung am rechten Mainufer gelegen ist, hat vielmehr
stets der Main allein die eigentliche Grenze des römischen Gebietes
gebildet. Aber parallel zu ihm lief wenigstens bis Wörth etwas
weiter westlich die Mümlinglinie, wie wir sahen, und ausserdem wai*
sein linkes Ufer, genau wie das des Neckars, durch eine Reihe von
in mäfsigen Abständen liegenden Kastellen geschützt. Zwischen
Miltenberg und Wörth liegt ein kleines Kastell bei Trenn fürt.
Dann folgen den Main abwärts Wörth, etwa eben so grofs, das
den Abschluss die Mümlinglinie bildet, Obern bürg, bedeutend
gröfser wie die beiden genannten, an Umfang der nachher zu nennen-
den Saalburg nahe stehend, und die wenig kleineren Niedernberg,
Stockstadt, Seligenstadt und Heinstadt gegenüber von Grofs-
krotzenburg. Aus Stockstadt sind Inschriftsteine nach Aschaifen-
96 Deutschland
bürg gekommen und haben eine Zeit lang zu der falschen Annahme ge-
führt, dafs auch Aschaffenburg, das Ascapha der alten Geographen,
ein römisches Kastell gewesen sei. Doch hat sich bis dahin nie
der Römer Macht erstreckt. Die Kastelle am Main sind, Dank den
Bemühungen Wilhelm Conrady's, Karl Christs und Friedrich
Kofiers zum Theil schon genauer bekannt; auch ist wiederum zwi-
schen ihnen eine Reihe von Wachtthürmen festgestellt worden.
Wahrscheinlich bildete der Main auch noch ein Stück weiter bis
Hanau, in frühester Zeit vielleicht sogar in seinem nun von Osten
nach Westen gerichteten Lauf bis Mainz die Grenze des römischen
Reiches. Aber dies bedarf noch der näheren Untersuchung. Die
Kastelle am linken Mainufer sind nicht ohne Verbindung über den
Fluss hinüber geblieben. Bei Seligenstadt schon scheint eine rö-
mische Brücke über den Main geführt zu haben. Bei Grofskrotzen-
burg ist eine solche sicher nachgewiesen; auch bei Hanau und viel-
leicht bei Höchst sind Reste von römischen Brücken bemerkt wor-
den, lieber die Zeit dieser verschiedenen Brückenanlagen lässt sich
noch nicht mit Sicherheit urtheilen. Die von Grofskrotzenburg ge-
hört wohl der Zeit an, in welcher, wie sich sogleich zeigen wird,
der Grenzwall jenseit des Maines angelegt worden ist. Die Hanauer
und Höchster Brücke fallen dann innerhalb des Provinzialgebietes
und werden mit Wahrscheinlichkeit in die Zeit der am meisten ent-
wickelten römischen Kultur jener Gegenden, von zweiten Jahrhun-
dert abwärts, gesetzt werden können. Doch könnte von Hanau aus
ein älterer Grenzwall über Friedberg nach Butzbach gefthrt
worden sein; davon wird nachher zu reden sein.
So endet der zweite Hauptabschnitt der nordöstlichen römi-
schen Reichsgrenze, der oberrheinische Grenzwall zwischen Donau
und Main.
m.
Die Grenze vom Main bis zum Rhein.
Mainz ist nach Augsburg die erste deutsche Stadt, deren rö-
mische Denkmäler schon zu Anfang des sechzehnteu ^Jahrhunderts
gelehrte Behandlung erfahren haben. Von Mainz und Wiesbaden
aus sind zuerst auch die Spuren des römischen Grenzwalles beobachtet
worden. Zu Ende des siebzehnten Jahrhunderts hat Johann Justus
Die Grenze vom Main bis zum Rhein 97
Winckelmaiin in seiner Beschreibung der Fürstenthümer Hessen und
Hersfeld (1697) den Grenzwall in der Wetterau von Amsburg bis
Pohl beschrieben. Philipp Dieffenbach in Friedberg hat dann,
nach allerlei älteren Vorarbeiten, seiner Heimatstadt Alterthümer
(1829) und die Urgeschichte der Wetterau (1845) zum Augangs-
punkt darauf gerichteter Nachforschungen gemacht. Allein die genaue
Erforschung des Grenzwalles in allen seinen Theilen — für die rhei-
nischen hat schon vor Cohausen der verstorbene Oberstlieutenant
Friedrich Wilhelm Schmidt den sicheren Grund gelegt — wird
erst der jüngsten Vergangenheit verdankt.
Auf die Anlage dieses Theils der Grenzlinie bezieht sich die
älteste bestimmte, wenn auch nur kurze Nachricht über den germani-
schen Grenzwall aus dem Alterthum, die wir besitzen. Sie findet
sich in den Schriften des Frontinus, eines hochgestellten Offiziers
der Kaiser Domitian und Trajan; an Domitians Feldztigen gegen die
Chatten hat er selbst Theil genommen. Er berichtet von Domitian,
dass dieser Kaiser zuerst der schwierigen und unsicheren Krieg-
führung gegen unsere germanischen Vorfahren eine völlig neue
Grundlage gegeben habe. Sie pflegten bekanntlich überall aus ihren
Thälern und Wäldern zum Angriff plötzlich vorzubrechen und zogen
sich dann ebenso schnell wieder in ihre Schlupfwinkel zurück, ehe
sie verfolgt werden konnten. Dem zu begegnen habe der Kaiser
auf eine Entfernung vom 120 römischen (oder etwa 25 — 30 geogra-
phischen) Meilen — leider sagt Frontinus nicht von wo bis wo —
Grenzwälle (limites) gezogen, die Schlupfwinkel der Feinde blofsge-
legt — nämlich durch Lichtung der Wälder vor dem Walle — und
dadurch die Unterwerfung derselben herbeigeftihrt. Auf dies Unter-
nehmen desselben Kaisers bezieht sich eine zweite, für die Geschichte
des Grenzwalles in Deutschland nicht minder wichtige Nachricht.
Sie steht in der Germania des Tacitus und ist daher wenig jünger
als die des Frontin; leider ist sie noch kürzer, enthält aber wenig-
stens eine Ortsangabe. Tacitus sagt, des römischen Volkes Gröfse
— er verschweigt absichtlich den Namen des ihm persönlich beson-
ders verhassten Kaisers — habe bis jenseit des Rheins — er rechnet
von Gallien aus — in das Gebiet der Mattiaker über die alten Gren-
zen hinaus — die bis dahin der Rhein gebildet hatte — Ehrfurcht
vor seiner Herrschaft verbreitet. Hier wird also Domitian ausdrück-
lich als der Erbauer der befestigten Grenze jenseit des Rheins be-
Hübner, Westeuropa. 7
98 DeutBchland
zeichnet. Sicher ist, dafs, was Domitian begann, seine Nachfolger
Trajan und Hadrian weitergeführt haben. Von Trajan wissen wir,
dafs er die rechtsrheinischen römischen Niederlassungen, soweit sie
zerstört oder verfallen waren, wieder hergestellt hat. Von Hadrian
berichten seine Biographen ausdrücklich, dafs er während seines Auf-
enthaltes bei dem germanischen Heer die durch Grenzwälle, nicht
durch Flüsse, gebildeten Grenzen gegen das Barbai*engebiet durch
gewaltige Pfahlbauten nach Art einer Mauereinfriedigung habe schliessen
lassen. £r hat ja bekanntlich alle Provinzen des weiten Reiches
wiederholt bereist und sich dabei überall um den Dienst im Kleinen
und Grofsen gekümmert und alle Anstrengungen und Gefahren der
Feldzüge mit den Truppen getheilt. Diese Nachricht ist allgemein
gehalten; wir sind daher durchaus berechtigt, sie nicht blofs auf den
britannischen Wall des Hadrian zu beziehen, sondern ebenso auch
auf den germanischen. Die Erwähnung der Pfahlbauten führt deut-
lich auf den germanischen Grenzwall. Der Holzbau war hier wohl-
feiler und wohl auch schneller herzustellen, als der steinerne Mauer-
bau, welchen der Kaiser mit dem gleichen Zweck in England er-
richten liefs. Erst von diesem Zeitpunkt an scheint auch die räum-
lich feste Grenze der untergermanischen Provinz vorhanden zu sein.
In Obergermanien waren schon früher, wie wir sahen, rechtsrheini-
sche Gebiete dem Reiche dauernd einverleibt worden: das Decuma-
tenland durch Vespasian, das Gebiet der Mattiaker duixh Domitian.
Wie weit den beiden germanischen Provinzen auch Gebiete auf dem
linken Rheinufer zugetheilt worden sind, die bis dahin zur belgischen
Provinz von Gallien gehörten, kann hier unerörtert bleiben. Aber
die Feststellung der Grenze zwischen dem oberen und dem unteren
Germanien ist von entscheidender Wichtigkeit ftlr die richtige Be-
urtheilung der Frage, wie weit der obergermanische Limes sich er-
streckt hat. Die Germania des Tacitus ist im ersten Jahr der Re-
gierung des Trajan 98 vor Chr., zwei Jahr nach Domitians Tod,
veröffentlicht worden; sie erzählt nur erst von dem Beginn des Wer-
kes. Zu einer Schilderung des glücklichen Zeilalters des Trajan ist
Tacitus nicht mehr gekommen; es liegt uns über Trajan überhaupt
gar keine zusammenhängende geschichtliche üeberlieferung vor. So
ist es kein Wunder, dafs wir von seinem Antheil an der Befestigung
der obergermanischen Grenze nichts erfahren. Von Hadrian berichtet
die dürftige uns erhaltene Biographie, die unter Constantin verfasst
Die Grenze zwischen dem Main und dem Rhein 99
worden ist, eben nur die nackte Thatsache, dafs er einen Pfahlbau
gegen die Barbaren aufgeführt habe. Das sind die gegebenen Da-
ten, mit welchen wir an die Betrachtung des nächsten Abschnittes
der römischen Reichsgi'enze gehen.
Den herrlichen Südabhang der Höhe oder des Taunus (der antike
Name ist erst in neuerer Zeit von den Gelehrten wieder hervorge-
sucht worden) mit den angrenzenden Höhenzügen östlich bis gegen
den Vogelsberg, westlich bis nach Rüdesheim, bewohnte im ersten Jahr-
hundert ein Stamm des mächtigen Chattenvolkes , die Mattier oder
Mattiaker, deren Namen die Römer mit den Wiesbadener Heilquellen,
den Aquae Mattiacae und dem Kastell jenseit Mainz, dem Castellum
Mattiacorum, von jeher verbunden haben. Von Hanau an bis Mainz
bildet der Main, von da bis Bingen der Rhein die Grenze und
zugleich die zum Ueberschreiten lockende Verbindung für diesen
lachenden Landstrich, dessen Klima schon damals trotz der Wälder
ein vergleichsweise dem italischen ähnlicheres gewesen sein wird,
wie das aller übrigen Gegenden des Nordens. Der Blick von
den hohen Mauern von Mainz, dem Sitz des Statthalters der
Provinz, über das weite Hügelland bis zu der langgestreckten
Höhe erinnert noch heute an Italien. Kein Wunder, dafs seit
den Zeiten des Augustus, seit denen Mainz eines der Haupt-
quartiere des germanischen Heeres geworden war, die römischen Er-
oberer bestrebt waren, mit Güte oder Gewalt sich in den Besitz jenes
übermainischen und überrheinischen Gebietes zu setzen. Von den
ersten Unterhandlungen des Drusus mit den Chatten, seinem Feldzug
gegen ihre alten Feinde, die Sugambem, und nachher gegen die ver-
einten Cherusker, Sugambem und Chatten lässt sich so wenig ein
topographisch sicheres Bild gewinnen, wie Arbalo, der Ort seines
Sieges im Chattenlande, bis jetzt hat ermittelt werden können. Sicher
aber ist, dafs Drusus ein Jahr vor seinem Tode noch von Mainz
aus über den Rhein siegreich vordrang und ein Kastell am Taunus,
Artaunum, anlegte. Wo es lag, ob es den Grundstock gebildet hat
zu einem der später in jenen Gegenden vorhandenen gröfseren römi-
schen Kastelle, wie der Heddernburg zwischen Praunheim und
Heddernheim (was einige Wahrscheinlichkeit hat) oder etwa von
Friedberg, ist auch zunächst noch nicht mit Sicherheit zu ent-
scheiden. Wahrscheinlich wurden die Chatten durch des Drusus
Nachfolger Tiberius mit Landgebiet der vertriebenen Sugambem und
7*
100 Deutschland
Markomannen entschädigt und blieben den Römern gefügig bis nach
der Varusschlacht. Da fiel der überrheinische Besitz bis auf den
Brückenkopf Mainz gegenüber für einige Zeit wieder in die Hände
der Chatten. Germanicus drang dann von neuem gegen die Chatten
vor und stellte das von seinem Vater Drusus angelegte Kastell wieder
her; damals vielleicht wurde zuerst die Straf se von Mainz nach
Friedberg uud Butzbach angelegt, die wohl seitdem als eine Art
Schutz des rechtsrheinischen Gebietes diente. Die Unterwerfung der
Chatten wurde durch die damals erfolgte Zerstörung der Mattier-
feste (Mattium, vielleicht bei Gudensberg unweit der Adrana oder
Edder) gefördert; aber auch in den folgenden Jahren waren noch
Feldzüge gegen die Chatten nöthig. Von der Zeit des Tiberius an
bis auf die flavischen Kaiser fehlt es nicht an Nachrichten über
Kämpfe mit den Chatten, die ich hier übergehe. Leicht möglich,
dafs es damals schon römische Ansiedlungen bei den Mattiakem im
Taunusgelände gab; je nach dem Stande der Beziehungen zu den
Chatten wird der Grenzverkehr über den Main ängstlich beschützt
oder freier gehandhabt worden sein, wie bei den Hermunduren. Erst
Domitian hat in zwei Feldzügen, in den Jahren 83 und 89 n. Chr. dem
dauernden Kriegszustand mit den Chatten dadurch ein Ende gemacht,
dafs er das römische Gebiet von dem der Germanen in wirksamer
Weise trennte. Damals ist wahrscheinlich die erste stehende Brücke
über den Rhein gebaut worden, von der nachher die Rede sein wird.
Hier setzt die oben gegebene Nachricht des Frontin ein. An
Stelle der Strafse von Mainz oder Hanau und Kesselstadt nach
Friedberg und Butzbach ward damals die alte Grenze des Decuma-
tenlandes, die Neckar-Mümlinglinie , mit ihrer Fortsetzung, der Main-
linie von Wörth bis Hainstadt gegenüber von Grofskrotzenburg, über
den Main ausgedehnt. Hier beginnt der dritte und letzte Hauptab-
schnitt des römischen Grenzwalls, die Befestigungslinie zwischen
Main und Rhein.
Bis vor etwa zwanzig Jahren war auch dieser Abschnitt der
grofsen Anlage nur sehr unvollkommen bekannt. Nur die in den
Jahren 1833 bis 1845 gemachten vorzüglichen Aufnahmen des verstor-
benen Oberstlieutenant F. W. Schmidt habe den rheinischen Theil
der Anlage bereits im Wesentlichen richtig bestimmt. Seitdem ist
es nach vielen Irrthümem im Einzelnen den Bemühungen zuerst des
verstorbenen Archivars Carl Rössel in Wiesbaden, dann vor allem
Die Grenze vom Main bis zum Rhein löl
des Obersten von Cohausen, nach ihm dem in Cassel verstor-
benen Albert Duncker, dem schon genannten Friedrich Kofi er in
Darmstadt, A. Hammeran und Georg Wolff in Frankfurt, dem
Major Otto Dahm in Hanau, Ferdinand Haug in Mannheim,
Hermann Haupt in Giefsen gelungen, die Art und den Lauf der
Befestigung bis auf unwesentliche Lücken genau festzustellen.
Es ist vielleicht der strategisch und historisch wichtigtse Ab-
schnitt der ganzen Anlage. Seine I^age in unmittelbarer Nähe der
vielbesuchten nassauischen Heilquellen macht ihn zugleich zu dem
weitaus zugänglichsten und landschaftlich lohnendsten Theil des ganzen
Limes Transrhenaus. Schon Ende der vierziger Jahre hat James
Yates ihn besucht und mit den britannischen Wällen verglichen, im
Jahre 1881 Thomas Hodgkin, und die Zahl gelehrter englischer
Wanderer, die den deutschen Wall mit ihren einheimischen Römer-
wällen vergleichen, nimmt jährlich zu. Seitdem sind die Haupter-
gebnisse besonders von Cohausens den ganzen Limes umfassendem
Werk in die allgemeinen Darstellungen römischer und deutscher Ge-
schichte tibergegangen. Aber auch in Cohausens Werk ist das topo-
graphische Detail für die ganze Strecke noch nicht vollständig ver-
einigt; doch bietet es die bisher besten Karten. Nichts kann lehr-
reicher und zugleich genussreicher sein, als an der Hand dieser Karten
durch das Kinzigthal, die Höhe des Taunus bis gegen Schwalbach
und von da am rechten Rheinufer über Ems bis Hönningen und
Rheinbrohl gegenüber von Neuwied den leider nach dem Lauf der
Dinge von Jahr zu Jahr mehr verschwindenden Resten des Grenz-
walles, seiner Thürme, Warten und Kastelle zu folgen. Die Grad-
linigkeit und der tibersichtliche Zug des Walles in gleicher Richtung
mit dem Flusslauf, wie wir ihn am raetischen und decumatischen
Limes fanden, ist hier fast völlig aufgegeben. Nur die Beschaffen-
heit des Geländes und das Bestreben, das fruchtbare Gebiet der rö-
mischen Provinz zu gewinnen und zugleich auskömmlich zu schützen,
haben die Abmachungen mit den Chatten bestimmt, nach denen die
Linie abgesteckt worden ist. Grofskrotzenburg am Main, das
Crucenburg der Urkunden aus karolingischer Zeit, alter Königsbesitz,
dann dem St. Petersstift in Mainz gehörig, ist, wie schon gesagt, das erste
Kastell der Linie. Sie geht von da in grader Richtung, wie zuerst
Jacob Schneider in Düsseldorf sah, durch die Kinzigniederung
und über den Fluss mit römischer Brücke unweit der Alteburg bei
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102 Deutschland
Rückingen, dem zweiten Kastell, nach Marköbel, Altenstadt^
Echzell, „aufderBurg'^bei ünterwiddersheim im Thal der Horloff,
und wendet sich von da ein wenig westlich nach Arnsburg. Diese
Kastelle sind jetzt sämmtlich nach Umfang und Anlage bekannt.
Sie entsprechen dem bekannten Schema; überall die gleiche quadra-
tische oder oblonge Form mit abgerundeten Ecken, die zwei sich
rechtwinklig schneidenden Hauptstrafsen und die vier Thore an ihren
Endpunkten; die innere Eintheilung ist selten erkennbar. Meist
schliessen sich vorstädtische Anlagen an die Mauern des Kastells,
aus denen zuweilen die modernen Ortschaften erwuchsen. Fast regel-
mäfsig lässt sich in der Nähe des Kastells eine villenartige Anlage
nachweisen, mit heizbaren Räumen und Badeeinrichtungen: das Bad
des Kastells, das in den Inschriften erwähnt wird und zugleich zum
Absteigequartier der höheren Offiziere gedient zu haben scheint.
Nicht aber ein Offizierskasino oder eine Zollstation, wie auch ver-
muthet worden ist. Alle Kastelle liegen unmittelbar an der Linie
des Walls und sind aufserdem durch eine Heerstrafse mit einander
verbunden. Kleinere Lagerstellen und Wachtthürme kehren auch hier
wieder. Endlich liegen weiter rückwärts, ähnlich wie am raetischen
Limes, in mäfsigen Abständen von den Limeskastellen und durch
Strafsen mit ihnen verbunden, einige gröfsere und kleinere Kastelle,
wie Oberflorstadt hinter Echzell, auf der Mauer zu Inheiden,
die Alteburg bei Arnsburg, die Hunenburg bei Butzbach. Auch
in ihnen kann man, wie in denen der Neckar-Mümlinglinie, eine ältere
Befestigung sehen.
Westlich von Arnsburg, bei dem Kastell von Grüningen, er-
reicht der Grenzwall seinen nördlichsten Punkt und wendet sich von
da in südwestlicher Richtung, an den Kastellen Pohlgöns, „die
Burg " bei Langenhain, Hunnenkirchhof, „auf der Burg", lauter
charakteristischen Namen, Kaisergrube mid Ockstadt (diese beiden
hat Cohausen benannt) — eine Anzahl kleinerer übergehe ich —
«\ und Capersburg vorbei zur Saalburg. Die Saalburg bei Hom-
burg, ein oft besuchtes Ziel der Ausflüge von Wiesbaden, Homburg,
Schwalbach und den übrigen Taunusbädem, ist das bekannteste aller
deutschen Limeskastelle. Die anmuthige Lage und der Besuch von zahl-
reichen angesehenen Fremden erhöhen seinen Ruhm. Es geniefst den Vor-
zug, der einzige Ort in der ganzen Linie des römischen Grenzwalls zu
sein, für dessen Erhaltung etwas geschieht. Dank den Bemühungen
Die Grenze vom Main bis zum Rhein 103
Cohausens und des Baumeisters L. Jacobi sowie der Unterstützung
der Regierung ist das Kastell wie die Lagerstadt davor zum grofsen
Theil ausgegraben, die südwestliche Winkelrundung der Kastellmauer
bis zur ursprünglichen Mauerhöhe mit ihren Zinnen wiederhergestellt.
Ein eigenes Saalburgmuseum birgt die hier gemachten Funde an
Alterthümem aller Art. Die innere Eintheiiung zeigt das übliche
Muster des römischen Lagers mit einigen Abweichungen: in dem
Schneidepunkt der beiden sich kreuzenden Hauptstrafsen das Praeto-
rium, der Sitz des Kommandos, und die Fahnenkapelle; in dem
übrigen Raum die Kasernen der verschiedenen Truppentheile, je nach
der Gröfse des Lagers und der Stärke der Besatzung vertheilt, ur-
sprünglich und bei vorübergehendem Aufenthalt in Zelten und Ba-
racken, bei dauerndem in festen Holz-, Ziegel- oder Steinbauten.
Die Ermittelung des Zweckes der einzelnen Gebäude ist jedoch noch
keineswegs abgeschlossen. Nur die Vergleichung möglichst vieler,
auch aufserdeutscher Kastellanlagen wird, wenn inschriftliche Funde
hinzutreten, die Lösung solcher Fragen bringen. Nie hat sich inner-
halb eines Kastells ein Grabstein gefunden; die Gräberfelder liegen
stets in einiger Entfernung aufserhalb. Etwa zehn verschiedene mit
Heizräumen versehene Bauten sind in der Lagerstadt der Saalburg
aufgedeckt; eine derselben ist probeweise wieder in heizbaren Zustand
gebracht worden. Besonders lehrreich sind die inschriftlichen Funde.
Sie beweisen, dafs das Kastell, dessen alter Name übrigens noch
nicht wieder zum Vorschein gekommen ist, spätestens seit Hadrian
oder Pius der Standort der zweiten Raetercohorte gewesen ist, eines
aus den römischen Bürgern der Städte Raetiens ausgehobenen Truppen-
theils. Die Ziegel mit dem Stempel dieser Cohorte zeigen, dafs
ihre Mannschaften wie die der Mainzer Legionen an dem Bau des
Kastells und seiner Kasernen beschäftigt gewesen sind. Die Saal-
burg ist ein deutsches Pompeji geworden und dient, obgleich nicht
eines der gröfsten und wichtigsten, als Musterbeispiel der deutschen
Limeskastelle.
Von der Saalburg an schlägt der Grenzwall wieder eine dem
Main und Rhein parallele Richtung ein. Die nächsten Kastelle sind
Feldberg, am Maisei, Alteburg bei Heftrich, Eichelgarten,
Hofheim, Zugmantel, Born, Kemel. Im Thal der Aare bei
Adolfseck, unweit des Kastells Alteburg bei Heftrich, sind in die
natürliche Felswand die Namen lanuarius lustinus eingehauen, in
104 Deutschland
Schriftformen etwa des beginnenden dritten Jahrhunderts. Wahr-
scheinlich ist es der Name eines Centurioncn oder Soldaten, der
dort Steinbrucharbeiten leitete. Grade so sind in England an ver-
schiedenen Stellen unweit des Hadrianswalls Felsinschriften in den
alten Steinbrüchen erhalten, aus denen die mit dem Wallbau beauf-
tragten Truppen ihren Bedarf an Material entnahmen. Für die Kastell-
und Thurmbauten gewann man auch am deutschen Grenzwall die
Steine möglichst aus der Nähe. Von da an folgt der Wall der
nordwestlichen Richtung des Rheins über Alteburg bei Holzhausen,
Pohl, Becheln zur Lahn, die er unweit Ems überschreitet, bei dem
Kastell auf der Äugst, unweit Arzbach und Montabaur. Ob dieser
Name in der That mit irgend einem Augustus zusammenhängt,
wie Äugst bei Basel den Namen der alten Augusta Rauricorum be-
wahrt hat, mag dahin gestellt bleiben. Von hier an hat schon
Oberstlieutenaiit Schmidt den Wall erkaimt: er läuft zu einem Ka-
stell bei Höhr unweit der Landstrafse nach Vallendar, danach zu
dem Kastell Alteburg oberhalb Heimbach- Weif s und erreicht dann
das jetzt fast gänzlich verschwundene bedeutendste der Kastelle jener
Gegend, die Alteburg bei Niederbiber. Von seinem Vorhandensein
und Umfang haben uns nur die Aufnalimen Dorows, des Haupt-
mann Hoff mann und des Baumeisters Hundeshagen Kunde er-
halten, welche unter Förderung Hardenbergs und der Provinzialbe-
hörden nach den in den Jahren 1801 bis 1820 gemachten Ausgra-
bungen veranstaltet worden sind. Der Name auch dieses Kastells ist
unbekannt; seine Gröfse und die Herkunft der Truppen, die dort
lagen, zeigt, dafs es unter den Grenzkastellen der obergermanischen
Provinz einen hervorragenden Platz eingenommen haben muss. Es
folgen längs der hier stets erkennbaren Limeslinie, welche sich dem
Rhein immer mehr nähert, nur noch zwei kleinere Kastelle, das jetzt
ebenfalls verschwundene vom Weiherhof bei Rockenfeld und ein
mit Wahrscheinlichkeit anzunehmendes bei Rheinbrohl. Wenig
nördlich davon verliert sich der Grenz wall in der Niederung ^im Maar"
und in dem durch ein Werth im Rhein gebildeten rechten Arm des
Flusses, der Laach oder Lache. Warum der Wall gerade hier en-
dete, wird sich sogleich ergeben. Vorher sei noch ein Blick ge-
worfen auf die Besonderheiten dieses grofsen Abschnittes der Grenz-
linie, der von Main bis zum Rhein reicht.
Hier tritt mehr noch, wie auf der Strecke Lorch-Miltenberg,
Die Grenze vom Main bis zum Rhein 105
der Charakter des Walles deutlich hervor. Kastelle und Wachtthürme
sind allen Theilen des Limes gemeinsam. In Raetien verband sie,
wenigstens seit dem zweiten Jahrhundert, eine steinerne Mauer, wohl
zugleich mit Pallisaden; davor nicht tiberall ein Graben. Die Neckar-
Mümlinglinie zeigt nur Kastelle und Thürme, aber weder Wall noch
Graben. Der obergermanische Limes ist fast überall durch sein Profil,
wenn dieses auch je nach der Natur des Geländes in der Form
wechselte, und den davor liegenden Graben kenntlich. Das Profil
von Wall und Graben wird von Anfang an kein fest bestimmtes ge-
wesen sein; die Bodenwelle zeigt meist eine Ausdehnung von 11 bis
13 m; die Erhebung 0,50 m und mehr. Die natürlichen Ver-
änderungen, denen der Boden unterliegt, haben den Wall oft bis zur
Unkenntlichkeit entstellt, so dafs gleiche Ausmessungen auch für be-
stimmte Strecken kaum angegeben werden können. Aber es unter-
liegt keinem Zweifel, dafs Wall und Graben, und zwar beide von
beträchtlicher Gröfse, überall in ununterbrochener Linie vorhanden
waren. Selbst das hin und wieder beobachtete gänzliche Fehlen von
Spuren künstlicher Erdarbeit beweist dagegen nichts. Herr von Co-
hausen hat sehr anschaulich und aus vollster Sachkenntniss geschil-
dert, wie die steilsten Böschungen nach und nach verschwinden und
Wald und Sumpf den Wall verdecken. Nicht jede Grenzlinie brauchte
durch Erdwerke, wie die des römischen Lagers, befestigt zu sein.
Wo, wie in Raetien, das Gelände dazu ausreichte die Grenzlinie zu
schützen, begnügte man sich mit Mauer und Pfählen. Hier, in den
Niederungen wie auf den Höhen, war der künstliche Erdwall, zu-
weilen aus Steinen zusammengeworfen, aber ohne gemauerten Kern,
ein nothwendiges Erfordemiss des Schutzes.
Die Kastelle des oberrheinischen Limes liegen zu einem nicht
unbeträchtlichen Theile nicht an solchen Stellen, die man heute für
Festungen auswählen würde. Hohe Lage, freie Umsicht sind nirgends
bevorzugt; was unseren Militärs, wie Cohausen, natürlich auffällt.
Viele Kastelle sind von nahen Erhebungen überhöht. Dennoch ver-
lieh ihnen ihre Zahl und ihre Verbindung durch den Wall die Eigen-
schaft eines langgestreckten befestigten Lagers. Die zur Besetzung
der einzelnen Kastelle und Wachtthtlrme nöthige Truppenzahl lässt
sich nur sehr annähernd veranschlagen. Die ähnlichen neueren An-
lagen, wie z. B. die frühere österreichische Militärgrenze, geben
keinen sicheren Anhalt, da die Bedingungen von Angriff und Verthei-
106 Deutschland
digang ganz andere geworden sind. Auch die moderne Berechnung
des Raumgehaltes eines römischen Lagers nach der Kopfzahl lässt
sich nicht anwenden, weil wir die normalen Besatzungszahlen nicht
kennen. Sicher ist nur, dafs eine ungemein viel kleinere Zahl von
Legionssoldaten oder Mannschaften der Hülfstruppen nach antiken
Begriffen ausreichte. Das beweist ein zufällig erhaltenes Zeugniss
aus dem Jahre 155 n. Chr., wonach in einem der gröfseren Kastelle
des oberen Moesien aufser dem befehlenden Centurionen nur 76 Le-
gionare, darunter zwei Reiter, die Besatzung bildeten. Nicht blofs
der Centurio und Principalis, das ist der eine ünteroffiziersstelle
bekleidende, sondern jeder Legionär hatte seine Knechte, Sklaven
oder Freigelassene, mit sich im Felde, der Reiter für zwei Pferde
oft mehr als einen Trossknecht. Es ist also neben den eigentlichen
Besatzungstruppen auf mindestens die doppelte Zahl an Nichtcom-
battanten zu rechnen. Alle von unseren Offizieren, wie den Herren
von Cohausen und Dahm, aufgestellten Berechnungen und Unter-
scheidungen der Kastelle nach der Zahl ihrer Besatzungen erscheinen
daher noch unsicher. In den Kriegszuständen des ersten Jahrhun-
derts wird das germanische Heer von etwa 30 000 Mann, im zweiten
und dritten ein geringeres von etwa 20 000 ausgereicht haben.
Gegen Ende des dritten und im vierten Jahrhrhundert fand eine be-
trächtliche Vermehrung und zugleich eine neue Organisation der Grenz-
truppen statt, die im Gegensatz zu den vornehmeren beweglichen
Reichstruppen in ihren Standorten mit Grundbesitz angesiedelt wurden.
Auch eine erhebliche Verstärkung vieler Limeskastelle durch Thtirme
hat in jener Zeit stattgefunden. Damals mögen die bis dahin mit
Centurien, halben Centurien und noch geringeren Besatzungen be-
legten der gesteigerten Gefahr entsprechende gröfsere Besatzungen
erhalten haben.
Aus allem dem ergiebt sich, dafs der Grenz wall seit dem zweiten
Jahrhundert mehr war, als eine polizeiliche Grenzlinie. Der Wall
mit seinen Kastellen und Wachtthürmen bildete vielmehr eine befestigte
Vorpostenlinie, hinter denen die gröfseren Kastelle die strategische
Bedeutung von Grenzfestungen hatten. Tacitus sagt in seiner ersten
historischen Schrift, dem Leben des Agricola (Cap. 41), von den vielen
unglücklichen Kriegen des Domitian in Moesien, Dakien, Panno-
nien und Germanien wohl mit einiger Uebertreibung, zweifelhafte
Kämpfe hätten nicht blofs um den Limes und die Ufer von Donau
Die Grenze von Niedergermanien 107
und Rhein, sondern um die Winterlager der Legionen und den ganzen
Besitz des Landes stattgefunden. Damit bezeichnet er treffend die
drei Hauptbestandtheile der befestigten Grenze, um welche gekämpft
wurde : den Grenzwall, den Fluss oder die nasse Grenze, und die Kastelle.
Es ist kein Zufall, dafs der obergermanische Grenzwall an der
angegebenen Stelle bei Rheinbrohl endet. Gerade gegenüber diesem
Punkte, zwischen Schlofs Rheineck und Niederbreisig, mündet von
linksher der Vinxtbach in den Rhein. Dieser Vinxtbach, der Abrinca
der alten Geographen, ist, wie eine Reihe von tibereinstimmenden
Beobachtungen erwiesen hat, die Grenze der beiden Provinzen Ober-
und Untergermanien auf dem linken Rheinufer. Auf dem rechten,
südlichen Ufer des Vinxtbaches stand einst ein dem Juppiter, dem
Genius loci und der Inno Regina von einem Soldaten der oberger-
manischen achten Legion und Beneficiar des Statthalters gewidmeter
Altar, der sich jetzt in Lüttich befindet; auf seinem linken, nörd-
lichen, ein ähnlicher Altar, jetzt in Brüssel, den Firns, d. h. den
Grenzgottheiten, dem Genius Jod und dem Juppiter von Soldaten der
untergermanischen dreifsigsten Legion gewidmet. Diese beiden Altäre
beweisen, dafs südlich und nördlich von dem Grenzbach römische
Wachtposten standen. Auch an alten Befestigungen an dieser Stelle,
zwischen dem Rhein- und Brohlthal, hat es nicht gefehlt. Auf dem
Thalrande bei Brohl nördlich vom Alverhof, auf der hohen Buche,
will man einen römischen Lagerplatz erkennen; auch Burg Rheineck
gilt für einen von Alters her befestigten Punkt. Bis in diese Ge-
gend zählen die römischen Meilensteine des Oberrheins von Mainz
ab, die des Unterrheins von Köln ab. Aufserdem ist der Vinxtbach die
alte Diöcesangrenze zwischen den Erzbisthümem Trier und Köln.
Desswegen also endete der oberrheinische Grenzwall hier, grade gegen-
über der Grenze der obergermanischen Provinz.
Die ersten Befestigungen am Niederrhein hat Caesar angelegt. Die Grenze
Zweimal ist er, wie bekannt, über den Rhein gegangen, um das vor germanien
den Einfällen der Germanen stets unsichere linke Ufer des Flusses,
besonders an seinem unteren und mittleren Lauf, zu unterwerfen,
wenn auch ohne das rechte dauernd zu besetzen. Zuerst im Jahre
55 V. Chr. geschah diefs, als er von seinem Zuge gegen die Eburonen
im heutigen Belgien kam und sich gegen die Sugambren wendete.
Also irgendwo am Niederrhein gegen Holland hin, vielleicht bei
Xanten, wo unter Augustus das älteste Standlager der römischen
108 Deutschland
Legionen, die Castra Vetera, sich befand. Das zweite Mal, im Jahre
53 V. Chr., kam er aus dem Lande der Treverer und zog in das
der Ubier, um von hier aus die Sueben anzugreifen. Damit ist im
Allgemeinen das rechte Ufer Bonn und Köln gegenüber bezeichnet.
Er ging, wie er selbst sagt, über den Fluss ein wenig weiter auf-
wärts als das erste Mal, also vielleicht bei Köln oder Bonn. Sicher ist
Caesar beide Male bis zum Rhein auf den alten Verbindungswegen
der Völker vorgedrungen, welche er vorfand. So hat er es überall
auch in Gallien gemacht; diese alten Wege bildeten die natürliche
Grundlage, deren sich seine Genieoffiziere bedienten, um jene blitz-
schnellen Märsche möglich zu machen, durch die er berühmt war.
Allein vergeblich hat man sich bisher bemüht, den Punkt des einen
wie des anderen Uebergangs zu ermitteln, auf Grund von Caesars
unbestimmt gehaltenen Angaben, oder aus den späteren römischen
Strafsenübergängen, oder endlich aus vorhandenen Resten von Brücken.
Die ältesten Strafsenzüge, sicherlich meist die durch die Natur selbst
vorgezeichneten kürzesten Verbindungslinien, wie wir sie im Kleinen
in jedem Feldweg entstehen sehen, sind aus begreiflichen Gründen
immer in Gebrauch geblieben und bilden den Kern des späteren rö-
mischen Strafsennetzes, an den sich die späteren Strafsenanlagen an-
lehnten. Hieraus erhellt, wie wichtig die Ermittelung dieses Strafsen-
netzes für die gesammte Geschichte der Provinz ist, auch da, wo
nicht, wie in Italien und in anderen Provinzen des römischen Reiches,
Meilensteine mit Inschriften bezeugen, wann die einzelnen Strafsen
angelegt worden sind. In den Rheinlanden haben sich vor die Re-
gierung Trajans fallende Meilensteine überhaupt bisher nicht gefunden.
Woraus nicht geschlossen werden darf, dafs vorher regelrecht ange-
legte Heerstrafsen überhaupt nicht vorhanden waren; aber ihr gleich-
mäfsiger Ausbau mit der bekannten soliden üntermauerung, dem sorg-
fältig gelegten Pflaster mit Bordschwellen und Meilensteinen beginnt
überall in den germanischen Provinzen erst gegen das Ende des
ersten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung. Die Feststellung der rö-
mischen Strafsen in Deutschland beschäftigt seit Jahren eine Anzahl
von Forschem. Zuletzt haben am Oberrhein Jacob Näher und
Karl Miller, am Niederrhein Jacob Schneider und der General
von Veith sich um ihre Erforschung verdient gemacht. Die
Strafsen gingen, wie sich von selbst ergiebt, in zwei Hauptrichtungen :
von Westen nach Osten an den Rhein und über ihn hinaus, und von
Die Grenze von Niedergermanien 109
Süden nach Norden dem linken Ufer parallel, und verbanden die
Hauptwaffenplätze mit einander. Für die ersten waren Trier und
Reims, für die letzten Vindonissa und Mainz die Ausgangspunkte.
Es bedarf noch vieler geduldiger Untersuchung des Bodens durch
persönliches Begehen, womit General von Veith begonnen hat, um
an der Hand der späten römischen Itinerarien, die uns vorliegen,
der wenigen erhaltenen Meilensteine, der vorhandenen römischen
Niederlassungen und der aus der Natur des Bodens sich ergebenden
allgemeinen Bedingungen, zu einer annähernd vollständigen Kenntniss
der römischen Strafsen in Deutschland zu gelangen, Schon jetzt ist
sicher, dafs auf alle Hauptplätze am Rhein, Bonn, Köln, Xanten,
von Westen her Strafsenzüge führten.
Sichere Reste römischer Brücken über den Rhein in der ober- Die
Brücken
germanischen Provinz, oberhalb von Mainz, sind noch nicht nach-
gewiesen worden. Von Caesar an bildete der Rhein in seinem gan-
zen Lauf bis zur Mündung die Grenze der gallischen Provinz.
Ehe man daran dachte, das rechte Ufer zu erobern, werden Brücken
überhaupt nicht angelegt worden sein. In der Zeit des Friedens,
vom zweiten Jahrhundert abwärts, wii^d es schwerlich daran gefehlt
haben, so gut wie an Brücken über die hauptsächlichsten Neben-
flüsse des Rheins. Bei den Kastellen der Neckarlinie, ebenso bei
Heidelberg, sind verschiedentlich römische Brückenpfeiler im Flusse
bemerkt worden. Von den Mainbrücken war schon die Rede. Die
Mainzer Brücke ist die erste, deren Anlage auf gemauerten Pfeilern
mit grofser Wahrscheinlichkeit in die Zeit Domitians gesetzt werden
kann, zur Verbindmig der Stadt mit dem Brückenkopf in Castel,
und im Zusammenhang mit der Befestigung der Reichsgrenze zwischen
Main und Rhein. Diefs schöne geschichtliche Ergebniss wird später
genauer dargelegt werden. Vorher schon muss eine Schiffbrücke zeitweise
in Mainz vorhanden gewesen sein. Von Mainz abwärts sind noch
innerhalb Obergermaniens Brückenreste gefunden worden am Thurmer
Werth bei Neuwied, in Niedergermanien bei Bonn und bei Köln,
endlich bei Xanten. Dafs es an allen den Hauptpunkten, wohin die
römischen Strafsen führten, die Friedenszeit hindurch an festen Holz-
oder Schiffbrücken oder Fähren nicht gefehlt hat, ist mit Sicherheit
anzunehmen. Die Brücken Obergermaniens, welche in das vom Grenz-
wall eingeschlossene rechtsrheinische Provinzialland führten, werden,
in welche Zeit auch ihre Entstehung fällt, während des ganzen
110 Deutschland
zweiten und dritten Jahrhunderts bestanden haben, bis die zuneh-
mende Unsicherheit nöthigte, sie öfter zeitweis, nachher dauernd ab-
zubrechen. Erst als das Reich unter Diocletian und Constantin sich
zu erneutem kraftvollen Schutz der Grenzen ermannte, sind auch die
Hauptbrücken, die von Mainz und Köln, neu wieder angelegt worden.
In den Brückenresten am Thurmer Werth darf nicht Caesars zweite
Rheinbrücke gesucht werden. Diese Brücke wird zur Verbindung
des rechten Ufers mit dem gröfsten der dort liegenden Limeskastelle,
dem vom Niederbiber, zu Ende etwa des ersten Jahrhunderts gebaut
worden sein, vielleicht gleichzeitig mit der Coblenzer Moselbrücke,
welche die Strafse von Mainz nach Köln nothwendig gemacht hatte.
Die Bi-ückenreste in Niedergermanien sind zu unvollständig bekannt,
als dafs ihre Entstehung auch nur annähernd bestimmt werden könnte.
Die Frage hängt mit der nach dem Alter der rechtsrheinischen Be-
festigungen überhaupt zusammen. Sicher ist nur, dafs in Köln unter
Constantin eine feste Rheinbrücke bestand, wahrscheinlich, dafs schon
seit dem ersten Jahrhundert dort, wie in Mainz, eine Holzbrücke
vorhanden war und die Stadt mit dem Brückenkopf in Deutz ver-
band. Ueber das Alter der Brückenreste bei Bonn und Xanten ist
keine sichere Bestimmung möglich; allein sie können bis auf Caesars
Anlagen zurückgehen.
Nur da, wo er seine zweite Brücke geschlagen hatte, liefs Caesar,
Kastelle ^ig ^j. q{q gum gröfstcn Theile wieder abbrach, eine Besatzung zu-
rück. In ihrem befestigten Lager kann der Keim zu einer der spä-
teren, dem Ubierland gegenüberliegenden Festungen, etwa Köln oder
Bonn, gefunden werden. Als Augustus zur Ausführung von Caesars
Gedanken schritt und Germanien bis zur Elbe dem Reiche zu unter-
werfen dachte, mussten seine Feldherren, Agrippa, Drusus, Tiberius
und ihre Nachfolger vor allem darauf bedacht sein, die Rheingrenze
durch Kastelle zu sichern. Seit Caesars Zeit bestanden die beiden
grofsen Lagerplätze der Legionen in Mainz und in Xanten. Agrippa
hat im Jahre 38 v. Chr. die Ubier, die vor ihren Stammesgenossen
Schutz suchten, anf dem linken Ufer angesiedelt und damit die Ubier-
stadt Köln gegründet. Drusus hat nicht blofs den Rhein mit der
See durch einen Kanal verbunden und zum Schutz der Provinz überall
Besatzungen und Wachen vertheilt, an der Maas, der Weser und
der Elbe, sondern auch nach dem summarisch übertreibenden Bericht
rednerischer Geschichtschreiber mehr als fünfzig Kastelle an den
Die Grenze von Niedergermanien 111
Ufern des Rheins augelegt. Die Elbe bildete zwar amtlich unter
Augustus die Ostgrenze des Reichs, aber der Rhein blieb doch, wie
die Donau, der eigentlich befestigte Schutz. Nach des Varus Nie-
derlage musste zeitweilig das rechtsrheinische Gebiet verlassen
werden; Tiberius und Germanicus gewannen es wieder, aber unter
Claudius wurde es endgültig aufgegeben; von da an war wieder die
befestigte Rheinlinie die Grenze des Reichs. Vergeblich ist freilich
das Bemühen, die fünfzig Drususkastelle von Basel bis Nymwegen
zusammenzuzählen. Aber dafs der Grund zu den meisten der be-
festigten Plätze am Rhein damals schon gelegt wurde, ist sicher. In
Obergermanien behielten die den Lauf des Rheins begleitenden Kastelle
Strafsburg (Argentorate), Brumat (Broecomagus), Speier (Noviomagus),
Worms (Borbetomagus) und nach Mainz Bingen (Bingium) mit den
Kastellen auf der Heidenmauer bei Kreuznach (Cruciniacum) und
von Biugerbrück stets eine gewisse militärische Bedeutung, trotz des
weit davor nach Osten liegenden Grenzwalls. Von Bingen bis
Koblenz bedurfte der eingeengte Lauf des Stroms keinen stärkeren
Schutz: nur Boppard (Baudobriga) scheint später wenigstens ummauert
und militärisch besetzt gewesen zu sein. In Koblenz war nur eine
Zollstation für die Moselschifffahrt. Den Abschluss der obergerma-
nischen Provinz, dem Schlussstück des Grenzwalls etwa gegenüber,
bildet Andernach (Antunnacum), eine uralte vorrömische Ansiedelung,
dann Lagerort verschiedener Truppentheile und noch in spätester Zeit
mit verstärkten Befestigungen versehen. Von hier an beginnt, wie wir
sahen, die Provinz Untergermanien. Nach der Grenzstation am
Vinxtbach und vei-schiedenen kleineren Wachtposten am Ausgang des
Brohl- und Ahrthals folgen Remagen (Rigomagus) — dort hat ein
Militär zu Ende des zweiten Jahrhunderts dem Genius des Ortes
und dem Rheinstrom einen Altar gesetzt — und Bonn. Bonn ge-
hört wohl sicher zu den schon von Drusus angelegten Kastellen; er hatte
es zu einem der Stationsorte ftU* die Rheinflotte gemacht und, wo-
fern des Florus viel besprochene Nachricht darüber nicht falsches
zusammenbringt, eine Strafse von Bonn über Sumpfniederungen bis
nach Gesoriacum (Boulogne-sur-Mer) geführt. Jüngst ist in Bonn das
beträchliche römische Kastell, der Lagerplatz der ersten Legion, der
Minervia, seinem Umfang nach genauer festgestellt worden, nördlich
von der Stadt am Wicheishof, hoch über dem Fluss. Südlich lehnte
sich daran die Lagerstadt, aus der nach und nach die heutige her-
112 Deutschland
vorging. Zwischen Bonn und Köhi gab es noch verschiedene Wacht-
posten am Rhein; kurz vor Köhi „dieAlteburg^, wo auch eine Station
der Rheinflotte gewesen zu sein scheint. Köln hat seit Claudius
aufgehört, ein Militärkastell zu sein. Doch blieb der einst von
Drusus gestiftete Altar, wie der früher in Lyon am Zusammen-
flufs von Rhone und Saöne von ihm angelegte, bestehen. Hier wie
dort hat Kaiser Claudius, des Drusus Sohn, fOr die Erhaltung der
väterlichen Stiftung gesorgt. Auch nachdem Köln durch Claudius im
Jahre 51 v. Chr. Veteranencolonie geworden war und aufgehört hatte
befestigter Lagerort zu sein, blieb ihm unzweifelhaft eine Besatzung
als dem Sitz des Statthalters der Provinz Niedergermanien. Solange
das rechtsrheinische Germanien als Provinz galt, wird es an einer
Brücke, wie wir sahen, und an einem befestigten Brückenkopf Köln
gegenüber nicht gefehlt haben. Wahrscheinlich befand sich daselbst
schon eine Niederlassung der Ubier. Der Name Divitia, seit dem
dritten Jahrhundert für Deutz bezeugt, ist keltischen Ursprungs.
Auch nach der Aufgabe des rechtsrheinischen ProvinziaUandes scheint
Deutz besetzt geblieben zu sein; im zweiten und dritten Jahrhundert
schon war es wohl ein ummauertes KasteU. Nach dem Bau der
steinerneu Rheinbrücke unter Constantin erhielten seine Mauern er-
hebliche Verstärkungen durch zahlreiche Rundthürme. Aus seiner
Besatzung sind Abtheilungen des römischen Heeres der nachdiocle-
tianischen Zeit hervorgegangen und nach der Heeresverfassung jener
Zeit nach dieser ihrer Herkunft Divitienses benannt worden. Deutz
ist gewissermafsen der letzte Rest der über den Rhein hinauswei-
senden römischen Politik; ein Zeichen, dafs zwar freiwillig, aber doch
ungern die Eroberung des freien Germaniens aufgegeben worden ist.
Andere Kastelle auf dem rechten Rheinufer gab es nicht. Auf dem
linken folgen auf Köln rheinabwärts Dumomagus (Dormagen), Burun-
cum (Haus Bürgel), Novaesium (Neufs), Gelduba (Gellep), Ascibur-
gium (Asberg) bei Mors, Xanten, etwa Wesel gegenüber. An allen
diesen Orten sind die römischen Lager mehr oder weniger sicher
nachgewiesen; zahlreiche kleinere Wachtposten zwischen ihnen sind
schon bemerkt, andere mögen noch nicht beobachtet oder durch die
Veränderungen des Rheinlaufs unkenntlich geworden sein. Bei Xanten
tritt inuner deutlicher, besonders nach General von Veiths Unter-
suchungen, das alte Lager der augustischen Legionen, auf dem
Fürstenberg bei Birthen, und das neue Lager der dreifsigsten tra-
Die Grenze von Niedergermanien
janischen Legion (Grimlinghausen) nebst den beträchtlichen Re\
der städtischen Ansiedelung, der Colonia Traiana, zu Tage,
waltige, eisenbeschuhte Eichenpfähle der Brücke, die auch hier eiiJbt,
wie in Köln und Mainz, wenigstens zu Kriegszwecken geschlagen
worden war, sind noch erhalten. Sie können zu den Pfeilern der
Brücke gehört haben, welche man im Jahre 15 vor dem Rückzuge
des Caecina schon abbrechen wollte, wie Tacitus berichtet, hätte sich
Agrippina dem nicht widersetzt. Wahrscheinlich lag auch hier, so
lange eine feste Brücke bestand, ein befestigter Brückenkopf auf dem
gegenüberliegenden Ufer.
Von Xanten abwärts folgen am Rhein ausser kleineren Wacht-
posten Burginatium (zwischen Kehmm und dem Monterberg), Qua-
driburgium (Qualburg), Arenatium (Cleve) und Noviomagus (Nymwe-
gen) mit dem gegenüberliegenden Batavodurum und seiner auf römi-
schen Fundamenten ruhenden Pfalz Karls des Grofsen.
So war von der Mitte des ersten Jahrhunderts an die Rhein- Recht»-
l*}l fiilli 8 eil 6
grenze geschützt. Für die Zeit der erstrebten und amtlich geltenden Befesti-
Ausdehnung der germanischen Provinz bis an die Elbe, also jjjj^^^^™^®"
einiger Unterbrechung nach der Varusschlacht bis auf das Jahr 51,
führten die Hauptstrafsen von Westen her an den Hauptplätzen
Niedergermaniens, wie wir schon sahen, über den Fluss nach Osten
weiter. Zu einen festen Abschluss dieses nördlicheren rechtsrheini-
schen Gebietes ist es zwar nie gekommen, aber dafs Anfänge zu
einer auch hier dem Rhein parallelen Grenzbefestigung gemacht
worden, ist höchst wahrscheinlich. Schon Oberstlieutenant F. W.
Schmidt glaubte die Reste derselben an verschiedenen Stellen des
rechtsrheinischen Gebietes von Hönningen abwärts bemerkt zu haben.
Jacob Schneider und General von Veith sind derselben Mei-
nung; Gohausen bekämpft sie. Von Hönningen und Linz bis zur
Sieg und weiter nördlich bis zur Ruhr und Lippe sind zwar mannig-
faltige Verschanzungen bemerkt worden, aber ihr römischer Ursprung
lässt sich nicht erweisen und eine zusammenhängende Grenzwehr
bilden sie nicht. Gewiss verfuhren die römischen Feldherrn bei ihrem
Vordringen nach Osten mit der bekannten althergebrachten Vorsicht
der römischen Kriegführung. Wir wissen, dafs Tiberius und Ger-
manicus Grenzwälle auf dem rechten Rheinufer anlegten; sicher
stützten sich alle Feldzüge naijh Norden und Osten hin, die glück-
lichen wie die unglücklichen, auf diese Befestigungslinien und führten
Hübner, Westeuropa. 8
112 Deutschland
vorging. Zwischen Bonn und Köhi gab es noch verschiedene Wacht-
posten am Rhein; kurz vor Köhi „die Alteburg'', wo auch eine Station
der Rheinflotte gewesen zu sein scheint. Köln hat seit Claudius
aufgehört, ein Militärkastell zu sein. Doch blieb der einst von
Drusus gestiftete Altar, wie der früher in Lyon am Zusammen-
flufs von Rhone und Saöne von ihm angelegte, bestehen. Hier wie
dort hat Kaiser Claudius, des Drusus Sohn, für die Erhaltung der
väterlichen Stiftung gesorgt. Auch nachdem Köln durch Claudius im
Jahre 51 v. Chr. Veteranencolonie geworden war und aufgehört hatte
befestigter Lagerort zu sein, blieb ihm unzweifelhaft eine Besatzung
als dem Sitz des Statthalters der Provinz Niedergermanien. Solange
das rechtsrheinische Germanien als Provinz galt, wird es an einer
Brücke, wie wir sahen, und an einem befestigten Brückenkopf Köln
gegenüber nicht gefehlt haben. Wahrscheinlich befand sich daselbst
schon eine Niederlassung der Ubier. Der Name Divitia, seit dem
dritten Jahrhundert für Deutz bezeugt, ist keltischen Ursprungs.
Auch nach der Aufgabe des rechtsrheinischen Provinziallandes scheint
Deutz besetzt geblieben zu sein; im zweiten und dritten Jahrhundert
schon war es wohl ein ummauertes Kastell. Nach dem Bau der
steinernen Rheinbrücke unter Constantin erhielten seine Mauern er-
hebliche Verstärkungen durch zahlreiche Rundthürme. Aus seiner
Besatzung sind Abtheilungen des römischen Heeres der nachdiocle-
tianischen Zeit hervorgegangen und nach der Heeresverfassung jener
Zeit nach dieser ihrer Herkunft Divitienses benannt worden. Deutz
ist gewissermafsen der letzte Rest der über den Rhein hinauswei-
senden römischen Politik; ein Zeichen, dafs zwar freiwillig, aber doch
ungern die Eroberung des freien Germaniens aufgegeben worden ist.
Andere Kastelle auf dem rechten Rheinufer gab es nicht. Auf dem
linken folgen auf Köln rheinabwärts Durnomagus (Dormagen), Burun-
cum (Haus Bürgel), Novaesium (Neufs), Gelduba (Gellep), Ascibur-
gium (Asberg) bei Mors, Xanten, etwa Wesel gegenüber. An allen
diesen Orten sind die römischen Lager mehr oder weniger sicher
nachgewiesen; zahlreiche kleinere Wachtposten zwischen ihnen sind
schon bemerkt, andere mögen noch nicht beobachtet oder durch die
Veränderungen des Rheinlaufs unkenntlich geworden sein. Bei Xanten
tritt immer deutlicher, besonders nach General von Veiths Unter-
suchungen, das alte Lager der augustischen Legionen, auf dem
Fürstenberg bei Birthen, und das neue Lager der dreifsigsten tra-
Die Grenze von Nicdergermanien
janischen Legion (Grimlingliausen) nebst den beträchtlichen Re^
der städtischen Ansiedelung, der Colonia Traiana, zu Tage,
waltige, eisenbeschuhte Eichenpfähle der Brücke, die auch hier ein\3t,
wie in Köln und Mainz, wenigstens zu Kriegszwecken geschlagen
worden war, sind noch erhalten. Sie können zu den Pfeilern der
Brücke gehört haben, welche man im Jahre 15 vor dem Rückzuge
des Caecina schon abbrechen wollte, wie Tacitus berichtet, hätte sich
Agrippina dem nicht widersetzt. Wahrscheinlich lag auch hier, so
lange eine feste Brücke bestand, ein befestigter Brückenkopf auf dem
gegenüberliegenden Ufer.
Von Xanten abwärts folgen am Rhein ausser kleineren Wacht-
posten Burginatium (zwischen Kehmm und dem Monterberg), Qua-
driburgium (Qualburg), Arenatium (Cleve) und Noviomagus (Nymwe-
gen) mit dem gegenüberliegenden Batavodurum und seiner auf römi-
schen Fundameuten ruhenden Pfalz Karls des Grofsen.
So war von der Mitte des ersten Jahrhunderts an die Rhein- Rechta-
grenze geschützt. Für die Zeit der erstrebten und amtlich geltenden ^BefeSti-^
Ausdehnung der germanischen Provinz bis an die Elbe , also mit ^^^*
einiger Unterbrechung nach der Varusschlacht bis auf das Jahr 51,
führten die Hauptstrafsen von Westen her an den Hauptplätzen
Niedergermaniens, wie wir schon sahen, über den Fluss nach Osten
weiter. Zu einen festen Abschluss dieses nördlicheren rechtsrheini-
schen Gebietes ist es zwar nie gekommen, aber dafs Anfänge zu
einer auch hier dem Rhein parallelen Grenzbefestigung gemacht
worden, ist höchst wahrscheinlich. Schon Oberstlieutenant F. W.
Schmidt glaubte die Reste derselben an verschiedenen Stellen des
rechtsrheinischen Gebietes von Hönningen abwärts bemerkt zu haben.
Jacob Schneider und General von Veith sind derselben Mei-
nung; Gohausen bekämpft sie. Von Hönningen und Linz bis zur
Sieg und weiter nördlich bis zur Ruhr und Lippe sind zwar mannig-
faltige Verschanzungen bemerkt worden, aber ihr römischer Ursprung
lässt sich nicht erweisen und eine zusanmienhängende Grenzwehr
bilden sie nicht. Gewiss verfuhren die römischen Feldherrn bei ihrem
Vordringen nach Osten mit der bekannten althergebrachten Vorsicht
der römischen Kriegführung. Wir wissen, dafs Tiberius und Ger-
manicus Grenzwälle auf dem rechten Rheinufer anlegten; sicher
stützten sich alle Feldzüge nach Norden und Osten hin, die glück-
lichen wie die unglücklichen, auf diese Befestigungslinien und führten
Hübner, Westeuropa. 8
y
/
114 Deutschland
sie weiter. Es wäre wunderbar, wenn von diesen Befestigungsan-
lagen, den trockenen Parallelen zur nassen Rheingrenze, die es hier
so gut wie am Oberrhein und an der Donau gegeben haben mrd,
nicht noch Spuren im Boden sich erhalten haben sollten. Freilich
sind sie nicht in den Zusammenhang einer befestigten Grenzlinie
gebracht, ausgebaut und mit Kastellen und Wachtthttrmen besetzt
worden. Nördlich der Lippe zwischen Haltern, Dülmen und Borken
hat General von Veith ausgedehnte Wallanlagen gefunden und
eingehend beschrieben, in denen er den von Tiberius nach dem Zeug-
niss des Velleius (II 120) begonnenen, von Germanicus nach dem des
Tacitus (Annalen I 50) benutzten und durch Kastelle verstärkten
Grenzwall erkennt. Nach einer zufällig in einem späten Verzeichniss
der römischen Provinzen erhaltenen Nachricht erstreckte sich das zur
Provinz Gallia Belgica gehörige römische Gebiet von Mainz an jen-
seits des Rheins achtzig Leugen weit. So unbestimmt die Nachricht
ist — denn es ist nicht gesagt, nach welcher Richtung hin gemessen
ist — , so bleibt doch das Wahrscheinlichste, dafs im ersten Jahr-
hundert, als die germanischen Provinzen noch nicht als solche be-
standen, das ganze rechtsrheinische, dem Rlieinlauf parallele Gebiet
unter römischer Hoheit jene Längenausdehnung gehabt hat. Sie führt
nördlich hinauf bis zum Thal der Lippe und in die Gegend von Lipp-
stadt. Erst unter Kaiser Gallien, heifst es in jenem Bericht weiter,
sei dieser überrheinische Besitz des Reiches verloren worden. Von
dem grofsen Lager von Xanten aus sind die Lippe aufwärts alle
grofsen Heereszüge gegen Osten ausgegangen. Dauernde Spuren der-
selben in Schanzen und Lagerplätzen sind schon vom General
von Müffling und Oberstlieutenant F. W. Schmidt, nachher be-
sonders vom Hauptmann L. Hölzermann, zuletzt vom General
von Veith beobachtet worden. Aber eine zusammenhängende Linie,
aus der später ein Grenzwall mit gemauerten Kastellen erwachsen
konnte, bilden auch sie nicht. Die Beantwortung der vielbesprochenen
Fragen nach der Lage des Kastells von Aliso, vermuthlich Elsen bei
Paderborn, und nach dem Ort der Schlachten des Varus und Germanicus
ist dadurch zwar nicht entschieden, aber doch mittelbar gefördert worden.
Für die Varusschlacht haben inzwischen die Münzfunde zu einer Lösung
geführt, welche man, ehe nicht entscheidende Beweise für eine andere
Oertlichkeit beigebracht worden sind, für abschliessend halten muss. Sie
fand demnach im Venner Moor bei Barenau westlich von Minden statt
Die Grenze von Nicdergermanien 115
und der Teutoburger Wald ist das Wiehengebirge, von der Porta
Westphalica bis nach Bramsche an der Hase. Für die Schlachten
von Idisiaviso ist eine solche Entscheidung der Frage noch nicht ge-
lungen. Bohlwege, ponfes longiy sehr alt und höchst wahrscheinlich
römischen ürprungs, giebt es in jenen Niederungen mehrere. Auch ihr
Vorhandensein bildet also keinen abschliessenden Beweis. Ausser Mün-
zen, Waffen und Geräthen ist am rechten Rheinufer von Hönningen
abwärts nichts Römisches gefunden worden, keine Baureste, keine
Bildwerke aus Stein oder Erz. Der berühmte Silberfund von
Hildesheim, den das Berliner Museum bewahrt, braucht nicht auf
Feldzüge bezogen zu werden, sondern beweist den regen Handels-
verkehr der Germanen mit den Römern im ersten und zweiten Jahr-
hundert. Immerhin ist es nicht unmöglich, dafs Funde von Münzen
und Waffen auch noch einmal über die Idisiavisoschlacht und die
Heereszüge und Flottenfahrten des Germanicus im äufsersten Norden
des Reiches Aufschluss geben.
So sind wir an den Schluss der Wanderung längs der römi-
schen Grenzen Germaniens von der Donau bei Regensburg bis zu
den Mündungen des Rheines gelangt. Was man von den einst
zum Schutze dieser Grenze von den Römern angelegten gewaltigen
Werken kennt, ist verzeichnet worden. Wie viel noch zu erforschen
bleibt, wie viel unsichere und falsche Vorstellungen noch durch rich-
tige und sichere Erkenntniss ersetzt werden müssen, hat die Be-
trachtung ergeben. Die Bedeutung der germanischen Provinzen, in
welchen einst, zu Anfang und dann wieder gegen Ende der Kaiser-
zeit, die gröfste Militärmacht des gesammten Alterthums versammelt
war, acht Legionen mit allem Zubehör von Hülfstmppen und Tross,
ein Heer von zu Zeiten über hunderttausend Kriegern, auch für die
heutigen, unendlich gesteigerten Anforderungen eine ansehnliche, für
das Alterthum eine ungeheure Kopfzahl — , ihr Einfluss auf die Ge-
schicke der Weltmonarchie kann kaum überschätzt werden. Von
Caesar an bis zum Ausgang des römischen Alterthums ist der durch
den Grenzwall bewachte, von hunderten von ummauerten Kastellen
geschützte deutsche Besitz des Reiches schon als die Heimat der
streitbarsten seiner Krieger ein überaus wichtiger Bestandtheil seiner
Macht.
8*
Allge-
meines
116 Deutschland
U.
Römische Städte in Deutschland.
Der in der Deutschen Rundschau Bd. XII 1886 S. 206—228 gedruckte
Vortrag erscheint hier erweitert durch die in den Aufsätzen über den
römischen Grenzwall gegebenen Ausführungen, welche den hier behandelten
Gegenstand betreffen. Die neueste anschauliche Karte Germaniens und
der unteren Donauländer zur Römerzeit in G. Droysens allgemeinem
historischen Handatlas (Bielefeld und Leipzig 1885) Taf. 17 wird Herrn
Dr. G. Kossinna verdankt. Sie genügt zur allgemeinen Orientierung.
Es ist ein berechtigter Zug der neueren Geschichtsforschung,
dafs sie die Folge der Ereignisse und das Wesen der handelnden
Personen nur dann sich wirklich anzueignen und lebendig darzu-
stellen vermag, wenn sie neben und zu allem Uebrigen für die Er-
kenntniss Nothwendigeu auch den Boden genau kennt, auf welchem
die Geschichte geschah. Aus der topographischen Grundlegung, aus
der genauen Kenntniss und der durch sorgfältige Studien erworbenen
Anschauung von Land und Leuten zieht das geschichtliche Wissen
immer neue Antäuskräfte. Darin liegt der grofse Unterschied zwi-
schen den Reisen in der alten Welt, auf historischem Boden, und
den Entdeckungsfahrten in geschichtslose Erdtheile. Die unzu-
sammenhängenden Einzelnheiten einer noch so trümmerhaften Ueber-
lieferung gewinnen Einheit und Gestalt, sobald man ernstlich ver-
sucht, sie in dem Rahmen ihrer geographischen Umgebung zu ver-
stehen. Während die jüngste unter den wissenschaftlichen Disciplinen,
welche das älteste Problem der Philosophie, das Sein der Dinge ausser
uns, unserm Erkennen vermittelt, die Schöpfung d*Anville*s, Ale-
xander von Humboldts, Karl Ritters, die wissenschafiliche
Erdkunde, seit lange beides umfasst, die mathematisch-physische
Grundlage der Geographie und die anthropologisch -ethnographische
Betrachtung des Menschen auf unserem Planeten, hat die historische
Wissenschaft erst begonnen, aus den Theilen der Geographie, welche
man die Länder- und Ortskuude im engeren Sinne nennt, aus der
Chorographie und Topographie, die ganze Fülle der Ernte einzu-
heimsen, die ihr aus diesen Disciplinen zuwächst.
Längst ist von allen den Forschern, welche den zerstreuten und
lückenhaften Nachrichten über das orientalische, das griechische und
römische Alterthum Leben zu geben bestrebt sind, anerkannt, welch
Römische Städte in Deutschland 11?
eine gewaltige Unterstützung der Erkenntniss aus der genauen Er-
forschung der Gegenden erwächst, in welchen die Staaten -jener
Epochen der Geschichte entstanden, sich ausbildeten und wieder
untergingen. Nicht aus den Königs- oder Beamtenreihen und den
Kriegen, aus den Parteikämpfen und den Verfassungstreitigkeiten
allein lässt sich ein Bild von dem Leben der alten Völker gewinnen.
Wir wollen beides, „Land und Leute'', kennen lernen, das Land,
in dem gewohnt und um das gekämpft worden ist, die Leute, die
beherrscht, von denen gestritten und gehandelt wurde. Für einen
grofsen Theil des Orients und besonders für die klassischen Länder,
Griechenland und Italien, ist diese von Niebuhr zuerst besonders
betonte Forderung durch eine Reihe von grofsen Werken und durch
unausgesetzte Forschungen erfüllt oder ihrer Erfüllung nahe gebracht
worden. Italien schickt sich an, durch Theilung der Arbeit eine
umfassende Darstellung der italischen Topographie in Angriff zu
nehmen. Für die Länder des Westens dagegen ist von dieser Art
wenig den heutigen Anforderungen Genügendes vorhanden. Frank-
reich hat noch keinen würdigen Nachfolger d'Anville's für das ge-
sammte Gebiet der historischen Geographie gefunden, obgleich es an
zahlreichen Vorarbeiten dafür nicht mangelt. Für England liegt eine
Fülle von zerstreutem Material ftir die verschiedenen Epochen seines
geschichtlichen Lebens vor, und neuerdings sind mehrere kurze, po-
pulär gehaltene Schriften erschienen, welche die geographische Kunde
des keltischen, des römischen, des sächsischen Englands u. s. w.,
so weit sie ermittelt ist, in weitere Kreise zu tragen bestimmt sind.
Für die Länder des äussersten Westens, Spanien und Portugal, wie
für die des Ostens von Europa haben wir erst mehr oder weniger un-
vollkommene Anfänge solcher Studien zu verzeichnen.
Wie steht es damit für Deutschland, vor allem für seine älteste
Geschichte? Ich verkenne nicht, dafs besonders für die politische
Geographie der späteren Perioden unserer Geschichte durch zahl-
reiche Einzelschriften und durch manche zusammenfassende Ueber-
sicht in den umfangreichen geschichtlichen und geographischen Dar-
stellungen, an denen kein Mangel ist, sowie durch kartographische
Hülfsmittel viel geschehen ist, um uns eine Vorstellung von dem wech-
selnden Territorialbestand der einzelnen Landschaften, von den Städten
und Burgen, den wirthschaftlichen Verhältnissen des Landes u. s. w. zu
geben. Aber für das, was man die alte Geographie Germaniens nennt,
118 Deutschland
sind Mannerts und Ukerts Handbücher (1820 und 1843) mit ihren
schleckten Karten veraltet und durch keine neueren und besseren er-
setzt, die Menge der seit den letzten vierzig Jahren gemachten Beob-
achtungen noch nirgends zusammengefasst worden. Auch die neuesten
und eingehendsten Darstellungen der deutschen Urzeit und Vorzeit ver-
kennen das Bedürfniss nach einer sicheren geographischen Grundlage
keineswegs. Ebenso setzen manche jüngst erschienene Arbeiten über die
römischen Provinzen, über die Verbreitung der lateinischen Sprache,
überall Vertrautheit mit der römischen Geographie voraus. Des berufen-
sten Meisters Werk über unsere älteste Geschichte, Müllen hoff s deut-
sche Alterthumskunde, ruht auf der sichersten Beherrschung gerade
dieses Wissensgebietes, und die deutsche Geschichte von Nitzsch,
der, wie wenig Andere, voll des lebendigsten Verständnisses für Land
und Leute seine Aufgabe gefasst hatte, schenkt trotz der Schranken
des akademischen Lehrvortrages, in denen sie sich bewegt, doch
überall auch dieser Seite die gebührende Aufmerksamkeit. Aber
beide Werke verfolgen doch, soweit sie vorliegen, ganz andere Ziele.
Den grofsen Sammlungen der lateinischen Inschriften sind durch-
gehends genaue Karten beigegeben, auf welchen nicht blofs alle sonst-
her bekannten antiken Oertlichkeiten sich verzeichnet finden, sondern
auch jeder moderne Ort, an dem eine Inschrift zum Vorschein ge-
kommen ist, so dafs diese sorgfältigen Spezialkarten alle, selbst die
in den gröfseren Kartenwerken gegebenen, wie im Maafsstab, so auch
in der Fülle der Nachweisungen weit übertreffen und fast den Cha-
rakter archäologischer Fundkarten annehmen. Doch sind darauf die-
jenigen Oertlichkeiten nicht berücksichtigt, welche nur schriftlose
Ueberreste ergeben haben, und deren sind gerade in Deutschland
sehr viele; wogegen die römischen Strafsenzüge , wenigstens soweit
sie für das Verständniss der erhaltenen Meilensteine in Betracht
kommen, eingetragen sind. Die Sammlungen, welche die inschrift-
lichen Denkmäler Galliens und der beiden germanischen Provinzen
umfassen sollen, sind noch nicht erschienen und bis zu ihrem Er-
scheinen wird noch manches Jahr hingehen. Nur für die öster-
reichischen und bayerischen Lande, für das römische Pannonien, für
Raetien und Noricum, liegen die Sanunlungen mit ihren Karten be-
reits vor. Für das eigentliche Germanien, unsere Rheinlande, Hessen-
Nassau, Rheinbayern, Baden, Württemberg muss man sich einstweilen
meist noch mit älteren unvollkommenen Karten behelfen und das Material
Römische Städte in Deutschland Hd
für die Anschauung von den Grundlagen des römischen Lebens in
jenen Gegenden aus allen möglichen gelehrten Ecken und Winkeln
zusammensuchen. Eine Ergänzung, aber keinen Ersatz, bieten die
von der deutschen anthropologischen Gesellschaft in Angriff ge-
nommenen Karten der praehistorischen Funde, insofern sie die Fund-
orte von vorrömischeu Alterthümem verzeichnen. Aber von einer
den heutigen Anfordenmgen entsprechenden kartogi'aphischen Auf-
nahme des einst römischen Theiles von Deutschland, wie sie filr
Frankreich die grofse durch Napaleon HI veranlasste topographische
Karte von Gallien bis auf die römische Eroberung bietet, sind wir
noch weit entfernt.
Caesar vielleicht schon und sicher nach ihm Augustus hatten,
wie wir sahen, den Gedanken gefasst, das nördliche Deutschland bis
zur Nordsee und der Elbe, das südliche bis nach Böhmen und Un-
garn und weiterhin alles Land bis zum schwarzen Meer dem römi-
schen Reich einzuverleiben, so dafs der ganze Lauf der grofsen
Ströme des Nordostens und Nordwestens, der Donau und des Rheins,
römisch werde. Aber schon um die Mitte des ersten Jahrhunderts
unserer Zeitrechnung sind diese hochfliegenden Pläne endgültig auf-
gegeben worden. Im Westen begnügte man sich etwa von Coblenz
abwärts mit der Rheingrenze, im Osten etwa von der Drawemün-
dung an mit der der Donau. Unter Trajan erst trat dort das neu
eroberte Dakien nördlich von der Donau zum Reiche und blieb da-
bei bis gegen Ende des dritten Jahrhunderts. Zwischen Donau und
Rhein aber, etwa von Regensburg an westlich, in Bayern, Württem-
berg, Baden und Rheinhessen bis zum Main, von da nördlich bis
zur Lahn und etwas weiter, wenig unterhalb Coblenz, da wo die
Rheingrenze beginnt, war das Land jenseits der grofsen Ströme doch
schon so weit von den römischen Truppen besetzt und von einer
sesshaften Bevölkerung bewohnt, die sich des römischen Schutzes
freute, dafs diese reichen Fluren und Höhen nicht wohl aufgegeben
werden konnten. So schritten denn in der zweiten Hälfte des ersten
Jahrhunderts die tüchtigen flavischen Kaiser, Vespasian und seine
Söhne Titus und Domitian, nachher ihnen folgend die grofsen Herrscher
des zweiten Jahrhunderts, Trajan und Hadrian, dazu, dies weite Ge-
biet, dem natürliche Grenzen gegen das Barbarenland fehlten, durch
jene künstlich befestigte Grenze abzuschliessen, von welcher der vor-
hergehende Abschnitt versucht hat eine Vorstellung zu geben. Die
120 Deutschland
von Vielen ausgesprochene Mahnung, dafs es hohe Zeit sei, den
Spuren des gewaltigen Römerwerkes nachzugehen und sie in Beschrei-
bung und Aufzeichnung zu fixieren, ehe die fortschreitende Kultur
sie gänzlich verwischt haben wird, ist nicht auf unfruchtbaren Boden
gefallen. Fleissige Hände und Ftifse haben sich fast überall in je-
nen Gegenden unseres Vaterlandes geregt, um dem Lauf der Befesti-
gungslinien, den Kastellen und Wachtthürmen nachzuspüren, die schon
verschwundenen Erinnerungen daran aus Aufzeichnungen verschie-
denster Art, Urkunden und Flurbüchern, sowie aus den alten Ge-
markungsgrenzen hervorzusuchen, die an den einzelnen Orten ge-
fundenen Denkmäler, von den grofsen Steinaltären mit Inschriften an
bis zur unscheinbarsten Thonlampe herab, vor Allem die Münzen
und die gestempelten Ziegel zu sammeln, zu verzeichnen und zu
deuten. Es ist jetzt nicht mehr nöthig, das Interesse für den Ge-
genstand überhaupt erst zu wecken; wohl aber ist die Frage danach
berechtigt, wodui-ch sich denn diese künstliche Abschliessung der rö-
mischen Provinz gegen das freie Germanien erklärt, was sie über-
haupt bezweckte, wie geartet die Kultur war, die sie gegen das
Ausland abschloss. Eine kurze Darstellung der üeberreste der rö-
mischen Herrschaft in Deutschland, die sich darauf beschränkt, auf
die sichtbarsten Spuren hinzuweisen, welche diese Epoche unserer
Geschichte zurückgelassen hat, wird auf Theilnahme und Verständniss
bei allen denjenigen rechnen dürfen, denen unserer Heimat Ver-
gangenheit und ihre Erkentniss am Herzen liegt.
Man liest wohl die Namen der römischen Städte in Deutschland
und prägt sich auch ihre Lage auf der Karte ein; man betrachtet
flüchtig die in den verschiedenen lokalen Sammlungen aufgespeicherten
Reste des römischen Lebens, Sculpturen, Steinschriften, Mosaikfufs-
böden, Waffen und Geräthe aller Art, und findet sie mit wenigen
Ausnahmen dürftig und gering im Vergleich mit den Schätzen der
antiken Kunst, welche die Museen der grofsen europäischen Haupt-
städte bergen. Sehr wenige gelangen zu den in Feld und Wald
zerstreuten Resten der römischen Kultur, zu den Villen und Grab-
mälem, wie z. B. zu dem grofsen von Igel bei Trier, und ähnlichen.
Wie wenige vermögen sich deutlich Rechenschaft zu geben von dem,
was einst römisch war bei uns und von dem Stempel, den es dem
deutschen Wesen in gewissen Beziehungen zu seiner Zeit aufgedrückt
hat! Erst die gesteigerte Kultur der letzten Jahrhunderte hat all-
Bömische Städte in Deutschland 121
mälich Alles verwischt, was von solchen Resten der römischen Zeit
einst vorhanden war und sich an vielen Orten mit überraschender
Zähigkeit erhalten hatte. Es ist begreiflich, dafs unsere Geschicht-
schreiber über die Epoche der römischen Herrschaft in Deutschland,
über welche die schriftlichen Quellen so dürftig fliesseu, meist in
summarischen Uebersichten hinweggehen. Auch mag das gehobene
Vaterlandsgefühl, ein gewisser patriotischer Abscheu gegen alles
Wälsche zuweilen dazu beigetragen haben, dafs ein genaueres Ein-
gehen auf die Zeit der römischen Fremdherrschaft vermieden wurde.
Wie weit und wie lange sich römische Bauten, besonders Mauern
und Thore der einst von den Römern befestigten Städte, erhalten
haben, wie oft diese Städte in ihrer Anlage, in den Strafsenzügen
und in den Brücken, in der Lage ihrer Kirchen, unmittelbare Zeug-
nisse der römischen Gründung bieten, wird wohl nebenher erwähnt,
aber kaum recht gewürdigt. Wie lange die römischen Strafsen
überhaupt die einzigen waren, auf denen sich Kriegszüge und Han-
delsverkehr, die Romfahrten der Könige wie die Frachten der Italiener-
waaren bewegten, ist meines Wissens nirgends im Zusammenhang
untersucht worden. Ftlr die Zeiten der Karolinger, ja noch für die
die der sächsischen und fränkischen Kaiser bis zu den Staufern herab
bilden die römischen Bauten, welche den Stürmen der Völkerwande-
rungen wie den späteren Kriegen gewiss in erheblicher Anzahl ge-
trotzt hatten, den nothwendigen Hintergrund der Ereignisse. Das
heilige römische Reich deutscher Nation knüpft auch äusserlich un-
mittelbar an die römische Kultur an, deren Spuren es überall vor-
fand. Nur darf man freilich nicht, wie eine Zeit lang der über-
triebene Eifer lokaler Gelehrter zu thun pflegte, in jedem fremdklin-
genden Namen einen römischen, in jeder Bodenerhöhung ein römi-
sches Lager, in jedem Thurm mit Bossenquadem einen römischen
Festungsthurm sehen. Aber wohl lohnt es sich der Mühe, das, was
wirklich römisch war oder ist, zu erkennen und aufzusuchen.
I.
Es ist nicht meine Absicht, die jetzt zu Oesterreich gehörigen Raetten
Provinzen Moesien (die Balkanländer von den Donaumündungen bis
Belgrad), Pannonien (Slavonien und Ungarn westlich vom Donaulauf
bis über Wien hinaus) und Noricum (die Steiermark und das Erz-
herzogthum Oesterreich nebst dem Salzkanmiergut) in den Kreis die-
122 Deutscliland
ser Betrachtungen zu ziehen, ohgleich die heiden letztgenannten einst
ausschliesslich von germanischen Stämmen bewohnt wurden. Die
ganze oben beschriebene Donaugrenze von Troösmis (dem rumänischen
Iglitza) an mit ihren grofsen Kastellen in Moesien, wie Durostorum
(Silistria), Oescus (Gigen), Ratiaria (Artscher), Drobetae (Turnu Se-
verin), Viminacium (Kostolatz), liegt uns zu fern und ist zu wenig
bekannt, als dafs sich davon verständlich in Kürze reden Hesse.
Und doch konnte die Fortsetzung dieser Postenkette in Pannonien
und Noricum mit Aquincum (Altofen bei Budapest), Brigetio (Komorn
gegenüber), Camuntum (Deutsch -Altenburg zwischen Prefsburg und
Wien), Lauriacum (Lorch an der Donau), nur im Zusammenhang
mit jener richtig gefasst, können die dahinter liegenden Landschaften
und ihre Denkmäler nur vereint betrachtet werden. Für die öster-
reichischen Lande liegt mancherlei anziehendes Material vor, aber
ich verzichte hier auf seine Verwerthung und beginne meine Be-
trachtung an der Grenze Bayerns und des deutschen Reichs.
Noch heute bildet der Lauf des Inn etwa von Kuefstein nord-
wärts bis Passau die Grenze zwischen Oesterreich und Bayern, wie
er einst die römische Provinz Noricum von Raetien trennte. Passau,
das schöne Donau-Coblenz, Castra Batava, oder Batava schlechthin,
an der Mündung des Inn, ist seit dem zweiten Jahrhundert Lager-
ort der neunten Cohorte der Bataver, die ihm den Namen gab. Es
bildete mit dem ihm gegenüber auf demselben Ufer der Donau, aber
auf dem anderen des Inn liegenden Boiodurum (von den keltischen Boiem
gegründet, dessen Name noch in der Beiderwiese und dem Beider-
bach fortlebt), das war längst bekannt, die Grenzstation zwischen
den beiden Provinzen. Erst in allerneuester Zeit aber ist es
mit musterhafter Geduld und Umsicht geführten Nachforschungen
gelungen, beides, sowohl das römische Kastell am linken wie die
altbefestigte Stadt am rechten Innufer, welche später zugleich Zoll-
station war, mit hinreichender Sicherheit aus den im Boden selbst
.erhaltenen Resten nachzuweisen.
Den Fluss aufwärts zwischen Passau und Regeusburg folgen,
wie wir sahen, die römischen Kastelle Künzing (Quintanae) und Strau-
Regensburg hing (Sorviodurum). Regensburg selbst, die Castra Regina, an der
Mündung des Regenflusses in die Donau, dem es seinen Namen ver-
dankt, ist im zweiten Jahrhundert eines der grofsen Lager einer Le-
gion gewesen, der von Antoninus Pius für den Markomannenkrieg
\
\
Römische Städte in Deutschland
errichteten dritten italischen. In Regensburg ist der Umfang der
alten Befestigung ziemlich vollständig ermittelt worden; beträchtliche
Reste zweier der römischen Thore mit doppelter Durchfahrt, Steine
des dorischen Gesimses und Säulenschäfte, ein Fragment der grofsen
Inschrift über dem Eingang, welche eine Wiederherstellung des
Bauwerks unter Kaiser Commodus erwähnt, sind zum Vorschein ge-
kommen.
Von dem raetischen Grenzwall und seinen Kastellen, von den da-
hinter liegenden wahrscheinlich älteren Befestigungen vor und an der
Donau, ist oben gesprochen worden. An zahlreichen Orten ist hier
der geduldigen und methodischen Forschung, welche den alten üeber-
lieferungen nachgeht, die Flurbücher vergleicht, die Bodengestaltung
zu deuten versteht und die gelegentlichen Mittheilungen alter Leute
von gelehrter Schulweisheit unterscheidet, ein Ergebniss so gut wie
gesichert Freilich darf mau nicht erwarten, hervorragende Werke
der antiken Kunst zu finden. Aber die gleichmäfsigen und desshalb
so sicheren Anzeichen der Kastellanlage, Thore nnd Wachtthürme,
pflegen fast nirgends gänzlich zu fehlen. Den bescheidenen Ertrag
lokaler Ausgrabungen bilden zwar nur die unscheinbaren Ziegel und
Töpferscherben mit ihren Stempeln, die Münzen, die Reste von Waffen
und Geräthen, hier und da als hochwillkommene Beute ein Inschrift-
stein. Aber sie geben die unverächtliche Gewissheit, dafs man
auf deutschem Boden wieder ein Stück römisches Leben mehr ge-
funden hat.
Erst wann die durch Strafsen aus dem Hinterland nach vorn Augsburg
und untereinander verbundenen Kastelle das Land gesichert hatten,
konnte sich das provinzielle Leben ungestört entwickeln. Als Drusus
die Vindeliker unterwarf, hat er bereits den alten Hauptort der kel-
tischen Licatier, wohl der Vorgänger der Vindeliker, am Zusanmienfluss
von Lech (Lica) und Wertach, zu einem römischen Kastell und zum Wohn-
platz der ersten römischen Bürger in der neuen Provinz gemacht und ihm
den Namen Augusta Vindelicum gegeben. Erst unter Claudius wurde die
erste römische Alpenstrafse vom Po zur Donau, d. h. von Verona über
den Brenner nach Innsbruck und Partenkirchen bis Augsburg und
weiter bis gegen Donauwörth vollendet. Colonie im staatlichen Sinn
wurde Augsburg erst unter Hadrian, mit dem Namen Colonia Aelia
Augusta. Als eine der ersten gröfseren römischen Städte auf deut-
schem Boden und als Hauptstadt der Provinz Raetien ist Augsburg,
124 Deutschland
wie bekannt, bis in das siebzehnte und achtzehnte Jahrhundert hin-
ein das eigentliche Thor von Italien, leider aber nicht zugleich die
Hauptstadt von Bayern gebüeben. Die älteste gedruckte Sammlung
römischer Alterthümer aus Augsburg, d. h. Von Sculpturen, architektoni-
schen Fragmenten und Inschriftsteinen, ist die auf Kaiser Max* Befehl
von Konrad Peu tinger herausgegebene, zuerst gedruckt in Augsburg
durch Erhard Ratold im Jahre 1508, dann wieder mit einigen Zu-
sätzen in Mainz bei Johann Schöffer im Jahre 1520. Manche der
hier von einem mir nicht bekannten Meister kräftig und charakte-
ristisch gezeichneten und in Holz geschnittenen Abbildungen von
Alterthtimem sind von allen spätem Sammlern wiederholt worden,
da die Originale inzwischen verloren gingen. Durch die gelehrten
Augsburger Peutinger und Wels er veranlasst und durch den fürst-
lichen Reich thum Raimund Fuggers unterstützt erschien die erste
gedruckte Sammlung lateinischer Inschriften und Alterthümer des gan-
zen römischen Reichs in geographischer Anordnung, meist aus den
Handschriften der italienischen Sammler geschöpft; sie ist durch die
Ingoldstädter Professoren Petrus Apianus und Bartholomäus Aman-
tius in Ingolstadt 1534 zum Druck gebracht und mit den treff-
lichen Holzschnitten Ostendorf fers geziert. Augsburg ist der
erste Mittelpunkt des römischen Lebens geworden in den reichen
Thälern und Ebenen, in die der römische Eroberer aus den rauhen
Alpenhöhen herabgestiegen war. Aber eine hervorragende militärische
Bedeutung scheint die Stadt am Lech nicht gehabt zu haben. Auf-
fällig ist unter ihren inschriftlichen Denkmälern, besonders im Ge-
gensatz zu denen von Mainz , das Zurücktreten von Soldatengrab-
steinen; das bürgerliche und besonders das kaufmännische Element
wiegt vor. Was von Ueberresten der römischen Zeit erhalten ge-
blieben ist, bewahrt das Maximilianeum der Stadt. Man kennt wohl
ungefähr den Platz der ältesten Niederlassung, beim Dom, auf der
Höhe des langgestreckten Hügels, den die Stadt einnimmt; in der
Grottenau vermuthet man das römische Amphitheater. Aber es fehlt
noch an einem ausreichenden Situationsplan des römischen Augsburg
und seiner Umgebung. Sollte die schöne und reiche Stadt, welche
für die Erhaltung ihrer geschichtlichen Denkmäler aus späterer Zeit
so opferwillig eingetreten ist, nicht auch ihrer Gründungszeit einiges
Interesse entgegenbringen?
Römische Städte in Deutschland
Wer die Mühe nicht scheut, auch den zerstreuten und entlö
Resten der römischen Zeit nachzugehen, der findet ihrer noj
manchen Orten in den Niederungen des Inn, der Isar, des Lech und
der Hier, wie im Oberland der raetischen Alpen. Chieming am schönen
Chiemsee, schon zum römischen Noricum gehörig, ist der Sitz der
alten Kultusstätte eines keltischen Gottes Bedaius und führte danach
seinen alten Namen. Bei Reichenhall und in der Ebene nach
Salzburg zu, bei Rosenheim, dem römischen Innsbruck (Pons Aeni),
in Epfach (Abudiacum), in Kempten (Cambodunum) , in Kellmünz
(Caelimontium), in Wilten beim heutigen Innsbruck (Veldidena), in
Matrei (Matreia) und Sterzing (Vipitenum) an der Brennerstrafse, in
Chur (Curia), Maienfeld (Magia) und Feldkirch (Clunia) im oberen
Rheinthal, endlich in Bregenz (Brigantium) und Eschenz (Tasgaetium),
um nur einige der wichtigeren zu nennen, sind an Stelle altkeltischer
Niederlassungen, wie die Namen zeigen, römische Stationen getreten.
In allen jenen von der Natur reich gesegneten Ebenen und Gebirgs-
thälern, an den Alpenstrafsen mid auf den mittleren Höhenzügen
haben in Feld und Flur neben den keltischen und germanischen
römische Ansiedler gewohnt und Spuren ihres Daseins hinterlassen.
In Kempten und Bregenz sind neuerdings die Reste der römischen
Marktanlagen gefunden worden. Das Münchener Antiquarium, theil-
weise auch das bayerische Nationalmuseum bilden eine Art von
Mittelpunkt für die im Lande gefundenen römischen Alterthümer,
über die es an beschreibenden, aber wenig lesbaren Werken nicht
mangelt. Kleinere Sammlungen sind ausser in Augsburg in Landshut,
Straubing und Kempten. Eine ethnographisch-historische Schilderung
des alten Raetiens ist von einem patriotischen Geschichtsforscher in
Chur versucht worden; doch fehlen ihr ausreichende Pläne und Abbil-
dungen, ohne welche Bücher der Art jetzt überhaupt nicht mehr her-
ausgegeben werden sollten. Ein solches Werk, aus der gemeinsamen
Arbeit der besten Kenner hervorgegangen, aber einheitlich nach Plan
und Ausführung, ohne ermüdende Gelehrsamkeit und überflüssige
Kleinigkeitskrämerei, wie sie den antiquarischen Untersuchungen leider
noch vielfach anhaftet, künstlerisch ausgestattet und daher wohl nicht
ohne Aufwand aus öffentlichen Mitteln herzustellen, würde für das
römische Bayern wie für die nachher zu besprechenden übrigen Ge-
genden Deutschlands einem wirklichen Bedürfniss entsprechen.
126 Deutschland
n.
Der Unweit Jjorch im Remsthal verlässt, wie oben geschildert worden
^"^'^ist, der Grenzwall plötzlich die bis dahin eingehaltene der Donau
parallele ostwestliche Richtung, um sich fast im rechten Winkel nach
Nordnordwest zu wenden und bei Miltenberg den Main zu erreichen.
Ehe das Decumatenland dem Reiche einverleibt wurde — es geschah,
wie wir sahen, unter Vespasian — , bildete auch hier der Rhein die
Grenze des römischen Gebietes. Die Reihe der grofsen Kastelle,
welche das linke Ufer des Rheins von seinem Austritt aus dem Bodensee
bei dem vorhin erwähnten Tasgaetium (Eschenz, zwischen Constanz
und Schaf hausen) begleiten, sind vergleichsweise genauer bekannt.
Winterthur (Vitodurum), Windisch (Vindonissa), das alte Hauptquartier
einer der seit Augustus in Gallien stehenden Legionen, Avenches
(Aventicum), Äugst bei Basel (Augusta Rauricorum) sind, Dank den
rührigen Schweizer Gelehrten, theilweis schon durch Ausgrabungen
erforscht worden. Auch die Rheinfestungen im Elsass, Argentovaria
(Horburg bei Colmar), Strafsburg (Argentorate), neuerdings von einem
deutschen Ingenieurofficier von Appell sorgfältig aufgenommen, sind,
wenn auch kaum durch eigentliche Nachforschungen, so doch durch
Strafsburg zufällige Fundc in ihrer Lage identificiert. Das Kastell von Argen-
torate, auf einem Hügelrücken an der 111, im Knotenpunkt verschie-
dener Strafsen gelegen, hatte nach den noch oder einst vorhandenen
Resten von Mauern, Thürmen und Thoren einen Umfang von etwa
530 X 370 m im Mittel; es liegt also in der Gröfse etwa zwischen
der Saalburg (300 X 200 m) und Heddemheim (950 X 480 m).
Aus den Verschiedenheiten in der Anlage der Mauern, Thürme und
Gräben scheint sich sogar bis zu einem gewissen Grade Ursprung
und Verlauf des Festungsbaues entnehmen zu lassen. Noch fehlen
freilich entscheidende inschriftliche Zeugnisse und Ziegelstempel. Aber
wahrscheinlich ist, dafs wenigstens ein Theil der achten Legion ihr
erstes Hauptquartier in Obergermanien hier und in den nächstliegen-
den Kastellen gehabt hat. Vespasians Strafsenanlage nach dem
Osten, welche die Einverleibung des Decumatenlandes nöthig machte,
nahm von hier aus ihren Anfang. Im Allgemeinen bekannt sind
ferner die Niederlassungen im Innern des Landes. So zunächst die
Kastelle zwischen Strafsburg mid Bingen, von denen oben die
Rede war, sowie einige der Hauptorte Badens in römischer
Zeit, vor Allem Baden selbst, die Colonia Aurelia Aquensis,
land
Römische Städte in Deutschland 127
Heidelberg und Ladenburg (Lupodunum) ; obgleich auch hier im Einzel-
nen noch so gut wie Alles zu thun bleibt. Ladenburgs Denkmäler sind
von dem verstorbenen Karl Bernhard Stark in Heidelberg in seiner
ausführlichen Weise beschrieben worden. Bei Gemsheim am Rhein,
zwischen Woims und Oppenheim, hat Friedrich Kofier die Reste einer
ziemlich umfangreichen Stadt gefunden. In allen diesen Orten hatte
sich, so viel erkennt man schon jetzt, die römische Durchschnitts-
kultur im ersten und zweiten Jahrhundert unserer Zeitrechnung bereits
mehr oder weniger festgesetzt und ausgebreitet. Anders sah es in
dem östlichen Württemberg und in Rheinhessen aus. Nicht der natür- <^y;;^/^-
lichen Gestaltung des Landes und den gewiesenen Wegen des Anbaus
in Thälem und Ebenen folgend, sondern ausschliesslich aus strategi-
schen Gründen trennt hier der Grenzwall das von den Römern be-
setzte Land von dem der freien Germanen. Wann immer diese letzte
Begrenzung des römischen Gebietes ausgeführt worden ist, die römi-
schen Niederlassungen längst derselben behielten lange sicherlich einen
rein militärischen Charakter. Wie die Linie des Walls über Berg
und Thal, durch Wald und Sumpf zieht, ohne Rücksicht auf Terrain-
schwierigkeiten, so sind auch die unmittelbar hinter und an ihr lie-
genden Kastelle in fast gleichen Abständen und annähernd gleicher
Gröfse angelegt worden, ohne Rücksicht auf etwa früher vorhandene
Niederlassungen der einheimischen Bevölkerung, deren es kaum ge-
geben zu haben scheint. Bei den meisten von ihnen haben sich nach
und nach erst kleine bürgerliche Niederlassungen an die Kastelle
gelehnt. So in Oehringen, dem Vicus Aurelianus. Den an künst-
lerischem Werth geringen, im Ganzen aber doch nicht unerheblichen
Ertrag an Alterthümem aus den nur erst zum Theil aufgegrabenen
und genauer durchforschten römischen Ortschaften Württembergs be-
wahrt das Stuttgarter Antiquarium, Einiges aus den nördlichen Ge-
bieten das des Grafen Erbach zu Erbach und der Eulbacher Park im
Odenwald, sowie das Darmstädter Museum. Es ist klar, dafs erst
vom Ende etwa des zweiten Jahrhunderts an und in der ersten Hälfte
des dritten diese Gegenden etwas von wirklicher römischer Kultur
erlangt hatten, das sie dann gegen die in der zweiten Hälfte des
dritten Jahrhunderts schon beginnenden Raubzüge der Alamannen und
Franken nicht lange zu halten vermochten. Hätte hier, wie in der
Nordschweiz und im Elsass, die einst zu Gallien gehörten, eine um
ein bis zwei Jahrhunderte ältere Kultur ihre Wurzeln geschlagen, so
Der Main
128 Deutschland
würde sie der barbarischen Ueberfluthung vermuthlich längeren und
zäheren Widerstand entgegengesetzt haben. Württembergische, badi-
sche und hessische Gelehrte, Architekten, Ingenieure und Alterthums-
freunde haben vieles Nützliche gesammelt, beobachtet und verzeichnet,
aus dessen Veruinigung sich ein annähernd richtiges Bild von dem
Zustand jener Gegenden während der Dauer der römischen Herrschaft
gewinnen lässt. Allein noch muss der Spaten oftmals angesetzt und
vieles Vergessene an das Licht gezogen werden, ehe dies Bild auch
weiteren Kreisen in klaren Umrissen und ausreichender Genauigkeit
gezeigt werden kann. In Baden hat wie auch anderswo eine Zeit
lang romantische Ueberschätzung der römischen Beste geherrscht, ge-
stützt auf dilettantische ünkenntniss und etymologisches Spiel mit
den Ortsnamen. Gegen solches Uebermaafs hilft nur die rück-
sichtslose Aufdeckung des Thatsächlichen ; und sie hat schon vielfach
ihren Dienst gethan. Statt des bis in unsere Tage selbst von an-
gesehenen und geistreichen Gelehrten noch nicht aufgegebenen Ety-
mologisierens und willkürlichen Deutens der Ortsnamen wäre es wohl
angezeigt, einmal die wirklich und unzweifelhaft aus römischen her-
vorgegangenen deutschen Ortsnamen zusammenzustellen und mit Rück-
sicht auf ihre in den verschiedenen Gegenden und unter dem Ein-
fluss verschiedener Dialekte verschiedenartige Abwandelung zu unter-
suchen. In Bayern ist neulich damit ein kleiner Anfang gemacht
worden. Schon die in diesen Aufsätzen von mir zusammengestellten
Parallelen werden dem aufmerksamen Leser durch mannigfach überein-
stimmende Endungen (wie die auf -ing und -ingen) und Bildungen
(mit Burg) aufgefallen sein.
IIL
Vom Thal der Einzig an bis Mainz fiel dem Main die Rolle
zu, welche weiter südlich der obere Donaulauf hatte; er bildete, wie
es die Flüsse überall in unbekannten Ländern thun, die erste natür-
liche Strafse, um von Mainz aus nach Osten vorzudringen. Allein wir
sahen, wie früh der reiche Südabhang des Taunus römische Kaufleute
und Ansiedler gelockt hat, trotz der Gefahr, die von dem kriegsgewalti-
gen Volke der Chatten drohte, in jenen schönen Thälern und Höhen
festen Fufs zu fassen. Schon Drusus hatte das erste gi'öfsere römische
Kastell in ihrem Gebiet, „am Taunus" angelegt; es scheint den kelti-
schen Namen, der dies bedeutet, geführt zu haben, Artaunum. Viel-
Römische Städte in Deutschland 129
leicht ist es der heutige Flecken Hedderaheim an der Nidda, nörd-
lich von Frankfurt, das, wie sein Name zeigt, erst in fränkischer
Zeit an seine Stelle trat und der Hauptort jener Gegenden nehen
Mainz wurde. Mainz aber war von jeher die bedeutendste Stadt ^^^^^
nicht blofs im römischen Deutschland, sondern es scheint, dafs sie
es bald an Glanz und Macht mit der alten Hauptstadt der drei galli-
schen Provinzen Lyon (Lugudunum) aufnehmen konnte; Augsburg
hat sich, wie schon gesagt, nie mit ihm messen können. Wie Lyon
am Zusammenfluss der Rhone und der Saone, so war Mainz an dem
des Rheins und des Mains von Kelten gegründet worden, wie sein
Name Mogoutiacum zeigt, der an die Namen keltischer Götter, Mogon
und Mogontia, anklingt. Die unvergleichliche Lage an zwei schiff-
baren Strömen veranlasste wahrscheinlich schon den Drusus hier das
erste stehende Winterlager für seine Legionen anzulegen, zum Theil
mit Benutzung des hoch gelegenen Platzes, auf dem die alte Kelten-
stadt lag, dem heutigen Kästrich. Am andern Ufer des damals wohl
noch breiteren und gewaltigeren Stroms, als er es jetzt ist, wird nur
eine kleinere Verschanzung zum Schutz der Landungsstelle für Fähren
angelegt worden sein. Eine stehende Brücke über den reissenden
Fluss gab es damals nicht; Schiffbrücken aber mögen für Kriegszwecke
öfter aufgefahren worden sein. Erst gegen Ende des ersten Jahr-
hunderts, als inzwischen die Besetzung des Taunuslandes jenseit des
Rheins Fortschritte gemacht hatte und römische Strafsen angelegt
wurden, die, wie schon gesagt, nach Wiesbaden und Heddernheim
und weiter über Homburg und Friedberg bis hinauf nach Butzbach
führten, wird man in Friedenszeiten dazu haben schreiten können,
aus mächtigen Eichenpfählen mit eisernen Schuhen die Pfeiler im
tiefen Bett des Stroms zwischen Mainz und Kastei einzurammen. Es
ist möglich, dafs schon derselbe Kaiser, welcher aller Wahrschein-
lichkeit nach, wie wir sahen, das Zehentland im Süden jenseit des
Rheines zum Reiche schlug und die Neckarlinie schützte, oder aber
einer seiner Nachfolger, vielleicht Domitian oder Trajan, der Urheber
war des einheitlichen Gedankens, welcher zur Ummauerung des für
eine Legion eingerichteten Kastells von Mainz, zu der Anlage der
festen, auf steinernen Pfeilern ruhenden Mainzer Rheinbrücke und des
festen Brückenkopfes zu Kastei, dem Castellum Mattiacum, endlich
auch zur Fortsetzung des Grenzwalls durch den Taunus geführt hat.
Ueber die römische Brücke zwischen Mainz und Kastei ist eine ganze
Hüb n er, Westeuropa. 9
130 Deutschland
Litteratur herangewachsen. Schon nach den gelegentlichen Beob-
achtungen von im Strom erhaltenen Pfeilerresten, die vereinzelt seit
dem siebzehnten Jahrhundert, in gröfserem Zusammenhang seit dem
Ende der vierziger Jahre dieses Jahrhunderts durch die Strombau-
meister gemacht worden sind, konnte an ihrem Ursprung nicht ge-
zweifelt werden. Verschiedene Forscher, welche die Frage in be-
sonderen Schriften oder gelegentlich bertlhrt haben, Dr. Friedrich
Schneider, dem ein schönes Werk über den Mainzer Dom verdankt
wird, Dr. Julius Grimm, Karl Christ in Heidelberg, Karl von
Becker in Karlsruhe, A. Hamm er an in Frankfurt, endlich der In-
genieurhauptmann P. von Poellnitz kamen in Bezug auf Bauart und
Entstehung zu abweichenden Ergebnissen. Im Interesse der Schifffahrt
wurde die Beseitigung aller Pfeilerreste beschlossen und in den Jahren
1880 bis 1882 durch das hessische Kreisbauamt ausgeführt, kurz
vor dem Bau der neuen steinernen Brücke, die jetzt eine der Zierden
von Mainz bildet. Die dabei vom Baurat h Heim gemachten sorg-
fältigen technischen Beobachtungen und die daran geknüpfte geschicht-
liche Erörterung von Dr. W. Velcke in Mainz, im Jahre 1887 in
der Zeitschrift des Vereins zur Erforschung der rheinischen Geschichte
und Alterthümer in Mainz mit guten Abbildungen veröffentlicht, be-
stätigen im Wesentlichen, was sich mir, und unabhängig von mir dem
verstorbenen Albert Duncker, schon vor jener Veröffentlichung aus
den gelegentlich bekanntgemachten Fundstücken als das wahrschein-
lichste in Betreff der Bauart wie der Entstehung der Brücke er-
geben hatte.
Genau in der Achse der Mainzer Zeughausgasse und der Kasteier
grofsen Kirchgasse, welches wahrscheinlich die Achse beider römi-
schen Kastelle ist, standen im Flussbett 18 gewaltige Pfeiler von
rund 19 m Länge (bis zur äussersten Spitze) und 7 m Breite, in
ungleichen Abständen von 15 bis 30 m, dazu auf der Mainzer Seite
noch 7, von denen erst kürzlich zwei zum Vorschein gekommen sind,
im Ganzen also 25; auf der Kasteier Seite wird die Brücke nur duixh
einen Erddamm oder eine in leichter Holzconstraction ausgeführte
Rampe mit dem Kastell verbunden gewesen sein. Die Gesammtlänge
der Brücke wird auf 2500 Fufs oder etwa 834 m geschätzt. Grofse
Massen von eichenen Pfählen und Bohlen, Schwellen von 7,50 m
Länge und 0,27 bis 0,30 m im Quadrat, eiserne Schuhe (Spitzen)
der Pfeiler, ähnlich denen von der Coblenzer Moselbrticke, mit ge-
Römische Städte in Deutschland 131
waltigen Nägeln befestigt, sind herausgefördert worden. Der eine
der Pfeiler ist in allen seinen einzelnen Theilen herausgenommen und
im Hof des Mainzer Schlosses neu wieder aufgestellt worden. Die
runden eichenen Pfähle sind ftlr jeden Pfeiler mit in das Holz ge-
schnittenen römischen Ziffern bezeichnet, die von I bis DV laufen,
ebenso die darauf gelegten Schwellen mit Ziffern von I bis VI. Sie
sind, wie durch eine sinnreiche Erklärung des Vorgangs erläutert
wird, durch Schwellenkasten hergestellt und aus Quadern gemauert
gewesen, die sich in grofser Zahl im Rhein gefunden haben und nur
zum Theil heraufbefördert werden konnten, lieber die steinernen
Pfeiler lief eine hölzerne Brückenbahn, wie bei der Trajansbrücke
über die Donau; keilförmige Quadeni haben sich nicht gefunden.
In oder bei den Pfeilern aber ist eine Reihe von Gegenständen gefunden
worden, welche wichtige Aufschlüsse über die Zeit ihrer Erbauung
geben: ein 1,40 m langes bleiernes Gussstück von eigenthümlicher
Form und unsicherer Bestimmung, von 72 Kilo Gewicht, das viel-
leicht zur Verankerung einer Signalstange gedient hat oder an irgend
einem Holzwerk zu Bau- oder Belagerungszwecken befestigt war, mit
der Inschrift leg(io) XVI; ein wuchtiger Schlägel aus Eichenholz 0,58 m
hoch und 0,22 m lang, mit der flach eingeschlagenen Inschrift
L(u€ius) Val€(rius) leg(ionis) XIIII; ein eiserner Brennstempel
mit der Inschrift Ieg(w) XXII Änt(oniniana). Die sechzehnte Legion,
zum frühesten Bestand des germanischen Heeres gehörig, hat im
Jahre 69 Mainz verlassen, um an den Kämpfen zwischen Otho und
Vitellius Theil zu nehmen und ist bald nachher von Verspasian kassiert
worden. Die vierzehnte Legion stand ebenfalls von Anfang an in
Mainz, bis sie durch Claudius zur britannischen Expedition abberufen
wurde, kehrte nach dem Aufstand des Civilis zurück und blieb dort,
bis die Aufregung in den germanischen Provinzen sich gelegt hatte
und Trajan sie zu seinen pannonisch-dakischen Kriegen fortnahm;
seitdem ist sie unausgesetzt in Pannonien geblieben. Der Schlägel
ist nicht zufällig in den Brückenpfeiler gelegt worden, in dessen Holz-
werk fest eingeklemmt er gefunden wurde, sondern er blieb offenbar
bei der Bauarbeit darin stecken. Die zweiundzwanzigste Legion end-
lich gehört von Anfang an bis fast zu Ende der römischen Herr-
schaft zur Mainzer Garnison; der Beiname Antoniniana, den sie auf
dem Brennstempel führt, beweist, dafs er zu einer Arbeit an der
Brücke unter dem Kaiser Caracalla gebraucht worden ist. Schon in
9*
132 Deutschland
diesen Werkzeugen ist die Geschichte der Brücke enthalten. Dazu
kommen aber noch eine Anzahl Inschriften auf Stein. Bei den
Baggerarbeiten im Strom, wenig unterhalb der römischen Brücke,
ist ein einst mit Blei eingefugter Sandsteinquader gefunden worden mit
der Aufschrift leg(io) XIIII gemina Marita Victrix, centuria G(ai) Velsi
Secundi. Diefs ist die gewöhnliche Form, in welcher der Antheil
von Truppentheilen an Bauten urkundlich bezeugt wird; z. B. in zahl-
reichen Beispielen an den britannischen Befestigungen. Auf der
Kasteier Seite ist ein ähnliches Werkstück gefunden worden mit der
Aufschrift in schönen Buchstaben leg(io) XXII nebst den Wappen-
thieren der Legion, dem schreitenden Stier und dem Capriconius. Dieses
Werkstück bezieht sich wahrscheinlich auf eine Wiederherstellung der
Brücke und gehört in die Zeit des Severus oder Caracalla. Auch eine
eiserne mit Silber und Erz tauschierte Dolchscheide mit der Inschrift
l€g(w) XXII primi(genia) fand sich in der Nähe eines der Pfeiler. End-
lich sind eine ganze Anzahl von nicht im Bau der Brücke verwendeten
Werkstücken gefunden worden, die nur als Anschüttung zum Schutz
der Strompfeiler gedient haben oder bei späteren Reparaturen ange-
bracht worden sind, Inschriften und tektonische Fragmente, Sculp-
turen, Grabreliefs u. s. w. Das älteste inschriftliche Denkmal dar-
unter ist ein dem Nero im Jahre 56 von einer Reiterabtheilung des
britannischen Heeres gesetztes; zwei gehören wahrscheinlich der Zeit
des Trajan, die übrigen dem dritten Jahrhundert an. Hiernach ist
es unzweifelhaft, dafs die Brücke ein Bau der domitianischen Zeit
ist, ausgeführt von den damals dort stehenden Legionen, der vier-
zehnten und der zweiundzwanzigsten; denn auch ihr wird man einen
Antheil am Brückenbau nicht absprechen dürfen. Das dem Nero ge-
setzte Denlanal kann schon bald nachdem jenes Kaisers Gedächtniss
verfehmt war als Werkstück verwendet worden sei. Damals ist Kastei
auch, wie es scheint, zuerst mit steinernen Mauern befestigt worden,
während früher, wie gesagt, nur ein Erdwerk den Uebergang auf
Fähren oder eine Schiifbrücke geschützt haben mag. Genauer noch
wird die Zeit des Brückenbaus dadurch bestimmt, dafs, wie es in
dem Bericht über den Aufstand des Legaten von Obergeimanien
Antonius Saturninus gegen Domitiau im Jahre 88 heisst, grade in
der Stunde des Kampfes der plötzliche Eisgang des Rheins den Ueber-
gang den Barbaren verhindert habe, d. h. der Chatten, die der
Empörer aufgeboten hatte. Also gab es damals noch keine feste
Römische Städte in Deutschland 133
Brücke über den Rhein. Die Oertlichkeit jenes Kampfes wird mit
gröfster Wahrscheinlichkeit unmittelbar vor Mainz zu suchen sein,
dem amtlichen Sitz des Statthalter^. Wer den Strom und seine Ge-
walt kennt, weifs dafs bei plötzlichem und starkem Eisgang auch ein
Uebergang auf Kähnen unmöglich ist. Die Erwähnung einer festen
Brücke, welche nach einem Zeugniss Strabos zu Anfang der Regie-
rung des Tiberius von den Feldherm des germanischen Krieges im
Gebiet der Treverer geschlagen worden war, also irgendwo von
Mainz abwärts bis gegen Andernach hin, ist nur von einer Kriegs-
brücke zu vorübergehendem Gebrauch zu verstehen und kann nicht
auf die Mainzer Brücke bezogen werden. Der Kaiser Caligula fand
bei der Rückkehr von seinem germanischen Feldzug die Schiffbrücke
von Soldaten und Tross versperrt und liefs sich in eiliger Flucht
aus Angst vor dem Feinde über die Köpfe der Leute hinwegtragen.
Das wird auf eine wohl schon seit Drusus bei Mainz bestehende oder
zeitweilig hergerichtete Schiffbrücke zu beziehen sein. Die älteste
stehende Brücke über den Rhein bei Mainz ist mithin die frühestens
im Jahre 89 unter Domitian, vielleicht erst etwas später vollendete.
Die Vermuthung, dafs sie in enger Beziehung stand zu dem damals,
wie wir sahen, errichteten Grenzwall und der zu ihm führenden Strafse,
ist fast unabweisbar. In augustischer Zeit würde eine solche Brücke
wahrscheinlich ganz aus Stein gebaut worden sein mit gewölbten
Bogen, wie die in ihren sechzig steinernen Bogen noch erhaltene,
aber freilich viel flachere Brücke über den seichten Guadiana bei
Emerita Augusta in Lusitanien, dem heutigen Merida. Ob Domitian oder
etwa Trajan Erbauer der Brücke gewesen, ist vorläufig nicht zu ent-
scheiden; vielleicht lösen inschriftliche Funde dereinst diesen Zweifel.
An Trajan könnte man desshalb denken, weil er nach dem Sieg über
den Dakerkönig Dekebalus auch die erste steinerne Donaubrücke er-
baut hat. Aber da seit seiner Regierung der Schwerpunkt der
Reichsvertheidigung vom Rhein an die Donau verlegt worden ist, so
wird mancher geneigt sein, die üeberbrückung des Rheins noch unter
Domitian zu setzen. Seitdem bestand die Brücke in der Zeit der
höchsten Machtentfaltung Roms am Rhein vielleicht über ein Jahr-
hundert lang. Erst in der Epoche der beginnenden germanischen
Angriffe gegen Ende des zweiten Jahrhunderts, wahrscheinlicher noch
in Folge der Völkerbewegungen, welche Caracallas germanischen Feld-
zug vom Jahre 213 veranlassten, musste sie zeitweise abgebrochen
134 Deutschland
werden. Dann ist sie möglicherweise nach dem Sieg der Legion,
welche nun den Namen Antoniniana ftthrte, wiederhergestellt worden.
Vom Kaiser Maximinus wird sodann berichtet, er habe eine Brücke
tlber den Rhein gebaut, welche der Empörer Magnus hinter ihm ab-
brechen wollte. Die Nachricht tritt zwar ohne jede bestimmte Be-
zeichnung der Oertlichkeit auf, aber sie wird nicht ohne Wahrschein-
lichkeit auf Mainz bezogen. Bei Gelegenheit der germanischen Feld-
züge des Severus Alexander sprechen die Berichterstatter von der
grofsen Festigkeit, welche die winterliche Eisdecke dem Rhein wie
der Donau verleihe. Das braucht nicht nothwendig anf das Fehlen
einer stehenden Brücke gedeutet zu werden. Wenn die steinernen
Pfeiler, wie wahrscheinlich ist, bestehen blieben, so kann der höl-
zerne Oberbau der Brücke je nach den wechselnden Beziehungen zu
den Alamannen öfter eine nur zeitweilige Wiederherstellung* gefunden
haben. Die Pfeilerreste zeigen vielfach, nach übereinstimmender Be-
obachtung der Sachverständigen, den Charakter schleuniger und wenig
sorgfältiger Arbeit. Erst die wiedererstarkte Macht des Reiches
unter Diocletian bewerkstelligte eine einem Neubau gleichkommende
Wiederherstellung der Brücke. Sie bezeugt ein in Lyon gefundenes,
jetzt im Pariser Münzkabinet befindliches Bleimedaillon, an dessen
Aechtheit kein Zweifel ist. Der obere Abschnitt des Münzbildes
zeigt die beiden Kaiser Diocletian und Maximian auf Thronen sitzend
und die Huldigungen Unterworfener entgegennehmend, mit der Bei-
schrift saeculi felicitas. Unten ist links mit Thürmen und Thoren
Mainz — Mogontiacum — , rechts Kastei — Castel(lum) — darge-
stellt, dazwischen der Fluss — fl(uvius) Ehenus — und die Brücke,
durch drei steinerne Rundbogen mit Balustrade darüber bezeichnet;
über sie führt, unter Vorantritt eines geflügelten Genius und eines
kleinen Knaben (ich weiss ihn nicht sicher zu deuten) die geflügelte
Siegesgöttin den Kaiser, ihm den Kranz auf das Haupt setzend. Es
folgt aus dem zwar glaubwürdigen, aber im Einzelnen doch nur an-
deutenden Münzbild nicht, dafs die Brücke damals steinerne Bogen-
wölbungen erhielt. Aber gehalten hat sie, mit einigen Unterbrechun-
gen, für ein weiteres Jahrhimdert, bis auf Valentinians Alamannen-
kriege. Danach verschwindet jede Kunde von ihr. Wir erfahren
erst wieder, dafs Karls des Grofsen Baumeister, wohl mit Benutzung
der noch vorhandenen römischen Pfeiler, eine neue Brücke bei Mainz
erbauten. In einer Urkunde aus der Zeit vor dem Jahre 803 wird
Römische Städte in Deutschland 135
der Platz an der Brücke mit dem alten deutschen Namen ad hrachor
tom genannt, mittelhochdeutsch ee den racheden; wahrscheinlich eine
Umdeutschung des romanischen arcata, Bogenreihe.
Das sind die Schicksale der Mainzer Brücke. Die inschrift-
lichen Denkmäler von Mainz, die noch nicht in einer vollständigen
und übersichtlichen Sammlung vorliegen, mit dem vielen Neuen, das
die letzten Jahre gebracht haben, werden dereinst das Bild von den
wechselnden Schicksalen der Stadt in den ersten vier Jahrhunderten
unserer Zeitrechnung zu einem vielfach genaueren und vollständigeren
machen, als es jetzt vor uns steht.
Aber schon vor dem Bau der festen Brücke war Mainz eine
bedeutende Stadt, in der trotz ihres vorwiegend kriegerischen Cha-
rakters auch Handel und Verkehr blühten. In Mainz ist eines der
letzten wirklich gelehrten Bücher des römischen Alterthums, des Cen-
sorinus Schrift über die Geburtstagsfeier, im Jahr 238 geschrieben
worden. In demselben Jahr 1520, in welchem die zweite Ausgabe
von Peutingers römischen Denkmälern von Augsburg erschien, ist
in Mainz die Zweitälteste Sammlung lateinischer Inschriften, die
überhaupt vorhanden, Huttichs „CoUectaneen der Alterthümer in und
um Mainz", bei Johann Schöffer daselbst gedruckt und fünf Jahre
später zum zweiten Mal herausgegeben worden. Wer von des rö-
mischen Reiches Herrlichkeit in deutschen Landen einen Begriff ha-
ben will und aus Denkmälern Geschichte zu lernen weifs. der muss
das römisch-germanische Centralmuseum in Mainz in der bischöf-
lichen Residenz aufsuchen. Da stehen in langen Reihen die zwar
nicht von griechischen und italischen Künstlern, aber doch von theil-
weis recht geschickten Arbeitern gemeifselten Grabmonumente der
römischen Legion are und der Soldaten aus den verschiedenen Ab-
theilungen der Hülfsvölker; sorgfältig, oft in Lebensgröfse ausge-
führte Bildnisse, in denen aber mehr Gewicht gelegt ist auf die treue
Wiedergabe der Tracht und Bewaffnung, als auf Schönheit und in-
dividuellen Ausdruck. Einige davon sind auch nach Wiesbaden ge-
kommen; von wenigen, und nicht von den besten, sind Abgüsse im
Museum zu Berlin. Es fehlt auch nicht an Denkmälern nicht mili-
tärischer Personen: die Gilde der Rheinschiffer, wie in Lyon die der
Schiffer des Rhodanus und Arar, die Hirten der grofsen Grundbe-
sitzer und allerlei Private sind in oft rohen, aber charakteristischen
Darstellungen vertreten. Unvergleichlich ist der Reichthum an Waffen
136 Deutschland
und Geräth aller Art, bis auf die sorgfältig gearbeiteten Lederschuhe
herab, die, vielfach im Flussbett des Rheins, zum Vorschein gekom-
men sind und in den langen Glaskästen zierlich aufgereiht liegen.
Der Vorstand dieses ersten und bedeutendsten aller Museen römischer
Alterthümer in Deutschland hat es bekanntlich in der virtuosen
Nachbildung der antiken Stücke in bemalten Abgüssen zu solcher
Vollkommenheit gebracht, dafs die in vielen Sammlungen vorhandenen
Kopien von den Originalen fast nicht zu unterscheiden sind und jene
für die Anschauung vollständig ersetzen. Schöne Abbildungen eines
Theils der Mainzer Kriegerdenkmäler enthält Lindenschmits, des
Directors der Sammlung, Werk über die Alterthümer unserer heid-
nischen Vorzeit; allein sie stehen da zusammen mit vielem anderen
Ungleichartigen nnd sind im Ganzen wenig bekannt. Die kleineren,
aber nicht unbedeutenden Sammlungen in Wiesbaden, Darmstadt,
Worms, Speier, Mannheim, das Saalburgmuseum in Homburg, er-
gänzen diese Eindrücke. Weniger gut ist für die baulichen Reste
des römischen Mainz gesorgt worden. Es gibt noch keine Auf-
nahme der im Boden und in den Kellern der Häuser zerstreuten Fun-
damente der Mauern und Thore des Kastells auf dem Kästrich.
Noch wissen wir nicht sicher, ob die römische Brücke wirklich in
der Achse des Mainzer Kastells sowie des von Kastei liegt, wie
wahrscheinlich ist. Noch ist unbekannt, ob neben dem seit dem
Ende des ersten Jahrhunderts ummauerten Lagerplatz der einen
Legion die Lager der anfänglich hier vereinten zwei oder mehr Le-
gionen mit ihren Auxilien nachweisbar sind. In verschiedenen Ge-
genden der unteren Stadt, wo der Grmid zu Neubauten ausgehoben
wird, kommen Reste der römischen Gebäude, tektonische Fragmente
u. s. w. zu Tage. Man kennt den alten Begräbnissplatz der Gar-
nison bei Zahlbach, und ein bedeutsames Wahrzeichen seines Alter-
thums besitzt Mainz in dem Eigelstein. Jetzt nur ein formloser
Kern von felsenhartem Gusswerk ohne einen einzigen der Quadern,
mit denen er einst bekleidet war und von denen sich, wie die alten
Abbildungen zeigen, bis in das vorige Jahrhundert noch beträcht-
liche Reste erhalten hatten, kann er in der That, wenn man der
ununterbrochenen Ueberlieferung seit der karolingischen Zeit nicht
jede Beweiskraft absprechen will, für das Grabdenkmal gehalten wer-
den, das dem Drusus, nach seinem zwischen Saale und Rhein er-
folgten Tod, in dem Winterlager der Legionen bei Mainz errichtet
Römische Städte in Deutschland 137
und mit den Zeichen seiner Siege geschmückt wurde; ein Kenotaph,
denn der Leichnam selbst oder vielmehr seine Asche wurde im
Mausoleum des Augustus auf dem Marsfelde in Rom beigesetzt.
Vor dem „ürususmal" in Mainz, dem Trusileh der Urkunden, wurde
alljährlich eine Leichenparade, die militärische Gedächtnissfeier für
den gefallenen Führer, gehalten; ein wohlberechneter und gewiss auf
die Germanen weithin wirkender Act der römischen Politik. Viel-
leicht stand in Mainz auch der dem Germanicus nach seinem Tode
„am Ufer des Rheins" errichtete Ehrenbogen.
Die Bedeutung von Mainz erklärt es, dafs man dies grofse Aus-
fallsthor für die germanischen Feldzüge mit einem geschützten Vor-
terrain versah, in welchem bald eine friedliche Bevölkerung unter dem
Schutze der mächtigen Festung sich ausbreitete. Der Grenzwall, der,
wie wir sahen, von Grofskrotzenburg durch die Wetterau geht und zu-
erst in südnördlicher Richtung die Thäler der Nidder, der Nidda, der
Horloff, der Wetter, der Use einschliefst, schützt den schönsten Theil
den Rheinlands mit seinen zahlreichen Mineralquellen, die alle den
Römern bekannt waren und theil weis, wie die Wiesbadener, den
Grund zu bedeutenden römischen Niederlassungen gelegt haben, und
mit seinen köstlichen Weinbergen. Kein Wunder daher, dafs hier die
altbegründete Kultur auch noch lange nach dem Fall des römischen
Reiches in merklichem Gegensatz zum ganzen übrigen Deutschland
sich erhalten und bis auf unsere Tage dem Leben ihren Stempel auf-
gedrückt hat. Ausser Wiesbaden und Kastei gegenüber von Mainz
ist Friedberg hier eine der wichtigsten römischen Niederlassungen,
wie Ladenburg und Heddernheim ein Sitz des durch die römische
Eroberung eingeführten Gottesdienstes des persischen Sonnengottes
Mithras. Eine Anzahl von Heiligthümern dieses Kultus sind in und
hei Heddernheim gefunden worden. Die Bedeutung des Sprengeis,
den der erste Kirchenfürst Deutschlands regierte, und seine Rolle
in Deutschland sind bekannt genug. Aber wie es in den Kastellen
und Städten am linken Rheinufer in römischer Zeit aussah, in Bin-
gen (Bingium) und dem dahinter liegenden Kastell an der Nahe, der
Heidenmauer bei Kreuznach, aus welchem eine Anzahl schöner, den
Mainzern ähnlicher Kriegergrabsteine hervorgegangen ist, in Ober-
wesel (Vosolvia), Boppard (Baudobriga), in dem Kastell und der Zoll-
station, die auf dem Platz der Castorkirche in Coblenz {ad Con-
fluentes) mit seiner römischen Brücke über die Mosel lagen (seine
138 Deutschland
Lage wurde schon oft mit der Passau' s verglichen), und in Ander-
nach (Antunnacum) — ich nenne nur die wichtigsten Orte — , das
zu ergründen fehlt es nicht an mannigfachem Material. Aher auch
für diese Gegenden gehören genaue Aufnahmen, sorgfältige Ermitte-
lungen des Verschwundenen, zuverlässige Beschreibungen noch zu den
Ausnahmen. Seit üomitians Regierung war weniger aus strategischen
als aus politischen Gründen der bis dahin einheitliche Oberbefehl über
die römischen Heere am oberen und unteren Rhein in die getrennte
Verwaltung zweier verschiedener Provinzen, des oberen und unteren
Germaniens, getheilt worden, die, wie wir sahen, am Vinxtbach, zwi-
schen Schloss Rheineck und Niederbreisig, ihre Grenze hatten. Es
schien bedenklich, den Befehl über die gröfste mobile Truppenmacht,
welche das Reich damals vereint aufstellen konnte, acht Legionen
mit den ihnen an Zahl fast gleichkommenden Hülfsvölkern zu Fufs
und besonders zu Pferd, im Ganzen über sechzigtausend Mann, zu-
gleich mit der Verfügung über die giofse Kriegskasse und die da-
selbst niedergelegten Spargelder der Truppen in einer Hand zu lassen.
Die Truppenzahl wurde dem damals befriedeten Zustand der Pro-
vinzen entsprechend vermindert und ihre Dislocierung verändert; der
kaiserliche Oberbefehlshaber in Mainz gab das Kommando über die
Hälfte derselben dem zu Köln residierenden des unteren Germaniens
ab. Obergermanien, das ausser dem linken Rheinufer auch einen
beträchtlichen Theil Galliens, die Gebiete der Helvetier, Sequaner
und Lingonen vom Nordufer des Genfer Sees an (die Freigrafschaft
mit BesanQon und Langres), den Elsass und die Pfalz, auf dem
rechten das ganze vom Grenzwall umschlossene Gebiet vom Thal der
Roms in Württemberg bis zur Mitte etwa zwischen denen der Lahn
und der Sieg in unseren Rheinlanden umfasste, hat Jahrhunderte lang
diese künstlich geschaffene Abgeschlossenheit in den Verkehrswegen
und den politischen Beziehungen, in manchen Gewohnheiten und
Bräuchen, theilweis in den Dialekten bewahrt. Eine Schilderung
dieser wichtigen Provinz des Reiches, ihrer Städte und Begräbniss-
plätze, ihrer Strafsen mit ihren Brücken und Fähren, der zahlreichen
über das Land zerstreuten Villen und Gehöfte, auf Grund sorgfal-
tiger kartographischer Aufnahmen und einer erschöpfenden Samm-
lung aller inschriftlichen und anderen Reste des römischen Le-
bens — ; welch eine Grundlage würde sie bieten für das tiefere
Verständniss aller der geschichtlichen Vorgänge, der territorialen
Römische Städte in Deutschland 139
Veränderungen und gesellschaftlichen Wandlungen, die sich seit dem
Ende der römischen Herrschaft auf diesem Stück Erde vollzogen
haben !
IV.
Das spätere Niedergermanien, d. h. das östliche Vorland des Der Rhein
belgischen Galliens bis zum Rhein, vom Vinxtbach abwärts bis an
seine Mtlndung, war Anfangs nicht dazu bestimmt am Rhein seine
Grenze zu finden. Zwar hatte Drusus wie am oberen Rhein so auch
den Fluss abwärts an den passendsten Stellen, an hohen, das Ufer
beherrschenden Punkten und da, wo von alters her die germanischen
Stämme über den Strom zu setzen pflegten, mit Erdwällen befestigte
Lagerplätze angelegt, die vielfach den Kern der später ummauerten
Kastelle gebildet haben werden. Schon Agrippa hatte den Grund
zur Ubierstadt gelegt; Drusus befestigte den Platz und stiftete den
Altar der Ubier. Köln wie alle übrigen Kastelle auf dem linken
Ufer hatte den Zweck, den Rhein zur geeigneten Basis für den An-
griff gegen die freien Germanen auf dem rechten zu machen; Deutz,
Divitia, Köln gegenüber, blieb bis in die spätesten Zeiten ein stark
befestigter Brückenkopf. Aber wir wissen, dafs die Politik der Er-
oberung nicht sowohl in Folge der noch so bedeutenden Niederlagen,
wie der des Lollius und des Varus, und trotz der Erfolge des Ti-
berius und Germanicus vielmehr aus Sparsamkeit aufgegeben wurde.
Unter der Regierung des Claudius schon erging der Befehl, die
sämmtlichen rechtsrheinischen festen Plätze aufzugeben und ihre Be-
satzungen auf das linke Ufer zurückzuziehen. Da gleichzeitig eine
neue Provinz, Britannien, dem Reiche erworben worden, so schienen
die Streitkräfte keine gröfsere Zersplitterung zu gestatten. In den
etwa sechzig Jahren vom Tod des Drusus bis auf Claudius hat sich
in dem rechtsrheinischen Germanien begreiflicher Weise keine sess-
hafte römische Bevölkerung gebildet, deren Spuren in Städten und
Villen sich erhalten konnten; wie dies in Raetien und am Oberrhein
der FaU ist. Allein aus dem Mangel solcher Reste auf dem rechten
Ufer des Niederrheins folgt noch keineswegs, dafs es daselbst in der
Zeit bis auf Claudius neben und unter dem Schutz der befestigten
Plätze überhaupt römische Niederlassungen nicht gegeben habe. In
den weiten Gefilden der Lahn, Sieg, Ruhr, Lippe und Yssel kann
noch Vieles im Boden stecken, was die römischen Ansiedler des
I IJNIVER
IJNIVERSITl
140 Deutschland
ersten Jahrhunderts dort zurückgelassen haben mögen. An einer
Statistik der Funde von Alterthüniem, insbesondere von Münzen
fehlt es noch durchaus. Die von der deutschen anthropologischen
Gesellschaft in Angriff genommenen und in Vorbereitung begriffenen
prähistorischen Fundkarten werden für solche Untersuchungen, welche
noch viel geduldigen Fleifs erfordern, eine Grundlage bieten.
Auf dem linksrheinischen Gebiete, dem späteren Niedergerma-
nien und den angrenzenden Theilen von Gallien, hat die römische
Kultur der vier ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung reiche und
ausgedehnte Spuren zurückgelassen. Die jetzt wieder zu Deutsch-
land gehörigen Gebiete des römischen Galliens, das obere Moselthal
mit Metz, ferner Trier und das untere Moselthal haben in jener
Zeit eine eigenartige, reich entwickelte und von der Obergermaniens
Trier vielfach verschiedene Kultur besessen. Mit der besonderen Bevor-
zugung, welche der Kaiser Claudius seiner gallischen Heimat zu
Theil werden Hess — er hatte zufällig in Lyon das Licht der Welt
erblickt, wo sein Vater Drusus sich gern aufhielt — , hängt es wohl
zusammen, dafs wie Köln so auch Trier von ihm zur Colonie er-
hoben und, wie ich glaube, mit gewaltigen Mauern und Thoren be-
festigt wurde. Die Porta nigra, das Wahrzeichen Triers, ein stark
befestigter, aber trotzdem nicht minder reich ausgeschmückter und dess-
halb vielleicht nie ganz vollendeter Thorbau, dessen solide Pracht nur
mit den grofsen Bauten des ersten Jahrhunderts in Parallele gestellt
werden kann, wird so lange mit den älteren Gelehrten für einen
Theil dieser ersten und nachher so nicht wiederholten Befestigung der
Stadt angesehen werden dürfen, als nicht sein späterer Ursprung
durch unwiderlegliche Beweise dargethan ist. Von den Bauten dieser
ersten Glanzzeit des römischen Triers ist es begreiflicher Weise noch
nicht gelungen, sichere Reste nachzuweisen obgleich sie nicht fehlen
werden; die erhaltenen Bauten, die Thermen, die Basilika, die Fun-
damente des Doms, das Amphitheater, die grofsen Mosaikfufsböden
gehören späteren Epochen an. Wo schriftliche Zeugnisse durchaus
fehlen, ist nur von sorgfältiger Untersuchung aller erhaltenen Reste
und genauer Vergleichung derselben mit erhaltenen und sicher da-
tierten Bauten an anderen Orten, womöglich in denselben Gegenden
— also z. B. mit denen von Lyon, Reims, Köln — , nachher erst
mit den italischen, die Aufklärung der Baugeschichte Triers zu
erwarten. Die Aufgabe ist in gute Hände gelegt und wird mit der
Römische Städte in Deutschland 141
Zeit soweit gelöst werden, als es möglich ist. Dafs Trier im dritten
Jahrhundert vorübergehend der Sitz eines eigenen gallischen Kaiser-
thums werden und in den nachfolgenden Jahrhunderten am längsten
dem Ansturm der Alamannen und Franken Widerstand leisten konnte,
verdankt es sicherlich auch der soliden Gründung seiner Mauern und
Thore. Es ist natürlich, dafs aus der letzten Periode seiner Blüthe,
der der christlichen Zeit, die inschriftlichen und anderen Denkmäler
Triers, welche jetzt das Provinzialmuseum vereinigt, überwiegen; doch
fehlt es auch keineswegs an Resten älterer Zeit. Von der reichen
Kultur, die sich besonders durch den Handel mit dem Moselwein
und mit WoUenwaaren , einem der Hauptproducte Galliens, unter
dem Schutze Triers im ganzen Moselthal etwa vom Ende des ersten
und dem Anfang des zweiten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung an
entwickelt und bis in das vierte und fünfte Jahrhundert in ihrer
Höhe erhalten hatte, geben die reichen Grabmonumente Zeugniss,
wie z. B. das Igeler, über welches der Name Goethe's auch für
weitere Kreise einen Schimmer des Ruhms verbreitet hat. Es ist
oft abgebildet worden und durch kleine farbige Nachbildungen in
Gips ziemlich bekannt; aber die eigenthümliche Mischung von my-
thologischen Allegorien (die Spitze krönt der vom Adler zum Himmel
getragene Ganymed) und Darstellungen des täglichen Lebens und
Handelsverkehrs, welche die zahlreichen Reliefs desselben enthalten,
zusammen mit der etwas barocken architektonischen Anlage ist aus
den meist zu kleinen, auch den photographischen Abbildungen nicht
recht zu erkennen, zumal das Denkmal gelitten hat und durch un-
geschickte Restaurationen entstellt ist. Auch steht dieses Denkmal
keineswegs allein; im oberen Moselthal ist noch eine Reihe von Grab-
säulen, mit Reiterfiguren gekrönt, gefunden worden, die eine sonder-
bare Mischung römischer und gallischer Religionsvorstellungen zeigen.
Die Museen von Trier, Metz und Luxemburg lehren, dafs die wohl-
habenderen Bewohner jener Gegenden mit einer selbst in Italien sel-
tenen und wohl mittelbar auf griechische Vorbilder zurückzuführenden
Freude an der Kunst sich und die Ihrigen auf den Grabsteinen dar-
stellen zu lassen liebten, in der Tracht des Lebens, von den Werk-
zeugen und Gegenständen ihrer gewerblichen Thätigkeit umgeben; so
dafs aus diesen noch nirgends gesammelten und durch gute Abbil-
dungen zugänglich gemachten Denkmälern ein ungemein deutliches
und vollständiges Bild vom Leben jener Leute und ihren häuslichen
142 Deutschland
Umgebungen gewonnen werden kann. Grabdenkmäler mit Sculpturen-
schmuck waren in so grofser Zahl in jenen Gegenden vorhanden,
dafs in den Zeiten des Verfalls ihre Quadern trotz des reichen
Schmuckes, den sie zeigten, in grofsen Mengen als Material zum
Anschtltteu an die hölzernen Brückenpfeiler der Moselbrücken bei
Coblenz und zu Mauerbauten, wie in Neumagen, verwendet worden
sind. Aus Neumagen besonders sind in den letzten zehn Jahren so
zahlreiche und bedeutende Fragmente römischer Reliefsculpturen zu
Tage gefördert worden, dafs man den Fund, seiner Auffindung wegen
und wegen seiner Massenhaftigkeit, mit dem der Reliefs des grofsen
pergamenischen Zeusaltars vergleichen konnte. Als Beweis für die
höhere Bildung kann angeführt werden, dafs in Trier ebenso wie in
Köln grofse Mosaiken gefunden worden sind, auf denen mit den
Musen alle berühmten griechischen und römischen Dichter (mit bei-
geschriebenen Namen) gesehen und täglich betreten wurden.
üeber Andernach, Remagen und Bonn ist schon gesprochen
worden (S. 111). Die beiden Alterthümersammlungen in Bonn, die
der Universität und die des rheinischen Alterthums Vereins, bergen
werthvolle Reste der römischen Zeit, nicht blofs aus Bonn, sondern
auch aus einer Anzahl anderer römischer Niederlassungen am Nieder-
rhein; darunter das bekannte in Xanten gefundene Brustbild eines
Centurionen, der in der Varusschlacht gefallen war; seine Gebeine
wurden nachher von seinen Dienern in Xanten beigesetzt.
Köln Das heilige Köln, wie schon gesagt, schon seit Drusus Lager-
platz zweier, nachher wohl blofs einer Legion, seit dem Jahre 50
Veteranencolonie und zu Ehren der dort geborenen Gemahlin des
Claudius, der jüngeren Agrippina, der Enkelin des Agrippa und
Tochter des Germanicus, benannt, besafs seit jener Zeit eine feste
Ummauerung von nicht genau rechtseitiger Form. Ihren Umfang
mit gröfserer Genauigkeit festzustellen hat erst die jüngst erfolgte
Niederlegung der alten Festungswerke Veranlassung gegeben. Es
scheint danach an Ausdehnung Mainz ungefähr gleich, etwas kleiner
als Trier gewesen zu sein; der Glanz der drei grofsen geistlichen
Fürstenhöfe datiert, trotz aller Zerstörungen und Veränderungen der
späteren Jahrhunderte, aus römischer Zeit. Am Nordthor hat sich
noch ein Theil des Thorbogens mit der Inschrift C(olonia) C(laudia)
Ä(ra) A(grippinensis) gefunden; sie gehört etwa dem zweiten Jahr-
hundert an. Dann hat unter Kaiser Gallien eine Wiederherstellung der
Römische Städte in Deutschland 143
Mauern und Thore stattgefunden; und wiedenim im letzten Jahrzehnt
des vierten Jahrhunderts, wie ebenfalls Inschriften bezeugen. Nanien
von Straf sen und Oertlichkeiten in Köln, die aus Inschriften bekannt
geworden sind, erinnern an Rom. Der Name des Capitols, den eine
der Kirchen Kölns führt, täuscht jedoch; er ist erst seit dem elften
Jahrhundert nachweisbar und das römische Capitol Kölns ist eher
am Dom zu suchen. Auch wo der Altar der Ubier stand, ist un-
bekannt; man wird auch ihn in der Nähe des Doms vermuthen diirfen.
Er wird, wie der Lyoner, freistehend zu denken sein, etwa von zwei
Säulen flankiert. So frilh wie in Augsburg und Mainz sind jedoch
weder in Trier noch in Köln die römischen Alterthtlmer gesammelt
und beschrieben worden. Erst spät sind mannigfache Spuren, er-
haltene Fundamente und aus Urkunden geschöpfte Beweise, zur Fest-
stellung der Lage der Tempel, des Amphitheaters und der Profan-
bauten verwendet worden. Die inschriftlichen Denkmäler, darunter
manche auf öffentliche Bauten bezügliche und Kriegergrabsteine des
ersten Jahrhunderts, den Mainzern vergleichbar, sind zahlreich.
Die Reste einheimischer Töpfereien haben unter anderem die Namen
einer der • Vorstädte und verschiedener Oertlichkeiten in der Stadt
kennen gelehrt. Im Kellergeschoss des städtischen Museums Wall-
raf-Richartz sind die römischen Alterthümer, soweit es der schon
nicht mehr ausreichende Raum gestattet, vereinigt. Eine ganze Reihe
von Privatsammlungen enthält Gläser, Gefäfse, Erzgeräthe, Schmuck
in zum Theil sehr schönen Exemplaren; einiges davon ist im Ber-
liner Museum. Die erste grofse Lokalsammlung aus neuerer Zeit,
die der verstorbenen Frau Sibylla Mertens-Schaaffhausen, reich an
merkwürdigem Kleingeräth, bleiernen Verkaufsmarken und dergleichen,
ist leider vor Jahren nach Rom gekommen. Alle Elemente zu einer
würdigen Veröffentlichung über das römische Köln sind vorhanden.
Hoffen wir, dafs die reiche Stadt neben den Aufgaben ftlr ihre
spätere Geschichte, die sie zu lösen unternommen hat, auch die das
Alterthum betreffenden nicht vergisst. Noch ist es nur dem Fach-
mann möglich, sich aus den zerstreuten Materialien ein annäherndes
Bild von der Römerstadt Köln zu machen.
Auch von Köln führte eine Brücke über den Fluss, wie in
Mainz; ob schon seit der Gründung der Stadt durch Agrippa oder
seit Drusus dort den Ubieraltar gestiftet hatte, ist noch streitig.
Für beides, das Vorhandensein wie das Fehlen einer Brücke in jener
144 Deutschland
ältesten Zeit, die wohl nur eine Schiff- oder höchstens eine stehende
Holzbrücke gewesen sein wird, lassen sich Gründe denken. Selbst
nachdem seit Claudius der rechtsrheinische Besitz aufgegeben worden,
könnte doch die Brücke fortbestanden haben, wofern richtig ver-
muthet wurde, dafs trotzdem Deutz als Kastell bestehen blieb.
Allein des Tacitus Nachrichten über die Verhandlungen der beiden
germanischen Stämme der Tenkterer auf dem rechten und der Ubier
auf dem linken Ufer zur Zeit, des batavischen Aufstandes 70 vor
Chr., machen es wahrscheinlich, dafs damals keine Brücke bestand.
Nun spricht manches dafür, dafs bald nach jener Zeit der Grund zu
dem steinernen Kastell von Deutz gelegt worden ist, als die sonst in Ober-
germanien liegenden beiden Legionen, die achte und die zweiundzwan-
zigste, in Köln waren. Ziegel dieser beiden Legionen sind in Köln und
iu Deutz gefunden worden. So bestechend die Gleichartigkeit der ge-
schichtlichen Entwickelung ist, welche dann für Mainz und Köln her-
vorträte, so ist die frühe Gründung des Deutzer Kastells doch noch
bestreitbar. Nun sind im Strom bei Köln, wiederum wie bgi Mainz,
die Pfeilerreste einer römischen Brücke in den Jahren 1765, 1848
und 1854 bemerkt, aber leider nicht sorgfältig gemessen und be-
schrieben worden. Inschriftliche, datierbare Fundstücke sind nicht
zum Vorschein gekommen. Der Versuch, die erste Anlage einer
festen Brücke bei Köln der Zeit nach zu bestimmen, ist hiernach
noch aussichtslos. Erst unter Constantin ist, wie in Mainz unter
Diocletian, wiederum eine feste steinerne Brücke bei Köln bezeugt;
in jener Zeit erhielt ja auch, wie gesagt, das Deutzer Kastell er-
neute Bedeutung. Die erhaltenen Reste der Brücke mögen dem con-
stantinischen Bau angehören.
Neben Bonn, Köln und Deutz hat es eine nicht unbeträchliche
Zahl römischer Städte von einiger Bedeutung am NiedeiThein gege-
ben. Ich nenne im Süden beginnend Beda (Bitburg), Marcomagus
(Marmagen), Belgica (Billig), Tolbiacum (Zülpich), Marcodurum (Dü-
ren), Blariacum (Bierich), die alle ihren römischen Namen bis heute
erhalten haben. Einige zeigen im Namen zugleich das Datum und
die Veranlassung ihrer Entstehung, wie luliacum (Jülich), Tiberiacum
(Zieverich), Gründungen des Caesar oder Augustus und des Tiberius.
Die dichte Kette der Kastelle am linken Rheinufer von Köln abwärts
bis zur Mündung ist schon oben aufgeführt worden (S. 113). Wie
sich diese Städte unter einander verhielten, welchen Umfang sie
Römische Städte in Deutschland .
hatten, welche Truppentheile in ihnen lagen (was für die Bestimmung
des Alters und der Dauer ihrer Bedeutung wichtig ist), alles das ist\
noch so gut wie gänzlich unbekannt und kann doch durch beharrliches
Nachforschen, vor Allem durch Ausgrabungen recht wohl einiger-
maafsen ermittelt werden. Das alte Lager der Legionen, die Castra
Vetera, Xanten, der Lippemündung gegenüber, etwa unserer Festung
Wesel an strategischer Bedeutung vergleichbar, ist jüngst, wie be-
merkt, etwas genauer bekannt geworden. In Aachen, den Aquae
Calidae, deren Thermen den Galliern und Römern so bekannt waren,
wie die von Wiesbaden und Baden-Baden, und Nymweg«n (Novio-
magus) stehen die Kaiserpfalzen auf römischen Fundamenten. In
den alten brandenburgischen Ländern Jülich und Cleve, in dem
reichen Herzogthum Geldern hat neben der wehrhaften Mannschaft
der Bataver, die den Kern der römischen Hülfsvölker in Britannien
und später in vielen anderen Provinzen bildete, eine dichte bürger-
liche Bevölkerung gesessen. Der berechnete Schutz, welchen die
Pflege der alten Götter des Landes unter römischer Herrschaft fand,
wird neben dem Kriegsdienst und den Steuern nicht wenig dazu
beigetragen haben, dafs römisches Leben auf deutschem Boden feste
Wurzeln schlug. Diese Gegenden sind die eigentliche Heimat des kel-
tisch-germanischen Mütter- und Matronenkultus. Jede Landschaft,
jedes Thal und jeder Berg und Rain hatte seine nach dem Ort be-
nannten Mütter, deren traditionelle Dreizalü zur analogen Vereini-
gung auch der fremden Götter auf den in ganz Gallien und Deutsch-
land häufigen, anderswo aber fast gänzlich fehlenden Drei- und Vier-
götteraltären geführt zn haben scheint. Jupiter, Juno, Mars oder
Minerva oder beliebige andere Götter erscheinen auf den drei oder
vier Seiten der Altäre in Hochrelief, meist in Nischen, dargestellt
und in den Weihinschriften verehrt; die drei Matronen werden meist
in einer Gruppe sitzend dargestellt.
Den natürlichen Schluss unserer Uebersicht über das römische
Germanien bilden die Niederlande. Auch unter den fetten Wiesen
jener weiten Niederungen an den Rhein- und Waalmündungen sind
die Fundamente römischer Kastelle zerstreut und versunken. Li
Cattwijk aan Zee, in Roomburg, Voorburg, Doomburg, deren Namen
auf römische Burgen weisen, in Utrecht (Traiectus), dem alten
Rheinübergang, in Vechten (Fectio) und dem schon genannten Nym-
wegen sind Inschriftsteine und alle übrigen Zeugen römischen Le-
Hübner, Westeuropa. 10
1 46 Deutschland
beiis, besonders viel Ziegel mit allerlei lateinischen Schreibereien
darauf, gefunden worden und werden in den Museen in Leiden,
Utrecht, Nymwegen und in manchen Privatsamralungen aufbewahrt.
Hier muss früh friedlicher Verkehr zwischen den römischen Be-
satzungen, den Veteranenansiedlungen und der einheimischen Bevöl-
kerung stattgefunden haben. Es ist bekannt, dafs die Friesen jen-
seit des Rheins auch nach dem Aufgeben der rechtsrheinischen rö-
mischen Besatzungen in einer gewissen Abhängigkeit vom Reiche ge-
blieben sind. Jtlngst ist ein inschriftliches Denkmal bei Beetgum
gefunden worden, welches lehrt, dafs römische Genossenschaften die
ausgedehnten Fischereigründe in den Seen und Watten Frieslands ge-
pachtet hatten. Sie weihen einer germanischen Gottheit, der Hludana,
einen Altai*. In Massen dienten die zahlreichen Stämme der Bataver,
Canninefaten, Friesen und belgischen Tungrer im römischen Heer. In
ihren fernen Gamisonplätzen in Northumberland und Schottland be-
wahrten sie den Kult ihrer einheimischen Gottheiten; das lehren die
oben (S. 57 ff.) besprochenen Denkmäler des Mars Thingsus.
V.
Die Aufgabe, eine genaue und wohlbegründete Kenntniss des
römischen Deutschlands zu gewinnen, deren Bedeutung nur engher-
zige Beschränktheit oder falscher Nationalitätsdünkel verkennen kann,
ist einzig unter verständnissvoller Theilnahme der weitesten Kreise
aller Gebildeten zu lösen. Nur wenn ausser bei der geringen Zahl
von zünftigen Gelehrten und der wenig gröfseren der Sammler und
Liebhaber von Altertümern die Wichtigkeit und Nützlichkeit der
darauf gerichteten Untersuchungen in Stadt und Land, in den Kreisen
des grofsen Grundbesitzes, bei der Geistlichkeit beider Confessionen,
unter den Offizieren (besonders des Generalstabs und der tech-
nischen Waffen), den Lehrern der gelehi-ten und der Gemeindeschulen,
den Magistraten, Gemeindevertretungen und Ortsvorständen, endlich
bei den intelligenten Bürgern und Bauern Anerkennung findet, wird
es ausführbar sein, das allernächste Bedürfniss zu befriedigen, die
einfachste Vorbedingung zu erfüllen, ohne welche die künftige Lö-
sung der Aufgabe nicht möglich ist. Es handelt sich vor allen
Dingen darum, das noch Vorhandene von sichtbaren Ueberresten der
römischen Zeit zu erhalten und zu schützen und das noch in der
Erde Vergrabene an das Licht zu fördern. Dazu gehört mehr noch
Römische Städte in Deutschland 147
als Geld, ohne das es freilich auch nicht thunlich ist, das Interesse
daraiL Ist dies erst einmal geweckt, so werden sich auch die im
einzelnen Fall selten unerschwinglichen Mittel finden, um nach und
nach, mit weiser Sparsamkeit, aber ohne falsche Engherzigkeit den
bezeichneten Aufgaben zu genügen. Ich habe dabei in erster Linie
natürlich nur die gröfseren und wohlhabenderen Gemeinden im Siim,
deren Säckel ja oft für gemeinnützige Zwecke sich privater Zuwen-
dungen zu erfreuen hat. Für die kleineren Gemeinden wie für die
über weitere Gebiete sich erstreckenden Aufgaben wird freilich der
Staat eintreten müssen. Aber selbst ein durch Staat shülfc ermög-
lichtes Eintreten in die Arbeit verspricht keinen rechten Erfolg,
wenn nicht durch einsichtige Kenner der einzelnen Oertlichkeiten un-
ternommene Vorarbeiten vorliegen. Nur jahrelange geduldige Be-
obachtung, völlige durch Heimatsangehörigkeit begründete Vertraut-
heit mit Land und Leuten verbürgt die Richtigkeit und Vollstän-
digkeit des Materials, aus welchem dann in zusammenfassender Be-
arbeitung historische Ergebnisse gewonnen werden kömien. Geist-
liche und Lehrer sind von Alters her die geborenen Träger der
Heimatskunde; in Regensburg und Mainz, in Augsburg und sonst
in Bayern und Württemberg, in Frankfurt und Hanau und an vielen
anderen Orten wird Mitgliedern der einen oder der anderen dieser
Berufsklassen so ziemlich Alles verdankt, was wir bis jetzt wissen.
Dies ist ein Gebiet, auf welchem die beiden herrschenden Confessio-
nen sich die Hand reichen können zu gemeinsamer nützlicher Thä-
tigkeit. Der Fortschritt der Zeit hat aber hier bei uns wie in an-
deren Ländern noch andere Berufsklassen oft zufällig in nahe Be-
lührung mit der Vergangenheit gebracht. Strafsen- und Eisenbahn-
bauten sind vielfach die nächste Veranlassung zu archäologischen
Funden geworden und haben den dabei betheiligten Technikern,
Baumeistern und Ingenieuren, trotz ihrer meist auf modernstem na-
turwissenschaftlichen Boden ruhenden Bildung, Bewunderung abge-
nöthigt. vor der Solidität und Zweckmäfsigkeit römischer Anlagen.
So sind sie durch ihre Geschicklichkeit im topographischen Aufneh-
men und Zeichnen häufig die zuverläfsigsten Ftlhrer für die gelehrte
Verwerthung der Funde und Ausgi-abungen geworden. Endlich hat
die geschichtliche Kriegswissenschaft ein erhebliches Interesse daran,
nicht blofs die Thatsachen der Ueberlieferung, sondern auch das
Terrain der Schlachten und Belagerungen, der Befestigungsanlagen
10*
148 Deutschland
und Brücken genau zu kennen. In den Ofifzieren begrtifsen wir
äufserst werthvolle Bundesgenossen unserer Studien, die nicht blofs
in Italien, in Griechenland und in Asien, sondern auch in der Hei-
mat der Topographie die wichtigsten Dienste geleistet haben und
noch leisten werden. Es ist nicht ganz leicht, über alle die mannig-
faltigen Beiträge, die von so verschiedenen Seiten her der Forschung
zufliefsen, Buch und Rechnung zu führen und ihren auf oft entge-
gengesetzten Grundlagen beruhenden Verdiensten und Fehlem gerecht
zu werden. Oft wirken die hohlen Phrasen des Lokalpatriotismus
mit ihren üebertreibungen irreführend, üeber selbstbewussten Hoch-
muth und kleinlichen Undank solcher, die nur der Besichtigung au
Ort und Stelle ein ürtheil zugestehn, wie über die gutgemeinten
Phantasien anderer, die bei einer einzelnen Streitfrage erst das Ma-
terial der Ueberlieferung überhaupt kenneu lernen und schnell fertig
darauf die weitgehendsten Vermuthungen bauen, muss stillschweigend
zur Tagesordnung übergegangen werden. Aber die unvermeidlichen
Irrwege und Umwege hindern doch nicht, dafs wir uns dem Ziele
langsam, doch stätig nähern. Es ist kein Grund zur Klage da.
Nach langem Schlummer sind in den zehn bis zwanzig letzten Jahren
besonders die auf den römischen Grenzwall sich richtenden Studien
zu neuem Leben erwacht. Für die anderen Gebiete und Aufgaben
haben sie nie ganz geruht; aber Regierungen und Gemeinden, Ver-
eine und Private haben hier und da einen neuen Anlauf genommen.
Keineswegs soll verlangt werden, dafs jeder unschöne, den Ver-
kehr erheblich hindernde und leicht zu beseitigende Ueberrest des
Alterthums, des römischen wie des späteren, unter allen Umständen
erhalten werde. Aber verlangt kann werden, dafs ehe er beseitigt
wird, eine genaue Aufnahme seiner Lage gemacht und photographi-
sche oder andere ausreichende Abbildungen seiner äusseren Be-
schaffenheit in genügender Gröfse und Zahl angefertigt werden,
die, in dem zuständigen Archiv niedergelegt, den Nachkommen und
der wissenschaftlichen Forschung das Denkmal bewahren. Für die
durch Ausgrabungen blofsgelegten Fundamente von Kastellen, Mauern,
Brückenpfeileni u. s. w. ist mit vollem Recht dieselbe Regel aufge-
stellt worden: nach der Ausgrabung sofort Aufnahme und Zeichnung,
dann, wenn nöthig oder unvermeidlich. Zuschüttung. Das Aufgegra-
bene offen und unbeschützt liegen lassen, ist der sicherste Weg zu
seinem baldigen völligen Verschwinden.
Römische Städte in Deutschland 149
Von entscheidender Wichtigkeit ist ferner das Sammeln und die
richtige Aufstellung und Verwaltung der Sammlungen. In Verbin-
dung mit den im Lande selbst nach und nach zum Vorschein gekom-
meneu und noch erhaltenen Spuren der Strafsen, Kastelle, Mauern und
Wälle, der Villen, Heiligtbümer und Gräber, sind es die kleinen und
grofsen Alterthümer, deren Kenntniss und Verstau dniss auch die den
gelehrten Studien ferner Stehenden in den Stand setzt, mit zu for-
schen und Eigenes beizusteuern. Nur wer eine Anschauung hat we-
nigstens von irgend einer Art der wissenschaftlichen Faktoren, aus
welchen die geschichtlichen Ergebnisse gewonnen werden, wird der
Forschung dauernde Theilnahme entgegenbringen. Was anderes hat
von jeher die edle Leidenschaft des Sammeins aller möglichen auf die
Kultur vergangener Zeiten bezüglichen Gegenstände, wie der Münzen,
Waöen, Geräthe, Autographen, Siegel u. s. w. angefacht und bis zu
ihrer gegenwärtigen Höhe und Verbreitung gesteigert, als eben die-
ses berechtigte Bestreben, wenigstens einen Theil der greifbaren
Zeugnisse in Händen zu halten, welche unser Dasein mit demjenigen
vergangener Geschlechter verknüpfen, und durch ihre Erhaltung,
Deutung und Verwerthung, wenn auch nur zu kleinstem Theile, selbst-
thätig mitzuwirken an dem grofsen Werke der historischen Wieder-
gewinnung unserer Vorzeit?^ Kaum irgendwo ist diese Arbeit des Sam-
meins und Bewahrens aller Reste der Vergangenheit in gröfserem
Maafsstabe seit langer Zeit eingeleitet und, durch beispiellofs glück-
liche Verhältnisse unterstützt, durchgeführt worden, als in England.
Gleich nach England kommt in dieser Beziehung, ebenfalls durch
seinen Reichthum begünstigt, Frankreich; erst an dritter Stelle
Deutschland. Von Italien, dessen Leben bis vor Kurzem mehr die
Vergangenheit betraf als die Gegenwart, soll hier nicht geredet
werden. Nicht als ob nicht auch bei uns die liebevolle Hingabc an
die Heimat und das grade in den engsten Grenzen besonders mäch-
tige Gefühl der Vaterlandsliebe sichtbar und kräftig gewirkt hätte
von dem Zeitpunkte an, wo die Nation sich zu erholen begann von
den tiefen Wunden, die ihr der unselige Krieg der dreifsig Jahre
geschlagen. In England giebt es keine Grafschaft, kaum eine kleine
Landstadt, welche nicht ihr meist aus privaten Mitteln gegründetes
Lokalmuseum hätte. Daneben verwenden zahllose Private, von den
grofsen historischen Adelsgeschlechtern an bis herab zum Landpfarrer
und Gemeindebeamten, einen Theil ihres Ueberflusses auf die Anlage
150 Deutschland
von irgend welchen Sammlungen. In Frankreich hat der hochge-
steigerte nationale Sinn in höherem Maafse als die privaten Lieb-
haber die verschiedensten Körperschaften, Gemeinden, Diözesen und
andere Verbände gröfseren und geringeren ümfangs zu fast ebenso
ausgedehnter und an Reichthum nur wenig hinter England zurück-
stehender Entwickelung des Sammeleifers geführt; obgleich es auch
nicht an Gegenden fehlt, z. B. im Süden, welche in diesen Dingen
noch weit zurück sind. In Deutschland fehlt es zwar nicht, beson-
ders in dem begüterten Westen und Süden unser Heimat, an mehr
oder weniger reichen und wohlgepflegten öffentlichen, zum Theil auch
privaten Sammlungen, an grofsen und kleinen historischen und Alter-
thumsvereinen mit meist schon bändereichen Veröffentlichungen, an
Jahres- und Wanderversammlungen mit gelehrten und gemeinverständ-
lichen Vorträgen, kurz an all den Erfordernissen der geschichtlichen
Massenarbeit, welche das in England besonders reich entwickelte
Vereins wesen und die in Frankreich weit verbreitete Kunst der
Gruppierung und Aufstellung von Denkmälern und üeberresten ausge-
bildet hat. Aber was uns noch fehlt auf diesem Gebiete gegenüber
unsern Nachbarn dies- und jenseits des Kanals, das ist die allge-
meine und nachhaltige, die verständnissvolle und opferbereite Theil-
nahme aller Gebildeten an den Bestrebungen und Leistungen der
verhältnissmäfsig doch nur Wenigen, welche zu jener Sammelarbeit
in Vereinen und Gesellschaften zusammengetreten sind oder auf eigene
Hand an ihr theilnehmen. Gewiss wird man sagen müssen, dafs
unter der harten Arbeit des berufsmäfsigen Wirkens nicht allzu
Vielen Zeit, Kraft und Mittel bleiben, um mit frischem Geiste auch
zu sammeln, zu lernen und zu hören, zu lesen und aufzuschrei-
ben; denn ohne solche Thätigkeiten kann eine Theilnahme an jener
Art von historischen Arbeiten nicht bestehen. Aber in*e ich
nicht, so ist das nur ein untergeordneter Grund für unser Zurück-
bleiben. Unter unseren Beamten, Künstlern, Gutsbesitzern und In-
dustriellen gibt es genug solche, welche wohl Lust, Zeit und Kräfte
hätten, um sich solcher Arbeit in Nebenstunden zu widmen, beson-
ders auf dem Lande und in kleineren Städten, wofern nur die rechte
Anregung geboten, das rechte Verständniss vermittelt, auch der rechte
Dank und Lohn, nicht materieller sondern geistiger Art, gesichert
wäre. Unsere Fachgelehrten, unsere Sammler und Forscher, un-
sere Vereine und Museen und ihre durchgehends kenntnissreichen und
Römische Städte in Deutschland 151
gefälligen Vorstände sind, natürlich mit glänzenden und bekannten
Ausnahmen, vielleicht nicht ganz frei zu sprechen von dem Fehler
einer gewissen Schwerfälligkeit und ünbeholfenheit in der schrift-
lichen wie mündlichen Mittheilung, in der Aufstellung und Erklärung
der von ihnen gesammelten oder ihrer Obhut anvertrauten Schätze.
Bei weitem nicht alle öffentlichen Sammlungen erfreuen sich so
musterhafter Aufstellung wie die des germanischen Museums zu
Nürnberg, des römisch-germanischen Centralmuseums zu Mainz, der
antiquarischen Gesellschaft zu Zürich; um nur einige der hervorra-
gendsten zu nennen. Und wie viele nicht unbedeutende Städte ha-
ben überhaupt noch keine Sammlungen, welche ihrer würdig wären!
Dazu fehlt es vielfach an kurzer aber verständlicher Bezeichnung der
ausgestellten Gegenstände durch daran befindliche Zettel oder Tä-
felchen. Es ist gar nicht leicht und nur den völlig den Gegenstand
beherrschenden Kennern möglich, solche Aufschriften zu verfassen.
Die Engländer legen mit Recht ein Hauptgewicht auf diese Bezeich-
nungen der Gegenstände selbst, ein gröfseres als auf die gedruckten
Verzeichnisse. Denn diese kommen immer nur in die Hände eines
verhältnissmäfsig kleinen Bruchtheils der Besucher. Die gi'ofse Menge
verlangt an dem Gegenstande selbst über seine Herkunft und Be-
deutung Irarz unterrichtet zu werden. Wo das nicht oder in ungenü-
gender, gelehrt räthselhafter Weise geschieht, darf man sich nicht Avun-
dern, wenn die Massen theilnahmslos durch die Säle und Zimmer gehen,
um nie oder selten zuiückzukehren. Auch unsere gröfsten Museen
wie unsere öffentlichen Denkmäler fehlen in dieser Beziehung noch
vielfach im Grofsen wie im Kleinen gegen den guten Geschmack.
Die Kunst, kurze und deutliche Aufschriften zu macheu, die prak-
tische Exigraphik, wird in Italien berufsmäfsig in allen iliren Zweigen
gepflegt; bei uns geniefst sie noch kaum eine berechtigte Existenz.
Freilich ist um Sammlungen gut aufzustellen, so gut wie um sie
zusammenzubringen, ausser der Mühe und dem Verständniss , vor
allem auch Geld nöthig. Die bildende Künste haben jetzt in allen
gröfseren Staaten Deutschlands feste jährliche Bewilligungen für mo-
numentale Zwecke. In dem Voranschlag des öffentlichen Unterrichts
nehmen die Sammlungen einen jährlich steigenden Posten in Anspruch,
welcher, wenn schon winzig im Vergleich zu den von England- für
die nämlichen Zwecke aufgewendeten Summen, für unsere Verhält-
nisse erheblich genannt werden muss. In Frankreich hat schon vor
152 Deutschland
Jahren die Regierung einen bedeutenden Kredit Mr die Museen und
Sammlungen der Provinzen gefordert, um auf einmal einen ordent-
lichen Schritt vorwärts zu thun. In jüngster Zeit ist das Interesse
für die sogenannten vorgeschichtlichen Funde, die Reste der Höhlen-
zeit und der Pfahlbauten, im Steigen begriffen; für die Fundstücke
dieser Art ist fast besser gesorgt, wie für die viel Raum brauchen-
den, oft ungefügen Inschriftsteine und architektonischen Fragmente
und die kleinen Alterthümer aus römischer Zeit. So ist es begreif-
lich, dafs gerade für die wichtigsten und entscheidendsten Jahrhun-
derte unserer ältesten Geschichte und ihre Ueberreste nur Wenige
das richtige Verständniss besitzen. Wenn es gelingt, dies Verständ-
niss in weitere Kreise zu tragen und dabei dem verbreiteten Vor-
urtheil zu steuern, dafs Provinzialmuseen im ganzen langweilig, ihr
Inhalt unbedeutend sei und kaum lohnend für einmaligen Besuch, so
wäre damit ein Schritt vorwärts gethan auf dem Wege zu lebendiger
Erkenntniss unserer Vergangenheit. Für die Anschauung des rö-
mischen Lebens in Deutschland sind die bedeutenderen Sammlungen
römischer Alterthümer aus heimischen Funden in München und Augs-
burg, in Stuttgart, Darmstadt, Mannheim, Wiesbaden und Mainz, in
Bonn und in Köln, die schon öfter erwähnt wurden, von grofser
Wichtigkeit. Sie verdienen es durchaus, genauer gekannt und in ihrem
Werthe richtig geschätzt zu werden.
So wendet sich die Betrachtung des römischen Lebens in Deutsch-
land von den grofsen geographischen Verhältnissen, von den Grenz-
strömen und den Grenzwällen mit ihren Lagerplätzen, von den rö-
mischen Städten und Landhäusern zuletzt zu den kleinen und oft un-
scheinbaren Resten aus zufälligen Funden und absichtlichen Ausgra-
bungen. Auf manches der Art ist in den vorhergehenden Ausfüh-
rungen hingewiesen worden. Neben den Resten der Kultur, welche
noch vorliegen in Städten und Dörfern, in Wald und Flur sichtbar,
wenn auch nicht gleich bei oberflächlicher Betrachtung in die
Augen fallend, sind diese in allen jenen Sammlungen mehr aufge-
speicherten, als für das bequeme Verständniss übersichtlich geord-
neten und bezeichneten Gegenstände mannigfaltigster Art, in Stein
und Thon, in Erz und Glas, von nicht zu unterschätzender Be-
deutung.
Die richtige Zeitbestimmung der Fundstücke, die meist nur bei
sorgfältig überwachten Ausgrabungen möglich ist,, ihre Einreihung in
Arminius 153
das gesammte Kulturbild der Vergangenheit ist eine Aufgabe, an der
noch manches Geschlecht von Sammlern und Alterthumsfreunden sich
mühen wird. Erst wenn viele und sichere Ergebnisse solcher mit
liebevoller Hingabe an das Kleinste und scheinbar Unbedeutendste ge-
pflegter Vorarbeiten vorliegen, wird es möglich sein, auch den weiteren
Kreisen gebildeter Vaterlandsfreunde von ihnen eingehender zu be-
richten.
m.
Arminius.
Zu Grunde liegt ein in der Zeitschrift Hermes Bd. X 1876 S. 393—407
veröffentlichter Aufsatz. Göttling hat auf seine unten erwähnte Abhand-
lung grofsen Werth gelegt, denn er hat sie nicht weniger als vier
Mal herausgegeben : zuerst in kurzer lateinischer Fassung de signis Thus-
neldae et Thumelici in den Annalen des römischen archäologischen Instituts
von 1841 S. 58 ff. mit der Abbildung in den Monumenti inediti HI Taf. 28;
dann erweitert unter dem Titel „Thusnelda Arminius Gemahlin und ihr
Sohn Thumelicus in gleichzeitigen Bildnissen nachgewiesen, eine archäo-
logisch-historische Abhandlung" (mit einer Tafel, Jena 1843, 8.); diese
ist wiederholt in seinen gesammelten Abhandlungen aus dem classi-
schen Alterthum Bd. I (Halle 1851) S. 380 ff. mit derselben Tafel; und
endlich hat er davon eine schön ausgestattete „neue, mit Zusätzen und
einem Wort über den Fechter von Ravenna versehene Ausgabe" (aber
ohne die Weglassungen und Zusätze des Abdrucks von 1851) in Quer-
lolio (Jena 1856) veranstaltet, welche dem weiland König Otto von Griechen-
land gewidmet ist und aufser der früheren noch eine zweite Tafel enthält,
die Umrisszeichnung der lebensgrofsen Marmorstatue der Thusnelda von
Ernst von Bändel in des Fürsten zur Lippe Besitz, nach Bandeis Zeichnung.
Auf Grund von Göttlings wenig vermehrtem Material hat ohne ihn
anzuführen und, wie es scheint, ohne Kenntniss meiner Abhandlung
L. Schmidt in Leipzig in Pfeiffers Germania XVI 1883 S. 342—346 als
sicheres Ergebniss verkündet, dafs Arminius kein deutscher, sondern der
römische Geschlechtsname sei, den jene von Göttling erwähnten Inschriften
aufweisen, oder auch die der Armenii. Die völlige ünkenntniss der römi-
schen Namenordnung, die sich hierin zeigt, droht bei den Kennern des
deutschen Alterthums Eindruck zu machen. Vielleicht hat sie gchon dazu
mitgeholfen, dafs der verstorbene G. Vigfusson in Oxford in der Schrift
zur Grimmfeier (Grimm-Centefnary, mit F. Y. Powell, Oxford 1886 8.)
mit dem Zeugniss des Tacitus über des Arminius Fortleben im Helden-
lied wie vor ihm schon Mone den Missbrauch getrieben hat, ihm neben
dem vermeintlich römischen den deutschen Namen Siegfried zu vindi eieren
154 Deutschland
und daran dann Vermuthungen zu knüpfen, die von allen Einsichtigen
zurückgewiesen worden sind.
üeber die Darstellung von Germanen in der römischen Kunst habe
ich in der archäologischen Zeitung XXVI 1868 S. 46 if. gesprochen und
daselbst wahrscheinlich zu machen gesucht, dafs wir in zwti Jünglings-
köpfen des Berliner Museums Darstellungen von Germanen besitzen. Einen
dem der Thusnelda ähnlichen weiblichen Kopf des Museums der Eremitage
in St. Petersburg hat A. C o n z e in der Zeitschrift für bildende Kunst VII
1872 S. 325 ff. veröffentlicht und für eine germanische Gefangene erklärt.
Diese Deutungen sind nicht völlig sicher; aber mit der florentiner Statue
sind dies beinahe die einzigen Werke der antiken Kunst, die unter den zalil-
losen üeberresten derselben, unter denen es an Bildern von Kelten nicht
fehlt, mit annähernder Wahrscheinlichkeit für Darstellungen von Germanen
angesehen werden können.
Nicht die Thaten des Arminias sollen hier geschildert noch auf
die jüngst vielfältig behandelte Frage eingegangen werden, wie weit
dem Siegfried unserer Heldensage der geschichtliche Arminius ent-
spricht. Den Ausgangspunkt dieser Betrachtung bildet der Name
Arminius; die Erörterung über ihn lässt sich nicht trennen von der
Betrachtung der militärischen und politischen Stellung seines Trägers
gegenüber den römischen Eroberern. So gibt auch diese scheinbar
etwas Äusserliches und Nebensächliches betreffende Darlegung einen Bei-
trag zur ältesten Geschichte der römischen Herrschaft in Deutschland.
Karl Wilhelm Göttling in Jena, ein hervorragender Philolog
von Geschmack und vielseitiger Bildung, hat dem Namen des Armi-
nius eine besondere Anmerkung gewidmet in der bekannten, geist-
und gemtithvollen Abhandlung über jene beiden grofsartigen und er-
greifenden Bildwerke der Kunst der ersten Kaiserzeit, in welchen er
meinte, Bildnisse der Thusnelda und ihres Sohnes Thumelicus nachge-
wiesen zu haben. Die Abhandlung hat, obwohl sie in ihrem Ergebniss
nicht überzeugend ist, dem Dichter Halm den Anlass gegeben zu
seinem bekannten Trauerspiel, dem Fechter von Ravenna. In der Statue
der Halle zu Florenz erkennt man, Göttlings offenbar richtigen Grund-
anschauungen folgend, mit Recht eine Idealdarstellung der besiegten
Germania selbst. Ob der Marmorkopf des brittischen Museums, wel-
chen Göttling Thumelicus genannt hat, wirklich auch nur für den eines
Germanen gehalten werden darf, kann bezweifelt werden. Es sind
in verschiedenen Museen Marmorköpfe vorhanden, die, wie jener, den
Charakter kräftiger, von den römischen Bildnissköpfen verschiedener
Naturen zeigen und zum Theil mit grofser Wahrscheinlichkeit für
Arminius 155
Germanen gehalten werden. Auch das Berliner Museum besitzt zwei
solche Köpfe. Der Thumelicus genannte Kopf trägt mehr gallischen
Charakter. Wie dem auch sei, Göttlings Anmerkung über den
Namen des Arminius, welche lange unbeachtet geblieben war, ist erst
wieder hervorgesucht worden, als vor etwa fünfzehn Jahren sich aller
Augen in Deutschland und selbst jenseits der Alpen auf den Bandei-
schen Arminius im Teutoburger Walde lenkten. Göttlings Meinung,
dafs Arminius ein römischer Geschlechtsname sei, etwa in dem Sinne
von Germanicus, und noch mehr die von anderen daran geknüpften
Folgerungen sind nicht haltbar. Aber die römische Namenkunde,
die sich überall in erster Linie auf die römische Inschriftenkunde
stützt, und die römische Alterthumskunde , die uns die römische
Heeresverfassung in ziemlicher Vollständigkeit kennen gelehrt hat,
geben hinreichenden Aufschluss darüber, wie wir uns die rechtliche
Stellung unseres ersten Nationalhelden im römischen Heer zu denken
haben. Sie bedingt das Urtheil über den Namen. Den Versuchen
einer Deutung wird dadurch nicht vorgegriffen, wohl aber die Rich-
tung gezeigt, in der sie sich zu bewegen haben.
Nach einem bekannten Zeugniss des Velleius steht es fest, dafs
Arminius das römische Bürgerrecht und den römischen Ritterrang
besafs. Das Zeugniss ist zwar seinem Wortlaut nach, wie vieles in
dem schlecht überlieferten Texte des Velleius, nicht ganz richtig
erhalten, aber es besagt doch deutlich, dafs Arminius zum Behuf
des Eintrittes in das römische Heer als Führer seiner Volksgenossen,
wie Tacitus ihn nennt, mit dem Bürgerrecht beschenkt worden und
dann in demselben nach und nach die bekannten Kommandostellen mit
Ritterrang erlangt habe, also die Praefectur einer Cohorte, den Tribunat
in der Legion oder den einer Cohorte, oder die Praefectur einer
Reiterala. Das Zeugniss ist unzweifelhaft glaubwürdig; denn Velleius
war, wie er selbst angiebt, vom Beginn der Feldzüge gegen die
Germanen an neun Jahre lang im Heer des Tiberius Reiterpraefect
und Legat; er spricht von den Kämpfen in Germanien als Augen-
zeuge und begeisterter Bewunderer des Tiberius und wählt, seiner
Gewohnheit gemäfs, um die Stellung des Arminius im römischen
Heere zu bezeichnen die technisch-militärischen Ausdrücke. Velle-
ius nennt den Arminius dabei den ständigen Begleiter in früheren
römischen Feldzügen. Der Titel Begleiter, comes, wird schon zu
jener Zeit nicht selten Fremden, die sich in der Umgebung des Feld-
1 56 Deutschland
herm befanden, ertheilt und diese amtlich so genannten Begleiter des
Feldherrn bezogen Gehalt. Später ist der Titel in der Bedeutung von
Anführer in die römische Heeresverfassung übergegangen und so in die
germanischen Heere des frühen Mittelalters gelangt. Auch des Arnii-
nius Bruder Flavus scheute sich nicht römischen Sold zu empfangen;
er rühmte sich sogar, wie Tacitus berichtet, dem zürnenden Bruder
gegenüber, dafs ihm der Sold erhöht nnd militärische Auszeichnun-
gen zu Theil geworden seien, wie sie im römischen Heere üblich
waren, die goldene Halskette, der Kranz und andere. Schon unter
Drusus haben so zwei vornehme Nervier Chumstinctus und Avectius
(die Namen scheinen nicht richtig überliefert zu sein) als Tribunen
gedient, und unter Germanicus der Bataverführer Chariovalda.
Wie und wann aber erhielt Arminius das römische Bürgerrecht?
Von der Möglichkeit diese beiden Fragen mit annähernder Sicherheit
zu beantworten hängt es ab, ob über die rechtlich damit verbundene
Namensertheilung überhaupt etwas ermittelt werden kann.
Die Verleihung des Bürgerrechts auf Grund des Heerdienstes,
in alter Zeit durch den Feldherrn und nachher durch den Kaiser,
ist eine bekannte Einrichtung des römischen Staatsrechts. Mit der
Verleihung des Bürgerrechts in den Provinzen bei der Coloniegründung
scheint von jeher regelmäfsig auch die Ertheilung des Geschlechts-
namens dessjenigen Beamten an die mit dem Bürgerrecht Beschenkten
verbunden gewesen zu sein, unter dessen Auspicien die Gründung
erfolgte, weil man den römischen Bürger ohne die römischen Namen,
die tria nomina des Juvenal, nicht für völlig fertig ansah. Die hervor-
ragenden Geschlechter in den Provinzialstädten bilden durch ihre
Namen eine dauernde Bezeugung der vornehmsten Beamten, die einst
die Provinz verwaltet und dabei das Recht der Bürgerrechtsertheilung
geübt, häufig auch das Patronat über Gemeinden und Provinzen er-
langt haben. Die zahlreichen Pompeii in Hispauien, die lunii in
Gallaecien, die lulii in Gallien verdanken Bürgerrecht und Namen
dem Pompeius oder seinen Söhnen, dem Decimus lunius Brutus,
dem Dictator Caesar; eine Fülle analoger Beispiele findet sich in
allen Provinzen. Die Vornamen scheinen aber dabei von den einzelneu
Personen frei gewählt worden zu sein, ohne Rücksicht auf den Vor-
namen des Beamten, der ihnen das Bürgerrecht verlieh; oder wenig-
stens nach uns nicht mehr erkennbaren Rücksichten. Die Beinamen
werden in den meisten Fällen, wie bei der Freilassung, die Ursprung-
Arminius 157
liehen Individualnamen der betreffenden Personen gewesen sein, da
sie häufig den fremden Ursprung deutlich zeigen.
Offenbar in gleicher Weise ist von Seiten der Kaiser von Caesar
an bei dem in Folge des Heerdienstes an einzelne Personen ertheilten
Bürgerrecht verfahren worden, zumal bei hervorragenden Männern,
wie den Fürsten unterworfener Gebiete. Diefs zeigen die folgenden
Beispiele. Der Fürst des Reiches, welches später die cottischen
Alpen genannt wurde, Donnus mit Namen, erhielt als er unter die
Bundesgenossen und Freunde des römischen Volkes aufgenommen
wurde, von Dictator Caesar das römische Bürgerrecht und die Namen
Marcus lulius Donnus; sein Sohn nennt sich in der Inschrift des
im Jahre 8 v. Chr. errichteten Bogens von Susa Marcus lulius
Cottius, Sohn des Königs Donnus. In der thrakischen Fürstenfamilie
des Kotys heifst der erste einer Reihe von Fürsten, die sämmtlich
den Namen Rhoemetalkes führen, nach Augustus Gaius lulius Rhoe-
metalkes; seine Herrschaft fällt in die Jahre 743/11 v. Chr. bis
12 n. Chr. Auf Caesar oder Augustus gehen die Namen zurück,
welche der aus seinem athenischen Denkmal bekannte Fürst von
Kommagene in der Zeit des Trajan ebenso wie sein Vater führte,
Gaius lulius Antiochus Philopappus. Unter den pontisch-bosporani-
schen Fürsten, die aus ihren Münzen bekannt sind, hat wahrschein-
lich schon der erste Rheskuporis die Namen Tiberius lulius geführt.
Er verdankte dem Kaiser Tiberius den Königstitel; die Namen Ti-
berius lulius vererben sich in seiner Familie bis in das dritte Jahr-
hundert. Einer von den britannischen Königen, der mit den Römern
stets freundschaftliche Beziehungen unterhalten hatte, der bei Tacitus
genannte König der Regner Cogidumnus (oder Cogidubnus) führt nach
einer an dem Sitze seiner Herrschaft im südlichen England gefundenen
Inschrift (oben S. 18) die Namen Tiberius Claudius Cogidumnus und den
Titel König und Legat des Kaisers ; er hatte von Claudius den Königs-
titel und eine Art von Reich erhalten. Demselben Kaiser verdanken
die Bataver Claudius Labeo und Claudius (nicht lulius) Paulus, die
bei Tacitus genannt werden, ihre Namen; während Civilis, der Führer
des Aufstandes der Bataver, wie zahlreiche Gallier aller verschiede-
nen Stämme von Caesar her den Namen lulius führte. In Pola in
Istrien lebte in der Verbannung ein Roxolanenkönig Rasparaganus;
er hatte von Hadrian nach Abschluss eines Vertrages das Bürger-
recht und die Namen Publius Aelius erhalten. In Carnunfum hat
158 Deutschland
sich die Grabschrift eines Scptiraius Aistomodius gefunden, der
sich rex Germanorum nennt; er erhielt Namen und Bürgerrecht also
vom Kaiser Septimius Sevenis. Demselben Kaiser verdanken ihre
Namen die Fürsten von Palmyra Septimia Zenobia, Septimius Odae-
nathus, Septimius Aeranes.
Von Caesar an also bis in das dritte Jahrhundert kann der
Gebrauch als allgemein gültig angesehen werden, dafs der fremde
Fürst den Geschlechtsnamen des Kaisers annimmt, dem er das Bür-
gerrecht verdankt, ferner einen römischen Vornamen, vielleicht nicht
von Anfang an denselben wie der Kaiser, dafs er aber als Beinamen
seinen alten einheimischen Namen behielt; wie es bei der Aufnahme
von Sklaven und Fremden in das Bürgerrecht von jeher üblich ge-
wesen war. Ganz dem entsprechend führten von jeher auch die rö-
mischen Colonien Beinamen von ihren kaiserlichen Gründern; luliae
hiefsen die des Caesar, Augustae die des Augustus, Claudiae die des
Claudius, Flaviae die des Vespasian, und so fort. Klang der ein-
heimische Beiname zu barbarisch, so wurde seine Endung etwas ro-
manisiert. . ^
Also auch Arminius wird schon wegen seiner königlichen Ab-
stammung höchst wahrscheinlich, als er das Bürgerrecht erhielt, zu-
gleich auch die üblichen drei römischen Namen erhalten haben.
Darin hat Göttling ganz Recht; nur irrte er darin, dafs er den
uns allein erhaltenen Namen Arminius füi' den Geschlechtsnamen
hielt, während es nur der Beiname sein kann. Es ist nicht auf-
fällig, dafs alle Schriftsteller, die über den Arminius berichten,
Velleius, Strabo, Tacitus, der wohl dem älteren Plinius folgte, nur
den einen Namen des Arminius kennen, genau so wie bei den übrigen
fremden Fürsten, deren volle Namen nur Münzen und Inschriften
bewahrt haben. Ebenso kennen wir aus dem Kreise des Armi-
nius nur die Namen Segestes, Flavus und Italiens, nicht aber die
jenen Männern bei der Ertheilung des Bürgerrechtes unzweifelhaft
ausserdem noch beigelegten beiden anderen. Es begreift sich, dafs
viele Fürsten der Art, die wir nur mit ihi-en einheimischen Namen
bezeichnet finden, die römischen Namen lieber verschwiegen, mit
denen sie die Freundschaft und Bundesgenossenschaft des römischen
Volkes, wie es in der amtlichen Formel heifst, besiegeln mussten.
So z. B. die von Augustus in der Aufzeichnung seiner Thaten nur
mit einem Namen genannten parthischen, germanischen und britanni-
Arminius 159
sehen Könige; ferner die Könige von Noricura, Voccio des Ariovistus
Schwager und Kritasirus; die britannischen, die sich auf ihren nach
Caesars Einfall in Britannien geschlagenen Münzen nennen, Verica
des Commius Sohn, Eppillus, Cunobellinus; endlich manche nur aus
Inschriften bekannte, wie Sitalkes, der Geisel des Augustns genannt
wird, Pieporus der König der Koistoboker, der Parther Seraspadanes.
Niemals kommt der umgekehrte Fall vor, dafs ^ich nur die den
Fremden mehr oder weniger zwangsweise auferlegten römischen Namen
ni der Ueberlieferung erhalten hätten, der alte einheimische Name
aber nicht. Hiernach ist als so feststehend zu betrachten wie nur
irgend eine geschichtlich bezeugte Thatsache, dafs Arminius der ein-
heimische Individualname seines Trägers war — mag er auch etwas
entstellt worden sein — und nicht ein römischer Geschlechtsname.
Göttling hat allerdings ein Paar Beispiele herausgefunden, in
denen ein römischer Geschlechtsname Arminius vorkommt; sie lassen
sich sogar noch um eines oder das andere vermehren. In einem
Yerzeichniss römischer Praetorianer aus dem Jahr 143 n. Chr. er-
scheint ein Tubabläser Gaius Arminius Probus aus Volaterrae. Die
übrigen Beispiele gehören Personen der unteren und mittleren Stände
aus dem zweiten Jahrhundert an und begegnen auf ihren in Rom
gefundenen Grabschriften. In diocletianischer Zeit kommt in Afrika
eine reiche Frau des Namens Arminia Fadilla vor. Auf etruskischen
Inschriften finden sich verschiedene Personen des Namens Ar^ime
vor. Aus diesem etruskischen Namen ist der romanisierte Geschlechts-
name Arminius gebildet worden, wie aus Tarchna Tarquinius und
andere. Er hat mit unserem Arminius, dem er ganz zufällig gleich
lautet, nicht das Geringste zu thun.
In den Handschriften des Strabo wird der Name des Cherus-
kerfürsten Armenios geschrieben. Strabo fand in seinen Quellen viel-
leicht die Form Ai-mainios oder Armaenius vor; denn das griechische
kurze e entspricht häufig dem ai oder ae. Diefs erwähne ich, weil
im dritten Jahrhundert ein Paar vornehme römische Beamte des Na-
mens Armenius Peregrinus vorkommen. Dieser Name mag der Namen-
mengerei jener Zeiten entsprechend mit den Armeniern und ihrem
mythischen Stammvater, dem Argonauten Annenos, zusammenhängen;
mit dem Cherusker Arminius hat auch er nichts zu thun.
An diese späteren Arminii und Armenii kann schon defshalb
hier gar nicht gedacht werden, weil des Cheruskers Name nothwendig,
160 Deutschland
wie wir sahen, den Werth eines römischen Beinamens, nicht den
eines Geschlechtsnamens gehabt haben muss. Ein vereinzeltes Bei-
spiel des Beinamens Arminius aus späterer Zeit hat sich erhalten.
Auf einer Soldatengrabschrift des ausgehenden zweiten oder be-
ginnenden dritten Jahrhunderts in Rom erscheint ein Septiminus, ge-
bürtig aus dem oberen Pannonien, der unter den Elitereitern des
Kaisers gedient hatte, aber schon siebzehnjährig starb; seine Testa-
mentserben, die ihm den Grabstein setzen, hiessen Martialis und
Arminius. Hier erscheint der Name, wie die des Septiminus und
Martialis, zweifellos als Beiname; die Geschlechtsnamen solcher Sol-
daten, wenn sie römische Bürger waren und überhaupt welche führten,
wie Flavius, Aelius, Aurelius, dienten damals nicht mehr zur Unter-
scheidung und wurden häufig fortgelassen. Dieser Arminius, der
Kamerad und Erbe eines Mannes aus Pannonien, könnte wohl deut-
scher Herkunft gewesen sein und den Namen in der Erinnerung an
den Cherusker oder vielleicht irgendwie als Erbtheil von ihm oder
seinen Stammesgenossen geführt haben.
Die römischen Beinamen guter Zeit pflegen allerdings nicht auf
ius zu endigen, sondern auf us oder anderswie. Aber die Regel
findet keine Anwendung auf Namen fremden Ursprungs. So fanden
wir schon den Marcus lulius Cottius und werden nachher noch einen
Gaius lulius Mugdonius finden; beide aus augustischer Zeit. In äl-
terer Zeit erscheint bei den Freigelassenen nicht selten Salvius als
Beiname. Später sind Beinamen in ins, besonders griechischen Ur-
sprungs, nicht selten; so hiefs z. B. schon ein Freigelassener des Atticus
Marcus' Pomponius Dionysius. Selbst rein römische Geschlcchts-
namen in ins werden schon in dieser Zeit als Beinamen gebraucht,
wie Publius Sulpicius Quirinius zeigt, der berühmte Statthalter von
Syrien und Phoenikien zur Zeit von Christi Geburt. Es steht zwar
fest, dafs Arminius nicht Hermann geheissen hat, was althochdeutsch
etwa Charjaman, in römischer Umformung etwa Chariomannus lauten
müsste; aber nicht minder fest steht, dafs Arminius nach dem Gesetz
der römischen Namenordnung nur der Beiname, nicht der Geschlechts-
name seines Trägers war. Und da dieser Beiname römischen Ur-
sprungs sicher nicht ist, so bleibt doch das Wahrscheinlichste, dafs
er deutschen Ursprungs ist, mag ihn nun die deutsche Sprachwissen-
schaft erklären können oder nicht, und mag er auch einer leichten Um-
formmig, etwa in der Endung, sich unterzogen haben. Dafs man sich
Anninius 161
die schwierige Aufgabe der Deutung des Namens einfach damit bei
Seite geschafft zu haben glaubt, wenn sie ihn als römisch ansieht,
ist eine Täuschung, der sehr energisch entgegengetreten werden muss.
Ihn für heillofs verderbt zu erklären, wie den der Thusnelda, geht
angesichts der nicht schwankenden üeberlieferung auch nicht wohl
an. Wenn jemand fragte, wie denn des Armiuius Vor- und Ge-
schlechtsname gelautet haben möchten, so kann man darauf zunächst
die Gegenfrage aufwerfen, ob die Namenertheilung, zumal an Fürsten,
wie sie in den oben angeführten Fällen von der Zeit des Caesar an
üblich war, unter allen Umständen stattgefunden habe und nicht viel-
mehr aus uns nicht bekannten Gründen zuweilen unterblieben sei.
Jene Nervier unter Drusus und der Bataver Chariovalda unter Ger-
manicus werden, wie Arminius, nur mit einem Namen genannt; wo-
raus freilich nicht folgt, dafs sie nur den einen geführt haben.
Als Praefect einer römischen Reiterala wird auch Arminius in den
Heereslisten des Tiberius höchst wahrscheinlich mit drei vollen rö-
mischen Namen geführt worden sein. In den uns erhaltenen Solda-
tenverzeichnissen und in den Soldatengrabschriften erkennt man noch
deutlich, wie die äussere Gleichmäfsigkeit der Listen mafsgebend ist
und die Namen von in der Legion dienenden Fremden so gestellt
und behandelt werden, als seien sie römische. Möglich aber ist,
wie schon gesagt worden, dafs fremde Fürsten oder Häuptlinge, trotz
ihrer Abhängigkeit von den römischen Feldherrn und Kaisem, ihre
römischen Namen für gewöhnlich überhaupt nicht führten. Als Ar-
minius an die Spitze der gegen Rom gerichteten Empörung trat,
wird er seinen römischen Namen ohnehin aufgegeben haben. Trotz
einzelner bezeugter Beispiele aus Caesars und Augustus Zeit mag es
erst um die Mitte und in der zweiten Hälfte des ersten Jahrhun-
derts üblich geworden sein, dafs solche „Zeichen der Knechtschaft",
wie sie nach dem Ausdruck des Tacitus die römischen Namen ent-
hielten, allgemein geführt wurden. Bei Tacitus sind die fremden
Julier und Claudier im zweiten Buch der Annalen noch selten, im
dritten und vierten etwas häufiger; in den Historien gewöhnlich.
Also auch Arminius wird, ebenso wie Segestes, trotz des Bürger-
rechts und der damit, wie es scheint, nothwendig verbundenen Er-
theilung dreier römischer Namen dieselben für gewöhnlich gar nicht
geführt haben, auch so lange er noch nicht den Römeni feindlich
gegenübergetreten war. Erhielt er aber also einen römischen Vor-
Jiübner, Westeuropa. 11
162 Deutschland
und Geschlechtsnamen, so ist es sicher, dafs er sie nur von einem
hervorragenden römischen Feldherrn, vom Kaiser selbst oder von
einem Mitglied des kaiserlichen Hauses, empfangen haben kann. Es
ist völlig undenkbar, dafs der Cheruskerfürst bei der Bürgerrechts-
ertheilung einen obscuren römischen Geschlechtsnamen erhalten ha-
ben sollte, wie der jener Arminii, der möglicher Weise in augusti-
scher Zeit überhaupt noch gar nicht vorhanden war. Arminius war,
wie aus den Angaben des Tacitus bei seinem Tode mit Recht ge-
folgert wird, etwa neunzehn oder zwanzig Jahre alt, als Tiberius
im Jahre 4 die Heeresfolge der Cherusker gewann. Es ist daher
nicht wahrscheinlich, dafs die Ertheilung des Bürgerrechts schon
früher, etwa durch einen der Vorgänger des Tiberius im germani-
schen Oberbefehl, stattgefunden hat, besonders da überhaupt erst
seit dem Feldzug des Tiberius Cherusker auf römischer Seite fochten.
Erhielt also der junge Arminius dem Brauche gemäfs einen römischen
Geschlechtsnamen, so kann es nur der Name lulius gewesen sein.
Tiberius war damals schon von Augustus adoptiert und führte seineu
eigentlichen Geschlechtsnamen Claudius nicht mehr, lieber den Vor-
namen ist nur eine annähernd wahrscheinliche Vermuthung möglich.
Folgte Arminius darin dem Feldherm, der ihm das Bürgerrecht verlieh, so
muss der Vorname Tiberius gewesen sein; betrachtete dieser, was seinem
Charakter entsprochen hätte, den Akt der Bürgerrechtsertheilung als nui'
in übertragener Gewalt im Namen des Kaisers vollführt, so muss er
Gaius gewesen sein; denn das war der Vorname des Augustus.
Also Tiberius lulius Arminius oder Gaius lulius Arminius muss der
Cherusker im römischen Heere genannt worden sein.
Bei dieser Annahme erklärt sich auch, warum des Arminius
jüngerer Bruder einen einheimischen Namen überhaupt nicht geführt
zu haben scheint, sondern nur den römischen Beinamen, wie ihn
Tacitus ausdrücklich nennt, Flavus, der wohl die germanische Fülle
seines blonden Haares bezeichnet. Er trat wahrscheinlich so jung
in das römische Heer, in dem er mit deutscher Treue bis zur Ein-
bufse eines Auges vor dem Feinde diente, dafs er nach römischem
Brauch mit der Anlegung der Praetexta zugleich die drei Namen
erhielt; desshalb ist sein Beiname römisch. Doch kann er bei die-
ser Gelegenheit auch seinen einheimischen Namen abgelegt haben;
bei der Ertheilung des Bürgerrechts wie bei der Freilassung kam
beides vor, der römische Name konnte beibehalten oder mit einem
Arminius 163
römischen vertauscht werden. Die fremden ProvinziaJen werden ihre
einheimischen Namen, wenn sie appeUativisch waren, oft in das Latei-
nische ühersetzt hahen. In Hispanien begegnen solche Namen wie
Amoenus, Niger, Lupus häufig bei Fremden. Je jünger der neue
Bürger war, desto leichter war die Vertauschung des einheimischen
mit dem fremden Namen. Aber fehlen durfte der Beiname grade bei
den Rittern nicht; griechische Sklaven erhielten bei der Erhebung
in den Ritterstand zu ihrem griechischen regelmäfsig noch einen
römischen Beinamen.
Auch die in Italien geborenen Kinder der beiden Brüder führen
römische Namen. Italiens hiefs der Sohn des Flavus wohl mit Rück-
sicht auf den Ort seiner Geburt. Der in Ravenna geborene Sohn
des Arminius, dem das Schicksal so grausam mitspielte (wie, hatte
Tacitus in den verlorenen Büchern der Annalen erzählt), Thumelicus,
führt seinen griechischen Namen von der Schaubühne. Der Name
ist selten, aber nicht unbezeugt; obgleich die Ueberlieferung in der
Schreibung schwankt wie bei dem der Thusnelda, ist kein Grund an
seiner Richtigkeit zu zweifeln. Dafs Thumelicus in Ravenna als
Sklave zum Gladiator ausgebildet worden sei, wie Göttling vermu-
thete, ist nach den von Tacitus gegebenen Andeutungen nicht un-
möglich. Doch hat der Name nichts mit den Gladiatorenspielen zu
thun. Beide, Flavus und Italiens, werden ausser ihren Beinamen den
väterlichen Geschlechtsnamen lulius geführt haben. Ganz ähnlich
ist ein inschriftlich bezeugter Fall. In demselben Ravenna, wo der
Knabe der Thusnelda aufgezogen wurde, starb fünfzigjährig ein frei-
geborener Perser, der in jungen Jahren in römische Gefangenschaft
gerathen war und das römische Bürgerrecht erlangt hatte; er hiefs
Gaius lulius Mugdonius. Die Mygdonen sind ein phrygischer Stamm;
die Inschrift gehört etwa in die Zeit des Claudius. Der Fall ist
daher auch ziemlich gleichzeitig.
Der Fall des Arminius steht also keineswegs allein. Dafs er
mit seinen vollen drei römischen Namen in der Ueberlieferung nicht
genannt wird, entspricht, wie wir sahen, durchaus dem Gebrauch der
Schriftsteller, die über ihn berichten. Wäre ein gleichzeitiges Denk-
mal erhalten, das ihn zu nennen Veranlassung gegeben hätte, so
würden wir dai'auf aller Wahrscheinlichkeit nach die drei Namen
lesen; wie auf jenem des Cottius, des Sohnes des Donnus. Aber
auch ohne solches Denkmal kann über den Werth des Namens nach
11*
164 Deutschland
römischem Begriff kein Zweifel sein: Arminius kann unter keinen
Umständen der Geschlechtsname, es muss nothwendig der Beiname
des Cheruskers gewesen sein.
Arminius ist also der aller Wahrscheinlichkeit nach aus deut-
schem Stamm römisch gebildete Beiname des Cheruskers; welches
seine Form und Bedeutung in unserer Sprache war, hat die deutsche
Philologie noch nicht mit Sicherheit anzugeben vermocht.
III
SPANIEN
Die hier zusammengestellten Aufsätze gehen zum Theil auf die epi-
graphischen Mittheilungen üher meine erste Bereisung der pyrenäischen
Halbinsel zurück, welche in den Monatsberichten der Berliner Akademie
aus den Jahren 1860 und 1861 gedruckt sind, sowie auf die italienisch
geschriebenen Berichte über alte Denkmäler in Spanien, welche im Bullettino
des römischen archäologischen Instituts aus denselben Jahren erschienen.
Diese sind in kürzerer deutscher Fassung wiederholt im Anhang zu meinen
„Antiken Bildwerken in Madrid" (Berlin 1862 8.). Doch sind sämmtliche Auf-
sätze bei wiederholtem Besuch des Landes in den Jahren 1881, 1886 und
1889 nachgeprüft und erweitert worden. Die vollständigen Litteratumach-
weisungen, die hier nicht wiederholt werden, finden sich in der Sammlung
der Inscriptiones Hispaniae Latinae (Corpus inscriptionum Latinarum
Bd. II, Berlin 1869 fol.) und den Inscriptipnes Hispaniae christianae
(Berlin 1871 4.), sowie in dem Supplement zu diesen Sammlungen
(Berlin 1890 fol. und 4.).
I.
Tarragona.
Zu Grunde liegt der Aufsatz „Tarraco und seine Denkmäler" im
Hermes I 1866 S. 77—127; vgl. C. I. L. II S. 538—545 und Supple-
ment S. 973.
Für die römischen Eroberer, die von der nahen Südküste Frank-
reichs aus zuerst nach Spanien kamen, war Tarragona die erste be-
deutende Stadt, die sich ihrem Anblick darbot. An die Erörterung
von Tarragona s Bedeutung knüpfen sich eine Keihe von Erwägun-
gen, welche das' Verhältniss der beiden alten hispanischen Provinzen,
der diesseitigen und jenseitigen, und ihrer Hauptstädte Tarragona und
Cartagena, auch Sagunt, betreffen. Zwar soll hier nicht die Geschichte
der Eroberung überhaupt erzählt werden; aber es fällt vielfach Licht
auf sie. Mit Tarragona beginnt daher nicht unpassend eine Betrach-
tung der römischen Herrschaft in Spanien.
Wären wir allein auf die dürftigen Zeugnisse der Schriftsteller
angewiesen, so würde es nicht möglich sein von einer so bedeutenden
168 Spanien
Stadt, wie das alte Tarraco im diesseitigen Hispauien war, eine
wesentlich andere Vorstellung zu gewinnen, als von vielen anderen
antiken Städten in Italien und den römischen Provinzen. Allein die
erhaltenen Reste der alten Stadt in dem heutigen Tarragona, die
Münzen und Inschriften, die uns vorliegen, Statuen, Reliefs, Mosaik-
fufsböden und eine grofse Masse von kleinem antiken Geräth aller
Art, welches fortwährend zu Tage kommt, ersetzen die Dürftigkeit
der Schriftstellerzeugnisse vielleicht in höherem Maafs als bei irgend
einer anderen alten Stadt mit Ausnahme Pompejis. Es liegt an der
eigenthümlichen Isolierung von dem übrigen Europa, besonders von
dem gelehrten, in welcher sich Spanien und alles auf die spanische
Kultur bezügliche befindet, dafs von diesen Zeugnissen bisher noch
so gut wie nichts im Zusammenhang verwerthet worden ist.
Vorübergehend hat Tarragona vor Jahren in den Kreisen der
Archäologen und Orientalisten von sich reden gemacht durch die von
dort gemeldete Entdeckung eines vermeintlichen Grabmals des phö-
niki sehen Herakles mit ägyptischen Hieroglyphen und einer Reihe
von in sehr roher Weise in Marmor eingelegten Bildern, zu denen
die auf Diodor zurückgehenden Fabeln über die Urgeschichte der
Halbinsel den Stoff hergegeben haben. Der verstorbene Herr von
Minutoli, damals preufsischer Generalconsul in Barcellona, hat diese
Entdeckung argloser Weise verbreitet. Den gegründeten Zweifeln,
welche die Vorsichtigeren sogleich äufserten, suchte er in einer aus-
führlichen Veröffentlichung (Altes und Neues aus Spanien, Band II,
Berlin 1854, S. 133 ff.) dadurch zu begegnen, dafs er das Werk
im Einverständniss mit den Herren Movers und Brugsch für ein
Erzeugniss der spätesten Kaiserzeit und des gnostischen Ideenkreises
erklärte; während inzwischen in Rom nach Canina*s Vorgang der
verstorbene Emil Braun in einem phantasievollen Aufsatz für die
Aechtheit und das hohe Alterthum desselben eintrat. Der geistreiche
Gelehrte giebt darin einer gewissen Neigung zum Auffälligen und
Wunderbaren nach, die in seinen späteren Arbeiten oft hervortritt. Diese
Offenbarungen haben ausser dem spanischen Entdecker des Grabes
selbst meines Wissens von deutschen Gelehrten nur die auch in-
zwischen verstorbenen Roth in Heidelberg und Ross in Halle mit
Begierde ergriffen und geglaubt. Das ganze Grabmal ist eine Fäl-
schung neuesten Ursprungs.
Tarragona 169
Dafs es Vorarbeiten für die Geschichte Tarraco's, welche den^*''*'^®**®"
Namen verdienen, nicht giebt, braucht bei einem Gegenstand aus den
Alterthümern Hispaniens eigentlich kaum gesagt zu werden. Um die
Mitte des sechzehnten Jahrhunderts benutzte ein rechtschaffener Ad-
vocat in Tarragona, Luis Pons de Icart, seine Mufsestunden um
ein Buch von den Herrlichkeiten und Werkwürdigkeiten seiner Vater-
stadt zu verfassen, welches er König Philipp dem zweiten im Jahre 1572
widmete. Er war dazu veranlasst worden von dem Canonicus Don Juan
Cesse, der schon im Jahre 1514: einige Inschriftsteine an einer der
Bastionen der Stadt hatte aufstellen lassen. Obgleich es dem Schrei-
ber an gelehrter Bildung so gut wie gänzlich fehlt und seine dar-
aus zu erklärende Vorliebe für das weitläufige, sachwalterisch genaue
eitleren der spanischen Chronisten den Leser ermüdet, so gehört das
Buch doch zu den besseren der spanischen Lokallitteratur. Der
Verfasser beschreibt sehr genau alles was zu seiner Zeit an Alter-
thümern vorhanden war und erhebt sich sogar zur Urkundenforschung,
um das Vorhandensein von später verschwundenen Bauresten in städti-
schen Grundstücken zu ermitteln. Eine neue monographische Be-
handlung von Tarragona's Alterthümern müsste durchaus von seinen
Angaben ihren Ausgangspunkt nehmen. Pons hatte sich für seinen ,
Privatgebrauch eine vollständige Sammlung aller in Tarragona befind-
lichen lateinischen Inschriften angelegt, die er öfter in seinem Buche
erwähnt. Leider hat er sie nicht drucken lassen und die Hand-
schrift ist verloren; die nicht sehr zahlreichen Proben daraus, welche
er in seinem Buche mittheilt, sprechen deutlich für seine Genauigkeit.
Dieses ist die älteste Monographie über Tarraco; Moral es, der be-
kamiteste unter den spanischen Antiquaren, hält sich durch sie der
Mühe überhoben, eingehend über Tarragonas Alterthümer zu berichten.
Antonio Agustin, schon Bischof von Lerida (seit 1561) als er die
Curie noch auf dem Tridentinum vertrat, war nach dem Schlüsse des-
selben im Jahre 1564 auf einer Provinzialsynode zu Tarragona, wie
Pons de Icart erzählt, und gab ihm einige Aufklärungen in antiquari-
schen Dingen, die mit der unterwürfigsten Ehrfurcht vor der grofsen
Gelehrsamkeit des vornehmen Prälaten aufgenommen werden. Auch
einige Briefe des Pons an Agustin aus dem Jahre 1572 über In-
schriften von Tarragona habe ich unter des letzteren Papieren in
Madrid gefunden. Aber erst im Jahre 1576 bestieg Agustin den erz-
bischöflichen Stuhl, von Tarragona und starb 1586. In dieser Zeit
170 Spanien
hat er das Mögliche geleistet für die Sammlung und Erhaltung der
Inschriften und übrigen Alterthümer der Stadt, wie seine eigenen
Aufzeichnungen bezeugen und die des Niederiänders Anton von Po-
villon, welcher im Jahr 1585 bei ihm war. Aber es ist ihm nicht ver-
gönnt gewesen eine zusammenhängende Behandlung und Darstellung
derselben hervorzurufen. Er selbst, bejahrt und auf ganz anderen
litterarischeu Gebieten thätig, wird eine solche wohl niemals beab-
sichtigt haben. Der Augustiner Enrique Florez, der unter seinen
meist kritiklosen Landsleuten durch die lauterste Wahrheitsliebe her-
vorragende Verfasser des Werkes über die antiken Münzen Spaniens
und der bändereichen, noch heute unvollendeten Espana sagracla,
giebt zwar als Einleitung zur Geschichte der Kirche von Tarragona
eine Uebersicht über die profane Geschichte der Stadt, zu welcher
er die alten Zeugnisse, Inschriften, Münzen und Denkmäler in seiner
Weise benutzt hat. Allein trotz des redlichsten Bemühens ist er in
eine Reihe von Irrthümern verfallen, welche bis auf die neueste Zeit
fortbestehen, und hat vieles Wichtige übersehen, trotz seines eigenen
Aufenthaltes in der Stadt im Jahr 1762 und trotz der guten Abschriften
von Inschriften und sorgfältigen Zeichnungen der Denkmäler,
welche ihm der Canonicus Ramon Foguet aus Tarragona zusendete.
Nach Pons de Icart und Florez hat es zwar nicht an, auf die Alter-
thümer aufmerksamen Reisenden gefehlt, wie die Spanier Antonio Ponz
und Jayme Villanueva und manche Ausländer, und an Compilatoren,
wie Cean und Cortes nebst den Handbüchern der alten Geographie
von Mannert, Ukert und Forbiger: allein weder ist das Material
durch sie erheblich vermehrt, noch auch die an den Gegenstand sich
knüpfenden Fragen in irgend befriedigender Weise gelöst worden.
Keine Ausnahme macht das gi^ofse und noch heute unentbehrliche
Reisewerk des Grafen Laborde, die malerische Reise durch Spanien,
zwei kostbare Foliobände, die dem ersten Kaiserreich ihre Ent-
stehung verdanken. Es giebt nur malerische Ansichten ohne ein-
gehende wissenschaftliche Erörterung. Sie sind nach den Materialien,
die der Verfasser mit einem ganzen Stabe von geschickten Zeichnern
gesammelt hatte, in Paris ausgeführt worden und haben dadurch viel
von ihrer Unmittelbarkeit eingebüfst. In neuerer Zeit haben sich
zwei Bürger der Stadt, die Herren Albiiiana und Bofarull, ver-
einigt, um eine neue Monographie zu liefern. Die Verfasser haben
sich mit grofser Sorgfalt und persönlicher Aufopferung der alten
Tarragona 171
Denkmäler ihrer Vaterstadt angenommen; sie sind die Hauptbegründer
einer kleinen archäologischen Gesellschaft daselbst und eines Museums.
Aber ihr Buch ist kenntniss- und kritiklofs, die Abbildungen für
wissenschaftliche und künstlerische Zwecke gleich unbrauchbar. Die
wenigen nützlichen Nachrichten über noch in der Stadt erhaltene
Baureste benutze ich an ihrem Orte. Seit fast einem halben Jahr-
hundert ist Buenaventura Hernandez in Tarragona eifrig bemüht,
allen römischen und vorrömischen Alterthümern seiner Stadt Pflege,
Erhaltung und Deutung zuzuwenden. Ihm verdankt das Museum be-
ständigen Zuwachs; durch zahlreiche Schriften, Verzeichnisse, Führer
fördert er die immer noch sehr schwache Theilnahme seiner Lands-
leute für Tarragona* s Alterthum. Jüngst haben auch die etwas zahl-
reicheren Liebhaber lokaler Studien in Barcellona zuweilen Ausflüge
nach dem nahen Tarragona gemacht. Die Frucht eines solchen Aus-
flugs ist der Vortrag des Baumeisters Le an dro Serrallach (Monu-
mentos romanos de Tarragona, Barcellona 1886 8.), der wenig that-
sächliche Angaben und gar keine Aufnahmen enthält; das beste
darin sind einige Bemerkungen von Hernandez über den Mauerbau
von Tarragona.
Die hier genannten Werke sind insgesammt so schwer zugäng-
lich, dafs schon aus diesem Grunde eine eingehende Darstellung ge-
rechtfertigt erscheint. Die folgenden Beschreibungen und Erörte-
rungen sehen aber absichtlich von bildlichen Beigaben durchaus ab.
Die in den angeführten Werken gegebenen Darstellungen sind sämmt-
lich unbrauchbar. Neue Aufnahmen der Denkmäler, wie sie aller-
dings im höchsten Grade wünschenswerth sind, könnten nur durch
die vereinte Arbeit eines Architekten und eines geübten Zeichners,
bei einem Aufenthalt am Ort von einigen Wochen, hergestellt wer-
den. Schwerlich werden Auswärtige zu einer solchen Arbeit sich
veranlasst fühlen, weil der rein künstlerische Werth der Denkmäler
von Tarraco dazu nicht grofs genug ist. Ob die spanische Regierung
zu einem Unternehmen der Art sich jemals erheben wird, ist sehr
zweifelhaft; die privaten Versuche der lokalen Liebhaber aber fallen
immer ungenügend aus. Mein wiederholter Aufenthalt in Tarragona
reichte wenigstens dazu aus, eine lebendige Anschauung zu gewinnen
und die Urtheile der Vorgänger an Ort und Stelle zu prüfen. Dieses
ist die für jetzt allein mögliche, aber auch wie ich glaube ausreichende
Grundlage, auf welcher die hier zu gebende Darstellung ruht.
172 Spanien
Tarragona liegt auf einer beträchtlichen Erhebung an der Ost-
küste der Halbinsel, etwa in der Mitte zwischen dem Gebirgsvor-
sprung der Pyrenäen, welcher die Grenze gegen Frankreich bildet,
und der Ebromündung, zwischen zwei kleinen Küstenflüssen, deren
alte Namen Subi und Tulcis uns erhalten sind. Welcher von beiden
dem heutigen Francoli entspricht, dem etwas bedeutenderen Flüss-
chen an der südlichen Seite der Stadt, lässt sich nicht erweisen.
Man könnte den Subi desshalb für den bedeutenderen zu halten ge-
neigt sein, weil es in der Nähe von Tarraco einen Ort Subur gab,
dessen Name von gleichem Stamm zu sein scheint wie der des
Flusses. Dafs der Tulcis des Mela für einen anderen Fluss zu hal-
ten, scheint mir die grofse und unmöglich zufällige Verschiedenheit
der Namensform zu fordern. Der kleine Küstenfluss Gaya, welcher
etwas nördlich von Tarragona bei Altafulla mündet, könnte damit
gemeint sein.
Kommt man von Norden her, so führt die Strafse langsam zur
Höhe hinauf und man gewinnt kaum einen Anblick des hohen Pro-
fils, in welchem die felsige Burg terrassenförmig von der Unterstadt
ansteigt. Dazu wird der Fels der oberen Stadt seit Jahrzehnten ab-
gebaut, um die Steine für die Hafenmolen zu liefern. Von Süden,
von der Ebene von Reus aus und den rebenbestandenen Höhen west-
lich davon gesehn thront Tarragona weithinragend als Schluss eines
langgestreckten Bergrückens, der von Westen nach Osten streicht.
Tarragona liegt also, wie viele der ältesten Niederlassungen im Inne-
ren des Landes, auf schwer erreichbarer Felsenhöhe, die gleichsam
nur zufällig so weit bis an das Meer vorgeschoben erscheint. Schon
diese seine Lage — sie erinnert an die sicilischen Städte wie Ter-
mini, Girgenti und Syrakus — zeigt, dafs es nicht vom Meere aus
gegründet worden ist.
Die Dafs schon phönikische Ansiedler sich dort niedergelassen ha-
ben, wie an so vielen Punkten der Kästen von Spanien und auf den
gegenüber liegenden balearischen Inseln, ist nicht zu erweisen. Es
wäre ja denkbar, dafs am Fufs des Felsens, auf dem Tarragona liegt,
eine phönikische Niederlassung gegründet worden sei. In dem Na-
men Tarraco finden die neueren Orientalisten keine Nöthigung zur
Annahme phönikischen Usprungs. Münzen mit punischer Schrift, wie
von den Balearen und den punischen Städten der Südküste Abdera
Sexi Malaca Gades, giebt es von Tarraco nicht; worin freilich kein
Gründung
Tarragona 173
entscheidendes Moment liegt. Denn dafs jene anderen Städte phö-
nikische Münzen aufzuweisen haben beweist nur, dafs noch in der
verhältnissmäfsig späten Zeit, in welcher sie als selbständige, vom
Mutterlande getrennte Gemeinden eigene Münzen schlugen, ihre phö-
nikische Nationalität sich erhalten hatte, während diese in vielen
anderen unzweifelhaft ursprünglich ebenfalls phönikischen Ansiedlun-
gen nicht zu jener Dauerhaftigkeit gelangt, sondern durch spätere
Bewohner anderer Nationalität, Iberer Griechen Römer, verändert
worden ist. Aber ein Umstand spricht ziemlich entscheidend gegen
die Annahme einer phönikischen Niederlassung: das erste, wonach
die phönikischen Seefahrer sich überall umsahen, ein guter Hafen,
fehlt Tarraco so gut wie dem nahen Barcino; während Mago, die
phönikische Niederlassung auf der kleineren der balearischen Inseln
und das punische Neukarthago unvergleichliche natürliche Häfen ha-
ben. Strabo nennt die Stadt Tarraco ausdrücklich und mit vollem
Recht hafenlofs. Dafs die römischen Truppen demioch zuweilen hier
ausgeschifft wurden oder auch die römischen Schiffe hier überwin-
terten und demzufolge bei Livius einmal von dem Hafen von Tarraco
gesprochen wird, beweisst nichts gegen die Thatsache, dafs Tarraco
noch heute trotz gewaltiger Molenbauten eine der schlechtesten
Rheden an der spanischen Ostküste hat. So löst sich der Wider-
spruch zwischen Eratosthenes und Artemidor, dessen Strabo gedenkt:
Eratosthenes wusste von einer Rhede bei Tarraco, Artemidor be-
merkte mit Recht, Tarraco sei nicht einmal mit gutem Ankergrunde
ausgestattet. Strabo fügt hinzu, erst jenseit Tarraco gegen MassaJia
hin sei die Küste an Landungsplätzen reicher. Der Antheil an der
Fahrt der „tyrischen'' Jungfrau, dessen sich Tarraco rühmte, beruht
daher gewiss auf späten griechischen Erfindungen; wir kommen nach-
her auf die Sage zurück. Phönikier also waren nicht die Gründer
von Tarraco. Von einer griechischen Niederlassung in Tarraco, wie
wir sie an dieser Küste in Emporiae und Rhode kennen, ist nirgends
die Rede und es giebt keine Münzen der Stadt mit griechischem
Gepräge.
Griechische Gründungssagen sind oder waren in Hispanien fast
so häufig wie in Italien. Aber ihr Ursprung ist leicht kenntlich.
Die gelehrten Griechen, die seit Hekataeos und Pytheas, besonders
dann nach Polybios das Land theilweis kennen lernten, wie Artemidor
von Ephesos, Posidoniös, der Stoiker von Apaniea, und Asklepiades
174 Spanien
von Myrlea, der in Cadiz gelehrt hat, fanden in den iberischen Na-
men überall Anklänge an die griechische Sage und Hessen, da ja an
der Ostkilste unzweifelhaft griechische Niederlassungen seit alter
Zeit bestanden, die troischen Helden noch etwas weiter wie Odysseus
und über Sicilien hinaus verschlagen werden und Städte im Süden
und im fernsten Westen der Halbinsel gründen. Dafs Tarraco, so
viel wir sehen können, selbst von solchen Gräcisierungsversuchen ver-
schont geblieben ist, beweist, dafs nicht der geringste Anhalt für sie
vorhanden war.
Also wird derjenige iberische Volksstaram die erste Ansiedlung
auf dem Felsen von Tarraco gegründet haben, zu welchem die Stadt
von den alten Geographen gerechnet wird, die Kessetaner. Ein Ort
in der Nähe von Tarraco, wohl landeinwärts, wird bei der Schilde-
rung der Feldzüge der Scipionen von Livius Cissis, von Polybios
Kissa genannt. Dies scheint die später untergegangene Hauptstadt
jenes Stammes gewesen zu sein, von der er seinen Namen führte.
Unzählige Münzen mit demselben Gepräge, aber zahlreichen unter-
scheidenden Beizeichen und derselben Aufschrift in iberischer Schrift
werden noch heutigen Tages, wie ich mich selbst überzeugt habe,
fast täglich in Tairagona ausgegraben, und zwar nur in Tarragona
und seinen Umgebungen. Im Jahre 1850 fanden sich deren tau-
send Stück auf einmal. Die Kupfermünzen zeigen in seltener Voll-
ständigkeit sechs verschiedene Nominale und werden durch darauf
angebrachte kleine Kugeln ganz analog wie der römische As und
seine Theile unterschieden. Ausserdem werden sie noch im Gepräge
in sinnreicher Weise so unterschieden: das Silberstück und die gi'öfsten
Kupferstücke zeigen, wie viele andere iberische Münzen, einen galop-
pierenden Reiter, der die Friedenspalme trägt; .auf dem Quinar er-
scheint neben dem Reiter noch ein lediges Pferd; auf dem folgenden
Kupferstück erscheint das Pferd allein, laufend oder schreitend; auf
dem folgenden grast es, auf den kleinsten ist es nur halb vorge-
stellt und endigt in einen Flügel, oder es findet sich statt seiner
der Delphin, auch ein sehr gewöhnliches Zeichen auf den iberischen
Münzen. Die Aufschrift lautet in der volleren und wahrscheinlich
älteren Form, die nur auf einigen Kupferstücken erhalten ist, Tcesse,
in der verkürzten Form mit der auf den iberischen Münzen üblichen
Buchstabenverbindung und der Auslassung des einen Consonanten
hese, oder mit der Unterdrückung des ersten Vocals, die ebenfalls
Tarragona 175
häufig vorkommt, lese] denn es darf als unzweifelhaft angesehn
werden, dafs diese Aufschriften so zu lesen sind. Diese Münzen
der Kessetaner gehören also unzweifelhaft nach Tarraco. Die volle
Aufschrift wird von den Münzkeunem der alten Stadt Kissa, die
verkürzte den Kessetanern in Tarraco zugeschiieben.
Allein die iberischen Bewohner von Tarraco haben noch ganz Die
andere Spuren ihrer Existenz zurückgelassen als jene Münzen. Wie
bei den ältesten Niederlassungen aller alten Kulturvölker ist der am
höchsten gelegene Theil des Stadtgebietes der der ältesten Ansiedlung.
Die Burg von Tarraco erschien noch den römischen Dichtem des
ersten und des vierten Jahrhunderts, Martial undAusonius. als eine
charakteristische Eigenthümlichkeit der Stadt, und nicht ohne Grund.
Denn noch heute umgeben den höchsten Punkt der Stadt auf drei
Seiten gewaltigeMauern von sogenannter kyklopischer Bauart aus we-
nig behauenen und ungleichen Steinblöcken. An einer zuverlässigen
Messung und Abbildung dieses ungemein interessanten Bauwerks
fehlt es durchaus. Die erste Abbildung überhaupt ist meines Wissens
die bei Laborde Band I Tafel 49 (Pons de Icart und Florez geben
keine) und diese giebt nur einen kleinen und keineswegs einen be-
sonders charakteristischen Theil der Mauer in ganz ungenügender,
die eigenthümliche Art des Baues geradezu entstellender Weise wie-
der. Besser gewählt ist die Ansicht bei Albinana auf Tafel 1;
aber ihre Ausführung steht noch weit unter der von Laborde. Eben-
sowenig genügt das Gipsmodell der Mauern von Tarraco, welches
der französische Archäolog Petit-Radel nach ihm zugegangenen Zeich-
nungen anfertigen Hess und in seinem Buch recherches sur les mo-
nunients cyclopeens (Paris 1841, 8.) beschreibt. Die Zeichnungen
sind verschollen; das Modell ist noch auf der Mazarinschen Biblio-
thek in Paris vorhanden. Hernandez hat die Mauern wiederholt,
zuletzt (1867) in den Abhandlungen der Akademie von Barcellona
(Bd. n, 1878) beschrieben, und dabei ein gut erhaltenes Stück von
7,14 m Höhe nach einer Photographie abgebildet. Gute photogra-
phische Aufnahmen einiger Theile der Mauer, die mir vorliegen,
ersetzen nicht eine vollständige Veröffentlichung, die zu den drin-
gendsten Aufgaben der spanischen Alterthumskunde gehört.
Die Mauern sind in der ganzen Ausdehnung der drei nach
Norden, Osten und Süden gerichteten Seiten fast ohne Unterbrechung
in einer Länge von ungefähr 3 km, aber in ungleicher Höhe er-
176 Spanien
halten, am vollständigsten auf der südlichen und westlichen Seite.
Die Höhe dieser Art von Constraction wechselt zwischen ungefähr
3 bis 10 m, die Dicke zwischen 5 und 6 m. Auch nach der west-
lichen Seite des Meeres zu, auf welcher sich die Stadt wahrschein-
lich schon in rönuscher Zeit gegen die Burg hin geöffnet hatte, sind
Fundamente gleicher Construction, auf welchen die modernen Häuser
an der oberen Rambla (der Poststrafse durch die Stadt) ruhen, in
den Kellern derselben zu sehen. Mehr lässt sich mit Sicherheit
über den Umfang der alten Stadtmauer nicht angeben.
An einem Plane der Stadt, auf den ich verweisen könnte, fehlt
es. Der bei Florez gegebene umfasst nur die obere Stadt ohne
den Hafen; der bei Laborde passt auf die jetzt sehr veränderte An-
lage der Hafenstadt gar nicht mehr; der neueste und beste, welchen
Coello auf seiner vorzüglichen Karte der Provinz von Tarragona
(Madrid 1858), einer Abtheilung seines grofen Atlas de Espana,
giebt, ist etwas zu klein, um die Lage der Denkmäler darauf an-
schaulich machen zu können.
Die gewaltigen Werkstücke von unregelmäfsiger, aber überall
länglicher Form (die gröfsten sind ungefähr 12 bis 14 Fufs
lang, bis gegen 8 Fufs breit und bis 5 Fufs hoch) sind nicht, wie
bei manchen ähnlichen Mauerbauten in Griechenland und Italien
(z. B. bei den Mauern von Cortona, an welche die von Tairaco in
manchen Stücken erinnern), künstlich in einander gefügt, sondern in
horizontalen Schichten trocken übereinander gelegt und die Lücken
mit kleineren Steinen von unregelmäfsiger Fonn ausgefüllt. Serral-
lach giebt die Höhe dieser Construction auf bis zu 7,14 m an. An
der Aussenseite liegen die polygonen, aber annähernd oblongen Blöcke
von gleicher Höhe scharf aufeinander, sodafs meist nur geringe Füll-
stücke nöthig sind. Auf der Innenseite dagegen liegen die rohen
Blöcke ohne Verbindung nebeneinander und halten nur im allgemei-
nen die gleiche Fläche mit den horizontalen Schichten ein. Die
Steine sind zum Theil stark corrodiert und überhaupt meist von we-
nig guter Qualität; man erklärt sich das daraus, dafs sie wahr-
scheinlich in nächster Nähe aus dem Burgfelsen selbst gebrochen
wurden. Ihre gewaltige Gröfse macht ohnehin das Heraufschaffen
von weither unwahrscheinlich. In ungleichen Zwischenräumen, je
nach der Bodenbeschaffenheit, springen aus der Mauer viereckige
Thtlrme vor, deren im ganzen Umkreis der Mauer noch sieben sieb
Tarragona 177
erkennen lassen; ursprünglich waren es wahrscheinlich mehr. Neben
einigen dieser Thürme befinden sich in der Mauer kleine, später mit
Mauerwerk ausgefüllte Thore. Diese Thore sind scharf rechtwinklich
ausgeschnitten. Es sind deren in dem ganzen Mauerzug noch sechs
erhalten. Eines der besterhaltenen ist die sogenannte Portella, auf
der Nordseite nahe der Esplanade; es ist auf den Abbildungen bei
Labor de und Albiiiana zu sehen. Der obere Balken wird durch
einen einzigen quer über die beiden Pfosten gelegten Stein von ge-
waltiger Länge und Dicke gebildet. Die Pfosten bestehen nicht aus
besonderen aufrechtstehenden Blöcken, sondern werden durch die
auch im übrigen angewendete Mauerconstruction gebildet, meist von
je drei gewaltigen Blöcken auf jeder Seite; bei der Puerta del Ro-
sario sind es jedoch elf und zwölf. Um das Thor fortificatorisch
zu schützen steht der Eingang durchgehends nicht rechtwinklich zur
Mauer, sondern in einem- ziemlich spitzen Winkel; die Abbildungen
lassen von diesem bemerken swerthen Umstand nichts erkennen. Aber
Petit-Radel giebt wenigstens die ihm mitgetheilten Maafse dieses
kleinen Thores an: es ist 1,60 m breit und 3,30 m hoch; der obere
Balken wird gebildet durch einen Stein von 3,60 m Dicke, 2,30 m
Breite und 1,10 m Höhe. Auch von dem gröfsten Stein in dem
Thurm seines Modells giebt er die Maafse: er ist 4,20 m lang und
2,60 m hoch. Die Puerta del Rosario misst nach Hernandez nur
2,45 m Höhe und 1,45 m Breite im Lichten; die Dicke der Mauer
beträgt daselbst 6,11 m. Die Decke bilden vier gewaltige Felsblöcke.
Eine sichere Zeitbestimmung für die Entstehung dieser ältesten
Mauern von Tarraco giebt es nicht. Aber alles spricht dafür, dafs
sie noch in die vorrömische Zeit zu setzen sind. Die römischen
Eroberer legten um die Mitte des sechsten Jahrhunderts der Stadt
ihre Befestigungen gewiss schon mit gröfserer Sparsamkeit in den
Mitteln und einer höheren technischen Vollendung an. Republikani-
sche Mauerbauten sind freilich nicht in grofser Anzahl erhalten und
es fragt sich, ob derartige Bauten der Hauptstadt, wie etwa die
Serviusmauer, oder italischer dem griechischen Einfluss nahe stehen-
der Orte ohne weiteres zur Vergleichung herangezogen werden dürfen.
In Murviedro, dem alten Saguntum, habe ich ein prachtvolles Stück
einer alten Mauer in der Unterstadt abgezeichnet, welches eine von
der von TaiTaco ganz abweichende Bauart zeigt. Die Werkstücke,
sämmtlich von fast gleicher Höhe, etwa 3 Fufs, aber ungleicher Länge,
Hübner, Westeuropa. 12
178 Spanien
einzelne 6 bis 7 Fufs lang, sind an den Kanten sorgfältig behauen,
liegen in regelmäfsigen horizontalen Schichten übereinander und sind
mit hakenartig einspringenden Ansätzen fest untereinander verknüpft,
ganz so wie bei manchen italischen Mauerbauten der republikanischen
Zeit. Dieses Stück der Mauern von Sagunt kann nur gehören ent-
weder zu den Befestigungen, welche nach Livius, vielleicht unter der
Leitung griechischer oder römischer Baumeister, im Jahr 535 der Stadt
219 vor Chr. gegen die hannibalische Belagerung aufgeführt wurden,
oder zu dem Wiederaufbau der Stadt durch die Römer in den Jahren
540/214 und 549/205. Das letä:tere halte ich für wahrscheinlicher.
In beiden Fällen lehrt es, wie man in den hispanischen Städten
um die Mitte des sechsten Jahrhunderts Mauern baute. Die Mauern
von Tarraco zeigen eine sicherlich um mindestens ein Jahrhundert,
vielleicht um mehrere, ältere Bauart. Ich habe in Spanien nichts
ähnliches von Mauerbauten gesehen; aber» nach den Beschreibungen
und photographischen Abbildungen, welche Gongora in seinem Werke
über die vorhistorischen Alterthümer Andalusiens (Madrid 1868) giebt,
scheinen in Ibros und Giri-Baile, zwei kleinen Orten im Gebiet der
Oretaner am südlichen Abhang der Sierra Morena, deren alte Namen
nicht bekannt sind, Mauerreste von ähnlicher Art und gleichem Alter
wie die von Tarraco erhalten zu sein. Man darf darin also wohl
die ursprüngliche Befestigungsweise der iberischen Städte erkennen.
Ob die ältesten Befestigungen von Tarraco errichtet worden sind zum
Schutz gegen stammverwandte Nachbaren, oder etwa gegen die An-
griffe punischer Seefahrer, oder gegen die von Norden eindringenden
Keltenstämme, welche mit Erfolg von der Besetzung der Ostküste
ferngehalten worden sind, lässt sich natürlich nur vermuthen. Das
erste ist das weitaus Wahrscheinlichste. Die Behauptung der Lo-
kalantiquare, dafs die Befestigungen desshalb von einem fremden von
der See her gekommenen Stamm herrühren müssten, weil sie auch
gegen die Landseite gerichtet sind, ist ganz, unhaltbar. Was wäre
das überhaupt für eine Festung, die nach einer Seite hin geöffnet
ist? Der an drei Seiten von jenen ältesten Mauern umschlossene
Thcil der heutigen Stadt ist die alte Oberstadt, das iberische Oppidum,
welches die Römer vorfanden. Die römische Stadt erstreckte sich
unzweifelhaft bis an den Hafen hinunter. Auf der nach der neuer-
dings erfolgten Schleifung der Festungswerke nach der Seite des
Meeres hin freigelegten Fläche, deren Fclsengrund als Steinbruch
Tarragona 179
für den Hafenmolo dient, kommen fortwährend römische Bauten zu
Tage. Ebenso sind in den Kellern von manchen Häusern der ganz
modernen Hafenstadt (der Hafen war früher durch Gärten und Wein-
berge von der Stadt vollständig getrennt) Reste von unzweifelhaft
römischer Construction erhalten. Ob aber die jetzt zum allergröfsten
Theil verschwundenen Mauetreste in der Ebene, besonders auf der
südlichen Seite der Stadt bei der ebenfalls nicht mehr vorhandenen
Kirche von San Frutos bis zum Flusse Francoll, zu jener ältesten
Ummauerung gehörten, wie Pons de Icart und nach ihm die Späteren
annahmen, ist zweifelhaft. Die Beschreibmig, welche er davon giebt,
nöthigt keineswegs zu dieser an sich unwahrscheinlichen Annahme.
Aber nicht alle Theile des Mauerbaus in der Oberstadt sind
aus so grofsen Werkstücken aufgeführt. Man unterscheidet deutlich
an manchen Stellen über den unteren Schichten jener gröfsten Blöcke
eine Schicht von etwas kleineren, auf der Aussenseite regelmäfsigen,
innen unregelmäfsigen Werkstücken, welche sich wiederum sehr deut-
lich von den darauf ruhenden ganz regelmäfsig behauenen Stücken
unterscheiden, auf welche wir nachher zu sprechen kommen. Auf
diesen Werkstücken der zweiten, offenbar ein wenig jüngeren Schicht,
an der Südwestseite der Stadt und auf der inneren Seite der Mauer,
finden sich mitten auf den Steinen grofse einzelne Buchstaben des
aus den Münzen bekannten iberischen Alphabetes eingehauen. Hier-
von ist in den früheren Beschreibungen nirgends die Rede. Ich no-
tierte sechs verschiedene Buchstaben, welche in mehr oder minder
zahlreichen Wiederholungen vorkommen. Am häufigsten findet sich
IS| , unzweifelhaft das iberische i; fast ebenso häufig M> seltener liJ,
K, A, H, U» über deren Werth sich noch nichts bestimmtes angeben
lässt. Diese Buchstaben stehen ganz unregelmäfsig, bald nach rechts
bald nach links gekehrt, bald in der angegebenen gewöhnlichen Weise,
bald auf dem Kopf. Man sieht deutlich, dafs sie auf die einzelnen
Werkstücke eingehauen worden sind ehe diese ihren Platz in der
Mauer erhalten hatten. Offenbar sind es Bezeichnungen der Werk-
stücke zu irgend welchem technischen Zweck, wohl schon in den
Steinbrüchen gemacht; vielleicht Zahlen, vielleicht Anfangsbuchstaben
von Namen. Eine bestimmte Erklärung dieser einzelnen Zeichen
wird man, auch wenn sie einem bekannten Alphabet angehörten, nicht
beanspruchen. Uns genügt die Thatsache, dafs es iberische Schiift-
zeichen sind, denen wir an dieser Stelle begegnen. Voreilig aber
12*
180 Spanien
wäre es aus dem Vorhandensein dieser Schriftzeichen zu schliefsen,
dafs auch dieser offenbar jüngere Theil des Mauerbaus noch in vor-
römische Zeit gehöre. Nach Otto Richters Untersuchungen über die iu
Rom an den Mauern des Servius Tullius sowie in anderen antiken Städten
vorkommenden Steinmetzzeichen (in dem 45. Winckelmannsprogramm
der Berliner archäologischen Gesellschaft von 1885) gehören diese
sämmtlich einer Zeit an, in welcher man die Quadern bereits vorher in
den Steinbrüchen oder Werkstätten für den Bau herrichtete. Sie sind
Versatzmarken und finden sich daher nicht in der Front, sondern an
den inneren Seiten der Mauern. Dasselbe gilt von denen von Tarraco.
Dafs iberische Sprache und Schrift neben der römischen noch
geraume Zeit fortbestanden hat, beweisen aufser den zweisprachigen
Münzen anderer Städte im diess- und jenseitigen Hispanien für
Tarraco speziell mehrere daselbst gefundene iberische Inschriften.
Bis auf die Zeit des Augustus etwa wurde in Tarraco neben dem
Latein noch iberisch gesprochen und geschrieben; ähnlich ist es ja
mit den italischen Dialekten, ähnlich auch mit dem Keltischen ge-
gangen Daher wird man die Mauerschicht mit den iberischen Buch-
staben sehr wohl in die römische Zeit setzen dürfen. Für die Ver-
vollständigung und Erweiterung der ältesten Mauern können sich die
römischen Feldherrn ja leicht einheimischer Arbeiter bedient haben.
In den Steinbrüchen in den Umgebungen der Stadt sind von diesen
Arbeitern die iberischen Versatzmarken in die Quadern gemeisselt
worden. Von dem Bau dieser römischen Mauer giebt Hernandez
(im Anhang zu dem oben erwähnten Vortrag von Serrallach) eine
lehrreiche Beschreibung auf Grund zufälliger Beobachtungen, die er
bei einem Abbruch anstellen konnte. Das auf dem alten iberischen
Unterbau ruhende Stück Mauer in der Nähe der Portella besteht da-
nach aus zwei je 0,80 m dicken Wänden. Die äussere Seite zeigt
äusserst sorgfältig behauene Quadern mit Stofsfugen, die in regel-
mäfsigen horizontalen Schichten ohne jeden Mörtelverband liegen.
Die Quadern sind durchschnittlich 0,57 m hoch. Die innere dagegen
ist weniger sorgfältig errichtet; sie besteht aus ungleichen, kaum be-
hauenen Steinen, die nicht genau über einander geschichtet sind.
Zwischen beiden ist der hohle Raum von 3,60 m Breite mit einer
festgestampften Schicht von Erde und Gusswerk aus handgrofsen
Steinen und Steinsplittern gefüllt. Die ganze Dicke der Mauer be-
trägt daher zwischen 5,20 und 6,11 m. Dazu aber sind Querwände
l^arrägöna Isi
oder Strebepfeiler zwischen den beiden Mauern zur Stütze angebracht,
welche Abtheilungen von 6,27 m Länge und 5,20 m Breite (das ist
die Dicke der ganzen Mauer) bilden. Von der Richtigkeit der Be-
schreibung in Betreff der äusseren und inneren Mauerwand habe ich
mich überzeugt; die Strebepfeiler im Inneren waren nicht mehr sicht-
bar. An einem der vorspringenden Thürme, dem Thurm von San
Magin, sind die die Ecken bildenden Steine noch auf eine eigen-
thümliche Art verziert worden. Es treten nämlich aus diesen Steinen
menschliche Köpfe, je einer an zwei Ecken, an der dritten vorn zwei
nebeneinander, aus der Fläche hervor, nicht später eingesetzt, son-
dern von Anfang an aus dem ganzen Block herausgearbeitet. Die
Arbeit scheint roh zu sein; die Köpfe sind so hoch angebracht und
ausserdem durch das Wetter so angegriffen , • dafs man nicht einmal
erkennt, ob Männer oder Weiber damit gemeint sind. Diese Ver-
zierungen scheinen in dieselbe Zeit zu gehören, wie die Stücke mit
den iberischen Buchstaben. An manchen primitiven Mauerbauten
haben sich Vorstellungen in Relief, Böses abwehrende Zeichen (wie
Phallen) gefunden; ähnliche Köpfe sind mir auf alten Mauerbauten,
soweit man sie in Edward Dodwells bekanntem Werke übersieht,
nicht bekannt. Dagegen bietet ein ganz analoges Beispiel der so-
genannte Isiskopf in dem Tuffstein der Stadtmauer von Pompeji,
neben welchem eine okische Inschrift eingemauert ist.
Die ganze Art der Construction, die iberischen Buchstaben und
jene eigenthümlichen Sculpturen, alles zusammen macht einen weit
roheren und alterthümlicheren Eindruck als die oben beschriebene
Mauer von Sagunt. Wenn diese etwa nach der Mitte des sechsten
Jahrhunderts gebaut worden ist, so möchte ich den besprochenen
Theil derer von Tarraco noch um wenigstens einige Decennien früher
ansetzen. In die spätere Zeit der Republik darf man die Stücke
mit den iberischen Buchstaben auch aus dem folgenden Grunde nicht
setzen. Zum grofsen Theil direct auf dem ältesten, sogenannten
kyklopischen Mauerbau (so z. B. in den bei Laborde und Albinana
abgebildeten Stücken), da wo er vorhanden auf dem jüngeren, ist
nämlich noch eine dritte antike Construction aufgeführt, welche an
Ort und Stelle überall ziemlich leicht unterschieden werden kann.
Sie besteht aus mäfsig grofsen, in gleichmäfsigen horizontalen
Schichten übereinander gelegten Steinen, welche an den Kanten sorg-
fältig behauen, in der Mitte aber unbehauen gelassen sind: die be-
1 82 Spanien
kannte von den Italienern aUa rustwa genannte Bauart, wie man sie
an den sorgfältigsten Bauten aus der späteren Republik und der
früheren Kaiserzeit (bis etwa auf Nero herab) gewohnt ist. An vielen
Stellen der Burgmauer erreichte diese Construction die beträchtliche
Höhe von ungefähr 30 Fufs; an den Thürmen ist sie noch höher
hinauf erhalten. Aber von den Zinnen, welche aller Wahrscheinlichkeit
nach diesen Mauerbau krönten (denn wir kennen die Zinnen als eine
charakteristische Eigenthtlmlickeit des römischen Festungsbaues in
einer Reihe von Beispielen aus der besten Zeit), habe ich nirgends
noch Spuren bemerkt. Die Zinnen an dem Modell von Petit-Radel
sind also auf dieses Gelehrten Phantasie zu schieben; die bei Laborde
und Albiuana abgebildeten und theilweis noch vorhandenen Zinnen sind
mittelalterlichen Ursprungs. Auch von den beiden erkerartigen Vor-
bauten an dem Thurm in Petit-Radels Modell habe ich nichts gesehn.
Vielmehr ist im Mittelalter und in neuester Zeit auf den antiken Bau
auch in Tarragona, wie so häufig an anderen Orten, noch eine vierte
und oft eine fünfte Schicht von Mauer- und Thurmbauten aufgesetzt
worden; Kirchen und Häuser lehnen sich wo es geht an diese sichere
Stütze an. Nur der zufällige Umstand, dafs die ganze Burgmauer
von Tarragona den modernen, im spanischen Erbfolgekrieg angelegten
Befestigungswerken als innerster Kern dient, hat sie überhaupt vor
dem Untergang bewahrt. Sonst würde sie gewiss längst, wie die
meisten antiken Bauten in Spanien, als Steinbnich benutzt worden
und spurlos verschwunden sein. Drei der Zeit nach verschiedene
Schichten des Mauerbaues haben alle Beobachter unterschieden; nur
in der Zeitbestimmung der einzelnen gehen die Meinungen begreiflicher
Weise auseinander. Uebrigens ist es keineswegs geboten, alles was
von jener dritten und jüngsten Schicht des alten Mauerbaus erhalten
ist in eine und dieselbe Zeit zu setzen. Vielmehr haben gewiss ver-
schiedene Generationen an diesen Befestigungen fortgebaut. Dafs sie
noch in der im ganzen friedlichen Kaiserzeit Gegenstand besonderer
Sorgfalt von Seiten der städtischen Behörden waren und gewiss je
nach Bedürfniss erneut oder ergänzt wurden, zeigt das Amt eines
praef(ectus) murorum col{oniae) Tarr(aconensis) ex d(ecurionum)
d(ecretoX welches Gaius Galpuniius Flaccus bekleidete nach einer wohl
an das Ende des ersten oder schon in das zweite Jahrhundert zu
setzenden Inschrift.
Römische Versuchen wir es auch hier die geschichtlichen Folgerungen zu
Tarragonä 183
ziehen, welche sich aus den mitgetheilten Beobachtungen ergeben.
Es liegt auf der Hand, dass die römischen Feldherrn bei ihrem Vor-
dringen gegen die Ebrolinie einen so wichtigen Punkt wie das feste
Tarraco nicht unbeachtet lassen durften, Ein blofser Thurm auf dem
hohen Ufer, wie es deren viele in Hispanien, besonders an der Küste
gab, als Warten und Schutz gegen Seeräuber, wie Livius sagt, kann
es nicht gewesen sein. Sondern der Ort muss damals schon befestigt
gewesen sein: sonst würden ihn die römischen Feldherm bei seiner
schlechten Rhede gewiss nicht zum Landungsplatz der Truppen ge-
wählt und sich mit dem weit besseren Hafen des freilich beträchtlich
nördlicher gelegenen Emporiae oder eines der anderen Landungs-
plätze an diesem Küstenstrich begnügt haben, von denen Strabo spricht
(oben S. 173). Als Ausgangspunkt für das weitere Vordringen in
die Halbinsel konnte nicht ein beliebiger ungedeckter Platz an der
Küste, sondern nur eine Festung dienen; dann durfte man über die
Unbequemlichkeit einer schlechten Rhede hinwegsehn und sie mit der
Zeit künstlich zu überwinden suchen. Aus den sehr kurzen Berichten
über die Feldzüge der beiden Brüder Gnaeus und Publius Scipio,
welche uns Livius und Polybios geben, beide aus einer gemeinsamen
annalistischen Quelle schöpfend, geht hervor, dafs Tarraco einer der
ersten festen Plätze war, welchen Gnaeus von Emporiae aus, wo er
im Jahr 534 (220 v. Chr.) gelandet war, in seine Gewalt brachte,
wahrscheinlich in Folge des in unmittelbarer Nähe gewonnenen Sieges
über den Hanno bei dem oben erwähnten Hauptort der Kessetaner
Kissis oder Kissa. Auf den raschen Angriff des Hasdrubal, der von
Neukarthago her über den Ebro bis nahe an Tarraco vordrang, zog
sich zwar Gnaeus selbst mit dem Kern des Heeres und der Flotte
nach Emporiae zurück, liefs aber in Tarraco, das also schon in
seiner Gewalt gewesen sein muss, eine mäfsige Besatzung zurück
und nahm von den zunächst wohnenden iberischen Völkern, wie den
Ilergeten, Geiseln mit. Kaum ist Scipio fort, so erscheint Hasdrubal
von neuem und verwüstet mit Hülfe der treulosen Ilergeten das Ge-
biet der den Römern treu gebliebenen Stämme, wahrscheinlich
darunter gerade das der Kessetaner, welche die Besatzung von
Tarraco in der Hand hielt. So sieht sich Gnaeus genöthigt gegen
die feindlichen Stämme, die Ilergeten, die Ausetaner und Laeetaner,
mit der gesammten Macht vorzurücken. Die geographischen An-
schauungen sind hier vielleicht wieder, wie gewöhnlich in den
184 Spanien
liviaDischen Berichten, verkehrt; zuerst giiff er wahrscheinlich die
Ausetaner an, um Vieh und Gerona, und dann die ihnen zu Hülfe
eilenden Laeetaner an der Küste bis gegen Barcellona, endlich die
Ilergeten, den mächtigsten jener Stämme, dessen Sitze sich, wie
schon die Namensgleichheit erweist, bis Ilerda erstreckten. Dieses
scheint die natürliche Beihenfolge der Ereignisse zu sein. Ist des
Livius Bericht genau, so muss man annehmen, dafs der Consul
zuerst gegen die Ilergeten zog, als den wichtigsten unter den treu-
losen Stämmen, ohne sich um die übrigen aufrührischen Völker in
seinem Rücken zu kümmern. Beide Auffassungen haben ihre Be-
rechtigung, Die Stadt der Ilergeten Atanagrum, welche Livius hier
nennt, ist sonsther nicht bekannt; wahrscheinlich wurde sie damals
von Grund aus zerstört. Die nicht genannte Stadt der Ausetaner,
welche im Census des Agrippa als latinische Bürger aufgeführt waren,
findet sich zwar noch auf Inschriften von Tarraco erwähnt und wird
bei Ptolemaeos unter dem Namen Ausa aufgeführt, scheint sich aber
von jenem ersten Schlage, der sie traf, nie recht erholt zu haben.
Es sind nur ein paar ganz unbedeutende Inschriften daselbst gefunden
worden und sie sank wahrscheinlich früh zum vicus herab; als
solchen erweist sie ihr mittelalterlicher Name Vieh d'Osona. Auch
Gerona, das alte Gerunda, der andere gröfsere Ort der Ausetaner,
hat zwar fortbestanden, aber in römischer Zeit keine so grofse Be-
deutung erlangt, wie Tarraco und Barcino. Die günstige Lage der
schönen Stadt, der hohe Burgfelsen, die weite Ebene, die sie beherrscht,
sicherten ihr ein gewisses Ansehen. Inschriften sind nur, wenige
dort gefunden worden. Nach diesem Feldzuge, den Polybios ganz
übergeht, lässt Livius das Heer in die Winterquartiere nach Tarraco
zurückkehren, während Polybios den Hasdrubal nur einmal den Ebro
überschreiten und den Gnaeus gleich in Tarraco Winterquartiere
beziehen lässt. Man sieht übrigens aus diesem einen Beispiel, wie
Viel noch zu thun bleibt für eine genaue, auf Ortskenntniss und
sorgfältige Interpretation gegründete Behandlung der römischen Feld-
züge in Spanien.
Die mäfsige erste Besatzung der Burg erhielt wohl damals
schon den Auftrag vom Feldherrn, den Ort für die Zukunft zu
einem grofsen Waffenplatz einzurichten. Vielleicht gehören die Neu-
bauten der Burgmauer, jene Schicht mit den iberischen Buchstaben,
schon in diese erste Zeit. Die Ein- und Umwohner mussten helfen-
Tarragona 185
die iberischen Buchstaben, die rohen omamentalen Verzierungen er-
lilären sich daraus leicht. Aber vollendet wurde das Werk von den
Römern selbst mit gröfserer technischer Vollkommenheit, die Burg-
mauer, so wie sie vorliegt, vielleicht erst in weit späterer Zeit. Da-
gegen eins war schon damals unumgänglich nothwendig: die Rhede,
fast eine halbe Stunde Weges von der Burg entfernt, musste auf
sichere Weise mit der Burg in Verbindung gebracht werden, sonst
konnte die Burg nicht den wichtigen Verkehr mit der Flotte declcen.
Die Fundamente der Umfassungsmauer der unteren Stadt, welche
Pons de Icart sah (oben S. 179), sowie die Wölbungen in den
Kellern der Häuser am Hafen können daher ebenfalls schon in jene
Zeit gesetzt werden; auch hier wird freilich die spätere Zeit noch
vieles hinzugefügt haben.
Schon im nächsten Jahr, 535 der Stadt 219 vor Chr., erscheint
Tarraco als Stützpunkt aller Feldzüge gegen den Ebro und über den
Ebro hinaus nach Sagunt und Neukarthago. Gnaeus Scipio bricht
von Tarraco aus gegen den Hasdrubal auf. Die Flotte des Pu-
blius wird von den römischen Bürgern und den Bundesgenossen
von hier aus mit grofser Freude begrüfst. Hier wird der Hafen von
Tarraco bei Livius ausdrücklich genannt: dem oben (S. 173) ange-
führten bestimmten Zeugniss des Strabo gegenüber offenbar ein un-
genauer Ausdruck, welchen der in diesen technischen Dingen überall
sorgfältigere Polybios vermieden hat, obgleich er die Ereignisse im
ganzen kürzer erzählt als Livius. Acht Jahre später, im Jahr 543
d. St. 211 vor Chr., fährt Claudius Nero mit seinen Truppen direct
von Puteoli nach Tarraco. Der junge Publius Scipio aber, der
spätere Africanus, welcher nach Livius in demselben Jahre das Ober-
commando übernalfm, landete seine Truppen in Emporiae, dem heutigen
Ampurias, und marschierte von dort erst nach Tarraco, welches von
da an sein Hauptwaffenplatz ist. Von dort aus organisierte er die
einheimischen Hülfstruppen; Tarraco blieb wahrscheinlich das Haupt-
quartier seines CoUegen Marcus Silanus, während er selbst den
kühnen Feldzug gegen Neukarthago ausführte. Dorthin kehrte er auch
von Neukarthago wieder zurück und entsendete von dort aus den
Gaius Laelius mit der Siegesbotschaft von der Einnahme der hispani-
schen Hauptstadt nach Rom; während dies nach einem anderen Be-
richt bei Livius und wie an sich wahrscheinlicher ist vielmehr
von Neukarthago aus geschah. Von Tarraco aus endlich unter-
186 Spanien
nimmt er die Expeditionen der folgenden Jahre. Als Scipio im
Jahre 548 d. St. 206 vor Clir. den Besuch beim Syphax in Afrika macht,
lässt er den Marcus Silanus wiederum in Tarraco zurück, aber den
Lucius Marcius, einen seiner Unterbefehlshaber, in Neukarthago; nach
Neukarthago kehrt er zurück und feiert dort die Leichenspiele für
seinen Vater und Oheim. In Neukarthago erkrankte er und
von dort aus dämpfte er die Meuterei der Truppen ebenso wie den
in seinem Rücken ausgebrochenen Aufstand der Ilergeten. Schon
damals also war der Schwerpunkt der Feldzüge und der Sitz der
obersten Leitung von Tarraco nach Neukarthago verlegt. Die hier voll-
ständig zusammengestellten Nachrichten sind für das bisher noch nicht
gehörig bestimmte Verhältniss zwischen den beiden Städten Tarraco
und Neukarthago von entscheidender Wichtigkeit. Man betrachtet
nämlich Tarraco, das hispanische Neurom, im Gegensatz zu dem
hispanischen Neukarthago, soviel ich sehe, fast allgemein als die
älteste Hauptstadt der ganzen neuen Provinz. Zu dieser Annahme
verleitete hauptsächlich die bekannte Thatsache, dafs später die ganze
diesseitige Provinz von Tarraco ihren Namen führte; ferner die miss-
verstandene Angabe des Plinius, welcher Tarraco ein Werk der Sci-
pionen nennt, wie Karthago ein Werk der Punier sei, nebst des
Solinus wohl allein hieraus geschöpfter Bemerkung, dafs desswegen
Tarraco die Hauptstadt der Provinz sei, und die daran sich knüpfen-
den Bestimmungen der Zeit, in welcher Tarraco Colonie wurde,
^coion^e^ Bestimmte Zeugnisse über diesen Zeitpunkt liegen nicht vor.
Auf der unter Augustus in Rom aufgestellten Weltkarte des Agrippa,
welcher Strabo wie Plinius folgen, muss Tarraco schon als Colonie
bezeichnet gewesen sein. Bei Plinius wird es an der schon ange-
führten Stelle ausdrücklich so genannt, und nur ifait Tarraco gelangt
man zu der von ihm angegebenen Gesammtzahl von zwölf Colonien
der Provinz. Bei Strabo findet sich zwar die Bezeichnung als römi-
sche Colonie, die er z. B. von Corduba und Hispalis gebraucht, nicht
ausdrücklich hinzugefügt, aber er ist überhaupt in dem Hinzufügen
oder Weglassen der Rechtsstellung der römischen Städte, die er an-
führt, so wenig consequent, dafs aus seinem Stillschweigen durchaus
kein Schluss gemacht werden darf. Die lateinischen Münzen von
Tarraco, die wir kennen, sind zum gröfseren Theil erst nach Augustus
Tod geschlagen. Auf ihnen erscheint die Bezeichnung C • V • T und
zwar diese allein auf den noch bei Augustus Lebzeiten geschlagenen,
Tarragona 187
auf denen die Caesaren Gaius und Lucius und Tiberius als Caesar
erscheinen, oder C«V«T«T; diese auf den nach Augustus Tode
geschlagenen neben der anderen einfacheren. Antonius Augustinus
erklärte diese Abkürzungen für colonia victrix Tarraco und colonia
victrix togata Tarraco, Aber Togaträger werden, wie wir erst
später gelernt haben, in technischem Sinne genannt die in Tracht
und anderen Aeufserlichkeiten , aber nicht im Rechte den Römern
gleichstehenden Nichtrömer, z. B. die latinischen Bürger im Gegen-
satz zu den römischen. Nun aber findet sich eine merkwürdige
Nachricht über Tarracos Ursprung in der Schrift des Dichters und
Rhetors Annius Florus, der unter Hadrian lebte, über die Frage, ob
Virgil für einen Redner oder Dichter zu halten sei. Nur die Ein-
leitung zu dieser Schrift hat sich zufällig erhalten. Dafs die
Scene des darin geschilderten Gespräches keine andere Stadt war als
Tarraco, ist unzweifelhaft; die Zeit des Gesprächs ergiebt sich aus
der Erwähnung von Trajans dakischem Triumph im Jahr 101. Er
nennt die Stadt eine unter den vornehmsten Anspielen gegründete;
das kann in dieser Zeit und in dem Munde eines solchen Schrift-
stellers nur von einer kaiserlichen Gründung verstanden werden. Hier-
mit hätten wir also zunächst wenigstens ein indirectes Zeugniss dafür,
dafs Tarraco vor Caesar noch nicht Colonie war. Gewiss wird damit
auch auf ihren Namen lulia angespielt. Femer sagt er von der
Stadt, sie trage des Kaisers Fahnen. Das heifst wohl nur, sie be-
herbergt kaiserliche Truppen; wenigstens scheint mir keine Nöthi-
gung darin zu liegen, diess für ein directes Zeugniss für die aller-
dings, wie wir sehen werden, höchst wahrscheinliche Thatsache an-
zusehn, dafs Caesar der Gründer der Colonie sei. Das Wort Caesar
in dem allgemeinen Sinn von Kaiser wird in demselben Fragment
noch zweimal gebraucht. Dazu kommt, dafs was bei den Veteranen-
colonien nicht fehlt, die Feldzeichen und die Legionsnamen auf den
Münzen, auf . denen von Tarraco, wie wir auch sehen werden, sich
nicht findet. Welche Legion oder welche Theile einer Legion damals
in Tarraco standen wird nachher zu erörtern sein. Dann heifst es,
sie habe von den Triumphen (des Caesars nämlich) ihren Namen
empfangen. Diese Worte können zwar allenfalls für erklärt gelten mit
dem Namen victrix, über den wir gleich zu reden haben werden, aber
nahe liegt in dem T des Stadtnamens eine bestimmte Beziehung auf
die Triumphe zu erkennen. Danach scheint mir das T mit trium-
188 Spanien
phalis aufgelöst werden zu müssen. Wir kennen von Isturgi in Baetica den
Beinamen municipitim triumphale als einen wahrscheinlich auch von Cae-
sar ertheilten Ehrennamen einer Stadt. Die colonia trzumphalis und das
municipium triumphale nehen einander 'erregen keinen Anstofs;
ebenso kennen wir nebeneinander Norba, die colonia Caesarina, und
Asido. das municipium Caesarinum. Lange nachdem dieses ge-
schrieben hat sich in Tarragona das Fragment einer Inschrift ge-
funden, auf welchem das Wort triumphalis, und zwar höchst wahr-
scheinlich als Beiname der Stadt ausgeschrieben erscheint.
Die Auflösung von V durch victrix beruht nur auf einer Yer-
muthung, welche sich auf die Beispiele von Celsa und Osca stützt.
Beide Städte nämlich ftüiren auf ihren Münzen den Namen victrix.
Auf mehreren in Tarragona und inBarcellona gefundenen Inschriften
wird Tarraco auch colonia Julia genannt. Nun führen diesen Namen
zwar gleichmäfsig die Colonien des Caesar, die von den Triumvirn nach
Caesars Bestimmung gegründeten und die des Augustus, bevor er
diesen Namen angenommen hatte. Aber da andererseits feststeht,
dafs Augustus in den Provinzen nur Veteranencolonien gegründet
hat, zu denen Tarraco nicht gehörte, wie sich sogleich ergeben wird,
nicht aber Bürgercolonien , so dürfen wir mit voller Bestimmt-
heit in dem Namen lulia eine Bestätigung finden für die Worte des
Florus von der vornehmen Gründung; sie war eben durch Caesar
selbst erfolgt.
Danach hiefs also Tarraco mit vollem amtlichem Namen colonia
Julia victrix triumphalis, die juli^che, sieghafte, triumphesfrohe. Es
fragt sich aber, zu welcher Art von Colonien Tarraco gehörte. Da
Zeugnisse wiederum nicht vorliegen, so können nur die Münzen und
die Inschriften Aufschluss geben. Auf den Münzen von Tarraco
finden sich weder Feldzeichen und Legionsnamen, wie auf denen von
Corduba Acci und Ilici, noch auch der Pflüger mit den Stieren, wie
ausser den Feldzeichen und Legionsnamen auf denen von Augusta
Emerita und Caesaraugusta; sondern sie zeigen nur den Altar und
Tempel des Augustus, die kleineren noch bei Augustus Lebzeiten ge-
schlagenen Stücke einen Stier, der als ein bekanntes Symbol des
Ackerbaues den Schluss auf Ackerassignationen an Bürger mindestens
sehr nahe legt. Florez meinte Tarraco könne schon in der Zeit vor
Caesar Colonie geworden sein. Allein wir kennen die sämmtlichen
dreizehn Colonien in der diesseitigen Provinz, welche das amtliche
Tarragona 189
Städteverzeichniss der augustischen Zeit aufzählte. Darunter ist nur
eine vorcaesarische, Yalentia; caesarische gab es in derselben Provinz
noch drei: Neukarthago, Celsa und Acci. Zu bemerken ist schliess-
lich noch, dafs Tarraco weder auf Münzen noch auf Inschriften je-
mals den Namen Augusta gefuhrt hat, wie z. B. Hici, eine augustische
Veteranencolonie. Wenn also auch Augustus in Tarraco Land assig-
nierte, worauf der Stier der Münzen und, wie wir sehen werden,
die Tribus Galeria zu beziehen sind, so deutet doch das Fehlen des
Namens Augusta an, dafs nicht er der Gründer der Colonie war.
Also auch die Münzen lehren, dafs Tarraco nicht zu den von
Augustus deducierten Veteranencolonien gehört hat, der Name lulia
also nicht auf ihn zu beziehen ist, sondern auf Caesar. Denn in
nachaugustische Zeit wird man schon desshalb nicht hinabgehen
dürfen, weil Colonien der folgenden Julier, des Tiberius und des
Gaius Caesar, kaum nachzuweisen sind.
Die Inschriften lehren ebenfalls, dafs Tarraco keine Veteranen-
colonie gewesen ist. Die bei weitem gröfste Anzahl der in Tarraco
gefundenen Soldateninschriften gehört Soldaten der YII gemina an,
welche bekanntlich von Galba errichtet worden ist und seit Vespasian
in der Halbinsel stand. Diese kommt also hier gar nicht in Betracht.
Von den sechs Legionen, die, wie wir wissen, seit Caesar und Augustus
in Hispanien gestanden haben, der / und //, die wir aus den Münzen
von Acci kennen, der IV Macedontca, der V alaudae, der VI victrix
und der X gemina, findet sich in Tarraco keine Spur. Auch die
übrigen caesarischen und augustischen Legionen, z. B. die des benach-
barten Gallien, kommen niemals vor. Alles das kann unmöglich dem
blofsen Zufall zugeschrieben werden. Allein damit ist keineswegs
die von Florez aufgestellte Vermuthung, dafs Tarraco eine alte
Bürgercolonie gewesen sei und nur den Namen lulia von Caesar
empfangen habe, als einzige Alternative offen gelassen. Sondern
Tarraco wird zu den ziemlich zahlreichen Gemeinden in Hispanien
gehören, denen Caesar dafür, dafs sie in den beiden Feldzügen gegen
den Pompeius und seine Söhne zu ihm gehalten hatten, unter anderen
Vergünstigungen verstattete Rang und Namen einer römischen Colonie
zu führen; d. h. er gab ihnen das römische Bürgerrecht, wofern sie
es nicht schon hatten, und den Titel von Colonien römischer Bürger.
Ebenso hat er es mit einer Reihe von anderen hispanischen Städten
gemacht.
190 Spanien
Es giebt noch ein anderes Mittel aus den Inschriften zu einer
Anschauung von der Rechtsstellung der Gemeinde von Tairaco zu
gelangen. Das ist die Feststellung der Tribus, zu der ihre Bürger
gehörten. Die gröfste Anzahl der Inschriften erweist die Galeria als
Haupttribus von Tarraco; von anderen Tribus kommen nur verein-
zelte Beispiele vor. Ihr Vorkommen kann auf verschiedene Weise
erldärt werden; in manchen Fällen ist hier wie anderswo eine Er-
klärung für das Nebeneinander verschiedener Tribus bei den Be-
wohnern eines Ortes überhaupt nicht zu finden. Möglich dafs von
Alters her römische Plebejer, aus der Stadt selbst wie aus italischen
Municipien, im Hafen von Tarraco sich gewerbetreibend und handelnd
niedergelassen haben. Missbräuchlich konnten sich Einwohner, die
nicht das Gemeindebürgerrecht hatten, aber seit Generationen ansässig
waren, als Tarraconeuser bezeichnen. Wahrscheinlich ist erst durch
Augustus eine allgemeine Bürgerrechtsertheilung und die Zutheilung
der Bürgerschaft zur Tribus Galeria erfolgt. Da Caesar nach meiner
Annahme nicht förmliches Colonialrecht, sondern nur den Ehrentitel
Colonie ertheilte, so könnten möglicher Weise die alten in Tarraco
ansässigen römischen Bürger als colani angesehen worden sein, ohne
dafs man aus ihnen ein besonderes Gemeinwesen constituierte den
von August bei der Assignatiou in die Galeria Eingeschriebenen
gegenüber. Denn von einem solchen anderswo nicht selten bezeugten
doppelten Gemeinwesen giebt es in Tarraco keine Spuren.
Danach wäre Tarraco vielleicht als ein altes Kastell römischer
Bürger anzusehn, und zwar als eine wirkliche Festung mit stehender
Besatzung, ähnlich wie es in der jenseitigen Provinz Italica gewesen
zu sein scheint. So fände der Ausdruck des Plinius, dafs Tarraco
ein Werk der Scipionen sei, eine in jeder Beziehung befriedigende
Erklärung. Italica war in demselben Sinn ein Werk des Scipio Afri-
canus. Allein es ist nicht wahrscheinlich, dafs die Stadtgeraeinde von
Tarraco damals oder später zu einem förmlichen Bündniss mit Rom zu-
gelassen worden ist, wie die griechischen und phönikischen Küstenstädte
Emporiae Malaca Gades. Die Annahme eines solchen stützt sich
aber nur auf eine Anrede des Quintus Fabius Maximus an den Scipio
bei Livius, in der er von Scipio rühmt, er habe die Truppen zu
Freunden und Bundesgenossen des römischen Volkes nach Tarraco
geführt. Gemeint sind damit die Ausetaner, Ilergeten und andere
Stämme, denen Rom das später oft gebrochene Bündniss wohl be-
Tarragona 191
willigen musste. Tarraco aber wird wohl nur zu den römischen
Besatzungen zu zählen sein, welche Fabius in den gleich darauf
folgenden Worten erwähnt. Die Absicht der Rede ist den hispanischen
Feldzug als weit leichter wie den bevorstehenden afrikanischen zu
erweisen.
Das Kastell oder die Besatzung wird, schon seit der Verbindung
der Burg mit der Rhede, nach und nach eine Stadtgemeinde ge-
worden sein. Dafs bei Gelegenheit der Feldzüge des Cato, des
älteren Tiberius Gracchus, im Krieg gegen den Viriatus, bei Scipio's
Feldzug gegen Numantia, und in den zahlreichen kleineren und
gröfseren Kriegen, welche zu den jährlich wiederkehrenden Aufgaben
der römischen Statthalter gehörten, in unseren freilich ungemein
dürftigen Berichten Tarraco so selten genannt wird, hat seinen Grund
offenbar zum Theil darin , * dafs sein Besitz trotz des wiederholten
Abfalls der umwohnenden Stämme niemals wieder zweifelhaft wurde.
Cato z. B. landet wiederum wie Scipio mit seinen Truppen in
Emporiae und marschiert erst, da die Stämme zwischen Emporiae und
Tarraco und östlich von beiden wieder rebelliert hatten, nach Tarraco,
das also wieder der sichere Stützpunkt dieser Feldzüge ist. Dess-
wegen bestellt sich Tiberius Gracchus das Heer seines Vorgängers
Quintus Fulvius Flaccus nach Tarraco, um daselbst die Veteranen zu
entlassen, die Ersatzmannschaften zu vertheilen und das ganze Heer
zu ordnen. Auf dem Marsch nach Tarraco hat das Heer des Flaccus
noch mit den Keltiberem in einem nicht bezeichneten Gebirge einen
heftigen Strauss zu bestehen, der nur durch die Tapferkeit der
römischen Legionsreiterei gewonnen wird; gelangt dann aber glücklich
nach Tarraco und daselbst werden die Veteranen entlassen. Auch
im sertorianischen Krieg scheint Tarraco treu geblieben zu sein.
Wenn Strabo unter den Städten, in denen sich Sertorius bis zuletzt
noch gehalten habe, neben Ilerda, Osca und Calagurris auch Tarraco
nennt, so beweisst das noch nicht, dafs Sertorius dauernd Herr von
Tarraco war. Wenn Sertorius wirklich in Tarraco sich festsetzen
konnte, wie in dem Hafen von Dianium — dafs er die Absicht
dazu gehabt, sieht ihm ganz ähnlich — , so sind die letzten Feld-
züge des Pompeius gegen ihn nicht zu verstehen. Im ersten hispanischen
Feldzug des Caesar schloss sich Tarraco mit vier anderen Stämmen
und Städten, Osca, lacca, den Ausctanern und Dergavonen, erst daini
dem Caesar an, als sich seine äusserst bedenkliche Lage etwas ge-
192 Spanien
bessert hatte. Wenn Caesar dabei von fünf grofsen Gemeinden
spricht, so kommt auf Tarraco gewiss nur der geringere Antheil an
der Gröfse. Die Legaten des Pompeius Afranius und Petreius konnten
dennoch den Bückzug auf Tarraco wenigstens ins Auge fassen. In
Tarraco erwarten dann den Caesar nach der Beendigung des Feld-
zuges in den beiden Provinzen die Abgesandten beinahe der ganzen
diesseitigen Provinz. Er segelt von Gades direct nach Tarraco, weil
Massalia noch nicht gefallen war; also auch wegen seiner militärischen
Wichtigkeit, nicht etwa, weil es die Hauptstadt der Provinz schon
damals war. Sehr möglich, dafs Tarraco selbst unter den Gemeinden
sich befand, welchen damals in Tarraco von Caesar nach seinem
eigenen Zeugniss private und öffentliche Ehrenbezeugungen zu Theil
wurden; dafs also daher sein Colonietitel und die Beinamen victrix
Itdia, vielleicht auch triumphalis stammen, also aus dem Jahr 708.
Damals schrieb Caesar auch wohl jenen Brief von TaiTaco aus an
den Deiotarus, dessen Cicero in der im folgenden Jahr für den
galatischen Tetrarchen gehaltenen Bede gedenkt.
Neu- Aber die Hauptstadt der Provinz war Tarraco auch damals nicht,
karthago
sondern das war Neukarthago. Dies ist ein für die Geschichte der
Stadt wichtiger Umstand, der bisher nicht gehörig hervorgehoben
worden ist. Von den alten Geographen sagt keiner es ausdrücklich,
aber um so deutlicher sprechen die bezeugten Thatsachen und die
Denkmäler. Castulo, das heutige Cazlona in dem Bergwerksbezirk
von Linares, am oberen Lauf des Baetis, ist von Neukarthago und
der Küste getrennt durch das noch heute theilweis bewaldete Ge-
birgsland der Sierra von Segura. An sich schon musste die reiche
Stadt mit der Burg der Barkiden und dem unvergleichlichen Hafen,
deren Lage Polybios als Augenzeuge genau und lebendig beschreibt,
und der nahen Hauptquelle ihres Reichthums, den Silbergruben, weit
mehr zur Hauptstadt der ganzen diesseitigen Provinz sich eignen als
das zwar stark befestigte aber hafenlose und weniger volkreiche
Tarraco. Auch die Lage Neukarthago' s innerhalb der diesseitigen
Provinz war weit günstiger für den Verkehr mit der jenseitigen als
die Tarraco' s. Dazu kam, dafs Neukarthago wie Gades einer der
natürlichen Verbindungspunkte mit Afrika war. Von hier ging Scipio
zum Syphax (oben S. 186), von hier schiffte sich Sertorius nach
Afrika ein. Niemals aber ist Neukarthago Hauptstadt der jenseitigen
Provinz gewesen, der späteren Baetica, wie neuerdings zuweilen an-
Tarragona 193
genommeil worden ist. Im Gegentheil, so früh wie von einer jen-
seitigen Provinz die Rede ist — und es scheint dieser Zeitpunkt von
dem der Einnahme Neukarthago* s durch Scipio Africanus nicht sehr
entfernt gewesen zu sein — , bildet ihre Grenze das Waldgebirge von
Castulo. Dort beginnt die jenseitige Provinz, wie hier nicht näher
ausgeführt werden kann. Dem widerspricht keineswegs, dafs Neu-
karthago die Hauptstadt der ehemals karthagischen Provinz war,
welche die später römische jenseitige mit umfasste; denn von Rom
oder Massalia aus sah man diese Länder natürlich anders an, als
von Afrika aus. Mehr als die gelegentlichen Erwähnungen der Stadt
während Caesars erstem und zweitem spanischen Feldzug beweist,
dafs Neukarthago die Hauptstadt war, das oben (S. 185) über Scipio's
Feldzüge bemerkte und ferner die Stellung, welche es im Census und
in der Welttafel des Agrippa einnimmt. Nicht nur ist in der Auf-
zählung der sieben Gerichtsbezirke der diesseitigen Provinz bei Plinius
der von Neukarthago der erste, was nicht auf geographischer noch
auf alphabetischer Anordnung beruht, also wohl zurückgeht auf die
schriftlichen Ausführungen, welche der Welttafel beigegeben waren;
sondern auch die Zahl der zu seinem Bezirk gehörigen Städte und
Stämme übertrifft die aller übrigen Bezirke. Denn nach Neukarthago
gehören 65 Gemeinden und aufserdem die drei balearischen Inseln;
nach Caesaraugusta 55, nach Tarraco 43, nach Clunia 39 und nach
den drei kleinen westlichen Bezirken von Asturica Lucus und Bracara
je 22, 16 und 24. Also Tarraco steht der Zahl der Gemeinden
nach erst an dritter Stelle; an Gröfse und Wichtigkeit aber über-
trafen die zu ihm gehörenden Gemeinden die des Bezirks von Caesar-
augusta, daher dieser bei Plinius zu dritt steht; ebenso die übrigen
nach der Rangfolge. Auch an Bedeutung übertreffen die nach Neu-
karthago gehörigen Gemeinden bei weitem die des Bezh-ks von Tarraco,
wie ich hier nicht näher ausführen will. Daher denn des Strabo
bestimmtes Zeugniss, dafs Neukarthago bei weitem die mächtigste der
Städte in jener Gegend sei und der gröfste Handelsplatz für den
Verkehr des Binnenlandes mit der Küste sowie der überseeischen
Plätze mit dieser, gewiss für die Zeit vor Caesar ganz wörtlich zu
nehmen ist; wogegen der späteren Geographen Mela und Ptolemaeos
Geringschätzung gegen die Stadt ebenfalls gute Gründe hat. Denn
in der nachaugustischen Zeit ist Neukarthago offenbar mehi* und mehr
gesunken ; der Grund davon wird wohl hauptsächlich in der früh ein-
Mübner, Westeuropa. 13
194 Spanien
tretenden Erschöpfung seiner Silbergruben zu suchen sein. Zu den
ausdrticklichen Zeugnissen dafür, dafs in römischer Zeit das Silber
hauptsächlich aus einer Reihe von anderen Bergwerken in Hispanien
gewonnen wurde, nicht aus den karthagischen, kommt die gewiss nicht
zufällige Thatsache, dafs wir aus der letzten Zeit der Republik nur
Bleibarren aus den karthagischen Bergwerken kennen; dazu noch eine
Anzahl aus anderen Bergwerken. Diese Bergwerke gehörten nicht, wie
in der Kaiserzeit üblich war, dem Staate, sondern Privaten. Die gröfsere
Kostbarkeit des Silbers allein erklärt nicht genügend die Erhaltung
solcher Barren in ziemlich beträchtlicher Anzahl. Es sind etwa
dreifsig von den Barren eines Bergwerks, des der Roscier, auf einmal
gefunden worden. Dafs Neukarthago' s Glanzepoche unter der römischen
Herrschaft in die Zeit der Republik fällt, zeigen die daselbst ge-
fundenen Inschriften auf das deutlichste. Neukarthago ist der einzige
Ort in ganz Spanien, an welchem Inschriften republikanischer Zeit
überhaupt in einiger Anzahl vorkommen. Auch wenigstens ein Paar In-
schriften von höheren Magistraten der augustischen Zeit sind darunter.
Auch die viel zahlreicheren römischen Erzmünzen, welche in Neukar-
thago seit Augustus geschlagen worden sind, mit einer ziemlichen
Anzahl von Magistratsnamen, gegenüber den weit geringeren Varietäten
der gleichzeitigen von Tarraco, müssen hier angeführt werden.
Den Titel Colonie und die Beinamen victrix Julia erhielt Neukarthago
übrigens wahrscheinlich zugleich mit Tarraco von Caesar. In Tarraco
fehlen zwar Inschriften der voraugustischen und frühaugustischen Zeit
nicht ganz; aber sie sind weit seltener. Deutlich aber spricht die
Masse der einfachen Grabschriften von Neukarthago, welche ganz
durchgehend das Gepräge wenn nicht republikanischer, so. doch der
allerersten Kaiserzeit trägt, in den Formeln der Sprache wie in den
Schriftformen. Die überall sonst, und z. B. auch in Tarraco, häufigen
Grabsteine aus dem zweiten und dritten Jahrhundert fehlen dagegen
in Neukarthago fast ganz. Die ganze Masse endlich der in Tarraco
gefundenen Inschriften überhaupt übertrifft die von Neukarthago
in einem solchen Grade an Zahl und Bedeutung, dafs schon diefs
allein den späteren Vorrang von Tarraco aufser allen Zweifel stellt.
In Tarraco sind etwa 450 lateinische Inschriften gefunden worden,
in Neukarthago etwa 120.
Das Verhältniss zwischen den beiden Städten Neukarthago und
Tarraco scheint nach alle dem bisher Gesagten ganz analog dem-
Tarrageua 195
jenigen gewesen zu sein, welches in der Kaiserzeit auch in den beiden
übrigen Provinzen der Halbinsel zwischen je zwei der bedeutendsten
Städte sich findet. Corduba (Cordoba) war unzweifelhaft die alte
Hauptstadt der jenseitigen Provinz, wahrscheinlich seit ihrer Ein-
richtung; aber die stärkste Besatzung hatte Italica und war mithin
auch oft der Sitz der ersten Beamten. Ebenso war in Lusitanien
Augusta Emerita (Merida) seit seiner Gründung durch Augusts Le-
gaten Publius Carisius amtlich und militärisch die Hauptstadt von
Lusitanien; aber der Stadthalter wohnte oft in dem reichen und an-
muthigen Olisipo (Lissabon). Das gleiche Verhältniss des wechseln-
den Wohnsitzes der obersten Behörden zwischen Neukarthago und
Tarraco bezeugt endlich ausdrücklich noch für seine, also die Zeit
gleich nach Augustus, Strabo in der Hauptstelle über die letztgenannte
Stadt, auf welche sich diese Darlegung schon öfter beziehen musste
(S. 173 und S. 193). Doch führe ich sie absichtlich erst hier
vollständig an, weil sie jetzt erst zu allseitigem Verständniss gebracht
werden kann. Strabo also sagt: „zwischen den Ebromündungen und
der Höhe der Pyrenäen, auf welcher des Pompeius Siegesdenkmal
steht (das war die Grenze der Provinz und der Hauptpass nach
Gallien) ist Tarraco die vornehmste Stadt. Sie ist zwar hafenlofs,
liegt aber an einer Bucht (ein Blick auf die Karte zeigt das); auch
im übrigen ist sie wohl eingerichtet (das geht hauptsächlich auf die
Befestigungen), und jetzt nicht weniger bevölkert als Karthago (also
war Neukarthago früher weit volkreicher, von jeher war sie ja mili-
tärisch wichtig); denn sie eignet sich für den Aufenthalt der Statt-
halter und als Hauptstadt nicht blofs für die diesseits des Hiberus, son-
dern auch für die weit über ihn hinaus Wohnenden"; d. h. der Bezirk von
Tarraco erstreckte sich über den Ebro hinaus, wie denn z. B. Sagunt
und Valentia zu ihm gehörten. Damit zu verbinden ist die Nach-
richt einer anderen, für die Provinzialverwaltung von Hispanien be-
sonders lehrreichen Stelle des Strabo: „der Statthalter der tarraco-
nensischen Provinz selbst überwintert in den Küstengegenden und be-
sonders in Neukarthago und in Tarraco, wo er Kecht spricht". Aus
beiden Stellen geht deutlich der ursprüngliche Vorrang von Neu-
karthago hervor und zugleich ist darin angedeutet die Veränderung,
welche offenbar in der Zeit des Augustus sich vollzog. Diese spricht
Mela, der unter Claudius schrieb, deutlich aus, wenn er Tarraco die
reichste unter den Seestädten an jenen Küsten nennt, während er
13*
196 Spanien
Neukarthago' s, das der panische Feldherr Hasdrubal gegründet habe,
neben Sagunt Valentia Ilici kaum erwähnt.
'^nf'eUes ^^^ ^^^ natürlichen Verhältnissen hervorgegangene Verschiebung
AugustuB ^eg Uebergewichts zu Gunsten von Tarraco erfuhr eine nachhaltige
Unterstützung durch des Augustus längeren Aufenthalt in der Stadt.
Auf dem Feldzug gegen die Asturer und Cantabrer, welchen Augustus
zuerst in eigener Person leitete, erkrankte er im Jahr 728 (26 vor
Chr.) in Tarraco, so dafs er die Führung des Krieges seinen beiden
Legaten Publius Carisius und Gaius Antistius Vetus überlassen musste;
zu Ende führte die schwierige Expedition erst mehrere Jahre später
im Jahr 735 (19 vor Chr.) Agrippa. lieber ein Jahr musste August
in Tarraco bleiben: es wird ausdrücklich berichtet, dafs er sein
achtes und neuntes Consulat, in den Jahren 728 und 729 (26 und
25 vor Chr.), in Tarraco angetreten habe. Erst zu Anfang des
Jahres 730 (24 vor Chr.) kehrte er nach Rom zurück. Von diesem
langen Aufenthalt des August in ihrer Stadt leiteten wohl die Tarra-
conenser ihren Anspruch darauf her, ihm noch bei seinen Lebzeiten
einen Altar errichten zu dürfen, auf welchem ihm als Gott geopfert
wurde, aber auch hier wohl nur wie sonst überall in Verbindung
mit der Göttin Roma. Ob sie diefs zu allererst im ganzen römischen
Reiche oder nach dem Vorgang anderer Städte in anderen Provinzen
thaten, welche schon dem Caesar und anderen römischen Statthaltern
ähnliche Ehren erzeigt hatten, lässt sich nicht feststellen. Wir
kennen die Gestalt dieses Altars aus den unter Tiberius geschlagenen
Münzen. Es muss danach ein grofser viereckiger Bau gewesen sein,
mit dem üblichen architektonischen Schmuck von Stierschädeln und
Gewinden von Eichenlaub, ganz ähnlich wie der grofse Altar des
Augustus in Lugudunum. Auf der Vorderseite des Altars erscheinen
ein runder Schild und ein Speer aufgehängt; ob sie es in natura
waren oder auch nur in Reliefdarstellung, wie der übrige Schmuck
des Altars, steht dahin. Sie beziehen sich wohl auf den Feldzug
des Kaisers in Hispanien. Oben auf der Fläche des Altars sind einige
Palrazweige, auf den kleineren Stücken sogar ein förmlicher kleiner Palm-
baum zu sehen. Was es mit diesen für eine Bewandtniss hatte, er-
fahren wir durch eine zufällig darüber erhaltene Anekdote. Quintilian
verzeichnet unter den verschiedenen Arten witziger Antworten auch
die, welche Augustus den Gesandten von Tarraco gab, als sie ihm
meldeten, auf seinem Altar in ihrer Stadt sei eine Palme von freien
T'arragaiiä lÖf
Stücken erwachsen. Statt des Dankes für die darin vermeinte gött-
liche Bezeugung seines Ruhmes sagte er ihnen trocken: man sieht
daraus, wie oft ihr auf dem Altar Brandopfer anzündet. Der Altar
diente also wohl auch dem besonderen Kult der Colonie für den Gott
Augustus, wie er auf den Münzen genannt wird. Nach dem Tode
des Kaisers erst kam dazu auch ein Tempel. Tacitus hat die Nach-
richt darüber bewahrt und bemerkt dabei, dafs damit ein Beispiel
gegeben worden sei für alle Provinzen. Auch der Tempel ist auf
den Münzen abgebildet; er zählte acht gewiss korinthische Säulen
in der Front und stand auf einer hohen Terrasse mit breiter Frei-
treppe. Auf der anderen Seite der Münzen ist Augustus thronend
als Gott vorgestellt, mit Krone und Scepter, auf der ausgestreckten
Rechten trägt er zuweilen eine kleine Yictoria, häufiger nur, wie so
viele Götterbilder, eine Opferschale. So sah also wohl das Tempel-
bild aus. Wahrscheinlich trug der gewaltige Unterbau im höchsten
Theil der Stadt, auf welchem jetzt die in ihren ältesten Theilen nur
bis in das zwölfte Jahrhundert hinaufreichende Kathedrale steht, auch
den Tempel, welcher dem Kult der ganzen Provinz entsprechend
grofs zu denken ist. Die hervorragendsten Örtlichkeiten des heidni-
schen Kultus sind ja überall später vom christlichen in Beschlag ge-
nommen worden. Eine Anzahl von Ehrenbasen der Flamines der
Provinz, von der Provinz ihnen errichtet, ist in unmittelbarer Nähe
der Kathedrale gefunden, andere zu ihren Mauern verwendet worden;
viele stecken gewiss noch unsichtbar darin. Das Plateau von Sub-
structionen, welches Pons de Icart beschreibt, war wohl grofs genug,
um einen solchen Tempel getragen zu haben. Auch die breite Frei-
treppe, die zur Kathedrale hinaufführt, scheint in ihrem Kerne antik
zu sein. Es ist nicht ganz zweifeUofs, ob einige schöne Bruchstücke
eines Frieses von Sandstein, welche im Kreuzgang der Kathedrale
eingemauert sind, in der That zu dem Altar gehört haben, wie
Florez annimmt; sie zeigen Gewinde von Eichenlaub zwischen Stier-
schädeln aufgehängt, dazwischen die Abzeichen der Flamines, Apex
und Weihwedel — der Krug und das Messer fehlen nur durch Zu-
fall. Aber es ist höchst wahrscheinlich, dafs Tempel und Altar an
einer Stelle der Stadt sich befanden. Die Bruchstücke könnten den
Maafsen nach zum Fries des grofsen Tempels selbst gehört haben.
Ein dreifacher Kultus des Augustus und seiner consecrierten ^^^g^f
198 Spanien
Nachfolger lässt sich seitdem in Tarraco aus den zahlreichen und
werthvoUen Inschriften der Stadt erkennen.
Zuerst der Hauptkultus der ganzen provincia Hispania citerior,
welcher hier in weit gröfserer Vollständigkeit hekannt ist, als in
irgend einer anderen römischen Provinzialhauptstadt, und aufserdem
desshalb besondere Aufmerksamkeit verdient, weil von hier aus nach
den Worten des Tacitus das Beispiel für die übrigen Provinzen ge-
geben wurde. Der Tempel und der ihn umgebende Raum war in
gemeinschaftlichem Besitz der Provinz, deren Vertreter, nach den
Gerichtsbezirken und den einzelnen Gemeinden geordnet, zu einer
Rathsversammlung in der Hauptstadt der Provinz zusammentraten,
lieber diese provinzialen Rathsversammlungen, die sich an den Kultus
der Roma und der göttlichen wie der regierenden Kaiser knüpften,
im Osten und Westen des Reiches, besonders auch in Afrika, ihre
Formen und Befugnisse sind wir ziemlich genau unterrichtet. Auch
in den beiden anderen spanischen Provinzen, Baetica und Lusitanien,
in Cordoba und Merida, sind ähnliche Einrichtungen nachweisbar. Hier
soll in der Kürze ein Bild gegeben werden von der besonderen Ge-
stalt, welche der Kaiserkultus in Tarraco hatte. Etwa siebzig In-
schriften geben uns über diesen Kultus sehr eingehende Nachweise.
Auf dem freien Platz vor dem Tempel stand der Altar der Göttin
Roma und des Augustus und daneben, wie es scheint, kleinere Altäre
oder Statuen der Genien der sieben Gerichtsbezirke, in welche die
Provinz getheilt war. Diese Gerichtsbezirke müssen eine Art von
Bedeutung innerhalb der Rathsversammlung der Provinz gehabt haben;
sie werden auf den Inschriften mit einer festen, nur hier vorkommen-
den Abkürzung des Wortes conventus bezeichnet. In ihrer Mitte aber
mag die Statue der Provinz selbst gestanden haben. Den Raum
umgaben weiterhin die Statuen der früheren Provinzialpriester, der
Flamines der diesseitigen Provinz, errichtet nach Ablauf ihres Amts-
jahres entweder von der Rathsversammlung der Provinz selbst oder
von den einzelnen Gemeinden, deren etwa vierzig auf den Inschriften
genannt werden, oder von Privaten unter Beistimmung der Provinz
und auf dem von der Provinz dazu bewilligten Platz. Der jährlich
gewählte Priester, Flamen oder Sacerdos, der Provinz musste vorher
die ordentlichen Gemeindeämter in seiner Heimatgemeinde bekleidet
oder den römischen' Ritterrang erlangt haben oder beides vereinigen.
Sein Amt und dessen Wirkungskreis ist dem der römischen Kaiser-
Tarragona 199
flamines ähnlich; es entspricht nur zum Theil dem der stadtrömischen
Flamines und hat auch manches dort den Pontifices Zustehendes in
sich aufgenommen. Der Flamen der Provinz verwaltete die für den
Kultus im Tempel und am Altar bestimmten Gelder, über deren Auf-
bringung wir nicht unterrichtet sind. Auch ein Archiv, das täbularium
censuale, war damit verbunden. Die Tempel besafsen, me alle Heilig-
thümer, aus Schenkungen und Legaten herrührendes Vermögen. Be-
sonders zur Veranstaltung von Spielen wurden Summen ausgesetzt.
Der Flamen führt die Aufsicht über den Tempel und die in ihm
aufbewahrten Schätze, Statuen des Kaisers u. s. w. Er führt in
der Rathsversammlung den Vorsitz und zu seinen Pflichten gehört
vor allem die jährliche Veranstaltung von Spielen auf seine Kosten.
FiS mögen diess in den östlichen, griechischen Provinzen wohl vor-
herrschend scenische gewesen sein. Im Westen, in Gallien und
Hispanien, heiTSchten durchaus die Gladiatorenspiele. Daneben werden
auch Circusspiele erwähnt, deren grofse Verbreitung bildliche Dar-
stellungen, besonders grofse Mosaikbilder, bezeugen, wie sie sich in
Barcellona und Gerona erhalten haben. Bei der Höhe der Preise,
welche für die berufsmäfsigen Gladiatoren und Circusfahrer sowie ftlr
die übrigen Erfordernisse der Auflführungen , besonders die Thiere,
zu zahlen waren, wurde die Herrichtung der Spiele eine immer
wachsende Last, deren Minderung durch gesetzliche Mittel vom Ende
des zweiten Jahrhunderts an erstrebt wurde. Auch scheint der Flamen
der Provinz die Aufsicht über den Kaiserkultus der ganzen Provinz
geführt zu haben. Neben ihm waltete seine Gattin als Flaminica,
vielleicht auch seine Kinder als Opferdiener oder Camilli; wie bei dem
römischen Juppiter. Doch ist sein Amt nur jährig; aber nach Ablauf
desselben hat er den Titel zuweilen als Ehrentitel ständig beibe-
halten; auch bilden die gewesenen Flamines einen bevorzugten Stand.
Aufser diesem Kultus, den die ganze Provinz in ihrer Haupt-
stadt dem Kaiser widmete, gab es in Tarraco auch noch einen
municipalen Kultus der Göttin Roma und der Kaiser mit eigenen
Flamines und Flaminicae, der sich wohl an denselben Altar und
Tempel knüpfte wie der provinziale. Unter den auf Weihinschriften
genannten Gottheiten kommt wiederholt eine stadtschützende Göttin,
die Tutela von Tarraco, vor. Auch sie scheint Gegenstand des be-
sonderen städtischen Kultus gewesen zu sein. Die Flamines der
Colonie rückten zuweilen zu solchen der Provinz auf. Endlich be-
200 Spanien
stand auch in Tarraco ein Oollegiam von Augustalen für den Eultas
der kaiserlichen Laren. Seine Mitglieder sind auch hier wie anderswo
Leute aus dem Stand der Freigelassenen und bilden die Bevorzugten unter
ihnen. Man hat ihre Stellung in den Provinzialstädten zwischen dem
vornehmsten Stand, den Magistraten und den Mitgliedern der Decurionen-
versanmilung einerseits und der Plebs der Einwohner andererseits,
passend verglichen mit der des römischen Ritterstandes zwischen dem
Senat und den Plebejern in der Hauptstadt und im Staate.
Hauptstadt Tarraco war also einer der Mhesten Sitze des concüiun pro-
vineiae, jener provinzialen Rathsversammlung mit gewählten Vertretern
der Gemeinden, die als der antike Keim repräsentativer Versammlungen
anzusehen ist.
Ftlr den hauptstädtischen Charakter der Stadt spricht die ansehn-
liche Reihe von erhaltenen Postamenten für den Kaisem gesetzte Statuen,
von Augustus an bis auf Leo und Anthemius (468 bis 472 n. Chr.),
und der Inschriften von Provinzialstatthaltern, kaiserlichen Legaten
der Provinz und obersten Richtern, so wie der späteren Praesides,
von verschiedenen Procuratoren und ihren ünterbeamten, dem Personal
der Steuereinnehmer bei den Steuern für Freilassungen und Erb-
schaften; femer besonders noch eine Anzahl von Statuen, welche ver-
dienten Bürgem, die aber nicht Flamines der Provinz waren, von der
Provinz oder von ihren Heimatsgemeinden gesetzt worden sind. Ver-
anlassung dazu boten im Interesse der Stadtgemeinde 'mit Hingabe
und Ausdauer geführte Prozesse*, oder eine unentgeltlich übernommene
Gesandtschaft an den Kaiser Hadrian, oder 'vielfache Zuwendungen an
eine Gemeinde', und ähnliches. Einmal wird ausdrücklich hinzugefügt,
dafs der Platz für die Statue von der Provinz bewilligt worden sei.
Also befanden sich diese Statuen in dem Bezirk des grofsen Tempels.
Die Gemeindeverfassung von Tarraco ist die übliche; Aedilen,
Quaestoren, Duovim und in den Schatzungsjahren Quinquennalen, die
Rathsversammlung der Decurionen und alle anderen Besonderheiten
dieser bekannten Verfassung sind in zahlreichen Beispielen vertreten.
Auch besondere Pontifices der Colonie, verschieden von den Flamines,
fehlen nicht. Doch ist mir kein Beispiel eines Augur bekannt, welche
in Neukarthago vorkommen. Auch das kann wohl darauf bezogen
werden, dafs Tarraco*s Blüthe erst von Augustus an datiert.
DesatzTing ^^^^ Tarraco, obgleich nicht Colonie im alten Sinne, doch von
jeher eine Besatzung hatte und auch seit Caesar und August eine
Tarragona 201
förmliche Festung war kann nicht bezweifelt werden. Was die
Scipionen schon begonnen zu haben scheinen, das vollständige Her-
einziehen der unteren Stadt mit dem Hafen in die Umfassungsmauern,
ist, nach dem Charakter der in diesen Theilen der Stadt gemachten
Ausgrabungen zu schliefsen, in augustischer Zeit vollendet worden.
Aber auch die Burgmauern sind, wie oben bemerkt, den Anforde-
rungen der Zeit entsprechend ergänzt und vollendet worden. Viel-
fache spätere Umbauten und Veränderungen folgten nach. Hernan dez
hat in einem Ausgrabungsbericht aus dem Jahre 1867 (hinter seiner
Abhandlung über die Mauern in den Abhandlungen der Akademie von
Barcellona) an einem Beispiel gezeigt, wie zuweilen im Boden vier verschie-
dene Arten der Bebauung übereinander nachzuweisen sind. Die obersten
Schichten werden in diesem Falle durch zwei mit geringem
Zwichenraum übereinander liegende Mosaikfufsböden gebildet. Die
Mauern standen unter der Aufsicht eines besonderen Offiziers, des
praefectus murorum (oben S. 182). Eine Anzahl der noch erhaltenen,
in ihren Fundamenten und den Hauptumfassungsmauem antiken Ge-
bäude, die in engerem Zusammenhang mit den Thoren, Mauern und
Thürmen der Burg stehen, werden zu den Gebäuden für militärische
Zwecke zu rechnen sein. So der sogenannte Thurm des Pilatus,
ein fester Quaderbau, in welchem die Ueberlieferung durchaus den
Palast erkennen will, in welchem August krank gelegen habe und
von welchem aus er der Annahme der spanischen Kirche zufolge das
Edict zu der Reichsschatzung um die Zeit der Geburt Christi er-
lassen haben soll. An den Namen des Pilatus knüpfen sich auch
in Spanien mancherlei Legenden. So heisst z. B. auch der Palast
der Herzöge von Medinaceli in Sevilla Haus des Pilatus, was mit
einer Pilgerfahrt eines der Vorfahren nach Jerusalem in Verbindung
gebracht wird. Wahrscheinlich schon seit dem Beginn des siebenten
Jahrhunderts war Tarraco mit Emporiae und weiter mit Massalia
durch eine Militärstrafse verbunden. Etwas später, nachdem Pompeius
auf dem Pyrenäenpass im Gebiet der Cerretaner an der Grenze von
Gallien sein schon (S. 195) erwähntes Tropaeum aufgestellt hatte, ward
von da die Strafse nach Herda gebaut. Die Verbindung von Tarraco
mit Herda und Caesaraugusta und weiter mit Pompaelo und den
Vasconen stellte erst Augustus her, veranlasst durch den cantabrischen
Feldzug; ebenso wie er die Strafse von Berda weiter südlich nach
Castulo und Corduba und so bis an den Ocean nach Gades führte
202 Spanien
und nach seinem Namen via Augiista nannte. Durch diese Ver-
bindung mit Gallien einerseits und mit der jenseitigen Provinz anderer-
seits war Tarraco auch strategisch in der Lage, die Hauptstadt der
ganzen diesseitigen Provinz zu werden; wofür Neukarthago zu weit
abseits lag.
üeber die Besatzung selbst geben die Inschriften für die spätere
Zeit, seit dem Ende des ersten Jahrhunderts, ausreichenden Auf-
schluss. Mir scheint aus ihnen hervorzugehn, dafs eine beträchtliche
Abtheilung der YII gemina, jener von Galba in Hispanien selbst
zuerst ausgehobenen Legion, in Tarraco feste Standquartiere hatte.
Nicht blofs die grofse Zahl von Inschriften einzelner Offiziere und
Soldaten dieser Legion, die in Tarraco gefunden worden ist, weist
darauf hin, sondern mehr noch die Verzeichnisse an den von be-
stimmten Chargen einzelnen Statthaltern oder ihren CoUegen gesetzten
Statuen, wie von den cornicularii commentarienses speculatores. Be-
zeichnend ist in den sämmtlichen Militärinschriften der siebenten
Legion in Tarraco das Vorwiegen der zur besonderen Dienstleistung
beim Statthalter befehligten equiies singidares, ft-umentarü, corni-
culaHi und optiones, so wie besonders der heneficiarii Ein besonderer
üebungsplatz für diese Truppen wird in einer dem Mars Campestris
von einem Centurio der siebenten Legion im Jahr 182 gesetzten In-
schrift erwähnt. Dennoch aber hat sich meines Wissens niemals in
Tarraco ein Ziegelstein mit dem Stempel der Legion gefunden.
Eigene Ziegeleien hatte die Legion nur in dem Hauptquartier, das
von ihr bis heute seinen Namen führt, Leon in Altcastilien, und in
Italica. Auch keine Inschrift mit dem Namen eines Legaten der
Legion ist bis jetzt in Tarraco zum Vorschein gekommen. Ich bin
danach geneigt die vexilla Caesaris in der oben (S. 187) behandelten
Florusstelle sehr wörtlich zu verstehen, nämlich von der vexülatio der
siebenten Legion, welche in Tan*aco zur Besatzung gehörte. Denn
dies ist die amtliche Bezeichnung für eine solche Abtheilung eines
Truppentheils. Dafs es für die Zeit vor Galba an Zeugnissen über
die hier stationierten Truppen fehlt, ist auch bereits bemerkt worden
(S. 189), Die Erwähnungen von Offizieren oder Soldaten anderer
Legionen oder Hülfstruppen sind zu vereinzelt, als dafs daraus auf
ihren Aufenthalt geschlossen werden könnte. Man möchte aber hier-
aus wenigstens den Schluss ziehen, dafs die Besatzung in der Zeit
von Caesars Tod bis auf Vespasian oft gewechselt hat; sonst bleibt
, Tarragona 203
das gänzliche Fehlen von Militärinschriften aus dem ersten Jahrhundert
auffällig, da doch z. B. von den Inschriften der Flamines und den
Kaiser- und Legateninschriften ein beträchtlicher Theil noch in das
erste Jahrhundert gehört.
Neben den vexülarü der siebenten Legion aber gehörte noch
eine eigene Provinzial- oder Lokalmiliz zur Besatzung von Tarraco.
Zum Schutz der Küsten sind einige Cohorten junger Mannschaft,
tironeSy ausgehoben worden, deren Praefect in Tarraco stand. Daher
setzt dem einen dieser Praefecten der Conventus von Tarraco eine
Statue, einem anderen ein Bürger von Barcino. Auch in anderen
Provinzen lassen sich solche Truppen verschiedener Art nachweisen.
Aehnlicher Art mögen die beiden cöhm^tes colonicae gewesen sein,
welche Caesar in Corduba verwendete; auch in Castulo scheint es
eine solche gegeben zu haben. Vielleicht kann auch der Tribun
einer cohors maritima in Corduba hierhergezogen werden, Die An-
griffe, gegen welche diese Truppen die Küsten um Tarraco zu schützen
hatten, werden wohl hauptsächlich von nordafrikanischen Piraten aus-
gegangen sein. Dafs von dort her während der Kaiserzeit wieder-
holte kriegerische Einfälle in die hispanischen Provinzen gemacht
worden sind, erweisen die Inschriften vollständiger als einige ver-
einzelte Notizen bei den Schriftstellern.
Unter den Gebäuden von Tarraco scheint der grofse Tempel Gebäude
der Provinz immer das hervorragendste gewesen zu sein. Trotz eines
eigenen curator templi, den wir bestellt finden — er war zugleich
Aufseher der Mauern und Flamen der Provinz — , musste schon Ha-
drian den Tempel wieder herstellen, als er zu Tarraco einen Winter
zubrachte (wahrscheinlich den Winter des Jahres 121 auf 122) und
Abgesandte der ganzen Provinz dort um sich versammelte, um über
die Aushebung und Grenzbestimmungen zu entscheiden. Die im Leben
des Hadrian tiberlieferten Worte (C. 12) sumptu suo aedem Augusti
restituit, klingen wie ein Stück der Dedicationsinschrift des Tempel-
baus. Auch entging Hadrian daselbst einem Attentat auf sein Leben,
dessen Urheber ein Wahnsinniger war. Von dem Kaiser Septimius
Severus wird femer als ein Anzeichen seiner künftigen Erhebung auf
den Kaiserthron berichtet, er habe als Praetor in Tarraco einmal ge-
träumt, er würde den Tempel des Augustus, der schon wankte, wieder
herstellen. Vielleicht in Verbindung mit dem Tempel stand ein
Triumphbogen des Kaisers mit Reliefdarstellungen seines Sieges über
204 Spanien
die Cantabrer. Ein Stück dieser Reliefs hat sich erhalten. Von
den anderen Tempeln war der berühmteste der des Jupiter, der alte
Tempel, wie er im Gegensatz zu dem neuen des Augustus genannt
wird. Aus diesem Tempel weihte die Gemeinde von Tarraco dem
Galba einen goldenen Kranz, den er beim Einschmelzen für nicht
vollwichtig erfand. Auch geschahen in diesem Tempel bei Galba s
Thronbesteigung einige Wunderzeichen. Warum dieser Tempel aus-
drücklich der alte genannt wird, lehrt das Fragment des Florus
(oben S. 173): Zeus sollte auf seinem Ritt mit der Europa unter
anderem auch in Tarraco gelandet sein, daher die vetus religio und
die peregrina nöbüitas der Stadt. Auf den Inschriften kommt Jupiter
mehrere Male vor. Bei dem Abbruch des Geländes zwischen
Ober- und Unterstadt, dem Steinbruch für die Hafeumolen, ist eine
Anlage zum Vorschein gekommen, aber sofort wieder zerstört worden,
die Hernandez als einen deutlich erkennbaren Tempelbezirk bezeichnet.
Inschriften oder bezeichnende Bildwerke fehlten; aber es ist nach
seiner Beschreibung nicht unmöglich, dafs der Bau gottes dienstlichen
Zwecken diente. In einer ganzen Reihe der christlichen Kirchen der
Stadt hat Pons de Icart aus den Ruinen selbst und durch urkund-
liche Nachrichten antike Tempelbauten nachgewiesen. Aufserdem
lehren die Inschriften noch ein templum Minervae Äugustae kennen.
Unter den inschriftlich bezeugten Gottheiten fehlen nicht die früh
in den römischen Kultus eingedrungenen orientalischen, wie die dea
Caekstis; während von iberischen sich nichts gefunden hat.
Vom Circus und Amphitheater sind noch erhebliche Reste übrig.
Der Circus lag auffälliger Weise An der oberen Stadt, quer über die
ganze Breite der Burg beinahe von Mauer zu Mauer reichend, unter-
halb des grofsen Tempels. Florez giebt ihn nach einem freilich nicht
sehr voUkommeuen Plan auf 1500 Fufs Länge zu 300 Fufs Breite
an; Laborde hat keine neue Aufnahme und auch Albinana wie-
derholt nur den Plan von Florez. Seitdem ist keine Aufnahme ge-
macht worden. Die Anlage an dieser Stelle, während man dazu
gewöhnlich den freien Raum ausserhalb der Mauern benutzte, geschah
gewiss mit besonderer Absicht und muss mit grofsen Kosten ver-
bunden gewesen sein. Wenn die pmnpa circensis aus dem grofsen
Tempel in den tiefer liegenden Circus sich herab bewegte, so muss
das einen prachtvollen Anblick gewährt haben. Mehrere Inschriften
von Wagenlenkern bezeugen die Frequenz der Circusspiele von Tarraco.
TarragOBR 205
Das Amphitheater lag unten am Meer, bei der alten Kirche
Nuestra Senora del Milagro; jetzt gehört die Ruine zum Gefäng-
nissgebäude der Sträflinge. Wo das Theater lag, ist nicht bezeugt;
dafs es ein eisernes Theater gab, beweisen die Sitzstufen desselben,
die sich bei einem der Thürme an der südwestlichen Seite der Stadt-
mauer, dem sogenannten Kastell des Patriarchen, gefunden haben.
Dort in der Nähe, am Abhang des Burgfelsens, wird es also zu
suchen sein. Die Vertreter der verschiedenen Gemeinden beim Kult
der Kaiser hatten darin ihre festen Plätze, wie im Amphitheater
von Lugudunum die Vertreter der gallischen Stämme.
Das Forum der Colonie wird in zwei Inschriften erwähnt; wo
es lag, geht zwar aus ihnen nicht hervor; aber es kann nur in der
oberen Stadt, unmittelbar unterhalb des Augustustempels gesucht
werden. Auch an Wasserleitungen fehlte es nicht. Pons beschreibt
ein verzweigtes System antiker Kanäle; ein grofser Aquaeduct, zwei
Reihen schlanker Pfeiler und Bogen übereinander, bekannt unter dem
Namen puente de las Ferreras, ist eine Stunde nördlich von Tarra-
gona an der Strafse nach Valls erhalten. Der sorgfältige Quaderbau
weist in die augustische Zeit, in welche ich auch den berühmteren
und noch weit gewaltigeren römischen Aquaeduct von Segovia setzen
zu müssen glaube. Städtische Thermen werden in den Inschriften
ausdrücklich erwähnt. In den Umgebungen der Stadt sind hier und
da noch die römischen Steinbrüche kenntlich. Jetzt dient der
mittlere Theil der Stadt, die Hochfläche zwischen Hafen und Burg, wie
schon gesagt, als Steinbruch für den Molo; dabei kommen zahlreiche
römische Wohnhäuser und die üblichen kleinen Antiquitäten zu Tage.
Von der Einwohnerschaft der Stadt geben die Inschriften trotz Bewohner
ihrer Zahl doch nur ein unvollkommenes Bild. Die Grabschriften
gehören zum gröfsten Theil dem zweiten und dritten Jahrhundert an;
der republikanischen oder früheren Kaiserzeit angehörige sind, wie
oben bemerkt wurde, selten, wenn sie auch nicht ganz fehlen. Spuren
der iberischen Urbevölkerung finden sich nur in einigen Namen solches
Ursprungs, die sich im ersten Jahrhundert noch erhielten, während
sie nachher gänzlich verschwinden, und in den schon (S. 180) er-
wähnten wenigen iberischen Inschriften. Zwei derselben sind zwei-
sprachig, geben aber dennoch keinen Auf schluss über die iberischen Worte,
die sie enthalten. Auf der einen, einer jetzt verlorenen Grabschrift,
liest mau unter der iberischen Schrift die lateinischen Worte Fulvia
206 Spanien
lintearia. Das zweite Wort ist offenbar appellativisch zu verstehn;
jene Fulna war eine Leinweberin oder Händlerin mit Leinenzeug.
Der Flachs von Tarraco wird von Plinius nach dem von Saetabis,
jetzt J4tiva, südlich von Valencia, ausdrücklich hervorgehoben, lieber
die Schriftformen lässt sich nach den Abbildungen nicht mit Be-
stimmtheit urtheilen; das der Fulvia, gewiss einer Frau niederen oder
mittleren Standes, wohl einer Libertina, fehlende Cognomen weist
mit Sicherheit spätestens auf die frühere augustische Zeit, viel-
leicht noch auf die voraugustische. Auf dem anderen Stein hat sich
vom lateinischen Text nur die bekannte Schlussformel heic est sitfusj
erhalten; darauf folgte der iberische. Auch hier führt der Diphthong
in dem heic zwar nicht mit Nothwendigkeit in die voraugustische,
aber sicher in eine nicht sehr viel spätere als die augustische Zeit.
Zwei Inschriften sind noch vorhanden, die eine, ein iberischer Text von
zwei Zeilen , befindet sich auf einem kleinen Altar, welcher die Formen
keineswegs alter römischer Zeit zeigt. Auch unter den zahlreichen
Töpferstempeln von Tarraco sind einige mit unzweifelhaft iberischer
Schrift, auf Scherben, welche sich von denen mit römischen Töpfer-
stempeln durchaus nicht unterscheiden. Ausser der zur militärischen
und zur Verwaltung gehörigen niederen Beamtenschaft treten in den
Grabschriften Gewerbe und Handwerke nicht besonders hervor; doch
fehlen wenigstens nicht die alten Zünfte der Zimmerleute und Tuch-
macher; auch Aerzte und Kaufleute werden genannt.
Von der Flachsproduction ist soeben gesprochen worden. Das
Leinen von Tarraco scheint danach wie die Wollstoffe von Saetabis
einen Hauptausfuhrgegenstand nach Italien gebildet zu haben. Besonders
grofs muss der Verbrauch an Töpfergeschirr in Tarraco gewesen sein,
nach den Massen von rothen Scherben mit Stempeln römischer Töpfer
zu schliessen, die daselbst zum Vorschein gekommen sind. Ein Theil
dieses Geschirrs scheint in Tarraco selbst fabriciert worden zu sein;
darauf deuten jene erwähnten Stempel mit iberischen Buchstaben.
Viel Geschirr ist aus Italien, z. B. aus Arretium in Eturien, ein-
geführt worden. Wie sich von diesem Geschirr das berühmtere von
Sagunt unterschied, ist unbekannt. In der Technik sind die Scherben
von Tarraco durchaus nicht verschieden von denen, welche man jetzt
noch in Sagunt findet, so sehr sich auch die Lokalantiquare bemühen
einen solchen Unterschied herauszufinden; doch ist es leicht möglich,
dafs ein achtes Specimen von Saguntiner Geschirr bis jetzt überhaupt
Tarragona 207
noch nicht zum Vorschein gekommen oder unter den vorhandenen
Scherben nicht erkannt worden ist.
Den Weinbau von Tarraco, welchen die römischen Eroberer wie
überall so auch hier gewiss früh eingeführt haben, preisen Plinius
und die Dichter. Der Wein von Tarraco wird mit dem von Lauro
— das ist der Vorgänger des heutigen Malaga — und dem von
den balearischen Inseln, der ebenfalls jetzt wieder geschätzt wird,
dem der Umgebungen von Barcellona vorgezogen und fast den besten
campanischen Weinen gleichgestellt. Noch heute geniesst der sehr
kräftige Wein der Ebenen und Höhen von Tarragona und Reus, der
Wein des Priorats, gerechtes Ansehn und wird in Massen ausgeführt,
besonders nach Frankreich zur Herstellung französischer Weine.
Auch an Fremden^fehlt es nicht in den Inschriften von Tarraco.
Ein griechischer Erzieher, . verschiedene Leute aus afrikanischen
Städten, wie Cirta und Leptis, auch aus anderen spanischen Städten
Eingewanderte, so wie ein Mann aus Rom sind ausdrücklich als
Fremde bezeichnet. In den vornehmen Häusern der Stadt muss die
Aufnahme ^on Fremden häufig gewesen sein. In einem derselben
fand sich eine Marmortafel mit folgendem zierlichen Spruch in
Schriftformen etwa hadrianischer Zeit:
si nitidus vivas eccum domus exornatast;
si sordeSy paiior; sed pudet hospitium,
'Wenn du reinlich lebst, siehe, dann ist diefs Haus zu deinem Em-
pfange gerüstet; wo nicht, dulde ich dich, aber dann reut mich die
gastliche Aufnahme'. Es klingt darin der Ueberschwang von Höf-
lichkeit wieder, der noch heute den Spaniern eigen ist und dem
Gastfreund das Haus zur Verfügung stellt. Doch wird die Freund-
lichkeit hier sehr scharf auf den an feine Lebensweise Gewöhnten
beschränkt.
So erwuchs die Stadt, von dem glücklichsten Klima begün-
stigt. Martial rühmt mit treflfendem Wort das sonnige Gestade
von Tarraco; Florus in dem schon erwähnten Fragment meint, in
Tarraco vermischten sich die Jahreszeiten und das ganze Jahr ahme
dem Frühling nach. Von ihrem Reichthum zeugen die Häuser, Villen
und Gräber, besonders ein grofses freistehendes Grabdenkmal wohl
noch aus augustischer oder wenig späterer Zeit, an der Strafse
nach Barcino, das vom Volk der Thurm der Scipionen getauft worden
ist, mit den telamonischen Reliefgestalten zweier gefangener Krieger,
208 Spanien
Ferner ein Ehrenbogen ans trajanischer oder hadrianischer Zeit über
derselben alten Strafse, der nach testamentailscher Bestimmung des Li-
cinins Sura errichtet worden ist, die torre d' JEn Barrd; Sura ist der
anch sonst bekannte Legat und Freund des Trajan. Dazu eine Beibe
von zerstreuten Resten römischer Wohnsitze in der weiteren üm-
gebnng der Stadt. Auch schmückten an Zahl und Werth mcU
unbedeutende Kunstwerke das römische Tarraco, die in dem kleinen
Mnseum im Stadthaus vereint sind.
So ungefähr gestaltet sich unsere Anschauung von Tarraco nach
den Zeugnissen der Schriftsteller, den erhaltenen Denkmälern, den
Münzen und den Inschriften. Allein beleben kann diess Bild nur,
wer die hochgelegene Stadt kennt, mit ihrem unveränderlich herrlichen
Klima, mit ihrem unvergleichlichen Blick übers Meer und zu den
fernen Küsten nach Nord und Süd, mit ihrer lachenden Umgebung
und deren unerschöpflichem Segen besonders an den köstlichsten
Weinen. Handel und Verkehr, die lange völlig stille standen, verdanken
ihnen vor allem fröhlichen Aufschwung. Deutscher Fleifs und deutsche
Einsicht sind dabei nicht unbetheiligt. Und wenn auch das mächtig auf-
strebende nahe Barcellona, das schon im Alterthum in mannigfachen
Beziehungen zu Tarragona stand, als volkreiche Grofsstadt dieses
verdunkelt, so bleibt ihm doch der unentreifsbare Vortheil der weit
bevorzugteren Lage in seiner Höhe und der Ruhm uralter geschicht-
licher Bedeutung.
n.
Die Balearen.
Aus der Deutschen Rundschau Jahrgang XIV 1888 Heft 6 S. 362—377
mit einigen Erweiterungen wiederholt.
Ueber die Balearen ist mancherlei geschrieben worden. Dennoch
gehören sie zu den am wenigsten bekannten Örtlichkeiten des süd-
lichen Europa' s. Es gibt noch keinen Bädeker für Spanien; selbst
in Richard Fords in seiner Art trefflichem englischen Reisehandbuch
fehlen die Balearen, wenigstens in den älteren, unverkürzten Aus-
gaben. Die französischen Reisehandbücher sind sehr unzulänglich.
Seit George Saud Mallorca und seinen Bewohnern ein keineswegs
schmeichelhaftes Erinnerungsdenkmal gesetzt hat, ist ein halbes Jahr-
Die Balearen 209
hundert verflossen. Yieles hat sich seitdem, sehr zum Vortheil, ver-
ändert. Die Insehi sind jetzt leicht zu erreichen und im Frühling
ein entzückender Aufenthalt. Es kann freilich noch lange dauern,
bis man auf ihnen auch nur einen bescheidenen Theil derjenigen
Bequemlichkeiten finden wird, an die der europäische Keisende ge-
wöhnt ist. Nur zu naturwissenschaftlichen Zwecken sind sie genauer
durchforscht worden. Die merkwürdigen Denkmäler der Urbevölkerung,
die besonders zahlreich auf Menorca erhalten sind, haben wiederholt
die Aufmerksamkeit der Gelehrten auf sich gezogen. In dem Urtheil
über ihr Alter und ihre Bedeutung ist jedoch noch keine Ueberein-
stimmung erreicht. Ich habe die Inseln zum Zweck archäologischer
und epigraphischer Untersuchungen zwei Mal besucht, in den Jahren
1860 und 1886, und das Meiste von dem gelesen, was über sie
geschrieben worden ist. Vielleicht dürfen die so gewonnenen Ein-
drücke auch in weiteren Kreisen auf einiges Interesse rechnen.
I. Menorca.
Zur Sommerszeit fährt jeden Mittwoch Nachmittag der gute, in
England gebaute Post- und Personen dampfer, genannt „Der neue
Mahoneser", von Barcellona nach Mahon. Um die Mitte des August
steht dann die Sonne bald so tief, dafs das Meer, wenn ihre Strahlen
es durchleuchten, in reichster Farbenpracht bald purpurn erscheint,
bald grünlich glänzend, im Schatten dunkelblau. Ein leichter Süd-
wind weht von Afrika her, der Libecho, oder libysche Wind, und
macht die Hitze erträglich. Sobald man die Molen der weiten
Hafeneinfahrt hinter sich hat, schiefsen Delphine in hohem Bogen
aus dem Wasser und begleiten das Schiff weithin. Während die
Sonne in Hildebrand' scher Farbengluth hinter goldenen Wolken unter-
geht, ballt sich über der Küste Cataloniens leichtes Gewölk zu-
sammen, von dem sich die scharf beleuchteten Gebirge um so heller
abheben. Es ist ein grofsartiges Küstenbilü. das die catalanischen
Gebirge, von hoher See aus gesehen, darbieten; je weiter man sich
entfernt, desto mächtiger aufsteigend. Prachtvoll erhebt sich rechts
im Norden von Barcellona der gewaltige Mont Seny, links die hohe
Säge des Monserrat, die uns aus Wilhelm von Humboldts
berühmter Schilderung bekannt ist. Nach Süden hin weit gestreckt
eine Gebirgslinie hinter der anderen, zuletzt im goldenen Abendduft
verschwindend. Nach Sonnenuntergang, wenn die letzten Segel ein-
Hübner, Westeuropa. 14
210 Spanien
zelner Fischerboote, denen man allein begegnet, aufser Sicht sind,
streichen etwas höhere Wellen von weitem her und machen das
Schiff ein wenig „tanzen'*, wie es die Spanier nennen. Die Reisen-
den sind meist aus Cuba oder anderen Colonien heimkehrende Familien,
mit Frauen, Kindern und Negerinnen, die der alten Heimat einen
Besuch abstatten. Sie verschwinden bei höherem Seegang in die
Cabinen, obgleich in diesen eine Luft herrscht wie in einer warmen
Badezelle. Bald stört nichts mehr den Genuss der erhabensten
Stille: „der Tag wie herrlich und die Nacht wie grofs". Das
Funkeln der Sterne und der Glanz der Milchstrasse, die sich leuchtend
im Wasser spiegelt, erinnern an die südliche Breite.
Nach einer zwölfstündigen Fahrt legt das Schiff auf der weiten
einsamen Rhede von Alcudia, der Nordwestecke von Mallorca, an,
um die von dort nach Menorca Reisenden und die Post aufzunehmen.
Im Morgensonnenschein zeigen sich ringsum die sonderbar geschwun-
genen kahlen Felsprofile der Küsten von Mallorca. Wenn das Schiff
nach kurzem Aufenhalt die Rhede verlässt, schieben sich die Küsten
in wechselnden Bildern hinter- und nebeneinander und verschwinden
zuletzt. Man fährt in dem wegen seiner kurzen Wellen gefürchteten
Kanal zwischen den beiden Inseln hin. Keine der breiten violett-
blauen Wogen überschlägt sich zwar, aber das Schiff schaukelt doch
merklich, Tische und Stühle umwerfend und das Gehen auf Deck
erschwerend. Bald taucht das flache und scheinbar völlig reizlose
Felsplateau von Menorca aus dem Nebel auf. Nur der stumpfe
Kegel des Monte Toro, ziemlich in der Mitte der langgestreckten
Insel, gibt ihr eine Art von Profil.
Wenn das Schiff, das flache Felsenriff der „Insel der Luft" mit
ihrem Leuchthurm zur Rechten lassend, nahe der steilen Küst« links
wendet und in den berühmten Hafen von Mahon einbiegt, so sieht
man gleich, dafs hier die Natur in fast vollkommener Weise Schutz
gegen Stürme aus allen Himmelsrichtungen geschaffen hat. Denn in
der Bucht weht fast kein Luftzug; erst wer die Leuchtthurminsel
passiert hat, kommt in „die Luft". Geöffnet ist die sechs Kilometer
lange Bucht gegen Südost, die ungefährlichste Windseite in jenen
Gewässern. Nach allen anderen Richtungen hin schützen sie niedrige,
fast ganz kahle Höhenzüge. Einen solchen Hafen haben sich schon
die phönikischen Seefahrer der ältesten Zeit sicher nicht entgehen
lassen. Auf der Südseite zeigen sich bald der neu und regelmäfsig
Die Balearen 211
angelegte Fischerort Villa Carlos und die verfallenen Bastionen des
Forts San Felipe, im Norden die ausgedehnten neuen Befestigungen
der „Mola'' mit ihren Krupp' sehen Geschützen. Mola (castilianisch
Muela, Backzahn) ist ein in jenem Sprachgebiet überall üblicher
Name für die eine Bergkuppe kranzartig krönenden Festungsanlagen;
er passt hier besonders gut. An der Mola vorüber gleitet das Schiff
v^ie auf einem breiten Fluss, der stellenweis an den Khein erinnert;
nur dafs unleidliche weifse Windmühlen den landschaftlichen Eindruck
stören. Endlich, etwa um zwei Uhr, landet es vor der kleinen
Rhede von Mahon, fast im äufsersten südwestlichen Winkel der Bucht.
Mahon macht trotz seines hohen Alterthums — es ist das
phönikische Mago, später ein römisches Kastell — den Eindruck
einer völlig modernen Stadt. , Es verdankt dies in erster Linie der
langen englischen Herrschaft. Im spanischen Erbfolgekrieg, zuerst
im Jahre 1708, wurde die Insel von den Engländern besetzt, und
blieb dann fast ein Jahrhundert (1713 bis 1782 und dann wieder
1798 bis 1802) in ihrem Besitz. Von dem Wohlstand und dem
lebhaften Verkehr, dessen sich die Stadt damals erfreute, ist so gut
wie nichts übrig. Wer möchte nicht dem kleinen Inselvolk die
Wiedervereinigung mit der Krone seines Stammes herzlich gönnen?
Es gibt keinen Spanier, der nicht bei dem Gedanken an diese Wieder-
vereinigung und die Abtretung der ebenso willkürlich besetzt ge-
haltenen jonischen Inseln die stille aber feste Hoffnung hegte, dafs
es dereinst auch noch einmal mit Gibraltar ebenso gehen werde.
Damals und auch später noch ankerte hier den Winter über die
englische Mittelmeerflotte, zuweilen auch die niederländische auf ihren
Fahrten nach Batavia. In dem weiten Hafen liegen jetzt, aufser dem
spanischen Postdampfer aus Barcellona und hin und wieder dem fran-
zösischen, der auf der Fahrt von Toulon nach Algier hier . anzulegen
pflegt, nur ein paar kleine Küstenfahrer und einige Fischerboote.
Auch die durch den Einfluss der englischen Sitte bedingte Aehnlich-
keit mit Gibraltar und Porto, die man früher bemerkt hat, ist fast
ganz verschwunden. Nur in der Bauart der Häuser, in der Arbeit
ihrer Thüren und Fenster, zeigt sie sich noch. Eine gewisse mili-
tärische Bedeutung wird den Befestigungen von Mahon noch jetzt
beigelegt. Es gibt einen kommandierenden General mit zahlreichem
Stabe, eine hauptsächlich aus Artillerie bestehende Besatzung und
einen nicht unbedeutenden Geschützpark. Ihm steht zur Zeit ein
14*
212 Spanien
liebenswürdiger junger Capitain vor, der die deutschen Manöver im
Herbst 1884 mitgemacht hat und deutsch spricht. Ein gröfseres
Kriegsfahrzeug scheint nicht regelmäfsig in Mahon stationiert zu sein;
aber man sprach von einem Torpedoboot. Ich sah nur einen winzigen
Zollkutter. Die weifsgetünchte Stadt, bergauf gelegen, hoch oben
das verfallene Kastell und die Kathedrale, bietet auch nicht das ge-
ringste architektonische Profil von einiger Schönheit, wie man es
selbst an den kleinsten italienischen Küstenorten gewohnt ist. Mahons
alter Handel, der vor der Entdeckung Amerika' s die uralte Verbin-
dung mit Italien, Griechenland und dem Orient aufrecht hielt, ist
seitdem tief gesunken. Die Einwohnerzahl beträgt nur noch 12 000
Seelen und ist, wie es scheint, in steter Abnahme begriffen. Kirchen
und Schulen, die stillen Strafsen und Plätze machen den dürftigsten
Eindruck. Aufgehobene und verfallende Klöster mit weiten geweifsten
Höfen, in denen das Unkraut wuchert; ein paar öffentliche Promenaden,
die eine ganz hübsch gelegen mit dem Blick über den Hafen, ge-
nannt la Miranda, die andere, vornehmere, vor den Kasernen, in
ödester Umgebung. Das kleine Stadthaus mit offener Halle davor
ist völlig stillofs; die Kathedrale innen und aufsen elend geweifst und
schmucklofs, obgleich von guten Verhältnissen. Nur die Provinzial-
bibliothek, in einem früheren Kloster untergebracht, in welchem sich
auch das Instituto, die höhere Schule, befindet, ist wohlgehalten, und,
Dank mancher Zuwendung von Privaten, verhältnissmälsig reichhaltig.
Denn es fehlt nicht an Wohlhabenden; Handel, Landbesitz, in den
Colonien erworbener Reichtum gewähren der nüchternen Genügsam-
keit den Luxus wohleingerichteter Stadt- und Landhäuser. Der
ärmere Theil der Bevölkerung, soweit sie nicht auch aus kleinen
Landbesitzern besteht, befleissigt sich seit neuerer Zeit in ausge-
dehntem Maafse des edlen Schusterhandwerks. Mahon ist eine wahre
Schusterstadt; massenhaft wird billiges Schuhzeug von hier besonders
nach Südamerika ausgeführt. Das Leder dazu liefern reiche Kauf-
herren aus Barcellona; einer der hochangesehnsten darunter ist ein
Landsmann von uns. Daneben bieten Schifffahrt und Fischfang, die
uralten Haupterwerbszweige, nur noch kümmerlichen Ertrag. Ge-
sprochen wird in Menorca eine besondere Abart des Limousin, der
dem Provenzalischen bekanntlich weit näher als dem Castilianischen
stehenden Sprache der Catalanen und Valencianer. Das Landvolk
spricht nur das Menorcanische und versteht kaum das Castilianische,
Die ßalearen 2l3
trotz der jahrhundertelangen Zugehörigkeit zur aragonisch-castilischen
Krone.
Auf Grund der insularen Selbstgenügsamkeit haben leider in der
jtlngsten Zeit republikanisch - föderalistische Gesinnungen und der so-
genannte „Catalanismus", die neueste Blüthe unsinniger staatsfeind-
licher Bestrebungen, auch auf der Insel einige Verbreitung gefunden.
Aber die politischen Wogen schlagen trotz der jetzt regelraäfsigen
und das ganze Jahr hindurch kaum unterbrochenen Verbindung mit
Barcellona ziemlich kraftlofs an das friedliche Eiland. Es hat allen
Grund, der Monarchie für viele Wohlthaten dankbar zu sein; z. B.
für die trefflichen Leuchthürme, die hier wie für die anderen bale-
arischen Inseln aus der Kriegskontribution Marocco's vom Jahr 1861
durch O'Donnells Regiment beschafft worden sind. Die vorzügliche
Fahrstrafse von Mahon nach Ciudadela stammt noch aus der eng-
lischen Zeit.
In Bustamante's Gasthaus findet der Fremde von bescheidenen
Ansprüchen gute Unterkunft und überall auf der Insel freundliches
Entgegenkommen; denn er ist ein seltener und darum gern ge-
sehener Gast.
Die Insel ist acht bis neun spanische Leguen lang und drei bis
vier breit. An ihrer Mahon entgegengesetzten flachen westlichen
Spitze ist eine ähnliche, nur weit kleinere und^ schmalere Bucht, wie
die von Mahon. An dieser liegt „Ciudadela'', die Citadelle der
Insel, eine kleine Stadt mit altem Castell ujid einer Kathedrale, der
Sitz des Bischofs und des Adels von Menorca. Sie ist die zweite
phönikische Gründung auf der Insel, einst lamo^ genannt, und später
wie Mago von den Römern besetzt. Doch hat die Stadt jetzt nur
7300 Einwohner und ist noch weit stiller als Mahon.
Zwischen Mahon und Ciudadela, auf der südlichen Seite der
Insel, liegen die wenigen gröfseren Ortschaften des Binnenlandes,
Alayör, San Cristöbal, Mercadal und Ferrerias; alle dürftig und ver-
kommen. In den fruchtbaren nach Süden geöffneten Thalschluchten,
den Barrancos, wie z. B. in der von Alpendrdl, werden Orangen
und Gartenfrüchte aller Art gezogen. Auf der steinigen Höhe wird
zwar Weizen gebaut, und es gedeihen Feigen und Oliven; aber mit
Mallorca kann sich die Insel an Fruchtbarkeit nicht messen. So-
bald man die Mauern Mahons hinter sich hat, etwa auf der Strafse
nach San Cristöbal, oder in den engen Fahrwegen zwischen den von
214 Spanien
gewaltigen Steinmauern eingeschlossenen Feldern, tritt der gleich-
mäfsige Charakter der Landschaft von Menorca hervor. Spärliches
Grün, einzelne Feigen-, Lorbeer- und Johannisbrodbäume, Hecken
indischer Feigen und Buchsbaumbüsche, hier und da eine Dattel-
palme, geben mit den weiss getünchten Gehöften dem einförmig
grauen Felsboden einige Abwechselung. Alles aber beherrscht als
Hintergrund die überall blaue Fläche des Meeres. Einen Ueberblick
über die ganze Insel gewährt die Aussicht von dem früheren Kloster
auf dem Monte Toro, der 1344 Meter hoch ist, östlich von Mer-
cadal. Von Norden her wehen das ganze Jahr hindurch oft scharfe
und kalte Winde über den Golf von Lyon. Das Klima gilt desshalb
für ungesund. Die Nordküste zeigt nur eine tiefe Bucht, die Ria
von Fomells. Die Scheerenbildung der überall steil abfallenden
Küste (nur die westliche Spitze bei Ciudadela läuft flach und sandig
aus) und in ihr das alte und immer neue Spiel der Wogen, ihr
friedliches Rauschen und Glänzen, aber auch ihr von den Nord- und
Nordweststürmen gepeitschtes Tosen, das zu tiefen Aushöhlungen der
Felsen und Riffe geführt hat, verleiht der Landschaft ihren beson-
deren Reiz. Es ist ein stilles und ernstes Bild, hier und da wohl
an manche andere Insel des Südens erinnernd, aber doch von allen
verschieden.
Für den Alterthumsforscher hat das Innere der Insel einen be-
sonderen Reiz. Noch sind nahe an zweihundert uralte, aus trocken
übereinander geschichteten Steinen erbaute Denkmäler der Urbewohner
auf der Insel erhalten, hauptsächlich auf ihrer fruchtbaren und besser
angebauten Südhälfte. Es sind zum gröfseren Theil thurmähnliche
Bauten, theilweis noch bis zu 15 Meter hoch, mit nur einem, meist
hoch gelegenen und durch äufsere Rampen oder innere Treppen zu-
gänglichen Thor oder Fenster. Sie haben früher wegen der freien
Aussicht, die sie bieten, als Seewarten gedient und führen davon
ihren Namen: Talayots, d. i. grofse Atalayas oder Warten. Da-
neben finden sich kleinere hüttenähnliche Bauten aus gewaltigen rohen
Blöcken, theilweis einem mit dem Kiel nach oben liegenden Boot
ähnlich und daher vom Volk Navetas, Schiffchen, genannt. Endlich
gibt es auch einzelne aufrecht strebende Steine oder aus zwei über-
einandergelegten Blöcken bestehende Altäre oder Tische, Taulas
(d. i. Tavolas) genannt, und Steinkreise. Die Thürme erinnern am
meisten an die sardinischen Nurhagen. Wie diese jetzt von den
Die Balearen 215
einsichtigsten Kennern mit Recht für kostbare Grabmäler der Vor-
nehmen angesehen werden, trotzdem sie zuweilen mehrere Stockwerke
übereinander zeigen und im Grundriss von complicierter Anlage sind,
so sind auch die Talayots unzweifelhaft Grabbauten, nicht Wohnungen
oder Festungen. In Sardinien gibt es neben den Nurhagen die so-
genannten Riesengräber; auch die Hütten und Schiffchen auf Menorca
sind Gräber. Im Interesse des Landbaues werden nach und nach
immer mehr dieser zuweilen selbst durch äussere Schönheit und
Sorgfalt der Ausführung hervorragenden Denkmäler zerstört und ab-
getragen. Vergebens haben patriotische Verehrer der heimischen
Alterthüraer ihre Stimme erhoben, um für ihren Schutz und ihre
Wiederherstellung einzutreten. Es fehlt am nöthigsten, um sie zu
schützen und zu erhalten, am Gelde. Wenigstens sollten, da man
ihren allmäligen Untergang nicht zu hindern vermag, photographische
Aufnahmen und genaue architektonische Zeichnungen von ihnen her-
gestellt und so wenigstens ihr Bild der Nachwelt erhalten werden.
Die einzigen brauchbaren Aufnahmen haben einige Liebhaber gemacht,
der italienische General Alberto della Marmor a, der sie in den
dreifsiger Jahren um des Vergleiches mit den sardinischen Nurhagen
willen besuchte, und ein reicher, für das Alterthum begeisterter
Bürger von Barcellona, Don Juan Martorell, der seiner Vaterstadt
ein naturwissenschaftliches Museum gegründet hat. Neuerdings hat
Herr E. Cartailhac in Toulouse, der den vorgeschichtlichen Alter-
thümern Spaniens ein schönes Buch gewidmet hat, die Talayots
studiert und bereitet dem Vernehmen nach ein Werk über sie vor.
Das Volk, das diese Denkmäler, vielleicht im Laufe von Jahr-
hunderten, schuf (denn sie zeigen mancherlei Verschiedenheiten unter-
einander), war sicher das den Iberern nächst verwandte, seit uralter
Zeit auf den Inseln ansässige. Phönikische Ansiedler, wie man früher
meist annahm, haben solche Bauten nicht ausgeführt. Von den
phönikischen Ansiedlungen und der karthagischen Herrschaft sind
hier ebenso wie in den alten Phönikierstädten Spaniens, Cadiz und
Malaga, aufser den Namen und Münzen keine Spuren nachweisbar.
Deutlich aber lässt sich die römische Herrschaft erkennen, besonders
aus inschriftlichen Denkmälern, die sich gefunden haben.
Die zwei Städte der Insel, Mago und lamo, Mahon und Ciuda-
dela, gelten wohl mit Recht für phönikische Gründungen oder wenigstens
für Plätze phönikischer Niederlassungen; denn schon die einheimische,
216 Spanien
vorphönikische Bevölkerung mag dort befestigte Wohnsitze gehabt
haben. Aber schon der Eroberer der Inseln, Quintus Caecilius
Metellus, der später von seinem Triumph über die Inseln den Sieges-
beinamen Balearicus führte, der Zeitgenosse der Gracchen, hat sich
im Jahre 122 v. Chr. der beiden Städte der kleinen Insel be-
mächtigt und römische Besatzungen in ihnen zurückgelassen. Beide
sind nach und nach zu nicht unansehnlichen römischen Municipien
herausgewachsen, die unter Vespasian latiiiisches Stadtrecht erhielten
und sich demnach amtlich municipium Flavium Magontanum und
lamoniunum nannten. Die wenigen römischen Inschriften, die sich
dort erhalten haben, gehören in das Ende des ersten und das zweite
Jahrhundert; sie zeigen die üblichen Formen der städtischen Ver-
fassung. In lamo scheint auch in der Eaiserzeit eine kleine Be-
satzung gelegen zu haben; der heutige Name der Stadt, Ciudadela,
bewahrt die Erinnerung daran, dafs sie von jeher die befestigte
Citadelle der Insel war. Eine von Trajan angelegte Strafse ver-
band beide Städte. In den kleineren Orten haben sich nur gering-
fügige Spuren des römischen Lebens erhalten. An der Südküste,
im Bezirk von Alayör, etwas westlich von San demente, sind an
einer der kleinen Buchten zahlreiche Höhlen, in deren Felswände
Weihungen römischer Schiffer, wie es scheint, an eine lokale Gott-
heit, aus dem zweiten Jahrhundert, eingehauen sind.
n. Palma.
Völlig verschieden von dem Anblick der kleineren Insel ist der
Mallorca' s. Schon von fern zeigen sich dem von Barcellona oder
Valencia Kommenden die zackigen Felsen der Nordküste. Hinter
den schroffen Klippen der Dracheninsel (Dragonera) thürmen sich in
wunderbaren Formen kahle Kalksteingebirge auf. Man sieht, an den
Küsten hinfahrend, zunächst nur einzelne Wachtthürme, keine mensch-
lichen Wohnungen; die Ortschaften liegen in tiefen Buchten versteckt.
Sobald man das Gap von Gala Figuera (die Feigenbucht) umschifft
hat, öffnet sich die weite Bai von Palma. Bald erscheinen statt der
schroffen Klippen bewachsene Höhen und weifse Ortschaften. Links
der alte Hafen von Porto PI, von zwei Thürmen flankiert, und das
Kastell von Bellv^r; dann Palma selbst mit belebtem Hafen, über-
ragt von der alten Königsburg mit der Kathedrale; rechts die flache
Ostküste der Bai, die sich bis zum weifsen Vorgebirge (dem Gap
Die Balearen 217
Blanco) dehnt; dahinter die fernen Höhenzüge des südöstlichen Theils
der Insel. Manchem ist bei diesem Anblick die Erinnerung an den
Golf von Neapel aufgestiegen. Die Bai von Palma hat in ihrer Ge-
staltung trotz wesentlicher Verschiedenheiten allerdings Vieles mit
jenem gemein. Nur ist sie viel kleiner; sie misst vom Cap Gala
Figuera bis zum Cap Blanco etwa 20 Kilometer, und etwa 25 von
dieser Linie bis zur Rhede von Palma.
Von Porto Pi oder dem Kastell von Bellv^r (der schönen Aus-
sicht) hat man einen Blick, der dem vom Posilipp im Kleinen gleich-
kommt. Man überschaut von da aus das reiche Hügelland, das sich
von Palma nördlich landeinwärts erstreckt. Das Gartenland um die
Stadt ist so reich angebaut wie die Terra di Lavoro. In der Ebene,
die durch sonnige Hügel und schroffe Höhenzüge gegen Norden ge-
schützt ist, dichte Orangengärten, Lorbeerhaine, Feigen-, Oliven- und
Mandelbäume in üppigster Fülle; weiter hinauf Lorbeer, Myrthen
und Buchsbaum. Alle Mannigfaltigkeit eines gröfseren Festlandes
ist hier vereint, mit einziger Ausnahme eines schiffbaren Flusses.
Ein Inselkönigreich nach dem Herzen der romantischen Poesie, das
wahre Urbild zu Shakespeare' s am Meer gelegenem Böhmen und allen
ähnlichen glücklichen Eilanden.
Palma selbst, die Hauptstadt — bis zur Mitte des siebzehnten
Jahrhunderts hiefs sie officiell „die Stadt von Mallorca ^ — , macht
den freundlichsten Eindruck. Zwar mag es noch lange dauern, bis
sie den Glanz wieder erreicht haben wird, den sie im vierzehnten
und fünfzehnten Jahrhundert besafs, als sie ein Hauptstapelplatz des
orientalischen Handels nach dem Westen war. Schon vor und noch
unter der arabischen Herrschaft haben Juden, wie es scheint aus
Nordafrika, dann, nach der Eroberung, griechische und italienische
Kaufherren hier wie auf Menorca sich niedergelassen. Die Erobe-
rung, oder wie man lieber sagt, die Wiedereroberung, durch König
Jaime I. von Aragon (im Jahre 1229), war für die Insel der Beginn
ihres höchsten Aufschwungs. Nach langem Daniederliegen beginnt
sich jetzt der Handel wieder zu heben. Die Ausfuhr der reichen
Erzeugnisse des Landes — Südfrüchte aller Art, dazu Marmor, Kalk
und vor allem Salz — befrachtet manches Segelschiff und manchen
Dampfer. Auch der Wein der Insel, besonders der aus den Um-
gebungen von Manacör, wird jetzt in grofsen Mengen ausgeführt,
hauptsächlich nach Frankreich. Wie den catalanischen und aragoni-
218 Spanien
sehen Winzern und den Häfen Cataloniens und Valencia' s kam
auch Mallorca die Reblauskrankheit im südlichen Frankreich und die
dadurch herbeigeführte ungeheure Verminderung der Weinproduction
daselbst zu Gute. Die süfsen Weine der Insel, ihrer alten Verbin-
dung mit Griechenland entsprechend überall unter dem Namen Mal-
vasla bekannt, nehmen es mit den besten spanischen der Art auf.
Reger Gewerbfleifs hat sich entwickelt und nimmt die alten Erwerbs-
zweige von Neuem auf; so werden z. B. in Felanitx leichte Töpfer-
waaren mit und ohne Glasur wieder in eigenthtimlichen Formen
hergestellt. Berühmt ist die Zucht der vortrefflichsten, grofsen Maul-
thiere; auch Rinder, Schafe, Ziegen und Schweine gedeihen. Schiff-
fahrt und Fischfang erwachen langsam aus Jahrhunderte langem
Schlaf. Am Hafen sind die alten Bastionen und Thore, wie in
Barcellona, beseitigt worden; nur nach der Landseite hin umgeben
sie noch die Stadt. Früher war die Rhede offen und daher die
Aus- und Einschiffung oft recht unbequem. Der neu ausgebaute Molo
und mehrere Leuchtthürme haben viel zur Hebung des Seeverkehrs
beigetragen. Auch Mallorca' s Küsten sind jetzt abermals, Dank der
maroccanischen Kriegscontribution von 1861, mit zahlreichen Leuchten
versehen. Im Hafen liegt stets eine nicht unerhebliche Zahl gröfserer
Dampfer; spanische, die den Verkehr mit Barcellona, Valencia, Ali-
cante und den spanischen Colonien vermitteln, einzelne englische und
französische, dazu auch hin und wieder ein deutscher; sowie nicht
wenige gröfsere und kleinere Segelschiffe. Die uralten Hülfsquellen
des Landes sind noch keineswegs versiegt. Es wird Geld verdient;
die Versicherung der mit den Verhältnissen vertrauten Einheimischen,
dafs es überall, wenn auch langsam, vorwärts geht, bestätigt der
Augenschein; nur muss man den in Spanien übüchen, nicht unerheb-
lichen Procentsatz übertreibenden Selbstlobes abziehen. Auch die
Einwohnerzahl der Stadt steigt, sie beträgt jetzt über 50 000 Seelen.
Auf den Strafsen und Plätzen, die durch das Niederreifsen alter
Häuser und Gassen erweitert werden, macht sich der zunehmende
Wohlstand bemerklich. Mancher neue Prunkbau, für Banken und
Clubs, ist jüngst entstanden.
Palma ist eine römische Gründung; der Eroberer der Inseln
Metellus Balearicus wollte wohl damit an die Siegespalme erinnern,
die ihm den Triumph und seinem Hause einen neuen Siegesbeinamen
eingebracht hat. Die Inseln, obgleich zur diesseitigen spanischen
Die Balearen 219
Provinz und zu dem Gerichtsbezirk von Tarragona gehörig, scheinen
doch von jeher eine gewisse Selbständigkeit in ihrer Verwaltung ge-
nossen zu haben. Noch unter Nero wird ein besonderer militärischer
Befehlshaber der Inseln erwähnt, der als Vicestatthalter fungierte.
Und ebenso erscheinen auch in der nachdiocletianischen Zeit die
Balearen als eine besondere Provinz mit eigenem Statthalter. Plinius
erzählt, die Kaninchen, (iberall auf dem spanischen Festland häufig,
aber auf die Inseln erst von dorther verpflanzt, hätten sich unter
Augustus Regierung so vermehrt, dafs die Bewohner um die Hülfe
der Besatzung zu ihrer Vertilgung gebeten und sie auch erhalten
hätten. Diefs könnte durch eine dorthin gesendete Mannschaft ge-
schehen sein. Die militärische Besatzung der Inseln auch in Frie-
denszeiten erklärt sich daraus, dafs sie im Laufe des ersten Jahr-
hunderts, wie andere Inseln des Mittelmeeres, nicht selten als Ver-
bannungsort gedient haben. Wir kennen eine Reihe von hervorragenden
Männern senatorischen Standes, welche aus politischen Gründen auf
die Inseln verbannt worden sind; sie scheinen es verstanden zu haben,
sich die Last der Verbannung dort möglichst leicht zu machen. Die
Austern von den Inseln wurden von Kennern besonders geschätzt.
Späterhin ist vielleicht nur zufällig von den Balearen als Verban-
nungsort nicht mehr die Rede. Palma war seit dem ersten Jahr-
hundert ein Municipium römischer Bürger; römische Inschriften sind
in Palma zufällig nur in geringer Zahl zum Vorschein gekommen,
eine Weihinschrift für den Augustus, die Aufschriften auf den Basen
von Statuen von Gemeindebeamten und Priestern, von denen einige
den Flaminat der Provinz in Tarraco bekleidet haben, und einige
Grabschriften. An die Zeiten der arabischen Herrschaft erinnert fast
nur noch ein leidlich erhaltenes maurisches Bad in Palma. Sie hat
auch sonst hier, wie im Osten der Halbinsel überhaupt, kaum merkliche
Spuren hinterlassen. Man pflegte sie bisher in übertreibender Weise
hervorzuheben. Es stellt sich immer deutlicher heraus, dafs die
muselmanische Herrschaft die breiten Schichten der niederen Be-
völkerung und ihr Thun und Treiben ziemlich unberührt gelassen hat.
Die Könige von Aragon und der Adel ihres Gefolges haben der Stadt
ihr architektonisches Gepräge gegeben. Die schöne, hoch über dem
Meere gelegene Kathedrale wird nach langer Vernachlässigung leid-
lich stilgemäfs wieder hergestellt, Sie ist das Werk des Eroberers;
in der königlichen Kapelle ist das Grabmal des zweiten Jaime. Die
220 Spanien
noch erhaltenen Theile der nahegelegenen alten Königsburg, früher
arabisch La Zuda genannt, in welcher der Generalkapitän der Inseln
seinen Sitz hat, harren noch einer angemessenen Umgestaltung und
Erneuerung. In Hof und Hallen ist nur wenig von der alten Pracht
noch übrig. Der hinter der Kathedrale gelegene moderne Palast des
Bischofs dagegen ist stattlich und wohl gehalten. Eines der an-
muthigsten Bauwerke aus der grofsen Zeit des Inselreiches ist die
unmittelbar am Hafen gelegene, im Jahre 1426 erbaute Kaufhalle,
die Lonja; ähnlich, aber schöner als die von Valencia. Sie soll,
nachdem sie lange unbenutzt gestanden, jetzt unter der Fürsorge der
königlichen Commission für die Erhaltung der Denkmäler zu einem
Provinzialmuseum eingerichtet werden. Von dem alten Reichthum der
Grundbesitzer Mallorca* s zeugen die vielen Häuser des Adels in
Palma, „die Grundstücke" (casas solariegas); es werden noch etwa
sechzig Familien des alten Adels gezählt. Breite Thorwege und
luftige Höfe, die Treppen frei im Hof heraufgeführt, ein Entresol
mit zierlichen Fenstereinfassungen, dann ein sehr hohes Stockwerk
mit reichgeschnitzten Holzdecken, endlich oben ein offener Söller von
leichten Säulen oder Pfeilern getragen; weit vorspringender Dachsims,
der in den engen Gassen Schatten spendet; der Stil spätgothisch
oder Renaissance, den italienischen Einfluss verrathend. In allen
diesen Dingen ist Palma dem alten Valencia, wie es einst war, aber
nicht mehr ist, am ähnlichsten. Aber es ist weit schöner; denn es
hat seine bauliche Eigenthümlichkeit in der insularen Abgeschlossen-
heit besser bewahrt gegenüber dem von Barcellona her eingeführten
französischen Miethskasernenstil, der freilich jetzt auch in Palma um
sich greift. Ein Muster der vornehmen alten Bauart ist das erst
im siebzehnten Jahrhundert vollendete Stadthaus mit der grofsen Uhr,
die noch bis vor Kurzem die Stunden nach altrömischer Weise von
Sonnenauf- bis Sonnenuntergang und ebenso die nächtlichen besonders
zählte, wie es auf der ganzen Insel üblich war. Im Stadthaus ist
das trotz langer Vernachlässigung immer noch reiche, seit langen
Jahren von Jose Maria Quadrado mit liebevollem Verständniss
verwaltete Archiv der Krone von Mallorca untergebracht. Darin be-
findet sich die alte Sammlung der von den Königen der Stadt er-
theilten Privilegien, eine Prachthandschrift, der Codex der Könige
und der König der Codices, wie ihn Quadrado zu nennen liebt. Die
Bibliothek befindet sich mit dem Institute, der gelehrten Schule, in
Die Balearen 221
dem früheren Kloster von Monte Sion. Ebendaselbst ist von einer
privaten archäologischen Gesellschaft eine Art Museum zusammen-
gebracht worden: meist mittelalterliche, aus zerstörten Kirchen und
Klöstern vor dem Untergang gerettete Kunstwerke, Altarstücke, Ge-
mälde, Sculpturen, allerlei Kunstgewerbliches. Bis jetzt noch mehr
ein Raritätenkabinet als ein Museum, aber doch ein Anfang dazu.
Unglaublich viel von Kunstwerken aller Art hat hier, wie in ganz
Spanien, die rohe Barbarei vernichtet, die in der Aufhebung der
Klöster im Jahre 1835 sich gezeigt hat. Kein auswärtiger Feind,
weder Gothen noch Mauren und später weder Franzosen noch Eng-
länder haben auch nur annähernd so viel verdorben oder gestohlen,
als erst die brutale Leidenschaft und dann die stumpfsinnige Gleich-
gültigkeit der Nation selbst von herrlichen Schätzen ihrer älteren
Kultur muthwillig zu Grunde gerichtet hat.
Es fehlt nicht ganz an Privatsammlungen. Den ersten Platz
unter ihnen, und einen hervorragenden auch unter den Sammlungen
des spanischen Festlandes, nimmt die im vorigen Jahrhundert ge-
schaffene des Kardinals Don Antonio Despuig (sprich Desputsch) ein,
der einer der getreuen Begleiter Pius VII. im Exil war. In dem
Palast in der Stadt, den jetzt die Nachkommen eines Bruders des
Kardinals, die Grafen von Montenegro und Montoro, bewohnen, ist
die nicht unbedeutende Gemäldesammlung aufgestellt, noch genau so,
wie sie der Kardinal hinterliefs. Dazu in einigen anderen grofsen
Sälen die Bibliothek, Waffen und Geräthe. Auf dem hübschen, in
italienischem Stil erbauten Landsitz der Familie zu Raxa (sprich
Rascha), zwei und eine halbe Stunde von der Stadt an der Strafse
nach Söller gelegen, befindet sich die Sammlung der antiken Bild-
werke, welche durch Ausgrabungen gewonnen worden sind, die der
Kardinal, ein Freund des Kardinal Albani und Winkelmanns, in den
Jahren 1787 bis 1796 in Ariccia im Albanergebirge veranstaltet hat.
Es sind darunter einige alterthümliche Werke von hoher Bedeutung.
Das meiste freilich ist das Mittelgut römischer Sculpturen, wie sie
die vornehmen Villen Roms in Menge aufweisen. Um so mehr glaubt
man sich nach Italien versetzt. In den Zimmern des Kardinals
hängen römische Ansichten; in einem kleinen Gartenhaus in dem
oberen Theile des Gartens mit seinen Orangen-, Lorbeer- und Buchs-
baumhecken ist die Sammlung von Abdrücken antiker Gemmen und
Glaspasten aufgestellt. Einige gute alte Bilder besitzt der Maler
222 Spanien
Don Juan O'Neille, der aus einer alten irischen Emigrantenfamilie
stammt. Vereinzelte Stücke, Alterthümer, Inschriftsteine und der-
gleichen sind in verschiedenem Besitz in Palma zerstreut. Hoffent-
lich werden sie einst in der Lonja oder im Museum der archäologi-
schen Gesellschaft zusammengebracht.
Die Schulen und Wohlthätigkeitsanstalten Palma*s stehen unter
guter Verwaltung. Ein deutscher Arzt aus Trier, Ferdinand
Weyler, hat sich grofse Verdienste um die Hospitäler, besonders
für die Truppen, erworben; sein Sohn nimmt jetzt eine hohe Stellung
im spanischen Heere ein. Weyler hat bei den Rekruten von Mallorca
als charakteristische Erscheinung ein fast krankhaftes Heimweh be-
merkt. Es ist kein Wunder, dafs die Bewohner fest an der schönen
Insel hängen. Trotz der modernen gleichmachenden Kultur wird die
heimische Sitte hoch gehalten. Noch bis vor zwanzig Jahren hatte
die Insel ihr eigenes Kupfergeld. Zur üblichen Frühchocolade giebt
es ein besonderes Buttergebäck, Ensaymada genannt, das sonst nir-
gends in Spanien bereitet und von den Einheimischen anderswo
schmerzlich entbehrt wii'd.
Die Abgeschlossenheit der Insel hat freilich auch manche nicht
günstige Folgen. Carlistische Verschwörungen und militärische Auf-
standsversuche sind von ihr aus wiederholt, wenn auch ohne Erfolg,
ins Werk gesetzt worden. Noch jüngst haben politische Gefangene
von hoher gesellschaftlicher Stellung, wie der Herzog von Sevilla,
von dort die Flucht in das Ausland ohne Mühe bewerkstelligt. Die
politischen Parteien stehen sich fast so schroff gegenüber wie auf
dem Festland. Doch überwiegt noch die conservative Gesinnung.
Die leidenschaftliche Liebe zur engeren Heimat, die Alle umschlingt,
mildert ein wenig die Gegensätze.
An den schönen Sonntagsabenden bewegt sich eine dichtgedrängte
Menge wohlgekleideter und gemessen einherschreitender Herren und
schöner Frauen bei den rauschenden Klängen der Militärkapelle auf
dem „Borne", dem vom Hafen unten am Schloss vorbeiführenden
platanenbeschatteten Spaziergang. Im Winter wird die geschütztere
Fortsetzung desselben im Inneren der Stadt, der Mercado und die
Rambla, bevorzugt. Leider verschwindet aus der Stadt mehr und
mehr die kleidsame Tracht der Frauen und Mädchen, das unter dem
Kinn geschlossene Kopftuch aus weissem Tüll, der Rebosillo. Nur
auf dem Lande herrscht er noch; während die Tracht der Männer,
Die Balearen 223
die weiten Hosen und eigen geformten Htite und Mäntel, auch dort
in raschem Schwinden begriffen ist. Der Menschenschlag ist schön,
die Frauen von zarter, oft anmuthiger Bildung. Allein es scheint
die rechte Kraft zu fehlen, die auf dem engen Gebiet sich nicht
recht regenerirt. Gäbe es in Palma ein vernünftiges Gasthaus, so
wäre es ein Vergnügen, die gute Jahreszeit, den Frühling oder den
Spätherbst dort zuzubringen. Es soll damit der Fonda des Herrn
Barnils, in der Strafse de la Conquista, nichts besonderes Uebles
nachgesagt werden. Sie ist nicht schlechter, aber auch um nichts
besser als die meisten spanischen. Und die Mehrzahl derselben ist
bekanntlich sehr schlecht.
HI. Miramar.
Durch eine der nach Süden geöffneten Schluchten in dem hohen
nördlichen Gebirgszug gelangt man, auf neuer Fahrstrafse unter ur-
alten Oliven- und Johannisbrodbäumen im Zickzack aufsteigend, nach
Valldemosa. Der kleine Ort mit seiner alten Karthause und den
Resten eines Castells, in der höchsten Einsattelung des Thaies, er-
innerte mich an Gragnano bei Castellamare. Hier hat George Sand
1838 mit ihren Kindern gelebt und den „Winter in Mallorca" sowie
„Spiridion" geschrieben. Die düsteren Eindrücke, welche die geist-
reiche Frau mit wegnahm aus dem „Land der Schweine und Affen",
wie sie es nicht eben höflich nennt, erklären sich aus dem ihr
gänzlich mangelnden Verständniss für fremde Art. Die Bauern sind
hier natürlich, wie überall, abergläubisch und auf ihren Vortheil be-
dacht. Aber die oft geschilderten, seit ältester Zeit unveränderten
Grundzüge der iberischen Volksart, versteckte List und jäh auf-
lodernde Leidenschaft, erscheinen bei den Inselbewohnern sehr ge-
mildert. Von Räubern und Guerilla* s hat man auf den Inseln nie
gehört. Die heisse Gluth der Catalanen und die kalte Tücke der
Valencianer, die man aus Victor Amadeus Hubers im Grunde noch
immer zutreffenden Schilderungen kennt, machen sich bei den Mallor-
kinern nur in vereinzelten Fällen bemerklich.
Hinter den letzten Häusern von Valldemosa, deren eines dem
trefflichen Numismatiker der Inseln, HeiTu Alvaro Campan^r, gehört,
hoch oben auf der Strafse, die nach Söller führt (sie erinnert an
die von Castellamare nach Sorrent), gewinnt man zuerst den „Blick
auf das Meer". Rechts über sich hat man den bis zu 900 Meter
224 Spaoien
steil aufsteigenden Gebirgskamm, mit wilden Oelbäumen, Steineichen
und Strandkiefern bis zu beträchtlicher Höhe bestanden; vor sich den
fast senkrechten, noch über 500 Meter betragenden Abstieg zum
Meer. Das ist der Punkt, aus dessen erhabener Wildniss sich ein
deutscher Fürst, der Erzherzog Ludwig Salvator von Oester-
reich-Toscana, des letzten hochgebildeten Grofsherzogs von Toscana
zweiter Sohn, einen der schönsten Landsitze Hesperiens geschaffen hat.
Eigenthümliche Umstände haben ihn vor etwa zwanzig Jahren zuerst
auf die Inseln geführt. Seitdem hat er weder Mühe noch Kosten
gescheut, sein grofses beschreibendes Werk, „Die Balearen in Wort
und Bild", so vollständig und anschaulich wie möglich zu machen.
Fünf Theile in sieben splendid gedruckten grofsen Foliobänden liegen
bis jetzt vor (Leipzig, Commissionsverlag von F. A. Brockhaus); die
letzten, Menorca betreffenden, sind fertig, aber noch nicht gedruckt.
Inzwischen hat der Verfasser, der auch Korinth und Paxos beschrieb,
auf seiner Dampfyacht „Nixe" Tasmanien besucht und bereitet darüber
ein Buch vor. Das Werk über die Balearen ist nicht käuflich; der
Verfasser hat es nur an Souveräne und Bibliotheken verschenkt.
In Berlin ist ein Exemplar in der Bibliothek der geographischen Ge-
sellschaft und eins in der königlichen Bibliothek. Zahlreiche grofse
farbige Landschaftsbilder und viele gröfsere und kleinere Holzschnitte
im Text, alle recht hübsch nach den Skizzen des Verfassers von ge-
schickten Künstlern ausgeführt und in den besten Kunstanstalten in
Wien und Berlin vervielfältigt, zieren dasselbe. Schon seines Um-
fangs und Formates wegen wird es nie zu den vielgelesenen Büchern
gehören. Um es den Bewohnera der Inseln und ihren Landsleuten
zugänglich zu machen, ist jetzt eine spanische üebersetzung in An-
griff genommen worden. Sie wird in Berlin ausgeführt, aber unter
der Leitung von Herrn Francisco Manuel de los Herreros, dem ver-
dienten langjährigen Vorsteher des Instituto Balear, der gelehrten
Schule in Palma, eines Neffen des Dichters Breton de los Herreros;
von mütterlicher Seite rühmt er sich deutscher Herkunft. Die üeber-
setzung wird mit den sämmtlichen Holzschnitten der Originalausgabe,
aber ohne die farbigen Ansichten, die nicht noch einmal reproduciert
werden können, und in kleinerem Format erscheinen. Wer die Inseln
nie gesehen, dem werden diese Bilder nnd Beschreibungen eine
lebendige Vorstellung geben von Form und Farbe, Gebirg und Thal
derselben, von ihrem Pflanzenwuchs und ihrer Thierwelt, von den
•H
Die Balearen 225
Trachten und Sitten, Hausgeräth, Werkzeugen für Ackerbau, Fisch-
fang und Jagd der Bewohner, von den lachenden Fernsichten mit
dem blauen Horizont des Meeres, den einsamen Gebirgsschluchten
und den wundersamen Tropfsteinhöhlen; nichts ist darin vergessen.
Wer die Inseln kennt, der kann mit etwas Phantasie in die Bilder
hineinlegen, was sie nothwendiger Weise nur unvollkommen wiederzu-
geben vermögen: den Glanz und Duft des südlichen Himmels, das
Rauschen und Branden des Meeres an den Klippen und in den Höhlen;
kurz, das Leben.
Ehe man zu dem Landhaus von Miramar selbst gelangt, trifft
man an der Strafse von Valldemosa nach Söller unter anderen kleinen
Landhäusern, wie dem Son Galcerän (Son ist die mallorkinische
Bezeichnung für Landhaus) und dem Son Marroig, auf ein kaum
sichtbar, unter immer grünen Eichen versteckt liegendes Haus. Es
ist die von dem fürstlichen Besitzer hergestellte Pflegstätte, die
Hospedaria, für die Wallfahrer zu dem wunderthätigen Marienbild
der Kapelle von Miramar. Hier findet der Fremde, wie es an den
Wallfahrtsorten in Catalonien und auf den Inseln üblich ist, Bett,
Licht und Herdfeuer, auf dem er sich von der würdigen Verwalterin,
der Madona, wie sie hier genannt wird, mit Hülfe eines Knechts, des
Payös, die mitgebrachte Zehrung bereiten lassen kann; Alles unent-
geltlich, ausgenommen den nie geforderten, aber auch nicht hart-
näckig zurückgewiesenen Bakschsch. Wobei freilich vorausgesetzt ist,
dafs der Fremde sich mit den trefflichen und gefälligen Leuten auch
ohne Kenntniss des Mallorqui verständigt, was nicht ganz leicht ist.
Das Landhaus von Miramar selbst ist der Rest eines seit dem
dreizehnten Jahrhundert hier nachgewiesenen Klosters. Der selige
Ramon Llull, der berühmte Dichter und Mystiker des dreizehnten
Jahrhunderts (1235 bis 1315), hat hier einige Jahre in weltabge-
schlossener Einsamkeit verbracht. Das Haus liegt auf ringsum freier
Terrasse mit weitestem Ausblick, umgeben von sorgfältig gepflegten
Gartenanlagen, aus denen unter Orangen, Granaten und Myrten hier
und da schlanke Dattelpalmen hervorragen. Der weite Blick über
die unendliche Meeresfläche aus solcher Höhe, dafs die Fischerboote
tief unten kaum Nufsschalengröfse zu haben scheinen, erinnert in
der That an alles Schönste, was Natur und Kunst an den Küsten
und auf den Inseln Italiens und Griechenlands, an der Riviera, in
Sorrent und auf Capri, in Amalfi und Palermo geschaffen haben.
Hüb n er, Westeuropa. ,x^^ U^^A'^K ^^
226 Spanien
Einzelne Klippen, ähnlich den Faraglioni von Capri, ragen weit in
das Meer; eine von ihnen zeigt ein natürliches Felsloch und heifst
danach die Roca foradada, der Lochfels. In den einfachen, aber
zahlreichen und luftigen Räumen des äufserlich ganz schlichten Hauses
bringt der Erzherzog alljährlich die Frühjahrs- und Sommermonate
zu, nur begleitet (denn er war nie vermählt) von seinem liebens-
würdigen toscanischen Kammerhern, aber in urdeutscher Einfachheit.
Das Haus birgt manch altes Kunstwerk von insularer Herkunft; zum
Beispiel eine ganze Anzahl schön gearbeiteter Holztruhen aus dem
fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert, mit reicher, arabischen
Mustern entstammender Intarsiaverzierung in Perlmutter und Elfen-
bein. Ein grofses Marmorwerk des Mailänders Tantardini schmückt
in Erinnerung an einen jung gestorbenen italienischen Secretär des
Fürsten einen der Säle des Erdgeschosses. In einem der oberen ist
eine reiche Sammlung goldglasierter Majolicaschüsseln aufgestellt, vne
sie auf der Insel schon zu den Seltenheiten gehören. An das dem
Fürsten ebenfalls gehörige Haus Son Marroig soll ein eigener Flügel
fdr die Kunstsammlungen angebaut werden. Die kleine gothische
Kapelle neben der Palmenterrasse vereint in einem grofsen Altarwerk
ein Hauptbild des fünfzehnten Jahrhunderts von mallorkinischer Her-
kunft, und zwei neue Seitenflügel, deren einer den seligen Ranion
Llull, der andere eine heilige Nonne darstellt. Sie sind von der
Hand Meister Ittenbachs in Düsseldorf mit seiner bekannten miniatur-
artigen Sorgfalt und Anmuth ausgeführt. Ein zierliches Sacraments-
häuschen ist dem der Lorenzkirche in Nürnberg nachgebildet. In
den Gartenanlagen, in denen bei richtiger Pflege und Bewässerung,
wie überall auf den Inseln, alle südlichen und selbst tropische Ge-
wächse gedeihen, sind Aussichtspunkte, Felsenhöhlen, Brücken zu
schroffen Klippen mit immer wechselnder Aussicht, auf einer der
Klippen eine besondere Rundkapelle aus weifsem italienischen Marmor
für den seligen Ramon Llull angelegt und auf bequemen Wegen zu
erreichen. Eine Fahrstrafse führt auf mehr als einstündigem Weg
hinab zum Meer. Dort liegt, unweit des alten Wachtthurms La Estaca,
eine zweite Villa des Fürsten, der bequemen Nähe wegen für Bad,
Bootfahrt und Fischfang neu angelegt. So ist aus der früheren
Wildniss ein Gartenparadies im Stil der grofsen italienischen Villen
erschaffen worden.
Viel rühmliche Züge von der Leutseligkeit des allbeliebten Be-
Die Haiearen 227
sitzers, der das Mallorqui vollendet spricht, werden dem Fremden in
Palilia mit Befriedigung mitgetheilt. Wie der Fürst einem Bäuerlein,
dem sein Maulthierkarren umgefallen, auf die Bitte, ihn wieder auf-
richten zu helfen, unbekannter Weise zusammen mit seinem Begleiter
thatkräftigen und erfolgreichen Beistand leistet und den dafür dankend
gebotenen Lohn, vier Cuartos (etwa 16 Pfennige), ebenso dankend
annimmt und zum Gedächtniss noch heute aufhebt, als erstes selbst-
verdientes Geld; und Aehnliches. Dafs er ein Wohlthäter der Armen
ist, soweit es dort solche gibt, und durch seine Unternehmungen dem
Landvolke von Valldemosa und Deyd reichlichen Verdienst verschafft,
kann man sich denken.
Nach diesem älteren Miramar von Mallorca hat, so wurde mir
gesagt, das ebenso benannte Schloss bei Triest, an dessen früheren
Besitzer sich so tragische Erinnerungen knüpfen, seinen Namen er-
halten.
IV. Das Innere.
Ich will die Schilderung der Nordküste nicht weiter fortsetzen.
Für Söller, die Perle derselben, mit seiner Thalschlucht, die ein
grofser Orangengarten ist, genügt es, auf des Botanikers Moritz
Willkomm Darstellungen zu verweisen. Mich interessierte aus
mancherlei Gründen der nordwestliche Theil der Insel, die Bai von
Alcudia, besonders. Kommt man von Barcellona oder Menorca her,
so steigt man dort an das Land, um zunächst im primitivsten
Maulthiereinspänner, den man hier Berloche nennt, mit Bauern und
Bäuerinnen und allem Gepäck zusammengesperrt, in zwei- bis drei-
stündiger Fahrt La Puebla und von da mit der Eisenbahn über Inca
Palma zu erreichen. Alcudia, ein trauriges Nest mit noch ziemlich
wohlerhaltenen Befestigungen aus dem vierzehnten Jahrhundert, liegt
auf dem Rücken der flachen Landzunge, die in das hohe „Vorge-
birge des Fichtenwaldes", das Cap del Pinar, ausläuft. Nördlich
davon liegt der sogenannte kleine, aber tiefe und wohlgeschützte
Hafen von Alcudia. Gegen Norden deckt ihn fast vollkommen das
hohe Cap Formentor, der letzte Ausläufer der nördlichen Gebirgs-
kette. Südlich vom Cap del Pinar liegt der „grofse Hafen" von
Alcudia, eine weitgestreckte Bucht mit flacher Rhede, die sich bis
zum Südostcap der Insel, dem Cap Ferrutx, ausdehnt: ein weites
Aestuarium mit alten Salinen und virüstem Salzsumpf. Dieser, die
15*
228 Spanien
Albufera, ist seit 1863 durch eine englische Gesellschaft mit unge-
heuren Kosten trocken gelegt und angebaut worden, bringt aber noch
keinen erheblichen Ertrag. Denn der reiche Boden der Insel bietet
tiberall sonst den gleichen Ertrag, ohne vorher ein solches Anlage-
kapital verschlungen zu haben. In der von der Natur gesegneten Nie-
derung des kleinen Hafens, auf den sanft gegen den nördlichen Ge-
birgsstock ansteigenden Höhen haben schon die Phönikier eine Stadt
gegründet. Bocchori genannt, deren schwache Spur in einer Feldflur
mit Namen Bocar fortlebt. Dort ist eine Erztafel gefunden worden
und wird jetzt in Palma in Privatbesitz aufbewahrt, die eines der,
auch anderswo zahlreich gefundenen Patronatsdecrete enthält; es
ist vom Jahre 6 nach Chr. Die Gemeinde in Bocchori wählt darin,
durch eigene Abgesandte, einen angesehenen römischen Senator, der
uns jedoch sonst nicht bekannt ist, zu ihrem Patron und überreicht
ihm das Decret durch ein Paar vornehme Abgesandte, die obersten
Gemeindebeamten. Der Gewählte nimmt die Gemeinde in seinen
Schutz und seine Clientel auf und damit die Verpflichtung ihi*e
Rechte vorkommenden Falls im Senat zu vertreten; solche Schutz-
verhältnisse wurden auf die Nachkommen des Patrons vererbt. Später
hat nicht weit von Bocchori Metellus, der Eroberer der Balearen, die
zweite römische Festung auf der Insel, PoUentia, die Machtvolle,
angelegt. Von ihr zeugen noch die erhaltenen Reste einer Wasser-
leitung und eines Theaters, dessen Sitzreihen wie gewöhnlich aus dem
gewachsenen Felsen herausgearbeitet waren. Die in Pollentia zufällig
zum Vorschein gekommenen Inschriften liaben in dem nahen Alcudia
an mittelalterlichen Bauten Verwendung gefunden und sind dadurch
erhalten worden; es sind Ehrendenkmäler verdienter Gemeindebeamten.
Sie bezeugen, dafs auch in Pollentia ein Kultus der Göttin Roma
und des Kaisers bestand. Ein kleines Fragment einer Weihung an
einen Kaiser des ersten Jahrhunderts enthält den alten Namen der
Stadt. Auch Gräber der Urbevölkerung sind in diesen Umgebungen
gefunden worden.
Am reichsten an Resten solcher Grabbauten, wie sie auf Me-
norca in so grofser Zahl sich finden, ist die nördliche Seite der
Insel. Mitten in dem Gebirgsstock, der die Nordostspitze der Inseln
bildet und in das Cap de Pera ausläuft, liegt Artä, das durch die
nahe Tropfsteinhöhle berühmt ist. In seiner Umgebung und weiter-
hin in den Weingeländen von Manacör sind ziemlich zahlreiche TaJayots
Die Balearen 229
vorhanden. Doch erreicht ihre Zahl — es sind im Ganzen etwa
fünfundzwanzig auf Mallorca beobachtet worden — nur etwa den
achten Theil der auf Menorca vorhandenen. Wahrscheinlich hat die
intensivere Kultur sie auf Mallorca früh zum gröfsten Theil beseitigt.
Die meist ziemlich wohlhabenden Ortschaften im flachen oder
hügeligen Binnenland, Inca, Manacör, die Stadt der Sommerfrische
für die Bewohner von Palma, mit dem es durch die Eisenbahn ver-
bunden ist, Porreras, Felanitx, Llummayor, bieten nur geringes anti-
quarisches und künstlerisches Interesse. Einige römische Grabschriften
sind auch in ihnen gefunden worden. Merkwürdig ist an der nie-
drigen, aber felsigen und schroffen Südküste der einzige geschützte
Hafen daselbst, der Porto Colom. In seinem Namen steckt vielleicht
eine Erinnerung an den ältesten Individualnamen der gröfsten unter
den balearischen Inseln, die einen solchen schwerlich entbehrt hat:
sie hiefs, wie es scheint, Columba, Menorca vielleicht Nura. Die
modernen Namen Majorica und Minorica sind erst seit dem sechsten
Jahrhundert unserer Zeitrechnung aufgekommen.
Von hervorragender geschichtlicher Bedeutung ist dagegen wie-
derum die südöstliche Ecke der Insel. Dort dehnt sich vom Cap
Blanco, bis wohin sich die Bai von Palnia erstreckt, wie wir sahen,
wiederum eine weite nach Süden geöffnete Bucht aus, mit flacher
Rhede und zahlreichen Salinen, von denen die Südostspitze der Insel,
das Cap Salinas, benannt ist. In der fruchtbaren Niederung, die
sich an die Bucht anschliefst, liegen mineralische Quellen, die Thermen
von Fontsanta, der heiligen Quelle, alte Steinbrüche, zahlreiche Talayots
und Felsengräber und zwei gröfsere Ortschaften, Campos (die Felder,
offenbar von den reichen Aeckern so genannt) und Santagny. Diese
modernen Ortschaften sind die Frben einer uralten phönikischen
Niederlassung, vielleicht der ersten karthagischen Gründung auf der
Insel. An ihrer Stelle stand, ähnlich wie bei Bocchori im Norden
der Insel, noch in römischer Zeit eine Stadt. Aber des Metellus
nahe Gründung Palma scheint das alte Guiuntum (diefs war wohl
ihr Name) in den Schatten gestellt zu haben. So ist es oft mit
den Städten des Alterthums gegangen. Die Stadt war ursprünglich
wohl eine verbündete Gemeinde, nachher ein Municipium lati-
nischen Rechtes. Aus ihr stammen eine Anzahl römischer Grabsteine
mit alterthümlichen Inschriften und Formeln, die noch in die vor-
augustische oder die frühaugustische Zeit gehören. Die Verstorbenen
230 Spanien
führen einheimische, fremdklingende Namen und haben zum Theil
ihr Bürgerrecht von dem Eroberer der Inseln Caecilius Metellus er-
halten. Auf einigen von ihnen ist ein Schlüssel abgebildet, wohl das
Symbol des frischen, unbenutzten Grabes.
An das Cap Salinas reihen sich als natürliche Fortsetzungen
des unterseeischen Gebirgszugs zwei kleine Inseln, die Eanincheninsel
Conejera und die Ziegeninsel Caprera. Diese hat mehrere treffliche
Häfen sowie eine Festung mit kleiner Besatzung, auch als Depor-
tationsort benutzt. Hier wurde das französische Corps, das in der
Schlacht bei Ballon (1808) capituliert hatte, gefangen gehalten. Ein
Denkmal erinnert an die zahlreichen Opfer von Krankheit und schlechter
Verpflegung, die hier ihr Grab gefunden haben.
V. Ibiza.
Als eine fernere Fortsetzung endlich der mit Caprera ab-
schliessenden Gruppe der Balearen erscheint die südlich in weitem
Zwischenraum sich anschliessende Gruppe der Fichteninseln. So,
Pityusen, nannten sie griechische Seefahrer. Einen einheimischen
Namen, den die Phönikier schon vorfanden, führte nur die gröfsere
der beiden Hauptinseln, Ebusus, im Spätlatein Ebussa, jetzt Ibiza
(sprich Ivfsa). Ich habe die Insel von der Rhede aus gesehen, aber
nicht betreten. Acht Tage an ihren Besuch zu wenden wird nur der
sich entschliessen, der Ueberfluss an Zeit und Geduld hat. Der Erz-
herzog Ludwig Salvator hat sehr anschaulich den tiefen Schlaf ge-
schildert, in dem das Leben dieser Inselstadt verläuft. Nur einmal
in der Woche wird er auf einige Stunden unterbrochen durch den
Dampfer, der, von Valencia kommend, die Verbindung der Insel mit
dem Festlande und Mallorca unterhält. Die Insel zählt etwa 5500
Einwohner, von denen der gröfsere Theil in der Stadt Ibiza wohnt.
Aber von geistigem Leben ist in der Stadt keine Spur. Es gibt
keinen Lokalgelehrten, keinen Sammler auf Ibiza. Vor dreifsig Jahren
begann ein Geistlicher eine Geschichte der Insel zu schreiben; sie
ist nie vollendet worden. "Wegen politischer Vergehen Verurtheilte
verbüfsen hier am unmuthigsten ihre Strafe. Aber die Insel tritt
an landwirthschaftlicher Schönheit und an Fruchtbarkeit kaum hinter
Mallorca zurück. Die steilabfallenden Felsen der Nordküste erinnern
wieder an Capri. In dem hohen Gebirgszug der Nordküste finden
sich auch noch in manchen Schluchten Reste der Strandkiefemwälder,
Die Balearen
die der Gruppe den Namen verschafft haben. In den Thälem und
den nach Südosten sich abdachenden Niederungen gedeihen Oliven
und Weinstöcke, Feigen und Orangen. Die Ibizaner tragen eine
eigene kleidsame Tracht; auch ihr Dialekt unterscheidet sich von dem
der Balearen. Die Stadt Ibiza liegt wieder in der für die ältesten
Niederlassungen bezeichnenden Weise auf einem Felsenvorsprung
zwischen zwei Buchten. Die westliche, kleinere, nach Norden hin
vom Cap Martinet begrenzt, ist der eigentliche Hafen. Nach Süd-
osten hin dehnt sich auch hier ein weitgestreckte Bucht aus, in
deren Niederungen die berühmten Salinen liegen. Hier wird das wegen
seiner Weifse und Feinheit geschätzte Salz von Ibiza seit alter
Zeit gewonnen. An die Südspitze der Bai, die Spitze der Pforten
(Punta das Portas), durch die man zwischen den 'zwei gröfseren Inseln
hindurch muss, reiht sich eine Anzahl von kleinen Klippeninseln, die
ihren Abschluss in der zweiten Hauptinsel der Gruppe, Formentera,
finden. Auf Formentera ernähren sich noch über 1600 Einwohner
durch Viehzucht und Ackerbau. Vom Cap Martinet bis zur Südost-
spitze von Formentera, der „Mola", ist eigentlich nur eine grofse
nach Nord und West geschützte Meeresbucht.
Auf Ibiza hat die karthagische Herrschaft zuerst festen Fufs
gefasst und sich von hier aus nach Mallorca und Menorca ausge-
dehnt. Ibiza liegt der alten Hauptstadt des Reiches der Barkiden
in Spanien, dem „neuen Karthago'', am nächsten. In Ebusus sind,
wie in Gades, zu Anfang des vierten Jahrhunderts vor Chr. punische
Silber- und Kupfermünzen geschlagen worden nach dem Fufse der
griechischen Münzen, welche gleichzeitig von den massaliotischen
Colonien an der Ostküste Hispaniens, Emporiae und Rhode, geschlagen
wurden; also offenbar zunächst für den Handelsverkehr mit diesen
bestimmt. Dieses karthagische Geld scheint für die Inseln überhaupt
geschlagen worden zu sein. Sein Gepräge zeigt die Gestalt des punischen
Gottes Eschmun und in punischer Schrift den Namen der Insel.
Ihm folgen im Gebrauche die ältesten römischen Kupfermünzen von
Ebusus mit der Aufschrift „Erz von Ebusus", deren Gepräge griechisch-
sicilischen Mustern folgt. Sie sind lange vor der römischen Eroberung
geprägt und scheinen ein Schutzverhältniss der Inseln zu Rom, wie
früher zu Karthago, zu bezeugen, das der Besetzung voranging. Die
Erben der karthagischen Macht, die Römer, haben die Freiheit der
^^ , Spanien
y '
.-^ men Inselstadt geachtet; ohne Schwertstreich hat sie sich darein
geben, das Schicksal der gröfseren Inseln zu theilen.
/ Denkmäler der Urbevölkerung, Talayots oder Felsengräber, siad
-auf Ibiza nicht bemerkt worden. Die römische Herrschaft bezeugen
einige Statuen mit ihren alten Pedestalen, deren Inschriften lehren,
dafs sie im ersten und zweiten Jahrhundert unserer Zeitrechaung
der Gröttin luno und verdienten Bürgern der Inselstadt errichtet
worden sind.
In den Zeiten des ausgehenden Alterthums haben sich die Inseln
ohne erhebliche Kämpfe dem Joch der vandalischen Herrschaft, nach-
her dem Islam gefügt. Schwer hat die Hand des Eroberers niemals
auf ihnen gelastet. Selbst aus dem tiefen Verfall, in welchen sie
der Niedergang der spanischen Monarchie mit hineingerissen hat, er-
heben sie sich nach und nach zu verjüngtem Leben, Dank der un-
vergleichlichen Gunst des Klimas und des Bodens, deren sie sich
heute wie vor Jahrtausenden erfreuen.
m.
C i t a n i a.
Den ursprünglichen Text der folgenden Abhandlung hat mein Freund
Herr Joaquim de Yasconcellos in Porto in der von ihm begründeten,
mit den gröfsten Opfern herausgegebenen und auch von ihm fast allein
geschriebenen Zeitschrift Archedogia artistica, welche seinem Vaterland
wie ihm zu grofser Ehre gereicht, in das Portugiesische übersetzt und mit
einer Einleitung versehen, in welcher er seine Landsleute zu eifriger Ver-
folgung archäologischer Studien auflfordert; das 5. Heft der nur in 150 Exem-
plaren gedruckten Zeitschrift wird dadurch gefüllt (Porto 1879, 25 S. 8.).
Erweitert durch die Mittheilungen Sarmento's (über den nachher zu
reden ist) erschien sie sodann im Hermes Bd. Xy 1880 S. 49 — 91 mit
einem Nachtrag ebendaselbst S. 597 — 604. Im September des Jahres 1881
habe ich den Ort besucht und unter der Führung Sarmento's genau be-
trachtet. Hiernach ist diese Mittheilung hier und da verbessert und ver-
vollständigt worden.
Die Litteratumachweisungen sind vollständig gegeben in dem Supple-
ment zum Corpus inscriptionum Latinarum Bd. II (Berlin 1890 fol.). Die
Pedra fermosa ist von dem Architekten J. P. N. da Silva in Caumonts
Bulletin monwmentäl XXXIX 1873 S. 436 in einer Skizze mitgetheilt worden.
Meine Abhandlung über die Statuen galläkischer Krieger in Portugal
und Galicien in der archäologischen Zeitung XIX 1861 S. 185 ff. Taf.
Citania 233
CLIV 1—3 ist zehn Jahr nachher in das Portugiesische übersetzt er-
schienen in den von der Akademie zu Lissabon herausgegebenen No-
Udos archeoHogicas de Portugal (Lissabon 1871 4., S. 103 ff.), welche die
von mir in den Monatsheften der Berliner Akademie von 1860 und 1861
gegebenen epigraphischen Reiseberichte enthalten, soweit sie sich auf
Portugal beziehen. Die Abhandlung über die Statuen galläkischer Krieger
ist in das Spanische übersetzt worden von Murguia in seiner historia de
Galida, Bd. II 1868; vgl. auch das Museo espahd de antiguedades Bd. III
(Madrid 1876 fol.) S. 66.
Je seltener aus Portugal Berichte über die dort vorhandenen
oder neu gefundenen Alterthümer zu uns gelangen, desto eher werden
die folgenden Bemerkungen auf einiges Interesse rechnen dürfen.
Der Gegenstand der gegenwärtigen Darlegung darf ausserdem den
Reiz der Neuheit für sich beanspruchen; wenigstens nimmt er unter
der grofsen Zahl von uns erhaltenen Resten der verschiedensten an-
tiken Kulturzustände eine eigenartige Stellung ein. Zu anschaulichem
Verständniss der besprochenen Dinge gehören eigentlich Pläne und
Abbildungen, die nach den mir vorliegenden Skizzen und den sehr
guten, aber doch lange nicht genügenden photographischen Aufnahmen
wohl hergestellt werden könnten. Doch ist vor der Hand wenig x\us-
sicht dafür vorhanden, dafs von zuständiger Seite eine würdige Yer-
öffentlichung dieser Denkmäler unternommen wird, welche den Einblick
in eine sehr alte Kulturstufe unseres Welttheils gewähren.
In dem landschaftlich schönsten Theile des nördlichen Portugal, Di© Lage
der heutigen Provinz des Minho, den fruchtbaren und waldreichen
Thälem und Hügeln zwischen dem Dom'O und Minho, scheinen die '
ältesten Einwanderer oder Einwohner der iberischen Halbinsel sich
besonders festgesetzt und ausgebreitet und einen vergleichsweise hohen
Grad behäbigen Wohlstandes erlangt zu haben. Es ist nur ein kleines
Gebiet: südlich davon scheint nur der Küstenstrich des Landes bis
gegen Lissabon hinunter in römischer Zeit wohl angebaut gewesen
zu sein; westlich setzte hier das rauhe Estrellagebirge der CiviUsa-
tion feste Schranken. Im Norden nimmt das Land schon jenseit
Vigo den Charakter der sturmumwehten steinigen Hochebene an, den
die Umgebungen von Santiago, dem grofsen W allfah rtsort, und la ^
Coruna zeigen. Wo die freilich erst im dreizehnten Jahrhundert zu-
erst gepflanzte Rebe und der um dieselbe Zeit für die Zucht der
Seidenwürmer eingeführte Maulbeerbaum von den Höhen am Douro
234 Spanien
verschwinden, jenseit der Berge, in der Provinz tras os Montes, da
verschwand von jeher auch Reichthum und Volkszahl; nur einzelne
geschützte Thäler, zum Theil mit Heilquellen und alteinheimischen
Stätten der Götterverehrung, haben hier noch spärliche Kunde aus
römischer und vorrömischer Zeit bewahrt. Um so dichter gedrängt
lagen Städte und Weiler, Thermen und Villen in dem oben bezeich-
^ neten engen Terrainabschnitt südlich von der alten Hauptstadt der
r^ j gallaekischen Provinz Bracara, dem heutigen Braga, dessen Erz-
^<ly^^ bischöfe sich noch heute neben denen von Tarragona und Toledo den
Primat von Hispanien beilegen.
Gute Karten dieser Gegenden giebt es überhaupt nicht; zur
Orientierung reicht die von H. Kiepert der Sammlung der spanischen
Inschriften beigegebene aus.
Eine besondere Nebenkarte des Gerichtsbezirkes von Braga ver-
zeichnet die zahlreichen Namen der Ortschaften, in welchen die in
dem Bande mitgetheilten lateinischen Inschriften gefunden worden
I sind. Aber weit gröfser ist die Zahl der Plätze , an welchen die
VSpuren römischer und vorrömischer Niederlassungen deutlich sind,
'ohne dafs inschriftliche Denkmäler bis jetzt daselbst zum Vorschein
kamen; daher sie auf jener Karte fehlen.
arbeSen ^^^ ihnen gehört eine Örtlichkeit, welche seit dem sechzehnten
Jahrhundert wegen ihrer eigenthümlichen Beschaffenheit und ihrer
Denkmäler die Aufmerksamkeit der wenigen Bewohner des Landes auf
sich gezogen hat, welche sich überhaupt mit den Alterthümern ihrer
Heimat zu beschäftigen für der Mühe werth gehalten haben. In des
Frei Bemardo de Britto wort- und lügenreichem "Werk, der Monar-
I chia Lusytana (1597 — 1609), in Gaspar Estago's varias antigtii-
' dades de PorlMgal (1625) ist schon davon die Rede. Die erste ge-
nauere Beschreibung aber wird auch hier, wie für alle ähnlichen
Dinge, den zur Zeit des zweiten Höhepunkts der portugiesisch-brasi-
lischen Macht, zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts, auf des be-
rühmten Marques de Pombal Veranlassung gemachten topograpliischen
Aufzeichnungen verdankt. Sie rühren von verschiedenen Verfassern her
und haben sich theilweis noch in den handschriftlichen Originalen er-
halten: die hier in Betracht kommende findet sich in den Notizen
über das Erzbisthum Braga, welche Luis Alvarez de Figueiredo,
Bischof von Uranopolis i p, und später (1725) Erzbischof von Bahia
in Brasilien, verfasst hat. Sie befinden sich in der öffentlichen Bi-
Citania 235
bliothek zu Lissabon. Sicher ist, dafs der Lissaboner Akademiker
P, Jeronymo Contador de Argote, welcher aus diesen und vielen
anderen Relationen seine wortreichen und unkritischen, aber bei gänz-
lichem Matigel an besseren unschätzbaren Bücher zusammengeschrie-
ben hat, aus ihnen (denn er sagt es ausdrücklich) seinen Bericht
geschöpft hat. Er bringt ihn nach seiner Gewohnheit in zwei ver-
schiedenen "Werken, einmal nur portugiesich, das andere Mal portu-
giesich und lateinisch, aber im Thatsächlichen übereinstimmend, vor.
Vorzuziehen ist die ältere und etwas genauere Fassung in den me-
morias eclesiasticas de Braga (1724); die jüngere findet sich in den
anttquitates conventus Bracaraugustani (1728). Auf der Bibliothek
zu Evora findet sich, wie mir Gabriel Pereira in Lissabon mittheilt, ein
fliegendes gedrucktes Blatt (wie sie der Verfasser zu schleunigem Ver-
gessensein vielfach publiciert hat) mit dem Titel 'Specimen antiquitatis
a losepho Laurentio do YalUy Genuae 1791'. Es enthält eine ganz
kurze Notiz über Citania und eine handschriftlich beigefügte Skizze
des Hügels von S. Romao, aus welcher sich ergiebt, dafs Plan und
Anlage des Kastells damals noch im Wesentlichen den gleichen An-
blick boten, wie im sechzehnten Jahrhundert.
Seitdem hat sich Niemand wieder genauer um diese Örtlichkeit
gekümmert. Vor etwa zehn bis fünfzehn Jahren aber ist sie ihrem
jetzigen begüterten Besitzer von Neuem aufgefallen; er hat Ausgra-
bungen und Aufräumungen vorgenommen und seitdem hallten für einige
Zeit die portugiesischen Journale von dem Namen dieser sonst ganz ver-
gessenen Ruinenstätte wieder und brachten antiquarisch-praehistorische
und linguistisch-ethnologische Studien über dieselben, auf welche mich
meine dortigen Freunde nicht unterlassen haben aufmerksam zu
machen. Von diesen Erzeugnissen der Tagespresse liegt mir nur
weniges vor und ich glaube sie entbehren zu können. Nur den Artikel
des inzwischen verstorbenen Marques de Sousa-Holstein, welcher
in dem diario da manhä vom Jahre 1877 erschien, und die des
Herrn Pereira Caldas in der * Borholeta' bedauere ich nicht vor
mir zu haben. Aber in dem Besitzer der Örtlichkeit, Herrn Fran-
cisco Martins Sarmento in Guimaraens, ist diesen Alterthümem
ein ebenso eifriger wie einsichtiger Erforscher und Erhalter zu Theil
geworden. Es ist ein wahres Vergnügen, nach all den unklaren und
fehlerhaften Notizen, aus denen bisher allein Kenntniss von den merk-
würdigen Funden von Citania zu gewinnen war, endlich einmal ge-
^3^ Spanien
nau und sachlich gehaltene Informationen zu erhalten von einem
Mann, der sich sogleich als ein scharfer Beobachter und praktischer
Kopf zu erkennen giebt. Seine in verschiedenen portugiesischen Zeit-
schriften gedruckten Bemerkungen, die leider dem wissenschaftlichen
Publicum ganz unzugänglich bleiben, hat er durch zahlreiche, oft
humorvolle briefliche Mittheilungen bis auf den letzten Stand der
.Untersuchung ergänzt. Der im Jahr 1880 in Lissabon gehaltene
ICongress der Anthropologen hat Citania besucht und Rudolf Virchow
hat über den Besuch eingehend berichtet. Herr Sarmento bereitet ein
Denkmälerwerk vor, welches unter dem Titel Materiaes para a archeo-
logia d'Entre Bouro e Minho eine Sammlung von Photographien mit
genauen Beschreibungen enthalten soll; da hierzu die Ausgrabungen noch
fortgesetzt werden sollen, so wird der hier gegebene zusammenfassende
Bericht über das bisher zu Tage Gebrachte wohl noch für längere
Zeit die Bekanntschaft mit diesem besonderen Blatt aus der alten
Geschichte der iberischen Halbinsel allein weiteren Kreisen vermitteln.
Höchst werthvoU sind femer die mir vorliegenden vortrefflichen
photographischen Aufnahmen, welche Herr Sarmento in dankens-
werthester Weise hat herstellen lassen; sie liegen den gelegentlich
in der spanischen Zeitschrift Academia und der portugiesischen Re-
nascen^a gegebenen Holzschnitten zu Grunde. Angesichts dieser Pho-
tographien kann vor Allem constatiert werden, was sich übrigens
bereits aus der ganzen Berichterstattung zweifellofs ergab, dafs wir
es hier mit vollkommen glaubwürdigen, jeden Verdacht an Fälschung
ausschliefsenden Thatsachen zu thun haben. Diess festzustellen ist
gegenüber so manchen Vorgängen aus neuester Zeit von Wichtigkeit;
noch vor wenigen Jahren hat sich der merkwürdigen spanischen Funde
vom Cerro de los Santos bei Yecla im Königreich Murcia die be-
trügerische Industrie bemächtigt und neben den ächten Stücken eine
Reihe von Fälschungen auf den Markt gebracht.
Der Name Zwischen Braga und dem anmuthig gelegenen Gmniaraens zieht
•sich in der Richtung von West nach Ost hin ein Gebirgszug, die
Serra de Falperra, eingeschlossen von den Thälern der Flüsse Este
im Norden und Ave im Süden; an des letzteren oberem Lauf liegt
der kleine Badeort Caldas das Taipas. Das Gebirg ist rauh und
steinig; nur im Norden von Citania bilden zwei Dörfer, die Parochien
von Spbreporta und Pedralva, eine Art von fruchtbaren Oasen. Drei
Kilometer von Caldas, links von der Strafse nach Pövoa de Lanhoso^
ra-vv^«u
^ Citania 2S7
bildet die Falperra drei ziemlich gleichmäfsig nach Süden in das
Thal des Ave vortretende Vorsprünge, deren mittlerer der Berg des
S. jjoma.o de Brit^lros genannt wird. Heut gilt es zwar den An- BtRui^^j
wohnern vielfach für sicher, dafs dieser Hgjlige mit den Röggm zu-
sammenhängt, welche die Mohren aus Citania vertrieben hätten; das
ist die bekannte auf der iberischen Halbinsel allgemeine Bezeich-
nung aller alten nichtchristlichen Völkerschaften. Aber der Name
des Heiligen, S. Romäo, steht mit der Vorstellung vo m römis chen V
Alterthum der Stätte in durchaus kei ner Verbindu ng. Im Monde des | /
Volkes gilt sie von Alters her als der Platz einer untergegangenen
Stadt. Die Höhe des auf der einen Seite sanft ansteigenden, auf
der anderen steil abfallenden Granitfelsens wird auf 336 Meter an-
gegeben. Man hat von ihm einen weiten Blick in das anmuthige
Thal auf- und abwärts. Je IY2 Kilometer entfernt sind die beiden
anderen Vorsprünge, Sabroso und Santa Ina, auf welchen ebenfalls 2^[>ou-),
Reste antiker Niederlassungen zum Vorschein gekommen sind. Als t^jK
Name derjenigen des Berges von S. Romäo erscheint schon bei Britto "
der in der Überschrift genannte, Citan ia. Ob er auf wirklich un- Cj^töcyno
befangener volksmäfsiger Überlieferung beruht oder auf irgend einer
gelehrten Reminiscenz, dürfte sich schwer entscheiden lassen. Sarmento
hält ihn für alt und volksmäfssig. Es wäre Sache der einheimischen
Forscher zu ermitteln, ob sich das Vorhandensein desselben etwa
aus Urkunden, Flurbüchern oder dgl., noch über das sechzehnte
Jahrhundert hinaus feststellen lässt. Erst mit der Mitte dieses Jahr-
hunderts beginnt in Portugal das antiquarische Interesse zu erwachen.
Gelingt es, den Namen Citania aus Urkunden oder historischen Auf-
zeichnungen aus dem fünfzehnten oder noch früheren Jahrhunderten
nachzuweisen, so ist damit für die Richtigkeit der Überlieferung viel
gewonnen. Wie aus dem alten Namen des Volkes der Igaedif nni ein ''
mittelalterliches Igeditania und Epitan ia und das moderne Idanha ent- l(j\<fpf^i^r *
stand, so könnte vielleicht auch Citania ein antiker Name in leicht ver- ^ »//* ^ '^^
änderter Gestalt sein. Plinius führt unter den lusitanischen Völkerschaften ^'^'^ '^^
Cibilitani an; man könnte an sie denken, wenn nicht Citania viel-
mehr zu GaUaecien gehörte, nicht zu Lusitanien. Von den vierund-
zwanzig Gemeinden des Gerichtsbezirks von Braga führt das Ver-
zeichniss des Plinius nur sieben namentlich auf; der übrigen bar-
barische Namen zu nennen unterlässt er, wie so häufig. Also ist
zur Wiedergewinnung des alten Namens von Citania nur wenig Aus-
238 Spanien
sieht vorhanden. Allein der Name kommt, wie es scheint, nicht hlofs
hier vor: es gieht noch einige Örtlichkeiten im nördlichen Portugal,
an welchen ähnliche Ruinen den gleichen Namen führen, so die Qjtania
"* de Baiao und die nachher zu erwähnende Citania menor. Auch
wird es vom Volke zuweilen Citaina gesprochen. Diess ist für die
Erklärung des Wortes jedenfalls beachtenswerth. Eine sprachliche
Verbindung desselben mit ciintas und seinen romanischen Derivaten,
woran man gedacht hat, ist grammatisch nicht möglich. Aus dvitania,
wenn eine solche spätlateinische Form nachweislich wäre, was sie nicht
ist, hätte ciuäanha oder cidanha entstehen mtlssen. In den ür-
1 kimden der Dioecese Braga soll ein monte Cttanio, in dem Codex
y \ von Lugo des Königs Tieodemy: (dessen Autorität ich nicht kenne)
ein Gitam g. vorkommen. Sicliere etymologische Erklärungen sind auf
diese Daten so wenig zu grtlnden wie auf angebliche keltische Ana-
logien; das öftere Vorkommen gleicher oder sehr ähnlicher geogra-
phischer Namen ist überall, auf der iberischen Halbinsel in Folge
der mannigfachen Völkerwanderungen besonders häufig.
An der Richtigkeit und dem Alter jedoch des mehrfach be-
zeugten Namens der fraglichen Örtlichkeit wird füglich nicht ge-
zweifelt werden können. Desto weniger scheint sich die von den
portugiesischen Gelehrten begreiflicher Weise gern geglaubte Meinung
als richtig erweisen zu lassen, nach welcher der Ort in den antiken
Quellen vorkommen und sogar eine hervorragende Bedeutung in der
Geschichte des alten Lusitaniens gehabt haben soll.
In der historischen Beispielsammlung des Valerius Maximus
nämlich, des Zeitgenossen des Tiberius, wird, wohl nach Livius, ein Zug
/ ungebrochenen Muthes von einer lusitanischen Gemeinde Cinginnia be-
richtet, die dem Decimus lunius Brutus, dem Besieger von Gallaecien,
als schon ganz Lusitanien unterworfen war, das Gold mit stolzer
Rede zurückgab, das er ihr für die Unterwerfung bot. So, Cin-
ginnia, steht in den ältesten und besten Handschriften des Valerius
Maximus und ebenso las schon der alte Epitomator desselben lulius
Paris. Man las früher Cinnania; die geringeren Handschriften haben
cinrania cirania dnninia; eine, eine Wolffenbütteler, zu Ende des
J fünfzehnten Jahrhunderts in Italien geschrieben, hat cytania. Diesen
Namen haben die portugiesischen Gelehrten des sechzehnten Jahr-
hunderts bereits mit dem des Ruinenfeldes bei Caldas das Taipas zu-
sammengebracht, Vielleicht verdankt schon die Schreibung Cytania
Citania 239
ihren Ursprung einer gelehrten Interpolation: es verkehrten damals
genug gelehrte Portugiesen, wie z. B. Achilles Statins und Damian
de Goes, mit den Humanisten in Rom und in den anderen Haupt-
städten Europa s. Der Name der lusitanischen Stadt, welche im
Jahr 618 der Stadt, 136 v. Chr., den Gesandten des Decimus Brutus,
des Besiegers der Gallaeker, so kühn entgegentrat, ist mit Sicherheit
nicht herzustellen: C ingin nia ist schwerlich richtig, obgleich an
iberische Namen vielleicht gleiches Stammes, wie den Fluss Cinga ^
in der Tarraconensis, und an den keltischen Cingetorix erinnert wer- -'
den kann. Nicht unmöglich wäre Cingitania; das Suffix -it-anus ist in i i "1
den Namen iberischer (nicht keltischer) Völker in Hispanien sehr \^ y \
häufig. Wie dem auch sei, der Zusammenhang jener lusitanischen
Stadt mit dem Namen Citania hat keine Wahrscheinlichkeit. In
Citania steckt der Rest eines der vielen Namen von Sitzen der Ur-
bevölkerung, die sonst nicht bezeugt sind. Von noch mehr solchen
Orten sind die Namen gänzlich untergegangen. Doch der Name bleibt
ohne Einfluss auf die Beurtheilung der daselbst vorhandenen Ueber-
reste. Was von diesen im sechzehnten Jahrhundert vorhanden war
und im Wesentlichen unverändert noch jetzt vorhanden ist, aber durch
die neuen Ausgrabungen deutlicher und vollständiger zu Tage tritt,
ist etwa Folgendes.
Ich schicke voraus, dafs das allererste Erfordemiss, um sich Die Stadt
über den Thatbestand und über die gemachten Funde zu orientieren,
nämlich ein Situationsplan, noch nicht hergestellt worden ist; Hr. S ar-
men to macht wenig Hoffnung darauf, dafs ein solcher bald geliefert
werden wird, da die Aufnahme grofse Schwierigkeiten bietet und
es an zu ihrer Ausführung geeigneten Kräften zu mangeln scheint.
Man hätte sich daher ausschliefslich an die Beschreibungen zu halten,
wenn nicht durch die von Sarmento für meinen Gebrauch skizzierten
Pläne diesem Mangel theilweis abgeholfen worden wäre.
Der Berg Von Citania bildet, wie gesagt, eine Art von Halb-
insel, welche durch eine Landzunge von dem nördlich gegenüber-
liegenden Gebirge, der Falperra, getrennt wird. Diese Landzunge
schliefst zunächst nach Norden eine dem Gebirgszug parallele in
gerader Richtung von West nach Ost geführte Mauer ab. Südlich
davon durchschneidet sie, ebenfalls in der Richtung von West nach
Ost, ein künstlich in den Felsboden gehauener Graben, welcher nur
in seinem mittleren Theil in der flachen Thalsohle liegt, während er
240 Spanien
zu beiden Seiten die in Schluchten abfallenden Abhänge der nächsten
Höhen kreuzt. Genau in der Mitte desselben ist, senkrecht zu ihm,
ein kurzer Mauerzug errichtet, welcher die Thalsohle bis zu dem
ersten der drei den Berg von Citania selbst umschliefsenden Mauer-
ringe abschliefst. Zweck und Anlage dieses merkwürdigen Stückes
der alten Befestigung bedürfen noch der Aufklärung. Westlich von
dieser Mauer laufen noch zwei andere, kürzere Gräben am Fufs des
Hügels hin, der nördliche von dem ersten grofsen Graben sich ab-
zweigend, der südliche kurze innerhalb des ersten und zweiten
Mauerrings.
Der erste, äufserste Mauerring liegt etwas höher als die Thal-
sohle; er umschliefst in weitem, unregelmäfsigem Bogen den ganzen
Berg von Citania. Der zweite, mittelste Mauerring ist enger und
liegt tiefer als der erste, etwa auf derselben Höhe wie der grofse
Graben. Der dritte, innerste, fast genau concentrisch mit dem zweften,
liegt höher als der zweite. An der Nordseite ist der Zwischenraum
zwischen den drei Maueningen fast gleich. Die Maueni, deren Dicke
etwa 2 m beträgt, sind natürlich nur in unzusammenhängenden Resten
erhalten, aber theilweis noch in Reihen gewaltiger Blöcke überein-
ander geschichtet, von megalithischem Aussehn, wie Sarmento sich
ausdrückt. Von der sogenannten kyklopischen Art sind besonders
einige Strecken des zweiten Mauerrings auf der Westseite.
Eine ganze Anzahl von gepflasterten Strafsen führte aus ver-
schiedenen Himmelsgegenden zum Theil weit her auf den Berg hin-
auf; ihre Richtungen und Verzweigungen sind, wie Hr. Sarmento
bemerkt, noch nicht abschliefsend festgestellt. Seine Skizze lässt
deren acht oder neun unterscheiden. Der Hauptweg auf die Höhe
ist die „der Weg des S. Romäo" genannte Strafse. Das Pflaster
derselben besteht aus Steinfliesen von ungleicher, zuweilen auch,
aber nur zufällig, quadratischer Form. Öffnungen der äufseren
Mauerringe, durch welche die Strafsen führen, vielleicht die Stellen,
wo einst die Thore lagen, sind erkennbar. An einer der Strafsen,
aufserhalb des Mauerrings, liegen drei Felsblöcke, nach Art der so-
genannten Dolßien künstlich aufgerichtet. Ein vierter, gröfser als
die übrigen, liegt an einer anderen Stelle der Strafse innerhalb der
äufsersten Mauer; er wird vom Volk der Fels der Mohrin genannt
, und trägt einen Felsblok von 5,29 zu 3,64 m Umfang. Es ist be-
kannt, dafs in Spanien und Portugal, wie anderswo, Römer und
Citania 241
Maaren, zuweilen auch Juden, im Munde des Volkes sich in den
Ruhm, alte Niederlassungen gegründet zu haben, theilen müssen.
Spuren menschlicher Bearbeitung oder früherer Untersuchung zeigt
keiner dieser Dolmen; nur findet sich auf dem „Fels der Mohrin"
eine kleine länglich-viereckige Vertiefung wie eine Tränke, sicherlich
von Menschenhand gemacht (aber wann?). Die Untersuchung des
hohlen Raums unter dem Felsblock ergab nichts.
Spuren menschlicher Bearbeitung aber zeigen sich an verschie-
denen Stellen der Felsabhänge. Es sind in den Fels gehauene Zeichen,
wie sie zahlreich auch in anderen Ländern, z. B. in Schottland, ge-
fanden worden sind. Diese Zeichen sind meist rund, aus einem
Piinlj^t ^md vjQ^ f.Q^p.ftDt.r|fi^ji en Kreisen bestehend^ ., von verschiedener
Gröfse und in scheinbar ganz willkürlicher Weise nebeneinander ge-
stellt, oder labyrinthisch verschlungene krumme Linien, oder endlich
Verbindungen gerader Linien, welche an Steinmetzzeichen oder auch,
in sehr entfernter Weise, an Buchstaben erinnern. Eines dieser
Zeichen ist fälschlich von Einigen für das Bild eines vierfüfsigen
Thieres mit langen Ohren gehalten worden.
Auf der runden, nicht völlig ebenen Hügelfläche sind zwei un-
gefähr in der Mitte sich kreuzende Hauptstrafsen und verschiedene
Plätze und kleinere Wege deutlich zu erkennen; sie scheinen mit
den auf den Berg führenden Strafsen in Verbindung zu stehen. S ar-
men to meint, dafs mindestens sieben Thore in den verschiedenen
Mauerringen einst gewesen seien. Das bisher gefundene Thor, an
der nordwestlichen Seite des mittleren Mauerrings, ist aber das ein-
zige, dessen Pfosten theilweis noch stehen; seine Weite beträgt 2,20 m.
Die Strafsen oben sind ebenfalls sämmtlich gepflastert; einer der
Plätze mit so regehnäfsig viereckigen Fliesen, dafs sie ein voll-
kommenes Schachbrett bilden. Die Haaptstrafse ist an manchen
Stellen 2, an anderen 4 m breit; die kleinen Gassen nur 1 m. An
diesen Strafsen, Gassen und Plätzen liegen in scheinbar labyrinthi-
scher Unordnung die Bauwerke und anderen Denkmäler, welche durch
die neuesten Ausgrabungen zum Vorschein gekommen sind; nur wenige
runde Hütten waren bis dahin sichtbar. Jetzt sind die Fundamente
und zum Theil beträchtliche Reste von dreifsig bis vierzig Hütten,
runden und viereckigen, zu Tage gefördert worden. Dazu kommt
eine Anzahl anderer Denkmäler oder Überreste in Stein, .Erz
und Thon.
Hübner, Westeuropa. 16
242 Spanien
Es sind danach überhaupt sechs Klassen von Denkmälern und
üeberresten zu unterscheiden:
I. Htltten, d. h. runde und viereckige Bauten, vollständig oder
in ihren Fundamenten erhalten.
n. Tektonische Fragmente — wenn man den Namen gelten lassen
will — mit Ornamenten, welche zum Theil zu Hütten, zum
Theil zu anderen Bauwerken gehört zu haben scheinen,
m. Figürliche Darstellungen in Stein; auch hier kann man von
Sculpturen kaum reden, um durch den Namen nicht auch nur
die bescheidensten Vorstellungen von Kunst zu erwecken.
rV. Inschriften oder mit Schrift versehene tektonische Fragmente.
V. Ziegel und Thonscherben mit und ohne Schrift, Thonscherben
mit Stempeln und Ornamenten.
VI. Münzen, Fragmente von Erz und Glas, und allerlei kleinere
Alterthümer.
Hütten Gewisser Maafsen das Wahrzeichen der Ruinenstätte von Citania
sind zwei kreisrunde Hüttenbauten, ursprünglich oben offen und ohne
jede Art von Thüren oder Fenstern, neuerdings durch Sarmento's
Fürsorge mit Eingaugsthüren und Strohdächern versehen. Die vor-
trefflichen photographischen Aufuahmen, nach welchen die Abbildungen
in der Academia (Fig. 1 und 2) und in der Itenascenga gemacht
sind, geben eine ziemlich deutliche Vorstellung von diesen Bauten.
Leider ist auf der Abbildung der ersten Hütte die Linie weggelassen
worden, welche auf der Photographie den antiken Theil von der
Restauration trennte; der antike Theil ist weniger als einen Meter
hoch. Auf der Photographie der zweiten Hütte erscheint diese zu
klein im Verhältniss zu dem Unterbau, auf welchem sie zu ruhen
scheint. Derselbe ist in Wahrheit etwa sieben Meter von der Hütte
entfernt und hat nichts mit ihr zu thun. Beide Hütten sind rund
und ohne quadratische Substruction, wie sie überhaupt in Citania nicht
vorkommt. Doch ist im Übrigen die Zahl der quadratischen und
oblongen Hütten gröfser als die der runden; von elliptischem Grund-
riss sind nur zwei.
Die Höhe der ausgegrabenen Reste beträgt in der Regel weniger
als einen Meter; auf der Höbe der Bergfläche sind Mauern von 0,80 m
schon selten. Wenn die Hütten sich gegen eine der Stützmauern
des Felsens lehnen, durch welche die höheren Lagen desselben von
den tieferen getrennt werden, so schützten diese, von denen die Hütten
Citania 248
oft kaum 0,5 m entfernt sind, die ihnen nächsten Umfassungsmauern,
sodafs sich dieselben nicht selten in der Höhe von 1,80, zuweilen
von mehr als zwei Metern erhalten haben. Doch sind diefs meist
die Seitenwände; die Vorderseiten, so zerstört wie der ganze obere
Theil der Bauten, sind rasiert bis auf die Linie, auf der die
Thüren sich befinden konnten. Danach ist es bis heute nicht mög-
lich gewesen festzustellen, ob die Mehrzahl der Hütten von Citania
auf dem Boden aufstehende Thüren hatte oder nicht. Kleine hier und
da in der untersten Schicht der Mauern vorhandene Schwellen, welche
aber kaum die einer Eingangsthür gewesen zu sein scheinen, sind
das einzige dafür sprechende Anzeichen; die meisten anderen sprechen
dagegen. Nur die durch Sarmento reconstruierte gröfsere Hütte
macht eine Ausnahme: hier sind die untere und ein Theil der oberen
Schwelle nach ausdrücklicher Angabe zu der ursprtlnglichen Anlage
gehörig. Die Eingänge können sonst jedoch sehr wohl etwa vier bis
fünf Palm über dem Boden angebracht gewesen sein, und in der That
sind solche Eingänge bei einer Anzahl von runden und viereckigen
Hütten blofsgelegt worden. Wahrscheinlich waren sie sehr niedrig;
in Sabroso wenigstens sind die Theile eines Eingangs gefunden worden,
welcher nur 1,22 m hoch war. Fenster scheinen durchaus zu fehlen.
Sarmento hat beobachtet, dafs diese sämmtlichen bisher gefundenen
Thüröffnungen in der Richtung von Nordost bis Südost liegen und
nicht an den Strafsen oder Gassen, sondern an der hinteren Seite
der Hütten (von der Straf se aus). Eine Ausnahme macht bisher nur
eine einzige viereckige Hütte, deren Eingang nach Nordwest liegt.
Runde und oblonge oder quadratische Hütten liegen unmittelbar
nebeneinander: zuweilen sind die runden von oblongen gradlinigen
Mauern umschlossen. Es kommt einmal vor, dafs ein viereckiges ^n >
Haus an Stelle eines zerstörten runden errichtet worden ist. Allein
an entscheidenden Anzeichen dafür, dafs die gradlinigen Hütten für
jünger, die runden für älter zu halten seien, wie man leicht ver-
muthen könnte, scheint es bisher noch zu fehlen. Immerhin machen
die in Sabroso (s, unten) vorherrschenden runden Hütten den Ein-
druck höheren Alterthums als die von Citania. Zwei unregelmäfsig
ovale und eine oblonge Hütte mit einer Art halbrunder Absis an der
schmalen Seite, also eine Verbindung des gradlinigen mit dem Rund-
bau, sind gefunden worden.
Die Fläche des Felsens selbst ist, wie bemerkt, uneben. Hier-
16*
244 Spanien
aas ergeben sich zusammenhängende Gruppen von Hütten und ver-
schiedenartige Abgrenztmgen durch Stützmauern und Umfassungen.
Die runden Hütten haben zuweilen vorspringende Vorbauten mit Ein-
gang in der Mitte, wodurch kleine Vorhöfe entstehen.
Zuweilen stehen die runden Hütten in einem quadratischen Bau,
sodafs an der Stelle des einen der rechten Winkel, welcher fehlt,
der Eingang in die Hütte war. Die Thür scheint in diesem Fall
durch ein oder zwei verschiebbare Steinplatten gebildet worden zu
sein, welche vertical in die Nuten zweier Blöcke eingreifen. Solche
Blöcke haben sich hier und da noch erhalten. In der quadratischen
Umgebung der Hütten finden sich häufig rohgeformte Tränksteine und
in der Wand befestigte steinerne Ringe; sodafs es scheint als hätten
jene Umzäuntmgen zu Ställen für das Vieh gedient.
Die runden Hütten haben fast sämmtlich den gleichen Umfang
von 4,77 m; in Sabroso kommen auch solche von 3,50 m Umfang
vor. In einem der Stadtviertel von Citania findet sich jedoch eine
ovale Hütte von 7,93 und 5,95 m Durchmesser. Die viereckigen
sind von sehr verschiedenem Umfang; meist sind sie an Areal nicht
viel gröfser, in seltenen Fällen noch einmal so grofs als die runden.
Die Mauern der Hütten bestehen aus zwei Lagen, einer äufseren
und einer inneren; ihre Dicke beträgt durchschnittlich 0,57 m. Die
äufsere Lage besteht aus tmgleichen Steinen, wie sie gerade zur
Hand waren, in fast durchgehends unregelmäfsigen Reihen überein-
andergelegt. Nur die unterste äufsere Reihe enthält zuweilen grofse,
mehr als einen Meter hohe Steine, auf die scharfe Kante gelegt, wo-
gegen die innere Lage durchgehends aus ganz kleinen Steinen zu-
sammengesetzt ist. Zwei runde und eine viereckige Hütte zeigen
eine sorgfältigere Bauart: ähnlich wie bei dem Pflaster des oben er-
wähnten Platzes sind die sämmtlich etwas über einen Palm hohen,
aber ungleich langen Steine schräg aneinander gefügt, sodafs sie sich
spiralförmig in die Höhe ziehen. Kegelförmige Hütten gab es nicht
(wie man wohl gemeint hat) : dafs die Wände zuweilen nach aufsen,
zuweilen nach innen aus dem Loth gehen, ist nur auf den Druck der
Schuttmassen, nicht auf Absicht der Erbauer zurückzuführen.
Im Innern der Häuser finden sich Ziegelscherben, aller Wahr-
scheinlichkeit nach zu den Dächern gehörig. Spuren oder Reste von
Holzconstructionen sind dagegen nirgends zum Vorschein gekommen;
die grofsen Schuttmassen, welche aus jedem Haus gefördert werden,
Citania 245
machen es wahrscheinlich, dafs wenig oder gar kein Holz in den-
selben Verwendung gefunden hat. Eine sichere Entscheidung dieser
nicht unwichtigen Frage lässt sich jedoch nicht geben. Die nahe
liegende Vermuthung, dafs auf den steinernen Substructionen sich ein
Aufsatz von Holz befunden habe, welcher möglicher Weise Thüren
und Fenster enthielt, muss daher vorläufig auf sich beruhen bleiben.
Auch die nachher anzuführenden Analogien gallischer Hütten sprechen
nicht dafür.
Dagegen finden sich im Innern der Hütten einzelne Spuren von
Bew urf mit Kalk . In einer der Hütten läuft eine Bank aus Stein-
platten, auf niedrige Blöcke gelegt, rund um die Wand innen. In
der Mitte aller runden^Jütten scheint ursprünglich ein aufrecht-
stehender S teinpfeil er vorhanden gewesen zu sein, wie er in einer v&{\
derselben noch steht. Einige dieser Steine haben oben eine Vertiefung,
vielleicht für eine hölzerne Stütze, welche das Dach trug. In einem
Fall ist die obere Fläche, auf welcher die Stütze aufliegen musste,
abgeschrägt, „wie ein Spülbrett^; doch widerspricht das nicht der
vermuthlichen Bestimmung der Stütze. Das Vorhandensein solcher
Stützen des Daches ist eine für das Wesen des Wohnhauses in diesen
Städten lehrreiche Thatsache.
Zuweilen führt ein gassenähnlicher Zugang mit Steinpfeilern, in
deren senkrechten Rillen Latten von Holz hätten gelegt werden
können, zu der Aufsenwand; dergleichen Steinpfeiler werden nachher
noch zu erwähnen sein. Schmale Gassen und Plätze zwischen den
einzelnen Hütten bleiben frei.
Unter den ziemlich zahlreichen Resten von Werken der Archi-TektoniBche
Fragmente
tectur und der Sculptur, welche durchweg eine sorgfältige und über-
legte, wenn auch halbbarbarische und mit offenbar unzulänglichen
Werkzeugen ausgeführte Bearbeittmg zeigen, nimmt ein Stück einen
besonders hervorragenden Platz ein und kann in seinen Ornamenten
als gewissermafsen typisch für eine Reihe von ähnlichen gelten. Es
ist dies der unter dem Namen des schönen Steines, a pedra fermosa,
bekannte Steinblock, welcher bis zu Anfang des vorigen Jahrhunderts
auf der Hochfläche von Citania lag. Um jene Zeit ist er durch den
Abt Ignacio von S. Esteväo de Briteiros zuerst auf dessen Privat-
besitzung Po^o d'Ola, dann in die Vorhalle der genannten Kirche
gebracht worden. Neuerdings hat ihn S armen to von dort auf seinen
ursprünglichen Platz zurückschaffen lassen. Vierundzwanzig Gespanne
246 Spanien
Ochsen waren nöthig, am die Last fortzuschaffen: der Stein ist
^ 2,90 m hoch, 2,28 m breit und 0,24 m dick. Von den Ornamenten
lässt sich schwer eine Beschreibung in Worte fassen. Das Ganze
bildet ein nur roh ausgeführtes Halbrund, dessen Bogen den archi-
tektonischen Abschluss über dem Eingang eines Gebäudes oder sonst-
wie den Schmuck desselben gebildet haben könnte. Auf der Mitte
der unteren Fläche ist eine kleine halbrunde Öffnung; in der Mitte
darüber eine halbmondförmige und noch höher eine dreieckige; rechts
und links von der halbrunden Öffnung sind aus kreuzweis verschlun-
genen Doppelbändem gebildete Rosetten angebracht. In der ganzen
Breite des Steins schliefst über dem kleinen Halbrund ein dreifacher
erhaben gearbeiteter Streif den oberen Theil des Steins ab, gleichsam
wie die Basis eines Giebelfeldes, das in der Mitte durch zwei senk-
rechte Streifen getheilt und oben mit in stumpfem Winkel gegenein-
ander geneigten Doppelstreifen abgeschlossen wird. Diese enden in
einen einfachen, in der Mitte ausgehöhlten Knoten; er ist 0,05 m
tief und hat 0,14 m Umfang. Im Felde des Giebels — wenn man
den Ausdruck gestatten will — ist ein schachbrettartiges Ornament
von Quadraten und Punkten durchgeführt, rechts und links von
Rosetten aus stemähnlich gekreuzten und kreisförmigen Linien be-
grenzt. Ähnliche Ornamente aus geschwungenen Linien oder Bändern,
wie zwei nach verschiedenen Seiten gekehrte S sich gegenübergestellt,
sind über den oberen Giebellinien, gleichsam wie Akroterien, wieder-
holt. Solche wenig sorgfältig durchgeführte Linienomamente sind
bekanntlich sehr häufig in gering entwickelten Kulturstufen ange-
wendet worden, in der ältesten Vasenmalerei, in der Textilindustrie
der verschiedensten Völker, auf Metallgeräthen und Waffen. Auch
auf römischen Mosaikfufsböden der ersten Jahrhunderte unserer Zeit-
rechnung und in den spärlichen Resten der westgothischen und frühesten
fränkischen Kunst finden sie sich. Selbst bei den fast kulturlosen
Völkern der neuen Welt sind diese oder ähnliche, circulare oder
lineare Ornamente in der mannigfachsten Verwendung in Felswänden
eingehauen, auf Gefäfsen eingeritzt, in Geräthe und Waffen einge-
graben gefunden worden. Ein sicherer Schluss auf die Zeit der
Entstehung so allgemein verbreiteter und so leicht sich bietender
Ornamente ist daher nicht möglich; nur die Zeit ihres Ver Schwindens
und ihre Ersetzung durch der Natumachahmung verdankte Motive lässt
sich in den verschiedenen Kulturgebieten annähernd ermitteln. Im
Gitania 247
vorliegenden Fall könnte man in der Yertheilong der Ornamente zu
einer Art von Giebelfeld vielleicht den beginnenden Einflnss griechisch-
römischer Architectnr und Ornamentik erkennen.
Eingehend ist die ursprüngliche Bestimmung der peära fermosa
erörtert worden. Man scheint fast allgemein dahin übereingekommen
zu sein, sie für einen Opferaltar zu halten, sodafs die ornamentierte
Fläche horizontal gelegen, die halbrunde Einbiegung an der einen
Seite aber den Platz für den Opfernden abgegeben habe. So auch
hat sie Sarmento an Ort und Stelle aufstellen lassen; allerdings
zunächst nur, um, wie er angiebt, sie so besser zu conservieren.
Dem ihm bekannten Vandalismus vieler der Besucher wollte er den
schon in der Mitte gerissenen Block, der noch dazu eine sehr un-
gleiche Grundfläche hat, nicht aussetzen. Mir sind Analogien aus
der antiken Welt, auch aus der keltischen, für solche mit Ornamenten
in ziemlich hohem Relief versehene Platten von Opferaltären gänzlich
unbekannt; es will mir nicht in den Sinn, dafs eine einfache, wenn
auch noch unentwickelte Kultur Schmuck angebracht haben sollte auf
Flächen, wo man ihn gar nicht sieht und wo er gänzlich unnütz ist.
Und wenn auch der Architekt da Silva dann irren mag, dafs er
die ganze zierliche und doch rohe Ornamentik des Steins für römisch
erklärt, so hat er doch, wie ich glaube, mit richtigem Instinct die
Haupteintheilung derselben erkannt als dem griechisch-römischen
Giebelfeld entlehnt. Ein Giebelfeld aber legt man nicht flach hin
als Tisch- oder Altarplatte, sondern man stellt es senkrecht auf, wenn
auch nur auf aus rohen Blöcken gebildete Pfeiler. Die für die ur-
sprünglich horizontale Lage des Steins vorgebrachten Gründe über-
zeugen mich nicht. Die von mir angeregte Vergleichung der Fels-
altäre von Panoyas, welche nacher erwähnt werden sollen, lehrt
gerade die Verschiedenheit wirklicher Altäre zur Evidenz. Sie zeigen
auf ihren horizontalen Flächen nur Vertiefungen, wie sie auch griechich-
römische Altäre zu haben pflegen, für Brand- und Trankopfer, nicht
aber jenes ganz überflüssige Netz von Ornamenten, welches wie ge-
sagt, nur auf verticalen Flächen zur Geltung kommen kann.
Gegen die Annahme, dafs der Stein ein aufrechtstehender Giebel
oder eine Grabstele gewesen sei, macht Sarmento folgendes geltend.
Nach den Angaben der Gewährsmänner Argote's muss der Stein an
derselben Stelle von Citania gefunden worden sein, auf welcher später
die unten zu beschreibenden Sculpturen, die Steine mit Inschrifteu
248 Spanien
und die Ziegelscherben mit Schrift, zum Vorschein kamen. Dort liegt
eine der gröfsten ovalen Hütten, von 7,93 zu 5,95 m Durchmesser,
nahe bei anderen kleineren, und so, dafs, der Natur der Sache nach,
nur an einer Stelle ihr Eingang sein konnte; dort sind der Inschrift-
stein mit dem Namen Camalus und die übrigen hervorragenden
Sculpturen gefunden worden. Argot e 's Beschreibung des Fundortes
der pedra fermosa passt, wie Sarmento meint, nur auf diese Ört-
lichkeit; was man dem genauen Kenner Citania's gern zugeben wird.
Die auf solche Weise mit annähernder Sicherheit ermittelte Fund-
notiz soll zugleich die sepulcrale Bestimmung ausschliefsen. Als
Giebel aber kann der Stein an der einzigen Thür jenes Hauses schon
seines Gewichtes wegen unmöglich angebracht gewesen sein; folglich,
so meint Sarmento, muss er für sich im Freien aufgestellt gewesen
sein. Daraus, dafs der Abt von S. Esteväo de Briteiros, als er die
pedra fermosa aus Citania fortschaffen liefs, auch eine Anzahl anderer,
als Bogen eines Kellergeschosses bezeichneter Steine mit fortnahm, schliefst
er femer, dafs dieses die ursprünglich dem ganzem Denkmal gehörigen
Stützen gewesen seien, auf welchen es in der That in der Vorhalle
jener Kirche zufgestellt war. Und wenn diese rohen Stützen auch
nicht mit Nothwendigkeit als die ursprünglichen festgestellt werden
könnten, so sei es doch wahrscheinlich, dafs der Stein in derselben
Weise, wie ursprünglich in Citania, dort aufgestellt worden sei. Dafs
diess ein unsicherer Anhalt ist, fühlt jeder; andere Gründe aber
sollen hinzukommen. Die halbmondförmige etwa IY2 ZoU tiefe Ver-
tiefung über dem halbrunden Ausschnitt unten und die über der
ersten befindliche, noch kleinere und ebenso tiefe dreieckige stehen
durch ein Loch unterhalb des sie trennenden Randes in Verbindung;
ein zweites Loch, ebenfalls unter dem Rande angebracht, mündet in
den Ausschnitt. Giefst man also Wasser in die dreieckige Vertiefung,
so fliefst dasselbe erst in die halbmondförmige und dann in den Aus-
schnitt ab. Die runde Vertiefung in dem Knoten der Giebelspitze
zeigt kein solches Ablaufsloch. Daraus ergiebt sich für Sarmento
die Nothwendigkeit der ursprünglich horizontalen Aufstellung des
Steins; bei einer vertikalen müsste die Flüssigkeit in den drei Ver-
tiefungen herauslaufen. Also ein Opferaltar und, weil innerhalb der
Niederlassung gefunden, kein Grabstein: das ist nach Sarmento* s
Meinung das Wahrscheinlichste.
Für Kenner des Alterthums bedarf es des Beweises dafür nicht,
Gitania 249
dafs überall der Anlage von Nekropolen ausserhalb von Dörfern oder
städtischen Niederlassungen auf primitiven Kulturstufen das Begraben
oder Verbrennen der Todten in der nächsten Nähe der Wohnungen
vorangegangen sein muss, da es erst durch gesetzliche Bestimmungen
in historischer Zeit verboten wurde. Bei dem skeptischen Verhalten
der portugiesischen Entdecker gegenüber dieser Thatsache mag es
genügen für Griechenland auf das bekannte Zeugniss in dem pseudo-
platonischen Dialog Minos und die Bestätigung desselben durch Gräber-
funde im ältesten Athen, für Rom auf Dionysios von Halikamass und
des Servius Aeneiscommentai* zu verweisen. Freilich enthalten diese
Zeugnisse für die Stadt Kom nur eine Bestätigung dafür, dafs man,
wie wir es thun, schon im Alterthum auf eine der historischen vorauf-
gehenden Sitte städtischer Begräbnisse schloss. Denn an thatsäch-
licher Bezeugung von Grabstätten innerhalb des ältesten Roms fehlt
es durchaus, wie von den Kennern der Topographie der Stadt ver-
sichert wird. Derjenige Grad der Entwickelung städtischen Lebens,
welchen Rom längst erreicht hatte, bevor die uns erhaltenen Zeug-
nisse und Denkmäler einsetzen, schliefst die urälteste Sitte städti-
scher Begräbnisse schon aus. Desshalb aber können sie in den
ältesten italischen Niederlassungen überhaupt sehr wohl üblich und
der Tradition nicht unbekannt gewesen sein. Dafs es, gegenüber der
stadtrömischen und italischen Sitte, in den Provinzen, bei den fremden
Völkern, noch lange Zeit üblich war, die Todten innerhalb des
Mauerrings zu bestatten, geht zum Ueberfluss aus den ausdrücklichen
Zeugnissen hervor, nach welchen erst die Kaiser Pius und Marcus
durch strenge Verbote. den Missbrauch ausrotten konnten. Besonders
bevorzugte Personen, Priester bestimmter Heiligthümer konnten auch
nach italischem Brauch eine Ausnahme machen; so vielleicht die Ge-
meindepriesterinnen in Pompeji. Auch in Faesulae fand man Gräber
innerhalb der Stadtmauern. Dafs es bei den übrigen ältesten Völker-
schaften Italiens, bei Ligurem Etruskem Kelten nicht anders ge-
wesen sein wird, muss ohne Weiteres vorausgesetzt werden. In dem
nachher zu erwähnenden gallischen Oppidum von Murcens (Lot) sind
zahlreiche Fragmente von Aschenurnen gefunden worden; die Be-
gräbnissplätze lagen dort unzweifelhaft innerhalb des Mauerrings.
Die italischen, ligurischen und keltischen Nekropolen sind überall
erst die Folge einer vorgeschrittenen Kultur, und selbst wenn sich
bei Gitania einst, was ja keineswegs unmöglich ist, ein Begräbniss-
250 Spamen
platz finden sollte, so wäre damit das vereinzelte Vorkommen von
Grabstätten vornehmer Personen innerhalb des Oppidmns dorchaos
nicht ausgeschlossen. Von dieser Seite also steht der Annahme, dafs
die pedra fermosa einen sepolcralen Zweck gehabt habe, sicherlich
nichts im Wege. Ob die übrigen ornamentierten Inschriftsteine ans
Gitania für sepulcral gelten dürfen, soll nachher erörtert werden.
Dagegen wäre erst zu beweisen, dafs Altäre von der Form der
pedra fermosa bei irgend einem der europäischen Kulturvölker in
Gebrauch gewesen, wenn man meint, dafs die künstlich abgestuften
Abflusslöcher als charakteristisch für einen Opferaltar anzusehen seien.
Das Schlachten des Opferthieres fand nach allgemein antikem und
natürlichem Brauch vor dem Altar statt, welcher niemals als Schlacht-
bank gedient hat; auf denselben legt man, und in der Regel keines-
wegs unmittelbar nach dem Schlachten, das getödtete Thier oder die
kunstreich zugerichteten Theile desselben, welche dem Gotte darge-
bracht werden sollen. Die Vorstellung, dafs der Opfernde in dem
halbrunden Ausschnitt des Steines gestanden und von da aus mit
dem blutigen Fleisch hantiert habe, sodafs das frische Blut sich in
den Vertiefungen der Ornamente gesammelt und durch die kleinen
Löcher abgeflossen sei, schwebt gänzlich in der Luft. Von dem kelti-
schen oder iberischen Opferbrauch wissen wir freilich gar nichts: aber
ich möchte den Verfechtern jener Ansicht rathen einmal den prakti-
schen Versuch zu machen und ein junges Lamm auf den Ornamenten
der pedra fermosa zu schlachten. Bewährt sich dabei die Form und
Ausschmückung derselben als zweckentsprechend, so bin ich bereit
wenigstens die Möglichkeit einer solchen Bestimmung zuzugeben; mehr
aber auch nicht.
Wenn der Stein in horizontaler Lage noch in S. Esteväo de
Briteiros auf rohe Stützen gestellt war, so ist auch eine Aufstellung
denkbar, vermöge welcher er aufrechtstehend auf ausreichender Un-
terlage entweder fest im Mauerwerk oder auch als eine Art Giebel
frei auf Stützen geruht hat; man kann sich ja nach Analogie der
Thüren der übrigen Bauten die darunter etwa frei bleibende Öf&iung
so niedrig vorstellen, als es die Last des Steines bedingt. Die zahl-
losen Dolmen und Menhirs aller Art beweisen doch zur Genüge, dafs
alle die verschiedenen Völker, welche sie in primitiven Kulturepochen
errichtet haben, die Gesetze der Statik soweit beherrschten, um vor
gleichen und gröfseren Aufgaben nicht zurückzuschrecken. Die untere
Citania 251
Fliehe des Steins, auf welcher er mhen muss, wenn yertical aufge-
stellt, ist theilweis nur 40 cm breit. Er müsste also, wie auch S ar-
men to yermuthet, in diesem Fall gegen eine starke Futtermauer
gelehnt gewesen sein; wogegen ich nichts einzuwenden habe. Mit
Sicherheit also lässt sich Zweck und Verwendung des Steines bis
jetzt allerdings nicht angeben, aber vorsichtige Termuthungen werden
sich nur innerhalb des soeben umschriebenen Kreises zu bewegen
haben. Gegen meine Annahme, dafs er aufrecht zu stehen bestimmt
gewesen sei, sind entscheidende Gründe bisher nicht vorgebracht
worden. S armen to verwahrt sich ausdrücklich dagegen, die falschen
Muthmaafsungen Anderer über Aufstellung und Bestimmung des merk-
¥rttrdigen Denkmals zu theilen; denn er habe selber nicht einmal eine
Vermuthung darüber.
Die pedra fermosa, jener vielbesprochene am reichsten orna-
mentierte Stein, trägt auf seiner Rückseite, wie schon erwähnt, ein
offenbar absichtlich eingegrabenes Zeichen; S armen to theilt mir eine
genaue Abbildung desselben mit, welche hier nicht wiedergegeben
werden kann. Mit lateinischen Schriftzeichen zeigt es keine Art
von Verwandtschaft, wohl aber mit den kreisrunden und spiralförmi-
gen Zeichen, welche nicht selten in den natürlichen Fels geritzt vor-
kommen und hier und da neben lateinischen Inschriften. Das Zeichen
wird also wohl irgend eine Bedeutung gehabt haben und nicht ein
blofses Ornament gewesen sein. Ähnlich sind zwei Zeichen, welche
sich auf einem unförmlichen Stein befinden, der, wie Sarmento
meint, zu einem baulichen Zweck nicht verwendet worden ist. End-
lich macht Sarmento noch auf eine auffällige Ungleichheit in der
ornamentierten Oberfläche des Steins und den dadurch bedingten
Mangel an Symmetrie in der ganzen Anlage der tektonischen Ver-
zierungen aufmerksam; ein neues Zeichen für die primitive Bohheit
der Arbeit.
Dafs dieses einzelne Stück eine unverhältnissmäfsig lange Er-
örterung in Anspruch genommen hat, mag durch seine Singularität
Entschuldigung finden, lieber die übrigen tektonischen Fragmente
kann desto kürzer gehandelt werden. Unter ihnen sind zu unter-
scheiden:
1. Aufrecht stehend gefundene oder augenscheinlich zum Stehen
bestimmte Steinpfeiler, wie der mit einer tiefen Rille versehene schon
erwähnte, in einem der gassenartigen Zugänge zu der Hütte, und der
252 Spanien
mit Löchern zum Einsetzen von Balken, wie es scheint, versehene
und an der einen Seite mit einem Ornament wie aus gewundenen
Tauen gezierte. Sie scheinen Theile von Einzäunungen gebildet
zu haben.
2. Liegende Steinschwellen mit wulstartigem Rande, stufen-
artigen Einschnitten und viereckigen und runden Löchern zur Auf-
nahme von aufrechtstehenden Balken oder Angeln von Thoren. Das
runde Loch ist für den Zapfen der Angel bestimmt. Sarmento
macht darauf aufmerksam, dafs Thüren in dergleichen Angeln noch
jetzt in der Provinz Minho üblich sind. Verwandt ist auch vielleicht
ein Felsblock mit Z förmigem tiefem Einschnitt. Von einigen runden
durchlöcherten Steinen oder Steinringen (vielleicht zum Anbinden des
Viehs), welche aufserdem gefunden worden sind, liegen noch keine
Abbildungen vor.
3. In der Gliederung und Verzierung der unter 1 und 2 zu-
sammengefassten Stücke ist von Stil oder Anlehnung an bestimmte
Muster kaum etwas zu merken. Entschieden griechisch-römische For-
men aber zeigen zwei Pilaster- oder Säulenbasen. Sie sind in einer
der Hütten mit Bänken im Inneren, und zwar in die innem Wände
eingelassen gefunden worden. Ihre Oberfläche ist poliert aber un-
eben, sodafs man es für unwahrscheinlich hält, dafs Pfeiler auf ihnen
geruht hätten. Wozu sie auch gedient haben mögen, der Uebergang
zu den Formen der römischen Kunst ist durch sie jedenfalls bezeugt;
diefs fällt für die oben aufgestellte Ansicht über die Ornamente der
pedra fermosa ins Gewicht.
4. Die primitivste Art der Ornamentik, wenn man sie über-
haupt als solche anerkennen will, zeigen einige nur mit rechtwinkelig
gestellten graden Linien verzierte Steine von ungewisser Bestimmung.
Drei andere Steine zeigen rein gradlinige Ornamente, in spitzen Win-
keln zusammengestellt oder an einen graden Mittelstrich palmzweig-
ähnlich angelehnt.
5. Kreisförmige Ornamente, wie die in den oben erwähnten Fels-
blöcken, sind vom einfachen Kreis, der durch kreuzweis gestellte
grade Linien getheilt ist, bis zu in verschiedener Weise rad- oder
sternförmig eingetheilten Kreisen vorhanden, welche theils einzeln an
einer graden Linie, theils zu zweien von gleicher oder verschiedener
Art zusammengestellt, die Fläche der Steine verzieren, oder in be-
sonders deutlicher Radform einen Cylinder abschliefsen. Aller dieser
Citania 253
Stücke ursprüngliche Verwendung ist ungewiss. Aus Kreisausschnitten
gebildete Rosetten kommen in der Architectur der asturischen Kirchen
des siebenten und achten Jahrhunderts und nachher wiederum in der
französischen und deutschen Gothik des dreizehnten Jahrhunderts vor.
Aber radförmige Ornamente primitivster Art bilden bekanntlich einen
häufig wiederkehrenden Bestandtheil der in den Pfahlbauten verschie-
dener Gegenden gemachten Funde; an dem (relativen) Alter der in
Citania vorkommenden ist nicht zu zweifeln.
6. Auf anderen Steinen findet sich eine Verbindung von grad-
linigen und kreisförmigen Ornamenten, durchaus verwandt denen der
pedra fermosa und der nachher zu betrachtenden mit Inschriften ver-
sehenen Steine, in mannigfacher Abstufung von dem einfach geschlun-
genen Wulst und der Verbindung zweier Parallelen mit concentrischen
Kreisen bis zu reicheren Verbindungen. In dieser Art von Ver-
zierungen ist vielleicht das für die Kunst von Citania am meisten
Charakteristische zu erkennen. Mit unzweifelhaftem Rechte ist von
verschiedenen Seiten darauf hingewiesen worden, dafs die linearen,
spiralförmigen und geometrischen Verzierungen der ,pedra fermosa wie
der übrigen Stücke, dazu der ähnliche Schmuck des Töpfergeschirrs
von Citania an spätkeltische Denkmäler erinnern. Die Steinkreuze
der Betragne, von Wales und von Schottland, die irischen Miniaturen
bieten in der That viele auffällige Analogien zu denselben.
Auch zur Darstellung von Thieren und menschlichen Gestalten J^^^^Jiche
° Scnlptnren
hat sich die dortige Kunst erhoben. Rohe Thierfiguren, meist Stiere
und Schweine, wahrscheinlich als Grabdenkmäler verwendet, sind in
Spanien nicht selten; bekannt sind besonders die sogenannten Stiere
von Guisando bei Avila. Die lateinische Inschrift einiger derselben
(C. I. L. n 3051. 3052) lässt an der sepulcralen Bestimmung wenig-
stens in diesem Falle keinen Zweifel. In Citania sind keine Thier-
figuren gefunden worden (ob zufällig ?); zwei Fragmente von deutlich
erkennbaren Schweinsköpfen, von einem nur der charakteristisch ge-
arbeitete Rüssel, stammen aus Sabroso. Aus Citania ist eine mensch-
liche Gestalt, 0,46 m hoch, roher noch als die Statuen gallaekischer
Krieger, über welche ich an anderem Orte gehandelt habe; sie lässt
den Kopf und einige Andeutungen der Beine erkennen; aber Bewe-
gung und Tracht sind an ihr so gut wie völlig unkenntlich. Der
Kopf ist unförmlich grofs und sieht wie ein Todtenschädel aus,
welchem der Unterkiefer fehlt. Er war abgebrochen und ist mit
254 Spanien
einer Stfltze befestigt worden. Die Figur soll weiblich sein; Sparen
der Brüste seien erkennbar. Man hat darin ein 'keltisches Idol'
erkennen wollen. Unverkennbar ist eine gewisse Verwandtschaft dieser
Bildwerke mit jenen rohen Gestalten gallaekischer Krieger, die sich
an verschiedenen Orten des nördlichen Portugal gefunden haben. Die
auf einigen von ihnen noch erhaltenen lateinischen Inschriften lassen
keinen Zweifel daran, dafs sie Grabdenkmäler hervorragender Personen
waren. Ein äusserst roher Kopf ist erhalten, welcher möglicher
Weise zu einer ähnlichen Statue gehört hat. Derselbe stammt jedoch
nicht aus Citania, sondern aus Santa Ina. Besonders beachtenswerth
ist eine Reliefdarstellung von unregelmäfsiger Form mit zwei Figuren.
Die erste Figur ist 0,22 m hoch. Die Arbeit ist äufserst roh; in
dem grobkörnigen Material, welches aufserdem durch Feuchtigkeit
ausgewittert zu sein scheint, bilden kaum die Umrisse der Figuren
zusammenhängende Linien. Man erkennt zwei menschliche Gestalten,
im Profil nach rechtshin schreitend. Ob sie bekleidet oder unbe-
kleidet, ob männlich oder weiblich, ist nicht zu unterscheiden; auch
nicht die Gesichtszüge sind kenntlich. Die erste, rechts, kleiner wie
die andere, vornüber gebeugt, scheint in beiden vorgestreckten Armen
ein keulenähnliches Instrument zu halten. Die andere, gröfsere, scheint
die erste siegreich zu verfolgen und mit den ausgestreckten Armen
oder einer damit hoch gehaltenen Waffe Haupt und Rücken der ersten
zu berühren. Vielleicht also Kampf und Verfolgung des Feindes;
mehr lässt sich nicht sagen. Doch hat es nicht an Versuchen zu
bestimmter Erklärung und Deutung gefehlt. Die älteren Erklärer
blieben im Kreis antiker Vorstellungen und dachten z. B. an einen
Satyr, der einen anderen Satyr oder fackelhaltenden Amor vor sich
her treibt. So wird das Relief schon von Argote beschrieben. Ein
neuerer portugiesischer Gelehrter sucht den Gegenstand unter arischen
Mythologemen und schlägt vor, den Sonnengott zu sehen, der die
Mondgöttin verfolgt. Andere sehen darin mit mehr Wahrscheinlich-
keit eine menschliche Kampfesscene. An dem Verfolgten bemerkt
man den keltischen Haarschopf und erklärt das, was derselbe trägt,
für irgend eine Waffe.
Inschriften Inschriftliche Denkmäler in dem gewöhnlichen Sinne des Wortes,
Altäre, Grabsteine von den üblichen griechisch-römischen Formen,
oder einfache Schriftplatten und dergleichen, sind in Citania bisher
nicht gefunden worden. Die wenigen bisher gefundenen inschnft-
Citania 255
liehen Denkmäler sind von durchaas eigenartigem Charakter. Zwei
gröfsere Steine mit Inschriften zeigen zunächst in der ganzen An-
ordnung der Ornamentik die nächste Verwandtschaft mit der pedra
fermosa. Von dem einen fehlt an der linken Seite mehr als der
dritte Theil; das Mittelstück ist offenbar beinahe ganz, die rechte
Seite vollständig erhalten. Von dem anderen ist umgekehrt die linke
Seite vollständig, von der Mitte nur ein Theil erhalten, während die
rechte Seite fehlt. Die linearen Ornamente daran bilden gewisser-
mafsen den Abschluss der Schrifttafel, ähnlich wie die Henkel an
den römischen tragbaren oder an der Wand befestigten Inschriften-
tafeln. Das erste gröfsere Stück zeigt unter der Schrift der Mitte
eine concentrische Spirale und ein an das ä la grecque erinnerndes
lineares Ornament; das zweite kleinere ein noch einfacheres, aus
Halbkreisen und im spitzen Winkel zu einander gestellten Linien
bestehendes über der Schrift. Auf der gröfseren steht in tiefen, aber
im Ganzen schlanken Schriftzügen, die Inschrift (N. 1) Coronen
Camall domus, *Haus des Coronerus [des Sohnes] des Gamalus'.
Aehnlich klingende Namen wie Coruäbe, Coronwum kommen in ganz
vereinzelten Beispielen hier vor. Bei Ptolemaeos wird im Lande der
Gallaeker ein Vorgebirge des Corus erwähnt. Auf dem kleinereu
Stein steht nur (N. 2) Camali. Es liegt an sich am nächsten, die
in der Inschrift genannte domus als die domus aeterna, das Grab-
mal, des Coronet-US zu fassen, und demgemäfs auch den in der In-
schrift N. 2 genannten Camalus als den Verstorbenen. Aber dem wider-
spricht der Fundort: die Steine sind in und an den Häusern ange-
bracht gewesen, die sicher keine Gräber waren. Sichere Spuren alter
Gräber scheinen überhaupt bisher in Citania nicht gefunden worden
zu sein; die siebzehn Gräber, welche man in der Nähe der Capelle
des S. Eomao aufdeckte, sind spätchristliche.
S armen to hat mit grofser Wahrscheinlichkeit gezeigt, dafs die
ursprüngliche Bestimmung des Steins Nr. 1 mit der Inschrift des Coro-
nerus war als obere Schwelle eines Thorwegs, etwa des Vorhofs
einer runden Hütte, zu dienen. Zwei gleichartig ornamentierte Pfosten
von der Art der oben (S. 251) beschriebenen, welche sich an das
horizontale Basament einer Umfassungsmauer unmittelbar anschliefsen,
würden danach den länglichen Block mit der Inschrift so getragen
haben, dafs darunter ein offenes Eingangsthor von etwa 1,30 m Höhe
frei blieb. Ähnlich denkt er sich den Stein mit der Inschrift Nr. 2,
256 Spanien »
sowie einige der ornamentierten Steinschwellen verwendet. Eine
solche Aufstellung jener Steine stimmt mit meiner oben entwickelten
Ansicht von der ursprünglichen Verwendung und Aufstellung der
pedra fermosa durchaus überein. Lässt sich jedoch der Nachweis
führen, dafs die Umfassungsmauern und Vorhöfe der Hütten in der
That mit solchen oder ähnlichen Eingangsthüren versehen waren, so
lernen wir damit als einheimischen Brauch der Bewohner von Citania
die von der griechischen und italischen abweichende Sitte kennen,
die Häuser einzelner Bürger durch Inschriften als Eigenthum ihrer
Besitzer zu bezeichnen.
Von anderer Form aber ebenso unbekannter Bestimmung ist die
dritte Inschrift von Citania, ein flacher Felsblock, welcher vor der
Hütte oder dem Hüttencomplex liegt, in welchem die Inschrift Nr. 2
gefunden worden ist. Auf dem Block steht wiederum der Name
Camalus (N. 3) neben einem concentrischen Ornament eingegraben.
Von gleicher Art ist die nächste Inschrift, ein unregelmäfsiger
Granitblock, 1 m hoch und 0,45 breit, auf welchem in schräger
Linie zwei Zeilen stehen, welche Cron(i) Camali (ßii) (N. 4) zu
lesen sind. Namen auf -onus, wie Ad/ronus Veroti f(üius) und ähn-
liche konmaen in jenen Gegenden nicht selten vor. Ist Cronm
identisch mit dem Coronerus der Inschrift Nr. 1? Sarmento hält
es für sehr wahrscheinlich, dafs der Stein zu dem Hause gehört
habe, an welchem seiner Annahme nach der Stein des Coronerus an-
gebracht war. Eine epichorische Verktlrzung des Namens wäre nicht
unmöglich.
Eine weitere Inschrift von derselben Art, auch auf einem flachen
Felsblock nicht weit von dem vorhergehenden, lautet Coruabe
Medamus Camali (N. 5). Der Name Medamus konmat in jenen
Gegenden ebenfalls nicht selten vor.
Auf einer Steinplatte, die zu einem Haus gehört zu haben
scheint, steht Lari (N. 6), Genetiv eines Namens Larius oder Larus.
Das I ist durch einen Strich über dem E bezeichnet; horizontal
liegende I sind auf den frühchristlichen Inschriften von Wales häufig.
Auf einem roh behauenen Stein mit schlecht eingegrabenen
Schriftzügen steht J.^wro Vinati(filius) (N. 7); Sarmento macht darauf
aufmerksam, dafs das A der ersten Zeile oben offen sei und den
schrägen gelösten Mittelstrich habe (an sich eine sehr alte Form),
das der zweiten Zeile dagegen den gewöhnlichen horizontalen und
* Citania 257
fest verbundenen Mittelstrich zeige, aber ebenfalls oben offen sei.
lieber die augustische Zeit hinaus zu gehen nöthigen solche barbarische
Schriftformen nicht. Viriatus ist als nicht seltener Personenname in
jenen Gegenden bekannt. Neben dem häufigen Caturo kommen noch
Atto, Attua, Adronus vor, Aturo wie es scheint hier zuerst.
Aus Citania stammt, befindet sich aber jetzt in Sobreporta beim
Geistlichen, ein vollständig erhaltener Stein mit der Inschrift; Canici
(N. 8). So, Caniciy nicht Cavtci, auch nicht Civiciy ist zu lesen.
Also wiederum der Genetiv eines Eigennamens.
Nicht unmittelbar auf Citania, aber in der nächsten Nähe da-
von, in der Ebene zwischen Sabroso und dem Fluss Ave, nah dem
Bach, der an Citania vorbeifliefst, liegt ein Steinblock mit der In-
schrift Culcei F . . ., oder Cukeiu . . (N. 9), in tief eingegrabenen
und, wie Sarmento versichert, in der Lesung völlig zweifellosen
Schriftzügen; E und I sind darin in eigenthümlicher Weise verbun-
den, einem umgekehrten Dreizack |-|^ ähnlich. Die Inschrift steht,
wie ich hier nach Sarmento' s Mittheilung berichtige, nicht auf einem
Ziegel, sondern auf einem Stein. Dasselbe Zeichen zeigt die Inschrift
aus Citania Äurei (N. 10); an Aureli wird nicht zu denken sein.
Zehn Inschriften also in lateinischer Sprache, offenbar von den
Angesehensten unter den einheimischen Bewohnern gesetzt. Auffallend
ist vor Allem das häufige Vorkommen des Namens Camalus, Ca-
malus ist einer der gewöhnlichsten Namen in keltischen Gegenden.
In der spanischen Inschriftensammlung sind über zwanzig Beispiele
verzeichnet. Der Mars Camalus und das brittische Camalodtmum (oder
Camulodunum, beide Formen sind bezeugt) sind bekannt (oben S. 21).
Über die Zeit der Inschriften wage ich nach dem Charakter der Schrift
allein kein ürtheil. Die Buchstabenformen, besonders das M in
DOMVS, zeigen eine gewisse autochthone Roheit; auch das Verbinden
des A M und L, welches in dem Namen Camalus regelmäfsig wieder-
kehrt (wir werden es nachher auch auf den Ziegeln finden), könnte
auf alteinheimischem Brauch beruhen. Die grofse, alle Alphabet-
ziffem weit überschreitende Zahl der auf den iberischen Münzen vor-
kommenden Schriftzeichen hat die Annahme eines ausgedehnten Ge-
brauches von Buchstabenverbindungen in den iberischen Münzauf-
schriften den bisherigen Erklärem als unausweislich erscheinen lassen.
Doch wird man in jenen spätromanisierten Gegenden immerhin noch
zwischen dem ganzen ersten und der ersten Hälfte des zweiten Jahr-
Hübner, Westeuropa. 17
258 Spanien
handerts schwanken können. In Frankreich sind, soweit meine fre|
nur unvollständige Kenntniss reicht, ähnliche Steine mit oder 4
Schrift bisher nicht gefunden worden. Auch in diesem Falle fei
also bis jetzt alle Analogien für die Funde von Gitania mid ^
darf sich daher über ihre Bedeutung nur mit Vorsicht äufsem. i
soviel scheint sicher, dafs sie weder Grabschriften noch Wfl
Inschriften sind; am meisten Wahrscheinlickheit hat, dafs sie privai
Charakters sind.
Ehe 0. Hirschfelds Bearbeitung der gallischen Inschriften i
das Corpus vorliegt, ist es nicht möglich, das reiche aber w^
zerstreute und hierorts schwer zu erreichende Material für die Bi
Stimmung der einheimischen, d. h. vorrömischen und älteren römischoi
Gräber- und Grabinschriftenformen Galliens zu übersehen. Die Zil
sammenstellung von einer Anzahl altkeltischer Nekropolen mit zv
sammen über 3500 Gräbern nur in dem einen Departement der Marne!
welche A. Bertrand gegeben hat (Archäologie celtique et gauloist,
Paris 1876 8., S. 338 ff.), zeigt welchen Reichthum an derartigen Denk-
mälern Frankreich besitzt. Die Funde in den keltischen Gebieten
Deutschlands, im Trierischen besonders, und in der Schweiz kommen
hinzu. Für die feineren lokalen Unterschiede bieten sich die mannig-
fachsten Anhaltspunkte.
Ich verbinde hiermit die Mittheilung einiger anderer, aus den
nächsten Umgebungen stammender Inschriften, welche die gleiche
Kürze und zum Theil Un Verständlichkeit, auch die gleichen Buch-
stabenverbindungen zeigen, wie die von Citania.
An der Stelle des sogenannten kleineren Citania, einer der
gröfseren ganz ähnlichen Euinenstätte südlich vom Thal des Ancora,
befindet sich ein offenbar künstlich hergerichteter Felsblock in Form
einer aufrecht stehenden Kreishälfte von grofsen Dimensionen; er er-
hebt sich etwas mehr als einen Meter über den Boden und ist an
der Basis etwas über zwei Meter breit Auf der vorderen Fläche
steht in Buchstaben von sehr ungleicher Gröfse (von 12 bis 25 cm
Höhe) und mit ebenfalls sehr ungleichen Abständen von einander
(von einem bis 15 cm) eine Inschrift (N. 11), welche nimidi (oder
niminid) fiduenearum hie zu lesen ist. Auf der Rückseite des Blockes
steht in ganz ähnlichen Schriftzügen cosimeaehs.
Dieses Denkmals und der Örtlichkeit, an welcher es sich be-
findet, geschieht schon bei Argote Erwähnung. Sarmento, der es
Citania 259
*-- t.» i wieder aufgefunden, bestätigt die Lesung. Ob dies überhaupt lateinische
' ^'iM* Wörter sind (Felsinschriften in einheimischer Sprache sind auch
: ':i >:.. sonst in jenen Gegenden vorgekommen), ist sehr zweifelhaft. Die In-
i- -c r*: Schrift der Vorderseite zeigt grofse Verwandtschaft in der Fassung
: '»Aji mit einer schon länger bekannten Inschrift jener Gegend, welche
..•.iri? tunomeirurnariim \ Qintülo et Frisco cos gelesen wird. Das Con-
.:/ i-. sulat des Jahres 159 hier zu finden ist an sich nicht befremdlich;
allein es ist fraglich, ob desshalb auch auf der Rflckseite jener
-^.-.kisc anderen in dem c'os ein Consulat steckt.
'^ ^ V. Nahe bei Vizella (also auch nicht weit von Citania), in dem
yj:a: ^^ Bocas (Kirchspiel von S. Martinho do Campo), liegen zwei Stein-
..^vv-: blocke mit den folgenden, wahrscheinlich zusammengehörigen Auf-
..; ,.^i^ Schriften in kleiner Schrift: tud • t • rufxmd avici rufiud ^ (N. 12).
V ,.- Das Zeichen, welches ruf zu bedeuten scheint, ist auf dem ersten
^^^^,,. Block in später Zeit noch einmal wiederholt worden. Eine sichere Lesung
V,,. und Deutung ist auch hier nicht möglich. Alle diese Inschriften
;\^^ scheinen, wie die bisher bekannten, einer Art kurzer, alterthümlicher
Aufschriften anzugehören, denen man, da sie nur Namen enthalten,
nicht ansehen kann, ob sie sepulcralen ohne anderen Zwecken dienten.
yM'*
, , Aufser einer ziemlich grofsen Anzahl von Ziegeln und Scherben ziegei und
j i; ° ° Thon-
grofser Gefäfse von grobkörnigem Thon ohne Schrift sind sechs ver- scherben
schiedene Fragmente aus flachem Thon mit Inschriften in Citania
bisher gefunden worden. Zwei zeigen eingestempelt in erhabener
Schrift die Aufschrift ^r^; eines dieselbe, aber aus freier Hand ver-
tieft eingeritzt. Der dritte Buchstabe könnte hier und da für C ge-
lesen werden. Ftlr G aber spricht auch der andere, an der Innen-
^ wand der Oeffnung grofser Thongefäfse vollständig vorkommende
■ , Stempel Arg oder Äirg Camali Also wieder der Name Camalus;
ob in Arg oder Äirg ein anderer Lidividual- oder Ortsname, oder
aber ein Appellativum steckt, ist vorläufig nicht zu entscheiden.
Dazu fand sich auf zwei Ziegeln eingeritzt die Inschrift Äur(ei),
Es ist wahrscheinlich, dafs diese bisher nur an dem einen Orte
gefundenen Thongefäfse in Citania selbst verfertigt worden sind. Doch
zeigen sie im Ganzen den Charakter der Stempel grofser römischer
Amphoren und Dolia. Sarmento sucht die Vermuthung zu begrün-
den, dafs in dem häufig wiederkehrenden arg Camal(us) der Name
eines keltischen Fürsten (daher der Genetiv? airg Camali), nicht der
des Verfertigers der Gefäfse oder besser des Besitzers der Fabrik
17*
260 Spanien
zu suchen sei. Angesichts der steten Wiederkehr des Namens Ca-
malus in Inschriften und Stempeln wird zwar die Yermuthung nahe
gelegt, dafs er möglicher Weise ein Appellativum , etwa eine Amts-
oder Standesbezeichnung gewesen sei; allein bei dem auch anderwärts
häufigen Vorkommen des Wortes als Eigennamen entbehrt dieselbe
durchaus der Wahrscheinlichkeit. Die schwierige Frage der Deutung
und Herkunft solcher Gefäfsaufschriften kann nicht an einem einzelnen,
zufällig herausgegriffenen Exemplar, sondern nur an den Tausenden
von Beispielen der verschiedenen Arten von Geschirr aus allen Pro-
vinzen des weiten römischen Reiches gelöst werden; hier ist nicht
der Ort dafür. Fröhners und Schuermans Zusammenstellungen
sind dafür so gut wie unbrauchbar, da sie die Gattungen der Ge-
fäfse nicht unterscheiden. Die betreffenden Abschnitte der Samm-
lungen lateinischer Inschriften bieten vor der Hand den einzigen
Anhalt. Dresseis Arbeiten über die stadtrömischen Töpferstempel
werden dereinst eine Grundlage schaffen, auf welcher das in den
Provinzen Vorkommende sicherer als bisher classificiert werden kann.
In und bei den Hütten fanden sich Thonscherben, meist von
grobem kömigem Thon, hier und da mit alterthümlichen linearen
Ornamenten, wahrscheinlich von einheimischer Arbeit. Daneben aber
fehlt es nicht an feinerem, offenbar importiertem Geschirr. Diefs unter-
scheidet sich in ganz unverkennbarer Weise von dem oben beschrie-
benen. Einige Fragmente zeigen Reste der an dem römischen rothen
Geschirr üblichen Ornamente. Auf einem solchen Fragment von hell-
gelblichem Thon findet sich ein kleiner menschlicher Kopf, dessen
Ausführung von der Roheit der in Citania gefundenen Steinsculpturen
daher sehr merklich absticht. Er ist ganz klein, bartlofs, mit diadem-
artigem Schmuck und Schleier, also vielleicht weiblich.
Münzen Eine keltiberische Silbermünze, wahrscheinlich eine der zahl-
Aiter- reichen barbarischen Nachahmungen von Münzen von Emporiae, ferner
thümer
vier Asse von Calagurris lulia, Celsa, Emerita und Turiaso, alle
unter Augustus oder Tiberjus geschlagen, endlich drei kleine kaum kennt-
liche Erzmünzen, auf deren einer jedoch der Kopf des Hadrian wahr-
scheinlich sein soll, sind bisher in Citania gefunden worden. Ein
Stück der emporitanischen Reihe ist bisher noch nie in dem äufser-
sten Nordwesten der Halbinsel vorgekommen.
Aus diesen Münzfunden ergiebt sich mit einiger Wahrschein-
lichkeit nur, dafs noch im ersten Jahrhundert, vielleicht bis auf
Citania 261
Hadrian, in Citania einiger Verkehr mit den römischen Eroberern
stattfand, wie ihn ja auch die durch die Inschriften bezeugte Kennt-
niss des Lateinischen voraussetzen lässt. Aber um die Dauer der
selbständigen Existenz des Ortes selbst und seiner Bewohner dar-
aus zu bestimmen, dazu reichen solche vereinzelte Funde nattlrlich
nicht aus.
Von Erz fanden sich unter Anderem einige Stifte und Nadeln,
sowie ein Paar aneinander zu reihende kleine Kugeln, wohl von
einem Halsband, mit theils in Silber eingelegten, theils aus schwarzem
Schmelz bestehenden linearen Ornamenten.
Ein genaues Verzeichniss, wenn auch ohne Abbildungen, dieser
filr die Beurtheilung des Kulturzustandes der Bevölkerung von Citania
keineswegs unwichtigen kleinen Denkmäler fehlt noch.
Diefs sind die Ergebnisse der Ausgrabungen von Citania. Sie Hrgebnisae
sind, wenigstens vorläufig, als abgeschlossen anzusehen; Sar-
mento hat, nach seinen neuesten Mittheilungen, Neues von Erheb-
lichkeit nicht mehr gefunden und seine Thätigkeit inzwischen bereits
auf andere nahegelegene Denkmälerstätten gerichtet.
Der Gedanke zunächst, welcher in den bisherigen Behandlungen
des Gegenstandes ausnahmslofs festgehalten wird, dafs wir es mit
einer ausschliefslich barbarischen, vorrömischen oder keltischen Nie-
derlassung zu thun hätten, wird aufzugeben sein, angesichts der
Gesammtheit aller bisherigen Funde, so eigenartig auch der gröfsere
Theil von ihnen ist. Nach den ersten Berichten schien es aller-
dings, dafs sich aus der alten einheimischen Gemeinde nach ihrer
Unterwerfung durch die Römer eine neue römische nicht entwickelt
habe. Dieses scheint nur auf die Reste von Sabroso zuzutreffen.
In ihnen ist nach Sarmento's Versicherung nichts Römisches
aufser einer kleinen Silbermünze der Republik gefunden worden.
Die Inschriften, die steinernen Basen, das gestempelte wie das un-
gestempelte Geschirr zeigen jedoch, ebenso wie die Münzen und die
wenigen Gegenstände von Erz und Glas, welche auf der Ruinenstätte von
Citania gefunden worden sind, dafs, was an sich nattlrlich ist, die Be-
wohner des alten Oppidum nach der römischen Eroberung, so lange
dasselbe noch fortbestand, sich auch den Sitten und der Kultur der
Eroberer mehr oder weniger anbequemt haben. Und damit bestätigen
die einzelnen Funde in erwünschter Weise das Ergebniss, welches
sich auch aus der Betrachtung dieser merkwürdigen Reste in ihrer
262 Spanien
Gesammtheit ergiebt. Wir haben hier in der That, auf der iberischen
Halbinsel wohl zum ersten Mal, ein Oppidum der Urbevölkerung vor
uns, den dürftigen Wohnplatz eines höchst einfachen Menschen-
stanunes, mit seinen natürlichen und künstlichen Schutzwehren, mit
den gleichförmigen, ganz primitiven Wohnungen — Häuser kann man
sie kaum nennen — und den spärlichen Resten des Eindringens
römischer Kultur etwa in augustischer Zeit, welche wahrscheinlich
zugleich den Moment des Untergangs dieser wie so mancher anderen
kleinen alten Niederlassungen bezeichnet. Während die gröfseren
Orte, zu römischen Festungen oder Handelsplätzen umgeschaffen, wie
Bracara Augusta (Braga) und Tude am Minius (Tuy), und die zahl-
reichen Heilquellen, wie Aquae Flaviae (Chaves), Aquae Originae
Querquemae Celenae und wie sie sonst hiefsen, mit dem überlegenen
Yerständniss der italischen. Ansiedler angelegt, schnell aufblühten,
erhielt sich in jenen kleineren Ortschaften aller Wahrscheinlichkeit
nach zwar nicht mehr ein völlig unberührtes Dasein, wie es etwa, in
anderen Gegenden und unter verschiedenen Kulturbedingungen, keltische
Niederlassungen zeigen, wohl aber eine noch halbbarbarische Lebens-
weise, welche der fortschreitenden Romanisierung nicht lange zu wider-
stehen vermochte. Wahrscheinlich führten solche Niederlassungen in
römischer Zeit den Namen casteUum, welcher sich auf Inschriften aus
dem spanischen Galicien findet; Juvenal bezeichnet damit die muth-
maafslich ähnlichen Wohnsitze der Briganten in Britannien. Es würde
verwegen sein auf die zufällige Beobachtung eines solchen vereinzelten
Fundes allein die Vorstellung von dieser eigenthümlichen Kultur zu
gründen.' Aber sie liegt noch jetzt in einer ganzen Reihe von Bei-
spielen aus jenen Gegenden vor.
Schon seit langer Zeit ist wenigstens eine Örtlichkeit bekannt,
welche eine gewisse Verwandtschaft mit den in Citania gemachten
Funden zeigt. Es ist die Hochfläche von Panoyas bei Aldea de
Assento und Honra de Gallegos im Kirchspiel von S. Pedro de Val-
nogueiras und Bezirk von Villareal, in der Provinz Tras os Montes,
deren Inschriften in der spanischen Inschriftensammlung zusammen-
gestellt sind. Seit dem ausführlichen Bericht über diese alte Kultur-
stätte, welcher im Jahre 1721 von dem Pfarrer von Valnogueiras auf-
gesetzt worden ist, hat kein genauer und glaubwürdiger Beobachter
den Ort von Neuen besucht; der Engländer Kingston, welcher im
Jahre 1845 dort gewesen sein will, war nur ein oberflächlicher
Citania 263
Tourist, welcher die älteren Berichte ausschreibt. Es lohnte wohl der
Mühe, dafs eine von den in Portugal bestehenden archaeologischen
Gesellschaften dorthin eine wissenschaftliche Expedition unternähme
und das Resultat derselben in angemessener Weise publicierte.
Hier aber handelt es sich um ein abgelegenes Heiligthum. Bei
genauer Durchforschung des Landes fand Sarmento, dafs Hügel
von ämlicher Lage wie der von Citania in grofser Zahl mit den
Resten ähnlicher Oppida bedeckt sind. 'Es fehlt in der Provinz
Minho nicht an Ruinen', schreibt er mir, 'sondern an solchen die
sie erforschen . Im Thale des Ancora, nördlich von Vianna, zählt
er nicht weniger als fünf, zum Thuil Citania ganz ähnliche alte
Niederlassungen und eine beträchtliche Anzahl von Dolmen, Grab-
hügeln u. 8. w. Südlich davon sind weitere drei Plätze ähnlicher
Art. Der eine derselben wird, was bemerkenswerth ist, vom Volke
'das kleine Citania' (a Citania menor) genannt. Zu näherer Ver-
gleichung bieten sich zunächst die schon erwähnten in der Nähe
von Citania gelegenen Örtlichkeiten, Sabroso und Santa Iria.
Sie scheinen ganz ähnliche lusitanische Castella, mit denselben
Mauern und Hütten wie Citania, nur in kleinerem Maafsstab, gewesen
zu sein. Die genauere Durchforschung der Überreste von Sabroso
hat bestätigt, dafs hier, wie oben bei der Form der Hütten von
Citania bemerkt wurde, eine entschieden ältere, oder wenigstens von
römischen Einflüssen weit weniger berührte Kulturstufe vorliegt. Das
Thongeschirr mit seinen primitiven linearen Verzierungen, die Erz-
fibulae mit spiralförmigen und kreisrunden Ornamenten, die steinernen
Waffen und Geräthe sind häufig; römisches Geschirr, Ziegel, In-
schriften, tektonische Reste und Sculpturen fehlen gänzlich. Doch
ist, wie gesagt, ein römischer (subärater) Silberdenar vom alten
Typus (Frauenkopf mit Flügelhelm, Rev. Biga mit Victoria und ROMA)
daselbst gefunden worden. Noch fortwährend mehrt sich, Dank der
sorgfältigen Durchforschung des ganzen nordwestlichen Portugal, vom
Douro bis zur nördlichen spanischen Grenze, und besonders des
ganzen Küstengebietes, durch Sarmento, die Zahl der Ruinenstätten,
welche mit der von Citania eine gröfsere oder geringere Ähnlichkeit
zeigen. Zu den von ihm, wie bemerkt, schon früher im Thal des An-
cora beobachteten fünf Ruinenstätten ist noch eine sechste hinzuge-
kommen; an der Meeresküste, zwischen Lima und Ancora, zählt er
ebenfalls fünf; zwei erhebliche, zwischen Refoios de Basto und Pe-
264 Spanien
draga, die eine a Cividade de Basto, die andere o Monte das campas
dos Mouros, der Berg mit den Mauergräbem genannt, beschreibt er
genauer; an der vorletzten Stelle ist eine jener gallaekischen Krieger
Statuen gefunden worden, wie sie aus Vianna und mehreren anderen
Orten der Umgegend schon bekannt sind (S. 254). Hervorgehoben zu Ver-
den verdient aber die auf verhältnissmäfsig geringem Räume grofse
Häufigkeit solcher förmlich ummauerter Niederlassungen, Oppids, mit
runden, quadratischen und oblongen Hütten, welche sonst ja in den
gröfsten Seltenheiten gehören, im Vergleich besonders zu den überall
so ungemein häufigen Gräberanlagen aller Art, an denen es übrigens
auch im nördlichen Portugal nicht fehlt. Yiele dieser Nieder-
lassungen führen die volksthtimliche Bezeichnung o crasU, das ist
castrum, oder ähnliche, o castetto, o monte castello, auch a cidade
oder a cidadelha, oder o monte da cividade. Der alte Name der
Kastelle, den diese Orte führten, hat sich darin erhalten. Häufig ist
auf der Höhe dieser Orte noch eine alte christliche Kapelle erhalten
oder wenigstens die Erinnerung an einen Wallfahrtsort; wie denn
das Christenthum auch hier überall an die Stelle der heidnischen
Kulte getreten ist. Sarmento hat das an einer Anzahl schlagen-
der Beispiele erläutert. So in S. Adriäo de Vizella, einem alten
Oppidum mit der Kapelle unserer lieben Frau von Töcha (oder Dä-
tocha), die wie eine Inno Lucina angerufen werde, in Cerzedello, wo
das Oppidum beim Volke die Stadt von Pedräuca heifse, in S. Verissimo
mit der cidade de Pögas, in Lujö und an manchen anderen Orten.
Auch im südlichen Portugal, im Campo de Ourique und in den an
Andalusien grenzenden Theilen von Alemtejo, scheinen die Oppida nicht
zu fehlen. CoUa südlich von Evora und Castro verde sind Beispiele davon.
Im spanischen Galicien haben Murguia und Jos6 Villaamil y Castro ähn-
liche Niederlassungen nachgewiesen. In Asturien, besonders am Süd-
abhang der asturischen Berge im heutigen Leon, in Villamoros de
Mancilla, drei Leguen von Leon, ist eine Citania vergleichbare alte
Stadt mit Lehmhütten entdeckt worden, deren genauere Beschreibung
noch fehlt. Eigenthümliche lateinische Grabschriften der alten Asturer
sind aus jener Gegend, dem Bezirk von Riano, bekannt geworden.
Ich zweifle nicht, dafs im ganzen Norden der Halbinsel Ähnliches
sich finden wird, sobald man einmal aufmerksam darauf achtet. In
jene Gegenden ist römische Kultur erst spät und spärlich einge-
drungen. Aber auch in dem hoch angebauten und früh römisch ge-
Citania 265
wordenen Süden, in Andalusien, weisen die vom Thal des Baetis
entfernteren Gebiete in den Gebirgen, z. B. in denen von Granada
und Jaen, ebenfalls Städteanlagen auf, die in die vorrömische Zeit
gehören und nur geringe Spuren römischen Einflusses zeigen. G6n-
gora hat einige derselben genauer beschrieben; aber vieles bleibt
auch hier noch zu erforschen. Erst wenn ein gröfserer Kreis von
solchen Analogien genauer bekannt geworden ist, wird man ein be-
stimmtes ürtheil fällen können über den Platz, welchen Citania mit
seinen Ueberresten in der geschichtlichen Entwickelung der iberischen
Halbinsel einnimmt. Einstweilen ergiebt sich jedoch zweierlei bereits
mit ziemlicher Sicherheit: einmal, dafs diese Niederlassungen, bis in
wie späte Zeit herab sie auch noch in einem gewissen Grade be-
wohnt geblieben sind, ihren Ursprung der ersten Bevölkerungsschicht
der Halbinsel von einiger Kulturentwickelung verdanken, und femer,
dafs sie in der That mit den andersher bekannten und mit Wahr-
scheinlichkeit für keltisch angesehenen Dörfern und Städten die
nächsten Berührungspunkte haben.
Pfeil- und Lanzenspitzen aus Silex, steinerne Beile und Hänamer,
die üblichen Anzeichen der sogenannten Steinzeit und die Utensilien
der Renthie^periode fehlen durchaus. Aber auch die charakteristischen
JCiödöiScke der sogenannten Bronzezeit oder die in der Epoche der
italischen, germanischen und keltischen Pfahlbauten vorkommenden
Gegenstände, die Knochenreste, die Spuren der Nahrungsmittel und
Bekleidungsgegenstände, die Waffen und Geräthe aus Erz, die Thon-
gefäfse und so weiter, scheinen nach den bisherigen Berichten durch-
aus zu fehlen. Entferntere Analogien dagegen bieten (soweit sie
bekannt) die ältesten für ligurisch und etruskisch gehaltenen Nieder-
lassungen in Italien, nähere die keltischen in Frankreich.
Es fehlt zwar meines Wissens noch an einer übersichtlichen
Zusammenstellung der Ergebnisse der in den letzten Jahrzehnten in
Frankreich mit steigendem Erfolg betriebenen Erforschung keltischer
Oppida; allein die charakteristischen Eigenthümlichkeiten derselben
sind hinlänglich erkennbar. Eine lehrreiche Übersicht über gallische
Oppida in einem Theil des südlichen Frankreichs — die ähnlichen
Anlagen in Burgund und im Elsass lasse ich hier bei Seite — wird
Castagnie verdankt; Murcens und der Puy dlssolud (Uxellodu-
num) und ähnliche im Departement du Lot sind von ihm (1874)
genau beschrieben worden. Yon älteren Arbeiten ist Baraillons
266 Spanien
Abhandlung über Tonil im Departement de la Crense (1801) inmier
noch lesenswerth. Eine Übersicht über die vier gallischen Oppida
Morant, Puy de Gaudy, Toulx S*® Croix, Thanron in demselben De-
partement de la Creuse gab (1871) de Cessac. Aus anderen Theilen
des südlichen Frankreichs (Puy-de-Döme, Lozöre, Ardöche, Gard) sind
Oppida mit zehn bis zwölf, aber auch gröfsere mit über sechzig
Hütten (bei denen auch eine besondere Art des Verschlusses der
Thtlren erwähnt wird) bekannt geworden. Neuere Arbeiten liegen
vor von Tholin, Maxe-Werle, du Chatellier für ein Oppidum
am Cap Finisterre. Lage, Zugänge durch verschiedene Strafsen und
Befestigung jener gallischen Oppida scheint der von Citania durchaus
analog zu sein; nur dafs die in den gallischen Mauern durch Caesar
bezeugten und auch wirklich in ihrer einstigen Lage und in Kohlen-
resten nachgewiesenen hölzernen Balken und die dazugehörigen grofsen
eisernen Nägel in Citania fehlen. In Uxellodunum findet sich z. B.
auch ein dreifacher Mauerring, wie in Citania, nur natürlich von
weit gröfseren Abmessungen. Wie weit das in zahlreichen Scherben
in jenen Oppida gefundene Töpfergeschirr ohne römische Stempel
Analogien zu dem lusitanischen zeigt, entzieht sich vor der Hand
noch der Beurtheilung. Aber evident ist die Analogie der Hütten.
Sie sind in Murcens z. B. sämmtlich meist rund und elliptisch, selten
viereckig; sie entsprechen durchaus, wie die französischen Forscher
längst bemerken mussten, der berühmten Schilderung Strabo's von
den runden tholosähnlichen Hütten der Kelten. In der Bauart ihrer
Mauern glaubt zwar Castagni^ ebenfalls, wie in den Befestigungs-
mauem des Oppidum selbst, auf verschiedene Anzeichen gestützt,
hölzerne Balken annehmen zu müssen. Doch gab es wohl auch ganz
aus Steinen erbaute Hütten; und, was das MerkwtLrdigste ist, nach
der Versicherung des genannten Gelehrten sind noch jetzt im Quercy
dergleichen steinerne Hütten mit konischen Dächern ebenfalls aus
Stein für die ärmste Klasse der Bevölkerung üblich.
In den übrigen alten Keltenländem, in Wales und Schottland,
hat sich neuerdings diesen Anlagen allgemeinere Aufmerksamkeit zu-
gewendet. Seit längerer Zeit schon bekannt ist eine derartige Nie-
derlassung, Hütten und Gräber umfassend, auf Holyhead bei Porth
Dafarch; ähnliche sind neuerdings mehrfach an verschiedenen Stellen
der Küste von Wales beobachtet worden, wie auf dem Gipfel des Felsens
Penmaenmawr, dem Braich (oder Craig)-y-Ddinas. Auch sind
Citania 267
ähnliche Felsenreste an der Küste von Anglesey, an der Malldraeth
Bay, femer in Montgomeryshire , auf dem Craig-Riwarth und in
Cynwil-Gaio vorhanden.
Die Frage, ob auch andere als keltische Stämme runde steinerne
Hütten gebaut haben, wie die in Frankreich und England gefundenen
und die von Citania sind, ist vor der Hand, wie so viele Fragen
der ältesten, der sogenannten vorhistorischen Kulturgeschichte, noch
nicht mit Sicherheit zu beantworten. Wenn die hinlänglich begrün-
dete Beobachtung, dafs bei den indogermanischen Völkern im Haus
und im häuslichen Leben sowie in allem, was damit im engsten Zu-
sammenhang steht, auch die Sprache den Grad der ursprünglichen
Einheit und der nach und nach eintretenden Sonderung wiederspiegelt,
auf die runden steinernen Hütten Anwendung findet, so wird man in
den Bewohnern von Citania einen keltischen oder den keltischen nahe
verwandten Volksstamm erkennen dürfen. Citania liegt nach den Angaben
des Ptolemaeos in dem Gebiet der Nemetaten und Koelemer, deren
Namen wohl für keltisch gelten dürfen und deren Städte Volobriga
und Koiliobriga zu den unzweifelhaft keltischen Namenbildungen ge-
hören, welche die Eroberung des Landes durch keltische, vielleicht
über See gekommene Einwanderer bezeugen. Allein es kann be-
zweifelt werden, * ob die offenbar uralte Niederlassung von Citania
jenen in nicht allzu früher Zeit, etwa im sechsten Jahrhundert vor Chr.,
angelegten Keltenstädten mit der charakteristischen Endung -briga
zugezählt werden darf. Das älteste historische Zeugniss über die
Urbewohner Hispaniens und des europäischen Westens überhaupt, das
in seinem Kern unzweifelhaft auf phönikische Schiffernachrichten zu-
rückgehende Gedicht des Avienus, setzt aber in den Nordwesten der
Halbinsel, in das Schlangenland Ophiussa, die Völkerschaften der
Kempser und Saefen oder vielleicht Saeten. Kelten, in dem späteren
Sinne des Namens, d. h. aus Gallien und Iberien eingewanderte
Stämme, waren sie nicht; vielmehr sind sie als zu den ürbewohnem
Iberiens gehörig anzusehn. In welchem Verhältniss die späteren
Gallaeker zu den ürbewohnem stehen ist völlig ungewiss; dafs sie
Kelten gewesen seien, wie man besonders aus dem Namen geschlossen
hat, ist durchaus unerweislich. Darf jenen ürbewohnem mit einiger
Wahrscheinlichkeit die Anlage der Mauem und Hütten von Citania
zugeschrieben werden, so gewinnen diese damit ein weit über den
blofsen Werth des Alterthümlichen hinausgehendes Interesse. Auch
268 Spanien
die oben angestellten Erörterungen über den Namen Citania erhalten
dadurch eine gröfsere Bedeutung. Sollte sich durch weitere und um-
fassende Beobachtung der Denkmäler ein Verhältniss naher Verwandt-
schaft zwischen der ältesten Bevölkerung Galliens und derjenigen Hi-
spaniens, zwischen Kelten und Iberern, ähnlich etwa dem zwischen
den ältesten griechischen und italischen Stämmen, herausstellen, so
würde damit ein Einblick mehr in das Dunkel der ältesten Geschichte
des europäischen Westens gewonnen sein. Es ist noch zu früh diesen
Einblick, für welchen es auch andere, hier nicht zu erörternde An-
haltspunkte giebt, weiter zu verfolgen; allein das Verdienst Sar-
mento's, durch seine Ausgrabungen uns die unmittelbare Anschauimg
einer fast vergessenen Vorstufe der Kultur seines . Heimatlandes md
damit des äufsersten Westens von Europa überhaupt geboten zu
haben, ist sicherlich kein geringes.
IV.
Römische Bergwerksverwaitung.
Die hier besprochene Urkunde, 1876 gefunden, ist in der 'Ephemeris
epigraphica von 1877 und zuletzt im Supplement zu der spanischen In-
schriftensammlung (1890) gedruckt; dort ist über die ziemlich Ausgedehnte
Litteratur berichtet, die sich an sie geknüpft hat. Die Besprechung, wie sie
hier vorliegt, ist der archäologischen Gesellschaft zu Berlin zum Winckel-
mannsfest am 9. December 1876 vorgetragen und danach in der Deutschen
Rundschau Jahrgang III 1877 Heft 11 S. 196—213 veröffentlicht worden.
Eine deutsche üebersetzung des Textes der Urkunde gab G. Wilmannsin
der Zeitschrift für Bergrecht XIX 1878 S. 217 ff., eine französische
J. Flach in der Nouvelle Revue de droit fran^ais et ^tranger II 1878.
Zwar bestehen in Betreff einiger der rechtlichen Fragen, die sich an die
Bestimmungen der Urkunde knüpfen, noch mancherlei Zweifel, auch ist
die Deutung einzelner Bestimmungen in Bezug auf die Bäder noch nicht
mit allseitiger Uebereinstimmung gelungen; allein alle Hauptsachen sind
klar und können zu allgemeinem Yerständniss gebracht werden.
„^^^ Die iberische Halbinsel virar für das Alterthum, was die neue
Urkunde
Welt seit dem fünfzehnten Jahrhundert für Europa geworden ist, die
Hauptfundstätte der edlen und unedlen Metalle. Durch eine wunder-
bare Fügung ist dasselbe Spanien, dessen penianische Silberflottefl
den wirthschaftlichen Umschwung der neuen Zeit bewirken halfen, in
der alten Zeit für die phöniki sehen, karthagischen und griechischen
Römische Bergwerksverwaltung 269
Handelsflotten, zuletzt für die römischen Eroberer das Potosi ge-
wesen, aus dessen unerschöpflich scheinenden Minen und Flüssen
fremde und einheimische Bergleute, zuerst die phönikischen, vor Allem
die edlen Metalle, Gold und Silber, unablässig gefördert haben. So
bekannt und so vielfältig bezeugt die Thatsache auch ist, von der
Fahrt des Herakles zu den goldenen Äpfeln der Hesperiden an, worin
uralte Sage sie gekleidet hat, bis herab zu den noch erhaltenen
Stücken des Silbergeldes, welches Hamilkar Barkas und seine Nach-
folger in dem neuen Karthago in Spanien prägen Hessen, und endlich
bis zu den ebenfalls erhaltenen, mit römischen Stempeln versehenen
Bleibarren der zuletzt nur auf diefs gemeinere Metall hin bebauten
Silberminen von Castulo und Neukarthago herab (oben S. 194): in
seiner ganzen Ausdehnung und Bedeutung tritt der spanische Bergbau
uns erst seit Kurzem wieder vor Augen, seit die nie rastende Begier
nach neuem Erwerb fremdes, meist englisches Kapital und fremde,
meist deutsche Technik an vielen Punkten der Halbinsel zur erneuten
Bewirthschaftung der alten, Jahrhunderte lang verlassenen Bergwerke
geführt hat.
In der öden und menschenarmen Hochebene des südlichen Por-
tugal, in der Provinz Alemtejo, etwa in der Mitte zvnschen dem Lauf
des Guadiana und der westlichen Meeresküste, liegt mitten in einem
Minenbezirk das kleine Kastell Aljustrel. Spuren antiker Kultur sind
an dem Orte selbst meines Wissens bisher nicht gefunden worden.
Aber etwas weiter südlich, in dem sogenannten Feld von Ourique,
sind unzweifelhafte Zeugnisse alter, vorrömischer Kultur vorhanden:
eine ziemliche Anzahl von Grabsteinen, wie es scheint, von roher
Arbeit, mit Aufschriften in einer Schriftart, welche zwar noch räthsel-
haft ist, aber sicher zu den aus der phönikischen abgeleiteten iberi-
schen Schriftarten gehört. Der nächste Hafenplatz ist Santiago de
Cacem, wahrscheinlich das alte Merobrig a der Plumbari i, wie Plinius
die Bewohner nennt; eine keltische Gründung und ein Ausfuhrplatz
für Blei, wie der Name zeigt. Etwas weiter nördlich, nach Olisipo
(Lissabon) zu, lag das römische Municipium Salacia, jetzt Alcacer
do Sal, wohl ursprünglich an der Flussmündung des Sadäo, die durch
ein tief einspringendes Aestuarium mit dem Meer eng verbunden war.
Der Name deutet auf die mit den phönikischen Niederlassungen oft
verbundenen Salinen und Pökelanstalten. Dort, wie in dem an der
anderen jiördlichen Seite desselben Aestuariums gelegenen Caetobriga,
270 Spanien
dem heutigen Setübal, sind zwei Münzen geschlagen worden nach
römischem Fufs, aber mit Aufschriften in demselben iberischen Al-
phabet, welches die noch unentzifferten Grabsteine von Ourique zeigen.
Landeinwärts sind die nächsten römischen Orte die Colonie Pax Julia,
das heutige Beja, und am Anasfluss das altphönikische Myrtilis,
jetzt Mertola. Auch ein römischer Strafsenzug hat höchst wahr-
scheinlich den südlichen Hafen Ossongba (Faro in Algarve) mit Olisipo
verbunden, unmittelbar vorübergehend an den Orten Oimque und
Aljustrel. Die weiteren Umgebungen von Aljustrel lassen also nicht
verkennen, dafs hier uralter Verkehr eingewanderter und einheimischer
Bewohner stattfand. Zwei Bergwerke sind neuerdings durch eine
Actiengesellschaft, die Compagnie de min^ration transtagane, wie-
derum in Betrieb gesetzt worden, hauptsächlich auf Kupfer; in dem
einen derselben ist im Frühling des Jahres 1876 auf einer grofsen
Erztafel von etwa 72 cm Höhe und 53 cm Breite die römische Ur-
kunde gefimden worden, deren Inhalt den Gegenstand der folgenden
Bemerkungen bilden soll.
Leider ist die Erzplatte an der rechten Seite verstümmelt: ein
schmaler Streifen von etwa 15 cm Breite ist mit Gewalt abgehauen
worden, wahrscheinlich als sie von später Barbarei zu irgend welchen
praktischen Zwecken zurechtgemacht wurde. Durch einen eigenthüm-
lichen Umstand aber kann der so entstandene Verlust bis auf einen
nicht allzu bedeutenden Rest ersetzt werden. Die Tafel ist nämlich
auch auf der Rückseite beschrieben, und zwar der Hauptsache nach
mit demselben Text wie auf der Vorderseite, nur in etwas anderer
Raumeintheilung. Die Rückseite ist, wie die stehen gelassenen Lücken
zeigen, ein vom Graveur verworfenes Exemplar; er hat wahrschein-
lich seine Vorlage nicht gut lesen können und, um die Platte nicht
ganz zu verlieren, dieselbe umgekehrt und noch einmal benutzt. Doch
decken sich der Inhalt der Vorderseite und der der Rückseite nicht
ganz : die Vorderseite hat oben elf Zeilen Schrift mehr als die Rück-
seite, und diese unten sieben Zeilen mehr als die Vorderseite. Der
Graveur hat also mehr als eine der ursprünglichen Tafeln ver-
werfen müssen.
So ergiebt sich ein Text von gerade sechzig langen Zeilen,
welcher bis auf die Lücken am rechten Rande der meisten Zeüen
vollständig ist; nur der letzte Satz bricht in der Mitte ab. Aber
diese Erztafel ist nur eine von mehreren, welche ursprünglich den
Römische Bergwerksverwaltung 271
ganzen Text der Urkunde enthielten. Links unten, unmittelbar unter
der letzten Zeile der Vorderseite, steht die Zahl HI. Diefs ist also
die dritte Tafel; es fehlen mithin die erste, zweite und vierte sicher,
und vielleicht noch eine Anzahl mehr. Auch das lässt sich bei dem
Zustand der Tafel nicht entscheiden, ob dieselbe in der Breite rechts
vielleicht ursprünglich noch einmal so grofs war und daher, wie es
in den gleichartigen Urkunden zu sein pflegt, mehrere Columnen
Schrift nebeneinander enthielt. Eine auch nur annähernde Vermuthung
über den Umfang des Verlorenen ist daher nicht möglich.
Diefs klingt für die Deutung und Verwerthung nicht ermuthigend. Der Inhalt
Aber die Alterthumsforschung ist es gewohnt, aus Trümmern sich
ihre Welt zu schaffen; die hier vorliegenden sind ansehnlich genug,
um eine lohnende Ausbeute zu versprechen.
Es ergibt sich zunächst schon bei flüchtiger Durchsicht des
Textes, dafs die Urkunde eine Zusammenfassung gesetzlicher Vor-
schriften für die Verwaltung eines Bergwerks enthielt. Darin liegt
ihr grofser Werth; denn unter den zahlreichen römischen Urkunden,
die wir kennen, befindet sich von solcher Art keine. Das Bergwerk,
auf welches die Bestimmungen sich beziehen, führte den hier zum
ersten Mal erscheinenden Namen Metallum Vi pascen se; Vipasca oder ^
Vipascum wird also der einheimische Name des an der Stelle des
heutigen Aljustrel oder in seiner Nähe gelegenen antiken Ortes ge-
wesen sein. Da der Anfang der Urkunde mit den zu ihr gehörigen
Eingangsformeln fehlt, so sind wir in Bezug auf ihre staatsrechtliche
Bedeutung auf Vermuthungen angewiesen. Die Bergwerke gehörten
in Griechenland wie in Rom von jeher zu den hauptsächlichsten Ein-
nahmequellen aus der Bodennutzung des Gemeindeeigenthums. In
der republikanischen Zeit Roms verpachteten die Censoren ihre Be-
wirthschaftung; in der Kaiserzeit gehörten sie, gleichviel ob in den
Provinzen des Kaisers oder in denen des Senates gelegen, zum weit-
aus gröfsten Theil dem kaiserlichen Fiscus oder dem kaiserlichen
Privatvermögen. Wiederholt erscheint nun in der uns beschäftigen-
den Urkunde der kaiserliche Fiscus als die Kasse, an welche Con-
ventionalstrafen und dergleichen zu entrichten sind, und aufserdem
der Procurator des Kaisers als der höchste Verwaltungsbeamte. Da-
nach lässt sich mit gröfster Wahrscheinlichkeit feststellen, dafs die
Urkunde ein vom Kaiser vermuthlich nach herkömmlichem Formular
erlassenes Gesetz für die Verwaltung und Bewirthschaftung dieses
272 Spanien
Bergwerksbezirks ist, yon dem kaiserlichen Procurator, als dem
obersten Beamten desselben, an Ort und Stelle zur Nachachtang in
der allgemein und von Alters her üblichen Ausfertigungsform auf
Erztafeln öffentlich aufgestellt.
^**' wS**^ Damit ist zunächst die sonst aus keiner bestimmten Angabe des
Textes zu entnehmende Abfassungszeit der Urkunde wenigstens an-
nähernd bestimmt. Sie gehört in das erste Jahrhundert unserer Zeit-
rechnung, in die grofse organisatorische Epoche der Kaiserherrschaft,
welche auf aUen Gebieten des öffentlichen Lebens in Rom und Italien
wie in den Provinzen, in mehr oder weniger verständnissvollem An-
schluss an die Gedanken des Caesar und des Augustus, die Formen
geschaffen oder wenigstens dauernd festgestellt hat, in denen das
römische Gemeinwesen bis auf die Zeit Diocletians und Constantins
sich bewegen sollte. Diefs bestätigen die Sprache und Schreibung
der Urkunde, welche theilweise noch den alterthümlichen Curialstil
in Formulierung und Orthographie bewahrt haben, sowie die Schrift-
formen. Man darf den Erlass dieser Bergwerksordnung mit grofser
Wahrscheinlichkeit einem der Kaiser aus dem flavischen Hause, dem
Yespasian, Titus oder Domitian, zuschreiben. Gerade sie haben in
den spanischen Provinzen eine umfassende Yerwaltungsthätigkeit
entwickelt, in welche solch ein Erlass sich passend einfügt. Aus
derselben Zeit sind die drei ebenfalls auf Erztafeln erhaltenen grofsen
Urkunden, welche die Stadtrechte dreier südspanischer Gemeinden
enthalten. Aus dem Ende des zweiten Jahrhundert dagegen ist eine
neuerdings gefundene Erztafel, welche das Bruchstück eines Gesetzes
über die Gladiatorenspiele enthält. Es ist schwerlich ein Zufall, dafs
alle diese Urkunden aus Spanien stammen und bis jetzt wenigstens
aus keiner anderen der römischen Provinzen ähnliche Denkmäler zum
Vorschein gekommen sind.
Der Ort Weiter ergiebt sich aus der allgemeinen Formulierung der Be-
stimmungen unserer Urkunde ein neues und wichtiges Factum in Be-
zug auf die Einrichtung und Verwaltung der Bergwerksbezirke. Es
liegt in der Natur derselben, dafs sie mit städtischen Ansiedelungen
nicht ursprünglich und nicht nothwendig verbunden waren. An den
Orten, an oder bei welchen Stollen und Schachte vielleicht schon
seit unvordenklicher Zeit befahren wurden, müssen sich aber früh
Ansiedelungen der Bergarbeiter gebildet haben, denen zu der völligen
Ähnlichkeit mit städtischen Gemeinden nur die auf Selbstverwaltung
Römische BergM^crksverwaltung 273
beruhende Fonn des politischen Gemeinwesens fehlte. Vielleicht be-
zeichnete man sie nach der Analogie älterer, den städtischen Anlagen
vorangehender Ansiedelungen in Italien, denen auch die politische
Form der städtischen Gemeinde fehlte, als vid, vielleicht auch als
pagi oder saltus; in unserem Sinne also höchstens als Dörfer. An
einer einzigen, nicht mit völliger Sicherheit zu ergänzenden Stelle
unserer Urkunde scheint wirklich das Wort vicus von dem Berg-
mannsdorf gebraur.ht worden zu sein. Ein solches Dorf nun hatte
keine selbstgewählten Gemeindevorsteher und keinen sie berathenden
Bürgerausschuss, wie er sonst in Stadtgemeinden üblich war. Son-
dern die Befugnisse beider übt, wie sonst wohl in besonderen Fällen
hier und da ein vom Kaiser ernannter Gemeindebeamter, so hier der
kaiserliche Procurator des Bergwerks. Möglich ist, dafs sich seine
Amtsgewalt nicht auf ein einziges Bergmannsdorf allein, sondern auf
einen ganzen Bergwerksdistrikt erstreckt hat. Auf diese Weise allein
erklärt es sich, dafs in der Urkunde Bestimmungen über bürgerliche
Geschäfte und die dafür zu zahlenden Gebühren, über Bäder und
Babierstuben, über die Abgabenfreiheit einzelner Gemeindemitglieder,
wie des Schulmeisters, und endlich über den Bergbau selbst in regel-
loser Folge nebeneinander stehen. Hierbei war gewiss die Erwägung
maafsgebend, dafs es auf zweierlei ankomme : einmal dem kaiserlichen
Fiscus die gröfstmöglichen Erträge zu sichern, und femer, der Arbeiter-
bevölkerung eine einigermafsen menschenwürdige Existenz zu schaffen,
ohne welche sie ja auch nicht leistungsfähig gewesen wäre.
Seit uralter Zeit befand sich im Alterthum die Bewirthschaftung „ ^*« ^
" Bergwerk
der Bergwerke wie andere öffentliche und private Unternehmungen,
z. B. Hafen- und StrafsenzöUe, in den Händen von Kaufmannsgesell-
schaften; wir würden sagen von Actien- oder vielleicht richtiger von
Commanditgesellschaften. Die Einrichtung geht in ihren Anfängen
höchst wahrscheinlich zurück auf die älteste aller handeltreibenden
Nationen, auf die Phönikier. Phönikische Handelsgesellschaften hatten
an allen Küsten des mittelländischen Meeres die Salinen und Fisch-
pökeleien in den Händen. Von der in diesen Stockfischfabriken ge-
wonnenen beliebten Fischsauce, dem Garum, welches so verbreitet
war wie jetzt der Caviar, war das „Actiengarum" das feinste; die
Thongefäfse, in denen es aufbewahrt wurde, wie die darauf erhal-
tenen Aufschriften zeigen, haben sich z. B. in den Kellern der reichen
Kaufherrn von Pompeji gefunden. Solche Gesellschaften pachteten
Hübner, Westeuropa. ^^,^^-- -^^
ÜNIVERSITY
■^'1/-/F0RNIA.
274 Spanien
vom Staat die Bewirthschaftung der Bergwerke. Auch der Bergbau
wird in Hispanien, wie anderswo, den Phönikiem zugeschrieben, oder
wenigstens die Verwertbung und Ausfuhr seiner Producte. Aber
nicht blofs die Bergwerke, sondern auch die Herstellung und Be-
schaffung aller für die Bedürfnisse der Bergarbeiter nöthigen Dinge
in ihrer ganzen schon angedeuteten Mannigfaltigkeit, von der für das
Leben des späteren Alterthums wie des Mittelalters unentbehrlichen
öffentlichen Badeanstalt an herab bis zur Lieferung von Schuhzwecken,
wurde ebenfalls an Pächtergesellschaften verpachtet, und es machte
sich wohl von selbst, dafs an kleinen und entlegenen Ort^n eine
einzige Gesellschaft von Kapitalisten die sämmtlichen verschieden-
artigen Lieferungen und Leistungen zusammen übernahm. Um nun
aber die bei der Abgelegenheit der Bergmannsdörfer fast unvermeid-
liche Concurrenz und die Übervortheilung der Consumenten durch
die Lieferanten abzuhalten, und um die Leistungen und Lieferangen
der Pächter möglichst controlieren zu können, wird diesen der Zu-
schlag zur Pacht ertheilt unter Bedingungen, welche einer voll-
ständigen Monopolisierung unter den allerschärfsten Prohibitivmaafs-
regeln gleichkommen. Der Pächtergesellschaft und ihren Beamten
wird nicht blofs das ausschliessliche Privilegium für alle die von ihr
übernommenen Leistungen zugesprochen unter Androhung von Geld-
bufsen gegen jeden Anderen, der versuchen sollte sich einzudrängen,
sondern die Pächter werden auch ermächtigt, jeden Unberechtigten
in Strafe zu nehmen oder auf sein Handwerkszeug Beschlag zu legen;
sogar das Pfändungsrecht gegen Säumige oder Widersetzliche er-
halten sie.
Diefs wird den Geist jener Verordnungen hinlänglich bezeichnen.
Sie erinnern in der That lebhaft an das ältere englisch-amerikanische
System der Arbeitgeber bei Eisenbahnbauten und anderen grofsen
Unternehmungen in wüsten Gegenden, nämlich die Arbeiter nicht
durch baares Geld, sondern durch Naturallieferungen zu festgesetzten
Preisen zu bezahlen, das sogenannte Tausch- oder Trucksystem. Viel
wirksamer noch, als dies System dem californischen oder australischen
Goldgräber gegenüber zur Anwendung gebracht wird, hat sicherlich
das römische Bergwerksgesetz die Arbeiter der Minen von Vipasca
vor Übervortheilung geschützt, freilich aber zugleich ihre wirthschaft-
liche Freiheit in einer Weise beschränkt, gegen welche moderne
Schutzzölle und Tarife ein Kinderspiel sind.
Kömische Bergwerksverwaltung 275
Die neun erhaltenen Kapitel des Gesetzes sind von sehr ungleicher ^^^^^^
Länge. In ihrer Reihenfolge ist durchaus kein hestimmtes Princip ^'k^^^e
der Anordnung zu erkennen; auch in der Fomulierung im Einzelnen
zeigen sie nicht unerhebliche üngleichmäfsigkeiten. Eine gewisse
grofsartige Sorglosigkeit in der Form ist als eine bezeichnende Eigen-
thümlichkeit der römischen Gesetzgebungspraxis auch aus den übrigen
uns erhaltenen urkundlichen Aufzeichnungen des römischen Rechtes
bekannt. Der Schärfe der Begriffe und der praktischen Verwend-
barkeit der Bestimmungen geschieht dadurch kein Eintrag.
Die beiden ersten Kapitel sind die einzigen, welche in einem
nahen sachlichen Zusammenhang stehen. Sie betreffen beide die frei-
willige Veräufserung von Eigenthum durch Auction und das damit
verbundene Geschäft des Ankündigens und Ausrufens solcher Ver-
käufe. Welchen hervorragenden Platz im römischen Geschäftsleben
die Auctionen einnahmen, konnte man bisher nur unvollständig be-
urtheilen. Durch ein merkwürdiges Zusammentreffen ist gerade um
dieselbe Zeit, im Mai des Jahres 1876, als die portugiesiche Erz-
tafel zum Vorschein kam, in Pompeji, der unerschöpflichen Quelle
für die lebendigste Anschauung des römischen Privatlebens, ein Fund
gemacht worden, welcher den Inhalt der ersten Kapitel des lusita-
nischen Bergwerksgesetzes in erwünschter Weise erläutert und wiederum
auch durch diese Licht erhält. In dem Hause nämlich, wie sich her-
ausgestellt hat, eines reichen Banquiers ist unter der schützenden
Aschendecke in einem besonderen Kasten wohl Verwahrt ein Theil
seiner Geschäftspapiere erhalten geblieben. Es sind etwa 130 kleine
beschriebene Holztäfelchen, Diptychen und Triptychen, sämmtlich
Quittungen enthaltend von Personen, für deren Rechnung der Banquier
Auctionen angestellt hat, über die aus denselben ihnen zukommenden
Summen, oder Quittungen der Gemeinde^ompeji über die Pacht-
gelder ihrer von dem Banquier gepachteten Grundstücke. Aus der
ersten Art dieser Documente besonders erkennt man, in wie ausge-
dehntem Maafse Auctionen veranstaltet zu werden pflegten, bei aufser-
ordentlichem Geldbedarf, oder um sich überflüssiger Dinge, z. B. bei
einer Erbschaft, zu entledigen, und wie einträglich die mit unserer
Stempelsteuer vergleichbare römische Auctionssteuer von einem Procent
gewesen sein muss. Die Übernahme der Auctionen, welche ja ohne
ein festes Lokal und Personal nicht wohl zu denken ist, bildete eine
hervorragende Seite des römischen Banquiergeschäfts, etwa wie das
18*
276 Spanien
heutige Makler- und CJominissionsgeschäft. Der Banqnier fongiert als
der eigentliche Verkäufer; er trägt die Unkosten des Geschäfts, ent-
richtet die Tom Käufer zu zahlende Steuer f&r den Erlös und be-
dingt sich daf&r eine Provision aus, welche nicht unter einem Procent,
wahrscheinlich nicht selten mehr betrug. Das Yerhältniss des die
Auction ttbemehmenden Banquiers zum Verkäufer wird in der alt-
römischen Form eines gegenseitigen Versprechens geregelt: der Banquier
verpflichtet sich, dem Verkäufer den Ertrag der Auction nach Ab-
zug der Steuer sowie der Unkosten zu zahlen; tlber den Empfang
dieser Summen stellt der Verkäufer eine Quittung aus.
Auctionen Diefs auf allbekannter Praxis beruhende und als unentbehrlich
vorausgesetzte Greschäft des Auctionierens oder vielmehr der Ertrag
desselben von einem Procent wird nun in dem ersten erhaltenen
Kapitel des Bergwerksgesetzes an die Pächtergesellschaft verpachtet;
denn auch diefs Geschäft wie alle übrigen wird in dem Bergwerks-
bezirk als von Rechtswegen dem Fiscns zustehend angesehen. Welche
Pachtsumme der Pächter hierfM- wie für die übrigen Geschäfte zu
zahlen hatte, steht nicht in dem erhaltenen Stück des Gesetzes; viel-
leicht befand sich eine allgemeine Bestimmung darüber in den zu
Anfang der Urkunde gegebenen generellen Vorschriften. Für diese
Pachtsumme wird ihm der Ertrag sämmtlicher in dem Gebiet des
Bergwerks veranstalteten Auctionen überwiesen, mit Ausnahme der
Auctionen und Verkäufe, welche der kaiserliche Verwalter des Berg-
werksbezirks selbst veranstaltet. Diefs ist zwar selbstverständlich,
da der kaiserliche Verwalter ja der Vertreter des eigentlichen Be-
sitzers ist, wird aber, um jede Irrung zu vermeiden, hier und bei
den späteren analogen Bestimmungen des Gesetzes ausdrücklich ge-
sagt. Das Verhältniss zwischen dem Verkäufer und dem Pächter des
Auctionsgeschäftes wird genau nach dem Vorbild des sonst üblichen
Verfahrens eines gegenseitigen Versprechens zwischen dem Verkäufer
und dem die Auction übernehmenden Banquier geregelt; der Ver-
käufer darf das Eingehen eines solchen Vertrages nicht verweigern.
Weiter wird bestimmt, dafs auch wenn der Verkäufer seine ganze
Habe in der Auction veräufsert hat (was bei den armen Bergleuten
wohl nicht gar so selten vorgekommen sein mag), er nichtsdesto-
weniger dem Pächter die Gebühr von einem Procent zu entrichten
gehalten sei. Femer, dafs auch von solchen Summen, welche bei
der Auction nicht mit veräufsert werden sollten, z. B. wenn Grund-
Römische Bergwerksverwaltung 27?
stücke mit Vorbehalt des Niefsbrauchs versteigert worden, dennoch
dem Pächter die Gebühr zu entrichten sei. Dafs, wenn Jemand
Gegenstände zur Versteigerung dem Pächter übergeben hat und inner-
halb zehn Tagen, nachdem er sie übergeben, gemäfs den für die
Auction gestellten Verkaufsbedingungen aus freier Hand verkauft,
dem Pächter dennoch die Gebühr zu entrichten sei. Dafs endlich,
wenn Jemand dem Pächter die diesem zukommenden Gebühren nicht
innerhalb zweier Tage vom Tage des Beginns der Schuld an ent-
richtet hat, die Gebühren doppelt gezahlt werden müssen. Deutlich hebt
sich aus diesen Bestimmungen das Bild der Zustände ab, welchen
sie angepasst sind: die Noth des armen Mannes, die ihn zwingt, sich
aller Habe zu entäufsern oder, wie wir sagen würden, Alles zu ver-
setzen, die Sorge des Auctionspächters , unter allen Umständen zu
seinen Gebühren zu kommen, das oft vergebliche Ausbieten von zu
versteigernden Gegenständen, und Ähnliches.
Auctionen müssen, wie alle anderen Mittheilungen an das Publi- Ausrufen
cum, durch den Ausrufer bekannt gemacht werden. Statt unserer
gedruckten Plakate gab es zwar die auf die weifsen Wandflächen der
Häuser gemalten Ankündigungen, wie sie sich in Massen in Pompeji,
aber auch in Rom selbst erhalten haben. Aber die Regel scheint,
wie noch heutigen Tages in Dörfern und kleinen Städten, auch im
Alterthum das Ausrufen gewesen zu sein. Das Geschäft des Aus-
rufens wird im zweiten Kapitel des Bergwerksgesetzes ebenfalls an
die Pächtergesellschaft verpachtet. Sie verpflichtet sich, für die auch
hier nicht genannte Pachtsumme den nöthigen öffentlichen Ausrufer
zu stellen. Als Gebühr erhält sie von Verkäufen im Werth von
weniger als hundert Denaren zwei, von mehr als hundert Denaren
ein Procent des Erlöses. Dieses eine Procent — oder bei Baga-
tellen zwei — tritt also z. B. bei Auctionen zu der Auctionsgebühr
noch hinzu. Beim Verkauf von Sklaven wird ein Kopfgeld gezahlt,
das bei fünf oder weniger Köpfen höher, bei mehr geringer normiert
ist; bei Maulthieren, Eseln, Pferden gilt ein festes Kopfgeld für das
. Stück. Wer nicht ausrufen, sondern ein schriftliches Inventar von
zu verkaufenden Gegenständen aushängen lässt — also kamen auch
in Vipasca gemalte Plakate vor — zahlt dem Pächter des Ausrufe-
geschäfts nichtsdestoweniger die Gebühr; ebenso wer hat ausrufen
lassen und dann innerhalb von dreifsig Tagen unter der Hand ver-
kauft. Bei Verkäufen, welche der kaiserliche Procurator veranstaltet,
278 Spanien
zahlt die Gebühr der Käufer. So sind die einzelnen Bestimmungen
an einander gereiht. Man sieht, den Beruf zur Gesetzgebung be-
zeugen die Verfasser dieses Gesetzes keineswegs durch eine wohl-
durchdachte Anordnung und völlig erschöpfende Formulierung seiner
Bestimmungen; aber das praktische Bedürfniss muss doch wohl auch
durch solche Gesetze ausreichend befriedigt worden sein.
BadeMstait ^^^ folgende Kapitel handelt von der öffentlichen Badeanstalt
des Bergwerksbezirks. Wie ausgedehnt und bis ins Einzelne tech-
nisch durchgebildet die öffentlichen und privaten Badeeinrichtungen
des griechischen und römischen Alterthums, besonders in der Zeit
von Augustus abwärts, in grofsen und kleinen Städten, in den Häu-
sern und auf den Landsitzen der Reicheren gewesen sind, lehren
uns, neben der darüber vorhandenen ziemlich ausführlichen Über-
lieferung, vor Allem die Reste von unglaublich zahlreichen und mannig-
faltigen Anlagen dafür, welche sich überall vorfinden, wo antikes
Leben überhaupt gewesen ist. Nicht in Italien blofs und den ihm
klimatisch gleich oder nahestehenden südeuropäischen Ländern, Spa-
nien und Portugal, dem südlichen Frankreich, Dalmatien und Istrien,
im ganzen Orient, sondern ebenso in allen nördlichen und östlichen
Provinzen des Reichs bis hinauf an den deutschen und den schottischen
Grenzwall und bis zu den südlichen Abhängen der Karpathen, wo
nur immer durch Zufall oder planmäfsige Nachgrabung eine antike
Niederlassung, Stadt, Dorf oder Landhaus, zum Vorschein kommt,
pflegt fast ausnahmslofs die Bäderanlage den hervorragendsten und
ausgedehntesten Ruinencomplex zu bilden. Alle anderen baulichen
Anlagen pflegen an Umfang und Solidität dagegen zurückzutreten; es
scheint, dafs sich in späterer Zeit besonders das architektonische
Luxusbedürfniss vorherrschend auf solche Bauten geworfen hat. Nicht
selten sind die Bäder von reichen Bürgern aus Privatmitteln ihren
Gemeinden gestiftet worden, so wie jetzt in England und Amerika
reiche Bürger Museen und Bibliotheken, Krystallpaläste und Univer-
sitäten gründen. Der jüngere Plinius hat seinem heimatlichen Como
eine solche Stiftung für sehr beträchtliche Summen gemacht : Thermen,
eine Bibliothek, auch dabei einen Unterstützungsfonds für Waisen-
kinder, wozu der Kaiser Trajan Beispiel und Veranlassung gegeben
hatte. Man hat sich diese Thermenanlagen, wie bekannt, nicht als
auf die Badeanstalt allein beschränkt vorzustellen : was dem heutigen
Südländer das Caf6, das Casino, in den kleinen Orten die Apotheke
Römische Bergwerksverwaltung 279
ist, das Stelldichein der Flaneurs, die Börse der Neuigkeiten, der
Corso — , alles das vereint leisteten sie. Der Roman des Petronius,
die Gedichte des Martial und Juvenal besonders lehren das auf jeder
Seite. Wie weit sind wir mit unserer vielgepriesenen modernen
Kultur, trotz aller Reichs- und städtischen Gesundheitsämter, noch
entfernt von solchen gesundheitsfördernden Einrichtungen, deren letzte
Reste sich, wie bekannt, noch fast bis auf den dreifsigjährigen Krieg
herab erhalten hatten.
Solche unentbehrliche Wohlthat des Lebens sollte auch den
armen Bergleuten von Vipasca nicht fehlen. Zwar wird man sich
die Einrichtungen der Badeanstalt daselbst so bescheiden wie mög-
lich vorzustellen haben; aber sie fehlten doch nicht, und deutlich
erkennt man noch aus den über die Pacht derselben erlassenen Be-
stimmungen unseres Gesetzes, welche den Inhalt des dritten Kapitels
bilden, dafs man in allem Wesentlichen more urbicOy das heifst so
wie in Rom, oder cHV uso dt Parigi, wie es jetzt in Italien zu heifsen
pflegt, auch in Yipasca badete. Die Pacht läuft vom 1. Juli jedes
Kalenderjahres bis zu dem gleichen Datum des folgenden. Der
Pächter hat dafür zu sorgen, dafs das Bad täglich von der ersten
bis zur siebenten Tagesstunde (also von Sonnenaufgang bis um die
Mittagszeit, wie nach der alten italienischen Uhr) für Frauen, von
der achten Tagesstunde bis zur zweiten nach Sonnenuntergang, aMe
due della notte, für Männer geöffnet ist, falls nicht der kaiserliche
Procurator, als der Vertreter des eigentlichen Eigenthümers auch dieser
Einrichtung, anders bestimmt. Frisches fliessendes Wasser muss in
den warmen und kalten Bassins Vor- wie Nachmittags vorhanden sein
(könnte man doch diese heilsame Verpflichtung unseren Privatbade-
anstalten gesetzlieh auferlegen!), und damit der Pächter nicht etwa
einen zu niedrigen Wasserstand unterhält, sind in jedem Bassin be-
stimmte Höhenmarken für den Wasserstand angebracht (in Vipasca
in der neckischen und dem Zweck angemessenen Form eherner
Frösche), bis zu welchen hinauf der Wasserstand reichen muss. Die
kupfernen Kessel, welche gebraucht werden, sollen jeden Monat ge-
reinigt und frisch mit Fett eingerieben werden. Die Männer zahlen
für die Benutzung einen halben As, die Frauen einen As für die
Person; also eine kleine Summe, aber doch noch einmal so viel, als
in Rom üblich war, wo man für einen viertel As badete. Die
schwierige Beschaffung des Wassers und der Nutzen des Pächters
280 Spanien
bedingen den höheren Preis. Umsonst baden aber die kaiserlichen
Sklaven und Freigelassenen, das Personal der Bergwerksverwaltung
und von ihr Unterstützte, Kinder, wie es bei uns etwa heifsen würde
unter zwölf Jahren und in Begleitung Erwachsener, und Soldaten: auch
diefs alles ähnlich wie jetzt. Soldaten gab es wohl nur in Vipasca,
wenn der kaiserliche Procurator deren in seiner Begleitung mitbrachte,
etwa aus den Truppen der nächsten militärisch besetzten Colonien;
denn in Vipasca selbst war keine stehende Besatzung. Nach Ablauf
der Pacht hat der Pächter des Bades alle ihm überwiesenen Uten-
silien in unbeschädigtem Zustand wieder abzuliefern, aufser durch
Alter abgenutzte — : es fehlt blofs , dafs auch noch der Procentsatz
normiert ist, der für Abnutzung abgeschrieben wird. Ist, nicht durch
Schuld des Pächters, die Benutzung des Bades aus irgend welchen
Gründen nicht möglich gewesen, so soll demselben für die Zeit der
Behinderung ein entsprechender Abzug von der zu zahlenden Pacht
gemacht werden. Für alle anderen Aufwendungen dagegen, welche
der Pächter für die Badeanstalt macht, darf nichts in Abzug ge-
bracht werden. Von dem Holz zur Heizung der warmen Bäder,
welches der Pächter stets in ausreichender Menge für mindestens
einen Monat in Vorrath zu halten hat, darf er nicht zu seinem Privat-
vortheil verkaufen, mit Ausnahme der zum Heizen untauglichen Spähne;
im Uebertretungsfall wird er für jede Last Holz mit einer entsprechen-
den Bufse an den Fiscus, von hundert As, in Strafe genommen. Ist
die Lieferung der Bäder sonst in irgend welcher Weise nicht vor-
schriftsmäfsig, so kann der kaiserliche Prokurator den Pächter jedes
Mal in eine Geldstrafe bis zur Höhe von zweihundert Sesterz nehmen.
Das sind die Bestimmungen über die Pacht der Badeanstalt.
Die Mit dem Kapitel des Gesetzes über die Badeanstalt verbindet
Barbiere
sich naturgemäfs, obgleich es in dem Gesetz durch ein dazwischen-
liegendes davon getrennt ist, das Kapitel über die Barbierstuben,
wegen der engen Zusammengehörigkeit des Badens mit dem Bar-
bieren und Frisieren. Diefs ist der Inhalt des fünften der erhaltenen
Kapitel. Auch hier bedarf es für Denjenigen, der den Süden Eu-
ropa' s oder den Orient kennt, wie er heute noch ist, kaum eines
Hinweises auf die Wichtigkeit und die Ausdehnung des Barbier-
geschäfts. Der Pächter hat das ausschliefsliche Recht, im Bezirk
des Bergwerks für Geld Haare und Bart zu scheeren; nur er darf
zu diesem Zweck seine Gehilfen umherschicken. Wer ihm unbefugter
Römische Bergwerksverwaltung 281
Weise iii*s Handwerk pfuscht, zahlt für jede Schur dem Pächter eine
Strafsumme und mufs diesem sein Handwerkszeug ausliefern, eventuell
kann der Pächter ihn pfilnden. Wer die Pfändung hindert, zahlt für
jede einzelne Behinderung dem Pächter wiederum eine Straf summe.
Ausgenommen davon sind nur, die sich selbst, ihre Herren oder Mit-
sklaven scheeren. Ausdrücklich wird bestimmt, dafs der Pächter des
Geschäfts sich mit einem oder mehreren geübten Haarkünstlern zu
verbinden habe, damit die Bewohner von Vipasca sich nicht über
ungeübte Behandlung zu beklagen haben.
Auffällig in diesem Kapitel ist, dafs die genauen Bestimmungen
über das Pfändungsrecht sich hier gerade angegeben finden, während
sie doch unzweifelhaft in gleicher Weise auch bei den Pachtbe-
stimmungen anderer Geschäfte und Leistungen galten, also nach
unserer Auffassung nicht unter den Regeln für eine einzige Pachtung,
sondern unter den allgemeinen Bestimmungen des Gesetzes aufzu-
führen waren. Diefs gehört zu den redactionellen Freiheiten in der
Abfassung des Gesetzes, auf welche ich schon hinwies.
Das vierte und sechste Kapitel handelt von der Herstellung und ^^^^^^^'^
Liefening von Schuhwerk und Kleidern. Wer, aufser dem Pächter, ^^^^^^
Schuhwerk oder Lederzeug aller Art, wie es die Schuster liefern,
verkauft oder Schuhnägel festmacht oder verkauft, oder überführt
wird, irgend welche anderen Schusterwaaren verkauft zu haben, soll
dem Pächter das Doppelte des dafür erlösten Preises zahlen; im
Weigerungsfalle steht dem Pächter Pfändungsrecht zu. Auch Schuhe
flicken darf Niemand, aufser wer etwa für seinen Herrn oder für sich
selbst arbeitet. Der Pächter hat die Schuhnägel zu dem für Eisen-
waaren überhaupt festgesetzten Preise zu liefern; diese Preisbestim-
mung fand sich entweder in einem der nicht erhaltenen Kapitel des
Gesetzes, oder sie bildete den Bestandtheil eines besonderen Gesetzes.
Überhaupt soll der Pächter alle Art Schusterwaaren vorräthig halten.
Thut er das nicht, dann darf Jeder seinen Bedarf, woher er will,
beziehen.
Ähnlicher Art sind die im folgenden Kapitel enthaltenen Be-
stimmungen über die Buden der Tuchwalker, welche möglicher Weise
den ganzen Bedarf an Bekleidungsgegenständen zu liefern hatten.
Wenigstens geschieht keiner anderen Verkaufsstelle dafür in dem er-
haltenen Stück des Gesetzes Erwähnung. Die Tuchwalker gehören
in allen Städten des Alterthums zu den ältesten und bekanntesten
282 Spanien
Zünften; auch im Repertoir des antiken Volkslastspiels werden sie
so häufig verwendet, wie bei uns Gevatter Schneider und Handschuh-
macher. Das Gesetz berührt nur die häuptsächlichsten in diefs Ge-
biet fallenden Leistungen: alter Brauch und allgemeines Herkommen
machte, so scheint es, das nähere Eingehen auf alle den Betheiligten
bekannten Einzelnheiten des Geschäfts entbehrlich. Rohe oder be-
arbeitete Kleiderstoffe — unter der Bearbeitung scheint das Walken,
Färben und Nähen gemeint zu sein, das letzte tritt im antiken Hand-
werk überhaupt zurück, da man meist ungenähte Mäntel und Tücher
trug und die Näharbeit in der Regel von den Frauen im Hause ge-
macht wurde — , jede Art Kleiderstoffe also soll nur der Pächter
dieses Geschäftes liefern dürfen, oder wem er es weiter verpachtet
oder auszuüben gestattet hat. Wer überführt wird, dawider gehandelt
zu haben, zahlt dem Pächter für jedes Stück Zeug eine Strafsumme;
und der Pächter darf ihn für ihre Erlegung pfänden.
Weiter sagen die Bestimmungen des Gesetzes nichts; aber auch
sie, so kurz sie sind, eröffnen wiederum einen neuen Ausblick in
die verschiedenen Arten des Geschäftsbetriebes: der Pächter der ein-
zelnen Leistungen oder die Pächtergesellschaft verpachtete ihrerseits
ihr Privilegium weiter. Dafs diefs blofs bei dem Walkergeschäft
stattgefunden habe, ist nicht glaublich; auch hier ist also wohl eine
der als selbstverständlich vorausgesetzten allgemeinen Bestimmungen
in Folge einer gewissen Lässigkeit in der Abfassung des Gesetzes nur
an dieser Stelle nebenher erwähnt worden.
Die Schul- Aufscr den beiden auf die Bergmannsarbeit selbst beztiglichen
Kapiteln des Gesetzes, dem siebenten und neunten, ist nur noch eines
übrig, das, wie schon erwähnt, an ganz unerwarteter Stelle zwischen
jene beiden eingeschobene achte, welches die Üeberschrift führt „die
Schulmeister" und nichts enthält, wie folgende kurze Bestimmung:
die Schulmeister sollen dem kaiserlichen Procurator gegenüber von
der Pflichtigkeit zu den gemeinen Lasten befreit sein.
Diese kurze Bestimmung ist vielleicht die wichtigste des ganzen
Gesetzes. Es steht durch eine grofse Anzahl von Zeugnissen fest,
dafs nach dem Vorbild griechischer Gesetzgebungen in Rom, mindestens
von Caesar und Augustus abwärts, das Gewerbe der von Gemeinde-
wegen zugelassenen, also öffentlichen Ärzte und Lehrer der gesetz-
lichen Befreiung genoss von der Verpflichtung zur Übernahme öflFent-
ücher Ämter, zur Tragung von Lasten der Person oder des Ver-
Römische Bergwerksverwaltung 283
mögens, zu welchen alle übrigen Geraeindeglieder herangezogen werden.
Das Vorhandensein einer darauf bezüglichen Bestimmung in dem
vorliegenden Bergwerksgesetz setzt also mit zwingender Nothwendig-
keit voraus, dafs der Bergwerksbezirk in den Formen einer römischen
Gemeinde eingerichtet war: sonst kann selbstverständlich nicht von
Befreiung von den Gemeindelasten geredet werden. Das Haupt-
criterium aber einer wirklichen Gemeinde, aus der Wahl der Ge-
meindeglieder hervorgegangene Verwaltungsbeamte, fehlt in Vipasca.
Au ihre Stelle tritt daselbst, wie schon bemerkt wurde, der kaiserliche
Procurator des Bergwerks, der desshalb in der Bestimmung über die
Immunität der Schulmeister ausdrücklich genannt wird. So enthält
diese Bestimmung in sich das zwiefach wichtige Zeugniss einmal von
der eigenthümlichen staatsrechtlichen Eigenschaft des Bergmannsdorfs
und ferner von der quasimagistratischen Stellung des kaiserlichen
Procurators in oder über demselben.
Übrig bleiben noch die in dem siebenten und neunten Kapitel g^j.^J'j.j^,
enthaltenen Bestimmungen. Sie allein beziehen sich ausdrücklich auf ^®*^®^
den Betrieb des Bergwerks, von welchem in den sänuntlichen übrigen
nicht oder nur ganz nebenher die Rede ist. So wenn es im ersten
Kapitel heifst, der Pächter von Auctionen dürfe von einem Schacht,
welchen der kaiserliche Procurator verkaufe, die ihm sonst zuständige
Gebühr von einem Procent nicht erheben; und ähnlich im zweiten,
bei dem Verkauf eines Schachtes durch den kaiserlichen Procurator
habe nicht dieser, sondern der Käufer die Ausrufegebühr von einem
Procent zu zahlen. Man erfährt hieraus also nur, dafs Schachte des
Bergwerks vom kaiserlichen Procurator an Private verkauft wurden.
Wie diefs zu verstehen, lässt sich mit Hülfe einiger schon bekannter
Daten über den Bergwerksbetrieb, welche sich hauptsächlich bei Strabo
nach den Angaben des Posidonios und dem älteren Plinius nach
einem Werke des aus Lusitanien gebürtigen Conielius Bocchus finden,
wenigstens bis zu einem gewissen Grade aus den beiden uns hier be-
schäftigenden Kapiteln des Gesetzes erläutern. Gröfsere Klarheit über
die hier in Betracht kommenden Einzelnheiten wird vielleicht durch
sorgfältige Verwerthung aller bekannten Daten über die Geschichte
der Technik des Bergbaues erzielt werden können. Es fehlt nicht
an gelehrten Werken, welche die Nachrichten über den antiken
Bergbau bei Phönikiern, Griechen und Römern und besonders die über
den Betrieb der spanischen Bergwerke im Alterthum zusammenstellen
284 Spanien
und im Vergleich mit der modernen Technik zu erläutern suchen.
Aber kein Schriftsteller des Alterthums hat begreiflicher Weise die
Einzebheiten des Betriebes so eingehend geschildert, wie man sie
kennen roüsste, um die Bestimmungen des Bergwerksgesetzes völlig
zu verstehen. Wir stehen hier vor einem Problem, das sich ähnlich
auf fast allen Gebieten der antiken Technik wiederholt. Nur wer
die gesammte historische Entwickelung der Hüttenkunde kennt, wird
die lückenhaften Nachrichten über die Anfänge derselben einiger-
maafsen richtig verstehen und deuten können. Die hier vorhegenden
Bestimmungen über den Bergwerksbetrieb enthalten aufserdem eifle
ganze Anzahl zum ersten Male begegnender Ausdrücke, welche znm
Theil nicht einmal lateinischen, sondern offenbar fremden, vielleicht
hispanischen Ursprungs sind. Ihre Bedeutung muss also zunächst
ermittelt werden, und dazu ist wiederum eine gewisse Anschauung
des technischen Betriebes nothwendig. Der Versuch, angesichts solcher
Schwierigkeiten ein Bild von dem Bergwerksbetrieb der Minen von
Yipasca zu geben, muss also mit grofser Vorsicht angestellt werden.
Die Minen von Aljustrel werden jetzt hauptsächlich auf Kupfer
bebaut; nebenher finden sich daselbst Schiefersteinbrüche. Silber-
haltige Kupfererze werden also, nach dem Urtheil Ton Kennern wie
Professor Rammeisberg, den mineralischen Gehalt jener Grebirge
hauptsächlich ausgemacht haben. In welcher Reichhaltigkeit das
Kupfer daselbst vorkommt, habe ich nicht genau in Erfahrung bringen
können. Im Alterthum nahm den ersten Platz unter den gewonnenen
Metallen das Silber ein, welches jetzt ganz zu fehlen scheint; ein
Vorgang, dem es an zahlreichen Analogien in anderen früheren Silber-
minen nicht fehlt. Daneben erscheint das Kupfer; von Gold ist
nirgends ausdrücklich die Rede. Doch muss eingeräumt werden, dafs
in verlorenen Kapiteln des Gesetzes, vielleicht sogar in den Lücken
der beiden vorliegenden, möglicher Weise auch seiner Erwähnung
gethan war. Vielleicht wurden auch vor Alters schon neben der
Metallgewinnung die Steinbrüche von Vipasca ausgebeutet; Marmor-
brüche, aber auch Steinbrüche weniger edler Art, erscheinen im
Alterthum oft, wie begreiflich, mit den eigentlichen Bergwerken ver-
bunden und unterliegen derselben rechtlichen Behandlung. Das Roh-
material nun, welches aus den Schachten zu Tage gefördert wurde,
scheint auf dreifache Weise bearbeitet worden zu sein, im Schmelz-
ofen, mit der Hacke und durch Verwaschung. Was in den Schmelz-
Kömische Bergwerksverwaltung 285
ofen kam, scheint mit dem sonst unseres Wissens nur für schon
ausgeschmolzene Metallreste bekannten Worte der Schlacken, scawiriae
oder scoriae, bezeichnet zu werden. Da Silber- und Kupferschmelzer
ausdrilcklich genannt werden, so erstreckte sich der Process des
Schmelzens auf beide Metalle. Andere, wohl weniger erzhaltige Bruch-
stücke, Brocken oder Splitter testae und rutramina^ wie sie genannt
werden, wurden mit der Spitzhacke bearbeitet. Der kleine Abfall,
das Erzklein endlich, der Staub von den zum Schmelzen bestimmten
Bruchsteinen, pulvis genannt, wurde verwaschen. Auch heute noch
gelangen die pulvrigen Erze, welche als Pochgänge oder Schlieche
bezeichnet werden, entweder zur Verschmelzung oder zur Verwaschung.
Auf diese verschiedenen Gewinnungsarten bezieht sich die Unterschei-
dung von Maafs und Gewicht, welche in dem Bergwerksgesetz in
Bezug auf das gewonnene Metall gemacht wird. Es ist heute noch
üblich, Schmelzbeschickungen dem Volumen nach, also nach dem
Maafse, zu normieren, während das Erzklein dem Gewicht nach ver-
wendet wird.
Aus den Steinbrüchen endlich scheinen Steinplatten zum Bau,
vielleicht auch Schieferplatten, gewonnen worden zu sein. Daneben
mögen auch, nach den sehr allgemeinen Bezeichnungen zu schlief sen,
welche für den Betrieb der Steinbrüche angewendet werden, Materialien
zu anderem Zweck, etwa zum Strafsenbau, füi» die Estriche der
Häuser und dergleichen, aus diesen Brüchen gewonnen worden sein.
Die Schieferplatten werden mit einem hier zuerst erscheinenden Worte
lausiae genannt, wahrscheinlich demselben, welches im mittelalter-
lichen Latein als lausa, im Portugiesischen als lousa, im Spanischen
als losa oder lojsa erhalten ist.
Diefs also waren, soweit aus den erhaltenen Theilen des Ge-
setzes erhellt, die Producte des Bergwerks von Vipasca.
lieber die rechtliche Form und Art des Betriebes ergiebt sich,
wenn man dabei die an verschiedenen Stellen der betreffenden Kapitel
sich findenden Verordnungen ^zusammenfasst, ungefähr Folgendes. Der
kaiserliche Procurator, als Vertreter des eigentlichen Besitzers, ver-
pachtet zunächst den Betrieb im Allgemeinen an die Pächtergesell-
schaft; wahrscheinlich, wie gesagt, wenn auch nicht nothwendig, die-
selbe, welche auch die übrigen in dem Gesetze aufgeführten Leistungen
und Lieferungen übernommen hatte. Daneben kann er aber auch
einzelne Schachte zur Bearbeitung direct an Private aus freier Hand
286 Spanien
verkaufen oder auch verauctionieren : die bei Auction oder Verkauf
von allem Übrigen an die Pächter dieser Gefälle zu zahlenden Ge-
bühren fallen fttr ihn, wie wir sahen, fort oder werden vom Käufer
getragen. Die Pächter des Bergwerksbetriebes aber verfuhren nun
in der Regel auf folgende Weise. Mit dem Pachtzins für den Berg-
werksbetrieb besafsen sie, neben dem kaiserlichen Procurator, das
ausschliessliche Recht, Muthungen und bergmännischen Betrieb über-
haupt zu gestatten. Sie erscheinen also zunächst als berechtigt, für
die Bodennutzung eine Gebühr zu erheben von denjenigen Privaten,
welche durch ihre Sklaven oder Lohnarbeiter bergmännische Arbeiten
dort vornehmen lassen wollen. Den Platz, wo Jemand schürfen
wollte, durfte er nach den allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen
für die Bergwerke — auf diese uns unbekannten Bestimmungen wird
hier ausdrücklich Bezug genommen — sich auswählen (wohl also
mit Rücksicht auf schon in Bebauung begriffene Felder mit Beob-
achtung gewisser Raumabstände), und sein Anrecht durch Befestigung
einer Tafel auf der betreffenden Stelle wahren. Diefs musste dem
Pächter innerhalb zweier Tage angezeigt werden; wahrscheinlich führte
der Pächter eine Liste solcher Vormerkungen und erhob für ihre Ein-
tragung eine besondere Gebühr. Handelte es sich dabei um schon
einmal befahrene oder noch im Betrieb begriffene Schachte, so konnte
man das füglich als ein Kaufen der Schachte bezeichnen; wovon, wie
wir sahen, in anderen Kapiteln des Gesetzes die Rede ist. Wer
dann an solchen vorher occupierten Stellen die bergmännischen Ar-
beiten vornehmen lassen wollte, hatte dem Pächter die Zahl der
Arbeiter, die er schickte, binnen dreien Tagen anzuzeigen und für
jeden von ihnen monatlich eine bestimmte Summe - — die Zahl ist
nicht erhalten — zu entrichten. Es ist keineswegs ausgeschlossen,
obgleich in den Bestimmungen des Gesetzes nicht ausdrücklich vor-
gesehen, dafs die Pächtergellschaft selbst durch eigene Arbeiter den
Bergbau ausführt; allein die Regel scheint diefs nicht gewesen zu
sein. Ob die allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen für die Berg-
werke, von denen hier die Rede ist, ein allgemeines Bergwerksgesetz
waren oder nur die den Pachtbestimmungen des vorliegenden mög-
licher Weise vorangestellten, aber nicht erhaltenen Normen, lässt
sich nicht ermitteln und ist ftlr die Sache ziemlich gleichgültig.
Eine Reihe von Warnungen werden hinzugefügt. Wer kupfer-
oder silberhaltiges Erzklein aus anderen an Erzen reichen Revieren
Römische Bergwerksverwaltung 287
in das Gebiet von Vipasca einführt (wahrscheinlich geschah dies,
um von den dort vorauszusetzenden techiiischen Einrichtungen für
das Schmelzen und Verwaschen Gebrauch zu machen), entrichtet für
jede hundert Centner davon dem Pächter einen Denar. Man ist
versucht, aus der Geringfügigkeit dieser Gebühr auf sehr geringen
Gehalt des Erzes an Metall zu schliessen. Die Nachbarschaft des
eigentlichen Bergwerks stand mithin offenbar unter dem Einfluss des
nahen Beispiels; auch da muthete und schürfte man, wie natür-
lich, wie in dem benachbarten Bezirk der kaiserlichen Minen. Wer
dem Pächter die Gebühr für solches eingeführte Rohmaterial nicht
gleich am ersten Tage ihrer Fälligkeit bezahlt, hat das Doppelte
zu entrichten; auch hier steht dem Pächter das Pfändungsrecht zu.
Was ohne vorherige Erfüllung der vorgeschriebenen Förmlichkeiten,
also ohne dafs der Ort und die Arbeiterzahl vorher angegeben und
dafür die gesetzlichen Gebühren entrichtet worden, an Erzen oder
Steinen im Bergwerksbezirk gefördert v?orden, soll dem Pächter über-
antwortet werden. Nur die Personen der Sklaven oder Lohnarbeiter,
welche von Privaten zur Ausführung von Bergwerksarbeiten in den
Bezirk gesendet worden, werden von der Pfändung und Überantwor-
tung ausgeschlossen.
Mit den Bestimmungen über die Beschlagnahme von Schachten
oder Plätzen für anzulegende Schachte durch Private und die Be-
zeichnung dieser Schachte durch dabei angebrachte Tafeln bricht der
Text der Urkunde leider ab.
So sehr man es beklagen muss, dafs hier, wie in so vielen ähn-
lichen Fällen, das neidische Ungefähr nicht wenigstens noch etwas
mehr erhalten hat, so hat man doch allen Grund, sich des Gebotenen
dankbar zu freuen. Sehr selten nur gelingt es so wie hier, völlig
neue Seiten des antiken Lebens aufzudecken. Der Reiz der Un-
mittelbarkeit, welchen die Beschäftigung mit den im Original erhal-
tenen Denkmälern des Alterthums, den Kunstwerken, Münzen und
Inschriften, gewährt, wirkt hier in vollstem Maafse. Es ist dafür ge-
sorgt, dafs noch viele Geschlechter der Menschen an der erfrischen-
den geschichtlichen Arbeit, welche die grofse Epoche des klassischen
Alterthums zum Gegenstand hat, sich abmühen werden. Ein Fund
wie der vorliegende fördert die Erkenntniss um ein merkliches Stück;
er wird in der Geschichte unserer Studien unvergessen bleiben. Aber
auch für den weiteren Kreis der Gebildeten gewinnt durch die eigen-
288 Spanien
thümliche Beschaffenheit gerade dieses Fundes das oft vermisste Ge-
fühl für den Zusammenhang auch unserer Kultur mit jener fernen
Vergangenheit eine neue Stütze: der reale Hintergrund der römischen
Berggesetzgebung des erst-en Jahrhunderts unserer Zeitrechnung, welche
noch dazu höchst wahrscheinlich in vielen Punkten auf viel älteren
Brauch zurückgeht, muthet uns fast wie ein Stück modernes Leben
an. Wir fühlen dabei für das Menschengewühl, das damals wie
heute den Kampf um's Dasein führte, für seine Wünsche und Be-
dürMsse, seine Freuden und Leiden eine Art mitleidsvollen Ver-
ständnisses.
V.
Die Heilquelle von Umeri.
Vortrag gehalten am Winckelmannsfest der archäologischen Gesell-
schaft zu Berlin 1873; aus der archäologischen Zeitung, neue Folge
Band VI 1874, S. 115 ff. mit Tafel 11.
Die Heilkunde der Alten hat schon manche gelegentliche Er-
läuterung aus Werken der antiken Kunst erhalten, besonders durch
die feinsinnigen und anregenden Arbeiten Welckers. Ich bin in der
Lage, einen kleinen Beitrag zur Aufhellung dieses im ganzen dunkelen
und wenig betretenen Gebietes des antiken Lebens zu geben.
Der Gebrauch mineralischer, besonders heisser Quellen zu the-
rapeutischen Zwecken ist uralt. Ich beabsichtige jedoch keineswegs
eine Aufzählung zu geben von allen im Alterthum berühmten Heil-
quellen, die wir in Griechenland und in Asien, in Italien und in den
nördlichen und westlichen Provinzen des römischen Reiches kennen,
noch auch eine Beschreibung der Kuren, welche vermittelst ihrer
vorgenommen wurden, oder des Lebens an den antiken Badeorten
und so weiter; obgleich dieses Kapitel der antiken Sittengeschichte
noch nicht ausführlich behandelt worden ist. Die Funde antiker
Inschriften, zumal in den nördlichen nnd westlichen, den lateinisch
redenden Provinzen liefern uns noch fortgesetzt neue Beiträge zur
Statistik der Heilquellen; sie stellen uns auch den Ruhm noch heute
berühmter Badeorte, wie z. B. von Wiesbaden, von Baden-Baden und
Badenweiler, von Bath in England und vielen anderen am deutlich-
sten vor Augen. Doch lehrt im Grofsen und Ganzen das durch
Die Heilquelle von Umeri 289
mühselige Gelehrsamkeit zu gewinnende Material des Neuen nicht
viel: es war eben auch in diesen Dingen im Alterthum nicht viel
anders wie bei uns noch jetzt. Neu aber, wenigstens für mich, und
überraschend ist, dafs es im Alterthum auch schon eine Versendung
künstlicher Mineralwässer gegeben hat.
Es lehrt uns diefs ein kleines Denkmal, das jetzt leider ver-
loren oder wenigstens nicht erreichtbar ist. Es ist eine flache silberne
Trinkschale, 33 spanische Unzen wiegend, von etwa 0,22 m im Durch-
messer. Sie ist bereits zu Ende des vorigen Jahrhunderts an der
Nordküste von Spanien, in den baskischen Provinzen, gefunden wor-
den. Der Fundort, ein von der Meeresküste nicht weit entferntes,
aber abgelegenes Thal, das Thal von Otanez genannt, unweit des
kleinen befestigten Hafenplatzes Castro ürdiales, der einige Meilen
östlich von Santand^r liegt, ist anderweitig nicht als Stätte antiken
Lebens bezeugt. Wo die Heilquelle sich befindet oder befand, auf
welche sich die Reliefdarstellungen der Schale deutlich beziehen,
werden uns die Lokalforscher vielleicht künftig einmal sagen können.
Für die iberischen Heilquellen genüge es auf die freilich sehr un-
vollständige Zusammenstellung bei ükert (s. oben S. 262) zu ver-
weisen. Von Augustus, wie es scheint, besuchte Quellen in den
Pyrenäen besingt ein Epigramm des Krinagoras; Plinius beschreibt
die cantabrischen fontes Tamarwi Doch kann die Schale, als ein
leicht transportabler Gegenstand von Werth, auch anderswoher dort-
hin gekommen sein. Man fand sie in einem Steinbruch, am süd-
lichen Abhang einer Höhe, welche Vico del Castülo genannt wird.
Diese Notizen und eine offenbar sorgfältige Abbildung sind im 7. Band
der Abhandlungen der Madrider Akademie der Geschichte enthalten,
welche erst etwa dreifsig Jahre später, im J. 1826, Nachricht von
dem Funde erhielt; der Band ist 1832 erschienen. Seitdem war
keine Nachricht über den Verbleib der Schale zu erlangen. Der
Holzschnitt der archäologischen Zeitung schliefst sich ihr an, lässt
aber den überflüssigen dunklen Ton, in welchem die Lithographie
gegeben ist, fort. Man sieht aus der mit augenscheinlicher Treue
gemachten Abbildung, dafs die Arbeit der flachen Reliefs keine
hervorragende war; mit der Schönheit z. B. der Ausführung unseres
Hildesheimer Fundes kann sie sich nicht im Entferntesten messen.
Aber sie kommt doch der einer Reihe von ähnlichen Silberarbeiten,
die wir noch haben, nahe oder übertrifft sie. So übertrifft sie z. B.
Hübner, Westeuropa. 19
290 Spanien
die grofse Schüssel mit Götterfigaren aus Corbridge im Besitz des
Herzogs von Northumberland. Diese zeigt unter Anderem dieselbe
sehr naive Behandlung des Baumschlags. Aehnlich sind auch die
silberne Schale aus Carri<;a bei Oporto mit dem Bild eines lusita-
nischen Gottes, die Schale mit Thieren und Frtlchten aus Troia bei
Setubal und manches der Art aus anderen Gegenden des römischen
Reiches. Eine provinziale Technik .lässt sich nicht darin erkennen:
es ist die durchschnittliche Fertigkeit, welche wir bei allen tüchtigen
römischen Goldschmieden voraussetzen dürfen und welcher ideale
Darstellungen meist weniger zu gelingen pflegten als aus dem Leben
gegriffene.
Die Erklärung, über welche kein Zweifel sein kann und welche
die spanischen Herausgeber schon richtig getroffen haben, wird unter-
stützt durch die beigefügte, ursprünglich in Gold eingelegte Um-
schrift: Salus ümeritana. Der Name der Quelle und des Ortes, auf
welche die Darstellung sich bezieht, muss danach etwa ümeri ge-
lautet haben; er erscheint hier zum ersten Male. Auf die Genauig-
keit der Schriftformen in der Abbildung ist leider nicht viel zu geben;
wir hätten sonst damit die Möglichkeit wenigstens annähernd die Zeit
der Entstehung des kleinen Werkes zu bestimmen. Es ist sicher
nicht älter als die Zeit des Augustus, der jene cantabrischen Land-
schaften überhaupt erst unterwarf, und wird nicht jünger sein als die
Zeit des beginnenden Verfalls unter Septimius Severus; man wird
vielleicht nicht erheblich irren, wenn man es etwa in die Mitte des
zweiten Jahrhunderts, in die Zeit des Hadrian oder Marc Aurel,
setzt. Auf der Rückseite ist in fein punktierter Schrift, gerade wie
auf den einzelnen Stücken des Hildesheimer Fundes und überhaupt
regelmäfsig auf römischem Silbergeräth, der Name des Besitzers ein-
gegraben und danach, in freilich nicht mehr ganz deutlich erkenn-
barer Weise, das Gewicht des Stückes, wie es sich in dem Haus-
inventar des Besitzers verzeichnet vorfand: L. F((mpeü) Coi'neUani,
(pondo) III (also trium lihrm^m) (scripulorum) II (duorum). Das
möchte dem überlieferten Gewicht von 33 spanischen Unzen etwa
gleichkommen.
Es war nichts ungewöhnliches, dafs in Badeorten Geföfse mit
auf die Kur bezüglichen Abbildungen oder Aufschriften fabriciert und
von den Kurgästen als Weihgeschenke dargebracht oder auch zur
Erinnerung mitgenommen wurden. So sind in den (xqutie ApdUnares
Die Heilquelle von Umeri 291
bei Vicarello im südlichen Toscana vier silberne Becher gefanden
worden, auf denen die aus dem fernen Cadiz in Spanien dorthin ge-
kommenen Kurgäste das Itinerar ihrer Reise haben eingraben lassen.
Am Wall des Hadrian in England sind thönerne Becher von sehr
einfacher Art als Weihgeschenke in die Quelle der Coventina geworfen
worden (oben S. 58). In Puteoli sind Gläser verfertigt worden,
auf denen Ansichten der an der Küste liegenden Bauten eingraviert sind.
Auf der Schale von Castro Urdiales ist offenbar die Nymphe
der Heilquelle selbst dargestellt, in der bekaimten ruhenden Stellung
der Flussgottheiten, in der Rechten einen Zweig von Schilfrohr, wie
es scheint, in der Linken den Krug haltend, aus welchem das heil-
wirkende Wasser in vollem Strahle hervorsprudelt, um sich schäumend
in ein von Felssteinen gemauertes Bassin zu ergiessen. Zwei Bäume,
vielleicht Buchen oder edle Kastanien, deuten das schattige Wald-
gebirge an, welches noch jetzt die augenfälligste Eigenthümlichkeit
der Nordküste Spaniens, besonders Asturiens, bildet. Rechts oben
streut ein bärtiger Mann, durch den Krummstab und die Sklaven-
tracht, Tunica und Stiefel, wahrscheinlich als Hirt charakterisiert,
ein Kömeropfer auf einen kleinen viereckigen Altar. Links weiter
unten libiert ein Mann, den die Toga als dem Stande der Freien
angehörig kennzeichnet, aus einer Schale eine Flüssigkeit, etwa Wein
oder Milch, auf einem runden brennenden Altar. Also zuoberst zwei
Kultushandlungen, welche das hohe Ansehen der Heilquelle darlegen
sollen. In der Mitte füllt ein Knabe — als Sklaven bezeichnet ihn
wieder die kurze Tunica — mit einer Schale aus dem schäumenden
Bassin das Quellwasser in ein feststehendes Fass. Vielleicht sprudelte
auch diese Quelle nicht immer in gleichmäfsiger Fülle und wurde
daher abgeschöpft. Rechts davon sitzt ein Greis, in häuslicher Tracht,
die über den Stand keinen Aufschluss giebt, im Krankenstuhl, und
empfängt aus der Hand eines zweiten Knaben mit sichtlicher Be-
friedigung den Trunk der Quelle in einem Becher; in der Rechten
scheint er ein Stück Brod zu halten, vielleicht die Zukost zu dem
Getränk. Das Merkwürdigste aber ist, wie schon gesagt, die unterste
Gruppe: auf einem vierrädrigen Karren, einfachster Art, einem pe-
torritum, vor welchen zwei Maulthiere in's Joch gespannt sind, liegt
ein mächtiges Fass, und in dieses füllt ein dritter Sklav das Quell-
wasser ein vermittelst einer grofsen zweihenkligen und unten spitzen
Amphora, wie sie in vielen Exemplaren uns erhalten sind. Offenbar
19*
292 Spanien
also wurde das Wasser auf diese Weise fortgeschafft, um seine heil^
kräftige Wirkung auch fern von seinem Ursprung äufsern zu können.
In der Hauptquelle für unsere Eenntniss des medicinischen Ge<
brauchs der Mineralquellen im Alterthum, dem aus zahlreichen Schrift-
stellern zusammengetragenen Buch XXXI der Naturgeschichte des
Plinius, wird unter anderem berichtet, dafs Meer- und Regenwasser
zur Bereitung eines Medicaments verwendet und in zugepichten Thon-
gefäfsen aufbewahrt wurde. Salzlake (muria) zur Bereitung des
Garum (s. oben S. 273) wurde bekanntlich vielfach aus Spanien aus-
geführt; auch ägyptisches Natron wurde in Thongefäfsen versandt.
Wie mannigfache Dinge, flüssige oder trockene, in Thongefäfsen auf-
bewahrt wurden und also meistens auch versendet werden konnten,
lehren die Aufschriften der zahkeichen Amphoren aus Pompeji. Ein
bestimmtes Zeugniss für die Versendung des Wassers einer Heilquelle
lag meines Wissens bisher nicht vor; doch machen es, wie die
Schriften der alten Ärzte lehren, ihre sehr genauen Vorschiiften für
die Benutzung bestimmter Heilquellen gegen gewisse Krankheiten
wahrscheinlich, dafs Mineralwässer nicht ganz selten versendet wor-
den sind.
Nachträge und Berichtigungen.
S. 96. Die Reste einer Brücke über den Main bei Seligenstadt sind, wie
W. Conrady mittheilt, nicht römischen Ursprungs. Sie würden ja
auch in Feindesland geführt haben.
S. 108 Zeile 4 von unten schreibe Konrad statt Karl Miller.
S. 129, Frankfurt ist, wie in allemeuester Zeit in der Nähe des Doms
gemachte Funde von römischen Bauten und Ziegeln der vierzehnten
Legion beweisen, entgegen der früheren Annahme als auf dem Platz
einer römischen Militärstation liegend anzusehen.
S. 160. Das letzte Wort auf der Seite 'sich' ist zu streichen und S. 161
Zeile 2 für 'sie' zu schreiben 'man'.
S. 205. Was Fr. Kluge in seiner soeben erschienenen Vorgeschichte der
altgermanischen Dialekte (Grundriss der germanischen Philologie
Bd. I 1889 S. 305) über den Namen des Arminius sagt, ist durchaus
irreführend; er scheint weder Göttlings noch Schmidts und meine Ab-
handlung gekannt zu haben.
REGISTEB
Die Zahlen bedeuten Seitenzahlen
Aachen
146
Artemidor 173
Aalen
87
Aschaffenburg 96
Aeranes
168
AsciburgiuniAsberg 112
Agricola 6 26 32
Asklepiades von
Agrippa
139
Myrlea 173
Agustm, Antonio
169
Asturien 264
Aistomodius, Septi-
Atanagrum 184
mius
158
Athanarich 80
Alaesiagae
62
Auctionen 276
AU?acer do Sal
268
Avectius 166
Alcudia
227
Avenches 126
Alißo
114
Augsburg 123
Aljustrel
269
Äugst, auf der, bei
Alteburg bei Ams-
Arzbach 104
burg
102
bei Basel 126
Heftrich
103
Augustus 10 119,
Holzhausen
104
Altar und Tempel
Köln
112
in Tarraco 196 203
Miltenberg
92
Avienus 267
Rückingen
101
Ausetaner 184
Walldürn
92
Ausrufen 277
Altenburg bei Cann-
Baetis, Thal des 265
Stadt
98
Badeanstalten 278
Altenstadt
102
Baden 126
Alterthümer, kleine,
Balearen, die 208
in Citania
260
Balearicus, Caecilius
Altmühl
84
Metellus 218
Ammianus Marcel-
Barbiere 280
linus 80 85
Becheln 104
Amphitheater in
Beda 62
Tarraco
205
Beetgum 146
Andernach 111
188
Beja 270
Arae Flaviae
93
Befestigungslinien,
Arbalo
93
rechtsrheinische 113
Arenatium
118
Benningen 93
Argentorate
126
Bergwerke, römische
Argentovaria
126
in Spanien 194
Annenios
156
Bergwerksbetrieb 283
Arminius 158, Bei-
Bergwerksverwal-
name
160
tung, römische 268
Amsburg
102
Besatzung^römische,
Artaunum 99
128
vou Tarraco 189 200
Bewohner, die, von
Tarraco 206
Billig 114
Bingen 111 137
Bittburg 144
Bleibarren, span. 194
Bleiminen in Eng-
land 22
Bierich 144
Bocchori 228
Böckingen bei Heil-
bronn 98
Bohlwege 116
Bonn 111 142
Bopfingen 86
Boppard 111 137
Born 103
Bracara Augusta 262
Bregenz 125
Britannien, Theilung
der Provinz 55
Brücke,römische, bei
Köln 112 148
Mainz 129
Merida 188
Xanten 118
über die Donau 133
den Tyne 45
Brücken, römi-
sche, über den
Rhein 109
Brumat 111
Burg bei Neckar-
burken 98
Burg,auf der, bei ün-
terwiddersheim 102
bei Langenhain 102
Burginatium 118
Burgmauer, di«! bei
Oberscheidenthal 93
Burgus 94
Buruncum (Bürgel) 112
294
Register
Butzbach 96 102
GMBar 9 119 187 191
Galignla 188
Camalodunoin 21
CamaluB 255 257
Cannstadt 98
Capellatiam 85
Capenbnrg 102
Caracalla 188
Caratacus 29
CastellnmMattiacuin 129
Castro ürdiales 289
Castulo 192 Minen
Ton 269
Cato 191
Cattwijk aan Zee 145
GensorinuB 185
Cinginnia 288
Circus, in Tarraco 204
Citania 282
Giudadela 218
Givilis, der Bataver 157
Ghaijaman, Chario-
mannus 160
Ghariovalda 156 161
Ghatten 100
Ghester 29 55
Ghichester 17
Ghieming 125
Ghumstinctus 156
GlaudiuB 10 28 189
Glausentnm 18
Cleve 118
Glyde 84
Goblenz 111 187
Cogidumnus 18 157
Colchester 21
Colom, Porto 229
Colonie, römische,
in Tarraco 186
Gordoba 195
Cornelius Bocchus 288
Cottius, Marcus lu-
lius 157 160 168
Coventina, Quelle
der 68 291
Cuneus Frisionum 65
Cunobellinus 19 169
Dakien,Grenzwälle 78 81
Darmstadt 127
Decumatenland 91 127
Deutz (Divitia) 112 144
Deva (ehester) 29 55
Dip, Cassius 7
Diocletian 184
Dionysius, Marcus
PomponiuB 160
Domitian 88 97 100
119 182
Donnas, der Gottier 157
Doomburg 145
Dormagen 1 12
Drusns 99 HO 128 189
Drusnsmal in Mainz 137
Düren 144
Eburacum 85, 56
Ebnsus 281
EchzeU 102
Eichelgarten 108
Eigelstein in Mainz 186
Eining 86
Emporiae 188
Epfach 125
Eppillus 159
Eratosthenes 178
Eschenz 125 126
Eulbach 98 127
Faimingen 87
Faro 270
Fectio 145
Feldberg 108
Festung, römische,
in Tarraco 182
Fimmilena 62
Flachs von Tarraco 206
Flamines 197 198
Flavus, Bruder des
Arminius 156 162
Florus, der Rhetor
187 207
Forth 84
Forum, in Tarraco 205
Frankfurt 129 292
Frisier 65
Frontinus 32 97 100
Friedberg 96 99
Gaesoriacum 17 111
Gaimersheim 87
Gallaeker 267
Garum 273 29
Gellep 112
Gelnhausen 95
Germanen in der
römischen Kunst 154
Germanicus 100
Grenzwall des 114
Germanien, obere u.
untere Provinz 98188
Gerona 184
Gesellschaften von
Pächtern 278
Giri-Baile 178
Glevum (Gloucester)
20 27
Glasgeföfse aus Pu-
teoli 291
Gmünd 89
Gnotzheim 86
Goethe 141
Gracchus, Tiberius,
der Altere 191
Graupius, die Schlacht
vom 37
Grenzwälle, römische 78
dakische 78
Grofskrotzenburg 95 101
Gründungssagen,
griechische 173
Grüningen 102
Guisando, Stiere von 253
Guiuntum 229
Haaghof 89
Hadrian 48 98 119
Hainhaus 98
Hainstadt 95
Hanau 96
Hasdrubal 183
Hasselburg 92
Heddemburg 99
Heddemheim 129 137
Heer, römisches, in
Britannien 18
in Deutschland 138
Heidelberg 127
Heidenmauer, auf
der, b. Kreuznach Hl
Heiligthum von Pa-
noyas 262
Heilquellen in Spa-
nien 262 288
Hekataeos 173
Herakles, der phö-
nikische 168
Hesselbach 93
Hesseiberg 89
Hildesheim, Silber-
fund von 115 29
Hludana 146
Höchst 96
Hofheim 103
Horburg 126
Hütten 242
Humboldt, W. von 209
Hunenburg 102
Hunnenkirchhof 102
Jagsthausen 90 91
lamo 218
Ibiza 280
Ibros 178
Idisiaviso, Schlacht
von 116
Register
295
Igel , Grabdenkmal
zu 141
llergeten, llerda 184
Innsbruck 125
Inschriften, römische,
in Citania 254
in Palma 219
in Tarraco 205
iberische 194
Irland 86
Imsing 86
Italica 195
Italiens 158 168
Jülich 144
Jupiter, Tempel des,
in Tarraco 204
Juvenal 88 156
Kaisergrube 102
Kaninchen, auf den
Balearen 219
Karl der Grofse 184
Kartendes römischen
Deustchlands 118
Kastei 129 187
Kastelle, die des
Drusus 110
Kehlheim an der
Donau 84
Kemel 108
Kempten 125
Kessetaner, Kissa 174
Kleider 281
Koelemer, Koilio-
briga 267
Köhi 112 189 142
Köngen 89 93
Kösching 86
Kotys 157
Krieger, gallaeki-
sche 253
Kritasirus 159
Künzing 84
Kultus des Augustus 197
Ladenburg 127 137
Landshut 125
Laubach 95
Lausiae 285
Legionen in Spanien 189
Leon 264
Lindum (Lincoln) 81
Llull, Ramon 225
London 26 56
Lorch 87
Lützelbach 98
Mahon 210
Mainhardt 91
Mainlinie 94
Mainz 99 129
Centralmuseum 135
Maisei, am 103
Mallorca 216
Marköbel 102
Marmagen 144
Martial 207
Matüaker 99
Mattium 100
Matronenkultus 145
Mauer, auf der, bei
Inheiden 102
Mauern im Orient
und in Griechen-
land 72
in Tarraco 175
Maximian , der
Kaiser 134
Maximin, der Kaiser 134
Mela 195
Menorca 209
Merida 195
Mertola 270
MetallumYipascense 271
Jdetz 140
Militärdiplome 14
Miltenberg 90 92
Mineralwasser, Ver-
sandt von 289
Miramar, auf Mal-
lorca 223
München 125
Münzen, in Citania
gefunden 260 263
iberische 174 270
phönikische 172
römische , von
Tarraco 188
Mütterkultus 145
Mugdonius 160 163
Murrhardt 91
Museen, lokale 149
Nassenfeis 87
Neckarelz 89
Neckarlinie 92
Neckarmühlbach 93 v
Neckar-Mümlinglinie 98
Nemetaten 267
Nero 25 132
Neukarthago 186 192
Minen von 269
Neuss 1 12
Niedergermanien,
Grenze von 107
Niederlande 145
Niedemberg 95
Notitia dignitatum 46
Noviomagus (Nym-
wegen) 118 145
Oberflorstadt 102
Obemburg 96
Oberrhein 126
Oberscheidenthal 98
Ockstadt 102
Odenathus 158
Oehringen 91 127
Offiziere des Clau-
dius in Britannien 11
Olisipo 195
Oppida, keltische in
Frankreich 265
in Wales und
Schottland 266
Ortsnamen, römische
in Deutschland 128
Ostendorffer 124
Osterburken 90 91
Ostorius Scapula 28
Ourique, das Feld
von 264 269
Pächter 278
Palma 216
Panoyas 262
Passau 88 122
Pedrafermosa 245 256
Petillius Cerialis 30
Pfahlbronn 89
Pfahlgraben 86
Pföring 86
Pfünz 86
Philopappus 157
Pieporus 159
Pilatus, Haus des 201
Pius 48
Plakate 277
Platorius Nepos 47
Plautius, Aulus 11
Plinius, der ältere 283
der jüngere 278
Pohl 104
Pohlgöns 102
PolybioB 173
Pompeji, Quittungen
aus 276
Pompeius, Sieges-
denkmal des 195 201
Pontes longi 115
Posidonios 173
Procurator, der kai-
serliche des Berg-
werks 273
Provinzen,Verzeich-
niss der römischen 114
Pytheas 178
296
Register
Quadribnrgium 118
Quirinius, Publius
Snlpiciua 160
Raetien 121
Rasparaganus 157
Rathsyersammlung
der Provinz His-
panien 198
Rayenna, der Eos-
mograph von 51
Raxa, Museum in 221
Regensburg 84 122
Regni 17
Reichenhall 125
Remagen 111
Remsthal 89 188
R6ua 172 207
Rheinbrohl 104
Rheskuporis 167
Rhoemetalkes 157
Roomburg 145
Rosenheim 125
Rottenburg 98
Rottweil 92
Rumänien 79
Saalburg 102
Sabroso 261 263
Sammlungen von
Alterthümem 149
Santiago de Cacem 269
Schirenhof 87
Schlossau 98
Schuhwerk 281
Schulmeister 282
Schwan des Mars
Thingsus ' 63
Scipionen, die, in
Spanien 188
Thurm der 207
Segestes 168 161
Seligenstadt 95
Seneca ^6
Septimius Severus 53
Seraspadanes 159
Sertorius 191
Setübal 270
Severus Alexander 134
Shrewsbury 27
Sixenhof 89
Sitalkes 159
Söller, auf Mallorca 227
Southampton 21
Speier 111
Sprache, einheimische
auf Inschriften 259 269
Städte, römische in
Deutschland 116
in England 26 52
Statuen galläkischer
Krieger 264
Staufen 89
Steinmetzzeichen,
iberische 179
Stockstadt 95
Strabo 173191195 283
Strafsburg 111 126
Strafsen, römische
in Deutchland 121
in England 18
Straubing 84 125
Stuttgart 127
Subi, Fluss 172
Suetonins Paullinus 29
Sumelocennae 98
Sura, Bogen des 208
Tacitus 6 87 90
97 144 156
Talayots 214 228
Tanaum aestuavium 34
Tarragona 167
Taunus 99
Theater in Tarraco 205
Theilenhofen 86
Thermen 278
in Tarraco 205
Thonscherben, aus
Citania 259
Thumelicus 154 163
Thusnelda 154
Tiberius 99
Grenzwall des 114
Töpfergeschirr, von
Tarraco u. Sagunt 206
Trajan 89 98 119 138
Trennfurt 95
Trier 140
Triumph d. Claudius 23
Triumphbogen des
Augustusi.Tarraco 203
Trojan 79
Tuchwalker 281
Tude 262
Tuihanten 65
Tulcis, Fluss 172
Valerius Maximus 238
Varusschlacht 114
Vechten 145
Velleius 155
Venta 19
Verbannung auf die
Balearen 219
Verica 169
Verzeichniss der
römischen Pro-
vinzen 114
Vespasian 90 119
Vi carello, Becher von 29
Villanueva, Jayme 170
Vindonissa 92
Vinxtbach 111 138
Vipasca 271
Viroconium 27
ümeri , die Heil-
quelle von 288
ünterböbingen 87
Voccio 159
Vogelsberg 95
Volobriga 267
Usipier 38
Voorburg 145
Utrecht 145
Walheim 93
Walldürn 90 92
Wasserleitung, rö-
mische, b. Tarraco 205
Weiherhof bei
Rockenfeld 104
Weiltingen 86
Wein, der Balearen 217
Weinbau von Tar-
raco 207
Weissenburg 86
Welzheim 89 91
Wiesbaden 137
Wight 21
Winchester 19
Windisch 92 126
Winterthur 126
Wörth am Main 89 93
Worms 111
Würzberg 93
Xanten 112 145
York 35 56
Zehentland 91
Zenobia 158
Ziegel, aus Citania 259
Zieverich 144
Zülpich 144
Zugmantel 108
J. P. Starcke, Berlin W,
UHIVEESITT
THIS BOOK 18 DUE ON THE JsABT DATE
8TAMPED BELOW
AN INITIAL FINE OF 25 GENTS
WIU. BE ASSESSED POR FAILURE TO RETURN
THIS BOOK ON THE DATE DUE. THE PENALTY
WILL INCREASE TO SO CENTS ON THE FOURTH
DAY AND TO $1.00 ON THE SEVENTH DAY
OVERDÖK
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LD 31-100m-7/83
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