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Full text of "Römisches Kaisertum und Verfassung bis auf Traian: Eine historische Einleitung zu den Schriften ..."

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^arbarb CoHege Itbrarp 




CONSTANnUS FUND 

Bequeatlied by 

Evangelinus Apostolides Sophodes 

Tutor and Profmoi of Gndc 
Z842-X883 



For Greek, Latin, and Arabic 
Liceratuie 



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lömisches Kaisertum und Verfassung 



bis auf Traian. 



Eine historische Einleitung zu den Schriften 



des 



P. Cornelius Tacitus. 



Von 



Julius Asbach, d^ phii. 

f^Tf" ^ " Direktor des Gymnasiums zu Prüm. 




Köln, 1896. 

Verlag der M. DoMoiit- Schauberg*8cheu Buchhandlung. 



Druck von M. DuMont-Scbauberg. 



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NOY 7 1902 

> Lh/^d-yx-Cu^/» fi/l-vx'ol/ . 



Alle Rechte vorbehalten. 



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f. 



Vorwort- 



Der Unterzeichnete hatte in frühern Jahren gehoflft, es werde 
ihm einmal vergönnt sein, Persönlichkeit und Schriften des Cor- 
nelius Tacitus und ihr Verhältnis zu seiner Zeit in ausführlicher 
Darstellung dem Verständnis weiterer Kreise näher zu bringen. 
Die Mühen seines Schulamtes und die Entfernung von einem 
wissenschaftlichen Centrum haben ihn dann genötigt, die Aus- 
führung dieser Absicht hinauszuschieben. Aus seinen Studien, die 
in Bonn und Köln von günstigem Umständen begleitet wurden, 
sind die im Historischen Taschenbuche 1886 (V) und 1887 (VI) 
erschienenen Aufsätze hervorgegangen. In einer dritten Abhandlung 
wurden ebenda (1888) die Grundzüge der Entwickelung des Prinzi- 
pates bis zur Erhebung Vespasians dargelegt. Die erwähnten Auf- 
sätze hat derselbe seitdem , soweit es die fortschreitende Forschung 
nötig machte, umgearbeitet und bietet sie hier, durch eine Dar- 
stellung der Monarchie der Flavier erweitert, mit Ausschluss der 
Abschnitte, die von der Kunstform der Taciteischen Schriften han- 
deln, von neuem dar. In dem zweiten Buche schien ein Eingehen 
auf die auswärtigen Verhältnisse wegen ihrer Rückwirkung auf die 
Vorgänge in Rom geboten zu sein. Die chronologischen Beilagen 
sollen einer die wesentlichen Punkte zusammenfassenden Darstellung 
als Ergänzung dienen. 

Nachdem durch die neuen Lehrpläne der Tacituslektüre in 
Prima ein breiterer Raum gestattet worden, wird es auch für den 
Philologen unerlässlich sein, der politischen Seite der Historien 
und Annalen , der Germania und des Agricola seine Aufmerksamkeit 
zuzuwenden und sich der auch von Ranke betonten Thatsache 



IV Vorwort. 

nicht zu verschliesscn , dass Tacitus ^den Widerstreit der unbe- 
dingten Herrschaft mit den noch obwaltenden Gefühlen republi- 
kanischer Freiheit im Sinne der mit Nerva beginnenden neuen 
Ära darstellt l)^^ 

Beim Drucke haben mich die Herren Dr. Kreuser in Prüm 
und Dr. Körnicke in Mülheim a. Rh. durch ihre dankenswerte 
Bemühung unterstützt. 

J. A. 

Prüm, den 1. Juli 1896. 



«) Ranke, Weltgeschichte III 1, S. 268. 



Inhalt. 



Erstes Buch. 

Die Entwicklung des Prinzipates bis auf die Erhebung 
Vespasians S. 1 — 54 

Erstes Kapitel: Der Prinzipat des Augastus . . . . S. 3 

Die Monarchie des Julius Caesar S. 3. Seine Ver- 
götterimg 4. Die Gründung des Prinzipates 5 fg. 
Wandlungen des Augusteischen Prinzipates 6. Der 
Kaiserkult 7. Bedeutung des Jahres 23 9. Behand- 
lung des Konsulates — Neue Ämter 10. Die Inschrift 
von Ankyra — Das Mausoleum Augusti — Thron- 
folgeordnung 11. 

Zweites Kapitel: Das Kaiseiimn des Tiberius . S. 12 

Seine Regierungsgrundsätze S. 12. Behandlung des 
Konsulates 13. Rücksicht auf den Senat 14. Zerklüf- 
tung der leitenden Kreise — Der Kaiser auf Capreae — 
Thronfolgeordnung 15 fg. Sturz Seians 16. Charakter 
der Taciteischen Erzählung — Massloses Misstrauen in 
Rom 17. Vortreflfliche Verwaltung 18. 

Drittes Kapitel: Wandlungen des Prinzipates 
anter Gaios und Claudius S. 18 

Charakteristik des Gaius S. 18 fg. Vermessener Des- 
potismus 19. Er fällt als Opfer einer persönlichen 
Rache 20. Neue Hoffnungen des Senates 19. Ge- 
waltsamer Ursprung der Herrschaft des Ti. Claudius 

20. Seine Persönlichkeit — Behandlung des Konsulates 

21. Beziehungen zum Senate 22. Das Schalten seiner 
Freigelassenen 23. Grossartige Bauten 23. Thron- 
folgeordnung 24. 

Viertes Kapitel: Neros Anfänge und Seneca als 
Reichsverweser S. 26 

Senecas Zurückberufung S. 27. Seneca als Theo- 
retiker des Prinzipates 27 fg. Verehrung des Cato 28. 
Sein Ideal ist die gerechte Monarchie 29. Nero 



VI Inhalt. 

regiert nach dem Vorbilde des Augustus 30. Kampf 
zwischen Agrippina und Nero 31. Der Muttermord 32. 
Tod des Burrus 33. 

Fünftes Kapitel: Neros Tyrannis S. 33 

Verherrlichung Catos in der Pharsalia Lucans S. 33. 
Der grosse Brand und die Christenverfolgung 34. Die 
Pisonische Verschwörung 35. Ächtung der stoischen 
' Philosophen 36. Nero als "Wagenlenker und Kitha- 
röde in Griechenland 37. 

Sechstes Kapitel: Die Schilderhebimg des Yindex^ 
Neros Untergang und Oalbas Anfang S. 38 

Stimmung in Rom 8. 38. Lage der gallischen Pro- 
vinzen 39. Herkunft des Julius Vindex 40. Protest 
gegen Neros Misswirtschaft, nicht gegen die Monarchie 
41. Verbindung mit Galba 42. Galba legatus senatus 
populique Romani 43. Neros Ende 45. 

Siebentes Kapitel: Oalba und Otho S. 46 

Quellen S. 46. Rücksichten Galbas auf den Adel 47. 
Seine Grausamkeit und Habsucht — Einfluss der Frei- 
gelassenen 47. Adoption des Plso Licinianus 48. 
Erhebung Othos, Tod Galbas 40. Persönlichkeit und 
Ende Othos 50. 

Achtes Kapitel: Yitellius und Yespasiau S. 50 

Die Persönlichkeit des Vitellius im Berichte des Ta- 
citus S. 50. Unrömisches Regiment 51 fg. Anknüpfung 
an Nero 52. Erhebung Vespasian.s; Zeichen und 
Wunder 53 fg. 



f*^ 



Zweites Buch. 

Die Monarchie der Piavier S. 55 — 1 19 

Erstes Kapitel: Die Beendigung des Bürgerkrieges 
und Yespasians Buckkehr nacli Born S. 57 

Erfolge des Antonius Primus — Erste Schlacht bei Be- 
driacum S. 57. Vertrag zwischen Flaviiis Sabinus und 
Vitellius — Brand des Kapitols, Untergang des Sabinus 
und Vitellius 58. Mucianus Ankunft in Rom und Her- 
stellung der Ordnung 59. Verhandlungen im Senate 
60. Sieg der gemässigten Richtung 61. Lex de im- 
perio Vespasiani 62. Charakteristik VespaHians 63. 

Zweites Kapitel: Begierunirsweise Yespasians und 
Mitregentschaft des Titus S. 64 

Andere Behandlung des Konsulates S. 64. Grosse 
Stellung des Titus nach der Einnahme Jerusalems — 



Inhalt. VII 

»Spannung zwischen Vespasian und Titus 66 fg. Mit- 
regentschaft des T. Caesar imp. Yespasianus 67. Do- 
mitian verbleibt in der zweiten Rolle 68. 

Drittes Kapitel: Sicliening und Erweiterimg der 
Reidisgrenzen S. 09 

Unterwerfung Britanniens S. 69. Die Argonautica des 
Verrius Flaccus 70. Erfolge am Kheine 71. Sicherung 
der Donaugrenze , Verwicklung mit den Parthern 71 fg. 

Viertes Kapitel: Das Werk des Neubaues im Innern) S. 72 

Vorbild des Augustus und Claudius S. 73. Censur 
des Vespasian und Titus , Erneuerung des Senates aus 
angesehenen Provinzialen 73. Ausdehnung des la- 
tinischen Rechtes über ganz Spanien 74. Erweiterung 
des Pomeriums — Das neue Rom 75. Ordnung der 
Finanzen 76. Förderung der Wissenschaften 77. 
Besserung der Sitten 78. 

Ffinftes Kapitel: Yespasians Ausgang S. 79 

Die Dramen des Guriatius Maternus; die Opposition 
der Stoiker — Hinrichtung des Helvidius Priscus S. 79. 
Verschwörung des A. Caecina — Vespasians Ende 80. 

Sechstes Kapitel: Des Titus Selbstherrschaft ... S. 81 

Glückliche Enttäuschung der Römer — Charakteristik 
des Titus S. 81 fg. Hat er die Thronfolgeordnung 
seines Vaters geändert? 82. Spannung zwischen Titus 
und Domitian 83. Bestrafung der Delatoren, Gepränge, 
Luxus und Spiele 84. Gehäuftes Unglück 85. Krank- 
heit und Tod des Titus 85 fg. 

Siebentes Kapitel: Domitians glückliche Anfänge S. 86 

Wert der Überlieferung S. 86 fg. Charakteristik Do- 
mitians 87. Löbliche Massnahmen 89. Zurückberufung 
des Agricola aus Britannien, der Chattenkrieg und 
die Erwerbung bedeutender Landstriche auf dem 
rechten Rheinufer — Verschärfung der monarchischen 
Gewalt 90. Ihre Repräsentation 91. Grossartige Bau- 
thätigkeit 92. Statuen, Triumphbogen, Ehren 93. 
Reichsverwaltung und Rechtsprechung 94. Finanzver- 
waltung, die Freigelassenen 95. Säkularspiele 96. 

Achtes Kapitel: Die grosse Krisis S. 96 

Kämpfe an der Donau S. 97. Sieg des Tettius Ju- 
lianus über Decebalus — Empörung des L. Antonius 
Saturninus 98. Der zweite Chattenkrieg und der 
Doppeltriumph de Cattis Dacisque 100. Neue Ehren — 
Der Suebisch-Sarmatische Krieg 101 fg. 

Neuntes Kapitel: Feindliehe Strömungen S. 102 

Ursprung und Entwicklung der Opposition gegen den 
Prinzipat S. 102 fg. Charakteristik der stoischen 



VIII Inhalt. 

Philosophen 104. Befrinn der Schreckensherrschaft 
Domitians 105. Hinrichtung des Senecio, Helvidius 
Priscus und Arulenus Rusticus 106. Vertreibung der 
Philosophen und Ausweisunfr der Astrologen 107. 
Domitians gesteigerte Grausamkeit 108. 

Zehntes Kapitel: FinanznotimdChristenyerfolgiiiigS. 109 

Äussere Rücksichten auf den Senat — Bau der via 
Domitiana und Begründung der Alimentationen S. 109. 
Erschöpfung der Finanzen 110. Mittel zur Abhülfe 
111. Massregeln zum Schutze des alten Götterglau- 
bens 112. Bekämpfung des in die kaiserliche Familie 
eingedrungenen Christentums 112. Domitian der Anti- 
christ 113. 

Elftes Kapitel: Domitians Ende nnd das Ergeb- 
nis seiner Begiernng S. 1 14 

Hat Domitian am Verfolgungswahn gelitten ? S. 114. Ver- 
schwörung der Freigelassenen und Ermordung des 
Kaisers 115. Verhalten des Senates 116. Erhebung 
des Nervas 116. Ergebnis der Regierung Domitians 117. 



—*^ 



Drittes Buch. 

Nerva, Traian und Cornelius Tacitus S. 119 — 169 

Erstes Kapitel: Der Prinzipat des Nerva S.121 

Unzufriedenheit der Soldaten nach Domitians Ermor- 
dung, Vergewaltigung Nervas S. 121. Adoption 
Traians 122. Massbaitang der Regierung in der Be- 
strafung der Delatoren 123. Fabricius Veiento als 
Gegner des Plinius im Prozesse des Publicius Certus 
124 fg. Nerva führt Domitians Alimentar-Institutiou 
weiter 126. Konsulat des Tacitus und Tod des L. 
Verginius Rufus 127. 

Zweites Kapitel: Lebensyerhältnisse des Tacitus S. 127 

Dürftigkeit der Nachrichten S. 127. Benutzung seiner 
Schriften im Altertum 128. Tacitus* politische Lauf- 
bahn 129. Wo weilte er nach seiner Prätur? — Seine 
Haltung in den letzten Jahren Domitians 130. 

Drittes Kapitel: Die Lebensbeschreibung des 
Agricola S. 131 

Einleitung S. 131 — Agricolas Mässigung 133. Gründe 
seiner Abberufung 134. Rechtfertigung seiner Haltung 
unter Domitian — Allgemeine Gedanken in der Rede 
des Calgacus 135. Der Epilogus — Anlehnung an 
Seneca 136. Verwandte Schriften 137. 



Inhalt. IX 

Viertes Kapitel: Die Germania des Tacitus ... .S. 137 

Zeit der Abfassung S. 137. Traian am Rheine 139. 
Vestricius Spurinna im Lande der Brukterer 140. 
Selbstbeschränkung des Kaisers 141. Bedeutung des 
37. Kapitels 142. Vorgänge an der Donau — Die 
Sueben 143. Titel und Einleitung sind verloren 144. 
Die Quellen 145. Stellen, an denen Gegensätze gegen 
römisches Leben absichtlich hervorgehoben werden 
146 fg. Anlehnung an Seneca 148. 

Ffinftes Kapitel: Traian, Tacitns and Plinins . .S.148 

Traians Rückkehr nach Rom — Äussere Verhältnisse 
des Tacitus 148 fg. Tacitus und Plinius 149 fg. Zeit 
der Herausgabe der Historien 151. Beifall der Zeit- 
genossen 152. Abfassungszeit der Annalen 153. 

Sechstes Kapitel: Tacitus' politisclier Standpunkt 
in den Historien und Annalen S. 154 

Der Panegyricus des Plinius 154. Traians Entgegen- 
kommen gegen den Senat 154 fg. Einleitung der 
Historien 155. Vergleich der Historien mit dem Pane- 
gyricus 156. Die persönliche Tüchtigkeit des Herr- 
schers wird durch das Aufgeben der Erbfolge und die 
Adoption des Nachfolgers verbürgt 157. Tacitus ist 
Monarchist 158. Er verabscheut die Delatoren 159. 
Senat und Ritterstand 162. Ursprung der Alleinherr- 
schaft 162 fg. Die beste Staatsform ist undurchführ- 
bar — Vergleich mit andern Historikern 164. Warum 
ist Tacitus von der Absicht, die Geschichte des Nerva 
und Traian darzustellen, zurückgekommen? 165. Seine 
Geschichtsauffassung wird von den Begriffen „Freiheit 
und Macht" beherrscht 166 fg. 



-•♦»- 



Zeittafel S. 168—180 

Tafel der Kaiserkonsulate S. 181—185 

Stammbaum der Piavier imd Traians S. 186—187 

Beilagen S. 188—192 

•>*<♦ 

Berichtignngen: 

S. 124 Z. 4 V. u. lies: hatte Publicius Certus. 
S. 126 A. 3: snblata. 

S. 146 Julius Frontinus war 70 als Legat in Germanien, wiederum 83 während des 
Chattenkriegs. 



Erstes Buch. 



Die Entwicklung des Prinzipates bis auf 
die Erhebung Vespasians. 



i*-#-> 



A ab ach, Kaiaertmn and Verfaisung. 



ERSTES KAPITEL. 

Der Prinzipat des Augustus. 

Auf die Botschaft von der pharsalischen Schlacht und dem 
Untergänge des Pompeius fassten Senat und Volk Beschlüsse, 
deren Ausführung das Ende der republikanischen Staatsform 
bedeutete. Sie übertrugen dem Julius Caesar die Entscheidung 
über Krieg und Frieden, das Konsulat auf fünf Jahre, die 
tribunicische Gewalt auf Lebenszeit und die Diktatur ohne 
zeitliche Begrenzung. Neue , unerhörte Ehren fielen dem Sieger 
von Thapsus und Munda zu: er ward als Vater des Vater- 
landes begrüsst, zum Diktator auf Lebenszeit und zum Konsul 
auf zehn Jahre ernannt. Das Wichtigste von allem aber war 
das Zugeständnis, dass er den Imperatortitel dauernd führen 
und auf seine Nachkommen vererben solle. Es enthielt nämlich 
die Anerkennung einer Macht, die im Gegensatz gegen den 
Senat durch die Waffen der Legionen emporgekommen war. 
Zu ihrer äussern Vertretung sollte ihr Träger das Recht 
haben, im triumphalen Purpurgewande mit dem Lorbeer- 
kranze zu erscheinen y Münzen mit seinem Bildnis zu prägen 
und in der Kurie auf goldenem Sessel zu sitzen. Der Senat 
musste sich mit der Stellung eines Reichsrates begnügen; 
alle Machtfülle vereinigte Caesar in seiner Hand; er schaltete 
wie ein König in Rom, mochte er auch das Diadem zurück- 
weisen und in den Fasten die Thatsache verzeichnen lassen, 
dass der Diktator auf Lebenszeit von der Königswürde, die 
ihm der Konsul auf Wunsch des Volkes angetragen, nicht 
habe Gebrauch machen wollen. Aber ehe der gewaltige 
Mann den Bau seiner auf die Hoheit des römischen Volkes, 
die Waffen einer siegreichen Armee und die Zufriedenheit der 
zum erstenmal zur Freiheit und zu menschenwürdigem Dasein 
berufenen Provinzen gegründeten Monarchie vollendete, war 
er den Dolchen kurzsichtiger Verschworenen erlegen. 

Während seiner Bestattung zeigte sich ein Komet am 
Himmel; die erregte Phantasie der Römer sah in dem leuch- 



4 Erstes Bach. 

tenden Gestirn den zu den Göttern emporschwebenden Divus 
Julius. Das Motiv, das in der Seele des Lebenden wirksam 
gewesen war, hatte sich zu einer volkstümlichen Überzeugimg 
ausgebildet: ein verheissungsvolles Schicksal habe das von 
Julus, dem Enkel der Venus, abstammende Julische Haus 
auserkoren, die Geschichte Roms einzuleiten und zu voll- 
enden; aus troianischem Geblüte werde der Held hervorgehen, 
der berufen sei, den Geist der Zwietracht zu bändigen und 
die Zeit des Weltfriedens heraufzuführen. 

Vorübergehend gewann der Senat noch einmal den alten 
Einfluss zurück; aber seine Unfähigkeit zu regieren trat von 
neuem zutage, und nun rissen die Sieger von Philippi die 
Alleinherrschaft an sich und teilten sich in Caesars Erbe. Die 
staatsmännische Begabung des Vaters ist auf den Adoptiv- 
:sohn übergegangen, der, fast noch ein Jüngling, es verstand, 
der schwierigsten Verhältnisse Herr zu werden. Caesars feurige 
Kraft, die Lust an kühnem Wagnis findet sich in Marc Anton 
wieder. Auch die orientaUschen Entwürfe des Diktators hat 
-dieser sich angeeignet. Er hat den Partherkrieg geführt, den 
jener geplant, und, soweit es das Genussleben erlaubte, für 
die Selbständigkeit und führende Rolle des Ostens, für eine 
Idee gewirkt, die erst nach Jahrhunderten ins Leben treten 
sollte. Unterdessen führten Caesar und Agrippia erfolgreiche 
Kriege im Westen, vernichteten die Reste der Pompeianer, 
setzten den Aemilius Lepidus matt und bereiteten den ent- 
scheidenden Schlag vor, der bei Aktium die Hoffnungen der 
Morgenländer zerstörte und die staatliche Einheit der Mittel- 
meervölker rettete. 

Am 1. August des Jahres 30 v. Chr. hielt der Sieger 
seinen Einzug in Alexandria, machte das Pharaonenreich zu 
einer römischen Provinz und fügte sie als letztes , wichtigstes 
Glied in die Kette der das Mittelmeer umspannenden Länder 
ein. Das römische Reich bildete jetzt eine geographische Einheit. 

Von Ägypten war C. Caesar als Alleinherrscher nach Rom 
zurückgekehrt, von Ägypten zog der jüngere Caesar, von dem 
Dichter gefeiert als Sieger über die Titanenbrut und als Bän- 
diger der entfesselten Gewalten der Revolution, als Nach- 
folger und Rächer seines Vaters in die Hauptstadt der Welt 
. ein, und mit ihm kamen aus dem Osten neue Staatsformen; 
an die Stelle des unpersönUchen Senatsregiments trat das 
persönliche des ersten Bürgers i). 



^) Th. Mommsen, Der Rechenschaftsbericht des Augustus. Histo- 
rische Zeitschrift N. F. XXI, S. 385. Vgl. O. Hirschfeld, Römische 
Verwaltungsgeschichte I, S. 284 fg. n. Die ägyptische Polizei der röm. Kaiser- 
zeit, Sitzungsberichte der preuss. Akademie der Wissenschaften XXXIX 
(1892) 8. 823. 



1. Der Prinzipat des Aagustus. 5 

Im J. 32, nachdem das Triumvirat abgelaufen war, hatten 
Senat und Volk in Rom, die Bevölkerung Italiens und der 
westlichen Provinzen in Anerkennung des vorhandenen Not- 
standes dem Caesar den Eid des Gehorsams geleistet, der 
ihn zum unumschränkten Gebieter über das Reich und alle 
seine ünterthanen erhob. Auf diese Gewalt hat er erst nach 
völliger Beseitigung der inneren Wirren verzichtet, indem er 
in den Jahren 28 und 27 einzelne Verwaltungsgebiete stück- 
weise an Senat und Volk, die sich früher ihrer Rechte ent- 
äussert hatten, zurückgab. Im Einvernehmen mit dem neu- 
geschaffenen Senate ordnete er die Reichsverwaltung. Was 
die Hauptsache war, er übernahm zunächst auf zehn Jahre 
ein auf die grössten Provinzen, in denen eine Heeresmacht 
stand, beschränktes Kommando, in ununterbrochener Folge 
das Konsulat und das ius auxilü, wie es die Tribunen aus- 
geübt hatten 1). 

Sein treuer Gehülfe bei diesem Werke war M. Agrippa, 
der in jenen entscheidenden Jahren zweimal nacheinander 
das Konsulat bekleidete. Auf die gemeinsame Herrschaft des 
Prinzeps und des Senates haben diese Männer die neue Ver- 
fassung gegründet. Der Senat teUte sich mit dem Regenten 
in die Verwaltung ItaUens und der Provinzen. Jener liess 
sie durch seine auf ein Jahr bestellten Prokonsuln, dieser 
durch seine Legaten ausüben. Er teilte sich mit dem Regenten 
in die Gesetzgebung und die Leitung der auswärtigen An- 
gelegenheiten; ihm fiel die Kriminalgerichtsbarkeit und die 
Ausmünzung des Kupfers zu. 

Der Ritterstand , der seine Verwendung in der Verwaltung, 
besonders der kaiseriichen Provinzen, fand, erwies sich bald 
als eine zuverlässige Stütze des Thrones. Auch Ägypten, 
welches eine dem Reichtum seiner Mittel , der Unzuverlässig- 
keit seiner zahlreichen Bevölkerung und der Bedeutung seiner 
geographischen Lage entsprechende Sonderstellung einnahm, 
war einem ritterhchen Beamten unterstellt, der den Namen 
praefectus führte. Im Heeresdienste konnte ein Ritter bis 
zum Kommando der Garde emporsteigen. 

Eine einschneidende Veränderung erfuhr der Prinzipat im 
J. 23. An Stelle des Konsulats übernahm Caesar unter 
gleichzeitiger Veränderung im militärischen Kommando die 

^) über diese Verhältnisse ist ausser. Mommsens Staatsrecht die 
Dissertation von Joh. Kromayer, Die rechtliche Begründung des Prin- 
zipats (Marburg 1888) einzusehen. Von den daselbst angeführten Stellen 
. sind besonders wichtig: Tacitns, ann. 1, 2: Posito triumviri nomine (Ende 33) 
consulem se ferens (31 — 23) et ad tuendara plebem tribunicio iure conten- 
tum und Monum. Ancyr. 6, 13: Per consensum universorum [potitus rerum 
omnjium rempublicam ex mea potestate in senat[us populique Romani 
ajrbitrium transtuli. 



6 Erstes Buch. 

volle tribunicische Gewalt und mit ihr den Namen in seine 
Titulatur. Er besass fortan das Recht der Intercession und 
der Verhandlung mit Senat und Volk, ein Recht, das in den 
folgenden Jahren durch üebertragung von Spezialbefugnissen 
noch erweitert wurde. Aus der Stelle als ordentUcher 
oberster Gemeindebeamter ist er nach Niederlegung des Kon- 
sulates zurückgetreten, das als höchste Staffel der alten Ver- 
fassung weiterbesteht. Diese Form des Prinzipates schien 
ihrem Schöpfer so vollkommen, dass er in den nachfolgenden 
36 Jahren seiner Regierung nichts WesentHches mehr daran 
geändert hat. 

Wie nur dem Prinzeps und seinem Mitregenten das Recht, 
ihr Bildnis auf die Münzen zu setzen, zusteht, so vereinigt 
jener, thatsächlich niemanden verantwortlich, alle Staats- 
hoheit in seiner Person. Der Prinzeps ist der alleinige Ver- 
treter der Volkssouveränität, als Imperator verfügt er über 
die gesamte neu organisierte Streitmacht. Heer und Volk 
sind die Pfeiler, auf denen seine Macht beruht. 

Will man weit auseinanderliegende Dinge, absehend von 
der Verschiedenheit der Zeiten und Nationen, vergleichen, so 
steht der römische Prinzipat in der Mitte zwischen der grie- 
chischen Tyrannis, die sich auf den Trümmern der Macht 
der edlen Geschlechter erhebt und, gestützt auf ein stehendes 
Soldheer und den emporstrebenden Demos , nicht zum wenig- 
sten durch die Persönlichkeit des Herrschers die bestehende 
Verfassung lahm legt, und andererseits dem Kaisertum der 
Bonaparte, das als Quelle seiner Gewalt grundsätzlich die 
Hoheit des Volkes anerkennt, seine Wurzeln in den breiten 
Schichten der bäuerlichen und arbeitenden Bevölkerung 
hat und auf ein schlagfertiges, vom Ruhme genährtes Berufs- 
heer sich stützt. Eine schrankenlose, unbestimmte Gewalt 
sahen wir die Napoleoniden ausüben. Schrankenlos und un- 
bestimmt war auch die Machtstellung des Prinzeps, wenn 
auch jedes einzelne ihm vom Senate übertragene Amt wohl 
umgrenzt war^). War es ihm doch gestattet, alles was er im 
Interesse des Staates für nötig hielt, alle religiösen und pro- 
fanen Verhältnisse nach seinem Gutdünken zu ordnen. Ein 
römischer Kaiser durfte sich Dinge erlauben, wie man sie 
bei den Despoten des Ostens gewohnt war. „Dem Caesar ist 
alles gestattet; er ist der Besitzer der Welt* 2). Und doch 
könnte derselbe Seneca, von dem dieses Wort herrührt, die 



*) Vgl. die verständigen Ausführungen bei Kroraayer, a.a.O. S. 42: 
„Die Stellung des Herrschers zum Konsulat hat nicht zum wenigsten zu 
jener Zwittergestalt beigetragen, welche dem Prinzipat der ersten Jahr- 
hunderte eigen ist." 

*j Seneca, Ad Polybium 13. 



1. Der Prinzipat des Augustos. 7 

Verfassung Roms als eine freie bezeichnen. Richtiger würde 
er sie zu den gemischten Verfassungen rechnen. Der Prin- 
zeps ist König ohne Scepter und Diadem; seine Herrschaft 
ist aus dem Kampfe der Populären gegen die Miss Wirtschaft 
einer aristokratischen Regierung und aus der Erhebung der 
Provinzen gegen die Herrschaft einer Stadtgemeinde hervor- 
gegangen. 

Die Nobilität ist nicht beseitigt, aber ihre Macht unschäd- 
lich, weil sie diese mit einem Höhern teilen muss, von dem 
ihr Thun und Lassen im Interesse des Ganzen überwacht 
wird. Die Staatskunst des Augustus war ehrlich bemüht, 
ein festes Band zwischen dem Monarchen und der Aristo- 
kratie zu schaffen und beide in den Dienst des Staates zu 
spannen. Rasch und sicher wuchsen die Keime, die er in 
das Erdreich gesenkt hatte, zu einem lebensvollen Baume. 
Sein Werk ist eine der reifsten und durchdachtesten Schöpfun- 
gen staatsmännischen Geistes, das Werk eines echten Poli- 
tikers, den nicht Theorien, sondern die harte Zeit gebildet 
hatte, der sich der Grenzen seines Könnens wohl bewusst 
war und diese einhielt. 

Niemals ist es ihm in den Sinn gekommen, etwas ganz 
Neues an die Stelle des Alten zu setzen. Er hat vielmehr 
bei den verschiedenen Wandlungen, die die Form seiner 
Herrschaft erfahren, aus frühern Phasen dasjenige herüber- 
genommen, was ihm für den Bestand seiner Machtstellung 
von Bedeutung und mit den Einrichtungen eines Freistaates 
vereinbar schien i). 

Indem er den Zusammenhäng mit der Vergangenheit nicht 
zerriss .und den historischen Charakter des Staates mit den 
monarchischen Ideen in Einklang setzte , hat er seinem Werke 
für drei Jahrhunderte Dauer verliehen. 

Wie Caesar, so war der Erbe seiner Pläne von der gött- 
lichen Mission seines Geschlechtes überzeugt. Auch in seiner 
Seele lebte die Vorstellung von einem uralten Ansprüche des 
Julischen Hauses auf die Beherrschung der Mittelmeervölker, 
deren Geschicke durch göttliche Einwirkung seit etwa einem 
Jahrtausend einen Gang eingeschlagen hätten , der die Spröss- 
linge des Aeneas zur Herrschaft prädestinierte. Der Mythus, 
in den entsprechend den Anschauungen des Altertums dieser 
Glaube sich kleidete, empfing jetzt seine abschliessende 
Gestalt. Der Prinzeps hatte das Glück, dass einem seiner 
Lieblingsgedanken Erfüllung wurde. Die tiefe, von der Vor- 
sehung gewollte Verflechtung der Geschicke der julischen 
Familie mit denen des römischen Volkes und die Familien- 



*) Kroraayer, a.a.O. S. 43. 



8 Erstes Buch. 

traditionell seines Geschlechtes selbst wurden durch den dem 
Hofe nahestehenden, für seine italische Heimat begeisterten 
Vergilius Maro von dem Glänze der Dichtung verklärt und 
zur Grundlage seines nationalen Epos gemacht. 

Der Senat hatte den Herrscher mit dem Namen Augustus 
(Seßaoxög), der ihn als geheiligtes Wesen bezeichnete, im 
Jahre 27 begrüsst. Dieser Caesar Augustus wird das gol- 
dene Zeitalter begründen und die saturnische Ära in Latium 
erneuem; er wird das Reich über die Garamanten und 
Inder hinaus ausbreiten. Handel und Wandel werden ge- 
deihen, ohne Fährlichkeit schreitet der Stier vor dem Pfluge, 
segeln die Schiffer durch das Meer, und in die Häuser ist 
Zucht und Ehrbarkeit zurückgekehrt. Ilion, das Rom der 
Vergangenheit, ist dahin, der Neugründung des Romulus- 
Quirinus gehört die Zukunft. ^Sofern nur zwischen Rom 
und Ilion das Meer brandet, mögen die Heimatlosen allerorts 
gebieten und siegreich bis zu den Grenzen des Erdkreises 
vordringen,^ Aber wehe ihnen, wenn sie Ilion wieder auf- 
bauen, wenn sie zu dem Rom der Optimatenzeit zurück- 
kehren. Dann würde Troias Geschick, und sollte es dreimal 
sein, sich in Blut und Thränen wiederholen. 

Die Mannheit des jungen Römers soll sich fortan nicht 
allein im Felddienste und im Gewühle der Schlacht bekunden, 
sie meidet auch das Treiben auf dem Forum , sie wahrt sich 
ihre Unabhängigkeit von der Laune der Volksgunst und übt 
gefahrlos die Tugend „der treuen Verschwiegenheit* i). 

Schon im J. 30 nach der. Unterwerfung Ägyptens hatte 
der Senat beschlossen, dass jedermann dem Herrscher bei 
der Mahlzeit Weihegüsse widmen solle*). Der Genius Augusti 
tritt in die Reihe der Lares public! ein. Die Laren an den 
Kreuzwegen werden durch die Dreiheit der Lares domus 
Augustae und des Genius Caesaris ersetzt. Nur in dieser 
Form gestattete er zunächst seinen römischen Unterthanen 
die Verehrung seiner Person, während im Orient, wo seit 
uralter Zeit die Regenten göttliche Ehren genossen, ihm längst 
Opferaltäre dampften. 

Die Dichter gingen auf diese Absichten bereitwilligst ein. 
Sie feierten den Nachkommen des Anchises, den Sprossen 
des Saturnus, den Sohn des divus Caesar als menschgewordenen 



^) Vergil, Aeneis 6 791 und Kiessling zu Horaz Oden, III 1 — 6. 
Sueton, Aag. 7. Auch O. Jäger, Nachlese zu Horatius (1887), der die 
Fülle der bei dem Dichter sich findenden politischen Anspielungen betont. 

«) Dio51, 19und A.Kiessling zu Horaz IV, 5. Vgl. O. Hirschfeld, 
Zur Geschichte des röm. Kaiserkultes, Sitzungsberichte der preuss. Aka- 
demie der Wissenschaften XXXV (1888) S. 838. 



1. Der Prinzipat des Augustus. 9 

Gott. Bald heisst er der vom Himmel herabgestiegene Mer- 
curius: der Gott, dem die neugeschaffenen Menschen die 
Elemente der Bildung verdankten, schirmt nun auf Erden den 
Frieden und vollendet die Mission des römischen Volkes. 
Bald galt er als ,augur Apollo*, dem Juppiter die Rolle zu- 
geteilt, die Blutschuld der Bürgerkriege zu sühnen und als 
Augustus das neue Zeitalter zu augurieren. 

In spätem Jahren seiner Regierung hat er dann in Italien 
in denjenigen Gemeinden, die er gegründet oder unter seinen 
besondem Schutz genommen hatte, sich göttliche Verehrung 
in aller Form gefallen lassen. Feste Gestalt gewann der 
Kaiserkult frühzeitig in den romanisierten Provinzen des 
Westens. In Tarraco, Lugudunum und dem Oppidum übio- 
rum versammelten sich die Provinzialen am Altare des 
Augustus, um seinem Genius zu opfern oder gemeinsame 
Angelegenheiten zu beraten. So war der Dienst der Roma 
und des kaiserlichen Genius eine neue Staatsreligion geworden, 
durch die die Stämme an Rhein und Rhone, an Donau und 
Euphrat verbunden wurden. 

Man darf, wenn man diesen Vorgang verstehen will, nicht 
vergessen, dass die Gemüter durch Prophezeiungen einer 
bevorstehenden Palingenesie des goldenen Weltalters erfüllt 
waren und diesen gerade die Besten ihr Ohr liehen. Im 
J. 23 V. Chr. war der 440jährige Cyklus abgelaufen, und die 
Sprüche der Sibylle verhiessen den Anbruch eines besseren 
Zeitalters. Augustus trug sich mit der Absicht, durch einen 
Akt religiöser Weihe, durch die Feier der Säcularspiele , die 
Neuordnung der Verfassung auch äusserlich abzuschliessen. 
Zwar durchkreuzte der unerwartete Tod des Thronerben 
Marcellus seine Absichten, aber mit der Sommersonnenwende 
des Jahres 23, mit dem 26. Juni, liess er die neue Ära be- 
ginnen. Die Rücksicht auf die religiöse Bedeutung, welche die 
Agyptier der Sonnenwende beilegten, bestimmte den Kaiser 
sich für diesen Tag zu entscheiden, mit dem auch für Ägyp- 
ten eine neue Zeitrechnung ins Leben trat. Mit dem Neu- 
jahrstage des neuen Säculums beginnt die Zählung der tribu- 
nicischen Kaiserjahre. Die Konstituierung des Prinzipats fand 
in diesem Akte und den Säcularspielen des Jahres 17 ihren 
Abschluss. Im J. 2 v. Chr. begrüsste der treu ergebene 
Senat den Kaiser als Vater des Vaterlandes, ein Titel, der 
nicht bloss eine Ehrenauszeichnung sein sollte, sondern seinen 
Träger wiederum als ein göttliches Wesen, als den Genius 
des Reiches bezeichnete. Schon wandelte dieser kühner auf 
der Bahn der Alleinherrschaft. 

Nach der Regellosigkeit, mit der in der Zeit des Trium- 
virats das Konsulat auf bald kürzere, bald läw%^^^ ^yv^Xk^ 



10 Erstes Buch. 

verliehen worden, war Caesar mit dem J. 29 zu dem Jahres- 
konsulat zurückgekehrt, das bis zum J. 5 v. Chr. Regel blieb 
und fast ausnahmslos den Vertretern der grossen Geschlechter 
zufiel. 

Dann schwankte der Brauch bis zum J. 1 v. Chr. Seitdem 
ist die republikanische Ordnung zu Grabe getragen und das 
semestrale Konsulat die Regel, während das Jahreskonsulat 
nur Mitgliedern des kaiserlichen Hauses als Auszeichnung 
verliehen wird. Die Einführung dieser neuen Ordnung steht 
ohne Frage mit andern Massregeln des Kaisers im Zusammen- 
hang, durch welche die Macht der Aristokratie weiter ge- 
schwächt und die Stellung des Prinzeps auf Kosten des Senats 
befestigt wurde. Den alternden Regenten veranlasste nicht 
allein das Scheitern seiner dynastischen Pläne und die Ver- 
bitterung über die entarteten Sprossen seines Hauses, die 
Zügel der Regierung fester zu fassen, sondern auch das 
Treiben der Opposition, die in dem letzten Drittel seiner Re- 
gierung kühner das Haupt erhob, hatte seine Entschliessungen 
beeinflusst. Denn nicht aller Sache war es, die von Öoraz 
empfohlene Tugend patriotischer Resignation gegenüber der 
monarchischen Ordnung der Dinge zu üben. 

Für die wichtigsten Zweige der Verwaltung wurden neue 
Ämter gegründet, deren Besetzung ihm ebenso unbedingt 
zustand wie die Verfügung über die öffentUchen Kassen, 
speziell über das neu errichtete aerarium militare, wodurch 
das Verfügungsrecht des Senates über die Staatsgelder em- 
pfindlich getroffen wurde. Durch Notstände der verschiedensten 
Art sah Augustus sich genötigt, für die wichtigsten Zweige 
der hauptstädtischen und italischen Verwaltung neue Ämter 
zu schaffen; für das Verpflegungswesen, die Wasserleitungen 
und ÖffentUchen Bauten, für die grossen italischen Chausseen 
wurden zunächst in Gemeinschaft mit dem Senate Kuratoren 
bestellt. Nach diesen vorläufigen und halben Massregeln ent- 
schloss sich Augustus auf Bitten der von Bränden und Hungers- 
not heimgesuchten Bürgerschaft, die Sorge für das Lösch- 
wesen, für die Sicherheit und Verpflegung von Rom selbst 
in die Hand zu nehmen und nach dem Vorbilde ägyptischer 
Behörden in Alexandria den praefectus vigilum und den prae- 
fectus annonae mit seiner Stellvertretung zu beauftragen. 
Eine musterhafte Verwaltung trat an die Stelle der Misswirt- 
schaft dos Senats, der sich seiner Aufgabe nicht im ent- 
ferntesten gewachsen gezeigt hatte ^). Gleichzeitig ward nicht 
nur das Ansehen der grossen Ämter herabgesetzt , indem ihnen 



») Vgl. O. Hirschfeld, a.a.O. S. 284. — Sueton, Aug. 37. 



1. Der Prinzipat des Aug^stiis. 11 

wesentliche Befugnisse entzogen wurden, sondern auch die 
Bedeutung des Ritterstandes , dem der grössere Teil der vom 
Kaiser abhängigen Beamten entnommen war, wurde gehoben. 

Augustus ist der .zweite Stifter der römischen Monarchie. 
Klar und mannhaft bis zu seinem Ende, ruft er die umstehenden 
Freunde als Zeugen, dass er schicklich und würdevoll den 
letzten Akt des Lebens abgeschlossen habe. Von seinen 
politischen Erfolgen erzählt die grosse Inschrift von Ankyra, 
die Mommsen mit der persepolitanischen Inschrift des Darius 
und andern monarchischen Geschichtserzählungen treffend 
vergleicht 1). ^Die Veröffenthchung der politischen Verrich- 
tungen des Schöpfers der römischen Monarchie zu ewigem 
Gedächtnis in der Hauptstadt des Reichs ist ein integrierender 
Teil dieser Schöpfung selbst." Ihr allein verdanken wir das 
Verständnis für einen der wichtigsten Akte der allgemeinen 
Geschichte. Zwar hat Dio Cassius die Begründung der neuen 
Staatsordnung eingehend und planmässig zu erläutern gesucht; 
aber nicht nur wird in der Rede des Maecenas die Verfassung 
der eigenen Zeit, der regenerierte Prinzipat des Severus 
Alexander, geschildert, sondern auch in die Erzählung eine 
künstliche Konstraktion eingeführt, die den Autor in zahl- 
reiche Widersprüche mit dem ankyranischen Monument ver- 
wickelt. 

Erinnert der Rechenschaftsbericht des Augustus an die 
monumentale Geschichtsschreibung der Monarchien des Ostens, 
so legt seine Grabstätte die Erinnerung an das Königsgrab 
der Ptolemäer nahe. Denn nach seiner Rückkehr aus Ägyp- 
ten hatte er noch in dem Jahre, in welchem die Auseinander- 
setzung mit dem Senat erfolgte, für sich und sein Haus auf 
dem Marsfelde als Grabstätte ein Mausoleum eingerichtet, 
dessen Trümmer noch heute von der monarchischen Herrlich- 
keit des Augustus Zeugnis ablegen 2). 

Die Nachfolge wurde von ihm endgültig so geregelt wie 
von einem, der das Recht dazu hat^). Er hatte seine Enkel 
Gaius und Lucius als Thronfolger adoptiert und ihnen uner- 
hörte Ehren erweisen lassen. Als sie aber in der Blüte ihrer 
Jahre gestorben waren, nahm er seinen Stiefsohn Tiberius 
an Sohnes Statt an, und diese Willensäusserung des Kaisers 
wurde noch bei seinen Lebzeiten öffentlich anerkannt. Gleich- 



^) Mommsen, Der Rechenschaftsbericht des Augustus, a. a. O. 

*) O. Hirsch fei d, Die kaiserlichen Grabstätten in Rom, Sitzungs- 
berichte der preuss. Akademie der Wissenschaften LI, (1886) S. 1149. 

■) Nach Joh. Kreutzer, Die Thronfolgeordnung. im Prinzipat (Beilage 
zum Jahresbericht des Kölner F. W.-Gymnasium), S. 12. Vgl. daselbst die 
Belege. 



12 Erstes Buch. 

zeitig adoptierte Tiberius den Germanicus, der damit als un- 
mittelbarer Nachfolger in Aussicht genommen war, vermutlich 
als Mitregent des Jüngern Drusus. Bestimmend muss für diese 
Thronfolgeordnung der Umstand gewesen sein, dass Germanicus 
mit Agrippina, der leiblichen Enkelin des Augustus, vermählt 
war. Er hat also nicht nur seinen Nachfolger ernannt, son- 
dern auch über diesen hinaus die Thronfolge zu regeln 
versucht. 



ZWEITES KAPITEL. 

Das Kaisertum des Tiberius. 

Augustus hatte die tribunicische Gewalt auf Lebenszeit, 
das imperium proconsulare auf eine Reihe von Jahren über- 
nommen, gleich als hätte er wie die Aisymneten in den grie- 
chischen Kolonien nach Lösung seiner Aufgabe die Absicht, 
von der höchsten Gewalt zurückzutreten. An den von ihm 
geschaffenen Grundlagen haben seine Nachfolger festgehalten. 
Aber ein Fortschritt war, dass unter Tiberius das Kaisertum 
zu einer lebenslänglichen Gewalt wurde und auch äusserlich 
mehr die Formen der Monarchie annahm. 

Ohne den Ruf des Senats oder der Legionen abzuwarten, 
tritt Tiberius sofort nach dem Ableben des Augustus als 
Herrscher auf. Dasselbe Gerücht meldete den Tod des 
einen und den Regierungsantritt des andern i). Eine Leib- 
wache begleitete ihn auf das Forum, mit Bewaffiieten er- 
schien er im Senate. Und wenn er vor diesem eine zögernde 
Haltung annahm, so war dies nur eine wohlgespielte Komödie. 
Es leisteten ihm den Huldigungseid zuerst die Konsuln, dann 
die Präfekten der Garde und des Getreidewesens, nach den 
übrigen Beamten der Senat, die Legionen und das Volk. Er 
legte Wert darauf, dass man sagte, er habe sich nicht durch 
die Adoption eines Greises und die Umtriebe eines Weibes 
eingeschlichen, sondern sei vom Staate erkoren und berufen 
worden. 

Von vornherein war Tiberius entschlossen, im Sinne und 
nach dem Beispiele des Augustus zu regieren. Allen über- 
triebenen Ehren abhold, betonte er seine Stellung als Prinzeps, 
wenn er äusserte, er sei Herr für die Sklaven, Imperator für 



^) Tac. ann. 1, 5: Simul excessisse Augustum et rerum potiri Neronem 
eadem fama tulit. Sueton, Tib. 24: Principatum quamvis nee occupare 
confestim neqne agere dubitasset et statione militam, hoc est vi et specie 
dominationis assumpta diu tarnen recusavit. Ann. 1, 7: Nusquam* cnncta- 
bunduB nisi cum in senatii loqueretur. 



2. Das Kaisertum des Tiberius. 18 

die Soldaten, Prinzeps aber für die andern. Er wollte weder 
^Vater des Vaterlandes^ noch „Herr^ heissen und bediente 
sich des Augustustitels nur im Verkehr mit auswärtigen 
Fürsten. Göttliche Ehren und die Errichtung von Tempeln 
lehnte er im Gegensatze gegen seine unter die divi versetzten 
Vorgänger mit den denkwürdigen Worten ab: j5,Ich bin nur 
ein Mensch, menschliche Pflichten habe ich zu erfüllen und 
bin zufrieden, wenn ich den ersten Platz im Senate würdig 
ausfülle . . . Die Nachwelt wird mein Gedächtnis mehr als 
genug ehren, wenn sie mir das Zeugnis ausstellt, dass ich 
meiner Vorfahren mich würdig gezeigt, für euer Wohl nach 
Kräften gesorgt, in Gefahren Standhaftigkeit bewahrt und, wo 
es des Staates Wohlfahrt galt, nicht Hass und Verleumdung 
gescheut habe. Dies sind für mich die schönsten Tempel in 
euren Herzen , herrliche Standbilder von ewiger Dauer. Denn 
Tempel und Bildnisse aus Stein werden als Grabmäler ge- 
ringgeschätzt, wenn das Urteil der Nachwelt sich in Hass ver- 
wandelt. Darum flehe ich zu den Göttern, sie mögen mir 
allezeit bis an mein Ende einen ruhigen Geist und sichere 
Kenntnis des göttlichen und menschlichen Rechtes verleihen^).^ 

Mit dem Senate hat Tiberius nicht nur die wichtigsten 
Angelegenheiten beraten, wir sehen ihn auch auf Kosten des 
Volkes die Befugnisse dieser Körperschaft erweitem, indem 
er ihr die den Komitien entzogene Magistratswahl überträgt 
und sie zum höchsten Tribunal für Majestätsverbrechen erhebt. 
Den Konsuhl überwies er die wichtigsten Geschäfte, er pflegte 
sich vor ihnen zu erheben und aus dem Wege zu treten. 

In den Fasten erscheinen die Namen der grossen Fami- 
lien der repubUkanischen Zeit: die Aemiüer und Valerier, die 
Fabier und Licinier, die Sempronier und Sulpicier. In dem Jahr- 
zehnt von 24 — 33 sind die Cornelier nicht weniger als acht- 
mal nachweisbar, zuletzt Faustus Cornelius Sulla und L. Sulla 
Felix, Nachkommen des grossen Diktators. 

Das Konsulat selbst behandelte er nicht anders als Augustus. 
Das jährige Konsulat kommt in seiner 23jährigen Regierungs- 
zeit fünfmal vor, als Auszeichnung von Verwandten und zu- 
verlässigen Freunden des kaiserlichen Hauses; von den un- 
regelmässigen Fristen der Jahre abgesehen, in denen der 
Kaiser selbst Konsul war, ist wie in dem letzten Drittel der 
Regierung seines Vorgängers das semestrale Konsulat die 
Regel. 

Es ist keine Frage, in dem ersten Jahrzehnt hat Tiberius im 
Sinne des Augustus den Prinzipat geführt. ,,AUe öffentlichen 



^) Tac. ann. 4,38. Daza W. Ihne, Zur Ehrenrettung des Kaisers 
Tibenu, S. 96 (Übersetzung eines engl. Aufsatzes aus dem J. 1857). 



14 Erstes Buch. 

Angelegenheiten'', sagt Tacitus, ,,und von denen, welche ein- 
zelne Personen betrafen, die wichtigsten, wurden im Senate 
verhandelt, wo die Männer ersten Ranges die volle Freiheit 
hatten, sich ausführlich auszusprechen, und wo der Kaiser 
der Servilität einzelner selbst Einhalt that. Indem die hohen 
Ämter mit Rücksicht auf den Adel der Ahnen, auf Tüchtig- 
keit in Krieg und Frieden besetzt wurden , konnte man sicher 
sein, dass sie in den besten Händen waren. Konsuln, Prä- 
toren und die geringeren Magistrate übten unbehindert ihre 
Befugnisse aus''^). 

Für die souveräne Stellung, die Tiberius dem Senate 
eingeräumt wissen wollte, ist es bezeichnend, dass derselbe 
Regent, der sich im Occident göttliche Ehren entschieden 
verbeten hatte, sich von den Gemeinden Asiens in Smyrna 
einen Tempel in Gemeinschaft mit seiner Mutter und dem 
Senate errichten Hess, dass ferner in Asia und anderen 
Senatsprovinzen geprägte Münzen die iepdi, oöyxXYjxos oder 
den d'sbq oü^ylrixoc, in Schrift und Bild feiern 2). 

Aber mochte er immerhin die Aristokratie verstärken 
und mit neuem Glänze umgeben, der Staat bewegte sich doch 
in den Bahnen, die er selbst vorschrieb. Seitdem die Prä- 
torianer ein verschanztes Lager in Rom bezogen hatten, war 
es ungefährhch, das Prinzip der Dyarchie ohne Einschränkung 
zum Ausdruck zu bringen^). 

Wir wissen leider zu wenig von dem Ringen der Parteien 
in dem damahgen Rom, um beurteilen zu können, ob es 
dringend geboten war, den Prinzipat unter den Schutz einer 
Garde zu stellen. Jedenfalls entschloss der Kaiser sich zu 
diesem Schritte erst, nachdem Germanicus im Orient ein 
frühes Ende gefunden hatte. 

Nur einzelne Andeutungen der üeberlieferung sind geeignet, 
uns eine Vorstellung von den Schwierigkeiten zu geben, mit 
denen Tiberius zu kämpfen hatte. Schon die Abberufung des 
Germanicus von dem Kriegsschauplatze am Rhein und der 
darin ausgesprochene Verzicht auf die Führung grosser Er- 
oberungskriege war ein Schlag gegen die NobiUtät. Auf 
diesen vielbesprochenen Schritt des Kaisers fällt das richtige 



*) Ann. 4, 6; Dio, 57, 8, im wesentlichen übereinstimmend. Sehr 
nachdrücklieh und meines Erachtens richtig wird von diesem betont, dass 
er aus Rücksicht auf Germanicus, einen gefährlichen Nebenbuhler, vor- 
sichtig war. Die Verlegung der Garde in die Stadt wird von Dio in das 
J. 20 gesetzt. Tacitus berichtet dieselbe unter dem Jahre 23 in der be- 
kannten Charakteristik des Seian, wo er nach seiner Gewohnheit früher 
Geschehenes nachholt. 

") O. Hirschfeld, Zur Geschichte des röm. Kaiserkultes a.a.O., S. 842. 

8) E.Herzog, Röm. Staatsverfassung H, 1, S. 248. 



2. Das Kaisertum des Tiberius. 15 

Licht, wenn man damit einige von Taeitus berichteten Vor- 
gänge in Rom zusammenhält. 

Die Abberufung des Germanicus fällt in dasselbe Jahr, in 
dem Asinius Gallus den kühnen Antrag stellte, die Magistrate 
auf fünf Jahre zu bestimmen, was offenbar mit einer Schwächung 
der kaiserlichen Gewalt gleichbedeutend war. In demselben 
Jahre wurden die Umtriebe des Scribonius Libo, die auf 
Hochverrat hinausliefen, aufgedeckt. Diese Vorgänge gaben 
Anlass, die Majestätsgesetze, die schon unter Augustus hervor- 
gesucht waren, schärfer handhaben zu lassen. Die Zerklüf- 
tung der leitenden Kreise durchkreuzte die besten Absichten 
des Regenten. Es ist neuerdings*) dargelegt worden, dass 
man innerhalb der kaisertreuen Partei die unbedingten An- 
hänger des Tiberius von der Gefolgschaft der Livia und den 
Genossen des Seianus zu unterscheiden hat. Livia hatte 
Ihren eigenen Hof und war weit entfernt davon, mit allen 
Regierungshandlungen ihres Sohnes einverstanden zu sein. 
Ranke trifft ohne Frage das Richtige, dass es Parteiränke 
waren, die ihm den Aufenthalt in der Stadt verleideten und 
sogar gefährlich für ihn machten. 

So entfernte sich der Kaiser im J. 26 aus Rom und 
begab sich nach Capreae, von wo er durch Vermittlung des 
Seianus das Weltreich regierte. 

;,Mit der Entfernung des Fürsten war die Augustische Ver- 
fassung untergraben: liefen doch alle Fäden des künstlich 
verschlungenen Gewebes in seiner Person zusammen. Die 
Stellvertretung des Kaisers fiel dem Prätorianerpräfekten 
zu, der unheilvolle Schritt von dem constitutionellen Prinzipat 
zur Militärdespotie war damit vollzogen*^). 

Nach dem Tode des Germanicus hatte Tiberius seinen 
einzigen Sohn Drusus zum Nachfolger ernannt, und zwar in 
Übereinstimmung mit der öffentlichen Meinung. Als Drusus 
den ehrgeizigen Entwürfen des Seian zum Opfer gefallen war, 
bestinmite der Kaiser mit Rücksicht auf die Thronfolgeordnung 
des Augustus die beiden ältesten Söhne des Germanicus zur 
Nachfolge. Es geschah in feierlicher Weise. Die Konsuln 
führten die Jünglinge in die Kurie vor den Kaiser. Der 
fasste sie bei der Hand und sprach zu den Senatoren: ,,Diese 
Waisen hat Drusus wie sein eignes Rlut gehegt und erzogen. 
Da ihnen der Oheim entrissen ist, so beschwöre ich euch 
angesichts der Götter und des Vaterlandes: nehmet die Enkel- 
söhne des Augustus auf und leitet sie^^ ;,Diese Männer,^ so 

*) Kanke, Weltgeschichte 111, IS. 70. Fr. Abraham, Velleius und die 
Parteien in Rom (1884), S. 4 fg. Tiberius und Seian (1868). Herzog, Rom. 
Staatsrerfassong II 1, S. 254. 

*) O. Hirschfeld, Verwaltungsgeschichte S. 286. 



16 Erstes Buch. 

sprach er dann zu Nero und Drusus , ^vertreten an euch Eltern- 
stelle; also seid ihr geboren, dass euer Wohl und Wehe sich 
auf den Staat erstreckt*^). 

Bei dieser Massnahme hatte Tiberius die öflfentliche 
Meinung auf seiner Seite. Man freute sich, dass das Haus 
des Germanicus neue Lebenskraft gewinne. Nur Seianus, 
kühn in Freveln, überlegt, auf welche Weise er den Kindern 
des Germanicus beikommen könne, deren Nachfolge über 
jeden Zweifel erhaben war. Tacitus legt eingehend die Ränke 
dar, durch die er den altern in die Verbannung, den zweiten 
in den Kerker gebracht hat. Jetzt übertrug ihm Tiberius 
eine Art Mitregentschaft und für den Fall seines Ablebens die 
Vormundschaft über seinen leiblichen Enkel, den Tiberius 
Gemellus^). Der Senat leistete den Eid auch airf den Namen 
des Seianus, der die senatorische Würde ein Priestertum und 
das prokonsularische Imperium erhielt. Am 1. Jan. 31 hatte 
der Kaiser mit ihm zusammen das Konsulat auf fünf Jahre 
übernommen. Nur die tribunicische Gewalt blieb ihm vor- 
enthalten. Um auch diese und das Höchste zu erlangen, 
stiftete er eine Versch;vörung, in die zahlreiche Beamten 
und Senatoren verwickelt waren, und plante , um die Massen 
zu gewinnen, Erneuerung und zeitgemässe Umgestaltung 
der Tribusversammlungen. Von diesen Plänen durch An- 
tonia, des altern Drusus Witwe, in Kenntnis gesetzt, be- 
reitete der Kaiser in der Stille den Schlag vor, der den Em- 
porkömmling und seinen Anhang vernichten sollte. Der 
Nichtsahnende erschien im Senate, um endlich auch die 
tribunicische Gewalt entgegenzunehmen. Hier wurde ein 
kaiserliches Schreiben verlesen, das seine Absetzung und 
Bestrafung befahl. Sofort wurde ihm der Prozess gemacht 
und, während in den Strassen der Aufruhr tobte, auf Befehl 
der Konsuln seine Hinrichtung vollzogen. 

Für den Notfall war angeordnet, dass der im Palatium 
gefangen gehaltene Drusus als Nachfolger ausgerufen werde'). 
Dazu kam es nicht. Macro, der neue Gardepräfect, wurde 
der Bewegung ohne Schwierigkeit Herr. 

In der Hauptquelle für die Regierung des Tiberius, in den ' 
Annalen des Tacitus, findet sich eine grosse Lücke, in der 
die Erzählung der Jahre gestanden hat, in denen Livia starb, 
Agrippina und Seianus gestürzt wurden, Jahre, in denen die 
alten Parteien sich bis auf den Tod bekämpften. Wir werden 
an anderer Stelle sehen, wie Tacitus die Ereignisse der 



^) Kreutzer, a. a. O. S. 13. 
«) Saeton, Tib. 55. 

8) Tac. ann. 6,23, Suet. Tib. 65, Dio 58,13. Schiller, Ge«ch. der 
röm. Kaiserzeit I, S. 801. 



2. Das Kaisertum des Tiberias. 17 

Kaiserzeit unter den Begriffen der Macht und Freiheit auffasst. 
Die republikanische Freiheit unterliegt in dem Kampfe mit der 
Alleinherrschaft, weil die leitenden Kreise, in sich zerklüftet, 
um persönlicher Vorteile willen den Machthabern schmeicheln. 
Siegreich erhebt sich die Macht des Tiberius über den sittlich 
heruntergekommenen Senat; aber ihr Besitz hat ihn mit bösem 
Argwohn genährt und zu den schwersten Blutthaten getrieben. 
^Nach so grosser Erfahrung hat der Herrschaft Gewalt ihn 
zerrüttet und umgewandelt*, unter diesem Gesichtspunkte 
steht das Gemälde, das von der Regierung und Persönlich- 
keit des Tiberius entworfen wird. So bewundernswert diese 
künstlerische Leistung ist, so schwierig ist es für die Forschung, 
den wirklichen Verlauf der Begebenheiten in jenen entschei- 
denden Jahren festzustellen. 

Im ganzen wie im einzelnen hält Tacitus an der Vor- 
stellung von der immer grausiger sich äussernden Tücke und 
Bosheit des Kaisers fest. Trotz der lückenhaften und gefärbten 
Überlieferung liegt aber das Ergebnis der Regierung des 
Tiberius deutlich vor Augen. 

Das Konsulat, das der Kaiser am I.Januar des Jahres 31 mit 
Seian auf fünf Jahre übernommen, war der höchste Triumph 
der antirepublikanischen Politik der letzten Jahre : ein Mitglied 
des Ritter- und Kapitalistenstandes, der seit dem jungem 
Gracchus in Opposition gegen die Nobilität gestanden hatte, 
war zum höchsten Staatsamte gelangt. Nach dem jähen Sturze 
des Emporkömmlings führte der gereizte Tyrann neue Schläge 
gegen den Senat. 

In Majestäts- und Repetundenklagen wütete die römische 
Aristokratie gegen ihre eigenen Glieder. Ein kühnes Wort, 
eine verdächtige Bewegung gab den Delatoren, deren Auftreten 
durch die Prozessordnung und sichere Belohnung begünstigt 
war, Anlass zur Klage. Und wenn auch die Zahl der Opfer 
nicht so gross war als man gewöhnlich annimmt^), so heisst 
es doch sich gegen die historische Wahrheit verschliessen, 
wenn man verkennen wollte, dass die Herrschaft des ge- 
waltigen Claudiers zuletzt eine blutige Wendung genommen hat 
und in seinen letzten Jahren in der Hauptstadt ein massloses 
Misstrauen herrschte, das für den gesamten Staat von ver- 
derblichen Folgen begleitet war. 

Italien und die Provinzen empfanden trotzdem dankbar den 
Segen einer verständigen Verwaltung und sparsamen Wirtschaft, 
einer strengen Beaufsichtigung der Beamten und durchgreifen- 



^) Tacitus, Ann. 6, 19: lacuit immensa strages, omnis sexns, omnis 
aetas, iUnstres ignobiles, dispersi ant aggerati, etc. Dazu G. Sievers, 
Tacitus und Tiberius (Hamburg 1851) in Studien zur röm. Kaisergeschichte. 
S. 93. 

Asbach, Kaiseitum und Verfassung. ^ 



18 Erstes Bach. 

der Unterstützung bei Unglücksfällen. Der Kaiser holte in 
wichtigen Angelegenheiten die Entscheidung eines aus den 
angesehensten Männern zusammengesetzten Beirates ein und 
war in Sachen der Provinzialverwaltung so frei von Misstrauen, 
dass er bewährte Statthalter bis zehn Jahre, ja darüber hinaus 
im Amte Hess und im Senate über die Schwierigkeit Klage 
führte, für die Reichsverwaltung tüchtige Beamte zu finden. 
Als Erben hinterüess Tiberius den einzigen noch übrigen 
Sohn des Germanicus, den Gaius, und seinen eigenen Enkel, 
den Tiberius Gemellus. Zwischen beiden machte er in seinem 
Testamente keinen Unterschied, obschon Tiberius die Jahre 
der Mannbarkeit noch nicht erreicht hatte und der Verdacht 
laut geworden war, Livia habe ihn von Seian empfangen. Die 
Entscheidung wollte Tiberius dem Geschicke überlassen. Als 
er verschieden war, liess der GardepräfectMacro den Gaius 
als einzigen Nachfolger ausrufen, und dieser adoptierte im 
Widerspruche mit dem Testamente des Grossvaters den recht- 
mässigen Miterben und stellte ihm die Nachfolge in Aussicht ^). 



DRITTES KAPITEL. 

Wandlungen des Prinzipates unter Gaius 

und Claudius. 

liberius soll einmal die Äusserung gethan haben: ^dem 
römischen Volke erziehe er in seinem Nachfolger eine Natter, 
einen Phaethon für den Erdkreis*. Begrüsst von dem Jubel 
der Menge, nahm Gaius Caesar, ohne dass wir von einer 
Mitwirkung des Senates hören, von der Herrschaft, die ihm 
selbst und dem Reiche verhängnisvoll werden sollte, wie von 
einem Erbe Besitz. 

Gesund war Gaius weder an Leib noch an Seele, und 
schon den Knaben hatten epileptische Anfälle heimgesucht. 
Als Jüngling litt er an hochgradiger Schlaflosigkeit, über- 
triebener Ängstlichkeit und plötzlichen Ohnmächten. In sol- 
chem Zustande konnte er nur mit Mühe gehen oder sich 
aufrecht halten. Seine Krankheit hatte er selbst bemerkt und 



^) Ich bin in Uebereinstimmnnsf mit Ranke, Weltgeschichte III, 1 S.79; 
Schiller, a.a.O. S. 301, Herzog, a.a.O. S.236. Kreutzers Annahme, 
dass der Kaiser zuletzt Schritte gethan habe, die Nachfolge des Gaius zu 
sichern, ist mit den Zeugnissen der Schriftsteller rieht in Übereinstim- 
mung, weder mit Tac. ann. 6,46 (incertas animi, fesso corpore^ consilium, 
cui impar erat, fato permisit) noch mit der Bestimmung des Testamentes: 
heredes aequis partibus reliquit Gaium — et Tiberium — substitnitque 
invicem. Sueton, Tib. 76. Cai. 14, Dio 5^, 1. 



3. Wandlungen des Prinzipates unter Gaius und Clandius. 19 

mehrmals daran gedacht, sich zurückzuziehen und eine Kur 
zu gebrauchen. 

Diese von Seneca, Tacitus^) und Sueton ausdrücklich be- 
zeugte geistige Zerrüttung zeigte sich in dem Hange zu wider- 
natürlicher Unzucht und massloser Verschwendung, in Thor- 
heiten und Orgien aller Art, schliesslich in dem nacktesten 
Despotismus, der an seine eigene Göttlichkeit glaubte, sich 
auf dem Markte zwischen den Standbildern des Castor und 
PoUux sogar anbeten Hess und im Capitol Verkehr mit seinem 
^Bruder Juppiter*' pflogt). Anfangs hatte er dem Senat gegen- 
über Nachgiebigkeit gezeigt und sogar die Schriften des T. Labi- 
enus, des Cremutius Cordus und Cassius Severus, deren Vernich- 
tung vom Senate beschlossen war, wieder aufsuchen lassen 
und ihre Lektüre freigegeben. Als aber sein wahnsinniges 
Treiben gefahrliche Verschwörungen hervorrief, sehen wir ihn 
im Gegensatz gegen den Senat mit „Strenge, Sorgfalt und 
Mässigung* den Ritterstand heben, durch vornehme Unter- 
thanen der Provinzen ergänzen und diesen die Möglichkeit 
geben, in den Senatorenstand einzutreten, wir sehen ihn das 
Bürgerrecht freigebiger verleihen und dem Senat seine Schmei- 
chelei und Niedrigkeit vorwerfen^). Während des gallischen 
Feldzuges droht er in einem Edikt, er werde zurückkehren, 
aber nur für Ritterstand und Volk, die es wünschten, für den 
Senat werde er weder Bürger noch Fürst sein. Sueton 
schreibt ihm alles Ernstes die Absicht zu, die hervorragend- 
sten Mitglieder dieses Standes umzubringen. 

Die Majestätsprozesse wurden mit Berufung auf Tiberius 
wieder aufgenommen, die Behörden misshandelt, Italien und 
die Provinzen, um die erschöpften Kassen zu füllen, aus- 
geplündert. 

Bei einer solchen Regierung des vermessensten Despotis- 
mus kann es nicht Wunder nehmen, dass Gaius das 
Wort im Munde zu führen pflegte: ;j,Ich habe das Recht, alles 
zu thun, was mir behebt und ein Recht über alle*^. Und 
doch wagte der Despot, der göttliche Ehren für sich in An- 
spruch nahm und seine Schwester Drusilla zur dea erhoben 
und zur Nachfolge bestimmt hatte,. nicht, die Krone auf sein 
Haupt zu setzen. 

^) Seneca, De constantia 18: Tanta Uli paUorisinsaniamtestantisfoeditas 
erat, tanta ocnlorum snb fronte anili latentiam tonritas, tanta capitis desti- 
tnti et emendicatis capillis adspersi deformitas ... — Ann. 13^ 3: Gai 
tnrbata mens. 

*) Sneton, Cal.22: Templnm etiam numini sao proprium et sacerdotes 
et excogitatissimas hostias instituit etc. 

■) Dio 59, 9, 5: T'oö T'iXoD^ xoO xöv tTiTtieov dXtYavÖpoövxog xoüg 
np(i>xou^ i^ &7cdoY)c xai xfjc I£(ö dcpx^C xot^ xe y^vsai xal xat^ nspiouoCai^ 
)ieTaic8ti4)d|isvoc xaxeXdSaxo. Zonaras 11, 5 p. 450, Sueton Cal. 16. 



20 Erstes Buch. 

Als einst Vasallenkönige , die nach Rom gekommen waren, 
um ihm zu huldigen, bei der Tafel über den Adel ihres Ge- 
schlechtes stritten, hörte man ihn rufen: j,nur einer sei Herr- 
scher, einer nur König^^ Und es fehlte nicht viel, fügt Sueton 
hinzu, und er hätte sofort das Diadem angenommen und die 
Zeichen seines Prinzipats in aller Form mit denen der Königs- 
würde vertauscht. 

Gaius fiel selbst als Opfer der persönlichen Rache eines von 
ihm beleidigten Offiziers der Garde, ohne einen Erben oder 
Teilhaber der tribunicischen Gewalt zu hinterlassen, da Ti- 
berius Gemellus alsbald aus dem Wege geräumt war. Nach 
seinem Falle war der Senat so einmütig für die Wiederher- 
stellung der Freiheit eingetreten, dass die Konsuln die erste 
Sitzung nicht in die Kurie, weil sie die JuUsche hiess, sondern 
auf das Kapitol beriefen, und dass von verschiedenen Seiten 
der Antrag gestellt wurde, das Andenken der Caesaren aus- 
zulöschen und ihre Tempel zu zerstören^). Thatsächlich 
wurde das Andenken des Gaius verfehmt und von den Kon- 
suln für die laufende Nacht vielversprechend die Losung 
jylibertas* erteilt. Aber konnte man denn erwarten, dass die 
Prätorianer mit der Rückkehr zu einem Zustande, der durch 
die Waffen der Legionen überwunden worden war, einver- 
standen sein würden? Während der Senat noch beriet, wurde 
Ti. Claudius, den seine Persönlichkeit nicht im mindesten 
empfahl, nur deswegen, weil kein anderes Mitglied der Fa- 
milie des Augustus mehr vorhanden war, aus einem Versteck 
hervorgezogen, unter dem Jubel der Massen nach der Kaserne 
geführt und zum Kaiser ausgerufen. Ein Donativum belohnte 
die Garde für die dem Claudischen Hause bewiesene Treue. 
Anstatt aber im Senate die Bestätigung seiner Wahl nachzu- 
suchen, liess er sich von den Senatoren, die in der Stadt geblie- 
ben waren, in der Kaserne huldigen. In einer Sänfte wurde er 
dann unter militärischem Geleite in den Palast getragen. 
Daselbst fanden sich die Senatoren zu einer Sitzung ein und 
übertrugen dem Claudius sämtliche Titel und Würden der 
frühem Herrscher 2). 

Diesen gewaltsamen. Ursprung hat der Prinzipat des 
Claudius zu keiner Zeit verleugnet. Er gedachte zwar nüt 
Wohlwollen zu regieren, unterdrückte auch die Majestäts- 
klagen und begegnete äusserhch dem Senat mit Achtung. 
Auch wurden wichtigere Angelegenheiten, wie Abschaffung 
von Steuern, Freilassung von Gefangenen und Begnadigung 

») Suet., Cal.60. Claud. 10. 

') H. Lehmann, Claudius und Nero und ihre Zeit, I, S. 120. Eine 
Hauptquelle für diese Vorgänge ist Josephus, Antiq. 19, 4, 1 fg. und 
bell. lud. 2, 11, 1—4. 



3. Wandlungen des Prinzipates anter Gains nnd Claadins. 21 

der Verbannten in Gemeinschaft mit jenem erledigt. Ja, nach 
der tyrannischen Regierung des Gaius mochte der Kaiser, der 
absichtlich Augustus nachahmte, mit Recht als vindex liber- 
tatis bezeichnet werden. Unentschlossen und sinnlich, ward 
er geleitet von seinen Freigelassenen und Weibern, die es 
nicht zulassen konnten, dass er seine Ratgeber aus einem 
Kreise wähle, dessen Häupter noch eben nach der Herrschaft 
getrachtet hatten. Guten Willen und Einsicht in die Bedürf- 
nisse des Staats und Sinn für Ordnung und Recht darf man 
Claudius nicht absprechen. Hatte sich auch schon Augustus 
in einem Briefe dahin geäussert, dass der arme Bursch Mal- 
heur habe, in wichtigen Dingen zeige sich, wo nicht sein 
Geist auf falsche Fährte geraten sei, zur Genüge die ange- 
borene Noblesse seiner Denkungsart. Polybius, Narcissus 
und Pallas , Männer a^n Einsicht und Thatkraft den Mitgliedern 
der Nobilität überlegen und treu ihrem Patron bis zum Tode, 
rissen als Inhaber der neugegründeten oder zu grösserer Be- 
deutung erhobenen Hofstellungen, der Ämter a rationibus , ab 
epistulis, a studiis, um es mit einem Worte zu sagen, die 
centrale Regierung des Reiches an sich. 

Mehr als durch ausführiiche Berichte wird die Willkür 
dieser Palastregierung durch die Behandlung beleuchtet, die 
das Konsulat erfährt. Wie unter Gaius so herrscht unter 
seinem Nachfolger in der Verleihung des höchsten Amtes die 
grösste Willkür 1). Ein mehrere Jahre nacheinander befolgter 
Brauch ist nicht geübt worden. Nicht nur treffen längere 
und kürzere Fristen regellos in einem Jahre zusammen, son- 
dern es ist auch wiederholt vorgekommen, dass der eine 
der Eponymen länger als der andere im Amte bheb. 

Während auf die ersten Jahre (43 — 47) noch je ein 
zweites Konsulat eines Privaten entfällt, ist eine derartige 
Auszeichnung in der spätem Regierungszeit nicht mehr vor- 
gekommen. War unter Tiberius ein Ritter zum Konsulat ge- 
langt, jetzt geschieht das Unerhörte, dass der Senat dem 
Pallas, dem angesehensten der kaiserlichen Freigelassenen, 
nicht nur bedeutende Belohnungen, sondern auch prätorischen 
Rang verleiht. Wir besitzen in dem sechsten Briefe des 
achten Buches der Briefsammlung des Plinius einen im Tone 
der Entrüstung gehaltenen Kommentar zu den wichtigsten 
Stellen dieses Senatsbeschlusses. 

jj,Es schien ihm nicht genug, dass die Kurie Zeuge solcher 
Schändlichkeit gewesen, man wählte den besuchtesten Platz 
(das Standbild des göttlichen Julius), um die dem ekelhaften 



^) Vgl. Calpnrnins, bucol. 1, 69 fg.: Jam uec adumbrati faciem mer- 
catus honoris Nee vacnos tacitus fasces et inane tribanal Accipiet co^^'^V. 



22 Erstes Bnch. 

Sklaven zu teil gewordenen Ehren dem lebenden und dem 
kommenden Geschlecht mitzuteilen. Prätorische Ehrenzeichen 
des Pallas wurden in öffentliche und ewige Denkmäler ein- 
gegraben, wie alte Bündnisse, wie heilige Gesetze. So gross 
war die — , ich weiss nicht, wie ich sagen soll, des Kaisers, 
des Senates, des Pallas selbst, dass sie, Pallas seinen 
Übermut, der Kaiser seine Schwachheit, der Senat seine 
Niederträchtigkeit vor aller Augen stellen wollten*. 

Ämter und Kommandos, Bürgerrecht und Privilegien waren 
von den Freigelassenen zu kaufen. 

Trotz äusserlichen Entgegenkommens griff Claudius in die 
Machtsphäre des Senates wiederholt rücksichtslos ein. Das 
Recht, eine legatio libera zu übertragen, d. h. eine Mission 
mit oder ohne öffentlichen Auftrag, womit die Befugnis ver- 
bunden war, drei Jahre von Rom fernzubleiben, wurde dem 
Senate entzogen und ausdrücklich dem Kaiser verliehen. Wir 
hören, dass manche Prokonsuln zwei Jahre im Amte blieben, 
dass die Verwaltung senatorischer Provinzen kaiserlichen 
Legaten übertragen wurde ^). 

Besonders schroff gestalteten sich die Beziehungen zum 
Senat, seitdem die jüngere Agrippina zur Augusta erhoben 
war, wodurch ein formelles Mitregiment herbeigeführt werden 
sollte^). ^ Alles gehorchte einer Frau, die nicht wie Messalina 
aus Mutwillen die Römer zum besten hatte. Eine strenge 
und gleichsam männliche Herrschaft!* 3) An 35 Senatoren 
wurden hingerichtet*). Die Auflösung der Reste der alten 
Nobilität schreitet unter dem Regiment des Gaius und Clau- 
dius unaufhaltsam voran. Seltener erscheinen jetzt die alten 
Namen in den Konsularfasteu; 

Es ist ein wohldurchdachtes System, nach welchem die 
staatsmännische Thätigkeit des Claudius und seiner Freige- 
lassenenen den Hofdienst und die Verwaltung, besonders die 
der Finanzen, neu regelte und die Thätigkeit der Nobilität auf 
diesem Gebiete, das ihr selbst Tiberius unverkürzt gelassen, 
zu Gunsten der Ritter und Freigelassenen lahm legte. Neue 
Ämter wurden für letztere in der Verwaltung geschaffen. Die 



^) Vgl. Lehmann, Claudius S. 253. 

') Th. Mommsen, Römisches Staatsrecht, II', 795. 

3) Tacitus, ann. 12, 7. 

^) Sneton, Claud. 29: In qainque et triginta senatores trecen- 
tosque amplins eqnites r. . . auimadvertit. Die Zahl der Ritter ist sicher 
verdorben. Vgl. Indus c. 13: . . . agmine facto (seine Opfer) Claudio oc- 
currunt. Von Konsularen werden genannt: Saturninus Lusins, Pedo Pom- 
peius, Lupus, Celer Asinius. Sehr bezeichnend ist auch die Stelle in 
Calpurnius, bucol. 1,69: Nulla catenati feralis pompa senatus Camificum 
la5sabit opus nee carcere pleno Infelix raros nnmerabit curia patres. 



3. Wandlungen des Prinzipates unter Gaius und Claudins. 28 

Prokuraturen in den Provinzen sollten durchweg nur Rittern 
zugänglich sein, in deren Hände auch die Überwachung der 
kaiserlichen Einkünfte in den Senatsprovinzen und die Juris- 
diktion in Fiskalsachen gelegt ward. Das ganze höhere 
Dienstpersonal der bedeutend angewachsenen Hofhaltung wird 
durch den Titel Prokurator ausgezeichnet, und innerhalb 
dieser Kreise entwickelt sich eine höhere und niedere Frei- 
gelassenenkarriere. Die seit 27 y.Chr. erworbenen Länder Rätien 
und Noricum, die Alpes maritimae et Poeninae, Thrakien und 
Mauretanien werden seit Claudius als kaiserliche Provinzen 
behandelt, und ihre Verwaltung wird nach dem Beispiele 
Ägyptens ritteriichen Prokuratoren anvertraut; als Vorstufen 
dieser Laufbahn erfahren die militiae equestres eine neue Ge- 
staltung. 

Diese Bureaukratie hat ihre Aufgabe so gut gelöst wie die 
bürgerlichen Minister Ludwigs XIV., welche Finanzen und 
Verkehrswesen in musterhafte Ordnung brachten, so gut wie 
die bürgerlichen Intendanten des ancien regime , die auf dem 
Gebiete der Verwaltung die Thätigkeit der adeligen Gouverneure 
lahm legten. 

Die Einrichtung einer Reichshauptkasse des Fiskus unter 
der Leitung eines Freigelassenen mit dem Titel a rationibus 
hat die Bedeutung des aerarium pubUcum, des Wahrzeichens 
der Senatsherrschaft, gebrochen^). Durch umfassende Fru- 
mentationen, die fortander kaiserliche Fiskus besorgte, durch 
Anlage grossartiger Wasserleitungen und neuer Häfen, deren 
Unterhaltung aus den Mitteln des Kaisers bestritten wurde, 
durch Strassenbauten und Regulierung des Tiberlaufes suchte 
des Claudius Regierung das Wohl der Massen zu fördern. 
Diesen kam die energische Handhabung der Polizei, die Sorge 
für eine solide und rasche Justiz zu gute. 

Hand in Hand damit geht seine Bemühung, den Gegensatz 
zwischen Italien und den Provinzen auszugleichen. Das 
Bürgerrecht wurde auf dem Wege der kaiserlichen Verleihung 
häufiger erteilt, und alle Gallier, die die civitas sine sufiragio 
besessen hatten, erhielten im Jahre 47 das Recht, in Rom 
Ämter- zu bekleiden und somit Aufnahme in den Senat. 
Kolonieen in Germanien, Thrakien und Afrika sind redende 
Zeugen für die Weitsichtigkeit dieses Regiments. Kühn schreitet 
dasselbe über die Häupter der Aristokratie hinweg und er- 
innert in mehr als einer Beziehung an die grossen Claudier 
der altern Republik. Tacitus trifft die Sache, wenn er dem 



*j Vgl. O. Hirsch fei d, a. a. O., S. 286 fg. und Th. Mommsen, 
Römisches Staatsrecht, II*, 310. Li eben am, Beiträge zur Verwaltungs- 
geschiclite S. 141. 



24 Erstes Buch. 

Claudius vorwirft, dass er seinen Willen an die Stelle ge- 
setzlicher Formen setzte^). 

Mochte er immerhin, wie Augustus und Tiberius persönlich 
einfach und bürgerlich, den Titel Imperator und andere über- 
grosse Ehrenbezeigungen abweisen, mochte er in der Kurie 
zwischen den beiden Konsuln auf einem Tribunensitze Platz 
nehmen, das Konsulat länger als seine Vorgänger behalten 
und selbst als Suffectus an die Stelle eines Gestorbenen treten, 
mochte er den Senatoren im Circus Maximus besondere Sitz- 
plätze anweisen und zumal durch Übernahme der Censur, 
die seit dem J. 23 v. Chr. geruht hatte, an republikanische 
Erinnerungen und das Beispiel des Augustus anknüpfen, sein 
Regiment im ganzen genommen ist ebenso antiaristokratisch 
wie dasjenige des Tiberius. Und was damit unvereinbar 
scheint, ist entweder auf die VorUebe des Kaisers für das 
Altertum zurückzuführen oder Zuckerbrot für die mit Ruten 
gestrichenen Kinder. 

Das Urteil, das der Annähst Fabius über den glänzendsten 
Vertreter des Claudischen Geschlechtes der alten Zeit, Appius 
Caecus, fällte: ;, er erschütterte gar vieles im Herkommen, denn 
der Menge dienstbar, kümmerte er sich nicht um den Senat*^), 
lässt sich auch auf die Politik des Ti. Claudius anwenden. 
Kein Wunder, dass er innerhalb kurzer Zeit in solchem 
Masse die Sympathien des Volkes gewann , dass bei der Nach- 
richt, er sei auf der Reise nach Ostia meuchlings umgebracht 
worden, dasselbe in die grösste Bestürzung geriet. Es hörte 
nicht eher auf, gegen das Militär als Verräter und den Senat 
als Vatermörder grässUche Verwünschungen auszustossen, bis 
die Behörden selbst beruhigende Versicherungen abgegeben 
hatten ^). 

Die Unzufriedenheit der Nobilität kam in wiederholten 
Verschwörungen zu Tage. Im J. 42 wurde die Empörung des 
Scribonianus niedergeworfen, und die Entdeckung des Complots 
des Gallus Asinius und StatiHus Corvinus gab im J. 46 zu 
zahlreichen Hinrichtungen Anlass. Diese Regung hat nicht 
so sehr republikanische Tendenzen, als sie auf die Ersetzung 
des willkürlichen Regiments, an dem die Dyarchie zu Schanden 
wurde, durch einen in gesetzmässigen Formen sich bewe- 
genden Prinzipat ausgeht. 

Claudius hatte bald nach seiner Erhebung den Sohn der 

') Ann. 11, 5: Cnncta legam et magistratuum munia in se trahens 
princeps materiam praedandi patefecerat (vgl. Ann. I, 2, wo es Yon 
Augustus heisst: munia senatus magistratuum legum in se trahens). 

*) Vgl. Th. Mommsen, Die patricischen Clandier, in Römische For- 
schungen, I, 311. 

') Sueton, Glaud. 12. Vgl. Lehmann, a. a. O. S. 130, «Claudius aU 
BilrgerkaiserS S. 200, ,Sein Behagen an öfifentlichen Ergötzlichkeiten^ 



3. Wandlangen des Prinzipates anter Gaias und Claadins. 25 

Messalina, den er nach der neu gewonnenen Provinz Britan- 
niens nannte, zu seinem Nachfolger bestimmt, aber nach 
seiner Vermählung mit Agrippina deren Sohn Nero adoptiert 
und durch Verleihung des Titels „princeps iuventutis*^ und 
der prokonsularischen Gewalt vor dem eigenen Sohne aus- 
gezeichnet und als Nachfolger anerkannt, wenn er dem Bri- 
tanniens auch eine Art Mitregentsehaft zugedacht haben mag^). 
Eine zu Gunsten des letzteren getroffene letztwillige Anord- 
nung blieb unbeachtet; durch die Intriguen der Agrippina 
und ihrer Günstlinge wurde die Garde für die Alleinherrschaft 
des Nero gewonnen. 

Nach dem Hinscheiden des Claudius, dem sie, wie die 
Zeitgenossen überzeugt waren, in Abwesenheit des allmäch- 
tigen Narcissus Gift gereicht hatte, wartete die Ränkevolle 
auf den Eintritt der Mittagsstunde , die nach der Weisung der 
Chaldäer ihren Absichten günstig war, entzog den Britanniens 
den Bücken der Römer und besetzte alle Eingänge des Pala- 
tiums mit Wachen, um die Meinung zu erregen, in dem Be- 
finden des Kaisers sei eine Besserung eingetreten. Als dann 
die verabredete Stunde erschien, da öffneten sich die Flügel- 
thore des Palastes und heraus trat, von dem Oberbefehls- 
haber der Garde begleitet, der jugendliche Nero. Von der 
wachhabenden Kohorte als Imperator begrüsst, begab er 
sich in die Kaserne der Garde. Wohl hatten einzelne Stimmen 
nach Britanniens gerufen; aber niemand hatte Ansehen und 
Mut genug, dessen Ansprüche zu verteidigen. Nero wurde 
allseitig als Imperator ausgerufen, und der Senat, in dessen 
Sitzung er sieh aus dem Lager begeben hatte, beeilte sich, 
dem neuen Kaiser alle Titel und Würden zu verleihen 2). 

Von dem Hasse, mit dem der Adel den Claudius verfolgte, 
giebt das Pasquill des Seneca, der ludus de morte Claudü, 
eine Vorstellung »). 

Wenn aber trotzdem der Senat den Kaiser apotheosierte, 
so beweist dies nur, wie fest Agrippina und Pallas das Heft 
in der Hand hielten. Die Münzen, die von ihrer Mitregierung 



^) Kreutzer, a. a. O. S. 16, nimmt mit Recht an, dass in diesem 
Sinne von Glaudins letztwillige Bestimmungen getroffen waren und weist 
auf die Unterdrückung des Testamentes (Tac. ann. 12, 66) und das aus- 
drückliche Zeugnis des Sueton, Claud. 44, hin. Auch die Massregeln, zu 
denen Agrippina griff (ann. 12, 68. Suet., Claud. 45), bestätigen diese An- 
nahme. Vgl. dagegen Lehmann, Claudius S. 374. 

*) Lehmann, a. a. O. S. 377. Tac. ann. 12, 69: Sententiam militum 
secuta patrum consulta nee dubitatum est apud procincias. Vgl. Josephus, 
ant. c. 2, 8, 1. Sueton, Nero 8 und Dio 61, 3. 

') Nach Bibbeck, Geschichte der römischen Dichtung, III, S. 43, 47, 
wurde „das kleine Machwerk rachsüchtiger Bosheit mit Wissen und Zu- 
stimmung der nächsten Angehörigen des Toten verfassf^. 



26 Erstes Buch. 

Zeugnis ablegen und aus den letzten Zeiten des Claudius 
und Neros erstem Halbjahre herrühren, sind alle nicht sena- 
torischer Prägung^). Der Senat hat ihr Prägerecht nicht 
anerkannt, überhaupt aufs bitterste den Druck, den Agrip- 
pinas Herrschsucht ausübte, empfunden. Aber noch vor 
Ablauf des ersten Jahres gelang es den Beratern Neros , den 
Einfluss der Agrippina und des Freigelassenen, dem die Ver- 
waltung des Fiskus übertragen war, zurückzudrängen. Den 
Umschwung der Verhältnisse spiegelt auch hier die Behand- 
lung des Konsulats wider. Während Nero im J. 55, wie drei 
Jahre vorher Claudius, zehn Monate im Amte blieb, und wäh- 
rend ferner im J. 56 die Ordinarien das erste Semester hindurch 
genannt waren, sind verschiedene Paare am 25. August bis 
3. September und am 5. November bis 8. Dezember in Funk- 
tion: also schliesst auch noch dieses Jahr mit einem zwei- 
monatlichen Konsulat. Dann wendet sich Nero entschieden 
der im letzten Drittel der Regierung des Augustus aufgekom- 
menen Regel des semestralen Konsulats zu, und diese er- 
scheint bis in die Mitte der sechziger Jahre ziemlich folge- 
richtig durchgeführt. 

Mit einer Fülle von Erwartungen und Verheissungen be- 
gann diese Regierung. „Eine neue Zeit ist angebrochen. 
Wie die Sonne leuchtet das Antlitz des Kaisers über das 
Erdenrund. Ein Apollo an Angesicht, Haltung und Stimme, 
wird er glückliche Jahre den Müden spenden und das 
Schweigen der Gesetze brechen^^ Mit diesen Worten be- 
grüsste L. Annaeus Seneca den neuen Regenten. 



VIERTES KAPITEL. 

Neros Anfänge. 

Seneca als Reichsverweser und 

Theoretiker des Prinzipats. 

In der zweiten Hälfte des J. 56 gelangten Seneca*) und 
Thrasea Paetus zum Konsulat, beide Vertreter der stoischen 
Schule. Seneca, geboren in dem spanischen Corduba, aber 

^) Vgl. Mommsens AasfÜbrungen in vonSallet, Nnmismatische Zeit- 
Bchrift, I, 241: „Kupfermünzen mit ihren Namen sind nicht vorhanden". 

') Benutzt sind zn folgender Darstellung Ranke, Weltgeschichte, 
III, 1, 126, 133, 178; Boissier, L'opposition sous les Cesars (2. Anfl., 
1885), und J.A. Heikel, Senecas Charakter und politische Thätigkeit^ 
(Helsingfors 1886), eine besonnene Abhandlung, die auf gründlicher Kennt- 
nis der Schriften des Seneca beruht, aber eine unerquickliche Lektüre ist. 



4. Neros A.iifänge. Seneca als Beichsverweser. 27 

schon als Knabe in Rom, beschäftigte sich mit philosophischen 
Studien, denen er auch noch mit Eifer oblag, als er sich für 
den Beruf eines Anwalts entschieden hatte. Aber nach seiner 
Quästur des Ehebruchs mit der Jüngern Julia beschuldigt, 
ward er von Claudius nach Corsica verbannt. Thatsächlich 
waren seine stoischen Grundsätze die Veranlassung des Exils. 
Erst im J. 49 ward er durch Vermittlung der Agrippina zurück- 
gerufen und mit der Prätur bekleidet. Man meinte^) damit 
dem Volke einen Gefallen zu thun und wünschte die Er- 
ziehung des jungen Domitius dem geistreichsten Manne seiner 
Zeit anzuvertrauen. Dabei hoffte Agrippina, durch seine Rat- 
schläge ihren Einfluss befestigen zu können. Thatsächlich 
hat sich Seneca von seiner Rückkehr an bis wenige Jahre 
vor seinem Tode in den schwierigsten Verhältnissen als Er- 
zieher, Ratgeber und Minister Neros behauptet, wie es nur 
ein Mann konnte, der offen den Grundsatz aussprach, dass 
der Weise niemals den Zorn der Mächtigen reizen, sondern 
ihm ausweichen solle wie auf dem Meere dem Sturme. Hatte 
Agrippina an Seneca eine Stütze zu finden gehofft, so musste 
sie die Enttäuschung erleben, ihn schon im ersten Jahre des 
neuen Regiments im Gegensatz gegen ihre eigenen Ansprüche 
auf Mitregierung als Ratgeber des Nero zu sehen, der sich 
von der Bevormundung seiner Mutter loszumachen suchte. 
Seneca ist der Theoretiker des Prinzipats. 

Der Historiker, der dem Spiele der lebendigen Kräfte 
nachgeht, auf deren Wirken die Erscheinungen des mensch- 
lichen und staatlichen Lebens beruhen, wird auch den Zu- 
sammenhang und die Wechselwirkung ergründen müssen, die 
zwischen den politischen Theorien und der politischen Praxis 
einer Zeit besteht. 

Schon in der Trostschrift an Polybius, die dem Claudius 
schmeichelt, wird von Seneca der Gedanke ausgesprochen, 
dass der Fürst um des Staates willen da sei, wenn auch als 
Erläuterung oder Beschränkung des Satzes , dass dem Caesar 
alles gestattet ist*). In der Schrift vom Zorne ^), die an- 
scheinend noch unter Claudius verfasst ist, nennt er den 
Fürsten den Vorsteher der Gesetze und den Lenker des Staates, 



Dass Seneca kein Heuchler war, geben wir dem Verfasser gern zu. Ob 
aber das Urteil des Seneca über den Prinzipat unbedingt richtig ist (S. 25), 
wollen wir wenigstens als eine offene Frage bezeichnen. Vgl. auch die 
schönen Ausführungen bei Ribbeck, a.a.O. S. 43 fg. 

») Ann. 12, 8. 

*) c. 7, 2: Caesari quoque ipsi, cui omnia licent, propter hoc ip- 
sum multa non licent: omnium somnos illius vigilia defendit, omnium oHum 
illiufi labor — ex quo se Caesar orbi terrarum dedieavit, sibi se eripuit. 

') 1, 6, 3: Ita legum praesidem civitatisque rectorem decet, quamdia 
potest verbis et bis mollioribus ingenia cuiare, ut facienda suadeat. 



28 Erstes Bach. 

der nur im Notfalle zu gewaltsamen Mitteln seine Zuflucht 
nimmt, dessen Gewalt nur durch Gerechtigkeit bestehen kann^). 

Aus dem zweiten Jahre Neros stammt die dem Kaiser 
gewidmete Schrift von der Gnade. Darin empfiehlt er diesem 
die Nachahmung des Augustus und der ersten Zeiten des 
Tiberius und führt den Gedanken aus, dass die höchste 
Autorität wohlwollend sein müsse, dass die Interessen des 
Monarchen und des Gemeinwesens zusammenfielen, und dass 
der Fürst, wenn er den Körper schone, dessen Seele er sei, 
damit sich selbst schone^). 

Der Fürst ist der Vertreter der Gottheit auf der Erde; 
aber diese hohe Stellung legt ihm Beschränkung auf, denn 
er ist gleicherweise der Vertreter der Gesetze, die das Ver- 
hältnis zwischen Fürst und ünterthanen umzukehren geeignet 
sind, also dass der Fürst selbst zum Diener aller wird^). 

Seneca scheut nicht davor zurück, Cremutius Cordus, 
dem unter Tiberius der Prozess gemacht wurde, weil seine 
Geschichtschreibung einen oppositionellen Ton angeschlagen, 
als Märtyrer einer altrömischen Gesinnung zu preisen*) und 
die Stellen, an denen er Cato verherrlicht, zählen zu den 
schönsten seiner Werke ^). 

Cato ist jener Edle und Grosse, der wie ein Löwe oder 
Tiger das Bellen der kleinen Hunde unbeirrt anhört, der hoch 
über dem Stoiker Diogenes steht, der der ,, Tugenden lebendiges 
Bild* ist. Er preist ihn als einen Mann, der sich mitten im 
allgemeinen Ruin aufrecht hält. ,, Wenngleich alles der Herr- 
schaft eines Einzigen unterworfen ist und alle Pforten be- 
wacht sind, so weiss er doch einen Ausgang zu finden. Mit 
einer Hand wird er der Freiheit eine breite Gasse eröffnen^^). 

Aber Senecas Bewunderung gilt mehr dem charakterfesten 
Manne als dem Politiker. Dazu stimmt es, dass in den 
Schriften, die in unmittelbarer Beziehung zum Hofe stehen, 
in dem Trostschreiben an Polybius und „Von der Gnade an 
Nero*, der Name Cato fehlt. Die Regierung konnte eben die 
Begeisterung für den Republikaner nicht harmlos finden, da 
auch die extreme Richtung in der stoischen Schule auf seinen 
Namen schwur. Es ist sicher, dass er für Seneca nichts 
weniger als die Hoffnung auf Herstellung des Freistaates be- 

*) 3, 16, 2. 

*) Vgl. besonders 1, 3, 3 (1, 1, 6) die Stellen, an denen dies Thema 
variiert wird, s. bei Heikel, S. 14. 

') 1, 8, 1: Quid tn non experiris istad (imperiam) esse nobis, tibi Ser- 
vituten!? 

*) Ad Marciam 1, 2 a. a. 

«) De constantia 1, 3; 2, 1. De tranq. 16, 1. Epist. 71, 11 De 
ira 3, 32, 3. 3, 38. 

•; De prov. 2, 9. 



4. Neros Anfänge. Seneca als Keichsverweser. 29 

deutete. Ja er kann sich nicht verhehlen, dass der Unter- 
gang der Freiheit die natürliche Folge der Entwicklung des 
Reiches ist. Soweit es mit der Hand eines Einzigen möglich 
war, hat Cato den sinkenden Freistaat gehalten. ,,Was fängst 
du an*, ruft er ihm zu, ,,es handelt sich nicht mehr um die 
Freiheit, die ist längst zu Grunde gerichtet. Die Frage ist, 
ob Caesar oder Pompeius Herr sein soll*, und wiederum 
heisst es: „Warum hätte er die Veränderung der Staatsform 
nicht überleben sollen, da alles dem Wechsel unterworfen 
und an bestimmte Zeiten gebunden ist* ^). 

M. Brutus, der Caesarmörder, habe nicht nach den Grund- 
sätzen der Stoiker gehandelt, die da lehrten, dass die Monarchie 
unter einem gerechten König vor allen Formen der Regierung 
den Vorzug verdiene, und die Wiederherstellung der Republik 
nach dem Verluste der alten Sitten ein unfruchtbares Ideal sei*). 

Neros Vorgänger werden nur insofern sie tyrannisch und 
grausam regiert haben, getadelt. Caesar wird gepriesen, der 
den Sieg über seine Mitbürger nur soweit benutzte, um gegen 
die Feinde Nachsicht, gegen Freunde Freigebigkeit ohne 
Mass zu üben. Des Augustus Milde lobt er wiederholt, aber 
nur die Anfänge des Tiberius haben seinen Beifall, von Cali- 
gula redet er in Worten des höchsten Absehens. Er ist ihm ein 
Wahnsinniger, ein Henker, ein reissendes Tier, ihn habe noch 
im Tode geschmerzt, dass das römische Volk ihn überlebe^). 

Sein Ideal ist der gerechte und milde Regent. ;5,Der 
Prinzeps ist das Band, das den Staat zusammenhält, der 
Lebensatem vieler Tausende, die Seele des Gemeinwesens. 
Solange der Regent lebt, treibt alle nur ein einziger Geist. 
Sein Fall zerreisst das Band der Treue. Sein Fall würde 
den Frieden Roms untergraben und das Glück eines so ge- 
waltigen Volks in Scherben schlagen. Sobald das römische 
Volk des Zaumes ledig ist, so wird die Einigkeit und Ver- 
bindung des grössten Reichs in Stücke springen, mit dem 
Gehorsam dieser Stadt wird ihre Herrschaft ein Ende nehmen. 
Der Kaiser ist längst mit dem Gemeinwesen so vereinigt, dass 
sie beide zusammen gehören, beide zusammen untergehen. 
Denn wie jener ohne Macht, so kann dieses ohne Haupt 



^) Epist. 14, 13 nnd 71^ 1^. Quidni iUe matationem reipablicae forti 
et aequo pateretnr animo! Qoid enim mntationis periculo exceptum! 

*) De benef. 2, 20: Cum optimns ciritatis Status sub rege iusto sit 
aat ibi speravit llbertatem futuram ubi tarn magnum praemium erat et im- 
perandi et serviendi aut existimavit civitatem in priorem formam posse 
revocari amissis pristinis moribus futuramque ibi aequalitatem civilis iuris 
et staturas suo loco leges, ubi viderat tot milia bominum pugnantia, non 
an senrirent, sed utri. 

«) Vgl. De ira: 1, 20, 9. 2, 33, 6. 3, 19, 3. De brevitate vitae 18, 5. 
Sievers, a a. O. S. 99 ig. Heikel, a.a.O. S. 24. 



30 Erstes Buch. 

nicht bestehen* 1). Nicht den Absolutismus, wie ihn die Des- 
poten des Ostens ausüben, sondern eine gerechte Monarchie 
hat Seneca hier im Sinne. Denn den äussern Glanz der 
Stellung und die unumschränkte Macht teilt der Despot mit 
dem Könige , aber nur aus wichtigen Ursachen und durch die 
Verhältnisse gezwungen wird dieser einschreiten. 

Die Alleinherrschaft ist also eine Notwendigkeit, aber 
Dauer kann ihr nur mass volle Beschränkung verleäien, darum 
ist der Prinzipat des Augustus, die zwischen Regent und 
Senat geteilte Herrschaft, die beste Regierungsform. Nach 
diesem Grundsatz haben Seneca und Burrus Nero beraten, 
und dieser respektierte die seiner Macht gezogenen Grenz- 
linien, bis die angeborne Bösartigkeit seines Charakters und 
die Macht der VerhälUiisse im in die verhängnisvolle Bahn 
der Willkür drängten. 

Mit den von seinem Lehrer ihm in den Mund gelegten 
Worten versprach der junge Regent, Milde zu üben und sich 
Augustus zum Muster zu nehmen. Sein Haus wolle er von 
dem Staate trennen, d.h. die Beamten des Palastes würden 
keinen Einfluss auf die Geschäfte haben. Die Staatsangelegen- 
heiten sollten in dem Lichte der Öffentlichkeit, nicht in dem 
Dunkel des Palastes, nach Recht und Gesetz erledigt werdeü; 
behalten solle der Senat seine alten Befugnisse, vor dem 
Richterstuhl der Konsuln sollten Italien und die Senatsprovinzen 
erscheinen; er werde für die ihm anvertrauten Heere sorgen. 
Darf man sich wundern, dass der Senat diese Worte zum 
Danke auf eine silberne Tafel eingraben Hess, dass miss- 
liebige Verordnungen des Claudius trotz des Widerspruchs 
der Agrippina, die sich zur Vertreterin des alten Systems 
aufwarf, beseitigt wurden? 

Der leuchtende Komet, der in den ersten Monaten der 
Neronischen Herrschaft sichtbar war, verkündete dem Ver- 
fasser der Hirtengedichte eine neue bessere Ära, in der 
die Henker von ihrer Ermüdung ausruhen, die Kerker nicht 
mehr gefüllt und die Kurie nicht mehr leer stehen wird, in 
der das Konsulat wieder zu Ehren gelangen und die Gesetze 
gelten werden*). In einem andern Gedichte wird der all- 



*) De dementia 1, 4, 1. Vgl. De ira 1, 6 die ParaHele zwischen 
Fürst und Arzt in der Behandlung der Kranken, lieber die Regierung 
des Nero ist zu vergleichen H.Schiller und die Rezension seines Werkes 
in den Göttinger gelehrten Anzeigen, 1873, S. 741 ; Historische Zeitschrift, 
XXXII, 333. 

•) Calpurnins, bucol. 1, 59 fg.: 

Omne procul Vitium simulatae cedere pacis 
Jussit et insanos dementia contudit enses. 
NuUa catenati feralis pompa senatus 
Carnifir.um lassabit opus nee carcere pleno 



4. Neros Anfange. Seneca als Beichsverweser. 31 

gemeine Frieden, die neu belebte Fruchtbarkeit der Fluren, 
die Wiederkehr des goldenen Zeitalters und der Astraea ge- 
priesen ^). 

Das hohe Kollegium genoss ein Ansehen wie kaum jemals 
vorher und gelangte zu einem entscheidenden Anteil am 
Regiment. Weder sollte ein Freigelassener von nun an in seine 
Reihen eintreten, noch den von seinen Vorgängern aufge- 
nommenen der Zutritt zu den Ehrenstellen gestattet sein. 
Senatoren, die Gefahr liefen, in unverschuldeter Armut zu 
Grunde zu gehen, wurden durch ein Jahresgehalt bis zur 
Höhe von 500000 Sesterzen unterstützt. Mit einem Worte, 
es bestand ein vollständiges Einvernehmen zwischen den 
beiden Gewalten , die nach dem Willen des Augustus berufen 
waren, die Welt zu regieren, und ihm wird eine Reihe der 
verständigsten Entscheidungen verdankt. Auch Tacitus muss 
gestehen, dass damals ein gewisses Bild der Freiheit bestehen 
bUeb^), und noch unter dem Jahre 60, als Nero schon zum 
Schlechten neigte, betont er, dass das Ansehen des Senates 
erhöht ward durch die Entscheidung, es müsse, wer in Civil- 
sachen an den Senat appeUiere , dieselbe Summe niederlegen, 
die bei Berufungen an den Kaiser gefordert war. Hatte einst 
Tiberius die Nobilität zu ünthätigkeit und schlaffem Genuss- 
leben verurteilt, Nero liess in Britannien und Armenien dem 
kriegerischen Geiste des Suetonius Paulinus und Domitius 
Corbulo weiten Spielraum. 

Die Entscheidung des grossen Kampfes zwischen Agrippina 
und Nero ist der Gegenstand der ersten Kapitel des vier- 
zehnten Buches der Annalen und wird von Tacitus auf die 
persönlichen Umtriebe der Poppaea zurückgeführt. j^Mit Spott- 
reden setzte sie dem Prinzeps zu: er sei ein Unmündiger 
ohne Macht und Freiheit,*^ bis das entsetzliche Verbrechen 
vollendet war. Mit drastischer Lebendigkeit wird dann ge- 

Infelix raros nnmerabit curia patres. 
Plena quies aderit, quae stricti nescia ferri 
Altera Satumi referet Latialia regna, 
Altera regna Nnmae, qui primus ovantia caede 
Agmina, Komuleis et adhuc ardentia castris 
Pacis opus docuit iassitque silentibus armis 
Inter sacra tubas, non inter bella, sonare. 
Jam nee adumbrati faciem mercatus honoris 
Nee vaeuos tacitus fasces et inane tribunal 
Acüipiet consul; sed legibus omne reduetis 
Jus aderit moremque fori vultumque priorem 
Reddet et afflictum melior deus anferet aevum. 

V. 77 : Gemitis ut puro nox iam vicesima caelo 

Fulgeat et plaeida radiantem luce eometem 
Proferat. 

V bucol. IV, dazu Ribbeck, a. a. O. III; S. 48. 

•) Ann. 13, 28. 



32 Erstes Buch. 

schildert, wie Nero von Verbrechen zu Verbrechen stürzt 
und welche Einwirkung die sittUchen Zustände der leitenden 
Kreise auf die Umgestaltung der Verfassung ausgeübt haben. 
Wir sehen die persönlichen Kräfte, die miteinander ringen, ge- 
wissermassen Leben und Blut gewinnen. Und wie er nicht den 
Versuch macht, den Charakter der handelnden Persönlichkeiten 
aus ihren Anlagen und Lebensgeschicken, aus ihrer Umgebung 
und ihren Anschauungen über die öffentlichen Dinge, mit 
einem Worte aus der Fülle ihres individuellen Daseins her- 
zuleiten, eben so wenig werden wir mit der Geschichte der Ent- 
stehung und dem Spiele der Parteien vertraut. Es versteht 
sich, dass die staatskluge Agrippina sich eines starken An- 
hanges versichert hatte. Noch kurz vor der Katastrophe 
sprechen die Arvalbrüder in einer Weihinschrift den Wunsch 
nach Wiederherstellung der Eintracht zwischen Mutter und 
Sohn aus. 

Und wenn Tacitus versichert, dass alle Schwächung ihres 
Einflusses wünschten, so hat man darunter die Senatoren zu 
verstehen, denen die zielbewusste Herrschaft eines Weibes 
unerträgUch war. Aber die Unterstützung, die der Senat dem 
Muttermorde geliehen, die Gewissenlosigkeit des Seneca, der 
die Unthat in einer von ihm verfassten, an den Senat ge- 
richteten Schrift zu rechtfertigen wagte, sollte böse Früchte 
zeitigen 1). 

Seit dem entsetzlichen Frevel sind für Nero gesetzliche 
Formen ein unerträgücher Zwang. Als der ergebene Senat 
beschloss, Agrippinas Geburtstag unter die Unglückstage zu 
rechnen, verliess Paetus Thrasea die Sitzung; durch diesen 
kühnen Schritt legte er sich, nach der Meinung des Tacitus, 
den Grund der Gefährdung und verlieh den übrigen nicht den 
Beginn der Freiheit. Es ist die erste Spur einer Opposition 
im Senat. Im J. 63 ward Rubellius Plautus hingerichtet. Man 
griff wieder zu dem Majestätsgesetz, und diese scharfe Waffe 
schlug der hohen Aristokratie von neuem tödliche Wunden. 
Nur des bösen Omens wegen wurde ein Antrag, den Kaiser 
bei seinen Lebzeiten zum Gott zu erklären, abgelehnt. 

Die Lage wurde noch misslicher durch die Finanznot, die 
sich schon im J. 62 fühlbar machte. Sie veranlasste nicht 
nur eine Verschlechterung des Geldes, sondern eine beträcht- 
üche Zahl von Kupfermünzen ohne S. G. bekundet, dass dem 
Senat, wenn auch nur für kurze Zeit, die Kupferprägung 
entzogen wurde. Diese schwere Krisis war nicht etwa durch 

^) Wilmanns, n. 2870; Gasagrandi, Agrippina la madre di Nero 
(1878), S. 97. Der von dem ItaUener gemachte Yersach, Agrippina sn 
Ehren zu bringen, ist, wie schon Dünzer in den Bonner Jahrbbrhem 
LXVni, 152, gezeigt hat, total verfehlt. 



5. Neros Tyrannis. 33 

Nero allein verschuldet, sondern hing in der Hauptsache mit 
dem übermässigen Luxus der römisch-griechischen Welt zu- 
sammen. Für Seide, Gewürze, Perlen, die von dem fernen 
Osten eingeführt wurden, zahlte das römische Reich mit 
Edelhietall, für dessen Abfluss kein genügender Ersatz vor- 
handen war. 

Nach dem Tode des Burrus im J. 62 konnte sich Seneca 
an der Spitze der Geschäfte nicht mehr behaupten; er trat 
zurück, ohne zunächst die Gunst seines Zöglings zu ver- 
heren, der noch im J. 64 mit ihm freundschaftlich verkehrte. 
Aber den massgebenden Einfluss hatte des Burrus Nachfolger 
Tigellinus gewonnen, und dieser nahm in Verbindung mit den 
kaiserlichen Freigelassenen eine ähnliche Stellung ein, wie 
sie vordem sein Vorgänger in Verbindung mit dem Senate 
gehabt hatte. Die Delatoren spielten wieder eine Rolle, 
wiederum suchte die Mehrzahl der Senatoren ihr Leben durch 
Unterwürfigkeit zu sichern; stärkere Naturen, darunter die 
angesehensten Mitglieder der Aristokratie, hielten sich zur 
Opposition der stoischen Schule. 



FÜNFTES KAPITEL. 

Neros Tyrannis. 

bo gross die Unzufriedenheit der vornehmen Kreise 
auch war, den wenigsten kam die Aufhebung des Prinzipates 
in den Sinn. Aber immerhin gab es unter denen, die auf 
den Namen der Stoa schwuren, einzelne Männer, die, grund- 
sätzlich Feinde der Alleinherrschaft, die Erneuerung der 
Republik wünschten. Einer der namhaftesten Vertreter dieser 
Richtung war Annaeus Lucanus , der eine Zeitlang dem Pala- 
tium, zu dem er durch seinen Oheim Seneca Zutritt hatte, 
nahe stand, später aber in das Lager der UnversöhnUchen 
übergegangen war. Hatte Seneca den Porcius Gato als Ideal 
der Mannheit verehrt, der mitten im allgemeinen Ruin auf- 
recht steht, so feiert ihn der Neffe als den Genius der Partei, 
dessen Verehrung an die Stelle des Kaiserkultes treten soll. 
Schon im zweiten Buche der Pharsalia, in deren Anfang er 
sich noch als Anhänger des Prinzipates bekennt, wird Cato 
gepriesen „der einzige Hort der Tugend, dem allein Brutus 
folgen wiIl^^ Im fünften Buche findet sich eine Anspielung 
auf Neros Muttermord. Im siebenten beklagt er den Verlust 
der Freiheit. „Unheilvoller als der Alüafluss und Gannae ist 
Rom der Tag von Pharsalus geworden : seitdem ist die Frei- 
heit über den Tigris und den Rhein entwichen. Glücklich 

As b ach, Kaisertora und Verfassung. ^ 



34 Erstes Buch. 

die unter einem Zwingherrn stehenden Reiche des Ostens, 
Araber und Meder, traurig ist vor ihnen das Los des Römers, 
der seine Knechtschaft für eine Schmach ansieht^'. Und im 
neunten ruft er Rom zu: „Sieh Cato, den wahrhaftigen Vater 
des Vaterlandes, der würdig ist deiner Altäre, bei ihm magst 
du ohne Bedenken schwören, ihn wirst du, wenn du je mit 
befreitem Nacken dastehen wirst, jetzt oder dereinst zum 
Gotte machen^' 1). 

Mitten in die Reibungen zwischen dem Kaiser und dem 
Senat schlugen in Rom die Flammen der gewaltigen Feuers- 
brunst hinein. Plinius, ein Zeitgenosse, versichert auf das 
bestimmteste, dass Nero der Urheber des Brandes gewesen; 
Tacitus entscheidet sich nicht, bemerkt aber dass, als in 
den Besitzungen von Neros vertrautestem Freunde Tigellinus 
das Feuer von neuem ausbrach, der Verdacht rege geworden 
sei, er wünsche Raum für eine neue, nach seinem Namen 
zu benennende Stadt zu gewinnen^). Es war am 19. Juli 64, 
dem Jahrestage des GalUschen Brandes, als das Feuer von 
den 14 Regionen der Stadt drei ganz, sieben grösstenteils 
zerstörte. 

An dies Ereignis knüpft sich der Anfang von Neros Ende. 
Die Schuld an dem Unglück wälzte er auf die schuldlosen 
Häupter der Juden und Christen. Die Verfolgung, die be- 
sonders in Rom zahlreiche Opfer forderte, machte den Kaiser 
auch den Massen verhasst und furchtbar. Hatten die Will- 
kürmassregeln, zu denen er in seiner finanziellen Verlegen- 
heit greifen musste, die ersten Feindseligkeiten zwischen 
ihm und dem Senat hervorgerufen, so führten die Schät- 
zungen, mit deren Erträgen die Kosten des Wiederaufbaues 
der zerstörten Stadtteile bestritten werden sollten, und die 
WUlkür und Grausamkeit des Regenten eine Missstimmung 
herbei, die in wiederholten Verschwörungen zum Ausbruch 
kam. In das grosse Komplot vom J. 65 waren die ange- 
sehensten Männer, der Konsul Atticus Vestinus, der designierte 
Konsul Plautius Lateranus, selbst der Gardekommandant 
Faenius Rufus verwickelt, auch hatte letzterer eine Anzahl 
von Tribunen und Centurionen gewonnen. Der Senator 
Flavius Scevinus erbat sich die Gunst, den ersten Stoss 
führen zu dürfen. An Neros Stelle sollte Calpurnius Piso 
treten, aus altem Adel, der den Beteiligten Zusicherungen 
gegeben hatte, dass er den Ansprüchen des Senates auf Frei- 
heit Rechnung tragen werde. Der Entdeckung der Verschwö- 
rung folgten zahlreiche Hinrichtungen. Die Furcht trieb den 

1) Pharsälia 2, 241, 247 (dazu Boissier, a.a.O. S.280}. 7, 398— 
436. 9, 601 fg. und Ribbeck, Römische Dichtung III, S. 94 fgg. 

«) Vgl. die Streitfrage bei Schiller, a.a.O., S. 424 fg. Nissen be- 
tont nachdi'ücklich , Nero sei entschlossen gewesen, das Rattennest in 
Brand zu stecken. Vgl. Rhein. Museum IL (1895) S. 277. 



5. Neros Tyrannis. 35 

Kaiser von Mord zu Mord. Auch Lücanus und Seneca wurden 
wegen ihres Einverständnisses mit Piso zu sterben genötigt i). 
Um die Verschwörung hatte der Philosoph gewusst, ohne 
daran einen thätigen Anteil zu nehmen 2), und wie er selbst 
war die Mehrzahl der Verschworenen mit den Anschauungen 
der stoischen Sekte erfüllt. Ganz in diesem Sinne rühmten 
sie sich ihrer Absicht: „denn man habe Nero nicht anders 
als durch den Tod helfen können, gebrandmarkt mit allen 
Schandthaten wie er sei'^ Hat ein Teil der Verschworenen 
wirklich, wie Tacitus berichtet s), daran gedacht, an Stelle 
des Piso den Seneca zum Kaiser auszurufen, so bezweckte 
man damit nichts weiter als die Zurückführung des Zustandes, 
wie er in den ersten sechs Jahren des Neronischen Prinzipates 
gewesen. 

Die Entdeckung einer zweiten Verschwörung steigerte die 
Erbitterung des Kaisers bis zu dem Grade, dass er sich zur 
Drohung verstieg, „er würde auch die übrigen Senatoren nicht 
schonen, ja den ganzen Stand beseitigen und Ritter und 
Freigelassene an seine Stelle setzen*. Und solange er einen 
Rückhalt bei den Prätorianern hatte, die als Belohnung Mann 
für Mann 435 Mark und Verpflegung auf Kosten der Staats- 
kasse erhalten hatten, war der Tyrann in der Lage, diese 
Drohung auszuführen. Thatsächlich folgten die Verurteilungen 
der namhaftesten Männer mit grausiger Schnelligkeit aufein- 
ander. Als die Verschwörer beseitigt waren, kamen die 
Verdächtigen an die Reihe. 

Unter den Senatoren, die eine den Absichten des Herrschers 
feindliche Richtung vertraten, war Paetus Thrasea einer der 
angesehensten; sein Haus galt als der Mittelpunkt der Philo- 
sophen. In seiner Haltung lag für eine Regierung, deren 
Stellung erschüttert war, unleugbar eine grosse Gefahr. War 
er doch im Beginn des Jahres der feierlichen Eidesleistung 
ausgewichen und niemals unter den Bürgern erschienen, die 
für das Wohl des Princeps Gelübde und Opfer darbrachten, 
hatte er doch drei Jahre lang an den Beratungen der Kurie 
keinen Anteil genommen und die Stirn gehabt, eine Lobschrift 
auf Cato zu verfassen. Man schrieb ihm die hochverräterische 
Äusserung zu: „Der Senat, die Magistrate , die Gesetze, Rom 
selbst sind nicht mehr vorhanden^. Und wie ehemals die Un- 
zufriedenen von Gaius Caesar und M. Cato geredet hatten, 

^] Es ist noch immer nicht ausgemacht, ob der Staatsmann Seneca 
die unter seinem Namen überlieferten Tragödien verfasst hat. Heikel 
und Boissier zweifeln nicht daran; nach jenem (S. 17) sind sie in den 
Jahren 58 — 62, nach diesem (S.88) kurz vor seinem Tode niedergeschrieben. 
Vgl. dagegen Ribbeck, a.a.O. S. 82. 

*) Er verneint es auch selbst nicht. Vgl. Tacitus, ann. 15, 65. 

8) Ann. 15, 65. 



36 Erstes Buch. 

SO stellten sie jetzt in Rom Nero und Thrasea einander gegen- 
über. Provinzen und Heere waren gespannt zu erfahren, 
was Thrasea nicht gethan habe, weil man ihm die kühnsten 
Schritte zutraute. ,^üm die Alleinherrschaft zu stürzen, 
schütze jene Zunft Freiheit vor, und wenn die Macht beseitigt 
wäre, würde man der Freiheit selbst zu Leibe gehen. Was 
nütze es, den Gassius beiseite zu schaffen, wenn die Ri- 
valen des Brutus wüchsen und gediehen ?^'i) 

So eiferten die Freunde der Regierung, allen voran der 
beredte Eprius Marcellus, der, als Thrasea im Senat zur 
Verantwortung gezogen wurde , seine Anklage mit den Worten 
begann, der Staat sei durch einen Empörer gefährdet, und 
mit der Aufforderung schloss, er möge das Leben losreissen 
von einem Staate, dem er schon längst die Liebe und jetzt 
auch den AnbUck entzogen. Ohne einen Verteidiger gefunden 
zu haben, ward der Angeklagte vom Senat als Empörer zum 
Tode verurteilt. In seinen Sturz wurde Barea Soranus herein- 
gezogen, der sich, wie Thrasea vom Senat verurteilt, selbst 
den Tod gab. Mitten in den Verhandlungen, die über diese 
Frage im Senat geführt wurden, brechen die Annalen des 
Tacitus ab. Ihre beiden letzten Bücher, in denen Neros 
Katastrophe erzählt ward, sind verloren gegangen. Ein 
unersetzlicher Verlust! Mochte auch sein Bericht einseitig 
und nicht frei von Parteiüchkeit sein, so vermissen wir doch 
bei der Darstellung der grossen Wendung, die den Untergang 
des Julischen Hauses herbeiführte , um so schmerzlicher seine 
Leitung, als wir die Kenntnis jener Vorgänge aus minder- 
wertigen Quellen schöpfen müssen. 

Tacitus betont, dass die Senatoren sich zu Neros Mit- 
schuldigen machten, und wenn etwas die Grausamkeit, mit 
der dieser in den letzten Jahren seine Gegner verfolgte, ent- 
schuldigen kann, so ist es die „feige Ergebung^', mit der man 
sich in sein Schicksal fand, die Tacitus dem Senat seiner 
Zeit als ein warnendes Beispiel vor Augen hält. 

Die Erhebung, die der blutigen Tyrannis des Nero ein 
jähes Ende bereitete, konnte nicht von dieser herabgewür- 
digten und sittUch verkommenen Körperschaft ausgehen, sie 
wurde durch die Erbitterung, welche die Tollheiten und 
Schändlichkeiten Neros in den Provinzen des Westens hervor- 
riefen, unvermeidhch. 

Nero hatte längst als Wagenlenker, Dichter und Kitharöde 
nach dem Beifall der Menge gestrebt , er berief sich auf alte 
Könige und Heerführer. ,^Als Kitharöde stehe auch Apollo nicht 



^) Ann. 16, 22 fg. und besonders die Rede des Marcellus 16, 28. 



5. Neros Tyrannis. 37 

nur in Griechenlands Städten, sondern auch in römischen 
Tempeln, eine grosse der Zukunft kundige Gottheit*^ ^). 

Mit seinem göttlichen Ursprung und dem Dienste der Götter 
also, unter deren Schutz die Gaesaren zu stehen glaubten, 
schien ihm diese Kunstübung im Einklänge. Dem Apollo 
meinte er deshalb auch besondere Ehre schuldig zu sein, 
weil er das Dunkel der Pisonischen Verschwörung mit seinen 
Strahlen erhellt hätte 2). Um ihm eine Art musischen Dank- 
opfers darzubringen'*), begab er sich im Herbst des Jahres 66 
in das klassische Land aller Kunst und überliess die Re- 
gierungsgeschäfte seinen Freigelassenen und dem Gardeprä- 
fekten Numpidius Sabinus. Auch Männer von ernster Ge- 
sinnung, wie Cluvius Rufus und Vespasianus, befanden sich in 
seinem Gefolge. Mehrere Monate weilte er in Griechenland 
und trat bei allen nationalen Spielen als Sänger und Wagen- 
lenker auf. Er fühlte sich wohl unter den Griechen, die es 
verstanden, seiner Schwäche zu schmeicheln. Die Stand- 
bilder der frühern Sieger bei den Kampfspielen wurden 
umgestürzt und 1808 Kränze ihm zuerkannt. Mit dem olym- 
pischen Siegerkranze geschmückt, in der Rechten den pythi- 
schen Lorbeer, angethan mit einem Purpurgewande und einer 
gesternten Chlamys, hielt er auf dem Triumphwagen des 
Augustus seinen Einzug in Rom und in den Tempel des 
Apollo auf dem Palatin. 

Diesem frivolen Treiben des Hofes mochte der Orient, der 
an alle Arten von Despotenlaune gewöhnt war, ruhig zusehen; 
aber längst hatte die masslos tolle Wirtschaft den gesunden 
Sinn der ünterthanen des Westens empört, längst war eine 
bewaffnete Erhebung der hart geschätzten Bevölkerung zu 
erwarten gewesen; doch die Verblendung des Kaisers hatte 
die Gärung nicht bemerken wollen. Und vergebens hatten 
ihn, bei den ersten Anzeichen des von Norden her drohenden 
Gewitters, seine Getreuen gemahnt, seine Rückkehr nach 
Rom zu beschleunigen. 

Er fühlte sich so sicher im Besitze seiner Herrschaft, dass 
die Kunde von dem Abfalle der Gallier keinen besondern 
Eindruck auf ihn machte. An dem unseHgen Tage, an dem 
er vor neun Jahren seine Mutter ermordet hatte, am 19. März 
68 n. Chr., war dieselbe nach Neapel gelangt*). 

Der letzte entartete Sprosse der Julischen FamiUe, der Mörder 
und Brandstifter, tausendfach geschändet an Leib und Seele, 
war reif zum Untergänge. Die Saat wartete auf den Schnitter. 



«) Ann. 14, 14. 
«) Ann. 15, 74. 

^) Vgl. Kenner, Wiener numismatische Zeitschrift, X, 277; dagegen 
Schiller, Nero, S. 362. 
*) Sueton, Nero 40. 



38 Erstes Buch. 



SECHSTES KAPITEL. 

Die Schilderhebung des Vindex, 

Neros Untergang 

und Galbas Anfang. 

Als Nero von seiner Autorität den schlimmsten und schmäh- 
lichsten Missbrauch machte , ist in Rom gewiss nicht wenigen 
der Wunsch nach einer gründhchen Umgestaltung der Zustände 
rege geworden. An der republikanischen Gesinnung des Lu- 
canus und eines Teiles des hohen Adels kann man nicht 
zweifeln. Aber es war nicht denkbar, dass in der Hauptstadt 
im Ernste der Versuch gemacht wurde, diese Gedanken zu 
verwirklichen, weil die Garde, die schon nach Gaius Tode 
im Gegensatz gegen den Senat die Anerkennung des Claudius 
erzwungen hatte, auch jetzt die Fortdauer der Monarchie in 
ihrem eigenen Interesse wünschen musste. Ebenso wenig 
konnten die Legionen, deren Erinnerungen mit der Begrün- 
dung des Prinzipates und mit dem Hause des Caesar aufs 
engste verflochten waren, für die Wiederherstellung der 
Repubhk eintreten. Vollends undenkbar war es, dass die 
Provinzen, deren Zustand erst nach dem Untergänge der 
Republik erträgHch wurde, sich für ihre Wiederaufrichtung 
erhoben hätten. Wohl aber lag der Sturz eines grausamen 
und unkriegerischen Regenten im Interesse dieser Kreise. 
Doch angenommen, dass Nero zwar der Gehorsam auf- 
gekündigt war, aber die Rückkehr zur Repubhk sich als 
unfruchtbares Ideal erwies, wer sollte des Gestürzten Nach- 
folger werden? 

Die Monarchie, zur Erhaltung des Friedens begründet, 
hatte sich auf Grund einer thatsächUchen Erbhchkeit im Ju- 
lischen Hause fortgesetzt, ohne dass in diesem kritischen 
Augenblick eine Succession zu Recht bestand. Es war die- 
selbe eine offene Frage. Ehe ihre endgültige Lösung gelang, 
wurde das Reich noch einmal durch die Stürme des Bürger- 
krieges bis in seine Grundfesten hinein erschüttert. 

Die Erhebung gegen Neros Misswirtschaft nimmt von 
GaUien ihren Ausgang. Die vornehme und reiche Provincia 
Narbonensis zwischen Alpen und Cevennen war seit der 
Gracchenzeit das nächst der Poebene wichtigste Kolonisten- 
land der Römer; seit Caesar mit der lateinischen Gemeinde- 
verfassung beschenkt, konnte schon am Schlüsse der Augustei- 
schen Zeit das Land zu beiden Seiten der Rhone für völlig 
romanisiert gelten. Aber in dem weiten Gebiete der ^tres 



6. Die Schilderhebung des Vindex, Neros Untergang und Galbas Anfang. 39 

Galliae^' östlich der Cevennen, das von Augustus in vierund- 
sechzig Kantone geteilt war, überwog entschieden das kel- 
tische Element: diese binnenländischen Provinzen, in denen 
Ackerland mit Jagdgründen und Sumpfboden wechselte, sind 
zumal in dem belgischen Teile von der römischen Kultur nur 
gestreift worden. Waren doch die Voraussetzungen einer 
durchgreifenden Romanisierung, obschon seit Caesar der Ge- 
brauch der lateinischen Sprache officiell war, nicht vorhanden. 
Denn der italische Kaufmann erschien nicht zu häufig im 
Binnenlande, und die Legionen hielten an der Grenze, 
am grossen Strome gegen Kelten und Germanen zugleich 
Wache. Die Folge davon war, dass sich nicht nur keltische 
Sprache und Namengebung, sondern auch Gottesdienst, Klei- 
dung und Lebensweise je weiter nach Norden, desto zäher 
in nationaler Eigenart behaupteten i). Es hatte lange ge- 
dauert, ehe sich die beweglichen Kelten in das eherne Joch 
der römischen Herrschaft schicken lernten, das ihnen schliess- 
lich doch erträgUcher vorkam, als die unaufhörUchen blutigen 
Fehden ihrer Clane, denen die Römer ein für allemal steuer- 
ten. Noch unter Tiberius hatten die wirtschaftlichen Not- 
stände eine gefährUche Empörung hervorgerufen, deren lange 
verborgene Fäden durch ganz GaUien gesponnen waren. 
Beherzte Männer, der Treverer Juhus Florus und der Aeduer 
Juüus Sacrovir, von ausgezeichnetem Adel und im Besitze 
des römischen Bürgerrechts, waren die Leiter der Bewegung, 
welche sich die Selbständigkeit der gallischen Nation als Ziel 
steckte, aber durch die Wachsamkeit der germanischen Le- 
gaten und die DiscipUn der Legionen niedergeschlagen wurde, 
ehe sich die Streitkräfte der Aufständischen vereinigt hatten. 
Seit dem Scheitern dieses Planes herrscht 50 Jahre hindurch 
Ruhe in GaUien, das unter Claudius auch den alten Priester- 
stand der Druiden, der durch Menschenopfer und Zauber 
aller Art die Gemüter gefesselt hatte , gewaltsam unterdrückt 
sah. Aber wie unter dem Schutze des Friedens die gesamte 
Bevölkerung wuchs und ihr Wohlstand gedieh, so kam der 
Segen der römischen Herrschaft besonders dem am Zusammen- 
fluss von Rhone und Saöne höchst günstig gelegenen Lugu- 
dunum zu statten, das, Sitz einer Reichsmünzstätte und 
Garnison einer Cohors urbana, für den Norden eine ähnliche 
Bedeutung hatte, wie Rom für die Welt des Mittelmeeres. 
C. Julius Vindex, der Statthalter des lugudunensischen Gallien, 
war es, der die Fahne des Aufstandes gegen Nero erhob. 
Er trug nicht nur die Namen des grossen Caesar, sondern 



*) F. Hettner, Die Caltur der GaUia Belgica, in der Westdeutschen 
Zeitschrift, II, 1. 



40 Erstes Buch. 

gab auch vor, von einem seiner Bastarde abzustammen. 
Seine Vorfahren hatten über eine der zahlreichen Völker- 
schaften Aquitaniens geherrscht, sein Vater hatte dieser an- 
gesehenen Stellung die senatorische Würde zu danken. Die 
leider sehr dürftigen Quellen dieser Zeit rühmen des Rebellen 
Einsicht, Kühnheit und Kriegserfahrung. Er wusste aber auch 
in feurigen Manifesten die Misswirtschaft Neros zu brand- 
marken, in treffenden Worten den Gegner zu schlagen, in 
wohlberechneter Rede die Zuhörer zu einem Entschlüsse 
hinzureissen. Die Eigenschaften der gallischen Nation besass 
er in höchster Ausbildung. 

Nachdem er den Legaten der westUchen Provinzen seine 
Absicht brieflich mitgeteilt hatte ^), berief dieser verwegene 
Mann im Frühling 68 die Gallier zu einer Versammlung. Seine 
Rede, die Dio mitteilt 2), beleuchtete die Greuelthaten Neros 
und betonte besonders die persönliche Herabwürdigung des 
Kaisers, der als Sänger öffentlich auftrete und mit Sporos 
und Pythagoras jede Art von Unzucht treibe. Dann forderte 
er die Anwesenden auf, von dem entarteten Regenten sich 
abzuwenden und dem römischen Senate und Volke Treue zu 
schwören. Er bekräftigte selber durch einen feierlichen Eid, 
dass er für seine Person den Prinzipat nicht begehre. 

Die grosse Masse der gallischen Nation, vor allem der 
Adel, traten unter seine Fahne. Infolge von Zuzügen aus allen 
Gauen Galliens soll sein Heer auf 100000 Mann angewachsen 
sein. Gewiss hatte diese Unternehmung einen nationalen 
Charakter, aber wer ihm die Absicht zuschreibt, Gallien von 
Rom loszureissen, und in der Bewegung ledigUch ein Vorspiel 
der grossen Insurrection des folgenden Jahres sieht, geht zu 
weit. Und wenn Plutarch in seiner Biographie des Galba 
ganz Gallien zum Aufstand bereit sein lässt, und wenn in 
der Rede des Vocula^) die Rebellion des Sacrovir und die 
des Vindex auf dieselben Motive zurückgeführt werden, so 
darf uns diese Thatsache nicht irre machen; es haben die 
spätem Schriftsteller wie so oft aus dem Charakter der nach- 
folgenden Begebenheiten auf frühere Vorgänge zurückge- 
schlossen. Dass die Trennung von Rom keineswegs seine 
Losung war, zeigt die von ihm mit den Vornehmen der 
Aeduer und Sequaner unterhaltene Verbindung, die, im Besitz 
einer bevorzugten Stellung in Gallien, Beseitigung der römi- 
schen Herrschaft nicht wünschen konnten. Noch mehr als dies 
zeigt es die Thatsache, dass er seine Truppen für den Senat 



^) Plutarch, Galba 4. 

•) Dio, 63, 22; Zonaras, 11, 13 Suetoii, Galba 9. 

«) Tacitus, Hist. 1, 57. 



6. Die Schilderliebung des Vindex, Neros Untergang und Galbas Anfang. 41 

und das römische Volk in Eid nahm^). Aber wahrscheinlich 
ist, dass er den auf den gallischen Provinzen lastenden 
Steuerdruck beseitigen oder ihnen gar die Stellung von 
Clientelstaaten geben wollte, dergleichen im Osten noch be- 
standen. Wie dem auch sein mag, jedenfalls findet die von 
Mommsen mit vielem Geist vertretene Ansicht, als ob Vindex 
nicht den Sturz des Monarchen, sondern der Monarchie auf 
seine Fahne geschrieben habe, in der zusammenhängenden Über- 
lieferung, an die sich die folgende Darstellung streng hält, keine 
Stütze^). Der Bericht des Plutarch über diese Vorgänge in der 
Biographie des Galba hat fast den Wert einer gleichzeitigen 
Quelle, da er um das Jahr 46 geboren, unter den Flaviern als 
Lehrer der Philosophie in Rom weilte und im persönlichen 
Verkehr mit hervorragenden Männern stand, die an den Er- 
eignissen der Jahre 68 und 69 selbst beteiligt waren. So erzählt 
Plutarch, dass ihm Mestrius Florus, der im J. 68 das Kon- 
sulat bekleidete, auf dem Felde von Bedriacum Mitteilungen 
über die daselbst gegen Otho geschlagene Schlacht gemacht 
habe. 

Es wird zwar nicht geradezu bezeugt, dass Vindex den 
Legaten von Obergermanien für seinen Plan zu gewinnen 
gesucht hat, aber das Schicksal des Sacrovir musste ihn be- 
lehren, dass sein Unternehmen wenig Aussicht auf Gelingen 
hatte, wenn er nicht der Unterstützung der benachbarten 
Statthalter sicher war. Es entsprach jedoch der vorsichtig 
abwartenden und von Ehrgeiz freien Natur des Verginius 
nicht, zuzugreifen, sondern den Dingen ihren Lauf zu lassen. 

Anderseits konnte es nicht fehlen, dass die Verhandlungen 
mit Galba rasch zum Ziele führten. Schon dem Jüngling 
hatten Weissagungen die Herrschaft versprochen, und bei 
des Gaius Ermordung war er nahe daran gewesen, die Ge- 
legenheit zu ergreifen. Aus einem alten Geschlecht und in 
der Verwaltung wie im Heeresdienst von erprobter Tüchtig- 
keit, durfte er sich für würdig halten, an die Stelle des ent- 
arteten Claudiers zu treten. Hatte Nero ihm wirkhch das 
Schicksal des Domitius Corbulo zugedacht, so bUeb ihm 



*) Der letzte Kampf der römischen Republik, im Hermes XIII (1878), 
S.^0 fg. H. Schiller, „Adsertor libertatis", im Hermes XV, 620 fg. Da- 
gegen Mommsen, Hermes XVI, 147 fg. Alle Streitpunkte zusammen- 
fassend H. Schiller, Jahresbericht über römische Geschichte und Chro- 
nologie (1881), S. 339. 

•) Wenn Vindex dem Senat und Volke in Rom schwören lässt, so 
braucht dies noch lange nicht zu heissen, „die alte republikanische Ord- 
nung als zu Recht bestehend anzuerkennen '^. Mommsen, a. a. O., S. 93. 
Der Streit über die Bedeutung von „adsertor libertatis" (Plinius, Historia 
naturalis XX, 14, 160; Martial, VII, 63) scheint mir gegenüber dem Ge- 
wicht der Ueberlieferung bei Dio und Plutarch gegenstandslos. 



42 Erstes Buch. 

damals keine andere Wahl, als auf die Anträge des Vindex 
einzugehen. Nach der von Plutarch und Dio vertretenen 
Überlieferung hatte Vindex ihn wiederholt vergeblich aufge- 
fordert, mit ihm gemeinsame Sache zu machen; erst als 
ersterer dem Kaiser den Gehorsam aufgekündigt hatte und ihn 
ersuchte, sich einem starken Leibe, der nach einem Haupte 
verlange, nicht zu entziehen ^), habe er sich auf Drängen des 
T. Vinius zum Abfall entschlossen. 

Diese von Vindex ausgegangene Aufforderung ist mit der 
ihm zugeschriebenen Absicht der Beseitigung der Monarchie 
nicht besser vereinbar als die andere Stelle aus dem an 
Galba gerichteten Briefe, er wünsche ihn den Römern als 
Oberhaupt statt des Tyrannen Nero 2). Welcher Aufrührer 
aber, fragt Schiller mit Recht, der sich gegen die Allein- 
herrschaft ausgesprochen, kann in demselben Atem sich für 
einen neuen Üleinherrscher entscheiden, ohne das Vertrauen 
seiner Anhäuger vollständig zu verlieren? Plutarch trifft die 
Sache, dass die Bewegung des Vindex ein blosser Abfall 
gewesen und erst durch die Verbindung mit Galba den Cha- 
rakter eines Bürgerkriegs angenommen habe. 

Nun ist für die Frage, die uns beschäftigt, Galbas Ver- 
halten höchst lehrreich. Der Konvent, den er am 2. April 68 
abhielt, war eine grosse Demonstration gegen Nero. Auf 
dem Tribunal des Imperators sah man die Büder der von 
Nero getöteten Senatoren, ihm zur Seite einen jungen Ade- 
ligen, den er von den Baleareninseln, wo er als Verbannter 
weilte, als lebendigen Zeugen der Grausamkeit des Regenten 
hatte kommen lassen. Angesichts der Versammlung beklagte 
Galba den traurigen Zustand des Reiches. Da begrüssten ihn 
die Soldaten als Kaiser. Aber Galba wies diese Würde von 
der Hand und erklärte, dass er nur Legat des römischen 
Senats und Volkes sei. Und wenn weder Vindex noch Galba 
die Republik herstellen wollten, wozu diese Umstände? Es 
war ihnen doch bekannt, dass der Senat in Rom ein blosser 
Name, ohne Macht und Kraft zu selbständigem Handeln, in 
seinen Entschliessungen an den Willen der Gardepräfekten 
gebunden war. Nicht ganz trifft das Richtige, wer annimmt^), 
dass Galbas Massnahmen von Rücksicht auf die haupt- 
städtische Besatzung geleitet waren und dieser auf solche 



*) Plutarch, Galba 4. Die Yerhandlangen zwischen Viodex und 
Galba faUen wohl noch in das Jahr 67 und sind anscheinend die 
dringenden Umstände, auf welche die Berichte der Freigelassenen hin- 
weisen, um Neros Rückkehr aus Griechenland zu beschleunigen. 

•) Plutarch, Galba 4: "Oxt oe ßoöXexat •Pö)pia(otg Ix^tv äpxovxa fidtXXov 
'fl Nipcova xupavvov. Damit im wesentlichen übereinstimmend Sueton. 

*) Sievers, Studien zur Geschichte der römischen Kaiser, S. 148 fg. 



6. Die Schilderhebung des Yindex, Neros Untergang und Qalbas Anfang. 43 

Weise faktisch die Wahl des Imperators anheimgegeben wm*de; 
man darf eben nicht vergessen, dass das Selbstgefühl der 
Legionen verletzt worden wäre, wenn Galba seine Erhebung 
allein der einen spanischen Legion zu danken hatte. 

So energisch die Thätigkeit war, die dieser entfaltete, vor 
der Hand verliefen die Dinge nichts weniger als glatt. Nicht 
nur wankte die Treue seiner Truppen, die Katastrophe, 
die den Vindex ereilt hatte, wäre fast zu einem auch für 
Galba vernichtenden Schlage geworden. Es hatte viel daran 
gefehlt, dass alle gallischen Stämme die nationale Sache 
ergriffen. Die Treverer und Lingonen, vor allem das mäch- 
tige Lugudunum bewahrten Nero die Treue. Verginius 
Rufus war mit seiner ganzen Macht von Mainz aufgebrochen 
und vor Vesontio gerückt, zu dessen Entsätze Vindex herbei- 
eilte. Vor den Mauern der Stadt hatten die beiden Heer- 
ftihrer eine geheime Unterredung, in der sich Verginius der 
Koalition zwischen Galba und Vindex anschloss, welche die 
Entscheidung über die neue Regierungsform dem Willen des 
Senats vorbehielt ^). Aber der nationale Gegensatz zwischen 
den Legionen und dem Insurgentenheere war stärker als der 
Wille der Feldherren. Plutarch^) vergleicht sie in diesem 
Augenblick mit Wagenlenkern , denen die Zügel entfallen sind. 
In der Schlacht, die sich gegen ihren Willen entspann, wurden 
die gallischen Milizen zu Tausenden erschlagen. Sein Ge- 
schick beklagend, stiess Vindex sich das Schwert in die Brust^). 

Auch Galba gab seine Sache verloren und soll sogar daran 
gedacht haben, sich selbst das Leben zu nehmen. Er zog 
sich nach Clunia zurück, von wo aus er den Verginius Rufus 
brieflich aufforderte, mit ihm gemeinsam Herrschaft und Frei- 
heit den Römern zu wahren*), das heisst doch, die von dem 
Tyrannen Nero beseitigte Dyarchie wiederherzustellen. 

In diesem Sinne hatte Rufus schon seinen Entschluss ge- 
fasst. Als die Legionen Neros Bilder herabrissen und ihrem 
Führer die Kaiserwürde antrugen, gab er die Entscheidung 
über das Imperium dem Senat und dem Volke anheim^), er 



^) Dio 63, 24: KcLzä xoO Nipcövog, cbg ely.d^Q'zo, oüviO-evxo Ttpdg 

') Plutarch, Galba 6. Tacitus, Hist. 1, 89, bezeichnet den Krieg 
als ein „bellum provinciale quod inter legiones Galliasque velat extre- 
mum foit". 

•) Dio 63, 25, sagt nur: 'Kcbv bi xoöxo xal neptaXyi^oag 6 0ö(v8tg 
aÖTdg iauxdv Soqpags . . . 'Poöqpog xoöxov laxopög iiziw%^oew, 

*) Plutarch, Galba 6. 

*) Ebend., Kap. 10. eine Stelle von entscheidender Bedeutung: ^Exervog 
TÖX8 xotg ig Äpx^S §|iH^vö)v Xoytopiorg icgoXcczze, z% ouyxXi^xtp x:f]v 
aCpsoiv xoö aöxoxpocxopog. Kaixot cpavspÄg ye xfjg Nipwvog 
xsXsuxf)^ ysvojiivTjc etc. 



44 Erstes Buch. 

hat, wie seine Grabschrift sagt, ,^das Imperium dem Vaterlande 
vorbehalten^'^). Die Truppen fügten sich, und auch das nieder- 
germanische Heer nahm eine abwartende Stellung ein. 

,^Nie hat'', sagt Mommsen, ;,die Erneuerung des alten 
aristokratischen Regiments näher gelegen als nach jenen Vor- 
gängen bei Vesontio im Mai des Jahres 68. Sämtliche comman- 
direnden Generale des Westens, Galba und Otho in Hispanien, 
Macer in Afrika, Rufus und Capito in Germanien, hatten die 
Republik proklamirf^. Es soll nicht geleugnet werden, dass 
die einflussreichsten Generale den Senat als die höchste ent- 
scheidende Behörde und den rechten Vertreter des römischen 
Volkes anerkannten und insofern der Übergang zur republikani- 
schen Regierungsform nahe gelegen hat. Aber dieser Schritt 
ist nicht gethan worden. In der ÜberUeferung bei Plutarch 
und Dio findet sich nicht nur kein Anhaltspunkt, die von 
Mommsen aufgestellte Behauptung zu rechtfertigen, sondern 
es ist wiederholt von der Herstellung des Prinzipates, wie ihn 
Augustus gegründet hat, die Rede. Nur Glodius Macer, der 
damals in seiner Treue gegen Nero nicht wankte^), hat später 
den erfolglosen Versuch gemacht, für die Republik zu kämpfen. 

Die Betrachtung der Vorgänge in Rom, die Neros Sturz 
unmittelbar herbeiführten, wird uns in der Überzeugung be- 
stärken, dass in Rom die Fortdauer des Prinzipates keinen 
Augenblick in Frage gestellt wurde. 

Für Nero war auch nach dem Abfall der germanischen 
Truppen das Spiel noch lange nicht verloren. In Italien stand 
eine beträchtUche Truppenmacht: ausser der hauptstädtischen 
Garnison, die treu zum Kaiser hielt, eine neu ausgehobene 
Legion und zu einem orientalischen Kriege abberufene Ab- 
teilungen der Armeen des Westens. Aber die Rat- und 
Thatlosigkeit des Kaisers war grenzenlos. Er nahm, ^j, quasi 
fatale esset non posse Gallias debellari nisi ase consule" dem 
einen der Ordinarien, Silius Italiens, das Consulat und führte es 
selbst, zunächst in Gemeinschaft mit dem andern, mit Trachalus, 
bis er auch diesen zum Rücktritte zwangt); kaum dass er mehr 

*) Plinius, Epist.9, 19, teilt die von ihm gewünschte Grabschrift mit: 
Hie Situs est Rufus pulso qui Vindice quondam Imperium adseruit non sibi 
sed patriae. 

•) Plutarch, Galba 6: „'Aytoxapidvtov TtoXXöv xoO N^pcovo^ xal 
Tidvxtov §metxd5g xq) FocXßq: TtpogxtO-snivwv, novo? KXcböiog Mdxpog §v 
Atßöij xal Oöepyfvtog Poöcpog . . aöxol xa^'iauxoüg Siipaxxov, od xVjv 
aöxTjv atpsotv Ixovxeg." Wie ist denn diese Stelle damit vereinbar, dass 
Clodius in Gemeinschaft mit den andern Generalen die Republik prokla- 
mierte? (Mommsen, a.a.O., S. 96.) Clodius Macer trieb nur die Feind- 
schaft gegen Galba. Die Ankunft des Galvia Crispinilla muss nach Neros 
Tode erfolgt sein. Vgl. Sievers, a.a.O., S. 159. 

^) Sneton, Nero 43. Vgl. dazu meine Bemerkungen im Rhein. 
Mus. XXXV, S. 183. 



6. Die Scliilderhebung des Vindex, Neros Untergang und Galbas Anfang. 45 

that, als Galba für einen Hochverräter erklären und seine 
Güter einziehen. So mussten die Treue der Truppen und der 
Glaube der Massen an den Beruf des Regenten erschüttert werden. 
Eines Tages lief ein Schiff aus Ägypten ein, das mit feinem 
Nilstaub für die kaiserliche Rennbahn befrachtet war, statt 
sehnlich erwartetes Korn zu bringen; da verdüsterte sich unter 
dem Drucke der Teuerung, einer Folge der unsichern Zu- 
stände, die Stimmung in der Hauptstadt bis zu dem Grade, 
dass Gerüchte nicht nur vom Abfall des Verginius Rufus, 
sondern auch des gegen ihn ausgesandten Petronius Tur- 
pilianus Glauben fanden. Als nun gar Nero Anstalten traf, 
nach Alexandrien zu entfliehen, weil ihm die Astrologen die 
Herrschaft über den Orient verkündet hatten^), weigerten 
sich die Tribunen und Centurionen der Garde, die durch die 
Bevorzugung der germanischen Leibwache länlgst verstimmt 
war, ihn auf seiner Flucht zu begeiten. Die Ränke des Garde- 
präfecten Numpidius Sabinus, der sich für einen Sohn des 
Caligula ausgab und auf diese Verwandtschaft ehrgeizige Ent- 
würfe gründete, machte die Prätorianer dem Nero vollends 
abspenstig. Er stellte ihnen vor, dass der oberste Kriegsherr 
sie im Stiche lasse und es darauf ankomme, die Gunst seines 
Nachfolgers zu gewinnen. Durch das Versprechen eines Geld- 
geschenks von 30000 Sesterzen gab er seinen Worten den 
erforderlichen Nachdruck. 

Dies geschah noch bei Neros Lebzeiten. Er hatte sich 
in die Servilianischen Gärten begeben, wo er einen bestimmten 
Entschluss zu fassen gedachte. Als er aber um Mitternacht 
erfuhr, dass die wachthabende Kohorte das Palatium verlassen 
habe und in der Prätorianerkaserne dem Galba gehuldigt 
werde, ritt er zu dem Landhause eines seiner Freigelassenen, 
wo er sich den Tod geben liess, nachdem er noch erfahren, 
dass der Senat ihn für einen Feind des Staats erklärt habe. 
Es geschah an dem nämlichen Tage, an dem er einst die 
Octavia gemordet hatte. 

Ohne Verzug hatte der Senat nach dem Vorgange der Präto- 
rianer Galba anerkannt, und in Gallien zwang Verginius Rufus 
seine Truppen zur Eidesleistung. 2) DiesemBeispiel folgten die Le- 
gionen am Niederrhein, an der Donau und im Orient. Nur in Afrika 

^) Sueton, Nero 40: Praedictum a mathematicis Neroni olim erat 
fore ut qnandoque destitueretur .... spoponderant tarnen quidam desti- 
tuto orientis dominationem , nonnulH nominatim regnum Hlerosolymomm. 
Aus denselben Kreisen stammt die auf Yespasian bezogene Weissagung 
fore nt profecti Judaea regno potirentur. 

•) Plutarch, Galba 7: "Oxt xal ^övcog Ixt xoö N^ptovog oöx 
övxog bä qjavepoö xd oxpötx8üp.a icpöxov, elxa 6 Sfjp.og xal -^ aÖYxXyjxog 
aöxoxpÄxopa xdv TäXßav dva^opsöoetev öXf^ov ti öoxspov dTiaYysXÖ-siyj 
T8^vT]xä)g ixetvo^. Vgl. Sievers, 8.153, Anmerk. 27. 



46 Erstes Buch. 

glaubte man, es könne die Republik wieder ins Leben treten. Hier 
hatte Clodius Macer nach Neros Tode den altrepublikanischen 
Titel eines Proprätors angenommen und durch Verhinderung 
der Getreideausfuhr Rom zu bedrängen versucht. Die von 
ihm geschlagenen Silbermünzen reden mit Aufschriften und 
Symbolen von der Herstellung der Republik *). Aber ehe noch 
das ereignisreiche Jahr abUef , wurde er auf Galbas Befehl er- 
schlagen^) und seine Legion entlassen. Galba war damit allent- 
halben im Reiche zur Anerkennung gelangt, und auf seinen 
Münzen durfte er auf die ,,concordia provinciarum* hinweisen. 
Zahlreiche Münzen der kurzen Regierung Galbas, teils 
mit, teils ohne seinen Namen, tragen die Aufschrift ,,libertas 
restituta*', von der auch eine hauptstädtische Inschrift Zeugnis 
ablegt^). Diese Worte bringen den Anspruch zum Ausdruck, 
den der Senat auf Teilnahme am Regimente hatte, und haben 
keine andere Bedeutung als die „libertas^ auf Münzen der 
ersten Jahre des Claudius, der die Welt von der Tyrannei 
des Gaius so gut befreit hat, wie Galba der Gewaltherrschaft 
des Nero ein Ende machte. Sie sind in dem Sinne zu nehmen, 
wie Tacitus die ^Freiheit* fasst, als den in rechtmässiger 
Gemeinschaft mit dem Senat geführten Prinzipat, wie ihn 
nach der Schreckensherrschaft Domitians Nerva begründet 
und Traian festgehalten hat. 



SIEBENTES KAPITEL. 

Galba und Otho. 

Die Hauptquelle für die letzten Jahre Neros und die Er- 
hebung Galbas ist der Bericht des Cassius Dio, der uns aber 
nur im Auszug des Xiphilinus erhalten ist, und die Lebens- 
beschreibungen des Galba und Otho von Plutarch, der ge- 
schrieben hat, noch ehe er des Tacitus Werke kannte. Mit 
dem 1. Januar des Jahres 69 beginnen die Historien, deren 



*) H. Cohen, Monnaies imperiales (2. Aufl.) I, 317. „Wenn Galba, 
der am 15. Januar 69 umkam , 9 Monate 13 Tage regiert hat (D i o 64, 6) 
und dies die offlzieUe Rechnung war, so zählte er sein Imperium von 
dem Tage seiner Proklamation durch die Truppen in Spanien an^. Her- 
zog, a.a.O. IIS S.281. 

«) Cohen, S. 322, Anm. 31. 

') CIL 6, 471 neben „Serv. Galbae imp. Aug.", Cohen, I, besonders 
S. 326. Der Herzog von Blacas hat in der Revue numismatique (1862) 
die angeblich republikanischen Münzen, die nach Neros Tode geprägt 
wurden, zusammengestellt. Ich bin auch hier im Gegensatz gegen Momm- 
sen und Blacas in wesentlicher Übereinstimmung mit Schiller, „Jahres- 
bericht" (1882), und Boissier, L'opposition sous les Cesars, S. 68. 



7. Galba und Otho. 47 

uns gerettete Bücher von dem Standpunkt der Traianischen 
Zeit den jähen Wechsel der Ereignisse des Jahres 69, den 
Sturz dreier Regenten in kunstvoller Darstellung schildern. 
Diesem Bericht haben wir es zu danken, dass wir über das 
Verhältnis, in dem jede neue Regierung zum Senat stand, 
ausreichend unterrichtet sind. Vor Galba, der im Herbst des 
Jahres 68 seinen Einzug in Rom hielt, war der Ruf blutiger 
Strenge hergegangen. Es zeigte sich bald, dass die Persön- 
lichkeit des neuen Imperators, der sich den Wiederhersteller 
der Freiheit und des Erdkreises nannte, und der Adel, der 
in dem Fahrwasser der Reaction steuerte, nicht imstande 
waren, den Zuständen, die sie geschaffen, Dauer zu verleihen. 
Mit den Prätorianern hatte es Galba von vornherein ver- 
dorben, da ihnen seine Äusserung zu Ohren gekommen war, 
dass er die Soldaten nicht kaufe, sondern auslese, und da 
dementsprechend das von Numpidius verheissene Geldgeschenk 
noch immer vorenthalten wurde. Man erzählte sich, er wolle 
die germanischen Legionen decimieren; man sah, wie ganze 
GUeder der Armee ausgestossen wurden, schliesslich fühlte 
sich niemand mehr sicher. 

Alle Schritte Galbas sind von der Rücksichtnahme auf den 
Adel geleitet, für den jetzt die Stunde der Rache gekommen war. 
Die germanische Leibwache, welche Nero die Treue gewahrt 
hatte, ward entlassen, die vertrauten Freigelassenen, denen 
Nero sein Ohr geliehen, wurden in Fesseln über den Markt ge- 
führt und unter dem Frohlocken des Volkes hingerichtet. Um die 
Staatskassen zu füllen, wollte er alle Schenkungen Neros bis auf 
den zehnten Teil wieder einziehen, und als eine dazu eingesetzte 
Konunission von 50 Rittern auf unlösbare Schwierigkeiten stiess 
und nm* geringe Summen eingingen, schreckte er nicht vor 
der Gehässigkeit zurück, das Verfahren auf alle auszudehnen, 
die irgend etwas von jenen Geschenken erkauft oder sonst 
empfangen hatten; so rief er eine endlose Verwirrung 
hervor. Der Senat fasste den bedeutsamen Beschluss, 
gegen die Ankläger einzuschreiten. Schon kehrten die Ver- 
bannten heim, schon bereitete Helvidius Priscus, einer der 
Wortführer der Stoiker, zurückgerufen, seinen Sturmlauf 
gegen Eprius Marcellus vor, von dem Tacitus unter dem 
Eindrucke der selbsterlebten Reaction gegen Domitians 
Schreckensherrschaft ausführlicher berichtet*). 

Infolge dieser und anderer Missgriffe, namentlich in der 
Wahl seiner Ratgeber, unter denen sich Männer von unlau- 



^) Von Galbas Reformen handelt ein älterer Aufsatz von Ad. Schmidt, 
abgedruckt in den Abhandlungen zur alten Geschichte, Leipzig 1888, 
S. 528 fg. 



48 Erstes Buch. 

terer Gesinnung wie T. Vinius und Icelus befanden, hatte, 
noch ehe der von den rheinischen Legionen erhobene Vitellius 
allgemeine Anerkennung fand, das Regiment des Galba den 
Boden unter den Füssen verloren. Sein Sturz ist durch die 
Nachfolgefrage herbeigeführt worden. Diese war bis dahin 
noch immer im Einvernehmen mit den Prätorianern geregelt 
worden, mit denen Galba auf dem schlechtesten Fusse stand. 
Der Kaiser, alt und kinderlos, wählte sich einen Adoptivsohn 
aus dem hohen Adel, den jungen Piso Licinianus, der seinen 
Stammbaum auf Pompeius und Crasgus zurückführte und selbst 
unter Neros Willkürherrschaft gelitten hatte. Tacitus teilt in 
der Rede, die er dem Galba in den Mund legt, die Erwägun- 
gen mit, von denen er bei diesem Schritte geleitet war. 
Wenn des Reiches ungeheuerer Körper ohne Lenker stehen 
und im Gleichgewicht bleiben könnte, so wäre er es wert, dass 
die Republik mit ihm ins Leben träte. Jetzt könne sein Alter 
dem Volke nicht mehr als einen guten Nachfolger und Pisos 
Jugend nicht mehr als einen guten Fürsten verleihen. ^ Unter 
Tiberius, Gaius und Claudius waren wir gleichsam eines ein- 
zigen Geschlechtes Erbteil: ein Entgelt für den Verlust der 
Freiheit wird sein, dass wir begannen gewählt zu werden, 
und nach dem Aussterben des Julisch-Claudischen Hauses wird 
Adoption jedesmal den Besten zu finden wissen*. Im Verlaufe 
der Rede wird empfohlen, bei diesem wichtigen Akt auf des 
Volkes Stimme zu achten. Der Schluss fasst dann das Pro- 
gramm der Regierung Galbas nachdrücklich zusammen: ;j,Hier 
giebt es nicht, wie bei Stämmen, die Königen gehorchen, ein 
bestimmtes Herrscherhaus und sonst Sklaven, sondern du 
sollst über Menschen herrschen, welche weder völlige Knecht- 
schaft noch völlige Freiheit zu erdulden vermögen*^). Die 
Wahl des Piso und die Art, wie sie vorgenommen wurde, 
waren unzweifelhaft darauf berechnet, dem Kaiser die Sympa- 
thien des Senats, die er durch seine rücksichtslose Härte fast 
verscherzt hatte-, zu sichern. 

Hatte der Kaiser gehofft, durch diesen ausserordentlichen 
Schritt seinen Prinzipat zu befestigen, so musste er sofort die Täu- 
schung erleben, dass M. Salvius Otho, der dem Galba die wesent- 
lichsten Dienste geleistet und die Adoption für seine Person 
erwartet hatte, infolgedessen zur Empörung getrieben ward. 

*) Bist. 1, 15, 16. Herzog, a. a. O., S. 282 bemerkt richtig, dass 
Tacitus den Galba niclit so reden lassen konnte, wenn er nicht in dem 
wirklichen Charakter des Kaisers Anknüpfung für diese Grundsätze gefun- 
den hätte. Die Rede enthalte eine Zurechtlegung des Prinzipates aus den 
Anschauungen des Tacitus selbst. Dessen Urteil finde sich bist. 1 , 49: Ipsi 
medium ingenium magis extra vitia quam cum virtutibus. Dass Galba 
an Augustus angeknüpft habe, zeige auch die von ihm in Spanien ge* 
schlagene Münze (Cohen 1' p. 79 n. 109) mit divus Augustus — Hispania. 



7. Galba und Otho. 49 

Die Prätorianer, denen die Wahl zwar angezeigt, aber auch 
diesmal kein Geschenk gewährt wurde, empfingen, unter der 
Hand bearbeitet, den von einem Häuflein Soldaten zum Im- 
perator ausgerufenen Otho mit offenen Armen. Galba, den 
alles verliess, und Piso Licinianus, der adoptierte Caesar, muss- 
ten sterben. Der Senat, dem Tacitus auch hier den Vorwurf 
der Servilität nicht erspart*), beeilte sich, Otho anzuerkennen. 
Der neue Regent suchte den Senat auch für die Folge durch 
Rücksichtnahme an seine Person zu fesseln. Bezeichnend 
sind die Worte, die ihm von Tacitus in den Mund gelegt 
werden. ;,VitelIius^, ruft er den Soldaten zu, ^^besitzt ge- 
wissermassen das Scheinbild von Macht, mit uns ist der Senat. 
So geschieht es, dass hier der Staat, dort des Staates Feinde 
stehen. Wie ? — Soll diese herrliche Stadt nur aus Palästen 
und Steinmassen bestehen? Dinge, die tot und seelenlos sind 
und gleichmässig untergehen und aufgebaut werden können. 
Des Staates ewige Dauer und der Völkerfriede gründen sich 
auf die Wohlfahrt des Senates, der mit der Gegenwart die 
fernste Vergangenheit und die entlegenste Zukunft verknüpft". 2) 
Aber Senat und Adel verfolgten mit Misstrauen die Schritte 
des Kaisers, den das Volk als den ^5, neuen Nero^ begrüsst 
hatte, der selbst gelegentlich diesen Beinamen führte, und 
keinen Versuch machte, der Zuchtlosigkeit der Garde zu 
steuern. Allem Anscheine nach hängt mit dieser Haltung des 
Senates das Fehlen des Kupfergeldes unter dieser Regierung 
zusammen.*) 

Im Reiche hatte Otho allgemeine Anerkennung gefunden. 
Nur der Westen trat für den von der Rheinarmee am I.Januar 
in der Hauptstadt der Ubier erhobenen A.Vitellius ein. Ohne 
Säumen rückten seine Legaten, Caecina und Valens, gegen 
Italien vor und besiegten unweit Creftiona bei Bedriacum die 
Streitmacht Othos. Das Unerwartete geschah: dieser gab 
sich selbst den Tod. 

In dem Wesen dieses Mannes sind ganz entgegenge- 
setzte Eigenschaften vereinigt. Grausam gegen Galba und 
Piso, lässt er gegen die Angehörigen des Vitellius Milde 
walten. Gewandt und vornehm in seinem Auftreten, der 
Gemahl der schönsten Frau, hatte er diese, um Einfluss zu 
gewinnen, dem Nero abgetreten und war dann in die ent- 
legenste Provinz entfernt worden. Der weichliche Höfling, 
der in Neros Umgebung sich in jeglicher Lust geschult hatte, 
wusste sich doch, als die Stunde der Not schlug, zu zügeln 



^) Hist. 1, 45, 47. 

«) Hist. 1, 83. Vgl. H. Schiller, Kaisergeschichte, I, S. 375. 
") Auf den Münzen heisst er Imp. M. Otho Caesar Angustus, ebenso 
in den Arvalakten. Vgl. Herzog, a.a.O., S. 285. 

Asbach, Kaisertom und Verfassoog. ^ 



50 Erstes Buch. 

und Entscheidungen zu treffen, wie sie der Lage angemessen 
waren. Sein Ausgang vollends hat den sonst herbe urteilen- 
den Tacitus für ihn eingenommen. In der Seele des Mannes 
habe Sinn für ewigen Nachruhm geschlummert und durch den 
herrlichsten Entschluss sei das grosse Verbrechen seines 
Lebens, die Ermordung Galbas, gesühnt worden. Die Farben, 
mit denen er Othos Ende malt, hat Tacitus aus unzureichen- 
der Kenntnis der Verhältnisse und aus Hass gegen Vitellius 
gemischt. Ohne gerade die ÜberUeferung zu fälschen, hat er 
den Verlauf der Katastrophe von Bedriacum verschoben und 
dadurch die historische Wahrheit auf den Kopf gestellt. In 
der That hatte die Unterwerfung seiner Generale das Schick- 
sal des Imperators entschieden. Denn hätte sich auch der 
Kampf noch einige Wochen hinziehen lassen, nach 3em 
Übertritt der Hauptarmee mit den illyrischen Truppen waren 
für Otho alle Aussichten verloren, seiner Sache eine günstige 
Wendung zu geben ^). Da für diese Sache zugleich der Senat 
eingetreten war, so hatte er zuletzt gegen einen Usurpator 
mid fremde Eroberer gekämpft. 



ACHTES KAPITEL. 

Vitellius und Vespasian. 

Unter den Persönlichkeiten , an denen sich die historische 
Muse des Tacitus versucht hat, ist schweriich eine zu nennen, 
die mit dem gleichen Grade von Hass und Verachtung wie 
Vitellius gezeichnet wäre. Wie er es meisterhaft verstand, 
durch Färbung seiner Darstellung und Weglassung wesent- 
Ucher Züge den Charakter Othos „zu adeln und zu heben*^, 
so hat er mit derselben Kunst der Colorierung allem, was 
Vitellius that und liess, den Stempel des Gemeinen auf- 
gedrückt. 

In den Augen ernsthafter Männer sei sein Benehmen 
niederträchtig gewesen; seine Anhänger hätten es Freund- 
lichkeit und Güte genannt, weil er ohne Mass und Urteil eige- 
nes und fremdes Vermögen vergeudete. Wenn ihm auch eine 
gewisse Geradheit des Charakters nicht abgesprochen wird, so 
schwächt der Autor dieses Lob durch die Einschränkung ab, 
dass sie aus der Unfähigkeit Tugenden zu erheucheln und Fehler 
zu verdecken entsprungen sei^). Und immer verhängnisvoller 
entwickeln sich diese Fehler. Vom Waffenlärm umtost, am 
hellen Tage trunken, von Speisen überladen, kostet er im vor- 
aus das Glück der Alleinherrschaft, indessen der Eifer des Heeres 

^) Th. Mommsen, Cornelius Tacitus und Cluvius Rufus. Hermes IV 
S. 310 fg. 

*) Hist. 1, 52. 1, 62. 2, 57. 58. 3, 56. 86. 



8. Vitellius und Vespasian. 51 

zugleich die Pflichten des Soldaten und des Führers erfüllte. 
Dieser wird auf eine Stufe mit Tieren gestellt, die sich nur 
regen, wenn ihnen Trank und Speise gereicht wird. Den 
Caesarnamen, den er anfangs abgelehnt hatte, nimmt er zu- 
letzt aus Furcht des guten Omens wegen an. Auf ein so 
geartetes Gemüt machte das Gerede der Leute einen tiefern 
Eindruck als weiser Rat. Schliesslich würde er seines Kaiser- 
tums vergessen haben, wenn ihn andere nicht daran erinnert 
hätten. Gewiss hatte Vitellius eigene Verdienste nicht auf- 
zuweisen und sein Emporkommen in erster Linie dem Namen 
seines Vaters zu danken. Auch Galba ernannte ihn nicht 
wegen seiner Würdigkeit, sondern weil er wegen seiner Nei- 
gung zu den Freuden der Tafel ungefährlich schien, auf 
Empfehlung des T. Vinius zum Legaten des niedergermani- 
schen Heeres. Daselbst hatte er die Ergebenheit seiner Leute 
durch Offenheit und Leutsehgkeit gewonnen, Eigenschaften, 
für die zu allen Zeiten Soldatenherzen empfänglich waren. 

Nach Othos Untergang beeilte sich der Senat, den Sieger 
anzuerkennen, und mochte dieser auch die Anknüpfung an 
die Caesaren verschmähen, so hat er doch, statt sein Im- 
perium vom 2. Januar, dem Tage, an dem ihn seine Legionen 
erhoben hatten, zu rechnen, den Tag dieses Senatsbe- 
schlusses als dies imperii betrachtet. 

Sonst war Vitellius nicht gesonnen, dem Senat Entgegen- 
kommen zu beweisen. Schon in Lugudunum hatte er durch 
eine symboUsche Handlung unzweideutig dargethan, dass er 
die Herrschaft in seiner Familie erblich zu machen wünsche. 
In feierlicher Versammlung nahm er damals zwischen seinen 
Legaten Valens und Caecina auf einem kurdischen Sessel 
Platz und liess das ganze Heer seinem Söhnchen, das er auf 
dem Schosse hielt, huldigen, legte ihm seinen eigenen Namen 
Germanicus bei und bekleidete das Kind mit dem Feldherrn- 
mantel und allen Abzeichen fürstlicher Hoheit. 

Seine Scharen hausten schlimmer in ItaUen als die Horden 
des Brennus: Krieger in Tierfelle gehüllt, mit Ungeheuern 
Waffen ausgerüstet, hielten in Rom wie in einer eroberten 
Stadt ihren Einzug. Eine neue Garde, bis auf 16000 Mann 
verstärkt und vorwiegend aus der Rheinarmee gebildet, 
sollte für die neue Regierung der Rückhalt sein und der 
Ritterstand entschieden bevorzugt werden i). Während der 
Freigelassene Asiaticus in den wichtigsten Angelegenheiten 
eine entscheidende Rolle spielte, wurde der Senat, der noch 
vor kurzem mit Galba die Herrschaft geteilt und unter Otho 



*) Tac. bist. 1, 58: Ministeria principatus per libertos agi solita in 
aqnites Romanos disponit. Sueton, Vitellius 12. 

4* 



52 Erstes Buch. 

seine Würde gewahrt hatte, nach Siegerrecht behandelt, als 
ob er einer fremden Nation angehörte. 

Hatte schon Otho das Andenken Neros erneuert, seine 
Standbilder wieder aufgerichtet, seine Procuratoren und 
Freigelassenen wieder in ihre alten Ämter eingesetzt und die 
Mittel zur Vollendung des ;, goldenen Hauses^' bewilhgt, 
Vitellius ging, um sich bei der Menge beliebt zu machen, 
in dieser Beziehung noch weiter. Mitten auf dem Marsfelde 
brachte er, umgeben von einer zahlreichen Schar von Staats- 
priestern, Nero ein Totenopfer, bei seinen Gastmählern liess 
er Neros Lieder vortragen und sein ,,goldenes Haus*^ der 
Vollendung entgegenführen. 

Des Vitellius Schalten und Walten hatte ein ganz un- 
römisches Gepräge. Sueton drückt dies mit den Worten 
aus : er habe sich über alles göttliche und menschliche Recht 
hinweggesetzt. Nichts kann dafür bezeichnender sein als die 
von demselben Gewährsmanne mitgeteilten Thatsachen, dass 
er am Tage der AUiaschlacht die Würde des Pontifex Maxi- 
mus übernahm, die Beamten auf zehn Jahre im voraus 
bestimmte, sich selbst zum lebenslänglichen Konsul er- 
nannte. 

Diesem würdelosen Treiben setzten sich die Legionen des 
Ostens und der Donauländer entgegen. Sie waren empört 
über den Übermut der Fremden, die auf ihre Körperkraft 
pochten und mit barschen Worten die andern Soldaten ver- 
letzten. 

Der eingehende Bericht des Tacitus stellt es ausser 
Zweifel, dass Vespasianus, den der Gang der Ereignisse und 
eigene Tüchtigkeit zu einer grossen Rolle beriefen, erst nach 
längerm Schwanken, unter dem Einfluss, den sein Sohn 
Titus auf ihn ausübte, sich entschlossen hat, auf das An- 
erbieten des L. Licinius Mucianus, der sich auf seine syri- 
schen Legionen wie er selbst auf das palästinische Heer 
verlassen konnte , trotz seines hohen Alters einzugehen. Ehr- 
geizige Absichten hatte man unter Galba dem Cluvius Rufus, 
der das diesseitige Spanien, und dem Lucceius Albinus, der 
Mauretanien verwaltete, vielleicht mit Unrecht, zugeschrieben. 
An Vitellius hatte niemand, an Vespasian nur wenige ge- 
dacht. Als aber das Reich in die Hände der germanischen 
Eroberer geraten war, konnte neben dem General, der sich 
in allen Stufen des Dienstes bewährt halte und dessen Wach- 
samkeit, Sparsamkeit und Klugheit in aller Munde waren, 
ein anderer umsoweniger in Frage kommen, weil in seinen 
beiden Söhnen, besonders in dem ehrgeizigen, hochgebil- 
deten, der höchsten Stellung gewachsenen Titus, die Nach- 
folge und die Zukunft des Reiches gesichert waren. Vater 



8. Vitellios und VespaslaD. 53 

und Sohn hatten ihr Ohr längst glückverheissenden Orakel- 
sprüchen und Konstellationen geliehen. Auf die Nachricht von 
der Erhebung Galbas trat Titus eine Reise nach Rom an, um den 
neuen Imperator zu beglückwünschen, Ehrenstellen zu erlangen 
und sich durch Verdienste um den kinderlosen Greis der Adop- 
tion würdig zu machen. Schon war er bis Korinth gekom- 
men, als er gleichzeitig von der Erhebung Othos und der 
Empörung des Vitellius hörte. Nachdem er mit seinen 
Freunden zu Rate gegangen, entschloss er sich, den Gang 
der Ereignisse unter dem Schutze der Legionen seines Vaters 
abzuwarten, und kehrte über Kypros nach Syrien zurück. Auf 
Kypros liess er sich im Tempel der Venus Paphia eine 
glänzende Zukunft weissagen, während die Gedanken Ves- 
pasians durch wunderbare Vorzeichen längst auf die höchste 
Stufe menschlichen Glücks gelenkt waren. Eines Abends 
kam eine stattliche Cypresse auf seinem Landgate unerwartet 
zu Falle; am folgenden Tage schaute man, wie sie sich an 
derselben Stelle erhob, von neuem grünte und ihre Äste 
höher und breiter entfaltete. Seine Freunde hatten dies Prodi- 
gium auf das Konsulat, und als er dieses erlangt hatte, auf 
das Imperium bezogen. Dem Legaten hatte dann auf dem 
Berge Karmel, wo an uralter Opferstätte ohne Tempel und 
Bild die Gottheit verehrt wurde, der Priester Basilides den 
von Tacitus aufgezeichneten Spruch gegeben: „Was du auch 
im Sinne führen magst, ein Haus zu bauen, Grundbesitz zu 
erwerben oder die Zahl der Sklaven zu vermehren, dir wird 
ein ausgedehnter Herrensitz eigen sein, weite Grenzen, eine 
grosse Menge ünterthanen. " Es konnte nicht fehlen, dass 
durch diesen neuen Seherspruch die Erinnerung an eine alte 
Weissagung belebt wurde, kommen werde die Stunde, wo 
nach dem Willen des Schicksals Männer aus Judaea zur 
Weltherrschaft gelangen würden. In den weitesten Kreisen, 
in denen diese Sprüche von Mund zu Mund gingen, regte 
sich das Gefühl für die kommende Veränderung der Dinge. 
Man ahnte, dass eine Verjüngung der römischen Welt durch 
neue Männer und neue Ordnungen bevorstand. 

Von Alexandria waren Caesar und Octavian nach Rom 
zurückgekehrt, um ihre Herrschaft in feste, verfassungs- 
mässige Formen zu bringen und den Frieden dem Reiche zu 
sichern. In Alexandria ist Vespasian am 1. Juli 69 zum Kaiser 
ausgerufen worden, und erst fünf Tage später folgten diesem 
Vorgange die Legionen in Judaea. Alexandria hat er als den 
Schlüssel des Mittelmeeres selbst behauptet, bis seine Partei- 
gänger sich Italiens und der Hauptstadt versichert hatten. In 
Ägypten glaubte die Menge unerhörte Zeichen und Wunder 
wahrzunehmen. Widerstrebend musste der Kaiser, als wenn es 



54 Erstes Bach. 

für sein Glück nichts Unmögliches gebe, mit seinem Speichel 
die Augen eines Blinden benetzen, mit seiner Fusssohle einen 
Gelähmten berühren. Im Tempel des Serapis erblickte er 
hinter seinem Rücken einen vornehmen Ägypter Basilides, 
der in jenem Augenblick 80 Mihen weit entfernt weilte. 
^Diese Wunder*, bemerkt Tacitus, ;, erzählen Augenzeugen 
auch jetzt noch, wo mit der Erdichtung nichts mehr zu ge- 
winnen isf^i). 



-^^^►f'^s^«*- 



*) Hist. 4, 81, 82. 



Zweites Buch. 



Die Monarchie der Flavier. 



■» ^' 



ERSTES KAPITEL. 

Die Beendigung des Bürgerkrieges und 
Vespasians Rückkehr nach Rom. 

Während der Prinzeps durch Zeichen und Wunder seinen 
Anspruch, der von den Göttern berufene Nachfolger des Augus- 
tus zu sein, beglaubigen liess, waren die Legionen des Orients 
aufgebrochen, um durch die Gewalt ihrer Waffen dem von 
ihnen erhobenen Imperator die Anerkennung des Westens 
zu erzwingen. Gleichzeitig traf Titus seine Vorbereitungen, 
um die Bergveste Jerusalem, in die sich die Juden, im Felde 
allenthalben besiegt, zu verzweifeltem Widerstände zurück- 
gezogen hatten, mit einer gewaltigen Gircumvallationslinie 
einzuschliessen. 

In ItaUen gestaltete sich der Verlauf der Begebenheiten 
für die Flavier günstiger, als die kühnsten Erwartungen an- 
genommen hatten. Mit den illyrischen Legionen war der ver- 
wegene Antonius Primus, dem Mucianus zuvorkommend, unter 
Preisgebung der Alpengrenze auf dem kürzesten Wege an den 
Po geeilt. Auf derselben Walstatt, auf der im Frühjahr Otho 
unterlegen war, trug die umsichtige Führung des Antonius 
Primus in den letzten Tagen des Oktobers den Sieg über 
die Tapferkeit der Vitellianer davon; er besetzte darauf die 
wichtigsten Plätze der Halbinsel. Schon damals liess er die 
Bilder Galbas, die während des Krieges gestürzt worden waren, 
in allen Municipien wieder aufrichten, um das Verfassungs- 
mässige des neuen Regiments unzweifelhaft darzuthun.i) 

Die Flotte, die bei Ravenna ankerte, war gleich im 



^) Tac. bist. 3, 7: Galbae imagines discordia temponim sub veraas in 
Omnibus municipiis recoli iussit Antonios, decorum pro causa ratus, si 
placere Galbae principatus et partes revirescere credereutur. Tacitus 
bemerkt dazu, dass dieser Massregel eine grössere Wichtigkeit beigelegt 
wurde, als sie in der That verdiente. 



58 Zweites Buch. 

Beginne des Feldzuges zu ihm abgefallen; jetzt wurde auch 
auf den Schiffen in Misenum die Fahne der Flavianer auf- 
gepflanzt. So beherrschten diese das ganze Meer und be- 
drohten von allen Seiten die Küsten Italiens. Auf die wenigen 
Truppen, die dem Vitellius noch zur Verfügung standen, 
konnte sich dieser, als der Untergang des Fabius Valens, des 
treuesten seiner Parteigänger, bekannt geworden war, nicht 
mehr verlassen. Sie stiegen mit ihren Feldzeichen und Fähn- 
lein auf die Ebene bei Narnia hinab und wurden von Antonius 
mit freundlichen Worten in sein Heer aufgenommen. Vitellius 
sah sich auf die Stadt Rom beschränkt. 

Hier hatten sich die angesehensten Bürger um den 
Stadtpräfekten Flavius Sabinus, den altern Bruder Vespasians, 
geschart. Dieser vermittelte mit Vitellius , der alles verloren 
gab, ein Abkommen; er war bereit, auf das Imperium zu ver- 
zichten, wenn ihm in Itahen ein ehrenvoller Wohnsitz zuge- 
sichert wurde. Aber die Partei, die zu ihm gehalten, und 
die Reste der germanischen Legionen waren mit seiner Ab- 
dankung nicht einverstanden. In dem Augenblick, als er die 
kaiserliche Wohnung verliess, zwangen ihn seine Soldaten, 
gegen die geschlossene Abkunft wieder als Imperator aufzu- 
treten. Ja er liess sich, der Not des Augenblicks gehor- 
chend, Augustus und Caesar nennen i). In der Stadt ent- 
brannte ein offener Kampf; Flavius Sabinus suchte mit seinen 
Anhängern Schutz auf dem Capitol, das, von den Vitellianem 
angegriffen, in Flammen aufging, während Flavius Sabinus 
dabei ums Leben kam. 

Diese blutigen Vorgänge bestimmten Antonius Primus , mit 
bewaffneter Hand in die Stadt einzudringen und vor den 
Augen der Bürger den letzten Widerstand der Vitellianer im 
Blute von fünfzigtausend Menschen zu ersticken. Der Kaiser, 
den man aus einem Verstecke hervorgezogen hatte, wurde 
von einem seiner Soldaten misshandelt, durch die Strassen 
geschleppt und, mit Wunden bedeckt, die gemonischen Stafen 
hinab in den Tiber geworfen (20. Dez.). 

„Zu des Staates Vorteil gereichte es ohne Zweifel, dass 
Vitellius besiegt ward. Aber zum Verdienst können sich ihre 
Treulosigkeit nicht anrechnen, die Vitellius dem Vespasian 



^) In den Arvalakten heisst der Kaiser bloss ViteUins GermanicnB 
Imperator, auf einigen Münzen auch Aug. — Tac. bist. 1, 62: Caesarem 
86 appellari etiam victor prohibuit. 2, 62: Praemisit in nrbem edictamy quo 
vocabulnm Ang^ti di£ferret, Caesaris non reciperet, cum de potestate nihil 
retraberet 2, 90: Nomen Augusti expressere at adsnmeret. 3,58: Quin et 
Caesarem se dici Toluit, aspematos antea, sed tone snperstitione nomiinf. 
Vgl. Herzog, a.a.O. S.285. 



1. Die Beendigung des Bürgerkrieges n. s. w. 59 

verrieten, da sie von Galba abgefallen waren/' Mit diesen 
Worten sehliesst das dritte Buch der Historien des Tacitus ab. 

Antonius Primus hatte schon begonnen, in der eroberten 
Stadt, in der die ungeordneten Zustände fortdauerten, den 
Herrn zu spielen, als Mucianus ankam und eben so sehr durch 
politische Einsicht wie durch das Gewicht seiner Persönlich- 
keit den Sieger von Cremona in den Schatten stellte. Nach- 
dem die unzuverlässigen Trappen entfernt und des Antonius 
Macht gebrochen war, stellte er ohne Mühe die Ordnung 
wieder her. Von Bewaffneten umgeben, Wohnungen und 
Gärten wechselnd, eignete er sich in Pracht, Aufzug und 
Wachen die Gewalt eines Fürsten an und verzichtete nur auf 
den Namen^). In die furchtbare Krisis, die Italien und Rom 
am schreckUchsten heimsuchte, waren alle Teile des Reiches 
mehr oder weniger hereingezogen worden. Da war es für 
die Befestigung einer dauernden Herrschaft von Bedeutung, 
dass des Vespasianus Hände von Bürgerblut frei blieben. Im 
Herbste 70 beeilte er sich, nach Italien zurückzukehren, 
„um des Friedens und seiner Familie zu walten'' und vor allem 
Domitian in seine Schranken zu weisen, der die Grenzen 
seines Alters und seiner Sohnespflicht überschritten hatte*). 
Die schnellsten Schiffe befrachtete er mit Getreide und 
vertraute sie dem noch tobenden Meere an. Schwebte doch 
die Stadt in grosser Gefahr, da nur noch für zehn Tage die 
Speicher mit Korn versehen waren. Schon vorher war auf 
Befehl des Mucianus der Sohn des Vitellius und Calpurnius 
Galerianus, der Sohn des von Galba adoptierten Piso, ums 
Leben gebracht worden, weil die Zwietracht fortbestehen 
werde, wenn er den Keim des Krieges nicht vernichte. Über- 
haupt war die Macht in Mucians Händen, wenn auch mit 
dem Namen des Caesar Domitianus, der an Stelle des Julius 
Frontinus Anfang Januar die städtische Prätur übernommen 
hatte, Briefe und Edikte eröffnet wurden 3). 

Gesetze und Geschäfte der Beamten kehrten, nachdem 
das Kriegsvolk entfernt war , in die Stadt zurück. Auch der 
Senat trat mit einem bedeutsamen Beschlüsse in seine Thätig- 
keit ein. Auf Domitians Antrag wurde Galbas Andenken 
wiederhergestellt. Für Piso war ein Gleiches beschlossen 
worden, ohne dass der Beschluss zur Ausführung kam. Aber 
ein allgemeiner Sturmlauf gegen die Ankläger wurde nicht 
unternommen, so sehr eine Partei im Senate darauf drang. 
Das Signal dazu war allerdings gegeben, als Publius Geier, 
der den Barea Soranus durch ein falsches Zeugnis gestürzt 

*) HiBt. 4, 11. 4, 39. 
•) Hist 4, 51, 52. 
»j Hist 4, 11, 40. 



60 Zweites Buch. 

hatte , auf Antrag des Musonius Rufus , eines der Wortführer 
der stoischen Partei, verurteilt und so den Manen des So- 
ranus Genugthuung geleistet ward. Junius Mauricus wagte 
es, den Caesar zu bitten, er möge dem Senate Einsicht in 
die Denkschriften der früheren Regenten verstatten, um dar- 
aus zu ermitteln, wen jemand zur Anklage sich erbeten habe. 
Die Sache wurde an den Kaiser verwiesen. Zunächst ver- 
fasste der Senat nach dem Vorgange der Angesehensten 
eine Eidesformel, nach welcher um die Wette alle Beamten 
und die übrigen, wie sie gefragt wurden, die Götter zu Zeugen 
anriefen, dass durch ihre Schuld niemand gefährdet worden, 
dass sie weder Lohn noch Ehre aus der Not ihrer Mitbürger 
geerntet hätten. Wer kein reines Gewissen hatte, suchte den 
Wortlaut der Eidesformel zu verändern, während die Sena- 
toren bei dem einen ihr Vertrauen zu erkennen gaben, an- 
dere tadelten, ein Sittengericht, das besonders schwer auf 
Sariolenus Vocula, Nonius Attianus und Cestius Severus 
lastete, die sich als Delatoren unter Nero hervorgethan hatten. 
Auf Sariolenus, der dasselbe Gewerbe unter Vitellius betrieben, 
drangen die Väter mit geballten Fäusten ein, bis er sich aus 
der Kurie entfernte. ÄhnHch erging es dem Pactius Africanus, 
der für den Sturz der Scribonier verantwortUch gemacht 
wurde. Eine donnernde Rede des Curtius Montanus gegen 
Aquillius Regulus, den der Sturz des Hauses der Crasser 
und des Orfitus zum Gegenstande des grössten Hasses ge- 
macht hatte, hörte der Senat mit solcher Zustimmung, 
dass Helvidius Priscus Hoffnung fasste, es Hesse sich auch 
wohl Eprius Marcellus stürzen. Indem er anhob mit des 
Cluvius Rufus Lobe, der nicht minder reich und beredt, unter 
Nero niemanden gestürzt habe, brachte er den Eprius mit 
der Beschuldigung und dem Vergleiche ins Gedränge und 
versetzte den Senat in leidenschaftliche Aufregung. Als Mar- 
cellus dies bemerkte, sagte er, als wolle er die Kurie ver- 
lassen: ;,Wir gehen, Priscus, und überlassen Dir Deinen 
Senat; sei König in des Caesars Gegenwart''. Ihm schloss 
sich Vibius Crispus an, beide erbittert, doch mit verschie- 
dener Miene, drohend Marcellus, höhnisch lächelnd Crispus, 
bis sie von herbeieilenden Freunden zurückgezogen wurden. 
Auf der einen Seite, so fährt Tacitus fort, stand die besser 
gesinnte Mehrheit, auf der andern wenige und einflussreiche 
Männer. So ging unter Zwietracht der ganze Tag hin*). 

In der nächstfolgenden Senatssitzung machte Mucianus 
dem unerfreuUchen Treiben ein Ende. Er nahm sich mit 
Wohlwollen der Ankläger an und gab denen, die eine begon- 
nene und dann abgebrochene Untersuchung wiederaufnehmen 
wollten, ein en gelinden Verweis. Und die Väter liessen die 

») Hist. 4, 41—44. 



1. Die Beendigung des Bürgerkrieges n. s. w. 61 

erstrebte Freiheit, sobald man ihnen entgegenwirkte, fallen 
und gaben sich zufrieden, als Mucian die Senatoren Oetavius 
Sagitta und Antistius Sosianus, die ihr Exil verlassen hatten, 
als verworfene Menschen auf die ihnen früher angewiesenen 
Inseln zurückwies, jj, Unbedeutend waren Sosianus und Sagitta, 
auch wenn sie zurückgekehrt wären. Man fürchtete nach 
wie vor der Ankläger Talente, Reichtum und ihren in allen 
schlimmen Ränken geschulten Einfluss*. 

Waren in Rezug auf die Restrafung der Delatoren die 
meisten Senatoren einig, so gingen in einer andern Frage 
die Anhänger der stoischen Richtung ihren eigenen Weg. Im 
Senate wurde über die Frage verhandelt, ob die an Vespa- 
sian abzuordnenden Gesandten durch das Los bestimmt oder 
von den Magistraten namentlich gewählt werden sollten. 
Helvidius Priscus verlangte die Losung und begründete seinen 
Antrag mit der Erwägung, dass Vespasian, der in enger 
Verbindung mit den Gegnern der Regierung Neros, mit 
Thrasea und Soranus, gestanden habe, eine Regrüssung durch 
Männer dieser Gesinnung nicht verübeln könne. Aber die 
Mehrheit lehnte es ab, auf die Wünsche einer Partei einzu- 
gehen, die fast seit der Regründung der Monarchie dieser 
grundsätzhch nur Schwierigkeiten bereitet hatte. Frühere 
Zustände, so führt bei Tacitus der redegewandte Eprius 
Marcellus aus, dürfe er bewundern, er halte es aber mit 
den gegenwärtigen; gute Regenten seien Gegenstand seiner 
Sehnsucht, er nehme sie aber, wie sie auch seien, getrost 
hin. Von Thrasea habe sich der Senat losgesagt, Helvidius 
möge immerhin an Charakterstärke mit Cato und Rrutus 
wetteifern; er selbst vergesse nicht, dass er Mitglied des 
Senates sei, der mit ihm sich gefügt habe. Es fromme nicht, 
sich über den Fürsten emporzuheben und den Vater er- 
wachsener Söhne zu hofmeistern. Wie den schlimmsten 
Regenten eine schrankenlose Gewaltherrschaft, so gefalle den 
trefflichsten Mässigung der Freiheit. 

Der Senat bemühte sich überhaupt, dem neuen Regenten 
das grösste Entgegenkommen zu beweisen. Als Helvidius 
eine Entscheidung über die Einschränkung der Ausgaben 
herbeiführen wollte, stellte es sich heraus, dass der Senat 
nicht geneigt war, über eine so wichtige Angelegenheit 
einen Reschluss zufassen, ehe der Kaiser zurückgekehrt war. 
Und über desselben Mannes kühnen Antrag, das Kapitol auf 
Staatskosten wiederherzustellen und auch Vespasian zur 
Deckung des Aufwandes heranzuziehen, gingen die Gemässig- 
ten mit Schweigen hinweg^). 



*) Hist. 4, 8—11. 



62 Zweites Buch. 

Zwischen Prinzeps und Senat wurde, um des erstem 
Gewalt genau zu begrenzen, ein Vertrag geschlossen, der 
dank einem glücklichen Zufalle bis auf den verloren gegan- 
genen Anfang erhalten ist^). Man darf annehmen, dass Ves- 
pasian selbst auf diese Formulierung der ihm zustehenden 
Rechte gedrungen hatte und dass der Senatsbeschluss durch 
eine formelle Abstimmung in den Comitien genehmigt wurde. 

Dem Vespasian werden darin die Befugnisse übertragen, 
die vor ihm Augustus, Tiberius und Claudius wirklich ausge- 
übt hatten. Aber wie die Namen des Gaius und Nero aus 
der Urkunde ausgeschlossen sind, so sollen in Zukunft die 
von diesen geübten Gewaltsamkeiten nicht mehr vorkommen 
und der Prinzipat sich in den Formen eines gesetzmässigen 
Amtes halten. Aber welche Machtfülle vereinigt in den Hän- 
den des Prinzeps die Befugnis, ;, alles, was nach seiner Mei- 
nung im Interesse des Staates und der Majestät göttlicher 
und menschlicher, öffentlicher und privater Dinge ist, so zu 
erledigen, wie es dem Augustus, Tiberius und Claudius ge- 
stattet war^'! Von denselben Gesetzen und Volksbeschlüssen 
wie diese soll auch Caesar Vespasianus entbunden sein. 

Die Legionen hatten ihn zum Imperator erhoben, während 
ein anderer, den der Senat anerkannte, noch regierte. Nach 
dessen Tod hatte man sich beeilt, nicht nur diesen Akt zu 
genehmigen, sondern auch seine Regierung*) und alle in 
Frage kommenden Rechte, eingeschlossen die tribunicische 
Gewalt, bis zum 1. Juli, dem Tage, an dem die Truppen in 
Alexandria ihn als Imperator ausgerufen hatten, zurückzu- 
datieren. Wie anders war bei Galba verfahren worden! Er 
hatte anfangs auf den Imperatortitel verzichtet und sich be- 
gnügt, als ,legatus senatus ac populi Romani* .aufzutreten, 
bis der Senat ihn proklamierte. Dem neuen Regimente 
eignete ein vorwiegend militärischer Charakter; dem ent- 
sprach es, dass der Name Imperator, den die Vorgänger ver- 
einzelt geführt hatten, von nun an ausnahmslos in * der 
Form des Praenomens als wesentlicher Bestandteil der Titu- 
latur geführt ward. Zugleich mit den Einrichtungen, die die 



^) Bruns, Fontes Iuris Romani, S.A. S. 118. O. Hirschfeld, Unter- 
suchungen auf dem Gebiete der römischen Verwaltungsgeschichte, S.289 A.4, 
bezweifelt, dass der verlorene Anfang der Urkunde die Erwähnuug der 
tribunicisclien Gewalt enthalten habe , da es sich nicht um eine Übertragung 
des Prinzipates, sondern um eine Begrenzung der damit verbundenen 
Gewalt handelte. Tacitus hat dies Senatskonsult bist. 4, 3 im Sinne: 
Senatus cuncta principibus solita Yespasiano decernit . . . 

*) Tac. bist. 2, 79: Isque primus principatus dies in postemm eele- 
bratus (vom 1. Juli). Vgl. Chambalu, De magistratibus Flaviorum 
S. 7 A. 1. 



1. Die Beendignog des Bürgerkrieges u. s. w. 63 

Julier geschaffen hatten, wurden die Namen Caesar und 
Augustus in der frühem Bedeutung herübergenommen. 

Als der Träger dieser Namen im Herbste des J. 70 nach 
Born zurückkehrte, stand das Reich, das ein Jahr zuvor 
nahezu aus den Fugen gegangen war, fester denn je da. Den 
Hauptanteil an diesem Erfolge hat Mucianus, ein zweiter 
Agrippa, an Verdiensten um die Begründung der Dynastie 
diesem überlegen, aber an sittlicher Kraft und weltgeschicht- 
licher Bedeutung mit dem Sieger von Aktium nicht zu ver- 
gleichen. 

Der Gewalt der Waffen hatte Vespasian sein Kaisertum 
zu danken; aber Gewaltsamkeit und Willkür lagen seinem 
gesunden, kernigen Wesen fern. Fest und mild in seinem 
Auftreten, verband er mit einer reichen Erfahrung, die er in 
der Verwaltung verschiedener Provinzen gesammelt hatte, 
einen praktischen Verstand, der ohne Mühe in jedem Dinge 
das Wesentliche erkannte, und einen ökonomischen Sinn, wie 
er sich bei alten Leuten findet, die mühsam einen grössern 
Besitz erworben haben. Diese Eigenschaft schien an Hab- 
sucht zu grenzen; wenn diese von den Geschichtschreibem 
übereinstimmend getadelt wird, so fügen sie gleich hinzu, 
dass er von dem schlecht erworbenen Gelde den besten 
Gebrauch gemacht habe. Ohne diesen Charakterfehler wäre 
er den grossen Heerführern der Vorzeit gleichgekommen. In 
der That erinnert diese herbe und derbe Natur an die alten 
Plebejer, die ihr Landgut nur verliessen, um im Rate, auf 
dem Forum und im Kriege ihre Pflicht zu thun,* an M'. Curius 
Dentatus oder M. Porcius Cato. Von namhaften Männern 
der neuem Zeiten möchte ihm Oliver Cromwell am nächsten 
stehen, der auch als Protektor von England der einfache 
Landedelmann blieb, nur gewaltsamer als Vespasian auftrat, 
aber wie dieser in religiösen Ideen lebte. Vespasian war 
trotz seiner praktischen Geistesrichtung mystischen Anwand- 
lungen zugänglich. Er glaubte an schicksalverkündende 
Träume, an seine und seiner Söhne Sterne, an die Vorzeichen 
und Wunder, mit denen die Götter sein Emporkommen be- 
gleitet hatten. Auf dem Throne pflegte er die Erinnerung an 
seine ländliche Heimat; man sah ihn an Festtagen aus dem 
silbernen Becher seiner Grossmutter trinken, unter deren 
Obhut er seine Jugend verlebt hatte. Als man ihm einen - 
Stammbaum zeigte, worin der Ursprung seiner Familie auf 
einen der Gefährten des Herakles, des angeblichen Gründers 
von Reate, zurückgeführt war, begann er zum Verdruss des 
Titus lächelnd von seinem Grossvater, einem cisalpinischen 
Landmanne, zu erzählen i). Allem Prunke abgeneigt, lebte 

*) Sueton, Vesp. 12. 



64 Zweites Buch. 

er wie ein wohlhabender Bürger, einfach und massig. War 
schon Galba mit eigenem Beispiele vorangegangen, um den 
Verheerungen, die der Luxus der Tafel zur Folge hatte, Ein- 
halt zu thun, Vespasian schritt auf dem betretenen Wege 
weiter und bewirkte vor allem durch sein Vorbild den Um- 
schwung der Sitte, dem Tacitus ein rühmendes Zeugnis aus- 
gestellt hat. 



ZWEITES KAPITEL. 

Regierungsweise Vespasians und 
Mitregentschaft des Titus- 

Dei einem Charakter, der auch in kleinen Dingen jedem 
Scheine abhold war, konnte es nicht fehlen, dass er auf das 
Wesen der Macht den grössten Wert legte und der Prinzipat 
Änderungen erfuhr, die dem von Augustus so weislich abge- 
wogenen Verhältnis zwischen Princeps und Senat wenig ent- 
sprachen, weil sie von durchaus monarchischem Geiste ge- 
tragen waren. 

Im Zusammenhange mit dieser Tendenz steht die Über- 
nahme der konsularen Eponymie , wie sie Augustus in seinem 
dauernden Konsulate gehabt hatte. Dies Vorrecht war ge- 
eignet, den Unterschied zwischen dem Regenten und dem 
Senate schärfer zum Ausdruck zu bringen und das Konsulat 
mehr als bisher von dem erstem abhängig zu machen. Die 
Zählung der Regierungsjahre nach der tribunicischen Gewalt, 
für deren Bedeutung Vespasian keinen Sinn hatte, tritt vor 
der konsularen Jahresbenennung zurück, die nur zweimal 
an Private abgetreten wurde. Für diesen Brauch ist es be- 
zeichnend, dass auf den Münzen kaiseriicher und senato- 
rischer Prägung die Ziffer des Konsulates regelmässig er- 
scheint, während die tribunicische Gewalt meist übergangen 
wird. Das höchste Jalu*esamt behielt der Kaiser in der Regel 
nur kurze Zeit. Im Jahre 70 blieben Vespasian und Titus 
während der ihnen zugemessenen Frist im Amte, im J. 71 
führte jener nach dem Rücktritte eines Privaten das Konsulat 
mit seinem Jüngern Sohne weiter. Aber seitdem hat einer 
der beiden Ordinarien, wahrscheinlich schon am 12. Januar, 
einem Ersatzmanne Platz gemacht, im J. 74 der Vater dem 
Silvanus Aelianus, im folgenden Jahre Titus seinem Bruder. 
So war auch Gaius in drei aufeinanderfolgenden Konsulaten 
im Laufe des Januar zurückgetreten, während die übrigen 



2. Regiemngsweise Vespasians und Mitregentschaft des Titas. 65 

Kaiser, namentlich Claudius und Nero, mehrere Monate im 
Amte bUeben. 

Häufiger als früher ist die Wiederholung des Konsulates. 
Während in der Augusteischen Zeit allein M. Agrippa dreimal, 
Statilius Taurus und Ti. Nero je zweimal, unter Tiberius 
einzig die Angehörigen des Kaiserhauses Germanicus und 
Drusus zum zweitenmale zum höchsten Amte berufen wurden, 
war unter Gaius nur M. Sanquinius im Genuss dieser Aus- 
zeichnung. Unter Claudius dagegen führte in den ersten fünf 
Jahren, jedesmal einer der Eponymen zum zweitenmale, im 
J. 47 L. Vitellius zum drittenmale die Fasces. Seitdem ist 
diese Wiederholung weder unter Claudius, noch unter Nero 
vorgekommen. Unter den Flaviern steigt ihre Zahl auf 
etwa 20. Männer wie Mucianus, Fabricius Veiento und Vibius 
Crispus haben drei Konsulate aufzuweisen. Die Wieder- 
holung war offenbar ein Mittel, verdiente, dem Herrscher- 
hause treu ergebene Männer über die übrigen Angehörigen 
der ersten Rangklasse zu erheben. 

Die Bedeutung des Konsulates wurde herabgesetzt, indem 
eine im J. 69 durchgeführte Neuerung, für die sich Analoges 
unter dem Triumvirat und in den ersten Jahren des Claudius 
findet, die Verkürzung der Konsularfunktion, Bestand gewann, 
die zugleich den Vorteil bot, dass auf diesem Wege die Zahl 
der Konsulare fast um das Dreifache vermehrt wurde. Unter 
Vespasian war den Eponymen und ihren Ersatzmännern eine 
viermonathche Amtsdauer zugemessen, auf die in der Regel 
vier zweimonatliche Fristen folgten. In den Jahren 81 und 
83 war nachweisbar auch das am 1. Januar antretende Paar 
nur zwei Monate im Amte. Vom J. 85 an bis auf Nerva 
sind nur viermonatliche Fristen ermittelt. 

Mit der regelmässigen Verkürzung der Konsularfunktion 
hängt auch das weitere Umsichgreifen des seit Einführung 
des halbjährigen Amtes nachweisbaren Brauches zusammen, 
die am 1. Januar antretenden Konsuln bei der Datierung zu 
bevorzugen. Nicht nur dass die Schriftsteller die suffecti 
durchweg unberücksichtigt lassen, auch in amtliche Kund- 
gebungen dringt diese Datierungsweise ein^). Täuscht nicht 
alles, so war unter den Flaviern eine formelle Regulierung 
der Fristen des Konsulates erfolgt. 

Im Juli des J. 71 kehrte Titus, nachdem er Jerusalem 
erobert und wohlerwogenem Entschlüsse zufolge samt dem 
Tempel zerstört hatte, nach Rom zurück und feierte zu- 



^) Vgl. As b ach, Zur Geschichte des Konsulates in der röm. Kaiser^ 
zeit, S. 213, in den Untersuchungen, A. Schaefer gewidmet. 

Asbachi Kaisertum und Verfassung. ^ 



66 Zweites Buch. 

sammen mit seinem Vater einen glänzenden Triumph, bei 
dem Domitian auf weissem Rosse dem Siegeswagen folgte. 

Titus hatten die Legionen schon am 5. August des 
J. 70 in dem Augenblick, als die Eroberung Jerusalems ge- 
sichert schien, als Imperator begrüsst^). Er, dem Tacitus 
eine besondere Fähigkeit zuschreibt, die Menschen für sich 
zu gewinnen, hatte im Orient die grössten Sympathieen. Die 
Soldaten suchten ihn mit Bitten^ ja mit Drohungen zurückzuhalten 
und beschworen ihn, entweder zu bleiben oder sie allesamt 
mitzunehmen, das heisst doch, sie waren bereit, ihm zu jedem 
Unternehmen die Hand zu bieten. Verschiedene Umstände 
wirkten zusammen, den Verdacht entstehen zu lassen, als 
habe er die Absicht gehabt, sich der Herrschaft über den 
Orient zu bemächtigen 2). Dieser Verdacht erhielt neue Nah- 
rung, als er auf der Reise nach Alexandria, mit einem Diadem 
geschmückt, der Consecration des Apis beiwohnte; es ent- 
sprach dieser Stirnschmuck zwar dem Ritus jener uralten 
Feier, wurde aber von manchen Leuten anders ausgelegt. 

Von der Spannung, die zwischen Vespasian imd dem 
siegreichen Imperator Titus bestand, legen die Konsularfasten 
ein beredtes Zeugnis ab. Im J. 71 übernahm Vespasian das 
Konsulat zusammen mit M. Cocceius Nerva, obschon nichts 
im Wege gestanden hätte, dass Titus abwesend das Kon- 
sulat übernahm. In den Frühjahrscomitien des J. 71 wurde 
Vespasian als cos IV, Domitian als cos II, in den Herbstcomitien 
Titus als cos II designiert; am 1. Jan. 72 trat dann Titus 
mit dem Vater in das Amt ein, während Domitian bis zum 
1. Januar 73 warten musste. Mittlerweile war das Zerwürfnis 
zwischen Vespasian und dem altem Sohne beigelegt worden'). 

Dieser hatte sich nach einigem Schwanken der väterlichen 
Autorität gefügt. Es giebt keinen Grund, an dem Berichte 
des Sueton zu zweifeln: Um allem Gerede die Spitze abzu- 
brechen , habe er seine Rückkehr nach Rom beschleunigt, sei 
auf einem Lastschiff nach Regium gefahren, dann nach. Pu- 
teoli geeilt und von dort mit grösster Schnelligkeit nach Rom 
gereist. Seinen überraschten Vater habe er mit den Worten: 



^) Fr. J. Ho ff mann, Qnomodo, quando Titus Imperator factos sit, 
S. 1 fg. S. 41: „Acclamationum comparatione efficitor Titnm imp. factum 
esse, cum Yespasianus recepisset acclamationem soptimam, aUquo tem- 
poris spatio post non. Apr. a. 71. Ad idem tempus Titi reditus atqne 
triumphus sunt revocandi". — Vgl. Pick, Zeitschr. für Numismatik 13, 
S. 48 : Der YIII. AcclamatioD des Vespasian entspricht die zweite des Titos, 
der XX. des Vaters, die XVII. des Sohnes. 

«) Philostratos, Apollonios 6, 29 8.243: 'EtisI T£xo€ 'jpVixst xi 
2öXufJia xal vsxpöv nXioL ^v Tcotvxa zöl Sfjtopoc xs SÖ-vy] ioxsqpo^vouv aOxöv, 
6 ti oöx Yj5£oü iauxdv zo^xorj. 

») Hoffmann, a. a. O. S. 44 fg. Chambalu, a. a. O. S. 16, 17. 



2. Begierungsweise Vespasians and Mitregentschaft des Titas. 67 

„Da bin ich, Vater, da bin ich* begrüsst und so die Grund- 
losigkeit jener Gerüchte bewiesen. Von da an sei er der 
ständige Teilnehmer, ja die Stütze der Herrschaft gewesen^). 

Nach Philostratos reiste Titus über Argos (?) , wo er mit 
ApoUonios von Tyana eine Unterredung hatte. Das Zwie- 
gespräch entspricht der Lage der Dinge. ^^Ich bin jetzt*^, sagte 
Titus, jjdreissig Jahre alt und eben zu der Würde berufen 
wprden, die mein Vater im 60. Jahre erlangte. Da fürchte 
ich, grösseres zu unternehmen, als sich für mich schickt*. 
Apollonios streichelte ihm den athletischen Hals und sagte 
dazu: ^Wer sollte einen Stier mit so mächtigem Nacken 
unter das Joch zwingen können?* ^Eben derjenige*, ant- 
wortete Titus, ,,der mich zum Kalbe aufgezogen hat*. Damit 
wollte Titus sagen, er werde sich stets seinem Vater unter- 
ordnen, der ihn von Jugend auf zum Gehorsam gewöhnt 
hätte. Darauf der Weise: keine Leier und Flöte könne eine 
, so liebliche Harmonie hervorbringen, als die Verbindung von 
Vater und Sohn. Denn wenn das Alter mit der Jugend gehe, 
so werde jenes an Kraft, diese an Zucht gewinnen 2). 

In der That war Titus seit dem 1. Juli 71 im Besitze der 
tribunicischen Gewalt, die als der formelle Ausdruck der Mit- 
regentschaft anzusehen ist. Die Designierung zum Nachfolger 
war schon in den letzten Monaten des J. 70 erfolgt. 

Die Denkmäler bekunden weiter, dass ihm im Sommer 
71^) auch der Imperatorname übertragen wurde mit der 
Massgabe, dass er ihn nicht als Praenomen, sondern zwischen 
den Namen zu führen habe, also T. Caesar imp. Vespa- 
sianus. Wie sein Vater zählte er seit dem 1. JuU 71 
die Acclamationen als Imperator, war sein Amtsgenosse in 
sechs Konsulaten, führte mit ihm gemeinsam die Censur und 
nahm am Münzrechte teil. Sueton berichtet noch*), dass Titus 
im Namen seines Vaters Verfügungen erUess, seine Reden 



^) Die Ausführungen Chambalus, Titus habe seinen Vater zur Be- 
willigung seiner Forderungen gezwungen, sind von Herrn. Schiller im 
Jahresberichte über die Fortschritte der klass. Altertumswissenschaft LH 
(1885) zurückgewiesen worden. Auch Herzog, Römische Staatsverfassung II, 
S. 291 A. 2, tritt dieser zu weit gehenden Auffassung entgegen und weist 
mit Recht auf die Urteile des Tacitus in den erhaltenen Büchern der 
Historien hin. 

•) Philostratos, vita Apollonii 6,27 S. 241 fg. Vgl. Deutsche Über- 
setzung von E. Baltzer S. 268. 

*) Ho ff mann, a. a. O. S. 34 setzt die Übernahme des imperium pro- 
consulare in die Zeit zwischen dem 5. April und 1. Juli. 

*) Sueton, Tit. 6: Receptaque ad se prope omnium officiorum cura, 
cum patris nomine et epistulas ipse dictaret et edicta conscriberet oratio- 
nesque is senatu recitaret etiam quaestoris vice praefecturam quoque prae- 
torii suscepit nunquam ad id tempus nisi ab equite Romano administratam. 

5* 



68 Zweites Buch. 

im Senat an Stelle des Quästors verlas und zuletzt das Kom- 
mando der Garde übernahm, das vordem nur römische 
Ritter verwaltet hatten. In der letzteren Stellung war er der 
Nachfolger des M. Arrecinus Clemens, eines Senators, den 
Vespasian allen Bedenken zum Trotz im J. 70 zum Präto- 
rianerpräfekten erhoben hatte ^). 

Titus nahm eine Stellung ein, wie sie bis dahin in der 
Geschichte des Prinzipates nicht vorgekommen war. Wenn 
man aber annimmt, dass er diese Stellung dem Vater ab- 
getrotzt habe und im Gegensatze gegen diesen behauptete, 
so findet diese Unterstellung in der gleichzeitigen und späteren 
Überlieferung keine Stützpunkte; im Gegenteil ist Vespasian 
nach vorübergehender Trübung seines Verhältnisses zu dem 
altern Sohne nach eigenem Plane und Willen dessen ehr- 
geizigen Wünschen entgegengekommen. Aber wie er den 
Augustusnamen und den Oberpontifikat sich vorbehielt, so 
gab er das Heft überhaupt nicht aus der Hand, und des Sohnes 
Loyalität ermöglichte es , die Herrschaft in einheitlichem Geiste 
zu führen. 

Freilich wurde dies nur auf Kosten des jüngeren Sohnes 
erreicht, der durchaus in der zweiten Rolle verharrte. Wäh- 
rend des Vaters Abwesenheit hatte dieser den Herrn ge- 
spielt , bis er durch Mucians überlegenen Geist gezügelt ward. 
Der Vater wies ihn nach seiner Rückkehr wegen der Über- 
schreitung seiner Befugnisse streng zurecht und liess ihn 
nicht mehr aus den Augen. Er musste, wenn er in Rom 
war, im Hause seines Vaters wohnen, und wenn die Re- 
genten sich öffentlich zeigten, hinter ihren Thronsesseln in 
einer Sänfte folgen. Und doch kam er in Besitz von 
Ehren, wie sie nur den zur Thronfolge berufenen Familien- 
mitgliedern zuteil geworden waren. Hatte Titus sieben 
ordentliche Konsulate erhalten, so gelangte Domitian sechs- 
mal zum Konsulat, im J. 73 als Ordinarius, in den übrigen 
Jahren als Suffectus, aber doch allemal im Anfange des 
Jahres als Ersatzmann des Vaters oder Bruders. Seit 72 
hatte er am Münzrecht Anteil, wenn auch zunächst auf die 
Befugnis beschränkt, durch den Senat Kupfer zu prägen, seit 74 
erscheint dieses Recht auf die Gold- und Silberprägung aus- 
gedehnt. Domitian war weiter mit dem Ehrennamen prineeps 
iuventutis ausgezeichnet, war MitgHed der grossen Priester- 
koliegien, und in ihren Voten ward seiner wie der Regenten 
gedacht. Lediglich hinter diesen stand er zurück. Freilich 
empfand der leidenschaftliche, unruhige Geist die Bevor- 



*) O. Hirschfeld, Rom. Verwaltungsgeschichte, S. 290. Tac, ann. 
4; 68: Ipsum quamquam seoatorio ordine ad utraque munia sufficere. 



3. Sicherung and Erweiterung der Reichsgreuzen. 69 

zugung des Bruders um so schmerzlicher, als ihm die Ge- 
legenheit versagt blieb, sich kriegerische Lorbeeren zu ver- 
dienen. Er hatte sich mit Mucianus auf den germa- 
nischen Kriegsschauplatz begeben, um eine Gelegenheit zur 
Auszeichnung zu suchen. Man erzählte , dass er im geheimen 
den Cerialis fragen liess, ob er auf ihn und sein Heer zählen 
könne. Ohne seine Wünsche befriedigt zu sehen, war er 
nach Rom zurückgekehrt. Als der Partherkönig Vologaeses 
von Rom Hülfe gegen die Alanen begehrte und einen von 
Vespasians Söhnen sich als Feldherrn ausbat, bot er alles 
auf, dieses Kommando für sich zu gewinnen. Als sich diese 
Aussicht zerschlug, suchte er andere Könige des Orients 
durch Geschenke und Versprechungen zur Stellung des näm- 
lichen Gesuches zu bewegen. Es wäre Gelegenheit genug 
gewesen, ihn in der Schule eines der bedeutenden Generäle 
den Krieg lernen zu lassen. Aber man hört nichts davon, 
dass er an der Grenze des Reiches in Britannien oder Ger- 
manien, wo mit nur kurzen Unterbrechungen gekämpft wurde, 
unter Männern wie Cerialis, Frontinus und Cn. Agricola 
ein Kommando gehabt hätte. 



DRITTES KAPITEL. 

Sicherung und Erweiterung der 

Reichsgrenzen. 

Die Flavier haben die römische Mittelmeer-Monarchie im 
Innern fester begründet, die Reichsgrenze durch glückliche 
Kriege erweitert und ihre bedrohtesten Teile durch wohl aus- 
geführte Einrichtungen auf lange hinaus gesichert. Die end- 
gültige Befestigung der römischen Herrschaft in Britannien 
ist das Werk Vespasians und seiner Heerführer. Was unter 
hervorragender Teilnahme seiner Person — er hatte als 
Legat der zweiten Legion in 20 Schlachten gesiegt und die 
Insel Vectis (Wight) bezwungen — unter den Auspizien des 
Claudius begonnen worden war, hat er als Kaiser vollendet. 

Von Petillius Cerialis, einem nahen Verwandten seines 
Hauses, war die Macht der Briganten gebrochen, von Julius 
Frontinus das Silurenland im heutigen Wales zur römischen 
Provinz gezogen worden. Seit dem J. 77 hat dann Julius 
Agricola, einer der Männer, die mit dem Herrscherhause 
emporgekommen waren, durch methodische Kriegführung die 
Eroberungen des Ceriaüs fortgesetzt und von dieser Basis 
aus im zweiten Jahre seiner Verwaltung Lancaster und die 



70 Zweites Buch. 

Insel Anglesea unterworfen, im dritten den Solway-Firth und 
im vierten die Landenge zwischen Clyde und Forth erreicht. 
Hand in Hand mit der Ausbreitung des römischen Gebietes 
ging seine Deckung durch die Anlage von Kastellen und be- 
festigten Linien an bedrohten Punkten. Wie sehr dem Agri- 
cola darum zu thun war, Britanniens Besitz zu sichern, zeigen 
nicht nur die Rüstung einer Flotte, sondern in noch höherem 
Masse die Unternehmungen im 5. Kriegsjahre. Die an Schott- 
lands Westküste angelegten Festungen sollten die Operations- 
basis abgeben, von der aus Irlands Eroberung begonnen 
werden könnte, dessen Behauptung mit einer Legion und 
entsprechenden Bundestruppen mögHch sei. 

Unter Claudius hatte es den grössten Eindruck gemacht, 
dass ein römisches Heer den Ocean, das erdumflutende Ele- 
ment, überschritt und jenseits desselben die kaiserUchen 
Adler aufpflanzte. Seneca hatte darin einen Fortschritt der 
Weltentdeckung gesehen i). In der Tragödie Medea wird 
prophezeit, dass der Ocean die Fesseln der Dinge lösen, 
die gesamte Erde sich eröffnen und Tiphys, der Steuermann 
der Argonauten, eine neue Welt entdecken werde, so dass 
man nicht mehr von der ultima Thule reden könne. 

Dem Vespasian ist die Argonautica des Verrius Flaccus 
gewidmet, in der die Erschliessung der oceanischen Schiffahrt 
in den Mythen und Sagen von dem durch die Argo eröff- 
neten Pontus verherrlicht wird 2). Jetzt wo derselbe Caledo- 
nische Ocean, der gegen die Julier noch sich empört hatte, 
Vespasians Segel trägt, scheint erst vollendet, was die Argo- 
fahrer begonnen haben. Und wenn in der Tragödie Octavia 
die Kriegsthaten des Claudius in Britannien nachdrücklich 
hervorgehoben werden, dem, lange frei, der Ocean gehorchte 
und der zuerst den Britanniern das Joch auflegte, so kann 
dies nicht auffallen, da alles dafür spricht, dass dies Stück 
erst nach Neros Tode verfasst wurde ^). 

Nach Beendigung des Bataverkrieges wurden die Verhält- 
nisse am Rheine neu geordnet. Unerlässlich war es, fünf 
Legionen, darunter vier vom niederrheinischen Heere, sowie 
die Mehrzahl der germanischen Hülfskohorten aufzulösen. Aber 
rasch erhoben sich die zerstörten Standlager am Grenzstrom 



^) Ranke, Weltgeschichte III, 1 S. 137 und 195. 

') J. Bernays, Die Chronik des Sulpicius Severns, S. 50 zu v. 7 fg. 

^) Ribbeck, Geschichte der röm. Dichtung III, 89: „nicht lange 
nach Neros Tode". Bemerkenswert ist nach Ribbeck auch die Pietät, mit 
der Octavia das Andenken des Claudius in Ehren hält. Es entspricht dies 
der an Claudius anknüpfenden Politik Vespasians. Ebenso das Lob des 
Britanniens v. 165. 



3. Sicherung und Erweiterung der Heichsgrenzen. 71 

von neuem aus Trümmern und Aschenhaufen und neue Le- 
gionen hielten ihren Einzug. 

Die Brukterer suchte Rutilius Galücus in ihrem eigenen 
Lande heim und zwang sie zur Auslieferung der Seherin 
Vellaeda^). Wie es zu bedauern ist, dass uns über dies 
Unternehmen nähere Nachrichten fehlen, so stellt sich die 
Überlieferung über die Einrichtung eines obergermanischen 
Grenzschutzes weit günstiger. Am Oberrhein wurde um das 
J. 74 unter dem Kommando des Cn. Cornelius Clemens ein 
Kampf geführt, der nicht unbedeutend gewesen sein kann, 
da er die Verleihung der Triumphalstatue an den Legaten 
zur Folge hatte 2). Im Zusammenhange mit diesem Kriege 
fasste man die Erweiterung des Imperiums durch die Er- 
werbung des dünn bevölkerten Dekumatenlandes ins Auge. 
Wenigstens führte schon damals eine von dem siegreichen 
Legaten Cornelius Clemens erbaute Strasse von Argentoratum 
auf das rechte Rheinufer ^). 

Nichts hindert, mit Mommsen anzunehmen, dass um 
diese Zeit „ein ernstlicherer Grenzschutz eingerichtet worden 
sei, als ihn das blosse Verbot germanischer Siedelung ge- 
währte^'. Selbst die Anlegung „der flavischen Altäre'^ des 
Centrums der neuen Erwerbung, an der Neckarquelle bei dem 
heutigen Rottweil ist möglicherweise schon unter Vespasian 
erfolgt. Jedenfalls ist damals eine Art Protektorat über das 
Schwarzwald- und Neckargebiet eingerichtet worden*). 

Die Gefährlichkeit der nordischen Völker war noch mehr 
als zuvor im Reiche empfunden worden, als im J. 69 Roxo- 
lanen, Daker und Jazygen die Provinzen um die Wette mit 
ihren Einfällen heimsuchten. Die Verpflanzung von 100000 
Mann durch Ti. Plautius Silvanus hatte einem schwachen 
Aderlasse gleich ihre Kraft nicht erschöpfen können 5). 

Vespasian würde gewiss die Donauarmee vermehrt haben, 
wenn die zerrütteten Finanzen des Reiches nicht die grösste 
Sparsamkeit geboten hätten, doch that er, was die Lage 
gebot. Zwei Legionen rückten aus dem Binnenlande nach 
Carnuntum und Vindobona (um 73), zwei andere vertauschten 
die dalmatischen Garnisonen mit festen Plätzen an dem 



^) Er war um 79 Legat v. Germania inf.; vgl. Statins silv. 1, 4, v. 39 
Stobbe bei Friedländer; Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms 3^ 
451. Nohl, ebenda S. 454. 

«) Henzen 6427. Bonner Jahrbuch LXXXI 8. 28. 

*) Diese wichtige Thatsache ist durch Zangemeisters richtige Ergän- 
zung des Oflfenburger Meilensteins (Westdeutsche Zeitschr. III S. 246) ausser 
allen Zweifel gesetzt worden. 

*) Th. Mommsen, Rom. Geschichte V 8.120; S. 145 Anm. 

6) Th. Mommsen, Rom. Geschichte V S. 198 ff. Vgl. Tac. bist. 3, 46. 



72 Zweites Buch. 

mösischen Stromufer. Wir keimen eine Inschrift, aus der 
hervorgeht, dass das Lager in Carnuntum im J. 73 neugebaut 
oder doch erweitert wurde. Auch wird mit Recht vermutet, 
dass Vespasian der Schöpfer der Donauüottille , der classis 
Flavia, ist^). 

Die Sorge um einen gesicherten Grenzschutz führte zu 
durchgreifenden Neuordnungen auch im Osten. Aus Palästina 
wurde eine selbständige Provinz gebildet, Commagene und 
Cappadocien (letzteres mit Galatien verbunden) erhielten 
militärische Besatzung. Damit der Statthalter von Mösien 
seine ganze Aufmerksamkeit der Überwachung der Donau- 
grenze widmen könne, zweigte Vespasian Thrakien von 
Mösien ab und verband es unter dem Namen Hellespontus 
mit Teilen von Bithynien und Kleinasien. Eine Reihe von 
Kolonieen sicherte die Ostgrenze 2). 

Diese Massnahmen hatten neue Verwicklungen mit den 
Parthern zur Folge, die, von den Alanen bedrängt, vergebens 
auf römische Hülfe hofften. Über die damit zusammenhän- 
genden kriegerischen Vorgänge sind wir nicht unterrichtet; 
sie waren aber bedeutend und brachten dem M. Ulpius Traia- 
nus, Statthalter von Syrien, im J. 76 die TriumphaUnsignien, 
den Regenten neue Acclamationen ein. Ja die Erfolge 
schienen dem Titus wichtig genug, sie in Verbindung mit dem 
Kometen, der in seinem fünften Konsulate sichtbar war, 
in einem besondern Gedichte zu feiern^). 



VIERTES KAPITEL. 

Das Werk des Neubaues im Innern. 

iSlur zum Schutze der Grenzen unternahm Vespasian 
Kriege in grösserem Stil. Für das Reich hatte er durch die 
SchUessung der Januspforte eine neue Ära des Friedens in- 
auguriert , die in dem grossartigen Bau des Tempels der Pax 
ihre monumentale Verherriichung fand. Er folgte dem Bei- 
spiele des Siegers von Aktium, der nach seiner Rückkehr 

») Wiener Studien 1882 S.208 ergänzt O. Hirschfeld die Bauinschrift, 
in der ausser dem Kaiser seine beiden Sölme und der Legat Yalerios 
Festus erwähnt werden. 

•) H. Schiller, Rom. Kaisergeschichte I S. 512. 

•) In dieses Jahr scheint auch der Witz Vespasians (Suet. Vesp. c. 23) su 
gehören: Cum inter cetera prodigia Stella crinita in caelo apparoisset, 
pertinere dicebat . . ad Parthorum regem, qui capillatus esset. 



4. Das Werk des Neabaues im Innern. 73 

aus Ägypten ähnliche Massregeln angeordnet hatte. An 
dessen Absichten wurde mehrfach angeknüpft; sicher ist es 
kein Zufall, dass mitten in der Stadt, an dem Platze, den 
Augustus dazu bestimmt hatte, ein Amphitheater begonnen 
wurde. 

Doch in noch höherem Masse ist die neue Dynastie dar- 
auf bedacht, das Andenken des Kaisers zu erneuern, dem 
die Flavier ihre grosse Stellung, Vespasian selbst Konsulat 
und Triumphalabzeichen zu danken hatte, des Ti. Claudius. 
Das Nächste war , dass er die von Nero vernachlässigte und 
schliesslich aufgehobene Verehrung seiner Gottheit wieder- 
herstellte und seinen Tempel auf dem Caelius , der von Agrip- 
pina begonnen, aber von Nero völlig niedergelegt war, wieder 
aufbaute^). Auch das Andenken des Britanniens, mit dem 
Titus den nämlichen Unterricht genossen hatte , bliel) in Ehren. 
Im Kaiserpalast sah noch Sueton sein Reiterstandbild aus 
Efenbein«). 

Das Vorbild des Claudius schwebte Vespasian bei den 
wichtigsten Akten seiner Regierung vor. Claudius hatte im 
J. 47 nach Niederlegung des Konsulates gemeinsam mit 
L. ViteUius die Censur nach republikanischem Brauche bis 
zum Lustrum durchgeführt. Auf dasselbe Amt griff Vespasian 
im April 73 zurück, um das begonnene Werk des Neubaues 
in einheitUcher, umfassender Weise zum Ziele zu führen , und 
zusammen mit Titus bekleidete er 18 Monate hindurch die 
Censur. 

Die Überlieferung dieser Epoche ist so trümmerhaft, dass 
wir ausser stände sind, uns eine Vorstellung von dem Gange 
der Geschäfte zu machen, und nirgends empfindet man 
schmerzUcher den Verlust desjenigen Teiles der Historien, 
in dem Tacitus über das Werk des Neubaues berichtet hat. 
So sind wir auf einige Bemerkungen Suetons angewiesen, 
aus denen wir erfahren, dass Vespasian die beiden höchsten 
Stände gereinigt und ergänzt, die unwürdigsten Glieder dar- 
aus entfernt und durch angesehene Leute aus Italien und den 
Provinzen ersetzt habe. Ältere Senatoren seien durch Er- 
hebung in das Patriziat ausgezeichnet worden 3). Diese höchst 
dürftige Nachricht erfährt durch die Epitome des Victor eine 
willkommene Ergänzung. Vespasian habe aus den Provinzen 
die besten Männer nach Rom berufen und aus ihnen 1000 
gentes gebildet. Nur 200 waren deren übrig geblieben, die 
andern ein Opfer der Grausamkeit seiner Vorgänger und des 

*) Sueton, Vesp. 10. 
*) Sueton, Tit. 1. 

^) Herzog, a. a. O. S. 296 verweist auf Tacitus, Agricola 9 imd 
Capitolinus, vita Marci 1. Vgl. ebenda S. 329. 



74 Zweites Buch. 

Bürgerkrieges geworden. Man wird an die entsprechende 
Massregel des Claudius erinnert, welcher Senatoren, die sich 
durch hohes Alter und vornehme Herkunft auszeichneten, in 
die Zahl der Patrizier aufgenommen hatte, da damals nur 
noch wenige Familien aus dem Kreise derjenigen blühten, die 
nach Romulus und Brutus zuletzt Caesar und Augustus er- 
koren hatten 1). 

Eine der wichtigsten und schwierigsten Aufgaben der 
kaiserlichen Censoren war die auf sorgfältiger Zählung aller 
Unterthanen beruhende Aufstellung der Bürgerliste. Dies 
war sie um so mehr, als damit ein Massstab gewonnen wurde 
für die Erweiterung des römischen Bürgerrechtes und der Latini- 
tät. Wer im Besitze der letzteren, des ius latinum, war, 
konnte durch Bekleidung eines Gemeindeamtes Vollbürger 
werden. Für die Verbreitung des Bürgerrechtes hatte Clau- 
dius überaus viel gethan, während die Latinität unter der 
ersten Dynastie im ganzen in den Grenzen blieb, die ihr von 
Caesar und Augustus gesteckt waren , d. h. über Italien und 
seine Nachbarländer mit Inbegriff der alten Provinzen Spanien 
und Afrika nicht hinausging. Erst Vitellius hatte, um deren 
Treue zu belohnen, dies Recht an auswärtige Völkerschaften 
oder Städte verliehen. Jetzt verstand man sich zu einem 
der folgenreichsten Schritte, die im ersten Jahrhundert zur 
Ausgleichung des Gegensatzes zwischen der herrschenden 
Nation und den Unterthanen geschehen sind. Das ius latinuro 
wurde nämlich auf ganz Spanien, das mehr oder weniger 
romanisiert war, ausgedehnt 2). Schwerlich waren alle Kreise 
mit diesem einschneidenden Verfahren einverstanden. Es 
klingt wie eine Verteidigung, wenn Plinius bemerkt, das 
lateinische Recht, das durch die Verleihungen des Vitellius 
hin- und hergeschleudert war, sei an eine ganze Provinz ver- 
liehen worden^). 



^j Tac. ann. 11, 25: Cl. in numerum patricionim ascivit vetustissirnnm 
quemque e senatu ant quibus clari parentes fuerant paucis iam reliqnia 
familiarnm , quaa Romulus maiorum et L. Brutus minorum gentium appeUa- 
verant, exhaustis etiam quas dictator Caesar lege Cassia et piinceps 
Augustus lege Saenia sublegerat . . . condiditquo lustrum, quo cenaa sunt 
civinm quinquagiens noviens centena octoginta quattuor milia septnaginta 
dno (nach andern auf 6,844009). Vgl. Lehmann, Claudius und seine 
Zeit, der die Gesamtsumme auf 25 bis 30 Millionen Köpfe berechnet. 

*) O. Hirschfeld, Zur Geschichte des Latinischen Rechtes, hat die 
damit zusammenhängenden Fragen erschöpfend behandelt. Wahrscheinlich 
gelangte Spanien in Besitz des Latium minus. Gaius 1, 96: Aut mains 
est Latium aut minus : maius est Latium cum et hl qui decuriones leguntor 
et si qui honorem aliquem aut roagistratum gernnt, ciyitatem Romanam 
consequantur; minus Latium est, cum hi tantum qui magistratom aut 
bonorum gerunt, ad civitatem Romanam perveninnt. 

^) Nat. bist. 3, 3, 30: Universae Hispaniae Vespasianus imp. AugtistiiB 



4. Das Werk des Neubaues im Innern. 75 

Der Vorgang des Claudius mag noch in einer andern 
Beziehung wirksam gewesen sein. Dieser hatte das Po- 
nerium erweitert, begrenzt und den Aventin, der aus 
•eligiösen Gründen ausserhalb desselben geblieben war, in 
las Weichbild der Stadt hereingezogen. Mit ausdrückUcher 
Bezugnahme auf Claudius allein war dem Vespasian die Be- 
ugnis zu denselben Massnahmen schon in dem Bestallungs- 
jesetz übertragen worden i). Als Censor nahm er eine neue 
Fermination vor, und in Rom neugefundene Cippen zeigen, 
iass diese Abgrenzung auf grossen Strecken mit der von 
[Claudius vorgenommenen zusammenfiel, in andern über diese 
linausgriff. 

Der ältere Plinius, der Geschichtsschreiber der Flavier, 
[lat die Aufnahme des Umfanges der Mauern- Roms als einen 
1er censorischen Akte bezeichnet und mit denkwürdigen 
Worten die grossartige Bauthätigkeit , durch die die neue 
Gestaltung der Stadt zum Abschluss gebracht ward, ver- 
herrlicht : 2) 

^Deus est mortali iuvare mortalem et haec ad aeternam 
gloriam via. Hac proceres iere Romani, hac nunc caelesti 
passu cum liberis suis vadit maximus omnis aevi rector Ves- 
pasianus Augustus fessis rebus subveniens^'. 

^Nachdem die Weltordnung des göttlichen Augustus zer- 
fallen war, gedachte er eine neue für ewige Zeiten aufzu- 
richten und an sein Haus zu knüpfen; die Münzaufschrift 
,aeternitas* deutet auf seine Hoffnungen hin. Wenn er auch 
gleich seinem Vorgänger auf den stolzen Namen eines Stadt- 
gründers verzichtet hat, den die Thorheit eines Nero und 
Commodus anstrebte, so hat er in der That als solcher 
gelten wollen''*). Der Ruhm, das von Nero eingeäscherte 
Rom schöner wieder aufgebaut zu haben, gebührt den Fla- 
vischen Kaisern, und mit Fug und Recht konnten sie auf 
ihre Münzen die Aufschrift „Roma resurgens^' setzen. 

Mit dem gegen Ende des J. 74 abgehaltenen Lustrum 
haben diese ihre denkwürdige Thätigkeit abgeschlossen. Nach 



iactatum procellis rei publicae Latium tribuit. Vgl. dazu Hirsch feld, 
a. a. O. S. 11. Auf eine spätere Yerleihnng desselben Rechtes bezieht H. 
die Münzen des Vespasian und Titas aus dem J. 78, auf denen die Sau mit 
den Ferkeln dargestellt ist. 

^) Lex de imperio Vespasiani 14.; Tac. ann. 12, 23: Pomerium urbis 
auxit Caesar more prisco quo iis qui protulere imperium etiam terminos urbis 
propagare datur. Claudius hatte dieser Forderung durch die Eroberung 
Britanniens gentigt. Im Hinblick auf die Erfolge in Britannien und Jndaea 
konnte Vespasian ebenso verfahren. 

«) Plin. nat. bist. 3, 65—67. 

3) Heinr. Nissen, Die Stadtgrtindung der Flavier^ Rhein. Museum 
IL (1894) 8. 273 fg. 



76 Zwaites Buch. 

ihrem Willen sollten grossartige Bauwerke für alle Zeit davon 
Zeugnis ablegen. Im J. 75 wurde der Friedenstempel ein- 
geweiht, und in einem nahegelegenen Gebäude der Plan des 
neuen Flavischen Rom zur allgemeinen Kenntnisnahme aus- 
gestellt. Mit dem Nerokultus war es für immer vorbei; der 
an der heiligen Strasse stehende eherne Koloss Neros wurde 
in einen Koloss des Sonnengottes , des Schirmherrn der neuen 
Stadt, verwandelt und sein Name später auf das in der Nähe 
liegende Amphitheater übertragen. Zahlreiche Tempel, Staats- 
gebäude und Wasserleitungen in Rom und in dem übrigen 
ItaUen, die durch die Ungunst der Zeiten in Verfall geraten 
waren, Hess Vespasian zum Teil auf seine Kosten wieder- 
herstellen i). Diese grossartige Bauthätigkeit, neben der alle 
privaten Unternehmungen zurücktraten, hatte auch das Gute, 
dass es ihm gelang , den Massen lohnenden Verdienst zu ver- 
schaffen und die Wunden, die der Bürgerkrieg dem Wohl- 
stande geschlagen hatte, zu heilen. So verdiente er sich 
ähnlich wie Augustus den inschriftlich bezeugten 2) Namen 
^conservator caerimoniarum publicarum et restitutor aedium 
sacrarum*. 

Eine der glänzendsten Seiten der Verwaltung Vespasians 
ist die mit angeborenem Talente durchgeführte Ordnung der 
Finanzen. Die Zeitgenossen heben die Geschicklichkeit her- 
vor, mit der er immer neue Steuerquellen erschloss, die 
Sparsamkeit, mit der er diese Mittel zusammenhielt, die Ein- 
sicht, mit der er sie im Interesse des Staates verwertete. 
Er scheute nicht davor zurück, die Steuern der Provinzen zu 
erhöhen und in einigen Fällen sogar zu verdoppeln. ^Ja er 
trieb*, fährt Sueton fort, »ganz öffentlich Spekulations- 
geschäfte, deren ein Privatmann sich hätte schämen müssen, 
indem er alles mögUche zu dem Zwecke ankaufte , um es zu 
höheren Preisen loszuschlagen. Auch Ämter waren käuflich 
und Schuldige wie Unschuldige konnten um Geld Freisprechung 
erlangen*. Während des Bürgerkrieges waren gewaltsame 
Erpressungen, die man mit der Kriegsnot entschuldigte, an 
der Tagesordnung gewesen, und man empfand es schon als 
eine Wohlthat, »dass Vespasian im Beginn seiner Herrschaft 
nicht besonders darauf ausging, Ungerechtigkeiten zu begehen, 



^) An der Digentia, dicht bei der ViUa des Horaz, ist eine Inaohrift 
aofgefdnden worden, in der von Vespasian gesagt wird: ^Censor aedem 
Yictoriae vetnstate dilapsam sua impensa restitait^> Man hat vermatet, 
dass diese Victoria nicht verschieden yon der bei Horaz ep. 1, 10, 49 



genannten ,Vacana' ist. Vgl. dazn Kiessling. 

«) CIL 6, 934 — Eckhel 6, 927. Cohen, Vesp 



asian, 391—395. 



4. Das Werk des Neubaues im Innern. 77 

bis er es, durch Glück verwöhnt, von schlechten Lehrmeistern 
lernte und wagte** ^). 

Aber alle Quellen sind darin einig , dass er auch von dem 
nicht löblich erworbenen Gelde den löblichsten Gebrauch 
machte. Vespasian sammelte viel, um viel zu haben und 
zu geben. Wo irgend ein Notstand vorlag, hatte er eine 
offene Hand. Mittellose Senatoren wurden durch Jahrgehälter 
unterstützt, Dichter und Künstler reich beschenkt, den Lehrern 
der lateinischen und griechischen Beredsamkeit zum ersten- 
mal ein Jahresgehalt von je 100 000 Sesterzien ausgesetzt 2); 
einer grossen Zahl von Städten im ganzen Reiche , die durch 
Erdbeben oder Feuersbrunst gelitten hatten, hat er wieder 
aufgeholfen. Wenn er auch die Ausgaben des Hofes auf das 
Notwendigste beschränkte, hielt er doch offene Tafel und 
gab sehr häufig grosse und reiche Gastmähler. 

Im Zusammeiüiang mit diesen Nachrichten findet sich die 
Bemerkung Suetons, der Kaiser habe gleich nach Über- 
nahme der Regierung erklärt, vierzig Milliarden seien not- 
wendig, damit der Staat bestehen könne. So hoch schlug 
er die Summe an, die ihm zur Bestreitung der dringendsten 
Ausgaben unentbehrlich schien: zur Füllung der leeren Kassen 
und Magazine, zur Errichtung neuer Truppenkörper und 
Grenzwehren, zur Ausbesserung der alten, zur Anlegung 
neuer Strassen, zur Gründung von Kolonieen und vor allem 
zum Aufbau der zerstörten Stadtteile Roms 3). 

Solch umsichtigen und energischen Bemühungen gelang 
es, den Staat aus tiefem Verfalle wieder aufzurichten. Neue 
Zeiten schafl'en neue Männer. Eine frischere Luft weht durch 
die höhern und leitenden Kreise; es überwiegt darin der 



^) Tacitus bist. 2, 84: Passim delationes, et locupletissimus quisque 
in praedam correpti; quae gravia atque intoleranda, sed necessitate armorum 
excasata etiam in pace mausere ipso Vespasiano inter initia imperii ad 
obtiiiendas iniquitates hand perinde obstinante, donec indnlgeotia fortimae 
et pravis magißtriß didicit aususque est. Suot. Vesp. 16 u. 23. Dio 66, 14. 

*) Nacb Sueton gab Vesp. bei den Spielen zur Einweihung des neu 
restaurierten Marcellustheaters dem Tragöden Apellaris 400 000, den 
Zitherspielern Terpnus und Diodorus je 200 000, einigen 100 000, dem 
geringsten 20 000 Sesterzien. 

') Ranke, Weltgeschichte III, 1 S. 254: „Ich finde in den Ziffern nichts 
Unglaubliches. Die Hauptsache ist, dass er die Bedürfnisse des Gemein- 
wesens im allgemeinen überschlug und nicht die zufälligen Beträge, die 
nach Kom gelangten, sondern eine bestimmte Summe zur Grundlage der 
Verwaltung machte**. 

Herzog a.a.O. S. 296 A. 2 findet die Summe von 8700 Millionen 
Mark sehr hoch, aber nicht undenkbar. Vgl. Rodbertus in Hildebrands 
Jahrbuch für Nationalökonomie XV 205. 



78 Zweites Buch. 

neue Adel, der sich aus Männern zusammensetzt, die mit 
dem Kaiser emporgekommen oder aus den Provinzen nach 
Rom verpflanzt worden waren. Sie brachten ihre einfachen 
Gewohnheiten mit in die entsittlichte Hauptstadt und blieben 
bei der nüchternen Lebensführung ihres Heimatsortes. So 
brachte das Beispiel des Kaisers und seiner Umgebung den 
grossen Umschwung zuwege, den der Geschichtsschreiber 
dieser Epoche, der denselben Kreisen angehörte, als Ruhmes- 
titel für Vespasian in Anspruch nimmt. Es waren vortreffliche 
Männer, mit denen sich Vespasian umgab. Die meisten 
stiegen in die höchsten Rangstufen des Heeresdienstes und 
der Verwaltung empor ^) : Cn. Julius Agricola aus der Narbo- 
nensis, T. Antoninus aus Gallien, Lusius Quietus aus Maure- 
tanien, M.Ulpius Traianus aus Spanien, A. Julius Quadratus aus 
Kleinasien, die beiden Plinii aus dem Polande. Es sind die- 
selben Familien, aus denen die Kaiser des zweiten Jahr- 
hunderts hervorgehen, und die Gesellschaft, in der auch diese 
Kaiser ihre Stützen suchten, sind die Nachfolger der Männer, 
die mit Vespasian emporkamen. Vespasian hatte auch Sinn 
für die Erhaltung der Denkmäler der Vergangenheit. Und 
das Geschick gab ihm Gelegenheit, diesen in grossartiger Weise 
durch die Erneuerung des Staatsarchivs zu bethätigen. Beim 
Brande des Kapitels waren zahlreiche darin aufbewahrte 
Beschlüsse des Senats und Volkes zu Grunde gegangen. 
Durch Anfertigung von etwa 3000 Kopieen wurde für das 
Verlorene Ersatz geschafft. Plinius Secundus, der in der 
ritterlichen Laufbahn zum Praefectus classis emporstieg, stand 
den Regenten persönlich nahe. Der Verfasser der grossen 
Encyklopädie und einer umfassenden Geschichte aller germa- 
nischen Kriege hat in 31 Büchern die Kaisergeschichte ^a 
fine Aufidü Bassi^' (41 — 71) dargestellt. Flavius Josephus, 
der dem Vespasian das Kaisertum prophezeit hatte und im 
Lager des Titus Zeuge der Einnahme von Jerusalem gewesen 
war, einer der fruchtbarsten Geschichtsschreiber, lebte am 
Hofe der Flavier. Antonius Julianus, der ebenfalls an der 
Belagerung Jerusalems teilnahm und als Mitglied des Kriegs- 



^) Tac. ann. 3, 55: Postquam caedibas saevitum et magnitado famae 
exitio erat, ceteri ad sapientiora convertere. Simul novi homines ex 
municipiis et coloniis atque etiam provinciis in senatum crebro adsnmpti 
domesticam parsimoniam intulertmt; et qnamqaam fortuna vel induBtria 
plerique pecnniosam ad senectam pervenirent, mansit tarnen prior animiu, 
sed praecipaus adstricti mens aactor Yespasianus fait antiquo ipse colto 
victaque; obseqaium inde in principem et aemulandi amor validior quam 
poena ex legibus et metus. — Hist. 2, 82: Maltos praefectnris et pro- 
corationibiis plerosque senatorii ordinis honore percoloit, egregios yiroa et 
mox summa adeptos. 



5. Vespasians Ausgang. 79 

rates für die Zerstörung der Stadt stimmte, hat, wie Josephus, 
ein Geschichtswerk über den jüdischen Krieg hinterlassen, 
aus dem Tacitus seinen Bericht schöpfte^). 



FÜNFTES KAPITEL. 

Vespasians Ausgang. 

Man hätte glauben sollen , dass vor der Macht der Erfolge, 
die alle Unternehmungen Vespasians begleiteten, jeder Wider- 
spruch verstummt wäre. Aber trotz der Rücksicht, die er 
auf den Senat nahm, stiess er gerade in diesem auf einen 
mächtigen Widerstand. Jener Curiatius Maternus, der im 
Taciteischen Dialogus als namhafter Sachwalter gezeichnet 
wird, trug seine politischen Ideale in Aufsehen erregenden 
Dramen vor. Im J. 75 stand man unter dem frischen Eindruck 
seines Cato, und nächstens wollte er im Thyestes nachholen, 
was Cato etwa vergessen habe 2). Helvidius Priscus, des 
Thrasea Eidam, einer der Führer der republikanischen Partei, 
liess sich bei einem Wortwechsel zu heftigen Schmähungen 
gegen Vespasian hinreissen. Er wurde verbannt und nicht 
lange darnach hingerichtet. Nur ungern hatte der Kaiser den 
Befehl dazu gegeben. Und als es geschehen war, nahm er 
das Urteü zurück. Nur durch beschleunigte Ausführung war 
Titus diesem unzeitigen Gnadenakte zuvorgekommen. Die 
PhUosophen, um deren Tadel sich der Kaiser bis dahin 
wenig gekümmert hatte, wurden mit Ausnahme des Musonius 
Rufus aus Rom verwiesen, einige ins Exil geschickt 3). 

Ranke deutet eine Äusserung, die Vespasian einst beim 
Verlassen einer Sitzung fallen liess, entweder würden ihm 
seine Söhne nachfolgen oder gar niemand*), dahin, dass dem 
Imperator selbst der endliche Triumph der republikanischen 
Partei nicht unmöglich vorkam. 

Ob mit Recht, wage ich nicht zu entscheiden. Jedenfalls 
war die gefährliche Opposition für den Augenblick zurück- 
gedrängt, bis sie unter Domitian in wiederholten Verschwö- 
rungen von neuem die Monarchie gefährdete. 

Für die Härten , die unter der Regierung Vespasians vor- 
kamen, macht Sueton den Titus verantwortlich. Jener habe 
nur unter Thränen sogar gerechte Todesurteile vollzogen, 

^) J. Bernays, Die Chronik des Sulpicius Severus, S. 50. 
«) Vgl. Ribbeck, Geschichte der röm. Dichtung III S. 89. 
») Sueton, Vesp. 15: Victor ep. 9. Dio 66, 12. 
*) Sueton, Vesp. 25: Aut filios sibi successuros aut neminem. 



80 Zweites Buch. 

Tilus dagegen Leute, denen er nicht traute, im Theater oder 
im Lager durch zuverlässige Personen, die im Namen aDer 
die. Bestrafung der Verdächtigen fordern mussten, sofort um- 
bringen lassen. Den Konsularen A. Caecina, den er zu Tisch 
gebeten hatte, Hess er beim Verlassen des Speisesaales durch 
einen Dolchstoss aus dem Wege räumen. Der Biograph ent- 
schuldigt dieses gewaltsame Vorgehen mit dem Drange der 
Gefahr, da der von Caecina selbst herrührende Entwurf einer 
an die Soldaten zu richtenden Ansprache bekannt geworden 
war. Es war jener Caecina, der zuerst die Fahne des Vi- 
tellius erhoben und zuerst verlassen hatte, der auf seine 
Verdienste um das Flavische Haus allzukühne Hoffnungen 
bauen mochte. Geschützt durch die Verantwortlichkeit seines 
Vaters, konnte Titus sich also ungestraft Handlungen der 
Härte und Grausamkeit erlauben. 

Vespasian deuchte einst im Traume, er sehe im Vorhofe 
des Kaiserpalastes eine Wage mit geradem Zünglein, in der 
einen Schale den Claudius mit Nero, in der andern sich selbst 
mit seinen beiden Söhnen. „Dieser Traum ging in Erfüllung*', 
so schliesst Sueton seine Biographie, „da ja beide Teile gleich- 
viel Jahre und eine ganz gleiche Zeit regierten^. Ob Vespasian 
in dem Gesichte auch eine Andeutung gesehen hat, dass die 
von ihm unter Anknüpfung an Claudius begründete Herr- 
schaft zu derselben Tyrannis ausarten werde, wie sie Nero 
ausgeübt hatte? 

Ein unerwarteter Tod raffte den beherzten Mann am 
23. Juni 79 auf seinem sabinischen Landgute hinweg. Fieber 
und Dysenterie hatten seine Kräfte erschöpft. Doch ver- 
suchte er, als er sein Ende nahe fühlte, mit den Worten 
„ein Kaiser müsse stehend sterben" sich emporzurichten, bis 
zuletzt das Vorbild eines für das Gemeinwohl rastlos thätigen 
Regenten. 



SECHSTES KAPITEL. 

Des Titus Selbstherrschaft 0- 

Ob dem Titus die Rechte, die sein Vater ausgeübt hatte, 
in ihrem vollen Umfange durch einen neuen Akt übertragen 
wurden oder die Übertragung sich nur auf die Ehrenämter 

*) L. Double, L'empereur Titus, Paris 1877, hat ein Zerrbild des 
Kaisers entworfen. Er stellt sich die Aufgfabe „de demasqner an hjpo- 
crite". S. 129: „Titus a tout simplement nn ramollissement de la moene 
epiniere. Titus n'est devenu doux et dement qu^en devenant idiot**. 
S. 132 will Double eine gewisse Consequenz in seinen fixen Ideen 
wahrnehmen. S.135: Kechtspflege und Verwaltung- hätten still gestanden. 



6. Des TittiB Selbstherrschaft. 81 

Augustus und Pater patriae und den Oberpontifikat bezog, 
ist ganz unsicher. Die Überlieferung verzeichnet bloss Ves- 
pasians Ableben; von einer Veränderung, einem Übergange, 
einer Feierlichkeit, wie sie bei einem Thronwechsel statt- 
finden, ist darin mit keinem Worte die Rede. Wir hören 
aber, dass kaum ein zweiter Fürst mit so übelm Rufe und 
unter so allgemeiner Abneigung zur Herrschaft gelangte^). 
Wegen seiner Grausamkeit, Schwelgerei und Habsucht habe 
man ganz offen der Vermutung Ausdruck gegeben, er werde 
ein zweiter Nero werden. Dieser Ruf sei ihm zu statten 
gekommen und habe sich in das grösste Lob verwandelt, da 
er als Kaiser die herrlichsten Tugenden an den Tag legte. 
Diese Angabe Suetons bestätigt Tacitus insofern, als er be- 
merkt, dass Titus seine Jugend in heiterm Genüsse verlebte 
und unter der eigenen Regierung eine stärkere Selbstbeherr- 
schung als unter der seines Vaters bewies 2). Aber in den 
erhaltenen Büchern der Historien ist ein anderes Wort des 
Tadels nicht ausgesprochen. Im Gegenteil wird versichert, 
dass seine Anlagen jeder, auch der höchsten Stellung ge- 
wachsen waren, dass die Anmut seiner Züge durch den 
Ausdruck der Majestät gehoben wurde und dass er nach 
Naturell und Bildung dazu angelegt war, einen Charakter 
wie Mucianus zu gewinnen. Erfüllt mit kühnem Ehrgeize tritt 
er uns im zweiten Buche entgegen, ein hochstrebender 
Jüngling, der auf seine und des Vaters Sterne vertraut. Ohne 
die kräftigen Antriebe, die von ihm ausgingen, hätte sich 
Vespasian nimmer zur Annahme des Prinzipates verstanden. 



^En proie ä un veritable delire ne demande plas qu'k etre aime". Endlich 
wird Titus S. 158 als Bild von Hässlichkeit hingestellt. Bedeutender ist 
das Buch von Beule, Titus et sa dynastie. Deutsch von E. Döhler, 
Halle 1875. Auch Beule urteilt ungünstig über Titus. S. 132: „Er war 
blutdürstig, habgierig, wollüstig; er war es ganz offen, ohne falsche 
Scham; als wenn er eine seiner Stellung zukommende Pflicht erfüllte. 
Selbst wenn er sich bemüht hätte, sich verhasst zu machen, so würde es 
ihm nicht besser gelungen sein." Von seinen Bildern heisst es S. 106: 
„Der ganze Typus ist durchaus nicht aristokratisch, er ist vielmehr plebe- 
jisch, athletisch imd erinnert an einen schönen Hirten der Appenninen 
viel mehr als an einen Caesar. Denkt man sich einen Schnurrbart hinzu, 
so hat man einen Gallier vor sich. Der vorherrschende Charakterzug ist 
die Zähigkeit." S. 109: „Seine Natur, der er so länge Gewalt angethan 
hatte, rächte isich; die übergrosse Anspannung wurde durch ein zu grosses 
Nachgeben ausgeglichen, und was Berechnung war, wurde Herzensdrang. 
Die Nachgiebigkeit ging über in Schwäche, die Mildthätigkeit in Mo- 
nomanie." 

^) Sueton, Tit. 7: Alium Neronem et opinabantur et praedicabant. 
Aufl seinem Übeln Rufe leitete sich auch die Beschuldigung her, die 
Hadrian in seinen Denkwürdigkeiten aussprach, er habe seinen Vater 
nmgebracht. 

«) Hist. 2, 2. 

A 8 b a c h , Kaisertum und Verfassung. b 



82 Zweites Buch. 

ohne die Hoffnungen, die er auf Titus setzte, hätte Mucianus 
nimmer die Sache der Flavier zu der seinigen gemacht. 
Alles in allem erscheint uns Titus als eine reich beanlagte 
Persönlichkeit. Am Hofe des Claudius und Nero zusammen 
mit Britanniens erzogen, hatte er sich eine vielseitige Bildung 
angeeignet. Wie er lateinische und griechische Verse mit 
grosser Leichtigkeit hinwarf und sogar aus dem Stegreif 
vortrug, so sang und spielte er anmutig und kunstgerecht. 
Die Härten, die ihm unter der Regierung seines Vaters schuld 
gegeben wurden, mochten im Interesse der Sicherheit des 
Prinzipates geboten erscheinen. Und wenn er, zur Selbst- 
herrschaft gelangt, eine Milde walten Hess, die ihm den 
weltberühmten Beinamen eintrug, so scheint diese Eigen- 
schaft doch nicht so sehr berechnender Klugheit entsprungen 
als vielmehr sein angeborenes Naturell gewesen zu sein. 
Hatte er sich doch als Kriegstribun in Germanien und Bri- 
tannien ebensosehr durch seine Tapferkeit wie seine Be- 
sonnenheit und Milde den höchsten Ruhm erworben. Zum 
Beweise dafür weist der Biograph auf die Menge seiner 
Statuen, Bilder und Inschriften hin^). In den zahlreichen 
auf uns gekommenen Büsten des Titus finden sich diese 
Eigenschaften wieder. Nach den Ausführungen Beul^s ist 
die Stirn ganz die des Vaters und bekundet Kraft, Fleiss 
und Geistesanstrengung. Der Mund ist einnehmender, die 
Lippen ungezwungener, das Kinn gewöhnlicher als bei jenem. 
Der ganze Ausdruck sei angenehm, liebenswürdig, ein- 
schmeichelnd; er verrate eine grosse Aufrichtigkeit, verbunden 
mit Sanftmut, ein Sichgehenlassen, vereint mit einer natür- 
lichen oder angenommenen Güte. Aus den Zügen könne man 
entnehmen, dass Titus von Herzen milde war, dass aber die 
Willenskraft seiner Seele eine gewisse Straffheit verheb, dass 
sie durch Berechnung zum Bösen, durch den Drang eines 
mächtigen Interesses zum Verbrechen geführt wurde*). 

Über die Thronfolge hatte Vespasian nach dem Beispiele 
der frühern Kaiser entweder bestimmte Anordnungen getroffen 
oder darauf bezügliche Wünsche geäussert. Nachdem er sich 
einmal entschlossen hatte, den Titus als Mitregenten an seine 
Seite zu setzen und dem jungem Sohne eine Ausnahme- 
stellung unmittelbar nach den Regenten einzuräumen, lag die 
Anordnung nahe , dass nach seinem Ableben Domitian an die 
Stelle treten sollte, die bis dahin Titus inne gehabt hatte. 
Domitian scheute sich auch nicht, zu erklären, dass er eigent- 
Hch zum Mitregenten ernannt, aber das Testament des Vaters 



') Tit. 4. 

2j Beule-Dühler, a.a.O. S. 106. 



6. Des Titas Selbstherrschaft. 83 

gefälscht worden sei, und als Kaiser kam er im Senate auf 
diese Behauptung zurück i). 

Wie dem auch sein mag, Titus hat, wenn er auch nicht 
aufhörte, den Bruder als ^consors imperii et successor* zu 
bezeichnen, die Vollgewalt der Regierung für sich behalten 
und an der Stellung, die dieser vorher eingenommen hatte, 
nichts geändert. Weder die tribunicische Gewalt noch der 
Imperatorname werden ihm verliehen, und während er im 
J. 80 mit ihm zusammen das Jahr eröffnete, fehlt unter den 
Konsuln des nächsten Jahres sein Name. Aber Tilus war 
weit davon entfernt, ihm die Nachfolge zu entziehen, er 
wollte ihn sogar mit seiner Tochter Julia verheiraten, deren 
Name bedeutungsvoll an die frühere Dynastie erinnerte. Was 
ihn jedoch davon abhielt, dem Domitian eine ähnliche Stel- 
lung einzuräumen, wie er selbst unter seinem Vater gehabt 
hatte, war nicht allein die in seinem Wesen begründete 
Selbstherrlichkeit, sondern er wird unter dem Eindrucke der 
Besorgnis gestanden haben, es möchte von der Mitregent- 
schaft zu seinem eigenen Verderben Gebrauch gemacht werden. 
Hatte der Bruder doch nach Vespasians Tode überlegt, ob 
er den Soldaten das doppelte Donativ bieten solle, und später 
die Heere ganz offen aufgewiegelt. Die Nachrichten von dem 
brüderhchen Entgegenkommen des Titus, der unter Thränen 
in heimlichen Zusammenkünften den Domitian beschworen 
habe, endlich auch ein brüderliches Herz zu haben, sind ohne 
Wert, wo die Urkunden eine andere Sprache reden. L. Aelias 
Plautius Lamia, derselbe, dem Domitian seine Frau abwendig 
gemacht hatte, erscheint unter den Konsuln des J. 80, 
L. Flavius Silva Nonius Bassus , ein Verwandter des Herrscher- 
hauses, unter denen des folgenden Jahres, und T. Flavius 
Sabinus, consul Ordinarius des J. 82, ist wahrscheinlich noch 
von Titus designiert worden. War es bei der Auszeichnung, 
die diesem zuteil wurde, darauf abgesehen, den Domitian in 
Schach zu halten? Man hörte diesen, als er erfuhr, dass 
Sabinus wie der Kaiser sich weissgekleidete Diener halte, 
das homerische Wort anführen: ^elc, xotpavo? laxcoS und zur 
Regierung gelangt, liess er ihn aus nichtigem Anlass 
umbringen. Wir erfahren weiter, dass Domitians Freunde 
den Titus fürchteten 2), dass das Zerwürfnis zwischen den 
Brüdern sich schliessUch so schroff gestaltete, dass Domitian 



*) Sueton, Dom. 2: Patre defuncto nunquam iactare dubitavit relictum 
86 participem imperii, sed fraudem testamento adhibitam und c. 13: Prin- 
cipatum adeptus neque in senatu iactare dubitavit et patri se et fratri 
imperium dedisse, illos sibi reddidisse. 

*) Plin. ep. 4, 9, 2 von Julius Bassus. 



84 Zweites Buch. 

darauf Bedacht nahm, durch heimliche Flucht aus Rom für 
seine Sicherheit zu sorgen. Man könnte vermuten, er sei 
an der Verschwörung der beiden Patrizier, die Titus durch 
Milde zu versöhnen wusste, beteiligt gewesen^). 

Je weniger sich Titus auf seinen Bruder verlassen konnte, 
umsomehr Wert legte er darauf, die Ansprüche des Senates 
zu befriedigen und die Sympathieen der Menge sich zu er- 
halten. Die Delatoren wurden strenge bestraft, dem Volke 
zur Augenweide im Amphitheater vorgeführt und auf die un- 
fruchtbarsten Inseln verwiesen. Majestätsverbrecher wurden 
begnadigt, neue Klagen sollten nicht zugelassen und Todes- 
urteile über Senatoren nur unter Teilnahme des Senates 
selbst verhängt werden 2). Er war der erste Kaiser, der alle 
von seinen Vorgängern erteilten Gnaden durch ein einziges 
Edikt bestätigte, ohne dass man besonders darum einzukommen 
brauchte. So wurden Beamte und Privilegierte gewonnen 3). 
Im Gegensatz zu der Einfachheit seines Vaters umgab er sich 
mit Gepränge und Luxus, mit dem Glänze, wie er ihn bei 
den orientalischen Despoten kennen gelernt hatte. Er nahm 
seine Wohnung im Palatium. Jetzt wurden der Familie 
Statuen errichtet und göttHche Ehren zuerkannt. Er liess 
Goldmünzen prägen, die das Andenken seiner Mutter, der 
diva Domitüla Augusta, verewigten und legte auch seiner 
Tochter Julia den Augustanalhen bei. 

Der wirtschaftUche Sinn seines Vaters ging ihm ab oder 
war doch durch das Streben, seine glänzende Persönlichkeit 
geltend zu machen, verdunkelt. So grossartig dessen Bau- 
thätigkeit gewesen war, sie hatte sich innerhalb der Grenzen 
seiner Mittel gehalten. Aber Titus bewies in der Finanzverwal- 
tung weder Sorgfalt noch Masshaltung. Ein Fest folgte dem 
andern, Schauspiel folgte auf Schauspiel. Auf den Trümmern 
der Neronischen domus aurea erhoben sich neue Thermen, 
die an Pracht alles bisher dem Volke Gebotene übertrafen. 
Hundert Tage dauerten die Spiele, die im J. 80 in nie da- 
gewesenen Formen zur Eröffnung des neuen Amphitheaters 
veranstaltet wurden. An einem Tage erschienen 5000 Bestien 
der verschiedensten Art in der Arena*). Die Schaustellungen 
überboten alles bisher Gekannte, und die Leistungen der 
Kämpfer stellten die Heroen der Vorzeit in den Schatten. 
In einem Epigrammenkranze, der dem Kaiser zum Andenken 



^) Suet. Tit. 9, Dom. 12. 

*) Suet. Tit. 8. Dio 66^ 19, 3 — Paneg. 35; lugenti animo divus 
Titus securitati nostrae ultionique prospexerat ideoque numinibns aequa- 
tus ßst 

8) Suet. Tit. 7, 8. Dio 66, 19, 3. Victor, epit. 10, 8. 

*) Dio 66, 25. Suet. Tit. 7. Victor, ep. 10, 5. 



6. Des TituB Selbstherrschaft. 85 

Überreicht wurde, hat Martialis eine Anzahl der merkwürdig- 
sten Bilder dieses Festes verherrlicht. ^Zuschauer aller Zungen 
von den entlegensten Enden der Erde sind gekommen, aber 
alle verehren einmütig den Kaiser als wahrhaftigen Vater 
des Vaterlandes.*^ 

Es ist ausserordentlich bezeichnend für seine Art zu re- 
gieren, dass er bei allen Bittgesuchen nach dem Grundsatze 
handelte, niemanden ohne Hoffnung zu entlassen, und dass 
seine Umgebung bemerkte, er verspreche mehr, als erhalten 
könne 1). So gewann er freilich den Namen ,, Wonne 
des Menschengeschlechtes", aber er musste auch die kaiser- 
lichen Kassen übermässig in Anspruch nehmen, zumal als 
furchtbare Unfälle Städte und ganze Landschaften heim- 
suchten und Hülfeleistungen in grösserm Massstabe notwendig 
machten. 

Am 24. August 79 wurden die Städte Herculaneum und 
Pompeii durch einen Ausbruch des Vesuv verschüttet, wäh- 
rend ein Erdbeben andere Ortschaften Campaniens in Trümmer 
legte. In Rom wütete ein Brand drei Tage und ebensoviele 
Nächte, und eine Pest, die schon unter Vespasian aufgetreten 
war, forderte zahllose Opfer. 

Bei diesen Katastrophen griff Titus mit seiner ganzen 
Autorität und mit väterlicher Fürsorge ein. Bald tröstete er 
durch Edikte, bald leistete er thatkräftige Hülfe. Um in Cam- 
panien, wo es am dringendsten war, der Not zu steuern, 
wurde eine Kommission von Konsularen gebildet und nach 
dem Brande der Schmuck der kaiserlichen Landgüter zur 
Ausstattung der Tempel und öffentlichen Gebäude verwandt. 

Die Ausschweifungen, denen er sich in Jüngern Jahren 
hingegeben, die Aufregung, die das gehäufte Unglück zur 
Folge hatte, mussten die Gesundheit auch des stärksten 
Mannes erschüttern. Sein Hang zur Melancholie und ein 
unersättliches Bedürfnis nach Mitgefühl waren Symptome 
eines krankhaften Zustandest). Das Volk sah ihn im Colosseum 
während der letzten Tage der Spiele bitterlich weinen. In 
den Thränen, die keinen wahrnehmbaren Anlass hatten, 
verrät sich die Schwäche des Körpers. Als sich dieser Zu- 
stand infolge des Missbrauches von Bädern noch verschlim- 
merte'), begab er sich, um Erholung zu suchen, in das 
Sabinerland. Auf der Reise wurde er nach dem ersten 
Nachtquartier von einem heftigen Fieber ergriffen, dem er 
bald nachher in derselben Villa, in der sein Vater gestorben 
war; 41 Jahre alt, erlag. Sein Bruder äusserte später ein- 

Suet. Tit. 7. 

«) Beule-Döhler, a.a.O. 8.110. 

8) Plutarch, De sanitate praecepta c. 3: (Sg (paotv ot vooTjXeöoavxeg. 



86 Zweites Buch. 

mal, Titus sei mehr glücklich als tugendhaft gewesen. Er 
wollte sagen, es sei ihm erspart geblieben, die Probe auf 
sein Regierungssystem zu erleben. 

Domitian, der sich in seiner Nähe befand, befahl, ihn zu 
verlassen, ehe er noch den Geist aufgegeben hatte, und eilte 
zu Pferde nach Rom, um sich der Herrschaft zu versichern. 
Er gewährte den Prätorianern dasselbe Donativ wie Titus 
und nahm ihre Huldigung entgegen. 

Der Senat eilte vor der amtlichen Einberufung zur Kurie, 
deren Pforten noch geschlossen waren, und spendete dem 
Hingeschiedenen so warmen Dank und so lautes Lob, wie 
er nie zu Lebzeiten und in Anwesenheit vernommen hatte. 
Anscheinend in derselben Sitzung (14. Sept.) übertrug man 
dem Domitian den Augustustitel , das Imperium und die tribu- 
nicische Gewalt; am 30. Sept. wurde die letztere in der 
Volksversammlung proklamiert. Ohne, wie andere Kaiser, eine 
gewisse Zeit zu warten, übernahm er den Oberpontifikat und 
den Ehrennamen ;, Vater des Vaterlandes^ i). Ohne Wider- 
spruch, wie in einer Erbmonarchie, hatte sich auch dieser 
Thronwechsel vollzogen. 



SIEBENTES KAPITEL. 

Domitians glückliche Anfänge^). 

Die Überlieferung der Geschichte des Flavischen Herrscher- 
hauses ist im allgemeinen lückenhaft und dürftig, diejenige 
der Regierung Domitians zudem tendenziös gefärbt und ent- 
stellt. Zeugnisse gleichzeitiger unabhängiger Männer besitzen 
wir nicht. Quintilian, der beste Lehrer seiner Zeit und Er- 
zieher der kaiserlichen Neffen, hat in seinen Schriften das 
politische Gebiet nicht berührt. Von Julius Frontinus, einem 
der namhaftesten Männer dieser Epoche , sind einige wertvolle 



») Vgl. Chambalu, a.a.O. 8.31; die Arvalakten ed. Henzen p. 64. 

*) Stephane Gsell, Essai sur le re^e de rempereor Domitian. 
Paris 1894, hat eine längst empfundene Lücke ansgefüllt und ist nament- 
lich infolge der Verwertung des inschriftlichen Materials und der Berück- 
sichtigung der Bauten wertvoll. Imhofs Biographie (Halle 1857) hat die 
uns überkommenen schriftstellerischen Nachrichten mit fast erschöpfiender 
Vollständigkeit zusammengestellt und durchweg mit grossem beschick ver- 
wertet, aber inschriftliche Zeugnisse finden sich bei ihm nur gelegentlich 
berücksichtigt. Der kleinen Abhandlung von Kraus (Landshut 1875) ist 
dagegen ein selbständiger Wert abzusprechen, besser ist die Arbeit von 
Pichlmayr (Erlangen 1889); diejenige von Halberstadt (Amsterdam 
1877) ist ein blosser Panegyrikus. 



7. Domitians glückliche Anfange. 87 

auf den Chattenkrieg bezügliche Notizen erhalten. Die Dichter 
Martialis und Statius versäumen keine Gelegenheit, dem ir- 
dischen Jupiter ihre Huldigungen darzubringen. Statius hat 
in einem Gedichte, das bis auf einige Zeilen verloren gegangen 
ist, den germanischen Krieg besungen; als Gegenstück dazu 
kann man die vierte Satire Juvenals betrachten; eine 
Parodie auf des Statius Epos, führt sie den Kaiser und die 
Mitglieder seines Consiliums ein , wie sie auf der albanischen 
Villa über die Verwendung eines seltenen Fisches beraten. 
Denkmäler sind nur wenige vorhanden, weil mit der Ächtung 
des kaiserlichen Andenkens eine gründliche Zerstörung seiner 
Bildnisse, Statuen und Inschriften verbunden war. Mit der 
neuen Ära, die nach seinem Tode begann, lebte die Ge- 
schichtschreibung, für die unter einer Gewaltherrschaft der 
Boden ungünstig war, wieder auf. Plinius stellte den Kaiser 
in der im J. 100 gehaltenen Dankesrede, um Traians Per- 
sönlichkeit und Verdienste noch mehr hervortreten zu lassen, 
als blutdürstigen Unhold hin. Tacitus rühmt die Zeiten, in 
denen gestattet ist, was man will, zu denken, und was man 
denkt, zu schreiben; er spricht zwar in würdigerm Tone als 
Plinius von dem Regenten, der ebenso hinterlistig wie 
grausam den Senat misshandelt hatte und in seinen letzten 
Jahren noch den Nero überbot. Die unmittelbarste und zu- 
verlässigste Quelle für die Geschichte Domitians ist seine 
Biographie von Suetbn, die neben dem Gerede der Leute, 
wie es über jeden Hof in Umlauf gesetzt wird, zuverlässige 
und sachliche Mitteilungen enthält. Dagegen sind die griechi- 
schen Quellen, des Philostratos Lebeasbeschreibung des 
ApoUonios von Tyana und die Auszüge aus Dio, mit grösster 
Vorsicht zu benutzen. 

So sehr diese Berichte im einzelnen von einander ab- 
weichen, so ergiebt sich als eine unbestreitbare Thatsache, 
dass den Domitian hervorragende Gaben des Verstandes 
auszeichneten, dass er Sinn für höhere Bildung hatte und ihn 
ein inneres Bedürfnis zu den Staatsgeschäften zog. Manches 
treffende Witzwort wird verzeichnet; er führte gern home- 
rische Kraftstellen an und verehrte Minerva als seine 
Schutzgöttin. In Jüngern Jahren war er eine schöne Er- 
scheinung, hochgewachsen und von vollkommenstem Eben- 
mass der Glieder. In den uns erhaltenen Bildnissen kommen 
Selbstbewusstsein und Klugheit zum Ausdruck. Starken 
körperlichen Übungen abgeneigt, suchte er lieber seine Er- 
holung beim Würfelspiel, im Rudern und Bogenschiessen. 
Seine Lebensweise war einfach. Früh am Tage nahm er 
ein Bad und sättigte sich beim Frühmahle, so dass er bei 
der cena ausser einem Mattianischen Apfel und einem mässi- 



88 Zweites Buch. 

gen Trünke nicht leicht etwas zu sich nahm. Die Gast- 
mähler, die er veranstaltete, waren reichlich, aber man 
speiste nahezu in Eile. Der Kaiser pflegte die Tafel, ohne 
ein Trinkgelage zu gestatten, vor Einbruch der Nacht aufzu- 
heben und, bis er zur Ruhe ging, allein an einsamem Orte zu 
weilen ^). An der Einschränkung des Tafelluxus und der Besse- 
rung der Sitten, die in erster Linie auf das Beispiel des 
Vespasian zurückzuführen ist, hat der jüngere Sohn einen 
bemerkenswerten Anteil. Willkür und Sinnlichkeit, Missgunst 
und Ehrsucht, Verschlossenheit und Misstrauen sind Züge, 
die in seinem Charakter hervortreten, als ihn noch die Auto- 
rität seines Vaters im Zaume hielt. Da ihn dieser nicht zu 
den Geschäften zuzog, hatte er sich litterarischen Studien 
zugewandt, mit Eifer gedichtet und recitiert. Den Kampf auf 
demKapitol, bei dem er selbst in Lebensgefahr geraten war, 
und den jüdischen Krieg und die Thaten des Titus machte 
er zum Gegenstande einer epischen Dichtung. Quintilian 
rühmte diese poetischen Arbeiten in überschwenglichen Worten. 
Nur seine Erhebung zum Weltregiment habe ihn um den 
Namen des grössten Dichters gebracht*). Als Kaiser habe 
er dies Lob durch seine andern Vorzüge verdunkelt. Sueton 
versichert, er habe ausser den Memoiren und Schriften des 
Tiberius nichts mehr gelesen. Aber trotzdem hat er sein 
Interesse für die Lilteratur in hervorragendem Masse be- 
thätigt. Nicht nur liess er die abgebrannten Bibliotheken 
mit grossen Kosten wiederherstellen, wertvoUe Bücher 
in Alexandria aufkaufen, abschreiben oder emendieren. 
Nachhaltigere Folgen hatten die in Rom gestifteten öffent- 
lichen Wettkämpfe. Alljährlich am 19. März, am Hauptfeste 
der Minerva, stritten Dichter und Redner auf dem albanischen 
Landsitze um den goldenen Olivenkranz. Und alle vier Jahre 
fand seit 86 zu Ehren Juppiters der kapitolinische Agon statt, 
dessen dritter Teil den musischen Künsten gewidmet war. 
Dabei führte der Kaiser in griechischer Tracht, mit dem 
Purpurmantel und einer Goldkrone geschmückt, auf der die 
Bildnisse Juppiters, der Juno und Minerva angebracht 
waren, den Vorsitz und erteilte als Preis den Eichenkranz ^) 



') Sueton, Dom. 18^ 21, teilt diese Einzelheiten mit. PI in. paneg. 
49 hat niemals angerechter geurteilt. Domitian habe schon des Vor- 
mittags zum Platzen vollgepropft, rülpsend und lauernd seine Gäste 
überwacht und nach seinen ^ heimlichen Schwelgermahlzeiten fast keine 
Speise mehr berührt. 

') Quintilian US 10, 1, 9: Quid tamen his ipsis eins operibus in qiiae 
donato imperio iuvenis secesserat sublimius^ doctius, Omnibus denique 
numeris praestantius u. 10, 1, 92: Nunc ceterarum virtutam laus lata (als 
Dichter) praestringitur. 

^) Censorinns, De die natali c. 18. 



7. DomitiaDB glückliche Anfänge. 89 

s war SO, als ob die olympischen oder pythischen Spiele 
ach Rom verpflanzt wären und die griechisch-römische 
ultur in dem Kaiser selbst ihren Repräsentanten gefunden 
ätte. Wenn auch sein Lob das stehende Thema war und 
ei dem herrschenden Drucke die Originalität der Dichter 
jiden musste, so ist doch die von höchster Stelle ans- 
ehende Anregung den musischen Künsten fördernd zu gute 
ekommen. 

Der Anfang der neuen Regierung war nach allen Seiten 
inwandfrei und erfolgreich. Domitian blieb zunächst dem 
Legierungssystem , das sich unter seinen Vorgängern bewährt 
atte, treu. Dem Titus, der unter die divi aufgenommen 
mrde, hielt er unter Thränen die Leichenrede und weihte 
en grossen Triumphbogen auf der Velia. Die Eponymie 
mrde wieder mit dem Prinzipate verbunden , und die Fristen, 
ie unter Titus zweimonatlich gewesen waren, wurden wieder 
erlängert. Vibius Crispus und A. Fabricius Veiento, die im 
. 83 durch ein drittes Konsulat ausgezeichnet wurden , haben 
[im offenbar am nächsten gestanden. 

Die Bestätigung der Verfügungen seiner Vorgänger, die 
Jeschränkung der Ansprüche des Ärars, die Bestrafung der 
)elatoren, das Verbot der Knabenentmannung, die Ein- 
chränkung der Pantominen waren Massnahmen, die von 
;utem Willen zeugten. 

Erfolgreiche Feldzüge an der Nordgrenze des Reiches 
iessen auf seine Regierung einen Abglanz des militärischen 
luhmes fallen, der seinem Vater und Bruder in so reichem 
ilasse zuteil geworden war. 

Agricola sicherte im J. 82 durch einen Sieg über die 
^aledonier den Besitz von Britannien. Aber anstatt die Ver- 
olgung dieses Sieges und die Eroberung des heutigen Schott- 
and und Irland gutzuheissen, zu der von dem unternehmenden 
-iCgaten alle Vorbereitungen getroffen waren, rief er diesen 
lach siebenjähriger Verwaltung zurück und bemühte sich 
mter Verzicht auf die kostspielige Offensive um Herstellung 
3iner Defensivstellung an der schottischen Landenge. Die 
Liinie vom Clyde- zum Forthbusen war schon von Agricola 
nit einer Postenreihe besetzt worden, und die Anlage, die 
3ich auf einen ansehnUchen Erdwall mit Graben davor und 
Strasse dahinter beschränkt, entspricht dem Limes, der einige 
Jahre später in Germanien begonnen wurde ^). 

An diesem stets bedrohten Punkte war ein kräftiger Ver- 
stoss nötiger als in Britannien, wenn den Raubzügen der 
Chatten ein Ziel gesetzt und das Werk Vespasians vollendet 



') Th. Mommaen, Rom. Geschichte V 8.169, 171. 



90 Zweites Buch. 

werden sollte. Domitian selbst begab sich in Begleitung 
tüchtiger Offiziere, unter denen sich auch der als Techniker 
hervorragende Julius Frontinus befand, auf den Kriegsschau- 
platz. Die Kraft des chattischen Stammes wurde durch 
mehrere von Mainz aus gegen den Taunus unternommene 
Vorstösse gebrochen, ohne dass es zu einer grösseren 
Schlacht gekommen wäre^). Hatte man bisher nur einen 
Streifen Landes von Wiesbaden bis Höchst als Vorterrain 
der Festung Mainz gehalten, jetzt wurde ein Teil des Chatten- 
landes, das Gebiet der Mattiaken, besetzt und in engere 
Verbindung mit dem früher gewonnenen Dekumatenlande 
gebracht, dessen Grenze sich auf den Ausläufern des Taunus 
und Vogelsberges hielt. Damals begann man mit dem Bau 
einer Grenzwehr; ob zuerst im Taunus oder mit dem Stücke, 
das bestimmt war, die durch Kastelle befestigte Main- und 
Neckarlinie zu verbinden, ist noch nicht ausgemacht 2). Münzen 
mit der Aufschrift , Germania capta*, mit Symbolen der Knecht- 
schaft, überschwengliche Gedichte des Statins imd Martialis 
verherrlichen diese Erfolge , für die der Senat dem Imperator 
die Ehre eines Triumphes und den Beinamen Germanicus 
zuerkannte. 

Nach Rom zurückgekehrt, glaubte Domitian seine Stellung 
so weit befestigt, dass er es wagen konnte, ihre monarchische 
Seite noch schärfer geltend zu machen, als es sein Vater 
getban hatte. Der Senat hatte gehofft, es werde der Kaiser 
den Gerichtsstand der Senatoren in Kapitalsachen anerkennen. 
Während Titus überhaupt kein Todesurteil gefällt hatte, legte 
Domitian den grössten Wert darauf, sein Recht über Leben und 
Tod auch dem Senate gegenüber zu handhaben^). War schon 
hierdurch die Freiheit der Beratung und Meinungsäusserung 
in Frage gestellt, so wurde die Körperschaft, die nach der 
von Augustus gegebenen Verfassung sich mit dem Prinzeps 
in die Reichsregierung teilen sollte, um ihre Selbständigkeit 
gebracht, als Domitian im April des J. 85 die Censur, zu- 
nächst in denselben Formen wie sein Vater, aber schon im 



») Vgl. meine Abhandlung im Bonner Jahrbuch LXXXI (1886), S. 27 fg. 
und Herzog, a.a.O. S. 314: Die Erfolge waren im wesentlichen strate- 
gischen Mitteln und klugem Entgegenkommen zu danken. Dass für Land 
zu Kastellzwecken im Chattengebiet Entschädigung geleistet wurde, mochte 
als ein Erkaufen des Sieges gedeutet werden. 

*) „Den Beweis für die Eroberung Domitians erbringen die in den 
Centralziegeleien zu Nied und in den Kastellen Hofheim, Friedberg, 
Okarben gefundenen Stempel der um die Wende vom 1. zum 2. Jahrb. 
aus Obergermanien verlegten Legionen I XIV XXI." Hettner, Bericht 
über die Erforschung des obergermanisch-rätischen Limes (Trier 1896), S. 29. 

^) Dio 67, 2: O'jx §9pövxt.5£v . . ., Sxi -^ yepODaloL tcoXXgcxi^ fjS£o*j 
cpYj^io^'iJvai fiY] igstvai zip aöxoxpdxopt xßv 6fioxCfiü)v xivdc änoXiaai. 



7. Domitians glQckUche Anfänge. 91 

fovember desselben Jahres auf Lebenszeit übernahm. Die 
3ctio senatus und das regimen morum waren nun grund- 
ätzlich mit der höchsten Gewalt vereinigt und damit die 
Zusammensetzung der mitregierenden Körperschaft in das 
Jelieben des Kaisers gestellt i). Schon vorher hatte sich 
ieser ein zehnjähriges Konsulat beschliessen lassen, das er 
ur der Eponymie wegen in der Regel bis zum 13. Januar 
ihrte. 

Auf diesem Wege ging er zunächst weiter, ohne dass 
nr in der Lage wären, im einzelnen seine Schritte zu ver- 
olgen. Das wenige, was wir davon wissen, reicht aber aus, 
ins über das Ziel seiner Innern Politik völlige Klarheit zu 
erschaffen. 

Es kommt jetzt häufiger vor, dass die höchsten Amter, 
lie früher den Senatoren vorbehalten waren, an Ritter und 
''reigelassene verliehen werden 2). L. Minicius Italus hat 
»"orübergehend sogar Asia verwaltet. Erschien er öffentlich, 
10 begleiteten den Kaiser 24Liktoren, kam er in den Senat, 
io trug er das Purpurgewand. Beides aber geschah immer 
leltener. Im Gegensatze zu seinen nächsten Vorgängern 
entzog er sich, dem Beispiele des Tiberius folgend, den 
Blicken seiner ünterthanen und lebte meist in der Stille 
jeiner albanischen Villa. Eine Formulierung fand die schran- 
kenlose Herrscherstellung, die er einnehmen wollte, in dem 
tVorte »dominus*. Zwar hat er diese Bezeichnung, die Tibe- 
ius mit Entrüstung zurückgewiesen hatte, in seine Titulatur 
licht aufgenommen, aber wenn er das Formular für die 
Prokuratoren diktierte, bediente er sich nach Sueton der 
Worte: ;, Unser Herr und Gott hat folgendes befohlen. ^^ Dessen 
iveitere Nachricht, infolge dessen sei es Brauch geworden, 
lin weder mündlich noch schriftlich anders anzureden, wird 
iurch die Gedichte des Martialis und Statins sowie durch 
3ie Inschriften bestätigt. 

Sohn und Bruder eines Divus, glaubte er befugt zu sein, 
sich selbst zum Range einer Gottheit zu erheben. Er war 
der erste nach Caligula, der bei seinen Lebzeiten als Gott 
verehrt wurde 3). Auf dem Kapitol standen seine Bilder unter 
den übrigen Gottheiten. Wie diesen durften ihm nur goldene 
und silberne Statuen von bestimmtem Gewichte errichtet 
werden. Den Dichtem heisst er deus, Jupiter und sacra- 
tissimus Imperator, auf Münzen von Asia wird er als Q'zog, 
in Athen als Zeu^ iXeuQ'ipioq bezeichnet. Als er sich mit 
Domitia, von der er eine Zeitlang geschieden war, wieder 

^) Chambalu, a.a.O. S. 19. 
*) Sueton, Dom. 7. 
*) Plinius, paneg. 56. 



92 Zweites Buch. 

vereinigte, hörte man ihn sagen, er habe sie auf seinen 
Göttersitz zurückgerufen. Während der. gerade, einfache 
Sinn seines Vaters auf eine eigene Grabstätte verzichtete 
und bestimmte , dass seine Asche im Mausoleum des Augustus 
beigesetzt werden sollte, hat Domitian auf dem Quirinal 
an der Stelle, wo er geboren war, für sich und sein Haus 
ein Grabmal gebaut, das an Glanz das Julische Mausoleum 
übertraft). 

Vor allem aber war die Baulust Vespasians bei dem 
Jüngern Sohne zur Leidenschaft gesteigert. Er suchte durch 
die von ihm vollendeten und neuerrichteten Bauwerke alle 
seine Vorgänger zu überbieten, Rom zu einem seiner kaiser- 
lichen Gottheit würdigen Herrschersitze auszugestalten, Künst- 
ler und Arbeiter in einem nicht dagewesenen Umfange zu 
beschäftigen. So zahlreich waren seine Bauten, dass ein 
Forscher, der ihre Spuren an Ort und Stelle untersucht hat, 
sagen konnte, Rom habe unter seiner Regierung sein Aus- 
sehen verändert. So prachtvoll waren sie, dass der viel- 
gereiste Plutarch^) in Worte der Bewunderung ausbrach. 
In dem Juppitertempel auf dem Kapitol, den er nach einem 
neuen Brande wieder aufgebaut hatte, habe die Vergoldung 
12 000 Talente (etwa 55V2 Millionen Mark) gekostet. Doch 
wer erst in seinem Paläste einen Säulengang oder eine Halle, 
ein Bad oder eine Wohnung seiner Maitressen sehe, der 
müsse sagen, der Erbauer habe gleich Midas seine Freude 
daran gefunden, durch seine Berührung alles in Gold zu 
verwandebi. Der gewaltige Bau dieses Palastes ruhte nach 
des Statins^) preisender Schilderung nicht auf 100 Säulen, 
sondern auf so vielen, dass sie den Himmel stützen könnten, 
und schloss weite offene Räume ein; dort wetteiferten numi- 
discher, synnadischer, chiischer, carystischer Marmor* und 
Granit aus Syene; nur die Postamente der Säulen waren aus 



^) Nach O. Hirsch feld, Sitzungsberichte der preussischen Akademie 
der Wissenschaften LI (1886) S. 1159. Diese Grabstätte wurde erst im 
J. 94 vollendet. Aus dem Umstände, dass in der Nähe ein Kolossalkopf 
des Vespasian gefanden wurde , hat man gefolgert , dass auch dessen Asche 
in dasselbe Grabmal übergeführt wurde. 

«) Pubücola c. 15. 

3) Silv. 4, 218—231. Vgl. Martial, ep. 8, 36. Friedländer, 
Sittengeschichte III, 89. 

Vollständiger als bei Sueton ist die Aufzählung der Bauten Demi- 
tians bei Eusebius II p. 161 Seh.: Multa opera Romae facta, in quis 
Capitolium, forum transitorium, divorum porticus, Iseum ac Serapeum, 
Stadium, horrea piperatoria, Vespasiani templum, Minerva Chalcidiea, 
Odeum, forum Traiani, thermae Traianae et Tiberianae, senatus ladus 
matutinus, mica aurea, meta Sudans et Pantheum. Sehr eingehend hat 
über die Bauten Domitians Gsell in einem der besten Abschnitte seines 
wiederholt angeführten Werkes gehandelt: Rome sous Domitian S. 90 — 130. 



7. Domitians glückliche Anfänge. 93 

arrarischera Stein. Die Höhe des Palastes war so gross, 
ass der ermüdete Blick kaum die Kuppelwölbungen , die ver- 
oldeten Deckenfelder erreichen konnte. ;,Was sind die Denk- 
läler von Memphis, verglichen mit dem Palatium? Der Pelion 
cheint auf dem Ossa zu ruhen. Deine Wohnung reicht bis 
um Himmel und verliert sich inmitten glänzender Sterne*^). 
]in für musikalische Aufführungen bestimmtes Odeum war 
1er Schmuck des Marsfeldes und hatte 10000 Plätze, das 
;tadium deren 30000. 

Auf dem Forum stand des Kaisers Bronzestatue. Er 
^ar zu Pferde dargestellt; auf den Schultern das Paludamen- 
um, an der Seite das Schwert, reitet er den Gott des 
Iheines nieder. Sein Blick war auf den Tempel des Julius 
]!aesar und die Wohnung der Vestalinnen gerichtet, zu seiner 
sinken hatte er die Basilica Aemilia, zu seiner Rechten die 
Jasilica Julia, auf der Rückseite die Tempel der Concordia 
md des divus Vespasianus. In der einen Hand trug er die 
jtatue der Minerva, die Rechte war ausgestreckt, als ob sie 
ler Welt Frieden gebieten wollte*). 

So suchte Domitian den Eindruck seiner Person und seiner 
Srfolge ins Heroenhafte zu steigern. 

Der Senat beugte sich, ohne einen ernstlichen Widerstand 
:u versuchen^); Statuen und Triumphbogen wurden immer 
ron neuem beschlossen, Gelübde und Opfer für das Wohl- 
ergehen des Kaisers und die Ewigkeit des Reiches wurden 
iargebracht. Sein Geschäftskreis war von Jahr zu Jahr 
mger geworden. Der jüngere Plinius erinnert in einem 
Briefe an die Zeit, wo die Kurie zitterte oder sprachlos war, 
n der zu sagen, was man wollte, gefährlich, was man nicht 
A^oUte, jämmerlich war, wo die Väter entweder zur grössten 
Jnthätigkeit oder zu den grössten Freveln berufen wurden, 
md bald zum Spotte , bald zum Schmerze zusammengehalten, 
liemals Ernstes, oftmals Trauriges beschliessen mussten. Und 
m Panegyricus klagt er, wenn auch in übertriebenen Worten, 
iie Senatoren seien nur zusammengetreten, um dem Prinzeps 
leue Ehren ausfindig zu machen oder sich zu seinen Mit- 
jchuldigen herabzuwürdigen, um über die Vermehrung der 
2ahl der Gladiatoren und die Bildung*) eines Kollegiums von 
iVerkleuten zu beraten. 

Dem Reiche schadete es nicht, dass die Regierungsgewalt 
straffer angespannt, die Verwaltung einheitlicher gestaltet 



1) Martial, ep. 8, 36. 
•) Gsell, a.a.O. S. 104. 

•) Plinius, paneg. 54: Certamen adulationum , 55: Novitas oninis 
idulatione consumpta. Vgl. Gsell, a.a.O. S. 46. 

*) Plinius, ep. 8, 14, 8; paneg. 54. Dazu Gsell, a.a.O. S. 56. 



94 Zweites Buch. 

und ein Teil der Rechtspflege vom Kaiser selbst in die Hand 
genommen wurde. „Die Behörden der Hauptstadt und die 
Statthalter der Provinzen", sagt der Zeitgenosse, ^hielt er so 
strenge in Ordnung, dass sie niemals uneigennütziger und ge- 
rechter gewesen sind/' Derselbe Sueton stellt ihm das Zeug- 
nis aus, dass er der Rechtsprechung mit Eifer und Sorgfalt 
oblag, bestechliche Richter aufs strengste bestrafte und par- 
teiische Entscheidungen des Centumviralgerichtes aufhob. Es 
konnte nicht fehlen , dass der richtenden Thätigkeit der Kon- 
suln und Prätoren durch dies persönliche Eingreifen der Boden 
entzogen und jede Initiative genommen wurde ^). 

Die wichtigsten Fragen der Rechtsprechung und Ver- 
waltung brachte Domitian in einem Consilium zur Sprache, 
in dem die angesehensten Männer des Senatoren- und Ritter- 
standes vereinigt waren, und das, ohne gerade eine organische 
Einrichtung zu sein, eine kräftige Stütze für das kaiserliche 
Ansehen abgab. Wir kennen aus der vierten Satire Juvenals 
die Mitglieder des Beirates; es finden sich darunter Männer, 
die schon dem Vespasian und Titus treu gedient hatten*): 
der berühmte Jurist Pegasus, die namhaften Redner und 
Sachwalter Q. Vibius Crispus und A. Fabricius Veiento, der 
alte Parteigänger der Flavier aus der Zeit der Bürgerkriege 
Cornelius Fuscus. Mit Rücksicht auf diese und andere Männer 
konnte man später sagen, der schlechteste Kaiser habe gute 
Freunde gehabt^). 

Wie Domitian in der Kontrole ungerechter Beamten und 
der beständigen Teilnahme an den Gerichtsverhandlungen 
dem Beispiele des Tiberius folgte, so war dieses auch für 
die Bildung des ConsiUums massgebend geworden. In dem 
Beirate, den Tiberius nach dem Vorgange des Augustus an- 
genommen hatte, kamen alle politischen Angelegenheiten zur 
Sprache; auch ein Nichtsenator, Aelius Seianus, hatte darin 
Sitz und Stimme*), wie unter Domitian der Gardepräfekt Cor- 
nelius Fuscus. Unter des Tiberius Nachfolgern ist von einem 
politischen Consilium nichts mehr überliefert. 

^J Plinius, paneg. 94: Super omnia praedicandum videtur quod pateris 
coDsules esse quos fecisti. 

^) Gsell, a.a.O., S. 62 stellt alle uns bekannten Namen zuBammen 
und weist auf die Bronzetafel CIL 9, 5420 hin, auf der man die Worte 
liest: Adhibitis utriusque ordinis splendidis viris cognita causa. 

^) Lampridius, Alex. 65: Id quidem ab HomuUo ipsi Traiano dictum 
est, cum ille diceret Domitianum pessimum fuisse, amicos autem bonos 
habuisse. Sueton, Tit. 7: Amicos elegit, quibus etiam post eum principes 
ut et sibi et reipublicae necessariis adquieyerunt praecipueque sunt nsi 
(also auch Domitian). 

*) Sueton, Tiber. 55: Super veteres amicos ac familiäres viginti sibi 
6 numero principum civitatis depoposcerat velut consill^rios in negotüs 
publicis. Vgl. Herzog, Rom. Staatsverfassung, II 1 S. 259. 



7. Domitians glückliche Anfange. 95 

Auf eine Schmälerung des Ansehens der alten republi- 
inischen Ämter lief auch die Hebung der Bedeutung der 
tadtpräfektur hinaus, der 14 Vorsteher der Quartiere unter- 
;ellt wurden^). In dieses Amt gelangten Männer von hervor- 
igender persönlicher Tüchtigkeit. Wir kennen als solche 
ie Konsularen T. Aurelius Fulvus, Rutilius Gallicus und den 
iristen Pegasus. Die Garde stand unter zwei Befehlshabern, 
ie häufiger wechselten, und bewahrte dem Kaiser die Treue 
ber den Tod hinaus. 

In der Finanzverwaltung wurden mit Vorliebe bewährte 
reigelassene verwandt. Das Amt a rationibus bekleidete in 
en ersten Jahren der reiche und hochangesehene, von 
tatius*) gefeierte Claudius Etruscus. Der Ertrag iberischer 
nd dalmatischer Goldbergwerke, afrikanischer und ägyp- 
scher Ernten, der Perlfischereien der östlichen Meere, der 
irentinischen Herden, der alexandrinischen Krystallfabriken, 
er numidischen Wälder, des indischen Elfenbeins untersteht 
einer alleinigen Verwaltung^). Sein und seiner Nachfolger 
''erdienst dürfte die reelle Geldprägung sein, die eine der 
rfreulichsten Seiten dieser Kegierung ausmacht. Das Gold- 
tück, das Nero auf ^Ub Pfund herabgesetzt hatte, wird voll- 
richtiger. Es steht im Durchschnitt 0,2 bis 0,3 Gramm über 
/45 Pfund. Die Legierung, die unter Vitellius und wieder 
eit Traians letzten Jahren nahezu Vs ausmacht, beträgt 
nter Domitian nur ^/lo. Mochten aber einzelne Freigelassene, 
ie persönlich tüchtig und zuverlässig waren, in hervor- 
agende Stellungen eintreten, dauernden, beherrschenden Ein- 
iuss wie unter Claudius und Nero haben sie unter Domitian 
licht gehabt. Neben einer selbstherrlichen Natur, wie 
ieser sie hatte, war für eine eigentliche Günstlingsherrschaft 
:ein Raum vorhanden. Nur in der spätem Zeit, als 
»ei ihm das Misstrauen überhand genommen hatte, besass 
ler Kämmerer Parthenius im Palaste grosses Ansehen; 
ogar das Recht, das Schwert zu tragen, war ihm als Zeichen 
dner hohen Gerichtsbarkeit verliehen worden*). Zu den 
lofämtern wurden auch Ritter zugelassen. So verwaltete 
las Amt ab epistulis der von Plinius als einer der besten 
Äänner seiner Zeit gerühmte Titinius Capito^), vermutlich der 
Nachfolger des Freigelassenen Abascantus, dessen Fähigkeit 
md Arbeitskraft Statins rühmt. Auch nach seiner Beförde- 
rung sei er sich gleich geblieben in seiner Ruhe, Recht- 
ichaffenheit und Bescheidenheit; seine massigen Mahlzeiten und 

*) Laurentius Lydus, De magistr. populi Romani II 19 p. 185. 

2) Silv. 3, 3, 86. 

3) SUv. 3, 3, 84. Friedländer, a.a.O. I« S. 107. 
*) Dio 67, 15. Gsell, a.a.O. S. 326. 

^) Plinius, ep. 8, 12. CIL 6, 798. 



96 Zweites Buch. 

nüchternen Becher glichen denen apulischer oder sabinischer 
Bauern ^). 

Domitian hat den Senat um seine politische Selbständig- 
keit gebracht und von der Dyarchie des Augustus nur leere 
Formen übrig gelassen. Es wäre folgerichtig gewesen, den 
Senat ganz zu beseitigen. Aber selbst sein gewaltthätiger 
Sinn hat an dies Wagnis schwerlich im Ernste gedacht, das 
als eine Versündigung an der Vergangenheit des römischen 
Volkes erscheinen musste. 

So vieles er im Staatswesen änderte, zu tiefgreifenden 
Reformen ist es unter ihm nicht gekommen. Im ganzen be- 
wegte er sich in den Bahnen seines Vaters, nur dass er 
einige fruchtbare politische Gedanken, dem Regimente des 
Tiberius entlehnte. Seines Vaters monarchische Regierungs- 
weise hat er zum Despotismus überspannt. Die Worte, mit 
denen Tacitus die Politik des Augustus und Claudius charak- 
terisiert: ^munia senatus , magistratuum , legum in se trahere' 
gelten in noch höherm Masse von Domitian. 

Die Erinnerung an diese beiden Vorgänger erscheint in 
einem bedeutsamen Akte vereinigt. 

Im J. 88 wurden nach dem Vorgange des Claudius, 
nach der Berechnung des Augustus, jedoch sechs Jahre za 
früh, die Säkularspiele gefeiert. Cornelius Tacitus, der 
Schwiegersohn des Agricola, war dabei als Quindecimvir 
sacris faciundis und Praetor hervorragend beteiligt'). 



ACHTES KAPITEL. 

Die grosse Krisis. 

Wir sahen, dass es in den ersten Jahren seiner Regierung 
Domitian gelang, die Grenze gegen Germanien hinauszu- 
schieben und zu befestigen; gleichzeitig und später wurde 
an der Donau mit wechselndem Erfolge gekämpft, aber erst 
nach grossen Verlusten die Grenze von neuem gesichert. 

Zum Zweck der Verstärkung des Donauheeres verwandte 
man rheinische Truppenkörper. Mösien wurde geteilt und 



*) Statius, Silv. V, 1 und dazu Friedländer, a.a.O. I« S. 110. 

*) Tac. ann. 11, 11: Utriusque principis rationes praetermitto , satis 
narratas libris, quibas res imp. Domitiani composai. Nain is quoqae edidit 
ludos saeculares iisquo intentius adfiü sacerdotio qnindecimyiraU prae- 
ditus ac tunc praetor. 



8. Die ^0886 Krisis. 97 

für den Legaten L. Funisulanus Vettonianus ein grösseres 
Kommando über Dalmatien, Pannonien und Moesia superior 
geschaffen. Erst diese durchgreifenden Massnahmen führten 
im J. 85 eine glückliche Wendung des Krieges herbei, sodass 
eine Verminderung der Heeresmacht durch Entlassung der 
Veteranen unbedenklich erschien. Aber schon im folgenden 
Jahre unternahm der König Decebalus, dessen Persönlichkeit 
offenbar unterschätzt worden war, einen Einfall in die Provinz. 
Die Legionen wurden geschlagen, der Legat C. Oppius Sabinus 
Bei im Kampfe; die Daker machten eine unermessliche Beute. 

Da der Besitz der Balkan-Halbinsel gefährdet war, so traf 
Domitian die umfassendsten Vorbereitungen. Er zog Ver- 
stärkungen herbei, übertrug den Oberbefehl dem Gardeprä- 
fekten Cornelius Fuscus und begab sich selbst auf den Kriegs- 
schauplatz, um von einer Stadt Mösiens aus die Organisierung 
der Reserve zu leiten, während Fuscus auf einer Schiffbrücke 
über die Donau ging und den König in sein eigenes Land hinein 
v^erfolgte. Seine Unbesonnenheit führte eine neue Katastrophe 
derbei. Er selbst kam ums Leben, sein Heer wurde fast 
gänzlich aufgerieben, das Lager mit allem Proviant, mit 
Kriegsgerät und Feldzeichen eine Beute der Daker. 

Domitian war schon früher nach Rom zurückgekehrt, weil 
er besorgte, diese Misserfolge könnten seine Stellung er- 
schüttern. Wie kritisch die Lage des Reiches war, lässt 
sich aus einigen Spuren erraten. Im J. 87 versammeln sich 
wiederholt die Arvalen, einmal in ausserordentlicher Weise, 
um ^pro salute et incolumitate Augusti^ Gelübde darzubringen. 
Am 22. September wird auf dem Kapitol „ob detecta scelera 
nefariorum^ geopfert, Worte, die sich nur auf eine in Rom 
aufgedeckte Verschwörung beziehen können. Man kann an 
Parteigänger des falschen Nero denken, der damals bei den 
Parthern Aufnahme fand, oder an solche des Civica Cerialis, 
der als Prokonsul von Asien hingerichtet wurde. 

Die Arvalakten des J. 87 sind vollständig erhalten; bei 
den ausserordentlichen Gelübden in der zweiten Hälfte des 
Januar 87 war der Kaiser in Rom anwesend; in den Akten 
ist von seiner Abwesenheit keine Rede. Täuscht nicht alles, 
so ist Domitian in der letzten Hälfte des J. 86 zum ersten- 
male an der Donau gewesen; zum zweitenmale begab er sich 
nach dem Untergänge des Fuscus, Anfang 88, auf den Kriegs- 
schauplatz. 

Mit der Führung des Krieges betraute er nach dem neuen 
Missgeschick den rechten Mann, den Konsularen Tettius 
Julianus, der sich im J. 69 in Mösien ausgezeichnet hatte, 
83 Konsul gewesen war und jetzt Statthalter in Obermösien 
wurde. Die Zucht des Heeres, die sich unter dem Eindrucke 

Asbach, Eaisertam und Verfassung. ' 



98 . Zweites Buch, 

des gehäuften Unglücks gelockert hatte, stellte er wieder 
her; er erfüllte die Truppen mit besserem Geiste. Das 
ist auch der Sinn der Anekdote, dass er auf den Schild 
jedes einzebien Mannes dessen eigenen und seines Centurio 
Namen einschreiben liess. Sein siegreicher Feldzug nach 
Siebenbürgen , die Vernichtung des feindlichen Heeres an den 
Pässen von Tapae, die Bedrohung der Hauptstadt Sarmize- 
gethusa sind Ereignisse, die Ende 88 geschahen. Nach Dio 
soll die Hauptstadt nur durch eine List gerettet worden sein. 
Thatsächlich hat eine Erhebung der Quaden, Markomannen 
und Sueben, die mit Decebalus im Bunde standen, also aller 
Völker an der mittleren Donau , auf die Kriegführung in Dakien 
lähmend gewirkt. Zwar wurde gegen diese Völker unter 
Domitians persönlicher Teilnahme von Pannonien aus ein 
Vorstoss unternommen, aber neues Missgeschick bestimmte 
ihn, mit dem Hauptfeinde, den Dakern, Frieden zu schliessen. 

Tettius Julianus, der bis zur feindlichen Hauptstadt vor- 
gedrungen war, rausste seine Operationen einstellen. Diegis, 
der Bruder des Königs, der eine geringe Anzahl erbeuteter 
Waffen und Gefangener überbrachte, empfing aus Domitians 
Händen das Diadem, zum Zeichen, dass Decebalus des Kaisers 
Vasall geworden sei. In Rom erschienen dakische Gesandte, 
auch ein eigenhändiger Brief des Decebalus gelangte im Senate 
zur Verlesung. Die Grenzen blieben dieselben wie vorher. Dem 
König wurden Geld und Arbeiter bewilligt zur Verwendung 
im Kriege und Frieden und ihm als einem Freunde des 
römischen Volkes ein Jahrgehalt zugesagt. Die Nachrichten 
über diesen Friedensschluss sind mit grosser Vorsicht auf- 
zunehmen, da sie nicht allein höchst lückenhaft sind, sondern 
auch dem gehässigen Berichte Dios und dem Panegyricus 
des Plinius verdankt werden^). 

Rascher und günstiger für den Kaiser verlief eine gleich- 
zeitige Krisis, deren Schauplatz der Mittehrhein war. L. An- 
tonius Saturninus erhob, von Domitian persönlich verletzt, 
gegen Ausgang des Dezember 88 oder in den ersten Tagen 
des Januar in dem Mainzer Winterlager, wo zwei Legionen 
vereinigt waren, die Fahne des Aufstandes und bestimmte 
ausser diesen auch die übrigen Legionen der obergerma- 
nischen Provinz zum Anschlüsse. Er rückte in Eilmärschen 
rheinabwärts , um sich mit den Chatten , seinen Verbündeten, 
an geeigneter Stelle, wahrscheinlich in der Nähe der Lahn- 
mündung, zu vereinigen. Hätten die niederrheinischen Le- 
gionen sich ihm angeschlossen, so würden sich die Schrecken 
des J. 69 wiederholt haben. Aber ihr Legat L. Appius Nor- 



i) Dio 68, 6 und paneg^. 11 u. 12. 



8. Die grosse Krisis. 99 

banus Maximus blieb dem Kaiser treu, eilte den Rebellen 
entgegen und schlug sie Mitte Januar in der Nähe der Grenze 
der beiden Provinzen in entscheidendem Waffengange. Ein 
plötzlich eingetretenes Tauwetter sprengte die Eisdecke des 
Rheines und machte es dem Heerbanne der Chatten unmög- 
lich, über den Strom zu gehen und dem Antonius Bundes- 
hülfe zu leisten. Die Römerherrschaft am Eheine war ge- 
rettet. 

Domitian war Mitte des verhängnisvollen Monats mit den 
Prätorianern in den Krieg gezogen. Dem Legaten der in 
Spanien stehenden legio VII Gemina, M. ülpius Traianus, 
wurde der Befehl gegeben, nach Oberitalien vorzurücken, wo 
voraussichtlich die Entscheidung fallen musste. Als dann die 
Würfel am Rheine gefallen waren, änderte Traian seine 
Marschrichtung und eilte zur Lösung anderer Aufgaben an 
den. Rhein. Der Kaiser, dem der abgeschnittene Kopf des 
Rebellen als Zeugnis des grossen Sieges übersandt worden 
war, kehrte nach Rom zurück^). Den vier niederrheinischen 
Legionen , der I Minervia , VI Victrix , X Geminä , XXII Pri- 
migenia, wurden nach dem Beispiele , das Claudius nach Be- 
wältigung des Gamillus Scribonianus gegeben hatte , die ehren- 
den Beinamen ,pia fidelis Domitiana* verliehen. Für L. Appius 
wurde ein grösseres Kommando am Rheine gebildet und ihm 



*) Nach Th. Bergk, Zur Geschichte und Topographie der römischen 
Kheiiüande, S. 61 fgg., hahen Osell, a. a. O. S. 197, und E. Ritterling, 
Westdeutsche Zeitschrift XII S. 218 fg., den Aufstand des Antonius 
behandelt. Die von mir im Bonner Jahrbuch LXXXI (1886), S. 29 
und Westdeutsche Zeitschrift III (1884), S. 11. u. S. 20 fg. vorgetragene 
Ansicht, dass im J. 89 ein zweiter Krieg mit den Chatten geführt wurde, 
ist allgemein angenommen worden. Zu den im Anhange des Aufsatzes 
über die Kriege der Flavischen Kaiser an der Nordgrenze des Reichs 
mitgeteilten Dichterstellen ist Martial 10, 7 hinzuzufügen: ,Rheno ... 
sie semper liquidis fruaris undis nee te barbara contumeliosi calcatum 
rota conterat bubulci. Ritterlings Ausführungen stimme ich namentlich 
in der Bestimmung des Schauplatzes der Katastrophe des Antonius zu; 
ich muss dagegen die Darstellung abweisen, die sich bei Gsell S. 147 findet: 
Domitian kann im J. 89 nicht persönlich am Rhein gewesen sein, um 
•den zweiten Chattenkrieg zu führen. Sueton, der in allen Dingen, die 
<lie Person des Kaisers betreffen, sich gut unterrichtet zeigt,' kennt nur 
Tier von Domitian in Person unternommene Feldzüge (c. 6). Der 1. 
sponte suscepta in Chattos, der 2. gegen die Sarmaten (Mai 92 — ^Jan.93), 
der 3. und 4. gegen die Daker in den Jahren 86 und 88. Weil der 
Kaiser, als er die Nachricht von der Niederlage und dem Tode des 
Antonius Saturninus erhielt, erst wenige Tagemärsche von Rom entfernt 
war und alsbald umkehrte, erwähnt Sueton diesen Zug nicht. Damit 
fäUt auch die von Osell aufgestellte Chronologie des zweiten Daker- 
feldznges. Es ist fast sicher^ dass die Anwesenheit des Kaisers an der 
Donau in die Jahre 86 und 88 fällt, eine Annahme, mit der alle be- 
kannten Ereignisse und die Ziffern der Imperator-Acclamationen im besten 
Einklänge stehen (vgl. darüber Ritterling, a.a.O. XII S. 228 fg.). 

7* 



100 Zweites Buch. 

die Führung des germanischen Krieges übertragen, an dem 
auch Traian als Legat teilnahm. In siegreichem Zuge ward 
das Chattenland von neuem heimgesucht und eine Anzahl 
kleinerer Völkerschaften von diesem abgezweigt^). 

Es stellte sich die Notwendigkeit heraus , zur Erweiterung 
und Verstärkung der Grenzwehr zu schreiten. Wahrschein- 
lich wurde damals die Taunuslinie angelegt und bis zum 
Rheine fortgesetzt. Im Zusammenhange damit steht eine 
andere Massregel , die für die Kultur des römischen Germanien 
epochemachend geworden ist. Ober- und Niedergermanien, 
die bis dahin blosse Heeresbezirke waren und zur Gallia 
Belgica gehörten, wurden in eigentliche Provinzen verwandelt^). 
Im J. 90 begegnet uns der bekannte Jurist Javolenus Priscus 
als legatus Augusti provinciae Germaniae superioris. 

In Rom versammeln sich am 29. Jan. die Arvalen auf dem 
Kapitol, um den drei kapitolinischen Gottheiten, dem Mars, 
der Salus, Fortuna, Victoria redux und dem Genius des 
römischen Volkes Gelübde darzubringen für das Heil und 
die Rückkehr des Kaisers. Anfang des Februar war er wieder 
in seiner Hauptstadt und beeilte sich, auf seinem Albanum 
über die Offiziere der überwundenen Armee, die lebend in 
die Hände der Sieger gefallen waren, und die in die Ver- 
schwörung verwickelten Senatoren abzuurteilen »). 

Die Nachricht, dass Antonius von seinen Truppen zum 
Imperator ausgerufen sei und mit den Germanen im Bunde 
stehe, hatte in Rom eine begreifliche Erregung hervor- 
gerufen. Man begann wieder an Vorzeichen und Wunder zu 
glauben. Man erzählte , der Kaiser habe durch Wunderzeichen 
früher als durch Boten von der Niederlage des Antonius er- 
fahren, und die Kunde vom Tode des Rebellen habe sich so 
rasch verbreitet, dass sich Leute fanden, die behaupteten, 
sie hätten in Rom den abgeschnittenen Kopf des Antonius 
gesehen. Andere meldeten, ein prächtiger Adler habe am 
Tage des Entscheidungskampfes die kaiserliche Statue unter 
lautem Jubelgeschrei mit den Fängen umfasst. 

Es muss als ein grosser Moment im Leben Domitians 
bezeichnet werden, dass er sich inmitten dieser Gefahren 
behauptet hat. Der prunkvolle Doppeltriumph „de Cattis Dacis- 



^) Mommsen, Rom. Gesch. V S. 137 und A. Kiese, Das rheinische 
Germanien in der antiken Litteratar S. 208. 

») Darauf habe ich Westdeutsche Zeitsch. III (1884) S. 11 und Raumer- 
sches Taschenbuch N. F. VI S. 77 hingewiesen. Neuerdings ist A. Kiese 
im Korrespondenzblatt der Westd. Zeitschr. (1895) S. 158 fg. darauf zurück- 
gekommen. 

») Tb. Mommsen, Rom. Staatsrecht IP S. 961 A 2. Dio 67,11,^- 
Suet. Dom. 10. 



8. Die grosse Krisis. 101 

que*' war nicht unberechtigt. Denn der Erfolg an der Rhein- 
grenze war unzweifelhaft bedeutend, und an der Donau war 
doch nach schweren Misserfolgen die Autorität des Reiches 
wenigstens äusserlich aufrecht gehalten worden. Es waren 
Verwicklungen, wie sie seit der Erhebung der Markomannen 
unter Marbod und dem Aufstande in Pannonien und Dalmatien, 
den Tiberius im J. 6 n. Chr. niederwarf, im Donaugebiete 
nicht vorgekommen waren. Wie die schliesslichen Erfolge 
im Dakerlande durch den Ausbruch des Sarmatenkrieges und 
den Aufstand am Rhein in Frage gestellt wurden, so hatte 
80 Jahre vorher die Niederlage des Varus in die Ereignisse 
an der Donau eingegriffen. 

Der Triumph war ein willkommener Gegenstand für Dichter 
und Deklamatoren. Bei Gelegenheit des Wettstreites auf dem 
albanischen Landsitze hat auch Statins die germanischen 
und dakischen Siege verherrlicht und aus der Hand des Herr- 
schers den goldenen Olivenkranz empfangen. Nach dem 
Triumph beschloss der Senat, den September Germanicus, 
den Oktober Domitianus zu nennen^). Die Numismatik 
erfand immer neue Symbole, um der Eitelkeit des Kaisers zu 
schmeicheln. Auf den Münzen dieser Zeit findet sich die 
trauernde Germania, auf einem Schilde sitzend, daneben ein 
zerbrochener Speer*), auf andern ein Löwe mit dem Schwert 
im Maule, Pallas und Victoria mit grossen Flügeln, gefangene 
Germanen und der Kaiser triumphierend zu Pferde. 

Noch einmal musste dieser zu Felde ziehen. Seit dem 
J. 90 war Pannonien der Schauplatz eines grösseren Kampfes 
mit sarmatischen und germanischen Stämmen. Die Inschriften 
bezeichnen ihn als bellum Suebicum et Sarmaticum. In 
diesen Kämpfen hat auch L. Norbanus Appius Maximus ein 
Kommando gehabt, und einige Spuren führen darauf, dass 
auch Traian in diesen Verwicklungen seine Loyalität von 
neuem bewiesen hat. Dank ihrer Tüchtigkeit konnte der 
Krieg im J. 92/93 für beendet gelten. Im Sommer dieses 
Jahres wurde dem Domitian die XXII. Acclamation als Impe- 
rator zuteiP). Eine weitere war ihm nicht beschieden. Er 
brachte aus dem Feldzuge dem Juppiter den Lorbeer heim. 
;,Des latinischen Triumphes hielt er die Barbaren nicht für 
würdig*^*). Es folgte eine Zeit ruhigen Verkehrs mit den 



*) Flor US, Vergilius orator anpoeta: In omni foro clarissimus ille de 
Dacia triumphus exultat geht wohl auf den Triumph des Traian. Über 
die Umnennung der Monatsnamen s. Westd. Zeitschr. III S. 18 Anm. 19. 

■) Cohen, Dom. n. 50. 

») Westd. Zeitschr. III S. 23 A. 36. Nach Martial 9, 84, 1—6. 
Ritterling, a.a.O. Chambalu, a.a.O. S. 27. 

*) Statins, Silv. 3, 167: Haudmirum, ductor placidissime, quando haec 



102 Zweites Buch. 

Donauvölkern, und nichts verlautet, dass nach dem J. 92 die 
Ruhe an den grossen Grenzströmen gestört worden sei. 

Nach alle dem können wir Ranke*) nicht zustimmen, wenn 
er der Meinung ist, dass Domitian nach Kriegsruhm wenig 
Verlangen trug und auch das kriegerische Verdienst nicht zu 
schätzen wusste. Er war gewiss kein Kriegsmann, aber er 
verlangte nach kriegerischemLorbeer, und zuletzt wusste er doch 
für die Ausführung seiner Absichten die richtigen Leute zu finden. 



NEUNTES KAPITEL. 

Feindliche Strömungen. 

Antonius Saturninus hatte auch in Rom zaUreiche Mit- 
schuldige. Eine noch grössere Zahl als des Hochverrates 
überführt wurde, war verdächtig, und nur dem Umstände 
hatten viele von ihnen ihre Rettung zu danken, dass L. Appius 
nach seinem Siege die Schriftstücke, die sich im Nachlasse 
der Rebellen vorfanden, den Flammen übergab 2), um ihre 
Verfasser nicht blosszustellen. Zum Jahre 88/89 bemerkt 
Eusebius-Hieronymus, dass Domitian viele verbannte und 
tötete, zum folgenden Jahre, dass Mathematiker und Philo- 
sophen aus Rom verwiesen wurden. Domitian hatte , um sich 
der Unzufriedenen zu entledigen, zu gewaltsamen Massregeln 
gegriffen. Vergegenwärtigen wir uns an dieser Stelle, wo 
wir im Begriffe sind, den erbitterten Kampf zwischen der 
kaiserlichen Autorität und der Opposition der Aristokraten 
imd Philosophen darzustellen, in der Kürze, in welcher Rich- 
tung die dem Prinzipat feindliche Strömung seit seiner Grün- 
dung verlaufen ist. 

Es war von vornherein ein Unglück für die römische Welt 
gewesen, dass die Herrschergewalt einer festen Umgrenzung 
entbehrte und die Stellung, die Augustus dem Senate zuge* 
dacht hatte, von dem guten Willen und der Persönlichkeit 
der Regenten abhing. Augustus selber hatte es mit staats- 
männischem Takte verstanden, die Reste der grossen Fa- 



efit, quae victis parcentia foedera Cattis, quaeque snom Dacis donat 
dementia montem: quae modo Marcomanos post horrida beUa, vagosqne 
Sauromatas Latio non est dignata triumpho. Silv. 4, 1, 11: Ipse etiam 
immensi reparator maximus aevi attolit vultns et utroque a limine gr&tes 
lanus agit, quem tu vicina pace ligatum omnia iussisti componere bella 
novique in leges iurare fori. (Vgl. 40 nondum omnis honorem annos habet» 
cupiuntque decem tua nomina menses.) Silius Italiens, Punica 14, 886: 
Vir! qui nunc dedit otia mundo. 

^) Weltgeschichte III S. 257. 

*) Dio 67, 11; vgl. Gsell, a.a.O. 8.260. 



9. Feindliche Strömungen. 103 

milien zu versöhnen, sie in sein Interesse zu ziehen oder 
durch die Bande der Verwandtschaft an sein Haus zu fessehi. 
Und trotzdem gab sich, als der alternde und durch die 
Schläge, die seine Familie heimgesucht hatten, verbitterte 
Kaiser die Zügel der Regierung straffer anzog und Befugnisse, 
die bis dahin Senat und Beamten ausgeübt hatten, in seiner 
Hand vereinigte, das Verlangen nach Veränderung des be- 
stehenden Zustandes in wiederholten Verschwörungen kund. 
Augustus sah sich genötigt, zum Schutze seiner Person die 
alten Majestätsgesetze hervorzusuchen und auf die neuen 
Verhältnisse anzuwenden. Ungleich erbitterter und durch die 
Zerwürfnisse in der Familie verschärft, trat der Geist der 
Unzufriedenheit unter seinem Nachfolger zu Tage. Tiberius 
äusserte einmal, dass die harten und unverdienten Anfeindungen, 
deren Zielscheibe er um des Staates willen sei, bei Gastmählern 
und in Klubs geplant würden. Die Kühnern schleuderten auch 
wohl Epigramme gegen den rauhen, verschlossenen Mann, 
den die eigene Mutter nicht lieben könne, der den ehemals 
verehrten Wein verschmähe, weil er nach Blut dürste, der 
an Stelle des goldenen das eiserne Zeitalter eingeführt habe^). 
Zunächst ertrug Tiberius dergleichen Ausfälle mit Ge- 
lassenheit, und noch im J. 24 gewährte er dem Ritter C. Co- 
minius, der ein Spottgedicht auf ihn gemacht hatte, Ver- 
zeihung. Aber mit den Jahren verdüsterte sich sein Gemüt, 
und er kehrte mehr und mehr den rauhen Zuchtmeister 
heraus, jj,der den verdorbenen und verderbenden, kranken und 
entzündeten Geist durch nicht leichtere Mittel zu bezähmen 
sucht, als die Begierden sind, von denen er lodert^' 2). Die 
Majestätsprozesse wurden wieder mit grausamer Strenge 
gehandhabt und auch auf versteckte Angriffe ausgedehnt. 
Einer der Führer der Unzufriedenen war Cremutius Cordus, 
der noch bei Augustus' Lebzeiten eine Geschichte der Bürger- 
kriege und des Prinzipates geschrieben und später vorgelesen 
hatte. Unter Tiberius wurde ihm ein Verbrechen daraus 
gemacht, dass er in seinem Geschichtswerk den M. Brutus 
gelobt und C. Cassius den letzten Römer genannt, dass er 
Volk und Senat in den Vordergrund gestellt und Caesar nicht 
verherrlicht habe^). Der Senat verfügte auf des Kaisers An- 
trag die Vernichtung der Jahrbücher. Des Tiberius Nach- 
folger waren in dieser Beziehung weniger empfindlich und 
gaben sogar die Lektüre der Schriften des Cordus wieder 
frei. Unter Gaius und Claudius hat sich auch die stoische 
Schule, an der die Opposition den feststen Rückhalt hatte, 

') Aus den fiinf Epigrammen, die Sueton, Tib. c. 59, mitteilt. 

«) Ann. 3, 54. 

») Ann. 4, 34. Dio 57, 24. 



104 Zweites Buch. 

ejiger zusammengeschlossen. Gaius liess den von Seneca 
bewunderten Canus Julius hinrichten, unter Claudius wurde 
der Konsular Paetus zu sterben gezwungen. Gegen die 
Tyrannis des Nero führten die Anhänger dieser Richtung 
einen offenen, unversöhnUchen Kampf. Der Name der Stoiker 
wurde zu einer Art Losung für politisch Gleichgesinnte, zu 
einer Verbrüderung der Anhänger der Freiheit und Tugend 
gegen den Tyrannen und seine Werkzeuge. In diesem Sinne 
rühmt Tacitus von Helvidius Priscus, dass er zu Lehrern in 
der Weisheit Männer gewählt habe, die für das einzige Gut 
die Tugend, für Übel nur, was schimpflich, Macht dagegen, Adel 
und was sonst ausserhalb des Geistes liegt, weder für ein 
Gut noch für ein Übel halten i). Der Hinrichtung des Paetus 
Thrasea und Barea Soranus war die Ausweisung der Philo- 
sophen aus Rom gefolgt. Galba rief die Vertriebenen zurück, 
Vespasian wies sie von neuem aus. j^Sie sind^, so charak- 
terisierte sie damals Mucianus, ;,voll eitler Prahlerei; wenn 
sich einer den Bart wachsen lässt, die Augenbrauen hinauf- 
zieht, den Lumpenmantel umwirft und barfuss geht, so will 
er gleich ein Philosoph, ein Held, ein Tugendspiegel sein und 
trägt die Nase hoch, wenn er sich auch, wie das Sprichwort 
sagt, weder auf die Feder noch auf die Kunkel versteht; sie 
sehen jedermann über die Achsel an ; der Vornehme ist ihnen 
ein Einfaltspinsel, der Niedere ein feiger Wicht, der Schöne 
ein Wüstung, der HässUche ein Ideal von Schönheit, der 
Reiche ein Egoist, der Arme eine niedere Seele ^'2). Dem 
Sinne nach ist es dasselbe, wenn Philostratos den Prä- 
fekten Casperius Aelianus vor Domitian sagen lässt: ;,Diese 
Sophisten, Kaiser, sind ein unbedachtsames Gezücht, ihre 
Kunst ist voll eitler Prahlerei, und da sie nichts Gutes von 
ihrem Dasein haben, so verlangen sie nach dem Tode und 
fordern diejenigen, die das Schwert führen, heraus". 

In den ersten Jahren Domitians haben sich die Philosophen, 
durch die Erfahrung, die sie unter Vespasian gemacht hatten, 
gewitzigt, vorsichtig zurückgehalten. Zum Jahre 84 ist bei 
Hieronymus nur von Senatoren, die verbannt wurden, nicht 
von Philosophen die Rede; erst im J. 89 waren sie so un- 
bequem geworden, dass sie von neuem aus Rom verwiesen 
wurden. 

Aber trotz der Strenge, mit der Domitian gegen seine 
Gegner einschritt, war seine Herrschaft damals noch erträg- 
lich und hatte sich nach dem Siege an der Nordgrenze mehr 

») Eist. 4, 5. 

') Dio, fragm. ed. Dindorf V S. 202. Tacitus, ann. 14,57: Assumpta 
etiam Stoicorum arrogantia sectaque, quae torbidos et negotiorum appe- 
tentes faciat. 



9. Feindiiclie Strömungeu. 105 

md mehr befestigt. Noch gelangten tüchtige Männer in die 
löchsten Rangstufen. M. Gocceius Nerva und L. Appius Nor- 
)anus bekleideten im J. 90 ein zweites Konsulat. Die Ordinarien 
les J.91 waren M.ülpius Traianus und M'. Acilius Glabrio. Wie 
ier letztere stammten aus uraltem Adel Q. Volusius Satuminus 
cos 92), M.Lollius Paullinus (93), L. Nonius Torquatus Asprenas 
ind T.Sextius Lateranus (94). Tacitus, der 88 Praetor gewesen, 
irerwaltete später eine Statthalterschaft, die ihn für mehrere 
lahre von Rom fern hielt. Sein Schwiegervater Agricola, der für 
seine Verdienste in Britannien die Triuraphalinsignien erhalten 
aatte, lebte in der tiefsten Müsse, ohne Aufwand zu machen; 
häufig wurde er in jenen Tagen bei Domitian abwesend ange- 
klagt, abwesend freigesprochen. Domitians Natur, rasch zum 
Zorne geneigt und desto unversöhnlicher, je hinterlistiger sie 
war, wurde durch die Mässigung und Klugheit Agricolas gemil- 
dert. Und ebenso konnten auch die andern Männer, die nicht 
(Jurch Starrsinn ihr Schicksal herausforderten, ohne Schaden 
zu leiden, durchkommen. Der jüngere Plinius, der 93 Praetor 
war, gesteht ein, dass er von Domitian befördert wurde, ehe 
dieser sich mit Hass gegen die Gutgesinnten erfüllte , dass er 
stehen blieb, als man nur auf Umwegen in die höchsten 
Rangstufen eintreten konnte^). Auch Tacitus lässt die 
Wendung zum Schlimmen erst mit Agricolas Tode (23. Aug. 
93) eintreten. Er preist ihn glückUch, dass er den letzten 
Zeiten entgangen war, in denen Domitian nicht mehr in 
Zwischenräumen, in einzelnen Anwandlungen, sondern un- 
unterbrochen und gleichsam mit einem Streiche das Gemein- 
wesen zu Grunde richtete^). Endlich ist Sueton mit beiden 
in Übereinstimmung, wenn er berichtet, dass seit seinem 
Siege im Bürgerkriege noch geraume Zeit verstrich, bis sich 
seine Grausamkeit aufs höchste steigerte^). 

Gegen Ende des J. 93 kam man hinter eine neue Ver- 
schwörung, bei der ausser dem Konsularen Juventius Celsus 
die Philosophen eine hervorragende Rolle spielten. Vielleicht 
stammt das Wort des Kaisers, der Fürsten Lage sei be- 
klagenswert, weil man ihnen die Entdeckung einer Verschwö- 
rung nicht eher glaube, bis sie deren Opfer geworden seien, 
aus dieser Zeit. Ein andermal meinte er mit einer Anspielung 
auf Titus, nicht gut seien die Fürsten, die wenig straften, 

*) Paneg. 95: Provectus ab ülo insidiosissimo principe antequam 
profiteretur odium bonorum, postquam professus est, substiti, et cum yiderem 
quae ad honores compendia paterent, longius iter malui. 

•) Agricola c. 44. 

') Aliquanto post civiUs belU victoriam saevior. Auf die Ausbrüche 
seiner Grausamkeit in den letzten Jahren beziehen sich die Worte c. 11 
£rat non solum magnae, sed etiam callidae inopinataeque saevitiae. Vgl. 
Gsell, a.a.O. S. 261. 



106 Zweites Buch. 

sondern glücklich. Das Gebiet, auf dem sich diese Oppo- 
sition kundgab, war vor allem die Litteratur, auch an ge- 
legentlichen Meinungsäusserungen im Senate wird es nicht 
gefehlt haben. Die Schuldigen und Verdächtigen hervorzu- 
ziehen waren die Delatoren geschäftig, die wieder eine un- 
heilvolle Thätigkeit wie je unter Tiberius und Nero entfalteten. 

Der Zorn des Kaisers traf zunächst die Häupter der Sekte. 
Herennius Senecio wurde von dem berüchtigten Mettius Cams 
auf Grund der Majestätsgesetze angeklagt, weil er einen 
Lebensabriss des altem Helvidius abgefasst und sich nach 
Bekleidung der Quästur während eines langen Lebens um 
kein weiteres Amt beworben habe^. Nach seiner Hinrich- 
tung wurde seine Schrift über Helvidius auf dem Richtplatze 
durch die triumviri capitales einem Senatsbeschlusse zufolge 
verbrannt. Seine Gattin Fannia, des Thrasea Tochter, die 
ihm zu seinem Buche Stoff geliefert hatte, musste ins Elend 
wandern. 

In den Sturz des Senecio wurde ein anderer Stoiker, 
L. Junius Arulenus Rusticus, verwickelt. Ihm ward Schuld 
gegeben, dass er eine Lobschrift auf Thrasea verfasst und 
ihn als ehrwürdigen Mann bezeichnet hatte. Seine Gattin 
Gratilla teilte das Schicksal der Fannia 2). 

Wie hätte , nachdem die Wut der Verfolgung einmal ent- 
fesselt war, der jüngere Helvidius auf Schonung rechnen 
können? Seinen berühmten Namen und seine glänzenden 
Tugenden hatte er vor Domitians Eifersucht in kluger Zurück- 
gezogenheit verborgen gehalten; er war sogar zum Konsu- 
late gelangt. Jetzt machte man ihm den verderbenbringenden 
Vorwurf, dass er in einem mimischen Schauspiel in der Rolle 
des Paris und der Oinone auf die Scheidung des Kaisers von 
der Domitia angespielt habe 3). 

Tacitus preist den Agricola auch deswegen glücklich, 
weil ihm erspart blieb, die Kurie von Bewaffneten besetzt zu 
sehen, in der Domitians Kreaturen mit unerhörter Frechheit 
wüteten. „Bald führten unsere Hände den Helvidius ins Ge- 
fängnis; uns erschütterte der Anblick des Mauricus und 
Rusticus; uns bespritzte Senecio mit unschuldigem Blute*. 
j,Keiner der Senatoren*^, führt Plinius aus*), ;,wagte den 
Mund zu öffnen ausser jenem Beklagenswerten, der zuerst 
seine Stimme abzugeben hatte. Die andern, leblos und starr, 
erteilten schweigend, mit zerrissenem Herzen, unter Zittern 



^) Plinius, ep. 1, 5, 3. 1, 19, 5. Dio 67, 13. Darauf spielt auch 
Tacitus an, bist. 1, 2: omissi gestique honores pro erimine. 
») Plinius, ep. 1, 14. Sueton, Dom. 10. Dio 67, 13. 
5) Sueton, Dom. 10. Plinius, ep. 9, 13. 
*) Paneg. 76. Gsell, a.a.O. S. 262, 272. 



9. Feindliche Strömungen. 107 

?e Zustimmung. Ein einzelner gab sein Gutachten ab und 
e nahmen es an, obschon sie es missbilligten.* Ihrer rheto- 
ichen Form entkleidet, sagen diese Worte deutlich, dass 
r Kaiser bei diesen blutigen Prozessen am Senate ein ge- 
;iges Werkzeug fand, dass er die Senatoren zu seinen 
tschuldigen machte. Nachdem die Wortführer der Stoa 
seitigt waren, wurden durch Senatsbeschluss alle Philo- 
phen aus Rom und Italien verbannt i). Sie zerstreuten sich 
3 an die äussersten Grenzen der bekannten Erde , sie suchten 

den Wüsten Afrikas und in den Steppen Scythiens Schutz. 
lan vertrieb die Lehrer der Weisheit, man verbannte alle 
rvorragenden Talente, auf dass nirgend etwas Gutes ent- 
gentrete" ^), 

Um dieselbe Zeit wurden die Astrologen aus Rom aus- 
wiesen, ^eine Sorte von Menschen, den Machthabern unzuver- 
ssig, die jeden, der auf sie hoffte, betrogen*. Sie hatten 
e Verschwörer ermutigt und dem Kaiser ein Ende mit 
ihr ecken ge weissagt. Mit ihnen mag der Konsular Mettius 
)mpusianus in Verbindung gestanden haben, der hingerichtet 
[irde, weil er ein Herrschaft verheissendes Horoskop habe, 
rie Erdkarte aus Pergament besitze, die Reden der Könige 
id Heerführer aus Livius ausgezogen und seine Sklaven 
ago und Hannibal genannt habe. 

Salvidienus Orfitus und Acilius Glabrio fielen wegen revo- 
tionärer Umtriebe, Salvius Cocceianus wegen seiner Ver- 
andtschaft mit Otho, Aelius Lamia wegen alter, auf die 
atführung der Domitia gemünzten Anspielungen, Sallustius 
flcullus, weil von ihm eine neuerfundene Art Lanzen als 
tcullische bezeichnet worden sei^). 

Die Zahl der hingerichteten Senatoren war lange nicht 
) gross , wie man nach den Äusserungen über Domitians blutige 
yrannis erwarten sollte. Aber bei dem persönlichen Regi- 
ente, das er führte, konnte es nicht ausbleiben, dass er 
ir alle Härten und Gewaltsamkeiten selbst verantwortlich 



^) Sueton, Dom. 10: Cuius crimims (Jnnius Busticus) occasione 
lilosophos onmis nrbe ItaUaque summovit. Die Nachweise bei Gsell, 
a. O. S. 284. Philo Stratos, ApoUonios 7, 4, 10. 8, 12. Imhof, 
a. O. S. 112. 

*) Agricola 2. 

^) Sueton, Dom. 20: Complures senatores, in iis aliquot consalares, 
.teremit; ex quibus Civicam Cerialem in ipso Asiae proconsulatu, Salvi- 
ieniim Orfitum, Acilium Glabrionem in exilio quasi molitores rernm nova- 
im: ceteroB levissima quemque de causa. Die Zahl der hingerich- 
)ten Senatoren war nach Suetons Angaben etwa elf. Es fehlt unter 
en genannten Senecio. 



108 Zweites Buch. 

gemacht wurde, während Claudius, dessen Regierung in 
den letzten Zeiten nicht minder blutig war, durch die Ein- 
wirkung seiner Weiber und Freigelassenen einigermassen 
entlastet , ein reineres Andenken hinterlassen hat. 

Domitians Jugend hatte unter Einflüssen gestanden, die 
einer harmonischen Entwicklang seiner Fähigkeiten nicht 
günstig waren. Die Zurücksetzung, die er unter seinem 
Vater erfuhr, das gespannte, ja feindselige Verhältnis, indem 
er zu seinem Bruder stand, hatten die schlimmen Neigungen 
seiner Natur befördert; die Enttäuschungen, die er als Regent 
erlebte, die beständige Furcht, die er für die Sicherheit 
seiner Person hegte, hatten sie zur Reife gebracht. Aber 
die Züge, die uns so anschaulich geschildert werden, der 
Hang zur Einsamkeit, die Heimtücke und die Freude an den 
Schmerzen seiner Opfer treten erst in den letzten Zeiten 
hervor. Wir erfahren aus Sueton, dass er den Konsularen 
Arrecinus Clemens in dem Augenblick, wo er ihn zum Tode 
verurteilen wollte, mit gewohnter, ja mit noch grösserer 
Freundlichkeit behandelte. Während einer gemeinsamen Aus- 
fahrt richtete er beim Anblick seines Anklägers die Frage 
an ihn: „Willst du, dass wir diesen nichtswürdigen Sklaven 
morgen vernehmen?" 

Um die Geduld der Menschen mit noch grösserm Hohne 
zu missbrauchen, fällte er nie ein härteres Urteil, ohne in 
der Einleitung von seiner Gnade zu sprechen, so dass es 
kein zuverlässigeres Zeichen eines blutigen Ausgangs gab, als 
die Milde des Einganges. Einst hatte er einige Leute wegen 
Majestätsbeleidigung vor dem Senate verklagt und durch die 
voraufgeschickte Bemerkung, er werde heute erfahren, wie 
teuer er dem Senate sei, leicht durchgesetzt, dass sie zum 
Tode mit dem Beile verurteilt wurden. Durch die Härte der 
Strafe erschreckt und um die Gehässigkeit zu mildem, legte 
er mit folgenden Worten Fürsprache ein: „Lasset mich, Väter, 
von eurer Liebe erlangen, was ich freilich, ich weiss es 
wohl, nur schwer erlangen werde, und gestattet den Ver- 
urteilten die freie Todeswahl; denn so werdet ihr euch ein 
grässliches Schauspiel ersparen, und alle werden daraus er- 
sehen, dass ich im Senate anwesend war*^). 

Ähnlich pflegte Tiberius zu sprechen, als er seit dem 
Sturze Seians und der Verödung seines Hauses sein Herz mit 
Hass und Argwohn erfüllt hatte. Domitian hatte aus des Tiberius 
Commentarien und Akten, die seine einzige Lektüre waren, 
auch die Sprache seines Vorbildes gelernt. 



^) Saeton, Dom. 11. 



10. Finanznot und Christenverfolgnng. 109 

Mit einem vielleicht aus den Historien des Tacitus her- 
irenden Worte hat Sueton die Änderung treffend gewür- 
zt, die mit Domitian vor sich ging: Er war über seine 
ituranlage hinaus aus Not raubgierig, aus Furcht grausam i). 



ZEHNTES KAPITEL. 

Finanznot und Christenverfolgung. 

Die Nachrichten über Domitians letzte Lebensjahre sind 
mlich ausgiebig für die Beurteilung seiner Persönlichkeit 
d die Kenntnis des Ganges einiger Prozesse. Nur Vereinzel- 
; erfährt man über wichtigere Regierungsakte. Bedeutungsvoll 
, was sich aus den Fasten ergiebt, dass er seit dem J. 89, seit- 
tn er das 14. Konsulat bekleidet und damit den Augustus über- 
It hatte, darauf verzichtete, dauernd die Jahresbenennung 
• sich in Anspruch zu nehmen. Wie in dem J. 89, so 
eriiess er 91, 93, 94, 96 Privaten die Eröffnung des 
dres. 

Als der Senat ihm eine nie dagewesene Auszeichnung 
schloss: es sollten, so oft er das Konsulat bekleide, durch 
s gewählte Ritter in der Trabea und mit Kriegslanzen 
dschen den Liktoren und Dienern vor ihm herschreiten, 
rzichtete er darauf 2). 

Er fuhr unzweifelhaft fort, eine heilsame Kontrole der 
samten auszuüben und an der Rechtspflege persönlich Anteil 

nehmen. Er baute die via Domitiana von Sinuessa nach 
iteoli, unter Überwindung aller Schwierigkeiten, die das 
mpfige Gelände bereitete, und kürzte dadurch die Entfer- 
ng zwischen der Hauptstadt und Neapel sowie den übrigen 
ten am Cumanischen Meerbusen bedeutend ab 3). Auch 
T via Latina und dem Strassenbau in entfernten Gegenden 
)s Reiches war seine Aufmerksamkeit zugewandt. 

Von einer Einrichtung, die sich in der Folge als segens- 
ich erwies, schweigt die Überlieferung nicht allein, sondern sie 
mmt den Ruhm, sie begründet zu haben, sogar für seinen 
ichfolger in Anspruch. Domitian ist der Schöpfer der Ali- 
entationen verwaister Kinder, die Nerva auf das übrige 
ilien ausgedehnt hat*). 



*) Sueton, Dom. 3: Quantum coniectare licet, super ingenii naturam 
jpia rapax, metu saevus — c. 20: Praeter commentarios et acta Tiberii 
lesaris nihil lectitabat. 

•) Sueton, Dom. 14. 

3) Statins, silv. 4, 3. Dio 67, 14. 

*) Vgl. die Beilage. 



110 Zweites Bach. 

Die innere Politik gegen den Ausgang seiner Regierung 
wird, nachdem die Opposition der Stoiker gebrochen war, 
von zwei Gesichtspunkten beherrscht, einmal von verzweifelten 
Versuchen, der Finanznot abzuhelfen , sodann, der Ausbreitung 
der christlichen Lehre ein Ziel zu setzen. 

Suetoni) spricht sich mit erfreulicher Bestimmtheit über 
den erstem Punkt also aus: 

,,Bei der Erschöpfung der Finanzen durch die Bauwerke, 
Festspiele und die den Soldaten gewährte Zulage (drei Gold- 
denare jährlich) versuchte er anfänglich, die Zahl der Sol- 
daten zu vermindern, um die Ausgaben für die stehenden 
Heere herabzusetzen. Da er indessen sah, er setze sich 
dadurch den Angriffen der Barbaren aus, und er trotz jener 
Massregel immer in Geldverlegenheiten war, so begann er 
ohne Scheu und ohne Rücksicht alles zu plündern. Das 
Vermögen der Lebenden und der Verstorbenen wurde fort 
und fort auf jede Anklage und Anschuldigung hin eingezogen. 
Es genügte, wenn die geringste Handlung oder Äusserung 
gegen des Kaisers Majestät vorgebracht wurde. Man kon- 
fiszierte fremde Erbschaften, sobald sich ein Mensch fand, 
der aus dem Munde eines Verstorbenen gehört zu haben 
behauptete, der Kaiser werde sein Erbe sein*^. 

Durch Bauten, Festspiele und Solderhöhung waren 
demnach die Finanzen erschöpft. Suetoti hätte hinzufügen 
können, dass schon unter Titus der Grund zu ihrer Zer- 
rüttung gelegt ward", und wenn ein wirklicher Notstand erst 
in Domitians letzten Jahren sich fühlbar machte, darin ein 
Beweis für die Musterhaftigkeit seiner Verwaltung zu sehen ist. 

Nächst den kostspieligen Kriegen hat einen grossen Teil 
der Einnahmen die Befriedigung der Massen verschlungen. 
Seine Geldspenden überboten alle frühern Aufwendungen 
dieser Art, da die Bürger Roms, an 200000, dreimal ein 
Geldgeschenk von 75 Denaren empfingen und wiederholt 
reichlich bewirtet wurden. Die von ihm veranstalteten Schau- 
spiele sollten hinter dem, was Titus geboten hatte, nicht 
zurückstehen. Er war geradezu erfinderisch in dem Dar- 
bieten von Ergötzungen, um die Leidenschaften der Menge 
in eine Richtung zu lenken, in der sie seiner Herrschaft nicht 
gefährlich werden konnten*). 

Unerhörte Mittel wurden angewandt, den Schatz zu füllen. 
Sueton betont, dass ansehnliche Summen aus Hinterlassen- 
schaften gezogen wurden. Die Sitte, den Kaiser allein oder 
mit andern als Erben einzusetzen, war nicht neu; auch Cali- 



^) Sueton, Dom. 12. 
•) Sueton, Dom. 4. 



10. Finiinznot und Christenverfolgong. 111 

la und Nero hatten sie zu einer Einnahmequelle gemacht, 
er konsequent wurde sie erst von Domitian zu gunsten des 
skus ausgebeutet. Auch Agricola vermachte ihm einen 
sü seines Vermögens, was Tacitus mit der Bemerkung 
rzeichnet, der Kaiser sei darüber als ein ihn ehrendes 
teil erfreut gewesen. ^Denn so verderbt und verblendet 
ir sein Sinn von der beständigen Schmeichelei, dass er 
3ht wusste, von einem guten Vater werde nur ein schlechter 
irst zum Erben eingesetzt*^). 

Ungeheure Domänen wurden Eigentum des Fiskus. ^Nicht 
ihr wie früher", ruft Plinius aus*), ^werden Besitzer ver- 
eben und jeder Sumpf, jeder See, jedes Waidgebirge in 
isitz genommen. Die Flüsse, die Quellen, die Meere 
auchen sich nicht mehr nach den Blicken eines einzigen 

richten. Jetzt giebt es Dinge , die der Caesar nicht als 
in Eigentum ansieht, und endlich ist das Imperium des 
inzeps grösser als sein Patrimonium*. 

Palfurius Sura, ehemals Anhänger der Stoa, dann Ver- 
>ter des kaiserlichen Hofes, hatte sogar den Grundsatz auf- 
stellt, dass alles, was das Meer Ausgezeichnetes berge, 
erall, wo es angetroffen werde, Eigentum des Fiskus sei. 

Selbstverständlich nahm der Kaiser das Verfügungsrecht 
er alle vorhandenen Staatsmittel in Anspruch. So zog er 
5 Fundation der Wasserleitungen, die 250000 HS Ertrag 
ichte, für sich ein. 

Alle Steuern wurden mit der grössten Strenge beigetrieben, 
sonders der Judenzins , den Vespasian nach der Zerstörung 
rusalems in der Höhe eines jährlichen Betrages von zwei 
achmen für den Kopf ausgeschrieben hatte. 

Jetzt zeigte man sowohl Leute an, die nach jüdi- 
bier Weise lebten, ohne sich dazu eigens zu bekennen, als 
eh solche, die ihre Abkunft verheimlichten, um sich jener 
euer zu entziehen. Sueton entsann sich, selbst als ganz 
iger Mensch mit angesehen zu haben, wie vor dem Finanz- 
3kurator und einer zahlreichen Corona ein neunzigjähriger 
eis sich besichtigen lassen musste, um zu zeigen, ob er 
schnitten sei^). 

Domitian glaubte sich vom Anfang seiner Regierung an 
rufen, für den alten Götterglauben einzutreten und den 
tionalen Kultus unter seinen Schutz zu nehmen. Er wal- 
e seines Amtes als Pontifex maximus, wenn er Fehltritte 



^) Agricola 43. 

«) Paneg. 66. Vgl. Gsell, a.a.O. 271. 

8) Dom. 12. Josephus, bell. iud. 7, 6. Gsell, a. a. O. S. 287, 293. 
ch Sneton hatten auch die sog. oeßö^svoi unter den Quälereien zu 
!en. 



! 
I 

112 Zweites Buch. 

der Vestalischen Jungfrauen aufs strengste bestrafte. Dabei 
verfuhr er nach seinem Biographen auf verschiedene Weise: 
die frühern wurden einfach zum Tode verurteilt, später griff 
er zu den althergebrachten Strafen. Demnach liess er den 
beiden Schwestern Oculata, sowie der Varronilla freie Wahl 
ihrer Todesart und verbannte ihre Verführer, während die 
Virgo maxima Cornelia, die vormals freigesprochen, dann 
nach langer Zwischenzeit neu angeklagt und überführt worden 
war, lebendig begraben und ihre Liebhaber auf dem Co- 
raitium zu Tode gepeitscht wurden. 

Selbst geringfügige Verletzungen der den Göttern gebüh- 
renden Ehrftircht wurden geahndet. So befahl er, ein Grab- 
mal, das einer seiner Freigelassenen aus den zum Tempel 
des Juppiter Capitolinus bestimmten Steinen erbaut hatte, zu 
zerstören und die darin befindlichen Gebeine und Überreste 
ins Meer zu werfen ^). 

In den letzten Jahren seiner Regierung hatte auch das 
Christentum unter dem Eifer, mit dem er für die Staatsgötter 
eintrat, schwer zu leiden. Nachdem einmal der stoischen 
Lehre der Krieg erklärt war, konnte eine Religion, die mit 
jener auffallende Berührungspunkte hatte, um so weniger 
Schonung erwarten, als sie in den höhern Schichten und 
sogar in der kaiserlichen Familie Anhänger und Beschützer 
gewann. 

Unter diesen finden wir den Konsularen M\ Acilius 
Glabrio. Wenn Dio Cassius*) berichtet, er sei wegen Gott- 
losigkeit und Hinneigung zum Judentum verurteilt worden, so 
ist unter letzterer das Christentum zu verstehen, zumal da 
auch inschriftliche Zeugnisse dafür sprechen. In einem vor- 
nehm ausgestatteten Hypogäum der Katakomben der Priscilla 
fand J. B. de Rossi 1888 mehrere Fragmente eines Sargdeckels 
aus Marmor, dessen Aufschriften sich zweifellos auf die kon- 
sularische FamiUe der Acilier beziehen. Sogar der Name 
Acilius Glabrio ist darunter vertreten 3). 

Wie mag Domitian getobt haben, als er erfuhr, dass das 
verhasste Bekenntnis in seine eigene FamiUe eingedrungen 



^) Sueton, Dom. 8. Gsell, a.a.O. S. 80 fg. hat, wenn auch nicht 
ohne Bedenken, den gehässigen Bericht des Plinius über den Prozess der 
Cornelia (ep. 4, 11) in seine Darstellung aufgenommen. 

•) Dio 67, 14: 'Etiyjv^x^^ d|i(^orv lyxXYjiia dö-eöxiQxoc ö(p''Jj€ xal ÄXXot 
ig zä TÖv 'Ioüöa£(ov l^y] igoxIXXovxsg noXXol xaTsSixotoS^oav xal ol jiiv 
ÄTied-avov, ol 8ä xöv youv oOotcSv ioxspT^ö-ifjoav, ii bk Ao{i(,xCXXa ÖTcepooptodn] 
IJiövov i^ nav8axep{av, xöv 8i?) FXaßpCcova, xov |i6x& xoö TpaVavoO £p£avxa 
xaxaYOpr^ö-^vxa zd xe fiXXa xal ola ol «oXXol xal 6xt xal ^iQploig itiax^- 
oaxo, &nixxe(,vev. 

') Ich folge hier den sachkundigen und zuverlässigen Ausfühmogen 
von Gsell, a.a.O. S. 294 fg. 



10. FinanzDOt und Chris tenverfolgong. 113 

ei^). Dieselbe Anklage wie gegen Acilius Glabrio wurde 
egen Flavius Clemens , des Stadtpräfekten Sabinus Sohn, er- 
oben*). Eben hatte er dessen Söhne zu seinen Nachfolgern 
estimmt und ihnen die Namen Vespasianus und Domitianus 
egeben. Jetzt wurde der Vater fast noch während seines 
bnsulates unvermutet auf den leisesten Verdacht hin umge- 
rächte Sueton bemerkt noch, Clemens sei ein Mann von ver- 
chtlichster Trägheit gewesen, und deutete damit einen der 
orwürfe an, die gegen die Bekenner des Christentums er- 
oben wurden. Seine Gattin Flavia Domitilla wurde auf die 
isel Pandataria verwiesen. Das Zeugnis des Dio wird durch 
ie Entdeckungen de Rossis bestätigt, der es für ausgemacht 
alt, dass sich im Anfange des zweiten Jahrhunderts vor- 
ehme Flavier zum Christentum bekannten; in dem Cime- 
jrium der h. Domitilla ist eine dieser Zeit angehörende In- 
3hrift mit den Namen des Flavius Sabinus und seiner Schwester 
itiana zum Vorscheine gekommen*). 

Die Zahl der Opfer war gross. Leute jedes Standes 
urden von Tod und Verbannung getroffen, nicht allein in 
om, auch Asien und Bithynien wurden heimgesucht*). Aber 
ie Verfolgung dauerte nur kurze Zeit. Domitian selbst gab 
Bn Befehl, sie einzustellen , nachdem er von dem eingedrun- 
3nen Gifte seine Familie gereinigt und den Fortschritten der 
3m nationalen Kultus, vor allem der Verehrung des kaiser- 
3hen Genius, feindlich gegenüberstehenden Religionen ein 
iel gesetzt hatte. 

Den Christen galt fortan der Tyrann, der als der erste 
ich CaUgula göttliche Ehren in Anspruch genommen hatte, 
3r sich selbst in seinen Edikten ,Herr und Gott* nannte, als 
sr wiedergekommene Nero und Antichrist. 



^j Dio 67, 14: Kai xcji aöxtp ixet fiXXoug xs «oXXoög xal xöv ^Xa- 
kov KXiQ^evxa önaxsöovxa xainsp avec^töv 5vxa xal Yuvatxa xal aüx-^v 
>YY8v^ lauxoS <l>XaouCav AofiixCXXav Ixovxa xaxSaqpagev 6 Ao^iexiaväg* 

*) Dom. 15: Denique Flavium dementem patruelem suum, contemp- 
töimae inertiae . • . repente ex tenaissima suspicione tantam non in ipso 
ns consalata interemit. Quo maxime facto matnraTit sibi exititun. 

^) Die Zeugnisse bei Qsell, a.a.O. S. 299. 

*) Ensebius nennt als Quelle für die grosse Zahl der damals ge- 
:htetenund getöteten Christen einen heidnischen Chronographen Brettius. 
ach einer 3, 19, 20 mitgeteilten Legende Hess Domitian zwei Anver- 
andte Christi aus dem Qeschlechte Davids, Enkel des Apostels Judas, 
ich Rom entbieten, aber bald, von ihrer Ungefährlichkeit überzeugt, 
itliess er sie wieder in ilure Heimat. Den legendenhaften Charakter dieser 
otiz hat Gsell von neuem a. a. O. S. 313 dargethan. Bei Suidas findet 
ch die Notiz: Aonsxtavög xal xoög dud xoö Y^voug Aaßlö dvatpsfo^at itpog- 
:ag8V. Es ist möglich, dass diese Massregel mit einer kriegerischen Be- 

Asbftch, Kaisertum und Verfaisiing. " 



114: Zweites Buch. 



ELFTES KAPITEL. 

Domitians Ende und das Ergebnis seiner 

Regierung. 

Um Domitians Wüten begreiflich zu machen und für die 
grellen Widersprüche, die in seinem Gemlite und seinen 
Handlungen zu Tage treten, eine Erklärung zu finden, haben 
sich einige Forscher zu der Annahme verstiegen, dass ^man- 
nigfache unangenehme und widrige Gemütszustände und fort- 
gesetzte sexuelle Ausschweifungen schliesslich eine Geistes- 
störung bei ihm herbeiführten und dass in seinen letzten 
Lebensjahren der Verfolgungswahn die Wurzel und der 
Ursprung seines Seins und Handelns war"i). 

Wir müssen dieser Auffassung widersprechen, weil sie mit der 
Überlieferung unvereinbar ist. So schlimme Dinge von Domitian 
auch zu sagen und zu schreiben die Männer, die unter seinemRe- 
giment zu leiden hatten, sich erkühnen durften — keiner von 
ihnen hat behauptet, dass er von Sinnen gewesen. Die Verant- 
wortung für seine Handlungen hat er bis zuletzt voll und ganz 
zu tragen. Freilich hatte die unausgesetzte Sorge um sein 
Leben zuletzt einen Zustand nervöser Unruhe hervorgerufen, 
Schlaflosigkeit und beängstigende Traumbilder suchten ihn 
heim , und in jähem Schrecken sprang er plötzlich um Mitter- 
nacht von seinem Lager auf. Er meinte den Arulenus Rus- 
t'cus mit einem Schwerte auf sich eindringen zu sehen. Ein 
andermal deuchte ihm, die in seinem Schlafgemach stehende 
Statue der Minerva sei von Juppiter ihrer Rüstung beraubt 
worden und erkläre, ihn nicht weiter schützen zu können*). 



wegung in Judaea zusammenhängt. — Die Verfolgung wird auch von 
Orosins und Sulpicius erwähnt. In den Akten des hl. Ignatius ist Yon den 
Stürmen, die jüngst die Earche heimsachten, die Bede. — Langen, 
Geschichte der römischen Kirche, I S. 60 fg., ist der Meinung, Domitian 
habe das Christentum nicht direkt verfolgt, sondern nur znm Verwand 
genommen, den Fiskus Judaicus zu verstärken, grosse Vermögen eh con- 
fiszieren und Nebenbuhler zu versöhnen. Anders urteilt Gsell, a.a.O.: 
„II ne voulut pas admettre, que les croyances des Juifs se repandissent 
Übrement parmi les populations du monde romain. II vit et avec raison, 
dans les nouveaux convertis des ennemis de la religion nationale, du culte 
de Tempereur-dieu, culte qui 6tait dans nne certaine mesure le trait d'uidon 
des Sujets de Bome." Langen, S. 60, spricht sich auch gegen die Annahme 
der Verbannung zweier Domitillen aus, vgl. Gsell, a.a.O. S. 298. . 

^) Ev. Kraus, Zur Charakteristik des Kaisers Domitian. Landshnt 
1876. Der Verfasser bezieht sich wiederholt auf Wiedemeister, Der 
Caesaren Wahnsinn der julisch-claudischen Imperatorenfamilie, HannoTer 1875. 

«) Sueton, Dom. 15. Vgl. Dio 67, 16. 



11. Domitians Ende und Ergebnis seiner Regierung. 115 

Als er gar den Epaphroditus , der Neros Hand zum Todes* 
tosse gelenkt hatte, hinrichten liess, um den Hofbeamten 
einzuschärfen, dass man unter keinen Umständen an seinen 
lerrn Hand anlegen dürfe, fühlte sich seine nächste Um- 
gebung nicht mehr sicher. Wenn man Dio Glauben schenkt, 
10 war der Kaiserin ein Verzeichnis der Verdächtigen in die 
lande gefallen, in dem ihr eigener Name an der Spitze 
itand. Da aber dieser Bericht Züge trägt, die der unter 
Ihnlichen Verhältnissen erfolgenden Ermordung des Commodus 
mtlehnt sind, so wiederholen wir lieber die nüchterne Er- 
;ählung der Zeitgenossen i). 

Es waren die beiden Kämmerer Parthenius und Sigerius, 
ler Geheimsekretär Entellus, der Prokurator der Domitilla 
5tephanus , die sich zur Beseitigung des Tyrannen vereinigten 
md sich durch die Mitwissenschaft der Domitia und der 
Deiden Gardepräfekten gedeckt glaubten. Dem Kaiser war 
nne Warnung vor einer ihm drohenden Gefahr gekommen, 
lie ihn zur äussersten Vorsicht bestimmte. Gerade diese 
;olIte ihm verderblich werden. Als ihm Parthenius meldete, 
58 sei jemand da mit einer dringenden Botschaft, zog er sich 
n sein Kabinett zurück. Hier stiess ihm, während er die 
hm überreichte schrifthche Anzeige einer Verschwörung las, 
5tephanus den Dolch in die Seite. In dem nun entstehenden 
ilingen wurde der Tyrann von den übrigen Verschworenen 
nit Hülfe einiger Gladiatoren durch sieben Wunden getötet. 
)er zu spät eindringenden Palastwache blieb nichts übrig, 
ils den Stephanus niederzuhauen (18. Sept. 96). 

Des Kaisers Ermordung nahm das Volk mit Gleichmut hin, 
iie Soldaten waren darüber aufs äusserste erbittert. Sie 
sagten es, ihm sogleich den Beinamen divus zu geben, und 
lätten seinen Tod gerächt, wenn es ihnen nicht an 
^'ührern gefehlt hätte. Der Senat begab sich sofort in 
lie Kurie, und um die Wette sandte man dem Toten ohne 
lUe Zurückhaltung die schmählichsten und bittersten Ver- 
;vünschungen nach. Leitern wurden herbeigebracht, seine 
Statuen und Büsten heruntergerissen und an Ort und Stelle 
5U Boden geschmettert. Zuletzt beschloss man, seine Li- 



^) über den Bericht des Cassius Dio urteilt Gsell noch zu günstig: 
,0n ne peut relever dans son liistoire ponr cette p^riode auciine erreur 
naterielle« 8. 345. Nur die Anekdoten (S. 221, 260, 327) findet er ver- 
lächtig, gesteht dann aber „il semble avoir fait usage de sources fort d6- 
■avorables k cet empereur". So ist es auch; geradezu unrichtige That- 
tachen lassen sich bei ihm nachweisen. Für erwiesen muss die allgemeine 
[J'bereinstimmung mit Sueton gelten. Sehr möglich ist, dass beide Autoren 
len Tacitus benutzt haben, dessen Historien gewiss für die Bildung 
3nd Befestigung des ungünstigen Urteils über Domitian entscheidend 
varen. 

8* 



116 Zweites Buch. 

Schriften überall zu tilgen und jegliche Erinnerung an ihn 
auszulöschen. 

In dem Gedanken an jene Sitzung, in der das Andenken 
des Feindes geächtet wurde, hat Plinius die Worte ge- 
schrieben: »Wie that es wohl, jene stolzen Gesichter auf 
die Erde zu schleudern, das Eisen anzulegen, sie mit der 
Axt zu zerstören, als müsse unter jedem Streiche Blut fliessen. 
Alle erfüllte es mit Befriedigung, die zerbrochenen GUeder 
zu betrachten*'^). 

Der Senat wählte einen der angesehensten aus seiner 
Mitte, den M. Cocceius Nerva, zum Kaiser; mit ihm hatten 
die Verschworenen in Verbindung gestanden, ohne dass er 
an der blutigen Katastrophe unmittelbar beteiligt gewesen 
wäre. Als er das Imperium angenommen hatte, verbreitete 
sich das Gerede. Domitian lebe und werde gleich zur 
Stelle sein. Da sah man den Nerva erzittern , sich entfernen 
und einer Ohnmacht nahe. Als ihn dann Parthenius über 
den Ausgang beruhigte, gewann er seine Fassung wieder. 
Erst nach längeren Verhandlungen verstand sich die Garde 
dazu, ihn, nachdem er einmal ausgerufen war, als Imperator 
anzunehmen, zumal da Nerva nie zu der eigentlichen Oppo- 
sition gehört und mit Domitian in gutem Einvernehmen ge- 
standen hatte. Wäre ein zur Herrschaft geeignetes Mitglied 
des flavischen Hauses noch am Leben gewesen, so würde 
sich der Senat den Wünschen der Soldaten haben fügen 
müssen. 

Als der neue Imperator Nerva Caesar Augustus die Kurie 
betrat, umarmte ihn Arrius Antoninus und wünschte dem 
Senate, dem Volke und dem Reiche Glück, nicht ihm selbst; 
es wäre für ihn vorteilhafter gewesen, schlechten Fürsten zu 
entkommen, als eine so gewaltige Last zu tragen, die da- 
durch noch drückender werde, dass er sich nach Freunden 
und Feinden in gleicher Weise richten müsse, und erstere, 
die alles Verdienst für sich in Anspruch nehmen würden, 
seien, wenn sie etwas nicht durchsetzten, noch gefährlicher 
als die Feinde 2). 

Domitians Regierung ist in der Geschichte des Prinzi- 
pates von den bedeutendsten Folgen gewesen^). Er selbst 
ging auf im Dienste des Staates. Ohne einen besonders 
weiten Gesichtskreis zu haben, zeigte er sich in den 
Geschäften wohl unterrichtet und unermüdlich thätig. Von 
seinen Zeitgenossen wird anerkannt, dass seine Verwaltung 

») Paneg. 52. 
«) Victor, ep. 12. 

') In der Beurteilung des Ergebnisses dieser Regierung stinune ich 
mit Gsell, a.a.O. S. 333 fg., in der Hauptsaciie tiberein. 



11. DomitiaiiB Ende und Ergebnis seiner Regierung. 117 

irchgreifend und musterhaft, sein Eingreifen in die Recht- 
)rechung von wohlthätigen Folgen war. Den klaren Blick 
r die Bedürfnisse des Reiches und den sichern Takt in 
5r Wahl seiner Ratgeber und Beamten hatte er von seinem 
ater ererbt. Als Pontifex und Censor unternahm er den 
ersuch, die nationale ReUgion gegen das Eindringen fremd- 
tiger Kulte zu verteidigen. Wenn er aber in den letzten 
eiten seines Lebens zu gewaltsamen Mitteln griff, um den 
taatsscbatz zu füllen, so ist doch zu bedenken, dass er 
ch in einer durch die langwierigen Kriege an der Donau 
id durch die Freigebigkeit des Titus hervorgerufenen Not- 
ge befand. Anstatt sich mit dem Wesen der Gewalt, wie 
dn Vater, zu begnügen, Hess er sich Ehren und Titel be- 
(hliessen, wie sie bis dahin kein Kaiser geführt hatte. Nicht 
ifrieden damit, Imperator und Prinzeps zu sein, hess er 
ch Herr und Gott nennen und brachte durch die Übernahme 
jr Censur auf Lebenszeit den Senat in völlige Abhängigkeit 
)n seinem Willen, um jedes missliebige Mitglied, wie es 
öher die Censoren gethan hatten, zu beseitigen und kraft 
58 „regimen morum* senatorische Familien zu demütigen. In 
m letzten Jahren seiner Regierung kannten sein Hochmut, 
line Gewaltthätigkeit keine Grenzen. Als der Hass, mit 
5m die Aristokratie sich erfüllt hatte, in wiederholten An- 
ihlägen gegen sein Leben zum Ausbruch kam, rächte sich 
omitian durch Akte blutiger Grausamkeit, die sich nament- 
jh in den drei letzten Jahren häuften und die Erinnerungen 
1 die schlimmsten Zeiten des Tiberius und des Nero wach- 
sfen. Im Kriege hatte er nach langen Kämpfen an der 
3nau die Ruhe wiederhergestellt, am Rheine durch die An- 
gung der Grenzwehr den Raubzügen der Chatten ein Ziel 
jsetzt und Verhältnisse begründet, auf denen fortan die 
icherheit dieser bedrohtesten Grenze ruhte. 

Nach einer wenig durchgreifenden Reaktion blieben seine 
achfolger im ganzen bei seinem Regierungssystem. Wenn 
e auch den Namen der dauernden Censur fallen Hessen, 
) waren sie doch nicht gesonnen, auf die daraus hergelei- 
ten Rechte zu verzichten. Von nun an werden die Plätze 
1 Senate in Form einer Adlektion nach Belieben vergeben, 
uch die neugeschaffenen Finanzämter blieben bestehen. 

Übersehen wir im ganzen die Entwicklung des Prinzipates 
iter den flavischen Kaisern, so haben sich Vespasian und 
itus massvoll innerhalb der ihnen gezogenen Schranken 
ehalten und doch monarchische Machtvollkommenheit geübt, 
ber unter Domitian ist der Prinzipat in eine Dominatio um- 
jschlagen, die den Staat wie der Grundherr sein Dominium 
isah. Derselbe Prozess , der sich unter Tiberius , unter Clau- 



118 Zweites Buch. 

dius und unter Nero vollzogen hatte, vollzog sich also unter 
den flavischen Kaisern. 

Richtet sich der Blick auf die Zustände in Italien und in 
den Provinzen, so nimmt man mit Befriedigung wahr, dass sie 
auch unter dem letzten Flavier so günstig wie möglich ge- 
wesen. Wenn ein Vierteljahrhundert hindurch die Ruhe 
nur an der Grenze gestört, aber auch hier die Autorität des 
Reiches aufrecht gehalten wurde, wenn Wohlstand, Gesittung 
und Selbstverwaltung sich über weitere Gebiete und gleich- 
massiger als früher verbreiteten, so bezeichnet diese Epoche 
einen der Höhepunkte der Kaiserzeit Roms. 



Drittes Buch. 



arva, Traian und Cornelius Tacitus. 



i« • «- 



ERSTES KAPITEL. 

Der Prinzipat des Nerva. 

Den Tag, an dem Nerva erhoben worden, bezeichnet 
ine kapitolinische Lischrift mit demselben Worte, mit dem 
lan den Prinzipat des Claudius und des Galba inauguriert 
atte, als den Tag ^der Wiederherstellung der Freiheit**). 
Wiederum wurden Münzen mit der Aufschrift ,libertas publica' 
nd ,Roma renascens* geprägt. Der neue Kaiser hatte be- 
jitwilligst zugestanden, was Domitian versagt hatte: er leistete 
en Eid, dass er keinen Senator werde umbringen lassen*). 

Aber gleich von vornherein hatte er mit Schwierigkeiten 
u kämpfen, die den Bestand seines Prinzipates in Frage 
teilten. Die Unzufriedenheit, die unter der Garde herrschte, 
atte sich auf die Legionen in den Provinzen übertragen. 
1 einem Standlager an der Donau drohte offener Aufstand, 
ie rheinischen Truppen zeigten sich unzuverlässig, ein Legat 
1 Syrien, dessen Namen wir nicht kennen, nahm eine gegen 
[erva feindselige Haltung ein. In der Hauptstadt selbst war 
ine allgemeine Aufregung entstanden. Die Garde, welcher 
1 der Person Casperius Aelianus ein Präfekt gesetzt war, 
er unter Domitian schon einmal dies Kommando geführt 
atte, schritt zu offenem Aufruhr. Sie wollten zwar Nerva 
reu bleiben, sie forderten aber die Hinrichtung der Mörder 
lomitians. Man drang in den Palast ein, um Nerva zu 
iesem Zugeständnis zu zwingen; dieser widerstand zwar 
rotz seiner physischen Schwäche, weil er Leute, denen er 
ie Herrschaft verdanke, nicht zur Strafe ziehen könne. 
Lber die Prätorianer setzten ihren Willen durch und brachten 
*arthenius und Petronius Secundus vor seinen Augen um. 
a Casperius ging so weit, den Kaiser zu zwingen, vor dem 



*) CIL 6, 472. 

') Dio 68, 2: *i2tJioo8 xal 2v x$ ouve8p((p \irfiiyoL xd5v ßouXeuxd5v 
oveöoeiv, 2ß8ßa{(oo£ xe x6v 5pxov xalnep §7cißouXeud-e{c. 



122 Drittes Buch. 

Volke ZU erklären, er sei den Soldaten zum Danke ver- 
pflichtet, weil sie die Gottlosesten und Schlechtesten von allen 
Sterblichen umgebracht hätten^). 

Wenn die Ruhe im Reiche trotz dieser Vorgänge erhalten 
blieb und die eben begründeten Zustände Dauer gewannen, 
so lag dies einmal an der Klugheit, mit der Nerva die 
Freunde und Stützen der früheren Regierung unter Verzicht 
auf eine durchgreifende Reaktion zu versöhnen wusste; so- 
dann aber fand der Kaiser die richtige Persönlichkeit, seinen 
wankenden Thron zu stützen und dem Schicksale zu ent- 
gehen, dem unter ähnlichen Verhältnissen Galba unter- 
legen war. 

Auf die Empfehlung des L. Sura hin adoptierte er im 
Herbste 97 den Marcus Ulpius Traianus, dem er kurz vorher 
die Verwaltung der obergermanischen Provinz übertragen 
hatte 2). Sein Vater war unter Nero aus Spanien nach Rom 
gekommen, hatte unter Vespasian das Konsulat und die an- 
gesehensten Posten in der Verwaltung bekleidet; der Sohn 
hatte unter Domitian Karriere gemacht und noch in den 
letzten Jahren in den Kriegen an der Donau Verwendung 
gefunden. 

Zwischen diesem und Nerva bestand keine Verwandtschaft; 
^aber Nerva'^ bemerkt Plinius, ,,ist sein Vater geworden in 
dem gleichen Sinne, in dem er der Vater der Römer ist. 
In dem ganzen Staate hat er sich nach dem höchsten Erben 
umgesehen^' ^). 

An der geweihten Stätte des Kapitols wurde der Akt der 
Adoption vollzogen mit den Worten: ;,Möge es dem Senate, 
dem römischen Volke und mir selbst zum Heil und Segen 
gereichen^'! Man hatte den Eindruck, fahrt Plinius fort, dass 
jener Aufstand nur ausgebrochen sei, damit der Staat in 
jenem Augenblick in der Grösse Traians eine Zufluchtsstätte 
finden könne. Eben war aus Pannonien eine Siegesnachricht 
eingetroffen; jubelnd begrüsste das Volk den Glück verheis- 
senden Lorbeerkranz*). 

Die Bestätigung des Senates liess nicht auf sich warten. 
Der Mitregent bekam die Titel Caesar und Imperator, die 
tribunicische Gewalt und den Ehrennamen Germanicus, den 
Nerva kurz vorher angenommen hatte. 

Nervas Haltung in allen Fragen der inner n Politik ist durch 
den Gesichtspunkt der Versöhnlichkeit und Nachgiebigkeit 

*j Victor, ep. 12. 

') Paneg. 23: Demissus oscalo fueras. 

^J Paneg. c. 8 u. 16. Über die zögernde Haltung Traians vgl. 
Dierauer, Geschichte Traians (in Büdingers Untersuchaugen) S. 26. £r 
verweist auf Kap. 9 und 10. Über den Ehrennamen Germanicos hat 
Dierauer S. 27 gehandelt. 



1. Der Prinzipat des Nerva. 123 

3stimmt ;, Statt eines Kaisers, der alles verboten, hatten die 
ömer jetzt einen solchen, der alles erlaubte*'. Den Verur- 
lilten wurden die Kerker geöffnet, die verbannten Philo- 
)phen und Senatoren waren zurückgekehrt und forderten 
.ut die Bestrafung der blutigen Werkzeuge Domitians. Aber 
erva war doch zu verständig, um diesen Leidenschaften 
lehr als unbedingt notwendig war, nachzugeben. Er be- 
3hränkte sich darauf, die Zulassung von Zeugnissen der 
klaven gegen ihre Herren zu verbieten, das Edikt des 
itus gegen falsche Anzeigen zu erneuern und die darauf 
esetzten Strafen zu verschärfen. Auch wurden einige Sklaven 
nd Freigelassene, denen Verrat ihrer Herren nachgewiesen 
^ar, der Gerechtigkeit geopfert. Aber Gründe der Klugheit 
eboten Schonung der an Gut und Einfluss reichen Delatoren. 
'er beredte Sachwalter Aquillius Regulus ^), der unter Domitian 
um Konsulate und in den Besitz von Priestertümern gelangt 
rar und dem Hofe nahe stand, büsste unter Nerva seinen 
linfluss keineswegs ein, obschon er den Untergang des Aru- 
mus Rusticus befördert hatte und in dem Rufe stand, sein 
''ermögen durch Erbschleicherei zu vermehren. Plinius be- 
eichnet ihn als j,das nichtswürdigste aller zweibeinigen Ge- 
chöpfe*. Ein andermal klagt er, Regulus sei schwer zu 
türzen, weU er reich sei, von vielen geachtet, von 
lanchen gefürchtet werde und eine starke Partei hinter sich 
abe. Doch sei es möglich, dass alles zusammenbreche, 
^enn daran gerüttelt werde ; denn die Gunst der Schlechten sei 
m nichts sicherer, als diese selbst. Trotz seiner Gegner 
ehauptete Regulus seine Stellung und war nachweisUch noch 
n J. 100 im Senate «). 

Ein anderer namhafter Mann, Fabricius Veiento, der drei- 
aal Konsul gewesen und zu den vertrautesten Ratgebern 
)omitians gehört hatte , war Nervas Tischgenosse. Einst lag 
r dem Kaiser zunächst, fast in seinem Schosse, als dieser 
ragte, was demCatullus Messalinus, der trotz seiner Bünd- 
leit einer der gefürchtetsten Angeber gewesen war, „den 
)omitian wie einen Pfeil, der blindlings und rücksichtslos 
rifft, auf die Besten losschoss^, geschehen würde, wenn er 
len Domitian überlebt hätte. Da scheute sich Junius Mau- 
icus nicht zu antworten: „Nobiscum cenaret^. 

Wie ganz anders war es gekommen, als sich die Gegner 
)omitians in den nächsten Tagen nach seinem Untergänge 
jedacht hatten! „In diesen ersten Tagen der wiederherge- 
itellten Freiheit hatte jeder seine eigenen, wenn auch unbe- 



*) Vgl. ep. 1, 5 (3, 20; 4, 2; 6, 2). 
») Ep. 9, 13. 



124 Drittes Buch. 

deutenden Feinde mit ausserordentlich verwirrtem Geschrei 
angeklagt und ihren Sturz zu bewirken gesucht*^. Plinius 
redet weiter von dem allgemeinen Hasse der Zeit, der nur 
langsam einer gerechtern Stimmung Platz machte. Damals 
hatte Fannius eine Schrift über den Tod berühmter Männer 
unter Nero verfasst; Capito führte seinen Freunden eine 
Lebensbeschreibung der Opfer vor, die Domitians Grausam- 
keit erlegen waren i). 

Gewiss ist es richtig, dass sich in jenen Tagen in den 
an der Kultur Anteil nehmenden Klassen der Hauptstadt eine 
öffentliche Meinung gebildet hat*). 

Aber ebenso wenig wie diese damals zum erstenmal in 
diesen Kreisen auftrat, ebenso wenig kann zugegeben werden, 
dass sie damals zu massgebendem Einfluss gelangte und dass 
selbst die Ernennung Traians mit ihrem Auftreten zusammen- 
hing. An dessen Nachfolge ist unter Domitian kaum gedacht 
worden, denn er war weder ein geborener Italiker, noch 
zählte er, den die Kriege am Rhein und der Donau von 
Rom fern gehalten, zu den ersten Vertretern der Aristokratie. 
Erst die militärischen Bewegungen in der Hauptstadt und an 
den Grenzen und vermutUch die gegen seine Person gerich- 
tete Verschwörung des Senators Calpurnius Crassus^) haben 
Nerva bestimmt, sich an den rheinischen Heerführer anzu- 
lehnen. Tacitus erzählt zwar, dass Agricola in einem ver- 
trauten Gespräche auf Traian als den künftigen Herrscher 
hinwies. Aber diese Prophezeiung macht um so mehr den 
Eindruck ex eventu zu stammen, als Tacitus in den Jahren, 
in denen Traian bedeutender hervortrat, von Rom ent- 
fernt war. 

Wenn die karge Überlieferung eine völlige Aufhellung 
des Dunkels, das über der Erhebung Traians schwebt, nicht 
gestattet, so sind wir andererseits in der glücklichen Lage, 
über die Haltung der Regierung in jenen Tagen, in denen 
das allgemeine Vertrauen erschüttert war, unterrichtet zu sein. 

Eben jener Fabricius Veiento ist in einem Prozesse, über 
den ein Brief des Plinius näheres berichtet, im Einverständ- 
nisse mit Nerva für die Freunde Domitians im Senate ein- 
getreten. 

Im J. 93 hatte er den Helvidius Priscus angeklagt. Das 
schien dem Plinius das grausigste Verbrechen, dass ein Se- 
nator sich an einem Kollegen, ein Prätorier an einem Kon- 
sular vergriff*). Jetzt schien ihm j^die Gelegenheit gross und 

*) Plinius, ep. 5, 5. 8, 12. 
«) Ranke, Weltgeschichte HI, 1 S. 267. 
«) Dio, 68, 2, 2. Victor, ep. 12, 7. 
*) Ep. 9, 13. Tae. Agricola 45. 



1. Der Prinzipat des Nerva. 125 

lön zu sein, die Schuldigen zu verfolgen und sich hervor- 
;hun*. Er beginnt im Senate ausser der Ordnung, ohne den 
huldigen bestimmt zu nennen, seine Rede. Der Konsul er- 
3ht ihn unter allgemeiner Unruhe sein Anliegen bei der Ab- 
mmung vorzutragen. Inzwischen hatte ihn einer seiner kon- 
arischen Freunde beiseite genommen und sein Vorhaben 

zu kühn imd unvorsichtig getadelt; er habe sich künftigen 
isem bemerklich gemacht und reize einen Menschen, der 
äfekt des Schatzes und bald Konsul sein werde, hinter 
m eine einflussreiche Partei stünde. Dabei nannte man 
len, der im Orient ein grosses Heer befehligte und dem 
in eine verwegene That zutraute. Als es zur Abstimmung 
m, nahmen Fabricius Veiento, Fabius Postuminus, Vettius 
oculus den Certus, ehe Plinius noch seinen Namen ge- 
nnt hatte, in Schutz und verteidigten ein Verbrechen, das 
eh unbestimmt gelassen war. Andere beantragten, ihm 
j Strafe für eine so offenbare Schandthat zu erlassen und 
p mit einer Art censorischer Rüge zu brandmarken. Als 
nius an die Reihe kam, hörten seine Rede auch diejenigen 
t lautem Reifall, die eben noch widersprochen hatten, 
olche Änderung hatte die Würde des Gegenstandes, die 
walt der Rede oder die Festigkeit des Anklägers zur Folge*'. 
:zt antwortete Veiento unter solchem Lärm, dass er den 
istand der Tribunen anrief. Während dieser Unterbrechung 
:Hess der Konsul, nachdem die Abstimmung vor sich ge- 
igen war, den Senat, so dass Veiento fast noch stehend 
i im Regriff zu reden zurückbheb. Den Plinius beglück- 
Bschten die Senatoren von allen Seiten, weü er die längst 
[gegebene Sitte, ohne Rücksicht auf Sonderfeindschaft für 
3 öffentliche Wohl einzutreten, wieder eingeführt und von 
n Senat den Vorwurf abgewehrt habe , den ihm die übrigen 
inde machten, dass er gegen andere streng, mit seiner 
:enen Meinung zurückhalte und seine Standesgenossen 
lone. Aber die von Veiento vertretene Ansicht teUte auch 
r Kaiser. ^Er verwies diese Angelegenheit nicht wieder 
7 Untersuchung an den Senat", d.h. er verzichtete darauf, 
jen Certus einzuschreiten, und begnügte sich damit, das 
nsulat seinem Kollegen und ihm selbst einen Nachfolger in 
? Verwaltung des Ärars zu geben. 

Das Vorgehen des Plinius wurde von allen besonnenen 
innem missbUligt. Corellius Rufus, den er selbst als den 
igsten und weisesten Mann seiner Zeit bezeichnet, wurde 
a Plinius in dieser Angelegenheit nicht um Rat gefragt, 
)ir er besorgte, er möchte ihm bei seiner allzugrossen Re- 
nklichkeit und Vorsicht abraten i). Und Corellius gehörte 

') Ep. 9, 13. 



126 Drittes Buch. 

ZU den Männern, die Domitians Ungnade in reichem Masse 
erfahren hatten^). Wie er dachten zweifelsohne L. Verginius 
Rufus, der mit Nerva gemeinsam am 1. Januar des J. 98 das 
dritte Konsulat übernahm, und Julius Frontinus, der für das 
folgende Jahr zum consul Ordinarius designiert war. 

Es gab lohnendere und dringendere Aufgaben zu lösen 
als einen Sturm der Verfolgung zu entfesseln. Es galt vor 
allem, die Finanznot zu beseitigen und an das Gute, das 
Domitian geschaffen hatte, anzuknüpfen. 

Um den Finanzen aufzuhelfen, sah Nerva sich zu einer Be- 
schränkung der Frumentationen und der Schauspiele genötigt. 
Diese Ersparnisse und die Verwendung des Kronschatzes 
halfen über die Krisis hinweg, und eine Kommission von Se- 
natoren zur Verminderung der Ausgaben scheint nicht ohne 
Erfolg gearbeitet zu haben 2). Sonst würde man nicht ver- 
stehen, dass Erleichterungen in der Erbschaftsbesteuerung ein- 
traten und von der Erhebung der Judensteuer abgesehen 
wurde ^). 

Auf Domitian griff Nerva vor allem bei seiner socialen 
Gesetzgebung zurück. Jener war auf die Gefahren, die dem 
Ackerbau drohten, aufmerksam geworden; von den Mass- 
regeln, zu denen er schritt, ist nur ein Edikt bekannt, das 
den Weinbau auf ein gewisses Mass beschränkte, so dass 
in ItäUen neue Reben zu pflanzen verboten wurde, während 
in den Provinzen die vorhandenen Weinpflanzungen bis auf 
die Hälfte zerstört werden sollten. Diese Anordnung war 
glücklicherweise nur unvoUkommen durchgeführt worden. 
Nerva fasste das Übel an der Wurzel an, indem er bedeu- 
tende Landcomplexe aufkaufte und durch eine senatorische 
Kommission aufteilen liess^). 

Folgenreich war, dass er die von seinem Vorgänger ins 
Leben gerufene Alimentarinstitution weiter entwickelte und 
ihr eine grössere Ausdehnung gab. Der Gedanke, von dem 
man hierbei ausging, wurde von dem Wunsche, die Bürger- 
schaft zu stärken, beherrscht, und durch Zahlung eines ünter- 
stützungsbeitrages zur Kindererziehung für arme Eltern ver- 
wirkUcht. Man verfuhr dabei in der Weise, dass eine ge- 
wisse Kapitalsumme für eine bestimmte Stadt ausgesetzt und 
gegen Hypothek an Grundbesitzer verliehen wurde. Der 



*) Ep. 1, 12, 8. — § 12: Amisi vitae meae testem, rectorem, ma- 
gistrum. Er starb einige Jahre später. 

«) Dio 68, 2, 3. Plinius ep. 2, 1, 9. 

^) Plinius, paneg. 37. ,Fisci Judaici calumnia sublatad s. c* itif 
MiinzeQ Cohen, Nerva n. 83 — 86. 

*) Plinius, ep. 7, 31, 4. CIL 6, 15, 48. Dio 68, 2, 1: 'Eg xi^^ti«* 



1. Der Prinzipat des Nerva. 127 

undbesitzer hatte die Zinsen zu den Stiftungszwecken 
irlich an die kaiserlichen Kassen abzuführen. Dagegen genoss 
den Vorteil, dass das Kapital, soweit er seinen Verpflichtungen 
3hkam, unkündbar war. Das Beispiel, das die Kaiser gaben, 
vies sich so wirksam, dass schon unter Nervas Regierung 
ivatleute ähnUche Stiftungen ins Leben riefen i). 
Zu den Stützen der Regierung Nervas gehörte auch 
citus. Er erhielt in der zweiten Hälfte des Jahres 97 das 
nsulat, worauf er schon seit einigen Jahren Anspruch er- 
ben konnte. Als um dieselbe Zeit Verginius Rufus ge- 
rben war, wurde ihm der Auftrag, bei seinem glänzenden 
ichenbegängnisse die Lobrede zu halten 2). Diese Be- 
ittung wird von Plinius als ein den Prinzeps und das neue 
eculum ehrender Vorgang bezeichnet. Rufus hatte im 
68 das Imperium abgelehnt und die Entscheidung dem 
nate und dem Volke vorbehalten. Aus ritterlicher FamiUe, 
p Sohn eines unbekannten Vaters, hatte er die Empfindung 
liabt, dass er der Alleinherrschaft nicht gewachsen wäre, 
SS er gefahrlos leben könne, wenn er darauf verzichte. 
3ser Gedanke, den Tacitus in den Historien ausspricht 3), 
pd den Kern seiner Leichenrede gebildet haben. Er wird 
) Weisheit und Mässigung des Verginius, der sich unter 
mitian von den Geschäften femgehalten hatte, als Vorbild 
igestellt haben. Mit lebhaftem Interesse durfte man nach 
jser Probe den schriftstellerischen Leistungen des ange- 
lenen Redners und Sachwalters entgegensehen. 



ZWEITES KAPITEL. 

Lebensverhältnisse des Tacitus. 

Cornelius Tacitus teilt mit Thukydides und Herodot das 
hicksal, zu den wenigst gekannten Schriftstellern des 
tertums zu zählen. Wie die Überlieferung der nachneroni- 
len Zeit überhaupt furchtbar zerrüttet ist, so liegt auch 
s Leben und der Büdungsgang ihrer namhaftesten Staats- 
inner im Dämmerlicht einsilbiger Notizen. Von den 
itgenossen erwähnt ihn lediglich der jüngere Plinius. 
ine vita, kein Kommentar, kein versprengtes Scholion er- 
lebtet das ihn verhüllende Dunkel. Tacitus gehört zu den 
Innern, die erst unter den Flaviem zu den höchsten 
iffeln der Ämter emporstiegen. Er wurzelt in der Epoche, 

deren Geschichte er sich versucht hat. 

^j Vgl. die Beilage. 

*) Ep. 2, 1: Laudatus est a consule Cornelio Tacito. S. die 
ilage. 
•) 1, 52. 



128 Drittes Buch. 

Wollte man einer kühnern Vermutung Raum geben, so 
dürfte man aus dem engen Verhältnis, in das er später zu 
Agricola trat , aus den Beziehungen , die ihn seit seiner Jugend 
mit Plinius, die ihn mit Verginius Rufus verbanden, schliessen, 
dass Norditalien die Heimat seiner Familie war^). Wenn der 
von Plinius erwähnte Zeitgenosse Cornelius Taeitus procu- 
rator Belgicae Gallicae sein Vater war, so stammte Taeitus 
aus ritterlichem Geschlecht. Sein Ahne mag ein Freige- 
lassener der gens Cornelia gewesen sein. In späterer Zeit 
führte der Kaiser Claudius Taeitus auf den Geschichtschreiber 
seinen Stammbaum zurück, und dem umstände, dass dieser 
befahl, die Schriften seines Vorfahren in allen Biblio- 
theken aufzustellen, haben wir vielleicht die Erhaltung 
der Trümmer der grossen Geschichtswerke zu danken. Diese 
wurden im Altertum mehr bewundert als benutzt. Bei Plu- 
tarch, Sueton und Dio sind wörtliche Entlehnungen nach- 
weisbar, Tertullian, Orosius und die Scholiasten citieren ürn 
öfters. Dem Ammianus Marcellinus und Aurelius Victor diente 
er als Vorbild. Sulpicius Severus und Jordanes haben ihm 
grössere Abschnitte entlehnt. ApoUinaris Sidonius, der ihn 
wiederholt erwähnt, verdanken wir das Zeugnis, dass Pole- 
miusy Praefectus praetorio um 406, von ihm abzustammen 
sich rühmte. Cassiodorius kannte jedenfalls die Germania. 
Dann ist für Jahrhunderte seine Spur verloren 2). 

Über die pohtische Laufbahn des Taeitus giebt uns sein 
eigenes Zeugnis im Anfange der Historien Aufschluss: j,Mihi 

^) Büdinger, Universalgescliichte im Altertum S. 195, weist ani 
Plinius ep. 9, 23, 2 (Die Cirkuserzählung) hin. „Italiens es an provin- 
cialis? Nosti me et quidem ex studiis meis^. Die erste Frage des römi- 
schen Nachbars setze voraus, dass der Angeredete (Taeitus) nach seiner 
Sprache nicht ganz Bömer war. Man möchte an eine Art Patayinitas , die 
dem Livius vorgeworfen wurde, denken. Der Name deute am ehesten 
auf Abkunft von einem stiUen Freigelassenen eines patrizischen Comeliers, 
im besten Falle des SuUa. 

Eine für die Kenntnis der persönlichen Verhältnisse des Taeitus 
wichtige Entdeckung wurde im J. 1890 gemacht. In dem bnU. de con. 
hellen. 1890 S. 621 wird eine Inschrift aus Mylasa in Karlen mitgeteilt^ 
deren erste Zeile *Aaiavol 'Icovs^, deren zweite [*Av^i>.] Ho. KopvT^XCq) TaxCtq» 
lautet. Die Beziehung der Inschrift auf den Historiker ist nach Andresen 
zweifellos, ebenso zweifeUos die Ergänzung 'Av^. « dvO^icdxq), am Anfang 
der zweiten Zeile. Der Dativ vertritt den Ablat. absolutus, eine Ausdrucks- 
weise, die besonders regelmässig in der Erwähnung des Prokonsols er- 
scheint. Die Inschrift stellt also fest, dass Taeitus den Vornamen Publios 
führte und als Prokonsul von Asien das Ziel seiner politischen Laufbahn 
erreicht hat. War er im J. 97 Konsul, so fällt sein Prokonsnlat in das 
J. 111/112. (Vgl. Bonner Jahrb. LXXII meine Ausführungen zum J. 98.) 

') Emmerich Cornelius, Quomodo Tac. historiarum scriptor io 
hominum memoria versatus sit usque ad renascentes litteras saeculi XTV 
et XV. Wetzlar 1888. Die Benutzung des Taeitus war danach erheblich 
ausgedehnter als man früher annahm. 



9. Lebensverhältnisse des Tacitos. 129 

dba, Otho, Vitellius nee beneficio nee iniuria cogniti, digni- 
lem nostram a Vespasiano incohatam, a Tito auetam, aDo- 
itiano longius proveetam haud abnuerim*^.^) 

jjAugere dignitatem* ist nach Borghesis zutreffender Be- 
Brkung, die ürlichs wieder aufgenommen hat, der für die 
»rleihung der Quästur, mit welcher der Übergang aus dem 
tterstand in den Senat verbunden war, übliche Ausdruck. 
so im J. 80 oder 81 ist die Standeserhöhung des Tacitus 
folgt. Unter Vespasian war dieselbe durch Übertragung 
s Militärtribunats oder wahrscheinlicher des Vigintivirats 
rbereitet worden. Da nach den in der Kaiserzeit geltenden 
^Stimmungen die Altersgrenze für die Quästur das 25. Jahr 
, so wurde Tacitus spätestens um das Jahr 55 n. Chr. 
boren; hiermit stimmt überein, dass Tacitus selbst im 
alogus sagt, er sei um das Jahr 75 „iuvenis admodum^' gö- 
ssen. Diese Jugendschrift, die vielleicht erst später ver- 
fentlicht wurde, gehört derselben Richtung an wie die 
stitutio oratoria des Quintilian. Auch sonst finden sich 
i ihm Anklänge an das Urteil des bedeutendsten Lehrers 
iner Zeit, der vermutlich auch des Tacitus Lehrer war*), 
les verrät die Zufriedenheit des Autors mit dem Prinzipat 
s Vespasianus, aber auch eine unverkennbare Sympathie 
• Curiatius Matemus, der den Cato Uticensis bewunderte. 

Unter Domitian ist Tacitus in rascher Folge bis unmittel- 
r vor das Konsulat gelangt. Er genoss die Gunst der 
ivier in hohem Grade, da er sich um die Staatsämter als 
ndidatus principis bewerben durfte.*) Auch die Abberufung 
Ines Schwiegervaters Agricola hat seine Beförderung nicht 
rzögert. Jedenfalls war die Vereinigung der Prätur mit 
lem angesehenen Priesteramte, das nachweislich nur Jüng- 
gen der angesehensten Senatoren familien zufiel, eine hervor- 
jende Auszeichnung, die um so mehr in die Augen fallen 
isste, als Tacitus bei der Leitung der von Domitian im 
88 veranstalteten Säkularspiele in amtlicher Stellung be- 
iigt war. Über die Berechnung, die Domitian der Ver- 
staltung zu Grunde legte , hat er sich in den Historien aus- 



^) Die erste yoUstSndige Ausgabe der Werke des Tacitos ist die von 
iL Beroaldos (Born 1515, Fol.). Die im Medicens II vereinigten Werke 
I Tacitos kannte schon Boccaccio. 

Benutzt sind für diesen Abschnitt — soweit meine eigenen Unter- 
^hnngen nicht zu Grunde liegen — C. L. Urlichs, De vita et honoribus 
dti (Würzburg 1879); E. Wölfflin in Bursians Jahresberichten, 
r7— 80, XVni, 215; Dubois- Guchan, Le sifecle de Tacitus; 
Boissier, L*opposition sous les C^sars; Borghesi, YII, 320 fg. 

•) Plin. ep. 6, 6, 3. Urlichs, a.a.O. S.5. 

') Tacitus gebraucht an der angeführten SteUe den Ausdruck a Ye- 
UBiano etc., nicht sub Vespasiano, vgl. Urlichs, a. a. O. S. 3. 

Aibaeb, Kaisertum tmd VerflMsiuig. ^ 



130 Drittes Buch. 

führlicher geäussert, und -die genaue Kenntnis des heiligen 
Rechtes, von der viele Stellen seiner Werke Zeugnis ablegen, 
hängt mit den zu diesem Zwecke gemachten Studien zu- 
sammen*). Bei den Säkularspielen, bei denen es an mu- 
sischen Wettkämpfen nicht gefehlt haben wird, hatte er Ge- 
legenheit, durch sein rednerisches Talent zu glänzen. 

Auch in den folgenden Jahren hat Tacitus sich Domitians 
Gunst zu bewahren gewusst. 

Nicht lange nach seiner Prätur verHess er als Legat eines 
Prokonsuls oder als Statthalter einer Provinz die Hauptstadt 
und war noch abwesend, als der von ihm hochverehrte 
Agricola im J. 93 starb. Dass Tacitus in amtlicher Eigen- 
schaft damals fern von Rom weilte, beweist die Art, wie er 
von dieser ^langen durch die Umstände gebotenen Abwesen- 
heit" redet. Ob er aber in diesen Jahren die belgische 
Provinz verwaltet oder eine niederrheinische Legion kom- 
mandiert hat 2), ist noch recht zweifelhaft. 

Man geht von einer blossen Vermutung aus, wenn man 
den von Plinius genannten Cornelius Tacitus für des Ge- 
schichtschreibers Vater hält und hiermit die Thatsache kom- 
biniert, dass die Kaiser mit VorUebe ihren Reamten solche 
Provinzen überwiesen, in denen diese einen Teil ihrer Jugend 
verlebt hatten, wenn man also annimmt, dass der junge Tacitus 
in Relgien gewesen sei. Aus der Germania unmittelbar kann 
aber nur eine gekünstelte Interpretation auf persönhche Be- 
kanntschaft mit Deutschland schliessen. 

Zurückgekehrt, fand er die Lage der Senatoren ver- 
schlimmert, Domitian auf die abschüssige Bahn des Despotis- 
mus geraten. Das Meer füllte sich mit Verbannten, die An- 
geber und Freunde des Kaisers wurden mit den höchsten 
Staatsämtern belohnt. In diesen unerfreulichen Jahren ist 
Tacitus für uns verschollen. Durch bescheidene Zurückhaltung, 
wie sie sich die hervorragendsten Geister der Epoche auf- 
legten, ist er mit diesen dem Schicksale entgangen, dem 
Arulenus Rusticus und andere Anhänger der dem Prinzipat stets 
feindlichen stoischen Schule erlagen. Ohne Zweifel hat er nach 
dem Reispiele des Agricola sich als loyaler ünterthan in das 
Unabwendbare gefügt. Wie di6 andern nahm er an den Senats- 
verhandlungen teil, beschloss neue Ehren für den Kaiser 
und brachte für sein Heil Gelübde und Opfer dar. Aber das 
Konsulat, auf das er Anspruch hatte, blieb ihm versagt Er 
hatte nach Agricolas Tode Domitians Ungnade zu empfinden. 



1) Urlichs, a.a.O. S. 4. 

*) Th. Bergk, Zur Geschichte und Topographie der Bheinland« 
S. 40 A. 2. 



8. Die Lebensbeschreibung des Agricola. 131 

5 dieser unter den Dolchen der Freigelassenen gefallen 
r, begann für ihn eine neue glücklichere, fruchtbringendere 
it. Man darf nach der Geistesrichtung der beiden Männer 
lehmen, dass er dem Nerva auch persönlich nahe stand. 
s seinen Schriften lässt sich der Nachweis fähren, dass 
seinen Griffel in den Dienst der neuen Ära stellte. 

Tacitus ist der Herold der Form des Prinzipates, die 
rva und Traian geschaffen haben, etwa in dem Sinne wie 

Abhandlungen Senecas der Ausdruck der im ersten Drittel 
• Regierung Neros in den leitenden Kreisen Roms obwalten- 
1 Anschauungen waren. 



DRITTES KAPITEL. 

)ie Lebensbeschreibung des Agricola. 

Am 27. Januar 98 starb Nerva und wurde alsbald unter 

divi aufgenommen. Die Nachricht von diesem Ereignis 
lielt sein Adoptivsohn in der Colonia Agrippinensis. Auch 
zt kehrte er nicht nach Rom zurück, sondern widmete 
h der Lösung der Aufgabe, an der er schon unter Domi- 
n mitgearbeitet hatte , der Befestigung der Grenzen. Sein An- 
len war so gross, dass er den Gardepräfekten Casperius 
lianus nötigte, an den Rhein zu kommen, wo er ihn mit 
Q Genossen seiner Meuterei niederhauen liess. In Rom 
eb vorerst alles in dem Zustande, den Nerva zurückge- 
sen hatte. 

In den ersten Monaten des Jahres 98 ist Tacitus mit 
iner Lebensbeschreibung des Agricola vor das Publikum 
treten. 

Die Schrift hat eine merkwürdige Einleitung. Er spricht 
rin seinen Abscheu gegen die nächste Vergangenheit, seine 
eude an dem Glück der Gegenwart aus. Fünfzehn Jahre 
ines Lebens hat er verloren, jetzt kehrt ihm der Mut zurück, 

Nerva und Traian sein Ideal verwirkUcht und den Prinzi- 
t mit der Freiheit vereinigt haben. Zum Schlüsse ver- 
riebt er eine Geschichte der frühem Knechtschaft und des 
genwärtigen Glücks. Bis zu deren Erscheinen bittet er für 
5 Schrift, die ein Ehrendenkmal des Agricola sein soll, mit 
m Hinweis auf die darin Hegende j,professio pietatis** um 
lerkennung oder Entschuldigung. Die Bezugnahme auf das 
äter herausgegebene grössere Werk ist unzweifelhaft, und 
3hts hindert, mit A. Eussner^) einen Schritt weiter zu gehen 



<) Jahrbücher für klassische Philologie 1868 S. 650. 1875 S. 317. 



132 Drittes Buch. 

und anzunehmen, dass „er den hier behandelten Stoff nicht 
erst für eine rhetorisch gehaltene Biographie zusammenge- 
tragen, sondern seine für spätere Zwecke gemachten Kollek- 
taneen hier schon zum Teil ausgeschüttet habe*^. Der Agri- 
cola des Tacitus tritt als historische Schrift auf; dass wir 
sie als solche und nicht für ein aus der Redeform der Lau- 
datio funebris hervorgegangenes Schriftwerk anzusehen 
habend), bestätigt auch der von Eussner durchgeführte Ve^ 
gleich mit den Monographieen des Sallust, die mit des Tacitus 
Biographie bis ins Einzelne dieselbe Anordnung gemeinsam 
haben, nur dass jenen der Epilogus fehlt, der für diese 
höchst charakteristisch ist und uns über den Zweck der 
Schrift aufklärt. 

Wenn aber der Agricola zusammenhängt mit jenen oben 
näher erörterten Vorgängen unter Nerva, wenn Tacitus im 
Namen Traians, der damals noch am Rhein stand, seine 
Stimme erhob, um diejenigen eines Bessern zu belehren, die 
von dem neuen Regenten eine schärfere Reaktion gegen die 
vorhergehende Regierung, vor allem die Züchtigung der 
Freunde Domitians erwarteten, so erklären sich alle auffal- 
lenden Erscheinungen dieser vielbesprochenen Schrift*). 



^) Hübners Annahme (Hermes, I, 438), dass der Agricola ein mit 
der Laudatio funebris verwandtes Kunstwerk sei, ist Yon £. Hoff mann 
in d. Zeitschrift f. österr. Gymnasien, 1870, S. 251, und Urlicbs, De 
vita et honoribus Agricolae , S. 20., widerlegt worden. Was sollen die 
Beschreibung von Britannien (Kap. 10 — 12), die Ansprachen des Calgacos 
und des Agricola in einer ßede? 

') Die Idee, dass der Agricola ein politisches Pamphlet sei, hat 
Boissier, Revue des denx Mondes, 15. Januar 1870, ausgesprochen. Vgl. 
sein Buch L*opposition sous les Cesars, 2. Aufl., 1885. S. 298. Hoff- 
mann führt a.a.O. des weitem ans, dass diese Biographie eine Ehren- 
rettung des Agricola und seiner eigenen Person sei gegen den Vorwurf des 
Servilismus. Ähnlich A. Stahr, Vorrede zur Übersetzung der Annalen, 
I — VT, 1870. Auch J. Gantrelle, Sur la vie d*Agricola (Revue de Tin- 
strnction publique en Belgique, 1870), wollte eine politische Tendenzschrift 
zur Verteidigung des von Tacitus und seinem Schwiegervater eing^om- 
menen Standpunktes im Agricola sehen. Gegen diese Auffassungen hat 
G. Andresen, Die Entstehung und Tendenz des taciteischen Agricola 
(1874), Einsprache erhoben und angenommen, dass Tacitus unter Domitian 
eine Geschichte der Unterwerfung Britanniens schrieb, die sich nach dem 
Tode Agricolas durch Hinzufugung der Kap. 1 — 10 und 39 — 46 in das 
uns vorliegende Buch verwandelte. Diese Meinung hat E assner (Jahr- 
bücher für klassische Philologie , 1875, S. 342 fg.) zu widerlegen gesneht. 
Vgl. seine Ausführungen in den Bayerischen Gymnasialblättem, 1877, 
S. 143 fg. Die Behauptung Boi ssiers hat Urlichs, De vita et honori- 
bus Taciti, wieder aufgenommen und richtig durchgeführt; meine Darlegimg 
stimmt in allem Wesentlichen mit Boissier und Urlichs überein. Vgl. 
Hirzel, Über die Tendenz des Agricola von Tacitus. Tübingen 1871. 
Güthling, De Taciti Agricola, Liegnitz 1878, spricht der Schrift jede 
politische Tendenz ab. Von jungem Arbeiten erwähne ich nur Ulbrich, 
Der litterarische Streit über Tacitus* Agricola, 1884. 



3. Die Lebensbeschreibung des Agricola. 133 

So versteht man die in der Einleitung ausgesprochene 
tte um Nachsicht und die Bemerkung, dass er dieser Bitte 
erhoben wäre, wenn er so düstere und der Tugend feind- 
he Zeiten anklagen wollte. 

Es ist darin das Bekenntnis enthalten, dass Tacitus im 
jgensatz steht zur Meinung derjenigen, die alle Anhänger 
d Freunde Domitians verurteilten. 

Wenn man diese Stimmung berücksichtigt, so begreift 
5h der Ausfall auf die Philosophie: Agricola habe sich mit 
össerm Eifer, als für einen vornehmen Römer passe, dem 
udium der Philosophie zugewandt, aber auf die Mahnung 
iner klugen Mutter hörend , aus der Beschäftigung mit dieser 
issenschaft nur die Mässigung zurückgehalten. Erinnern 
r uns, dass die Anhänger der Stoa nach Domitians Er- 
Drdung zurückkehrten und dass auch lunius Mauricus, der 
nder des 93 hingerichteten Arulenus Rusticus , mit der Poli- 
: der Regierung nicht einverstanden war, so wird die kühle 
)fertigung der immer streitsüchtigen Philosophie verständ- 
her. Was Tacitus von der unbedingten Opposition hielt, 
igt uns sein Urteil über Paetus Thrasea, der sich unter 
jro selbst den Untergang bereitet hatte, ohne den andern 
n Grund zur Freiheit zu legen i). 

Die Nachrichten über Agricolas Laufbahn bis zur Über- 
.hme der britannischen Legation sind ziemlich farblos und 
nnten auf jeden andern Beamten und Offizier bezogen 
jrden; hier und da wird für Agricola ein Verdienst in An- 
ruch genommen, das kaum vorhanden ist, und selbst die 
ugheit, mit der er sich in die schwierigen Verhältnisse des 
erkaiserjahres zu schicken wusste, wird bewundert. „Er 
rlebte in Zurückgezogenheit die Zeit zwischen Quästur und 
ibunat; auch bei der Führung des Tribunates trat er nicht 
rvor, kundig der Zeiten unter Nero, in denen Unthätigkeit 
p Weisheit galt. Gleiches Schweigen in der Prätur. In 
n Spielen und den Äusserlichkeiten der Ehrenstellen hielt er 
n Mittelweg zwischen Mässigung und Oberfluss. Zum Le- 
mslegaten ernannt, wollte er lieber, dass man sage, er 
heine das Gute gefunden als gemacht zu haben. Er ver- 
md es, seine Kraft zu massigen und seinen Eifer zu zügeln, 
1 nicht den Schein der Überhebung zu wecken*. Energie 
d Mässigung sind bei ihm in seltenem Masse vereinigt: 
:e Hervorhebung zieht sich wie ein roter Einschlag durch 
s Gewebe der kriegerischen Ereignisse, die in dreissig 
ipiteln dargestellt werden. Agricola will nicht gesiegt, son- 
m Besiegte zum Gehorsam gezwungen haben. Überzeugt, 
SS wenig durch Waffen ausgerichtet werde, wenn Bedrückun- 

*) Tac. ann. U, 12. Vgl. Boissier, a.a.O. S. 300. 



134 Drittes Bach. 

gen die Folge der Siege seien, entschloss er sich, die Ur- 
sachen des Krieges auszurotten. Dieselbe Mässigung beweist 
er gegenüber seinen Untergebenen; und dass man ihn in 
Rom für den loyalsten Beamten hielt, beweist mehr als alles 
andere die Thatsache, dass er unter drei Regenten sieben 
Jahre das Kommando einer wichtigen Provinz behaupten 
konnte. Die Abberufung aus seinem grossen Wirkungskreise 
wird von dem Schwiegersohne auf den Neid Domitians und 
die Umtriebe des Hofes zurückgeführt. Wir sahen, dass sie 
thatsächlich mit einer veränderten Politik des Kaisers zu- 
sammen hängt. Im J. 81 hatte Agricola die Volksstämme 
an der Westseite Schottlands bezwungen und daselbst feste 
Positionen angelegt, um von diesen Stützpunkten aus im 
nächsten Frühling einen vertriebenen Clan in sein Besitztum 
zurückzuführen und durch die Eroberung der Insel Irland die 
Provinz Britannien zu sichern, wie Britanniens Besitznahme 
aus Rücksicht auf Gallien erfolgt war. Wahrscheinlich ist 
Titus mit diesem Plane einverstanden gewesen. Aber Domitian 
verzichtete auf unsichere Erwerbungen im höchsten Norden 
und schwächte die britannische Armee. 

Die Massnahme war dringend geboten, da damals infolge 
des Chattenkrieges eine bedeutende Verschiebung der Grenze 
von Obergermanien erfolgte und eine gefahrliche Völkerbe- 
wegung an der Donau zur Verstärkung der pannonischen 
Armee nötigte. Endlich einem siegreichen General das Kom- 
mando zu lassen, nachdem ein römisches Heer an der Donau 
geschlagen war, musste doch bedenklich erscheinen. Von all 
dem bei Tacitus keine Andeutung. So weit geht die pietät- 
volle Verdunklung der Thatsachen. 

Nachdem er den Oberbefehl abgegeben, betrat Agricola 
in aller Stille die Hauptstadt, lebte einfach und anspruchlos, 
verzichtete auf das Prokonsulat von Asien und setzte schÜess- 
lich den Kaiser zum Miterben seiner Hinterlassenschaft ein. 
Diese Ergebenheit und Resignation hat des Tacitus vollen 
Beifall und wird als nachahmungswertes Beispiel hingestellt: 
j,Die Natur des Domitian, die zum Zorne neigte, wurde durch 
die Klugheit und Mässigung des Agricola beschwichtigt, weil 
er nicht durch Trotz und leeres Prahlen mit der Freiheit 
Ruhm und Schicksal herausforderte. Die mögen es wissen, wel- 
che Unerlaubtes zu bewundern pflegen, dass auch unter 
schlechten Fürsten grosse Männer sein können, und dass 
Gehorsam und Selbstbeschränkung gepaart mit rüstiger Thätig- 
keit das Verdienst derjenigen überragt, die in schroffem Ge- 
bahren ohne Nutzen für den Staat, vom Ehrgeize getrieben, 
im Tode Ruhm suchten ^i). 

») J. Golling, Zeitschr. filr österr. Gymnasien, XXXVH (1886) S. 483, hat 



3. Die Lebensbeschreibung des Agricola. 135 

Bestimmter kami man eine Rechtfertigung nicht aus- 
»rechen. Man dürfe nicht denjenigen einen Feigling nennen, 
)T sich in die Verhältnisse gefügt habe, die er nicht ändern 
)nnte. Hatte nicht auch Tacitus, hatten nicht Nerva und 
paian dieselbe Aufgabe gelöst? Wohin sollte es führen, 
enn man, den radikalen Freiheitsfreunden folgend, alle 
änner, die sich unter der frühern Regierung zurechtgefunden 
ilten, zur Verantwortung ziehen wollte? 

Die politische Tendenz des Agricola ist unverkennbar, 
enn auch verhüllt durch die professio pietatis. Die Pietät 
il dem Tacitus die Feder geführt, als er die Glanzperiode 
Agricolas Leben, das ihm als Ideal vorschwebte, die Ver- 
altung Britanniens, eingehender schilderte. Die Pietät trieb 
n zum energischen Ausdruck seines Abscheues gegen Do- 
itians Tyrannei, der die hervorragende Kraft seines Helden 
1 müssiger Ruhe verurteilte. Der Hass gegen Domitian 
Bst ihn sogar einem Verdachte das Wort reden, der sich 
2s seiner Darstellung selbst als unbegründet erweisen lässt^). 
gricolas kriegerische Erfolge werden in der Weise der Rhetorik 
vertrieben. Das von ihm besetzte Gebiet wird nur unbestimmt 
ngrenzt und so die Vorstellung grosser Eroberungen hervor- 
3rufen. Das Missgeschick des fünften Feldzuges wird durch 
e Hervorhebung eines maritimen Unternehmens verhüllt, dem 
ne strategische Bedeutung zugeschrieben wird, die es kaum 
itte. Die Reden, die dem Calgacus und Agricola in den 
und gelegt werden, sind wie die meisten Reden in den 
•ossen Geschichtswerken frei erfunden und bewegen sich 
n den allgemeinen Gedanken des Gegensatzes zwischen 
3m Streben der Römer nach Machterweiterung, das un- 
•sättlich auch nicht an den von der Natur gesetzten 
renzen stillesteht, und der Freiheit, die bedrohten Stämme 



ch im Anscbluss an Ulbricb der verdienstlichen Mühe unterzogen, den 
achweis zu bringen, dass neuerdings geäusserte Ansichten über die Be- 
immung der Biographie schon von altem Gelehrten vertreten wurden, 
ie Stelle c. 42 wird in den Eclogae Taciteae von Papst (Leipzig 1831) 
id bei Bernhardy, Rom. Litteraturgesch. 4. A., richtig gewürdigt, von dem 
tztem vielleicht ohne Rücksicht auf Walch S. 115, 143, der die „merk- 
firdigen Worte*' als Tacitus* politisches Glaubensbekenntnis über unbe- 
»nnene Freiheitsprediger bezeichnet. Auch Andresens Ansicht, dass 
BT historische Bestandteil c. 10 — 38 zuerst geschrieben und als Vorarbeit 
r die Historien ansusehen sei, ist von altem Autoren ausgesprochen worden. 
emerkenswert ist, dass auch Mohr in den Bemerkungen zu und über 
adtiis Agr., Meiningen 1823 S. 39, die in c. 28 erzählte Flucht der Usipier 
la eine in der Biographie unstatthafte Episode bezeichnet. In den Ge- 
diichtsbüchem hätte sie ohne Zweifel eine schicklichere Stelle gefunden. 
ie oben vorgetragene Auffassung von c. 42 teilt auch Boissier, a. a. O. 
^) Ho ff mann, a. a. O. S. 256 fg., hat die Verkehrtheit des Gerüchtes, 
MMB Agricola an Gift gestorben sei, nachgewiesen. 



136 Drittes Buch. 

ZU verteidigen, unterworfene zurückzugewinnen suchen. Wenn 
Calgacus in seiner Ansprache, die im Grunde eine bis ins 
einzehie disponierte Cliie ist, den Gemeinplatz beweist, dass 
die letzten, die besiegt werden, auch die äusserste Knecht- 
schaft zu fürchten haben, so gipfelt die Gegenrede des Agri- 
cola, die Erfolge der frühem Feldzüge zusammenfassend, in 
dem Gedanken, dass die letzten Gegner, die bis in den 
äussersten Winkel der Erde geflohen, auch die schlechtesten 
und feigsten sind. Dass der Sieg über die Briganten firucht- 
los war und zu keiner Besetzung ihres Gebietes führte, müssen 
wir zwischen den Zeüen lesen und gleichwohl die Versiche- 
rung hinnehmen, dass Agricola die Provinz seinem Nachfolger 
ruhig und ungefährdet übergeben habe. 

Der Epilogus nimmt wieder auf die Gegenwart Bezug mit 
dem deutlichsten Hinweis auf den neuen Regenten. Agricola 
war es nicht vergönnt, das Licht dieser glücklichen Gegenwart 
und Traian als Herrscher zu schauen ; aber er hatte dies Er- 
eignis gewünscht und prophezeit (cap. 44). In dem Schlüsse wird 
Agricola als leuchtendes Beispiel für alle Zeiten hingestellt. 
^Was wir an ihm liebten, was wir bewunderten, das bleibt 
und wird bleiben in den Gemütern der Menschen, in der 
Ewigkeit der Zeiten, in der Kunde der Dinge. Denn viele 
der Alten wird wie Ruhmlose und Unedle Vergessenheit be- 
decken. Agricolas Namen wird ewig dauern*. 

Ganz in Senecas Sinne wird in Agricola das Ideal eines 
Römers gezeichnet, der es versteht, sich in gegebene Ver- 
hältnisse zu fügen und doch die Würde des Mannes zu wahren. 
An Senecas Schriften lehnt sich selbst der Ausdruck an^). 

Tacitus durfte seine vom Hauche warmer Verehrung be- 
lebte Schrift als ein Denkmal für Agricola bezeichnen. Aber 
unter dem weiten Mantel der Pietät versteckt sich die poli- 
tische Tendenz: Mahnung zur Mässigung, wie sie Agricola 
thatsächlich geübt hatte, eine Mahnung, die um so wirkungs- 
voller sein musste, als der Autor der ersten Rangklasse an- 
gehörte. 

Auch andere Männer dieser Epoche haben in Biographieen 
ihre politischen Anschauungen niedergelegt. Der Sachwalter 
C. Fannius hinterliess drei Bücher, die von den letzten Schick- 
salen der von Nero Getöteten oder Verwiesenen handelten. 

^) Zimmermann, De Tacito Senecae philosophi imitatore, Breslaner 
philol. Abhandlungen Y, 1 S. 67. Plorimom Senecae philosophia a Tacito 
Qsnrpata est in componendo libello, qoi Agricola inscribitur. Melins enim, 
si Senecae verbis ati licet, Tacitum socerum A. defnnctam dnratiiro semper 
ingenio se consecratomm esse ratus qnam si irrito dolore lageret, memoriam 
eins scriptomm monomento prodoxit. Imaginem antem hnins viri qnaai 
speciem honesti et sapientib Romani ita effinxit, nt Senecae philosophia 
uteretor. 



4. Die Germania des Tacitus. 137 

waren nach Plinius ^) in einem Stile geschrieben, der 
ischen Rede und Geschichte die Mitte hielt, und wurden 
l gelesen. Titinius Capito, der unter drei Kaisem des 
tes ab epistulis gewaltet hatte, schrieb über das Ende 
ühmter Männer, von denen einige dem Plinius nahe standen, 
ser glaubte eine heilige Pflicht zu erfüllen, wenn er den 
ar verspäteten, aber nur desto wahrern Trauerreden von 
nnern beiwohne, deren Leichenbegängnis er nicht feiern 
inte 2). Plinius selbst verfasste eine Lobschrift auf Vestricius 
Ltius, der in jugendlichem Alter gestorben und durch eine 
tue geehrt worden war. Seiner Liebe genügte es nicht, 

in einer kleinen Schrift ein so teures und heiliges Andenken 
feiern, dessen Ruhm desto grösser sein werde, je zahlreicher 

Schriften seien, die ihn feierten. Über diese Kunstgattung 
rden wir besser unterrichtet sein, wenn nicht alles mit 
tt Agricola Verwandte verloren gegangen wäre: wenn wir 
' den Cato des Thrasea Paetus und des Junius Rusticus Lob- 
rift auf Thrasea und Helvidius Priscus oder des Plinius „libri 
ultione Helvidi* besässen *). 



VIERTES KAPITEL. 

Die Germania des Tacitus. 

Wenn wir den Agricola wie eine Äusserung der Regierung 
rächten können, die gewisse Kreise eines Bessern zu 
ehren suchte, so führt uns die unmittelbar nachher er- 
ienene Germania auf das Gebiet der auswärtigen Politik. 
Wir sind so glücklich, die Zeit ihrer Abfassung genauer 
itimmen zu können; während im 37. Kapitel das Jahr 113 
:h den damals fungierenden Konsuln benannt wird , ist der 
•minus ad quem ganz gegen die Regel datiert, insofern nur 

Konsul, und zwar Traian, genannt wird, während man 
rvas Namen erwarten sollte, der am 1. Januar 98 das 
;te Konsulat antrat und Ende des Monats starb. Schon 

Wendung ^^si ad alterum imp. Traiani computemus 
isulatum* zeigt, dass sich der Schreiber bewusst ist, von 
a Brauche, den er anderwärts befolgt, an dieser Stelle 
luweichen. 



*) Ep. 1, 5. 

•) Ep. 8, 12: Videor ergo fangi pio munere, qnorumque exequias 
ibrare non licnit, horum quasi funebribus laudationibus, seris quidem, 

tanto magis veris Interesse. Titinius Capito hatte die „exitus iUu- 
im viromm*' auch vorgelesen. 

•) Ep. 2, 7. 3, 10. 9, 13. 



138 Drittes Bneh. ^ 

Diese Bezeichnung ist aber dann gerechtfertigt, wenn die 
Schrift noch, während Traian im Amte war, geschrieben ist 
Die Konsularfristen waren damals zweimonatlich, aber der 
Regent kann sehr wohl wie im Jahre 100 zwei Nundinien im 
Amte geblieben sein, um zwei Männer durch seine Kollegialität 
zu ehren. Auf jeden Fall ist die Germania in den ersten 
Monaten des Jalures 98 nicht lange nach dem Agricola et- 
schienen. 

Zahbeich sind die Erwägungen der wichtigen Frage nach 
Tendenz und Ursprung der für (fie allgemeine Geschichte über- 
aus bedeutungsvollen Schrift ^). 

Ist sie lediglich eine ethnographische Skizze ohne jede 
Nebenabsicht? Ist sie ein moralisch-tendenziöser Mahnruf, 
eine Art von Sittenspiegel, eine Satire auf das verderbte Rom? 
Gewiss ruht auf dem Bericht des Tacitus etwas von j,der 
Stimmung des Hirtengedichts, womit der Kulturmensch seine 
Sehnsucht nach ursprünglicher Unschuld in der Phantasie 
befriedigt* ^), aber für beabsichtigt kann dieser idyllische Zug 
nicht gelten, er war unvermeidlich, sobald ein Beobachter 
vom römischen Standpunkte aus über einfachere Verhältnisse 
berichtete. Gewiss ist eine ethische Richtung in der Germania 



^) Vgl. die Litteratur bei A. Baumstark, Urdeutsche Staatsalter- 
tümer zur schützenden Erläuterung der Germania des Tacitus (Berlin 1879), 
§§ 58—70, S. 931, besonders A. Riese, Eos, H, 193—203; rgl. Schwei- 
zer-Sidler, Einleitung zur Germania, Note IX. — Passowin der Philo- 
mathie von L. Wach 1er I S. 41 wollte die Veranlassung zur Germttnia in 
den äussern und innem Zuständen des Römischen Reiches suchen. Damals 
sei von einem grossen und entscheidenden Feldzuge gegen die Gtermanen 
viel geredet worden. (Vgl. dagegen Hoffmeister, Die Weltanschammg 
des Tacitus, S. 223.) Dierauer, Beiträge zu einer kritischen Geschichte 
Traians, S. 34, hat meines Wissens zuerst darauf aufmerksam gemacht, 
dass die Germania eine politische Broschüre sei, hervorgegangen aus 
dem Interesse, welches Tacitus als Staatsmann an den germanischen An- 
gelegenheiten nahm, und veröffentlicht mit der Absicht, die Römer über 
die Notwendigkeit einer dauernden Konsolidierung der gegenseitigen Be- 
ziehungen zu den rheinischen Grenzgebieten außsuklären und das längere 
Verweilen in den Rheinlanden zu begründen. Diese auf Büdingers An- 
regung zurückgehende Ansicht (vgl. Universalhistorie im Altertume [1895]| 
S. 198) ist von mir im Bonner Jahrbuch LXIX S. 1 fg. und Westdeotsclie 
Zeitschr. III 11 fg. beleuchtet worden. Vgl. auch Scher er, (auf Müllenhofii 
Nachlass fussend) Deutsche Litteraturgeschichte 8.2: „Die ungebrochene 
Kraft dieses Volkes erschien dem Stoiker als ein Ideal der Sittenstrenge, 
dem aristokratischen Oppositionsmanne als ein Ideal der Freiheit, dem 
weitblickenden Politiker als eine drohende Gefahr. Des Tacitus G^ermaiua 
fasst alles zusanmien'^. Die von F. Brunot, Un fragment des histoires de 
Tacite (Paris 1888), aufgestellte Ansicht leidet an einem innem Wider* 
Spruche. Denn einerseits soll die Schrift als ein Teil der Historien keine 
Tendenz gehabt haben, und andererseits lässt er denVerfinsser absichtlick 
die Schwäche der Germanen hervorkehren und zu ihrer Unterwerfung ma- 
treiben. 

*) Scherer, a.a.O. S. 2. 



4. Die Gtormania des Tacitus. 139 

verkennbar, was hat aber der Katalog der germanischen 
llker mit einem Sittenspiegel zu thun? 

Ist sie eine politische, aus mannigfachen Informationen 
rvorgegangene Broschüre, veröffentlicht mit der Absicht, 
5 Römer von der Notwendigkeit einer durchgreifenden 
enzregulierung zu überzeugen? Sie ist noch mehr als dies: 
I hat einen individuellen Anlass: sie ist durch bestimmt 
chweisbare Vorgänge am Niederrhein hervorgerufen. 

Wir erinnern uns der bedeutenden Erfolge, die unter 
»mitian am Rheine erzielt worden waren , der beiden Chatten- 
iege, der Besetzung rechtsrheinischer Gebiete, der Anlage 
p Grenzwehr. Das Ansehen des römischen Namens war 
ichtig gestiegen. Der Cheruskerkönig Chariomer, den die 
latten verjagt hatten, kam hülfesuchend nach Rom. Aus dem 
tiegenen Semnonenlande pilgerten der König Masyus und die 
herin Ganna, die bei ihrem Stamme eine öffentlich aner- 
nnte Stellung hatte, nach Rom und erfreuten sich einer ehren- 
Uen Aufnahme. Der Erweiterung der obergermanischen Pro- 
iz gedenkt auch Tacitus in der Germania, aber er kann es 
iht über sich gewinnen, ihren verhassten Urheber zu nennen. 

lässt statt seiner die Grösse des römischen Volkes 
( über den Rhein und die alten Grenzen den Respekt vor 
m Reiche erweitern (28). 

Es ist keine Frage, dass diese Vorgänge von dem römischen 
ilikum mit grosser Aufmerksamkeit verfolgt wurden und 
SS des Plinius Werk ^^Bellorum Germaniae 1. XX^, das unter 
ispasian vollendet wurde, viele dankbare Leser fand. 

Das Interesse wuchs aber, als nach dem Tode Domitians 
ler der besten Heerführer des Reiches die Statthalterschaft 
Obergermanien übernahm und nach seiner Ernennung zum 
Iregenten und nach Nervas Tode, um das von Domitian 
gonnene Werk des Grenzschutzes zum Abschluss zu führen, 
Germanien blieb , während die Römer mit Sehnsucht seine 
limkehr erwarteten ^). Er hob die militärische Zucht, schloss 
iedensbündnisse mit den freien Germanen , legte Heerstrassen 
, verstärkte den Limes und begann den Ausbau desselben 
seiner ganzen Ausdehnung. Der Titel Germanicus ^), den 
irva aus Anlass seiner Siege über die in Pannonien ein- 
fallenen Sueben angenommen hatte , wurde auf Traian nach 
inen Erfolgen am Niederrhein übertragen. 

Eine bedeutsame Bewegung unter den rechtsrheinischen 
immen, die der römischen Herrschaft gefährlich werden 
nnte, hatte ihn nämlich gegen Ende des Jahres 97 nach 



^) Plinias, ep. ad Tr. 10; Marti al, epigr. 10, 7. 

*) Vgl. Westdeutsche Zeitschrift, III S. 12, Anm. n. 49^52. 



140 Drittes Buch. 

Köln geführt, wohin ihm auch Hadrian, der als Militar- 
tribun am Oberrhein diente, die Nachricht von Nervas 
Tode brachte. 

Der Kollege Traians am Niederrhein war Vestricius Spurinna, 
der vermutlich gleichzeitig mit ihm die Statthalterschaft über- 
nommen hatte. Um die Wende des Jahres 97 führte Spurinna 
einen vertriebenen König der Brukterer in sein Reich zurück 
und durch das Entfalten seiner kriegerischen Macht hielt er 
das trotzige Volk im Schach. Wegen dieses Erfolges wurden 
ihm die Triumphoraamente zuerkannt. Der bezügliche Beschluss 
des Senats kann erst auf Grund amtlicher Berichte gefasst 
sein. Man möchte vermuten, dass Plinius, dem wir diese Nach- 
richten zu danken haben ^), eine Stelle des Beschlusses vor- 
schwebte, wenn er sagt: ,,ostentato hello ferocissimam gentem, 
quod est pulcherrimum victoriae genus, terrore perdomuit* 
Auf diesen Vorgang, der schon durch die Verleihung einer 
seltenen Auszeichnung an Spurinna als höchst bedeutsam 
gekennzeichnet wird, hat man auch die Stelle im Panegyricus 
zu beziehen, in der das zweite Konsulat des Kaisers ver- 
herrlicht wird ^). 

„Soll ich nicht staunen^, ruft er aus, „über Dein Konsulat, 
das Du nicht in der Müsse der Stadt und im Schosse des 
Friedens, sondern wie jene Feldherren der Vorzeit bei bar- 
barischen Volksstämmen führtest! Ein herrlicher Erfolg für 
das Reich, ruhmvoll für Dich war es, als Dich Bundesgenossen 
und Freunde in ihrer eigenen Heimat aufsuchten. Es erhöhten 
die Majestät des Vorsitzenden die verschiedenen Trachten 
der Bittsteller, fremde Zungen und selten ohne Dolmetscher 
verständliche Rede. Etwas Grosses ist es , den Bürgern Recht 
zu sprechen, was heisst es erst, die Rechtshändel der Feinde 
schlichten? Eine Auszeichnung ist es, auf friedlichem Forum, 
um wie viel schöner aber auf der Sella curulis und als Sieger 
auf feindlichen Fluren zu erscheinen, zu drohen den drohenden 
Ufern ohne Gefahr und in Ruhe, den feindUchen Schrecken 
ebensosehr durch Zeigen der Toga wie der Waffen nieder- 
zuschlagen. Deshalb begrüsste man nicht Deine Bilder, sondern 
den Anwesenden selbst als Imperator, und den Namen, den 
andere der Besiegung derFeinde verdankten, verdankestDu ihrer 
Geringschätzung.* Plinius hat hier verschiedene Dinge ver- 
bunden. Einmal redet er von einer Versammlung, in der 



*) Ep. 2, 7. 

') Westdeatsche Zeitschrift III S. 13. Besonders die Worte: „Itaque 
te non apud imagines sed ipsum praesentem audientemque consalatabant 
imperatorem nomenque qiiod alii domitis hostibas, ta contemptis 
merebare." (c. 56.) 



4. Die Germania des TacituB. 141 

hlreiche Gesandten der Germanen sich einfanden und dem 
)nsul Traian huldigten oder ihre Anliegen vortrugen. Dann 
rd Traians Mässigung betont, der feindselige Regungen durch 
s Ansehen seiner Person ebensosehr wie durch Waffen- 
walt niederdrückte. Es war ein Erfolg, der ihm die erste 
jgrüssung als Imperator eintrug und sicher mit den Völker- 
wegungen am Niederrhein zusammenhing. 

Das von Plinius ausgesprochene Lob der Selbstbeschränkung 
s Kaisers erscheint im rechten Lichte , wenn in Rom damals 
in aggressives Vordringen in das Innere von Deutschland 
wartet wurde. Aber Traian blieb im ganzen innerhalb der 
enzen, die Domitian sich gesetzt hatte. Er begnügte sich, 
3 Colonia Traiana, in der Nähe des alten Vetera, das 
andlager der etwas später neu errichteten leg. XXX Ulpia 
ctrix als Zwingburg gegen die nördlichen Germanen zu 
uen, den einen oder den andern Posten auf dem rechts- 
einischen Ufer zu besetzen. 

Die Form des Datums in Kapitel 37 ermöglichte uns, die 
lit der Abfassung der" Germania genauer zu bestimmen, 
enn man liest, dass die Brukterer verjagt und gänzlich 
sgerottet und in ihr Gebiet Chamaver und Angrivarier ein- 
wandert seien, so kann sich das nur auf dasselbe Ereignis 
ziehen, von dem Plinius uns Zeugnis giebt. Aber Tacitus 
.tte noch keine bestimmten Nachrichten; er selbst stellt 
ine Mitteilung als zweifelhaft hin. Die Veranlassung des 
impfes ist ihm so wenig bekannt, dass er uns blosse Ver- 
iitungen bietet. Er spricht von dem Hasse des Übermutes 
id dem Verlangen nach lockender Beute : „Vielleicht waren 
ch die Götter den Römern gnädig, denn sie missgönnten 
Qen nicht das Schauspiel einer Schlacht, in der über 60000 
ann nicht durch RömerwafTen, sondern, was herrlicher ist, 
nen zur Augenweide fielen." Unglaublich klingt es , dass 60000 
3rmanen in einer Schlacht gefallen sein sollen. Tacitus war 
»en noch keine zuverlässige Kunde zugegangen; er ver- 
ichnet vielmehr nur die ersten übertreibenden Gerüchte : so 
klären sich die Abweichungen vom Berichte des Plinius. 

Hatten die Römer schon lange lebhaften Anteil an den 
jrmanischen Angelegenheiten genommen, so wurde dieser 
)ch gesteigert, als durch geschickte Verhandlungen dort Er- 
Ige erzielt wurden, die die römische Herrschaft besser 
ßherten, als in grossem Stile geführte Angriffskriege. 

Dass Tacitus sich in vollem Einverständnis mit dieser 
Dlitik des Kaisers befindet, folgt aus einer andern Erwägung, 
i der Betrachtung der Völker Deutschlands geht Tacitus aus 
)n den Stämmen, über deren keltische oder germanische 
ationalität nichts ausgemacht ist. Eine zweite Reihe bilden 



142 Drittes Bnch. 

die den Römern unterworfenen Bataver, Mattiaker und die 
Völker des Dekumatenlandes. In der Richtung von Süden 
nach Norden vorgehend, macht er uns mit Chatten, üsipem, 
Tenkterern und den bis zur See wohnenden Stämmen bekannt 
In Kap. 35 geht er auf die Chauker, in Kap. 36 auf die 
Cherusker über. Kap. 37 beginnt mit den Worten: ^eundem 
Germaniae sinum proximi Oceano Cimbri tenent. * Das Pronomen 
eundem, dass auf Kap. 35 ingenti flexu hinweisen soll, ist un- 
gerechtfertigt; überhaupt besteht kein Zusammenhang dieses 
Kapitels mit dem nächstvorhergehenden, und durchaus passend 
würden sich an die Cherusker die Sueben anreihen. Man hat 
deshalb vermutet, dass dieser Abschnitt erst nach dem Ab- 
schluss der Germania eingelegt ist, um mit der Erwähnung 
der Cimbem einen Hinweis auf die Gefährlichkeit der Ger- 
manen zu verbinden. In der That hat hier jeder Satz seine 
Absicht. Seit dem ersten Auftreten der Germanen im Jahre 
113 bis auf Traians zweites Konsulat sind fruchtlose Kriege 
geführt und vergebens die Unterwerfung Deutschlands ver- 
sucht worden. „Tarn diu Germania vincitur — Quippe regno 
Arsacis acrior est Germanorum libertas." Noch gefährlicher 
als die Parther sind die Germanen. Selbst die Siege, die 
Marius, Caesar, Drusus, Tiberius und Germanicus erfochten 
haben , sind den Siegern verhängnisvoll geworden. Und noch 
jüngst hat man zwar Triumphe über Germanien gefeiert, aber 
es nicht besiegt. Soll nicht mit Traians zweitem Konsulat 
ein Wendepunkt bezeichnet werden? Hat nicht ähnlich auch 
Phnius die massvolle Haltung des Kaisers gepriesen, ^der, 
genährt vom Kriegslobe, dennoch den Frieden liebt, der die 
Kriege nicht fürchtet , aber auch nicht herausfordert , der der 
Verachtung der Feinde den Namen Germanicus verdankt", 
dem endlich der Redner zuruft : „Dass Du selbst nicht kämpfen 
willst, bewirkt Deine Mässigung, dass es die^ Feinde nicht 
wollen. Deine Tapferkeit*' ^). 

Tacitus glaubt keineswegs, Traian habe die Germanen 
schon unschädlich gemacht, im Gegenteil, die Nachricht von 
der Vernichtung der Brukterer veranlasst ihn, auf die von 
Norden her noch immer drohende Gefahr hinzuweisen. ,, Mögen 
doch die germanischen Stämme sich in ewiger Zwietracht 
zerfleischen, das Schicksal kann dem Reiche kein grösseres 
Geschenk machen.'' Nun versteht man auch die wiederholte 
Betonung der unerschöpflichen Kraft der freien Stämme, nun 
erklärt sich auch der Schluss der Schrift, der den Eindruck 
hervorbringt, dass sich die Germanen ins Endlose, ins ünüber- 



«) Paneg. 12. 16. 56. 



4. Die Germania des Tacitos. 143 

lare ausbreiten ^). Die Germania hat keine offensive Ten- 
:, sondern sie billigt rückhaltlos die Politik Traians, 
die umfassende Sicherung der Grenzen, die die Flavier 
)nnen hatten , vollendete und durch Beförderung der innern 
ien unter den Germanen das römische Interesse wahrte, 
m Gegensatz gegen eine Partei in Rom, die den Kaiser 
einem Angriffskriege gegen die Germanen zu drängen 
te, giebt Tacitus seiner Überzeugung von der Nutz- 
keit einer bewaffneten Offensive beredten Ausdruck *). 
/^on den Vorgängen am Niederrhein hatten also die Römer 
dem lebhaftesten Interesse gehört. Aber auch auf die 
nanen an der Donau war die Aufmerksamkeit des 
ikums gerichtet. Domitian war in einen schweren Krieg 
Markomannen und Sueben verwickelt gewesen. Nerva 
3lt am Tage, an dem Traian adoptiert ward, eine Sieges- 
chaft aus Pannonien. Inschriften bezeugen unter Nerva 
bellum Suebicum. Und täuscht nicht alles, so beziehen 

darauf auch die Worte: ^ Jetzt lassen sich Markomannen 
Quaden auch Auswärtige als Könige gefallen. Aber ihre 
it und Gewalt beruht auf römischem Ansehen*' 8). Über- 
)i sind die Sueben unter Anlehnung an eine Darstellung, 
im Osten mit dem Reiche Marbods abschloss, mit unver- 
ibarer Vorliebe geschildert und der Übergang Kap. 38: 
ic de Suebis dicendum est'', lässt erraten, dass sich 
tus bewusst ist , zu einem wichtigen Abschnitt gekommen 
lein. Ohne Zweifel war damals in Rom schon bekannt, 

Traian beabsichtigte, sich im Laufe des Jahres an die 
lu zu begeben*), um die Beziehungen zu den anwohnenden 



^) Vgl. Scher er, Litteratargeschichte, der denselben Gedanken aas- 
lt. 

') Der Versuch Mommsens (Festrede zur Feier des Geburtstages 
xichs II., Sitzungsber. der kgl. prenss. Akademie d. Wissenschaften 
21. Jan. 1886 S. 41 fg.), darznthnn, dass die Schrift einen Teil der 
rien gebildet habe, indem sie eine voraufgeschickte Geographie der 
1 Kriegsschanplätze in Germanien gab, widerlegt sich durch die Er- 
ng, dass die Germania in keinem Verhältnis zum Umfange der Histo- 
iteht, dass insbesondere die meisten der in der Germania besprochenen 
ne und Gebiete in den Historien nicht einmal berührt werden, 
en, Geschichte d. deutschen Volkes I S. 698, hielt die Germania für 
Vorarbeit für geschichtliche Darstellungen, die vielleicht zufällig be- 
; geworden sei. 
Germ. c. 42. 

^) O. Hirschfeld, Zeitschrift fEbr österreichische Gymnasien, XXVUI 
5, hat hierauf zuerst hingewiesen. Er teilt unsere Ansicht von dem 
Uen Charakter der Germania. Vgl. J. F. Marcks, die Entstehung 
Taciteischen Suebia in der Festschrift der hohem Lehranstalten Kölns, 
23. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner gewidmet 
) S. 177. 



144 Drittes Buch. 

Germanen zu regeln und den Bau des rätischen Limes in 
Angriff zu nehmen. 

Alle diese Umstände kamen zusammen und veranlassten 
Tacitus, zur Belehrung des Publikums einen für seine Historien 
längst gesammelten Stoff zu veröffentlichen mit der Neben- 
absicht, seine Leser an die Berechtigung der kaiserlichen 
Politik zu erinnern. Ob die Germania die einzige Schrift 
dieser Art war? Wir glauben es kaum. Es wird nicht anders 
gewesen sein als zu Lucians Zeiten, der über die Flut von 
Schriften jammert, welche der Partherkrieg des Verus her- 
vorrief: „Da ist niemand, der sich nicht hinsetzt und eine 
Geschichte schreibt, nun möchte ich dem Philosophen recht 
geben, der den Krieg zum Vater aller Dinge macht, da ein 
einziger Feldzug so viele Geschichtschreiber erzeugt hat*^). 

Aber des Tacitus Schrift war eine bedeutungsvolle Er- 
scheinung, und wenn derselbe Mann, der kurz vorher zu einer 
wichtigen Frage der Innern Politik Stellung genommen hatte, 
infolge eines besondern Anlasses seine Landsleute auf die 
unerschöpfliche Naturkraft der Germanen hinwies, so musste 
diese Skizze um so eindrucksvoller sein, als der Verfasser 
an den öffentlichen Geschäften hervorragenden Anteil ge- 
nommen hatte. 

Es ist sehr wohl denkbar 2), dass die Schrift an. eine be- 
stimmte Persönhchkeit gerichtet war und in einem verloren 
gegangenen Vorwort Tacitus sich näher über den Zweck 
derselben und über seinen Beruf zu dieser Arbeit geäussert 
hatte. Mit dem Vorwort mag der ursprüngUche Titel der 
Schrift verloren sein, denn die herkömmhche Bezeichnung 
kann nicht von Tacitus herrühren. Angemessen wäre de situ 
ac popuUs Germaniae^). 

Es ist schon wiederholt ausgesprochen worden, dass der 
Verfasser über einen reichen Stoff verfügte, der aus unmittel- 
barer Beobachtung geschöpft sei. Auch eine philologische 
Autorität wie Bergk rühmt seine vertraute Bekanntschaft mit 
Deutschland; so verrate z. B. die Beschreibung der Lager- 
plätze der Cimbern und die Art, wie Tacitus sich über den 
Rheinlauf ausdrücke, persönliche Anschauung der örtlichen 



^) Lncian, Quomodo sit historia conscribenda , Kap. 2. 

') Th. Bergk, Zur Geschichte nnd Topographie der Rheinlande, 
S. 40. Lnden, Geschichte des deutschen Volkes, I S. 698: „Dass Tadtas 
die Germania ohne Vorwort und alle Umstände mit den Worten anfingt: 
„Germania omnis separatur^ ist gegen die Gewohnheit desselben^. 

') Vgl. Agricola 10: Britanniae situm populosque referam. Denselben 
Titel hat Wölflin aus Codex Leidensis gewonnen. Vgl. Bursians Jahres- 
bericht, 1876, Abt. II, S. 776. Vgl. XVIII, S. 237. 



4. Die Germania des Tacitns. 145 

hältnisse des Niederrheins ^). Mir ist die Anschaulichkeit 
ler Schilderung ebenso zweifelhaft wie seine belgische 
ation. Ein klares Bild von den örtlichen Verhältnissen 
)fängt der Leser ebensowenig wie im Agricola. Auch ist 
itus nicht mit allen Seiten des germanischen Lebens ver- 
it, ja man könnte seine Schilderung eine einseitige nennen, 
bleibe also dahingestellt, ob Tacitus am Rhein und an der 
au gewesen ist. Aber an Gelegenheit, genaue Kunde 
p Deutschland einzuziehen, hat es ihm sicher nicht gefehlt 2). 
iche Gefangene weilten in Rom, flüchtige Häuptlinge suchten 
Q Kaiser Hülfe, Männer wie Julius Frontinus, Corellius 
IS, Javolenus Priscus^), die zum Freundeskreise des dem 
itus nahestehenden Plinius gehörten, haben als Legaten 
germanischen Provinzen verwaltet. Und des altern Plinius 
h über die germanischen Kriege, das in den Annalen er- 
nt wird, konnte eine bequeme Fundgrube abgeben. 
Wenn ich die Darstellung in der Germania einseitig ge- 
nt habe, so schwebte mir die Wahrnehmung vor, dass 
itus in seiner knappen und gedrungenen Schilderung gerade 
enigen Punkte, die im Gegensatz gegen entsprechende 
ische Verhältnisse standen, in den Vordergrund stellt, 
bei einer dem Bedürfnis nach Belehrung Rechnung 
enden Schrift nicht auffallend ist. Wie dieser Gegensatz 
1 Berichte des Tacitus sein rechtes Licht gibt, hat K. W. 
zsch an den Kapiteln wirtschaftlichen Inhalts gezeigt*). 
Seine kurze Bemerkung, dass es bei den Germanen un- 
annt sei, Wucher zu treiben und Zinsen zu nehmen, habe 
m gebildeten Zeitgenossen sagen müssen, dass die Bil- 
g eines Kapitalistenstandes damit von selbst ausgeschlossen 
. Unmittelbar daran knüpfte er seine Darstellung der 
ndbesitzverhältnisse : ;,Die Ländereien werden nach der 
1 der Bebauer von der Gesamtheit im Wechsel occupiert, 
3he sie bald untereinander nach dem Range teilen^' 
3. 26). Nitzsch betont, der Ausdruck occupantur ver- 
, dass Tacitus sich den germanischen Ager als ager 



^) Kap. 87: Veterisque famae lata vestigia manent, atraque ripa castra 
patia, quomm ambitu nunc quoqiie metiaris molem manusque gentis et 
magni exitus fidem. 

*) G. Freytag, Bilder aus der deutschea Vergangenheit, S. 3 fg. 
*) Jener hat im J. 82, dieser im J. 90 Obergermanien verwaltet. 
*) Nitzsch, Deutsche Geschichte , I, S. 57 (vgl. S. 62 fg.) : „Ein klares 
der Zustände, welche uns Tacitus schildert, wird uns aber nur dann 
gewinnen möglich sein, wenn es uns gelingt, auf seinen römischen 
ipunkt uns zurückzuversetzen und seine Ausdrücke zunächst in ihrer 
n römischen Bedeutung zu fassen." In Bezug auf das Komitat hat 
'e Bemerkung weiter ausgeführt E. Ritterling, Das Priestertum bei 
Germanen. Histor. Taschenbuch N. F. (VI) 1888 S. 198. 

ab ach, Kaisertum und Verfassung. ^^ 



146 Drittes Buch. 

publicus dachte. Die Besitznahme geschah aber bei den Ger- 
manen ^ab universis^';. diese Bemerkung zeigte dem römischen 
Leser, dass ein Stand von bevorrechtigten Grossgrundbesitzern 
den Germanen ebenso vollständig fehlte wie ein Stand von 
Kapitalisten. Die weitere Angabe, dass die Besitzergreifung 
im Wechsel erfolge, d. h. nicht der gesamte ager auf einmal 
besetzt, sondern im Wechsel die einzelnen Flächen des 
Gebietes in Anbau genommen werden, deutet auf das ganz 
verschiedene Verfahren der Römer hin, welches ermöglicht 
hatte, dass das bei der Besitznahme zum Niessbrauch überlassene 
itaUsche Gemeindeland festes Eigentum wurde. Die Bemerkung 
ferner — „die leichte Möglichkeit zu teilen, gewähren die 
Flächenräume der Felder; die Saatfelder wechseln jährlich, 
und Land bleibt übrig^' — war für jeden Leser nötig, dem 
die dichtbevölkerten Kulturgebiete des Imperiums vor Augen 
standen. Wenn endlieh der germanische Ackerbau nur Saat- 
bestellung kannte, so waren die Obstpflanzungen, Wiesen- 
und Gartenanlagen, die den damaligen italischen Boden 
bedeckten, in Germanien unbekannt. 

Zu diesen Fällen kann eine aufmerksame Beobachtung 
noch andere hinzufügen, in denen bei den Germanen das 
Fehlen einer charakteristischen römischen Einrichtung oder 
das Vorhandensein einer Eigenschaft, die eine ähnliche Ein- 
richtung ausschliesst, hervorgehoben wird. 

In Kap. 13 1), wo von der Wehrhaftmachung des ger- 
manischen Jünglings die Rede ist, hat Tacitus das römische 
Tirocinium im Auge: „Das ist bei jenen die Toga, das der 
erste Schmuck der Jugend.^' Es wird eigens betont, dass 
dieser feierliche Akt ,^in ipso consilio^ vorgenommen wurde, 
während er bei den Römern Privatsache war. Im Gegensatze 
gegen römischen Brauch findet auch die mehrfache Hervor- 
hebung der Thatsache, dass der freie Germane alle öffent- 
lichen und privaten Angelegenheiten bewaffnet erledigt, ihre 
Erklärung. 

In noch auffallenderer Weise nimmt Tacitus auf eine grund- 
verschiedene römische Einrichtung Bezug bei seiner Dar- 
stellung der Gefolgschaft der Germanen. 

Der Jüngling, der bisher nur ein Teil des Hauses war, 
wird durch die Wehrhaftmachung ,;pars rei publicae^. Einige 
ganz Bevorzugte erlangen den Rang eines Princeps, einen Rang, 
der sonst nur altern und längsterprobten Leuten zukommt*). 



^) Kap. 13 , 1 : Nihil neque publicae neque privatae rei nisi armati 
agnnt; vgl. c. 22: Tum ad negotia, nee minus saepe ad convivia procedont 
armati; c. 11: Ut turbae placuit, considunt armati. 

') Kap. 13: Haec dignitas, hae vires magno semper electomm inveninD 
globo circamdari, in pace decus, in beUo praesidium. 



4. Die Germania des Tacitus. 147 

Mehrzahl der Jünglinge tritt in den Komitat eines Princeps 
. Diese Comites sind allezeit um die Person des Fürsten. 

Frieden sind sie sein Stolz, im Kriege sein Schutz, in 
Schlacht gilt es als Schimpf für den Fürsten, von ihnen 

Tapferkeit übertroffen zu werden, für das Gefolge, der 
Dferkeit des Fürsten nachzustehen^). Die Comites der 
lischen Kaiserzeit wurden nur von Fall zu Fall berufen, 

Hülfsbeamte für die Zwecke der Justiz und Verwaltung, 
tener für militärische Aufgaben. 

Wenn weiter betont wird, dass die germanische Gefolg- 
aft Abstufungen hat, die nach dem Urteile der Gefolgs- 
ren bestimmt werden, so ist nicht zu vergessen, dass die 
:egorieen der kaiserlichen Comites teils ritterlichen, teils 
latorischen Ranges waren, letztere} in Konsulare, Prätorier 
5. w. zerfielen. Sie gehörten den höchsten Kreisen an. 

den Germanen werden sie „ex plebe* genommen. 

Das deutsche Gefolge lebt von Raub und Krieg, das 
lische bezieht einen festen Gehalt aus der Staatskasse^), 
erhaupt misst Tacitus der germanischen Einrichtung, die 

Unternehmungslust der Jugend begünstigte und zügelte, 
e ungleich höhere Bedeutung bei, als die ähnliche Ein- 
itung der Römer gehabt hat. 

In denselben Zusammenhang gehören auch die Worte: 
5C rubor inter comites aspici", die einen neuen Gedanken 
leiten; durch sie wollte der Schriftsteller im Gegensatz 

der durch den Zusatz ex plebe hervorgerufenen Ansicht 
j Römers die germanischen Comites als einen immerhin 
ht angesehenen Stand bezeichnen. Sie sind „consilium 
lul et auctoritas^'; sie bilden ein consilium, an dessen Aus- 
uch der princeps gebunden ist, während der römische 
nzeps von den Comites nur einen für ihn nicht verbind- 
len Rat empfängt s). 

Es wird nicht nötig sein, die andern Beispiele eingehend 

besprechen; Das Walten weiser Frauen (K. 8), die An- 
ung der Götter im Schauer heiliger Ehrfurcht (K. 9), die 
:enartigkeit der Volksversammlung (K. 12), die Polizei- 
valt der Priester (K. 11), die getrennte Ansiedelung (K. 16), 

Gesundheit der ehelichen Verhältnisse (K. 18, 19), die 
sstattung der Gattin durch den Ehemann (K. 18), die Eigen- 



^) Vgl. über das Eomitat: Mommsen, Hermes, IV S. 120 fg. und 
nisches Staatsrecht, II, 235, 807. 

') Kap. 14: Exigunt enim principis sui libertate iUam beUatorem eqaum, 
m cmentam victricemque frameam; nam et epalae et quamquam incompti 
p. tarnen apparatus pro stipendio cedont. 

») Ritterling, a. a. O. S. 201. 

10* 



148 Drittes Buch. 

tümlichkeit des germanischen Erbrechtes (K. 20), Blutrache 
und Wergeid (K. 21), die grundverschiedene Lebensweise 
(K. 22), das Fehlen pompöser Spiele (K. 24), die Stellung 
des germanischen Hörigen (K. 25), die Einfachheit der Leichen- 
begängnisse (K. 27): alles wird in zugespitzten Sätzen im 
Gegensatze „zu unserer Sitte'' (K. 16, 25) geschildert. 

Mit einem Worte, diese Art der Darstellung, welche die 
Gegensätze gegen römisches Leben absichtlich hervorhebt, 
verträgt sich vortrefflich mit dem Zwecke der Schrift, das 
römische Pubhkum über Germaniens Natur und Völker, die 
seit dem Regierungsantritt des'^^Traian wieder im Vordergrunde 
des öffenUchen Interesses standen, eingehender zu unterrichten. 
Mit demselben Zwecke verträgt sich sehr wohl, dass der 
Ausdruck sich vielfach an Seneca anlehnt und die Darstellung 
der Sitte und Volksart unter dem Einfluss seiner Anschauungen 
ideaUsiert worden ist^). 



FÜNFTES KAPITEL. 

Traian, Tacitus und Plinius. 

Am 28. Januar 98, nicht lange nach Verginius Rufus, war 
Kaiser Nerva gestorben. Im Sommer des folgenden Jahres 
zog unter endlosem Jubel Traian, den die Sorge . für einen 
gesicherten Grenzschutz an Rhein und Donau* festgehalten 
hatte, in seine Hauptstadt ein. ^ Alles war angefüllt mit 
Altären, bedeckt mit Opfern. Aller Wünsche vereinigten sieh 
zur Wohlfahrt eines einzigen.^ Noch ehe zwei Jahre vergingen, 
trat dieser geborene Heerführer in eine grosse kriegerische 
Action ein, die zur Demütigung des Decebalus und schliesslich 
zur Erweiterung des Imperiums über die Ufer der untern 
Donau, und zur Erwerbung eines neuen Kolonistenlandes führte. 
Es waren Jahre frischen Aufschwungs, neuer Hoffnung, in 
denen das ganze römische Volk noch einmal auflebte und 
kräftig seine Arme regte. Es waren dieselben Jahre , in denen 
die Historien des Tacitus reiften. 

Von den äussern Verhältnissen des Tacitus ist uns leider 
wenig bekannt, und das Wenige beschränkt sich auf orakel- 
hafte Andeutungen. Mit Plinius gemeinsam führte er in dem 
skandalösen Prozess des Marius Priscus die Sache der aus- 



^) Zimmermann, a. a. O. S. 54 n. S. 67. 



5. Traian, Tacitus and Plinius. 149 

Dgenen Provinz Afrika. Er sprach ^mit ausserordentlicher 
;anz und mit der ihm eigenen Würde" und erntete für 
le Mühewaltung eine besondere Anerkennung des Senates ^). 
;dem ist von einer öffentlichen Thätigkeit nur eine Spur 
finden: die inschriftlich bezeugte Verwaltung der Provinz 
a. Er hat sich also ebensowenig wie Plinius , der die Ab- 
it wiederholt ausspricht, von den Geschäften zurückgezogen, 
ausschliesslich seinen Studien zu leben. 
Zu seinem Freundeskreise gehörte der Adressat des 
iogus Fabius Justus, der im Jahre 102 zum Konsulat ge- 
jte, L. Dasumius, ebenfalls konsularen Ranges, der ihn 
seinem Testament neben Plinius nennt. ,,Eine Menge 
nbegieriger fand, seinen Geist bewundernd, sich ein." 
hatte die Gewohnheit, dem Dienste der Minerva und 
aa gleichmässig zu huldigen und war der Meinung, dass 
lichte am besten „inter nemora et lucos" gelängen^). Mit 
3SS und Lanze fing er den Eber auf. Während wir von 
und vielen andern namhaften Männern dieser Epoche 
m mehr als die Namen kennen, liegt uns von Plinius ein 
ständiges Lebensbild vor. 

Tacitus und Plinius, angesehene Redner und Sachwalter, 
ch geschäftliche und litterarische Interessen verbunden, 
l durchaus verschiedene Charaktere. Tacitus von starrem, 
m Römersinn erfüllt, Plinius empfindsam und eitel, mit- ^ 
3r naiv wie ein Kind. Aber seine Weichheit hat einen 
lanen Zug, seine Eitelkeit ist harmlos und seine Naivetät 
enswert»). Cicero, Seneca, Plinius sind die Namen, welche 
Fortschritt von dem national römischen zu einem allgemein 
ischlichen Standpunkte bezeichnen. 

Des Tacitus Anschauungen sind von Humanität weit ent- 
it. Das Gladiatorenblut, das Drusus, des Tiberius Sohn, 
jiesst, ist ihm wertlos*). Wenn unter Tiberius 4000 Frei- 
issene jüdischer Abkunft auf Senatsbeschluss nach Sardinien 
ortiert werden, damit sie unter der Wirkung seines Fieber- 
las ein schleichendes Ende finden, so hat der Römer dafür 
entschuldigende ;,vile damnum^' zur Hand^). Die Juden 
ndmarkt er als ,,odium generis humani^^ Kalt und mit- 



*) Ep. 2, 11. 

') Ep. 9, 10 an Tacitus: Aprorum tanta pemiria est, ut Minervae et 
lae quas als pariter colendas , convenire non possit; 1, 6, 3: Experieris 
Dianam magis montibus quam Minervam invocare. 
•) Vgl. Bender, Charakter des jungem Plinius. — Ep. 7, 27 erörtert 
Frage, ob es Gespenster gebe. 
*) Ann. 1, 76: Vili sanguine nimis gaudens. 

•) Ann. 2, 85: Si ob gravitatem caeli interissent, vile damnum. Vgl. 
perdey, Tacitus ed. Andres en, Einleitung. 



150 Drittes Buch. 

leidlos klingt der Bericht über die Hinrichtung der Christen, 
deren angezündete Leiber als Fackeln Neros Gärten er- 
leuchteten, ja sie haben ihre Marter verdient i). In seinen 
Augen ist der Wert der Menschen durch ihr Blut bedingt; 
seinem engherzigen Urteil erscheint das Verbrechen der Livia 
verabscheuungswürdiger, weil ihr Buhle aus einem Municipium 
stammte^). Aber man darf nicht verkennen, dass in solchen 
Äusserungen eine römische Ader schlägt. 

Tacitus ist der bedeutendere Geist, Plinius sieht zu ihm 
empor, eifert ihm nach, freut sich, dass sein Name neben 
dem des Tacitus im Mande der Leute ist^). Als Jüngling 
setzte er seinen Stolz darein, dem Tacitus, der sich schon 
eines bedeutenden Namens erfreute, zu folgen, wenn auch 
in weitem Abstände der nächste nach ihm zu sein. Plinius, 
der sich auf verschiedenen Gebieten des Wissens versuchte, 
ist auch geschichtlichen Studien nicht fremd geblieben. Titinius 
Capito forderte ihn auf, ein historisches Werk zu schreiben. 
Der Brief, in dem Plinius, „diese Aufforderung zur Zeit noch 
ablehnt, mit dem stillschweigenden Einverständniss , dass ein 
grosser litterarischer Erfolg nur auf diesem Gebiete zu gewinnen 
sei, ist allem Anschein nach geschrieben unter dem Eindruck, 
den der Vortrag der ersten Bücher der Historien auf die ge- 
bildete Welt Roms notwendig machen musste, und geschrieben 
mit dem Gefühl eines Schriftstellers, der einen bisher neben 
ihm und wesentlich gleichstehenden Kollegen plötzlich in 
mächtigem Flug sich erheben und alle bisherigen Genossen 
so weit hinter sich lassen sieht, dass die Rivalität verstummt 
oder wenigstens sich selbst vertröstet auf spätere Thaten**). 



^) AnD. 15, 44: Adversus sontes et novissima meritos. 

») Ann. 4, 3. 

. ') Ep. 7, 20: Eqoidem adulescentalus, cum iam ta fama gloriaqae 
floreres, te sequi, tibi ^longo sed proximus intervaUo'' et esse et haben 
concupiscebam ... tu mihi maxime imitabilis, maxime imitandus vide- 
baiis. vgl. 9, 23; 4, 15, 1 und Mommsen, Hermes, III S. 51. — Von 
den Briefen des Plinius sind an Tacitus gerichtet 1, 6; 20; 4, 13; 6, 
9; 16; 20; 7, 20; 33; 8, 7; 9, 10 u. 14, Vgl. über die Beziehungen 
zwischen beiden Urlichs, De vita Taciti, S. 15, der zu falscher 
Datierung einzelner Briefe gelangt. Richtig aber ist, dass Epist. 4, 2 um 
das Jahr 103 geschrieben ist. Denn Plinius, der nach Niederlegung der 
praefectura aerari im Jahro 101 nach Comum gereist war, begrOsst ihn 
nach seiner Rückkehr auf dessen Tuscanum. Ep. 6, 9 (106?) setzt de« 
letztern Abwesenheit voraus. In der Zwischenzeit scheint er kein hervor- 
ragendes Amt geführt zu haben. 

*) Vgl. Boissier, a. a. O. S. 297, der diese Beobachtung Mommsens 
ebenfalls für zutreflfend hält. Sie findet sich Heimes, III S. 108, in dem 
Aufsatz über die Lebonsgeschichte des jungem Plinius, der über die 
Grenzen unseres Vaterlandes hinaus anregend und frachtbar gewesen ist 



5. Traian, Tacitus and Plinius. 151 

Mit der Absicht, die Geschichte der nächsten Vergangen- 
. und der Gegenwart darzustellen, hatte sich Tacitus schon 
der Abfassung des Agricola getragen, und die Biographie 
les Schwiegervaters sowie die Germania rühren aus den 
nmlungen her, die er für diesen Zweck angelegt hatte. 
3r in der Folge ward der ursprünghche Plan teils erweitert, 
s beschränkt, insofern er mit dem 1. Januar des Jahres 69 
;ann und bis Domitians Tode herabging. Es ist die Frage, 
nn die Bücher der Historien erschienen sind. Dass sie 
ht auf einmal ins Publikum kamen ^), ist ebenso sicher 
3 die successive Veröffentlichung der Epigramme des 
rtial und der Hauptbriefsammlung des PUnius. Das erste 
i zweite Buch, die unter sich eng verbunden sind und 
en bedeutsamen Schluss haben, in dem der Verfasser zu 
1 Geschichtschreibern derFlavischen Dynastie Stellung nimmt, 
Den wohl den Anfang gemacht. 

Für die genaue Datierung geben die Briefe des Plinius den 
[zigen Anhaltspunkt 2). Die drei ersten Bücher eröffneten die 
ihe um das Jahr 104. Die letzte Gruppe gelangte vor 111, 
welchem der Verfasser die bithynische Legation übernahm, 
. Publikum. Die spätem Bücher enthalten auch Briefe aus 
herer Zeit. Man kann also nicht ohne weiteres eine in 
nselben vorkommende Anspielung auf die Zeit beziehen, 
der die Herausgabe erfolgte. 

Da aber Tacitus in den ersten vier Büchern nur als be- 
timter Redner erscheint, so wird man gut thun, mit Mommsen 
schUessen , dass die frühern Bücher seiner Historien nicht 
r dem Jahre 104 bekannt geworden sind. In seiner Ausse- 
ng, dass er die Schilderung des Principats des Nerva und 
•aian, einen reichern und gefahrlosem Stoff, dem Greisen- 
ier aufgespart habe, kann man eine Anspielung auf die Er- 
Ige des ersten Dakerkrieges sehen, der im J. 103 beendigt 
arde. Im sechsten, nicht vor 109 veröffentHchten Buche 
ilt Plinius seinem Freunde Einzelheiten über den Untergang 
lines Oheims beim Ausbruch des Vesuvs mit, in einem 
idern Schreiben empfiehlt er ihm eine freimütige Äusserung, 
6 er im Jahre 93 gethan hatte, in sein unsterbliches Geschichts- 
erk aufzunehmen. Da diese Briefe leider keinen chrono- 
•gischen Anhaltspunkt haben, so folgt daraus nur so viel. 



^) Th. Mommsen, Hermes, III S. 106, H. Nissen, Rheinisches 
:useum, XXVI S. 535. 

■) Th. Mommsen, hat im Hermes, IH, 36 — 53, nachzuweisen gesucht, 
US die Bücher der Briefsammhmg des Plinius in den Jahren 97 — 108 
inzeln erschienen sind. Dass mit dieser Annahme eine Reihe von Einzel-, 
eiten unvereinbar ist, wurde von mir im Rlieinischen Museum, XXXVI 
.38—49, erörtert. 



152 Drittes Buch. 

dass Tacitus nach 104 und vor 109 bis zu der letzten Zeit 
Domitians gelangt war. Etwas weiter führt uns der sechzehnte 
Brief des neunten Buches, in dem der Verfasser eine der 
Schilderung der dakischen Kriege entlehnte Wendung citiert. 

Plinius hat die letzten Bücher der Historien gelesen; auf 
jeden Fall war also das ganze Werk um das Jahr 109, wahr- 
scheinlich schon früher vollendet. Denn das fertige Werk, 
dessen erhaltener Teil bekanntlich in den Verhandlungen 
zwischen Petillius Cerialis und Civilis abbricht, kann nur zwölf 
Bücher umfasst haben. Die letzten Bücher wurden also in 
den Jahren, in denen die Augen der Römer von neuem auf 
die kriegerischen Vorgänge an der Donau gerichtet waren, 
bekannt gemacht. Da kann man sich vorstellen, welchen Ein- 
druck die Schilderung der Misserfolge, die Domitian an der 
Donau gehabt hatte, hervorrufen musste, nachdem die dakische 
Nation, die sich in den frühern Kriegen behauptet hatte, 
durch Traian vernichtet und ihr Gebiet in ein Kolonistenland 
verwandelt war. Man kann sich auch denken, wie die Dar- 
stellung der Kriege Domitians unter dem Eindrucke der Erfolge 
Traians gestanden haben mag. 

Als Tacitus die Einleitung zu den Historien schrieb, hatte 
er die Darstellung seiner eigenen Zeit ins Auge gefasst; was 
ihn bewogen hat, diesen Plan fallen zu lassen und sich der 
Geschichte des Julisch-Claudischen Hauses zuzuwenden, lässt 
sich nur vermuten. War es Uberdruss an der Gegenwart, 
die nicht alle Hoffnungen der ersten Jahre des neuen Regiments 
erfüllt sah? Sagte seiner pessimistischen Stimmung ein Nacht- 
gemälde aus dem ersten Jahrhundert besser zu? 

Jedenfalls hat er bei seinen Zeitgenossen Beifall und Be- 
wunderung gefunden. Dafür spricht, von den Zeugnissen des 
Plinius abgesehen, die Beharrlichkeit, mit der ein Mann, der 
sich als Redner einen Namen gemacht hatte , sich bis zu seinem 
Lebensende der Geschichtschreibung widmete^). 

Die Bücher Ab excessu divi Augusti setzen jedenfalls die 
Vollendung der Historien voraus 2). Aber die Abfassung wird 



*) Ph. Fabia, Les ouvrages de Tacite r^nssirent-ils de ses contem- 
porains? Revue de philol. 1895 S. 1—10. 

') Ann. 11, 11. Den Umfang der ganzen Kaisergeschichte hat der 
Kirchenvater Hieronymus auf 30 Bücher angegeben („Cornelius Tacitus 
qui post Augustum usque ad mortem Domitiani vitas Caesarum XXX volu- 
minibus exaravit"). Anknüpfend an eine Vermutung Ritters hat O. Hirsch- 
feld (Zeitschrift für österreichische Gymnasien, 1877, S. 811) für die 
Annalen 18, für die Historien 12 Bücher in Anspruch genommen, weil der 
reiche StoflF, den die Jahre 66—69 boten, unmöglich in dem verlorenen 
Teile des 16. Buches Platz hatte. Die Verteilung wird nicht nur durch 
einen Vergleich mit Dio unterstützt, sondern es ist auch die Gliederung 
der Annalen in Hexaden 1—6 (Tiberius), 7—12 (Caligula, Claudius), 13—18 



6. Tacitus^ politischer Standpunkt in den Historien und Annalen. 153 

les Erachtens vor das Jahr 115 anzusetzen sein. Man 
vertet zum Beweise einer spätem Veröffentlichung II, 61, 
die Bemerkung, dass das römische Reich sich damals bis 
Rote Meer erstreckte, auf Traians Eroberungen jenseits 
Euphrat hinweisen soll, auf die Hadrian im Jahre 117 
.ichtet habe. Man hat aber dabei übersehen, dass schon 
Jahre 106 der Strich Arabiens von Damaskus bis zum 
en Meere durch A. Cornelius Palma dem Reiche als Pro- 
einverleibt worden war, ein Erfolg, der dem tüchtigen 
aten nicht nur ein zweites Konsulat und die Triumphal- 
ue eintrug, sondern auch auf Münzen erwähnt wird^). 
shalb sollte man auch annehmen, dass der alternde Tacitus 
eine Reihe von Jahren nach dem Abschluss der Historien 
die Abfassung eines neuen Werkes ging? Man muss viel- 
ir II, 61 auf die eben erfolgte Erweiterung des römischen 
3hes beziehen und die Herausgabe des ersten Teiles der 
lalen um das Jahr 110 ansetzen. Wann aber das Werk 
endet wurde und ob sein Verfasser die Regierung des 
Irian noch erlebt hat, ist ebenso dunkel wie seine letzte 
enszeit überhaupt, von der wir ausser dem Prokonsulat 
Asien nichts wissen. Er wird es in derselben Zeit 
Plinius Bithynien verwaltet haben. Glücklicherweise ist 
Forschung in der Lage , mit einiger Sicherheit die wichtige 
ge zu lösen, welchen politischen Standpunkt Tacitus' 
chichtswerke vertreten. 



SECHSTES KAPITEL. 

icitus' politischer Standpunkt in den 
Historien und Annalen. 

;,ln den Historikern, namentlich in ihren politischen An- 
auungen, reflektiert der Geist der Epoche, in der sie 
reiben*' 2). In den letzten Jahren Domitians war der Senat 



o) durchaus beabsichtigt. E. Wölfflin, Die hexadische Komposition 

Tacitus Hermes XXI, S. 156, ist darauf zurückgekommen. Die Re- 
cmg der Flavier und ihrer Vorläufer habe die 4. und 5. Hexade gefüllt. 

Hexaden des Tacitus zerfallen wieder in Triaden. B. III schliesse mit 
. Tode des Vitellius; auf Vespasian und Titus werden die Bücher 
3, auf Domitian 7 — 12 gefallen sein. Annalen B. IV beginne die 2. Hälfte 

Begierung des Tiberius. Hexadische Komposition ist auch bei andern 
chischen und römischen Schriftstellern nachgewiesen. 

^) Vgl. Schiller, Römische Kaisergeschichte, I, S. 554. 

*) Ranke, Weltgeschichte, III, 1, 267. Vgl. Boissier, a. a. O. 
i88 fg. C. Thiaucourt, Les historiens latins. Paris (1888). 



154 Drittes Buch. 

bedeutungslos, nur geringfügige Angelegenheiten gelangten 
ausser Kriminalprozessen zur Verhandlung, und über diese 
konnte er nicht einmal frei und unbehindert entscheiden. 
Wir sahen, dass in dem Masse, wie die Bedeutung des Reichs- 
rates geschwächt wurde, Rittern und Freigelassenen die wich- 
tigsten Posten der Staatsverwaltung übertragen wurden. Welche 
Veränderung war dann nach dem Tode des Regenten einge- 
treten, der seine Herrschaft nicht mit dem Senat teilen 
mochte, sondern dem Grössten wie dem Kleinsten den 
Stempel persönlicher Willkür aufgedrückt hatte! Es war die 
entgegengesetzte Tendenz zur Herrschaft gelangt. Über die 
Stimmung der vornehmen Gesellschaft der Hauptstadt in den 
ersten Jahren Traians giebt uns eins der wichtigsten littera- 
rischen Denkmäler dieser Epoche, der Panegyricus des Plinius, 
Aufschluss: ,,Die Tugenden kommen jetzt wie ehemals unter 
der Freiheit zur Geltung/' „Du wählst dir Freunde aus den 
Besten, und mit Fug und Recht sind einem guten Fürsten 
die liebsten, die ein böser hasste.^' „Da weisst, dass der 
Dominat das gerade Gegenteil des Prinzipats ist.^ Der Lob- 
redner hört mit Staunen, dass das Gesetz über dem Herr- 
scher stehe, staunend sieht er, dass der Princeps stehend 
dem Konsul zu sitzen erlaubt (K. 45, 64). 

Und in der That muss auch eine unbefangene Forschimg 
gestehen, dass alle Entschliessungen Traians von Rücksicht 
auf die Ansprüche Jener Abkömmlinge von Helden, jener 
letzten Söhne der Freiheit^' bestimmt sind. Schon in Germanien 
hatte er die senatorischen Generale durch seine Herablassung 
gewonnen^). Nach seinem Einzüge in Rom, bei dem er zu 
Fuss einherschritt, verkehrte er mit den Mitgliedern des Senats 
wie ein einfacher Senator, empfing und entliess sie mit 
gnädigen Kusse und trug bei der Besetzung der höchsten 
Stellen ihren Wünschen Rechnung. Ja er hatte wie Titus und 
Nerva dem Senat gegenüber auf die Ausübung seiner kaiser- 
lichen Kriminalgerichtsbarkeit verzichtet. Und das Unerhörte 
wurde jetzt gestattet: der verpönte Kultus der Helden der 
untergehenden Republik galt jetzt als eine harmlose Lieb- 
haberei, und selbst seine Münzen knüpfen an die republi- 
kanischen Erinnerungen an 2). Die ersten fünf Jalu-e Neros 



^) Paneg., 19: Tu tarnen maior omnibus quidem eras, sed sine ullins 
deminutione maior — itaque perinde summis atque infimis carus sie impe- 
ratorem commilitonemque miscueras, ut studinm omuium laboremqae — 
intenderes etc. — Paneg., 23: Gratnm erat cunctis, quod senatum osculo 
exciperes, ut missus osculo faeras. (Vgl. Kap. 65; 69; 71; 76.) 

«) Dio 58, 5, 2. Eutrop, 8, 4. -- Über die Auffrischung der Er- 
innerung an die Republik, vgl. Schiller, Römische Kaisergeschichte I 
S. 564; Mommsen, Römisches Münzwesen, S. 758. 



6. Tacitns' politischer Standpunkt in den Historien und Annalen. 155 

en Gegenstand seiner Bewunderung. Alle Kaiser seien 
inter zurückgeblieben*). Da er Majestätsprozesse nicht 
;attete, so war dem Unwesen der Delatoren ein Ende 
lacht. Durch dieselbe Rücksichtnahme wurden die übrigen 
3sen der Bevölkerung an den neuen Regenten gefesselt, 
3en Spenden und Tierhetzen Domitians Leistungen auf 
1 Gebiete der Volksbelustigungen noch übertrafen. Durch 
tere Ausbildung der von Domitian begründeten, von Nerva 
eiterten Alimentationen unbemittelter Kinder befestigte er 
Sympathieen Italiens. Es entsprach wohl der allgemeinen 
nmung, wenn ihm der Senat den Beinamen Optimus er- 
:e, den er allerdings in seiner Titulatur erst seit dem 
re 114 führte 2). 

Wir entsinnen uns, dass Tacitus eine Säule der neuen 
jierung war, die sich von den Tendenzen der unbeschränkten 
Tschaft, wie sie besonders Domitian gehegt hatte, lossagte. 
e hat nun Tacitus in den Historien sich zur Vergangen- 
t gestellt, die er schon im Agricola in dem Tone des 
scheus geschildert hatte? 

;i,Des Geschichtschreibers Parteilichkeit", heisst es in der 
Jeitung, „erregt leicht Widerwillen. Verleumdung und 
leelsucht finden williges Gehör. Trifft ja doch die 
imeichelei der schnöde Vorwurf der Servilität; der Bosheit 
ilignitati) haftet der falsche Schein der Freiheit an. — Wer 
hl unverfälschter Treue rühmt, darf niemand mit Liebe oder 
j Hass schildern." Eine solche Unparteilichkeit scheint in 
er Zeit, wo zu denken, was man will, und zu sagen, was 
n denkt, erlaubt ist, leicht zu sein. Das Glück der Gegen- 
rt blendet seinen Blick, so oft er rückwärts schaut. Er 
tscht sich. Es war unter Nerva und Traian nicht leicht, die 
schichte der nächsten Vergangenheit unparteüsch zu er- 
ilen, und Boissier^) ist den Beweis der Ansicht, dass der 
)sse Rhetor sein Wort eingelöst hat, schuldig gebheben. 
Die Einleitung giebt eine gedrängte Übersicht über den 
lalt seiner Geschichte: Fürstenmord und Niederlagen, ent- 
ihte Cermonien und Aufsehen erregende Ehebrüche, ein 
t Verbannten erfülltes Meer und mit Blut getränkte Felsen- 
ande sind sein Thema. ,,Grässlicher noch ward zu Rom 
wütet: abgelehnte und verwaltete Ehrenstellen galten als 
rbrechen, und wegen Vorzüge drohte unvermeidlicher 



*) Victor, ep. 5: Iste quinquennio tolerabilis visus: unde quidam prodidere 
lianum solitum dicere procul distare cunctos principes Neronis quinquennio. 

«) Vgl. Paneg. 2 u. 88. Dierauer, a. a. O., S. 42. 

*) BoiefBier, a. a. O., S. 287 fg.: „Quaut a la passion pulitique, qu'on 
mse d'avoir trouble son jugemont, on pout, je crois, aftirmer qu'eUe est 
lente de ses ouvrages." 



156 Drittes Buch. 

Untergang, und ebenso verhasst waren der Delatoren Preise, 
wie ihr Frevel, da einige Priestertümer und Konsulate, wie 
Beutestücke, andere Prokuraturen und geheimen Einfluss bei 
Hofe gewannen, indem sie durch Erregung von Hass und 
Schrecken alles in Bewegung brachten, ja über den Haufen 
warfen. Sklaven wurden gegen ihre Gebieter bestochen, Frei- 
gelassene gegen ihre Patrone, und die keine Feinde hatten, 
durch Freunde überwältigt.^ 

Das sind die Umrisse des Bildes, in dem Domitians Herr- 
schaft dem Tacitus erschien. Kein Wort von den äussern 
Erfolgen seiner Regierung, von der Erweiterung des Reiches 
über den Rhein und der Anlegung der Grenzwehr, keine An- 
deutung von der Trefflichkeit seiner Reichsverwaltung. Ja er 
wagt die Behauptung, dass Britannien nach seiner Bezwingung 
sofort aufgegeben sei^). 

Es sind dieselben Anschauungen, wie sie in dem Panegy- 
ricus des Plinius zum Ausdruck kommen. Die Dankrede, die 
dieser als Konsul im September 100 hielt, war planmässig 
angelegt und in einer ihrem Zwecke angemessenen Form 
durchgeführt. Nach der eingehenden Untersuchung von 
J. Dierauer^) hat der Redner diese „gratiarum actio" während 
des ersten dakischen Krieges in einem kleinen Werke er- 
weitert herausgegeben. Die Jüngern Zusätze, die ohne besondere 
Mühe von den ursprünglichen Teilen der Lobrede losgelöst 
werden können, sind durchweg gegen Domitians Persönlich- 
keit und Regierungsweise gerichtet; alle sind so gesucht, 
dass der Zusammenhang der Gedankenreihen dadurch unter- 
brochen wird, zum Teil so ungerecht, dass durch blosse 
Vergleichung mit Sueton ihre Haltlosigkeit dargethan werden 
kann. Gerade diese Stellen weisen die überraschendsten 
Übereinstimmungen mit seines Freundes Urteil über Domi- 
tian auf.^) 

„Die vorigen Fürsten fanden mehr Vergnügen an den 
Lastern als den Vorzügen der Bürger.^ „Freunde üben 
wiederum Treue, Kinder Ehrfurcht, Sklaven Gehorsam.* Er 
giesst die Schale seines Zornes über das Haupt des Fürsten, 
der die Sklaven gegen ihre Gebieter verhetzte, er schildert 
die Klippen, an denen unschuldige Verbannte schmachteten, 
die Inseln, welche Scharen von Senatoren bevölkerten. Er 



^) „Britannia perdomita et statim omissa", „rhetorische Übertreibung", 
Heraus in seiner Ausgabe der Historien. 

') In den Beiträgen zu einer kritischen Geschichte Traians, S. 190 fg. 
Von der Überarbeitung handelt Plinius, ep. 3, 18. — Auf sprachliche 
Übereinstimmungen zwichen dem Agricola des Tacitus und dem Panegyriens 
des Plinius hat Urlichs, De vita Taciti, B. 22, aufinerksam gemacht 

8) c. 45; 34; 55; 88. 



6. Tacitus^ politischer Standpunkt in den Historien und Annalen. 157 

It, dass Traian den Delatoren das Handwerk gelegt habe, 
5 der Einüuss der Freigelassenen, die einst über Prä- 
n, Priester tümer , Konsulate verfügt hatten, endlich ge- 
lben sei. 

Auch des Plinius politische Ideale hat Traian verwirklicht, 
stellt im Panegyricus den Prinzipat dar, dessen Inhaber 
it ohne Verantwortung das Reich zum allgemeinen Besten 
valtet, im Gegensatz gegen den Dominat des Fürsten, 

den Staat wie der Hausherr sein Gehöft behandelt i). 
über seine Stellung zu derselben Frage hat sich Tacitus 

nähern in der uns bekannten Rede geäussert , die er dem 
5er Galba nach vollzogener Adoption in den Mund legt. 

Gelegenheit, die er dazu wahrnahm, ist beachtenswert, 
n es lag nahe, die Politik Galbas, der im Einvernehmen 

dem Senate das Imperium übernommen und geführt hatte, 

derjenigen Nervas zu vergleichen, der im Grunde die 
itsordnung wieder aufrichtete, die Galbas Nachfolger zer- 
t hatten. 

Wir erinnern uns, dass Galba von dem Gedanken aus- 
t, des Reiches ungeheurer Körper vermöge ohne Lenker 
it zu stehen und im Gleichgewicht zu bleiben; dass er 
. auf den Vorgang des Augustus beruft, aber nicht wie 
er im Kreise seiner Verwandten, sondern im Staate 
len Nachfolger suchen wolle. Die Rede betont nachdrück- 
, dass es etwas Zufälliges sei, von Fürsten Leben und Da- 
i zu haben, dass dagegen bei der Adoption das Urteil frei 
and nur des Volkes Stimme beachten müsse. Bedeutungsvoll 
schliessUch der Hinweis auf Nero, das erste Beispiel eines 
irteilten Fürsten, auf die Unsicherheit der Lage des 
ites, auf den Charakter der Römer, die weder völlige 
chtschaft noch völlige Freiheit zu erdulden imstande sind. 
Wie Tacitus in dem ersten Satze der Historien seine 
rzeugung ausspricht, dass die Alleinherrschaft im Interesse 

öffentlichen Friedens notwendig war, so wünscht er hier 
) Autorität, die das Reich im Gleichgewicht halten könne 

gleichzeitig dem Freiheitsbedürfnis der Römer Rechnung 
[e. Eine Bürgschaft für die Ausübung der höchsten Ge- 
t in diesem Sinne, ein Schutzmittel gegen eine neue Ent- 
mg des Prinzipats sieht Tacitus in der Adoption. 
Die Gedanken, die er Galba ansprechen lässt, kehren zum 
l in wörtlicher Übereinstimmung in dem Panegyricus 
der 2), ohne dass man aus dieser Übereinstimmung eine 



*) Vgl. Eanke, Weltgeschichte, 111, 1, 276; vgl. Paneg. 2. 

*) Dies hat zuerst treffend hervorgehoben J. Dieraner, Geschichte 

ans, S. 23. 



158 Drittes Buch. 

Benutzung der Gesichtspunkte, die Plinius aufstellt, durch 
Tacitus herleiten dürfte. Beide gaben vielmehr die Vorstellungen 
wieder, denen damals die einflussreichsten Männer der Haupt- 
stadt huldigten, und man darf schon hieraus schliessen, dass 
beide Äusserungen der öffentlichen Meinung, also das Erscheinen 
des Panegyricus und der ersten Gruppe der Historien , zeitlich 
nicht weit auseinanderfallen. Dazu stimmt auch, dass die 
Erwägungen, die Plinius über die Bedeutung der Adoption 
einflicht, in der vor dem Kaiser im Senate gehaltenen Rede 
fehlten. Denn auf jeden Fall wäre die Form der Auseinander- 
setzung, die nicht von dem vollzogenen Akte handelt, sondern 
ausführt, was ein Fürst in ähnlicher Lage thun sofle, im 
Senate vorgetragen, anstössig gewesen. Auch Plinius wünscht, 
dass der Erbe der höchsten Gewalt nicht in der eignen 
FamiUe gesucht, sondern aus der Gesamtheit der Bürger aus- 
gewählt werde. Es sei ja biUig, dass, wer allen gebieten solle, 
aus allen gewählt werde. 

In dem Gebete am Schluss der Schrift wird Juppiter 
CapitoHnus angefleht, wenn dereinst die Bestimmung eines 
Nachfolgers nötig werde, die Entscheidung des Kaisers zum 
Heile des Reiches auf den rechten Mann zu lenken. Hier wie 
dort wird also der Gedanke der gleichen Berechtigung aller 
nachdrücklich betont. Aber Tacitus sieht in dem Prinzeps 
doch keineswegs einen blossen Vorsteher des Gemeinwesens, 
welchem die Senatoren gleich seien; nein, er nimmt für ihn 
volle Herrscherrechte in Anspruch. 

Helvidius Priscus, der Wortführer der Stoiker, ist Tacitus 
oflenbar eine sympathische Persönlichkeit. „Vom Charakter 
seines Schwiegervaters Thrasea hatte er vor aUem die Liebe 
zur Freiheit in sich aufgenommen: in allen Verhältnissen des 
Lebens sich gleich, Verächter des Reichtums, starr fest- 
haltend am Rechten, standhaft gegen Schrecknisse*^). Aber 
das Lob der Mässigung wird ihm versagt: j,Er schien vielen 
massloss nach Ruhm zu streben, wie denn selbst der Weise 
sich der Ehrliebe nur zuletzt entäussern kann*. Mit dieser 
Schwäche war weder der Pontifex L. Piso, der keines knech- 
tischen Beschlusses Urheber, so oft die Not drängte, weise 
und massvoll auftrat, noch Cn. Agricola behaftet, der nicht 
einmal den Ruhm, um den sich oft auch gute Männer be- 
mühen, durch Prunken mit seiner Tüchtigkeit oder künstlich 
suchte. 



*) Hist. 4, 5 (vgl. o. S. 60 fg.) — Ann. 6, 10: (Piso) nullius servilii 
sententiae sponte anctor et quotiens necessitas ingrueret sapienter moderaix- 
Agricola c. 9: Ne famam quidem cui saepe etiam boni indulgent osten- 
tanda virtute aut per artem quaesiyit. 



G. Tacitus' politischer Standpunkt in den Historien und Annalen. 159 

Unter Galba hatte er Thraseas Angeber, den beredten 
ius Marcellus, zur Rechenschaft zu ziehen gesucht; dieser 
jriff hatte den Senat entzweit, ^denn mit Marcellus stand 
I fiel ein Heer von Schuldigen". Da Galba sich zu einem 
schreiten gegen den einflussreichen Konsular nicht ent- 
liessen konnte, so Hess Priscus auf das Zureden vieler 
latoren seine Klage fallen, was ihm von einigen das Lob 
' Mässigung, von andern den Vorwurf der Charakter- 
gkeit eintrug. Tacitus weiss nicht, ob die beabsichtigte 
3he erhabener oder gerechter war. Aber die damals 
I ihm bewiesene Mässigung hat gewiss ebensosehr seinen 
fall, wie er für das Auftreten des Thrasea unter Nero 
; tadelnde Wort gefunden, er habe das Verderben auf 
1 Haupt herabgezogen, ohne für die übrigen den Grund 

Freiheit zu legen. Sein Bericht über die denkwürdigen 
latsverhandlungen ist sicher unter dem Eindruck der Er- 
erung an den Prozess des Publicius Certus geschrieben, 
' in sein eigenes Leben eingegriffen hatte. Der Brief des 
lius ward schon verwertet, aus dem man erfährt , dass er 

Freund des unglücklichen Helvidius im Namen der ver- 
ndten Frauen Arria und Fannia seine Klage gegen Publicius 
'tus vorbrachte. Wenn nun Tacitus in der Einleitung zu 
i Historien zum Beweise für die Wahrheit seiner Behauptung, 
IS die Flavische Epoche nicht ganz arm • an Tugenden 
r, darauf hinweist, dass Mütter ihre flüchtigen Kinder ins 
nd begleiteten, Frauen ihren Ehemännern folgten, so hat 
in erster Linie an die Verwandten des Helvidius gedacht. 
? Sturmlauf des Plinius auf Certus bot manchen Berührungs- 
ikt mit dem Angriff auf Marcellus dar. Waren nicht auch 
J. 97 die Senatoren geteilter Meinung, hielten nicht ein- 
ssreiche Männer den Plinius zurück, war nicht auch Nerva 
valtsamem Einschreiten abgeneigt! Wir sahen, dass der 
3hangesehene Corellius Rufus zu den Bedenklichen gehörte, 
1 auch Tacitus wird sich zurückgehalten haben. 
Gewiss verabscheut er die Delatoren. In der Rede des 
rtius Montanus^) giebt er seinem Hasse gegen denselben 
uillius Regulus Ausdruck, den Plinius nur im Tone der 
rachtung nennt. ^Und sollen wir den Jüngling, den wir 
zt, obschon er nur die Quästur bekleidet, doch nicht an- 
.asten wagen, auch mit der Prätur und dem Konsulat 2) 
sgezeichnet sehen? Aber meint Ihr, Nero sei der ärgste 
rann schon gewesen? In einem ähnlichen Wahne waren 



1) Hist. 4, 42. 

') Er gelangte wohl unter Domitian zum Konsulat. 



160 Drittes ßuch. 

befangen, die den Tiberius, den Gaius überlebten, während sie 
noch ein schlimmerer überboten hat. Wie wir schlaff geworden 
sind! Wir sind nicht mehr derselbe Senat, der nach Neros 
Sturz darauf drang, die Angeber und ihre Helfer nach der 
Sitte der Vorfahren zu bestrafen. So ist nach einem schlimmen 
Fürsten der erste Tag der beste/' 

Den persönlichen Eigenschaften des Helvidius durfte er 
Anerkennung zollen, aber die politischen Grundsätze eines 
Mannes, der republikanische Gesinnungen hegte, konnte 
der Konsular, der eben eine Lobschrift des Agricola ver- 
öffentlicht hatte, unmögUch teilen. Seine Anschauungen lässt 
er ihn bei Gelegenheit der Debatte des Senates über die an 
Vespasian abzuordnende Gesandtschaft entwickeln. 

Die Frage war, wie wir wissen, ob die Gesandten durchs 
Los oder von den Magistraten gewählt werden sollten. Hel- 
vidius , der Losung wünschte , wies besonders auf die Freund- 
schaft hin, die Vespasian mit Neros Gegnern Thrasea und 
Soranus verbunden hatte; eine Begrüssung durch Männer 
dieser Richtung werde ihm willkommen sein. Im Gegensatz 
dazu brachte Eprius Marcellus die Gesinnung der Mehrheit 
der Senatoren in einer bedeutungsvoll hervortretenden, von 
staatsmännischem Geiste getragenen Rede zum Ausdruck, die 
in dem Satze gipfelte, dass, wie den schlimmsten Imperatoren 
eine masslose Herrschaft, so den guten eine beschränkte 
Freiheit gefalle i). 

Diese Ansicht des Marcellus entspricht dem Standpunkte 
des Tacitus, und wurde ohne Frage auch von Agricola geteilt, 
„der kundig der Zeiten unter Nero^ in denen Thatenlosigkeit 
für Weisheit galt, in Schweigen seine Ämter geführt hatte*. 

Und wenn Agricola sich in Domitians Natur zu schicken 
wusste und es vermied, durch Hartnäckigkeit und leere 
Prahlerei mit der Freiheit Ruf und Schicksal herauszufordern, 
so wünschte er trotzdem sehnhchst einen guten Fürsten wie 
Traian zu erblicken. Bekennt nicht auch Tacitus, dass durch 
seine und der übrigen Senatoren Hände der jüngere Helvidius 
ins Unglück gestürzt wurde? 2) 



^j II ist. 4, 8: Se meminisse temporum, quibus natus sit, quam civitatis 
formam patres avique instituerint; ulteriora inir<'iri, praesentia sequi, bonos 
imperatores voto expetere, qualescuuque tolerare. non magis saa oratione 
Thraseam quam iudicio senatas adfUctum — denique constantia, fortitadine 
Catonibus et Brutis aequaretur Helvidius : se unum esse ex illo senata qai 
simul servierit. 

*) Ich teile im Gegensatz zu Nipperdey Boissiers Ansicht, a. a. 0. 
S. 297: „II avait pris sans doute pour lui le conseil quUl met dans la 
bouche d'an des personnages de son histoire: „il faut souhaiter des bon^ 
princes et se r^sigoer k soufirir les mauvais" und S. 300 zu Agr. 45. 



6. Tacitus* politischer Standpunkt in den Historien und Annaleii. 161 

Ja Tacitus ist so sehr erfüllt von dem Gedanken der 
3ht des Prinzipates, dass er den Cerialis den Trevern und 
gonen zurufen lässt^), der preis würdigen Fürsten Nutzen 

ihnen mit allen gemein, aber gleichwie elementare Ereig- 
ne müsse man Üppigkeit und Habgier der Herrscher über 
i ergehen lassen. Diese Bekenntnisse dürften dem Urteile 
akes nicht entsprechen, der meinte, dass Tacitus sein Ideal 
dem Würdenträger gesehen, der sich der Macht, die ihn 
en Augenbhck vernichten kann, mannhaft widersetzt 2). 
Tacitus ist weit entfernt, die Ansprüche des Senates über 

gesetzliches Mass erweitern zu wollen. Wenn Helvidius 
3CUS die Entscheidung wichtiger Fragen, die der designierte 
(isul dem Kaiser vorbehielt, für den Senat in Anspruch 
im, wenn er sogar den Antrag stellte, das Capitol auf 
mtliche Kosten herzustellen und auch Vespasian dazu heran- 
iehen, so hat er nicht des Geschichtschreibefs Beifall. 
Lesen Antrag übergingen die Gemässigten mit Schweigen, 
l nachher ward er vergessen. Einzelne freihch blieben des 
rfalls eingedenk.^ 

Wenn also von bedeutenden Männern verlangt wird, dass 
Entsagung übend sich der Gewalt des Fürsten unterordnen, 
könnte es scheinen, als ob mit dieser Forderung einige 
tllen im Widerspruch stehen, welche die „patientia servilis*^ 
; Senats beklagen, deren MitgUeder nach der Pisonischen 
cschwörung gleichgültig ihrem Untergang entgegensahen, 
essen sind solche Äusserungen das blosse Spiegelbild eines 
dankens, der öfter in seinen Schriften wiederkehrt, dass 
• Besitz der Herrschaft verblendet und zu Missethaten hin- 
gst. Er sagt es gerade heraus, dass Tiberius nach so grosser 
ährung durch die Gewalt der Herrschaft erschüttert und 
'ändert wurde. Indem die Niederträchtigkeit der Masse 
i die Servilität der leitenden Kreise um persönlicher Vor- 
e willen den Machthabern schmeicheln, werden ihre Leiden- 
laften dadurch noch gesteigert. Diese Niedrigkeit der Ge- 
nung erregt seinen Zorn in demselben Masse, wie die 
rdevolle Haltung des Agricola, der selbst die wilde Natur 
es Domitian besänftigte, seine Bewunderung hat. Hierin 
jt auch die Triebfeder für seinen Hass gegen die Delatoren, 



*) Hist. 4, 74: Et laudatomm principum usus ex aequo, quamvis procul 
ntibus; saevi proximis ingruunt. Quomodo sterilitatein ant nimios im- 
B et cetera naturae mala, ita luxum vel avaritiam dominantium tolerate. 
ia enint, donec liomines; sed neque haec continua et meliorum inter- 
ta pensantur. 

*) Bänke Weltgeschichte, III, 2, 317. C. Thiancourt, revue 
phil. Xm, S. 74—78. 

Asbach, Kaisertum und Verfavsang. 11 



162 Drittes Buch. 

die zwar bequeme Werkzeuge der Tyrannei sind, aber der 
Verachtung und dem Hasse derjenigen, die sich ihrer bedienen, 
anheimfallen. 

Er schont auch nicht die entarteten Glieder des Senates. 
Denn jeder soll an seinem Teile sich der grossen Stellung, 
die das Kollegium im Reiche einnimmt, würdig zeigen. Er 
ist das Fundament des Reiches. ^Des Staates ewige Dauer*, 
so rief Otho seinen Prätorianern zu, „der Weltfriede, die 
Wohlfahrt der Gesamtheit gründen sich auf die Erhaltung des 
Senates. Diesen, zur glücklichen Stunde eingesetzt von dem 
Gründer und Vater unserer Stadt, fortgeführt und unsterblich 
bis herab auf den Prinzipat, wollen wir, wie er von den 
Vätern überkommen ist, der Nachwelt überliefern. Denn wie 
aus Euern Reihen die Senatoren, so gehen aus diesen die 
Fürsten hervor^' ^). 

Der höchste Rat des Staates hat ein Recht auf die Rück- 
sicht der Regenten: er verknüpft Gegenwart und Vergangen- 
heit des Staates. Die Fürsten sind sterblich, der Senat ist 
unwandelbar, ein Bürge für die ewige Dauer des Reiches. 

Der Ritterstand ist jenem nicht ebenbürtig: er folgt ihm 
in weitem Abstände. Tacitus hält es „für einen Teil der 
öffentUchen Trauer^^ dass ein Mitglied des Kaiserhauses den 
Enkel eines römischen Ritters heiratet. Aber das ist ihm 
wohl bewusst, dass der einzelne, er sei Senator, Ritter und 
Freigelassener, nur glänzen kann, „in quantum praeumbrante 
imperatoris fastigio datur". 

Tacitus ist aber nicht nur Anhänger des Prinzipates, er 
hält den Freistaat für eine Einrichtung, die sich überlebt 
habe, deren Herstellung also nicht wünschenswert sei. Un- 
befangen stellt er die Monarchie als notwendige Frucht der 
Entwicklung des römischen Staatswesens hin. Die alte 
Republik bis zu den Decemvirn beruhte auf Tugend und Ein- 
tracht der Bürger. Mit der Erweiterung der Macht der Stadt 
griffen Laster und Zwietracht um sich, welche die Freiheit 
untergruben und eine Alleinherrschaft nötig machten. „Die 
verjährte, den SterbUchen eingewurzelte Sucht nach Gewalt 
entglomm und kam zum Ausbruch mit der Grösse des Reiches. 
Jetzt, wo Spielraum vorhanden war, nach Macht »i streben, 
begannen die Streitigkeiten zwischen dem Senat und den 
Populären.^ 

Es zeugt von einer grossen Auffassung der Vergangen- 
heit, dass er mit den Gracchen die Kämpfe um die Monarchie 
beginnen lässt, dass er den Hader auf dem Forum als ein 



») 1, 83 u. 84 vgl. o. S. 49. 



6. Tacitus* politischer Standpunkt in den Historien nnd Annalen. 163 

cspiel der Bürgerkriege bezeichnet. j,Dann verkehrten Gaius 
rius, aus dem niedrigsten Pöbel, und Lucius Sulla, der 
eligen Grausamster, die durch Waffen besiegte Freiheit 
Oberherrschaft. Und um nichts ist nachher als um den 
nzipat gekämpft worden^ ^). Otho und ViteUius werden 

Caesar und Pompeius, mit Octavian und Antonius ver- 
jhen. Nach den zwölf Tafeln, ^die das Ende des gleichen 
3htes waren *^, sind, abgesehen von Strafbestimmungen, 
ne guten Gesetze mehr gegeben worden, sie entsprangen 
; unlautern Beweggründen und wurden mit ungerechten 
teln durchgeführt ; das gilt zumal von der Zeit der Bürger- 
ege, wo jedes Schändliche ungestraft war, vieles Edle zum 
rderben gereichte. ZurZeitdergrössten Zerrüttung des Staates 
) es die meisten Gesetze. Nach dem dritten Konsulate des 
mpeius herrschte zwanzig Jahre ununterbrochen Zwietracht 
le Regel, ohne Recht. Das Allers chändlichste blieb un- 
5traft, während Gutes Verderben brachte; erst in seinem 
ihsten Konsulat schaffte Caesar Augustus, nun im sichern 
sitze seiner Macht, was er als Trium vir angeordnet hatte , ab 
i gab Gesetze, deren sich die Römer im Frieden unter 
em Fürsten bedienen sollten. Seit der Zeit gab es festere 
nde, und Wächter wurden zur Hut bestellt 2). 

Dass die Monarchie die aus Lastern und Zwietracht ent- 
.ndene Staatsform sei, wird nicht gesagt, sondern jene 
el, die eine notwendige Folge des Strebens nach Macht 
.ren, konnten nur von einem Alleinherrscher geheilt werden, 
p Macht und Freiheit zu vereinigen und mit starker Hand 
Q Frieden zu schützen verstand. 

Tacitus beneidet die Geschichtschreiber der republika- 
jchen Zeit, die, über einen reichhaltigen Stoff verfügend, 
n gewaltigen Kriegen, von Uneinigkeit der Konsuln und 
ibunen, von Acker- und Getreidegesetzen, von dem Kampfe 
r Optimaten und Populären berichteten. Aber deswegen 
Luert er doch nicht über den Untergang der Republik, 
len demokratischen Bestrebungen ist er sogsir abhold, da 
j Menge Neues zugleich begehrt und fürchtet; sie ist nicht 
lig, aus eigener Einsicht das Richtige zu finden; für weise 



^) Hist. 2, 38: Nam rebus modicis aequalitas facile habebatur. Sed 
. subacto orbe et aemnlis urbibus regibusve excisis securas opes con- 
)iscere vacnom fuit, prima inter patres plebemque certamina exarsere. 
)do turbulenti tribuni, modo consules praevalidi, et in urbe ac foro 
aptamenta civilium bellorum etc. — Hist. 1,1: Postquam bellatum apud 
tinm atque omnem potestatom ad unum deferri pacis interfuit etc. Vgl. 
1 Anfang der Annalen, wo besonders betont wird, dass die Alleinherr- 
laft den Provinzen zu gute kam. 

«) Ann. 3, 27 u. 28. 

11* 



164 Drittes Buch. 

galt einst, wer des Haufens Natur kannte und zu lenken 
wusste. Die Volksherrschaft kommt zwar der Freiheit nahe *), 
aber die Entsittlichung der Bürger macht ihre Behauptung 
unmöglich. 

Auch die Herrschaft der Nobilität hat seinen Beifall nicht, 
weil sie an tyrannische Willkür grenzt. Eine gemischte Ver- 
fassung kann leichter gelobt als geschaffen werden und ist 
auf keinen Fall von Dauer 2). Es bleibt als sein Ideal nur der 
Prinzipat, wie ihn Augustus gegründet, Galba, Vespasian und 
Nerva wiederhergestellt hatten, die Dyarchie von Prinzeps 
und Senat, jene Verfassungsform, in der nach Senecas Vor- 
gange die Bürger mit einem Leibe, der Regent mit dem Geiste, 
der jenen lenkt, verglichen werden 3). 

Des Tacitus politische Anschauungen treffen überhaupt mit 
denen des Seneca vielfach zusammen, dem er in Fragen 
ethischen Inhalts allgemeine Gedanken bis auf den Ausdruck 
entlehnt*). 

Wie Seneca in dem Trostschreiben an Marcia den Cremutius 
Cordus preist, dessen Schriften man lesen werde, solange 
es jemand gebe, der eine Rückkehr zu den Handlungen der 
Vorfahren für wünschenswert halte, so rechtfertigt Tacitus 
in der Rede, die dem Cordus in den Mund gelegt wird, die 
Verehrung, welche den republikanischen Führern erwiesen 
werde, und wendet sich mit unverkennbarer Beziehung auf 
Domitian gegen den Stumpfsinn der Tyrannen, die durch 
Gewaltthat ihr Andenken für die Zukunft vertilgen zu können 
wähnen^). Bei den Exequien der Junia erschienen zwanzig 
Ahnenbilder, aber Cassius und Brutus glänzten durch ihre 
Abwesenheit 6). 

Zu Nerva und Traian dürfte Tacitus sich verhalten, wie 
etwa Samuel von Pufendorf zu Friedrich Wilhelm, dem grossen 
Kurfürsten. Aus seinem Beispiel ist die theoretische Recht- 
fertigung und Begründung der fürstlichen Souveränität her- 
geleitet, wenn er ausführt, der Fürst dürfe vernünftiger 



1) Nach ann. 2, 37. 3, 27. 4, 32. 33 u. 15, 46. 

') Ann. 6, 42: PopnU imperium iuxta libertatem pauconun dominaüo 
regiae Ubidini propior est. Vgl. ann. 4, 33 und die Bemerkungen Mommsens 
in den Sitzungsberichten der preuss. Akademie der Wissenschaften (1886). 
S. 41. 

^) Die Belege bei Zimmermann, a a. O. S. 18, der besonders die 
Schrift de dementia zur Vergleichung heranzieht. 

*) Zimmermann, S. 66: Ubicunque philosophatur Tacitus, ibi 
Senecam expressisse putandus est. Attamen moram Senecae dictionem non 
odeo aspematus est, ut non multa quae imitatione digna agnovisset, sibi 
imitanda eligeret. 

6) Ann. 4, 35. 

ö) Ann. 3, 76: Praefulgebant eo ipso quod effigies eonim non visebantur. 



6. Tacitns* politischer Standpuakt in den Historien und Annalen. 165 

ise nur das wollen, was mit dem Zweck des Staates 
reinstimme. 

Als Geschichtschreiber steht Tacitus etwa in der Mitte 
sehen Cremutius Cordus, der durch seine Verherrlichung 
Brutus den Zorn des Tiberius herausforderte, und dem 
rn Plinius, der als Parteigänger des Fla vischen Hauses 
Begründung seiner Herrschaft darstellte. 
Wir haben in der obigen Darlegung öfter auf die Historien 
die Annalen Bezug genommen; wo aber beide heranzu- 
len möglich war, ergab sich, dass die in höherm Alter 
chriebene Geschichte der Julisch-Claudischen Kaiser die- 
)e Auffassung des Prinzipates widerspiegelt. Es ist aber 
Recht aufgefallen, dass diese Nervas und Traians nicht 
IT gedenkt^). Stellt man damit zusammen, dass er bei der 
•assung dieses Werkes nicht mehr an das Versprechen 
lacht hat, den reichen Stoff, den seine eigene Zeit bot, 
verarbeiten, sondern eine Darstellung der Regierung des 
justus ins Auge fasste, so liegt der Schluss nahe, dass 
in spätem Jahren die Gegenwart nicht in dem Masse 
riedigte, wie in den ersten Jahren nach Domitians Er- 
rdung. Die überspannte Begeisterung für das neue Regi- 
nt, der naturgemässe Rückschlag nach der gedrückten Lage 
.er dem vorhergehenden Dominat, hatte einer nüchternen 
Ffassung der Verhältnisse und Persönlichkeiten Platz gemacht, 
eitus musste zur Einsicht kommen, dass eine durchgreifende 
i zielbewusste Natur wie Traian nicht gewillt war, den 
aat auf Kosten seiner Herrschermacht schalten zu lassen, 
5s der Prinzipat im Grunde doch auf eine Alleinherrschaft 
läuskomme^). • 

Ein flacher Geist, wie Plinius war, wusste sich im Voll- 
sitze des kaiserlichen Vertrauens leichter zu trösten. „Zwar 
tersteht alles der Willkür eines einzigen, der für das all- 
neine Wohl alle Sorgen, alle Mühen auf seine Schultern 
aommen hat, nur dass in heilsamer Mischung sozusagen 
lige Bäche aus jener allgütigen Quelle zu uns gelangen^' ^). 
Das Entgegenkommen, das die Kaiser dem Senate be- 
esen, hatte vor allem die üble Folge gehabt, dass die 
itthalter , die unter Domitian ihr Amt nicht zu missbrauchen 
wagt hatten, sich der schlimmsten Erpressungen schuldig 



^j K. Hoffmeister, Die Weltanschauung des Tacitus. S. 50. 

') Ann. 4, 33: Sic converso statu neque alia re Bomana quam si unus 
(»eritet, aus der oben verwerteten Stelle. 

') Plinius, ep. 3, 20, 12: Sunt quidem cimcta sub unius arbitrio, qoi 
> utilitate communi solus omnium curas laboremque suscepit, quidam 
aen salubri temperamento ad nos quoque velut rivi ex illo benignissimo 
ite decurrunt. 



166 Drittes Buch. 

machten. Die Nachgiebigkeit, die der Senat dabei bewies, 
brachte ihn um seinen guten Ruf. In politischen Geschäften 
ohne Erfahrung, sah sich das hohe Kollegium genötigt, auf 
einen Teil seiner ObHegenheiten zu verzichten und sie dem 
Kaiser abzutreten. 

Das war die allgütige Quelle , deren Wasser auch die Sena- 
toren speiste. 

Sucht man nach allgemeinen Gedanken, die die Taciteische 
Darstellung beherrschen und für seine Auffassung historischer 
Dinge bezeichnend sind, so kann es nur ein Gegensatz sein, 
auf den oben wiederholt hingewiesen wurde, der Gegensatz 
von Freiheit und Macht^). Dieser kommt am bestimmtesten in 
grösseren Ansprachen zum Ausdrucke, die zum Teile frei er- 
funden sind. 

Was Cerialis und Civilis vor dem Waffengange am Rhein, 
was Arminius und Flavus, Germanicus und Arminius an der 
Weser, was die Königin Boudicca und Suetonius PauUnus an 
der Themse, Calgacus und Agricola im schottischen Hoch- 
lande ihren Truppen zurufen. Rede und Gegenrede enthalten 
der Lage angemessene Gedanken, die sich um einen gemein- 
samen Mittelpunkt bewegen, um den Widerstreit zwischen 
dem Streben der Römer nach Machterweiterung, das uner- 
sättlich auch nicht an den von der Natur gesetzten Grenzen 
stillsteht, und der Freiheit, die bedrohte Stämme zu vertei- 
digen, unterworfene zurückzugewinnen suchen. 

In der Ansprache des Calgacus treten uns die Römer als 
heimatlose Männer entgegen, die freie Britannier bis in den 
letzten Winkel ihres Heimatlandes verfolgen. Gattinnen ent- 
flammen sie nicht zum Kampfe, Eltern werden ihre Flucht 
nicht brandmarken , die wenigsten haben ein Vaterland. Aber 
die Stunde wird kommen, wo die Britannier ihre Sache er- 
kennen, die Gallier sich der vorigen Freiheit erinnern, die 
Germanen ihre Reihen verlassen. Freiheit und Recht werden 
siegreich die Schranken der römischen Herrschaft durch- 
brechen und die Welt erobern. 

,, Tötet innerhalb eurer Grenzen alle Römer ;^ ruft der 
Wortführer der Tenkterer den Agrippinensern zu, j,nicht 
leicht mischen sich Freiheit und Macht. — Ein unvermischtes, un- 
geteiltes, der Knechtschaft vergessendes Volk, werdet ihr ent- 
weder in Gleichheit leben oder andern gebieten^ *). 

Grossartig erscheint in der Ansprache des CiviHs der 
Protest gegen die den Germanen drohende Unterwerfung und die 



^) Vgl. M. Ritter, Studien z. Entwickelang der Geschichtswissenschaft, 
V. Sybel, Eist. Zeitschr. LIV (1885) S. 34. 
«) Hist. 4, 64. 



6. Tacitus* politischer Standpunkt in den Historien und Annalen. 167 

tinung ZU mannhaftem Widerstände : Freiheit habe die Natur 
;h sprachlosen Tieren verliehen, Tapferkeit sei ein den 
tischen eigenes Gut, und der Mutige stehe unter dem Schutze 
• Götteri). 

Wenn Tacitus den um ihre Selbständigkeit ringenden 
Ikern gerecht zu werden sucht, so ist er sich doch des 
Jens, der mit der Machtstellung der Römer verknüpft ist, 
hl bewusst: von stolzem Selbstgefühl zeugt die Rede, die 
n Petillius Cerialis in den Mund gelegt wird^). Despotieen 
i Kriege hätten in Gallien geherrscht, bis es unter die 
tmässigkeit der Römer gekommen. Diese hätten den Re- 
gten nach Siegerrecht nur so viel zugemutet, als zur Auf- 
5hthaltung des Friedens nötig gewesen. Denn weder ver- 
ige man der Völker Ruhe ohne Waffen, noch Waffen ohne 
Id, noch Sold ohne Auflagen zu schaffen. Der prächtige 
.me der Freiheit sei ein Vorwand für die Unterwerfung, 
t dem Zusammenbruch der römischen Macht, die durch 
[ick und Kriegszucht in einem Zeiträume von 800 Jahren 
festigt worden, werde ein Krieg aller Völker untereinander 
tstehen, und die Gallier selbst würden für ihre Existenz 
mpfen müssen. ,,Deshalb liebt und pflegt den Frieden und 
B Stadt, an die wir, Sieger oder Resiegte, gleiches Anrecht 
ben und ziehet nicht Trotz und Verderben dem Gehorsam 
id der Sicherheit vor." 

Eine andere Reihe von Reden ist aus den Senatsakten 
jschöpft, aber die Ausführung ist frei und giebt fremde Ge- 
mken mit eigenen Worten wieder^). Die Meinungäusserungen 
1 Senate bringen mehr oder weniger den Gegensatz zwischen 
3n Ansprüchen dieser Körperschaft und der Übermacht des 
egenten, zwischen Verfassung und Kaisertum zum Ausdruck. 



*) Hifit. 4, 17. 

8) Hist. 4, 73. 

') Ann. 15, 63: Et novissimo quoque momento suppeditante eloquentia 
Ivocatis scriptoribus pleraque tradidit, quae in vulgus edita eins verbig 
vertere supersedeo. Vgl. die Eede des Cremutius Cordus ann. 4, 34. 



Zeittafel. 

31 Die Seeschlacht bei Aktium (2. Sept.). Kleopatra ergreift 
die Flucht, ihr folgt M. Antonius. Das aus 19 Legionen be- 
stehende Landheer geht zum Caesar über. 

30 Antonius und Kleopatra geben sich den Tod. Ägypten römische 
Provinz. Caesar überwintert in Samos. 

29 Caesar kehrt im Sextilis nach Rom zurück, schliesst den Janas- 
tempel und feiert einen dreifachen Triumph „primum de 
Pannoniis et Delmatis , alterum navalem , tertium de Aegypto". 

28 Caesar reinigt in Gemeinschaft mit M. Agrippa den Senat , ver- 
mehrt die Zahl der Patrizier, stellt die Gotteshäuser wieder 
her und weiht den Tempel des Palatinischen Apollo. Man 
zählt 4164 000 Bürger. Caesar princeps senatus. 

27 Die Verwaltung der Provinzen wird zwischen Caesar und dem 
Senate geteilt. Caesar verzichtet auf seine ausserordentliche 
Gewalt und übernimmt das Imperium proconsulare auf 10 Jahre. 
Der Senat beschliesst auf Antrag des L. Munacius Plauens, ihm 
den Augustusnamen zu verleihen. 
M. Agrippa weiht das Pantheon. 

26 Augustus tritt sein achtes Consulat in Tarraco an. 

25 Augustus weilt krank in Tarraco und lässt den Krieg gegen die 
Cantabrer durch seine Legaten führen. In Lusitanien wird die 
Colonia August a Emerita, im Lande der Salasser Augusta 
Praetoria angelegt. Der Janustempel abermals geschlossen. 

P. Vergilius Maro beginnt nach Vollendung der Georgica 
die Aeneis. 

24 Aelius Gallus unternimmt einen Feldzug in das glückliche 
Arabien , wird aber durch Krankheiten zum Rückzuge gezwungen. 

23 Der Prinzipat des Augustus empfängt seine abschliessende 
Gestalt. Nach Niederlegung des Consulates übernimmt er die 
tribunicische Gewalt auf Lebenszeit. M. Marcellus stirbt. 

22 Verschwörung des Fannius Caepio und Licinius Murena. 

Als Censoren werden L. Munatius Plauens und PauUus 
Aemilius Lepidus bestellt. Letzter Versuch, die Censur in 
ihrer alten Gestalt zu erneuern. 

21 M. Agrippa wird mit Julia, der Witwe des Marcellus, ver- 
mählt. Augustus begibt sich in den Orient. 



Zeittafel. 169 

20 Er überwintert in Samos, reist durch Kleinasien nach Syrien 
und empfängt eine indische Gesandtschaft. Phraates, der 
König der Parther, giebt die erbeuteten Feldzeichen der Le- 
gionen des M. Crassus und M. Antonius zurück. 

Tigranes als König von Armenien wieder eingesetzt. 

19 Augustus ist am 12. Oktober in Rom zurück. 
Agrippa bezwingt diq Cantabrer. 
Vergilius stirbt in Brundisium. 

18 Das Imperium wird dem Augustus auf weitere fünf Jahre ver- 
längert. 

17 Die ludi saeculares. 

Niederlage des M. LoUius vor den Sigambrern. 

16 Augustus begiebt sich nach Gallien, seine Vertretung in Rom 
fällt dem Gardepräfekten Statilius Taurus zu. M. Agrippa in 
Asien. 

15 Drusus und Tiberius unterwerfen die Alpenvölker (Räter, Vin- 
deliker, Noriker). 

14 Augustus lässt den Drusus zur Führung des Krieges mit den 
Germanen am Rhein zurück. Vollendung des festen Lagers 
bei Xanten und der fossae Drusianae. 

12 M. Lepidus und M. Agrippa sterben. Augustus pontifex maximus. 
Einweihung der Ära Augusti in Lugudunum. Daselbst wird 
Ti. Claudius am 1. Aug. geboren. 

Feldzüge des Drusus gegen die nordgermanischen Völker. 

. — 10 Feldzüge des Drusus gegen Chatten, Cherusker und Marko- 
mannen. 

Tiberius Nero heiratet die Julia, die Witwe des Agrippa. 

9 Drusus erreicht die Elbe. Auf dem Rückzuge bricht er im 
Wesergebiet infolge eines Sturzes den Schenkel und stirbt 
in den Armen seines aus Patavium herbeigeeilten Bruders 
Tiberius. 

8 Tod des C. Maecenas und M. Horatius Flaccus. 

Tiberius übernimmt den Oberbefehl in Germanien. 

6 Tiberius zieht sich nach Rhodus in freiwillige Verbannung 
zurück. 

4 Jesus Christus in Bethlehem geboren. 

3 Ser. Sulpicius Galba geboren. 

2 Des Kaisers Tochter Julia wird auf die Insel Pandataria ver- 
wiesen. 

Die praefectura praetorii wird ein ständiges Amt. 
Chr. 
2 Tiberius Nero kehrt nach siebenjähriger Abwesenheit nach 
Rom zurück. 



i 



170 Zeittafel. 

L. Caesar, consul designatus, erliegt auf der Reise nach 
Spanien zu Massilia einer Krankheit. 

Cn. Domitius erreicht auf seinen Kriegszügen in Germanien 
die obere Elbe. 

4 Gaius Caesar stirbt in Lycien an einer Wunde. Augustus adop- 
tiert den Tiberius, dieser den Germanicus, den Sohn des Drusus. 

Tiberius übernimmt den Oberbefehl in Germanien. Ver- 
schwörung des Cornelius Cinna. 

5 Tiberius dringt in Germanien nach Unterwerfung der Chauken 
und Langobarden bis zur Elbemündung vor und vereinigt sich 
daselbst mit der Flotte. Entdeckungsfahrten in den nördlichen 
Gewässern. 

6 Der Kaiser richtet das aerarium militare ein und nimmt sich 
des hauptstädtischen Verpflegungswesens an. Praefectura 
annonae, praefectura vigilum. 

C. Asinius Pollio stirbt. 

In Germanien dringt C. Sentius durch den Hercynischen 
Wald, Tiberius von der Donau her gegen Marbod vor. Ti- 
berius wird durch den Aufstand der Pannonier und Dalmater 
zur Umkehr genötigt. 

7 — 8 Tiberius führt mit 15 Legionen einen wechselvollen, schüess- 
hch erfolgreichen Krieg in Pannonien. 

9 Lex Papia Poppaea de maritandis ordinibus. 

Zu Reate im Sabinerlande wir dT. Fla viusVespasianus geboren. 
Untergang des P. Quintilius Varus mit 3 Legionen im Teuto- 
burger Walde. 

10 — 11 Tiberius und Germanicus decken die Rheingrenze. 

12 Tiberius Imperator septimum ex Pannoniis Dalmatisque 
triumphat. Germanicus an der Spitze der germanischen Legionen. 

13 Augustus übernimmt das Imperium auf weitere 10 Jahre und 
lässt dem Tiberius die tribunicische Gewalt verlängern. 

14 Letzter Census des Augustus: 4197 000 Bürger. 

Augustus stirbt zu Nola am 19 Aug.. Tiberius übernimmt 
56 Jahre alt den Prinzipat. Hinrichtung des Agrippa Postumus. 

Der Aufstand der rheinischen und paimonischen Legionen 
wird gedämpft. 

Julia, die Tochter des Augustus, stirbt in Regium. 

15 Germanicus fällt in das Land der Cherusker ein und bestattet 
die Gebeine der Legionen. 

A. Vitellius geboren. 

16 Sieg des Germanicus überArminius bei Idisiaviso an der Weser. 

In Rom wird die Verschwörung des L. Scribonius Libo auf- 
gedeckt. Senatsbeschlüsse verfügen die Ausweisung der Magier. 

17 Germanicus gegen seinen Willen abberufen, triumphiert über 
Cherusker, Chatten, Angrivarier. 



Zeittafel. 171 

Krieg zwischen Arminius und Marbod. 
Ovidius stirbt zu Tomi in der Verbannung, T. Livius zu 
Patavium. 

19 Tiberius weist dem Schutz suchenden Marbod Ravenna als 
Wohnsitz an. 

Arminius wird wegen seiner Herrschsucht von seinen Ver- 
wandten erschlagen. 

Germanicus stirbt in Antiochien. Armenien und die Parther. 

Ein Senatsbeschluss verbietet ägyptische und jüdische Re- 
ligionsgebräuche. 

20 Agrippina kehrt aus dem Orient nach Rom zurück. Der Prozess 
des Piso. 

21 Aufständische Bewegungen in Gallien. Julius Sacrovir bei den 
Aeduern, Julius Florus bei den Trevern. 

22 Drusus erhält die tribunicische Gewalt. 

23 Die Cohorten der Prätorianer werden unter dem Commando 
des T. Aelius Seianus in einem Lager nahe bei der Haupt- 
stadt vereinigt. Seian verführt die Livia und räumt Drusus 
durch Gift aus dem Wege. 

24 Majestätsprozesse in Rom. 

25 Der Geschichtschreiber A. Cremutius Cordus angeklagt, dass 
er Brutus und Cassius die letzten Römer genannt habe, macht 
seinem Leben freiwillig ein Ende. 

26 Tiberius begiebt sich nach Campanien, um Rom für immer zu 
verlassen. Die Stellvertretung fällt dem Gardepräfekten zu. 

27 Tiberius lässt sich auf Capreae nieder. 

29 Christi Leiden und Tod unter Pontius Pilatus. Julia Augusta stirbt. 

30 Nero und Drusus, die Söhne des Germanicus, werden für 
Staatsfeinde erklärt, Nero auf die Insel Pontia verbannt, 
Drusus im Palatium in Haft gehalten, Agrippina nach Panda- 
taria verwiesen. 

31 Sturz Seians und blutige Verfolgung seiner Anhänger. 

32 Am 1. Januar leisten die Senatoren Mann für Mann den 
Huldigungseid. Seians Nachfolger Macro stellt die Ordnung 
wieder her. 

33 An demselben Tage, an dem 2 Jahre zuvor Seian ums Leben 
kam, werden Drusus in Rom, Agrippina in der Verbannung 
getötet. 

34 Tod des Mam. Aemilius Scaurus. 

35 Eine Feuersbrunst wütet auf dem Aventin und giebt dem Kaiser 
Gelegenheit zu grossartiger Freigebigkeit. 



172 Zeittafel. 

37 Am 16. März stirbt Tiberius bei dem Vorgebirge Misenum im 
Alter von 78 Jahren. 

Gaius Caesar Germanicus, sein Nachfolger ^ ruft die Ver- 
bannten zurück , züchtigt die Delatoren imd stellt die Komitial- 
wahl wieder her. Er vergeudet die Schätze des Tiberius. 

38 Gaius lässt den Macro hinrichten und beansprucht für sich 
und seine Schwester Drusilla göttliche Ehren. 

Am 30. December Titus geboren. 

39 Wahnwitziges Treiben des Gaius. Sein lächerlicher Feldzug 
nach Germanien. Verschwörungen in Rom. 

40 Gaius unternimmt einen unnützen Feldzug an die gallische 
Küste. Höhepunkt seines Despotismus. 

41 Er wird am 24. Januar von einem Offizier der Garde ermordet. 
Augenzeuge des Vorganges war der Geschichtschreiber M. 
Cluvius Rufus. 

Ti. Claudius wird von den Prätorianern zum Imperator aus- 
gerufen und vom Senate bestätigt. 

Der jüdische König Agrippa vereinigt die Herrschaftsgebiete 
Her ödes d. Gr. 

Seneca wird nach Corsica verbannt. 

P. Gabinius besiegt die Chauken; Ser. Sulpicius Galba die 
Chatten, C. Suetonius Paulinus die Mauretanier. Mauretanien 
wird in 2 Provinzen geteilt und ihre Verwaltung römischen 
Rittern überwiesen. 

45 M. Camillus Scribonianus und L. Annius Vinicianus fallen von 
Claudius ab , werden aber von den Legionen im Stiche gelassen. 

43 Beginn der Eroberung Britanniens unter dem Oberbefehl des 
A. Plautius. Kriegerische Erfolge seines Legaten T. Flavius 
Vespasianus. Der Kaiser begibt sich selbst auf den Kriegs- 
schauplatz. Das südliche Britannien wird römische Provinz. 

44 Das abhängige Königreich Judaea wird nach Agrippas Tode 
wieder zur Provinz Syrien gezogen. 

46 Die Verschwörung des Asinius Gallus. Messallina stürzt den 
M. Vinicius und Valerius Asiaticus ins Verderben. 

Thrakien wird unter einem Procurator als Provinz einge- 
richtet. 
\ Plutarch in Chaeronea geboren. 

47 Fortgang der britannischen Eroberung. Cn. Domitius Corbulo 
überwältigt Friesen und Chauken. Bei den Cheruskern wird 
Italiens, des Arminius Bruder, als König eingesetzt. 

Ludi saeculares. 

Ti. Claudius und L. Vitellius Censoren. Es werden 6 944 000 
Bürger gezählt. Die Rede des Claudius über das ins bonorum 
der Gallier. 

Messallinas Untergang. 

49 — 50 Agrippina überredet den Claudius, den L. Domitius, ihren 
Sohn aus früherer Ehe, zu adoptieren und mit Octavia, der 



Zeittafel. 173 

Tochter Messalinas, zu verloben. Seneca übernimmt die Lei- 
tung seiner Erziehung. 

„Felix,, principis libertus et procurator, servili ingenio 
regnum exercet, trium reginarum maritus et fratris Pallantis 
apud Claudium gratia superbiens." Narcissus, Pallas und 
Polybius reissen als Inhaber der Ämter ab epistulis, a rationibus, 
a studiis die Centralregierung des Reiches an sich. 

50 P. Pomponius Secundus bezwingt die Chatten und gewinnt 
einen Adler des Varus zurück. 

Die Hauptstadt der Ubier wird unter dem Namen Colonia 
Claudia Agrippinensis zu einer Militärkolonie erhoben. 

51 Innere Wirren im Partherreiche. Rhadamistus, Vologaeses. 

Der Senat beschliesst für Nero das Imperium proconsulare. 
Zurücksetzung des Britannicus. Afranius Burrus Präfekt der Garde. 
Domitian am 24. Oktober geboren. 

52 Der Apostel Paulus von dem Prokurator Felix zur Verant- 
wortung gezogen. 

Bauten des Claudius. Vollendung der aqua Claudia und 
des Anio novus, des portus Claudianus an der Reede von 
Ostia. Trockenlegung des Fucinersees. Das Personal sämtlicher 
Wasserleitungen wird auf den Fiscus übernommen. Claudius 
unterdrückt den Druidenkult in Gallien und verweist die 
Chaldäer aus Rom. 

54 Als den Claudius Neros Adoption gereut, tötet ihn Agrippina 
durch vergiftete Pilze. Nero Claudius Caesar Drusus Germanicus 
wird von den Prätorianern als Imperator begrüsst. Männliche 
Herrschaft der Agrippina. 

Domitius Corbulo beginnt den Krieg gegen die Parther. 
Die Reichsverwaltung des Seneca und das quinquennium 
Neronis. Einschränkung des Einflusses der Agrippina. 
Die Hirtengedichte des Calpurnius feiern die neue Ära. 
P. Cornelius Tacitus geboren. 

55 Nero , seiner Mutter entfremdet , beseitigt Britannicus durch Gift. 

Vespasian verwaltet als Prokonsul Afrika. 
Allgemeiner Friede. 

56 Der Prokurator Festus entsendet den Apostel Paulus in Fesseln 
nach Rom. 

Titus als KriegstribuB in Germanien und Britannien. 

58 M. Salvius Otho geht als Legat nach Lusitanien. 

59 Neros Muttermord. 

Corbulo zerstört Artaxata und besetzt Tigranokerta. 
Nero veranstaltet in Rom unter dem Namen luvenalia 
öffentliche Bühnenspiele. 

60 Nero stiftet nach dem Muster der griechischen Agone einen 
dreifachen Wettkampf. 

Ein Aufstand der Britannier wird von C. Suetonius Paulinus 
niedergeworfen. 

C. Plinius Secundus der Jüngere geboren. 



174 Zeittafel. 

61 Ser. Galba legatus Aug. pro pr. Hispaniae Tarraconensis. 

62 Tigellinus, des Burras Nachfolger im Commando der Garde, 
und die Freigelassenen gewinnen Einfluss auf Nero. Seneca 
zieht sich von den Geschäften zurück. 

Nero lässt Octavia auf Pandataria hinrichten und heiratet 
die Poppaea Sabina. 

63 Die Bevölkerung der Seealpen erhält das ius Latii. 

Pompeji und Herculaneum werden von einem Erdbeben 
heimgesucht. 

64 Nero tritt in Neapel 'öffentlich als Sänger auf. 

Der Brand Roms 18. Juli. Juden und Christen werden ver- 
folgt, Italien und die Provinzen gebrandschatzt. 

Grossartige Neubauten in Rom. Der Kaiserpalast wird bis 
über den Esquilin ausgedehnt. (Das goldene Haus.) 

65 Die Pisonische Verschwörung soll den Zustand herstellen, der 
in den ersten 5 Jahren der Regierung Neros bestanden hatte. 
Cn. Piso, Annaeus Lucanus, Annaeus Seneca werden hinge- 
richtet. Bekämpfung der Opposition der Stoiker. Kriechende 
Unterwürfigkeit des Senates. 

Nero tritt an den Quinquennalien öffentlich als Sänger und 
Zitherspieler auf. 

66 Zahlreiche Senatoren werden hingerichtet. Paetus Thrasea, 
Barea Soranus, Ostorius Scapula, C. Petronius. 

Tiridates, König von Armenien, empfängt aus Neros Hand 
das Diadem. 

Beginn des jüdischen Aufstandes. Niederlage des Cestios 
Gallus. 

Nero unternimmt in Begleitung der vornehmsten Männer 
(Cluvius Rnfus) eine Kunstreise nach Griechenland. Hinrichtung 
des Domitius Corbulo. 

67 T. Vespasianus wird die Führung des jüdischen Krieges, C. 
Licinus Mucianus die Verwaltung Syriens übertragen. 

Bei den Isthmischen Spielen Achaia für frei erklärt. 

68 Nero weiht nach feierhchem Einzug in Rom dem Palatinischen 
Apollo 1808 Siegeskränze. 

Er erhält am 19. März die Nachricht von der Schüd- 
erhebung des C. Julius Vindex. Am 2. April erklärt sich Ser. 
Sulpicius Galba zum „legatus senatus populique Romani*'. 

L. Verginius Rufus besiegt den Vindex bei Vesontio. Der 
Sieger lehnt das ihm angetragene Imperium ab. 

Während der Gardepräfekt Numpidius Sabinns die Prä- 
torianer für Galba gewinnt, verurteilt der Senat den flüchtigen 
Nero zum Tode. Dieser endet durch Selbstmord (9. Juni). 

Galba zieht im Oktober in Rom ein; er schenkt unwür- 
digen Günstlingen sein Vertrauen. 

Der Hispanier M. Fabius Quintilianus siedelt nach Rom über. 

69 Am 2. Januar rufen die Legionen in Köln den Statthalter 
A. Vitellius zum Kaiser aus. Seine Legaten C. Fabius Valens 
und A. Caecina Allienus. Galba adoptiert am 10. Janaar den 



Zeittafel. 175 

L. Calpurnius Piso Licinianus. M. Otho wird am 15. Januar 
von der Garde zum Kaiser ausgerufen, Galba und Piso ermordet. 

Titus, zur Begrüssung Galbas entsandt, erhält in Korinth die 
Nachricht von den Vorgängen in Rom und kehrt nach Syrien 
zurück. 

Erste Schlacht bei Bedriacum (April). Otho giebt sich selbst 
zu Brixellum den Tod. 

Vespasian wird zuerst (1. Juli) von den Truppen in Alexandria, 
dann von den syrischen und den eigenen Legionen in Palä- 
stina zum Imperator ausgerufen. Ihnen schliesst sich die 
Donau-Armee an. 

Vespasian übergiebt seinem Sohne Titus den Oberbefehl 
und eilt nach Ägypten, Mucianus führt die Legionen des 
Orients nach Italien. 

Vitellius' Einzug in Rom 18. Juli. 

Die illyrischen Truppen rücken dem Mucianus zuvorkom- 
mend unter Antonius Primus in die Poebene ein. 

Bei Bedriacum erleiden die Vitellianer eine völlige Nieder- 
lage. Zerstörung Cremonas. 

Antonius Primus nimmt eine abwartende Stellung bei 
Narnia ein. 

Vitellius erklärt sich zur Abdankung bereit. 

Die in Rom zurückgebliebenen Cohorten verwerfen den 
mit dem Stadtpräfekten T. Flavius Sabinus geschlossenen Ver- 
trag und belagern den Sabinus auf dem Capitol, das in 
Flammen aufgeht. Sabinus wird erschlagen, Domitian rettet 
mit Mühe sein Leben. 

Antonius Primus rückt endlich in Rom ein; es kommt zu 
einem blutigen Strassenkampf. Auch Vitellius wird erschlagen 
(24. Dez.). 

Lex de imperio Vespasiani (31. Dez.). 

71 Aufstand der Bataven unter Julius Civilis. Ein grosser Teil 
der gallischen Völkerschaften fällt ihm zu und plant die Grün- 
dung eines gallischen Reiches. 

rO Julius Frontinus legt sein Amt als praetor urbanus nieder, ihm 
folgt Domitianus „Caesar consulari potestate". 

Die Lingonen und Treverer fallen von Rom unter Führung 
des Glassicus und Julius Tutor ab. Petillius Cerialis über- 
nimmt den Oberbefehl, schlägt die Aufständigen in einer 
grossen Schlacht bei Trier und drängt den Civilis bis zum 
Niederrheine zurück. 

Am 13. März bricht Titus von Alexandria auf und macht 
eine Reise auf dem Nil. Am 13. April erscheint er vor Jeru- 
salem und umgiebt die Stadt mit einer Circumvallationslinie. 
Am 2. September erfolgt der letzte Sturm. Titus ordnet 
die Einäscherung des Tempels an. Die Soldaten begrüssen 
ihn als Imperator. Titus reist durch Syrien an den Euphrat 
nach Zeugma, wo er von Gesandten des Partherkönigs eine 
goldene Krone entgegennimmt. 

Senatsverhandlungen in Rom. Prätensionen des Helvidius 
Priscus und der Senatoren stoischer Richtung. 

Vespasian kehrt im November nach Rom zurück. Spannung 
zwischen ihm und Titus. 

71 Titus begiebt sich überAntiochia und Jerusalem nach Ägypten und 
wohnt, mit einem Diadem geschmückt, der Apisfeier bei. 



176 Zeittafel. 

Petillius Cerialis geht nach Überwältigung des Aufstandes 
der Bataven nach Britannien und unterwirft die BriganteD. 
Cn. Julius Agricola Legionslegat. 

Über Regium und Puteoli eilt Titus nach Rom und versöhnt 
sich mit seinem Vater. 

Der jüdische Triumph. Titus erhält die tribunicische Ge- 
walt und übernimmt das Kommando der Garde. 

Die Januspforte wird geschlossen, der Bau des Tempels 
der Pax und des Amphitheatrum Flavium begonnen. 

72 Der Vassallenstaat Gommagene wird mit dem Reiche vereinigt. 
Galatien und Kappadokien zu einer Provinz vereinigt. 

Valerius Flaccus verfasst die Argonautica. 

73 Domitianus consul Ordinarius. 

74 Vespasian und Titus Censoren. Grossartige Bauten. Das neue 
Rom. Ganz Spanien erhält latinisches Recht. 

Die Stoiker und Cyniker werden aus Rom mit Ausnahme 
des Musonius Rufus verwiesen. 

Den Lehrern der Beredsamkeit wird ein Jahrgehalt von 
100 000 Sestertien ausgesetzt. 

Julius Frontinus unterwirft die Siluren. 

Anfang der Besetzung des rechtsrheinischen Grenzlandes. 
Neugründung der festen Lager von Vindobona und Carnuntum. 

75 Ende der Censur. Einweihung des Tempels der Pax. 

Des Flavius Josephus Bücher über den jüdischen Krieg. 

76 C. Plinius Secundus widmet seine Naturalis historia dem Titus. 

Verwicklungen mit den Parthern. M. Ulpius Traianus. 
Statthalter von Syrien, erhält die Triumphalinsignien. 

77 Cn. Julius Agricola, der Schwiegervater des Tacitus, 
übernimmt die britannische Legation. 

In Rom fordert eine Pest zahllose Opfer. 

78 Tacitus bekleidet das Militärtribunat oder Viginti- 
virat. 

79 Verschwörung des A. Caecina und Eprius Marcellas. 

Vespasian endet am 23. Juni im 70. Lebensjahre auf seinem 
sabinischen Landgute. 

Campanien wird von einem Erdbeben heimgesucht. Aus- 
bruch des Vesuvs (24. Aug.). Herculaneum durch Lava, Pom- 
peji durch Asche verschüttet. Tod des altem Plinius, des 
Präfekten der Flotte in Misenum. 

80 In Rom wütet ein grosser Brand und zerstört von neuem das 
Gapitol. 

Agricola erreicht die Landenge zwischen dem Clyde und 
Forthbusen. 

Tacitus erhält von Titus die Quästur. 

Titus weiht das Amphitheater und die Thermen durch 
hunderttägige Spiele ein. 

81 Plutarch weilt in Athen. 



Zeittafel. 177 

Papinius Statins verfasst die Thebais, Martial giebt die ersten 
Bücher der Epigramme heraus. 

Agricola macht einen Anschlag auf Irland. 

Am 13. September rafft Titus (41 Jahre alt) eine Fieber- 
krankheit weg. 

83 Agricolas Heer wird von Domitian geschwächt. Einrichtung eines 
britannischen Grenzschutzes. — Bewegungen an der Donau. 
Wanderung der Sueben und Jazygen. 

83 Agricola wird trotz seines Sieges über die Kaledonier am 
Berge Graupius zurückgerufen. Domitian unternimmt einen 
Feldzug gegen die Chatten. Erweiterung des Reichs. Sein 
Triumph. 

84 Der Senat beschliesst dem Kaiser unerhörte Ehren. Domitianus 
censor, consul in X continuos annos. 

Bestrafung des Incestes der Vestalinnen. Verbot der Kastration. 
Die Führer der Opposition werden beseitigt. 
Herausgabe von Martialis epigr. XIU XIV. 

85 Siege an der Donau. Die Provinz Moesia wird zum Zwecke 
der Verteidigung geteilt. 

Neue Erfolge in Germanien. Einrichtung eines Grenzschutzes. 
Domitian vermittelt im Streite zwischen Chatten und Cheruskern. 
Chariomer und die Seherin Ganna in Rom. 

86 Die Daker gehen über den Grenzstrom, besiegen und er- 
schlagen den Legaten Oppius Sabinus. Domitian erscheint auf 
dem Kriegsschauplatz. Ende des Jahres kehrt er nach Rom 
zurück. 

Erster capitolinischer Agon. 

87 Cornelius Fuscus, der Gardepräfekt , überschreitet mit einem 
Heere die Donau und findet im Dakerlande seinen Tod. 

In Rom wird eine Verschwörung aufgedeckt (Sept.), ein 
falscher Nero von den Parthern aufgenommen, Civica Cerialis 
„in ipso Asiae proconsulatu" hingerichtet. 

88 Ludi saeculares nach der Berechnung des Augustus. Cornelius 
Tacitus praetor und quindecimvir sacris faciundis. 

Domitian zum zweitenmale an der Donau. Tettius Julianus 
dringt siegreich bis in die Nähe der feindlichen Hauptstadt vor. 

Erhebung der Sueben und Sarmaten. Eine Niederlage 
seines Heeres bestimmt Domitian , mit den Dakem Frieden zu 
schliessen. 

89 Der Statthalter von Obergermanien, L. Antonius Saturninus, 
erhebt Anfang Januar in Mainz die Fahne des Aufstandes, 
wird aber an der Grenze der beiden germanischen Provinzen 
von dem niedergermanischen Heere unter L. Appius Norbanus 
besiegt. Die Legionen des Niederrheins piae fideles. 

Zweiter Feldzug gegen die Chatten. M. Ulpius Traianus führt 
eine Legion aus Spanien herbei und nimmt am germanischen 
Kriege teil. Fortsetzung der Bauten am Grenzwall. 

Die beiden germanischen Heeresbezirke werden Provinzen. 
Der Jurist Javolenus Priscus Legat von Obergermanien. 

Aabach, Kaisertum und Verfassung. 1^ 



178 Zeittafel. 

Triumph des Kaisers „de Germanis Dacisque". Kaiser- 
gericht auf dem Albanum über die Anhänger des Antonius. 
Cornelia, die Virgo maxima, wird lebendig begraben. 
Die Philosophen und Chaldäer werden aus Rom ausgewiesen. 
Plutarch weilt Anfang des Jahres in Rom. 
Tod Julias, der Tochter des Titus. 

90 Herausgabe von Martialis epigr. VI. Der zweite capitolinische 
Agon. Quintilian arbeitet an der Institutio oratoria. Josephus 
vollendet die Archaeologia. 

Domitians Edikt über den Weinbau. 

92 Der letzte Sarmatenkrieg. Domitian ist 8 Monate von Rora 
abwesend. Imperator XXII. Er verzichtet auf die konsulare 
Jahresbenennung. 

93 C. Plinius Secundus Praetor; er verwaltet als Praetorier das 
Aerarium militare. 

Tacitus bekleidet ein Amt in der Reichs Verwaltung. 

Tod des Cn. Agricola. Beginn der Schreckensherrschaft 
Domitians. Philosophen und Chaldäer werden aus Italien ver- 
trieben, darunter der Stoiker Epiktet, Lehrer des Flavius 
Arrianus aus Nikomedien. Arulenus Rusticus, Herennius 
Senecio, Helvidius der Jüngere werden hingerichtet. 

94 Der dritte capitolinische Agon. Sieg des Statins. Dion aus 
Prusa in Bithynien wird verbannt. Seine Wanderungen am 
Nordgestade des Pontus und bei den Geten. 

95 Domitians Christenverfolgung. Flavius Clemens und M\ Acilins 
Glabrio wegen ihrer Hinneigung zum Christentum getötet. 

Statius feiert das XVII. Consulat Domitians. Des Silius 
Italiens Punica. 

96 Domitian baut die via Domitiana und begründet das Institut 
der Alimentationen. Domitian wird am 18. September von seinen 
Freigelassenen ermordet. 

ApoUonius von Tyana in Ephesos. M. Cocceius Nerva vom 
Senate zum Prinzeps erhoben. Das Andenken Domitians wird 
geächtet. Die Verbannten kehren zurück. Nerva schwört, 
keinen Senator hinzurichten. 

? Tacitus giebt den Dialogus heraus. 

97 Die Prätorianer setzen in einem Aufstande die Hinrichtung 
der Mörder Domitians durch. 

Nerva adoptiert den M. Ulpius Traianus , Statthalter von Ober- 
germanien, und überträgt ihm die tribunicische Gewalt. Traianara 
Niederrhein. Kriegerische Bewegungen im Lande der Brukterer. 

Tod des L. Verginius Rufus. Der Consul Cornelius 
Tacitus hält ihm die Leichenrede. 

Erweiterung der von Domitian begründeten Alimentationen. 

98 Nervas Tod 27. Jan. Traian übernimmt den Prinzipat in der 
Colonia Agrippinensis. 

Die Lebensbeschreibung des Agricola und die 
Germania des Tacitus. 

Traian begiebt sich zur Sicherung der Grenze an die Donau. 



Zeittafel. 179 

99 Traian kehrt nach Rom zurück. 

Tacitus klagt mit Plinius den Marius Priscus de 
repetundis an. 

100 Sex. Julius Frontinus consul III. Seine Schrift de aquis. Am 
1. Sept. tritt C. Plinius das Consulat an. Seine gratiarum actio. 

Tacitus giebt die ersten Bücher der Historien 
heraus. 

101 Traian überschreitet im Sommer auf zwei Brücken die Donau 
und schlägt den Decebalus vor seiner Hauptstadt Sarmize- 
gethusa. — Tod des Silius Italiens und Martialis. 

10Ä Decebalus giebt alle Eroberungen heraus und verspricht, römische 
Krieger und Kunstverständige nicht mehr in seinen Dienst zu 
nehmen. Traianus Dacicus. Sein Triumph. 

104 Traian baut eine steinerne Brücke über die Donau. 

Plinius giebt die erste Gruppe seiner Briefsammlung heraus. 

105 Auflösung des dakischcn Reiches und Untergang des De- 
cebalus. 

T. Aelius Hadrianus bekleidet die Prätur. 

106 Dakien römische Provinz. Colonia Ulpia Traiana, Mittelpunkt 
der Latinisierung des Landes. Pannonien wird geteilt. Hadrian, 
Legat von Niederpannonien. 

A. Cornelius Palma erobert das Mündungsgebiet des Euphrat 
und Tigris und richtet die Provinz Arabia Petraea ein. Bostra 
römische Colonie. Traian feiert einen glänzenden Triumph 
und 123tägige Spiele. 

107 Bau des Forum Traiani und der Columna Traiana. 

In Centumcellae wird ein neuer Hafen angelegt. Gross- 
artige Bauten im ganzen Reich. 

Plutarch verfasst die ß6ot napdXXiQXot und widmet sie dem 
Q. Sosius Senecio (cos. ord. 99 und 107). 

108(?) Plinius schliesst seine Briefsammlung ab, Tacitus 
beginnt seine Annalen. 

111 Plinius verwaltet als Statthalter die Provinz Bithynia und 
Pontus. Sein Briefwechsel mit Traian. 

\\2 Tacitus Prokonsul von Asien. 

114 Der Senat verleiht dem Kaiser den Titel Optimus. Am 
7. Januar zieht Traian in Anliochia ein. Armenien römische 
Provinz. 

115 Traian in Mesopotamien. Ein Erdbeben zerstört Antiochia. 

116 Traian erobert Seleucia und K'esiphon am Tigris. Armenien, 
Mesopotamien und Assyrien römische Provinzen. Traian 
fährt zu Schiff den Tigris hinunter bis zum persischen Meer- 
busen. 

12* 



180 Zeittafel. 

117 Traian muss die Belagerung von Hatra aufgeben. 

In seinem Rücken bricht ein Aufstand der Juden in Ägypten, 
Kyrene und auf Kypros aus. 

Traian stirbt in Selinus, an der kilikischen Küste. 
Divus Traianus Parthicus. Sein Nachfolger Hadrian giebt 
die neugewonnenen Provinzen wieder auf. 

Flavius Arrianus verfasst die Geschichte Alexanders d. Gr. 



Tabellen 



der 



Kaiserkonsulate. 



•t-51€=-J' 



182 



Tabellen der Kaiserkunsulate. 



I. 



Die Konsulate der Julisch-Claudischen Kaiser. 



Kaiser 


Lyme 
alate 


Nr. 


Jahre 


Datum 


Belege 

Rhein. 

Mus. 35 


Oho 


d. Stadt 

(Varr.) 


V. Chr. 


des An- 
trittes 


des Rück- 
trittes 


Caesar 


5 


1 


706 


48 




31. Decbr. 




(t 15. März 44) 




2 


707 


47 




vorSl.Dec. 








3 


708 


46 


^1. Jan. 


? 








4 


709 


45 




9 

• 








5 


710 


44 




15. März 




Augustus 


57 


1 


711 


43 


19.Aug. 


26. Novbr. 




(t 19. August 14) 




2 


721 


33 




1. Januar 








3/10 


723/730 


31/24 




31. Decbr. 


S. 174 fg. 






11 


731 


23 




26. (?) Juni 


1 187 fgg. 




- 


12 


749 


5 




30.April(?) 








13 


752 


2 


n. Jan. 


30. Septbr. 












n. Chr. 






Tiberius 


23 


1 


771 


18 




vorl3.Feb. 


1 


(t 16. März 37) 




2 


774 


21 




31. März 


\S. 176 fg. 






3 


784 


31 




9. Mai 


J 


Gaius 


4 


1 


790 


37 


1. Juli 


12. Septbr. 


] 


(t 24. Januar 41) 




2 
3 


792 
793 


39 
40 




30. Januar 
12. Januar 


[s. 177 fg. 






4 


794 


41 




7. Januar 


) 


Claudius 


13 


1 


795 


42 


28. Febr. 


I 


(t 13. Oktober 54) 




2 


796 


43 




30. Juni 


[s.]78fgg. 






3 


800 


47 


1. Jan. 


30. Juni (?) 


- 




4 


804 


51 


y 


31. Octbr. 


J 


Nero 


14 


1 


808 


55 


31. Oct. (?) 




(t 9. Juni 68) 




2 


810 


57 




31. Decbr. 








3 


811 


58 




30. April 


|s.l78fgg. 






4 


813 


60 




30. Juni 








5 


821 


68 


April 


9 

• 





Tabellen der KaiBerhonsiiUt«. 



Die Konsulate der Flavischen KaiEer. 



Kaiser 


II 


Nr. 


Jahre 


Datum 


Belege 












S.§ 




d. Stadt 


n.Chr. 


desAn-ldes Rück- 






W^ 




(Varr.) 


tritles trittes 




Vespasianus 


10 


1 


823 


70 




April 30 


Bonner 


(t 24. Juni 79) 




2 


824 


71 




März 31 


Jahrbuch 






3 


825 


72 




April 30 


79, 105 bis 






4 


827 


74 




.lan. 13 


127 






5 


828 


75 




April 30(?| 


Chambalu, 






6 


829 


76 




April 301? 


De magi- 






7 


830 


77 




April 30(? 


stratibus 






8 


832 


79 




April 30(?1 


Flaviorum 


Tiius 


12 


1 


823 


70 


April 30 




(t 13. Sept. Öl) 




2 


825 


72 


April 30 








3 


827 


74 


April 30 








4 


828 


75 


Jan. 1 April 30(?] 








5 

6 

7 


829 
330 
832 


76 
77 
79 


April 30 
Jan. 12 
Jün. 12 








8 


833 


80 


Jan, 1 1 V 




Domitianus 


12 


^ 


824 


71 


Härzl Juni 30 




(t 18. Sept. 96) 




2 


S2G 


73 


Jan. 1 April 3q?) 








a 


828 


76 


April 30 








4 
5 


829 
830 


76 

77 


'»■"SäS 








6 


832 
833 


79 
80 


Jan, 1 


April 30 






15 


8 


835 


82 




1 








9 


836 


83 


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10 


837 


84 








11 


838 


85 










12 

13 


839 
840 


86 
87 


Jan.l 








14 


841 


88 


Jan. 12 








15 


843 


90 










16 


846 


92 










17 


848 


95 




J 





184 



Tabellen der Kaiserkonsulate. 



m. 



Die Konsulate der Dynastie des Nerva. ^) 



Kaiser 


Eponyme 
Konsulate 


Nr. 


Jahre 


Datum 


d. Stadt 
(Varr.) 


n. Chr. 


des 
Antrittes 


des 
Rücktrittes 


Nerva 
(t 27. Jan. 98) 


2 


1 
2 


850 
851 


97 
98 


> Januar 1 


im Januar? 
v.(?)d.27.Jan. 


Traian 
(t 7. od. 8. Aug. 

117) 


20 


1 
2 
3 
4 
5 


851 

852 
854 
856 
865 


98 
100 
101 
103 
112 


) Januar 1 


Februar 28 
April 30 
Januar 12 
Januar 12 
im Januar 


Hadrian 
(t 10. Juli 137; 


20 


1 
2 


871 
872 


118 
119 


l Januar 1 


Juni 30 
April 30 


Pius 
(t 17. März 161) 


21 


1 
2 
3 


892 
893 
898 


139 
140 
145 


> Januar 1 


Im Januar? 

• 

? 


Marcus 
(t 17. März 180) 


20 


1 


914 


161 


Januar 1 


im Januar? 


Commodus 
(t 31. Dez. 192) 


13 


1 
2 
3 
4 
5 
6 
7 


930 
932 
934 
936 
939 
943 
345 


177 
179 
181 
183 
186 
190 
192 


Januar 1 


Im Januar? 
vor Febr. 8 



») Vgl. Bonner Jahrbuch 72, S. 52. 



Tabellen der KaiserbonsulHte. 





Die Konsulate der 


spätem Kaiser. 




Kaiser 


II 


Nr 


.lalire 


Datum 












N,e 




d. Sladf ™ 
(Varr.)'"'*^"'- 


des 


des 








Antrilles 


Rücktrittes 


Severus 
(t 911) 


18 




947 
955 


194 
202 


.lanuar 1 


Im Janaar 








955 


Sf>-3 






(t 217) 






958 
961 


205 
208 
213 




„? 


f-lasabalua 


5 




D71 


318 












972 


219 












973 320 












975 293 






Mexander 


U 




975 


233 






(t 235] 






979 

982 


226 
339 


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^alerianus 


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1004 1 954 






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1008 
1010 


255 
257 




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Phiüppus 
(t 249) 


s 




998 


345 










1000 


247 




1,? 








1001 


348 








n 




1003 


250 






(t 251) 






1004 


251 


" 




Gallienus 


13 




1007 


254 






(t268) 






1008 
1010 
1014 


255 
957 
261 




-j 








1015 , 2(i2 












1017 ' 264 












1019 ' 266 






iarelianus 


5 




1024 


271 






(+ 275) 






1027 
1028 


274 
275 






Probus 


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1030 


977 






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1031 
1032 
1034 

1035 


278 
279 
281 
262 




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Carmus 


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186 



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I. 



Domitian als Begründer der Alimentationen. 

«Das Institut der Alimentationen ist nach dem Zeugnis des 
Aurelius Victor, das durch die Münzen eine Bestätigung erhält, von dem 
Kaiser Nerya begründet worden, der ohne Zweifel in Erinnerung seines 
italischen Ursprungs durch verschiedene Massregeln sein Bestreben 
dargethan hat, für sein gegen die Stadt Rom bis dahin ungebührlich 
zurückgesetztes Heimatsland Sorge zu tragen." So Hirschfeld, Rom. Ver- 
waltungsgeschichte, S. 114. Auch Herzog, Geschichte und System der 
römischen Staatsverfassung 2, 1, S. 337, lässt Nerva den Begründer 
dieses Institutes sein. Für seine kurze Regierung sei die Anregung 
des Planes charakteristisch. Traian habe ihn ausgeführt. Eben der Um- 
stand, dass Traian sofort nach seiner ersten Rückkehr nach Rom die 
Sache in die Hand nahm, spreche dafür, dass ein Anfang von Nerva 
gemacht war^). 

Nun hat der jüngere Plinius in seiner Heimat Comum eine ähnliche 
Stiftung begründet, über die er ep. 1, 8 näheres mitteilt*). Wie kommt 
es, fragt Herzog, dass er weder an dieser Stelle noch ep. 7, 18, wo er 
sein Beispiel einem andern zur Nachahmung empfiehlt ^) , des kaiserlichen 
Vorgangs gedenkt? Die Annahme, dass Plinius sein Thun mit dem des 
Kaisers nicht in Parallele stellen wollte, ist wenig befriedigend. Der 
Grund liegt tiefer. Er konnte sich nicht entschliessen, an eine wohl- 
thätige Massnahme Domitians zu erinnern. 

Ehe wir den Beweis antreten, dass Domitian der Begründer der 
Alimentationen gewesen ist, soll noch darauf hingewiesen werden, dass 
nichts dafür spricht, dass der Brief ep. 7, 18 im J. 107 geschrieben 
ist. Die Bücher der Plinianischen Briefsammlung sind in Gruppen her- 
ausgegeben, und in den spätem Gruppen sind früher verfasste Briefe 
enthalten. Nichts hindert anzunehmen, dass ep. 7, 18 aus derselben 



*) Victor, ep. 9: Puollas puerosqiie natos parentibus egestosis sumpta 
publico per Italiae oppida ali iussit. Vgl. die Münze bei Cohen 11 S. 142. 

^) Accedebat his causis quod non ludos aut gladiatores sed annnos 
sumptus in alimenta ingenuorum pollicobamur. Oculornm porro et 
aurium voluptates adeo non egent commendatione , ut non tarn incitari 
debeant oratione quam reprimi: ut vero aliquis libenter educationis taediom 
laboremque suscipiat, non praemiis modo verum etiam exquisitis adhor- 
tationibus inpetrandnm est. — Praesertim cum enitendimi haberemns ut 
quod parentibus dabatur et orbis probaretnr, honoremque paacomm 
ceteri patienter et expectarent et mererentor. 

') Deliberas mecum qnemadmodum pecunia quam municipibus nostris 
in epnlum optalisti post te quoque salva sit. — Equidem nihil commodios in- 
venio quam quod ipse feci. Nam pro quingentis milibiis nummum, qnae in 
alimenta ingenuorum ingenuarumque promiseram, agnun ex meis 
longe pluris actori publico mancipavi. 



Domitian als Begründer der Alimentationen. 189 

Zeit wie ep. 1 , 8 herrührt. Für die Beweisführung ist diese Frage ohne 
Belang. Sicher ist, dass ep. 1, 8 unter Nerva oder in den ersten 
Jahren Trai ans verfasst ist. Wenn aber in diesen Jahren ein Privat- 
mann in einer italischen Landstadt eine Stiftung fundiert, deren Zweck 
sich mit dem öffentlichen Institut der Alimentationen deckt, so liegt 
der Schluss unbedingt nahe, dass letzteres bereits geraume Zeit be- 
standen und sich bewährt hatte. 

UndPlinius, der in seiner Briefsammlung davon schweigt, sagt dies 
ausdrücklich in der gratiarum actio , wo ihm Domitian als Folie für den 
neuen Kaiser herhalten muss. Ein ziemlich ausführhcher Abschnitt 
26—28 handelt von Congiarien und Alimenten. Die Stelle ist reich an 
offenen und verdeckten Anspielungen auf Domitian: 

„Magnum quidem est educandi incitament um tollere liberos in spem 
alimentorum, in spem congiariorum ; maius tamen, in spem liber- 
tatis, in spem securitatis. Atque adeo nihil largiatur princeps, dum 
nihil auferat; non alat, dum non occidat: nee deerunt qui filios con- 
cupiscant. Contra largiatur et auferat, alat et occidat: ne ille 
etiam brevi tempore effecerit ut omnes non posterorum modo 
sed sui parentumque paeniteat. Quocirca nihil magis in tua tota 
liberalitate laudaverim quam quod congiarium das de tuo, alimenta de 
tuo, neque a te liberi civium, ut ferarum catuli, sanguine et cae- 
dibus nutriuntur; quodque gratissimum est accipientibus , sciunt dari 
sibi quod nemini est ereptum, locupletatisque tam multis pauperiorem 
esse factum principem tantum; quamquam ne hunc quidem. Nam cuius 
est quidquid est omnium, tantum ipse quantum omnes habet. Alio me 
vocat numerosa gloria tua: alio autem? quasi vero iam satis veneratus 
miratusque sim quod tantam pecuniam profudisti, non ut flagitii tibi 
conscius ab insectatione eins averteres famam nee ut tristes hominum 
maestosque sermones laetiore materia detineres." 

Im folgenden wird die Beziehung auf Domitian noch deutlicher: 
„Nullam congiario culpam, nullam alimentis crudelitatem 
redemisti, nee tibi bene faciendi fuit causa ut quae male 
feceras impune fecisses. Amor impendio tuo, non venia quaesita 
est, populusque Romanus obligatus a tribunali tuo, non exoratus re- 
cessit. Das Congiarium, fährt Plinius fort, habe er „gaudentibus gaudens 
securusque securis" geboten. Was andere Fürsten zur Beschwichtigung 
seiner Erbitterung dem Volke vor die Füsse warfen, habe Traian ebenso 
schuldlos gegeben, wie es das Volk entgegennahm. Hierauf geht der 
Panegyriker auf Traians Alimentationen über. Nahezu 5000 Frei- 
geborene haben die Milde des Kaisers aufgenommeii, „hi subsidium 
bellorum, ornamentum pacis publicis sumptibus aluntur, patriamque non 
ut patriam tantum verum ut altricem amare condiscunt". Aus diesen 
werden sich die Heerlager , aus diesen die Tribus ergänzen , von diesen 
werden einst Kinder ausgehen, die der Unterstützung nicht bedürfen. 

Kein Wort davon, dass Traian etwas Neues eingeführt habe. In 
immer andern Wendungen wiederholt Plinius die Invektive gegen Do- 
mitian, dass er seine Unterthanen gebrandschatzt habe, um Congiarien 
und Alimente verleihen zu können. 

Die von diesem Kaiser verliehenen Congiarien werden von Sueton 
verzeichnet. In den Jahren 83, 89 und 93, bei Gelegenheit der Feier 
des Sieges über die Chatten, die Daker und Sarmaten wurden jedem 
Römer, der Anspruch auf Teilnahme an den Getreidespenden hatte, 
75 Denare gezahlt. 

Ist aber Domitian der Begründer eines Instituts gewesen, das sich 
in der Folgezeit so segensreich entfaltete, so muss es auffallen, in der 
gleichzeitigen Litteratur, die selbst zweifelhafte Erfolge und unbedeu- 
tende Regierungsakte des Kaisers verherrlichte, keine Spur zu finden. 
Man könnte eine Beziehung auf die Alimentationen bei Statins in der 



190 Domitian als Begründer der Alimentationen. 

zweiten Silve des vierten Buches suchen. In diesem Gedichte feiert 
Statins in fünf Relativsätzen hervorragende Massnahmen des Kaisers: 
1) Die Anlage des Janustempels auf dem Forum transitorium , 2) das 
Edikt , das zu Gunsten des Ackerbaues den Weinbau einschränkte , 3) das 
Verbot der Kastration, 4) die Herstellung des Kapitols, 5) die Einrich- 
tung des cullus Flavius. Das dritte Satzglied: „Qui fortem vetat in- 
terire sexum et censor prohibet mares adultos pulchrae supplicium 
timere formae" wird gewöhnlich auf die Edikte der J. 82 und 90 be- 
zogen*), wodurch die Entmannung bezw. die Prostitution der Kinder 
verboten wurde. Diese Beziehung ist wahrscheinlich richtig. Dann hat 
der Dichter allerdings in beiden Sätzen denselben Akt hervorgehoben. 
Statins hätte sicher nicht von einer so einschneidenden Massregel, wie 
die Begründung der Alimentationen war, geschwiegen, wenn er davon 
gewusst hätte. 

Das betreffende Gedicht ist eines der jüngsten der ganzen Samm- 
lung und um das Jahr 95 herausgegeben, als der Bau der via Do- 
mitiana, die von Sinuessa nach Puteoli führte, fertig geworden war*). 

Das Fehlen einer Beziehung in der Litteratur und besonders in der 
angeführten Stelle auf die in Frage stehende Einrichtung nötigt zur 
Annahme, dass ihre Anfänge in die beiden letzten Regierungsjahre Do- 
mitians zurückgehen. Aus den Worten des Panegprikus „contra largia- 
tur et auferat, alat et occidat: ne ille iani brevi tempore 
effecerit, ut omnes non posterorum modo sed sui parentam- 
que paeniteat" möchte man schliessen, dass der Kaiser nicht lange 
vor seinem gewaltsamen Ende den Schritt gethan hat, den man als 
Begründung der Alimentationen bezeichnen kann. Dieses Werk wird 
infolge der Ächtung Domitians zunächst ins Stocken geraten sein, bis 
Nerva es dann aufnahm, ohne es erheblich zu fördern. Damit ist in 
Übereinstimmung, dass der Auszug aus Dio unter Nerva die Sache 
nicht erwähnt. Plinius würde der Verdienste Nervas sicherlich gedacht 
haben, wenn sie weit über diejenigen seines Vorgängers hinausgegangen 
wären. Diesen Schritt hat erst Traian gethan. Eine Andeutung auf die 
damals erfolgte Erweiterung der Alimentationen könnte in den Worten 
des Panegyrikus Kap. 28 gefunden werden: „Et quando maiorem 
infantium turbam iterum atque iterum iubebis incidi! augetur enim 
cotidie et crescit, non quia cariores parentibus liberi, sed quia 
principi cives." Es vergingen mehrere Jahre, ehe die Anlegung der 
Gelder in den verschiedenen Teilen Italiens abgeschlossen war. Dabei 
beabsichtigte Traian, durch Darleihung unkündbarer Kapitalien, dem be- 
drängten kleinen Grundbesitz in Italien zu Hülfe zu kommen. (Vgl. 
Hirschfeld a. a. 0. S. 114fg.) Ausgeführt wurden diese Pläne erst später'). 



^) Vgl. Silv. 3, 4: Nondnm pulchra ducis dementia coeperat orta 
iactatos servare mares; nunc frangere sexum atque liominem matare nefas. 
Martial. 6, 2. 

*) Dio 67, 14. Sueton, Dom. 15. Imhof, Der Kaiser Domitian , S. 87. 
Friedländer, Sittengeschichte 3^, S. 478. 

^) Auf die beiden Reliefs, die 1872 anf dem Forum aufgefunden 
wurden, kann hier nicht eingegangen werden. Nach Visconti und Cantarelli 
(bullettino communale 1889 p. 89) stellen sie zwei öffentliche Akte Do- 
mitians dar. Hülsen in den Mitteilungen des archäologischen Institats. 
Rom. Abt. IV 1889 S. 239—240 hält es für unmöglich, dass ein Monument 
Domitians, eines Kaisers, bei dem die memoriae damuatio so energiacli 
durchgeführt wurde, an der hervorragendsten und zugänglichsten Stelle 
des Forums unbehelligt weiter existieren konnte. 



IL 



Zu den Konsularfasten. 

1. L. Appius Norbanus Maximus war der Beweisführung von 
litterling zufolge (Westdeutsche Zeitschrift XII S. 203 fg.) im J. 88/89 
ithalter von Germania inferior. Nach bekannten Analogieen dürfte sein 
es Consulat in das J. 84 zu setzen sein. Sein zweites Consulat , das 

6, 1347 bezeugt wird, fiel ihm als Belohnung seiner glänzenden 
dienste im J. 90 zu. Vgl. Gsell, L'empereur Domitien, S. 256 u. 350. 

2. Cornelius Tacitus. Das Konsulat des Tacitus habe ich Ana- 
a historica et epigraphica Latina, S. 16, für das J. 98 in Anspruch 
ommen, weil der von Plin. paneg. 58, an einer Stelle, die sich auf 
les Jahr bezieht, als lebend bezeichnete „ter consul" niemand anders 
Verginius Rufus, derselbe, dem Tacitus als Konsul die Leichenrede 
t, gewesen sein könne. Gegen diesen Ansatz , der von angesehenen 
ehrten gutgeheissen wurde , haben E. Klebs im Rhein. Mus. 44 (1889) 
J73— 279 und Ph. Fabia, Rev. d. phil. XVII (1893) S. 164fg. mehrere 
lenken geltend gemacht, die G. Andresen in der Zeitschr. f. Gym- 
ialwesen J. B. XVI S. 289 XX S. 140 für unerheblich erklärte. Ich 
»st kann für das J. 98 nicht mehr eintreten, seitdem man weiss, 
3 auch FabriciusVeiento zum dritten Konsulat gelangte (S. u. n. 4). 
is er im J. 97 noch lebte und im Senate war, geht aus Plin. ep. 4, 

4. 9, 13, 13 und Victor ep. 12 hervor. 

3. P. Clodius, Eprius Marcellus, consul iterum im J. 74, Pro- 
sul von Asien. Über sein erstes Konsulat hat Borghesi opp. 3, 285 
336 gehandelt. Im J. 57 kehrte er aus Asien zurück und wurde nach 
:. ann. 13, 33 de repetundis angeklagt. Wäre er damals Konsul ge- 
;en, so hätte es Tacitus gewiss erwähnt. In den J. 58, 59, 60 ist 

zweite Semester besetzt. Platz ist im J. 61, für das sich auch 
ghesi entschied. 

In dasselbe Jahr kann sehr wohl das erste Konsulat des Vibius 
jpus fallen. Sein drittes gehört in das J. 83, sein zweites bekleidete 
m Anfange der Regierung Vespasians, zu deren Stützen er, einer 

reichsten Männer seiner Zeit, gerechnet werden muss. Als curator 
arum (Fontin de aq. 102) war er Nachfolger des Fonteius Agrippa, 

58; über das J. 61 herabzugehen empfiehlt sich nicht. Er erscheint 
er den Konsularen , die Martial als seine Gönner aufführt epigr. 12 , 36 : 
Dnes Senecasque Memmiosque et Crispos mihi redde sed priores. 

dazu Friedländers Commentar. 

4. Vibius Crispus und Fabricius Veiento „Lumina Nestorei 

is prudentia Crispi et Fabius Veiento potentem signat utrumque pur- 
a: ter memores implerunt nomine fastos" aus Papini Statu de hello 
manico quod Domitianus egit carmine der Scholiast des Valla. 
lahn, Rhein. Mus. 9, 627. F. Bücheier, Rhein. Mus. 39, 283 und 
respondenzblatt für Westdeutsche Gesch. und Kunst III 92 117. 

Mommsen, ebenda XII (1893) n. 64. Die Inschrift, die das dritte 



192 Zu den Konsularfasten. 

Konsulat des A. Didius Gallus Fabricius Veiento bestätigt, bezeugt auch 
seine Anwesenheit in Mainz (während des Chattenkrieges). Nach allem, was 
wir bisher von den Konsularfasten dieser Zeit wissen , können Veiento und 
Grispus sehr wohl im J. 83 untergebracht werden. Der eine von beiden 
war anscheinend der Substitut des Kaisers , der regelmässig am 13. Januar 
zurücktrat, und blieb während des ersten Nundinium mit Q. Petillius 
Rufus cos II im Amte. Der andere kann im zweiten Nundinium, am 
1. März gefolgt sein. Zu einer andern Zeit als im Anfange des Jahres 
können sie nicht fungiert haben. Dass Veiento und Vibius Grispus als 
Konsulnpaar zu behandeln sind, folgt wohl nicht aus der bei dem 
Scholiasten erhaltenen Stelle aus Statins' Gedicht ,de hello Germanico'. 



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