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U I. i\4
^arbarb CoHege Itbrarp
CONSTANnUS FUND
Bequeatlied by
Evangelinus Apostolides Sophodes
Tutor and Profmoi of Gndc
Z842-X883
For Greek, Latin, and Arabic
Liceratuie
ö
J ■
lömisches Kaisertum und Verfassung
bis auf Traian.
Eine historische Einleitung zu den Schriften
des
P. Cornelius Tacitus.
Von
Julius Asbach, d^ phii.
f^Tf" ^ " Direktor des Gymnasiums zu Prüm.
Köln, 1896.
Verlag der M. DoMoiit- Schauberg*8cheu Buchhandlung.
Druck von M. DuMont-Scbauberg.
:lt/,^/i^
NOY 7 1902
> Lh/^d-yx-Cu^/» fi/l-vx'ol/ .
Alle Rechte vorbehalten.
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f.
Vorwort-
Der Unterzeichnete hatte in frühern Jahren gehoflft, es werde
ihm einmal vergönnt sein, Persönlichkeit und Schriften des Cor-
nelius Tacitus und ihr Verhältnis zu seiner Zeit in ausführlicher
Darstellung dem Verständnis weiterer Kreise näher zu bringen.
Die Mühen seines Schulamtes und die Entfernung von einem
wissenschaftlichen Centrum haben ihn dann genötigt, die Aus-
führung dieser Absicht hinauszuschieben. Aus seinen Studien, die
in Bonn und Köln von günstigem Umständen begleitet wurden,
sind die im Historischen Taschenbuche 1886 (V) und 1887 (VI)
erschienenen Aufsätze hervorgegangen. In einer dritten Abhandlung
wurden ebenda (1888) die Grundzüge der Entwickelung des Prinzi-
pates bis zur Erhebung Vespasians dargelegt. Die erwähnten Auf-
sätze hat derselbe seitdem , soweit es die fortschreitende Forschung
nötig machte, umgearbeitet und bietet sie hier, durch eine Dar-
stellung der Monarchie der Flavier erweitert, mit Ausschluss der
Abschnitte, die von der Kunstform der Taciteischen Schriften han-
deln, von neuem dar. In dem zweiten Buche schien ein Eingehen
auf die auswärtigen Verhältnisse wegen ihrer Rückwirkung auf die
Vorgänge in Rom geboten zu sein. Die chronologischen Beilagen
sollen einer die wesentlichen Punkte zusammenfassenden Darstellung
als Ergänzung dienen.
Nachdem durch die neuen Lehrpläne der Tacituslektüre in
Prima ein breiterer Raum gestattet worden, wird es auch für den
Philologen unerlässlich sein, der politischen Seite der Historien
und Annalen , der Germania und des Agricola seine Aufmerksamkeit
zuzuwenden und sich der auch von Ranke betonten Thatsache
IV Vorwort.
nicht zu verschliesscn , dass Tacitus ^den Widerstreit der unbe-
dingten Herrschaft mit den noch obwaltenden Gefühlen republi-
kanischer Freiheit im Sinne der mit Nerva beginnenden neuen
Ära darstellt l)^^
Beim Drucke haben mich die Herren Dr. Kreuser in Prüm
und Dr. Körnicke in Mülheim a. Rh. durch ihre dankenswerte
Bemühung unterstützt.
J. A.
Prüm, den 1. Juli 1896.
«) Ranke, Weltgeschichte III 1, S. 268.
Inhalt.
Erstes Buch.
Die Entwicklung des Prinzipates bis auf die Erhebung
Vespasians S. 1 — 54
Erstes Kapitel: Der Prinzipat des Augastus . . . . S. 3
Die Monarchie des Julius Caesar S. 3. Seine Ver-
götterimg 4. Die Gründung des Prinzipates 5 fg.
Wandlungen des Augusteischen Prinzipates 6. Der
Kaiserkult 7. Bedeutung des Jahres 23 9. Behand-
lung des Konsulates — Neue Ämter 10. Die Inschrift
von Ankyra — Das Mausoleum Augusti — Thron-
folgeordnung 11.
Zweites Kapitel: Das Kaiseiimn des Tiberius . S. 12
Seine Regierungsgrundsätze S. 12. Behandlung des
Konsulates 13. Rücksicht auf den Senat 14. Zerklüf-
tung der leitenden Kreise — Der Kaiser auf Capreae —
Thronfolgeordnung 15 fg. Sturz Seians 16. Charakter
der Taciteischen Erzählung — Massloses Misstrauen in
Rom 17. Vortreflfliche Verwaltung 18.
Drittes Kapitel: Wandlungen des Prinzipates
anter Gaios und Claudius S. 18
Charakteristik des Gaius S. 18 fg. Vermessener Des-
potismus 19. Er fällt als Opfer einer persönlichen
Rache 20. Neue Hoffnungen des Senates 19. Ge-
waltsamer Ursprung der Herrschaft des Ti. Claudius
20. Seine Persönlichkeit — Behandlung des Konsulates
21. Beziehungen zum Senate 22. Das Schalten seiner
Freigelassenen 23. Grossartige Bauten 23. Thron-
folgeordnung 24.
Viertes Kapitel: Neros Anfänge und Seneca als
Reichsverweser S. 26
Senecas Zurückberufung S. 27. Seneca als Theo-
retiker des Prinzipates 27 fg. Verehrung des Cato 28.
Sein Ideal ist die gerechte Monarchie 29. Nero
VI Inhalt.
regiert nach dem Vorbilde des Augustus 30. Kampf
zwischen Agrippina und Nero 31. Der Muttermord 32.
Tod des Burrus 33.
Fünftes Kapitel: Neros Tyrannis S. 33
Verherrlichung Catos in der Pharsalia Lucans S. 33.
Der grosse Brand und die Christenverfolgung 34. Die
Pisonische Verschwörung 35. Ächtung der stoischen
' Philosophen 36. Nero als "Wagenlenker und Kitha-
röde in Griechenland 37.
Sechstes Kapitel: Die Schilderhebimg des Yindex^
Neros Untergang und Oalbas Anfang S. 38
Stimmung in Rom 8. 38. Lage der gallischen Pro-
vinzen 39. Herkunft des Julius Vindex 40. Protest
gegen Neros Misswirtschaft, nicht gegen die Monarchie
41. Verbindung mit Galba 42. Galba legatus senatus
populique Romani 43. Neros Ende 45.
Siebentes Kapitel: Oalba und Otho S. 46
Quellen S. 46. Rücksichten Galbas auf den Adel 47.
Seine Grausamkeit und Habsucht — Einfluss der Frei-
gelassenen 47. Adoption des Plso Licinianus 48.
Erhebung Othos, Tod Galbas 40. Persönlichkeit und
Ende Othos 50.
Achtes Kapitel: Yitellius und Yespasiau S. 50
Die Persönlichkeit des Vitellius im Berichte des Ta-
citus S. 50. Unrömisches Regiment 51 fg. Anknüpfung
an Nero 52. Erhebung Vespasian.s; Zeichen und
Wunder 53 fg.
f*^
Zweites Buch.
Die Monarchie der Piavier S. 55 — 1 19
Erstes Kapitel: Die Beendigung des Bürgerkrieges
und Yespasians Buckkehr nacli Born S. 57
Erfolge des Antonius Primus — Erste Schlacht bei Be-
driacum S. 57. Vertrag zwischen Flaviiis Sabinus und
Vitellius — Brand des Kapitols, Untergang des Sabinus
und Vitellius 58. Mucianus Ankunft in Rom und Her-
stellung der Ordnung 59. Verhandlungen im Senate
60. Sieg der gemässigten Richtung 61. Lex de im-
perio Vespasiani 62. Charakteristik VespaHians 63.
Zweites Kapitel: Begierunirsweise Yespasians und
Mitregentschaft des Titus S. 64
Andere Behandlung des Konsulates S. 64. Grosse
Stellung des Titus nach der Einnahme Jerusalems —
Inhalt. VII
»Spannung zwischen Vespasian und Titus 66 fg. Mit-
regentschaft des T. Caesar imp. Yespasianus 67. Do-
mitian verbleibt in der zweiten Rolle 68.
Drittes Kapitel: Sicliening und Erweiterimg der
Reidisgrenzen S. 09
Unterwerfung Britanniens S. 69. Die Argonautica des
Verrius Flaccus 70. Erfolge am Kheine 71. Sicherung
der Donaugrenze , Verwicklung mit den Parthern 71 fg.
Viertes Kapitel: Das Werk des Neubaues im Innern) S. 72
Vorbild des Augustus und Claudius S. 73. Censur
des Vespasian und Titus , Erneuerung des Senates aus
angesehenen Provinzialen 73. Ausdehnung des la-
tinischen Rechtes über ganz Spanien 74. Erweiterung
des Pomeriums — Das neue Rom 75. Ordnung der
Finanzen 76. Förderung der Wissenschaften 77.
Besserung der Sitten 78.
Ffinftes Kapitel: Yespasians Ausgang S. 79
Die Dramen des Guriatius Maternus; die Opposition
der Stoiker — Hinrichtung des Helvidius Priscus S. 79.
Verschwörung des A. Caecina — Vespasians Ende 80.
Sechstes Kapitel: Des Titus Selbstherrschaft ... S. 81
Glückliche Enttäuschung der Römer — Charakteristik
des Titus S. 81 fg. Hat er die Thronfolgeordnung
seines Vaters geändert? 82. Spannung zwischen Titus
und Domitian 83. Bestrafung der Delatoren, Gepränge,
Luxus und Spiele 84. Gehäuftes Unglück 85. Krank-
heit und Tod des Titus 85 fg.
Siebentes Kapitel: Domitians glückliche Anfänge S. 86
Wert der Überlieferung S. 86 fg. Charakteristik Do-
mitians 87. Löbliche Massnahmen 89. Zurückberufung
des Agricola aus Britannien, der Chattenkrieg und
die Erwerbung bedeutender Landstriche auf dem
rechten Rheinufer — Verschärfung der monarchischen
Gewalt 90. Ihre Repräsentation 91. Grossartige Bau-
thätigkeit 92. Statuen, Triumphbogen, Ehren 93.
Reichsverwaltung und Rechtsprechung 94. Finanzver-
waltung, die Freigelassenen 95. Säkularspiele 96.
Achtes Kapitel: Die grosse Krisis S. 96
Kämpfe an der Donau S. 97. Sieg des Tettius Ju-
lianus über Decebalus — Empörung des L. Antonius
Saturninus 98. Der zweite Chattenkrieg und der
Doppeltriumph de Cattis Dacisque 100. Neue Ehren —
Der Suebisch-Sarmatische Krieg 101 fg.
Neuntes Kapitel: Feindliehe Strömungen S. 102
Ursprung und Entwicklung der Opposition gegen den
Prinzipat S. 102 fg. Charakteristik der stoischen
VIII Inhalt.
Philosophen 104. Befrinn der Schreckensherrschaft
Domitians 105. Hinrichtung des Senecio, Helvidius
Priscus und Arulenus Rusticus 106. Vertreibung der
Philosophen und Ausweisunfr der Astrologen 107.
Domitians gesteigerte Grausamkeit 108.
Zehntes Kapitel: FinanznotimdChristenyerfolgiiiigS. 109
Äussere Rücksichten auf den Senat — Bau der via
Domitiana und Begründung der Alimentationen S. 109.
Erschöpfung der Finanzen 110. Mittel zur Abhülfe
111. Massregeln zum Schutze des alten Götterglau-
bens 112. Bekämpfung des in die kaiserliche Familie
eingedrungenen Christentums 112. Domitian der Anti-
christ 113.
Elftes Kapitel: Domitians Ende nnd das Ergeb-
nis seiner Begiernng S. 1 14
Hat Domitian am Verfolgungswahn gelitten ? S. 114. Ver-
schwörung der Freigelassenen und Ermordung des
Kaisers 115. Verhalten des Senates 116. Erhebung
des Nervas 116. Ergebnis der Regierung Domitians 117.
—*^
Drittes Buch.
Nerva, Traian und Cornelius Tacitus S. 119 — 169
Erstes Kapitel: Der Prinzipat des Nerva S.121
Unzufriedenheit der Soldaten nach Domitians Ermor-
dung, Vergewaltigung Nervas S. 121. Adoption
Traians 122. Massbaitang der Regierung in der Be-
strafung der Delatoren 123. Fabricius Veiento als
Gegner des Plinius im Prozesse des Publicius Certus
124 fg. Nerva führt Domitians Alimentar-Institutiou
weiter 126. Konsulat des Tacitus und Tod des L.
Verginius Rufus 127.
Zweites Kapitel: Lebensyerhältnisse des Tacitus S. 127
Dürftigkeit der Nachrichten S. 127. Benutzung seiner
Schriften im Altertum 128. Tacitus* politische Lauf-
bahn 129. Wo weilte er nach seiner Prätur? — Seine
Haltung in den letzten Jahren Domitians 130.
Drittes Kapitel: Die Lebensbeschreibung des
Agricola S. 131
Einleitung S. 131 — Agricolas Mässigung 133. Gründe
seiner Abberufung 134. Rechtfertigung seiner Haltung
unter Domitian — Allgemeine Gedanken in der Rede
des Calgacus 135. Der Epilogus — Anlehnung an
Seneca 136. Verwandte Schriften 137.
Inhalt. IX
Viertes Kapitel: Die Germania des Tacitus ... .S. 137
Zeit der Abfassung S. 137. Traian am Rheine 139.
Vestricius Spurinna im Lande der Brukterer 140.
Selbstbeschränkung des Kaisers 141. Bedeutung des
37. Kapitels 142. Vorgänge an der Donau — Die
Sueben 143. Titel und Einleitung sind verloren 144.
Die Quellen 145. Stellen, an denen Gegensätze gegen
römisches Leben absichtlich hervorgehoben werden
146 fg. Anlehnung an Seneca 148.
Ffinftes Kapitel: Traian, Tacitns and Plinins . .S.148
Traians Rückkehr nach Rom — Äussere Verhältnisse
des Tacitus 148 fg. Tacitus und Plinius 149 fg. Zeit
der Herausgabe der Historien 151. Beifall der Zeit-
genossen 152. Abfassungszeit der Annalen 153.
Sechstes Kapitel: Tacitus' politisclier Standpunkt
in den Historien und Annalen S. 154
Der Panegyricus des Plinius 154. Traians Entgegen-
kommen gegen den Senat 154 fg. Einleitung der
Historien 155. Vergleich der Historien mit dem Pane-
gyricus 156. Die persönliche Tüchtigkeit des Herr-
schers wird durch das Aufgeben der Erbfolge und die
Adoption des Nachfolgers verbürgt 157. Tacitus ist
Monarchist 158. Er verabscheut die Delatoren 159.
Senat und Ritterstand 162. Ursprung der Alleinherr-
schaft 162 fg. Die beste Staatsform ist undurchführ-
bar — Vergleich mit andern Historikern 164. Warum
ist Tacitus von der Absicht, die Geschichte des Nerva
und Traian darzustellen, zurückgekommen? 165. Seine
Geschichtsauffassung wird von den Begriffen „Freiheit
und Macht" beherrscht 166 fg.
-•♦»-
Zeittafel S. 168—180
Tafel der Kaiserkonsulate S. 181—185
Stammbaum der Piavier imd Traians S. 186—187
Beilagen S. 188—192
•>*<♦
Berichtignngen:
S. 124 Z. 4 V. u. lies: hatte Publicius Certus.
S. 126 A. 3: snblata.
S. 146 Julius Frontinus war 70 als Legat in Germanien, wiederum 83 während des
Chattenkriegs.
Erstes Buch.
Die Entwicklung des Prinzipates bis auf
die Erhebung Vespasians.
i*-#->
A ab ach, Kaiaertmn and Verfaisung.
ERSTES KAPITEL.
Der Prinzipat des Augustus.
Auf die Botschaft von der pharsalischen Schlacht und dem
Untergänge des Pompeius fassten Senat und Volk Beschlüsse,
deren Ausführung das Ende der republikanischen Staatsform
bedeutete. Sie übertrugen dem Julius Caesar die Entscheidung
über Krieg und Frieden, das Konsulat auf fünf Jahre, die
tribunicische Gewalt auf Lebenszeit und die Diktatur ohne
zeitliche Begrenzung. Neue , unerhörte Ehren fielen dem Sieger
von Thapsus und Munda zu: er ward als Vater des Vater-
landes begrüsst, zum Diktator auf Lebenszeit und zum Konsul
auf zehn Jahre ernannt. Das Wichtigste von allem aber war
das Zugeständnis, dass er den Imperatortitel dauernd führen
und auf seine Nachkommen vererben solle. Es enthielt nämlich
die Anerkennung einer Macht, die im Gegensatz gegen den
Senat durch die Waffen der Legionen emporgekommen war.
Zu ihrer äussern Vertretung sollte ihr Träger das Recht
haben, im triumphalen Purpurgewande mit dem Lorbeer-
kranze zu erscheinen y Münzen mit seinem Bildnis zu prägen
und in der Kurie auf goldenem Sessel zu sitzen. Der Senat
musste sich mit der Stellung eines Reichsrates begnügen;
alle Machtfülle vereinigte Caesar in seiner Hand; er schaltete
wie ein König in Rom, mochte er auch das Diadem zurück-
weisen und in den Fasten die Thatsache verzeichnen lassen,
dass der Diktator auf Lebenszeit von der Königswürde, die
ihm der Konsul auf Wunsch des Volkes angetragen, nicht
habe Gebrauch machen wollen. Aber ehe der gewaltige
Mann den Bau seiner auf die Hoheit des römischen Volkes,
die Waffen einer siegreichen Armee und die Zufriedenheit der
zum erstenmal zur Freiheit und zu menschenwürdigem Dasein
berufenen Provinzen gegründeten Monarchie vollendete, war
er den Dolchen kurzsichtiger Verschworenen erlegen.
Während seiner Bestattung zeigte sich ein Komet am
Himmel; die erregte Phantasie der Römer sah in dem leuch-
4 Erstes Bach.
tenden Gestirn den zu den Göttern emporschwebenden Divus
Julius. Das Motiv, das in der Seele des Lebenden wirksam
gewesen war, hatte sich zu einer volkstümlichen Überzeugimg
ausgebildet: ein verheissungsvolles Schicksal habe das von
Julus, dem Enkel der Venus, abstammende Julische Haus
auserkoren, die Geschichte Roms einzuleiten und zu voll-
enden; aus troianischem Geblüte werde der Held hervorgehen,
der berufen sei, den Geist der Zwietracht zu bändigen und
die Zeit des Weltfriedens heraufzuführen.
Vorübergehend gewann der Senat noch einmal den alten
Einfluss zurück; aber seine Unfähigkeit zu regieren trat von
neuem zutage, und nun rissen die Sieger von Philippi die
Alleinherrschaft an sich und teilten sich in Caesars Erbe. Die
staatsmännische Begabung des Vaters ist auf den Adoptiv-
:sohn übergegangen, der, fast noch ein Jüngling, es verstand,
der schwierigsten Verhältnisse Herr zu werden. Caesars feurige
Kraft, die Lust an kühnem Wagnis findet sich in Marc Anton
wieder. Auch die orientaUschen Entwürfe des Diktators hat
-dieser sich angeeignet. Er hat den Partherkrieg geführt, den
jener geplant, und, soweit es das Genussleben erlaubte, für
die Selbständigkeit und führende Rolle des Ostens, für eine
Idee gewirkt, die erst nach Jahrhunderten ins Leben treten
sollte. Unterdessen führten Caesar und Agrippia erfolgreiche
Kriege im Westen, vernichteten die Reste der Pompeianer,
setzten den Aemilius Lepidus matt und bereiteten den ent-
scheidenden Schlag vor, der bei Aktium die Hoffnungen der
Morgenländer zerstörte und die staatliche Einheit der Mittel-
meervölker rettete.
Am 1. August des Jahres 30 v. Chr. hielt der Sieger
seinen Einzug in Alexandria, machte das Pharaonenreich zu
einer römischen Provinz und fügte sie als letztes , wichtigstes
Glied in die Kette der das Mittelmeer umspannenden Länder
ein. Das römische Reich bildete jetzt eine geographische Einheit.
Von Ägypten war C. Caesar als Alleinherrscher nach Rom
zurückgekehrt, von Ägypten zog der jüngere Caesar, von dem
Dichter gefeiert als Sieger über die Titanenbrut und als Bän-
diger der entfesselten Gewalten der Revolution, als Nach-
folger und Rächer seines Vaters in die Hauptstadt der Welt
. ein, und mit ihm kamen aus dem Osten neue Staatsformen;
an die Stelle des unpersönUchen Senatsregiments trat das
persönliche des ersten Bürgers i).
^) Th. Mommsen, Der Rechenschaftsbericht des Augustus. Histo-
rische Zeitschrift N. F. XXI, S. 385. Vgl. O. Hirschfeld, Römische
Verwaltungsgeschichte I, S. 284 fg. n. Die ägyptische Polizei der röm. Kaiser-
zeit, Sitzungsberichte der preuss. Akademie der Wissenschaften XXXIX
(1892) 8. 823.
1. Der Prinzipat des Aagustus. 5
Im J. 32, nachdem das Triumvirat abgelaufen war, hatten
Senat und Volk in Rom, die Bevölkerung Italiens und der
westlichen Provinzen in Anerkennung des vorhandenen Not-
standes dem Caesar den Eid des Gehorsams geleistet, der
ihn zum unumschränkten Gebieter über das Reich und alle
seine ünterthanen erhob. Auf diese Gewalt hat er erst nach
völliger Beseitigung der inneren Wirren verzichtet, indem er
in den Jahren 28 und 27 einzelne Verwaltungsgebiete stück-
weise an Senat und Volk, die sich früher ihrer Rechte ent-
äussert hatten, zurückgab. Im Einvernehmen mit dem neu-
geschaffenen Senate ordnete er die Reichsverwaltung. Was
die Hauptsache war, er übernahm zunächst auf zehn Jahre
ein auf die grössten Provinzen, in denen eine Heeresmacht
stand, beschränktes Kommando, in ununterbrochener Folge
das Konsulat und das ius auxilü, wie es die Tribunen aus-
geübt hatten 1).
Sein treuer Gehülfe bei diesem Werke war M. Agrippa,
der in jenen entscheidenden Jahren zweimal nacheinander
das Konsulat bekleidete. Auf die gemeinsame Herrschaft des
Prinzeps und des Senates haben diese Männer die neue Ver-
fassung gegründet. Der Senat teUte sich mit dem Regenten
in die Verwaltung ItaUens und der Provinzen. Jener liess
sie durch seine auf ein Jahr bestellten Prokonsuln, dieser
durch seine Legaten ausüben. Er teilte sich mit dem Regenten
in die Gesetzgebung und die Leitung der auswärtigen An-
gelegenheiten; ihm fiel die Kriminalgerichtsbarkeit und die
Ausmünzung des Kupfers zu.
Der Ritterstand , der seine Verwendung in der Verwaltung,
besonders der kaiseriichen Provinzen, fand, erwies sich bald
als eine zuverlässige Stütze des Thrones. Auch Ägypten,
welches eine dem Reichtum seiner Mittel , der Unzuverlässig-
keit seiner zahlreichen Bevölkerung und der Bedeutung seiner
geographischen Lage entsprechende Sonderstellung einnahm,
war einem ritterhchen Beamten unterstellt, der den Namen
praefectus führte. Im Heeresdienste konnte ein Ritter bis
zum Kommando der Garde emporsteigen.
Eine einschneidende Veränderung erfuhr der Prinzipat im
J. 23. An Stelle des Konsulats übernahm Caesar unter
gleichzeitiger Veränderung im militärischen Kommando die
^) über diese Verhältnisse ist ausser. Mommsens Staatsrecht die
Dissertation von Joh. Kromayer, Die rechtliche Begründung des Prin-
zipats (Marburg 1888) einzusehen. Von den daselbst angeführten Stellen
. sind besonders wichtig: Tacitns, ann. 1, 2: Posito triumviri nomine (Ende 33)
consulem se ferens (31 — 23) et ad tuendara plebem tribunicio iure conten-
tum und Monum. Ancyr. 6, 13: Per consensum universorum [potitus rerum
omnjium rempublicam ex mea potestate in senat[us populique Romani
ajrbitrium transtuli.
6 Erstes Buch.
volle tribunicische Gewalt und mit ihr den Namen in seine
Titulatur. Er besass fortan das Recht der Intercession und
der Verhandlung mit Senat und Volk, ein Recht, das in den
folgenden Jahren durch üebertragung von Spezialbefugnissen
noch erweitert wurde. Aus der Stelle als ordentUcher
oberster Gemeindebeamter ist er nach Niederlegung des Kon-
sulates zurückgetreten, das als höchste Staffel der alten Ver-
fassung weiterbesteht. Diese Form des Prinzipates schien
ihrem Schöpfer so vollkommen, dass er in den nachfolgenden
36 Jahren seiner Regierung nichts WesentHches mehr daran
geändert hat.
Wie nur dem Prinzeps und seinem Mitregenten das Recht,
ihr Bildnis auf die Münzen zu setzen, zusteht, so vereinigt
jener, thatsächlich niemanden verantwortlich, alle Staats-
hoheit in seiner Person. Der Prinzeps ist der alleinige Ver-
treter der Volkssouveränität, als Imperator verfügt er über
die gesamte neu organisierte Streitmacht. Heer und Volk
sind die Pfeiler, auf denen seine Macht beruht.
Will man weit auseinanderliegende Dinge, absehend von
der Verschiedenheit der Zeiten und Nationen, vergleichen, so
steht der römische Prinzipat in der Mitte zwischen der grie-
chischen Tyrannis, die sich auf den Trümmern der Macht
der edlen Geschlechter erhebt und, gestützt auf ein stehendes
Soldheer und den emporstrebenden Demos , nicht zum wenig-
sten durch die Persönlichkeit des Herrschers die bestehende
Verfassung lahm legt, und andererseits dem Kaisertum der
Bonaparte, das als Quelle seiner Gewalt grundsätzlich die
Hoheit des Volkes anerkennt, seine Wurzeln in den breiten
Schichten der bäuerlichen und arbeitenden Bevölkerung
hat und auf ein schlagfertiges, vom Ruhme genährtes Berufs-
heer sich stützt. Eine schrankenlose, unbestimmte Gewalt
sahen wir die Napoleoniden ausüben. Schrankenlos und un-
bestimmt war auch die Machtstellung des Prinzeps, wenn
auch jedes einzelne ihm vom Senate übertragene Amt wohl
umgrenzt war^). War es ihm doch gestattet, alles was er im
Interesse des Staates für nötig hielt, alle religiösen und pro-
fanen Verhältnisse nach seinem Gutdünken zu ordnen. Ein
römischer Kaiser durfte sich Dinge erlauben, wie man sie
bei den Despoten des Ostens gewohnt war. „Dem Caesar ist
alles gestattet; er ist der Besitzer der Welt* 2). Und doch
könnte derselbe Seneca, von dem dieses Wort herrührt, die
*) Vgl. die verständigen Ausführungen bei Kroraayer, a.a.O. S. 42:
„Die Stellung des Herrschers zum Konsulat hat nicht zum wenigsten zu
jener Zwittergestalt beigetragen, welche dem Prinzipat der ersten Jahr-
hunderte eigen ist."
*j Seneca, Ad Polybium 13.
1. Der Prinzipat des Augustos. 7
Verfassung Roms als eine freie bezeichnen. Richtiger würde
er sie zu den gemischten Verfassungen rechnen. Der Prin-
zeps ist König ohne Scepter und Diadem; seine Herrschaft
ist aus dem Kampfe der Populären gegen die Miss Wirtschaft
einer aristokratischen Regierung und aus der Erhebung der
Provinzen gegen die Herrschaft einer Stadtgemeinde hervor-
gegangen.
Die Nobilität ist nicht beseitigt, aber ihre Macht unschäd-
lich, weil sie diese mit einem Höhern teilen muss, von dem
ihr Thun und Lassen im Interesse des Ganzen überwacht
wird. Die Staatskunst des Augustus war ehrlich bemüht,
ein festes Band zwischen dem Monarchen und der Aristo-
kratie zu schaffen und beide in den Dienst des Staates zu
spannen. Rasch und sicher wuchsen die Keime, die er in
das Erdreich gesenkt hatte, zu einem lebensvollen Baume.
Sein Werk ist eine der reifsten und durchdachtesten Schöpfun-
gen staatsmännischen Geistes, das Werk eines echten Poli-
tikers, den nicht Theorien, sondern die harte Zeit gebildet
hatte, der sich der Grenzen seines Könnens wohl bewusst
war und diese einhielt.
Niemals ist es ihm in den Sinn gekommen, etwas ganz
Neues an die Stelle des Alten zu setzen. Er hat vielmehr
bei den verschiedenen Wandlungen, die die Form seiner
Herrschaft erfahren, aus frühern Phasen dasjenige herüber-
genommen, was ihm für den Bestand seiner Machtstellung
von Bedeutung und mit den Einrichtungen eines Freistaates
vereinbar schien i).
Indem er den Zusammenhäng mit der Vergangenheit nicht
zerriss .und den historischen Charakter des Staates mit den
monarchischen Ideen in Einklang setzte , hat er seinem Werke
für drei Jahrhunderte Dauer verliehen.
Wie Caesar, so war der Erbe seiner Pläne von der gött-
lichen Mission seines Geschlechtes überzeugt. Auch in seiner
Seele lebte die Vorstellung von einem uralten Ansprüche des
Julischen Hauses auf die Beherrschung der Mittelmeervölker,
deren Geschicke durch göttliche Einwirkung seit etwa einem
Jahrtausend einen Gang eingeschlagen hätten , der die Spröss-
linge des Aeneas zur Herrschaft prädestinierte. Der Mythus,
in den entsprechend den Anschauungen des Altertums dieser
Glaube sich kleidete, empfing jetzt seine abschliessende
Gestalt. Der Prinzeps hatte das Glück, dass einem seiner
Lieblingsgedanken Erfüllung wurde. Die tiefe, von der Vor-
sehung gewollte Verflechtung der Geschicke der julischen
Familie mit denen des römischen Volkes und die Familien-
*) Kroraayer, a.a.O. S. 43.
8 Erstes Buch.
traditionell seines Geschlechtes selbst wurden durch den dem
Hofe nahestehenden, für seine italische Heimat begeisterten
Vergilius Maro von dem Glänze der Dichtung verklärt und
zur Grundlage seines nationalen Epos gemacht.
Der Senat hatte den Herrscher mit dem Namen Augustus
(Seßaoxög), der ihn als geheiligtes Wesen bezeichnete, im
Jahre 27 begrüsst. Dieser Caesar Augustus wird das gol-
dene Zeitalter begründen und die saturnische Ära in Latium
erneuem; er wird das Reich über die Garamanten und
Inder hinaus ausbreiten. Handel und Wandel werden ge-
deihen, ohne Fährlichkeit schreitet der Stier vor dem Pfluge,
segeln die Schiffer durch das Meer, und in die Häuser ist
Zucht und Ehrbarkeit zurückgekehrt. Ilion, das Rom der
Vergangenheit, ist dahin, der Neugründung des Romulus-
Quirinus gehört die Zukunft. ^Sofern nur zwischen Rom
und Ilion das Meer brandet, mögen die Heimatlosen allerorts
gebieten und siegreich bis zu den Grenzen des Erdkreises
vordringen,^ Aber wehe ihnen, wenn sie Ilion wieder auf-
bauen, wenn sie zu dem Rom der Optimatenzeit zurück-
kehren. Dann würde Troias Geschick, und sollte es dreimal
sein, sich in Blut und Thränen wiederholen.
Die Mannheit des jungen Römers soll sich fortan nicht
allein im Felddienste und im Gewühle der Schlacht bekunden,
sie meidet auch das Treiben auf dem Forum , sie wahrt sich
ihre Unabhängigkeit von der Laune der Volksgunst und übt
gefahrlos die Tugend „der treuen Verschwiegenheit* i).
Schon im J. 30 nach der. Unterwerfung Ägyptens hatte
der Senat beschlossen, dass jedermann dem Herrscher bei
der Mahlzeit Weihegüsse widmen solle*). Der Genius Augusti
tritt in die Reihe der Lares public! ein. Die Laren an den
Kreuzwegen werden durch die Dreiheit der Lares domus
Augustae und des Genius Caesaris ersetzt. Nur in dieser
Form gestattete er zunächst seinen römischen Unterthanen
die Verehrung seiner Person, während im Orient, wo seit
uralter Zeit die Regenten göttliche Ehren genossen, ihm längst
Opferaltäre dampften.
Die Dichter gingen auf diese Absichten bereitwilligst ein.
Sie feierten den Nachkommen des Anchises, den Sprossen
des Saturnus, den Sohn des divus Caesar als menschgewordenen
^) Vergil, Aeneis 6 791 und Kiessling zu Horaz Oden, III 1 — 6.
Sueton, Aag. 7. Auch O. Jäger, Nachlese zu Horatius (1887), der die
Fülle der bei dem Dichter sich findenden politischen Anspielungen betont.
«) Dio51, 19und A.Kiessling zu Horaz IV, 5. Vgl. O. Hirschfeld,
Zur Geschichte des röm. Kaiserkultes, Sitzungsberichte der preuss. Aka-
demie der Wissenschaften XXXV (1888) S. 838.
1. Der Prinzipat des Augustus. 9
Gott. Bald heisst er der vom Himmel herabgestiegene Mer-
curius: der Gott, dem die neugeschaffenen Menschen die
Elemente der Bildung verdankten, schirmt nun auf Erden den
Frieden und vollendet die Mission des römischen Volkes.
Bald galt er als ,augur Apollo*, dem Juppiter die Rolle zu-
geteilt, die Blutschuld der Bürgerkriege zu sühnen und als
Augustus das neue Zeitalter zu augurieren.
In spätem Jahren seiner Regierung hat er dann in Italien
in denjenigen Gemeinden, die er gegründet oder unter seinen
besondem Schutz genommen hatte, sich göttliche Verehrung
in aller Form gefallen lassen. Feste Gestalt gewann der
Kaiserkult frühzeitig in den romanisierten Provinzen des
Westens. In Tarraco, Lugudunum und dem Oppidum übio-
rum versammelten sich die Provinzialen am Altare des
Augustus, um seinem Genius zu opfern oder gemeinsame
Angelegenheiten zu beraten. So war der Dienst der Roma
und des kaiserlichen Genius eine neue Staatsreligion geworden,
durch die die Stämme an Rhein und Rhone, an Donau und
Euphrat verbunden wurden.
Man darf, wenn man diesen Vorgang verstehen will, nicht
vergessen, dass die Gemüter durch Prophezeiungen einer
bevorstehenden Palingenesie des goldenen Weltalters erfüllt
waren und diesen gerade die Besten ihr Ohr liehen. Im
J. 23 V. Chr. war der 440jährige Cyklus abgelaufen, und die
Sprüche der Sibylle verhiessen den Anbruch eines besseren
Zeitalters. Augustus trug sich mit der Absicht, durch einen
Akt religiöser Weihe, durch die Feier der Säcularspiele , die
Neuordnung der Verfassung auch äusserlich abzuschliessen.
Zwar durchkreuzte der unerwartete Tod des Thronerben
Marcellus seine Absichten, aber mit der Sommersonnenwende
des Jahres 23, mit dem 26. Juni, liess er die neue Ära be-
ginnen. Die Rücksicht auf die religiöse Bedeutung, welche die
Agyptier der Sonnenwende beilegten, bestimmte den Kaiser
sich für diesen Tag zu entscheiden, mit dem auch für Ägyp-
ten eine neue Zeitrechnung ins Leben trat. Mit dem Neu-
jahrstage des neuen Säculums beginnt die Zählung der tribu-
nicischen Kaiserjahre. Die Konstituierung des Prinzipats fand
in diesem Akte und den Säcularspielen des Jahres 17 ihren
Abschluss. Im J. 2 v. Chr. begrüsste der treu ergebene
Senat den Kaiser als Vater des Vaterlandes, ein Titel, der
nicht bloss eine Ehrenauszeichnung sein sollte, sondern seinen
Träger wiederum als ein göttliches Wesen, als den Genius
des Reiches bezeichnete. Schon wandelte dieser kühner auf
der Bahn der Alleinherrschaft.
Nach der Regellosigkeit, mit der in der Zeit des Trium-
virats das Konsulat auf bald kürzere, bald läw%^^^ ^yv^Xk^
10 Erstes Buch.
verliehen worden, war Caesar mit dem J. 29 zu dem Jahres-
konsulat zurückgekehrt, das bis zum J. 5 v. Chr. Regel blieb
und fast ausnahmslos den Vertretern der grossen Geschlechter
zufiel.
Dann schwankte der Brauch bis zum J. 1 v. Chr. Seitdem
ist die republikanische Ordnung zu Grabe getragen und das
semestrale Konsulat die Regel, während das Jahreskonsulat
nur Mitgliedern des kaiserlichen Hauses als Auszeichnung
verliehen wird. Die Einführung dieser neuen Ordnung steht
ohne Frage mit andern Massregeln des Kaisers im Zusammen-
hang, durch welche die Macht der Aristokratie weiter ge-
schwächt und die Stellung des Prinzeps auf Kosten des Senats
befestigt wurde. Den alternden Regenten veranlasste nicht
allein das Scheitern seiner dynastischen Pläne und die Ver-
bitterung über die entarteten Sprossen seines Hauses, die
Zügel der Regierung fester zu fassen, sondern auch das
Treiben der Opposition, die in dem letzten Drittel seiner Re-
gierung kühner das Haupt erhob, hatte seine Entschliessungen
beeinflusst. Denn nicht aller Sache war es, die von Öoraz
empfohlene Tugend patriotischer Resignation gegenüber der
monarchischen Ordnung der Dinge zu üben.
Für die wichtigsten Zweige der Verwaltung wurden neue
Ämter gegründet, deren Besetzung ihm ebenso unbedingt
zustand wie die Verfügung über die öffentUchen Kassen,
speziell über das neu errichtete aerarium militare, wodurch
das Verfügungsrecht des Senates über die Staatsgelder em-
pfindlich getroffen wurde. Durch Notstände der verschiedensten
Art sah Augustus sich genötigt, für die wichtigsten Zweige
der hauptstädtischen und italischen Verwaltung neue Ämter
zu schaffen; für das Verpflegungswesen, die Wasserleitungen
und ÖffentUchen Bauten, für die grossen italischen Chausseen
wurden zunächst in Gemeinschaft mit dem Senate Kuratoren
bestellt. Nach diesen vorläufigen und halben Massregeln ent-
schloss sich Augustus auf Bitten der von Bränden und Hungers-
not heimgesuchten Bürgerschaft, die Sorge für das Lösch-
wesen, für die Sicherheit und Verpflegung von Rom selbst
in die Hand zu nehmen und nach dem Vorbilde ägyptischer
Behörden in Alexandria den praefectus vigilum und den prae-
fectus annonae mit seiner Stellvertretung zu beauftragen.
Eine musterhafte Verwaltung trat an die Stelle der Misswirt-
schaft dos Senats, der sich seiner Aufgabe nicht im ent-
ferntesten gewachsen gezeigt hatte ^). Gleichzeitig ward nicht
nur das Ansehen der grossen Ämter herabgesetzt , indem ihnen
») Vgl. O. Hirschfeld, a.a.O. S. 284. — Sueton, Aug. 37.
1. Der Prinzipat des Aug^stiis. 11
wesentliche Befugnisse entzogen wurden, sondern auch die
Bedeutung des Ritterstandes , dem der grössere Teil der vom
Kaiser abhängigen Beamten entnommen war, wurde gehoben.
Augustus ist der .zweite Stifter der römischen Monarchie.
Klar und mannhaft bis zu seinem Ende, ruft er die umstehenden
Freunde als Zeugen, dass er schicklich und würdevoll den
letzten Akt des Lebens abgeschlossen habe. Von seinen
politischen Erfolgen erzählt die grosse Inschrift von Ankyra,
die Mommsen mit der persepolitanischen Inschrift des Darius
und andern monarchischen Geschichtserzählungen treffend
vergleicht 1). ^Die Veröffenthchung der politischen Verrich-
tungen des Schöpfers der römischen Monarchie zu ewigem
Gedächtnis in der Hauptstadt des Reichs ist ein integrierender
Teil dieser Schöpfung selbst." Ihr allein verdanken wir das
Verständnis für einen der wichtigsten Akte der allgemeinen
Geschichte. Zwar hat Dio Cassius die Begründung der neuen
Staatsordnung eingehend und planmässig zu erläutern gesucht;
aber nicht nur wird in der Rede des Maecenas die Verfassung
der eigenen Zeit, der regenerierte Prinzipat des Severus
Alexander, geschildert, sondern auch in die Erzählung eine
künstliche Konstraktion eingeführt, die den Autor in zahl-
reiche Widersprüche mit dem ankyranischen Monument ver-
wickelt.
Erinnert der Rechenschaftsbericht des Augustus an die
monumentale Geschichtsschreibung der Monarchien des Ostens,
so legt seine Grabstätte die Erinnerung an das Königsgrab
der Ptolemäer nahe. Denn nach seiner Rückkehr aus Ägyp-
ten hatte er noch in dem Jahre, in welchem die Auseinander-
setzung mit dem Senat erfolgte, für sich und sein Haus auf
dem Marsfelde als Grabstätte ein Mausoleum eingerichtet,
dessen Trümmer noch heute von der monarchischen Herrlich-
keit des Augustus Zeugnis ablegen 2).
Die Nachfolge wurde von ihm endgültig so geregelt wie
von einem, der das Recht dazu hat^). Er hatte seine Enkel
Gaius und Lucius als Thronfolger adoptiert und ihnen uner-
hörte Ehren erweisen lassen. Als sie aber in der Blüte ihrer
Jahre gestorben waren, nahm er seinen Stiefsohn Tiberius
an Sohnes Statt an, und diese Willensäusserung des Kaisers
wurde noch bei seinen Lebzeiten öffentlich anerkannt. Gleich-
^) Mommsen, Der Rechenschaftsbericht des Augustus, a. a. O.
*) O. Hirsch fei d, Die kaiserlichen Grabstätten in Rom, Sitzungs-
berichte der preuss. Akademie der Wissenschaften LI, (1886) S. 1149.
■) Nach Joh. Kreutzer, Die Thronfolgeordnung. im Prinzipat (Beilage
zum Jahresbericht des Kölner F. W.-Gymnasium), S. 12. Vgl. daselbst die
Belege.
12 Erstes Buch.
zeitig adoptierte Tiberius den Germanicus, der damit als un-
mittelbarer Nachfolger in Aussicht genommen war, vermutlich
als Mitregent des Jüngern Drusus. Bestimmend muss für diese
Thronfolgeordnung der Umstand gewesen sein, dass Germanicus
mit Agrippina, der leiblichen Enkelin des Augustus, vermählt
war. Er hat also nicht nur seinen Nachfolger ernannt, son-
dern auch über diesen hinaus die Thronfolge zu regeln
versucht.
ZWEITES KAPITEL.
Das Kaisertum des Tiberius.
Augustus hatte die tribunicische Gewalt auf Lebenszeit,
das imperium proconsulare auf eine Reihe von Jahren über-
nommen, gleich als hätte er wie die Aisymneten in den grie-
chischen Kolonien nach Lösung seiner Aufgabe die Absicht,
von der höchsten Gewalt zurückzutreten. An den von ihm
geschaffenen Grundlagen haben seine Nachfolger festgehalten.
Aber ein Fortschritt war, dass unter Tiberius das Kaisertum
zu einer lebenslänglichen Gewalt wurde und auch äusserlich
mehr die Formen der Monarchie annahm.
Ohne den Ruf des Senats oder der Legionen abzuwarten,
tritt Tiberius sofort nach dem Ableben des Augustus als
Herrscher auf. Dasselbe Gerücht meldete den Tod des
einen und den Regierungsantritt des andern i). Eine Leib-
wache begleitete ihn auf das Forum, mit Bewaffiieten er-
schien er im Senate. Und wenn er vor diesem eine zögernde
Haltung annahm, so war dies nur eine wohlgespielte Komödie.
Es leisteten ihm den Huldigungseid zuerst die Konsuln, dann
die Präfekten der Garde und des Getreidewesens, nach den
übrigen Beamten der Senat, die Legionen und das Volk. Er
legte Wert darauf, dass man sagte, er habe sich nicht durch
die Adoption eines Greises und die Umtriebe eines Weibes
eingeschlichen, sondern sei vom Staate erkoren und berufen
worden.
Von vornherein war Tiberius entschlossen, im Sinne und
nach dem Beispiele des Augustus zu regieren. Allen über-
triebenen Ehren abhold, betonte er seine Stellung als Prinzeps,
wenn er äusserte, er sei Herr für die Sklaven, Imperator für
^) Tac. ann. 1, 5: Simul excessisse Augustum et rerum potiri Neronem
eadem fama tulit. Sueton, Tib. 24: Principatum quamvis nee occupare
confestim neqne agere dubitasset et statione militam, hoc est vi et specie
dominationis assumpta diu tarnen recusavit. Ann. 1, 7: Nusquam* cnncta-
bunduB nisi cum in senatii loqueretur.
2. Das Kaisertum des Tiberius. 18
die Soldaten, Prinzeps aber für die andern. Er wollte weder
^Vater des Vaterlandes^ noch „Herr^ heissen und bediente
sich des Augustustitels nur im Verkehr mit auswärtigen
Fürsten. Göttliche Ehren und die Errichtung von Tempeln
lehnte er im Gegensatze gegen seine unter die divi versetzten
Vorgänger mit den denkwürdigen Worten ab: j5,Ich bin nur
ein Mensch, menschliche Pflichten habe ich zu erfüllen und
bin zufrieden, wenn ich den ersten Platz im Senate würdig
ausfülle . . . Die Nachwelt wird mein Gedächtnis mehr als
genug ehren, wenn sie mir das Zeugnis ausstellt, dass ich
meiner Vorfahren mich würdig gezeigt, für euer Wohl nach
Kräften gesorgt, in Gefahren Standhaftigkeit bewahrt und, wo
es des Staates Wohlfahrt galt, nicht Hass und Verleumdung
gescheut habe. Dies sind für mich die schönsten Tempel in
euren Herzen , herrliche Standbilder von ewiger Dauer. Denn
Tempel und Bildnisse aus Stein werden als Grabmäler ge-
ringgeschätzt, wenn das Urteil der Nachwelt sich in Hass ver-
wandelt. Darum flehe ich zu den Göttern, sie mögen mir
allezeit bis an mein Ende einen ruhigen Geist und sichere
Kenntnis des göttlichen und menschlichen Rechtes verleihen^).^
Mit dem Senate hat Tiberius nicht nur die wichtigsten
Angelegenheiten beraten, wir sehen ihn auch auf Kosten des
Volkes die Befugnisse dieser Körperschaft erweitem, indem
er ihr die den Komitien entzogene Magistratswahl überträgt
und sie zum höchsten Tribunal für Majestätsverbrechen erhebt.
Den Konsuhl überwies er die wichtigsten Geschäfte, er pflegte
sich vor ihnen zu erheben und aus dem Wege zu treten.
In den Fasten erscheinen die Namen der grossen Fami-
lien der repubUkanischen Zeit: die Aemiüer und Valerier, die
Fabier und Licinier, die Sempronier und Sulpicier. In dem Jahr-
zehnt von 24 — 33 sind die Cornelier nicht weniger als acht-
mal nachweisbar, zuletzt Faustus Cornelius Sulla und L. Sulla
Felix, Nachkommen des grossen Diktators.
Das Konsulat selbst behandelte er nicht anders als Augustus.
Das jährige Konsulat kommt in seiner 23jährigen Regierungs-
zeit fünfmal vor, als Auszeichnung von Verwandten und zu-
verlässigen Freunden des kaiserlichen Hauses; von den un-
regelmässigen Fristen der Jahre abgesehen, in denen der
Kaiser selbst Konsul war, ist wie in dem letzten Drittel der
Regierung seines Vorgängers das semestrale Konsulat die
Regel.
Es ist keine Frage, in dem ersten Jahrzehnt hat Tiberius im
Sinne des Augustus den Prinzipat geführt. ,,AUe öffentlichen
^) Tac. ann. 4,38. Daza W. Ihne, Zur Ehrenrettung des Kaisers
Tibenu, S. 96 (Übersetzung eines engl. Aufsatzes aus dem J. 1857).
14 Erstes Buch.
Angelegenheiten'', sagt Tacitus, ,,und von denen, welche ein-
zelne Personen betrafen, die wichtigsten, wurden im Senate
verhandelt, wo die Männer ersten Ranges die volle Freiheit
hatten, sich ausführlich auszusprechen, und wo der Kaiser
der Servilität einzelner selbst Einhalt that. Indem die hohen
Ämter mit Rücksicht auf den Adel der Ahnen, auf Tüchtig-
keit in Krieg und Frieden besetzt wurden , konnte man sicher
sein, dass sie in den besten Händen waren. Konsuln, Prä-
toren und die geringeren Magistrate übten unbehindert ihre
Befugnisse aus''^).
Für die souveräne Stellung, die Tiberius dem Senate
eingeräumt wissen wollte, ist es bezeichnend, dass derselbe
Regent, der sich im Occident göttliche Ehren entschieden
verbeten hatte, sich von den Gemeinden Asiens in Smyrna
einen Tempel in Gemeinschaft mit seiner Mutter und dem
Senate errichten Hess, dass ferner in Asia und anderen
Senatsprovinzen geprägte Münzen die iepdi, oöyxXYjxos oder
den d'sbq oü^ylrixoc, in Schrift und Bild feiern 2).
Aber mochte er immerhin die Aristokratie verstärken
und mit neuem Glänze umgeben, der Staat bewegte sich doch
in den Bahnen, die er selbst vorschrieb. Seitdem die Prä-
torianer ein verschanztes Lager in Rom bezogen hatten, war
es ungefährhch, das Prinzip der Dyarchie ohne Einschränkung
zum Ausdruck zu bringen^).
Wir wissen leider zu wenig von dem Ringen der Parteien
in dem damahgen Rom, um beurteilen zu können, ob es
dringend geboten war, den Prinzipat unter den Schutz einer
Garde zu stellen. Jedenfalls entschloss der Kaiser sich zu
diesem Schritte erst, nachdem Germanicus im Orient ein
frühes Ende gefunden hatte.
Nur einzelne Andeutungen der üeberlieferung sind geeignet,
uns eine Vorstellung von den Schwierigkeiten zu geben, mit
denen Tiberius zu kämpfen hatte. Schon die Abberufung des
Germanicus von dem Kriegsschauplatze am Rhein und der
darin ausgesprochene Verzicht auf die Führung grosser Er-
oberungskriege war ein Schlag gegen die NobiUtät. Auf
diesen vielbesprochenen Schritt des Kaisers fällt das richtige
*) Ann. 4, 6; Dio, 57, 8, im wesentlichen übereinstimmend. Sehr
nachdrücklieh und meines Erachtens richtig wird von diesem betont, dass
er aus Rücksicht auf Germanicus, einen gefährlichen Nebenbuhler, vor-
sichtig war. Die Verlegung der Garde in die Stadt wird von Dio in das
J. 20 gesetzt. Tacitus berichtet dieselbe unter dem Jahre 23 in der be-
kannten Charakteristik des Seian, wo er nach seiner Gewohnheit früher
Geschehenes nachholt.
") O. Hirschfeld, Zur Geschichte des röm. Kaiserkultes a.a.O., S. 842.
8) E.Herzog, Röm. Staatsverfassung H, 1, S. 248.
2. Das Kaisertum des Tiberius. 15
Licht, wenn man damit einige von Taeitus berichteten Vor-
gänge in Rom zusammenhält.
Die Abberufung des Germanicus fällt in dasselbe Jahr, in
dem Asinius Gallus den kühnen Antrag stellte, die Magistrate
auf fünf Jahre zu bestimmen, was offenbar mit einer Schwächung
der kaiserlichen Gewalt gleichbedeutend war. In demselben
Jahre wurden die Umtriebe des Scribonius Libo, die auf
Hochverrat hinausliefen, aufgedeckt. Diese Vorgänge gaben
Anlass, die Majestätsgesetze, die schon unter Augustus hervor-
gesucht waren, schärfer handhaben zu lassen. Die Zerklüf-
tung der leitenden Kreise durchkreuzte die besten Absichten
des Regenten. Es ist neuerdings*) dargelegt worden, dass
man innerhalb der kaisertreuen Partei die unbedingten An-
hänger des Tiberius von der Gefolgschaft der Livia und den
Genossen des Seianus zu unterscheiden hat. Livia hatte
Ihren eigenen Hof und war weit entfernt davon, mit allen
Regierungshandlungen ihres Sohnes einverstanden zu sein.
Ranke trifft ohne Frage das Richtige, dass es Parteiränke
waren, die ihm den Aufenthalt in der Stadt verleideten und
sogar gefährlich für ihn machten.
So entfernte sich der Kaiser im J. 26 aus Rom und
begab sich nach Capreae, von wo er durch Vermittlung des
Seianus das Weltreich regierte.
;,Mit der Entfernung des Fürsten war die Augustische Ver-
fassung untergraben: liefen doch alle Fäden des künstlich
verschlungenen Gewebes in seiner Person zusammen. Die
Stellvertretung des Kaisers fiel dem Prätorianerpräfekten
zu, der unheilvolle Schritt von dem constitutionellen Prinzipat
zur Militärdespotie war damit vollzogen*^).
Nach dem Tode des Germanicus hatte Tiberius seinen
einzigen Sohn Drusus zum Nachfolger ernannt, und zwar in
Übereinstimmung mit der öffentlichen Meinung. Als Drusus
den ehrgeizigen Entwürfen des Seian zum Opfer gefallen war,
bestinmite der Kaiser mit Rücksicht auf die Thronfolgeordnung
des Augustus die beiden ältesten Söhne des Germanicus zur
Nachfolge. Es geschah in feierlicher Weise. Die Konsuln
führten die Jünglinge in die Kurie vor den Kaiser. Der
fasste sie bei der Hand und sprach zu den Senatoren: ,,Diese
Waisen hat Drusus wie sein eignes Rlut gehegt und erzogen.
Da ihnen der Oheim entrissen ist, so beschwöre ich euch
angesichts der Götter und des Vaterlandes: nehmet die Enkel-
söhne des Augustus auf und leitet sie^^ ;,Diese Männer,^ so
*) Kanke, Weltgeschichte 111, IS. 70. Fr. Abraham, Velleius und die
Parteien in Rom (1884), S. 4 fg. Tiberius und Seian (1868). Herzog, Rom.
Staatsrerfassong II 1, S. 254.
*) O. Hirschfeld, Verwaltungsgeschichte S. 286.
16 Erstes Buch.
sprach er dann zu Nero und Drusus , ^vertreten an euch Eltern-
stelle; also seid ihr geboren, dass euer Wohl und Wehe sich
auf den Staat erstreckt*^).
Bei dieser Massnahme hatte Tiberius die öflfentliche
Meinung auf seiner Seite. Man freute sich, dass das Haus
des Germanicus neue Lebenskraft gewinne. Nur Seianus,
kühn in Freveln, überlegt, auf welche Weise er den Kindern
des Germanicus beikommen könne, deren Nachfolge über
jeden Zweifel erhaben war. Tacitus legt eingehend die Ränke
dar, durch die er den altern in die Verbannung, den zweiten
in den Kerker gebracht hat. Jetzt übertrug ihm Tiberius
eine Art Mitregentschaft und für den Fall seines Ablebens die
Vormundschaft über seinen leiblichen Enkel, den Tiberius
Gemellus^). Der Senat leistete den Eid auch airf den Namen
des Seianus, der die senatorische Würde ein Priestertum und
das prokonsularische Imperium erhielt. Am 1. Jan. 31 hatte
der Kaiser mit ihm zusammen das Konsulat auf fünf Jahre
übernommen. Nur die tribunicische Gewalt blieb ihm vor-
enthalten. Um auch diese und das Höchste zu erlangen,
stiftete er eine Versch;vörung, in die zahlreiche Beamten
und Senatoren verwickelt waren, und plante , um die Massen
zu gewinnen, Erneuerung und zeitgemässe Umgestaltung
der Tribusversammlungen. Von diesen Plänen durch An-
tonia, des altern Drusus Witwe, in Kenntnis gesetzt, be-
reitete der Kaiser in der Stille den Schlag vor, der den Em-
porkömmling und seinen Anhang vernichten sollte. Der
Nichtsahnende erschien im Senate, um endlich auch die
tribunicische Gewalt entgegenzunehmen. Hier wurde ein
kaiserliches Schreiben verlesen, das seine Absetzung und
Bestrafung befahl. Sofort wurde ihm der Prozess gemacht
und, während in den Strassen der Aufruhr tobte, auf Befehl
der Konsuln seine Hinrichtung vollzogen.
Für den Notfall war angeordnet, dass der im Palatium
gefangen gehaltene Drusus als Nachfolger ausgerufen werde').
Dazu kam es nicht. Macro, der neue Gardepräfect, wurde
der Bewegung ohne Schwierigkeit Herr.
In der Hauptquelle für die Regierung des Tiberius, in den '
Annalen des Tacitus, findet sich eine grosse Lücke, in der
die Erzählung der Jahre gestanden hat, in denen Livia starb,
Agrippina und Seianus gestürzt wurden, Jahre, in denen die
alten Parteien sich bis auf den Tod bekämpften. Wir werden
an anderer Stelle sehen, wie Tacitus die Ereignisse der
^) Kreutzer, a. a. O. S. 13.
«) Saeton, Tib. 55.
8) Tac. ann. 6,23, Suet. Tib. 65, Dio 58,13. Schiller, Ge«ch. der
röm. Kaiserzeit I, S. 801.
2. Das Kaisertum des Tiberias. 17
Kaiserzeit unter den Begriffen der Macht und Freiheit auffasst.
Die republikanische Freiheit unterliegt in dem Kampfe mit der
Alleinherrschaft, weil die leitenden Kreise, in sich zerklüftet,
um persönlicher Vorteile willen den Machthabern schmeicheln.
Siegreich erhebt sich die Macht des Tiberius über den sittlich
heruntergekommenen Senat; aber ihr Besitz hat ihn mit bösem
Argwohn genährt und zu den schwersten Blutthaten getrieben.
^Nach so grosser Erfahrung hat der Herrschaft Gewalt ihn
zerrüttet und umgewandelt*, unter diesem Gesichtspunkte
steht das Gemälde, das von der Regierung und Persönlich-
keit des Tiberius entworfen wird. So bewundernswert diese
künstlerische Leistung ist, so schwierig ist es für die Forschung,
den wirklichen Verlauf der Begebenheiten in jenen entschei-
denden Jahren festzustellen.
Im ganzen wie im einzelnen hält Tacitus an der Vor-
stellung von der immer grausiger sich äussernden Tücke und
Bosheit des Kaisers fest. Trotz der lückenhaften und gefärbten
Überlieferung liegt aber das Ergebnis der Regierung des
Tiberius deutlich vor Augen.
Das Konsulat, das der Kaiser am I.Januar des Jahres 31 mit
Seian auf fünf Jahre übernommen, war der höchste Triumph
der antirepublikanischen Politik der letzten Jahre : ein Mitglied
des Ritter- und Kapitalistenstandes, der seit dem jungem
Gracchus in Opposition gegen die Nobilität gestanden hatte,
war zum höchsten Staatsamte gelangt. Nach dem jähen Sturze
des Emporkömmlings führte der gereizte Tyrann neue Schläge
gegen den Senat.
In Majestäts- und Repetundenklagen wütete die römische
Aristokratie gegen ihre eigenen Glieder. Ein kühnes Wort,
eine verdächtige Bewegung gab den Delatoren, deren Auftreten
durch die Prozessordnung und sichere Belohnung begünstigt
war, Anlass zur Klage. Und wenn auch die Zahl der Opfer
nicht so gross war als man gewöhnlich annimmt^), so heisst
es doch sich gegen die historische Wahrheit verschliessen,
wenn man verkennen wollte, dass die Herrschaft des ge-
waltigen Claudiers zuletzt eine blutige Wendung genommen hat
und in seinen letzten Jahren in der Hauptstadt ein massloses
Misstrauen herrschte, das für den gesamten Staat von ver-
derblichen Folgen begleitet war.
Italien und die Provinzen empfanden trotzdem dankbar den
Segen einer verständigen Verwaltung und sparsamen Wirtschaft,
einer strengen Beaufsichtigung der Beamten und durchgreifen-
^) Tacitus, Ann. 6, 19: lacuit immensa strages, omnis sexns, omnis
aetas, iUnstres ignobiles, dispersi ant aggerati, etc. Dazu G. Sievers,
Tacitus und Tiberius (Hamburg 1851) in Studien zur röm. Kaisergeschichte.
S. 93.
Asbach, Kaiseitum und Verfassung. ^
18 Erstes Bach.
der Unterstützung bei Unglücksfällen. Der Kaiser holte in
wichtigen Angelegenheiten die Entscheidung eines aus den
angesehensten Männern zusammengesetzten Beirates ein und
war in Sachen der Provinzialverwaltung so frei von Misstrauen,
dass er bewährte Statthalter bis zehn Jahre, ja darüber hinaus
im Amte Hess und im Senate über die Schwierigkeit Klage
führte, für die Reichsverwaltung tüchtige Beamte zu finden.
Als Erben hinterüess Tiberius den einzigen noch übrigen
Sohn des Germanicus, den Gaius, und seinen eigenen Enkel,
den Tiberius Gemellus. Zwischen beiden machte er in seinem
Testamente keinen Unterschied, obschon Tiberius die Jahre
der Mannbarkeit noch nicht erreicht hatte und der Verdacht
laut geworden war, Livia habe ihn von Seian empfangen. Die
Entscheidung wollte Tiberius dem Geschicke überlassen. Als
er verschieden war, liess der GardepräfectMacro den Gaius
als einzigen Nachfolger ausrufen, und dieser adoptierte im
Widerspruche mit dem Testamente des Grossvaters den recht-
mässigen Miterben und stellte ihm die Nachfolge in Aussicht ^).
DRITTES KAPITEL.
Wandlungen des Prinzipates unter Gaius
und Claudius.
liberius soll einmal die Äusserung gethan haben: ^dem
römischen Volke erziehe er in seinem Nachfolger eine Natter,
einen Phaethon für den Erdkreis*. Begrüsst von dem Jubel
der Menge, nahm Gaius Caesar, ohne dass wir von einer
Mitwirkung des Senates hören, von der Herrschaft, die ihm
selbst und dem Reiche verhängnisvoll werden sollte, wie von
einem Erbe Besitz.
Gesund war Gaius weder an Leib noch an Seele, und
schon den Knaben hatten epileptische Anfälle heimgesucht.
Als Jüngling litt er an hochgradiger Schlaflosigkeit, über-
triebener Ängstlichkeit und plötzlichen Ohnmächten. In sol-
chem Zustande konnte er nur mit Mühe gehen oder sich
aufrecht halten. Seine Krankheit hatte er selbst bemerkt und
^) Ich bin in Uebereinstimmnnsf mit Ranke, Weltgeschichte III, 1 S.79;
Schiller, a.a.O. S. 301, Herzog, a.a.O. S.236. Kreutzers Annahme,
dass der Kaiser zuletzt Schritte gethan habe, die Nachfolge des Gaius zu
sichern, ist mit den Zeugnissen der Schriftsteller rieht in Übereinstim-
mung, weder mit Tac. ann. 6,46 (incertas animi, fesso corpore^ consilium,
cui impar erat, fato permisit) noch mit der Bestimmung des Testamentes:
heredes aequis partibus reliquit Gaium — et Tiberium — substitnitque
invicem. Sueton, Tib. 76. Cai. 14, Dio 5^, 1.
3. Wandlungen des Prinzipates unter Gaius und Clandius. 19
mehrmals daran gedacht, sich zurückzuziehen und eine Kur
zu gebrauchen.
Diese von Seneca, Tacitus^) und Sueton ausdrücklich be-
zeugte geistige Zerrüttung zeigte sich in dem Hange zu wider-
natürlicher Unzucht und massloser Verschwendung, in Thor-
heiten und Orgien aller Art, schliesslich in dem nacktesten
Despotismus, der an seine eigene Göttlichkeit glaubte, sich
auf dem Markte zwischen den Standbildern des Castor und
PoUux sogar anbeten Hess und im Capitol Verkehr mit seinem
^Bruder Juppiter*' pflogt). Anfangs hatte er dem Senat gegen-
über Nachgiebigkeit gezeigt und sogar die Schriften des T. Labi-
enus, des Cremutius Cordus und Cassius Severus, deren Vernich-
tung vom Senate beschlossen war, wieder aufsuchen lassen
und ihre Lektüre freigegeben. Als aber sein wahnsinniges
Treiben gefahrliche Verschwörungen hervorrief, sehen wir ihn
im Gegensatz gegen den Senat mit „Strenge, Sorgfalt und
Mässigung* den Ritterstand heben, durch vornehme Unter-
thanen der Provinzen ergänzen und diesen die Möglichkeit
geben, in den Senatorenstand einzutreten, wir sehen ihn das
Bürgerrecht freigebiger verleihen und dem Senat seine Schmei-
chelei und Niedrigkeit vorwerfen^). Während des gallischen
Feldzuges droht er in einem Edikt, er werde zurückkehren,
aber nur für Ritterstand und Volk, die es wünschten, für den
Senat werde er weder Bürger noch Fürst sein. Sueton
schreibt ihm alles Ernstes die Absicht zu, die hervorragend-
sten Mitglieder dieses Standes umzubringen.
Die Majestätsprozesse wurden mit Berufung auf Tiberius
wieder aufgenommen, die Behörden misshandelt, Italien und
die Provinzen, um die erschöpften Kassen zu füllen, aus-
geplündert.
Bei einer solchen Regierung des vermessensten Despotis-
mus kann es nicht Wunder nehmen, dass Gaius das
Wort im Munde zu führen pflegte: ;j,Ich habe das Recht, alles
zu thun, was mir behebt und ein Recht über alle*^. Und
doch wagte der Despot, der göttliche Ehren für sich in An-
spruch nahm und seine Schwester Drusilla zur dea erhoben
und zur Nachfolge bestimmt hatte,. nicht, die Krone auf sein
Haupt zu setzen.
^) Seneca, De constantia 18: Tanta Uli paUorisinsaniamtestantisfoeditas
erat, tanta ocnlorum snb fronte anili latentiam tonritas, tanta capitis desti-
tnti et emendicatis capillis adspersi deformitas ... — Ann. 13^ 3: Gai
tnrbata mens.
*) Sneton, Cal.22: Templnm etiam numini sao proprium et sacerdotes
et excogitatissimas hostias instituit etc.
■) Dio 59, 9, 5: T'oö T'iXoD^ xoO xöv tTiTtieov dXtYavÖpoövxog xoüg
np(i>xou^ i^ &7cdoY)c xai xfjc I£(ö dcpx^C xot^ xe y^vsai xal xat^ nspiouoCai^
)ieTaic8ti4)d|isvoc xaxeXdSaxo. Zonaras 11, 5 p. 450, Sueton Cal. 16.
20 Erstes Buch.
Als einst Vasallenkönige , die nach Rom gekommen waren,
um ihm zu huldigen, bei der Tafel über den Adel ihres Ge-
schlechtes stritten, hörte man ihn rufen: j,nur einer sei Herr-
scher, einer nur König^^ Und es fehlte nicht viel, fügt Sueton
hinzu, und er hätte sofort das Diadem angenommen und die
Zeichen seines Prinzipats in aller Form mit denen der Königs-
würde vertauscht.
Gaius fiel selbst als Opfer der persönlichen Rache eines von
ihm beleidigten Offiziers der Garde, ohne einen Erben oder
Teilhaber der tribunicischen Gewalt zu hinterlassen, da Ti-
berius Gemellus alsbald aus dem Wege geräumt war. Nach
seinem Falle war der Senat so einmütig für die Wiederher-
stellung der Freiheit eingetreten, dass die Konsuln die erste
Sitzung nicht in die Kurie, weil sie die JuUsche hiess, sondern
auf das Kapitol beriefen, und dass von verschiedenen Seiten
der Antrag gestellt wurde, das Andenken der Caesaren aus-
zulöschen und ihre Tempel zu zerstören^). Thatsächlich
wurde das Andenken des Gaius verfehmt und von den Kon-
suln für die laufende Nacht vielversprechend die Losung
jylibertas* erteilt. Aber konnte man denn erwarten, dass die
Prätorianer mit der Rückkehr zu einem Zustande, der durch
die Waffen der Legionen überwunden worden war, einver-
standen sein würden? Während der Senat noch beriet, wurde
Ti. Claudius, den seine Persönlichkeit nicht im mindesten
empfahl, nur deswegen, weil kein anderes Mitglied der Fa-
milie des Augustus mehr vorhanden war, aus einem Versteck
hervorgezogen, unter dem Jubel der Massen nach der Kaserne
geführt und zum Kaiser ausgerufen. Ein Donativum belohnte
die Garde für die dem Claudischen Hause bewiesene Treue.
Anstatt aber im Senate die Bestätigung seiner Wahl nachzu-
suchen, liess er sich von den Senatoren, die in der Stadt geblie-
ben waren, in der Kaserne huldigen. In einer Sänfte wurde er
dann unter militärischem Geleite in den Palast getragen.
Daselbst fanden sich die Senatoren zu einer Sitzung ein und
übertrugen dem Claudius sämtliche Titel und Würden der
frühem Herrscher 2).
Diesen gewaltsamen. Ursprung hat der Prinzipat des
Claudius zu keiner Zeit verleugnet. Er gedachte zwar nüt
Wohlwollen zu regieren, unterdrückte auch die Majestäts-
klagen und begegnete äusserhch dem Senat mit Achtung.
Auch wurden wichtigere Angelegenheiten, wie Abschaffung
von Steuern, Freilassung von Gefangenen und Begnadigung
») Suet., Cal.60. Claud. 10.
') H. Lehmann, Claudius und Nero und ihre Zeit, I, S. 120. Eine
Hauptquelle für diese Vorgänge ist Josephus, Antiq. 19, 4, 1 fg. und
bell. lud. 2, 11, 1—4.
3. Wandlungen des Prinzipates anter Gains nnd Claadins. 21
der Verbannten in Gemeinschaft mit jenem erledigt. Ja, nach
der tyrannischen Regierung des Gaius mochte der Kaiser, der
absichtlich Augustus nachahmte, mit Recht als vindex liber-
tatis bezeichnet werden. Unentschlossen und sinnlich, ward
er geleitet von seinen Freigelassenen und Weibern, die es
nicht zulassen konnten, dass er seine Ratgeber aus einem
Kreise wähle, dessen Häupter noch eben nach der Herrschaft
getrachtet hatten. Guten Willen und Einsicht in die Bedürf-
nisse des Staats und Sinn für Ordnung und Recht darf man
Claudius nicht absprechen. Hatte sich auch schon Augustus
in einem Briefe dahin geäussert, dass der arme Bursch Mal-
heur habe, in wichtigen Dingen zeige sich, wo nicht sein
Geist auf falsche Fährte geraten sei, zur Genüge die ange-
borene Noblesse seiner Denkungsart. Polybius, Narcissus
und Pallas , Männer a^n Einsicht und Thatkraft den Mitgliedern
der Nobilität überlegen und treu ihrem Patron bis zum Tode,
rissen als Inhaber der neugegründeten oder zu grösserer Be-
deutung erhobenen Hofstellungen, der Ämter a rationibus , ab
epistulis, a studiis, um es mit einem Worte zu sagen, die
centrale Regierung des Reiches an sich.
Mehr als durch ausführiiche Berichte wird die Willkür
dieser Palastregierung durch die Behandlung beleuchtet, die
das Konsulat erfährt. Wie unter Gaius so herrscht unter
seinem Nachfolger in der Verleihung des höchsten Amtes die
grösste Willkür 1). Ein mehrere Jahre nacheinander befolgter
Brauch ist nicht geübt worden. Nicht nur treffen längere
und kürzere Fristen regellos in einem Jahre zusammen, son-
dern es ist auch wiederholt vorgekommen, dass der eine
der Eponymen länger als der andere im Amte bheb.
Während auf die ersten Jahre (43 — 47) noch je ein
zweites Konsulat eines Privaten entfällt, ist eine derartige
Auszeichnung in der spätem Regierungszeit nicht mehr vor-
gekommen. War unter Tiberius ein Ritter zum Konsulat ge-
langt, jetzt geschieht das Unerhörte, dass der Senat dem
Pallas, dem angesehensten der kaiserlichen Freigelassenen,
nicht nur bedeutende Belohnungen, sondern auch prätorischen
Rang verleiht. Wir besitzen in dem sechsten Briefe des
achten Buches der Briefsammlung des Plinius einen im Tone
der Entrüstung gehaltenen Kommentar zu den wichtigsten
Stellen dieses Senatsbeschlusses.
jj,Es schien ihm nicht genug, dass die Kurie Zeuge solcher
Schändlichkeit gewesen, man wählte den besuchtesten Platz
(das Standbild des göttlichen Julius), um die dem ekelhaften
^) Vgl. Calpnrnins, bucol. 1, 69 fg.: Jam uec adumbrati faciem mer-
catus honoris Nee vacnos tacitus fasces et inane tribanal Accipiet co^^'^V.
22 Erstes Bnch.
Sklaven zu teil gewordenen Ehren dem lebenden und dem
kommenden Geschlecht mitzuteilen. Prätorische Ehrenzeichen
des Pallas wurden in öffentliche und ewige Denkmäler ein-
gegraben, wie alte Bündnisse, wie heilige Gesetze. So gross
war die — , ich weiss nicht, wie ich sagen soll, des Kaisers,
des Senates, des Pallas selbst, dass sie, Pallas seinen
Übermut, der Kaiser seine Schwachheit, der Senat seine
Niederträchtigkeit vor aller Augen stellen wollten*.
Ämter und Kommandos, Bürgerrecht und Privilegien waren
von den Freigelassenen zu kaufen.
Trotz äusserlichen Entgegenkommens griff Claudius in die
Machtsphäre des Senates wiederholt rücksichtslos ein. Das
Recht, eine legatio libera zu übertragen, d. h. eine Mission
mit oder ohne öffentlichen Auftrag, womit die Befugnis ver-
bunden war, drei Jahre von Rom fernzubleiben, wurde dem
Senate entzogen und ausdrücklich dem Kaiser verliehen. Wir
hören, dass manche Prokonsuln zwei Jahre im Amte blieben,
dass die Verwaltung senatorischer Provinzen kaiserlichen
Legaten übertragen wurde ^).
Besonders schroff gestalteten sich die Beziehungen zum
Senat, seitdem die jüngere Agrippina zur Augusta erhoben
war, wodurch ein formelles Mitregiment herbeigeführt werden
sollte^). ^ Alles gehorchte einer Frau, die nicht wie Messalina
aus Mutwillen die Römer zum besten hatte. Eine strenge
und gleichsam männliche Herrschaft!* 3) An 35 Senatoren
wurden hingerichtet*). Die Auflösung der Reste der alten
Nobilität schreitet unter dem Regiment des Gaius und Clau-
dius unaufhaltsam voran. Seltener erscheinen jetzt die alten
Namen in den Konsularfasteu;
Es ist ein wohldurchdachtes System, nach welchem die
staatsmännische Thätigkeit des Claudius und seiner Freige-
lassenenen den Hofdienst und die Verwaltung, besonders die
der Finanzen, neu regelte und die Thätigkeit der Nobilität auf
diesem Gebiete, das ihr selbst Tiberius unverkürzt gelassen,
zu Gunsten der Ritter und Freigelassenen lahm legte. Neue
Ämter wurden für letztere in der Verwaltung geschaffen. Die
^) Vgl. Lehmann, Claudius S. 253.
') Th. Mommsen, Römisches Staatsrecht, II', 795.
3) Tacitus, ann. 12, 7.
^) Sneton, Claud. 29: In qainque et triginta senatores trecen-
tosque amplins eqnites r. . . auimadvertit. Die Zahl der Ritter ist sicher
verdorben. Vgl. Indus c. 13: . . . agmine facto (seine Opfer) Claudio oc-
currunt. Von Konsularen werden genannt: Saturninus Lusins, Pedo Pom-
peius, Lupus, Celer Asinius. Sehr bezeichnend ist auch die Stelle in
Calpurnius, bucol. 1,69: Nulla catenati feralis pompa senatus Camificum
la5sabit opus nee carcere pleno Infelix raros nnmerabit curia patres.
3. Wandlungen des Prinzipates unter Gaius und Claudins. 28
Prokuraturen in den Provinzen sollten durchweg nur Rittern
zugänglich sein, in deren Hände auch die Überwachung der
kaiserlichen Einkünfte in den Senatsprovinzen und die Juris-
diktion in Fiskalsachen gelegt ward. Das ganze höhere
Dienstpersonal der bedeutend angewachsenen Hofhaltung wird
durch den Titel Prokurator ausgezeichnet, und innerhalb
dieser Kreise entwickelt sich eine höhere und niedere Frei-
gelassenenkarriere. Die seit 27 y.Chr. erworbenen Länder Rätien
und Noricum, die Alpes maritimae et Poeninae, Thrakien und
Mauretanien werden seit Claudius als kaiserliche Provinzen
behandelt, und ihre Verwaltung wird nach dem Beispiele
Ägyptens ritteriichen Prokuratoren anvertraut; als Vorstufen
dieser Laufbahn erfahren die militiae equestres eine neue Ge-
staltung.
Diese Bureaukratie hat ihre Aufgabe so gut gelöst wie die
bürgerlichen Minister Ludwigs XIV., welche Finanzen und
Verkehrswesen in musterhafte Ordnung brachten, so gut wie
die bürgerlichen Intendanten des ancien regime , die auf dem
Gebiete der Verwaltung die Thätigkeit der adeligen Gouverneure
lahm legten.
Die Einrichtung einer Reichshauptkasse des Fiskus unter
der Leitung eines Freigelassenen mit dem Titel a rationibus
hat die Bedeutung des aerarium pubUcum, des Wahrzeichens
der Senatsherrschaft, gebrochen^). Durch umfassende Fru-
mentationen, die fortander kaiserliche Fiskus besorgte, durch
Anlage grossartiger Wasserleitungen und neuer Häfen, deren
Unterhaltung aus den Mitteln des Kaisers bestritten wurde,
durch Strassenbauten und Regulierung des Tiberlaufes suchte
des Claudius Regierung das Wohl der Massen zu fördern.
Diesen kam die energische Handhabung der Polizei, die Sorge
für eine solide und rasche Justiz zu gute.
Hand in Hand damit geht seine Bemühung, den Gegensatz
zwischen Italien und den Provinzen auszugleichen. Das
Bürgerrecht wurde auf dem Wege der kaiserlichen Verleihung
häufiger erteilt, und alle Gallier, die die civitas sine sufiragio
besessen hatten, erhielten im Jahre 47 das Recht, in Rom
Ämter- zu bekleiden und somit Aufnahme in den Senat.
Kolonieen in Germanien, Thrakien und Afrika sind redende
Zeugen für die Weitsichtigkeit dieses Regiments. Kühn schreitet
dasselbe über die Häupter der Aristokratie hinweg und er-
innert in mehr als einer Beziehung an die grossen Claudier
der altern Republik. Tacitus trifft die Sache, wenn er dem
*j Vgl. O. Hirsch fei d, a. a. O., S. 286 fg. und Th. Mommsen,
Römisches Staatsrecht, II*, 310. Li eben am, Beiträge zur Verwaltungs-
geschiclite S. 141.
24 Erstes Buch.
Claudius vorwirft, dass er seinen Willen an die Stelle ge-
setzlicher Formen setzte^).
Mochte er immerhin, wie Augustus und Tiberius persönlich
einfach und bürgerlich, den Titel Imperator und andere über-
grosse Ehrenbezeigungen abweisen, mochte er in der Kurie
zwischen den beiden Konsuln auf einem Tribunensitze Platz
nehmen, das Konsulat länger als seine Vorgänger behalten
und selbst als Suffectus an die Stelle eines Gestorbenen treten,
mochte er den Senatoren im Circus Maximus besondere Sitz-
plätze anweisen und zumal durch Übernahme der Censur,
die seit dem J. 23 v. Chr. geruht hatte, an republikanische
Erinnerungen und das Beispiel des Augustus anknüpfen, sein
Regiment im ganzen genommen ist ebenso antiaristokratisch
wie dasjenige des Tiberius. Und was damit unvereinbar
scheint, ist entweder auf die VorUebe des Kaisers für das
Altertum zurückzuführen oder Zuckerbrot für die mit Ruten
gestrichenen Kinder.
Das Urteil, das der Annähst Fabius über den glänzendsten
Vertreter des Claudischen Geschlechtes der alten Zeit, Appius
Caecus, fällte: ;, er erschütterte gar vieles im Herkommen, denn
der Menge dienstbar, kümmerte er sich nicht um den Senat*^),
lässt sich auch auf die Politik des Ti. Claudius anwenden.
Kein Wunder, dass er innerhalb kurzer Zeit in solchem
Masse die Sympathien des Volkes gewann , dass bei der Nach-
richt, er sei auf der Reise nach Ostia meuchlings umgebracht
worden, dasselbe in die grösste Bestürzung geriet. Es hörte
nicht eher auf, gegen das Militär als Verräter und den Senat
als Vatermörder grässUche Verwünschungen auszustossen, bis
die Behörden selbst beruhigende Versicherungen abgegeben
hatten ^).
Die Unzufriedenheit der Nobilität kam in wiederholten
Verschwörungen zu Tage. Im J. 42 wurde die Empörung des
Scribonianus niedergeworfen, und die Entdeckung des Complots
des Gallus Asinius und StatiHus Corvinus gab im J. 46 zu
zahlreichen Hinrichtungen Anlass. Diese Regung hat nicht
so sehr republikanische Tendenzen, als sie auf die Ersetzung
des willkürlichen Regiments, an dem die Dyarchie zu Schanden
wurde, durch einen in gesetzmässigen Formen sich bewe-
genden Prinzipat ausgeht.
Claudius hatte bald nach seiner Erhebung den Sohn der
') Ann. 11, 5: Cnncta legam et magistratuum munia in se trahens
princeps materiam praedandi patefecerat (vgl. Ann. I, 2, wo es Yon
Augustus heisst: munia senatus magistratuum legum in se trahens).
*) Vgl. Th. Mommsen, Die patricischen Clandier, in Römische For-
schungen, I, 311.
') Sueton, Glaud. 12. Vgl. Lehmann, a. a. O. S. 130, «Claudius aU
BilrgerkaiserS S. 200, ,Sein Behagen an öfifentlichen Ergötzlichkeiten^
3. Wandlangen des Prinzipates anter Gaias und Claadins. 25
Messalina, den er nach der neu gewonnenen Provinz Britan-
niens nannte, zu seinem Nachfolger bestimmt, aber nach
seiner Vermählung mit Agrippina deren Sohn Nero adoptiert
und durch Verleihung des Titels „princeps iuventutis*^ und
der prokonsularischen Gewalt vor dem eigenen Sohne aus-
gezeichnet und als Nachfolger anerkannt, wenn er dem Bri-
tanniens auch eine Art Mitregentsehaft zugedacht haben mag^).
Eine zu Gunsten des letzteren getroffene letztwillige Anord-
nung blieb unbeachtet; durch die Intriguen der Agrippina
und ihrer Günstlinge wurde die Garde für die Alleinherrschaft
des Nero gewonnen.
Nach dem Hinscheiden des Claudius, dem sie, wie die
Zeitgenossen überzeugt waren, in Abwesenheit des allmäch-
tigen Narcissus Gift gereicht hatte, wartete die Ränkevolle
auf den Eintritt der Mittagsstunde , die nach der Weisung der
Chaldäer ihren Absichten günstig war, entzog den Britanniens
den Bücken der Römer und besetzte alle Eingänge des Pala-
tiums mit Wachen, um die Meinung zu erregen, in dem Be-
finden des Kaisers sei eine Besserung eingetreten. Als dann
die verabredete Stunde erschien, da öffneten sich die Flügel-
thore des Palastes und heraus trat, von dem Oberbefehls-
haber der Garde begleitet, der jugendliche Nero. Von der
wachhabenden Kohorte als Imperator begrüsst, begab er
sich in die Kaserne der Garde. Wohl hatten einzelne Stimmen
nach Britanniens gerufen; aber niemand hatte Ansehen und
Mut genug, dessen Ansprüche zu verteidigen. Nero wurde
allseitig als Imperator ausgerufen, und der Senat, in dessen
Sitzung er sieh aus dem Lager begeben hatte, beeilte sich,
dem neuen Kaiser alle Titel und Würden zu verleihen 2).
Von dem Hasse, mit dem der Adel den Claudius verfolgte,
giebt das Pasquill des Seneca, der ludus de morte Claudü,
eine Vorstellung »).
Wenn aber trotzdem der Senat den Kaiser apotheosierte,
so beweist dies nur, wie fest Agrippina und Pallas das Heft
in der Hand hielten. Die Münzen, die von ihrer Mitregierung
^) Kreutzer, a. a. O. S. 16, nimmt mit Recht an, dass in diesem
Sinne von Glaudins letztwillige Bestimmungen getroffen waren und weist
auf die Unterdrückung des Testamentes (Tac. ann. 12, 66) und das aus-
drückliche Zeugnis des Sueton, Claud. 44, hin. Auch die Massregeln, zu
denen Agrippina griff (ann. 12, 68. Suet., Claud. 45), bestätigen diese An-
nahme. Vgl. dagegen Lehmann, Claudius S. 374.
*) Lehmann, a. a. O. S. 377. Tac. ann. 12, 69: Sententiam militum
secuta patrum consulta nee dubitatum est apud procincias. Vgl. Josephus,
ant. c. 2, 8, 1. Sueton, Nero 8 und Dio 61, 3.
') Nach Bibbeck, Geschichte der römischen Dichtung, III, S. 43, 47,
wurde „das kleine Machwerk rachsüchtiger Bosheit mit Wissen und Zu-
stimmung der nächsten Angehörigen des Toten verfassf^.
26 Erstes Buch.
Zeugnis ablegen und aus den letzten Zeiten des Claudius
und Neros erstem Halbjahre herrühren, sind alle nicht sena-
torischer Prägung^). Der Senat hat ihr Prägerecht nicht
anerkannt, überhaupt aufs bitterste den Druck, den Agrip-
pinas Herrschsucht ausübte, empfunden. Aber noch vor
Ablauf des ersten Jahres gelang es den Beratern Neros , den
Einfluss der Agrippina und des Freigelassenen, dem die Ver-
waltung des Fiskus übertragen war, zurückzudrängen. Den
Umschwung der Verhältnisse spiegelt auch hier die Behand-
lung des Konsulats wider. Während Nero im J. 55, wie drei
Jahre vorher Claudius, zehn Monate im Amte blieb, und wäh-
rend ferner im J. 56 die Ordinarien das erste Semester hindurch
genannt waren, sind verschiedene Paare am 25. August bis
3. September und am 5. November bis 8. Dezember in Funk-
tion: also schliesst auch noch dieses Jahr mit einem zwei-
monatlichen Konsulat. Dann wendet sich Nero entschieden
der im letzten Drittel der Regierung des Augustus aufgekom-
menen Regel des semestralen Konsulats zu, und diese er-
scheint bis in die Mitte der sechziger Jahre ziemlich folge-
richtig durchgeführt.
Mit einer Fülle von Erwartungen und Verheissungen be-
gann diese Regierung. „Eine neue Zeit ist angebrochen.
Wie die Sonne leuchtet das Antlitz des Kaisers über das
Erdenrund. Ein Apollo an Angesicht, Haltung und Stimme,
wird er glückliche Jahre den Müden spenden und das
Schweigen der Gesetze brechen^^ Mit diesen Worten be-
grüsste L. Annaeus Seneca den neuen Regenten.
VIERTES KAPITEL.
Neros Anfänge.
Seneca als Reichsverweser und
Theoretiker des Prinzipats.
In der zweiten Hälfte des J. 56 gelangten Seneca*) und
Thrasea Paetus zum Konsulat, beide Vertreter der stoischen
Schule. Seneca, geboren in dem spanischen Corduba, aber
^) Vgl. Mommsens AasfÜbrungen in vonSallet, Nnmismatische Zeit-
Bchrift, I, 241: „Kupfermünzen mit ihren Namen sind nicht vorhanden".
') Benutzt sind zn folgender Darstellung Ranke, Weltgeschichte,
III, 1, 126, 133, 178; Boissier, L'opposition sous les Cesars (2. Anfl.,
1885), und J.A. Heikel, Senecas Charakter und politische Thätigkeit^
(Helsingfors 1886), eine besonnene Abhandlung, die auf gründlicher Kennt-
nis der Schriften des Seneca beruht, aber eine unerquickliche Lektüre ist.
4. Neros A.iifänge. Seneca als Beichsverweser. 27
schon als Knabe in Rom, beschäftigte sich mit philosophischen
Studien, denen er auch noch mit Eifer oblag, als er sich für
den Beruf eines Anwalts entschieden hatte. Aber nach seiner
Quästur des Ehebruchs mit der Jüngern Julia beschuldigt,
ward er von Claudius nach Corsica verbannt. Thatsächlich
waren seine stoischen Grundsätze die Veranlassung des Exils.
Erst im J. 49 ward er durch Vermittlung der Agrippina zurück-
gerufen und mit der Prätur bekleidet. Man meinte^) damit
dem Volke einen Gefallen zu thun und wünschte die Er-
ziehung des jungen Domitius dem geistreichsten Manne seiner
Zeit anzuvertrauen. Dabei hoffte Agrippina, durch seine Rat-
schläge ihren Einfluss befestigen zu können. Thatsächlich
hat sich Seneca von seiner Rückkehr an bis wenige Jahre
vor seinem Tode in den schwierigsten Verhältnissen als Er-
zieher, Ratgeber und Minister Neros behauptet, wie es nur
ein Mann konnte, der offen den Grundsatz aussprach, dass
der Weise niemals den Zorn der Mächtigen reizen, sondern
ihm ausweichen solle wie auf dem Meere dem Sturme. Hatte
Agrippina an Seneca eine Stütze zu finden gehofft, so musste
sie die Enttäuschung erleben, ihn schon im ersten Jahre des
neuen Regiments im Gegensatz gegen ihre eigenen Ansprüche
auf Mitregierung als Ratgeber des Nero zu sehen, der sich
von der Bevormundung seiner Mutter loszumachen suchte.
Seneca ist der Theoretiker des Prinzipats.
Der Historiker, der dem Spiele der lebendigen Kräfte
nachgeht, auf deren Wirken die Erscheinungen des mensch-
lichen und staatlichen Lebens beruhen, wird auch den Zu-
sammenhang und die Wechselwirkung ergründen müssen, die
zwischen den politischen Theorien und der politischen Praxis
einer Zeit besteht.
Schon in der Trostschrift an Polybius, die dem Claudius
schmeichelt, wird von Seneca der Gedanke ausgesprochen,
dass der Fürst um des Staates willen da sei, wenn auch als
Erläuterung oder Beschränkung des Satzes , dass dem Caesar
alles gestattet ist*). In der Schrift vom Zorne ^), die an-
scheinend noch unter Claudius verfasst ist, nennt er den
Fürsten den Vorsteher der Gesetze und den Lenker des Staates,
Dass Seneca kein Heuchler war, geben wir dem Verfasser gern zu. Ob
aber das Urteil des Seneca über den Prinzipat unbedingt richtig ist (S. 25),
wollen wir wenigstens als eine offene Frage bezeichnen. Vgl. auch die
schönen Ausführungen bei Ribbeck, a.a.O. S. 43 fg.
») Ann. 12, 8.
*) c. 7, 2: Caesari quoque ipsi, cui omnia licent, propter hoc ip-
sum multa non licent: omnium somnos illius vigilia defendit, omnium oHum
illiufi labor — ex quo se Caesar orbi terrarum dedieavit, sibi se eripuit.
') 1, 6, 3: Ita legum praesidem civitatisque rectorem decet, quamdia
potest verbis et bis mollioribus ingenia cuiare, ut facienda suadeat.
28 Erstes Bach.
der nur im Notfalle zu gewaltsamen Mitteln seine Zuflucht
nimmt, dessen Gewalt nur durch Gerechtigkeit bestehen kann^).
Aus dem zweiten Jahre Neros stammt die dem Kaiser
gewidmete Schrift von der Gnade. Darin empfiehlt er diesem
die Nachahmung des Augustus und der ersten Zeiten des
Tiberius und führt den Gedanken aus, dass die höchste
Autorität wohlwollend sein müsse, dass die Interessen des
Monarchen und des Gemeinwesens zusammenfielen, und dass
der Fürst, wenn er den Körper schone, dessen Seele er sei,
damit sich selbst schone^).
Der Fürst ist der Vertreter der Gottheit auf der Erde;
aber diese hohe Stellung legt ihm Beschränkung auf, denn
er ist gleicherweise der Vertreter der Gesetze, die das Ver-
hältnis zwischen Fürst und ünterthanen umzukehren geeignet
sind, also dass der Fürst selbst zum Diener aller wird^).
Seneca scheut nicht davor zurück, Cremutius Cordus,
dem unter Tiberius der Prozess gemacht wurde, weil seine
Geschichtschreibung einen oppositionellen Ton angeschlagen,
als Märtyrer einer altrömischen Gesinnung zu preisen*) und
die Stellen, an denen er Cato verherrlicht, zählen zu den
schönsten seiner Werke ^).
Cato ist jener Edle und Grosse, der wie ein Löwe oder
Tiger das Bellen der kleinen Hunde unbeirrt anhört, der hoch
über dem Stoiker Diogenes steht, der der ,, Tugenden lebendiges
Bild* ist. Er preist ihn als einen Mann, der sich mitten im
allgemeinen Ruin aufrecht hält. ,, Wenngleich alles der Herr-
schaft eines Einzigen unterworfen ist und alle Pforten be-
wacht sind, so weiss er doch einen Ausgang zu finden. Mit
einer Hand wird er der Freiheit eine breite Gasse eröffnen^^).
Aber Senecas Bewunderung gilt mehr dem charakterfesten
Manne als dem Politiker. Dazu stimmt es, dass in den
Schriften, die in unmittelbarer Beziehung zum Hofe stehen,
in dem Trostschreiben an Polybius und „Von der Gnade an
Nero*, der Name Cato fehlt. Die Regierung konnte eben die
Begeisterung für den Republikaner nicht harmlos finden, da
auch die extreme Richtung in der stoischen Schule auf seinen
Namen schwur. Es ist sicher, dass er für Seneca nichts
weniger als die Hoffnung auf Herstellung des Freistaates be-
*) 3, 16, 2.
*) Vgl. besonders 1, 3, 3 (1, 1, 6) die Stellen, an denen dies Thema
variiert wird, s. bei Heikel, S. 14.
') 1, 8, 1: Quid tn non experiris istad (imperiam) esse nobis, tibi Ser-
vituten!?
*) Ad Marciam 1, 2 a. a.
«) De constantia 1, 3; 2, 1. De tranq. 16, 1. Epist. 71, 11 De
ira 3, 32, 3. 3, 38.
•; De prov. 2, 9.
4. Neros Anfänge. Seneca als Keichsverweser. 29
deutete. Ja er kann sich nicht verhehlen, dass der Unter-
gang der Freiheit die natürliche Folge der Entwicklung des
Reiches ist. Soweit es mit der Hand eines Einzigen möglich
war, hat Cato den sinkenden Freistaat gehalten. ,,Was fängst
du an*, ruft er ihm zu, ,,es handelt sich nicht mehr um die
Freiheit, die ist längst zu Grunde gerichtet. Die Frage ist,
ob Caesar oder Pompeius Herr sein soll*, und wiederum
heisst es: „Warum hätte er die Veränderung der Staatsform
nicht überleben sollen, da alles dem Wechsel unterworfen
und an bestimmte Zeiten gebunden ist* ^).
M. Brutus, der Caesarmörder, habe nicht nach den Grund-
sätzen der Stoiker gehandelt, die da lehrten, dass die Monarchie
unter einem gerechten König vor allen Formen der Regierung
den Vorzug verdiene, und die Wiederherstellung der Republik
nach dem Verluste der alten Sitten ein unfruchtbares Ideal sei*).
Neros Vorgänger werden nur insofern sie tyrannisch und
grausam regiert haben, getadelt. Caesar wird gepriesen, der
den Sieg über seine Mitbürger nur soweit benutzte, um gegen
die Feinde Nachsicht, gegen Freunde Freigebigkeit ohne
Mass zu üben. Des Augustus Milde lobt er wiederholt, aber
nur die Anfänge des Tiberius haben seinen Beifall, von Cali-
gula redet er in Worten des höchsten Absehens. Er ist ihm ein
Wahnsinniger, ein Henker, ein reissendes Tier, ihn habe noch
im Tode geschmerzt, dass das römische Volk ihn überlebe^).
Sein Ideal ist der gerechte und milde Regent. ;5,Der
Prinzeps ist das Band, das den Staat zusammenhält, der
Lebensatem vieler Tausende, die Seele des Gemeinwesens.
Solange der Regent lebt, treibt alle nur ein einziger Geist.
Sein Fall zerreisst das Band der Treue. Sein Fall würde
den Frieden Roms untergraben und das Glück eines so ge-
waltigen Volks in Scherben schlagen. Sobald das römische
Volk des Zaumes ledig ist, so wird die Einigkeit und Ver-
bindung des grössten Reichs in Stücke springen, mit dem
Gehorsam dieser Stadt wird ihre Herrschaft ein Ende nehmen.
Der Kaiser ist längst mit dem Gemeinwesen so vereinigt, dass
sie beide zusammen gehören, beide zusammen untergehen.
Denn wie jener ohne Macht, so kann dieses ohne Haupt
^) Epist. 14, 13 nnd 71^ 1^. Quidni iUe matationem reipablicae forti
et aequo pateretnr animo! Qoid enim mntationis periculo exceptum!
*) De benef. 2, 20: Cum optimns ciritatis Status sub rege iusto sit
aat ibi speravit llbertatem futuram ubi tarn magnum praemium erat et im-
perandi et serviendi aut existimavit civitatem in priorem formam posse
revocari amissis pristinis moribus futuramque ibi aequalitatem civilis iuris
et staturas suo loco leges, ubi viderat tot milia bominum pugnantia, non
an senrirent, sed utri.
«) Vgl. De ira: 1, 20, 9. 2, 33, 6. 3, 19, 3. De brevitate vitae 18, 5.
Sievers, a a. O. S. 99 ig. Heikel, a.a.O. S. 24.
30 Erstes Buch.
nicht bestehen* 1). Nicht den Absolutismus, wie ihn die Des-
poten des Ostens ausüben, sondern eine gerechte Monarchie
hat Seneca hier im Sinne. Denn den äussern Glanz der
Stellung und die unumschränkte Macht teilt der Despot mit
dem Könige , aber nur aus wichtigen Ursachen und durch die
Verhältnisse gezwungen wird dieser einschreiten.
Die Alleinherrschaft ist also eine Notwendigkeit, aber
Dauer kann ihr nur mass volle Beschränkung verleäien, darum
ist der Prinzipat des Augustus, die zwischen Regent und
Senat geteilte Herrschaft, die beste Regierungsform. Nach
diesem Grundsatz haben Seneca und Burrus Nero beraten,
und dieser respektierte die seiner Macht gezogenen Grenz-
linien, bis die angeborne Bösartigkeit seines Charakters und
die Macht der VerhälUiisse im in die verhängnisvolle Bahn
der Willkür drängten.
Mit den von seinem Lehrer ihm in den Mund gelegten
Worten versprach der junge Regent, Milde zu üben und sich
Augustus zum Muster zu nehmen. Sein Haus wolle er von
dem Staate trennen, d.h. die Beamten des Palastes würden
keinen Einfluss auf die Geschäfte haben. Die Staatsangelegen-
heiten sollten in dem Lichte der Öffentlichkeit, nicht in dem
Dunkel des Palastes, nach Recht und Gesetz erledigt werdeü;
behalten solle der Senat seine alten Befugnisse, vor dem
Richterstuhl der Konsuln sollten Italien und die Senatsprovinzen
erscheinen; er werde für die ihm anvertrauten Heere sorgen.
Darf man sich wundern, dass der Senat diese Worte zum
Danke auf eine silberne Tafel eingraben Hess, dass miss-
liebige Verordnungen des Claudius trotz des Widerspruchs
der Agrippina, die sich zur Vertreterin des alten Systems
aufwarf, beseitigt wurden?
Der leuchtende Komet, der in den ersten Monaten der
Neronischen Herrschaft sichtbar war, verkündete dem Ver-
fasser der Hirtengedichte eine neue bessere Ära, in der
die Henker von ihrer Ermüdung ausruhen, die Kerker nicht
mehr gefüllt und die Kurie nicht mehr leer stehen wird, in
der das Konsulat wieder zu Ehren gelangen und die Gesetze
gelten werden*). In einem andern Gedichte wird der all-
*) De dementia 1, 4, 1. Vgl. De ira 1, 6 die ParaHele zwischen
Fürst und Arzt in der Behandlung der Kranken, lieber die Regierung
des Nero ist zu vergleichen H.Schiller und die Rezension seines Werkes
in den Göttinger gelehrten Anzeigen, 1873, S. 741 ; Historische Zeitschrift,
XXXII, 333.
•) Calpurnins, bucol. 1, 59 fg.:
Omne procul Vitium simulatae cedere pacis
Jussit et insanos dementia contudit enses.
NuUa catenati feralis pompa senatus
Carnifir.um lassabit opus nee carcere pleno
4. Neros Anfange. Seneca als Beichsverweser. 31
gemeine Frieden, die neu belebte Fruchtbarkeit der Fluren,
die Wiederkehr des goldenen Zeitalters und der Astraea ge-
priesen ^).
Das hohe Kollegium genoss ein Ansehen wie kaum jemals
vorher und gelangte zu einem entscheidenden Anteil am
Regiment. Weder sollte ein Freigelassener von nun an in seine
Reihen eintreten, noch den von seinen Vorgängern aufge-
nommenen der Zutritt zu den Ehrenstellen gestattet sein.
Senatoren, die Gefahr liefen, in unverschuldeter Armut zu
Grunde zu gehen, wurden durch ein Jahresgehalt bis zur
Höhe von 500000 Sesterzen unterstützt. Mit einem Worte,
es bestand ein vollständiges Einvernehmen zwischen den
beiden Gewalten , die nach dem Willen des Augustus berufen
waren, die Welt zu regieren, und ihm wird eine Reihe der
verständigsten Entscheidungen verdankt. Auch Tacitus muss
gestehen, dass damals ein gewisses Bild der Freiheit bestehen
bUeb^), und noch unter dem Jahre 60, als Nero schon zum
Schlechten neigte, betont er, dass das Ansehen des Senates
erhöht ward durch die Entscheidung, es müsse, wer in Civil-
sachen an den Senat appeUiere , dieselbe Summe niederlegen,
die bei Berufungen an den Kaiser gefordert war. Hatte einst
Tiberius die Nobilität zu ünthätigkeit und schlaffem Genuss-
leben verurteilt, Nero liess in Britannien und Armenien dem
kriegerischen Geiste des Suetonius Paulinus und Domitius
Corbulo weiten Spielraum.
Die Entscheidung des grossen Kampfes zwischen Agrippina
und Nero ist der Gegenstand der ersten Kapitel des vier-
zehnten Buches der Annalen und wird von Tacitus auf die
persönlichen Umtriebe der Poppaea zurückgeführt. j^Mit Spott-
reden setzte sie dem Prinzeps zu: er sei ein Unmündiger
ohne Macht und Freiheit,*^ bis das entsetzliche Verbrechen
vollendet war. Mit drastischer Lebendigkeit wird dann ge-
Infelix raros nnmerabit curia patres.
Plena quies aderit, quae stricti nescia ferri
Altera Satumi referet Latialia regna,
Altera regna Nnmae, qui primus ovantia caede
Agmina, Komuleis et adhuc ardentia castris
Pacis opus docuit iassitque silentibus armis
Inter sacra tubas, non inter bella, sonare.
Jam nee adumbrati faciem mercatus honoris
Nee vaeuos tacitus fasces et inane tribunal
Acüipiet consul; sed legibus omne reduetis
Jus aderit moremque fori vultumque priorem
Reddet et afflictum melior deus anferet aevum.
V. 77 : Gemitis ut puro nox iam vicesima caelo
Fulgeat et plaeida radiantem luce eometem
Proferat.
V bucol. IV, dazu Ribbeck, a. a. O. III; S. 48.
•) Ann. 13, 28.
32 Erstes Buch.
schildert, wie Nero von Verbrechen zu Verbrechen stürzt
und welche Einwirkung die sittUchen Zustände der leitenden
Kreise auf die Umgestaltung der Verfassung ausgeübt haben.
Wir sehen die persönlichen Kräfte, die miteinander ringen, ge-
wissermassen Leben und Blut gewinnen. Und wie er nicht den
Versuch macht, den Charakter der handelnden Persönlichkeiten
aus ihren Anlagen und Lebensgeschicken, aus ihrer Umgebung
und ihren Anschauungen über die öffentlichen Dinge, mit
einem Worte aus der Fülle ihres individuellen Daseins her-
zuleiten, eben so wenig werden wir mit der Geschichte der Ent-
stehung und dem Spiele der Parteien vertraut. Es versteht
sich, dass die staatskluge Agrippina sich eines starken An-
hanges versichert hatte. Noch kurz vor der Katastrophe
sprechen die Arvalbrüder in einer Weihinschrift den Wunsch
nach Wiederherstellung der Eintracht zwischen Mutter und
Sohn aus.
Und wenn Tacitus versichert, dass alle Schwächung ihres
Einflusses wünschten, so hat man darunter die Senatoren zu
verstehen, denen die zielbewusste Herrschaft eines Weibes
unerträgUch war. Aber die Unterstützung, die der Senat dem
Muttermorde geliehen, die Gewissenlosigkeit des Seneca, der
die Unthat in einer von ihm verfassten, an den Senat ge-
richteten Schrift zu rechtfertigen wagte, sollte böse Früchte
zeitigen 1).
Seit dem entsetzlichen Frevel sind für Nero gesetzliche
Formen ein unerträgücher Zwang. Als der ergebene Senat
beschloss, Agrippinas Geburtstag unter die Unglückstage zu
rechnen, verliess Paetus Thrasea die Sitzung; durch diesen
kühnen Schritt legte er sich, nach der Meinung des Tacitus,
den Grund der Gefährdung und verlieh den übrigen nicht den
Beginn der Freiheit. Es ist die erste Spur einer Opposition
im Senat. Im J. 63 ward Rubellius Plautus hingerichtet. Man
griff wieder zu dem Majestätsgesetz, und diese scharfe Waffe
schlug der hohen Aristokratie von neuem tödliche Wunden.
Nur des bösen Omens wegen wurde ein Antrag, den Kaiser
bei seinen Lebzeiten zum Gott zu erklären, abgelehnt.
Die Lage wurde noch misslicher durch die Finanznot, die
sich schon im J. 62 fühlbar machte. Sie veranlasste nicht
nur eine Verschlechterung des Geldes, sondern eine beträcht-
üche Zahl von Kupfermünzen ohne S. G. bekundet, dass dem
Senat, wenn auch nur für kurze Zeit, die Kupferprägung
entzogen wurde. Diese schwere Krisis war nicht etwa durch
^) Wilmanns, n. 2870; Gasagrandi, Agrippina la madre di Nero
(1878), S. 97. Der von dem ItaUener gemachte Yersach, Agrippina sn
Ehren zu bringen, ist, wie schon Dünzer in den Bonner Jahrbbrhem
LXVni, 152, gezeigt hat, total verfehlt.
5. Neros Tyrannis. 33
Nero allein verschuldet, sondern hing in der Hauptsache mit
dem übermässigen Luxus der römisch-griechischen Welt zu-
sammen. Für Seide, Gewürze, Perlen, die von dem fernen
Osten eingeführt wurden, zahlte das römische Reich mit
Edelhietall, für dessen Abfluss kein genügender Ersatz vor-
handen war.
Nach dem Tode des Burrus im J. 62 konnte sich Seneca
an der Spitze der Geschäfte nicht mehr behaupten; er trat
zurück, ohne zunächst die Gunst seines Zöglings zu ver-
heren, der noch im J. 64 mit ihm freundschaftlich verkehrte.
Aber den massgebenden Einfluss hatte des Burrus Nachfolger
Tigellinus gewonnen, und dieser nahm in Verbindung mit den
kaiserlichen Freigelassenen eine ähnliche Stellung ein, wie
sie vordem sein Vorgänger in Verbindung mit dem Senate
gehabt hatte. Die Delatoren spielten wieder eine Rolle,
wiederum suchte die Mehrzahl der Senatoren ihr Leben durch
Unterwürfigkeit zu sichern; stärkere Naturen, darunter die
angesehensten Mitglieder der Aristokratie, hielten sich zur
Opposition der stoischen Schule.
FÜNFTES KAPITEL.
Neros Tyrannis.
bo gross die Unzufriedenheit der vornehmen Kreise
auch war, den wenigsten kam die Aufhebung des Prinzipates
in den Sinn. Aber immerhin gab es unter denen, die auf
den Namen der Stoa schwuren, einzelne Männer, die, grund-
sätzlich Feinde der Alleinherrschaft, die Erneuerung der
Republik wünschten. Einer der namhaftesten Vertreter dieser
Richtung war Annaeus Lucanus , der eine Zeitlang dem Pala-
tium, zu dem er durch seinen Oheim Seneca Zutritt hatte,
nahe stand, später aber in das Lager der UnversöhnUchen
übergegangen war. Hatte Seneca den Porcius Gato als Ideal
der Mannheit verehrt, der mitten im allgemeinen Ruin auf-
recht steht, so feiert ihn der Neffe als den Genius der Partei,
dessen Verehrung an die Stelle des Kaiserkultes treten soll.
Schon im zweiten Buche der Pharsalia, in deren Anfang er
sich noch als Anhänger des Prinzipates bekennt, wird Cato
gepriesen „der einzige Hort der Tugend, dem allein Brutus
folgen wiIl^^ Im fünften Buche findet sich eine Anspielung
auf Neros Muttermord. Im siebenten beklagt er den Verlust
der Freiheit. „Unheilvoller als der Alüafluss und Gannae ist
Rom der Tag von Pharsalus geworden : seitdem ist die Frei-
heit über den Tigris und den Rhein entwichen. Glücklich
As b ach, Kaisertora und Verfassung. ^
34 Erstes Buch.
die unter einem Zwingherrn stehenden Reiche des Ostens,
Araber und Meder, traurig ist vor ihnen das Los des Römers,
der seine Knechtschaft für eine Schmach ansieht^'. Und im
neunten ruft er Rom zu: „Sieh Cato, den wahrhaftigen Vater
des Vaterlandes, der würdig ist deiner Altäre, bei ihm magst
du ohne Bedenken schwören, ihn wirst du, wenn du je mit
befreitem Nacken dastehen wirst, jetzt oder dereinst zum
Gotte machen^' 1).
Mitten in die Reibungen zwischen dem Kaiser und dem
Senat schlugen in Rom die Flammen der gewaltigen Feuers-
brunst hinein. Plinius, ein Zeitgenosse, versichert auf das
bestimmteste, dass Nero der Urheber des Brandes gewesen;
Tacitus entscheidet sich nicht, bemerkt aber dass, als in
den Besitzungen von Neros vertrautestem Freunde Tigellinus
das Feuer von neuem ausbrach, der Verdacht rege geworden
sei, er wünsche Raum für eine neue, nach seinem Namen
zu benennende Stadt zu gewinnen^). Es war am 19. Juli 64,
dem Jahrestage des GalUschen Brandes, als das Feuer von
den 14 Regionen der Stadt drei ganz, sieben grösstenteils
zerstörte.
An dies Ereignis knüpft sich der Anfang von Neros Ende.
Die Schuld an dem Unglück wälzte er auf die schuldlosen
Häupter der Juden und Christen. Die Verfolgung, die be-
sonders in Rom zahlreiche Opfer forderte, machte den Kaiser
auch den Massen verhasst und furchtbar. Hatten die Will-
kürmassregeln, zu denen er in seiner finanziellen Verlegen-
heit greifen musste, die ersten Feindseligkeiten zwischen
ihm und dem Senat hervorgerufen, so führten die Schät-
zungen, mit deren Erträgen die Kosten des Wiederaufbaues
der zerstörten Stadtteile bestritten werden sollten, und die
WUlkür und Grausamkeit des Regenten eine Missstimmung
herbei, die in wiederholten Verschwörungen zum Ausbruch
kam. In das grosse Komplot vom J. 65 waren die ange-
sehensten Männer, der Konsul Atticus Vestinus, der designierte
Konsul Plautius Lateranus, selbst der Gardekommandant
Faenius Rufus verwickelt, auch hatte letzterer eine Anzahl
von Tribunen und Centurionen gewonnen. Der Senator
Flavius Scevinus erbat sich die Gunst, den ersten Stoss
führen zu dürfen. An Neros Stelle sollte Calpurnius Piso
treten, aus altem Adel, der den Beteiligten Zusicherungen
gegeben hatte, dass er den Ansprüchen des Senates auf Frei-
heit Rechnung tragen werde. Der Entdeckung der Verschwö-
rung folgten zahlreiche Hinrichtungen. Die Furcht trieb den
1) Pharsälia 2, 241, 247 (dazu Boissier, a.a.O. S.280}. 7, 398—
436. 9, 601 fg. und Ribbeck, Römische Dichtung III, S. 94 fgg.
«) Vgl. die Streitfrage bei Schiller, a.a.O., S. 424 fg. Nissen be-
tont nachdi'ücklich , Nero sei entschlossen gewesen, das Rattennest in
Brand zu stecken. Vgl. Rhein. Museum IL (1895) S. 277.
5. Neros Tyrannis. 35
Kaiser von Mord zu Mord. Auch Lücanus und Seneca wurden
wegen ihres Einverständnisses mit Piso zu sterben genötigt i).
Um die Verschwörung hatte der Philosoph gewusst, ohne
daran einen thätigen Anteil zu nehmen 2), und wie er selbst
war die Mehrzahl der Verschworenen mit den Anschauungen
der stoischen Sekte erfüllt. Ganz in diesem Sinne rühmten
sie sich ihrer Absicht: „denn man habe Nero nicht anders
als durch den Tod helfen können, gebrandmarkt mit allen
Schandthaten wie er sei'^ Hat ein Teil der Verschworenen
wirklich, wie Tacitus berichtet s), daran gedacht, an Stelle
des Piso den Seneca zum Kaiser auszurufen, so bezweckte
man damit nichts weiter als die Zurückführung des Zustandes,
wie er in den ersten sechs Jahren des Neronischen Prinzipates
gewesen.
Die Entdeckung einer zweiten Verschwörung steigerte die
Erbitterung des Kaisers bis zu dem Grade, dass er sich zur
Drohung verstieg, „er würde auch die übrigen Senatoren nicht
schonen, ja den ganzen Stand beseitigen und Ritter und
Freigelassene an seine Stelle setzen*. Und solange er einen
Rückhalt bei den Prätorianern hatte, die als Belohnung Mann
für Mann 435 Mark und Verpflegung auf Kosten der Staats-
kasse erhalten hatten, war der Tyrann in der Lage, diese
Drohung auszuführen. Thatsächlich folgten die Verurteilungen
der namhaftesten Männer mit grausiger Schnelligkeit aufein-
ander. Als die Verschwörer beseitigt waren, kamen die
Verdächtigen an die Reihe.
Unter den Senatoren, die eine den Absichten des Herrschers
feindliche Richtung vertraten, war Paetus Thrasea einer der
angesehensten; sein Haus galt als der Mittelpunkt der Philo-
sophen. In seiner Haltung lag für eine Regierung, deren
Stellung erschüttert war, unleugbar eine grosse Gefahr. War
er doch im Beginn des Jahres der feierlichen Eidesleistung
ausgewichen und niemals unter den Bürgern erschienen, die
für das Wohl des Princeps Gelübde und Opfer darbrachten,
hatte er doch drei Jahre lang an den Beratungen der Kurie
keinen Anteil genommen und die Stirn gehabt, eine Lobschrift
auf Cato zu verfassen. Man schrieb ihm die hochverräterische
Äusserung zu: „Der Senat, die Magistrate , die Gesetze, Rom
selbst sind nicht mehr vorhanden^. Und wie ehemals die Un-
zufriedenen von Gaius Caesar und M. Cato geredet hatten,
^] Es ist noch immer nicht ausgemacht, ob der Staatsmann Seneca
die unter seinem Namen überlieferten Tragödien verfasst hat. Heikel
und Boissier zweifeln nicht daran; nach jenem (S. 17) sind sie in den
Jahren 58 — 62, nach diesem (S.88) kurz vor seinem Tode niedergeschrieben.
Vgl. dagegen Ribbeck, a.a.O. S. 82.
*) Er verneint es auch selbst nicht. Vgl. Tacitus, ann. 15, 65.
8) Ann. 15, 65.
36 Erstes Buch.
SO stellten sie jetzt in Rom Nero und Thrasea einander gegen-
über. Provinzen und Heere waren gespannt zu erfahren,
was Thrasea nicht gethan habe, weil man ihm die kühnsten
Schritte zutraute. ,^üm die Alleinherrschaft zu stürzen,
schütze jene Zunft Freiheit vor, und wenn die Macht beseitigt
wäre, würde man der Freiheit selbst zu Leibe gehen. Was
nütze es, den Gassius beiseite zu schaffen, wenn die Ri-
valen des Brutus wüchsen und gediehen ?^'i)
So eiferten die Freunde der Regierung, allen voran der
beredte Eprius Marcellus, der, als Thrasea im Senat zur
Verantwortung gezogen wurde , seine Anklage mit den Worten
begann, der Staat sei durch einen Empörer gefährdet, und
mit der Aufforderung schloss, er möge das Leben losreissen
von einem Staate, dem er schon längst die Liebe und jetzt
auch den AnbUck entzogen. Ohne einen Verteidiger gefunden
zu haben, ward der Angeklagte vom Senat als Empörer zum
Tode verurteilt. In seinen Sturz wurde Barea Soranus herein-
gezogen, der sich, wie Thrasea vom Senat verurteilt, selbst
den Tod gab. Mitten in den Verhandlungen, die über diese
Frage im Senat geführt wurden, brechen die Annalen des
Tacitus ab. Ihre beiden letzten Bücher, in denen Neros
Katastrophe erzählt ward, sind verloren gegangen. Ein
unersetzlicher Verlust! Mochte auch sein Bericht einseitig
und nicht frei von Parteiüchkeit sein, so vermissen wir doch
bei der Darstellung der grossen Wendung, die den Untergang
des Julischen Hauses herbeiführte , um so schmerzlicher seine
Leitung, als wir die Kenntnis jener Vorgänge aus minder-
wertigen Quellen schöpfen müssen.
Tacitus betont, dass die Senatoren sich zu Neros Mit-
schuldigen machten, und wenn etwas die Grausamkeit, mit
der dieser in den letzten Jahren seine Gegner verfolgte, ent-
schuldigen kann, so ist es die „feige Ergebung^', mit der man
sich in sein Schicksal fand, die Tacitus dem Senat seiner
Zeit als ein warnendes Beispiel vor Augen hält.
Die Erhebung, die der blutigen Tyrannis des Nero ein
jähes Ende bereitete, konnte nicht von dieser herabgewür-
digten und sittUch verkommenen Körperschaft ausgehen, sie
wurde durch die Erbitterung, welche die Tollheiten und
Schändlichkeiten Neros in den Provinzen des Westens hervor-
riefen, unvermeidhch.
Nero hatte längst als Wagenlenker, Dichter und Kitharöde
nach dem Beifall der Menge gestrebt , er berief sich auf alte
Könige und Heerführer. ,^Als Kitharöde stehe auch Apollo nicht
^) Ann. 16, 22 fg. und besonders die Rede des Marcellus 16, 28.
5. Neros Tyrannis. 37
nur in Griechenlands Städten, sondern auch in römischen
Tempeln, eine grosse der Zukunft kundige Gottheit*^ ^).
Mit seinem göttlichen Ursprung und dem Dienste der Götter
also, unter deren Schutz die Gaesaren zu stehen glaubten,
schien ihm diese Kunstübung im Einklänge. Dem Apollo
meinte er deshalb auch besondere Ehre schuldig zu sein,
weil er das Dunkel der Pisonischen Verschwörung mit seinen
Strahlen erhellt hätte 2). Um ihm eine Art musischen Dank-
opfers darzubringen'*), begab er sich im Herbst des Jahres 66
in das klassische Land aller Kunst und überliess die Re-
gierungsgeschäfte seinen Freigelassenen und dem Gardeprä-
fekten Numpidius Sabinus. Auch Männer von ernster Ge-
sinnung, wie Cluvius Rufus und Vespasianus, befanden sich in
seinem Gefolge. Mehrere Monate weilte er in Griechenland
und trat bei allen nationalen Spielen als Sänger und Wagen-
lenker auf. Er fühlte sich wohl unter den Griechen, die es
verstanden, seiner Schwäche zu schmeicheln. Die Stand-
bilder der frühern Sieger bei den Kampfspielen wurden
umgestürzt und 1808 Kränze ihm zuerkannt. Mit dem olym-
pischen Siegerkranze geschmückt, in der Rechten den pythi-
schen Lorbeer, angethan mit einem Purpurgewande und einer
gesternten Chlamys, hielt er auf dem Triumphwagen des
Augustus seinen Einzug in Rom und in den Tempel des
Apollo auf dem Palatin.
Diesem frivolen Treiben des Hofes mochte der Orient, der
an alle Arten von Despotenlaune gewöhnt war, ruhig zusehen;
aber längst hatte die masslos tolle Wirtschaft den gesunden
Sinn der ünterthanen des Westens empört, längst war eine
bewaffnete Erhebung der hart geschätzten Bevölkerung zu
erwarten gewesen; doch die Verblendung des Kaisers hatte
die Gärung nicht bemerken wollen. Und vergebens hatten
ihn, bei den ersten Anzeichen des von Norden her drohenden
Gewitters, seine Getreuen gemahnt, seine Rückkehr nach
Rom zu beschleunigen.
Er fühlte sich so sicher im Besitze seiner Herrschaft, dass
die Kunde von dem Abfalle der Gallier keinen besondern
Eindruck auf ihn machte. An dem unseHgen Tage, an dem
er vor neun Jahren seine Mutter ermordet hatte, am 19. März
68 n. Chr., war dieselbe nach Neapel gelangt*).
Der letzte entartete Sprosse der Julischen FamiUe, der Mörder
und Brandstifter, tausendfach geschändet an Leib und Seele,
war reif zum Untergänge. Die Saat wartete auf den Schnitter.
«) Ann. 14, 14.
«) Ann. 15, 74.
^) Vgl. Kenner, Wiener numismatische Zeitschrift, X, 277; dagegen
Schiller, Nero, S. 362.
*) Sueton, Nero 40.
38 Erstes Buch.
SECHSTES KAPITEL.
Die Schilderhebung des Vindex,
Neros Untergang
und Galbas Anfang.
Als Nero von seiner Autorität den schlimmsten und schmäh-
lichsten Missbrauch machte , ist in Rom gewiss nicht wenigen
der Wunsch nach einer gründhchen Umgestaltung der Zustände
rege geworden. An der republikanischen Gesinnung des Lu-
canus und eines Teiles des hohen Adels kann man nicht
zweifeln. Aber es war nicht denkbar, dass in der Hauptstadt
im Ernste der Versuch gemacht wurde, diese Gedanken zu
verwirklichen, weil die Garde, die schon nach Gaius Tode
im Gegensatz gegen den Senat die Anerkennung des Claudius
erzwungen hatte, auch jetzt die Fortdauer der Monarchie in
ihrem eigenen Interesse wünschen musste. Ebenso wenig
konnten die Legionen, deren Erinnerungen mit der Begrün-
dung des Prinzipates und mit dem Hause des Caesar aufs
engste verflochten waren, für die Wiederherstellung der
Repubhk eintreten. Vollends undenkbar war es, dass die
Provinzen, deren Zustand erst nach dem Untergänge der
Republik erträgHch wurde, sich für ihre Wiederaufrichtung
erhoben hätten. Wohl aber lag der Sturz eines grausamen
und unkriegerischen Regenten im Interesse dieser Kreise.
Doch angenommen, dass Nero zwar der Gehorsam auf-
gekündigt war, aber die Rückkehr zur Repubhk sich als
unfruchtbares Ideal erwies, wer sollte des Gestürzten Nach-
folger werden?
Die Monarchie, zur Erhaltung des Friedens begründet,
hatte sich auf Grund einer thatsächUchen Erbhchkeit im Ju-
lischen Hause fortgesetzt, ohne dass in diesem kritischen
Augenblick eine Succession zu Recht bestand. Es war die-
selbe eine offene Frage. Ehe ihre endgültige Lösung gelang,
wurde das Reich noch einmal durch die Stürme des Bürger-
krieges bis in seine Grundfesten hinein erschüttert.
Die Erhebung gegen Neros Misswirtschaft nimmt von
GaUien ihren Ausgang. Die vornehme und reiche Provincia
Narbonensis zwischen Alpen und Cevennen war seit der
Gracchenzeit das nächst der Poebene wichtigste Kolonisten-
land der Römer; seit Caesar mit der lateinischen Gemeinde-
verfassung beschenkt, konnte schon am Schlüsse der Augustei-
schen Zeit das Land zu beiden Seiten der Rhone für völlig
romanisiert gelten. Aber in dem weiten Gebiete der ^tres
6. Die Schilderhebung des Vindex, Neros Untergang und Galbas Anfang. 39
Galliae^' östlich der Cevennen, das von Augustus in vierund-
sechzig Kantone geteilt war, überwog entschieden das kel-
tische Element: diese binnenländischen Provinzen, in denen
Ackerland mit Jagdgründen und Sumpfboden wechselte, sind
zumal in dem belgischen Teile von der römischen Kultur nur
gestreift worden. Waren doch die Voraussetzungen einer
durchgreifenden Romanisierung, obschon seit Caesar der Ge-
brauch der lateinischen Sprache officiell war, nicht vorhanden.
Denn der italische Kaufmann erschien nicht zu häufig im
Binnenlande, und die Legionen hielten an der Grenze,
am grossen Strome gegen Kelten und Germanen zugleich
Wache. Die Folge davon war, dass sich nicht nur keltische
Sprache und Namengebung, sondern auch Gottesdienst, Klei-
dung und Lebensweise je weiter nach Norden, desto zäher
in nationaler Eigenart behaupteten i). Es hatte lange ge-
dauert, ehe sich die beweglichen Kelten in das eherne Joch
der römischen Herrschaft schicken lernten, das ihnen schliess-
lich doch erträgUcher vorkam, als die unaufhörUchen blutigen
Fehden ihrer Clane, denen die Römer ein für allemal steuer-
ten. Noch unter Tiberius hatten die wirtschaftlichen Not-
stände eine gefährUche Empörung hervorgerufen, deren lange
verborgene Fäden durch ganz GaUien gesponnen waren.
Beherzte Männer, der Treverer Juhus Florus und der Aeduer
Juüus Sacrovir, von ausgezeichnetem Adel und im Besitze
des römischen Bürgerrechts, waren die Leiter der Bewegung,
welche sich die Selbständigkeit der gallischen Nation als Ziel
steckte, aber durch die Wachsamkeit der germanischen Le-
gaten und die DiscipUn der Legionen niedergeschlagen wurde,
ehe sich die Streitkräfte der Aufständischen vereinigt hatten.
Seit dem Scheitern dieses Planes herrscht 50 Jahre hindurch
Ruhe in GaUien, das unter Claudius auch den alten Priester-
stand der Druiden, der durch Menschenopfer und Zauber
aller Art die Gemüter gefesselt hatte , gewaltsam unterdrückt
sah. Aber wie unter dem Schutze des Friedens die gesamte
Bevölkerung wuchs und ihr Wohlstand gedieh, so kam der
Segen der römischen Herrschaft besonders dem am Zusammen-
fluss von Rhone und Saöne höchst günstig gelegenen Lugu-
dunum zu statten, das, Sitz einer Reichsmünzstätte und
Garnison einer Cohors urbana, für den Norden eine ähnliche
Bedeutung hatte, wie Rom für die Welt des Mittelmeeres.
C. Julius Vindex, der Statthalter des lugudunensischen Gallien,
war es, der die Fahne des Aufstandes gegen Nero erhob.
Er trug nicht nur die Namen des grossen Caesar, sondern
*) F. Hettner, Die Caltur der GaUia Belgica, in der Westdeutschen
Zeitschrift, II, 1.
40 Erstes Buch.
gab auch vor, von einem seiner Bastarde abzustammen.
Seine Vorfahren hatten über eine der zahlreichen Völker-
schaften Aquitaniens geherrscht, sein Vater hatte dieser an-
gesehenen Stellung die senatorische Würde zu danken. Die
leider sehr dürftigen Quellen dieser Zeit rühmen des Rebellen
Einsicht, Kühnheit und Kriegserfahrung. Er wusste aber auch
in feurigen Manifesten die Misswirtschaft Neros zu brand-
marken, in treffenden Worten den Gegner zu schlagen, in
wohlberechneter Rede die Zuhörer zu einem Entschlüsse
hinzureissen. Die Eigenschaften der gallischen Nation besass
er in höchster Ausbildung.
Nachdem er den Legaten der westUchen Provinzen seine
Absicht brieflich mitgeteilt hatte ^), berief dieser verwegene
Mann im Frühling 68 die Gallier zu einer Versammlung. Seine
Rede, die Dio mitteilt 2), beleuchtete die Greuelthaten Neros
und betonte besonders die persönliche Herabwürdigung des
Kaisers, der als Sänger öffentlich auftrete und mit Sporos
und Pythagoras jede Art von Unzucht treibe. Dann forderte
er die Anwesenden auf, von dem entarteten Regenten sich
abzuwenden und dem römischen Senate und Volke Treue zu
schwören. Er bekräftigte selber durch einen feierlichen Eid,
dass er für seine Person den Prinzipat nicht begehre.
Die grosse Masse der gallischen Nation, vor allem der
Adel, traten unter seine Fahne. Infolge von Zuzügen aus allen
Gauen Galliens soll sein Heer auf 100000 Mann angewachsen
sein. Gewiss hatte diese Unternehmung einen nationalen
Charakter, aber wer ihm die Absicht zuschreibt, Gallien von
Rom loszureissen, und in der Bewegung ledigUch ein Vorspiel
der grossen Insurrection des folgenden Jahres sieht, geht zu
weit. Und wenn Plutarch in seiner Biographie des Galba
ganz Gallien zum Aufstand bereit sein lässt, und wenn in
der Rede des Vocula^) die Rebellion des Sacrovir und die
des Vindex auf dieselben Motive zurückgeführt werden, so
darf uns diese Thatsache nicht irre machen; es haben die
spätem Schriftsteller wie so oft aus dem Charakter der nach-
folgenden Begebenheiten auf frühere Vorgänge zurückge-
schlossen. Dass die Trennung von Rom keineswegs seine
Losung war, zeigt die von ihm mit den Vornehmen der
Aeduer und Sequaner unterhaltene Verbindung, die, im Besitz
einer bevorzugten Stellung in Gallien, Beseitigung der römi-
schen Herrschaft nicht wünschen konnten. Noch mehr als dies
zeigt es die Thatsache, dass er seine Truppen für den Senat
^) Plutarch, Galba 4.
•) Dio, 63, 22; Zonaras, 11, 13 Suetoii, Galba 9.
«) Tacitus, Hist. 1, 57.
6. Die Schilderliebung des Vindex, Neros Untergang und Galbas Anfang. 41
und das römische Volk in Eid nahm^). Aber wahrscheinlich
ist, dass er den auf den gallischen Provinzen lastenden
Steuerdruck beseitigen oder ihnen gar die Stellung von
Clientelstaaten geben wollte, dergleichen im Osten noch be-
standen. Wie dem auch sein mag, jedenfalls findet die von
Mommsen mit vielem Geist vertretene Ansicht, als ob Vindex
nicht den Sturz des Monarchen, sondern der Monarchie auf
seine Fahne geschrieben habe, in der zusammenhängenden Über-
lieferung, an die sich die folgende Darstellung streng hält, keine
Stütze^). Der Bericht des Plutarch über diese Vorgänge in der
Biographie des Galba hat fast den Wert einer gleichzeitigen
Quelle, da er um das Jahr 46 geboren, unter den Flaviern als
Lehrer der Philosophie in Rom weilte und im persönlichen
Verkehr mit hervorragenden Männern stand, die an den Er-
eignissen der Jahre 68 und 69 selbst beteiligt waren. So erzählt
Plutarch, dass ihm Mestrius Florus, der im J. 68 das Kon-
sulat bekleidete, auf dem Felde von Bedriacum Mitteilungen
über die daselbst gegen Otho geschlagene Schlacht gemacht
habe.
Es wird zwar nicht geradezu bezeugt, dass Vindex den
Legaten von Obergermanien für seinen Plan zu gewinnen
gesucht hat, aber das Schicksal des Sacrovir musste ihn be-
lehren, dass sein Unternehmen wenig Aussicht auf Gelingen
hatte, wenn er nicht der Unterstützung der benachbarten
Statthalter sicher war. Es entsprach jedoch der vorsichtig
abwartenden und von Ehrgeiz freien Natur des Verginius
nicht, zuzugreifen, sondern den Dingen ihren Lauf zu lassen.
Anderseits konnte es nicht fehlen, dass die Verhandlungen
mit Galba rasch zum Ziele führten. Schon dem Jüngling
hatten Weissagungen die Herrschaft versprochen, und bei
des Gaius Ermordung war er nahe daran gewesen, die Ge-
legenheit zu ergreifen. Aus einem alten Geschlecht und in
der Verwaltung wie im Heeresdienst von erprobter Tüchtig-
keit, durfte er sich für würdig halten, an die Stelle des ent-
arteten Claudiers zu treten. Hatte Nero ihm wirkhch das
Schicksal des Domitius Corbulo zugedacht, so bUeb ihm
*) Der letzte Kampf der römischen Republik, im Hermes XIII (1878),
S.^0 fg. H. Schiller, „Adsertor libertatis", im Hermes XV, 620 fg. Da-
gegen Mommsen, Hermes XVI, 147 fg. Alle Streitpunkte zusammen-
fassend H. Schiller, Jahresbericht über römische Geschichte und Chro-
nologie (1881), S. 339.
•) Wenn Vindex dem Senat und Volke in Rom schwören lässt, so
braucht dies noch lange nicht zu heissen, „die alte republikanische Ord-
nung als zu Recht bestehend anzuerkennen '^. Mommsen, a. a. O., S. 93.
Der Streit über die Bedeutung von „adsertor libertatis" (Plinius, Historia
naturalis XX, 14, 160; Martial, VII, 63) scheint mir gegenüber dem Ge-
wicht der Ueberlieferung bei Dio und Plutarch gegenstandslos.
42 Erstes Buch.
damals keine andere Wahl, als auf die Anträge des Vindex
einzugehen. Nach der von Plutarch und Dio vertretenen
Überlieferung hatte Vindex ihn wiederholt vergeblich aufge-
fordert, mit ihm gemeinsame Sache zu machen; erst als
ersterer dem Kaiser den Gehorsam aufgekündigt hatte und ihn
ersuchte, sich einem starken Leibe, der nach einem Haupte
verlange, nicht zu entziehen ^), habe er sich auf Drängen des
T. Vinius zum Abfall entschlossen.
Diese von Vindex ausgegangene Aufforderung ist mit der
ihm zugeschriebenen Absicht der Beseitigung der Monarchie
nicht besser vereinbar als die andere Stelle aus dem an
Galba gerichteten Briefe, er wünsche ihn den Römern als
Oberhaupt statt des Tyrannen Nero 2). Welcher Aufrührer
aber, fragt Schiller mit Recht, der sich gegen die Allein-
herrschaft ausgesprochen, kann in demselben Atem sich für
einen neuen Üleinherrscher entscheiden, ohne das Vertrauen
seiner Anhäuger vollständig zu verlieren? Plutarch trifft die
Sache, dass die Bewegung des Vindex ein blosser Abfall
gewesen und erst durch die Verbindung mit Galba den Cha-
rakter eines Bürgerkriegs angenommen habe.
Nun ist für die Frage, die uns beschäftigt, Galbas Ver-
halten höchst lehrreich. Der Konvent, den er am 2. April 68
abhielt, war eine grosse Demonstration gegen Nero. Auf
dem Tribunal des Imperators sah man die Büder der von
Nero getöteten Senatoren, ihm zur Seite einen jungen Ade-
ligen, den er von den Baleareninseln, wo er als Verbannter
weilte, als lebendigen Zeugen der Grausamkeit des Regenten
hatte kommen lassen. Angesichts der Versammlung beklagte
Galba den traurigen Zustand des Reiches. Da begrüssten ihn
die Soldaten als Kaiser. Aber Galba wies diese Würde von
der Hand und erklärte, dass er nur Legat des römischen
Senats und Volkes sei. Und wenn weder Vindex noch Galba
die Republik herstellen wollten, wozu diese Umstände? Es
war ihnen doch bekannt, dass der Senat in Rom ein blosser
Name, ohne Macht und Kraft zu selbständigem Handeln, in
seinen Entschliessungen an den Willen der Gardepräfekten
gebunden war. Nicht ganz trifft das Richtige, wer annimmt^),
dass Galbas Massnahmen von Rücksicht auf die haupt-
städtische Besatzung geleitet waren und dieser auf solche
*) Plutarch, Galba 4. Die Yerhandlangen zwischen Viodex und
Galba faUen wohl noch in das Jahr 67 und sind anscheinend die
dringenden Umstände, auf welche die Berichte der Freigelassenen hin-
weisen, um Neros Rückkehr aus Griechenland zu beschleunigen.
•) Plutarch, Galba 4: "Oxt oe ßoöXexat •Pö)pia(otg Ix^tv äpxovxa fidtXXov
'fl Nipcova xupavvov. Damit im wesentlichen übereinstimmend Sueton.
*) Sievers, Studien zur Geschichte der römischen Kaiser, S. 148 fg.
6. Die Schilderhebung des Yindex, Neros Untergang und Qalbas Anfang. 43
Weise faktisch die Wahl des Imperators anheimgegeben wm*de;
man darf eben nicht vergessen, dass das Selbstgefühl der
Legionen verletzt worden wäre, wenn Galba seine Erhebung
allein der einen spanischen Legion zu danken hatte.
So energisch die Thätigkeit war, die dieser entfaltete, vor
der Hand verliefen die Dinge nichts weniger als glatt. Nicht
nur wankte die Treue seiner Truppen, die Katastrophe,
die den Vindex ereilt hatte, wäre fast zu einem auch für
Galba vernichtenden Schlage geworden. Es hatte viel daran
gefehlt, dass alle gallischen Stämme die nationale Sache
ergriffen. Die Treverer und Lingonen, vor allem das mäch-
tige Lugudunum bewahrten Nero die Treue. Verginius
Rufus war mit seiner ganzen Macht von Mainz aufgebrochen
und vor Vesontio gerückt, zu dessen Entsätze Vindex herbei-
eilte. Vor den Mauern der Stadt hatten die beiden Heer-
ftihrer eine geheime Unterredung, in der sich Verginius der
Koalition zwischen Galba und Vindex anschloss, welche die
Entscheidung über die neue Regierungsform dem Willen des
Senats vorbehielt ^). Aber der nationale Gegensatz zwischen
den Legionen und dem Insurgentenheere war stärker als der
Wille der Feldherren. Plutarch^) vergleicht sie in diesem
Augenblick mit Wagenlenkern , denen die Zügel entfallen sind.
In der Schlacht, die sich gegen ihren Willen entspann, wurden
die gallischen Milizen zu Tausenden erschlagen. Sein Ge-
schick beklagend, stiess Vindex sich das Schwert in die Brust^).
Auch Galba gab seine Sache verloren und soll sogar daran
gedacht haben, sich selbst das Leben zu nehmen. Er zog
sich nach Clunia zurück, von wo aus er den Verginius Rufus
brieflich aufforderte, mit ihm gemeinsam Herrschaft und Frei-
heit den Römern zu wahren*), das heisst doch, die von dem
Tyrannen Nero beseitigte Dyarchie wiederherzustellen.
In diesem Sinne hatte Rufus schon seinen Entschluss ge-
fasst. Als die Legionen Neros Bilder herabrissen und ihrem
Führer die Kaiserwürde antrugen, gab er die Entscheidung
über das Imperium dem Senat und dem Volke anheim^), er
^) Dio 63, 24: KcLzä xoO Nipcövog, cbg ely.d^Q'zo, oüviO-evxo Ttpdg
') Plutarch, Galba 6. Tacitus, Hist. 1, 89, bezeichnet den Krieg
als ein „bellum provinciale quod inter legiones Galliasque velat extre-
mum foit".
•) Dio 63, 25, sagt nur: 'Kcbv bi xoöxo xal neptaXyi^oag 6 0ö(v8tg
aÖTdg iauxdv Soqpags . . . 'Poöqpog xoöxov laxopög iiziw%^oew,
*) Plutarch, Galba 6.
*) Ebend., Kap. 10. eine Stelle von entscheidender Bedeutung: ^Exervog
TÖX8 xotg ig Äpx^S §|iH^vö)v Xoytopiorg icgoXcczze, z% ouyxXi^xtp x:f]v
aCpsoiv xoö aöxoxpocxopog. Kaixot cpavspÄg ye xfjg Nipwvog
xsXsuxf)^ ysvojiivTjc etc.
44 Erstes Buch.
hat, wie seine Grabschrift sagt, ,^das Imperium dem Vaterlande
vorbehalten^'^). Die Truppen fügten sich, und auch das nieder-
germanische Heer nahm eine abwartende Stellung ein.
,^Nie hat'', sagt Mommsen, ;,die Erneuerung des alten
aristokratischen Regiments näher gelegen als nach jenen Vor-
gängen bei Vesontio im Mai des Jahres 68. Sämtliche comman-
direnden Generale des Westens, Galba und Otho in Hispanien,
Macer in Afrika, Rufus und Capito in Germanien, hatten die
Republik proklamirf^. Es soll nicht geleugnet werden, dass
die einflussreichsten Generale den Senat als die höchste ent-
scheidende Behörde und den rechten Vertreter des römischen
Volkes anerkannten und insofern der Übergang zur republikani-
schen Regierungsform nahe gelegen hat. Aber dieser Schritt
ist nicht gethan worden. In der ÜberUeferung bei Plutarch
und Dio findet sich nicht nur kein Anhaltspunkt, die von
Mommsen aufgestellte Behauptung zu rechtfertigen, sondern
es ist wiederholt von der Herstellung des Prinzipates, wie ihn
Augustus gegründet hat, die Rede. Nur Glodius Macer, der
damals in seiner Treue gegen Nero nicht wankte^), hat später
den erfolglosen Versuch gemacht, für die Republik zu kämpfen.
Die Betrachtung der Vorgänge in Rom, die Neros Sturz
unmittelbar herbeiführten, wird uns in der Überzeugung be-
stärken, dass in Rom die Fortdauer des Prinzipates keinen
Augenblick in Frage gestellt wurde.
Für Nero war auch nach dem Abfall der germanischen
Truppen das Spiel noch lange nicht verloren. In Italien stand
eine beträchtUche Truppenmacht: ausser der hauptstädtischen
Garnison, die treu zum Kaiser hielt, eine neu ausgehobene
Legion und zu einem orientalischen Kriege abberufene Ab-
teilungen der Armeen des Westens. Aber die Rat- und
Thatlosigkeit des Kaisers war grenzenlos. Er nahm, ^j, quasi
fatale esset non posse Gallias debellari nisi ase consule" dem
einen der Ordinarien, Silius Italiens, das Consulat und führte es
selbst, zunächst in Gemeinschaft mit dem andern, mit Trachalus,
bis er auch diesen zum Rücktritte zwangt); kaum dass er mehr
*) Plinius, Epist.9, 19, teilt die von ihm gewünschte Grabschrift mit:
Hie Situs est Rufus pulso qui Vindice quondam Imperium adseruit non sibi
sed patriae.
•) Plutarch, Galba 6: „'Aytoxapidvtov TtoXXöv xoO N^pcovo^ xal
Tidvxtov §metxd5g xq) FocXßq: TtpogxtO-snivwv, novo? KXcböiog Mdxpog §v
Atßöij xal Oöepyfvtog Poöcpog . . aöxol xa^'iauxoüg Siipaxxov, od xVjv
aöxTjv atpsotv Ixovxeg." Wie ist denn diese Stelle damit vereinbar, dass
Clodius in Gemeinschaft mit den andern Generalen die Republik prokla-
mierte? (Mommsen, a.a.O., S. 96.) Clodius Macer trieb nur die Feind-
schaft gegen Galba. Die Ankunft des Galvia Crispinilla muss nach Neros
Tode erfolgt sein. Vgl. Sievers, a.a.O., S. 159.
^) Sneton, Nero 43. Vgl. dazu meine Bemerkungen im Rhein.
Mus. XXXV, S. 183.
6. Die Scliilderhebung des Vindex, Neros Untergang und Galbas Anfang. 45
that, als Galba für einen Hochverräter erklären und seine
Güter einziehen. So mussten die Treue der Truppen und der
Glaube der Massen an den Beruf des Regenten erschüttert werden.
Eines Tages lief ein Schiff aus Ägypten ein, das mit feinem
Nilstaub für die kaiserliche Rennbahn befrachtet war, statt
sehnlich erwartetes Korn zu bringen; da verdüsterte sich unter
dem Drucke der Teuerung, einer Folge der unsichern Zu-
stände, die Stimmung in der Hauptstadt bis zu dem Grade,
dass Gerüchte nicht nur vom Abfall des Verginius Rufus,
sondern auch des gegen ihn ausgesandten Petronius Tur-
pilianus Glauben fanden. Als nun gar Nero Anstalten traf,
nach Alexandrien zu entfliehen, weil ihm die Astrologen die
Herrschaft über den Orient verkündet hatten^), weigerten
sich die Tribunen und Centurionen der Garde, die durch die
Bevorzugung der germanischen Leibwache länlgst verstimmt
war, ihn auf seiner Flucht zu begeiten. Die Ränke des Garde-
präfecten Numpidius Sabinus, der sich für einen Sohn des
Caligula ausgab und auf diese Verwandtschaft ehrgeizige Ent-
würfe gründete, machte die Prätorianer dem Nero vollends
abspenstig. Er stellte ihnen vor, dass der oberste Kriegsherr
sie im Stiche lasse und es darauf ankomme, die Gunst seines
Nachfolgers zu gewinnen. Durch das Versprechen eines Geld-
geschenks von 30000 Sesterzen gab er seinen Worten den
erforderlichen Nachdruck.
Dies geschah noch bei Neros Lebzeiten. Er hatte sich
in die Servilianischen Gärten begeben, wo er einen bestimmten
Entschluss zu fassen gedachte. Als er aber um Mitternacht
erfuhr, dass die wachthabende Kohorte das Palatium verlassen
habe und in der Prätorianerkaserne dem Galba gehuldigt
werde, ritt er zu dem Landhause eines seiner Freigelassenen,
wo er sich den Tod geben liess, nachdem er noch erfahren,
dass der Senat ihn für einen Feind des Staats erklärt habe.
Es geschah an dem nämlichen Tage, an dem er einst die
Octavia gemordet hatte.
Ohne Verzug hatte der Senat nach dem Vorgange der Präto-
rianer Galba anerkannt, und in Gallien zwang Verginius Rufus
seine Truppen zur Eidesleistung. 2) DiesemBeispiel folgten die Le-
gionen am Niederrhein, an der Donau und im Orient. Nur in Afrika
^) Sueton, Nero 40: Praedictum a mathematicis Neroni olim erat
fore ut qnandoque destitueretur .... spoponderant tarnen quidam desti-
tuto orientis dominationem , nonnulH nominatim regnum Hlerosolymomm.
Aus denselben Kreisen stammt die auf Yespasian bezogene Weissagung
fore nt profecti Judaea regno potirentur.
•) Plutarch, Galba 7: "Oxt xal ^övcog Ixt xoö N^ptovog oöx
övxog bä qjavepoö xd oxpötx8üp.a icpöxov, elxa 6 Sfjp.og xal -^ aÖYxXyjxog
aöxoxpÄxopa xdv TäXßav dva^opsöoetev öXf^ov ti öoxspov dTiaYysXÖ-siyj
T8^vT]xä)g ixetvo^. Vgl. Sievers, 8.153, Anmerk. 27.
46 Erstes Buch.
glaubte man, es könne die Republik wieder ins Leben treten. Hier
hatte Clodius Macer nach Neros Tode den altrepublikanischen
Titel eines Proprätors angenommen und durch Verhinderung
der Getreideausfuhr Rom zu bedrängen versucht. Die von
ihm geschlagenen Silbermünzen reden mit Aufschriften und
Symbolen von der Herstellung der Republik *). Aber ehe noch
das ereignisreiche Jahr abUef , wurde er auf Galbas Befehl er-
schlagen^) und seine Legion entlassen. Galba war damit allent-
halben im Reiche zur Anerkennung gelangt, und auf seinen
Münzen durfte er auf die ,,concordia provinciarum* hinweisen.
Zahlreiche Münzen der kurzen Regierung Galbas, teils
mit, teils ohne seinen Namen, tragen die Aufschrift ,,libertas
restituta*', von der auch eine hauptstädtische Inschrift Zeugnis
ablegt^). Diese Worte bringen den Anspruch zum Ausdruck,
den der Senat auf Teilnahme am Regimente hatte, und haben
keine andere Bedeutung als die „libertas^ auf Münzen der
ersten Jahre des Claudius, der die Welt von der Tyrannei
des Gaius so gut befreit hat, wie Galba der Gewaltherrschaft
des Nero ein Ende machte. Sie sind in dem Sinne zu nehmen,
wie Tacitus die ^Freiheit* fasst, als den in rechtmässiger
Gemeinschaft mit dem Senat geführten Prinzipat, wie ihn
nach der Schreckensherrschaft Domitians Nerva begründet
und Traian festgehalten hat.
SIEBENTES KAPITEL.
Galba und Otho.
Die Hauptquelle für die letzten Jahre Neros und die Er-
hebung Galbas ist der Bericht des Cassius Dio, der uns aber
nur im Auszug des Xiphilinus erhalten ist, und die Lebens-
beschreibungen des Galba und Otho von Plutarch, der ge-
schrieben hat, noch ehe er des Tacitus Werke kannte. Mit
dem 1. Januar des Jahres 69 beginnen die Historien, deren
*) H. Cohen, Monnaies imperiales (2. Aufl.) I, 317. „Wenn Galba,
der am 15. Januar 69 umkam , 9 Monate 13 Tage regiert hat (D i o 64, 6)
und dies die offlzieUe Rechnung war, so zählte er sein Imperium von
dem Tage seiner Proklamation durch die Truppen in Spanien an^. Her-
zog, a.a.O. IIS S.281.
«) Cohen, S. 322, Anm. 31.
') CIL 6, 471 neben „Serv. Galbae imp. Aug.", Cohen, I, besonders
S. 326. Der Herzog von Blacas hat in der Revue numismatique (1862)
die angeblich republikanischen Münzen, die nach Neros Tode geprägt
wurden, zusammengestellt. Ich bin auch hier im Gegensatz gegen Momm-
sen und Blacas in wesentlicher Übereinstimmung mit Schiller, „Jahres-
bericht" (1882), und Boissier, L'opposition sous les Cesars, S. 68.
7. Galba und Otho. 47
uns gerettete Bücher von dem Standpunkt der Traianischen
Zeit den jähen Wechsel der Ereignisse des Jahres 69, den
Sturz dreier Regenten in kunstvoller Darstellung schildern.
Diesem Bericht haben wir es zu danken, dass wir über das
Verhältnis, in dem jede neue Regierung zum Senat stand,
ausreichend unterrichtet sind. Vor Galba, der im Herbst des
Jahres 68 seinen Einzug in Rom hielt, war der Ruf blutiger
Strenge hergegangen. Es zeigte sich bald, dass die Persön-
lichkeit des neuen Imperators, der sich den Wiederhersteller
der Freiheit und des Erdkreises nannte, und der Adel, der
in dem Fahrwasser der Reaction steuerte, nicht imstande
waren, den Zuständen, die sie geschaffen, Dauer zu verleihen.
Mit den Prätorianern hatte es Galba von vornherein ver-
dorben, da ihnen seine Äusserung zu Ohren gekommen war,
dass er die Soldaten nicht kaufe, sondern auslese, und da
dementsprechend das von Numpidius verheissene Geldgeschenk
noch immer vorenthalten wurde. Man erzählte sich, er wolle
die germanischen Legionen decimieren; man sah, wie ganze
GUeder der Armee ausgestossen wurden, schliesslich fühlte
sich niemand mehr sicher.
Alle Schritte Galbas sind von der Rücksichtnahme auf den
Adel geleitet, für den jetzt die Stunde der Rache gekommen war.
Die germanische Leibwache, welche Nero die Treue gewahrt
hatte, ward entlassen, die vertrauten Freigelassenen, denen
Nero sein Ohr geliehen, wurden in Fesseln über den Markt ge-
führt und unter dem Frohlocken des Volkes hingerichtet. Um die
Staatskassen zu füllen, wollte er alle Schenkungen Neros bis auf
den zehnten Teil wieder einziehen, und als eine dazu eingesetzte
Konunission von 50 Rittern auf unlösbare Schwierigkeiten stiess
und nm* geringe Summen eingingen, schreckte er nicht vor
der Gehässigkeit zurück, das Verfahren auf alle auszudehnen,
die irgend etwas von jenen Geschenken erkauft oder sonst
empfangen hatten; so rief er eine endlose Verwirrung
hervor. Der Senat fasste den bedeutsamen Beschluss,
gegen die Ankläger einzuschreiten. Schon kehrten die Ver-
bannten heim, schon bereitete Helvidius Priscus, einer der
Wortführer der Stoiker, zurückgerufen, seinen Sturmlauf
gegen Eprius Marcellus vor, von dem Tacitus unter dem
Eindrucke der selbsterlebten Reaction gegen Domitians
Schreckensherrschaft ausführlicher berichtet*).
Infolge dieser und anderer Missgriffe, namentlich in der
Wahl seiner Ratgeber, unter denen sich Männer von unlau-
^) Von Galbas Reformen handelt ein älterer Aufsatz von Ad. Schmidt,
abgedruckt in den Abhandlungen zur alten Geschichte, Leipzig 1888,
S. 528 fg.
48 Erstes Buch.
terer Gesinnung wie T. Vinius und Icelus befanden, hatte,
noch ehe der von den rheinischen Legionen erhobene Vitellius
allgemeine Anerkennung fand, das Regiment des Galba den
Boden unter den Füssen verloren. Sein Sturz ist durch die
Nachfolgefrage herbeigeführt worden. Diese war bis dahin
noch immer im Einvernehmen mit den Prätorianern geregelt
worden, mit denen Galba auf dem schlechtesten Fusse stand.
Der Kaiser, alt und kinderlos, wählte sich einen Adoptivsohn
aus dem hohen Adel, den jungen Piso Licinianus, der seinen
Stammbaum auf Pompeius und Crasgus zurückführte und selbst
unter Neros Willkürherrschaft gelitten hatte. Tacitus teilt in
der Rede, die er dem Galba in den Mund legt, die Erwägun-
gen mit, von denen er bei diesem Schritte geleitet war.
Wenn des Reiches ungeheuerer Körper ohne Lenker stehen
und im Gleichgewicht bleiben könnte, so wäre er es wert, dass
die Republik mit ihm ins Leben träte. Jetzt könne sein Alter
dem Volke nicht mehr als einen guten Nachfolger und Pisos
Jugend nicht mehr als einen guten Fürsten verleihen. ^ Unter
Tiberius, Gaius und Claudius waren wir gleichsam eines ein-
zigen Geschlechtes Erbteil: ein Entgelt für den Verlust der
Freiheit wird sein, dass wir begannen gewählt zu werden,
und nach dem Aussterben des Julisch-Claudischen Hauses wird
Adoption jedesmal den Besten zu finden wissen*. Im Verlaufe
der Rede wird empfohlen, bei diesem wichtigen Akt auf des
Volkes Stimme zu achten. Der Schluss fasst dann das Pro-
gramm der Regierung Galbas nachdrücklich zusammen: ;j,Hier
giebt es nicht, wie bei Stämmen, die Königen gehorchen, ein
bestimmtes Herrscherhaus und sonst Sklaven, sondern du
sollst über Menschen herrschen, welche weder völlige Knecht-
schaft noch völlige Freiheit zu erdulden vermögen*^). Die
Wahl des Piso und die Art, wie sie vorgenommen wurde,
waren unzweifelhaft darauf berechnet, dem Kaiser die Sympa-
thien des Senats, die er durch seine rücksichtslose Härte fast
verscherzt hatte-, zu sichern.
Hatte der Kaiser gehofft, durch diesen ausserordentlichen
Schritt seinen Prinzipat zu befestigen, so musste er sofort die Täu-
schung erleben, dass M. Salvius Otho, der dem Galba die wesent-
lichsten Dienste geleistet und die Adoption für seine Person
erwartet hatte, infolgedessen zur Empörung getrieben ward.
*) Bist. 1, 15, 16. Herzog, a. a. O., S. 282 bemerkt richtig, dass
Tacitus den Galba niclit so reden lassen konnte, wenn er nicht in dem
wirklichen Charakter des Kaisers Anknüpfung für diese Grundsätze gefun-
den hätte. Die Rede enthalte eine Zurechtlegung des Prinzipates aus den
Anschauungen des Tacitus selbst. Dessen Urteil finde sich bist. 1 , 49: Ipsi
medium ingenium magis extra vitia quam cum virtutibus. Dass Galba
an Augustus angeknüpft habe, zeige auch die von ihm in Spanien ge*
schlagene Münze (Cohen 1' p. 79 n. 109) mit divus Augustus — Hispania.
7. Galba und Otho. 49
Die Prätorianer, denen die Wahl zwar angezeigt, aber auch
diesmal kein Geschenk gewährt wurde, empfingen, unter der
Hand bearbeitet, den von einem Häuflein Soldaten zum Im-
perator ausgerufenen Otho mit offenen Armen. Galba, den
alles verliess, und Piso Licinianus, der adoptierte Caesar, muss-
ten sterben. Der Senat, dem Tacitus auch hier den Vorwurf
der Servilität nicht erspart*), beeilte sich, Otho anzuerkennen.
Der neue Regent suchte den Senat auch für die Folge durch
Rücksichtnahme an seine Person zu fesseln. Bezeichnend
sind die Worte, die ihm von Tacitus in den Mund gelegt
werden. ;,VitelIius^, ruft er den Soldaten zu, ^^besitzt ge-
wissermassen das Scheinbild von Macht, mit uns ist der Senat.
So geschieht es, dass hier der Staat, dort des Staates Feinde
stehen. Wie ? — Soll diese herrliche Stadt nur aus Palästen
und Steinmassen bestehen? Dinge, die tot und seelenlos sind
und gleichmässig untergehen und aufgebaut werden können.
Des Staates ewige Dauer und der Völkerfriede gründen sich
auf die Wohlfahrt des Senates, der mit der Gegenwart die
fernste Vergangenheit und die entlegenste Zukunft verknüpft". 2)
Aber Senat und Adel verfolgten mit Misstrauen die Schritte
des Kaisers, den das Volk als den ^5, neuen Nero^ begrüsst
hatte, der selbst gelegentlich diesen Beinamen führte, und
keinen Versuch machte, der Zuchtlosigkeit der Garde zu
steuern. Allem Anscheine nach hängt mit dieser Haltung des
Senates das Fehlen des Kupfergeldes unter dieser Regierung
zusammen.*)
Im Reiche hatte Otho allgemeine Anerkennung gefunden.
Nur der Westen trat für den von der Rheinarmee am I.Januar
in der Hauptstadt der Ubier erhobenen A.Vitellius ein. Ohne
Säumen rückten seine Legaten, Caecina und Valens, gegen
Italien vor und besiegten unweit Creftiona bei Bedriacum die
Streitmacht Othos. Das Unerwartete geschah: dieser gab
sich selbst den Tod.
In dem Wesen dieses Mannes sind ganz entgegenge-
setzte Eigenschaften vereinigt. Grausam gegen Galba und
Piso, lässt er gegen die Angehörigen des Vitellius Milde
walten. Gewandt und vornehm in seinem Auftreten, der
Gemahl der schönsten Frau, hatte er diese, um Einfluss zu
gewinnen, dem Nero abgetreten und war dann in die ent-
legenste Provinz entfernt worden. Der weichliche Höfling,
der in Neros Umgebung sich in jeglicher Lust geschult hatte,
wusste sich doch, als die Stunde der Not schlug, zu zügeln
^) Hist. 1, 45, 47.
«) Hist. 1, 83. Vgl. H. Schiller, Kaisergeschichte, I, S. 375.
") Auf den Münzen heisst er Imp. M. Otho Caesar Angustus, ebenso
in den Arvalakten. Vgl. Herzog, a.a.O., S. 285.
Asbach, Kaisertom und Verfassoog. ^
50 Erstes Buch.
und Entscheidungen zu treffen, wie sie der Lage angemessen
waren. Sein Ausgang vollends hat den sonst herbe urteilen-
den Tacitus für ihn eingenommen. In der Seele des Mannes
habe Sinn für ewigen Nachruhm geschlummert und durch den
herrlichsten Entschluss sei das grosse Verbrechen seines
Lebens, die Ermordung Galbas, gesühnt worden. Die Farben,
mit denen er Othos Ende malt, hat Tacitus aus unzureichen-
der Kenntnis der Verhältnisse und aus Hass gegen Vitellius
gemischt. Ohne gerade die ÜberUeferung zu fälschen, hat er
den Verlauf der Katastrophe von Bedriacum verschoben und
dadurch die historische Wahrheit auf den Kopf gestellt. In
der That hatte die Unterwerfung seiner Generale das Schick-
sal des Imperators entschieden. Denn hätte sich auch der
Kampf noch einige Wochen hinziehen lassen, nach 3em
Übertritt der Hauptarmee mit den illyrischen Truppen waren
für Otho alle Aussichten verloren, seiner Sache eine günstige
Wendung zu geben ^). Da für diese Sache zugleich der Senat
eingetreten war, so hatte er zuletzt gegen einen Usurpator
mid fremde Eroberer gekämpft.
ACHTES KAPITEL.
Vitellius und Vespasian.
Unter den Persönlichkeiten , an denen sich die historische
Muse des Tacitus versucht hat, ist schweriich eine zu nennen,
die mit dem gleichen Grade von Hass und Verachtung wie
Vitellius gezeichnet wäre. Wie er es meisterhaft verstand,
durch Färbung seiner Darstellung und Weglassung wesent-
Ucher Züge den Charakter Othos „zu adeln und zu heben*^,
so hat er mit derselben Kunst der Colorierung allem, was
Vitellius that und liess, den Stempel des Gemeinen auf-
gedrückt.
In den Augen ernsthafter Männer sei sein Benehmen
niederträchtig gewesen; seine Anhänger hätten es Freund-
lichkeit und Güte genannt, weil er ohne Mass und Urteil eige-
nes und fremdes Vermögen vergeudete. Wenn ihm auch eine
gewisse Geradheit des Charakters nicht abgesprochen wird, so
schwächt der Autor dieses Lob durch die Einschränkung ab,
dass sie aus der Unfähigkeit Tugenden zu erheucheln und Fehler
zu verdecken entsprungen sei^). Und immer verhängnisvoller
entwickeln sich diese Fehler. Vom Waffenlärm umtost, am
hellen Tage trunken, von Speisen überladen, kostet er im vor-
aus das Glück der Alleinherrschaft, indessen der Eifer des Heeres
^) Th. Mommsen, Cornelius Tacitus und Cluvius Rufus. Hermes IV
S. 310 fg.
*) Hist. 1, 52. 1, 62. 2, 57. 58. 3, 56. 86.
8. Vitellius und Vespasian. 51
zugleich die Pflichten des Soldaten und des Führers erfüllte.
Dieser wird auf eine Stufe mit Tieren gestellt, die sich nur
regen, wenn ihnen Trank und Speise gereicht wird. Den
Caesarnamen, den er anfangs abgelehnt hatte, nimmt er zu-
letzt aus Furcht des guten Omens wegen an. Auf ein so
geartetes Gemüt machte das Gerede der Leute einen tiefern
Eindruck als weiser Rat. Schliesslich würde er seines Kaiser-
tums vergessen haben, wenn ihn andere nicht daran erinnert
hätten. Gewiss hatte Vitellius eigene Verdienste nicht auf-
zuweisen und sein Emporkommen in erster Linie dem Namen
seines Vaters zu danken. Auch Galba ernannte ihn nicht
wegen seiner Würdigkeit, sondern weil er wegen seiner Nei-
gung zu den Freuden der Tafel ungefährlich schien, auf
Empfehlung des T. Vinius zum Legaten des niedergermani-
schen Heeres. Daselbst hatte er die Ergebenheit seiner Leute
durch Offenheit und Leutsehgkeit gewonnen, Eigenschaften,
für die zu allen Zeiten Soldatenherzen empfänglich waren.
Nach Othos Untergang beeilte sich der Senat, den Sieger
anzuerkennen, und mochte dieser auch die Anknüpfung an
die Caesaren verschmähen, so hat er doch, statt sein Im-
perium vom 2. Januar, dem Tage, an dem ihn seine Legionen
erhoben hatten, zu rechnen, den Tag dieses Senatsbe-
schlusses als dies imperii betrachtet.
Sonst war Vitellius nicht gesonnen, dem Senat Entgegen-
kommen zu beweisen. Schon in Lugudunum hatte er durch
eine symboUsche Handlung unzweideutig dargethan, dass er
die Herrschaft in seiner Familie erblich zu machen wünsche.
In feierlicher Versammlung nahm er damals zwischen seinen
Legaten Valens und Caecina auf einem kurdischen Sessel
Platz und liess das ganze Heer seinem Söhnchen, das er auf
dem Schosse hielt, huldigen, legte ihm seinen eigenen Namen
Germanicus bei und bekleidete das Kind mit dem Feldherrn-
mantel und allen Abzeichen fürstlicher Hoheit.
Seine Scharen hausten schlimmer in ItaUen als die Horden
des Brennus: Krieger in Tierfelle gehüllt, mit Ungeheuern
Waffen ausgerüstet, hielten in Rom wie in einer eroberten
Stadt ihren Einzug. Eine neue Garde, bis auf 16000 Mann
verstärkt und vorwiegend aus der Rheinarmee gebildet,
sollte für die neue Regierung der Rückhalt sein und der
Ritterstand entschieden bevorzugt werden i). Während der
Freigelassene Asiaticus in den wichtigsten Angelegenheiten
eine entscheidende Rolle spielte, wurde der Senat, der noch
vor kurzem mit Galba die Herrschaft geteilt und unter Otho
*) Tac. bist. 1, 58: Ministeria principatus per libertos agi solita in
aqnites Romanos disponit. Sueton, Vitellius 12.
4*
52 Erstes Buch.
seine Würde gewahrt hatte, nach Siegerrecht behandelt, als
ob er einer fremden Nation angehörte.
Hatte schon Otho das Andenken Neros erneuert, seine
Standbilder wieder aufgerichtet, seine Procuratoren und
Freigelassenen wieder in ihre alten Ämter eingesetzt und die
Mittel zur Vollendung des ;, goldenen Hauses^' bewilhgt,
Vitellius ging, um sich bei der Menge beliebt zu machen,
in dieser Beziehung noch weiter. Mitten auf dem Marsfelde
brachte er, umgeben von einer zahlreichen Schar von Staats-
priestern, Nero ein Totenopfer, bei seinen Gastmählern liess
er Neros Lieder vortragen und sein ,,goldenes Haus*^ der
Vollendung entgegenführen.
Des Vitellius Schalten und Walten hatte ein ganz un-
römisches Gepräge. Sueton drückt dies mit den Worten
aus : er habe sich über alles göttliche und menschliche Recht
hinweggesetzt. Nichts kann dafür bezeichnender sein als die
von demselben Gewährsmanne mitgeteilten Thatsachen, dass
er am Tage der AUiaschlacht die Würde des Pontifex Maxi-
mus übernahm, die Beamten auf zehn Jahre im voraus
bestimmte, sich selbst zum lebenslänglichen Konsul er-
nannte.
Diesem würdelosen Treiben setzten sich die Legionen des
Ostens und der Donauländer entgegen. Sie waren empört
über den Übermut der Fremden, die auf ihre Körperkraft
pochten und mit barschen Worten die andern Soldaten ver-
letzten.
Der eingehende Bericht des Tacitus stellt es ausser
Zweifel, dass Vespasianus, den der Gang der Ereignisse und
eigene Tüchtigkeit zu einer grossen Rolle beriefen, erst nach
längerm Schwanken, unter dem Einfluss, den sein Sohn
Titus auf ihn ausübte, sich entschlossen hat, auf das An-
erbieten des L. Licinius Mucianus, der sich auf seine syri-
schen Legionen wie er selbst auf das palästinische Heer
verlassen konnte , trotz seines hohen Alters einzugehen. Ehr-
geizige Absichten hatte man unter Galba dem Cluvius Rufus,
der das diesseitige Spanien, und dem Lucceius Albinus, der
Mauretanien verwaltete, vielleicht mit Unrecht, zugeschrieben.
An Vitellius hatte niemand, an Vespasian nur wenige ge-
dacht. Als aber das Reich in die Hände der germanischen
Eroberer geraten war, konnte neben dem General, der sich
in allen Stufen des Dienstes bewährt halte und dessen Wach-
samkeit, Sparsamkeit und Klugheit in aller Munde waren,
ein anderer umsoweniger in Frage kommen, weil in seinen
beiden Söhnen, besonders in dem ehrgeizigen, hochgebil-
deten, der höchsten Stellung gewachsenen Titus, die Nach-
folge und die Zukunft des Reiches gesichert waren. Vater
8. Vitellios und VespaslaD. 53
und Sohn hatten ihr Ohr längst glückverheissenden Orakel-
sprüchen und Konstellationen geliehen. Auf die Nachricht von
der Erhebung Galbas trat Titus eine Reise nach Rom an, um den
neuen Imperator zu beglückwünschen, Ehrenstellen zu erlangen
und sich durch Verdienste um den kinderlosen Greis der Adop-
tion würdig zu machen. Schon war er bis Korinth gekom-
men, als er gleichzeitig von der Erhebung Othos und der
Empörung des Vitellius hörte. Nachdem er mit seinen
Freunden zu Rate gegangen, entschloss er sich, den Gang
der Ereignisse unter dem Schutze der Legionen seines Vaters
abzuwarten, und kehrte über Kypros nach Syrien zurück. Auf
Kypros liess er sich im Tempel der Venus Paphia eine
glänzende Zukunft weissagen, während die Gedanken Ves-
pasians durch wunderbare Vorzeichen längst auf die höchste
Stufe menschlichen Glücks gelenkt waren. Eines Abends
kam eine stattliche Cypresse auf seinem Landgate unerwartet
zu Falle; am folgenden Tage schaute man, wie sie sich an
derselben Stelle erhob, von neuem grünte und ihre Äste
höher und breiter entfaltete. Seine Freunde hatten dies Prodi-
gium auf das Konsulat, und als er dieses erlangt hatte, auf
das Imperium bezogen. Dem Legaten hatte dann auf dem
Berge Karmel, wo an uralter Opferstätte ohne Tempel und
Bild die Gottheit verehrt wurde, der Priester Basilides den
von Tacitus aufgezeichneten Spruch gegeben: „Was du auch
im Sinne führen magst, ein Haus zu bauen, Grundbesitz zu
erwerben oder die Zahl der Sklaven zu vermehren, dir wird
ein ausgedehnter Herrensitz eigen sein, weite Grenzen, eine
grosse Menge ünterthanen. " Es konnte nicht fehlen, dass
durch diesen neuen Seherspruch die Erinnerung an eine alte
Weissagung belebt wurde, kommen werde die Stunde, wo
nach dem Willen des Schicksals Männer aus Judaea zur
Weltherrschaft gelangen würden. In den weitesten Kreisen,
in denen diese Sprüche von Mund zu Mund gingen, regte
sich das Gefühl für die kommende Veränderung der Dinge.
Man ahnte, dass eine Verjüngung der römischen Welt durch
neue Männer und neue Ordnungen bevorstand.
Von Alexandria waren Caesar und Octavian nach Rom
zurückgekehrt, um ihre Herrschaft in feste, verfassungs-
mässige Formen zu bringen und den Frieden dem Reiche zu
sichern. In Alexandria ist Vespasian am 1. Juli 69 zum Kaiser
ausgerufen worden, und erst fünf Tage später folgten diesem
Vorgange die Legionen in Judaea. Alexandria hat er als den
Schlüssel des Mittelmeeres selbst behauptet, bis seine Partei-
gänger sich Italiens und der Hauptstadt versichert hatten. In
Ägypten glaubte die Menge unerhörte Zeichen und Wunder
wahrzunehmen. Widerstrebend musste der Kaiser, als wenn es
54 Erstes Bach.
für sein Glück nichts Unmögliches gebe, mit seinem Speichel
die Augen eines Blinden benetzen, mit seiner Fusssohle einen
Gelähmten berühren. Im Tempel des Serapis erblickte er
hinter seinem Rücken einen vornehmen Ägypter Basilides,
der in jenem Augenblick 80 Mihen weit entfernt weilte.
^Diese Wunder*, bemerkt Tacitus, ;, erzählen Augenzeugen
auch jetzt noch, wo mit der Erdichtung nichts mehr zu ge-
winnen isf^i).
-^^^►f'^s^«*-
*) Hist. 4, 81, 82.
Zweites Buch.
Die Monarchie der Flavier.
■» ^'
ERSTES KAPITEL.
Die Beendigung des Bürgerkrieges und
Vespasians Rückkehr nach Rom.
Während der Prinzeps durch Zeichen und Wunder seinen
Anspruch, der von den Göttern berufene Nachfolger des Augus-
tus zu sein, beglaubigen liess, waren die Legionen des Orients
aufgebrochen, um durch die Gewalt ihrer Waffen dem von
ihnen erhobenen Imperator die Anerkennung des Westens
zu erzwingen. Gleichzeitig traf Titus seine Vorbereitungen,
um die Bergveste Jerusalem, in die sich die Juden, im Felde
allenthalben besiegt, zu verzweifeltem Widerstände zurück-
gezogen hatten, mit einer gewaltigen Gircumvallationslinie
einzuschliessen.
In ItaUen gestaltete sich der Verlauf der Begebenheiten
für die Flavier günstiger, als die kühnsten Erwartungen an-
genommen hatten. Mit den illyrischen Legionen war der ver-
wegene Antonius Primus, dem Mucianus zuvorkommend, unter
Preisgebung der Alpengrenze auf dem kürzesten Wege an den
Po geeilt. Auf derselben Walstatt, auf der im Frühjahr Otho
unterlegen war, trug die umsichtige Führung des Antonius
Primus in den letzten Tagen des Oktobers den Sieg über
die Tapferkeit der Vitellianer davon; er besetzte darauf die
wichtigsten Plätze der Halbinsel. Schon damals liess er die
Bilder Galbas, die während des Krieges gestürzt worden waren,
in allen Municipien wieder aufrichten, um das Verfassungs-
mässige des neuen Regiments unzweifelhaft darzuthun.i)
Die Flotte, die bei Ravenna ankerte, war gleich im
^) Tac. bist. 3, 7: Galbae imagines discordia temponim sub veraas in
Omnibus municipiis recoli iussit Antonios, decorum pro causa ratus, si
placere Galbae principatus et partes revirescere credereutur. Tacitus
bemerkt dazu, dass dieser Massregel eine grössere Wichtigkeit beigelegt
wurde, als sie in der That verdiente.
58 Zweites Buch.
Beginne des Feldzuges zu ihm abgefallen; jetzt wurde auch
auf den Schiffen in Misenum die Fahne der Flavianer auf-
gepflanzt. So beherrschten diese das ganze Meer und be-
drohten von allen Seiten die Küsten Italiens. Auf die wenigen
Truppen, die dem Vitellius noch zur Verfügung standen,
konnte sich dieser, als der Untergang des Fabius Valens, des
treuesten seiner Parteigänger, bekannt geworden war, nicht
mehr verlassen. Sie stiegen mit ihren Feldzeichen und Fähn-
lein auf die Ebene bei Narnia hinab und wurden von Antonius
mit freundlichen Worten in sein Heer aufgenommen. Vitellius
sah sich auf die Stadt Rom beschränkt.
Hier hatten sich die angesehensten Bürger um den
Stadtpräfekten Flavius Sabinus, den altern Bruder Vespasians,
geschart. Dieser vermittelte mit Vitellius , der alles verloren
gab, ein Abkommen; er war bereit, auf das Imperium zu ver-
zichten, wenn ihm in Itahen ein ehrenvoller Wohnsitz zuge-
sichert wurde. Aber die Partei, die zu ihm gehalten, und
die Reste der germanischen Legionen waren mit seiner Ab-
dankung nicht einverstanden. In dem Augenblick, als er die
kaiserliche Wohnung verliess, zwangen ihn seine Soldaten,
gegen die geschlossene Abkunft wieder als Imperator aufzu-
treten. Ja er liess sich, der Not des Augenblicks gehor-
chend, Augustus und Caesar nennen i). In der Stadt ent-
brannte ein offener Kampf; Flavius Sabinus suchte mit seinen
Anhängern Schutz auf dem Capitol, das, von den Vitellianem
angegriffen, in Flammen aufging, während Flavius Sabinus
dabei ums Leben kam.
Diese blutigen Vorgänge bestimmten Antonius Primus , mit
bewaffneter Hand in die Stadt einzudringen und vor den
Augen der Bürger den letzten Widerstand der Vitellianer im
Blute von fünfzigtausend Menschen zu ersticken. Der Kaiser,
den man aus einem Verstecke hervorgezogen hatte, wurde
von einem seiner Soldaten misshandelt, durch die Strassen
geschleppt und, mit Wunden bedeckt, die gemonischen Stafen
hinab in den Tiber geworfen (20. Dez.).
„Zu des Staates Vorteil gereichte es ohne Zweifel, dass
Vitellius besiegt ward. Aber zum Verdienst können sich ihre
Treulosigkeit nicht anrechnen, die Vitellius dem Vespasian
^) In den Arvalakten heisst der Kaiser bloss ViteUins GermanicnB
Imperator, auf einigen Münzen auch Aug. — Tac. bist. 1, 62: Caesarem
86 appellari etiam victor prohibuit. 2, 62: Praemisit in nrbem edictamy quo
vocabulnm Ang^ti di£ferret, Caesaris non reciperet, cum de potestate nihil
retraberet 2, 90: Nomen Augusti expressere at adsnmeret. 3,58: Quin et
Caesarem se dici Toluit, aspematos antea, sed tone snperstitione nomiinf.
Vgl. Herzog, a.a.O. S.285.
1. Die Beendigung des Bürgerkrieges n. s. w. 59
verrieten, da sie von Galba abgefallen waren/' Mit diesen
Worten sehliesst das dritte Buch der Historien des Tacitus ab.
Antonius Primus hatte schon begonnen, in der eroberten
Stadt, in der die ungeordneten Zustände fortdauerten, den
Herrn zu spielen, als Mucianus ankam und eben so sehr durch
politische Einsicht wie durch das Gewicht seiner Persönlich-
keit den Sieger von Cremona in den Schatten stellte. Nach-
dem die unzuverlässigen Trappen entfernt und des Antonius
Macht gebrochen war, stellte er ohne Mühe die Ordnung
wieder her. Von Bewaffneten umgeben, Wohnungen und
Gärten wechselnd, eignete er sich in Pracht, Aufzug und
Wachen die Gewalt eines Fürsten an und verzichtete nur auf
den Namen^). In die furchtbare Krisis, die Italien und Rom
am schreckUchsten heimsuchte, waren alle Teile des Reiches
mehr oder weniger hereingezogen worden. Da war es für
die Befestigung einer dauernden Herrschaft von Bedeutung,
dass des Vespasianus Hände von Bürgerblut frei blieben. Im
Herbste 70 beeilte er sich, nach Italien zurückzukehren,
„um des Friedens und seiner Familie zu walten'' und vor allem
Domitian in seine Schranken zu weisen, der die Grenzen
seines Alters und seiner Sohnespflicht überschritten hatte*).
Die schnellsten Schiffe befrachtete er mit Getreide und
vertraute sie dem noch tobenden Meere an. Schwebte doch
die Stadt in grosser Gefahr, da nur noch für zehn Tage die
Speicher mit Korn versehen waren. Schon vorher war auf
Befehl des Mucianus der Sohn des Vitellius und Calpurnius
Galerianus, der Sohn des von Galba adoptierten Piso, ums
Leben gebracht worden, weil die Zwietracht fortbestehen
werde, wenn er den Keim des Krieges nicht vernichte. Über-
haupt war die Macht in Mucians Händen, wenn auch mit
dem Namen des Caesar Domitianus, der an Stelle des Julius
Frontinus Anfang Januar die städtische Prätur übernommen
hatte, Briefe und Edikte eröffnet wurden 3).
Gesetze und Geschäfte der Beamten kehrten, nachdem
das Kriegsvolk entfernt war , in die Stadt zurück. Auch der
Senat trat mit einem bedeutsamen Beschlüsse in seine Thätig-
keit ein. Auf Domitians Antrag wurde Galbas Andenken
wiederhergestellt. Für Piso war ein Gleiches beschlossen
worden, ohne dass der Beschluss zur Ausführung kam. Aber
ein allgemeiner Sturmlauf gegen die Ankläger wurde nicht
unternommen, so sehr eine Partei im Senate darauf drang.
Das Signal dazu war allerdings gegeben, als Publius Geier,
der den Barea Soranus durch ein falsches Zeugnis gestürzt
*) HiBt. 4, 11. 4, 39.
•) Hist 4, 51, 52.
»j Hist 4, 11, 40.
60 Zweites Buch.
hatte , auf Antrag des Musonius Rufus , eines der Wortführer
der stoischen Partei, verurteilt und so den Manen des So-
ranus Genugthuung geleistet ward. Junius Mauricus wagte
es, den Caesar zu bitten, er möge dem Senate Einsicht in
die Denkschriften der früheren Regenten verstatten, um dar-
aus zu ermitteln, wen jemand zur Anklage sich erbeten habe.
Die Sache wurde an den Kaiser verwiesen. Zunächst ver-
fasste der Senat nach dem Vorgange der Angesehensten
eine Eidesformel, nach welcher um die Wette alle Beamten
und die übrigen, wie sie gefragt wurden, die Götter zu Zeugen
anriefen, dass durch ihre Schuld niemand gefährdet worden,
dass sie weder Lohn noch Ehre aus der Not ihrer Mitbürger
geerntet hätten. Wer kein reines Gewissen hatte, suchte den
Wortlaut der Eidesformel zu verändern, während die Sena-
toren bei dem einen ihr Vertrauen zu erkennen gaben, an-
dere tadelten, ein Sittengericht, das besonders schwer auf
Sariolenus Vocula, Nonius Attianus und Cestius Severus
lastete, die sich als Delatoren unter Nero hervorgethan hatten.
Auf Sariolenus, der dasselbe Gewerbe unter Vitellius betrieben,
drangen die Väter mit geballten Fäusten ein, bis er sich aus
der Kurie entfernte. ÄhnHch erging es dem Pactius Africanus,
der für den Sturz der Scribonier verantwortUch gemacht
wurde. Eine donnernde Rede des Curtius Montanus gegen
Aquillius Regulus, den der Sturz des Hauses der Crasser
und des Orfitus zum Gegenstande des grössten Hasses ge-
macht hatte, hörte der Senat mit solcher Zustimmung,
dass Helvidius Priscus Hoffnung fasste, es Hesse sich auch
wohl Eprius Marcellus stürzen. Indem er anhob mit des
Cluvius Rufus Lobe, der nicht minder reich und beredt, unter
Nero niemanden gestürzt habe, brachte er den Eprius mit
der Beschuldigung und dem Vergleiche ins Gedränge und
versetzte den Senat in leidenschaftliche Aufregung. Als Mar-
cellus dies bemerkte, sagte er, als wolle er die Kurie ver-
lassen: ;,Wir gehen, Priscus, und überlassen Dir Deinen
Senat; sei König in des Caesars Gegenwart''. Ihm schloss
sich Vibius Crispus an, beide erbittert, doch mit verschie-
dener Miene, drohend Marcellus, höhnisch lächelnd Crispus,
bis sie von herbeieilenden Freunden zurückgezogen wurden.
Auf der einen Seite, so fährt Tacitus fort, stand die besser
gesinnte Mehrheit, auf der andern wenige und einflussreiche
Männer. So ging unter Zwietracht der ganze Tag hin*).
In der nächstfolgenden Senatssitzung machte Mucianus
dem unerfreuUchen Treiben ein Ende. Er nahm sich mit
Wohlwollen der Ankläger an und gab denen, die eine begon-
nene und dann abgebrochene Untersuchung wiederaufnehmen
wollten, ein en gelinden Verweis. Und die Väter liessen die
») Hist. 4, 41—44.
1. Die Beendigung des Bürgerkrieges n. s. w. 61
erstrebte Freiheit, sobald man ihnen entgegenwirkte, fallen
und gaben sich zufrieden, als Mucian die Senatoren Oetavius
Sagitta und Antistius Sosianus, die ihr Exil verlassen hatten,
als verworfene Menschen auf die ihnen früher angewiesenen
Inseln zurückwies, jj, Unbedeutend waren Sosianus und Sagitta,
auch wenn sie zurückgekehrt wären. Man fürchtete nach
wie vor der Ankläger Talente, Reichtum und ihren in allen
schlimmen Ränken geschulten Einfluss*.
Waren in Rezug auf die Restrafung der Delatoren die
meisten Senatoren einig, so gingen in einer andern Frage
die Anhänger der stoischen Richtung ihren eigenen Weg. Im
Senate wurde über die Frage verhandelt, ob die an Vespa-
sian abzuordnenden Gesandten durch das Los bestimmt oder
von den Magistraten namentlich gewählt werden sollten.
Helvidius Priscus verlangte die Losung und begründete seinen
Antrag mit der Erwägung, dass Vespasian, der in enger
Verbindung mit den Gegnern der Regierung Neros, mit
Thrasea und Soranus, gestanden habe, eine Regrüssung durch
Männer dieser Gesinnung nicht verübeln könne. Aber die
Mehrheit lehnte es ab, auf die Wünsche einer Partei einzu-
gehen, die fast seit der Regründung der Monarchie dieser
grundsätzhch nur Schwierigkeiten bereitet hatte. Frühere
Zustände, so führt bei Tacitus der redegewandte Eprius
Marcellus aus, dürfe er bewundern, er halte es aber mit
den gegenwärtigen; gute Regenten seien Gegenstand seiner
Sehnsucht, er nehme sie aber, wie sie auch seien, getrost
hin. Von Thrasea habe sich der Senat losgesagt, Helvidius
möge immerhin an Charakterstärke mit Cato und Rrutus
wetteifern; er selbst vergesse nicht, dass er Mitglied des
Senates sei, der mit ihm sich gefügt habe. Es fromme nicht,
sich über den Fürsten emporzuheben und den Vater er-
wachsener Söhne zu hofmeistern. Wie den schlimmsten
Regenten eine schrankenlose Gewaltherrschaft, so gefalle den
trefflichsten Mässigung der Freiheit.
Der Senat bemühte sich überhaupt, dem neuen Regenten
das grösste Entgegenkommen zu beweisen. Als Helvidius
eine Entscheidung über die Einschränkung der Ausgaben
herbeiführen wollte, stellte es sich heraus, dass der Senat
nicht geneigt war, über eine so wichtige Angelegenheit
einen Reschluss zufassen, ehe der Kaiser zurückgekehrt war.
Und über desselben Mannes kühnen Antrag, das Kapitol auf
Staatskosten wiederherzustellen und auch Vespasian zur
Deckung des Aufwandes heranzuziehen, gingen die Gemässig-
ten mit Schweigen hinweg^).
*) Hist. 4, 8—11.
62 Zweites Buch.
Zwischen Prinzeps und Senat wurde, um des erstem
Gewalt genau zu begrenzen, ein Vertrag geschlossen, der
dank einem glücklichen Zufalle bis auf den verloren gegan-
genen Anfang erhalten ist^). Man darf annehmen, dass Ves-
pasian selbst auf diese Formulierung der ihm zustehenden
Rechte gedrungen hatte und dass der Senatsbeschluss durch
eine formelle Abstimmung in den Comitien genehmigt wurde.
Dem Vespasian werden darin die Befugnisse übertragen,
die vor ihm Augustus, Tiberius und Claudius wirklich ausge-
übt hatten. Aber wie die Namen des Gaius und Nero aus
der Urkunde ausgeschlossen sind, so sollen in Zukunft die
von diesen geübten Gewaltsamkeiten nicht mehr vorkommen
und der Prinzipat sich in den Formen eines gesetzmässigen
Amtes halten. Aber welche Machtfülle vereinigt in den Hän-
den des Prinzeps die Befugnis, ;, alles, was nach seiner Mei-
nung im Interesse des Staates und der Majestät göttlicher
und menschlicher, öffentlicher und privater Dinge ist, so zu
erledigen, wie es dem Augustus, Tiberius und Claudius ge-
stattet war^'! Von denselben Gesetzen und Volksbeschlüssen
wie diese soll auch Caesar Vespasianus entbunden sein.
Die Legionen hatten ihn zum Imperator erhoben, während
ein anderer, den der Senat anerkannte, noch regierte. Nach
dessen Tod hatte man sich beeilt, nicht nur diesen Akt zu
genehmigen, sondern auch seine Regierung*) und alle in
Frage kommenden Rechte, eingeschlossen die tribunicische
Gewalt, bis zum 1. Juli, dem Tage, an dem die Truppen in
Alexandria ihn als Imperator ausgerufen hatten, zurückzu-
datieren. Wie anders war bei Galba verfahren worden! Er
hatte anfangs auf den Imperatortitel verzichtet und sich be-
gnügt, als ,legatus senatus ac populi Romani* .aufzutreten,
bis der Senat ihn proklamierte. Dem neuen Regimente
eignete ein vorwiegend militärischer Charakter; dem ent-
sprach es, dass der Name Imperator, den die Vorgänger ver-
einzelt geführt hatten, von nun an ausnahmslos in * der
Form des Praenomens als wesentlicher Bestandteil der Titu-
latur geführt ward. Zugleich mit den Einrichtungen, die die
^) Bruns, Fontes Iuris Romani, S.A. S. 118. O. Hirschfeld, Unter-
suchungen auf dem Gebiete der römischen Verwaltungsgeschichte, S.289 A.4,
bezweifelt, dass der verlorene Anfang der Urkunde die Erwähnuug der
tribunicisclien Gewalt enthalten habe , da es sich nicht um eine Übertragung
des Prinzipates, sondern um eine Begrenzung der damit verbundenen
Gewalt handelte. Tacitus hat dies Senatskonsult bist. 4, 3 im Sinne:
Senatus cuncta principibus solita Yespasiano decernit . . .
*) Tac. bist. 2, 79: Isque primus principatus dies in postemm eele-
bratus (vom 1. Juli). Vgl. Chambalu, De magistratibus Flaviorum
S. 7 A. 1.
1. Die Beendignog des Bürgerkrieges u. s. w. 63
Julier geschaffen hatten, wurden die Namen Caesar und
Augustus in der frühem Bedeutung herübergenommen.
Als der Träger dieser Namen im Herbste des J. 70 nach
Born zurückkehrte, stand das Reich, das ein Jahr zuvor
nahezu aus den Fugen gegangen war, fester denn je da. Den
Hauptanteil an diesem Erfolge hat Mucianus, ein zweiter
Agrippa, an Verdiensten um die Begründung der Dynastie
diesem überlegen, aber an sittlicher Kraft und weltgeschicht-
licher Bedeutung mit dem Sieger von Aktium nicht zu ver-
gleichen.
Der Gewalt der Waffen hatte Vespasian sein Kaisertum
zu danken; aber Gewaltsamkeit und Willkür lagen seinem
gesunden, kernigen Wesen fern. Fest und mild in seinem
Auftreten, verband er mit einer reichen Erfahrung, die er in
der Verwaltung verschiedener Provinzen gesammelt hatte,
einen praktischen Verstand, der ohne Mühe in jedem Dinge
das Wesentliche erkannte, und einen ökonomischen Sinn, wie
er sich bei alten Leuten findet, die mühsam einen grössern
Besitz erworben haben. Diese Eigenschaft schien an Hab-
sucht zu grenzen; wenn diese von den Geschichtschreibem
übereinstimmend getadelt wird, so fügen sie gleich hinzu,
dass er von dem schlecht erworbenen Gelde den besten
Gebrauch gemacht habe. Ohne diesen Charakterfehler wäre
er den grossen Heerführern der Vorzeit gleichgekommen. In
der That erinnert diese herbe und derbe Natur an die alten
Plebejer, die ihr Landgut nur verliessen, um im Rate, auf
dem Forum und im Kriege ihre Pflicht zu thun,* an M'. Curius
Dentatus oder M. Porcius Cato. Von namhaften Männern
der neuem Zeiten möchte ihm Oliver Cromwell am nächsten
stehen, der auch als Protektor von England der einfache
Landedelmann blieb, nur gewaltsamer als Vespasian auftrat,
aber wie dieser in religiösen Ideen lebte. Vespasian war
trotz seiner praktischen Geistesrichtung mystischen Anwand-
lungen zugänglich. Er glaubte an schicksalverkündende
Träume, an seine und seiner Söhne Sterne, an die Vorzeichen
und Wunder, mit denen die Götter sein Emporkommen be-
gleitet hatten. Auf dem Throne pflegte er die Erinnerung an
seine ländliche Heimat; man sah ihn an Festtagen aus dem
silbernen Becher seiner Grossmutter trinken, unter deren
Obhut er seine Jugend verlebt hatte. Als man ihm einen -
Stammbaum zeigte, worin der Ursprung seiner Familie auf
einen der Gefährten des Herakles, des angeblichen Gründers
von Reate, zurückgeführt war, begann er zum Verdruss des
Titus lächelnd von seinem Grossvater, einem cisalpinischen
Landmanne, zu erzählen i). Allem Prunke abgeneigt, lebte
*) Sueton, Vesp. 12.
64 Zweites Buch.
er wie ein wohlhabender Bürger, einfach und massig. War
schon Galba mit eigenem Beispiele vorangegangen, um den
Verheerungen, die der Luxus der Tafel zur Folge hatte, Ein-
halt zu thun, Vespasian schritt auf dem betretenen Wege
weiter und bewirkte vor allem durch sein Vorbild den Um-
schwung der Sitte, dem Tacitus ein rühmendes Zeugnis aus-
gestellt hat.
ZWEITES KAPITEL.
Regierungsweise Vespasians und
Mitregentschaft des Titus-
Dei einem Charakter, der auch in kleinen Dingen jedem
Scheine abhold war, konnte es nicht fehlen, dass er auf das
Wesen der Macht den grössten Wert legte und der Prinzipat
Änderungen erfuhr, die dem von Augustus so weislich abge-
wogenen Verhältnis zwischen Princeps und Senat wenig ent-
sprachen, weil sie von durchaus monarchischem Geiste ge-
tragen waren.
Im Zusammenhange mit dieser Tendenz steht die Über-
nahme der konsularen Eponymie , wie sie Augustus in seinem
dauernden Konsulate gehabt hatte. Dies Vorrecht war ge-
eignet, den Unterschied zwischen dem Regenten und dem
Senate schärfer zum Ausdruck zu bringen und das Konsulat
mehr als bisher von dem erstem abhängig zu machen. Die
Zählung der Regierungsjahre nach der tribunicischen Gewalt,
für deren Bedeutung Vespasian keinen Sinn hatte, tritt vor
der konsularen Jahresbenennung zurück, die nur zweimal
an Private abgetreten wurde. Für diesen Brauch ist es be-
zeichnend, dass auf den Münzen kaiseriicher und senato-
rischer Prägung die Ziffer des Konsulates regelmässig er-
scheint, während die tribunicische Gewalt meist übergangen
wird. Das höchste Jalu*esamt behielt der Kaiser in der Regel
nur kurze Zeit. Im Jahre 70 blieben Vespasian und Titus
während der ihnen zugemessenen Frist im Amte, im J. 71
führte jener nach dem Rücktritte eines Privaten das Konsulat
mit seinem Jüngern Sohne weiter. Aber seitdem hat einer
der beiden Ordinarien, wahrscheinlich schon am 12. Januar,
einem Ersatzmanne Platz gemacht, im J. 74 der Vater dem
Silvanus Aelianus, im folgenden Jahre Titus seinem Bruder.
So war auch Gaius in drei aufeinanderfolgenden Konsulaten
im Laufe des Januar zurückgetreten, während die übrigen
2. Regiemngsweise Vespasians und Mitregentschaft des Titas. 65
Kaiser, namentlich Claudius und Nero, mehrere Monate im
Amte bUeben.
Häufiger als früher ist die Wiederholung des Konsulates.
Während in der Augusteischen Zeit allein M. Agrippa dreimal,
Statilius Taurus und Ti. Nero je zweimal, unter Tiberius
einzig die Angehörigen des Kaiserhauses Germanicus und
Drusus zum zweitenmale zum höchsten Amte berufen wurden,
war unter Gaius nur M. Sanquinius im Genuss dieser Aus-
zeichnung. Unter Claudius dagegen führte in den ersten fünf
Jahren, jedesmal einer der Eponymen zum zweitenmale, im
J. 47 L. Vitellius zum drittenmale die Fasces. Seitdem ist
diese Wiederholung weder unter Claudius, noch unter Nero
vorgekommen. Unter den Flaviern steigt ihre Zahl auf
etwa 20. Männer wie Mucianus, Fabricius Veiento und Vibius
Crispus haben drei Konsulate aufzuweisen. Die Wieder-
holung war offenbar ein Mittel, verdiente, dem Herrscher-
hause treu ergebene Männer über die übrigen Angehörigen
der ersten Rangklasse zu erheben.
Die Bedeutung des Konsulates wurde herabgesetzt, indem
eine im J. 69 durchgeführte Neuerung, für die sich Analoges
unter dem Triumvirat und in den ersten Jahren des Claudius
findet, die Verkürzung der Konsularfunktion, Bestand gewann,
die zugleich den Vorteil bot, dass auf diesem Wege die Zahl
der Konsulare fast um das Dreifache vermehrt wurde. Unter
Vespasian war den Eponymen und ihren Ersatzmännern eine
viermonathche Amtsdauer zugemessen, auf die in der Regel
vier zweimonatliche Fristen folgten. In den Jahren 81 und
83 war nachweisbar auch das am 1. Januar antretende Paar
nur zwei Monate im Amte. Vom J. 85 an bis auf Nerva
sind nur viermonatliche Fristen ermittelt.
Mit der regelmässigen Verkürzung der Konsularfunktion
hängt auch das weitere Umsichgreifen des seit Einführung
des halbjährigen Amtes nachweisbaren Brauches zusammen,
die am 1. Januar antretenden Konsuln bei der Datierung zu
bevorzugen. Nicht nur dass die Schriftsteller die suffecti
durchweg unberücksichtigt lassen, auch in amtliche Kund-
gebungen dringt diese Datierungsweise ein^). Täuscht nicht
alles, so war unter den Flaviern eine formelle Regulierung
der Fristen des Konsulates erfolgt.
Im Juli des J. 71 kehrte Titus, nachdem er Jerusalem
erobert und wohlerwogenem Entschlüsse zufolge samt dem
Tempel zerstört hatte, nach Rom zurück und feierte zu-
^) Vgl. As b ach, Zur Geschichte des Konsulates in der röm. Kaiser^
zeit, S. 213, in den Untersuchungen, A. Schaefer gewidmet.
Asbachi Kaisertum und Verfassung. ^
66 Zweites Buch.
sammen mit seinem Vater einen glänzenden Triumph, bei
dem Domitian auf weissem Rosse dem Siegeswagen folgte.
Titus hatten die Legionen schon am 5. August des
J. 70 in dem Augenblick, als die Eroberung Jerusalems ge-
sichert schien, als Imperator begrüsst^). Er, dem Tacitus
eine besondere Fähigkeit zuschreibt, die Menschen für sich
zu gewinnen, hatte im Orient die grössten Sympathieen. Die
Soldaten suchten ihn mit Bitten^ ja mit Drohungen zurückzuhalten
und beschworen ihn, entweder zu bleiben oder sie allesamt
mitzunehmen, das heisst doch, sie waren bereit, ihm zu jedem
Unternehmen die Hand zu bieten. Verschiedene Umstände
wirkten zusammen, den Verdacht entstehen zu lassen, als
habe er die Absicht gehabt, sich der Herrschaft über den
Orient zu bemächtigen 2). Dieser Verdacht erhielt neue Nah-
rung, als er auf der Reise nach Alexandria, mit einem Diadem
geschmückt, der Consecration des Apis beiwohnte; es ent-
sprach dieser Stirnschmuck zwar dem Ritus jener uralten
Feier, wurde aber von manchen Leuten anders ausgelegt.
Von der Spannung, die zwischen Vespasian imd dem
siegreichen Imperator Titus bestand, legen die Konsularfasten
ein beredtes Zeugnis ab. Im J. 71 übernahm Vespasian das
Konsulat zusammen mit M. Cocceius Nerva, obschon nichts
im Wege gestanden hätte, dass Titus abwesend das Kon-
sulat übernahm. In den Frühjahrscomitien des J. 71 wurde
Vespasian als cos IV, Domitian als cos II, in den Herbstcomitien
Titus als cos II designiert; am 1. Jan. 72 trat dann Titus
mit dem Vater in das Amt ein, während Domitian bis zum
1. Januar 73 warten musste. Mittlerweile war das Zerwürfnis
zwischen Vespasian und dem altem Sohne beigelegt worden').
Dieser hatte sich nach einigem Schwanken der väterlichen
Autorität gefügt. Es giebt keinen Grund, an dem Berichte
des Sueton zu zweifeln: Um allem Gerede die Spitze abzu-
brechen , habe er seine Rückkehr nach Rom beschleunigt, sei
auf einem Lastschiff nach Regium gefahren, dann nach. Pu-
teoli geeilt und von dort mit grösster Schnelligkeit nach Rom
gereist. Seinen überraschten Vater habe er mit den Worten:
^) Fr. J. Ho ff mann, Qnomodo, quando Titus Imperator factos sit,
S. 1 fg. S. 41: „Acclamationum comparatione efficitor Titnm imp. factum
esse, cum Yespasianus recepisset acclamationem soptimam, aUquo tem-
poris spatio post non. Apr. a. 71. Ad idem tempus Titi reditus atqne
triumphus sunt revocandi". — Vgl. Pick, Zeitschr. für Numismatik 13,
S. 48 : Der YIII. AcclamatioD des Vespasian entspricht die zweite des Titos,
der XX. des Vaters, die XVII. des Sohnes.
«) Philostratos, Apollonios 6, 29 8.243: 'EtisI T£xo€ 'jpVixst xi
2öXufJia xal vsxpöv nXioL ^v Tcotvxa zöl Sfjtopoc xs SÖ-vy] ioxsqpo^vouv aOxöv,
6 ti oöx Yj5£oü iauxdv zo^xorj.
») Hoffmann, a. a. O. S. 44 fg. Chambalu, a. a. O. S. 16, 17.
2. Begierungsweise Vespasians and Mitregentschaft des Titas. 67
„Da bin ich, Vater, da bin ich* begrüsst und so die Grund-
losigkeit jener Gerüchte bewiesen. Von da an sei er der
ständige Teilnehmer, ja die Stütze der Herrschaft gewesen^).
Nach Philostratos reiste Titus über Argos (?) , wo er mit
ApoUonios von Tyana eine Unterredung hatte. Das Zwie-
gespräch entspricht der Lage der Dinge. ^^Ich bin jetzt*^, sagte
Titus, jjdreissig Jahre alt und eben zu der Würde berufen
wprden, die mein Vater im 60. Jahre erlangte. Da fürchte
ich, grösseres zu unternehmen, als sich für mich schickt*.
Apollonios streichelte ihm den athletischen Hals und sagte
dazu: ^Wer sollte einen Stier mit so mächtigem Nacken
unter das Joch zwingen können?* ^Eben derjenige*, ant-
wortete Titus, ,,der mich zum Kalbe aufgezogen hat*. Damit
wollte Titus sagen, er werde sich stets seinem Vater unter-
ordnen, der ihn von Jugend auf zum Gehorsam gewöhnt
hätte. Darauf der Weise: keine Leier und Flöte könne eine
, so liebliche Harmonie hervorbringen, als die Verbindung von
Vater und Sohn. Denn wenn das Alter mit der Jugend gehe,
so werde jenes an Kraft, diese an Zucht gewinnen 2).
In der That war Titus seit dem 1. Juli 71 im Besitze der
tribunicischen Gewalt, die als der formelle Ausdruck der Mit-
regentschaft anzusehen ist. Die Designierung zum Nachfolger
war schon in den letzten Monaten des J. 70 erfolgt.
Die Denkmäler bekunden weiter, dass ihm im Sommer
71^) auch der Imperatorname übertragen wurde mit der
Massgabe, dass er ihn nicht als Praenomen, sondern zwischen
den Namen zu führen habe, also T. Caesar imp. Vespa-
sianus. Wie sein Vater zählte er seit dem 1. JuU 71
die Acclamationen als Imperator, war sein Amtsgenosse in
sechs Konsulaten, führte mit ihm gemeinsam die Censur und
nahm am Münzrechte teil. Sueton berichtet noch*), dass Titus
im Namen seines Vaters Verfügungen erUess, seine Reden
^) Die Ausführungen Chambalus, Titus habe seinen Vater zur Be-
willigung seiner Forderungen gezwungen, sind von Herrn. Schiller im
Jahresberichte über die Fortschritte der klass. Altertumswissenschaft LH
(1885) zurückgewiesen worden. Auch Herzog, Römische Staatsverfassung II,
S. 291 A. 2, tritt dieser zu weit gehenden Auffassung entgegen und weist
mit Recht auf die Urteile des Tacitus in den erhaltenen Büchern der
Historien hin.
•) Philostratos, vita Apollonii 6,27 S. 241 fg. Vgl. Deutsche Über-
setzung von E. Baltzer S. 268.
*) Ho ff mann, a. a. O. S. 34 setzt die Übernahme des imperium pro-
consulare in die Zeit zwischen dem 5. April und 1. Juli.
*) Sueton, Tit. 6: Receptaque ad se prope omnium officiorum cura,
cum patris nomine et epistulas ipse dictaret et edicta conscriberet oratio-
nesque is senatu recitaret etiam quaestoris vice praefecturam quoque prae-
torii suscepit nunquam ad id tempus nisi ab equite Romano administratam.
5*
68 Zweites Buch.
im Senat an Stelle des Quästors verlas und zuletzt das Kom-
mando der Garde übernahm, das vordem nur römische
Ritter verwaltet hatten. In der letzteren Stellung war er der
Nachfolger des M. Arrecinus Clemens, eines Senators, den
Vespasian allen Bedenken zum Trotz im J. 70 zum Präto-
rianerpräfekten erhoben hatte ^).
Titus nahm eine Stellung ein, wie sie bis dahin in der
Geschichte des Prinzipates nicht vorgekommen war. Wenn
man aber annimmt, dass er diese Stellung dem Vater ab-
getrotzt habe und im Gegensatze gegen diesen behauptete,
so findet diese Unterstellung in der gleichzeitigen und späteren
Überlieferung keine Stützpunkte; im Gegenteil ist Vespasian
nach vorübergehender Trübung seines Verhältnisses zu dem
altern Sohne nach eigenem Plane und Willen dessen ehr-
geizigen Wünschen entgegengekommen. Aber wie er den
Augustusnamen und den Oberpontifikat sich vorbehielt, so
gab er das Heft überhaupt nicht aus der Hand, und des Sohnes
Loyalität ermöglichte es , die Herrschaft in einheitlichem Geiste
zu führen.
Freilich wurde dies nur auf Kosten des jüngeren Sohnes
erreicht, der durchaus in der zweiten Rolle verharrte. Wäh-
rend des Vaters Abwesenheit hatte dieser den Herrn ge-
spielt , bis er durch Mucians überlegenen Geist gezügelt ward.
Der Vater wies ihn nach seiner Rückkehr wegen der Über-
schreitung seiner Befugnisse streng zurecht und liess ihn
nicht mehr aus den Augen. Er musste, wenn er in Rom
war, im Hause seines Vaters wohnen, und wenn die Re-
genten sich öffentlich zeigten, hinter ihren Thronsesseln in
einer Sänfte folgen. Und doch kam er in Besitz von
Ehren, wie sie nur den zur Thronfolge berufenen Familien-
mitgliedern zuteil geworden waren. Hatte Titus sieben
ordentliche Konsulate erhalten, so gelangte Domitian sechs-
mal zum Konsulat, im J. 73 als Ordinarius, in den übrigen
Jahren als Suffectus, aber doch allemal im Anfange des
Jahres als Ersatzmann des Vaters oder Bruders. Seit 72
hatte er am Münzrecht Anteil, wenn auch zunächst auf die
Befugnis beschränkt, durch den Senat Kupfer zu prägen, seit 74
erscheint dieses Recht auf die Gold- und Silberprägung aus-
gedehnt. Domitian war weiter mit dem Ehrennamen prineeps
iuventutis ausgezeichnet, war MitgHed der grossen Priester-
koliegien, und in ihren Voten ward seiner wie der Regenten
gedacht. Lediglich hinter diesen stand er zurück. Freilich
empfand der leidenschaftliche, unruhige Geist die Bevor-
*) O. Hirschfeld, Rom. Verwaltungsgeschichte, S. 290. Tac, ann.
4; 68: Ipsum quamquam seoatorio ordine ad utraque munia sufficere.
3. Sicherung and Erweiterung der Reichsgreuzen. 69
zugung des Bruders um so schmerzlicher, als ihm die Ge-
legenheit versagt blieb, sich kriegerische Lorbeeren zu ver-
dienen. Er hatte sich mit Mucianus auf den germa-
nischen Kriegsschauplatz begeben, um eine Gelegenheit zur
Auszeichnung zu suchen. Man erzählte , dass er im geheimen
den Cerialis fragen liess, ob er auf ihn und sein Heer zählen
könne. Ohne seine Wünsche befriedigt zu sehen, war er
nach Rom zurückgekehrt. Als der Partherkönig Vologaeses
von Rom Hülfe gegen die Alanen begehrte und einen von
Vespasians Söhnen sich als Feldherrn ausbat, bot er alles
auf, dieses Kommando für sich zu gewinnen. Als sich diese
Aussicht zerschlug, suchte er andere Könige des Orients
durch Geschenke und Versprechungen zur Stellung des näm-
lichen Gesuches zu bewegen. Es wäre Gelegenheit genug
gewesen, ihn in der Schule eines der bedeutenden Generäle
den Krieg lernen zu lassen. Aber man hört nichts davon,
dass er an der Grenze des Reiches in Britannien oder Ger-
manien, wo mit nur kurzen Unterbrechungen gekämpft wurde,
unter Männern wie Cerialis, Frontinus und Cn. Agricola
ein Kommando gehabt hätte.
DRITTES KAPITEL.
Sicherung und Erweiterung der
Reichsgrenzen.
Die Flavier haben die römische Mittelmeer-Monarchie im
Innern fester begründet, die Reichsgrenze durch glückliche
Kriege erweitert und ihre bedrohtesten Teile durch wohl aus-
geführte Einrichtungen auf lange hinaus gesichert. Die end-
gültige Befestigung der römischen Herrschaft in Britannien
ist das Werk Vespasians und seiner Heerführer. Was unter
hervorragender Teilnahme seiner Person — er hatte als
Legat der zweiten Legion in 20 Schlachten gesiegt und die
Insel Vectis (Wight) bezwungen — unter den Auspizien des
Claudius begonnen worden war, hat er als Kaiser vollendet.
Von Petillius Cerialis, einem nahen Verwandten seines
Hauses, war die Macht der Briganten gebrochen, von Julius
Frontinus das Silurenland im heutigen Wales zur römischen
Provinz gezogen worden. Seit dem J. 77 hat dann Julius
Agricola, einer der Männer, die mit dem Herrscherhause
emporgekommen waren, durch methodische Kriegführung die
Eroberungen des Ceriaüs fortgesetzt und von dieser Basis
aus im zweiten Jahre seiner Verwaltung Lancaster und die
70 Zweites Buch.
Insel Anglesea unterworfen, im dritten den Solway-Firth und
im vierten die Landenge zwischen Clyde und Forth erreicht.
Hand in Hand mit der Ausbreitung des römischen Gebietes
ging seine Deckung durch die Anlage von Kastellen und be-
festigten Linien an bedrohten Punkten. Wie sehr dem Agri-
cola darum zu thun war, Britanniens Besitz zu sichern, zeigen
nicht nur die Rüstung einer Flotte, sondern in noch höherem
Masse die Unternehmungen im 5. Kriegsjahre. Die an Schott-
lands Westküste angelegten Festungen sollten die Operations-
basis abgeben, von der aus Irlands Eroberung begonnen
werden könnte, dessen Behauptung mit einer Legion und
entsprechenden Bundestruppen mögHch sei.
Unter Claudius hatte es den grössten Eindruck gemacht,
dass ein römisches Heer den Ocean, das erdumflutende Ele-
ment, überschritt und jenseits desselben die kaiserUchen
Adler aufpflanzte. Seneca hatte darin einen Fortschritt der
Weltentdeckung gesehen i). In der Tragödie Medea wird
prophezeit, dass der Ocean die Fesseln der Dinge lösen,
die gesamte Erde sich eröffnen und Tiphys, der Steuermann
der Argonauten, eine neue Welt entdecken werde, so dass
man nicht mehr von der ultima Thule reden könne.
Dem Vespasian ist die Argonautica des Verrius Flaccus
gewidmet, in der die Erschliessung der oceanischen Schiffahrt
in den Mythen und Sagen von dem durch die Argo eröff-
neten Pontus verherrlicht wird 2). Jetzt wo derselbe Caledo-
nische Ocean, der gegen die Julier noch sich empört hatte,
Vespasians Segel trägt, scheint erst vollendet, was die Argo-
fahrer begonnen haben. Und wenn in der Tragödie Octavia
die Kriegsthaten des Claudius in Britannien nachdrücklich
hervorgehoben werden, dem, lange frei, der Ocean gehorchte
und der zuerst den Britanniern das Joch auflegte, so kann
dies nicht auffallen, da alles dafür spricht, dass dies Stück
erst nach Neros Tode verfasst wurde ^).
Nach Beendigung des Bataverkrieges wurden die Verhält-
nisse am Rheine neu geordnet. Unerlässlich war es, fünf
Legionen, darunter vier vom niederrheinischen Heere, sowie
die Mehrzahl der germanischen Hülfskohorten aufzulösen. Aber
rasch erhoben sich die zerstörten Standlager am Grenzstrom
^) Ranke, Weltgeschichte III, 1 S. 137 und 195.
') J. Bernays, Die Chronik des Sulpicius Severns, S. 50 zu v. 7 fg.
^) Ribbeck, Geschichte der röm. Dichtung III, 89: „nicht lange
nach Neros Tode". Bemerkenswert ist nach Ribbeck auch die Pietät, mit
der Octavia das Andenken des Claudius in Ehren hält. Es entspricht dies
der an Claudius anknüpfenden Politik Vespasians. Ebenso das Lob des
Britanniens v. 165.
3. Sicherung und Erweiterung der Heichsgrenzen. 71
von neuem aus Trümmern und Aschenhaufen und neue Le-
gionen hielten ihren Einzug.
Die Brukterer suchte Rutilius Galücus in ihrem eigenen
Lande heim und zwang sie zur Auslieferung der Seherin
Vellaeda^). Wie es zu bedauern ist, dass uns über dies
Unternehmen nähere Nachrichten fehlen, so stellt sich die
Überlieferung über die Einrichtung eines obergermanischen
Grenzschutzes weit günstiger. Am Oberrhein wurde um das
J. 74 unter dem Kommando des Cn. Cornelius Clemens ein
Kampf geführt, der nicht unbedeutend gewesen sein kann,
da er die Verleihung der Triumphalstatue an den Legaten
zur Folge hatte 2). Im Zusammenhange mit diesem Kriege
fasste man die Erweiterung des Imperiums durch die Er-
werbung des dünn bevölkerten Dekumatenlandes ins Auge.
Wenigstens führte schon damals eine von dem siegreichen
Legaten Cornelius Clemens erbaute Strasse von Argentoratum
auf das rechte Rheinufer ^).
Nichts hindert, mit Mommsen anzunehmen, dass um
diese Zeit „ein ernstlicherer Grenzschutz eingerichtet worden
sei, als ihn das blosse Verbot germanischer Siedelung ge-
währte^'. Selbst die Anlegung „der flavischen Altäre'^ des
Centrums der neuen Erwerbung, an der Neckarquelle bei dem
heutigen Rottweil ist möglicherweise schon unter Vespasian
erfolgt. Jedenfalls ist damals eine Art Protektorat über das
Schwarzwald- und Neckargebiet eingerichtet worden*).
Die Gefährlichkeit der nordischen Völker war noch mehr
als zuvor im Reiche empfunden worden, als im J. 69 Roxo-
lanen, Daker und Jazygen die Provinzen um die Wette mit
ihren Einfällen heimsuchten. Die Verpflanzung von 100000
Mann durch Ti. Plautius Silvanus hatte einem schwachen
Aderlasse gleich ihre Kraft nicht erschöpfen können 5).
Vespasian würde gewiss die Donauarmee vermehrt haben,
wenn die zerrütteten Finanzen des Reiches nicht die grösste
Sparsamkeit geboten hätten, doch that er, was die Lage
gebot. Zwei Legionen rückten aus dem Binnenlande nach
Carnuntum und Vindobona (um 73), zwei andere vertauschten
die dalmatischen Garnisonen mit festen Plätzen an dem
^) Er war um 79 Legat v. Germania inf.; vgl. Statins silv. 1, 4, v. 39
Stobbe bei Friedländer; Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms 3^
451. Nohl, ebenda S. 454.
«) Henzen 6427. Bonner Jahrbuch LXXXI 8. 28.
*) Diese wichtige Thatsache ist durch Zangemeisters richtige Ergän-
zung des Oflfenburger Meilensteins (Westdeutsche Zeitschr. III S. 246) ausser
allen Zweifel gesetzt worden.
*) Th. Mommsen, Rom. Geschichte V 8.120; S. 145 Anm.
6) Th. Mommsen, Rom. Geschichte V S. 198 ff. Vgl. Tac. bist. 3, 46.
72 Zweites Buch.
mösischen Stromufer. Wir keimen eine Inschrift, aus der
hervorgeht, dass das Lager in Carnuntum im J. 73 neugebaut
oder doch erweitert wurde. Auch wird mit Recht vermutet,
dass Vespasian der Schöpfer der Donauüottille , der classis
Flavia, ist^).
Die Sorge um einen gesicherten Grenzschutz führte zu
durchgreifenden Neuordnungen auch im Osten. Aus Palästina
wurde eine selbständige Provinz gebildet, Commagene und
Cappadocien (letzteres mit Galatien verbunden) erhielten
militärische Besatzung. Damit der Statthalter von Mösien
seine ganze Aufmerksamkeit der Überwachung der Donau-
grenze widmen könne, zweigte Vespasian Thrakien von
Mösien ab und verband es unter dem Namen Hellespontus
mit Teilen von Bithynien und Kleinasien. Eine Reihe von
Kolonieen sicherte die Ostgrenze 2).
Diese Massnahmen hatten neue Verwicklungen mit den
Parthern zur Folge, die, von den Alanen bedrängt, vergebens
auf römische Hülfe hofften. Über die damit zusammenhän-
genden kriegerischen Vorgänge sind wir nicht unterrichtet;
sie waren aber bedeutend und brachten dem M. Ulpius Traia-
nus, Statthalter von Syrien, im J. 76 die TriumphaUnsignien,
den Regenten neue Acclamationen ein. Ja die Erfolge
schienen dem Titus wichtig genug, sie in Verbindung mit dem
Kometen, der in seinem fünften Konsulate sichtbar war,
in einem besondern Gedichte zu feiern^).
VIERTES KAPITEL.
Das Werk des Neubaues im Innern.
iSlur zum Schutze der Grenzen unternahm Vespasian
Kriege in grösserem Stil. Für das Reich hatte er durch die
SchUessung der Januspforte eine neue Ära des Friedens in-
auguriert , die in dem grossartigen Bau des Tempels der Pax
ihre monumentale Verherriichung fand. Er folgte dem Bei-
spiele des Siegers von Aktium, der nach seiner Rückkehr
») Wiener Studien 1882 S.208 ergänzt O. Hirschfeld die Bauinschrift,
in der ausser dem Kaiser seine beiden Sölme und der Legat Yalerios
Festus erwähnt werden.
•) H. Schiller, Rom. Kaisergeschichte I S. 512.
•) In dieses Jahr scheint auch der Witz Vespasians (Suet. Vesp. c. 23) su
gehören: Cum inter cetera prodigia Stella crinita in caelo apparoisset,
pertinere dicebat . . ad Parthorum regem, qui capillatus esset.
4. Das Werk des Neabaues im Innern. 73
aus Ägypten ähnliche Massregeln angeordnet hatte. An
dessen Absichten wurde mehrfach angeknüpft; sicher ist es
kein Zufall, dass mitten in der Stadt, an dem Platze, den
Augustus dazu bestimmt hatte, ein Amphitheater begonnen
wurde.
Doch in noch höherem Masse ist die neue Dynastie dar-
auf bedacht, das Andenken des Kaisers zu erneuern, dem
die Flavier ihre grosse Stellung, Vespasian selbst Konsulat
und Triumphalabzeichen zu danken hatte, des Ti. Claudius.
Das Nächste war , dass er die von Nero vernachlässigte und
schliesslich aufgehobene Verehrung seiner Gottheit wieder-
herstellte und seinen Tempel auf dem Caelius , der von Agrip-
pina begonnen, aber von Nero völlig niedergelegt war, wieder
aufbaute^). Auch das Andenken des Britanniens, mit dem
Titus den nämlichen Unterricht genossen hatte , bliel) in Ehren.
Im Kaiserpalast sah noch Sueton sein Reiterstandbild aus
Efenbein«).
Das Vorbild des Claudius schwebte Vespasian bei den
wichtigsten Akten seiner Regierung vor. Claudius hatte im
J. 47 nach Niederlegung des Konsulates gemeinsam mit
L. ViteUius die Censur nach republikanischem Brauche bis
zum Lustrum durchgeführt. Auf dasselbe Amt griff Vespasian
im April 73 zurück, um das begonnene Werk des Neubaues
in einheitUcher, umfassender Weise zum Ziele zu führen , und
zusammen mit Titus bekleidete er 18 Monate hindurch die
Censur.
Die Überlieferung dieser Epoche ist so trümmerhaft, dass
wir ausser stände sind, uns eine Vorstellung von dem Gange
der Geschäfte zu machen, und nirgends empfindet man
schmerzUcher den Verlust desjenigen Teiles der Historien,
in dem Tacitus über das Werk des Neubaues berichtet hat.
So sind wir auf einige Bemerkungen Suetons angewiesen,
aus denen wir erfahren, dass Vespasian die beiden höchsten
Stände gereinigt und ergänzt, die unwürdigsten Glieder dar-
aus entfernt und durch angesehene Leute aus Italien und den
Provinzen ersetzt habe. Ältere Senatoren seien durch Er-
hebung in das Patriziat ausgezeichnet worden 3). Diese höchst
dürftige Nachricht erfährt durch die Epitome des Victor eine
willkommene Ergänzung. Vespasian habe aus den Provinzen
die besten Männer nach Rom berufen und aus ihnen 1000
gentes gebildet. Nur 200 waren deren übrig geblieben, die
andern ein Opfer der Grausamkeit seiner Vorgänger und des
*) Sueton, Vesp. 10.
*) Sueton, Tit. 1.
^) Herzog, a. a. O. S. 296 verweist auf Tacitus, Agricola 9 imd
Capitolinus, vita Marci 1. Vgl. ebenda S. 329.
74 Zweites Buch.
Bürgerkrieges geworden. Man wird an die entsprechende
Massregel des Claudius erinnert, welcher Senatoren, die sich
durch hohes Alter und vornehme Herkunft auszeichneten, in
die Zahl der Patrizier aufgenommen hatte, da damals nur
noch wenige Familien aus dem Kreise derjenigen blühten, die
nach Romulus und Brutus zuletzt Caesar und Augustus er-
koren hatten 1).
Eine der wichtigsten und schwierigsten Aufgaben der
kaiserlichen Censoren war die auf sorgfältiger Zählung aller
Unterthanen beruhende Aufstellung der Bürgerliste. Dies
war sie um so mehr, als damit ein Massstab gewonnen wurde
für die Erweiterung des römischen Bürgerrechtes und der Latini-
tät. Wer im Besitze der letzteren, des ius latinum, war,
konnte durch Bekleidung eines Gemeindeamtes Vollbürger
werden. Für die Verbreitung des Bürgerrechtes hatte Clau-
dius überaus viel gethan, während die Latinität unter der
ersten Dynastie im ganzen in den Grenzen blieb, die ihr von
Caesar und Augustus gesteckt waren , d. h. über Italien und
seine Nachbarländer mit Inbegriff der alten Provinzen Spanien
und Afrika nicht hinausging. Erst Vitellius hatte, um deren
Treue zu belohnen, dies Recht an auswärtige Völkerschaften
oder Städte verliehen. Jetzt verstand man sich zu einem
der folgenreichsten Schritte, die im ersten Jahrhundert zur
Ausgleichung des Gegensatzes zwischen der herrschenden
Nation und den Unterthanen geschehen sind. Das ius latinuro
wurde nämlich auf ganz Spanien, das mehr oder weniger
romanisiert war, ausgedehnt 2). Schwerlich waren alle Kreise
mit diesem einschneidenden Verfahren einverstanden. Es
klingt wie eine Verteidigung, wenn Plinius bemerkt, das
lateinische Recht, das durch die Verleihungen des Vitellius
hin- und hergeschleudert war, sei an eine ganze Provinz ver-
liehen worden^).
^j Tac. ann. 11, 25: Cl. in numerum patricionim ascivit vetustissirnnm
quemque e senatu ant quibus clari parentes fuerant paucis iam reliqnia
familiarnm , quaa Romulus maiorum et L. Brutus minorum gentium appeUa-
verant, exhaustis etiam quas dictator Caesar lege Cassia et piinceps
Augustus lege Saenia sublegerat . . . condiditquo lustrum, quo cenaa sunt
civinm quinquagiens noviens centena octoginta quattuor milia septnaginta
dno (nach andern auf 6,844009). Vgl. Lehmann, Claudius und seine
Zeit, der die Gesamtsumme auf 25 bis 30 Millionen Köpfe berechnet.
*) O. Hirschfeld, Zur Geschichte des Latinischen Rechtes, hat die
damit zusammenhängenden Fragen erschöpfend behandelt. Wahrscheinlich
gelangte Spanien in Besitz des Latium minus. Gaius 1, 96: Aut mains
est Latium aut minus : maius est Latium cum et hl qui decuriones leguntor
et si qui honorem aliquem aut roagistratum gernnt, ciyitatem Romanam
consequantur; minus Latium est, cum hi tantum qui magistratom aut
bonorum gerunt, ad civitatem Romanam perveninnt.
^) Nat. bist. 3, 3, 30: Universae Hispaniae Vespasianus imp. AugtistiiB
4. Das Werk des Neubaues im Innern. 75
Der Vorgang des Claudius mag noch in einer andern
Beziehung wirksam gewesen sein. Dieser hatte das Po-
nerium erweitert, begrenzt und den Aventin, der aus
•eligiösen Gründen ausserhalb desselben geblieben war, in
las Weichbild der Stadt hereingezogen. Mit ausdrückUcher
Bezugnahme auf Claudius allein war dem Vespasian die Be-
ugnis zu denselben Massnahmen schon in dem Bestallungs-
jesetz übertragen worden i). Als Censor nahm er eine neue
Fermination vor, und in Rom neugefundene Cippen zeigen,
iass diese Abgrenzung auf grossen Strecken mit der von
[Claudius vorgenommenen zusammenfiel, in andern über diese
linausgriff.
Der ältere Plinius, der Geschichtsschreiber der Flavier,
[lat die Aufnahme des Umfanges der Mauern- Roms als einen
1er censorischen Akte bezeichnet und mit denkwürdigen
Worten die grossartige Bauthätigkeit , durch die die neue
Gestaltung der Stadt zum Abschluss gebracht ward, ver-
herrlicht : 2)
^Deus est mortali iuvare mortalem et haec ad aeternam
gloriam via. Hac proceres iere Romani, hac nunc caelesti
passu cum liberis suis vadit maximus omnis aevi rector Ves-
pasianus Augustus fessis rebus subveniens^'.
^Nachdem die Weltordnung des göttlichen Augustus zer-
fallen war, gedachte er eine neue für ewige Zeiten aufzu-
richten und an sein Haus zu knüpfen; die Münzaufschrift
,aeternitas* deutet auf seine Hoffnungen hin. Wenn er auch
gleich seinem Vorgänger auf den stolzen Namen eines Stadt-
gründers verzichtet hat, den die Thorheit eines Nero und
Commodus anstrebte, so hat er in der That als solcher
gelten wollen''*). Der Ruhm, das von Nero eingeäscherte
Rom schöner wieder aufgebaut zu haben, gebührt den Fla-
vischen Kaisern, und mit Fug und Recht konnten sie auf
ihre Münzen die Aufschrift „Roma resurgens^' setzen.
Mit dem gegen Ende des J. 74 abgehaltenen Lustrum
haben diese ihre denkwürdige Thätigkeit abgeschlossen. Nach
iactatum procellis rei publicae Latium tribuit. Vgl. dazu Hirsch feld,
a. a. O. S. 11. Auf eine spätere Yerleihnng desselben Rechtes bezieht H.
die Münzen des Vespasian und Titas aus dem J. 78, auf denen die Sau mit
den Ferkeln dargestellt ist.
^) Lex de imperio Vespasiani 14.; Tac. ann. 12, 23: Pomerium urbis
auxit Caesar more prisco quo iis qui protulere imperium etiam terminos urbis
propagare datur. Claudius hatte dieser Forderung durch die Eroberung
Britanniens gentigt. Im Hinblick auf die Erfolge in Britannien und Jndaea
konnte Vespasian ebenso verfahren.
«) Plin. nat. bist. 3, 65—67.
3) Heinr. Nissen, Die Stadtgrtindung der Flavier^ Rhein. Museum
IL (1894) 8. 273 fg.
76 Zwaites Buch.
ihrem Willen sollten grossartige Bauwerke für alle Zeit davon
Zeugnis ablegen. Im J. 75 wurde der Friedenstempel ein-
geweiht, und in einem nahegelegenen Gebäude der Plan des
neuen Flavischen Rom zur allgemeinen Kenntnisnahme aus-
gestellt. Mit dem Nerokultus war es für immer vorbei; der
an der heiligen Strasse stehende eherne Koloss Neros wurde
in einen Koloss des Sonnengottes , des Schirmherrn der neuen
Stadt, verwandelt und sein Name später auf das in der Nähe
liegende Amphitheater übertragen. Zahlreiche Tempel, Staats-
gebäude und Wasserleitungen in Rom und in dem übrigen
ItaUen, die durch die Ungunst der Zeiten in Verfall geraten
waren, Hess Vespasian zum Teil auf seine Kosten wieder-
herstellen i). Diese grossartige Bauthätigkeit, neben der alle
privaten Unternehmungen zurücktraten, hatte auch das Gute,
dass es ihm gelang , den Massen lohnenden Verdienst zu ver-
schaffen und die Wunden, die der Bürgerkrieg dem Wohl-
stande geschlagen hatte, zu heilen. So verdiente er sich
ähnlich wie Augustus den inschriftlich bezeugten 2) Namen
^conservator caerimoniarum publicarum et restitutor aedium
sacrarum*.
Eine der glänzendsten Seiten der Verwaltung Vespasians
ist die mit angeborenem Talente durchgeführte Ordnung der
Finanzen. Die Zeitgenossen heben die Geschicklichkeit her-
vor, mit der er immer neue Steuerquellen erschloss, die
Sparsamkeit, mit der er diese Mittel zusammenhielt, die Ein-
sicht, mit der er sie im Interesse des Staates verwertete.
Er scheute nicht davor zurück, die Steuern der Provinzen zu
erhöhen und in einigen Fällen sogar zu verdoppeln. ^Ja er
trieb*, fährt Sueton fort, »ganz öffentlich Spekulations-
geschäfte, deren ein Privatmann sich hätte schämen müssen,
indem er alles mögUche zu dem Zwecke ankaufte , um es zu
höheren Preisen loszuschlagen. Auch Ämter waren käuflich
und Schuldige wie Unschuldige konnten um Geld Freisprechung
erlangen*. Während des Bürgerkrieges waren gewaltsame
Erpressungen, die man mit der Kriegsnot entschuldigte, an
der Tagesordnung gewesen, und man empfand es schon als
eine Wohlthat, »dass Vespasian im Beginn seiner Herrschaft
nicht besonders darauf ausging, Ungerechtigkeiten zu begehen,
^) An der Digentia, dicht bei der ViUa des Horaz, ist eine Inaohrift
aofgefdnden worden, in der von Vespasian gesagt wird: ^Censor aedem
Yictoriae vetnstate dilapsam sua impensa restitait^> Man hat vermatet,
dass diese Victoria nicht verschieden yon der bei Horaz ep. 1, 10, 49
genannten ,Vacana' ist. Vgl. dazn Kiessling.
«) CIL 6, 934 — Eckhel 6, 927. Cohen, Vesp
asian, 391—395.
4. Das Werk des Neubaues im Innern. 77
bis er es, durch Glück verwöhnt, von schlechten Lehrmeistern
lernte und wagte** ^).
Aber alle Quellen sind darin einig , dass er auch von dem
nicht löblich erworbenen Gelde den löblichsten Gebrauch
machte. Vespasian sammelte viel, um viel zu haben und
zu geben. Wo irgend ein Notstand vorlag, hatte er eine
offene Hand. Mittellose Senatoren wurden durch Jahrgehälter
unterstützt, Dichter und Künstler reich beschenkt, den Lehrern
der lateinischen und griechischen Beredsamkeit zum ersten-
mal ein Jahresgehalt von je 100 000 Sesterzien ausgesetzt 2);
einer grossen Zahl von Städten im ganzen Reiche , die durch
Erdbeben oder Feuersbrunst gelitten hatten, hat er wieder
aufgeholfen. Wenn er auch die Ausgaben des Hofes auf das
Notwendigste beschränkte, hielt er doch offene Tafel und
gab sehr häufig grosse und reiche Gastmähler.
Im Zusammeiüiang mit diesen Nachrichten findet sich die
Bemerkung Suetons, der Kaiser habe gleich nach Über-
nahme der Regierung erklärt, vierzig Milliarden seien not-
wendig, damit der Staat bestehen könne. So hoch schlug
er die Summe an, die ihm zur Bestreitung der dringendsten
Ausgaben unentbehrlich schien: zur Füllung der leeren Kassen
und Magazine, zur Errichtung neuer Truppenkörper und
Grenzwehren, zur Ausbesserung der alten, zur Anlegung
neuer Strassen, zur Gründung von Kolonieen und vor allem
zum Aufbau der zerstörten Stadtteile Roms 3).
Solch umsichtigen und energischen Bemühungen gelang
es, den Staat aus tiefem Verfalle wieder aufzurichten. Neue
Zeiten schafl'en neue Männer. Eine frischere Luft weht durch
die höhern und leitenden Kreise; es überwiegt darin der
^) Tacitus bist. 2, 84: Passim delationes, et locupletissimus quisque
in praedam correpti; quae gravia atque intoleranda, sed necessitate armorum
excasata etiam in pace mausere ipso Vespasiano inter initia imperii ad
obtiiiendas iniquitates hand perinde obstinante, donec indnlgeotia fortimae
et pravis magißtriß didicit aususque est. Suot. Vesp. 16 u. 23. Dio 66, 14.
*) Nacb Sueton gab Vesp. bei den Spielen zur Einweihung des neu
restaurierten Marcellustheaters dem Tragöden Apellaris 400 000, den
Zitherspielern Terpnus und Diodorus je 200 000, einigen 100 000, dem
geringsten 20 000 Sesterzien.
') Ranke, Weltgeschichte III, 1 S. 254: „Ich finde in den Ziffern nichts
Unglaubliches. Die Hauptsache ist, dass er die Bedürfnisse des Gemein-
wesens im allgemeinen überschlug und nicht die zufälligen Beträge, die
nach Kom gelangten, sondern eine bestimmte Summe zur Grundlage der
Verwaltung machte**.
Herzog a.a.O. S. 296 A. 2 findet die Summe von 8700 Millionen
Mark sehr hoch, aber nicht undenkbar. Vgl. Rodbertus in Hildebrands
Jahrbuch für Nationalökonomie XV 205.
78 Zweites Buch.
neue Adel, der sich aus Männern zusammensetzt, die mit
dem Kaiser emporgekommen oder aus den Provinzen nach
Rom verpflanzt worden waren. Sie brachten ihre einfachen
Gewohnheiten mit in die entsittlichte Hauptstadt und blieben
bei der nüchternen Lebensführung ihres Heimatsortes. So
brachte das Beispiel des Kaisers und seiner Umgebung den
grossen Umschwung zuwege, den der Geschichtsschreiber
dieser Epoche, der denselben Kreisen angehörte, als Ruhmes-
titel für Vespasian in Anspruch nimmt. Es waren vortreffliche
Männer, mit denen sich Vespasian umgab. Die meisten
stiegen in die höchsten Rangstufen des Heeresdienstes und
der Verwaltung empor ^) : Cn. Julius Agricola aus der Narbo-
nensis, T. Antoninus aus Gallien, Lusius Quietus aus Maure-
tanien, M.Ulpius Traianus aus Spanien, A. Julius Quadratus aus
Kleinasien, die beiden Plinii aus dem Polande. Es sind die-
selben Familien, aus denen die Kaiser des zweiten Jahr-
hunderts hervorgehen, und die Gesellschaft, in der auch diese
Kaiser ihre Stützen suchten, sind die Nachfolger der Männer,
die mit Vespasian emporkamen. Vespasian hatte auch Sinn
für die Erhaltung der Denkmäler der Vergangenheit. Und
das Geschick gab ihm Gelegenheit, diesen in grossartiger Weise
durch die Erneuerung des Staatsarchivs zu bethätigen. Beim
Brande des Kapitels waren zahlreiche darin aufbewahrte
Beschlüsse des Senats und Volkes zu Grunde gegangen.
Durch Anfertigung von etwa 3000 Kopieen wurde für das
Verlorene Ersatz geschafft. Plinius Secundus, der in der
ritterlichen Laufbahn zum Praefectus classis emporstieg, stand
den Regenten persönlich nahe. Der Verfasser der grossen
Encyklopädie und einer umfassenden Geschichte aller germa-
nischen Kriege hat in 31 Büchern die Kaisergeschichte ^a
fine Aufidü Bassi^' (41 — 71) dargestellt. Flavius Josephus,
der dem Vespasian das Kaisertum prophezeit hatte und im
Lager des Titus Zeuge der Einnahme von Jerusalem gewesen
war, einer der fruchtbarsten Geschichtsschreiber, lebte am
Hofe der Flavier. Antonius Julianus, der ebenfalls an der
Belagerung Jerusalems teilnahm und als Mitglied des Kriegs-
^) Tac. ann. 3, 55: Postquam caedibas saevitum et magnitado famae
exitio erat, ceteri ad sapientiora convertere. Simul novi homines ex
municipiis et coloniis atque etiam provinciis in senatum crebro adsnmpti
domesticam parsimoniam intulertmt; et qnamqaam fortuna vel induBtria
plerique pecnniosam ad senectam pervenirent, mansit tarnen prior animiu,
sed praecipaus adstricti mens aactor Yespasianus fait antiquo ipse colto
victaque; obseqaium inde in principem et aemulandi amor validior quam
poena ex legibus et metus. — Hist. 2, 82: Maltos praefectnris et pro-
corationibiis plerosque senatorii ordinis honore percoloit, egregios yiroa et
mox summa adeptos.
5. Vespasians Ausgang. 79
rates für die Zerstörung der Stadt stimmte, hat, wie Josephus,
ein Geschichtswerk über den jüdischen Krieg hinterlassen,
aus dem Tacitus seinen Bericht schöpfte^).
FÜNFTES KAPITEL.
Vespasians Ausgang.
Man hätte glauben sollen , dass vor der Macht der Erfolge,
die alle Unternehmungen Vespasians begleiteten, jeder Wider-
spruch verstummt wäre. Aber trotz der Rücksicht, die er
auf den Senat nahm, stiess er gerade in diesem auf einen
mächtigen Widerstand. Jener Curiatius Maternus, der im
Taciteischen Dialogus als namhafter Sachwalter gezeichnet
wird, trug seine politischen Ideale in Aufsehen erregenden
Dramen vor. Im J. 75 stand man unter dem frischen Eindruck
seines Cato, und nächstens wollte er im Thyestes nachholen,
was Cato etwa vergessen habe 2). Helvidius Priscus, des
Thrasea Eidam, einer der Führer der republikanischen Partei,
liess sich bei einem Wortwechsel zu heftigen Schmähungen
gegen Vespasian hinreissen. Er wurde verbannt und nicht
lange darnach hingerichtet. Nur ungern hatte der Kaiser den
Befehl dazu gegeben. Und als es geschehen war, nahm er
das Urteü zurück. Nur durch beschleunigte Ausführung war
Titus diesem unzeitigen Gnadenakte zuvorgekommen. Die
PhUosophen, um deren Tadel sich der Kaiser bis dahin
wenig gekümmert hatte, wurden mit Ausnahme des Musonius
Rufus aus Rom verwiesen, einige ins Exil geschickt 3).
Ranke deutet eine Äusserung, die Vespasian einst beim
Verlassen einer Sitzung fallen liess, entweder würden ihm
seine Söhne nachfolgen oder gar niemand*), dahin, dass dem
Imperator selbst der endliche Triumph der republikanischen
Partei nicht unmöglich vorkam.
Ob mit Recht, wage ich nicht zu entscheiden. Jedenfalls
war die gefährliche Opposition für den Augenblick zurück-
gedrängt, bis sie unter Domitian in wiederholten Verschwö-
rungen von neuem die Monarchie gefährdete.
Für die Härten , die unter der Regierung Vespasians vor-
kamen, macht Sueton den Titus verantwortlich. Jener habe
nur unter Thränen sogar gerechte Todesurteile vollzogen,
^) J. Bernays, Die Chronik des Sulpicius Severus, S. 50.
«) Vgl. Ribbeck, Geschichte der röm. Dichtung III S. 89.
») Sueton, Vesp. 15: Victor ep. 9. Dio 66, 12.
*) Sueton, Vesp. 25: Aut filios sibi successuros aut neminem.
80 Zweites Buch.
Tilus dagegen Leute, denen er nicht traute, im Theater oder
im Lager durch zuverlässige Personen, die im Namen aDer
die. Bestrafung der Verdächtigen fordern mussten, sofort um-
bringen lassen. Den Konsularen A. Caecina, den er zu Tisch
gebeten hatte, Hess er beim Verlassen des Speisesaales durch
einen Dolchstoss aus dem Wege räumen. Der Biograph ent-
schuldigt dieses gewaltsame Vorgehen mit dem Drange der
Gefahr, da der von Caecina selbst herrührende Entwurf einer
an die Soldaten zu richtenden Ansprache bekannt geworden
war. Es war jener Caecina, der zuerst die Fahne des Vi-
tellius erhoben und zuerst verlassen hatte, der auf seine
Verdienste um das Flavische Haus allzukühne Hoffnungen
bauen mochte. Geschützt durch die Verantwortlichkeit seines
Vaters, konnte Titus sich also ungestraft Handlungen der
Härte und Grausamkeit erlauben.
Vespasian deuchte einst im Traume, er sehe im Vorhofe
des Kaiserpalastes eine Wage mit geradem Zünglein, in der
einen Schale den Claudius mit Nero, in der andern sich selbst
mit seinen beiden Söhnen. „Dieser Traum ging in Erfüllung*',
so schliesst Sueton seine Biographie, „da ja beide Teile gleich-
viel Jahre und eine ganz gleiche Zeit regierten^. Ob Vespasian
in dem Gesichte auch eine Andeutung gesehen hat, dass die
von ihm unter Anknüpfung an Claudius begründete Herr-
schaft zu derselben Tyrannis ausarten werde, wie sie Nero
ausgeübt hatte?
Ein unerwarteter Tod raffte den beherzten Mann am
23. Juni 79 auf seinem sabinischen Landgute hinweg. Fieber
und Dysenterie hatten seine Kräfte erschöpft. Doch ver-
suchte er, als er sein Ende nahe fühlte, mit den Worten
„ein Kaiser müsse stehend sterben" sich emporzurichten, bis
zuletzt das Vorbild eines für das Gemeinwohl rastlos thätigen
Regenten.
SECHSTES KAPITEL.
Des Titus Selbstherrschaft 0-
Ob dem Titus die Rechte, die sein Vater ausgeübt hatte,
in ihrem vollen Umfange durch einen neuen Akt übertragen
wurden oder die Übertragung sich nur auf die Ehrenämter
*) L. Double, L'empereur Titus, Paris 1877, hat ein Zerrbild des
Kaisers entworfen. Er stellt sich die Aufgfabe „de demasqner an hjpo-
crite". S. 129: „Titus a tout simplement nn ramollissement de la moene
epiniere. Titus n'est devenu doux et dement qu^en devenant idiot**.
S. 132 will Double eine gewisse Consequenz in seinen fixen Ideen
wahrnehmen. S.135: Kechtspflege und Verwaltung- hätten still gestanden.
6. Des TittiB Selbstherrschaft. 81
Augustus und Pater patriae und den Oberpontifikat bezog,
ist ganz unsicher. Die Überlieferung verzeichnet bloss Ves-
pasians Ableben; von einer Veränderung, einem Übergange,
einer Feierlichkeit, wie sie bei einem Thronwechsel statt-
finden, ist darin mit keinem Worte die Rede. Wir hören
aber, dass kaum ein zweiter Fürst mit so übelm Rufe und
unter so allgemeiner Abneigung zur Herrschaft gelangte^).
Wegen seiner Grausamkeit, Schwelgerei und Habsucht habe
man ganz offen der Vermutung Ausdruck gegeben, er werde
ein zweiter Nero werden. Dieser Ruf sei ihm zu statten
gekommen und habe sich in das grösste Lob verwandelt, da
er als Kaiser die herrlichsten Tugenden an den Tag legte.
Diese Angabe Suetons bestätigt Tacitus insofern, als er be-
merkt, dass Titus seine Jugend in heiterm Genüsse verlebte
und unter der eigenen Regierung eine stärkere Selbstbeherr-
schung als unter der seines Vaters bewies 2). Aber in den
erhaltenen Büchern der Historien ist ein anderes Wort des
Tadels nicht ausgesprochen. Im Gegenteil wird versichert,
dass seine Anlagen jeder, auch der höchsten Stellung ge-
wachsen waren, dass die Anmut seiner Züge durch den
Ausdruck der Majestät gehoben wurde und dass er nach
Naturell und Bildung dazu angelegt war, einen Charakter
wie Mucianus zu gewinnen. Erfüllt mit kühnem Ehrgeize tritt
er uns im zweiten Buche entgegen, ein hochstrebender
Jüngling, der auf seine und des Vaters Sterne vertraut. Ohne
die kräftigen Antriebe, die von ihm ausgingen, hätte sich
Vespasian nimmer zur Annahme des Prinzipates verstanden.
^En proie ä un veritable delire ne demande plas qu'k etre aime". Endlich
wird Titus S. 158 als Bild von Hässlichkeit hingestellt. Bedeutender ist
das Buch von Beule, Titus et sa dynastie. Deutsch von E. Döhler,
Halle 1875. Auch Beule urteilt ungünstig über Titus. S. 132: „Er war
blutdürstig, habgierig, wollüstig; er war es ganz offen, ohne falsche
Scham; als wenn er eine seiner Stellung zukommende Pflicht erfüllte.
Selbst wenn er sich bemüht hätte, sich verhasst zu machen, so würde es
ihm nicht besser gelungen sein." Von seinen Bildern heisst es S. 106:
„Der ganze Typus ist durchaus nicht aristokratisch, er ist vielmehr plebe-
jisch, athletisch imd erinnert an einen schönen Hirten der Appenninen
viel mehr als an einen Caesar. Denkt man sich einen Schnurrbart hinzu,
so hat man einen Gallier vor sich. Der vorherrschende Charakterzug ist
die Zähigkeit." S. 109: „Seine Natur, der er so länge Gewalt angethan
hatte, rächte isich; die übergrosse Anspannung wurde durch ein zu grosses
Nachgeben ausgeglichen, und was Berechnung war, wurde Herzensdrang.
Die Nachgiebigkeit ging über in Schwäche, die Mildthätigkeit in Mo-
nomanie."
^) Sueton, Tit. 7: Alium Neronem et opinabantur et praedicabant.
Aufl seinem Übeln Rufe leitete sich auch die Beschuldigung her, die
Hadrian in seinen Denkwürdigkeiten aussprach, er habe seinen Vater
nmgebracht.
«) Hist. 2, 2.
A 8 b a c h , Kaisertum und Verfassung. b
82 Zweites Buch.
ohne die Hoffnungen, die er auf Titus setzte, hätte Mucianus
nimmer die Sache der Flavier zu der seinigen gemacht.
Alles in allem erscheint uns Titus als eine reich beanlagte
Persönlichkeit. Am Hofe des Claudius und Nero zusammen
mit Britanniens erzogen, hatte er sich eine vielseitige Bildung
angeeignet. Wie er lateinische und griechische Verse mit
grosser Leichtigkeit hinwarf und sogar aus dem Stegreif
vortrug, so sang und spielte er anmutig und kunstgerecht.
Die Härten, die ihm unter der Regierung seines Vaters schuld
gegeben wurden, mochten im Interesse der Sicherheit des
Prinzipates geboten erscheinen. Und wenn er, zur Selbst-
herrschaft gelangt, eine Milde walten Hess, die ihm den
weltberühmten Beinamen eintrug, so scheint diese Eigen-
schaft doch nicht so sehr berechnender Klugheit entsprungen
als vielmehr sein angeborenes Naturell gewesen zu sein.
Hatte er sich doch als Kriegstribun in Germanien und Bri-
tannien ebensosehr durch seine Tapferkeit wie seine Be-
sonnenheit und Milde den höchsten Ruhm erworben. Zum
Beweise dafür weist der Biograph auf die Menge seiner
Statuen, Bilder und Inschriften hin^). In den zahlreichen
auf uns gekommenen Büsten des Titus finden sich diese
Eigenschaften wieder. Nach den Ausführungen Beul^s ist
die Stirn ganz die des Vaters und bekundet Kraft, Fleiss
und Geistesanstrengung. Der Mund ist einnehmender, die
Lippen ungezwungener, das Kinn gewöhnlicher als bei jenem.
Der ganze Ausdruck sei angenehm, liebenswürdig, ein-
schmeichelnd; er verrate eine grosse Aufrichtigkeit, verbunden
mit Sanftmut, ein Sichgehenlassen, vereint mit einer natür-
lichen oder angenommenen Güte. Aus den Zügen könne man
entnehmen, dass Titus von Herzen milde war, dass aber die
Willenskraft seiner Seele eine gewisse Straffheit verheb, dass
sie durch Berechnung zum Bösen, durch den Drang eines
mächtigen Interesses zum Verbrechen geführt wurde*).
Über die Thronfolge hatte Vespasian nach dem Beispiele
der frühern Kaiser entweder bestimmte Anordnungen getroffen
oder darauf bezügliche Wünsche geäussert. Nachdem er sich
einmal entschlossen hatte, den Titus als Mitregenten an seine
Seite zu setzen und dem jungem Sohne eine Ausnahme-
stellung unmittelbar nach den Regenten einzuräumen, lag die
Anordnung nahe , dass nach seinem Ableben Domitian an die
Stelle treten sollte, die bis dahin Titus inne gehabt hatte.
Domitian scheute sich auch nicht, zu erklären, dass er eigent-
Hch zum Mitregenten ernannt, aber das Testament des Vaters
') Tit. 4.
2j Beule-Dühler, a.a.O. S. 106.
6. Des Titas Selbstherrschaft. 83
gefälscht worden sei, und als Kaiser kam er im Senate auf
diese Behauptung zurück i).
Wie dem auch sein mag, Titus hat, wenn er auch nicht
aufhörte, den Bruder als ^consors imperii et successor* zu
bezeichnen, die Vollgewalt der Regierung für sich behalten
und an der Stellung, die dieser vorher eingenommen hatte,
nichts geändert. Weder die tribunicische Gewalt noch der
Imperatorname werden ihm verliehen, und während er im
J. 80 mit ihm zusammen das Jahr eröffnete, fehlt unter den
Konsuln des nächsten Jahres sein Name. Aber Tilus war
weit davon entfernt, ihm die Nachfolge zu entziehen, er
wollte ihn sogar mit seiner Tochter Julia verheiraten, deren
Name bedeutungsvoll an die frühere Dynastie erinnerte. Was
ihn jedoch davon abhielt, dem Domitian eine ähnliche Stel-
lung einzuräumen, wie er selbst unter seinem Vater gehabt
hatte, war nicht allein die in seinem Wesen begründete
Selbstherrlichkeit, sondern er wird unter dem Eindrucke der
Besorgnis gestanden haben, es möchte von der Mitregent-
schaft zu seinem eigenen Verderben Gebrauch gemacht werden.
Hatte der Bruder doch nach Vespasians Tode überlegt, ob
er den Soldaten das doppelte Donativ bieten solle, und später
die Heere ganz offen aufgewiegelt. Die Nachrichten von dem
brüderhchen Entgegenkommen des Titus, der unter Thränen
in heimlichen Zusammenkünften den Domitian beschworen
habe, endlich auch ein brüderliches Herz zu haben, sind ohne
Wert, wo die Urkunden eine andere Sprache reden. L. Aelias
Plautius Lamia, derselbe, dem Domitian seine Frau abwendig
gemacht hatte, erscheint unter den Konsuln des J. 80,
L. Flavius Silva Nonius Bassus , ein Verwandter des Herrscher-
hauses, unter denen des folgenden Jahres, und T. Flavius
Sabinus, consul Ordinarius des J. 82, ist wahrscheinlich noch
von Titus designiert worden. War es bei der Auszeichnung,
die diesem zuteil wurde, darauf abgesehen, den Domitian in
Schach zu halten? Man hörte diesen, als er erfuhr, dass
Sabinus wie der Kaiser sich weissgekleidete Diener halte,
das homerische Wort anführen: ^elc, xotpavo? laxcoS und zur
Regierung gelangt, liess er ihn aus nichtigem Anlass
umbringen. Wir erfahren weiter, dass Domitians Freunde
den Titus fürchteten 2), dass das Zerwürfnis zwischen den
Brüdern sich schliessUch so schroff gestaltete, dass Domitian
*) Sueton, Dom. 2: Patre defuncto nunquam iactare dubitavit relictum
86 participem imperii, sed fraudem testamento adhibitam und c. 13: Prin-
cipatum adeptus neque in senatu iactare dubitavit et patri se et fratri
imperium dedisse, illos sibi reddidisse.
*) Plin. ep. 4, 9, 2 von Julius Bassus.
84 Zweites Buch.
darauf Bedacht nahm, durch heimliche Flucht aus Rom für
seine Sicherheit zu sorgen. Man könnte vermuten, er sei
an der Verschwörung der beiden Patrizier, die Titus durch
Milde zu versöhnen wusste, beteiligt gewesen^).
Je weniger sich Titus auf seinen Bruder verlassen konnte,
umsomehr Wert legte er darauf, die Ansprüche des Senates
zu befriedigen und die Sympathieen der Menge sich zu er-
halten. Die Delatoren wurden strenge bestraft, dem Volke
zur Augenweide im Amphitheater vorgeführt und auf die un-
fruchtbarsten Inseln verwiesen. Majestätsverbrecher wurden
begnadigt, neue Klagen sollten nicht zugelassen und Todes-
urteile über Senatoren nur unter Teilnahme des Senates
selbst verhängt werden 2). Er war der erste Kaiser, der alle
von seinen Vorgängern erteilten Gnaden durch ein einziges
Edikt bestätigte, ohne dass man besonders darum einzukommen
brauchte. So wurden Beamte und Privilegierte gewonnen 3).
Im Gegensatz zu der Einfachheit seines Vaters umgab er sich
mit Gepränge und Luxus, mit dem Glänze, wie er ihn bei
den orientalischen Despoten kennen gelernt hatte. Er nahm
seine Wohnung im Palatium. Jetzt wurden der Familie
Statuen errichtet und göttHche Ehren zuerkannt. Er liess
Goldmünzen prägen, die das Andenken seiner Mutter, der
diva Domitüla Augusta, verewigten und legte auch seiner
Tochter Julia den Augustanalhen bei.
Der wirtschaftUche Sinn seines Vaters ging ihm ab oder
war doch durch das Streben, seine glänzende Persönlichkeit
geltend zu machen, verdunkelt. So grossartig dessen Bau-
thätigkeit gewesen war, sie hatte sich innerhalb der Grenzen
seiner Mittel gehalten. Aber Titus bewies in der Finanzverwal-
tung weder Sorgfalt noch Masshaltung. Ein Fest folgte dem
andern, Schauspiel folgte auf Schauspiel. Auf den Trümmern
der Neronischen domus aurea erhoben sich neue Thermen,
die an Pracht alles bisher dem Volke Gebotene übertrafen.
Hundert Tage dauerten die Spiele, die im J. 80 in nie da-
gewesenen Formen zur Eröffnung des neuen Amphitheaters
veranstaltet wurden. An einem Tage erschienen 5000 Bestien
der verschiedensten Art in der Arena*). Die Schaustellungen
überboten alles bisher Gekannte, und die Leistungen der
Kämpfer stellten die Heroen der Vorzeit in den Schatten.
In einem Epigrammenkranze, der dem Kaiser zum Andenken
^) Suet. Tit. 9, Dom. 12.
*) Suet. Tit. 8. Dio 66^ 19, 3 — Paneg. 35; lugenti animo divus
Titus securitati nostrae ultionique prospexerat ideoque numinibns aequa-
tus ßst
8) Suet. Tit. 7, 8. Dio 66, 19, 3. Victor, epit. 10, 8.
*) Dio 66, 25. Suet. Tit. 7. Victor, ep. 10, 5.
6. Des TituB Selbstherrschaft. 85
Überreicht wurde, hat Martialis eine Anzahl der merkwürdig-
sten Bilder dieses Festes verherrlicht. ^Zuschauer aller Zungen
von den entlegensten Enden der Erde sind gekommen, aber
alle verehren einmütig den Kaiser als wahrhaftigen Vater
des Vaterlandes.*^
Es ist ausserordentlich bezeichnend für seine Art zu re-
gieren, dass er bei allen Bittgesuchen nach dem Grundsatze
handelte, niemanden ohne Hoffnung zu entlassen, und dass
seine Umgebung bemerkte, er verspreche mehr, als erhalten
könne 1). So gewann er freilich den Namen ,, Wonne
des Menschengeschlechtes", aber er musste auch die kaiser-
lichen Kassen übermässig in Anspruch nehmen, zumal als
furchtbare Unfälle Städte und ganze Landschaften heim-
suchten und Hülfeleistungen in grösserm Massstabe notwendig
machten.
Am 24. August 79 wurden die Städte Herculaneum und
Pompeii durch einen Ausbruch des Vesuv verschüttet, wäh-
rend ein Erdbeben andere Ortschaften Campaniens in Trümmer
legte. In Rom wütete ein Brand drei Tage und ebensoviele
Nächte, und eine Pest, die schon unter Vespasian aufgetreten
war, forderte zahllose Opfer.
Bei diesen Katastrophen griff Titus mit seiner ganzen
Autorität und mit väterlicher Fürsorge ein. Bald tröstete er
durch Edikte, bald leistete er thatkräftige Hülfe. Um in Cam-
panien, wo es am dringendsten war, der Not zu steuern,
wurde eine Kommission von Konsularen gebildet und nach
dem Brande der Schmuck der kaiserlichen Landgüter zur
Ausstattung der Tempel und öffentlichen Gebäude verwandt.
Die Ausschweifungen, denen er sich in Jüngern Jahren
hingegeben, die Aufregung, die das gehäufte Unglück zur
Folge hatte, mussten die Gesundheit auch des stärksten
Mannes erschüttern. Sein Hang zur Melancholie und ein
unersättliches Bedürfnis nach Mitgefühl waren Symptome
eines krankhaften Zustandest). Das Volk sah ihn im Colosseum
während der letzten Tage der Spiele bitterlich weinen. In
den Thränen, die keinen wahrnehmbaren Anlass hatten,
verrät sich die Schwäche des Körpers. Als sich dieser Zu-
stand infolge des Missbrauches von Bädern noch verschlim-
merte'), begab er sich, um Erholung zu suchen, in das
Sabinerland. Auf der Reise wurde er nach dem ersten
Nachtquartier von einem heftigen Fieber ergriffen, dem er
bald nachher in derselben Villa, in der sein Vater gestorben
war; 41 Jahre alt, erlag. Sein Bruder äusserte später ein-
Suet. Tit. 7.
«) Beule-Döhler, a.a.O. 8.110.
8) Plutarch, De sanitate praecepta c. 3: (Sg (paotv ot vooTjXeöoavxeg.
86 Zweites Buch.
mal, Titus sei mehr glücklich als tugendhaft gewesen. Er
wollte sagen, es sei ihm erspart geblieben, die Probe auf
sein Regierungssystem zu erleben.
Domitian, der sich in seiner Nähe befand, befahl, ihn zu
verlassen, ehe er noch den Geist aufgegeben hatte, und eilte
zu Pferde nach Rom, um sich der Herrschaft zu versichern.
Er gewährte den Prätorianern dasselbe Donativ wie Titus
und nahm ihre Huldigung entgegen.
Der Senat eilte vor der amtlichen Einberufung zur Kurie,
deren Pforten noch geschlossen waren, und spendete dem
Hingeschiedenen so warmen Dank und so lautes Lob, wie
er nie zu Lebzeiten und in Anwesenheit vernommen hatte.
Anscheinend in derselben Sitzung (14. Sept.) übertrug man
dem Domitian den Augustustitel , das Imperium und die tribu-
nicische Gewalt; am 30. Sept. wurde die letztere in der
Volksversammlung proklamiert. Ohne, wie andere Kaiser, eine
gewisse Zeit zu warten, übernahm er den Oberpontifikat und
den Ehrennamen ;, Vater des Vaterlandes^ i). Ohne Wider-
spruch, wie in einer Erbmonarchie, hatte sich auch dieser
Thronwechsel vollzogen.
SIEBENTES KAPITEL.
Domitians glückliche Anfänge^).
Die Überlieferung der Geschichte des Flavischen Herrscher-
hauses ist im allgemeinen lückenhaft und dürftig, diejenige
der Regierung Domitians zudem tendenziös gefärbt und ent-
stellt. Zeugnisse gleichzeitiger unabhängiger Männer besitzen
wir nicht. Quintilian, der beste Lehrer seiner Zeit und Er-
zieher der kaiserlichen Neffen, hat in seinen Schriften das
politische Gebiet nicht berührt. Von Julius Frontinus, einem
der namhaftesten Männer dieser Epoche , sind einige wertvolle
») Vgl. Chambalu, a.a.O. 8.31; die Arvalakten ed. Henzen p. 64.
*) Stephane Gsell, Essai sur le re^e de rempereor Domitian.
Paris 1894, hat eine längst empfundene Lücke ansgefüllt und ist nament-
lich infolge der Verwertung des inschriftlichen Materials und der Berück-
sichtigung der Bauten wertvoll. Imhofs Biographie (Halle 1857) hat die
uns überkommenen schriftstellerischen Nachrichten mit fast erschöpfiender
Vollständigkeit zusammengestellt und durchweg mit grossem beschick ver-
wertet, aber inschriftliche Zeugnisse finden sich bei ihm nur gelegentlich
berücksichtigt. Der kleinen Abhandlung von Kraus (Landshut 1875) ist
dagegen ein selbständiger Wert abzusprechen, besser ist die Arbeit von
Pichlmayr (Erlangen 1889); diejenige von Halberstadt (Amsterdam
1877) ist ein blosser Panegyrikus.
7. Domitians glückliche Anfange. 87
auf den Chattenkrieg bezügliche Notizen erhalten. Die Dichter
Martialis und Statius versäumen keine Gelegenheit, dem ir-
dischen Jupiter ihre Huldigungen darzubringen. Statius hat
in einem Gedichte, das bis auf einige Zeilen verloren gegangen
ist, den germanischen Krieg besungen; als Gegenstück dazu
kann man die vierte Satire Juvenals betrachten; eine
Parodie auf des Statius Epos, führt sie den Kaiser und die
Mitglieder seines Consiliums ein , wie sie auf der albanischen
Villa über die Verwendung eines seltenen Fisches beraten.
Denkmäler sind nur wenige vorhanden, weil mit der Ächtung
des kaiserlichen Andenkens eine gründliche Zerstörung seiner
Bildnisse, Statuen und Inschriften verbunden war. Mit der
neuen Ära, die nach seinem Tode begann, lebte die Ge-
schichtschreibung, für die unter einer Gewaltherrschaft der
Boden ungünstig war, wieder auf. Plinius stellte den Kaiser
in der im J. 100 gehaltenen Dankesrede, um Traians Per-
sönlichkeit und Verdienste noch mehr hervortreten zu lassen,
als blutdürstigen Unhold hin. Tacitus rühmt die Zeiten, in
denen gestattet ist, was man will, zu denken, und was man
denkt, zu schreiben; er spricht zwar in würdigerm Tone als
Plinius von dem Regenten, der ebenso hinterlistig wie
grausam den Senat misshandelt hatte und in seinen letzten
Jahren noch den Nero überbot. Die unmittelbarste und zu-
verlässigste Quelle für die Geschichte Domitians ist seine
Biographie von Suetbn, die neben dem Gerede der Leute,
wie es über jeden Hof in Umlauf gesetzt wird, zuverlässige
und sachliche Mitteilungen enthält. Dagegen sind die griechi-
schen Quellen, des Philostratos Lebeasbeschreibung des
ApoUonios von Tyana und die Auszüge aus Dio, mit grösster
Vorsicht zu benutzen.
So sehr diese Berichte im einzelnen von einander ab-
weichen, so ergiebt sich als eine unbestreitbare Thatsache,
dass den Domitian hervorragende Gaben des Verstandes
auszeichneten, dass er Sinn für höhere Bildung hatte und ihn
ein inneres Bedürfnis zu den Staatsgeschäften zog. Manches
treffende Witzwort wird verzeichnet; er führte gern home-
rische Kraftstellen an und verehrte Minerva als seine
Schutzgöttin. In Jüngern Jahren war er eine schöne Er-
scheinung, hochgewachsen und von vollkommenstem Eben-
mass der Glieder. In den uns erhaltenen Bildnissen kommen
Selbstbewusstsein und Klugheit zum Ausdruck. Starken
körperlichen Übungen abgeneigt, suchte er lieber seine Er-
holung beim Würfelspiel, im Rudern und Bogenschiessen.
Seine Lebensweise war einfach. Früh am Tage nahm er
ein Bad und sättigte sich beim Frühmahle, so dass er bei
der cena ausser einem Mattianischen Apfel und einem mässi-
88 Zweites Buch.
gen Trünke nicht leicht etwas zu sich nahm. Die Gast-
mähler, die er veranstaltete, waren reichlich, aber man
speiste nahezu in Eile. Der Kaiser pflegte die Tafel, ohne
ein Trinkgelage zu gestatten, vor Einbruch der Nacht aufzu-
heben und, bis er zur Ruhe ging, allein an einsamem Orte zu
weilen ^). An der Einschränkung des Tafelluxus und der Besse-
rung der Sitten, die in erster Linie auf das Beispiel des
Vespasian zurückzuführen ist, hat der jüngere Sohn einen
bemerkenswerten Anteil. Willkür und Sinnlichkeit, Missgunst
und Ehrsucht, Verschlossenheit und Misstrauen sind Züge,
die in seinem Charakter hervortreten, als ihn noch die Auto-
rität seines Vaters im Zaume hielt. Da ihn dieser nicht zu
den Geschäften zuzog, hatte er sich litterarischen Studien
zugewandt, mit Eifer gedichtet und recitiert. Den Kampf auf
demKapitol, bei dem er selbst in Lebensgefahr geraten war,
und den jüdischen Krieg und die Thaten des Titus machte
er zum Gegenstande einer epischen Dichtung. Quintilian
rühmte diese poetischen Arbeiten in überschwenglichen Worten.
Nur seine Erhebung zum Weltregiment habe ihn um den
Namen des grössten Dichters gebracht*). Als Kaiser habe
er dies Lob durch seine andern Vorzüge verdunkelt. Sueton
versichert, er habe ausser den Memoiren und Schriften des
Tiberius nichts mehr gelesen. Aber trotzdem hat er sein
Interesse für die Lilteratur in hervorragendem Masse be-
thätigt. Nicht nur liess er die abgebrannten Bibliotheken
mit grossen Kosten wiederherstellen, wertvoUe Bücher
in Alexandria aufkaufen, abschreiben oder emendieren.
Nachhaltigere Folgen hatten die in Rom gestifteten öffent-
lichen Wettkämpfe. Alljährlich am 19. März, am Hauptfeste
der Minerva, stritten Dichter und Redner auf dem albanischen
Landsitze um den goldenen Olivenkranz. Und alle vier Jahre
fand seit 86 zu Ehren Juppiters der kapitolinische Agon statt,
dessen dritter Teil den musischen Künsten gewidmet war.
Dabei führte der Kaiser in griechischer Tracht, mit dem
Purpurmantel und einer Goldkrone geschmückt, auf der die
Bildnisse Juppiters, der Juno und Minerva angebracht
waren, den Vorsitz und erteilte als Preis den Eichenkranz ^)
') Sueton, Dom. 18^ 21, teilt diese Einzelheiten mit. PI in. paneg.
49 hat niemals angerechter geurteilt. Domitian habe schon des Vor-
mittags zum Platzen vollgepropft, rülpsend und lauernd seine Gäste
überwacht und nach seinen ^ heimlichen Schwelgermahlzeiten fast keine
Speise mehr berührt.
') Quintilian US 10, 1, 9: Quid tamen his ipsis eins operibus in qiiae
donato imperio iuvenis secesserat sublimius^ doctius, Omnibus denique
numeris praestantius u. 10, 1, 92: Nunc ceterarum virtutam laus lata (als
Dichter) praestringitur.
^) Censorinns, De die natali c. 18.
7. DomitiaDB glückliche Anfänge. 89
s war SO, als ob die olympischen oder pythischen Spiele
ach Rom verpflanzt wären und die griechisch-römische
ultur in dem Kaiser selbst ihren Repräsentanten gefunden
ätte. Wenn auch sein Lob das stehende Thema war und
ei dem herrschenden Drucke die Originalität der Dichter
jiden musste, so ist doch die von höchster Stelle ans-
ehende Anregung den musischen Künsten fördernd zu gute
ekommen.
Der Anfang der neuen Regierung war nach allen Seiten
inwandfrei und erfolgreich. Domitian blieb zunächst dem
Legierungssystem , das sich unter seinen Vorgängern bewährt
atte, treu. Dem Titus, der unter die divi aufgenommen
mrde, hielt er unter Thränen die Leichenrede und weihte
en grossen Triumphbogen auf der Velia. Die Eponymie
mrde wieder mit dem Prinzipate verbunden , und die Fristen,
ie unter Titus zweimonatlich gewesen waren, wurden wieder
erlängert. Vibius Crispus und A. Fabricius Veiento, die im
. 83 durch ein drittes Konsulat ausgezeichnet wurden , haben
[im offenbar am nächsten gestanden.
Die Bestätigung der Verfügungen seiner Vorgänger, die
Jeschränkung der Ansprüche des Ärars, die Bestrafung der
)elatoren, das Verbot der Knabenentmannung, die Ein-
chränkung der Pantominen waren Massnahmen, die von
;utem Willen zeugten.
Erfolgreiche Feldzüge an der Nordgrenze des Reiches
iessen auf seine Regierung einen Abglanz des militärischen
luhmes fallen, der seinem Vater und Bruder in so reichem
ilasse zuteil geworden war.
Agricola sicherte im J. 82 durch einen Sieg über die
^aledonier den Besitz von Britannien. Aber anstatt die Ver-
olgung dieses Sieges und die Eroberung des heutigen Schott-
and und Irland gutzuheissen, zu der von dem unternehmenden
-iCgaten alle Vorbereitungen getroffen waren, rief er diesen
lach siebenjähriger Verwaltung zurück und bemühte sich
mter Verzicht auf die kostspielige Offensive um Herstellung
3iner Defensivstellung an der schottischen Landenge. Die
Liinie vom Clyde- zum Forthbusen war schon von Agricola
nit einer Postenreihe besetzt worden, und die Anlage, die
3ich auf einen ansehnUchen Erdwall mit Graben davor und
Strasse dahinter beschränkt, entspricht dem Limes, der einige
Jahre später in Germanien begonnen wurde ^).
An diesem stets bedrohten Punkte war ein kräftiger Ver-
stoss nötiger als in Britannien, wenn den Raubzügen der
Chatten ein Ziel gesetzt und das Werk Vespasians vollendet
') Th. Mommaen, Rom. Geschichte V 8.169, 171.
90 Zweites Buch.
werden sollte. Domitian selbst begab sich in Begleitung
tüchtiger Offiziere, unter denen sich auch der als Techniker
hervorragende Julius Frontinus befand, auf den Kriegsschau-
platz. Die Kraft des chattischen Stammes wurde durch
mehrere von Mainz aus gegen den Taunus unternommene
Vorstösse gebrochen, ohne dass es zu einer grösseren
Schlacht gekommen wäre^). Hatte man bisher nur einen
Streifen Landes von Wiesbaden bis Höchst als Vorterrain
der Festung Mainz gehalten, jetzt wurde ein Teil des Chatten-
landes, das Gebiet der Mattiaken, besetzt und in engere
Verbindung mit dem früher gewonnenen Dekumatenlande
gebracht, dessen Grenze sich auf den Ausläufern des Taunus
und Vogelsberges hielt. Damals begann man mit dem Bau
einer Grenzwehr; ob zuerst im Taunus oder mit dem Stücke,
das bestimmt war, die durch Kastelle befestigte Main- und
Neckarlinie zu verbinden, ist noch nicht ausgemacht 2). Münzen
mit der Aufschrift , Germania capta*, mit Symbolen der Knecht-
schaft, überschwengliche Gedichte des Statins imd Martialis
verherrlichen diese Erfolge , für die der Senat dem Imperator
die Ehre eines Triumphes und den Beinamen Germanicus
zuerkannte.
Nach Rom zurückgekehrt, glaubte Domitian seine Stellung
so weit befestigt, dass er es wagen konnte, ihre monarchische
Seite noch schärfer geltend zu machen, als es sein Vater
getban hatte. Der Senat hatte gehofft, es werde der Kaiser
den Gerichtsstand der Senatoren in Kapitalsachen anerkennen.
Während Titus überhaupt kein Todesurteil gefällt hatte, legte
Domitian den grössten Wert darauf, sein Recht über Leben und
Tod auch dem Senate gegenüber zu handhaben^). War schon
hierdurch die Freiheit der Beratung und Meinungsäusserung
in Frage gestellt, so wurde die Körperschaft, die nach der
von Augustus gegebenen Verfassung sich mit dem Prinzeps
in die Reichsregierung teilen sollte, um ihre Selbständigkeit
gebracht, als Domitian im April des J. 85 die Censur, zu-
nächst in denselben Formen wie sein Vater, aber schon im
») Vgl. meine Abhandlung im Bonner Jahrbuch LXXXI (1886), S. 27 fg.
und Herzog, a.a.O. S. 314: Die Erfolge waren im wesentlichen strate-
gischen Mitteln und klugem Entgegenkommen zu danken. Dass für Land
zu Kastellzwecken im Chattengebiet Entschädigung geleistet wurde, mochte
als ein Erkaufen des Sieges gedeutet werden.
*) „Den Beweis für die Eroberung Domitians erbringen die in den
Centralziegeleien zu Nied und in den Kastellen Hofheim, Friedberg,
Okarben gefundenen Stempel der um die Wende vom 1. zum 2. Jahrb.
aus Obergermanien verlegten Legionen I XIV XXI." Hettner, Bericht
über die Erforschung des obergermanisch-rätischen Limes (Trier 1896), S. 29.
^) Dio 67, 2: O'jx §9pövxt.5£v . . ., Sxi -^ yepODaloL tcoXXgcxi^ fjS£o*j
cpYj^io^'iJvai fiY] igstvai zip aöxoxpdxopt xßv 6fioxCfiü)v xivdc änoXiaai.
7. Domitians glQckUche Anfänge. 91
fovember desselben Jahres auf Lebenszeit übernahm. Die
3ctio senatus und das regimen morum waren nun grund-
ätzlich mit der höchsten Gewalt vereinigt und damit die
Zusammensetzung der mitregierenden Körperschaft in das
Jelieben des Kaisers gestellt i). Schon vorher hatte sich
ieser ein zehnjähriges Konsulat beschliessen lassen, das er
ur der Eponymie wegen in der Regel bis zum 13. Januar
ihrte.
Auf diesem Wege ging er zunächst weiter, ohne dass
nr in der Lage wären, im einzelnen seine Schritte zu ver-
olgen. Das wenige, was wir davon wissen, reicht aber aus,
ins über das Ziel seiner Innern Politik völlige Klarheit zu
erschaffen.
Es kommt jetzt häufiger vor, dass die höchsten Amter,
lie früher den Senatoren vorbehalten waren, an Ritter und
''reigelassene verliehen werden 2). L. Minicius Italus hat
»"orübergehend sogar Asia verwaltet. Erschien er öffentlich,
10 begleiteten den Kaiser 24Liktoren, kam er in den Senat,
io trug er das Purpurgewand. Beides aber geschah immer
leltener. Im Gegensatze zu seinen nächsten Vorgängern
entzog er sich, dem Beispiele des Tiberius folgend, den
Blicken seiner ünterthanen und lebte meist in der Stille
jeiner albanischen Villa. Eine Formulierung fand die schran-
kenlose Herrscherstellung, die er einnehmen wollte, in dem
tVorte »dominus*. Zwar hat er diese Bezeichnung, die Tibe-
ius mit Entrüstung zurückgewiesen hatte, in seine Titulatur
licht aufgenommen, aber wenn er das Formular für die
Prokuratoren diktierte, bediente er sich nach Sueton der
Worte: ;, Unser Herr und Gott hat folgendes befohlen. ^^ Dessen
iveitere Nachricht, infolge dessen sei es Brauch geworden,
lin weder mündlich noch schriftlich anders anzureden, wird
iurch die Gedichte des Martialis und Statins sowie durch
3ie Inschriften bestätigt.
Sohn und Bruder eines Divus, glaubte er befugt zu sein,
sich selbst zum Range einer Gottheit zu erheben. Er war
der erste nach Caligula, der bei seinen Lebzeiten als Gott
verehrt wurde 3). Auf dem Kapitol standen seine Bilder unter
den übrigen Gottheiten. Wie diesen durften ihm nur goldene
und silberne Statuen von bestimmtem Gewichte errichtet
werden. Den Dichtem heisst er deus, Jupiter und sacra-
tissimus Imperator, auf Münzen von Asia wird er als Q'zog,
in Athen als Zeu^ iXeuQ'ipioq bezeichnet. Als er sich mit
Domitia, von der er eine Zeitlang geschieden war, wieder
^) Chambalu, a.a.O. S. 19.
*) Sueton, Dom. 7.
*) Plinius, paneg. 56.
92 Zweites Buch.
vereinigte, hörte man ihn sagen, er habe sie auf seinen
Göttersitz zurückgerufen. Während der. gerade, einfache
Sinn seines Vaters auf eine eigene Grabstätte verzichtete
und bestimmte , dass seine Asche im Mausoleum des Augustus
beigesetzt werden sollte, hat Domitian auf dem Quirinal
an der Stelle, wo er geboren war, für sich und sein Haus
ein Grabmal gebaut, das an Glanz das Julische Mausoleum
übertraft).
Vor allem aber war die Baulust Vespasians bei dem
Jüngern Sohne zur Leidenschaft gesteigert. Er suchte durch
die von ihm vollendeten und neuerrichteten Bauwerke alle
seine Vorgänger zu überbieten, Rom zu einem seiner kaiser-
lichen Gottheit würdigen Herrschersitze auszugestalten, Künst-
ler und Arbeiter in einem nicht dagewesenen Umfange zu
beschäftigen. So zahlreich waren seine Bauten, dass ein
Forscher, der ihre Spuren an Ort und Stelle untersucht hat,
sagen konnte, Rom habe unter seiner Regierung sein Aus-
sehen verändert. So prachtvoll waren sie, dass der viel-
gereiste Plutarch^) in Worte der Bewunderung ausbrach.
In dem Juppitertempel auf dem Kapitol, den er nach einem
neuen Brande wieder aufgebaut hatte, habe die Vergoldung
12 000 Talente (etwa 55V2 Millionen Mark) gekostet. Doch
wer erst in seinem Paläste einen Säulengang oder eine Halle,
ein Bad oder eine Wohnung seiner Maitressen sehe, der
müsse sagen, der Erbauer habe gleich Midas seine Freude
daran gefunden, durch seine Berührung alles in Gold zu
verwandebi. Der gewaltige Bau dieses Palastes ruhte nach
des Statins^) preisender Schilderung nicht auf 100 Säulen,
sondern auf so vielen, dass sie den Himmel stützen könnten,
und schloss weite offene Räume ein; dort wetteiferten numi-
discher, synnadischer, chiischer, carystischer Marmor* und
Granit aus Syene; nur die Postamente der Säulen waren aus
^) Nach O. Hirsch feld, Sitzungsberichte der preussischen Akademie
der Wissenschaften LI (1886) S. 1159. Diese Grabstätte wurde erst im
J. 94 vollendet. Aus dem Umstände, dass in der Nähe ein Kolossalkopf
des Vespasian gefanden wurde , hat man gefolgert , dass auch dessen Asche
in dasselbe Grabmal übergeführt wurde.
«) Pubücola c. 15.
3) Silv. 4, 218—231. Vgl. Martial, ep. 8, 36. Friedländer,
Sittengeschichte III, 89.
Vollständiger als bei Sueton ist die Aufzählung der Bauten Demi-
tians bei Eusebius II p. 161 Seh.: Multa opera Romae facta, in quis
Capitolium, forum transitorium, divorum porticus, Iseum ac Serapeum,
Stadium, horrea piperatoria, Vespasiani templum, Minerva Chalcidiea,
Odeum, forum Traiani, thermae Traianae et Tiberianae, senatus ladus
matutinus, mica aurea, meta Sudans et Pantheum. Sehr eingehend hat
über die Bauten Domitians Gsell in einem der besten Abschnitte seines
wiederholt angeführten Werkes gehandelt: Rome sous Domitian S. 90 — 130.
7. Domitians glückliche Anfänge. 93
arrarischera Stein. Die Höhe des Palastes war so gross,
ass der ermüdete Blick kaum die Kuppelwölbungen , die ver-
oldeten Deckenfelder erreichen konnte. ;,Was sind die Denk-
läler von Memphis, verglichen mit dem Palatium? Der Pelion
cheint auf dem Ossa zu ruhen. Deine Wohnung reicht bis
um Himmel und verliert sich inmitten glänzender Sterne*^).
]in für musikalische Aufführungen bestimmtes Odeum war
1er Schmuck des Marsfeldes und hatte 10000 Plätze, das
;tadium deren 30000.
Auf dem Forum stand des Kaisers Bronzestatue. Er
^ar zu Pferde dargestellt; auf den Schultern das Paludamen-
um, an der Seite das Schwert, reitet er den Gott des
Iheines nieder. Sein Blick war auf den Tempel des Julius
]!aesar und die Wohnung der Vestalinnen gerichtet, zu seiner
sinken hatte er die Basilica Aemilia, zu seiner Rechten die
Jasilica Julia, auf der Rückseite die Tempel der Concordia
md des divus Vespasianus. In der einen Hand trug er die
jtatue der Minerva, die Rechte war ausgestreckt, als ob sie
ler Welt Frieden gebieten wollte*).
So suchte Domitian den Eindruck seiner Person und seiner
Srfolge ins Heroenhafte zu steigern.
Der Senat beugte sich, ohne einen ernstlichen Widerstand
:u versuchen^); Statuen und Triumphbogen wurden immer
ron neuem beschlossen, Gelübde und Opfer für das Wohl-
ergehen des Kaisers und die Ewigkeit des Reiches wurden
iargebracht. Sein Geschäftskreis war von Jahr zu Jahr
mger geworden. Der jüngere Plinius erinnert in einem
Briefe an die Zeit, wo die Kurie zitterte oder sprachlos war,
n der zu sagen, was man wollte, gefährlich, was man nicht
A^oUte, jämmerlich war, wo die Väter entweder zur grössten
Jnthätigkeit oder zu den grössten Freveln berufen wurden,
md bald zum Spotte , bald zum Schmerze zusammengehalten,
liemals Ernstes, oftmals Trauriges beschliessen mussten. Und
m Panegyricus klagt er, wenn auch in übertriebenen Worten,
iie Senatoren seien nur zusammengetreten, um dem Prinzeps
leue Ehren ausfindig zu machen oder sich zu seinen Mit-
jchuldigen herabzuwürdigen, um über die Vermehrung der
2ahl der Gladiatoren und die Bildung*) eines Kollegiums von
iVerkleuten zu beraten.
Dem Reiche schadete es nicht, dass die Regierungsgewalt
straffer angespannt, die Verwaltung einheitlicher gestaltet
1) Martial, ep. 8, 36.
•) Gsell, a.a.O. S. 104.
•) Plinius, paneg. 54: Certamen adulationum , 55: Novitas oninis
idulatione consumpta. Vgl. Gsell, a.a.O. S. 46.
*) Plinius, ep. 8, 14, 8; paneg. 54. Dazu Gsell, a.a.O. S. 56.
94 Zweites Buch.
und ein Teil der Rechtspflege vom Kaiser selbst in die Hand
genommen wurde. „Die Behörden der Hauptstadt und die
Statthalter der Provinzen", sagt der Zeitgenosse, ^hielt er so
strenge in Ordnung, dass sie niemals uneigennütziger und ge-
rechter gewesen sind/' Derselbe Sueton stellt ihm das Zeug-
nis aus, dass er der Rechtsprechung mit Eifer und Sorgfalt
oblag, bestechliche Richter aufs strengste bestrafte und par-
teiische Entscheidungen des Centumviralgerichtes aufhob. Es
konnte nicht fehlen , dass der richtenden Thätigkeit der Kon-
suln und Prätoren durch dies persönliche Eingreifen der Boden
entzogen und jede Initiative genommen wurde ^).
Die wichtigsten Fragen der Rechtsprechung und Ver-
waltung brachte Domitian in einem Consilium zur Sprache,
in dem die angesehensten Männer des Senatoren- und Ritter-
standes vereinigt waren, und das, ohne gerade eine organische
Einrichtung zu sein, eine kräftige Stütze für das kaiserliche
Ansehen abgab. Wir kennen aus der vierten Satire Juvenals
die Mitglieder des Beirates; es finden sich darunter Männer,
die schon dem Vespasian und Titus treu gedient hatten*):
der berühmte Jurist Pegasus, die namhaften Redner und
Sachwalter Q. Vibius Crispus und A. Fabricius Veiento, der
alte Parteigänger der Flavier aus der Zeit der Bürgerkriege
Cornelius Fuscus. Mit Rücksicht auf diese und andere Männer
konnte man später sagen, der schlechteste Kaiser habe gute
Freunde gehabt^).
Wie Domitian in der Kontrole ungerechter Beamten und
der beständigen Teilnahme an den Gerichtsverhandlungen
dem Beispiele des Tiberius folgte, so war dieses auch für
die Bildung des ConsiUums massgebend geworden. In dem
Beirate, den Tiberius nach dem Vorgange des Augustus an-
genommen hatte, kamen alle politischen Angelegenheiten zur
Sprache; auch ein Nichtsenator, Aelius Seianus, hatte darin
Sitz und Stimme*), wie unter Domitian der Gardepräfekt Cor-
nelius Fuscus. Unter des Tiberius Nachfolgern ist von einem
politischen Consilium nichts mehr überliefert.
^J Plinius, paneg. 94: Super omnia praedicandum videtur quod pateris
coDsules esse quos fecisti.
^) Gsell, a.a.O., S. 62 stellt alle uns bekannten Namen zuBammen
und weist auf die Bronzetafel CIL 9, 5420 hin, auf der man die Worte
liest: Adhibitis utriusque ordinis splendidis viris cognita causa.
^) Lampridius, Alex. 65: Id quidem ab HomuUo ipsi Traiano dictum
est, cum ille diceret Domitianum pessimum fuisse, amicos autem bonos
habuisse. Sueton, Tit. 7: Amicos elegit, quibus etiam post eum principes
ut et sibi et reipublicae necessariis adquieyerunt praecipueque sunt nsi
(also auch Domitian).
*) Sueton, Tiber. 55: Super veteres amicos ac familiäres viginti sibi
6 numero principum civitatis depoposcerat velut consill^rios in negotüs
publicis. Vgl. Herzog, Rom. Staatsverfassung, II 1 S. 259.
7. Domitians glückliche Anfange. 95
Auf eine Schmälerung des Ansehens der alten republi-
inischen Ämter lief auch die Hebung der Bedeutung der
tadtpräfektur hinaus, der 14 Vorsteher der Quartiere unter-
;ellt wurden^). In dieses Amt gelangten Männer von hervor-
igender persönlicher Tüchtigkeit. Wir kennen als solche
ie Konsularen T. Aurelius Fulvus, Rutilius Gallicus und den
iristen Pegasus. Die Garde stand unter zwei Befehlshabern,
ie häufiger wechselten, und bewahrte dem Kaiser die Treue
ber den Tod hinaus.
In der Finanzverwaltung wurden mit Vorliebe bewährte
reigelassene verwandt. Das Amt a rationibus bekleidete in
en ersten Jahren der reiche und hochangesehene, von
tatius*) gefeierte Claudius Etruscus. Der Ertrag iberischer
nd dalmatischer Goldbergwerke, afrikanischer und ägyp-
scher Ernten, der Perlfischereien der östlichen Meere, der
irentinischen Herden, der alexandrinischen Krystallfabriken,
er numidischen Wälder, des indischen Elfenbeins untersteht
einer alleinigen Verwaltung^). Sein und seiner Nachfolger
''erdienst dürfte die reelle Geldprägung sein, die eine der
rfreulichsten Seiten dieser Kegierung ausmacht. Das Gold-
tück, das Nero auf ^Ub Pfund herabgesetzt hatte, wird voll-
richtiger. Es steht im Durchschnitt 0,2 bis 0,3 Gramm über
/45 Pfund. Die Legierung, die unter Vitellius und wieder
eit Traians letzten Jahren nahezu Vs ausmacht, beträgt
nter Domitian nur ^/lo. Mochten aber einzelne Freigelassene,
ie persönlich tüchtig und zuverlässig waren, in hervor-
agende Stellungen eintreten, dauernden, beherrschenden Ein-
iuss wie unter Claudius und Nero haben sie unter Domitian
licht gehabt. Neben einer selbstherrlichen Natur, wie
ieser sie hatte, war für eine eigentliche Günstlingsherrschaft
:ein Raum vorhanden. Nur in der spätem Zeit, als
»ei ihm das Misstrauen überhand genommen hatte, besass
ler Kämmerer Parthenius im Palaste grosses Ansehen;
ogar das Recht, das Schwert zu tragen, war ihm als Zeichen
dner hohen Gerichtsbarkeit verliehen worden*). Zu den
lofämtern wurden auch Ritter zugelassen. So verwaltete
las Amt ab epistulis der von Plinius als einer der besten
Äänner seiner Zeit gerühmte Titinius Capito^), vermutlich der
Nachfolger des Freigelassenen Abascantus, dessen Fähigkeit
md Arbeitskraft Statins rühmt. Auch nach seiner Beförde-
rung sei er sich gleich geblieben in seiner Ruhe, Recht-
ichaffenheit und Bescheidenheit; seine massigen Mahlzeiten und
*) Laurentius Lydus, De magistr. populi Romani II 19 p. 185.
2) Silv. 3, 3, 86.
3) SUv. 3, 3, 84. Friedländer, a.a.O. I« S. 107.
*) Dio 67, 15. Gsell, a.a.O. S. 326.
^) Plinius, ep. 8, 12. CIL 6, 798.
96 Zweites Buch.
nüchternen Becher glichen denen apulischer oder sabinischer
Bauern ^).
Domitian hat den Senat um seine politische Selbständig-
keit gebracht und von der Dyarchie des Augustus nur leere
Formen übrig gelassen. Es wäre folgerichtig gewesen, den
Senat ganz zu beseitigen. Aber selbst sein gewaltthätiger
Sinn hat an dies Wagnis schwerlich im Ernste gedacht, das
als eine Versündigung an der Vergangenheit des römischen
Volkes erscheinen musste.
So vieles er im Staatswesen änderte, zu tiefgreifenden
Reformen ist es unter ihm nicht gekommen. Im ganzen be-
wegte er sich in den Bahnen seines Vaters, nur dass er
einige fruchtbare politische Gedanken, dem Regimente des
Tiberius entlehnte. Seines Vaters monarchische Regierungs-
weise hat er zum Despotismus überspannt. Die Worte, mit
denen Tacitus die Politik des Augustus und Claudius charak-
terisiert: ^munia senatus , magistratuum , legum in se trahere'
gelten in noch höherm Masse von Domitian.
Die Erinnerung an diese beiden Vorgänger erscheint in
einem bedeutsamen Akte vereinigt.
Im J. 88 wurden nach dem Vorgange des Claudius,
nach der Berechnung des Augustus, jedoch sechs Jahre za
früh, die Säkularspiele gefeiert. Cornelius Tacitus, der
Schwiegersohn des Agricola, war dabei als Quindecimvir
sacris faciundis und Praetor hervorragend beteiligt').
ACHTES KAPITEL.
Die grosse Krisis.
Wir sahen, dass es in den ersten Jahren seiner Regierung
Domitian gelang, die Grenze gegen Germanien hinauszu-
schieben und zu befestigen; gleichzeitig und später wurde
an der Donau mit wechselndem Erfolge gekämpft, aber erst
nach grossen Verlusten die Grenze von neuem gesichert.
Zum Zweck der Verstärkung des Donauheeres verwandte
man rheinische Truppenkörper. Mösien wurde geteilt und
*) Statius, Silv. V, 1 und dazu Friedländer, a.a.O. I« S. 110.
*) Tac. ann. 11, 11: Utriusque principis rationes praetermitto , satis
narratas libris, quibas res imp. Domitiani composai. Nain is quoqae edidit
ludos saeculares iisquo intentius adfiü sacerdotio qnindecimyiraU prae-
ditus ac tunc praetor.
8. Die ^0886 Krisis. 97
für den Legaten L. Funisulanus Vettonianus ein grösseres
Kommando über Dalmatien, Pannonien und Moesia superior
geschaffen. Erst diese durchgreifenden Massnahmen führten
im J. 85 eine glückliche Wendung des Krieges herbei, sodass
eine Verminderung der Heeresmacht durch Entlassung der
Veteranen unbedenklich erschien. Aber schon im folgenden
Jahre unternahm der König Decebalus, dessen Persönlichkeit
offenbar unterschätzt worden war, einen Einfall in die Provinz.
Die Legionen wurden geschlagen, der Legat C. Oppius Sabinus
Bei im Kampfe; die Daker machten eine unermessliche Beute.
Da der Besitz der Balkan-Halbinsel gefährdet war, so traf
Domitian die umfassendsten Vorbereitungen. Er zog Ver-
stärkungen herbei, übertrug den Oberbefehl dem Gardeprä-
fekten Cornelius Fuscus und begab sich selbst auf den Kriegs-
schauplatz, um von einer Stadt Mösiens aus die Organisierung
der Reserve zu leiten, während Fuscus auf einer Schiffbrücke
über die Donau ging und den König in sein eigenes Land hinein
v^erfolgte. Seine Unbesonnenheit führte eine neue Katastrophe
derbei. Er selbst kam ums Leben, sein Heer wurde fast
gänzlich aufgerieben, das Lager mit allem Proviant, mit
Kriegsgerät und Feldzeichen eine Beute der Daker.
Domitian war schon früher nach Rom zurückgekehrt, weil
er besorgte, diese Misserfolge könnten seine Stellung er-
schüttern. Wie kritisch die Lage des Reiches war, lässt
sich aus einigen Spuren erraten. Im J. 87 versammeln sich
wiederholt die Arvalen, einmal in ausserordentlicher Weise,
um ^pro salute et incolumitate Augusti^ Gelübde darzubringen.
Am 22. September wird auf dem Kapitol „ob detecta scelera
nefariorum^ geopfert, Worte, die sich nur auf eine in Rom
aufgedeckte Verschwörung beziehen können. Man kann an
Parteigänger des falschen Nero denken, der damals bei den
Parthern Aufnahme fand, oder an solche des Civica Cerialis,
der als Prokonsul von Asien hingerichtet wurde.
Die Arvalakten des J. 87 sind vollständig erhalten; bei
den ausserordentlichen Gelübden in der zweiten Hälfte des
Januar 87 war der Kaiser in Rom anwesend; in den Akten
ist von seiner Abwesenheit keine Rede. Täuscht nicht alles,
so ist Domitian in der letzten Hälfte des J. 86 zum ersten-
male an der Donau gewesen; zum zweitenmale begab er sich
nach dem Untergänge des Fuscus, Anfang 88, auf den Kriegs-
schauplatz.
Mit der Führung des Krieges betraute er nach dem neuen
Missgeschick den rechten Mann, den Konsularen Tettius
Julianus, der sich im J. 69 in Mösien ausgezeichnet hatte,
83 Konsul gewesen war und jetzt Statthalter in Obermösien
wurde. Die Zucht des Heeres, die sich unter dem Eindrucke
Asbach, Eaisertam und Verfassung. '
98 . Zweites Buch,
des gehäuften Unglücks gelockert hatte, stellte er wieder
her; er erfüllte die Truppen mit besserem Geiste. Das
ist auch der Sinn der Anekdote, dass er auf den Schild
jedes einzebien Mannes dessen eigenen und seines Centurio
Namen einschreiben liess. Sein siegreicher Feldzug nach
Siebenbürgen , die Vernichtung des feindlichen Heeres an den
Pässen von Tapae, die Bedrohung der Hauptstadt Sarmize-
gethusa sind Ereignisse, die Ende 88 geschahen. Nach Dio
soll die Hauptstadt nur durch eine List gerettet worden sein.
Thatsächlich hat eine Erhebung der Quaden, Markomannen
und Sueben, die mit Decebalus im Bunde standen, also aller
Völker an der mittleren Donau , auf die Kriegführung in Dakien
lähmend gewirkt. Zwar wurde gegen diese Völker unter
Domitians persönlicher Teilnahme von Pannonien aus ein
Vorstoss unternommen, aber neues Missgeschick bestimmte
ihn, mit dem Hauptfeinde, den Dakern, Frieden zu schliessen.
Tettius Julianus, der bis zur feindlichen Hauptstadt vor-
gedrungen war, rausste seine Operationen einstellen. Diegis,
der Bruder des Königs, der eine geringe Anzahl erbeuteter
Waffen und Gefangener überbrachte, empfing aus Domitians
Händen das Diadem, zum Zeichen, dass Decebalus des Kaisers
Vasall geworden sei. In Rom erschienen dakische Gesandte,
auch ein eigenhändiger Brief des Decebalus gelangte im Senate
zur Verlesung. Die Grenzen blieben dieselben wie vorher. Dem
König wurden Geld und Arbeiter bewilligt zur Verwendung
im Kriege und Frieden und ihm als einem Freunde des
römischen Volkes ein Jahrgehalt zugesagt. Die Nachrichten
über diesen Friedensschluss sind mit grosser Vorsicht auf-
zunehmen, da sie nicht allein höchst lückenhaft sind, sondern
auch dem gehässigen Berichte Dios und dem Panegyricus
des Plinius verdankt werden^).
Rascher und günstiger für den Kaiser verlief eine gleich-
zeitige Krisis, deren Schauplatz der Mittehrhein war. L. An-
tonius Saturninus erhob, von Domitian persönlich verletzt,
gegen Ausgang des Dezember 88 oder in den ersten Tagen
des Januar in dem Mainzer Winterlager, wo zwei Legionen
vereinigt waren, die Fahne des Aufstandes und bestimmte
ausser diesen auch die übrigen Legionen der obergerma-
nischen Provinz zum Anschlüsse. Er rückte in Eilmärschen
rheinabwärts , um sich mit den Chatten , seinen Verbündeten,
an geeigneter Stelle, wahrscheinlich in der Nähe der Lahn-
mündung, zu vereinigen. Hätten die niederrheinischen Le-
gionen sich ihm angeschlossen, so würden sich die Schrecken
des J. 69 wiederholt haben. Aber ihr Legat L. Appius Nor-
i) Dio 68, 6 und paneg^. 11 u. 12.
8. Die grosse Krisis. 99
banus Maximus blieb dem Kaiser treu, eilte den Rebellen
entgegen und schlug sie Mitte Januar in der Nähe der Grenze
der beiden Provinzen in entscheidendem Waffengange. Ein
plötzlich eingetretenes Tauwetter sprengte die Eisdecke des
Rheines und machte es dem Heerbanne der Chatten unmög-
lich, über den Strom zu gehen und dem Antonius Bundes-
hülfe zu leisten. Die Römerherrschaft am Eheine war ge-
rettet.
Domitian war Mitte des verhängnisvollen Monats mit den
Prätorianern in den Krieg gezogen. Dem Legaten der in
Spanien stehenden legio VII Gemina, M. ülpius Traianus,
wurde der Befehl gegeben, nach Oberitalien vorzurücken, wo
voraussichtlich die Entscheidung fallen musste. Als dann die
Würfel am Rheine gefallen waren, änderte Traian seine
Marschrichtung und eilte zur Lösung anderer Aufgaben an
den. Rhein. Der Kaiser, dem der abgeschnittene Kopf des
Rebellen als Zeugnis des grossen Sieges übersandt worden
war, kehrte nach Rom zurück^). Den vier niederrheinischen
Legionen , der I Minervia , VI Victrix , X Geminä , XXII Pri-
migenia, wurden nach dem Beispiele , das Claudius nach Be-
wältigung des Gamillus Scribonianus gegeben hatte , die ehren-
den Beinamen ,pia fidelis Domitiana* verliehen. Für L. Appius
wurde ein grösseres Kommando am Rheine gebildet und ihm
*) Nach Th. Bergk, Zur Geschichte und Topographie der römischen
Kheiiüande, S. 61 fgg., hahen Osell, a. a. O. S. 197, und E. Ritterling,
Westdeutsche Zeitschrift XII S. 218 fg., den Aufstand des Antonius
behandelt. Die von mir im Bonner Jahrbuch LXXXI (1886), S. 29
und Westdeutsche Zeitschrift III (1884), S. 11. u. S. 20 fg. vorgetragene
Ansicht, dass im J. 89 ein zweiter Krieg mit den Chatten geführt wurde,
ist allgemein angenommen worden. Zu den im Anhange des Aufsatzes
über die Kriege der Flavischen Kaiser an der Nordgrenze des Reichs
mitgeteilten Dichterstellen ist Martial 10, 7 hinzuzufügen: ,Rheno ...
sie semper liquidis fruaris undis nee te barbara contumeliosi calcatum
rota conterat bubulci. Ritterlings Ausführungen stimme ich namentlich
in der Bestimmung des Schauplatzes der Katastrophe des Antonius zu;
ich muss dagegen die Darstellung abweisen, die sich bei Gsell S. 147 findet:
Domitian kann im J. 89 nicht persönlich am Rhein gewesen sein, um
•den zweiten Chattenkrieg zu führen. Sueton, der in allen Dingen, die
<lie Person des Kaisers betreffen, sich gut unterrichtet zeigt,' kennt nur
Tier von Domitian in Person unternommene Feldzüge (c. 6). Der 1.
sponte suscepta in Chattos, der 2. gegen die Sarmaten (Mai 92 — ^Jan.93),
der 3. und 4. gegen die Daker in den Jahren 86 und 88. Weil der
Kaiser, als er die Nachricht von der Niederlage und dem Tode des
Antonius Saturninus erhielt, erst wenige Tagemärsche von Rom entfernt
war und alsbald umkehrte, erwähnt Sueton diesen Zug nicht. Damit
fäUt auch die von Osell aufgestellte Chronologie des zweiten Daker-
feldznges. Es ist fast sicher^ dass die Anwesenheit des Kaisers an der
Donau in die Jahre 86 und 88 fällt, eine Annahme, mit der alle be-
kannten Ereignisse und die Ziffern der Imperator-Acclamationen im besten
Einklänge stehen (vgl. darüber Ritterling, a.a.O. XII S. 228 fg.).
7*
100 Zweites Buch.
die Führung des germanischen Krieges übertragen, an dem
auch Traian als Legat teilnahm. In siegreichem Zuge ward
das Chattenland von neuem heimgesucht und eine Anzahl
kleinerer Völkerschaften von diesem abgezweigt^).
Es stellte sich die Notwendigkeit heraus , zur Erweiterung
und Verstärkung der Grenzwehr zu schreiten. Wahrschein-
lich wurde damals die Taunuslinie angelegt und bis zum
Rheine fortgesetzt. Im Zusammenhange damit steht eine
andere Massregel , die für die Kultur des römischen Germanien
epochemachend geworden ist. Ober- und Niedergermanien,
die bis dahin blosse Heeresbezirke waren und zur Gallia
Belgica gehörten, wurden in eigentliche Provinzen verwandelt^).
Im J. 90 begegnet uns der bekannte Jurist Javolenus Priscus
als legatus Augusti provinciae Germaniae superioris.
In Rom versammeln sich am 29. Jan. die Arvalen auf dem
Kapitol, um den drei kapitolinischen Gottheiten, dem Mars,
der Salus, Fortuna, Victoria redux und dem Genius des
römischen Volkes Gelübde darzubringen für das Heil und
die Rückkehr des Kaisers. Anfang des Februar war er wieder
in seiner Hauptstadt und beeilte sich, auf seinem Albanum
über die Offiziere der überwundenen Armee, die lebend in
die Hände der Sieger gefallen waren, und die in die Ver-
schwörung verwickelten Senatoren abzuurteilen »).
Die Nachricht, dass Antonius von seinen Truppen zum
Imperator ausgerufen sei und mit den Germanen im Bunde
stehe, hatte in Rom eine begreifliche Erregung hervor-
gerufen. Man begann wieder an Vorzeichen und Wunder zu
glauben. Man erzählte , der Kaiser habe durch Wunderzeichen
früher als durch Boten von der Niederlage des Antonius er-
fahren, und die Kunde vom Tode des Rebellen habe sich so
rasch verbreitet, dass sich Leute fanden, die behaupteten,
sie hätten in Rom den abgeschnittenen Kopf des Antonius
gesehen. Andere meldeten, ein prächtiger Adler habe am
Tage des Entscheidungskampfes die kaiserliche Statue unter
lautem Jubelgeschrei mit den Fängen umfasst.
Es muss als ein grosser Moment im Leben Domitians
bezeichnet werden, dass er sich inmitten dieser Gefahren
behauptet hat. Der prunkvolle Doppeltriumph „de Cattis Dacis-
^) Mommsen, Rom. Gesch. V S. 137 und A. Kiese, Das rheinische
Germanien in der antiken Litteratar S. 208.
») Darauf habe ich Westdeutsche Zeitsch. III (1884) S. 11 und Raumer-
sches Taschenbuch N. F. VI S. 77 hingewiesen. Neuerdings ist A. Kiese
im Korrespondenzblatt der Westd. Zeitschr. (1895) S. 158 fg. darauf zurück-
gekommen.
») Tb. Mommsen, Rom. Staatsrecht IP S. 961 A 2. Dio 67,11,^-
Suet. Dom. 10.
8. Die grosse Krisis. 101
que*' war nicht unberechtigt. Denn der Erfolg an der Rhein-
grenze war unzweifelhaft bedeutend, und an der Donau war
doch nach schweren Misserfolgen die Autorität des Reiches
wenigstens äusserlich aufrecht gehalten worden. Es waren
Verwicklungen, wie sie seit der Erhebung der Markomannen
unter Marbod und dem Aufstande in Pannonien und Dalmatien,
den Tiberius im J. 6 n. Chr. niederwarf, im Donaugebiete
nicht vorgekommen waren. Wie die schliesslichen Erfolge
im Dakerlande durch den Ausbruch des Sarmatenkrieges und
den Aufstand am Rhein in Frage gestellt wurden, so hatte
80 Jahre vorher die Niederlage des Varus in die Ereignisse
an der Donau eingegriffen.
Der Triumph war ein willkommener Gegenstand für Dichter
und Deklamatoren. Bei Gelegenheit des Wettstreites auf dem
albanischen Landsitze hat auch Statins die germanischen
und dakischen Siege verherrlicht und aus der Hand des Herr-
schers den goldenen Olivenkranz empfangen. Nach dem
Triumph beschloss der Senat, den September Germanicus,
den Oktober Domitianus zu nennen^). Die Numismatik
erfand immer neue Symbole, um der Eitelkeit des Kaisers zu
schmeicheln. Auf den Münzen dieser Zeit findet sich die
trauernde Germania, auf einem Schilde sitzend, daneben ein
zerbrochener Speer*), auf andern ein Löwe mit dem Schwert
im Maule, Pallas und Victoria mit grossen Flügeln, gefangene
Germanen und der Kaiser triumphierend zu Pferde.
Noch einmal musste dieser zu Felde ziehen. Seit dem
J. 90 war Pannonien der Schauplatz eines grösseren Kampfes
mit sarmatischen und germanischen Stämmen. Die Inschriften
bezeichnen ihn als bellum Suebicum et Sarmaticum. In
diesen Kämpfen hat auch L. Norbanus Appius Maximus ein
Kommando gehabt, und einige Spuren führen darauf, dass
auch Traian in diesen Verwicklungen seine Loyalität von
neuem bewiesen hat. Dank ihrer Tüchtigkeit konnte der
Krieg im J. 92/93 für beendet gelten. Im Sommer dieses
Jahres wurde dem Domitian die XXII. Acclamation als Impe-
rator zuteiP). Eine weitere war ihm nicht beschieden. Er
brachte aus dem Feldzuge dem Juppiter den Lorbeer heim.
;,Des latinischen Triumphes hielt er die Barbaren nicht für
würdig*^*). Es folgte eine Zeit ruhigen Verkehrs mit den
*) Flor US, Vergilius orator anpoeta: In omni foro clarissimus ille de
Dacia triumphus exultat geht wohl auf den Triumph des Traian. Über
die Umnennung der Monatsnamen s. Westd. Zeitschr. III S. 18 Anm. 19.
■) Cohen, Dom. n. 50.
») Westd. Zeitschr. III S. 23 A. 36. Nach Martial 9, 84, 1—6.
Ritterling, a.a.O. Chambalu, a.a.O. S. 27.
*) Statins, Silv. 3, 167: Haudmirum, ductor placidissime, quando haec
102 Zweites Buch.
Donauvölkern, und nichts verlautet, dass nach dem J. 92 die
Ruhe an den grossen Grenzströmen gestört worden sei.
Nach alle dem können wir Ranke*) nicht zustimmen, wenn
er der Meinung ist, dass Domitian nach Kriegsruhm wenig
Verlangen trug und auch das kriegerische Verdienst nicht zu
schätzen wusste. Er war gewiss kein Kriegsmann, aber er
verlangte nach kriegerischemLorbeer, und zuletzt wusste er doch
für die Ausführung seiner Absichten die richtigen Leute zu finden.
NEUNTES KAPITEL.
Feindliche Strömungen.
Antonius Saturninus hatte auch in Rom zaUreiche Mit-
schuldige. Eine noch grössere Zahl als des Hochverrates
überführt wurde, war verdächtig, und nur dem Umstände
hatten viele von ihnen ihre Rettung zu danken, dass L. Appius
nach seinem Siege die Schriftstücke, die sich im Nachlasse
der Rebellen vorfanden, den Flammen übergab 2), um ihre
Verfasser nicht blosszustellen. Zum Jahre 88/89 bemerkt
Eusebius-Hieronymus, dass Domitian viele verbannte und
tötete, zum folgenden Jahre, dass Mathematiker und Philo-
sophen aus Rom verwiesen wurden. Domitian hatte , um sich
der Unzufriedenen zu entledigen, zu gewaltsamen Massregeln
gegriffen. Vergegenwärtigen wir uns an dieser Stelle, wo
wir im Begriffe sind, den erbitterten Kampf zwischen der
kaiserlichen Autorität und der Opposition der Aristokraten
imd Philosophen darzustellen, in der Kürze, in welcher Rich-
tung die dem Prinzipat feindliche Strömung seit seiner Grün-
dung verlaufen ist.
Es war von vornherein ein Unglück für die römische Welt
gewesen, dass die Herrschergewalt einer festen Umgrenzung
entbehrte und die Stellung, die Augustus dem Senate zuge*
dacht hatte, von dem guten Willen und der Persönlichkeit
der Regenten abhing. Augustus selber hatte es mit staats-
männischem Takte verstanden, die Reste der grossen Fa-
efit, quae victis parcentia foedera Cattis, quaeque snom Dacis donat
dementia montem: quae modo Marcomanos post horrida beUa, vagosqne
Sauromatas Latio non est dignata triumpho. Silv. 4, 1, 11: Ipse etiam
immensi reparator maximus aevi attolit vultns et utroque a limine gr&tes
lanus agit, quem tu vicina pace ligatum omnia iussisti componere bella
novique in leges iurare fori. (Vgl. 40 nondum omnis honorem annos habet»
cupiuntque decem tua nomina menses.) Silius Italiens, Punica 14, 886:
Vir! qui nunc dedit otia mundo.
^) Weltgeschichte III S. 257.
*) Dio 67, 11; vgl. Gsell, a.a.O. 8.260.
9. Feindliche Strömungen. 103
milien zu versöhnen, sie in sein Interesse zu ziehen oder
durch die Bande der Verwandtschaft an sein Haus zu fessehi.
Und trotzdem gab sich, als der alternde und durch die
Schläge, die seine Familie heimgesucht hatten, verbitterte
Kaiser die Zügel der Regierung straffer anzog und Befugnisse,
die bis dahin Senat und Beamten ausgeübt hatten, in seiner
Hand vereinigte, das Verlangen nach Veränderung des be-
stehenden Zustandes in wiederholten Verschwörungen kund.
Augustus sah sich genötigt, zum Schutze seiner Person die
alten Majestätsgesetze hervorzusuchen und auf die neuen
Verhältnisse anzuwenden. Ungleich erbitterter und durch die
Zerwürfnisse in der Familie verschärft, trat der Geist der
Unzufriedenheit unter seinem Nachfolger zu Tage. Tiberius
äusserte einmal, dass die harten und unverdienten Anfeindungen,
deren Zielscheibe er um des Staates willen sei, bei Gastmählern
und in Klubs geplant würden. Die Kühnern schleuderten auch
wohl Epigramme gegen den rauhen, verschlossenen Mann,
den die eigene Mutter nicht lieben könne, der den ehemals
verehrten Wein verschmähe, weil er nach Blut dürste, der
an Stelle des goldenen das eiserne Zeitalter eingeführt habe^).
Zunächst ertrug Tiberius dergleichen Ausfälle mit Ge-
lassenheit, und noch im J. 24 gewährte er dem Ritter C. Co-
minius, der ein Spottgedicht auf ihn gemacht hatte, Ver-
zeihung. Aber mit den Jahren verdüsterte sich sein Gemüt,
und er kehrte mehr und mehr den rauhen Zuchtmeister
heraus, jj,der den verdorbenen und verderbenden, kranken und
entzündeten Geist durch nicht leichtere Mittel zu bezähmen
sucht, als die Begierden sind, von denen er lodert^' 2). Die
Majestätsprozesse wurden wieder mit grausamer Strenge
gehandhabt und auch auf versteckte Angriffe ausgedehnt.
Einer der Führer der Unzufriedenen war Cremutius Cordus,
der noch bei Augustus' Lebzeiten eine Geschichte der Bürger-
kriege und des Prinzipates geschrieben und später vorgelesen
hatte. Unter Tiberius wurde ihm ein Verbrechen daraus
gemacht, dass er in seinem Geschichtswerk den M. Brutus
gelobt und C. Cassius den letzten Römer genannt, dass er
Volk und Senat in den Vordergrund gestellt und Caesar nicht
verherrlicht habe^). Der Senat verfügte auf des Kaisers An-
trag die Vernichtung der Jahrbücher. Des Tiberius Nach-
folger waren in dieser Beziehung weniger empfindlich und
gaben sogar die Lektüre der Schriften des Cordus wieder
frei. Unter Gaius und Claudius hat sich auch die stoische
Schule, an der die Opposition den feststen Rückhalt hatte,
') Aus den fiinf Epigrammen, die Sueton, Tib. c. 59, mitteilt.
«) Ann. 3, 54.
») Ann. 4, 34. Dio 57, 24.
104 Zweites Buch.
ejiger zusammengeschlossen. Gaius liess den von Seneca
bewunderten Canus Julius hinrichten, unter Claudius wurde
der Konsular Paetus zu sterben gezwungen. Gegen die
Tyrannis des Nero führten die Anhänger dieser Richtung
einen offenen, unversöhnUchen Kampf. Der Name der Stoiker
wurde zu einer Art Losung für politisch Gleichgesinnte, zu
einer Verbrüderung der Anhänger der Freiheit und Tugend
gegen den Tyrannen und seine Werkzeuge. In diesem Sinne
rühmt Tacitus von Helvidius Priscus, dass er zu Lehrern in
der Weisheit Männer gewählt habe, die für das einzige Gut
die Tugend, für Übel nur, was schimpflich, Macht dagegen, Adel
und was sonst ausserhalb des Geistes liegt, weder für ein
Gut noch für ein Übel halten i). Der Hinrichtung des Paetus
Thrasea und Barea Soranus war die Ausweisung der Philo-
sophen aus Rom gefolgt. Galba rief die Vertriebenen zurück,
Vespasian wies sie von neuem aus. j^Sie sind^, so charak-
terisierte sie damals Mucianus, ;,voll eitler Prahlerei; wenn
sich einer den Bart wachsen lässt, die Augenbrauen hinauf-
zieht, den Lumpenmantel umwirft und barfuss geht, so will
er gleich ein Philosoph, ein Held, ein Tugendspiegel sein und
trägt die Nase hoch, wenn er sich auch, wie das Sprichwort
sagt, weder auf die Feder noch auf die Kunkel versteht; sie
sehen jedermann über die Achsel an ; der Vornehme ist ihnen
ein Einfaltspinsel, der Niedere ein feiger Wicht, der Schöne
ein Wüstung, der HässUche ein Ideal von Schönheit, der
Reiche ein Egoist, der Arme eine niedere Seele ^'2). Dem
Sinne nach ist es dasselbe, wenn Philostratos den Prä-
fekten Casperius Aelianus vor Domitian sagen lässt: ;,Diese
Sophisten, Kaiser, sind ein unbedachtsames Gezücht, ihre
Kunst ist voll eitler Prahlerei, und da sie nichts Gutes von
ihrem Dasein haben, so verlangen sie nach dem Tode und
fordern diejenigen, die das Schwert führen, heraus".
In den ersten Jahren Domitians haben sich die Philosophen,
durch die Erfahrung, die sie unter Vespasian gemacht hatten,
gewitzigt, vorsichtig zurückgehalten. Zum Jahre 84 ist bei
Hieronymus nur von Senatoren, die verbannt wurden, nicht
von Philosophen die Rede; erst im J. 89 waren sie so un-
bequem geworden, dass sie von neuem aus Rom verwiesen
wurden.
Aber trotz der Strenge, mit der Domitian gegen seine
Gegner einschritt, war seine Herrschaft damals noch erträg-
lich und hatte sich nach dem Siege an der Nordgrenze mehr
») Eist. 4, 5.
') Dio, fragm. ed. Dindorf V S. 202. Tacitus, ann. 14,57: Assumpta
etiam Stoicorum arrogantia sectaque, quae torbidos et negotiorum appe-
tentes faciat.
9. Feindiiclie Strömungeu. 105
md mehr befestigt. Noch gelangten tüchtige Männer in die
löchsten Rangstufen. M. Gocceius Nerva und L. Appius Nor-
)anus bekleideten im J. 90 ein zweites Konsulat. Die Ordinarien
les J.91 waren M.ülpius Traianus und M'. Acilius Glabrio. Wie
ier letztere stammten aus uraltem Adel Q. Volusius Satuminus
cos 92), M.Lollius Paullinus (93), L. Nonius Torquatus Asprenas
ind T.Sextius Lateranus (94). Tacitus, der 88 Praetor gewesen,
irerwaltete später eine Statthalterschaft, die ihn für mehrere
lahre von Rom fern hielt. Sein Schwiegervater Agricola, der für
seine Verdienste in Britannien die Triuraphalinsignien erhalten
aatte, lebte in der tiefsten Müsse, ohne Aufwand zu machen;
häufig wurde er in jenen Tagen bei Domitian abwesend ange-
klagt, abwesend freigesprochen. Domitians Natur, rasch zum
Zorne geneigt und desto unversöhnlicher, je hinterlistiger sie
war, wurde durch die Mässigung und Klugheit Agricolas gemil-
dert. Und ebenso konnten auch die andern Männer, die nicht
(Jurch Starrsinn ihr Schicksal herausforderten, ohne Schaden
zu leiden, durchkommen. Der jüngere Plinius, der 93 Praetor
war, gesteht ein, dass er von Domitian befördert wurde, ehe
dieser sich mit Hass gegen die Gutgesinnten erfüllte , dass er
stehen blieb, als man nur auf Umwegen in die höchsten
Rangstufen eintreten konnte^). Auch Tacitus lässt die
Wendung zum Schlimmen erst mit Agricolas Tode (23. Aug.
93) eintreten. Er preist ihn glückUch, dass er den letzten
Zeiten entgangen war, in denen Domitian nicht mehr in
Zwischenräumen, in einzelnen Anwandlungen, sondern un-
unterbrochen und gleichsam mit einem Streiche das Gemein-
wesen zu Grunde richtete^). Endlich ist Sueton mit beiden
in Übereinstimmung, wenn er berichtet, dass seit seinem
Siege im Bürgerkriege noch geraume Zeit verstrich, bis sich
seine Grausamkeit aufs höchste steigerte^).
Gegen Ende des J. 93 kam man hinter eine neue Ver-
schwörung, bei der ausser dem Konsularen Juventius Celsus
die Philosophen eine hervorragende Rolle spielten. Vielleicht
stammt das Wort des Kaisers, der Fürsten Lage sei be-
klagenswert, weil man ihnen die Entdeckung einer Verschwö-
rung nicht eher glaube, bis sie deren Opfer geworden seien,
aus dieser Zeit. Ein andermal meinte er mit einer Anspielung
auf Titus, nicht gut seien die Fürsten, die wenig straften,
*) Paneg. 95: Provectus ab ülo insidiosissimo principe antequam
profiteretur odium bonorum, postquam professus est, substiti, et cum yiderem
quae ad honores compendia paterent, longius iter malui.
•) Agricola c. 44.
') Aliquanto post civiUs belU victoriam saevior. Auf die Ausbrüche
seiner Grausamkeit in den letzten Jahren beziehen sich die Worte c. 11
£rat non solum magnae, sed etiam callidae inopinataeque saevitiae. Vgl.
Gsell, a.a.O. S. 261.
106 Zweites Buch.
sondern glücklich. Das Gebiet, auf dem sich diese Oppo-
sition kundgab, war vor allem die Litteratur, auch an ge-
legentlichen Meinungsäusserungen im Senate wird es nicht
gefehlt haben. Die Schuldigen und Verdächtigen hervorzu-
ziehen waren die Delatoren geschäftig, die wieder eine un-
heilvolle Thätigkeit wie je unter Tiberius und Nero entfalteten.
Der Zorn des Kaisers traf zunächst die Häupter der Sekte.
Herennius Senecio wurde von dem berüchtigten Mettius Cams
auf Grund der Majestätsgesetze angeklagt, weil er einen
Lebensabriss des altem Helvidius abgefasst und sich nach
Bekleidung der Quästur während eines langen Lebens um
kein weiteres Amt beworben habe^. Nach seiner Hinrich-
tung wurde seine Schrift über Helvidius auf dem Richtplatze
durch die triumviri capitales einem Senatsbeschlusse zufolge
verbrannt. Seine Gattin Fannia, des Thrasea Tochter, die
ihm zu seinem Buche Stoff geliefert hatte, musste ins Elend
wandern.
In den Sturz des Senecio wurde ein anderer Stoiker,
L. Junius Arulenus Rusticus, verwickelt. Ihm ward Schuld
gegeben, dass er eine Lobschrift auf Thrasea verfasst und
ihn als ehrwürdigen Mann bezeichnet hatte. Seine Gattin
Gratilla teilte das Schicksal der Fannia 2).
Wie hätte , nachdem die Wut der Verfolgung einmal ent-
fesselt war, der jüngere Helvidius auf Schonung rechnen
können? Seinen berühmten Namen und seine glänzenden
Tugenden hatte er vor Domitians Eifersucht in kluger Zurück-
gezogenheit verborgen gehalten; er war sogar zum Konsu-
late gelangt. Jetzt machte man ihm den verderbenbringenden
Vorwurf, dass er in einem mimischen Schauspiel in der Rolle
des Paris und der Oinone auf die Scheidung des Kaisers von
der Domitia angespielt habe 3).
Tacitus preist den Agricola auch deswegen glücklich,
weil ihm erspart blieb, die Kurie von Bewaffneten besetzt zu
sehen, in der Domitians Kreaturen mit unerhörter Frechheit
wüteten. „Bald führten unsere Hände den Helvidius ins Ge-
fängnis; uns erschütterte der Anblick des Mauricus und
Rusticus; uns bespritzte Senecio mit unschuldigem Blute*.
j,Keiner der Senatoren*^, führt Plinius aus*), ;,wagte den
Mund zu öffnen ausser jenem Beklagenswerten, der zuerst
seine Stimme abzugeben hatte. Die andern, leblos und starr,
erteilten schweigend, mit zerrissenem Herzen, unter Zittern
^) Plinius, ep. 1, 5, 3. 1, 19, 5. Dio 67, 13. Darauf spielt auch
Tacitus an, bist. 1, 2: omissi gestique honores pro erimine.
») Plinius, ep. 1, 14. Sueton, Dom. 10. Dio 67, 13.
5) Sueton, Dom. 10. Plinius, ep. 9, 13.
*) Paneg. 76. Gsell, a.a.O. S. 262, 272.
9. Feindliche Strömungen. 107
?e Zustimmung. Ein einzelner gab sein Gutachten ab und
e nahmen es an, obschon sie es missbilligten.* Ihrer rheto-
ichen Form entkleidet, sagen diese Worte deutlich, dass
r Kaiser bei diesen blutigen Prozessen am Senate ein ge-
;iges Werkzeug fand, dass er die Senatoren zu seinen
tschuldigen machte. Nachdem die Wortführer der Stoa
seitigt waren, wurden durch Senatsbeschluss alle Philo-
phen aus Rom und Italien verbannt i). Sie zerstreuten sich
3 an die äussersten Grenzen der bekannten Erde , sie suchten
den Wüsten Afrikas und in den Steppen Scythiens Schutz.
lan vertrieb die Lehrer der Weisheit, man verbannte alle
rvorragenden Talente, auf dass nirgend etwas Gutes ent-
gentrete" ^),
Um dieselbe Zeit wurden die Astrologen aus Rom aus-
wiesen, ^eine Sorte von Menschen, den Machthabern unzuver-
ssig, die jeden, der auf sie hoffte, betrogen*. Sie hatten
e Verschwörer ermutigt und dem Kaiser ein Ende mit
ihr ecken ge weissagt. Mit ihnen mag der Konsular Mettius
)mpusianus in Verbindung gestanden haben, der hingerichtet
[irde, weil er ein Herrschaft verheissendes Horoskop habe,
rie Erdkarte aus Pergament besitze, die Reden der Könige
id Heerführer aus Livius ausgezogen und seine Sklaven
ago und Hannibal genannt habe.
Salvidienus Orfitus und Acilius Glabrio fielen wegen revo-
tionärer Umtriebe, Salvius Cocceianus wegen seiner Ver-
andtschaft mit Otho, Aelius Lamia wegen alter, auf die
atführung der Domitia gemünzten Anspielungen, Sallustius
flcullus, weil von ihm eine neuerfundene Art Lanzen als
tcullische bezeichnet worden sei^).
Die Zahl der hingerichteten Senatoren war lange nicht
) gross , wie man nach den Äusserungen über Domitians blutige
yrannis erwarten sollte. Aber bei dem persönlichen Regi-
ente, das er führte, konnte es nicht ausbleiben, dass er
ir alle Härten und Gewaltsamkeiten selbst verantwortlich
^) Sueton, Dom. 10: Cuius crimims (Jnnius Busticus) occasione
lilosophos onmis nrbe ItaUaque summovit. Die Nachweise bei Gsell,
a. O. S. 284. Philo Stratos, ApoUonios 7, 4, 10. 8, 12. Imhof,
a. O. S. 112.
*) Agricola 2.
^) Sueton, Dom. 20: Complures senatores, in iis aliquot consalares,
.teremit; ex quibus Civicam Cerialem in ipso Asiae proconsulatu, Salvi-
ieniim Orfitum, Acilium Glabrionem in exilio quasi molitores rernm nova-
im: ceteroB levissima quemque de causa. Die Zahl der hingerich-
)ten Senatoren war nach Suetons Angaben etwa elf. Es fehlt unter
en genannten Senecio.
108 Zweites Buch.
gemacht wurde, während Claudius, dessen Regierung in
den letzten Zeiten nicht minder blutig war, durch die Ein-
wirkung seiner Weiber und Freigelassenen einigermassen
entlastet , ein reineres Andenken hinterlassen hat.
Domitians Jugend hatte unter Einflüssen gestanden, die
einer harmonischen Entwicklang seiner Fähigkeiten nicht
günstig waren. Die Zurücksetzung, die er unter seinem
Vater erfuhr, das gespannte, ja feindselige Verhältnis, indem
er zu seinem Bruder stand, hatten die schlimmen Neigungen
seiner Natur befördert; die Enttäuschungen, die er als Regent
erlebte, die beständige Furcht, die er für die Sicherheit
seiner Person hegte, hatten sie zur Reife gebracht. Aber
die Züge, die uns so anschaulich geschildert werden, der
Hang zur Einsamkeit, die Heimtücke und die Freude an den
Schmerzen seiner Opfer treten erst in den letzten Zeiten
hervor. Wir erfahren aus Sueton, dass er den Konsularen
Arrecinus Clemens in dem Augenblick, wo er ihn zum Tode
verurteilen wollte, mit gewohnter, ja mit noch grösserer
Freundlichkeit behandelte. Während einer gemeinsamen Aus-
fahrt richtete er beim Anblick seines Anklägers die Frage
an ihn: „Willst du, dass wir diesen nichtswürdigen Sklaven
morgen vernehmen?"
Um die Geduld der Menschen mit noch grösserm Hohne
zu missbrauchen, fällte er nie ein härteres Urteil, ohne in
der Einleitung von seiner Gnade zu sprechen, so dass es
kein zuverlässigeres Zeichen eines blutigen Ausgangs gab, als
die Milde des Einganges. Einst hatte er einige Leute wegen
Majestätsbeleidigung vor dem Senate verklagt und durch die
voraufgeschickte Bemerkung, er werde heute erfahren, wie
teuer er dem Senate sei, leicht durchgesetzt, dass sie zum
Tode mit dem Beile verurteilt wurden. Durch die Härte der
Strafe erschreckt und um die Gehässigkeit zu mildem, legte
er mit folgenden Worten Fürsprache ein: „Lasset mich, Väter,
von eurer Liebe erlangen, was ich freilich, ich weiss es
wohl, nur schwer erlangen werde, und gestattet den Ver-
urteilten die freie Todeswahl; denn so werdet ihr euch ein
grässliches Schauspiel ersparen, und alle werden daraus er-
sehen, dass ich im Senate anwesend war*^).
Ähnlich pflegte Tiberius zu sprechen, als er seit dem
Sturze Seians und der Verödung seines Hauses sein Herz mit
Hass und Argwohn erfüllt hatte. Domitian hatte aus des Tiberius
Commentarien und Akten, die seine einzige Lektüre waren,
auch die Sprache seines Vorbildes gelernt.
^) Saeton, Dom. 11.
10. Finanznot und Christenverfolgnng. 109
Mit einem vielleicht aus den Historien des Tacitus her-
irenden Worte hat Sueton die Änderung treffend gewür-
zt, die mit Domitian vor sich ging: Er war über seine
ituranlage hinaus aus Not raubgierig, aus Furcht grausam i).
ZEHNTES KAPITEL.
Finanznot und Christenverfolgung.
Die Nachrichten über Domitians letzte Lebensjahre sind
mlich ausgiebig für die Beurteilung seiner Persönlichkeit
d die Kenntnis des Ganges einiger Prozesse. Nur Vereinzel-
; erfährt man über wichtigere Regierungsakte. Bedeutungsvoll
, was sich aus den Fasten ergiebt, dass er seit dem J. 89, seit-
tn er das 14. Konsulat bekleidet und damit den Augustus über-
It hatte, darauf verzichtete, dauernd die Jahresbenennung
• sich in Anspruch zu nehmen. Wie in dem J. 89, so
eriiess er 91, 93, 94, 96 Privaten die Eröffnung des
dres.
Als der Senat ihm eine nie dagewesene Auszeichnung
schloss: es sollten, so oft er das Konsulat bekleide, durch
s gewählte Ritter in der Trabea und mit Kriegslanzen
dschen den Liktoren und Dienern vor ihm herschreiten,
rzichtete er darauf 2).
Er fuhr unzweifelhaft fort, eine heilsame Kontrole der
samten auszuüben und an der Rechtspflege persönlich Anteil
nehmen. Er baute die via Domitiana von Sinuessa nach
iteoli, unter Überwindung aller Schwierigkeiten, die das
mpfige Gelände bereitete, und kürzte dadurch die Entfer-
ng zwischen der Hauptstadt und Neapel sowie den übrigen
ten am Cumanischen Meerbusen bedeutend ab 3). Auch
T via Latina und dem Strassenbau in entfernten Gegenden
)s Reiches war seine Aufmerksamkeit zugewandt.
Von einer Einrichtung, die sich in der Folge als segens-
ich erwies, schweigt die Überlieferung nicht allein, sondern sie
mmt den Ruhm, sie begründet zu haben, sogar für seinen
ichfolger in Anspruch. Domitian ist der Schöpfer der Ali-
entationen verwaister Kinder, die Nerva auf das übrige
ilien ausgedehnt hat*).
*) Sueton, Dom. 3: Quantum coniectare licet, super ingenii naturam
jpia rapax, metu saevus — c. 20: Praeter commentarios et acta Tiberii
lesaris nihil lectitabat.
•) Sueton, Dom. 14.
3) Statins, silv. 4, 3. Dio 67, 14.
*) Vgl. die Beilage.
110 Zweites Bach.
Die innere Politik gegen den Ausgang seiner Regierung
wird, nachdem die Opposition der Stoiker gebrochen war,
von zwei Gesichtspunkten beherrscht, einmal von verzweifelten
Versuchen, der Finanznot abzuhelfen , sodann, der Ausbreitung
der christlichen Lehre ein Ziel zu setzen.
Suetoni) spricht sich mit erfreulicher Bestimmtheit über
den erstem Punkt also aus:
,,Bei der Erschöpfung der Finanzen durch die Bauwerke,
Festspiele und die den Soldaten gewährte Zulage (drei Gold-
denare jährlich) versuchte er anfänglich, die Zahl der Sol-
daten zu vermindern, um die Ausgaben für die stehenden
Heere herabzusetzen. Da er indessen sah, er setze sich
dadurch den Angriffen der Barbaren aus, und er trotz jener
Massregel immer in Geldverlegenheiten war, so begann er
ohne Scheu und ohne Rücksicht alles zu plündern. Das
Vermögen der Lebenden und der Verstorbenen wurde fort
und fort auf jede Anklage und Anschuldigung hin eingezogen.
Es genügte, wenn die geringste Handlung oder Äusserung
gegen des Kaisers Majestät vorgebracht wurde. Man kon-
fiszierte fremde Erbschaften, sobald sich ein Mensch fand,
der aus dem Munde eines Verstorbenen gehört zu haben
behauptete, der Kaiser werde sein Erbe sein*^.
Durch Bauten, Festspiele und Solderhöhung waren
demnach die Finanzen erschöpft. Suetoti hätte hinzufügen
können, dass schon unter Titus der Grund zu ihrer Zer-
rüttung gelegt ward", und wenn ein wirklicher Notstand erst
in Domitians letzten Jahren sich fühlbar machte, darin ein
Beweis für die Musterhaftigkeit seiner Verwaltung zu sehen ist.
Nächst den kostspieligen Kriegen hat einen grossen Teil
der Einnahmen die Befriedigung der Massen verschlungen.
Seine Geldspenden überboten alle frühern Aufwendungen
dieser Art, da die Bürger Roms, an 200000, dreimal ein
Geldgeschenk von 75 Denaren empfingen und wiederholt
reichlich bewirtet wurden. Die von ihm veranstalteten Schau-
spiele sollten hinter dem, was Titus geboten hatte, nicht
zurückstehen. Er war geradezu erfinderisch in dem Dar-
bieten von Ergötzungen, um die Leidenschaften der Menge
in eine Richtung zu lenken, in der sie seiner Herrschaft nicht
gefährlich werden konnten*).
Unerhörte Mittel wurden angewandt, den Schatz zu füllen.
Sueton betont, dass ansehnliche Summen aus Hinterlassen-
schaften gezogen wurden. Die Sitte, den Kaiser allein oder
mit andern als Erben einzusetzen, war nicht neu; auch Cali-
^) Sueton, Dom. 12.
•) Sueton, Dom. 4.
10. Finiinznot und Christenverfolgong. 111
la und Nero hatten sie zu einer Einnahmequelle gemacht,
er konsequent wurde sie erst von Domitian zu gunsten des
skus ausgebeutet. Auch Agricola vermachte ihm einen
sü seines Vermögens, was Tacitus mit der Bemerkung
rzeichnet, der Kaiser sei darüber als ein ihn ehrendes
teil erfreut gewesen. ^Denn so verderbt und verblendet
ir sein Sinn von der beständigen Schmeichelei, dass er
3ht wusste, von einem guten Vater werde nur ein schlechter
irst zum Erben eingesetzt*^).
Ungeheure Domänen wurden Eigentum des Fiskus. ^Nicht
ihr wie früher", ruft Plinius aus*), ^werden Besitzer ver-
eben und jeder Sumpf, jeder See, jedes Waidgebirge in
isitz genommen. Die Flüsse, die Quellen, die Meere
auchen sich nicht mehr nach den Blicken eines einzigen
richten. Jetzt giebt es Dinge , die der Caesar nicht als
in Eigentum ansieht, und endlich ist das Imperium des
inzeps grösser als sein Patrimonium*.
Palfurius Sura, ehemals Anhänger der Stoa, dann Ver-
>ter des kaiserlichen Hofes, hatte sogar den Grundsatz auf-
stellt, dass alles, was das Meer Ausgezeichnetes berge,
erall, wo es angetroffen werde, Eigentum des Fiskus sei.
Selbstverständlich nahm der Kaiser das Verfügungsrecht
er alle vorhandenen Staatsmittel in Anspruch. So zog er
5 Fundation der Wasserleitungen, die 250000 HS Ertrag
ichte, für sich ein.
Alle Steuern wurden mit der grössten Strenge beigetrieben,
sonders der Judenzins , den Vespasian nach der Zerstörung
rusalems in der Höhe eines jährlichen Betrages von zwei
achmen für den Kopf ausgeschrieben hatte.
Jetzt zeigte man sowohl Leute an, die nach jüdi-
bier Weise lebten, ohne sich dazu eigens zu bekennen, als
eh solche, die ihre Abkunft verheimlichten, um sich jener
euer zu entziehen. Sueton entsann sich, selbst als ganz
iger Mensch mit angesehen zu haben, wie vor dem Finanz-
3kurator und einer zahlreichen Corona ein neunzigjähriger
eis sich besichtigen lassen musste, um zu zeigen, ob er
schnitten sei^).
Domitian glaubte sich vom Anfang seiner Regierung an
rufen, für den alten Götterglauben einzutreten und den
tionalen Kultus unter seinen Schutz zu nehmen. Er wal-
e seines Amtes als Pontifex maximus, wenn er Fehltritte
^) Agricola 43.
«) Paneg. 66. Vgl. Gsell, a.a.O. 271.
8) Dom. 12. Josephus, bell. iud. 7, 6. Gsell, a. a. O. S. 287, 293.
ch Sneton hatten auch die sog. oeßö^svoi unter den Quälereien zu
!en.
!
I
112 Zweites Buch.
der Vestalischen Jungfrauen aufs strengste bestrafte. Dabei
verfuhr er nach seinem Biographen auf verschiedene Weise:
die frühern wurden einfach zum Tode verurteilt, später griff
er zu den althergebrachten Strafen. Demnach liess er den
beiden Schwestern Oculata, sowie der Varronilla freie Wahl
ihrer Todesart und verbannte ihre Verführer, während die
Virgo maxima Cornelia, die vormals freigesprochen, dann
nach langer Zwischenzeit neu angeklagt und überführt worden
war, lebendig begraben und ihre Liebhaber auf dem Co-
raitium zu Tode gepeitscht wurden.
Selbst geringfügige Verletzungen der den Göttern gebüh-
renden Ehrftircht wurden geahndet. So befahl er, ein Grab-
mal, das einer seiner Freigelassenen aus den zum Tempel
des Juppiter Capitolinus bestimmten Steinen erbaut hatte, zu
zerstören und die darin befindlichen Gebeine und Überreste
ins Meer zu werfen ^).
In den letzten Jahren seiner Regierung hatte auch das
Christentum unter dem Eifer, mit dem er für die Staatsgötter
eintrat, schwer zu leiden. Nachdem einmal der stoischen
Lehre der Krieg erklärt war, konnte eine Religion, die mit
jener auffallende Berührungspunkte hatte, um so weniger
Schonung erwarten, als sie in den höhern Schichten und
sogar in der kaiserlichen Familie Anhänger und Beschützer
gewann.
Unter diesen finden wir den Konsularen M\ Acilius
Glabrio. Wenn Dio Cassius*) berichtet, er sei wegen Gott-
losigkeit und Hinneigung zum Judentum verurteilt worden, so
ist unter letzterer das Christentum zu verstehen, zumal da
auch inschriftliche Zeugnisse dafür sprechen. In einem vor-
nehm ausgestatteten Hypogäum der Katakomben der Priscilla
fand J. B. de Rossi 1888 mehrere Fragmente eines Sargdeckels
aus Marmor, dessen Aufschriften sich zweifellos auf die kon-
sularische FamiUe der Acilier beziehen. Sogar der Name
Acilius Glabrio ist darunter vertreten 3).
Wie mag Domitian getobt haben, als er erfuhr, dass das
verhasste Bekenntnis in seine eigene FamiUe eingedrungen
^) Sueton, Dom. 8. Gsell, a.a.O. S. 80 fg. hat, wenn auch nicht
ohne Bedenken, den gehässigen Bericht des Plinius über den Prozess der
Cornelia (ep. 4, 11) in seine Darstellung aufgenommen.
•) Dio 67, 14: 'Etiyjv^x^^ d|i(^orv lyxXYjiia dö-eöxiQxoc ö(p''Jj€ xal ÄXXot
ig zä TÖv 'Ioüöa£(ov l^y] igoxIXXovxsg noXXol xaTsSixotoS^oav xal ol jiiv
ÄTied-avov, ol 8ä xöv youv oOotcSv ioxspT^ö-ifjoav, ii bk Ao{i(,xCXXa ÖTcepooptodn]
IJiövov i^ nav8axep{av, xöv 8i?) FXaßpCcova, xov |i6x& xoö TpaVavoO £p£avxa
xaxaYOpr^ö-^vxa zd xe fiXXa xal ola ol «oXXol xal 6xt xal ^iQploig itiax^-
oaxo, &nixxe(,vev.
') Ich folge hier den sachkundigen und zuverlässigen Ausfühmogen
von Gsell, a.a.O. S. 294 fg.
10. FinanzDOt und Chris tenverfolgong. 113
ei^). Dieselbe Anklage wie gegen Acilius Glabrio wurde
egen Flavius Clemens , des Stadtpräfekten Sabinus Sohn, er-
oben*). Eben hatte er dessen Söhne zu seinen Nachfolgern
estimmt und ihnen die Namen Vespasianus und Domitianus
egeben. Jetzt wurde der Vater fast noch während seines
bnsulates unvermutet auf den leisesten Verdacht hin umge-
rächte Sueton bemerkt noch, Clemens sei ein Mann von ver-
chtlichster Trägheit gewesen, und deutete damit einen der
orwürfe an, die gegen die Bekenner des Christentums er-
oben wurden. Seine Gattin Flavia Domitilla wurde auf die
isel Pandataria verwiesen. Das Zeugnis des Dio wird durch
ie Entdeckungen de Rossis bestätigt, der es für ausgemacht
alt, dass sich im Anfange des zweiten Jahrhunderts vor-
ehme Flavier zum Christentum bekannten; in dem Cime-
jrium der h. Domitilla ist eine dieser Zeit angehörende In-
3hrift mit den Namen des Flavius Sabinus und seiner Schwester
itiana zum Vorscheine gekommen*).
Die Zahl der Opfer war gross. Leute jedes Standes
urden von Tod und Verbannung getroffen, nicht allein in
om, auch Asien und Bithynien wurden heimgesucht*). Aber
ie Verfolgung dauerte nur kurze Zeit. Domitian selbst gab
Bn Befehl, sie einzustellen , nachdem er von dem eingedrun-
3nen Gifte seine Familie gereinigt und den Fortschritten der
3m nationalen Kultus, vor allem der Verehrung des kaiser-
3hen Genius, feindlich gegenüberstehenden Religionen ein
iel gesetzt hatte.
Den Christen galt fortan der Tyrann, der als der erste
ich CaUgula göttliche Ehren in Anspruch genommen hatte,
3r sich selbst in seinen Edikten ,Herr und Gott* nannte, als
sr wiedergekommene Nero und Antichrist.
^j Dio 67, 14: Kai xcji aöxtp ixet fiXXoug xs «oXXoög xal xöv ^Xa-
kov KXiQ^evxa önaxsöovxa xainsp avec^töv 5vxa xal Yuvatxa xal aüx-^v
>YY8v^ lauxoS <l>XaouCav AofiixCXXav Ixovxa xaxSaqpagev 6 Ao^iexiaväg*
*) Dom. 15: Denique Flavium dementem patruelem suum, contemp-
töimae inertiae . • . repente ex tenaissima suspicione tantam non in ipso
ns consalata interemit. Quo maxime facto matnraTit sibi exititun.
^) Die Zeugnisse bei Qsell, a.a.O. S. 299.
*) Ensebius nennt als Quelle für die grosse Zahl der damals ge-
:htetenund getöteten Christen einen heidnischen Chronographen Brettius.
ach einer 3, 19, 20 mitgeteilten Legende Hess Domitian zwei Anver-
andte Christi aus dem Qeschlechte Davids, Enkel des Apostels Judas,
ich Rom entbieten, aber bald, von ihrer Ungefährlichkeit überzeugt,
itliess er sie wieder in ilure Heimat. Den legendenhaften Charakter dieser
otiz hat Gsell von neuem a. a. O. S. 313 dargethan. Bei Suidas findet
ch die Notiz: Aonsxtavög xal xoög dud xoö Y^voug Aaßlö dvatpsfo^at itpog-
:ag8V. Es ist möglich, dass diese Massregel mit einer kriegerischen Be-
Asbftch, Kaisertum und Verfaisiing. "
114: Zweites Buch.
ELFTES KAPITEL.
Domitians Ende und das Ergebnis seiner
Regierung.
Um Domitians Wüten begreiflich zu machen und für die
grellen Widersprüche, die in seinem Gemlite und seinen
Handlungen zu Tage treten, eine Erklärung zu finden, haben
sich einige Forscher zu der Annahme verstiegen, dass ^man-
nigfache unangenehme und widrige Gemütszustände und fort-
gesetzte sexuelle Ausschweifungen schliesslich eine Geistes-
störung bei ihm herbeiführten und dass in seinen letzten
Lebensjahren der Verfolgungswahn die Wurzel und der
Ursprung seines Seins und Handelns war"i).
Wir müssen dieser Auffassung widersprechen, weil sie mit der
Überlieferung unvereinbar ist. So schlimme Dinge von Domitian
auch zu sagen und zu schreiben die Männer, die unter seinemRe-
giment zu leiden hatten, sich erkühnen durften — keiner von
ihnen hat behauptet, dass er von Sinnen gewesen. Die Verant-
wortung für seine Handlungen hat er bis zuletzt voll und ganz
zu tragen. Freilich hatte die unausgesetzte Sorge um sein
Leben zuletzt einen Zustand nervöser Unruhe hervorgerufen,
Schlaflosigkeit und beängstigende Traumbilder suchten ihn
heim , und in jähem Schrecken sprang er plötzlich um Mitter-
nacht von seinem Lager auf. Er meinte den Arulenus Rus-
t'cus mit einem Schwerte auf sich eindringen zu sehen. Ein
andermal deuchte ihm, die in seinem Schlafgemach stehende
Statue der Minerva sei von Juppiter ihrer Rüstung beraubt
worden und erkläre, ihn nicht weiter schützen zu können*).
wegung in Judaea zusammenhängt. — Die Verfolgung wird auch von
Orosins und Sulpicius erwähnt. In den Akten des hl. Ignatius ist Yon den
Stürmen, die jüngst die Earche heimsachten, die Bede. — Langen,
Geschichte der römischen Kirche, I S. 60 fg., ist der Meinung, Domitian
habe das Christentum nicht direkt verfolgt, sondern nur znm Verwand
genommen, den Fiskus Judaicus zu verstärken, grosse Vermögen eh con-
fiszieren und Nebenbuhler zu versöhnen. Anders urteilt Gsell, a.a.O.:
„II ne voulut pas admettre, que les croyances des Juifs se repandissent
Übrement parmi les populations du monde romain. II vit et avec raison,
dans les nouveaux convertis des ennemis de la religion nationale, du culte
de Tempereur-dieu, culte qui 6tait dans nne certaine mesure le trait d'uidon
des Sujets de Bome." Langen, S. 60, spricht sich auch gegen die Annahme
der Verbannung zweier Domitillen aus, vgl. Gsell, a.a.O. S. 298. .
^) Ev. Kraus, Zur Charakteristik des Kaisers Domitian. Landshnt
1876. Der Verfasser bezieht sich wiederholt auf Wiedemeister, Der
Caesaren Wahnsinn der julisch-claudischen Imperatorenfamilie, HannoTer 1875.
«) Sueton, Dom. 15. Vgl. Dio 67, 16.
11. Domitians Ende und Ergebnis seiner Regierung. 115
Als er gar den Epaphroditus , der Neros Hand zum Todes*
tosse gelenkt hatte, hinrichten liess, um den Hofbeamten
einzuschärfen, dass man unter keinen Umständen an seinen
lerrn Hand anlegen dürfe, fühlte sich seine nächste Um-
gebung nicht mehr sicher. Wenn man Dio Glauben schenkt,
10 war der Kaiserin ein Verzeichnis der Verdächtigen in die
lande gefallen, in dem ihr eigener Name an der Spitze
itand. Da aber dieser Bericht Züge trägt, die der unter
Ihnlichen Verhältnissen erfolgenden Ermordung des Commodus
mtlehnt sind, so wiederholen wir lieber die nüchterne Er-
;ählung der Zeitgenossen i).
Es waren die beiden Kämmerer Parthenius und Sigerius,
ler Geheimsekretär Entellus, der Prokurator der Domitilla
5tephanus , die sich zur Beseitigung des Tyrannen vereinigten
md sich durch die Mitwissenschaft der Domitia und der
Deiden Gardepräfekten gedeckt glaubten. Dem Kaiser war
nne Warnung vor einer ihm drohenden Gefahr gekommen,
lie ihn zur äussersten Vorsicht bestimmte. Gerade diese
;olIte ihm verderblich werden. Als ihm Parthenius meldete,
58 sei jemand da mit einer dringenden Botschaft, zog er sich
n sein Kabinett zurück. Hier stiess ihm, während er die
hm überreichte schrifthche Anzeige einer Verschwörung las,
5tephanus den Dolch in die Seite. In dem nun entstehenden
ilingen wurde der Tyrann von den übrigen Verschworenen
nit Hülfe einiger Gladiatoren durch sieben Wunden getötet.
)er zu spät eindringenden Palastwache blieb nichts übrig,
ils den Stephanus niederzuhauen (18. Sept. 96).
Des Kaisers Ermordung nahm das Volk mit Gleichmut hin,
iie Soldaten waren darüber aufs äusserste erbittert. Sie
sagten es, ihm sogleich den Beinamen divus zu geben, und
lätten seinen Tod gerächt, wenn es ihnen nicht an
^'ührern gefehlt hätte. Der Senat begab sich sofort in
lie Kurie, und um die Wette sandte man dem Toten ohne
lUe Zurückhaltung die schmählichsten und bittersten Ver-
;vünschungen nach. Leitern wurden herbeigebracht, seine
Statuen und Büsten heruntergerissen und an Ort und Stelle
5U Boden geschmettert. Zuletzt beschloss man, seine Li-
^) über den Bericht des Cassius Dio urteilt Gsell noch zu günstig:
,0n ne peut relever dans son liistoire ponr cette p^riode auciine erreur
naterielle« 8. 345. Nur die Anekdoten (S. 221, 260, 327) findet er ver-
lächtig, gesteht dann aber „il semble avoir fait usage de sources fort d6-
■avorables k cet empereur". So ist es auch; geradezu unrichtige That-
tachen lassen sich bei ihm nachweisen. Für erwiesen muss die allgemeine
[J'bereinstimmung mit Sueton gelten. Sehr möglich ist, dass beide Autoren
len Tacitus benutzt haben, dessen Historien gewiss für die Bildung
3nd Befestigung des ungünstigen Urteils über Domitian entscheidend
varen.
8*
116 Zweites Buch.
Schriften überall zu tilgen und jegliche Erinnerung an ihn
auszulöschen.
In dem Gedanken an jene Sitzung, in der das Andenken
des Feindes geächtet wurde, hat Plinius die Worte ge-
schrieben: »Wie that es wohl, jene stolzen Gesichter auf
die Erde zu schleudern, das Eisen anzulegen, sie mit der
Axt zu zerstören, als müsse unter jedem Streiche Blut fliessen.
Alle erfüllte es mit Befriedigung, die zerbrochenen GUeder
zu betrachten*'^).
Der Senat wählte einen der angesehensten aus seiner
Mitte, den M. Cocceius Nerva, zum Kaiser; mit ihm hatten
die Verschworenen in Verbindung gestanden, ohne dass er
an der blutigen Katastrophe unmittelbar beteiligt gewesen
wäre. Als er das Imperium angenommen hatte, verbreitete
sich das Gerede. Domitian lebe und werde gleich zur
Stelle sein. Da sah man den Nerva erzittern , sich entfernen
und einer Ohnmacht nahe. Als ihn dann Parthenius über
den Ausgang beruhigte, gewann er seine Fassung wieder.
Erst nach längeren Verhandlungen verstand sich die Garde
dazu, ihn, nachdem er einmal ausgerufen war, als Imperator
anzunehmen, zumal da Nerva nie zu der eigentlichen Oppo-
sition gehört und mit Domitian in gutem Einvernehmen ge-
standen hatte. Wäre ein zur Herrschaft geeignetes Mitglied
des flavischen Hauses noch am Leben gewesen, so würde
sich der Senat den Wünschen der Soldaten haben fügen
müssen.
Als der neue Imperator Nerva Caesar Augustus die Kurie
betrat, umarmte ihn Arrius Antoninus und wünschte dem
Senate, dem Volke und dem Reiche Glück, nicht ihm selbst;
es wäre für ihn vorteilhafter gewesen, schlechten Fürsten zu
entkommen, als eine so gewaltige Last zu tragen, die da-
durch noch drückender werde, dass er sich nach Freunden
und Feinden in gleicher Weise richten müsse, und erstere,
die alles Verdienst für sich in Anspruch nehmen würden,
seien, wenn sie etwas nicht durchsetzten, noch gefährlicher
als die Feinde 2).
Domitians Regierung ist in der Geschichte des Prinzi-
pates von den bedeutendsten Folgen gewesen^). Er selbst
ging auf im Dienste des Staates. Ohne einen besonders
weiten Gesichtskreis zu haben, zeigte er sich in den
Geschäften wohl unterrichtet und unermüdlich thätig. Von
seinen Zeitgenossen wird anerkannt, dass seine Verwaltung
») Paneg. 52.
«) Victor, ep. 12.
') In der Beurteilung des Ergebnisses dieser Regierung stinune ich
mit Gsell, a.a.O. S. 333 fg., in der Hauptsaciie tiberein.
11. DomitiaiiB Ende und Ergebnis seiner Regierung. 117
irchgreifend und musterhaft, sein Eingreifen in die Recht-
)rechung von wohlthätigen Folgen war. Den klaren Blick
r die Bedürfnisse des Reiches und den sichern Takt in
5r Wahl seiner Ratgeber und Beamten hatte er von seinem
ater ererbt. Als Pontifex und Censor unternahm er den
ersuch, die nationale ReUgion gegen das Eindringen fremd-
tiger Kulte zu verteidigen. Wenn er aber in den letzten
eiten seines Lebens zu gewaltsamen Mitteln griff, um den
taatsscbatz zu füllen, so ist doch zu bedenken, dass er
ch in einer durch die langwierigen Kriege an der Donau
id durch die Freigebigkeit des Titus hervorgerufenen Not-
ge befand. Anstatt sich mit dem Wesen der Gewalt, wie
dn Vater, zu begnügen, Hess er sich Ehren und Titel be-
(hliessen, wie sie bis dahin kein Kaiser geführt hatte. Nicht
ifrieden damit, Imperator und Prinzeps zu sein, hess er
ch Herr und Gott nennen und brachte durch die Übernahme
jr Censur auf Lebenszeit den Senat in völlige Abhängigkeit
)n seinem Willen, um jedes missliebige Mitglied, wie es
öher die Censoren gethan hatten, zu beseitigen und kraft
58 „regimen morum* senatorische Familien zu demütigen. In
m letzten Jahren seiner Regierung kannten sein Hochmut,
line Gewaltthätigkeit keine Grenzen. Als der Hass, mit
5m die Aristokratie sich erfüllt hatte, in wiederholten An-
ihlägen gegen sein Leben zum Ausbruch kam, rächte sich
omitian durch Akte blutiger Grausamkeit, die sich nament-
jh in den drei letzten Jahren häuften und die Erinnerungen
1 die schlimmsten Zeiten des Tiberius und des Nero wach-
sfen. Im Kriege hatte er nach langen Kämpfen an der
3nau die Ruhe wiederhergestellt, am Rheine durch die An-
gung der Grenzwehr den Raubzügen der Chatten ein Ziel
jsetzt und Verhältnisse begründet, auf denen fortan die
icherheit dieser bedrohtesten Grenze ruhte.
Nach einer wenig durchgreifenden Reaktion blieben seine
achfolger im ganzen bei seinem Regierungssystem. Wenn
e auch den Namen der dauernden Censur fallen Hessen,
) waren sie doch nicht gesonnen, auf die daraus hergelei-
ten Rechte zu verzichten. Von nun an werden die Plätze
1 Senate in Form einer Adlektion nach Belieben vergeben,
uch die neugeschaffenen Finanzämter blieben bestehen.
Übersehen wir im ganzen die Entwicklung des Prinzipates
iter den flavischen Kaisern, so haben sich Vespasian und
itus massvoll innerhalb der ihnen gezogenen Schranken
ehalten und doch monarchische Machtvollkommenheit geübt,
ber unter Domitian ist der Prinzipat in eine Dominatio um-
jschlagen, die den Staat wie der Grundherr sein Dominium
isah. Derselbe Prozess , der sich unter Tiberius , unter Clau-
118 Zweites Buch.
dius und unter Nero vollzogen hatte, vollzog sich also unter
den flavischen Kaisern.
Richtet sich der Blick auf die Zustände in Italien und in
den Provinzen, so nimmt man mit Befriedigung wahr, dass sie
auch unter dem letzten Flavier so günstig wie möglich ge-
wesen. Wenn ein Vierteljahrhundert hindurch die Ruhe
nur an der Grenze gestört, aber auch hier die Autorität des
Reiches aufrecht gehalten wurde, wenn Wohlstand, Gesittung
und Selbstverwaltung sich über weitere Gebiete und gleich-
massiger als früher verbreiteten, so bezeichnet diese Epoche
einen der Höhepunkte der Kaiserzeit Roms.
Drittes Buch.
arva, Traian und Cornelius Tacitus.
i« • «-
ERSTES KAPITEL.
Der Prinzipat des Nerva.
Den Tag, an dem Nerva erhoben worden, bezeichnet
ine kapitolinische Lischrift mit demselben Worte, mit dem
lan den Prinzipat des Claudius und des Galba inauguriert
atte, als den Tag ^der Wiederherstellung der Freiheit**).
Wiederum wurden Münzen mit der Aufschrift ,libertas publica'
nd ,Roma renascens* geprägt. Der neue Kaiser hatte be-
jitwilligst zugestanden, was Domitian versagt hatte: er leistete
en Eid, dass er keinen Senator werde umbringen lassen*).
Aber gleich von vornherein hatte er mit Schwierigkeiten
u kämpfen, die den Bestand seines Prinzipates in Frage
teilten. Die Unzufriedenheit, die unter der Garde herrschte,
atte sich auf die Legionen in den Provinzen übertragen.
1 einem Standlager an der Donau drohte offener Aufstand,
ie rheinischen Truppen zeigten sich unzuverlässig, ein Legat
1 Syrien, dessen Namen wir nicht kennen, nahm eine gegen
[erva feindselige Haltung ein. In der Hauptstadt selbst war
ine allgemeine Aufregung entstanden. Die Garde, welcher
1 der Person Casperius Aelianus ein Präfekt gesetzt war,
er unter Domitian schon einmal dies Kommando geführt
atte, schritt zu offenem Aufruhr. Sie wollten zwar Nerva
reu bleiben, sie forderten aber die Hinrichtung der Mörder
lomitians. Man drang in den Palast ein, um Nerva zu
iesem Zugeständnis zu zwingen; dieser widerstand zwar
rotz seiner physischen Schwäche, weil er Leute, denen er
ie Herrschaft verdanke, nicht zur Strafe ziehen könne.
Lber die Prätorianer setzten ihren Willen durch und brachten
*arthenius und Petronius Secundus vor seinen Augen um.
a Casperius ging so weit, den Kaiser zu zwingen, vor dem
*) CIL 6, 472.
') Dio 68, 2: *i2tJioo8 xal 2v x$ ouve8p((p \irfiiyoL xd5v ßouXeuxd5v
oveöoeiv, 2ß8ßa{(oo£ xe x6v 5pxov xalnep §7cißouXeud-e{c.
122 Drittes Buch.
Volke ZU erklären, er sei den Soldaten zum Danke ver-
pflichtet, weil sie die Gottlosesten und Schlechtesten von allen
Sterblichen umgebracht hätten^).
Wenn die Ruhe im Reiche trotz dieser Vorgänge erhalten
blieb und die eben begründeten Zustände Dauer gewannen,
so lag dies einmal an der Klugheit, mit der Nerva die
Freunde und Stützen der früheren Regierung unter Verzicht
auf eine durchgreifende Reaktion zu versöhnen wusste; so-
dann aber fand der Kaiser die richtige Persönlichkeit, seinen
wankenden Thron zu stützen und dem Schicksale zu ent-
gehen, dem unter ähnlichen Verhältnissen Galba unter-
legen war.
Auf die Empfehlung des L. Sura hin adoptierte er im
Herbste 97 den Marcus Ulpius Traianus, dem er kurz vorher
die Verwaltung der obergermanischen Provinz übertragen
hatte 2). Sein Vater war unter Nero aus Spanien nach Rom
gekommen, hatte unter Vespasian das Konsulat und die an-
gesehensten Posten in der Verwaltung bekleidet; der Sohn
hatte unter Domitian Karriere gemacht und noch in den
letzten Jahren in den Kriegen an der Donau Verwendung
gefunden.
Zwischen diesem und Nerva bestand keine Verwandtschaft;
^aber Nerva'^ bemerkt Plinius, ,,ist sein Vater geworden in
dem gleichen Sinne, in dem er der Vater der Römer ist.
In dem ganzen Staate hat er sich nach dem höchsten Erben
umgesehen^' ^).
An der geweihten Stätte des Kapitols wurde der Akt der
Adoption vollzogen mit den Worten: ;,Möge es dem Senate,
dem römischen Volke und mir selbst zum Heil und Segen
gereichen^'! Man hatte den Eindruck, fahrt Plinius fort, dass
jener Aufstand nur ausgebrochen sei, damit der Staat in
jenem Augenblick in der Grösse Traians eine Zufluchtsstätte
finden könne. Eben war aus Pannonien eine Siegesnachricht
eingetroffen; jubelnd begrüsste das Volk den Glück verheis-
senden Lorbeerkranz*).
Die Bestätigung des Senates liess nicht auf sich warten.
Der Mitregent bekam die Titel Caesar und Imperator, die
tribunicische Gewalt und den Ehrennamen Germanicus, den
Nerva kurz vorher angenommen hatte.
Nervas Haltung in allen Fragen der inner n Politik ist durch
den Gesichtspunkt der Versöhnlichkeit und Nachgiebigkeit
*j Victor, ep. 12.
') Paneg. 23: Demissus oscalo fueras.
^J Paneg. c. 8 u. 16. Über die zögernde Haltung Traians vgl.
Dierauer, Geschichte Traians (in Büdingers Untersuchaugen) S. 26. £r
verweist auf Kap. 9 und 10. Über den Ehrennamen Germanicos hat
Dierauer S. 27 gehandelt.
1. Der Prinzipat des Nerva. 123
3stimmt ;, Statt eines Kaisers, der alles verboten, hatten die
ömer jetzt einen solchen, der alles erlaubte*'. Den Verur-
lilten wurden die Kerker geöffnet, die verbannten Philo-
)phen und Senatoren waren zurückgekehrt und forderten
.ut die Bestrafung der blutigen Werkzeuge Domitians. Aber
erva war doch zu verständig, um diesen Leidenschaften
lehr als unbedingt notwendig war, nachzugeben. Er be-
3hränkte sich darauf, die Zulassung von Zeugnissen der
klaven gegen ihre Herren zu verbieten, das Edikt des
itus gegen falsche Anzeigen zu erneuern und die darauf
esetzten Strafen zu verschärfen. Auch wurden einige Sklaven
nd Freigelassene, denen Verrat ihrer Herren nachgewiesen
^ar, der Gerechtigkeit geopfert. Aber Gründe der Klugheit
eboten Schonung der an Gut und Einfluss reichen Delatoren.
'er beredte Sachwalter Aquillius Regulus ^), der unter Domitian
um Konsulate und in den Besitz von Priestertümern gelangt
rar und dem Hofe nahe stand, büsste unter Nerva seinen
linfluss keineswegs ein, obschon er den Untergang des Aru-
mus Rusticus befördert hatte und in dem Rufe stand, sein
''ermögen durch Erbschleicherei zu vermehren. Plinius be-
eichnet ihn als j,das nichtswürdigste aller zweibeinigen Ge-
chöpfe*. Ein andermal klagt er, Regulus sei schwer zu
türzen, weU er reich sei, von vielen geachtet, von
lanchen gefürchtet werde und eine starke Partei hinter sich
abe. Doch sei es möglich, dass alles zusammenbreche,
^enn daran gerüttelt werde ; denn die Gunst der Schlechten sei
m nichts sicherer, als diese selbst. Trotz seiner Gegner
ehauptete Regulus seine Stellung und war nachweisUch noch
n J. 100 im Senate «).
Ein anderer namhafter Mann, Fabricius Veiento, der drei-
aal Konsul gewesen und zu den vertrautesten Ratgebern
)omitians gehört hatte , war Nervas Tischgenosse. Einst lag
r dem Kaiser zunächst, fast in seinem Schosse, als dieser
ragte, was demCatullus Messalinus, der trotz seiner Bünd-
leit einer der gefürchtetsten Angeber gewesen war, „den
)omitian wie einen Pfeil, der blindlings und rücksichtslos
rifft, auf die Besten losschoss^, geschehen würde, wenn er
len Domitian überlebt hätte. Da scheute sich Junius Mau-
icus nicht zu antworten: „Nobiscum cenaret^.
Wie ganz anders war es gekommen, als sich die Gegner
)omitians in den nächsten Tagen nach seinem Untergänge
jedacht hatten! „In diesen ersten Tagen der wiederherge-
itellten Freiheit hatte jeder seine eigenen, wenn auch unbe-
*) Vgl. ep. 1, 5 (3, 20; 4, 2; 6, 2).
») Ep. 9, 13.
124 Drittes Buch.
deutenden Feinde mit ausserordentlich verwirrtem Geschrei
angeklagt und ihren Sturz zu bewirken gesucht*^. Plinius
redet weiter von dem allgemeinen Hasse der Zeit, der nur
langsam einer gerechtern Stimmung Platz machte. Damals
hatte Fannius eine Schrift über den Tod berühmter Männer
unter Nero verfasst; Capito führte seinen Freunden eine
Lebensbeschreibung der Opfer vor, die Domitians Grausam-
keit erlegen waren i).
Gewiss ist es richtig, dass sich in jenen Tagen in den
an der Kultur Anteil nehmenden Klassen der Hauptstadt eine
öffentliche Meinung gebildet hat*).
Aber ebenso wenig wie diese damals zum erstenmal in
diesen Kreisen auftrat, ebenso wenig kann zugegeben werden,
dass sie damals zu massgebendem Einfluss gelangte und dass
selbst die Ernennung Traians mit ihrem Auftreten zusammen-
hing. An dessen Nachfolge ist unter Domitian kaum gedacht
worden, denn er war weder ein geborener Italiker, noch
zählte er, den die Kriege am Rhein und der Donau von
Rom fern gehalten, zu den ersten Vertretern der Aristokratie.
Erst die militärischen Bewegungen in der Hauptstadt und an
den Grenzen und vermutUch die gegen seine Person gerich-
tete Verschwörung des Senators Calpurnius Crassus^) haben
Nerva bestimmt, sich an den rheinischen Heerführer anzu-
lehnen. Tacitus erzählt zwar, dass Agricola in einem ver-
trauten Gespräche auf Traian als den künftigen Herrscher
hinwies. Aber diese Prophezeiung macht um so mehr den
Eindruck ex eventu zu stammen, als Tacitus in den Jahren,
in denen Traian bedeutender hervortrat, von Rom ent-
fernt war.
Wenn die karge Überlieferung eine völlige Aufhellung
des Dunkels, das über der Erhebung Traians schwebt, nicht
gestattet, so sind wir andererseits in der glücklichen Lage,
über die Haltung der Regierung in jenen Tagen, in denen
das allgemeine Vertrauen erschüttert war, unterrichtet zu sein.
Eben jener Fabricius Veiento ist in einem Prozesse, über
den ein Brief des Plinius näheres berichtet, im Einverständ-
nisse mit Nerva für die Freunde Domitians im Senate ein-
getreten.
Im J. 93 hatte er den Helvidius Priscus angeklagt. Das
schien dem Plinius das grausigste Verbrechen, dass ein Se-
nator sich an einem Kollegen, ein Prätorier an einem Kon-
sular vergriff*). Jetzt schien ihm j^die Gelegenheit gross und
*) Plinius, ep. 5, 5. 8, 12.
«) Ranke, Weltgeschichte HI, 1 S. 267.
«) Dio, 68, 2, 2. Victor, ep. 12, 7.
*) Ep. 9, 13. Tae. Agricola 45.
1. Der Prinzipat des Nerva. 125
lön zu sein, die Schuldigen zu verfolgen und sich hervor-
;hun*. Er beginnt im Senate ausser der Ordnung, ohne den
huldigen bestimmt zu nennen, seine Rede. Der Konsul er-
3ht ihn unter allgemeiner Unruhe sein Anliegen bei der Ab-
mmung vorzutragen. Inzwischen hatte ihn einer seiner kon-
arischen Freunde beiseite genommen und sein Vorhaben
zu kühn imd unvorsichtig getadelt; er habe sich künftigen
isem bemerklich gemacht und reize einen Menschen, der
äfekt des Schatzes und bald Konsul sein werde, hinter
m eine einflussreiche Partei stünde. Dabei nannte man
len, der im Orient ein grosses Heer befehligte und dem
in eine verwegene That zutraute. Als es zur Abstimmung
m, nahmen Fabricius Veiento, Fabius Postuminus, Vettius
oculus den Certus, ehe Plinius noch seinen Namen ge-
nnt hatte, in Schutz und verteidigten ein Verbrechen, das
eh unbestimmt gelassen war. Andere beantragten, ihm
j Strafe für eine so offenbare Schandthat zu erlassen und
p mit einer Art censorischer Rüge zu brandmarken. Als
nius an die Reihe kam, hörten seine Rede auch diejenigen
t lautem Reifall, die eben noch widersprochen hatten,
olche Änderung hatte die Würde des Gegenstandes, die
walt der Rede oder die Festigkeit des Anklägers zur Folge*'.
:zt antwortete Veiento unter solchem Lärm, dass er den
istand der Tribunen anrief. Während dieser Unterbrechung
:Hess der Konsul, nachdem die Abstimmung vor sich ge-
igen war, den Senat, so dass Veiento fast noch stehend
i im Regriff zu reden zurückbheb. Den Plinius beglück-
Bschten die Senatoren von allen Seiten, weü er die längst
[gegebene Sitte, ohne Rücksicht auf Sonderfeindschaft für
3 öffentliche Wohl einzutreten, wieder eingeführt und von
n Senat den Vorwurf abgewehrt habe , den ihm die übrigen
inde machten, dass er gegen andere streng, mit seiner
:enen Meinung zurückhalte und seine Standesgenossen
lone. Aber die von Veiento vertretene Ansicht teUte auch
r Kaiser. ^Er verwies diese Angelegenheit nicht wieder
7 Untersuchung an den Senat", d.h. er verzichtete darauf,
jen Certus einzuschreiten, und begnügte sich damit, das
nsulat seinem Kollegen und ihm selbst einen Nachfolger in
? Verwaltung des Ärars zu geben.
Das Vorgehen des Plinius wurde von allen besonnenen
innem missbUligt. Corellius Rufus, den er selbst als den
igsten und weisesten Mann seiner Zeit bezeichnet, wurde
a Plinius in dieser Angelegenheit nicht um Rat gefragt,
)ir er besorgte, er möchte ihm bei seiner allzugrossen Re-
nklichkeit und Vorsicht abraten i). Und Corellius gehörte
') Ep. 9, 13.
126 Drittes Buch.
ZU den Männern, die Domitians Ungnade in reichem Masse
erfahren hatten^). Wie er dachten zweifelsohne L. Verginius
Rufus, der mit Nerva gemeinsam am 1. Januar des J. 98 das
dritte Konsulat übernahm, und Julius Frontinus, der für das
folgende Jahr zum consul Ordinarius designiert war.
Es gab lohnendere und dringendere Aufgaben zu lösen
als einen Sturm der Verfolgung zu entfesseln. Es galt vor
allem, die Finanznot zu beseitigen und an das Gute, das
Domitian geschaffen hatte, anzuknüpfen.
Um den Finanzen aufzuhelfen, sah Nerva sich zu einer Be-
schränkung der Frumentationen und der Schauspiele genötigt.
Diese Ersparnisse und die Verwendung des Kronschatzes
halfen über die Krisis hinweg, und eine Kommission von Se-
natoren zur Verminderung der Ausgaben scheint nicht ohne
Erfolg gearbeitet zu haben 2). Sonst würde man nicht ver-
stehen, dass Erleichterungen in der Erbschaftsbesteuerung ein-
traten und von der Erhebung der Judensteuer abgesehen
wurde ^).
Auf Domitian griff Nerva vor allem bei seiner socialen
Gesetzgebung zurück. Jener war auf die Gefahren, die dem
Ackerbau drohten, aufmerksam geworden; von den Mass-
regeln, zu denen er schritt, ist nur ein Edikt bekannt, das
den Weinbau auf ein gewisses Mass beschränkte, so dass
in ItäUen neue Reben zu pflanzen verboten wurde, während
in den Provinzen die vorhandenen Weinpflanzungen bis auf
die Hälfte zerstört werden sollten. Diese Anordnung war
glücklicherweise nur unvoUkommen durchgeführt worden.
Nerva fasste das Übel an der Wurzel an, indem er bedeu-
tende Landcomplexe aufkaufte und durch eine senatorische
Kommission aufteilen liess^).
Folgenreich war, dass er die von seinem Vorgänger ins
Leben gerufene Alimentarinstitution weiter entwickelte und
ihr eine grössere Ausdehnung gab. Der Gedanke, von dem
man hierbei ausging, wurde von dem Wunsche, die Bürger-
schaft zu stärken, beherrscht, und durch Zahlung eines ünter-
stützungsbeitrages zur Kindererziehung für arme Eltern ver-
wirkUcht. Man verfuhr dabei in der Weise, dass eine ge-
wisse Kapitalsumme für eine bestimmte Stadt ausgesetzt und
gegen Hypothek an Grundbesitzer verliehen wurde. Der
*) Ep. 1, 12, 8. — § 12: Amisi vitae meae testem, rectorem, ma-
gistrum. Er starb einige Jahre später.
«) Dio 68, 2, 3. Plinius ep. 2, 1, 9.
^) Plinius, paneg. 37. ,Fisci Judaici calumnia sublatad s. c* itif
MiinzeQ Cohen, Nerva n. 83 — 86.
*) Plinius, ep. 7, 31, 4. CIL 6, 15, 48. Dio 68, 2, 1: 'Eg xi^^ti«*
1. Der Prinzipat des Nerva. 127
undbesitzer hatte die Zinsen zu den Stiftungszwecken
irlich an die kaiserlichen Kassen abzuführen. Dagegen genoss
den Vorteil, dass das Kapital, soweit er seinen Verpflichtungen
3hkam, unkündbar war. Das Beispiel, das die Kaiser gaben,
vies sich so wirksam, dass schon unter Nervas Regierung
ivatleute ähnUche Stiftungen ins Leben riefen i).
Zu den Stützen der Regierung Nervas gehörte auch
citus. Er erhielt in der zweiten Hälfte des Jahres 97 das
nsulat, worauf er schon seit einigen Jahren Anspruch er-
ben konnte. Als um dieselbe Zeit Verginius Rufus ge-
rben war, wurde ihm der Auftrag, bei seinem glänzenden
ichenbegängnisse die Lobrede zu halten 2). Diese Be-
ittung wird von Plinius als ein den Prinzeps und das neue
eculum ehrender Vorgang bezeichnet. Rufus hatte im
68 das Imperium abgelehnt und die Entscheidung dem
nate und dem Volke vorbehalten. Aus ritterlicher FamiUe,
p Sohn eines unbekannten Vaters, hatte er die Empfindung
liabt, dass er der Alleinherrschaft nicht gewachsen wäre,
SS er gefahrlos leben könne, wenn er darauf verzichte.
3ser Gedanke, den Tacitus in den Historien ausspricht 3),
pd den Kern seiner Leichenrede gebildet haben. Er wird
) Weisheit und Mässigung des Verginius, der sich unter
mitian von den Geschäften femgehalten hatte, als Vorbild
igestellt haben. Mit lebhaftem Interesse durfte man nach
jser Probe den schriftstellerischen Leistungen des ange-
lenen Redners und Sachwalters entgegensehen.
ZWEITES KAPITEL.
Lebensverhältnisse des Tacitus.
Cornelius Tacitus teilt mit Thukydides und Herodot das
hicksal, zu den wenigst gekannten Schriftstellern des
tertums zu zählen. Wie die Überlieferung der nachneroni-
len Zeit überhaupt furchtbar zerrüttet ist, so liegt auch
s Leben und der Büdungsgang ihrer namhaftesten Staats-
inner im Dämmerlicht einsilbiger Notizen. Von den
itgenossen erwähnt ihn lediglich der jüngere Plinius.
ine vita, kein Kommentar, kein versprengtes Scholion er-
lebtet das ihn verhüllende Dunkel. Tacitus gehört zu den
Innern, die erst unter den Flaviem zu den höchsten
iffeln der Ämter emporstiegen. Er wurzelt in der Epoche,
deren Geschichte er sich versucht hat.
^j Vgl. die Beilage.
*) Ep. 2, 1: Laudatus est a consule Cornelio Tacito. S. die
ilage.
•) 1, 52.
128 Drittes Buch.
Wollte man einer kühnern Vermutung Raum geben, so
dürfte man aus dem engen Verhältnis, in das er später zu
Agricola trat , aus den Beziehungen , die ihn seit seiner Jugend
mit Plinius, die ihn mit Verginius Rufus verbanden, schliessen,
dass Norditalien die Heimat seiner Familie war^). Wenn der
von Plinius erwähnte Zeitgenosse Cornelius Taeitus procu-
rator Belgicae Gallicae sein Vater war, so stammte Taeitus
aus ritterlichem Geschlecht. Sein Ahne mag ein Freige-
lassener der gens Cornelia gewesen sein. In späterer Zeit
führte der Kaiser Claudius Taeitus auf den Geschichtschreiber
seinen Stammbaum zurück, und dem umstände, dass dieser
befahl, die Schriften seines Vorfahren in allen Biblio-
theken aufzustellen, haben wir vielleicht die Erhaltung
der Trümmer der grossen Geschichtswerke zu danken. Diese
wurden im Altertum mehr bewundert als benutzt. Bei Plu-
tarch, Sueton und Dio sind wörtliche Entlehnungen nach-
weisbar, Tertullian, Orosius und die Scholiasten citieren ürn
öfters. Dem Ammianus Marcellinus und Aurelius Victor diente
er als Vorbild. Sulpicius Severus und Jordanes haben ihm
grössere Abschnitte entlehnt. ApoUinaris Sidonius, der ihn
wiederholt erwähnt, verdanken wir das Zeugnis, dass Pole-
miusy Praefectus praetorio um 406, von ihm abzustammen
sich rühmte. Cassiodorius kannte jedenfalls die Germania.
Dann ist für Jahrhunderte seine Spur verloren 2).
Über die pohtische Laufbahn des Taeitus giebt uns sein
eigenes Zeugnis im Anfange der Historien Aufschluss: j,Mihi
^) Büdinger, Universalgescliichte im Altertum S. 195, weist ani
Plinius ep. 9, 23, 2 (Die Cirkuserzählung) hin. „Italiens es an provin-
cialis? Nosti me et quidem ex studiis meis^. Die erste Frage des römi-
schen Nachbars setze voraus, dass der Angeredete (Taeitus) nach seiner
Sprache nicht ganz Bömer war. Man möchte an eine Art Patayinitas , die
dem Livius vorgeworfen wurde, denken. Der Name deute am ehesten
auf Abkunft von einem stiUen Freigelassenen eines patrizischen Comeliers,
im besten Falle des SuUa.
Eine für die Kenntnis der persönlichen Verhältnisse des Taeitus
wichtige Entdeckung wurde im J. 1890 gemacht. In dem bnU. de con.
hellen. 1890 S. 621 wird eine Inschrift aus Mylasa in Karlen mitgeteilt^
deren erste Zeile *Aaiavol 'Icovs^, deren zweite [*Av^i>.] Ho. KopvT^XCq) TaxCtq»
lautet. Die Beziehung der Inschrift auf den Historiker ist nach Andresen
zweifellos, ebenso zweifeUos die Ergänzung 'Av^. « dvO^icdxq), am Anfang
der zweiten Zeile. Der Dativ vertritt den Ablat. absolutus, eine Ausdrucks-
weise, die besonders regelmässig in der Erwähnung des Prokonsols er-
scheint. Die Inschrift stellt also fest, dass Taeitus den Vornamen Publios
führte und als Prokonsul von Asien das Ziel seiner politischen Laufbahn
erreicht hat. War er im J. 97 Konsul, so fällt sein Prokonsnlat in das
J. 111/112. (Vgl. Bonner Jahrb. LXXII meine Ausführungen zum J. 98.)
') Emmerich Cornelius, Quomodo Tac. historiarum scriptor io
hominum memoria versatus sit usque ad renascentes litteras saeculi XTV
et XV. Wetzlar 1888. Die Benutzung des Taeitus war danach erheblich
ausgedehnter als man früher annahm.
9. Lebensverhältnisse des Tacitos. 129
dba, Otho, Vitellius nee beneficio nee iniuria cogniti, digni-
lem nostram a Vespasiano incohatam, a Tito auetam, aDo-
itiano longius proveetam haud abnuerim*^.^)
jjAugere dignitatem* ist nach Borghesis zutreffender Be-
Brkung, die ürlichs wieder aufgenommen hat, der für die
»rleihung der Quästur, mit welcher der Übergang aus dem
tterstand in den Senat verbunden war, übliche Ausdruck.
so im J. 80 oder 81 ist die Standeserhöhung des Tacitus
folgt. Unter Vespasian war dieselbe durch Übertragung
s Militärtribunats oder wahrscheinlicher des Vigintivirats
rbereitet worden. Da nach den in der Kaiserzeit geltenden
^Stimmungen die Altersgrenze für die Quästur das 25. Jahr
, so wurde Tacitus spätestens um das Jahr 55 n. Chr.
boren; hiermit stimmt überein, dass Tacitus selbst im
alogus sagt, er sei um das Jahr 75 „iuvenis admodum^' gö-
ssen. Diese Jugendschrift, die vielleicht erst später ver-
fentlicht wurde, gehört derselben Richtung an wie die
stitutio oratoria des Quintilian. Auch sonst finden sich
i ihm Anklänge an das Urteil des bedeutendsten Lehrers
iner Zeit, der vermutlich auch des Tacitus Lehrer war*),
les verrät die Zufriedenheit des Autors mit dem Prinzipat
s Vespasianus, aber auch eine unverkennbare Sympathie
• Curiatius Matemus, der den Cato Uticensis bewunderte.
Unter Domitian ist Tacitus in rascher Folge bis unmittel-
r vor das Konsulat gelangt. Er genoss die Gunst der
ivier in hohem Grade, da er sich um die Staatsämter als
ndidatus principis bewerben durfte.*) Auch die Abberufung
Ines Schwiegervaters Agricola hat seine Beförderung nicht
rzögert. Jedenfalls war die Vereinigung der Prätur mit
lem angesehenen Priesteramte, das nachweislich nur Jüng-
gen der angesehensten Senatoren familien zufiel, eine hervor-
jende Auszeichnung, die um so mehr in die Augen fallen
isste, als Tacitus bei der Leitung der von Domitian im
88 veranstalteten Säkularspiele in amtlicher Stellung be-
iigt war. Über die Berechnung, die Domitian der Ver-
staltung zu Grunde legte , hat er sich in den Historien aus-
^) Die erste yoUstSndige Ausgabe der Werke des Tacitos ist die von
iL Beroaldos (Born 1515, Fol.). Die im Medicens II vereinigten Werke
I Tacitos kannte schon Boccaccio.
Benutzt sind für diesen Abschnitt — soweit meine eigenen Unter-
^hnngen nicht zu Grunde liegen — C. L. Urlichs, De vita et honoribus
dti (Würzburg 1879); E. Wölfflin in Bursians Jahresberichten,
r7— 80, XVni, 215; Dubois- Guchan, Le sifecle de Tacitus;
Boissier, L*opposition sous les C^sars; Borghesi, YII, 320 fg.
•) Plin. ep. 6, 6, 3. Urlichs, a.a.O. S.5.
') Tacitus gebraucht an der angeführten SteUe den Ausdruck a Ye-
UBiano etc., nicht sub Vespasiano, vgl. Urlichs, a. a. O. S. 3.
Aibaeb, Kaisertum tmd VerflMsiuig. ^
130 Drittes Buch.
führlicher geäussert, und -die genaue Kenntnis des heiligen
Rechtes, von der viele Stellen seiner Werke Zeugnis ablegen,
hängt mit den zu diesem Zwecke gemachten Studien zu-
sammen*). Bei den Säkularspielen, bei denen es an mu-
sischen Wettkämpfen nicht gefehlt haben wird, hatte er Ge-
legenheit, durch sein rednerisches Talent zu glänzen.
Auch in den folgenden Jahren hat Tacitus sich Domitians
Gunst zu bewahren gewusst.
Nicht lange nach seiner Prätur verHess er als Legat eines
Prokonsuls oder als Statthalter einer Provinz die Hauptstadt
und war noch abwesend, als der von ihm hochverehrte
Agricola im J. 93 starb. Dass Tacitus in amtlicher Eigen-
schaft damals fern von Rom weilte, beweist die Art, wie er
von dieser ^langen durch die Umstände gebotenen Abwesen-
heit" redet. Ob er aber in diesen Jahren die belgische
Provinz verwaltet oder eine niederrheinische Legion kom-
mandiert hat 2), ist noch recht zweifelhaft.
Man geht von einer blossen Vermutung aus, wenn man
den von Plinius genannten Cornelius Tacitus für des Ge-
schichtschreibers Vater hält und hiermit die Thatsache kom-
biniert, dass die Kaiser mit VorUebe ihren Reamten solche
Provinzen überwiesen, in denen diese einen Teil ihrer Jugend
verlebt hatten, wenn man also annimmt, dass der junge Tacitus
in Relgien gewesen sei. Aus der Germania unmittelbar kann
aber nur eine gekünstelte Interpretation auf persönhche Be-
kanntschaft mit Deutschland schliessen.
Zurückgekehrt, fand er die Lage der Senatoren ver-
schlimmert, Domitian auf die abschüssige Bahn des Despotis-
mus geraten. Das Meer füllte sich mit Verbannten, die An-
geber und Freunde des Kaisers wurden mit den höchsten
Staatsämtern belohnt. In diesen unerfreulichen Jahren ist
Tacitus für uns verschollen. Durch bescheidene Zurückhaltung,
wie sie sich die hervorragendsten Geister der Epoche auf-
legten, ist er mit diesen dem Schicksale entgangen, dem
Arulenus Rusticus und andere Anhänger der dem Prinzipat stets
feindlichen stoischen Schule erlagen. Ohne Zweifel hat er nach
dem Reispiele des Agricola sich als loyaler ünterthan in das
Unabwendbare gefügt. Wie di6 andern nahm er an den Senats-
verhandlungen teil, beschloss neue Ehren für den Kaiser
und brachte für sein Heil Gelübde und Opfer dar. Aber das
Konsulat, auf das er Anspruch hatte, blieb ihm versagt Er
hatte nach Agricolas Tode Domitians Ungnade zu empfinden.
1) Urlichs, a.a.O. S. 4.
*) Th. Bergk, Zur Geschichte und Topographie der Bheinland«
S. 40 A. 2.
8. Die Lebensbeschreibung des Agricola. 131
5 dieser unter den Dolchen der Freigelassenen gefallen
r, begann für ihn eine neue glücklichere, fruchtbringendere
it. Man darf nach der Geistesrichtung der beiden Männer
lehmen, dass er dem Nerva auch persönlich nahe stand.
s seinen Schriften lässt sich der Nachweis fähren, dass
seinen Griffel in den Dienst der neuen Ära stellte.
Tacitus ist der Herold der Form des Prinzipates, die
rva und Traian geschaffen haben, etwa in dem Sinne wie
Abhandlungen Senecas der Ausdruck der im ersten Drittel
• Regierung Neros in den leitenden Kreisen Roms obwalten-
1 Anschauungen waren.
DRITTES KAPITEL.
)ie Lebensbeschreibung des Agricola.
Am 27. Januar 98 starb Nerva und wurde alsbald unter
divi aufgenommen. Die Nachricht von diesem Ereignis
lielt sein Adoptivsohn in der Colonia Agrippinensis. Auch
zt kehrte er nicht nach Rom zurück, sondern widmete
h der Lösung der Aufgabe, an der er schon unter Domi-
n mitgearbeitet hatte , der Befestigung der Grenzen. Sein An-
len war so gross, dass er den Gardepräfekten Casperius
lianus nötigte, an den Rhein zu kommen, wo er ihn mit
Q Genossen seiner Meuterei niederhauen liess. In Rom
eb vorerst alles in dem Zustande, den Nerva zurückge-
sen hatte.
In den ersten Monaten des Jahres 98 ist Tacitus mit
iner Lebensbeschreibung des Agricola vor das Publikum
treten.
Die Schrift hat eine merkwürdige Einleitung. Er spricht
rin seinen Abscheu gegen die nächste Vergangenheit, seine
eude an dem Glück der Gegenwart aus. Fünfzehn Jahre
ines Lebens hat er verloren, jetzt kehrt ihm der Mut zurück,
Nerva und Traian sein Ideal verwirkUcht und den Prinzi-
t mit der Freiheit vereinigt haben. Zum Schlüsse ver-
riebt er eine Geschichte der frühem Knechtschaft und des
genwärtigen Glücks. Bis zu deren Erscheinen bittet er für
5 Schrift, die ein Ehrendenkmal des Agricola sein soll, mit
m Hinweis auf die darin Hegende j,professio pietatis** um
lerkennung oder Entschuldigung. Die Bezugnahme auf das
äter herausgegebene grössere Werk ist unzweifelhaft, und
3hts hindert, mit A. Eussner^) einen Schritt weiter zu gehen
<) Jahrbücher für klassische Philologie 1868 S. 650. 1875 S. 317.
132 Drittes Buch.
und anzunehmen, dass „er den hier behandelten Stoff nicht
erst für eine rhetorisch gehaltene Biographie zusammenge-
tragen, sondern seine für spätere Zwecke gemachten Kollek-
taneen hier schon zum Teil ausgeschüttet habe*^. Der Agri-
cola des Tacitus tritt als historische Schrift auf; dass wir
sie als solche und nicht für ein aus der Redeform der Lau-
datio funebris hervorgegangenes Schriftwerk anzusehen
habend), bestätigt auch der von Eussner durchgeführte Ve^
gleich mit den Monographieen des Sallust, die mit des Tacitus
Biographie bis ins Einzelne dieselbe Anordnung gemeinsam
haben, nur dass jenen der Epilogus fehlt, der für diese
höchst charakteristisch ist und uns über den Zweck der
Schrift aufklärt.
Wenn aber der Agricola zusammenhängt mit jenen oben
näher erörterten Vorgängen unter Nerva, wenn Tacitus im
Namen Traians, der damals noch am Rhein stand, seine
Stimme erhob, um diejenigen eines Bessern zu belehren, die
von dem neuen Regenten eine schärfere Reaktion gegen die
vorhergehende Regierung, vor allem die Züchtigung der
Freunde Domitians erwarteten, so erklären sich alle auffal-
lenden Erscheinungen dieser vielbesprochenen Schrift*).
^) Hübners Annahme (Hermes, I, 438), dass der Agricola ein mit
der Laudatio funebris verwandtes Kunstwerk sei, ist Yon £. Hoff mann
in d. Zeitschrift f. österr. Gymnasien, 1870, S. 251, und Urlicbs, De
vita et honoribus Agricolae , S. 20., widerlegt worden. Was sollen die
Beschreibung von Britannien (Kap. 10 — 12), die Ansprachen des Calgacos
und des Agricola in einer ßede?
') Die Idee, dass der Agricola ein politisches Pamphlet sei, hat
Boissier, Revue des denx Mondes, 15. Januar 1870, ausgesprochen. Vgl.
sein Buch L*opposition sous les Cesars, 2. Aufl., 1885. S. 298. Hoff-
mann führt a.a.O. des weitem ans, dass diese Biographie eine Ehren-
rettung des Agricola und seiner eigenen Person sei gegen den Vorwurf des
Servilismus. Ähnlich A. Stahr, Vorrede zur Übersetzung der Annalen,
I — VT, 1870. Auch J. Gantrelle, Sur la vie d*Agricola (Revue de Tin-
strnction publique en Belgique, 1870), wollte eine politische Tendenzschrift
zur Verteidigung des von Tacitus und seinem Schwiegervater eing^om-
menen Standpunktes im Agricola sehen. Gegen diese Auffassungen hat
G. Andresen, Die Entstehung und Tendenz des taciteischen Agricola
(1874), Einsprache erhoben und angenommen, dass Tacitus unter Domitian
eine Geschichte der Unterwerfung Britanniens schrieb, die sich nach dem
Tode Agricolas durch Hinzufugung der Kap. 1 — 10 und 39 — 46 in das
uns vorliegende Buch verwandelte. Diese Meinung hat E assner (Jahr-
bücher für klassische Philologie , 1875, S. 342 fg.) zu widerlegen gesneht.
Vgl. seine Ausführungen in den Bayerischen Gymnasialblättem, 1877,
S. 143 fg. Die Behauptung Boi ssiers hat Urlichs, De vita et honori-
bus Taciti, wieder aufgenommen und richtig durchgeführt; meine Darlegimg
stimmt in allem Wesentlichen mit Boissier und Urlichs überein. Vgl.
Hirzel, Über die Tendenz des Agricola von Tacitus. Tübingen 1871.
Güthling, De Taciti Agricola, Liegnitz 1878, spricht der Schrift jede
politische Tendenz ab. Von jungem Arbeiten erwähne ich nur Ulbrich,
Der litterarische Streit über Tacitus* Agricola, 1884.
3. Die Lebensbeschreibung des Agricola. 133
So versteht man die in der Einleitung ausgesprochene
tte um Nachsicht und die Bemerkung, dass er dieser Bitte
erhoben wäre, wenn er so düstere und der Tugend feind-
he Zeiten anklagen wollte.
Es ist darin das Bekenntnis enthalten, dass Tacitus im
jgensatz steht zur Meinung derjenigen, die alle Anhänger
d Freunde Domitians verurteilten.
Wenn man diese Stimmung berücksichtigt, so begreift
5h der Ausfall auf die Philosophie: Agricola habe sich mit
össerm Eifer, als für einen vornehmen Römer passe, dem
udium der Philosophie zugewandt, aber auf die Mahnung
iner klugen Mutter hörend , aus der Beschäftigung mit dieser
issenschaft nur die Mässigung zurückgehalten. Erinnern
r uns, dass die Anhänger der Stoa nach Domitians Er-
Drdung zurückkehrten und dass auch lunius Mauricus, der
nder des 93 hingerichteten Arulenus Rusticus , mit der Poli-
: der Regierung nicht einverstanden war, so wird die kühle
)fertigung der immer streitsüchtigen Philosophie verständ-
her. Was Tacitus von der unbedingten Opposition hielt,
igt uns sein Urteil über Paetus Thrasea, der sich unter
jro selbst den Untergang bereitet hatte, ohne den andern
n Grund zur Freiheit zu legen i).
Die Nachrichten über Agricolas Laufbahn bis zur Über-
.hme der britannischen Legation sind ziemlich farblos und
nnten auf jeden andern Beamten und Offizier bezogen
jrden; hier und da wird für Agricola ein Verdienst in An-
ruch genommen, das kaum vorhanden ist, und selbst die
ugheit, mit der er sich in die schwierigen Verhältnisse des
erkaiserjahres zu schicken wusste, wird bewundert. „Er
rlebte in Zurückgezogenheit die Zeit zwischen Quästur und
ibunat; auch bei der Führung des Tribunates trat er nicht
rvor, kundig der Zeiten unter Nero, in denen Unthätigkeit
p Weisheit galt. Gleiches Schweigen in der Prätur. In
n Spielen und den Äusserlichkeiten der Ehrenstellen hielt er
n Mittelweg zwischen Mässigung und Oberfluss. Zum Le-
mslegaten ernannt, wollte er lieber, dass man sage, er
heine das Gute gefunden als gemacht zu haben. Er ver-
md es, seine Kraft zu massigen und seinen Eifer zu zügeln,
1 nicht den Schein der Überhebung zu wecken*. Energie
d Mässigung sind bei ihm in seltenem Masse vereinigt:
:e Hervorhebung zieht sich wie ein roter Einschlag durch
s Gewebe der kriegerischen Ereignisse, die in dreissig
ipiteln dargestellt werden. Agricola will nicht gesiegt, son-
m Besiegte zum Gehorsam gezwungen haben. Überzeugt,
SS wenig durch Waffen ausgerichtet werde, wenn Bedrückun-
*) Tac. ann. U, 12. Vgl. Boissier, a.a.O. S. 300.
134 Drittes Bach.
gen die Folge der Siege seien, entschloss er sich, die Ur-
sachen des Krieges auszurotten. Dieselbe Mässigung beweist
er gegenüber seinen Untergebenen; und dass man ihn in
Rom für den loyalsten Beamten hielt, beweist mehr als alles
andere die Thatsache, dass er unter drei Regenten sieben
Jahre das Kommando einer wichtigen Provinz behaupten
konnte. Die Abberufung aus seinem grossen Wirkungskreise
wird von dem Schwiegersohne auf den Neid Domitians und
die Umtriebe des Hofes zurückgeführt. Wir sahen, dass sie
thatsächlich mit einer veränderten Politik des Kaisers zu-
sammen hängt. Im J. 81 hatte Agricola die Volksstämme
an der Westseite Schottlands bezwungen und daselbst feste
Positionen angelegt, um von diesen Stützpunkten aus im
nächsten Frühling einen vertriebenen Clan in sein Besitztum
zurückzuführen und durch die Eroberung der Insel Irland die
Provinz Britannien zu sichern, wie Britanniens Besitznahme
aus Rücksicht auf Gallien erfolgt war. Wahrscheinlich ist
Titus mit diesem Plane einverstanden gewesen. Aber Domitian
verzichtete auf unsichere Erwerbungen im höchsten Norden
und schwächte die britannische Armee.
Die Massnahme war dringend geboten, da damals infolge
des Chattenkrieges eine bedeutende Verschiebung der Grenze
von Obergermanien erfolgte und eine gefahrliche Völkerbe-
wegung an der Donau zur Verstärkung der pannonischen
Armee nötigte. Endlich einem siegreichen General das Kom-
mando zu lassen, nachdem ein römisches Heer an der Donau
geschlagen war, musste doch bedenklich erscheinen. Von all
dem bei Tacitus keine Andeutung. So weit geht die pietät-
volle Verdunklung der Thatsachen.
Nachdem er den Oberbefehl abgegeben, betrat Agricola
in aller Stille die Hauptstadt, lebte einfach und anspruchlos,
verzichtete auf das Prokonsulat von Asien und setzte schÜess-
lich den Kaiser zum Miterben seiner Hinterlassenschaft ein.
Diese Ergebenheit und Resignation hat des Tacitus vollen
Beifall und wird als nachahmungswertes Beispiel hingestellt:
j,Die Natur des Domitian, die zum Zorne neigte, wurde durch
die Klugheit und Mässigung des Agricola beschwichtigt, weil
er nicht durch Trotz und leeres Prahlen mit der Freiheit
Ruhm und Schicksal herausforderte. Die mögen es wissen, wel-
che Unerlaubtes zu bewundern pflegen, dass auch unter
schlechten Fürsten grosse Männer sein können, und dass
Gehorsam und Selbstbeschränkung gepaart mit rüstiger Thätig-
keit das Verdienst derjenigen überragt, die in schroffem Ge-
bahren ohne Nutzen für den Staat, vom Ehrgeize getrieben,
im Tode Ruhm suchten ^i).
») J. Golling, Zeitschr. filr österr. Gymnasien, XXXVH (1886) S. 483, hat
3. Die Lebensbeschreibung des Agricola. 135
Bestimmter kami man eine Rechtfertigung nicht aus-
»rechen. Man dürfe nicht denjenigen einen Feigling nennen,
)T sich in die Verhältnisse gefügt habe, die er nicht ändern
)nnte. Hatte nicht auch Tacitus, hatten nicht Nerva und
paian dieselbe Aufgabe gelöst? Wohin sollte es führen,
enn man, den radikalen Freiheitsfreunden folgend, alle
änner, die sich unter der frühern Regierung zurechtgefunden
ilten, zur Verantwortung ziehen wollte?
Die politische Tendenz des Agricola ist unverkennbar,
enn auch verhüllt durch die professio pietatis. Die Pietät
il dem Tacitus die Feder geführt, als er die Glanzperiode
Agricolas Leben, das ihm als Ideal vorschwebte, die Ver-
altung Britanniens, eingehender schilderte. Die Pietät trieb
n zum energischen Ausdruck seines Abscheues gegen Do-
itians Tyrannei, der die hervorragende Kraft seines Helden
1 müssiger Ruhe verurteilte. Der Hass gegen Domitian
Bst ihn sogar einem Verdachte das Wort reden, der sich
2s seiner Darstellung selbst als unbegründet erweisen lässt^).
gricolas kriegerische Erfolge werden in der Weise der Rhetorik
vertrieben. Das von ihm besetzte Gebiet wird nur unbestimmt
ngrenzt und so die Vorstellung grosser Eroberungen hervor-
3rufen. Das Missgeschick des fünften Feldzuges wird durch
e Hervorhebung eines maritimen Unternehmens verhüllt, dem
ne strategische Bedeutung zugeschrieben wird, die es kaum
itte. Die Reden, die dem Calgacus und Agricola in den
und gelegt werden, sind wie die meisten Reden in den
•ossen Geschichtswerken frei erfunden und bewegen sich
n den allgemeinen Gedanken des Gegensatzes zwischen
3m Streben der Römer nach Machterweiterung, das un-
•sättlich auch nicht an den von der Natur gesetzten
renzen stillesteht, und der Freiheit, die bedrohten Stämme
ch im Anscbluss an Ulbricb der verdienstlichen Mühe unterzogen, den
achweis zu bringen, dass neuerdings geäusserte Ansichten über die Be-
immung der Biographie schon von altem Gelehrten vertreten wurden,
ie Stelle c. 42 wird in den Eclogae Taciteae von Papst (Leipzig 1831)
id bei Bernhardy, Rom. Litteraturgesch. 4. A., richtig gewürdigt, von dem
tztem vielleicht ohne Rücksicht auf Walch S. 115, 143, der die „merk-
firdigen Worte*' als Tacitus* politisches Glaubensbekenntnis über unbe-
»nnene Freiheitsprediger bezeichnet. Auch Andresens Ansicht, dass
BT historische Bestandteil c. 10 — 38 zuerst geschrieben und als Vorarbeit
r die Historien ansusehen sei, ist von altem Autoren ausgesprochen worden.
emerkenswert ist, dass auch Mohr in den Bemerkungen zu und über
adtiis Agr., Meiningen 1823 S. 39, die in c. 28 erzählte Flucht der Usipier
la eine in der Biographie unstatthafte Episode bezeichnet. In den Ge-
diichtsbüchem hätte sie ohne Zweifel eine schicklichere Stelle gefunden.
ie oben vorgetragene Auffassung von c. 42 teilt auch Boissier, a. a. O.
^) Ho ff mann, a. a. O. S. 256 fg., hat die Verkehrtheit des Gerüchtes,
MMB Agricola an Gift gestorben sei, nachgewiesen.
136 Drittes Buch.
ZU verteidigen, unterworfene zurückzugewinnen suchen. Wenn
Calgacus in seiner Ansprache, die im Grunde eine bis ins
einzehie disponierte Cliie ist, den Gemeinplatz beweist, dass
die letzten, die besiegt werden, auch die äusserste Knecht-
schaft zu fürchten haben, so gipfelt die Gegenrede des Agri-
cola, die Erfolge der frühem Feldzüge zusammenfassend, in
dem Gedanken, dass die letzten Gegner, die bis in den
äussersten Winkel der Erde geflohen, auch die schlechtesten
und feigsten sind. Dass der Sieg über die Briganten firucht-
los war und zu keiner Besetzung ihres Gebietes führte, müssen
wir zwischen den Zeüen lesen und gleichwohl die Versiche-
rung hinnehmen, dass Agricola die Provinz seinem Nachfolger
ruhig und ungefährdet übergeben habe.
Der Epilogus nimmt wieder auf die Gegenwart Bezug mit
dem deutlichsten Hinweis auf den neuen Regenten. Agricola
war es nicht vergönnt, das Licht dieser glücklichen Gegenwart
und Traian als Herrscher zu schauen ; aber er hatte dies Er-
eignis gewünscht und prophezeit (cap. 44). In dem Schlüsse wird
Agricola als leuchtendes Beispiel für alle Zeiten hingestellt.
^Was wir an ihm liebten, was wir bewunderten, das bleibt
und wird bleiben in den Gemütern der Menschen, in der
Ewigkeit der Zeiten, in der Kunde der Dinge. Denn viele
der Alten wird wie Ruhmlose und Unedle Vergessenheit be-
decken. Agricolas Namen wird ewig dauern*.
Ganz in Senecas Sinne wird in Agricola das Ideal eines
Römers gezeichnet, der es versteht, sich in gegebene Ver-
hältnisse zu fügen und doch die Würde des Mannes zu wahren.
An Senecas Schriften lehnt sich selbst der Ausdruck an^).
Tacitus durfte seine vom Hauche warmer Verehrung be-
lebte Schrift als ein Denkmal für Agricola bezeichnen. Aber
unter dem weiten Mantel der Pietät versteckt sich die poli-
tische Tendenz: Mahnung zur Mässigung, wie sie Agricola
thatsächlich geübt hatte, eine Mahnung, die um so wirkungs-
voller sein musste, als der Autor der ersten Rangklasse an-
gehörte.
Auch andere Männer dieser Epoche haben in Biographieen
ihre politischen Anschauungen niedergelegt. Der Sachwalter
C. Fannius hinterliess drei Bücher, die von den letzten Schick-
salen der von Nero Getöteten oder Verwiesenen handelten.
^) Zimmermann, De Tacito Senecae philosophi imitatore, Breslaner
philol. Abhandlungen Y, 1 S. 67. Plorimom Senecae philosophia a Tacito
Qsnrpata est in componendo libello, qoi Agricola inscribitur. Melins enim,
si Senecae verbis ati licet, Tacitum socerum A. defnnctam dnratiiro semper
ingenio se consecratomm esse ratus qnam si irrito dolore lageret, memoriam
eins scriptomm monomento prodoxit. Imaginem antem hnins viri qnaai
speciem honesti et sapientib Romani ita effinxit, nt Senecae philosophia
uteretor.
4. Die Germania des Tacitus. 137
waren nach Plinius ^) in einem Stile geschrieben, der
ischen Rede und Geschichte die Mitte hielt, und wurden
l gelesen. Titinius Capito, der unter drei Kaisem des
tes ab epistulis gewaltet hatte, schrieb über das Ende
ühmter Männer, von denen einige dem Plinius nahe standen,
ser glaubte eine heilige Pflicht zu erfüllen, wenn er den
ar verspäteten, aber nur desto wahrern Trauerreden von
nnern beiwohne, deren Leichenbegängnis er nicht feiern
inte 2). Plinius selbst verfasste eine Lobschrift auf Vestricius
Ltius, der in jugendlichem Alter gestorben und durch eine
tue geehrt worden war. Seiner Liebe genügte es nicht,
in einer kleinen Schrift ein so teures und heiliges Andenken
feiern, dessen Ruhm desto grösser sein werde, je zahlreicher
Schriften seien, die ihn feierten. Über diese Kunstgattung
rden wir besser unterrichtet sein, wenn nicht alles mit
tt Agricola Verwandte verloren gegangen wäre: wenn wir
' den Cato des Thrasea Paetus und des Junius Rusticus Lob-
rift auf Thrasea und Helvidius Priscus oder des Plinius „libri
ultione Helvidi* besässen *).
VIERTES KAPITEL.
Die Germania des Tacitus.
Wenn wir den Agricola wie eine Äusserung der Regierung
rächten können, die gewisse Kreise eines Bessern zu
ehren suchte, so führt uns die unmittelbar nachher er-
ienene Germania auf das Gebiet der auswärtigen Politik.
Wir sind so glücklich, die Zeit ihrer Abfassung genauer
itimmen zu können; während im 37. Kapitel das Jahr 113
:h den damals fungierenden Konsuln benannt wird , ist der
•minus ad quem ganz gegen die Regel datiert, insofern nur
Konsul, und zwar Traian, genannt wird, während man
rvas Namen erwarten sollte, der am 1. Januar 98 das
;te Konsulat antrat und Ende des Monats starb. Schon
Wendung ^^si ad alterum imp. Traiani computemus
isulatum* zeigt, dass sich der Schreiber bewusst ist, von
a Brauche, den er anderwärts befolgt, an dieser Stelle
luweichen.
*) Ep. 1, 5.
•) Ep. 8, 12: Videor ergo fangi pio munere, qnorumque exequias
ibrare non licnit, horum quasi funebribus laudationibus, seris quidem,
tanto magis veris Interesse. Titinius Capito hatte die „exitus iUu-
im viromm*' auch vorgelesen.
•) Ep. 2, 7. 3, 10. 9, 13.
138 Drittes Bneh. ^
Diese Bezeichnung ist aber dann gerechtfertigt, wenn die
Schrift noch, während Traian im Amte war, geschrieben ist
Die Konsularfristen waren damals zweimonatlich, aber der
Regent kann sehr wohl wie im Jahre 100 zwei Nundinien im
Amte geblieben sein, um zwei Männer durch seine Kollegialität
zu ehren. Auf jeden Fall ist die Germania in den ersten
Monaten des Jalures 98 nicht lange nach dem Agricola et-
schienen.
Zahbeich sind die Erwägungen der wichtigen Frage nach
Tendenz und Ursprung der für (fie allgemeine Geschichte über-
aus bedeutungsvollen Schrift ^).
Ist sie lediglich eine ethnographische Skizze ohne jede
Nebenabsicht? Ist sie ein moralisch-tendenziöser Mahnruf,
eine Art von Sittenspiegel, eine Satire auf das verderbte Rom?
Gewiss ruht auf dem Bericht des Tacitus etwas von j,der
Stimmung des Hirtengedichts, womit der Kulturmensch seine
Sehnsucht nach ursprünglicher Unschuld in der Phantasie
befriedigt* ^), aber für beabsichtigt kann dieser idyllische Zug
nicht gelten, er war unvermeidlich, sobald ein Beobachter
vom römischen Standpunkte aus über einfachere Verhältnisse
berichtete. Gewiss ist eine ethische Richtung in der Germania
^) Vgl. die Litteratur bei A. Baumstark, Urdeutsche Staatsalter-
tümer zur schützenden Erläuterung der Germania des Tacitus (Berlin 1879),
§§ 58—70, S. 931, besonders A. Riese, Eos, H, 193—203; rgl. Schwei-
zer-Sidler, Einleitung zur Germania, Note IX. — Passowin der Philo-
mathie von L. Wach 1er I S. 41 wollte die Veranlassung zur Germttnia in
den äussern und innem Zuständen des Römischen Reiches suchen. Damals
sei von einem grossen und entscheidenden Feldzuge gegen die Gtermanen
viel geredet worden. (Vgl. dagegen Hoffmeister, Die Weltanschammg
des Tacitus, S. 223.) Dierauer, Beiträge zu einer kritischen Geschichte
Traians, S. 34, hat meines Wissens zuerst darauf aufmerksam gemacht,
dass die Germania eine politische Broschüre sei, hervorgegangen aus
dem Interesse, welches Tacitus als Staatsmann an den germanischen An-
gelegenheiten nahm, und veröffentlicht mit der Absicht, die Römer über
die Notwendigkeit einer dauernden Konsolidierung der gegenseitigen Be-
ziehungen zu den rheinischen Grenzgebieten außsuklären und das längere
Verweilen in den Rheinlanden zu begründen. Diese auf Büdingers An-
regung zurückgehende Ansicht (vgl. Universalhistorie im Altertume [1895]|
S. 198) ist von mir im Bonner Jahrbuch LXIX S. 1 fg. und Westdeotsclie
Zeitschr. III 11 fg. beleuchtet worden. Vgl. auch Scher er, (auf Müllenhofii
Nachlass fussend) Deutsche Litteraturgeschichte 8.2: „Die ungebrochene
Kraft dieses Volkes erschien dem Stoiker als ein Ideal der Sittenstrenge,
dem aristokratischen Oppositionsmanne als ein Ideal der Freiheit, dem
weitblickenden Politiker als eine drohende Gefahr. Des Tacitus G^ermaiua
fasst alles zusanmien'^. Die von F. Brunot, Un fragment des histoires de
Tacite (Paris 1888), aufgestellte Ansicht leidet an einem innem Wider*
Spruche. Denn einerseits soll die Schrift als ein Teil der Historien keine
Tendenz gehabt haben, und andererseits lässt er denVerfinsser absichtlick
die Schwäche der Germanen hervorkehren und zu ihrer Unterwerfung ma-
treiben.
*) Scherer, a.a.O. S. 2.
4. Die Gtormania des Tacitus. 139
verkennbar, was hat aber der Katalog der germanischen
llker mit einem Sittenspiegel zu thun?
Ist sie eine politische, aus mannigfachen Informationen
rvorgegangene Broschüre, veröffentlicht mit der Absicht,
5 Römer von der Notwendigkeit einer durchgreifenden
enzregulierung zu überzeugen? Sie ist noch mehr als dies:
I hat einen individuellen Anlass: sie ist durch bestimmt
chweisbare Vorgänge am Niederrhein hervorgerufen.
Wir erinnern uns der bedeutenden Erfolge, die unter
»mitian am Rheine erzielt worden waren , der beiden Chatten-
iege, der Besetzung rechtsrheinischer Gebiete, der Anlage
p Grenzwehr. Das Ansehen des römischen Namens war
ichtig gestiegen. Der Cheruskerkönig Chariomer, den die
latten verjagt hatten, kam hülfesuchend nach Rom. Aus dem
tiegenen Semnonenlande pilgerten der König Masyus und die
herin Ganna, die bei ihrem Stamme eine öffentlich aner-
nnte Stellung hatte, nach Rom und erfreuten sich einer ehren-
Uen Aufnahme. Der Erweiterung der obergermanischen Pro-
iz gedenkt auch Tacitus in der Germania, aber er kann es
iht über sich gewinnen, ihren verhassten Urheber zu nennen.
lässt statt seiner die Grösse des römischen Volkes
( über den Rhein und die alten Grenzen den Respekt vor
m Reiche erweitern (28).
Es ist keine Frage, dass diese Vorgänge von dem römischen
ilikum mit grosser Aufmerksamkeit verfolgt wurden und
SS des Plinius Werk ^^Bellorum Germaniae 1. XX^, das unter
ispasian vollendet wurde, viele dankbare Leser fand.
Das Interesse wuchs aber, als nach dem Tode Domitians
ler der besten Heerführer des Reiches die Statthalterschaft
Obergermanien übernahm und nach seiner Ernennung zum
Iregenten und nach Nervas Tode, um das von Domitian
gonnene Werk des Grenzschutzes zum Abschluss zu führen,
Germanien blieb , während die Römer mit Sehnsucht seine
limkehr erwarteten ^). Er hob die militärische Zucht, schloss
iedensbündnisse mit den freien Germanen , legte Heerstrassen
, verstärkte den Limes und begann den Ausbau desselben
seiner ganzen Ausdehnung. Der Titel Germanicus ^), den
irva aus Anlass seiner Siege über die in Pannonien ein-
fallenen Sueben angenommen hatte , wurde auf Traian nach
inen Erfolgen am Niederrhein übertragen.
Eine bedeutsame Bewegung unter den rechtsrheinischen
immen, die der römischen Herrschaft gefährlich werden
nnte, hatte ihn nämlich gegen Ende des Jahres 97 nach
^) Plinias, ep. ad Tr. 10; Marti al, epigr. 10, 7.
*) Vgl. Westdeutsche Zeitschrift, III S. 12, Anm. n. 49^52.
140 Drittes Buch.
Köln geführt, wohin ihm auch Hadrian, der als Militar-
tribun am Oberrhein diente, die Nachricht von Nervas
Tode brachte.
Der Kollege Traians am Niederrhein war Vestricius Spurinna,
der vermutlich gleichzeitig mit ihm die Statthalterschaft über-
nommen hatte. Um die Wende des Jahres 97 führte Spurinna
einen vertriebenen König der Brukterer in sein Reich zurück
und durch das Entfalten seiner kriegerischen Macht hielt er
das trotzige Volk im Schach. Wegen dieses Erfolges wurden
ihm die Triumphoraamente zuerkannt. Der bezügliche Beschluss
des Senats kann erst auf Grund amtlicher Berichte gefasst
sein. Man möchte vermuten, dass Plinius, dem wir diese Nach-
richten zu danken haben ^), eine Stelle des Beschlusses vor-
schwebte, wenn er sagt: ,,ostentato hello ferocissimam gentem,
quod est pulcherrimum victoriae genus, terrore perdomuit*
Auf diesen Vorgang, der schon durch die Verleihung einer
seltenen Auszeichnung an Spurinna als höchst bedeutsam
gekennzeichnet wird, hat man auch die Stelle im Panegyricus
zu beziehen, in der das zweite Konsulat des Kaisers ver-
herrlicht wird ^).
„Soll ich nicht staunen^, ruft er aus, „über Dein Konsulat,
das Du nicht in der Müsse der Stadt und im Schosse des
Friedens, sondern wie jene Feldherren der Vorzeit bei bar-
barischen Volksstämmen führtest! Ein herrlicher Erfolg für
das Reich, ruhmvoll für Dich war es, als Dich Bundesgenossen
und Freunde in ihrer eigenen Heimat aufsuchten. Es erhöhten
die Majestät des Vorsitzenden die verschiedenen Trachten
der Bittsteller, fremde Zungen und selten ohne Dolmetscher
verständliche Rede. Etwas Grosses ist es , den Bürgern Recht
zu sprechen, was heisst es erst, die Rechtshändel der Feinde
schlichten? Eine Auszeichnung ist es, auf friedlichem Forum,
um wie viel schöner aber auf der Sella curulis und als Sieger
auf feindlichen Fluren zu erscheinen, zu drohen den drohenden
Ufern ohne Gefahr und in Ruhe, den feindUchen Schrecken
ebensosehr durch Zeigen der Toga wie der Waffen nieder-
zuschlagen. Deshalb begrüsste man nicht Deine Bilder, sondern
den Anwesenden selbst als Imperator, und den Namen, den
andere der Besiegung derFeinde verdankten, verdankestDu ihrer
Geringschätzung.* Plinius hat hier verschiedene Dinge ver-
bunden. Einmal redet er von einer Versammlung, in der
*) Ep. 2, 7.
') Westdeatsche Zeitschrift III S. 13. Besonders die Worte: „Itaque
te non apud imagines sed ipsum praesentem audientemque consalatabant
imperatorem nomenque qiiod alii domitis hostibas, ta contemptis
merebare." (c. 56.)
4. Die Germania des TacituB. 141
hlreiche Gesandten der Germanen sich einfanden und dem
)nsul Traian huldigten oder ihre Anliegen vortrugen. Dann
rd Traians Mässigung betont, der feindselige Regungen durch
s Ansehen seiner Person ebensosehr wie durch Waffen-
walt niederdrückte. Es war ein Erfolg, der ihm die erste
jgrüssung als Imperator eintrug und sicher mit den Völker-
wegungen am Niederrhein zusammenhing.
Das von Plinius ausgesprochene Lob der Selbstbeschränkung
s Kaisers erscheint im rechten Lichte , wenn in Rom damals
in aggressives Vordringen in das Innere von Deutschland
wartet wurde. Aber Traian blieb im ganzen innerhalb der
enzen, die Domitian sich gesetzt hatte. Er begnügte sich,
3 Colonia Traiana, in der Nähe des alten Vetera, das
andlager der etwas später neu errichteten leg. XXX Ulpia
ctrix als Zwingburg gegen die nördlichen Germanen zu
uen, den einen oder den andern Posten auf dem rechts-
einischen Ufer zu besetzen.
Die Form des Datums in Kapitel 37 ermöglichte uns, die
lit der Abfassung der" Germania genauer zu bestimmen,
enn man liest, dass die Brukterer verjagt und gänzlich
sgerottet und in ihr Gebiet Chamaver und Angrivarier ein-
wandert seien, so kann sich das nur auf dasselbe Ereignis
ziehen, von dem Plinius uns Zeugnis giebt. Aber Tacitus
.tte noch keine bestimmten Nachrichten; er selbst stellt
ine Mitteilung als zweifelhaft hin. Die Veranlassung des
impfes ist ihm so wenig bekannt, dass er uns blosse Ver-
iitungen bietet. Er spricht von dem Hasse des Übermutes
id dem Verlangen nach lockender Beute : „Vielleicht waren
ch die Götter den Römern gnädig, denn sie missgönnten
Qen nicht das Schauspiel einer Schlacht, in der über 60000
ann nicht durch RömerwafTen, sondern, was herrlicher ist,
nen zur Augenweide fielen." Unglaublich klingt es , dass 60000
3rmanen in einer Schlacht gefallen sein sollen. Tacitus war
»en noch keine zuverlässige Kunde zugegangen; er ver-
ichnet vielmehr nur die ersten übertreibenden Gerüchte : so
klären sich die Abweichungen vom Berichte des Plinius.
Hatten die Römer schon lange lebhaften Anteil an den
jrmanischen Angelegenheiten genommen, so wurde dieser
)ch gesteigert, als durch geschickte Verhandlungen dort Er-
Ige erzielt wurden, die die römische Herrschaft besser
ßherten, als in grossem Stile geführte Angriffskriege.
Dass Tacitus sich in vollem Einverständnis mit dieser
Dlitik des Kaisers befindet, folgt aus einer andern Erwägung,
i der Betrachtung der Völker Deutschlands geht Tacitus aus
)n den Stämmen, über deren keltische oder germanische
ationalität nichts ausgemacht ist. Eine zweite Reihe bilden
142 Drittes Bnch.
die den Römern unterworfenen Bataver, Mattiaker und die
Völker des Dekumatenlandes. In der Richtung von Süden
nach Norden vorgehend, macht er uns mit Chatten, üsipem,
Tenkterern und den bis zur See wohnenden Stämmen bekannt
In Kap. 35 geht er auf die Chauker, in Kap. 36 auf die
Cherusker über. Kap. 37 beginnt mit den Worten: ^eundem
Germaniae sinum proximi Oceano Cimbri tenent. * Das Pronomen
eundem, dass auf Kap. 35 ingenti flexu hinweisen soll, ist un-
gerechtfertigt; überhaupt besteht kein Zusammenhang dieses
Kapitels mit dem nächstvorhergehenden, und durchaus passend
würden sich an die Cherusker die Sueben anreihen. Man hat
deshalb vermutet, dass dieser Abschnitt erst nach dem Ab-
schluss der Germania eingelegt ist, um mit der Erwähnung
der Cimbem einen Hinweis auf die Gefährlichkeit der Ger-
manen zu verbinden. In der That hat hier jeder Satz seine
Absicht. Seit dem ersten Auftreten der Germanen im Jahre
113 bis auf Traians zweites Konsulat sind fruchtlose Kriege
geführt und vergebens die Unterwerfung Deutschlands ver-
sucht worden. „Tarn diu Germania vincitur — Quippe regno
Arsacis acrior est Germanorum libertas." Noch gefährlicher
als die Parther sind die Germanen. Selbst die Siege, die
Marius, Caesar, Drusus, Tiberius und Germanicus erfochten
haben , sind den Siegern verhängnisvoll geworden. Und noch
jüngst hat man zwar Triumphe über Germanien gefeiert, aber
es nicht besiegt. Soll nicht mit Traians zweitem Konsulat
ein Wendepunkt bezeichnet werden? Hat nicht ähnlich auch
Phnius die massvolle Haltung des Kaisers gepriesen, ^der,
genährt vom Kriegslobe, dennoch den Frieden liebt, der die
Kriege nicht fürchtet , aber auch nicht herausfordert , der der
Verachtung der Feinde den Namen Germanicus verdankt",
dem endlich der Redner zuruft : „Dass Du selbst nicht kämpfen
willst, bewirkt Deine Mässigung, dass es die^ Feinde nicht
wollen. Deine Tapferkeit*' ^).
Tacitus glaubt keineswegs, Traian habe die Germanen
schon unschädlich gemacht, im Gegenteil, die Nachricht von
der Vernichtung der Brukterer veranlasst ihn, auf die von
Norden her noch immer drohende Gefahr hinzuweisen. ,, Mögen
doch die germanischen Stämme sich in ewiger Zwietracht
zerfleischen, das Schicksal kann dem Reiche kein grösseres
Geschenk machen.'' Nun versteht man auch die wiederholte
Betonung der unerschöpflichen Kraft der freien Stämme, nun
erklärt sich auch der Schluss der Schrift, der den Eindruck
hervorbringt, dass sich die Germanen ins Endlose, ins ünüber-
«) Paneg. 12. 16. 56.
4. Die Germania des Tacitos. 143
lare ausbreiten ^). Die Germania hat keine offensive Ten-
:, sondern sie billigt rückhaltlos die Politik Traians,
die umfassende Sicherung der Grenzen, die die Flavier
)nnen hatten , vollendete und durch Beförderung der innern
ien unter den Germanen das römische Interesse wahrte,
m Gegensatz gegen eine Partei in Rom, die den Kaiser
einem Angriffskriege gegen die Germanen zu drängen
te, giebt Tacitus seiner Überzeugung von der Nutz-
keit einer bewaffneten Offensive beredten Ausdruck *).
/^on den Vorgängen am Niederrhein hatten also die Römer
dem lebhaftesten Interesse gehört. Aber auch auf die
nanen an der Donau war die Aufmerksamkeit des
ikums gerichtet. Domitian war in einen schweren Krieg
Markomannen und Sueben verwickelt gewesen. Nerva
3lt am Tage, an dem Traian adoptiert ward, eine Sieges-
chaft aus Pannonien. Inschriften bezeugen unter Nerva
bellum Suebicum. Und täuscht nicht alles, so beziehen
darauf auch die Worte: ^ Jetzt lassen sich Markomannen
Quaden auch Auswärtige als Könige gefallen. Aber ihre
it und Gewalt beruht auf römischem Ansehen*' 8). Über-
)i sind die Sueben unter Anlehnung an eine Darstellung,
im Osten mit dem Reiche Marbods abschloss, mit unver-
ibarer Vorliebe geschildert und der Übergang Kap. 38:
ic de Suebis dicendum est'', lässt erraten, dass sich
tus bewusst ist , zu einem wichtigen Abschnitt gekommen
lein. Ohne Zweifel war damals in Rom schon bekannt,
Traian beabsichtigte, sich im Laufe des Jahres an die
lu zu begeben*), um die Beziehungen zu den anwohnenden
^) Vgl. Scher er, Litteratargeschichte, der denselben Gedanken aas-
lt.
') Der Versuch Mommsens (Festrede zur Feier des Geburtstages
xichs II., Sitzungsber. der kgl. prenss. Akademie d. Wissenschaften
21. Jan. 1886 S. 41 fg.), darznthnn, dass die Schrift einen Teil der
rien gebildet habe, indem sie eine voraufgeschickte Geographie der
1 Kriegsschanplätze in Germanien gab, widerlegt sich durch die Er-
ng, dass die Germania in keinem Verhältnis zum Umfange der Histo-
iteht, dass insbesondere die meisten der in der Germania besprochenen
ne und Gebiete in den Historien nicht einmal berührt werden,
en, Geschichte d. deutschen Volkes I S. 698, hielt die Germania für
Vorarbeit für geschichtliche Darstellungen, die vielleicht zufällig be-
; geworden sei.
Germ. c. 42.
^) O. Hirschfeld, Zeitschrift fEbr österreichische Gymnasien, XXVUI
5, hat hierauf zuerst hingewiesen. Er teilt unsere Ansicht von dem
Uen Charakter der Germania. Vgl. J. F. Marcks, die Entstehung
Taciteischen Suebia in der Festschrift der hohem Lehranstalten Kölns,
23. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner gewidmet
) S. 177.
144 Drittes Buch.
Germanen zu regeln und den Bau des rätischen Limes in
Angriff zu nehmen.
Alle diese Umstände kamen zusammen und veranlassten
Tacitus, zur Belehrung des Publikums einen für seine Historien
längst gesammelten Stoff zu veröffentlichen mit der Neben-
absicht, seine Leser an die Berechtigung der kaiserlichen
Politik zu erinnern. Ob die Germania die einzige Schrift
dieser Art war? Wir glauben es kaum. Es wird nicht anders
gewesen sein als zu Lucians Zeiten, der über die Flut von
Schriften jammert, welche der Partherkrieg des Verus her-
vorrief: „Da ist niemand, der sich nicht hinsetzt und eine
Geschichte schreibt, nun möchte ich dem Philosophen recht
geben, der den Krieg zum Vater aller Dinge macht, da ein
einziger Feldzug so viele Geschichtschreiber erzeugt hat*^).
Aber des Tacitus Schrift war eine bedeutungsvolle Er-
scheinung, und wenn derselbe Mann, der kurz vorher zu einer
wichtigen Frage der Innern Politik Stellung genommen hatte,
infolge eines besondern Anlasses seine Landsleute auf die
unerschöpfliche Naturkraft der Germanen hinwies, so musste
diese Skizze um so eindrucksvoller sein, als der Verfasser
an den öffentlichen Geschäften hervorragenden Anteil ge-
nommen hatte.
Es ist sehr wohl denkbar 2), dass die Schrift an. eine be-
stimmte Persönhchkeit gerichtet war und in einem verloren
gegangenen Vorwort Tacitus sich näher über den Zweck
derselben und über seinen Beruf zu dieser Arbeit geäussert
hatte. Mit dem Vorwort mag der ursprüngUche Titel der
Schrift verloren sein, denn die herkömmhche Bezeichnung
kann nicht von Tacitus herrühren. Angemessen wäre de situ
ac popuUs Germaniae^).
Es ist schon wiederholt ausgesprochen worden, dass der
Verfasser über einen reichen Stoff verfügte, der aus unmittel-
barer Beobachtung geschöpft sei. Auch eine philologische
Autorität wie Bergk rühmt seine vertraute Bekanntschaft mit
Deutschland; so verrate z. B. die Beschreibung der Lager-
plätze der Cimbern und die Art, wie Tacitus sich über den
Rheinlauf ausdrücke, persönliche Anschauung der örtlichen
^) Lncian, Quomodo sit historia conscribenda , Kap. 2.
') Th. Bergk, Zur Geschichte nnd Topographie der Rheinlande,
S. 40. Lnden, Geschichte des deutschen Volkes, I S. 698: „Dass Tadtas
die Germania ohne Vorwort und alle Umstände mit den Worten anfingt:
„Germania omnis separatur^ ist gegen die Gewohnheit desselben^.
') Vgl. Agricola 10: Britanniae situm populosque referam. Denselben
Titel hat Wölflin aus Codex Leidensis gewonnen. Vgl. Bursians Jahres-
bericht, 1876, Abt. II, S. 776. Vgl. XVIII, S. 237.
4. Die Germania des Tacitns. 145
hältnisse des Niederrheins ^). Mir ist die Anschaulichkeit
ler Schilderung ebenso zweifelhaft wie seine belgische
ation. Ein klares Bild von den örtlichen Verhältnissen
)fängt der Leser ebensowenig wie im Agricola. Auch ist
itus nicht mit allen Seiten des germanischen Lebens ver-
it, ja man könnte seine Schilderung eine einseitige nennen,
bleibe also dahingestellt, ob Tacitus am Rhein und an der
au gewesen ist. Aber an Gelegenheit, genaue Kunde
p Deutschland einzuziehen, hat es ihm sicher nicht gefehlt 2).
iche Gefangene weilten in Rom, flüchtige Häuptlinge suchten
Q Kaiser Hülfe, Männer wie Julius Frontinus, Corellius
IS, Javolenus Priscus^), die zum Freundeskreise des dem
itus nahestehenden Plinius gehörten, haben als Legaten
germanischen Provinzen verwaltet. Und des altern Plinius
h über die germanischen Kriege, das in den Annalen er-
nt wird, konnte eine bequeme Fundgrube abgeben.
Wenn ich die Darstellung in der Germania einseitig ge-
nt habe, so schwebte mir die Wahrnehmung vor, dass
itus in seiner knappen und gedrungenen Schilderung gerade
enigen Punkte, die im Gegensatz gegen entsprechende
ische Verhältnisse standen, in den Vordergrund stellt,
bei einer dem Bedürfnis nach Belehrung Rechnung
enden Schrift nicht auffallend ist. Wie dieser Gegensatz
1 Berichte des Tacitus sein rechtes Licht gibt, hat K. W.
zsch an den Kapiteln wirtschaftlichen Inhalts gezeigt*).
Seine kurze Bemerkung, dass es bei den Germanen un-
annt sei, Wucher zu treiben und Zinsen zu nehmen, habe
m gebildeten Zeitgenossen sagen müssen, dass die Bil-
g eines Kapitalistenstandes damit von selbst ausgeschlossen
. Unmittelbar daran knüpfte er seine Darstellung der
ndbesitzverhältnisse : ;,Die Ländereien werden nach der
1 der Bebauer von der Gesamtheit im Wechsel occupiert,
3he sie bald untereinander nach dem Range teilen^'
3. 26). Nitzsch betont, der Ausdruck occupantur ver-
, dass Tacitus sich den germanischen Ager als ager
^) Kap. 87: Veterisque famae lata vestigia manent, atraque ripa castra
patia, quomm ambitu nunc quoqiie metiaris molem manusque gentis et
magni exitus fidem.
*) G. Freytag, Bilder aus der deutschea Vergangenheit, S. 3 fg.
*) Jener hat im J. 82, dieser im J. 90 Obergermanien verwaltet.
*) Nitzsch, Deutsche Geschichte , I, S. 57 (vgl. S. 62 fg.) : „Ein klares
der Zustände, welche uns Tacitus schildert, wird uns aber nur dann
gewinnen möglich sein, wenn es uns gelingt, auf seinen römischen
ipunkt uns zurückzuversetzen und seine Ausdrücke zunächst in ihrer
n römischen Bedeutung zu fassen." In Bezug auf das Komitat hat
'e Bemerkung weiter ausgeführt E. Ritterling, Das Priestertum bei
Germanen. Histor. Taschenbuch N. F. (VI) 1888 S. 198.
ab ach, Kaisertum und Verfassung. ^^
146 Drittes Buch.
publicus dachte. Die Besitznahme geschah aber bei den Ger-
manen ^ab universis^';. diese Bemerkung zeigte dem römischen
Leser, dass ein Stand von bevorrechtigten Grossgrundbesitzern
den Germanen ebenso vollständig fehlte wie ein Stand von
Kapitalisten. Die weitere Angabe, dass die Besitzergreifung
im Wechsel erfolge, d. h. nicht der gesamte ager auf einmal
besetzt, sondern im Wechsel die einzelnen Flächen des
Gebietes in Anbau genommen werden, deutet auf das ganz
verschiedene Verfahren der Römer hin, welches ermöglicht
hatte, dass das bei der Besitznahme zum Niessbrauch überlassene
itaUsche Gemeindeland festes Eigentum wurde. Die Bemerkung
ferner — „die leichte Möglichkeit zu teilen, gewähren die
Flächenräume der Felder; die Saatfelder wechseln jährlich,
und Land bleibt übrig^' — war für jeden Leser nötig, dem
die dichtbevölkerten Kulturgebiete des Imperiums vor Augen
standen. Wenn endlieh der germanische Ackerbau nur Saat-
bestellung kannte, so waren die Obstpflanzungen, Wiesen-
und Gartenanlagen, die den damaligen italischen Boden
bedeckten, in Germanien unbekannt.
Zu diesen Fällen kann eine aufmerksame Beobachtung
noch andere hinzufügen, in denen bei den Germanen das
Fehlen einer charakteristischen römischen Einrichtung oder
das Vorhandensein einer Eigenschaft, die eine ähnliche Ein-
richtung ausschliesst, hervorgehoben wird.
In Kap. 13 1), wo von der Wehrhaftmachung des ger-
manischen Jünglings die Rede ist, hat Tacitus das römische
Tirocinium im Auge: „Das ist bei jenen die Toga, das der
erste Schmuck der Jugend.^' Es wird eigens betont, dass
dieser feierliche Akt ,^in ipso consilio^ vorgenommen wurde,
während er bei den Römern Privatsache war. Im Gegensatze
gegen römischen Brauch findet auch die mehrfache Hervor-
hebung der Thatsache, dass der freie Germane alle öffent-
lichen und privaten Angelegenheiten bewaffnet erledigt, ihre
Erklärung.
In noch auffallenderer Weise nimmt Tacitus auf eine grund-
verschiedene römische Einrichtung Bezug bei seiner Dar-
stellung der Gefolgschaft der Germanen.
Der Jüngling, der bisher nur ein Teil des Hauses war,
wird durch die Wehrhaftmachung ,;pars rei publicae^. Einige
ganz Bevorzugte erlangen den Rang eines Princeps, einen Rang,
der sonst nur altern und längsterprobten Leuten zukommt*).
^) Kap. 13 , 1 : Nihil neque publicae neque privatae rei nisi armati
agnnt; vgl. c. 22: Tum ad negotia, nee minus saepe ad convivia procedont
armati; c. 11: Ut turbae placuit, considunt armati.
') Kap. 13: Haec dignitas, hae vires magno semper electomm inveninD
globo circamdari, in pace decus, in beUo praesidium.
4. Die Germania des Tacitus. 147
Mehrzahl der Jünglinge tritt in den Komitat eines Princeps
. Diese Comites sind allezeit um die Person des Fürsten.
Frieden sind sie sein Stolz, im Kriege sein Schutz, in
Schlacht gilt es als Schimpf für den Fürsten, von ihnen
Tapferkeit übertroffen zu werden, für das Gefolge, der
Dferkeit des Fürsten nachzustehen^). Die Comites der
lischen Kaiserzeit wurden nur von Fall zu Fall berufen,
Hülfsbeamte für die Zwecke der Justiz und Verwaltung,
tener für militärische Aufgaben.
Wenn weiter betont wird, dass die germanische Gefolg-
aft Abstufungen hat, die nach dem Urteile der Gefolgs-
ren bestimmt werden, so ist nicht zu vergessen, dass die
:egorieen der kaiserlichen Comites teils ritterlichen, teils
latorischen Ranges waren, letztere} in Konsulare, Prätorier
5. w. zerfielen. Sie gehörten den höchsten Kreisen an.
den Germanen werden sie „ex plebe* genommen.
Das deutsche Gefolge lebt von Raub und Krieg, das
lische bezieht einen festen Gehalt aus der Staatskasse^),
erhaupt misst Tacitus der germanischen Einrichtung, die
Unternehmungslust der Jugend begünstigte und zügelte,
e ungleich höhere Bedeutung bei, als die ähnliche Ein-
itung der Römer gehabt hat.
In denselben Zusammenhang gehören auch die Worte:
5C rubor inter comites aspici", die einen neuen Gedanken
leiten; durch sie wollte der Schriftsteller im Gegensatz
der durch den Zusatz ex plebe hervorgerufenen Ansicht
j Römers die germanischen Comites als einen immerhin
ht angesehenen Stand bezeichnen. Sie sind „consilium
lul et auctoritas^'; sie bilden ein consilium, an dessen Aus-
uch der princeps gebunden ist, während der römische
nzeps von den Comites nur einen für ihn nicht verbind-
len Rat empfängt s).
Es wird nicht nötig sein, die andern Beispiele eingehend
besprechen; Das Walten weiser Frauen (K. 8), die An-
ung der Götter im Schauer heiliger Ehrfurcht (K. 9), die
:enartigkeit der Volksversammlung (K. 12), die Polizei-
valt der Priester (K. 11), die getrennte Ansiedelung (K. 16),
Gesundheit der ehelichen Verhältnisse (K. 18, 19), die
sstattung der Gattin durch den Ehemann (K. 18), die Eigen-
^) Vgl. über das Eomitat: Mommsen, Hermes, IV S. 120 fg. und
nisches Staatsrecht, II, 235, 807.
') Kap. 14: Exigunt enim principis sui libertate iUam beUatorem eqaum,
m cmentam victricemque frameam; nam et epalae et quamquam incompti
p. tarnen apparatus pro stipendio cedont.
») Ritterling, a. a. O. S. 201.
10*
148 Drittes Buch.
tümlichkeit des germanischen Erbrechtes (K. 20), Blutrache
und Wergeid (K. 21), die grundverschiedene Lebensweise
(K. 22), das Fehlen pompöser Spiele (K. 24), die Stellung
des germanischen Hörigen (K. 25), die Einfachheit der Leichen-
begängnisse (K. 27): alles wird in zugespitzten Sätzen im
Gegensatze „zu unserer Sitte'' (K. 16, 25) geschildert.
Mit einem Worte, diese Art der Darstellung, welche die
Gegensätze gegen römisches Leben absichtlich hervorhebt,
verträgt sich vortrefflich mit dem Zwecke der Schrift, das
römische Pubhkum über Germaniens Natur und Völker, die
seit dem Regierungsantritt des'^^Traian wieder im Vordergrunde
des öffenUchen Interesses standen, eingehender zu unterrichten.
Mit demselben Zwecke verträgt sich sehr wohl, dass der
Ausdruck sich vielfach an Seneca anlehnt und die Darstellung
der Sitte und Volksart unter dem Einfluss seiner Anschauungen
ideaUsiert worden ist^).
FÜNFTES KAPITEL.
Traian, Tacitus und Plinius.
Am 28. Januar 98, nicht lange nach Verginius Rufus, war
Kaiser Nerva gestorben. Im Sommer des folgenden Jahres
zog unter endlosem Jubel Traian, den die Sorge . für einen
gesicherten Grenzschutz an Rhein und Donau* festgehalten
hatte, in seine Hauptstadt ein. ^ Alles war angefüllt mit
Altären, bedeckt mit Opfern. Aller Wünsche vereinigten sieh
zur Wohlfahrt eines einzigen.^ Noch ehe zwei Jahre vergingen,
trat dieser geborene Heerführer in eine grosse kriegerische
Action ein, die zur Demütigung des Decebalus und schliesslich
zur Erweiterung des Imperiums über die Ufer der untern
Donau, und zur Erwerbung eines neuen Kolonistenlandes führte.
Es waren Jahre frischen Aufschwungs, neuer Hoffnung, in
denen das ganze römische Volk noch einmal auflebte und
kräftig seine Arme regte. Es waren dieselben Jahre , in denen
die Historien des Tacitus reiften.
Von den äussern Verhältnissen des Tacitus ist uns leider
wenig bekannt, und das Wenige beschränkt sich auf orakel-
hafte Andeutungen. Mit Plinius gemeinsam führte er in dem
skandalösen Prozess des Marius Priscus die Sache der aus-
^) Zimmermann, a. a. O. S. 54 n. S. 67.
5. Traian, Tacitus and Plinius. 149
Dgenen Provinz Afrika. Er sprach ^mit ausserordentlicher
;anz und mit der ihm eigenen Würde" und erntete für
le Mühewaltung eine besondere Anerkennung des Senates ^).
;dem ist von einer öffentlichen Thätigkeit nur eine Spur
finden: die inschriftlich bezeugte Verwaltung der Provinz
a. Er hat sich also ebensowenig wie Plinius , der die Ab-
it wiederholt ausspricht, von den Geschäften zurückgezogen,
ausschliesslich seinen Studien zu leben.
Zu seinem Freundeskreise gehörte der Adressat des
iogus Fabius Justus, der im Jahre 102 zum Konsulat ge-
jte, L. Dasumius, ebenfalls konsularen Ranges, der ihn
seinem Testament neben Plinius nennt. ,,Eine Menge
nbegieriger fand, seinen Geist bewundernd, sich ein."
hatte die Gewohnheit, dem Dienste der Minerva und
aa gleichmässig zu huldigen und war der Meinung, dass
lichte am besten „inter nemora et lucos" gelängen^). Mit
3SS und Lanze fing er den Eber auf. Während wir von
und vielen andern namhaften Männern dieser Epoche
m mehr als die Namen kennen, liegt uns von Plinius ein
ständiges Lebensbild vor.
Tacitus und Plinius, angesehene Redner und Sachwalter,
ch geschäftliche und litterarische Interessen verbunden,
l durchaus verschiedene Charaktere. Tacitus von starrem,
m Römersinn erfüllt, Plinius empfindsam und eitel, mit- ^
3r naiv wie ein Kind. Aber seine Weichheit hat einen
lanen Zug, seine Eitelkeit ist harmlos und seine Naivetät
enswert»). Cicero, Seneca, Plinius sind die Namen, welche
Fortschritt von dem national römischen zu einem allgemein
ischlichen Standpunkte bezeichnen.
Des Tacitus Anschauungen sind von Humanität weit ent-
it. Das Gladiatorenblut, das Drusus, des Tiberius Sohn,
jiesst, ist ihm wertlos*). Wenn unter Tiberius 4000 Frei-
issene jüdischer Abkunft auf Senatsbeschluss nach Sardinien
ortiert werden, damit sie unter der Wirkung seines Fieber-
las ein schleichendes Ende finden, so hat der Römer dafür
entschuldigende ;,vile damnum^' zur Hand^). Die Juden
ndmarkt er als ,,odium generis humani^^ Kalt und mit-
*) Ep. 2, 11.
') Ep. 9, 10 an Tacitus: Aprorum tanta pemiria est, ut Minervae et
lae quas als pariter colendas , convenire non possit; 1, 6, 3: Experieris
Dianam magis montibus quam Minervam invocare.
•) Vgl. Bender, Charakter des jungem Plinius. — Ep. 7, 27 erörtert
Frage, ob es Gespenster gebe.
*) Ann. 1, 76: Vili sanguine nimis gaudens.
•) Ann. 2, 85: Si ob gravitatem caeli interissent, vile damnum. Vgl.
perdey, Tacitus ed. Andres en, Einleitung.
150 Drittes Buch.
leidlos klingt der Bericht über die Hinrichtung der Christen,
deren angezündete Leiber als Fackeln Neros Gärten er-
leuchteten, ja sie haben ihre Marter verdient i). In seinen
Augen ist der Wert der Menschen durch ihr Blut bedingt;
seinem engherzigen Urteil erscheint das Verbrechen der Livia
verabscheuungswürdiger, weil ihr Buhle aus einem Municipium
stammte^). Aber man darf nicht verkennen, dass in solchen
Äusserungen eine römische Ader schlägt.
Tacitus ist der bedeutendere Geist, Plinius sieht zu ihm
empor, eifert ihm nach, freut sich, dass sein Name neben
dem des Tacitus im Mande der Leute ist^). Als Jüngling
setzte er seinen Stolz darein, dem Tacitus, der sich schon
eines bedeutenden Namens erfreute, zu folgen, wenn auch
in weitem Abstände der nächste nach ihm zu sein. Plinius,
der sich auf verschiedenen Gebieten des Wissens versuchte,
ist auch geschichtlichen Studien nicht fremd geblieben. Titinius
Capito forderte ihn auf, ein historisches Werk zu schreiben.
Der Brief, in dem Plinius, „diese Aufforderung zur Zeit noch
ablehnt, mit dem stillschweigenden Einverständniss , dass ein
grosser litterarischer Erfolg nur auf diesem Gebiete zu gewinnen
sei, ist allem Anschein nach geschrieben unter dem Eindruck,
den der Vortrag der ersten Bücher der Historien auf die ge-
bildete Welt Roms notwendig machen musste, und geschrieben
mit dem Gefühl eines Schriftstellers, der einen bisher neben
ihm und wesentlich gleichstehenden Kollegen plötzlich in
mächtigem Flug sich erheben und alle bisherigen Genossen
so weit hinter sich lassen sieht, dass die Rivalität verstummt
oder wenigstens sich selbst vertröstet auf spätere Thaten**).
^) AnD. 15, 44: Adversus sontes et novissima meritos.
») Ann. 4, 3.
. ') Ep. 7, 20: Eqoidem adulescentalus, cum iam ta fama gloriaqae
floreres, te sequi, tibi ^longo sed proximus intervaUo'' et esse et haben
concupiscebam ... tu mihi maxime imitabilis, maxime imitandus vide-
baiis. vgl. 9, 23; 4, 15, 1 und Mommsen, Hermes, III S. 51. — Von
den Briefen des Plinius sind an Tacitus gerichtet 1, 6; 20; 4, 13; 6,
9; 16; 20; 7, 20; 33; 8, 7; 9, 10 u. 14, Vgl. über die Beziehungen
zwischen beiden Urlichs, De vita Taciti, S. 15, der zu falscher
Datierung einzelner Briefe gelangt. Richtig aber ist, dass Epist. 4, 2 um
das Jahr 103 geschrieben ist. Denn Plinius, der nach Niederlegung der
praefectura aerari im Jahro 101 nach Comum gereist war, begrOsst ihn
nach seiner Rückkehr auf dessen Tuscanum. Ep. 6, 9 (106?) setzt de«
letztern Abwesenheit voraus. In der Zwischenzeit scheint er kein hervor-
ragendes Amt geführt zu haben.
*) Vgl. Boissier, a. a. O. S. 297, der diese Beobachtung Mommsens
ebenfalls für zutreflfend hält. Sie findet sich Heimes, III S. 108, in dem
Aufsatz über die Lebonsgeschichte des jungem Plinius, der über die
Grenzen unseres Vaterlandes hinaus anregend und frachtbar gewesen ist
5. Traian, Tacitus and Plinius. 151
Mit der Absicht, die Geschichte der nächsten Vergangen-
. und der Gegenwart darzustellen, hatte sich Tacitus schon
der Abfassung des Agricola getragen, und die Biographie
les Schwiegervaters sowie die Germania rühren aus den
nmlungen her, die er für diesen Zweck angelegt hatte.
3r in der Folge ward der ursprünghche Plan teils erweitert,
s beschränkt, insofern er mit dem 1. Januar des Jahres 69
;ann und bis Domitians Tode herabging. Es ist die Frage,
nn die Bücher der Historien erschienen sind. Dass sie
ht auf einmal ins Publikum kamen ^), ist ebenso sicher
3 die successive Veröffentlichung der Epigramme des
rtial und der Hauptbriefsammlung des PUnius. Das erste
i zweite Buch, die unter sich eng verbunden sind und
en bedeutsamen Schluss haben, in dem der Verfasser zu
1 Geschichtschreibern derFlavischen Dynastie Stellung nimmt,
Den wohl den Anfang gemacht.
Für die genaue Datierung geben die Briefe des Plinius den
[zigen Anhaltspunkt 2). Die drei ersten Bücher eröffneten die
ihe um das Jahr 104. Die letzte Gruppe gelangte vor 111,
welchem der Verfasser die bithynische Legation übernahm,
. Publikum. Die spätem Bücher enthalten auch Briefe aus
herer Zeit. Man kann also nicht ohne weiteres eine in
nselben vorkommende Anspielung auf die Zeit beziehen,
der die Herausgabe erfolgte.
Da aber Tacitus in den ersten vier Büchern nur als be-
timter Redner erscheint, so wird man gut thun, mit Mommsen
schUessen , dass die frühern Bücher seiner Historien nicht
r dem Jahre 104 bekannt geworden sind. In seiner Ausse-
ng, dass er die Schilderung des Principats des Nerva und
•aian, einen reichern und gefahrlosem Stoff, dem Greisen-
ier aufgespart habe, kann man eine Anspielung auf die Er-
Ige des ersten Dakerkrieges sehen, der im J. 103 beendigt
arde. Im sechsten, nicht vor 109 veröffentHchten Buche
ilt Plinius seinem Freunde Einzelheiten über den Untergang
lines Oheims beim Ausbruch des Vesuvs mit, in einem
idern Schreiben empfiehlt er ihm eine freimütige Äusserung,
6 er im Jahre 93 gethan hatte, in sein unsterbliches Geschichts-
erk aufzunehmen. Da diese Briefe leider keinen chrono-
•gischen Anhaltspunkt haben, so folgt daraus nur so viel.
^) Th. Mommsen, Hermes, III S. 106, H. Nissen, Rheinisches
:useum, XXVI S. 535.
■) Th. Mommsen, hat im Hermes, IH, 36 — 53, nachzuweisen gesucht,
US die Bücher der Briefsammhmg des Plinius in den Jahren 97 — 108
inzeln erschienen sind. Dass mit dieser Annahme eine Reihe von Einzel-,
eiten unvereinbar ist, wurde von mir im Rlieinischen Museum, XXXVI
.38—49, erörtert.
152 Drittes Buch.
dass Tacitus nach 104 und vor 109 bis zu der letzten Zeit
Domitians gelangt war. Etwas weiter führt uns der sechzehnte
Brief des neunten Buches, in dem der Verfasser eine der
Schilderung der dakischen Kriege entlehnte Wendung citiert.
Plinius hat die letzten Bücher der Historien gelesen; auf
jeden Fall war also das ganze Werk um das Jahr 109, wahr-
scheinlich schon früher vollendet. Denn das fertige Werk,
dessen erhaltener Teil bekanntlich in den Verhandlungen
zwischen Petillius Cerialis und Civilis abbricht, kann nur zwölf
Bücher umfasst haben. Die letzten Bücher wurden also in
den Jahren, in denen die Augen der Römer von neuem auf
die kriegerischen Vorgänge an der Donau gerichtet waren,
bekannt gemacht. Da kann man sich vorstellen, welchen Ein-
druck die Schilderung der Misserfolge, die Domitian an der
Donau gehabt hatte, hervorrufen musste, nachdem die dakische
Nation, die sich in den frühern Kriegen behauptet hatte,
durch Traian vernichtet und ihr Gebiet in ein Kolonistenland
verwandelt war. Man kann sich auch denken, wie die Dar-
stellung der Kriege Domitians unter dem Eindrucke der Erfolge
Traians gestanden haben mag.
Als Tacitus die Einleitung zu den Historien schrieb, hatte
er die Darstellung seiner eigenen Zeit ins Auge gefasst; was
ihn bewogen hat, diesen Plan fallen zu lassen und sich der
Geschichte des Julisch-Claudischen Hauses zuzuwenden, lässt
sich nur vermuten. War es Uberdruss an der Gegenwart,
die nicht alle Hoffnungen der ersten Jahre des neuen Regiments
erfüllt sah? Sagte seiner pessimistischen Stimmung ein Nacht-
gemälde aus dem ersten Jahrhundert besser zu?
Jedenfalls hat er bei seinen Zeitgenossen Beifall und Be-
wunderung gefunden. Dafür spricht, von den Zeugnissen des
Plinius abgesehen, die Beharrlichkeit, mit der ein Mann, der
sich als Redner einen Namen gemacht hatte , sich bis zu seinem
Lebensende der Geschichtschreibung widmete^).
Die Bücher Ab excessu divi Augusti setzen jedenfalls die
Vollendung der Historien voraus 2). Aber die Abfassung wird
*) Ph. Fabia, Les ouvrages de Tacite r^nssirent-ils de ses contem-
porains? Revue de philol. 1895 S. 1—10.
') Ann. 11, 11. Den Umfang der ganzen Kaisergeschichte hat der
Kirchenvater Hieronymus auf 30 Bücher angegeben („Cornelius Tacitus
qui post Augustum usque ad mortem Domitiani vitas Caesarum XXX volu-
minibus exaravit"). Anknüpfend an eine Vermutung Ritters hat O. Hirsch-
feld (Zeitschrift für österreichische Gymnasien, 1877, S. 811) für die
Annalen 18, für die Historien 12 Bücher in Anspruch genommen, weil der
reiche StoflF, den die Jahre 66—69 boten, unmöglich in dem verlorenen
Teile des 16. Buches Platz hatte. Die Verteilung wird nicht nur durch
einen Vergleich mit Dio unterstützt, sondern es ist auch die Gliederung
der Annalen in Hexaden 1—6 (Tiberius), 7—12 (Caligula, Claudius), 13—18
6. Tacitus^ politischer Standpunkt in den Historien und Annalen. 153
les Erachtens vor das Jahr 115 anzusetzen sein. Man
vertet zum Beweise einer spätem Veröffentlichung II, 61,
die Bemerkung, dass das römische Reich sich damals bis
Rote Meer erstreckte, auf Traians Eroberungen jenseits
Euphrat hinweisen soll, auf die Hadrian im Jahre 117
.ichtet habe. Man hat aber dabei übersehen, dass schon
Jahre 106 der Strich Arabiens von Damaskus bis zum
en Meere durch A. Cornelius Palma dem Reiche als Pro-
einverleibt worden war, ein Erfolg, der dem tüchtigen
aten nicht nur ein zweites Konsulat und die Triumphal-
ue eintrug, sondern auch auf Münzen erwähnt wird^).
shalb sollte man auch annehmen, dass der alternde Tacitus
eine Reihe von Jahren nach dem Abschluss der Historien
die Abfassung eines neuen Werkes ging? Man muss viel-
ir II, 61 auf die eben erfolgte Erweiterung des römischen
3hes beziehen und die Herausgabe des ersten Teiles der
lalen um das Jahr 110 ansetzen. Wann aber das Werk
endet wurde und ob sein Verfasser die Regierung des
Irian noch erlebt hat, ist ebenso dunkel wie seine letzte
enszeit überhaupt, von der wir ausser dem Prokonsulat
Asien nichts wissen. Er wird es in derselben Zeit
Plinius Bithynien verwaltet haben. Glücklicherweise ist
Forschung in der Lage , mit einiger Sicherheit die wichtige
ge zu lösen, welchen politischen Standpunkt Tacitus'
chichtswerke vertreten.
SECHSTES KAPITEL.
icitus' politischer Standpunkt in den
Historien und Annalen.
;,ln den Historikern, namentlich in ihren politischen An-
auungen, reflektiert der Geist der Epoche, in der sie
reiben*' 2). In den letzten Jahren Domitians war der Senat
o) durchaus beabsichtigt. E. Wölfflin, Die hexadische Komposition
Tacitus Hermes XXI, S. 156, ist darauf zurückgekommen. Die Re-
cmg der Flavier und ihrer Vorläufer habe die 4. und 5. Hexade gefüllt.
Hexaden des Tacitus zerfallen wieder in Triaden. B. III schliesse mit
. Tode des Vitellius; auf Vespasian und Titus werden die Bücher
3, auf Domitian 7 — 12 gefallen sein. Annalen B. IV beginne die 2. Hälfte
Begierung des Tiberius. Hexadische Komposition ist auch bei andern
chischen und römischen Schriftstellern nachgewiesen.
^) Vgl. Schiller, Römische Kaisergeschichte, I, S. 554.
*) Ranke, Weltgeschichte, III, 1, 267. Vgl. Boissier, a. a. O.
i88 fg. C. Thiaucourt, Les historiens latins. Paris (1888).
154 Drittes Buch.
bedeutungslos, nur geringfügige Angelegenheiten gelangten
ausser Kriminalprozessen zur Verhandlung, und über diese
konnte er nicht einmal frei und unbehindert entscheiden.
Wir sahen, dass in dem Masse, wie die Bedeutung des Reichs-
rates geschwächt wurde, Rittern und Freigelassenen die wich-
tigsten Posten der Staatsverwaltung übertragen wurden. Welche
Veränderung war dann nach dem Tode des Regenten einge-
treten, der seine Herrschaft nicht mit dem Senat teilen
mochte, sondern dem Grössten wie dem Kleinsten den
Stempel persönlicher Willkür aufgedrückt hatte! Es war die
entgegengesetzte Tendenz zur Herrschaft gelangt. Über die
Stimmung der vornehmen Gesellschaft der Hauptstadt in den
ersten Jahren Traians giebt uns eins der wichtigsten littera-
rischen Denkmäler dieser Epoche, der Panegyricus des Plinius,
Aufschluss: ,,Die Tugenden kommen jetzt wie ehemals unter
der Freiheit zur Geltung/' „Du wählst dir Freunde aus den
Besten, und mit Fug und Recht sind einem guten Fürsten
die liebsten, die ein böser hasste.^' „Da weisst, dass der
Dominat das gerade Gegenteil des Prinzipats ist.^ Der Lob-
redner hört mit Staunen, dass das Gesetz über dem Herr-
scher stehe, staunend sieht er, dass der Princeps stehend
dem Konsul zu sitzen erlaubt (K. 45, 64).
Und in der That muss auch eine unbefangene Forschimg
gestehen, dass alle Entschliessungen Traians von Rücksicht
auf die Ansprüche Jener Abkömmlinge von Helden, jener
letzten Söhne der Freiheit^' bestimmt sind. Schon in Germanien
hatte er die senatorischen Generale durch seine Herablassung
gewonnen^). Nach seinem Einzüge in Rom, bei dem er zu
Fuss einherschritt, verkehrte er mit den Mitgliedern des Senats
wie ein einfacher Senator, empfing und entliess sie mit
gnädigen Kusse und trug bei der Besetzung der höchsten
Stellen ihren Wünschen Rechnung. Ja er hatte wie Titus und
Nerva dem Senat gegenüber auf die Ausübung seiner kaiser-
lichen Kriminalgerichtsbarkeit verzichtet. Und das Unerhörte
wurde jetzt gestattet: der verpönte Kultus der Helden der
untergehenden Republik galt jetzt als eine harmlose Lieb-
haberei, und selbst seine Münzen knüpfen an die republi-
kanischen Erinnerungen an 2). Die ersten fünf Jalu-e Neros
^) Paneg., 19: Tu tarnen maior omnibus quidem eras, sed sine ullins
deminutione maior — itaque perinde summis atque infimis carus sie impe-
ratorem commilitonemque miscueras, ut studinm omuium laboremqae —
intenderes etc. — Paneg., 23: Gratnm erat cunctis, quod senatum osculo
exciperes, ut missus osculo faeras. (Vgl. Kap. 65; 69; 71; 76.)
«) Dio 58, 5, 2. Eutrop, 8, 4. -- Über die Auffrischung der Er-
innerung an die Republik, vgl. Schiller, Römische Kaisergeschichte I
S. 564; Mommsen, Römisches Münzwesen, S. 758.
6. Tacitns' politischer Standpunkt in den Historien und Annalen. 155
en Gegenstand seiner Bewunderung. Alle Kaiser seien
inter zurückgeblieben*). Da er Majestätsprozesse nicht
;attete, so war dem Unwesen der Delatoren ein Ende
lacht. Durch dieselbe Rücksichtnahme wurden die übrigen
3sen der Bevölkerung an den neuen Regenten gefesselt,
3en Spenden und Tierhetzen Domitians Leistungen auf
1 Gebiete der Volksbelustigungen noch übertrafen. Durch
tere Ausbildung der von Domitian begründeten, von Nerva
eiterten Alimentationen unbemittelter Kinder befestigte er
Sympathieen Italiens. Es entsprach wohl der allgemeinen
nmung, wenn ihm der Senat den Beinamen Optimus er-
:e, den er allerdings in seiner Titulatur erst seit dem
re 114 führte 2).
Wir entsinnen uns, dass Tacitus eine Säule der neuen
jierung war, die sich von den Tendenzen der unbeschränkten
Tschaft, wie sie besonders Domitian gehegt hatte, lossagte.
e hat nun Tacitus in den Historien sich zur Vergangen-
t gestellt, die er schon im Agricola in dem Tone des
scheus geschildert hatte?
;i,Des Geschichtschreibers Parteilichkeit", heisst es in der
Jeitung, „erregt leicht Widerwillen. Verleumdung und
leelsucht finden williges Gehör. Trifft ja doch die
imeichelei der schnöde Vorwurf der Servilität; der Bosheit
ilignitati) haftet der falsche Schein der Freiheit an. — Wer
hl unverfälschter Treue rühmt, darf niemand mit Liebe oder
j Hass schildern." Eine solche Unparteilichkeit scheint in
er Zeit, wo zu denken, was man will, und zu sagen, was
n denkt, erlaubt ist, leicht zu sein. Das Glück der Gegen-
rt blendet seinen Blick, so oft er rückwärts schaut. Er
tscht sich. Es war unter Nerva und Traian nicht leicht, die
schichte der nächsten Vergangenheit unparteüsch zu er-
ilen, und Boissier^) ist den Beweis der Ansicht, dass der
)sse Rhetor sein Wort eingelöst hat, schuldig gebheben.
Die Einleitung giebt eine gedrängte Übersicht über den
lalt seiner Geschichte: Fürstenmord und Niederlagen, ent-
ihte Cermonien und Aufsehen erregende Ehebrüche, ein
t Verbannten erfülltes Meer und mit Blut getränkte Felsen-
ande sind sein Thema. ,,Grässlicher noch ward zu Rom
wütet: abgelehnte und verwaltete Ehrenstellen galten als
rbrechen, und wegen Vorzüge drohte unvermeidlicher
*) Victor, ep. 5: Iste quinquennio tolerabilis visus: unde quidam prodidere
lianum solitum dicere procul distare cunctos principes Neronis quinquennio.
«) Vgl. Paneg. 2 u. 88. Dierauer, a. a. O., S. 42.
*) BoiefBier, a. a. O., S. 287 fg.: „Quaut a la passion pulitique, qu'on
mse d'avoir trouble son jugemont, on pout, je crois, aftirmer qu'eUe est
lente de ses ouvrages."
156 Drittes Buch.
Untergang, und ebenso verhasst waren der Delatoren Preise,
wie ihr Frevel, da einige Priestertümer und Konsulate, wie
Beutestücke, andere Prokuraturen und geheimen Einfluss bei
Hofe gewannen, indem sie durch Erregung von Hass und
Schrecken alles in Bewegung brachten, ja über den Haufen
warfen. Sklaven wurden gegen ihre Gebieter bestochen, Frei-
gelassene gegen ihre Patrone, und die keine Feinde hatten,
durch Freunde überwältigt.^
Das sind die Umrisse des Bildes, in dem Domitians Herr-
schaft dem Tacitus erschien. Kein Wort von den äussern
Erfolgen seiner Regierung, von der Erweiterung des Reiches
über den Rhein und der Anlegung der Grenzwehr, keine An-
deutung von der Trefflichkeit seiner Reichsverwaltung. Ja er
wagt die Behauptung, dass Britannien nach seiner Bezwingung
sofort aufgegeben sei^).
Es sind dieselben Anschauungen, wie sie in dem Panegy-
ricus des Plinius zum Ausdruck kommen. Die Dankrede, die
dieser als Konsul im September 100 hielt, war planmässig
angelegt und in einer ihrem Zwecke angemessenen Form
durchgeführt. Nach der eingehenden Untersuchung von
J. Dierauer^) hat der Redner diese „gratiarum actio" während
des ersten dakischen Krieges in einem kleinen Werke er-
weitert herausgegeben. Die Jüngern Zusätze, die ohne besondere
Mühe von den ursprünglichen Teilen der Lobrede losgelöst
werden können, sind durchweg gegen Domitians Persönlich-
keit und Regierungsweise gerichtet; alle sind so gesucht,
dass der Zusammenhang der Gedankenreihen dadurch unter-
brochen wird, zum Teil so ungerecht, dass durch blosse
Vergleichung mit Sueton ihre Haltlosigkeit dargethan werden
kann. Gerade diese Stellen weisen die überraschendsten
Übereinstimmungen mit seines Freundes Urteil über Domi-
tian auf.^)
„Die vorigen Fürsten fanden mehr Vergnügen an den
Lastern als den Vorzügen der Bürger.^ „Freunde üben
wiederum Treue, Kinder Ehrfurcht, Sklaven Gehorsam.* Er
giesst die Schale seines Zornes über das Haupt des Fürsten,
der die Sklaven gegen ihre Gebieter verhetzte, er schildert
die Klippen, an denen unschuldige Verbannte schmachteten,
die Inseln, welche Scharen von Senatoren bevölkerten. Er
^) „Britannia perdomita et statim omissa", „rhetorische Übertreibung",
Heraus in seiner Ausgabe der Historien.
') In den Beiträgen zu einer kritischen Geschichte Traians, S. 190 fg.
Von der Überarbeitung handelt Plinius, ep. 3, 18. — Auf sprachliche
Übereinstimmungen zwichen dem Agricola des Tacitus und dem Panegyriens
des Plinius hat Urlichs, De vita Taciti, B. 22, aufinerksam gemacht
8) c. 45; 34; 55; 88.
6. Tacitus^ politischer Standpunkt in den Historien und Annalen. 157
It, dass Traian den Delatoren das Handwerk gelegt habe,
5 der Einüuss der Freigelassenen, die einst über Prä-
n, Priester tümer , Konsulate verfügt hatten, endlich ge-
lben sei.
Auch des Plinius politische Ideale hat Traian verwirklicht,
stellt im Panegyricus den Prinzipat dar, dessen Inhaber
it ohne Verantwortung das Reich zum allgemeinen Besten
valtet, im Gegensatz gegen den Dominat des Fürsten,
den Staat wie der Hausherr sein Gehöft behandelt i).
über seine Stellung zu derselben Frage hat sich Tacitus
nähern in der uns bekannten Rede geäussert , die er dem
5er Galba nach vollzogener Adoption in den Mund legt.
Gelegenheit, die er dazu wahrnahm, ist beachtenswert,
n es lag nahe, die Politik Galbas, der im Einvernehmen
dem Senate das Imperium übernommen und geführt hatte,
derjenigen Nervas zu vergleichen, der im Grunde die
itsordnung wieder aufrichtete, die Galbas Nachfolger zer-
t hatten.
Wir erinnern uns, dass Galba von dem Gedanken aus-
t, des Reiches ungeheurer Körper vermöge ohne Lenker
it zu stehen und im Gleichgewicht zu bleiben; dass er
. auf den Vorgang des Augustus beruft, aber nicht wie
er im Kreise seiner Verwandten, sondern im Staate
len Nachfolger suchen wolle. Die Rede betont nachdrück-
, dass es etwas Zufälliges sei, von Fürsten Leben und Da-
i zu haben, dass dagegen bei der Adoption das Urteil frei
and nur des Volkes Stimme beachten müsse. Bedeutungsvoll
schliessUch der Hinweis auf Nero, das erste Beispiel eines
irteilten Fürsten, auf die Unsicherheit der Lage des
ites, auf den Charakter der Römer, die weder völlige
chtschaft noch völlige Freiheit zu erdulden imstande sind.
Wie Tacitus in dem ersten Satze der Historien seine
rzeugung ausspricht, dass die Alleinherrschaft im Interesse
öffentlichen Friedens notwendig war, so wünscht er hier
) Autorität, die das Reich im Gleichgewicht halten könne
gleichzeitig dem Freiheitsbedürfnis der Römer Rechnung
[e. Eine Bürgschaft für die Ausübung der höchsten Ge-
t in diesem Sinne, ein Schutzmittel gegen eine neue Ent-
mg des Prinzipats sieht Tacitus in der Adoption.
Die Gedanken, die er Galba ansprechen lässt, kehren zum
l in wörtlicher Übereinstimmung in dem Panegyricus
der 2), ohne dass man aus dieser Übereinstimmung eine
*) Vgl. Eanke, Weltgeschichte, 111, 1, 276; vgl. Paneg. 2.
*) Dies hat zuerst treffend hervorgehoben J. Dieraner, Geschichte
ans, S. 23.
158 Drittes Buch.
Benutzung der Gesichtspunkte, die Plinius aufstellt, durch
Tacitus herleiten dürfte. Beide gaben vielmehr die Vorstellungen
wieder, denen damals die einflussreichsten Männer der Haupt-
stadt huldigten, und man darf schon hieraus schliessen, dass
beide Äusserungen der öffentlichen Meinung, also das Erscheinen
des Panegyricus und der ersten Gruppe der Historien , zeitlich
nicht weit auseinanderfallen. Dazu stimmt auch, dass die
Erwägungen, die Plinius über die Bedeutung der Adoption
einflicht, in der vor dem Kaiser im Senate gehaltenen Rede
fehlten. Denn auf jeden Fall wäre die Form der Auseinander-
setzung, die nicht von dem vollzogenen Akte handelt, sondern
ausführt, was ein Fürst in ähnlicher Lage thun sofle, im
Senate vorgetragen, anstössig gewesen. Auch Plinius wünscht,
dass der Erbe der höchsten Gewalt nicht in der eignen
FamiUe gesucht, sondern aus der Gesamtheit der Bürger aus-
gewählt werde. Es sei ja biUig, dass, wer allen gebieten solle,
aus allen gewählt werde.
In dem Gebete am Schluss der Schrift wird Juppiter
CapitoHnus angefleht, wenn dereinst die Bestimmung eines
Nachfolgers nötig werde, die Entscheidung des Kaisers zum
Heile des Reiches auf den rechten Mann zu lenken. Hier wie
dort wird also der Gedanke der gleichen Berechtigung aller
nachdrücklich betont. Aber Tacitus sieht in dem Prinzeps
doch keineswegs einen blossen Vorsteher des Gemeinwesens,
welchem die Senatoren gleich seien; nein, er nimmt für ihn
volle Herrscherrechte in Anspruch.
Helvidius Priscus, der Wortführer der Stoiker, ist Tacitus
oflenbar eine sympathische Persönlichkeit. „Vom Charakter
seines Schwiegervaters Thrasea hatte er vor aUem die Liebe
zur Freiheit in sich aufgenommen: in allen Verhältnissen des
Lebens sich gleich, Verächter des Reichtums, starr fest-
haltend am Rechten, standhaft gegen Schrecknisse*^). Aber
das Lob der Mässigung wird ihm versagt: j,Er schien vielen
massloss nach Ruhm zu streben, wie denn selbst der Weise
sich der Ehrliebe nur zuletzt entäussern kann*. Mit dieser
Schwäche war weder der Pontifex L. Piso, der keines knech-
tischen Beschlusses Urheber, so oft die Not drängte, weise
und massvoll auftrat, noch Cn. Agricola behaftet, der nicht
einmal den Ruhm, um den sich oft auch gute Männer be-
mühen, durch Prunken mit seiner Tüchtigkeit oder künstlich
suchte.
*) Hist. 4, 5 (vgl. o. S. 60 fg.) — Ann. 6, 10: (Piso) nullius servilii
sententiae sponte anctor et quotiens necessitas ingrueret sapienter moderaix-
Agricola c. 9: Ne famam quidem cui saepe etiam boni indulgent osten-
tanda virtute aut per artem quaesiyit.
G. Tacitus' politischer Standpunkt in den Historien und Annalen. 159
Unter Galba hatte er Thraseas Angeber, den beredten
ius Marcellus, zur Rechenschaft zu ziehen gesucht; dieser
jriff hatte den Senat entzweit, ^denn mit Marcellus stand
I fiel ein Heer von Schuldigen". Da Galba sich zu einem
schreiten gegen den einflussreichen Konsular nicht ent-
liessen konnte, so Hess Priscus auf das Zureden vieler
latoren seine Klage fallen, was ihm von einigen das Lob
' Mässigung, von andern den Vorwurf der Charakter-
gkeit eintrug. Tacitus weiss nicht, ob die beabsichtigte
3he erhabener oder gerechter war. Aber die damals
I ihm bewiesene Mässigung hat gewiss ebensosehr seinen
fall, wie er für das Auftreten des Thrasea unter Nero
; tadelnde Wort gefunden, er habe das Verderben auf
1 Haupt herabgezogen, ohne für die übrigen den Grund
Freiheit zu legen. Sein Bericht über die denkwürdigen
latsverhandlungen ist sicher unter dem Eindruck der Er-
erung an den Prozess des Publicius Certus geschrieben,
' in sein eigenes Leben eingegriffen hatte. Der Brief des
lius ward schon verwertet, aus dem man erfährt , dass er
Freund des unglücklichen Helvidius im Namen der ver-
ndten Frauen Arria und Fannia seine Klage gegen Publicius
'tus vorbrachte. Wenn nun Tacitus in der Einleitung zu
i Historien zum Beweise für die Wahrheit seiner Behauptung,
IS die Flavische Epoche nicht ganz arm • an Tugenden
r, darauf hinweist, dass Mütter ihre flüchtigen Kinder ins
nd begleiteten, Frauen ihren Ehemännern folgten, so hat
in erster Linie an die Verwandten des Helvidius gedacht.
? Sturmlauf des Plinius auf Certus bot manchen Berührungs-
ikt mit dem Angriff auf Marcellus dar. Waren nicht auch
J. 97 die Senatoren geteilter Meinung, hielten nicht ein-
ssreiche Männer den Plinius zurück, war nicht auch Nerva
valtsamem Einschreiten abgeneigt! Wir sahen, dass der
3hangesehene Corellius Rufus zu den Bedenklichen gehörte,
1 auch Tacitus wird sich zurückgehalten haben.
Gewiss verabscheut er die Delatoren. In der Rede des
rtius Montanus^) giebt er seinem Hasse gegen denselben
uillius Regulus Ausdruck, den Plinius nur im Tone der
rachtung nennt. ^Und sollen wir den Jüngling, den wir
zt, obschon er nur die Quästur bekleidet, doch nicht an-
.asten wagen, auch mit der Prätur und dem Konsulat 2)
sgezeichnet sehen? Aber meint Ihr, Nero sei der ärgste
rann schon gewesen? In einem ähnlichen Wahne waren
1) Hist. 4, 42.
') Er gelangte wohl unter Domitian zum Konsulat.
160 Drittes ßuch.
befangen, die den Tiberius, den Gaius überlebten, während sie
noch ein schlimmerer überboten hat. Wie wir schlaff geworden
sind! Wir sind nicht mehr derselbe Senat, der nach Neros
Sturz darauf drang, die Angeber und ihre Helfer nach der
Sitte der Vorfahren zu bestrafen. So ist nach einem schlimmen
Fürsten der erste Tag der beste/'
Den persönlichen Eigenschaften des Helvidius durfte er
Anerkennung zollen, aber die politischen Grundsätze eines
Mannes, der republikanische Gesinnungen hegte, konnte
der Konsular, der eben eine Lobschrift des Agricola ver-
öffentlicht hatte, unmögUch teilen. Seine Anschauungen lässt
er ihn bei Gelegenheit der Debatte des Senates über die an
Vespasian abzuordnende Gesandtschaft entwickeln.
Die Frage war, wie wir wissen, ob die Gesandten durchs
Los oder von den Magistraten gewählt werden sollten. Hel-
vidius , der Losung wünschte , wies besonders auf die Freund-
schaft hin, die Vespasian mit Neros Gegnern Thrasea und
Soranus verbunden hatte; eine Begrüssung durch Männer
dieser Richtung werde ihm willkommen sein. Im Gegensatz
dazu brachte Eprius Marcellus die Gesinnung der Mehrheit
der Senatoren in einer bedeutungsvoll hervortretenden, von
staatsmännischem Geiste getragenen Rede zum Ausdruck, die
in dem Satze gipfelte, dass, wie den schlimmsten Imperatoren
eine masslose Herrschaft, so den guten eine beschränkte
Freiheit gefalle i).
Diese Ansicht des Marcellus entspricht dem Standpunkte
des Tacitus, und wurde ohne Frage auch von Agricola geteilt,
„der kundig der Zeiten unter Nero^ in denen Thatenlosigkeit
für Weisheit galt, in Schweigen seine Ämter geführt hatte*.
Und wenn Agricola sich in Domitians Natur zu schicken
wusste und es vermied, durch Hartnäckigkeit und leere
Prahlerei mit der Freiheit Ruf und Schicksal herauszufordern,
so wünschte er trotzdem sehnhchst einen guten Fürsten wie
Traian zu erblicken. Bekennt nicht auch Tacitus, dass durch
seine und der übrigen Senatoren Hände der jüngere Helvidius
ins Unglück gestürzt wurde? 2)
^j II ist. 4, 8: Se meminisse temporum, quibus natus sit, quam civitatis
formam patres avique instituerint; ulteriora inir<'iri, praesentia sequi, bonos
imperatores voto expetere, qualescuuque tolerare. non magis saa oratione
Thraseam quam iudicio senatas adfUctum — denique constantia, fortitadine
Catonibus et Brutis aequaretur Helvidius : se unum esse ex illo senata qai
simul servierit.
*) Ich teile im Gegensatz zu Nipperdey Boissiers Ansicht, a. a. 0.
S. 297: „II avait pris sans doute pour lui le conseil quUl met dans la
bouche d'an des personnages de son histoire: „il faut souhaiter des bon^
princes et se r^sigoer k soufirir les mauvais" und S. 300 zu Agr. 45.
6. Tacitus* politischer Standpunkt in den Historien und Annaleii. 161
Ja Tacitus ist so sehr erfüllt von dem Gedanken der
3ht des Prinzipates, dass er den Cerialis den Trevern und
gonen zurufen lässt^), der preis würdigen Fürsten Nutzen
ihnen mit allen gemein, aber gleichwie elementare Ereig-
ne müsse man Üppigkeit und Habgier der Herrscher über
i ergehen lassen. Diese Bekenntnisse dürften dem Urteile
akes nicht entsprechen, der meinte, dass Tacitus sein Ideal
dem Würdenträger gesehen, der sich der Macht, die ihn
en Augenbhck vernichten kann, mannhaft widersetzt 2).
Tacitus ist weit entfernt, die Ansprüche des Senates über
gesetzliches Mass erweitern zu wollen. Wenn Helvidius
3CUS die Entscheidung wichtiger Fragen, die der designierte
(isul dem Kaiser vorbehielt, für den Senat in Anspruch
im, wenn er sogar den Antrag stellte, das Capitol auf
mtliche Kosten herzustellen und auch Vespasian dazu heran-
iehen, so hat er nicht des Geschichtschreibefs Beifall.
Lesen Antrag übergingen die Gemässigten mit Schweigen,
l nachher ward er vergessen. Einzelne freihch blieben des
rfalls eingedenk.^
Wenn also von bedeutenden Männern verlangt wird, dass
Entsagung übend sich der Gewalt des Fürsten unterordnen,
könnte es scheinen, als ob mit dieser Forderung einige
tllen im Widerspruch stehen, welche die „patientia servilis*^
; Senats beklagen, deren MitgUeder nach der Pisonischen
cschwörung gleichgültig ihrem Untergang entgegensahen,
essen sind solche Äusserungen das blosse Spiegelbild eines
dankens, der öfter in seinen Schriften wiederkehrt, dass
• Besitz der Herrschaft verblendet und zu Missethaten hin-
gst. Er sagt es gerade heraus, dass Tiberius nach so grosser
ährung durch die Gewalt der Herrschaft erschüttert und
'ändert wurde. Indem die Niederträchtigkeit der Masse
i die Servilität der leitenden Kreise um persönlicher Vor-
e willen den Machthabern schmeicheln, werden ihre Leiden-
laften dadurch noch gesteigert. Diese Niedrigkeit der Ge-
nung erregt seinen Zorn in demselben Masse, wie die
rdevolle Haltung des Agricola, der selbst die wilde Natur
es Domitian besänftigte, seine Bewunderung hat. Hierin
jt auch die Triebfeder für seinen Hass gegen die Delatoren,
*) Hist. 4, 74: Et laudatomm principum usus ex aequo, quamvis procul
ntibus; saevi proximis ingruunt. Quomodo sterilitatein ant nimios im-
B et cetera naturae mala, ita luxum vel avaritiam dominantium tolerate.
ia enint, donec liomines; sed neque haec continua et meliorum inter-
ta pensantur.
*) Bänke Weltgeschichte, III, 2, 317. C. Thiancourt, revue
phil. Xm, S. 74—78.
Asbach, Kaisertum und Verfavsang. 11
162 Drittes Buch.
die zwar bequeme Werkzeuge der Tyrannei sind, aber der
Verachtung und dem Hasse derjenigen, die sich ihrer bedienen,
anheimfallen.
Er schont auch nicht die entarteten Glieder des Senates.
Denn jeder soll an seinem Teile sich der grossen Stellung,
die das Kollegium im Reiche einnimmt, würdig zeigen. Er
ist das Fundament des Reiches. ^Des Staates ewige Dauer*,
so rief Otho seinen Prätorianern zu, „der Weltfriede, die
Wohlfahrt der Gesamtheit gründen sich auf die Erhaltung des
Senates. Diesen, zur glücklichen Stunde eingesetzt von dem
Gründer und Vater unserer Stadt, fortgeführt und unsterblich
bis herab auf den Prinzipat, wollen wir, wie er von den
Vätern überkommen ist, der Nachwelt überliefern. Denn wie
aus Euern Reihen die Senatoren, so gehen aus diesen die
Fürsten hervor^' ^).
Der höchste Rat des Staates hat ein Recht auf die Rück-
sicht der Regenten: er verknüpft Gegenwart und Vergangen-
heit des Staates. Die Fürsten sind sterblich, der Senat ist
unwandelbar, ein Bürge für die ewige Dauer des Reiches.
Der Ritterstand ist jenem nicht ebenbürtig: er folgt ihm
in weitem Abstände. Tacitus hält es „für einen Teil der
öffentUchen Trauer^^ dass ein Mitglied des Kaiserhauses den
Enkel eines römischen Ritters heiratet. Aber das ist ihm
wohl bewusst, dass der einzelne, er sei Senator, Ritter und
Freigelassener, nur glänzen kann, „in quantum praeumbrante
imperatoris fastigio datur".
Tacitus ist aber nicht nur Anhänger des Prinzipates, er
hält den Freistaat für eine Einrichtung, die sich überlebt
habe, deren Herstellung also nicht wünschenswert sei. Un-
befangen stellt er die Monarchie als notwendige Frucht der
Entwicklung des römischen Staatswesens hin. Die alte
Republik bis zu den Decemvirn beruhte auf Tugend und Ein-
tracht der Bürger. Mit der Erweiterung der Macht der Stadt
griffen Laster und Zwietracht um sich, welche die Freiheit
untergruben und eine Alleinherrschaft nötig machten. „Die
verjährte, den SterbUchen eingewurzelte Sucht nach Gewalt
entglomm und kam zum Ausbruch mit der Grösse des Reiches.
Jetzt, wo Spielraum vorhanden war, nach Macht »i streben,
begannen die Streitigkeiten zwischen dem Senat und den
Populären.^
Es zeugt von einer grossen Auffassung der Vergangen-
heit, dass er mit den Gracchen die Kämpfe um die Monarchie
beginnen lässt, dass er den Hader auf dem Forum als ein
») 1, 83 u. 84 vgl. o. S. 49.
6. Tacitus* politischer Standpunkt in den Historien nnd Annalen. 163
cspiel der Bürgerkriege bezeichnet. j,Dann verkehrten Gaius
rius, aus dem niedrigsten Pöbel, und Lucius Sulla, der
eligen Grausamster, die durch Waffen besiegte Freiheit
Oberherrschaft. Und um nichts ist nachher als um den
nzipat gekämpft worden^ ^). Otho und ViteUius werden
Caesar und Pompeius, mit Octavian und Antonius ver-
jhen. Nach den zwölf Tafeln, ^die das Ende des gleichen
3htes waren *^, sind, abgesehen von Strafbestimmungen,
ne guten Gesetze mehr gegeben worden, sie entsprangen
; unlautern Beweggründen und wurden mit ungerechten
teln durchgeführt ; das gilt zumal von der Zeit der Bürger-
ege, wo jedes Schändliche ungestraft war, vieles Edle zum
rderben gereichte. ZurZeitdergrössten Zerrüttung des Staates
) es die meisten Gesetze. Nach dem dritten Konsulate des
mpeius herrschte zwanzig Jahre ununterbrochen Zwietracht
le Regel, ohne Recht. Das Allers chändlichste blieb un-
5traft, während Gutes Verderben brachte; erst in seinem
ihsten Konsulat schaffte Caesar Augustus, nun im sichern
sitze seiner Macht, was er als Trium vir angeordnet hatte , ab
i gab Gesetze, deren sich die Römer im Frieden unter
em Fürsten bedienen sollten. Seit der Zeit gab es festere
nde, und Wächter wurden zur Hut bestellt 2).
Dass die Monarchie die aus Lastern und Zwietracht ent-
.ndene Staatsform sei, wird nicht gesagt, sondern jene
el, die eine notwendige Folge des Strebens nach Macht
.ren, konnten nur von einem Alleinherrscher geheilt werden,
p Macht und Freiheit zu vereinigen und mit starker Hand
Q Frieden zu schützen verstand.
Tacitus beneidet die Geschichtschreiber der republika-
jchen Zeit, die, über einen reichhaltigen Stoff verfügend,
n gewaltigen Kriegen, von Uneinigkeit der Konsuln und
ibunen, von Acker- und Getreidegesetzen, von dem Kampfe
r Optimaten und Populären berichteten. Aber deswegen
Luert er doch nicht über den Untergang der Republik,
len demokratischen Bestrebungen ist er sogsir abhold, da
j Menge Neues zugleich begehrt und fürchtet; sie ist nicht
lig, aus eigener Einsicht das Richtige zu finden; für weise
^) Hist. 2, 38: Nam rebus modicis aequalitas facile habebatur. Sed
. subacto orbe et aemnlis urbibus regibusve excisis securas opes con-
)iscere vacnom fuit, prima inter patres plebemque certamina exarsere.
)do turbulenti tribuni, modo consules praevalidi, et in urbe ac foro
aptamenta civilium bellorum etc. — Hist. 1,1: Postquam bellatum apud
tinm atque omnem potestatom ad unum deferri pacis interfuit etc. Vgl.
1 Anfang der Annalen, wo besonders betont wird, dass die Alleinherr-
laft den Provinzen zu gute kam.
«) Ann. 3, 27 u. 28.
11*
164 Drittes Buch.
galt einst, wer des Haufens Natur kannte und zu lenken
wusste. Die Volksherrschaft kommt zwar der Freiheit nahe *),
aber die Entsittlichung der Bürger macht ihre Behauptung
unmöglich.
Auch die Herrschaft der Nobilität hat seinen Beifall nicht,
weil sie an tyrannische Willkür grenzt. Eine gemischte Ver-
fassung kann leichter gelobt als geschaffen werden und ist
auf keinen Fall von Dauer 2). Es bleibt als sein Ideal nur der
Prinzipat, wie ihn Augustus gegründet, Galba, Vespasian und
Nerva wiederhergestellt hatten, die Dyarchie von Prinzeps
und Senat, jene Verfassungsform, in der nach Senecas Vor-
gange die Bürger mit einem Leibe, der Regent mit dem Geiste,
der jenen lenkt, verglichen werden 3).
Des Tacitus politische Anschauungen treffen überhaupt mit
denen des Seneca vielfach zusammen, dem er in Fragen
ethischen Inhalts allgemeine Gedanken bis auf den Ausdruck
entlehnt*).
Wie Seneca in dem Trostschreiben an Marcia den Cremutius
Cordus preist, dessen Schriften man lesen werde, solange
es jemand gebe, der eine Rückkehr zu den Handlungen der
Vorfahren für wünschenswert halte, so rechtfertigt Tacitus
in der Rede, die dem Cordus in den Mund gelegt wird, die
Verehrung, welche den republikanischen Führern erwiesen
werde, und wendet sich mit unverkennbarer Beziehung auf
Domitian gegen den Stumpfsinn der Tyrannen, die durch
Gewaltthat ihr Andenken für die Zukunft vertilgen zu können
wähnen^). Bei den Exequien der Junia erschienen zwanzig
Ahnenbilder, aber Cassius und Brutus glänzten durch ihre
Abwesenheit 6).
Zu Nerva und Traian dürfte Tacitus sich verhalten, wie
etwa Samuel von Pufendorf zu Friedrich Wilhelm, dem grossen
Kurfürsten. Aus seinem Beispiel ist die theoretische Recht-
fertigung und Begründung der fürstlichen Souveränität her-
geleitet, wenn er ausführt, der Fürst dürfe vernünftiger
1) Nach ann. 2, 37. 3, 27. 4, 32. 33 u. 15, 46.
') Ann. 6, 42: PopnU imperium iuxta libertatem pauconun dominaüo
regiae Ubidini propior est. Vgl. ann. 4, 33 und die Bemerkungen Mommsens
in den Sitzungsberichten der preuss. Akademie der Wissenschaften (1886).
S. 41.
^) Die Belege bei Zimmermann, a a. O. S. 18, der besonders die
Schrift de dementia zur Vergleichung heranzieht.
*) Zimmermann, S. 66: Ubicunque philosophatur Tacitus, ibi
Senecam expressisse putandus est. Attamen moram Senecae dictionem non
odeo aspematus est, ut non multa quae imitatione digna agnovisset, sibi
imitanda eligeret.
6) Ann. 4, 35.
ö) Ann. 3, 76: Praefulgebant eo ipso quod effigies eonim non visebantur.
6. Tacitns* politischer Standpuakt in den Historien und Annalen. 165
ise nur das wollen, was mit dem Zweck des Staates
reinstimme.
Als Geschichtschreiber steht Tacitus etwa in der Mitte
sehen Cremutius Cordus, der durch seine Verherrlichung
Brutus den Zorn des Tiberius herausforderte, und dem
rn Plinius, der als Parteigänger des Fla vischen Hauses
Begründung seiner Herrschaft darstellte.
Wir haben in der obigen Darlegung öfter auf die Historien
die Annalen Bezug genommen; wo aber beide heranzu-
len möglich war, ergab sich, dass die in höherm Alter
chriebene Geschichte der Julisch-Claudischen Kaiser die-
)e Auffassung des Prinzipates widerspiegelt. Es ist aber
Recht aufgefallen, dass diese Nervas und Traians nicht
IT gedenkt^). Stellt man damit zusammen, dass er bei der
•assung dieses Werkes nicht mehr an das Versprechen
lacht hat, den reichen Stoff, den seine eigene Zeit bot,
verarbeiten, sondern eine Darstellung der Regierung des
justus ins Auge fasste, so liegt der Schluss nahe, dass
in spätem Jahren die Gegenwart nicht in dem Masse
riedigte, wie in den ersten Jahren nach Domitians Er-
rdung. Die überspannte Begeisterung für das neue Regi-
nt, der naturgemässe Rückschlag nach der gedrückten Lage
.er dem vorhergehenden Dominat, hatte einer nüchternen
Ffassung der Verhältnisse und Persönlichkeiten Platz gemacht,
eitus musste zur Einsicht kommen, dass eine durchgreifende
i zielbewusste Natur wie Traian nicht gewillt war, den
aat auf Kosten seiner Herrschermacht schalten zu lassen,
5s der Prinzipat im Grunde doch auf eine Alleinherrschaft
läuskomme^). •
Ein flacher Geist, wie Plinius war, wusste sich im Voll-
sitze des kaiserlichen Vertrauens leichter zu trösten. „Zwar
tersteht alles der Willkür eines einzigen, der für das all-
neine Wohl alle Sorgen, alle Mühen auf seine Schultern
aommen hat, nur dass in heilsamer Mischung sozusagen
lige Bäche aus jener allgütigen Quelle zu uns gelangen^' ^).
Das Entgegenkommen, das die Kaiser dem Senate be-
esen, hatte vor allem die üble Folge gehabt, dass die
itthalter , die unter Domitian ihr Amt nicht zu missbrauchen
wagt hatten, sich der schlimmsten Erpressungen schuldig
^j K. Hoffmeister, Die Weltanschauung des Tacitus. S. 50.
') Ann. 4, 33: Sic converso statu neque alia re Bomana quam si unus
(»eritet, aus der oben verwerteten Stelle.
') Plinius, ep. 3, 20, 12: Sunt quidem cimcta sub unius arbitrio, qoi
> utilitate communi solus omnium curas laboremque suscepit, quidam
aen salubri temperamento ad nos quoque velut rivi ex illo benignissimo
ite decurrunt.
166 Drittes Buch.
machten. Die Nachgiebigkeit, die der Senat dabei bewies,
brachte ihn um seinen guten Ruf. In politischen Geschäften
ohne Erfahrung, sah sich das hohe Kollegium genötigt, auf
einen Teil seiner ObHegenheiten zu verzichten und sie dem
Kaiser abzutreten.
Das war die allgütige Quelle , deren Wasser auch die Sena-
toren speiste.
Sucht man nach allgemeinen Gedanken, die die Taciteische
Darstellung beherrschen und für seine Auffassung historischer
Dinge bezeichnend sind, so kann es nur ein Gegensatz sein,
auf den oben wiederholt hingewiesen wurde, der Gegensatz
von Freiheit und Macht^). Dieser kommt am bestimmtesten in
grösseren Ansprachen zum Ausdrucke, die zum Teile frei er-
funden sind.
Was Cerialis und Civilis vor dem Waffengange am Rhein,
was Arminius und Flavus, Germanicus und Arminius an der
Weser, was die Königin Boudicca und Suetonius PauUnus an
der Themse, Calgacus und Agricola im schottischen Hoch-
lande ihren Truppen zurufen. Rede und Gegenrede enthalten
der Lage angemessene Gedanken, die sich um einen gemein-
samen Mittelpunkt bewegen, um den Widerstreit zwischen
dem Streben der Römer nach Machterweiterung, das uner-
sättlich auch nicht an den von der Natur gesetzten Grenzen
stillsteht, und der Freiheit, die bedrohte Stämme zu vertei-
digen, unterworfene zurückzugewinnen suchen.
In der Ansprache des Calgacus treten uns die Römer als
heimatlose Männer entgegen, die freie Britannier bis in den
letzten Winkel ihres Heimatlandes verfolgen. Gattinnen ent-
flammen sie nicht zum Kampfe, Eltern werden ihre Flucht
nicht brandmarken , die wenigsten haben ein Vaterland. Aber
die Stunde wird kommen, wo die Britannier ihre Sache er-
kennen, die Gallier sich der vorigen Freiheit erinnern, die
Germanen ihre Reihen verlassen. Freiheit und Recht werden
siegreich die Schranken der römischen Herrschaft durch-
brechen und die Welt erobern.
,, Tötet innerhalb eurer Grenzen alle Römer ;^ ruft der
Wortführer der Tenkterer den Agrippinensern zu, j,nicht
leicht mischen sich Freiheit und Macht. — Ein unvermischtes, un-
geteiltes, der Knechtschaft vergessendes Volk, werdet ihr ent-
weder in Gleichheit leben oder andern gebieten^ *).
Grossartig erscheint in der Ansprache des CiviHs der
Protest gegen die den Germanen drohende Unterwerfung und die
^) Vgl. M. Ritter, Studien z. Entwickelang der Geschichtswissenschaft,
V. Sybel, Eist. Zeitschr. LIV (1885) S. 34.
«) Hist. 4, 64.
6. Tacitus* politischer Standpunkt in den Historien und Annalen. 167
tinung ZU mannhaftem Widerstände : Freiheit habe die Natur
;h sprachlosen Tieren verliehen, Tapferkeit sei ein den
tischen eigenes Gut, und der Mutige stehe unter dem Schutze
• Götteri).
Wenn Tacitus den um ihre Selbständigkeit ringenden
Ikern gerecht zu werden sucht, so ist er sich doch des
Jens, der mit der Machtstellung der Römer verknüpft ist,
hl bewusst: von stolzem Selbstgefühl zeugt die Rede, die
n Petillius Cerialis in den Mund gelegt wird^). Despotieen
i Kriege hätten in Gallien geherrscht, bis es unter die
tmässigkeit der Römer gekommen. Diese hätten den Re-
gten nach Siegerrecht nur so viel zugemutet, als zur Auf-
5hthaltung des Friedens nötig gewesen. Denn weder ver-
ige man der Völker Ruhe ohne Waffen, noch Waffen ohne
Id, noch Sold ohne Auflagen zu schaffen. Der prächtige
.me der Freiheit sei ein Vorwand für die Unterwerfung,
t dem Zusammenbruch der römischen Macht, die durch
[ick und Kriegszucht in einem Zeiträume von 800 Jahren
festigt worden, werde ein Krieg aller Völker untereinander
tstehen, und die Gallier selbst würden für ihre Existenz
mpfen müssen. ,,Deshalb liebt und pflegt den Frieden und
B Stadt, an die wir, Sieger oder Resiegte, gleiches Anrecht
ben und ziehet nicht Trotz und Verderben dem Gehorsam
id der Sicherheit vor."
Eine andere Reihe von Reden ist aus den Senatsakten
jschöpft, aber die Ausführung ist frei und giebt fremde Ge-
mken mit eigenen Worten wieder^). Die Meinungäusserungen
1 Senate bringen mehr oder weniger den Gegensatz zwischen
3n Ansprüchen dieser Körperschaft und der Übermacht des
egenten, zwischen Verfassung und Kaisertum zum Ausdruck.
*) Hifit. 4, 17.
8) Hist. 4, 73.
') Ann. 15, 63: Et novissimo quoque momento suppeditante eloquentia
Ivocatis scriptoribus pleraque tradidit, quae in vulgus edita eins verbig
vertere supersedeo. Vgl. die Eede des Cremutius Cordus ann. 4, 34.
Zeittafel.
31 Die Seeschlacht bei Aktium (2. Sept.). Kleopatra ergreift
die Flucht, ihr folgt M. Antonius. Das aus 19 Legionen be-
stehende Landheer geht zum Caesar über.
30 Antonius und Kleopatra geben sich den Tod. Ägypten römische
Provinz. Caesar überwintert in Samos.
29 Caesar kehrt im Sextilis nach Rom zurück, schliesst den Janas-
tempel und feiert einen dreifachen Triumph „primum de
Pannoniis et Delmatis , alterum navalem , tertium de Aegypto".
28 Caesar reinigt in Gemeinschaft mit M. Agrippa den Senat , ver-
mehrt die Zahl der Patrizier, stellt die Gotteshäuser wieder
her und weiht den Tempel des Palatinischen Apollo. Man
zählt 4164 000 Bürger. Caesar princeps senatus.
27 Die Verwaltung der Provinzen wird zwischen Caesar und dem
Senate geteilt. Caesar verzichtet auf seine ausserordentliche
Gewalt und übernimmt das Imperium proconsulare auf 10 Jahre.
Der Senat beschliesst auf Antrag des L. Munacius Plauens, ihm
den Augustusnamen zu verleihen.
M. Agrippa weiht das Pantheon.
26 Augustus tritt sein achtes Consulat in Tarraco an.
25 Augustus weilt krank in Tarraco und lässt den Krieg gegen die
Cantabrer durch seine Legaten führen. In Lusitanien wird die
Colonia August a Emerita, im Lande der Salasser Augusta
Praetoria angelegt. Der Janustempel abermals geschlossen.
P. Vergilius Maro beginnt nach Vollendung der Georgica
die Aeneis.
24 Aelius Gallus unternimmt einen Feldzug in das glückliche
Arabien , wird aber durch Krankheiten zum Rückzuge gezwungen.
23 Der Prinzipat des Augustus empfängt seine abschliessende
Gestalt. Nach Niederlegung des Consulates übernimmt er die
tribunicische Gewalt auf Lebenszeit. M. Marcellus stirbt.
22 Verschwörung des Fannius Caepio und Licinius Murena.
Als Censoren werden L. Munatius Plauens und PauUus
Aemilius Lepidus bestellt. Letzter Versuch, die Censur in
ihrer alten Gestalt zu erneuern.
21 M. Agrippa wird mit Julia, der Witwe des Marcellus, ver-
mählt. Augustus begibt sich in den Orient.
Zeittafel. 169
20 Er überwintert in Samos, reist durch Kleinasien nach Syrien
und empfängt eine indische Gesandtschaft. Phraates, der
König der Parther, giebt die erbeuteten Feldzeichen der Le-
gionen des M. Crassus und M. Antonius zurück.
Tigranes als König von Armenien wieder eingesetzt.
19 Augustus ist am 12. Oktober in Rom zurück.
Agrippa bezwingt diq Cantabrer.
Vergilius stirbt in Brundisium.
18 Das Imperium wird dem Augustus auf weitere fünf Jahre ver-
längert.
17 Die ludi saeculares.
Niederlage des M. LoUius vor den Sigambrern.
16 Augustus begiebt sich nach Gallien, seine Vertretung in Rom
fällt dem Gardepräfekten Statilius Taurus zu. M. Agrippa in
Asien.
15 Drusus und Tiberius unterwerfen die Alpenvölker (Räter, Vin-
deliker, Noriker).
14 Augustus lässt den Drusus zur Führung des Krieges mit den
Germanen am Rhein zurück. Vollendung des festen Lagers
bei Xanten und der fossae Drusianae.
12 M. Lepidus und M. Agrippa sterben. Augustus pontifex maximus.
Einweihung der Ära Augusti in Lugudunum. Daselbst wird
Ti. Claudius am 1. Aug. geboren.
Feldzüge des Drusus gegen die nordgermanischen Völker.
. — 10 Feldzüge des Drusus gegen Chatten, Cherusker und Marko-
mannen.
Tiberius Nero heiratet die Julia, die Witwe des Agrippa.
9 Drusus erreicht die Elbe. Auf dem Rückzuge bricht er im
Wesergebiet infolge eines Sturzes den Schenkel und stirbt
in den Armen seines aus Patavium herbeigeeilten Bruders
Tiberius.
8 Tod des C. Maecenas und M. Horatius Flaccus.
Tiberius übernimmt den Oberbefehl in Germanien.
6 Tiberius zieht sich nach Rhodus in freiwillige Verbannung
zurück.
4 Jesus Christus in Bethlehem geboren.
3 Ser. Sulpicius Galba geboren.
2 Des Kaisers Tochter Julia wird auf die Insel Pandataria ver-
wiesen.
Die praefectura praetorii wird ein ständiges Amt.
Chr.
2 Tiberius Nero kehrt nach siebenjähriger Abwesenheit nach
Rom zurück.
i
170 Zeittafel.
L. Caesar, consul designatus, erliegt auf der Reise nach
Spanien zu Massilia einer Krankheit.
Cn. Domitius erreicht auf seinen Kriegszügen in Germanien
die obere Elbe.
4 Gaius Caesar stirbt in Lycien an einer Wunde. Augustus adop-
tiert den Tiberius, dieser den Germanicus, den Sohn des Drusus.
Tiberius übernimmt den Oberbefehl in Germanien. Ver-
schwörung des Cornelius Cinna.
5 Tiberius dringt in Germanien nach Unterwerfung der Chauken
und Langobarden bis zur Elbemündung vor und vereinigt sich
daselbst mit der Flotte. Entdeckungsfahrten in den nördlichen
Gewässern.
6 Der Kaiser richtet das aerarium militare ein und nimmt sich
des hauptstädtischen Verpflegungswesens an. Praefectura
annonae, praefectura vigilum.
C. Asinius Pollio stirbt.
In Germanien dringt C. Sentius durch den Hercynischen
Wald, Tiberius von der Donau her gegen Marbod vor. Ti-
berius wird durch den Aufstand der Pannonier und Dalmater
zur Umkehr genötigt.
7 — 8 Tiberius führt mit 15 Legionen einen wechselvollen, schüess-
hch erfolgreichen Krieg in Pannonien.
9 Lex Papia Poppaea de maritandis ordinibus.
Zu Reate im Sabinerlande wir dT. Fla viusVespasianus geboren.
Untergang des P. Quintilius Varus mit 3 Legionen im Teuto-
burger Walde.
10 — 11 Tiberius und Germanicus decken die Rheingrenze.
12 Tiberius Imperator septimum ex Pannoniis Dalmatisque
triumphat. Germanicus an der Spitze der germanischen Legionen.
13 Augustus übernimmt das Imperium auf weitere 10 Jahre und
lässt dem Tiberius die tribunicische Gewalt verlängern.
14 Letzter Census des Augustus: 4197 000 Bürger.
Augustus stirbt zu Nola am 19 Aug.. Tiberius übernimmt
56 Jahre alt den Prinzipat. Hinrichtung des Agrippa Postumus.
Der Aufstand der rheinischen und paimonischen Legionen
wird gedämpft.
Julia, die Tochter des Augustus, stirbt in Regium.
15 Germanicus fällt in das Land der Cherusker ein und bestattet
die Gebeine der Legionen.
A. Vitellius geboren.
16 Sieg des Germanicus überArminius bei Idisiaviso an der Weser.
In Rom wird die Verschwörung des L. Scribonius Libo auf-
gedeckt. Senatsbeschlüsse verfügen die Ausweisung der Magier.
17 Germanicus gegen seinen Willen abberufen, triumphiert über
Cherusker, Chatten, Angrivarier.
Zeittafel. 171
Krieg zwischen Arminius und Marbod.
Ovidius stirbt zu Tomi in der Verbannung, T. Livius zu
Patavium.
19 Tiberius weist dem Schutz suchenden Marbod Ravenna als
Wohnsitz an.
Arminius wird wegen seiner Herrschsucht von seinen Ver-
wandten erschlagen.
Germanicus stirbt in Antiochien. Armenien und die Parther.
Ein Senatsbeschluss verbietet ägyptische und jüdische Re-
ligionsgebräuche.
20 Agrippina kehrt aus dem Orient nach Rom zurück. Der Prozess
des Piso.
21 Aufständische Bewegungen in Gallien. Julius Sacrovir bei den
Aeduern, Julius Florus bei den Trevern.
22 Drusus erhält die tribunicische Gewalt.
23 Die Cohorten der Prätorianer werden unter dem Commando
des T. Aelius Seianus in einem Lager nahe bei der Haupt-
stadt vereinigt. Seian verführt die Livia und räumt Drusus
durch Gift aus dem Wege.
24 Majestätsprozesse in Rom.
25 Der Geschichtschreiber A. Cremutius Cordus angeklagt, dass
er Brutus und Cassius die letzten Römer genannt habe, macht
seinem Leben freiwillig ein Ende.
26 Tiberius begiebt sich nach Campanien, um Rom für immer zu
verlassen. Die Stellvertretung fällt dem Gardepräfekten zu.
27 Tiberius lässt sich auf Capreae nieder.
29 Christi Leiden und Tod unter Pontius Pilatus. Julia Augusta stirbt.
30 Nero und Drusus, die Söhne des Germanicus, werden für
Staatsfeinde erklärt, Nero auf die Insel Pontia verbannt,
Drusus im Palatium in Haft gehalten, Agrippina nach Panda-
taria verwiesen.
31 Sturz Seians und blutige Verfolgung seiner Anhänger.
32 Am 1. Januar leisten die Senatoren Mann für Mann den
Huldigungseid. Seians Nachfolger Macro stellt die Ordnung
wieder her.
33 An demselben Tage, an dem 2 Jahre zuvor Seian ums Leben
kam, werden Drusus in Rom, Agrippina in der Verbannung
getötet.
34 Tod des Mam. Aemilius Scaurus.
35 Eine Feuersbrunst wütet auf dem Aventin und giebt dem Kaiser
Gelegenheit zu grossartiger Freigebigkeit.
172 Zeittafel.
37 Am 16. März stirbt Tiberius bei dem Vorgebirge Misenum im
Alter von 78 Jahren.
Gaius Caesar Germanicus, sein Nachfolger ^ ruft die Ver-
bannten zurück , züchtigt die Delatoren imd stellt die Komitial-
wahl wieder her. Er vergeudet die Schätze des Tiberius.
38 Gaius lässt den Macro hinrichten und beansprucht für sich
und seine Schwester Drusilla göttliche Ehren.
Am 30. December Titus geboren.
39 Wahnwitziges Treiben des Gaius. Sein lächerlicher Feldzug
nach Germanien. Verschwörungen in Rom.
40 Gaius unternimmt einen unnützen Feldzug an die gallische
Küste. Höhepunkt seines Despotismus.
41 Er wird am 24. Januar von einem Offizier der Garde ermordet.
Augenzeuge des Vorganges war der Geschichtschreiber M.
Cluvius Rufus.
Ti. Claudius wird von den Prätorianern zum Imperator aus-
gerufen und vom Senate bestätigt.
Der jüdische König Agrippa vereinigt die Herrschaftsgebiete
Her ödes d. Gr.
Seneca wird nach Corsica verbannt.
P. Gabinius besiegt die Chauken; Ser. Sulpicius Galba die
Chatten, C. Suetonius Paulinus die Mauretanier. Mauretanien
wird in 2 Provinzen geteilt und ihre Verwaltung römischen
Rittern überwiesen.
45 M. Camillus Scribonianus und L. Annius Vinicianus fallen von
Claudius ab , werden aber von den Legionen im Stiche gelassen.
43 Beginn der Eroberung Britanniens unter dem Oberbefehl des
A. Plautius. Kriegerische Erfolge seines Legaten T. Flavius
Vespasianus. Der Kaiser begibt sich selbst auf den Kriegs-
schauplatz. Das südliche Britannien wird römische Provinz.
44 Das abhängige Königreich Judaea wird nach Agrippas Tode
wieder zur Provinz Syrien gezogen.
46 Die Verschwörung des Asinius Gallus. Messallina stürzt den
M. Vinicius und Valerius Asiaticus ins Verderben.
Thrakien wird unter einem Procurator als Provinz einge-
richtet.
\ Plutarch in Chaeronea geboren.
47 Fortgang der britannischen Eroberung. Cn. Domitius Corbulo
überwältigt Friesen und Chauken. Bei den Cheruskern wird
Italiens, des Arminius Bruder, als König eingesetzt.
Ludi saeculares.
Ti. Claudius und L. Vitellius Censoren. Es werden 6 944 000
Bürger gezählt. Die Rede des Claudius über das ins bonorum
der Gallier.
Messallinas Untergang.
49 — 50 Agrippina überredet den Claudius, den L. Domitius, ihren
Sohn aus früherer Ehe, zu adoptieren und mit Octavia, der
Zeittafel. 173
Tochter Messalinas, zu verloben. Seneca übernimmt die Lei-
tung seiner Erziehung.
„Felix,, principis libertus et procurator, servili ingenio
regnum exercet, trium reginarum maritus et fratris Pallantis
apud Claudium gratia superbiens." Narcissus, Pallas und
Polybius reissen als Inhaber der Ämter ab epistulis, a rationibus,
a studiis die Centralregierung des Reiches an sich.
50 P. Pomponius Secundus bezwingt die Chatten und gewinnt
einen Adler des Varus zurück.
Die Hauptstadt der Ubier wird unter dem Namen Colonia
Claudia Agrippinensis zu einer Militärkolonie erhoben.
51 Innere Wirren im Partherreiche. Rhadamistus, Vologaeses.
Der Senat beschliesst für Nero das Imperium proconsulare.
Zurücksetzung des Britannicus. Afranius Burrus Präfekt der Garde.
Domitian am 24. Oktober geboren.
52 Der Apostel Paulus von dem Prokurator Felix zur Verant-
wortung gezogen.
Bauten des Claudius. Vollendung der aqua Claudia und
des Anio novus, des portus Claudianus an der Reede von
Ostia. Trockenlegung des Fucinersees. Das Personal sämtlicher
Wasserleitungen wird auf den Fiscus übernommen. Claudius
unterdrückt den Druidenkult in Gallien und verweist die
Chaldäer aus Rom.
54 Als den Claudius Neros Adoption gereut, tötet ihn Agrippina
durch vergiftete Pilze. Nero Claudius Caesar Drusus Germanicus
wird von den Prätorianern als Imperator begrüsst. Männliche
Herrschaft der Agrippina.
Domitius Corbulo beginnt den Krieg gegen die Parther.
Die Reichsverwaltung des Seneca und das quinquennium
Neronis. Einschränkung des Einflusses der Agrippina.
Die Hirtengedichte des Calpurnius feiern die neue Ära.
P. Cornelius Tacitus geboren.
55 Nero , seiner Mutter entfremdet , beseitigt Britannicus durch Gift.
Vespasian verwaltet als Prokonsul Afrika.
Allgemeiner Friede.
56 Der Prokurator Festus entsendet den Apostel Paulus in Fesseln
nach Rom.
Titus als KriegstribuB in Germanien und Britannien.
58 M. Salvius Otho geht als Legat nach Lusitanien.
59 Neros Muttermord.
Corbulo zerstört Artaxata und besetzt Tigranokerta.
Nero veranstaltet in Rom unter dem Namen luvenalia
öffentliche Bühnenspiele.
60 Nero stiftet nach dem Muster der griechischen Agone einen
dreifachen Wettkampf.
Ein Aufstand der Britannier wird von C. Suetonius Paulinus
niedergeworfen.
C. Plinius Secundus der Jüngere geboren.
174 Zeittafel.
61 Ser. Galba legatus Aug. pro pr. Hispaniae Tarraconensis.
62 Tigellinus, des Burras Nachfolger im Commando der Garde,
und die Freigelassenen gewinnen Einfluss auf Nero. Seneca
zieht sich von den Geschäften zurück.
Nero lässt Octavia auf Pandataria hinrichten und heiratet
die Poppaea Sabina.
63 Die Bevölkerung der Seealpen erhält das ius Latii.
Pompeji und Herculaneum werden von einem Erdbeben
heimgesucht.
64 Nero tritt in Neapel 'öffentlich als Sänger auf.
Der Brand Roms 18. Juli. Juden und Christen werden ver-
folgt, Italien und die Provinzen gebrandschatzt.
Grossartige Neubauten in Rom. Der Kaiserpalast wird bis
über den Esquilin ausgedehnt. (Das goldene Haus.)
65 Die Pisonische Verschwörung soll den Zustand herstellen, der
in den ersten 5 Jahren der Regierung Neros bestanden hatte.
Cn. Piso, Annaeus Lucanus, Annaeus Seneca werden hinge-
richtet. Bekämpfung der Opposition der Stoiker. Kriechende
Unterwürfigkeit des Senates.
Nero tritt an den Quinquennalien öffentlich als Sänger und
Zitherspieler auf.
66 Zahlreiche Senatoren werden hingerichtet. Paetus Thrasea,
Barea Soranus, Ostorius Scapula, C. Petronius.
Tiridates, König von Armenien, empfängt aus Neros Hand
das Diadem.
Beginn des jüdischen Aufstandes. Niederlage des Cestios
Gallus.
Nero unternimmt in Begleitung der vornehmsten Männer
(Cluvius Rnfus) eine Kunstreise nach Griechenland. Hinrichtung
des Domitius Corbulo.
67 T. Vespasianus wird die Führung des jüdischen Krieges, C.
Licinus Mucianus die Verwaltung Syriens übertragen.
Bei den Isthmischen Spielen Achaia für frei erklärt.
68 Nero weiht nach feierhchem Einzug in Rom dem Palatinischen
Apollo 1808 Siegeskränze.
Er erhält am 19. März die Nachricht von der Schüd-
erhebung des C. Julius Vindex. Am 2. April erklärt sich Ser.
Sulpicius Galba zum „legatus senatus populique Romani*'.
L. Verginius Rufus besiegt den Vindex bei Vesontio. Der
Sieger lehnt das ihm angetragene Imperium ab.
Während der Gardepräfekt Numpidius Sabinns die Prä-
torianer für Galba gewinnt, verurteilt der Senat den flüchtigen
Nero zum Tode. Dieser endet durch Selbstmord (9. Juni).
Galba zieht im Oktober in Rom ein; er schenkt unwür-
digen Günstlingen sein Vertrauen.
Der Hispanier M. Fabius Quintilianus siedelt nach Rom über.
69 Am 2. Januar rufen die Legionen in Köln den Statthalter
A. Vitellius zum Kaiser aus. Seine Legaten C. Fabius Valens
und A. Caecina Allienus. Galba adoptiert am 10. Janaar den
Zeittafel. 175
L. Calpurnius Piso Licinianus. M. Otho wird am 15. Januar
von der Garde zum Kaiser ausgerufen, Galba und Piso ermordet.
Titus, zur Begrüssung Galbas entsandt, erhält in Korinth die
Nachricht von den Vorgängen in Rom und kehrt nach Syrien
zurück.
Erste Schlacht bei Bedriacum (April). Otho giebt sich selbst
zu Brixellum den Tod.
Vespasian wird zuerst (1. Juli) von den Truppen in Alexandria,
dann von den syrischen und den eigenen Legionen in Palä-
stina zum Imperator ausgerufen. Ihnen schliesst sich die
Donau-Armee an.
Vespasian übergiebt seinem Sohne Titus den Oberbefehl
und eilt nach Ägypten, Mucianus führt die Legionen des
Orients nach Italien.
Vitellius' Einzug in Rom 18. Juli.
Die illyrischen Truppen rücken dem Mucianus zuvorkom-
mend unter Antonius Primus in die Poebene ein.
Bei Bedriacum erleiden die Vitellianer eine völlige Nieder-
lage. Zerstörung Cremonas.
Antonius Primus nimmt eine abwartende Stellung bei
Narnia ein.
Vitellius erklärt sich zur Abdankung bereit.
Die in Rom zurückgebliebenen Cohorten verwerfen den
mit dem Stadtpräfekten T. Flavius Sabinus geschlossenen Ver-
trag und belagern den Sabinus auf dem Capitol, das in
Flammen aufgeht. Sabinus wird erschlagen, Domitian rettet
mit Mühe sein Leben.
Antonius Primus rückt endlich in Rom ein; es kommt zu
einem blutigen Strassenkampf. Auch Vitellius wird erschlagen
(24. Dez.).
Lex de imperio Vespasiani (31. Dez.).
71 Aufstand der Bataven unter Julius Civilis. Ein grosser Teil
der gallischen Völkerschaften fällt ihm zu und plant die Grün-
dung eines gallischen Reiches.
rO Julius Frontinus legt sein Amt als praetor urbanus nieder, ihm
folgt Domitianus „Caesar consulari potestate".
Die Lingonen und Treverer fallen von Rom unter Führung
des Glassicus und Julius Tutor ab. Petillius Cerialis über-
nimmt den Oberbefehl, schlägt die Aufständigen in einer
grossen Schlacht bei Trier und drängt den Civilis bis zum
Niederrheine zurück.
Am 13. März bricht Titus von Alexandria auf und macht
eine Reise auf dem Nil. Am 13. April erscheint er vor Jeru-
salem und umgiebt die Stadt mit einer Circumvallationslinie.
Am 2. September erfolgt der letzte Sturm. Titus ordnet
die Einäscherung des Tempels an. Die Soldaten begrüssen
ihn als Imperator. Titus reist durch Syrien an den Euphrat
nach Zeugma, wo er von Gesandten des Partherkönigs eine
goldene Krone entgegennimmt.
Senatsverhandlungen in Rom. Prätensionen des Helvidius
Priscus und der Senatoren stoischer Richtung.
Vespasian kehrt im November nach Rom zurück. Spannung
zwischen ihm und Titus.
71 Titus begiebt sich überAntiochia und Jerusalem nach Ägypten und
wohnt, mit einem Diadem geschmückt, der Apisfeier bei.
176 Zeittafel.
Petillius Cerialis geht nach Überwältigung des Aufstandes
der Bataven nach Britannien und unterwirft die BriganteD.
Cn. Julius Agricola Legionslegat.
Über Regium und Puteoli eilt Titus nach Rom und versöhnt
sich mit seinem Vater.
Der jüdische Triumph. Titus erhält die tribunicische Ge-
walt und übernimmt das Kommando der Garde.
Die Januspforte wird geschlossen, der Bau des Tempels
der Pax und des Amphitheatrum Flavium begonnen.
72 Der Vassallenstaat Gommagene wird mit dem Reiche vereinigt.
Galatien und Kappadokien zu einer Provinz vereinigt.
Valerius Flaccus verfasst die Argonautica.
73 Domitianus consul Ordinarius.
74 Vespasian und Titus Censoren. Grossartige Bauten. Das neue
Rom. Ganz Spanien erhält latinisches Recht.
Die Stoiker und Cyniker werden aus Rom mit Ausnahme
des Musonius Rufus verwiesen.
Den Lehrern der Beredsamkeit wird ein Jahrgehalt von
100 000 Sestertien ausgesetzt.
Julius Frontinus unterwirft die Siluren.
Anfang der Besetzung des rechtsrheinischen Grenzlandes.
Neugründung der festen Lager von Vindobona und Carnuntum.
75 Ende der Censur. Einweihung des Tempels der Pax.
Des Flavius Josephus Bücher über den jüdischen Krieg.
76 C. Plinius Secundus widmet seine Naturalis historia dem Titus.
Verwicklungen mit den Parthern. M. Ulpius Traianus.
Statthalter von Syrien, erhält die Triumphalinsignien.
77 Cn. Julius Agricola, der Schwiegervater des Tacitus,
übernimmt die britannische Legation.
In Rom fordert eine Pest zahllose Opfer.
78 Tacitus bekleidet das Militärtribunat oder Viginti-
virat.
79 Verschwörung des A. Caecina und Eprius Marcellas.
Vespasian endet am 23. Juni im 70. Lebensjahre auf seinem
sabinischen Landgute.
Campanien wird von einem Erdbeben heimgesucht. Aus-
bruch des Vesuvs (24. Aug.). Herculaneum durch Lava, Pom-
peji durch Asche verschüttet. Tod des altem Plinius, des
Präfekten der Flotte in Misenum.
80 In Rom wütet ein grosser Brand und zerstört von neuem das
Gapitol.
Agricola erreicht die Landenge zwischen dem Clyde und
Forthbusen.
Tacitus erhält von Titus die Quästur.
Titus weiht das Amphitheater und die Thermen durch
hunderttägige Spiele ein.
81 Plutarch weilt in Athen.
Zeittafel. 177
Papinius Statins verfasst die Thebais, Martial giebt die ersten
Bücher der Epigramme heraus.
Agricola macht einen Anschlag auf Irland.
Am 13. September rafft Titus (41 Jahre alt) eine Fieber-
krankheit weg.
83 Agricolas Heer wird von Domitian geschwächt. Einrichtung eines
britannischen Grenzschutzes. — Bewegungen an der Donau.
Wanderung der Sueben und Jazygen.
83 Agricola wird trotz seines Sieges über die Kaledonier am
Berge Graupius zurückgerufen. Domitian unternimmt einen
Feldzug gegen die Chatten. Erweiterung des Reichs. Sein
Triumph.
84 Der Senat beschliesst dem Kaiser unerhörte Ehren. Domitianus
censor, consul in X continuos annos.
Bestrafung des Incestes der Vestalinnen. Verbot der Kastration.
Die Führer der Opposition werden beseitigt.
Herausgabe von Martialis epigr. XIU XIV.
85 Siege an der Donau. Die Provinz Moesia wird zum Zwecke
der Verteidigung geteilt.
Neue Erfolge in Germanien. Einrichtung eines Grenzschutzes.
Domitian vermittelt im Streite zwischen Chatten und Cheruskern.
Chariomer und die Seherin Ganna in Rom.
86 Die Daker gehen über den Grenzstrom, besiegen und er-
schlagen den Legaten Oppius Sabinus. Domitian erscheint auf
dem Kriegsschauplatz. Ende des Jahres kehrt er nach Rom
zurück.
Erster capitolinischer Agon.
87 Cornelius Fuscus, der Gardepräfekt , überschreitet mit einem
Heere die Donau und findet im Dakerlande seinen Tod.
In Rom wird eine Verschwörung aufgedeckt (Sept.), ein
falscher Nero von den Parthern aufgenommen, Civica Cerialis
„in ipso Asiae proconsulatu" hingerichtet.
88 Ludi saeculares nach der Berechnung des Augustus. Cornelius
Tacitus praetor und quindecimvir sacris faciundis.
Domitian zum zweitenmale an der Donau. Tettius Julianus
dringt siegreich bis in die Nähe der feindlichen Hauptstadt vor.
Erhebung der Sueben und Sarmaten. Eine Niederlage
seines Heeres bestimmt Domitian , mit den Dakem Frieden zu
schliessen.
89 Der Statthalter von Obergermanien, L. Antonius Saturninus,
erhebt Anfang Januar in Mainz die Fahne des Aufstandes,
wird aber an der Grenze der beiden germanischen Provinzen
von dem niedergermanischen Heere unter L. Appius Norbanus
besiegt. Die Legionen des Niederrheins piae fideles.
Zweiter Feldzug gegen die Chatten. M. Ulpius Traianus führt
eine Legion aus Spanien herbei und nimmt am germanischen
Kriege teil. Fortsetzung der Bauten am Grenzwall.
Die beiden germanischen Heeresbezirke werden Provinzen.
Der Jurist Javolenus Priscus Legat von Obergermanien.
Aabach, Kaisertum und Verfassung. 1^
178 Zeittafel.
Triumph des Kaisers „de Germanis Dacisque". Kaiser-
gericht auf dem Albanum über die Anhänger des Antonius.
Cornelia, die Virgo maxima, wird lebendig begraben.
Die Philosophen und Chaldäer werden aus Rom ausgewiesen.
Plutarch weilt Anfang des Jahres in Rom.
Tod Julias, der Tochter des Titus.
90 Herausgabe von Martialis epigr. VI. Der zweite capitolinische
Agon. Quintilian arbeitet an der Institutio oratoria. Josephus
vollendet die Archaeologia.
Domitians Edikt über den Weinbau.
92 Der letzte Sarmatenkrieg. Domitian ist 8 Monate von Rora
abwesend. Imperator XXII. Er verzichtet auf die konsulare
Jahresbenennung.
93 C. Plinius Secundus Praetor; er verwaltet als Praetorier das
Aerarium militare.
Tacitus bekleidet ein Amt in der Reichs Verwaltung.
Tod des Cn. Agricola. Beginn der Schreckensherrschaft
Domitians. Philosophen und Chaldäer werden aus Italien ver-
trieben, darunter der Stoiker Epiktet, Lehrer des Flavius
Arrianus aus Nikomedien. Arulenus Rusticus, Herennius
Senecio, Helvidius der Jüngere werden hingerichtet.
94 Der dritte capitolinische Agon. Sieg des Statins. Dion aus
Prusa in Bithynien wird verbannt. Seine Wanderungen am
Nordgestade des Pontus und bei den Geten.
95 Domitians Christenverfolgung. Flavius Clemens und M\ Acilins
Glabrio wegen ihrer Hinneigung zum Christentum getötet.
Statius feiert das XVII. Consulat Domitians. Des Silius
Italiens Punica.
96 Domitian baut die via Domitiana und begründet das Institut
der Alimentationen. Domitian wird am 18. September von seinen
Freigelassenen ermordet.
ApoUonius von Tyana in Ephesos. M. Cocceius Nerva vom
Senate zum Prinzeps erhoben. Das Andenken Domitians wird
geächtet. Die Verbannten kehren zurück. Nerva schwört,
keinen Senator hinzurichten.
? Tacitus giebt den Dialogus heraus.
97 Die Prätorianer setzen in einem Aufstande die Hinrichtung
der Mörder Domitians durch.
Nerva adoptiert den M. Ulpius Traianus , Statthalter von Ober-
germanien, und überträgt ihm die tribunicische Gewalt. Traianara
Niederrhein. Kriegerische Bewegungen im Lande der Brukterer.
Tod des L. Verginius Rufus. Der Consul Cornelius
Tacitus hält ihm die Leichenrede.
Erweiterung der von Domitian begründeten Alimentationen.
98 Nervas Tod 27. Jan. Traian übernimmt den Prinzipat in der
Colonia Agrippinensis.
Die Lebensbeschreibung des Agricola und die
Germania des Tacitus.
Traian begiebt sich zur Sicherung der Grenze an die Donau.
Zeittafel. 179
99 Traian kehrt nach Rom zurück.
Tacitus klagt mit Plinius den Marius Priscus de
repetundis an.
100 Sex. Julius Frontinus consul III. Seine Schrift de aquis. Am
1. Sept. tritt C. Plinius das Consulat an. Seine gratiarum actio.
Tacitus giebt die ersten Bücher der Historien
heraus.
101 Traian überschreitet im Sommer auf zwei Brücken die Donau
und schlägt den Decebalus vor seiner Hauptstadt Sarmize-
gethusa. — Tod des Silius Italiens und Martialis.
10Ä Decebalus giebt alle Eroberungen heraus und verspricht, römische
Krieger und Kunstverständige nicht mehr in seinen Dienst zu
nehmen. Traianus Dacicus. Sein Triumph.
104 Traian baut eine steinerne Brücke über die Donau.
Plinius giebt die erste Gruppe seiner Briefsammlung heraus.
105 Auflösung des dakischcn Reiches und Untergang des De-
cebalus.
T. Aelius Hadrianus bekleidet die Prätur.
106 Dakien römische Provinz. Colonia Ulpia Traiana, Mittelpunkt
der Latinisierung des Landes. Pannonien wird geteilt. Hadrian,
Legat von Niederpannonien.
A. Cornelius Palma erobert das Mündungsgebiet des Euphrat
und Tigris und richtet die Provinz Arabia Petraea ein. Bostra
römische Colonie. Traian feiert einen glänzenden Triumph
und 123tägige Spiele.
107 Bau des Forum Traiani und der Columna Traiana.
In Centumcellae wird ein neuer Hafen angelegt. Gross-
artige Bauten im ganzen Reich.
Plutarch verfasst die ß6ot napdXXiQXot und widmet sie dem
Q. Sosius Senecio (cos. ord. 99 und 107).
108(?) Plinius schliesst seine Briefsammlung ab, Tacitus
beginnt seine Annalen.
111 Plinius verwaltet als Statthalter die Provinz Bithynia und
Pontus. Sein Briefwechsel mit Traian.
\\2 Tacitus Prokonsul von Asien.
114 Der Senat verleiht dem Kaiser den Titel Optimus. Am
7. Januar zieht Traian in Anliochia ein. Armenien römische
Provinz.
115 Traian in Mesopotamien. Ein Erdbeben zerstört Antiochia.
116 Traian erobert Seleucia und K'esiphon am Tigris. Armenien,
Mesopotamien und Assyrien römische Provinzen. Traian
fährt zu Schiff den Tigris hinunter bis zum persischen Meer-
busen.
12*
180 Zeittafel.
117 Traian muss die Belagerung von Hatra aufgeben.
In seinem Rücken bricht ein Aufstand der Juden in Ägypten,
Kyrene und auf Kypros aus.
Traian stirbt in Selinus, an der kilikischen Küste.
Divus Traianus Parthicus. Sein Nachfolger Hadrian giebt
die neugewonnenen Provinzen wieder auf.
Flavius Arrianus verfasst die Geschichte Alexanders d. Gr.
Tabellen
der
Kaiserkonsulate.
•t-51€=-J'
182
Tabellen der Kaiserkunsulate.
I.
Die Konsulate der Julisch-Claudischen Kaiser.
Kaiser
Lyme
alate
Nr.
Jahre
Datum
Belege
Rhein.
Mus. 35
Oho
d. Stadt
(Varr.)
V. Chr.
des An-
trittes
des Rück-
trittes
Caesar
5
1
706
48
31. Decbr.
(t 15. März 44)
2
707
47
vorSl.Dec.
3
708
46
^1. Jan.
?
4
709
45
9
•
5
710
44
15. März
Augustus
57
1
711
43
19.Aug.
26. Novbr.
(t 19. August 14)
2
721
33
1. Januar
3/10
723/730
31/24
31. Decbr.
S. 174 fg.
11
731
23
26. (?) Juni
1 187 fgg.
-
12
749
5
30.April(?)
13
752
2
n. Jan.
30. Septbr.
n. Chr.
Tiberius
23
1
771
18
vorl3.Feb.
1
(t 16. März 37)
2
774
21
31. März
\S. 176 fg.
3
784
31
9. Mai
J
Gaius
4
1
790
37
1. Juli
12. Septbr.
]
(t 24. Januar 41)
2
3
792
793
39
40
30. Januar
12. Januar
[s. 177 fg.
4
794
41
7. Januar
)
Claudius
13
1
795
42
28. Febr.
I
(t 13. Oktober 54)
2
796
43
30. Juni
[s.]78fgg.
3
800
47
1. Jan.
30. Juni (?)
-
4
804
51
y
31. Octbr.
J
Nero
14
1
808
55
31. Oct. (?)
(t 9. Juni 68)
2
810
57
31. Decbr.
3
811
58
30. April
|s.l78fgg.
4
813
60
30. Juni
5
821
68
April
9
•
Tabellen der KaiBerhonsiiUt«.
Die Konsulate der Flavischen KaiEer.
Kaiser
II
Nr.
Jahre
Datum
Belege
S.§
d. Stadt
n.Chr.
desAn-ldes Rück-
W^
(Varr.)
tritles trittes
Vespasianus
10
1
823
70
April 30
Bonner
(t 24. Juni 79)
2
824
71
März 31
Jahrbuch
3
825
72
April 30
79, 105 bis
4
827
74
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127
5
828
75
April 30(?|
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6
829
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April 301?
De magi-
7
830
77
April 30(?
stratibus
8
832
79
April 30(?1
Flaviorum
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12
1
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70
April 30
(t 13. Sept. Öl)
2
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72
April 30
3
827
74
April 30
4
828
75
Jan. 1 April 30(?]
5
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330
832
76
77
79
April 30
Jan. 12
Jün. 12
8
833
80
Jan, 1 1 V
Domitianus
12
^
824
71
Härzl Juni 30
(t 18. Sept. 96)
2
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Jan. 1 April 3q?)
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Jan, 1
April 30
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82
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83
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10
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85
12
13
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840
86
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Jan.l
14
841
88
Jan. 12
15
843
90
16
846
92
17
848
95
J
184
Tabellen der Kaiserkonsulate.
m.
Die Konsulate der Dynastie des Nerva. ^)
Kaiser
Eponyme
Konsulate
Nr.
Jahre
Datum
d. Stadt
(Varr.)
n. Chr.
des
Antrittes
des
Rücktrittes
Nerva
(t 27. Jan. 98)
2
1
2
850
851
97
98
> Januar 1
im Januar?
v.(?)d.27.Jan.
Traian
(t 7. od. 8. Aug.
117)
20
1
2
3
4
5
851
852
854
856
865
98
100
101
103
112
) Januar 1
Februar 28
April 30
Januar 12
Januar 12
im Januar
Hadrian
(t 10. Juli 137;
20
1
2
871
872
118
119
l Januar 1
Juni 30
April 30
Pius
(t 17. März 161)
21
1
2
3
892
893
898
139
140
145
> Januar 1
Im Januar?
•
?
Marcus
(t 17. März 180)
20
1
914
161
Januar 1
im Januar?
Commodus
(t 31. Dez. 192)
13
1
2
3
4
5
6
7
930
932
934
936
939
943
345
177
179
181
183
186
190
192
Januar 1
Im Januar?
vor Febr. 8
») Vgl. Bonner Jahrbuch 72, S. 52.
Tabellen der KaiserbonsulHte.
Die Konsulate der
spätem Kaiser.
Kaiser
II
Nr
.lalire
Datum
N,e
d. Sladf ™
(Varr.)'"'*^"'-
des
des
Antrilles
Rücktrittes
Severus
(t 911)
18
947
955
194
202
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Im Janaar
955
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(t 217)
958
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205
208
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318
972
219
973 320
975 293
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975
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(t 235]
979
982
226
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s
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s
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(t 251)
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251
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Gallienus
13
1007
254
(t268)
1008
1010
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255
957
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-j
1015 , 2(i2
1017 ' 264
1019 ' 266
iarelianus
5
1024
271
(+ 275)
1027
1028
274
275
Probus
f!
1030
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[f 282)
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1031
1032
1034
1035
278
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281
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Carmus
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1
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I.
Domitian als Begründer der Alimentationen.
«Das Institut der Alimentationen ist nach dem Zeugnis des
Aurelius Victor, das durch die Münzen eine Bestätigung erhält, von dem
Kaiser Nerya begründet worden, der ohne Zweifel in Erinnerung seines
italischen Ursprungs durch verschiedene Massregeln sein Bestreben
dargethan hat, für sein gegen die Stadt Rom bis dahin ungebührlich
zurückgesetztes Heimatsland Sorge zu tragen." So Hirschfeld, Rom. Ver-
waltungsgeschichte, S. 114. Auch Herzog, Geschichte und System der
römischen Staatsverfassung 2, 1, S. 337, lässt Nerva den Begründer
dieses Institutes sein. Für seine kurze Regierung sei die Anregung
des Planes charakteristisch. Traian habe ihn ausgeführt. Eben der Um-
stand, dass Traian sofort nach seiner ersten Rückkehr nach Rom die
Sache in die Hand nahm, spreche dafür, dass ein Anfang von Nerva
gemacht war^).
Nun hat der jüngere Plinius in seiner Heimat Comum eine ähnliche
Stiftung begründet, über die er ep. 1, 8 näheres mitteilt*). Wie kommt
es, fragt Herzog, dass er weder an dieser Stelle noch ep. 7, 18, wo er
sein Beispiel einem andern zur Nachahmung empfiehlt ^) , des kaiserlichen
Vorgangs gedenkt? Die Annahme, dass Plinius sein Thun mit dem des
Kaisers nicht in Parallele stellen wollte, ist wenig befriedigend. Der
Grund liegt tiefer. Er konnte sich nicht entschliessen, an eine wohl-
thätige Massnahme Domitians zu erinnern.
Ehe wir den Beweis antreten, dass Domitian der Begründer der
Alimentationen gewesen ist, soll noch darauf hingewiesen werden, dass
nichts dafür spricht, dass der Brief ep. 7, 18 im J. 107 geschrieben
ist. Die Bücher der Plinianischen Briefsammlung sind in Gruppen her-
ausgegeben, und in den spätem Gruppen sind früher verfasste Briefe
enthalten. Nichts hindert anzunehmen, dass ep. 7, 18 aus derselben
*) Victor, ep. 9: Puollas puerosqiie natos parentibus egestosis sumpta
publico per Italiae oppida ali iussit. Vgl. die Münze bei Cohen 11 S. 142.
^) Accedebat his causis quod non ludos aut gladiatores sed annnos
sumptus in alimenta ingenuorum pollicobamur. Oculornm porro et
aurium voluptates adeo non egent commendatione , ut non tarn incitari
debeant oratione quam reprimi: ut vero aliquis libenter educationis taediom
laboremque suscipiat, non praemiis modo verum etiam exquisitis adhor-
tationibus inpetrandnm est. — Praesertim cum enitendimi haberemns ut
quod parentibus dabatur et orbis probaretnr, honoremque paacomm
ceteri patienter et expectarent et mererentor.
') Deliberas mecum qnemadmodum pecunia quam municipibus nostris
in epnlum optalisti post te quoque salva sit. — Equidem nihil commodios in-
venio quam quod ipse feci. Nam pro quingentis milibiis nummum, qnae in
alimenta ingenuorum ingenuarumque promiseram, agnun ex meis
longe pluris actori publico mancipavi.
Domitian als Begründer der Alimentationen. 189
Zeit wie ep. 1 , 8 herrührt. Für die Beweisführung ist diese Frage ohne
Belang. Sicher ist, dass ep. 1, 8 unter Nerva oder in den ersten
Jahren Trai ans verfasst ist. Wenn aber in diesen Jahren ein Privat-
mann in einer italischen Landstadt eine Stiftung fundiert, deren Zweck
sich mit dem öffentlichen Institut der Alimentationen deckt, so liegt
der Schluss unbedingt nahe, dass letzteres bereits geraume Zeit be-
standen und sich bewährt hatte.
UndPlinius, der in seiner Briefsammlung davon schweigt, sagt dies
ausdrücklich in der gratiarum actio , wo ihm Domitian als Folie für den
neuen Kaiser herhalten muss. Ein ziemlich ausführhcher Abschnitt
26—28 handelt von Congiarien und Alimenten. Die Stelle ist reich an
offenen und verdeckten Anspielungen auf Domitian:
„Magnum quidem est educandi incitament um tollere liberos in spem
alimentorum, in spem congiariorum ; maius tamen, in spem liber-
tatis, in spem securitatis. Atque adeo nihil largiatur princeps, dum
nihil auferat; non alat, dum non occidat: nee deerunt qui filios con-
cupiscant. Contra largiatur et auferat, alat et occidat: ne ille
etiam brevi tempore effecerit ut omnes non posterorum modo
sed sui parentumque paeniteat. Quocirca nihil magis in tua tota
liberalitate laudaverim quam quod congiarium das de tuo, alimenta de
tuo, neque a te liberi civium, ut ferarum catuli, sanguine et cae-
dibus nutriuntur; quodque gratissimum est accipientibus , sciunt dari
sibi quod nemini est ereptum, locupletatisque tam multis pauperiorem
esse factum principem tantum; quamquam ne hunc quidem. Nam cuius
est quidquid est omnium, tantum ipse quantum omnes habet. Alio me
vocat numerosa gloria tua: alio autem? quasi vero iam satis veneratus
miratusque sim quod tantam pecuniam profudisti, non ut flagitii tibi
conscius ab insectatione eins averteres famam nee ut tristes hominum
maestosque sermones laetiore materia detineres."
Im folgenden wird die Beziehung auf Domitian noch deutlicher:
„Nullam congiario culpam, nullam alimentis crudelitatem
redemisti, nee tibi bene faciendi fuit causa ut quae male
feceras impune fecisses. Amor impendio tuo, non venia quaesita
est, populusque Romanus obligatus a tribunali tuo, non exoratus re-
cessit. Das Congiarium, fährt Plinius fort, habe er „gaudentibus gaudens
securusque securis" geboten. Was andere Fürsten zur Beschwichtigung
seiner Erbitterung dem Volke vor die Füsse warfen, habe Traian ebenso
schuldlos gegeben, wie es das Volk entgegennahm. Hierauf geht der
Panegyriker auf Traians Alimentationen über. Nahezu 5000 Frei-
geborene haben die Milde des Kaisers aufgenommeii, „hi subsidium
bellorum, ornamentum pacis publicis sumptibus aluntur, patriamque non
ut patriam tantum verum ut altricem amare condiscunt". Aus diesen
werden sich die Heerlager , aus diesen die Tribus ergänzen , von diesen
werden einst Kinder ausgehen, die der Unterstützung nicht bedürfen.
Kein Wort davon, dass Traian etwas Neues eingeführt habe. In
immer andern Wendungen wiederholt Plinius die Invektive gegen Do-
mitian, dass er seine Unterthanen gebrandschatzt habe, um Congiarien
und Alimente verleihen zu können.
Die von diesem Kaiser verliehenen Congiarien werden von Sueton
verzeichnet. In den Jahren 83, 89 und 93, bei Gelegenheit der Feier
des Sieges über die Chatten, die Daker und Sarmaten wurden jedem
Römer, der Anspruch auf Teilnahme an den Getreidespenden hatte,
75 Denare gezahlt.
Ist aber Domitian der Begründer eines Instituts gewesen, das sich
in der Folgezeit so segensreich entfaltete, so muss es auffallen, in der
gleichzeitigen Litteratur, die selbst zweifelhafte Erfolge und unbedeu-
tende Regierungsakte des Kaisers verherrlichte, keine Spur zu finden.
Man könnte eine Beziehung auf die Alimentationen bei Statins in der
190 Domitian als Begründer der Alimentationen.
zweiten Silve des vierten Buches suchen. In diesem Gedichte feiert
Statins in fünf Relativsätzen hervorragende Massnahmen des Kaisers:
1) Die Anlage des Janustempels auf dem Forum transitorium , 2) das
Edikt , das zu Gunsten des Ackerbaues den Weinbau einschränkte , 3) das
Verbot der Kastration, 4) die Herstellung des Kapitols, 5) die Einrich-
tung des cullus Flavius. Das dritte Satzglied: „Qui fortem vetat in-
terire sexum et censor prohibet mares adultos pulchrae supplicium
timere formae" wird gewöhnlich auf die Edikte der J. 82 und 90 be-
zogen*), wodurch die Entmannung bezw. die Prostitution der Kinder
verboten wurde. Diese Beziehung ist wahrscheinlich richtig. Dann hat
der Dichter allerdings in beiden Sätzen denselben Akt hervorgehoben.
Statins hätte sicher nicht von einer so einschneidenden Massregel, wie
die Begründung der Alimentationen war, geschwiegen, wenn er davon
gewusst hätte.
Das betreffende Gedicht ist eines der jüngsten der ganzen Samm-
lung und um das Jahr 95 herausgegeben, als der Bau der via Do-
mitiana, die von Sinuessa nach Puteoli führte, fertig geworden war*).
Das Fehlen einer Beziehung in der Litteratur und besonders in der
angeführten Stelle auf die in Frage stehende Einrichtung nötigt zur
Annahme, dass ihre Anfänge in die beiden letzten Regierungsjahre Do-
mitians zurückgehen. Aus den Worten des Panegprikus „contra largia-
tur et auferat, alat et occidat: ne ille iani brevi tempore
effecerit, ut omnes non posterorum modo sed sui parentam-
que paeniteat" möchte man schliessen, dass der Kaiser nicht lange
vor seinem gewaltsamen Ende den Schritt gethan hat, den man als
Begründung der Alimentationen bezeichnen kann. Dieses Werk wird
infolge der Ächtung Domitians zunächst ins Stocken geraten sein, bis
Nerva es dann aufnahm, ohne es erheblich zu fördern. Damit ist in
Übereinstimmung, dass der Auszug aus Dio unter Nerva die Sache
nicht erwähnt. Plinius würde der Verdienste Nervas sicherlich gedacht
haben, wenn sie weit über diejenigen seines Vorgängers hinausgegangen
wären. Diesen Schritt hat erst Traian gethan. Eine Andeutung auf die
damals erfolgte Erweiterung der Alimentationen könnte in den Worten
des Panegyrikus Kap. 28 gefunden werden: „Et quando maiorem
infantium turbam iterum atque iterum iubebis incidi! augetur enim
cotidie et crescit, non quia cariores parentibus liberi, sed quia
principi cives." Es vergingen mehrere Jahre, ehe die Anlegung der
Gelder in den verschiedenen Teilen Italiens abgeschlossen war. Dabei
beabsichtigte Traian, durch Darleihung unkündbarer Kapitalien, dem be-
drängten kleinen Grundbesitz in Italien zu Hülfe zu kommen. (Vgl.
Hirschfeld a. a. 0. S. 114fg.) Ausgeführt wurden diese Pläne erst später').
^) Vgl. Silv. 3, 4: Nondnm pulchra ducis dementia coeperat orta
iactatos servare mares; nunc frangere sexum atque liominem matare nefas.
Martial. 6, 2.
*) Dio 67, 14. Sueton, Dom. 15. Imhof, Der Kaiser Domitian , S. 87.
Friedländer, Sittengeschichte 3^, S. 478.
^) Auf die beiden Reliefs, die 1872 anf dem Forum aufgefunden
wurden, kann hier nicht eingegangen werden. Nach Visconti und Cantarelli
(bullettino communale 1889 p. 89) stellen sie zwei öffentliche Akte Do-
mitians dar. Hülsen in den Mitteilungen des archäologischen Institats.
Rom. Abt. IV 1889 S. 239—240 hält es für unmöglich, dass ein Monument
Domitians, eines Kaisers, bei dem die memoriae damuatio so energiacli
durchgeführt wurde, an der hervorragendsten und zugänglichsten Stelle
des Forums unbehelligt weiter existieren konnte.
IL
Zu den Konsularfasten.
1. L. Appius Norbanus Maximus war der Beweisführung von
litterling zufolge (Westdeutsche Zeitschrift XII S. 203 fg.) im J. 88/89
ithalter von Germania inferior. Nach bekannten Analogieen dürfte sein
es Consulat in das J. 84 zu setzen sein. Sein zweites Consulat , das
6, 1347 bezeugt wird, fiel ihm als Belohnung seiner glänzenden
dienste im J. 90 zu. Vgl. Gsell, L'empereur Domitien, S. 256 u. 350.
2. Cornelius Tacitus. Das Konsulat des Tacitus habe ich Ana-
a historica et epigraphica Latina, S. 16, für das J. 98 in Anspruch
ommen, weil der von Plin. paneg. 58, an einer Stelle, die sich auf
les Jahr bezieht, als lebend bezeichnete „ter consul" niemand anders
Verginius Rufus, derselbe, dem Tacitus als Konsul die Leichenrede
t, gewesen sein könne. Gegen diesen Ansatz , der von angesehenen
ehrten gutgeheissen wurde , haben E. Klebs im Rhein. Mus. 44 (1889)
J73— 279 und Ph. Fabia, Rev. d. phil. XVII (1893) S. 164fg. mehrere
lenken geltend gemacht, die G. Andresen in der Zeitschr. f. Gym-
ialwesen J. B. XVI S. 289 XX S. 140 für unerheblich erklärte. Ich
»st kann für das J. 98 nicht mehr eintreten, seitdem man weiss,
3 auch FabriciusVeiento zum dritten Konsulat gelangte (S. u. n. 4).
is er im J. 97 noch lebte und im Senate war, geht aus Plin. ep. 4,
4. 9, 13, 13 und Victor ep. 12 hervor.
3. P. Clodius, Eprius Marcellus, consul iterum im J. 74, Pro-
sul von Asien. Über sein erstes Konsulat hat Borghesi opp. 3, 285
336 gehandelt. Im J. 57 kehrte er aus Asien zurück und wurde nach
:. ann. 13, 33 de repetundis angeklagt. Wäre er damals Konsul ge-
;en, so hätte es Tacitus gewiss erwähnt. In den J. 58, 59, 60 ist
zweite Semester besetzt. Platz ist im J. 61, für das sich auch
ghesi entschied.
In dasselbe Jahr kann sehr wohl das erste Konsulat des Vibius
jpus fallen. Sein drittes gehört in das J. 83, sein zweites bekleidete
m Anfange der Regierung Vespasians, zu deren Stützen er, einer
reichsten Männer seiner Zeit, gerechnet werden muss. Als curator
arum (Fontin de aq. 102) war er Nachfolger des Fonteius Agrippa,
58; über das J. 61 herabzugehen empfiehlt sich nicht. Er erscheint
er den Konsularen , die Martial als seine Gönner aufführt epigr. 12 , 36 :
Dnes Senecasque Memmiosque et Crispos mihi redde sed priores.
dazu Friedländers Commentar.
4. Vibius Crispus und Fabricius Veiento „Lumina Nestorei
is prudentia Crispi et Fabius Veiento potentem signat utrumque pur-
a: ter memores implerunt nomine fastos" aus Papini Statu de hello
manico quod Domitianus egit carmine der Scholiast des Valla.
lahn, Rhein. Mus. 9, 627. F. Bücheier, Rhein. Mus. 39, 283 und
respondenzblatt für Westdeutsche Gesch. und Kunst III 92 117.
Mommsen, ebenda XII (1893) n. 64. Die Inschrift, die das dritte
192 Zu den Konsularfasten.
Konsulat des A. Didius Gallus Fabricius Veiento bestätigt, bezeugt auch
seine Anwesenheit in Mainz (während des Chattenkrieges). Nach allem, was
wir bisher von den Konsularfasten dieser Zeit wissen , können Veiento und
Grispus sehr wohl im J. 83 untergebracht werden. Der eine von beiden
war anscheinend der Substitut des Kaisers , der regelmässig am 13. Januar
zurücktrat, und blieb während des ersten Nundinium mit Q. Petillius
Rufus cos II im Amte. Der andere kann im zweiten Nundinium, am
1. März gefolgt sein. Zu einer andern Zeit als im Anfange des Jahres
können sie nicht fungiert haben. Dass Veiento und Vibius Grispus als
Konsulnpaar zu behandeln sind, folgt wohl nicht aus der bei dem
Scholiasten erhaltenen Stelle aus Statins' Gedicht ,de hello Germanico'.
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