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Full text of "Sagen und Geschichten von Wurtemberg's Burgen"

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Sagen und — 


von SE © — 


der Stammburg Wirtemberg, dem Kloſter 
- Hirfan, der St. Johanniskirche zu Gmünd, 
von Hohen-Rechberg, Hohen-Neufen, dem 
Michelsberg u. ſ. w. u. — w. 
Von 


* 
Ottnar 5. H. Schönhuth, 


—— — 
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Stuttgart, 


Berlag von Eduard Fifhhhaber. 





Vvorwort. 


— 


Wenn je eine Landſchaft unferes deutfhen Va— 
terlandes das Land der Burgen und Sagen ger 
nannt werden kann, fo ift es unſer liebes Würt- 
temberg, das Land der Schwaben mit Den Hohen: 
lohe'ſchen Landestheilen. Es ift fein Berggipfel, 
feine nur fleine Höhe, von der nicht eine Ritter: 
burg oder eine Ruine herabblickt, an deren Grün: 
dung oder Zerftörung ſich nicht eine anmuthige 
Sage fnüpfte; wir finden aber auch kaum einen 
ſchönen romantischen Thalwinfel, aus dem ung nicht 
die alterthümlichen Gebäude eines Klofterg oder 
einer Kaßelle entgegenwinken, über deren Entſte— 
hung ſich in Chroniken oder im Munde des Vol— 
kes nicht eine Geſchichte erhalten hätte, 


IV 


Zwar haben manche unferer Burgen und Klö— 
fter Schwabens Schon Darfteller gefunden , aber 
boch fehlte es bis jest an einem Werfe, das eine 
Zufammenftelung aller Sagen und Geſchichten 
derfelben enthält, und insbefondere hat eine Ge- 
gend des Württemberger Landes big jest noch 
wenige Darfteller erhalten — wir meinen Würt- 
tembergs Antheil am füdlihen Franfen, Die ſchö— 
nen Gegenden des Hohenloher Landes. Iſt aber 
diefer Fleck des Baterlandes niht auch reih an 
Burgen und Sagen? Wandert dur die reizen- 
den Thäler deg mittleren Kochers, der Jagst und 
der Tauber — auch auf ihren Höhen prangen 
alte Burgen, die der Berheerung ftürmifcher Jahr—⸗ 
Hunderte widerftanden, und da oder dort fhaut 
man noch ein Klofter, eine Kirche, oder Kapelle, 
‚von denen das Volk Gefhichten und Mährchen 
zu erzählen weiß. Auch bier ift poetifches Land, 
auch bier ein Elaffifcher Boden, der einer Dar- 
ftellung werth ift mit feinen Burgen, Klöſtern, 
Kirchen und Kapellen. 

Dieſes ſein geſammtes Württemberger Vater— 
land in ſeinen Burgen, Klöſtern, Kirchen und Ka— 
pellen hat der Verfaſſer zum Gegenſtand ſeiner 


V 


Daxſtellung gewählt; vornämlich will. er alle Sa— 
gen und Geſchichten zuſammenſtellen, die ſich an 
dieſe und jene Burgen, Klöſter, Kirchen und Kapellen 
fnüpfen, wie ſich der Epheu um ihre alten Mauern 
und Ruinen windet. Als ein bekannter Antiqua— 
rius an der Tauber, wie an der Jagst und am 
Kocher, bevorab am herrlichen Bodenfee, hielt er fi) 
für berechtigt, diefe Arbeit zu unternehmen. Denn 
wie manchen Hügel und Felsberg hat er evitie- 
gen und ift auf den Auinen der Burgen geſtan— 
den, Die fie zieren — in wie mandes Klofter, 
Kirchlein und Kapelle ift er fehon eingetreten, und. 
bat auf alten Denfmalen nicht nur Namen, fon- 
dern auch Gefhichten und Sagen entziffert, oder 
in Chronifen darüber nachgeſchlagen; wie oft ift 
er mit lauſchendem Ohre vor einem alten Müt- 
terlein geftanden, und hat über dieſe oder jene 
Burg, diefes oder jenes Klofter fih Runden ge— 
fammelt, und Gefdhichten und Mährchen fi er- 
zählen Yaffen. Was er auf diefe oder jene Weite 
gefunden und gefammelt, fol in diefem feit Jah— 
ren vorbereiteten Werfe feinen lieben Landsleuten, 
den Schwaben wie den Franken, den Altwürt- 
tembergern wie den Hobenlohern, zu Luft und 


VI 


Lieb, zur Kurzweil, aber mitunter auch zur Ber 
lehrung, in gewiß anfprechender Weife befchrieben 
und erzählt werben. 

Da die Preußiſch-Hohenzollern'ſchen Lande durch 
ihre Lage und Schidfale bisher in fo mannigfacher 
Beziehung zu Württemberg geftanden, fo haben 
wir auch diefe an Gefchichten und Sagen fo reiche 
Landſchaft in den Kreis unfrer Darftellung gezogen. 
Wir werden auch ihnen, den freundlichen Nachbarn 
von Hohenzollern, die mit uns durch Sprade 
und Sitte ſo innig verwandt find, ihre Burgen, 
Klöfter und Kapellen mit ihren fchönen Kunden der 
Borzeit vorführen, und ihnen ihre vaterländifchen 
Denfmale aufs Neue lieb und werth machen. 

Möge vorliegender erfter Band eine freund: 
fihe Aufnahme bei Allen finden, die für ihr Hei: 
mathland, feine Gefchichten und Sagen begeiftert 
find, und Zeugniß geben, daß der Herausgeber 
erfüllt, was er verfprocen. 


Ottmar F. H. Schönhuth, 
Pfarrer zu Edelfingen, 


Inhalt. 


— — — — 


Burg Horneck am Necar . 
Suge vom Minneberg h 
Die fehlimme Barbara von Foerne > 
Das Klofter auf dem Eugelsberg 
Die Nonne auf dem Engelsberg —— 
Burg Neuhaus bei ARE a 
Der weiße Hirſch . . ? 
Der Michelsberg am Medar . 
Der heivnifhe Jüngling und die örifiche ungfrau 
Burg Laufen am Necdar . . 
Die heilige Hegiswindis 
Klofter Hirfan - 
Die Suge nom Müllerskind im owatzwad 
Stammburg Wirtemberg 
Der Wirth am Berge 
Burg Falkenftein im Schwarzwald 
Die Suge non dem weißen Falken. . 
Die Kapelle St. Wendel - Stein. im 
Saaftthal . - . 
Der Bau der Steinkapelle i 
Schloß Magenheim im Zabergän 
Die Erfiyeinung auf dem Stromberg . 
Die St, Martinsfirche und * Stift zu 
Sindelfingen äh 
Sage von der Gloce . 
Die Efeldburg 2% 
Die Suge nom Mädchenfelfen N h 
Die St. Johanniskirche zu Gmünd 
Die Sage vom Ringe : ; 


VIII 


Seite 
Waldenburg im Hohenlohiſchen —6 
Die Waldenburger Faſtnacht im Jahr 1570 . . 170 


berggg . nee 
Der Klopfer zu Mefberg 27.207: 


Der Geiſt auf Staufen . . 189 
Langenburg und Katenftein an der Iagft 191 
Die Sage vom Dreißigſten . . ; 196 


Burg und Stift Beutelfpach u ee 
Der Schte von Beutelfpah . 2» 0 won .n nn 222 
Munine Zangenargen am Bodenfee . - .- 245 
Der Graf non Mantfort 2-00 seta 51246 
Hohen-Neufen . . an 
Die Suge von dem edlen Beinen an dem Herrn 
Nous eNden 6 a — EN 
Mohentaryten . . unesns + ware 


Die Suge vom Roßfprung . 284 
ehren und das ‚ehemalige Siofter 
Hofen . . 315 
Die treue Wendilgard ara: muyänıı 
"Des Lebens Schuld und Sühne . 332 
Stift Comburg und — bei Halt. 345 
Der Rechberger . - —— 
— vom Jäger Euornle a a ——— 
Der Buſſen . . ee 
Von ver frommen Kaiferin Hildegard ec «2 ee‘ 
Klofter Marienberg . . 2 6 
Die Rinder von Altenburg . . 2 ——— 


Die Wurmlinger Kapelle bei Tübingen . „412 
Graf Anfelm von Calw und die — or 418 
Der Alte vom Berge . —** 427 

Ruine Geyersburg bei Hall. ER ©) 
Die Gründung der Geyersburg. 445 
Die warnende Ahnfrau ver Geyersburg ... 0 497 


1: 
Burg Horneck a. Meckar, 


ehemaliger Sig des deutſchen Ordens. 


— — 


Nur einen kleinen Antheil hat Württemberg an je— 
ner Strecke des Neckars, in der Hügel an Hügel, 
Berge an Berge ſich reihen, geſchmückt mit ſagenreichen 
Burgen und Kapellen. Nur eine einzige Burg iſt es, 
der wir auf dieſem Flecke begegnen, und die gleichſam 
den Reigen der Burgen führt, "die am rechten Ufer 
des Neckars liegen — es ift die Hiftorifch- merkwürdige, 
Burg Horneck, welche fich über dem fchon unter’ Carl 
dem Großen als villa Gundolfesheim befannten Städt- 
chen Gundelsheim erhebt. Cie liegt. auf einem an 
den Neckar weit vorlaufenden fteilen Kalkſteinfelſen 
mit Schöner Ausficht. Leider haben wir feine aus der 
älteften Zeit ftammende Burg vor und, fondern ein. 
Herrenhaus aus dem L6ten Jahrhundert. Mitten aus 
dem neuen Gebäude erhebt fich ein vierecfigter Thurm 
(Berchfried), genannt Treppentburn, deſſen Wendeltreppe 
in das neuere Schloß führt. Diefer, fo wie zwei in dem 
untern Hofraum der Burg rechter Hand vom Eingang 
ftehenden Gebäude von: düſterem Ausſehen gehören 
möch der alten Burg an, Auch die mit Epheu über— 

! 


2 


zogenen Vorwerke der Burg mit ihren Thürmchen, in 
deren einem noch ein fchauerliches Verließ jich findet, 
ffammen noch aus alter Zeit. Vom unten liegenden 
Städtchen Gundelsheim aus ift Die Burg leicht zu be- 
fteigen, nicht jo von der Landſtraße aus, da fie auf 
faft fenfrecht emporfteigenden Kalffelfen ruht. Von der 
nördlichen Seite aus hat Schloß Horneck ein noch dro— 
benderes Ausſehen, indem fich bier eine tiefe Schlucht 
den Berg binanzieht. — 2 

Conrad v. Horneck, ein Ritter von altem Gefchlechte, ° 
das fehr begütert in dieſer Gegend geweſen, foll in der 
eriten Hälfte des 13ten Jahrhunderts Die Burg erbaut 
haben. Don ihm ging ſie an den deutſchen Orden 
über. Wie das geſchah, ‚darüber berichtet ‚ein altes, 
jeiner Inschrift nad) ums Jahr 1464 gefertigtes Del» 
gemälde, welches neben einer Jungfrau Maria und der 
Abbildung des alten Schloffes Die Uebergabe Der Bes 
figung ‘an den deutſchen Orden durch Herrn Conrad ». 
Horneck Darftellt. Die Legende des Bildes lautet aljo: 

„Da man zalt von der Geburt: unfer& Herrn 1250 
Jahr da faß ein edel freyman hie zu hornegg, der hieß 
berr Konrad von hornegg und hat 3 Kindt, der war 
eins ein Tochter und zween füne. Da demſelben edel 
freyman jein Fraw geftarb, da gab ihm Got Die Ge- 
nadt, Daß er fich begeben wollt, mit feinen. findern und 
gabe die Dochter in das Klofter zu Billigheim und gab 
da fich felber und feinen Sohn der Jungfrau. Maria 
und dem deutſchen Orden. Der Kinder eines, Wernher 
von Kornegg, war lahm. Opferte herr Conrad fich felber 


3 


and das Schloß Hornegg und alles Gut, das er hatte 
Gott, unferer framen und dem Orden, und do er das 
lahm Kind auf den Altar gefegt, als er vor nie ge= 
tban hatte, da thatte Got das Zaychen und machte es 
alfo gefund als fein ander Menfch an all feinem Leib. 
Da nam do der vorgenannt Bruder Conrad von hor— 
negg den ein Sohn mit ime und fuhr über Meer und 
mar do alfo lang bis das derfelb fon geftorben, da 
kam er bier wieder zu hornegg und bleyb do alfo lang, 
bis Das Gott ime gaß ein gut felige ende feines Lebens 
an dem nechiten Tag nach St. Raurenzen tag und ligt 
begraben bie zu hornegg in dem fohr vor dem Altar. 
Danach lebt fein ander fune, Bruder Wörnder, den do 
Got gejund macht, manich Iare in eine gute beylige 
und vollkommende Leben und war alfo beyliges Lebens, 
Das sich alles Das befjert feines Lebens das in gefach, 
und ftarbe, do man zalt von der geburt unferes herrn 
Jeſu Chriſti Dreizehnhundert und fechs Jar, an St. 
Dionifti tag und liget auch allhier zu hornegg im kohr, 
begraben vor dem Altar und Bruder Conrads Gebein 
feines Vaters bei ihme. Den und uns allen Gott - 
genad. Amen.“ 

Zu dieſer Schenkung gefellten fich bald mehrere von 
umliegenden del, fo daß Burg Horneck bald zum Sit 
einer Commende wurde, denn ſchon i. 3. 1274 ver: 
faufte Bruder Werner, Commenthur auf Horneck, meb: 
rere Einfünfte in Edigheim und Oppau an das Klo= 
fter Schönau. Schon in der erften Hälfte Des 14ten 
Sahrhundert3 war die Commende fo bedeutend, Daß 


4 


ſogar die Deutſchmeiſter auf dieſer herrlich gelegenen 
Neckarburg ihren Aufenthalt wählten. Eberhard von 
Seinsheim, Meiſter Deutſchordens von 1420—1443, 
wohnte und ſtarb zu Horneck, wo er in der Burgka— 
pelle begraben liegt. Nach ihm hielt ſich der Deutſch— 
meifter Eberhard von Stetten, aber nur furze Zeit, hier 
auf. Der wichtigjte Bewohner der Burg war Joſt von 
Denningen, Deutſchmeiſter und Rath Friedrich Des 
Siegreichen von der Pfalz, der fich gar oft in Streit- 
jachen feiner als eines Vermittlers bediente. Auch er 
ftarb zu Horneck und murde daſelbſt begraben. "Unter 
ihm wurde Horneck einer der Kauptfige des Ordens 
in deutſchen Landen. Auf ihr lebten und ftarben hin— 
tereinander Die Meifter Ulrich von Lentersheim, An— 
drea von Grumbach, Hartmann von Stockheim, Jo— 
hann Adelman von Adelmannzfelden, deren Grabmale 
in der noch wohl erhaltenen Burgfapelle zu fehen find. 
Unter den Deutfchmeifter Dietrich von Cleen war die 
Kanzlei und das Archiv des Ordens auf Horneck, ſei— 
nem Lieblingswohnſitz. Das anziehende Banerndeer 
veranlaßte ihn im 3. 1525, von hier aus mit allen 
jeinen Kleinodien nach Heidelberg zu flüchten, und Die 
Ordensburg Kornef ihrem Schickſal zu überlaffen. 
Darüber gerade, daß fie den Vogel mit all feinen Schä— 
Ben ausgeflogen fahen, und fie menig mehr fürs Ki- 
ſtenfegen und Seckelleeren fanden, ergrimmten fte jo ſehr, 
daß fie das Schloß anzündeten und abbrannten. Den 
alten gleichzeitigen Bericht hierüber finden wir in fol- 
gender alter Infchrift auf dem Treppentburm. 


- 


0) 


Anno domini 1525 unter Regierung Herrn Dies 
terich son Eleen. 

„Von Dftermondag den 17. Dags Aprillis bis 
uf * Sondag Exaudi zu rechnen an blibe das Schloß 
aus Forcht der Bauern Grimmikeit ganz öde und on 
ein Haupt verlaffen ftan. Am Sondag nach Oſtern 
wurde es von dem Hauffen der Bauern geblündert 
und genommen; un an Freidag nach quasimodoge- 
niti den 5. Dags Mait Durch vierzehn dazu verord- 
nethe von Bauern zu Boden verbrennt. Die Schloß 
Stocksbergk, Sulme, Dalaw desgleichen geblündert, 
zerrifen und abgebrochen, Schewerbergf jchon erbaut 
fampt SHeuchlen wurden auch ald darvor verbrenth. 
Darnac) umb den Sondag Exaudi name der Bawern 
Wüthen mit Blutvergiffen ein ende. 

Bald nad) dem Banernfrieg wurde das Schloß Horneck 
wieder aufgebaut: mwahrfcheinlich von den Jahren 1529 
bis 1533, denn Diefe Zahlen finden fich auf einzel- 
nen Steinen. Es geſchah unter dem Deutjchmeifter 
Walter von Cronberg, der zugleich als Adminiftrator 
des Hochmeifteramts in allen Landen des Ordens ein— 
gejegt war. Weil Diefer die Stadt Mergentheim zu 
feinem MWohnfig wählte, fo war Horneck von nun an 
nur der Sit eines Commenthurs. Als das Schloß 
mit Gundeleheim an die Krone Württemberg kam, 
war es bald Kaferne, bald Speicher, bald Lazareth. 
Später wurde es zu einem Amtsfig eingerichtet. End» 
lich, als es ſchon zum Abbruch beftimmt werben follte, 
faufte es ein deutſcher Kaufmann in Moskau un 


[ 


6 


8000 fl.; von dem ging es an den jekigen Befiber, 
Kaufmann Sandel von Sall über, der Das herabge— 
fommene Gebäude, in dem fich noch manche Spuren 
alter Pracht finden, wieder wohnlich bergefiellt hat. 
In der reftaurirten Kapelle wird feit neuerer Zeit für 
die Evangelifchen der Umgegend Gottesdienft gehalten. 

Von der Burg Sornef, deren Gefchichte wir im 
Ueberblick gegeben, gingen mehrere unter fich nahe ver— 
wandte Gejchlechter aus, die fich nach ihr nannten. 
Dem älteften gehörte‘ Der fchon genannte Conrad mit 
jeinen Kindern an, der noch einen Bruder Namens 
Merner hatte, welcher fehr reich geweſen ſeyn muß, 
denn er fliftete 4 Präbenden als Probft zu Wimpfen. 
Vielleicht war auch jene Mechtild von Horneck, Die im 
Stift zu Wimpfen eine Jahrzert hatte, won dieſem 
Stamme Mit ihn eng verwandt war das Gefchlecht 
der Hornecke von Hornberg, Das wohl nach Mebergabe 
der Burg an den deutichen Orden feinen Wohnſitz 
auf der nahen Burg Sornberg nahm, umd bis in Die 
jpätefte Zeit blühte. Zu diefem Gejchlecht gehörte jene 
Minna von Sorned, welche in der Lieblichen 


Sage vom Minneberg 


verherrlicht iſt. Füglich ziehen wir fie in unfern Bes 
reich, ob fie gleich mehr auf dem Hornberg gegenüber 
von Horneck und weiter unten am linfen Ufer Des 
Neckars auf der Burg Minneberg ihren Echauplaß hat. 

Auf der Burg Hornberg, wo einft die heilige Note 


7 


burga in ihrem ftillen Kämmerlein: zwifchen der. Welt 
und ihrem Glauben fchwanfte, wohnte lange nad) ihr 
auch eine Zierde ihres Gefchlechts, Minna von Horneck. 
Ein Graf von Dilsberg, reich und angefehen vor allen 
Nittern jener Gegend, warb um des Mägdleins Hand, 
und nicht vermochte Minnas DBater , einen ſo angefe- 
benen Eidam auszufchlagen. 

Aber Minna's Serz und Liebe gehörten längft dem 
Nitter Edelmuth von Neckarfteinach, Der zwar arm an 
Gütern, aber deſto reicher an männlicher Tugend war. 
Einft hatte ihn ein fröhliches Turnier auf die Burg 
gerufen, und- die Jungfrau, welche ihm den: Sieges— 
preis: gereicht, hatte fein Derz gewonnen. Des Nitters 
Schönheit und wortreffliche  Eigenfchaften  verichafften 
ihm bald Gegenliebe. Doch der Liebe Glück war von 
furzer Dauer. Denn auch in Diefes einſame Thal 
drang der Ruf zur Eroberung des heiligen Grabes, 
und Ritter Edelmuth fäumte nicht, ,. ihm zu folgen. 
Minna's Bater war dieß erwünfcht: er mollte den Ges 
liebten feiner Tochter entfernen (hatte er Doch: bereits 
einem Andern ihre Sand zugefagt) und beſtärkte Edel— 
muthen noch durch Das  gleißnerifche Berfprechen in 
feinen Vorſatze: ihm, komme er als Sieger zurüch 
Minna zur Gattin zu geben. 

Echmerzlich; war die Trennung der beiden Liebenden. 
Zange fieht Dinna vom Söller der Burg trauernd ih- 
rem Geliebten nach, wie er, deſſen edle Geftalt inmit- 
ten der ganzen Pilgerſchaar hervorragt, den ——— ab⸗ 
wärts ſchifft. 


8 


Fahre vergingen — der Thaten viele vollbrachte 
Edelmuth, und fchon war er feines Gelübdes ledig, 
und nur die Ehre hielt ihn zurüf, da des Kampfes 
noch fein Ende, als er in einer heißen Schlacht, abe: 
gefchnitten von den Seinen, in Veindes Hände gerieth. 

Diefer, ergrimmt ob der ausgezeichneten Kriegstha— 
ten des Helden, welche Schaaren von Ungläubigen den 
Tod gebracht hatten, warf ihn in eine Höhle, einft Der 
Aufenthalt wilder Thiere. Zwei Tage verlebte ex bier 
ohne die mindefte Nahrung ; am dritten endlich erblickte 
er oben am der einzigen Deffnung, welche fein Kerfer 
hatte, ein liebliches Geficht ; eine .fehöne Hand warf 
ihm drei Pfirfiche hinab, und eine zarte Stimme rief, 
inden zugleich ein Seil von oben heraßgleitete: „Zwei 
Diener harren meines Winkes, darum komm und folge 
mir in jene ftillen Thäler, wo wir uns ungeftört der 
Liebe freuen fünnen.” | 

Aber: der Ritter antwortete: „Nur in meiner Hei— 
math werd’ ich Liebe finden; Doch denkſt du edel, fo 
rette mich.’ — „Nur Liebe kann dich retten,‘ entgeg- - 
nete Die Stimme, „nur in meinen Armen: wirft du. 
Freibeit finden.“ — „Nur wer Treue übt,” antwortete 
Edelmuth, „ist wahrhaft frei; und ſo wahr ich ein 
Ritter bin, werde ich mein Gelübde nicht brechen. — 
Da verſchwand die rettende Erjcheinung, und tiefe Sehn— 
jucht ergriff den Gefangenen nach feiner Geliebten. 

Auch Diefe hatte unterdeſſen ſchwere Kämpfe zu bes 
ftehen, doch wanfte ihre Treue gegen ihren: Erforenen 
nicht. Als endlich die flehentlichften Bitten über ihren 


9 


harten Vater nichts vermochten, und er fie zur Ver— 
mählung mit den Grafen von Diläberg zwingen wollte, 
entfloh Minna aus der väterlichen Burg, von einer 
getreuen Zofe begleitet. 

Sie beftiegen einen Nachen, und fuhren, im Dunfel 
der Nacht, den Strom hinab. Gegen Morgen famen 
jie an den fchroffen Abhang eines Berges, deſſen Gipfel 
von uralten Eichen bedeckt war. Sie landeten, um bier 
einen Zufluchtsort zu fuchen, und gaben den Nachen 
den Wellen Breis. Durch das dichtefte Gebüfch ftiegen 
die zarten Frauen den Felſen binan, nicht ohne große: 
Mühe, bis fie eine Höhle entdeckten, worin Minna, 
bis zur Rückkehr ihres Ritters, mit ihrer Zofe zu 
wohnen bejchloß. 

Aber fiebenmal Eehrte der Frühling, nur der Geliebte 
nicht. Da endlich brach der Jungfrau Herz in unge 
filter Sehnfucht. — Die treue Zofe benegte die Leiche 
ihrer Herrin mit beißen Thränen. Plötzlich vernahm 
fie eine Stimme Hinter fich, und ala fie fich ummanbdte, 
ftand Ritter Edelmuth in lichtem Waffenſchmucke vor 
ihr. Er hatte ſeine Minna auf der Burg geſucht, und 
als er dort niemanden, als den trauernden und reuigen 
Vater fand, ſo ſchwur er, er wolle ſeine Waffen nicht 
eher ablegen, bis er die Verlorene gefunden. Viele 
Tage ſchon hatte er den Wald durchirrt, bis ihn fein 
treuer Dund auf den rechten Pfad führte. Allenthalben 
verfündeten feines Namens Zeichen, von Minna in Die 
Bäume eingegraben, ihm die Nähe der Geliebten. So 
gelangte ev endlich an den Eingang der Höhle. 


10 


Auf einem Moosbette lag entfeelt die Geliebte, noch 
im Tode jchön wie ein Engel. Ein ungeheurer Schmerz 
machte den Ritter beinahe felbft zur Leiche. Zur Bes 
finnung zurückgekehrt, erfüllten feine Klagen die Wälder, 
und jo oft er die Stelle wieder fand, wo feine Minna 
jhon im fühlen Grabe rubte, rannen feine Thränen 
heißer. - Als einft die Abendfonne freundlich den Hügel 
beichien, warf Edelmuth, wie geftärft von oben, fich 
auf feine Kniee nieder, und dankte Gott, daß er ihn 
bieher geführt habe, um noch einmal das Bild fchauen 
zu können, das er fo lange in feinem Herzen getragen. 
Und als fein Schmerz ftiller geworden war,’ baute er 
zum. ewigen Denfmal feiner Liebe an dieſer Stätte 
eine Burg, und nannte fie Deinneberg, In der Velfen- 
höhle aber, in welcher er Minna's Grab bereitet hatte, fügte 
er indie Mauer des Hundes Bild, der ihn hieher geführt. 

Hier brachte Edelmuth den Neft feiner Tage zu; 
täglich wandelte er, angethan mit dem Waffenkleide, 
in welchem feine verblichene Geliebte fih ihn ftets 
dachte, durch den Forft, und wenn er an einen Baume 
feinen Namen, von Minna's Hand eingegraben fand, 
fo fchrieb er den ihrigen darunter. Schon lag der Roſt 
auf feinem PBanzerfleide, fein Angeficht ward bleich, und 
feine fräftige Gejtalt begann zu welfen — 


Bis endlich er, von Alter grau, 

In ſchwarzem Waffenfleid fich niederlegt, 
Und nun zum Iegtenmal die Hände faltet, 
Auffiehend au der hohen Liebesmacht, 


11 


Daß fie in ewiger Bereinigung 
Den Herzen, die einander nur gelebt, 
Die ird'ſche Liebestreue Tohnen möge. 


Die Burg, von Menfchenhänden einft erbaut, 

Sf num von Menfchenhand zerftöret au; 

Ein Denfmal ew’ger Liebestreue, die, 

Ob Mauern brechen, Schlöffer niederfinfen — 

Selbft unzerftörbar, eine fih’re Burg, 

Aufragt aus edler Herzen feftem Grund. 
Cari Jäger. 


Der Sage von der edlen Minna von Horneck reihen 
wir füglich noch an die Geſchichte von der 


ſchlimmen Barbara v. Horneck, 


wie wir ſie einer alten glaubwürdigen Chronik ent— 
nommen. 

Zu Anfang des 15. Jahrhunderts zog Herr Ni— 
klas von Dilsperg von ſeiner Burg am Neckar in das 
gelobte Land, um manche Sünde, ſo hieß es, abzu— 
büßen, die er an ſeiner erſten Hausfrau, einer Gertraud 
von Ehrenberg, begangen. Hätte das auch daheim thun 
können, denn er hatte feine ehmalige Buhlin, genannt 
Barbara von Horneck, geehligt, welche von fo böfer 
Gemüthsart war, daß er mit ihre ſchon eine Kölle auf 
Erden hatte. Zuvor war fie freilich fromm  gewefen, 


12 


wie ein Lamm, aber 8 Tage nach der Hochzeit ftreifte 
fie das Lammfell von ihr, und ein leibhaftiger Wolf 
kam zu Tage. 

Nun hatte Herr Niklas v. Dilsperg 2 Kinder von 
der erften Ehe, Die er, mohl nur, um fich ferner zu 
verfündigen, der böfen Stiefmutter überließ. Diefe aber 
hatte einen ſchon in früherer Zeit mit dem Ritter er— 
zeugten boshaften Cohn, welchem ſie gar gern Die 
ſchöne Herrfchaft Dilsperg zugemendet hätte. Die Kine 
der ihrer Vorgängerin hielt fie natürlich gar übel, und 
war gegen fie eine Stiefmutter im eigentlichen Ginne 
des Morts. Eines Tags begegneten die beiden Kinder 
— fie biefen Dtto und Elsbeth — einem Bruder Car— 
thäufer, der noch die Thränen in ihren Augen fah, welche 
fie eben geweint hatten. Da fprach er ihnen Troft ein, 
und ſchloß alfo feine Nede: fo und das Daterhaus 
verläugnet, fo tröftet und nähret uns der liebe Gott 
ſelbſt in der Wildniß. Obgleich der fiebenjährige Dtto 
diefe Nede nicht recht verftand, fo grübelte er doch 
in feiner Meife Darüber nach, und fprach zu feinem 
Schweſterlein, als fie einmal wieder gar arg von Der 
böfen Stiefmutter geplagt wurden: lieb Elslein, feit 
die Mutter todt ift, haben wir Feine gute Stunde mehr 
— reißt Du, was? wir wollen in die Wildniß geben 
und den lieben Gott fuchen, daß er und tröfte und 
ernähre, wie der fromme Bruder gefagt hat. Deſſen 
war Elöbeth zufrieden ; fie nahm ihr Hütlein von der 
Wand und hing es über den Naden, nahm in die Linfe 
ihre liebe Urfel, das war ihre Eleine Dode, die Rechte 





13 


gab fte dem Brüderlein, und fprach: wo du bingeheit, 
da will ich auch hingehen ; und nun lief fie fort, mit 
dem Bruder in den nahen Wald hinein. Sie gingen 
von Morgens bis Abends immer zu, und als fte hung— 
rig waren, fuchten fie Waldbeeren aller Art, mit denen 
fie den Hunger nothdürftig flillten ; ihren Durjt Löjchten 
fie an einem frifchen Wafferquell. Als es aber Nacht 
wurde, da fingen beide Kinder an zu meinen, jedoch 
während des Weinens fchliefen fie ein, und erwachten 
erft, als die Sonne über ihre blühenden Gefichtlein 
ſchien. Sie ftanden auf und gingen dann immer weiter 
und weiter in das Dickicht, und mußten fih manchmal 
mühſam hindurchwinden. Schon waren fie 2 Tage im 
Walde herumgeirrt, da vernahmen fie den Ton von 
Jagdhörnern; fie ftanden ängftlicy hin und laufchten, 
wußten aber nicht, ob fie Furcht oder Freude darüber 
baben jollten. Da war e8 ein Ritter, genannt Eitel— 
wolf von Zwingenberg, der mit ftattlichen Jagdgefolge 
daher ritt. Als Derjelbe die Kinder wahrnahm, fo be 
fragte er fie: woher fommt ihr und wohin wollet ihr, 
ihr lieben Kinder? Treuherzig erzählte Otto von der 
böfen Stiefmutter, und wie ihn die Mede Des Bruder 
Carthäuſer beftimmt hätte, mit Elsbeth Davon zu laufen 
und den lieben Gott in der Wildniß aufzufuchen. Den 
Nitter und feine Jagdgenofjen rührte gar fehr die Ver— 
laffenheit ver Kinder und ihr Vertrauen auf Gottes 
Hülfe; Eitelwolf fprach : ihr wiffet, lieben Freunde und 
Nachbarn, Daß meine Ehe nicht gefegnet ward mit Sins 
dern, Darum Däucht mir, der Kerr fende mir Diefe, daß 


14 


von mir und von meiner Hausfrau die Trauer, und 
aus meiner Burg die düstere Stille weiche — ſo will ich 
diefer verlafjenen Kindlein Vater ſeyn. Nun nahm er 
felbit die Eleine Elsbeth auf fein Roß, fein Knappe den 
Otto, und fo ritten alle wohlgemuth nach Haufe, mo 
Hildegarde, des Ritters Hausfrau, den Gemahl und- 
Kinder mit großen Freuden empfing — und fie bielt 
die beiden Kinder von nun an gar wohl in mütterlicher 
Sorge. 

Als die böfe Stiefmutter auf Dilsperg erfuhr, wo 
die beiden Kinder fich befanden , begehrte fie fie, aber 
Eitelwolf von Zwingenberg verweigerte und ſprach 
alfo : dem Vater, fo er wiederkehrt, will ich Die Kinder 
zurücfgeben, aber fein Andrer foll fie empfahen,, und 
follt es felbft der Kaifer feyn. Frau Barbara klagte 
nun den Ritter an, mo fie nur fonnte, aber er er- 
wehrte fich mit aller Macht des böfen Weibes, denn 
die Kinder waren ihm und feiner Hausfrau mit jeden 
Tag lieber geworden, und war von Niemanden ein 
Spruch gefällt worden, wornad er feine Bfleglinge 
außliefern follte, 

Bereits waren 3 Jahre vergangen, Dito hatte jich 
geübt in aller Ritterſchaft, und Elsbeth war fleißig 
bei Spindel und Webftuhl. Da Fam aus Dem heil. 
Lande ein Bilger, der brachte der böfen Stiefmutter 
auf Dilsperg Die Botfchaft, daß ihr Eheherr Niklas 
vor mehreren Jahren Dort Todes vYerfchieden, und ver— 
ordnet babe, daß fein Leichnam in der Gruft feiner 
Väter beftattet werden möge. Frau Barbara that nad 


— 


15 


dem Testen Willen ihres Gemahls ; als aber das ge 
jchehen, fo erhub fie aufs Neue ihre Klage gegen ib- 
ren Eitelmwolf und rief den Pilger zum Zeugen auf, 
wie es der legte Wille ihres Gemahls geweſen, daß 
die beiden Kinder der GStiefmutter verbleiben follen. * 
Aber Eitelwolf beharrte auf ſeiner Weigerung, um ſo 
mehr, als aus dem Stiefbruder der Kinder ein böſer 
Geſell geworden war, in deſſen Nähe für Otto und 
Elsbeth Gefahr zu befürchten war. Ja, nicht nur 
weigerte er ſich, die Kinder herauszugeben, ſondern er 
forderte nunmehr dringend, daß Otto als Herr ſeiner 
Erbgüter anerkannt und in ſeinem Beſitz geſchirmt werde, 
ja er ſtiftete ſogar ein Bündniß mit ſeinen Nachbarn 
und Freunden, daß fie ihm in ehrlicher Fehde wollten 
beifteben, fo ein reifiger Zug noth thäte. Darob ges 
riethen Frau Barbara und ihr Sohn in arge Wuth, 
und verfammelten um jich eine große Schaar Söld— 
linge, fo viel fie nur werben mochten, denn fie ge 
dachten, auf ihren ungerechten Anfprüchen feft zu ver- 
harren. 
In denfelben geiten, am 7. Sevt. 1414, auf der 
Rückkehr von feiner Krönung zu Aachen, Hielt Kaifer 
Sigismund feinen Einzug zu Heidelberg und ward gar 
feierlich empfangen. Alles Volk ftrömte hinaus ‚' Die 
Altbürger der Stadt, Die Lehrer der Hochfchule und die 
gefammte Klerifei zogen ihm entgegen mit brennenden 
Kerzen, und begrüßten den Kaifer unter Abfingung 
von Palmen. Siehe da! mitten in dieſer Teftlichkeit 
drängte fich eine Frau zu dem Kaifer und fehrie: ſchaf— 


16 


fet Gerechtigfeit, Kerr Kaiſer, einer bedrängten Wittik. 
Es war Frau Barbara von Dilöperg, die alsbald von 
den Umftehenden zurückgehalten wurde, alſo, daß ſie 
im Zorn von innerem Gift ſchäumte. Aber der Kaifer 
ollte ſie hören; und nachdem er die Wittib, anderer 
Sic auch Zeugen gegen fie vernommen hatte, be 
te ev feinen Kanzler und Rath Eberhard zum Aus— 
trag der Sache in jo weit, daß er ihm Bericht erftatte 
nach Anhörung des Einen wie des Andern. Als Sol— 
ches gefcheben, ließ er vermelden, er wolle auf feinem 
Meg gen Cojtnis felbft nach Dilsperg kommen, den 
Handel zu ſchlichten, befahl zugleich, Daß alle Theile 
fich alldort geftellen follten. Dann am 10. Septem— 
ber hielt er mit einem ftattlichen Gefolge von Kerren 
und Reiſigen Einfehr auf Dilsperg, und als Alle bei- 
jammen waren im Burghof, sprach der Kaiſer alfo zu 
der Wittib: Frau, in eurer Sache gab euch Lieb' allein 
das Reicht, weil ihr aber Die Liebe bier verläugnet habt, 
fo dürft ihr niemals ein Recht beanfpruchen. Sinte— 
“mal ihr nun gar haffet, wo Liebe Pflicht war, jo ver- 
fielet ihr in eine Schuld, die euer Gewiſſen ftrafen mag. 
Ich aber entfcheide nun, wie ich’ vor Gott zu vers 
antworten gedenfe: Die Kinder bleiben Denen, die ihr 
Herz gewonnen; die Güter gehören ihnen und jollen 
ihnen gehören — ich beftätige dem Eitelwolf v. Zwin— 
genberg und feiner Hausfrau die mwohlermorbenen Ele 
ternrechte, Die weder ich, noch ein Anderer ihnen ftreitig. 
machen, bin auch ficher, Ritter Eitelmolf werde die 
Wittib des Niklas von Dilsperg nicht Mangel leiden 







17 


faffen, vielmehr alsbald mit Eberhard Winde berathen 
und beftimmen, was euch als fefter Sig, fo wie euch 
und euren Sohn zu des Leibes Noth und Pflege ger F 
bühre. Das Erbe der Kinder aber fey noch in Ne 
Stunde und bevor ich von Dannen ziehe, an Rit — 
Eitelwolf unter Landesbürgſchaft und Kaiſers Sch 
übergeben. | 

Sp ward der Streit um die Kinder erledigt ur, 
den Spruch des Kaifers, den Iedermänniglich mit lau- 
tem Jauchzen aufgenommen. Der Diefed berichtet, Eber- 
hard Winde, feßt Hinzu: ift auch männiglich bekun— 
det, Daß Kaifer Sigismund ein grumdbiedrer Herzmann 
und Fürſt war, hätt’ auch gern überall Fried' und Ge— 
rechtigkeit gefehen, nur mochte er felten der Dienftmil- 
ligen Hülfe gehaben. 






1. 


Das Klofter auf dem Engelsberg 
bei Markelsheim a. d. Zauber. 


Wer Fennt nicht den herrlichen Taubergrund und den 
föftlichen Feuertranf, der auf feinen Nebhügeln wächst ? 
Wenn je ein Gewächs des Weinftocds den Namen Nek- 
tar verdient, fo ift e8 der Wein von der Tauber, den 
er über feinen Bruder, den Neckarwein, ftellen. Be— 

2 


18 


jonderd aber ift e3 jener Mein, der auf den fteilen 
Bergen zwifchen Weikersheim und Mergentheim wächst, 
namentlich über dem ftattlichen Flecken Marfelsheim, von 
welhem Drte der feinfte Tauberwein den Namen 


u Markelöheimer” führt. 

Fine nicht nur der Schmeder feiner Weine findet 
‚bier, was fein Herz befriedigt, fondern auch der Freund 
alter Geichichten und Sagen, die fih an die Mauren 
der Klöfter wie der Burgen anfnüpfen. 

Auf jener Anhöhe bei Marfelsheim, Die man den 
ein nennt, ftand vor Zeiten ein Frauen— 
Hofter, welches für adelige wie bürgerliche Frauen ges 
Fliftet war, und die Dynaften von Hohenlohe zu Schirm— 
vögten hatte. Vom früheren Klofter find nur noch Reſte 
der Umfangsmauer übrig, dann ein fehöner hoher Thurm 
“von gotbifcher Bauart (aus dem XV. Jahrhundert) 
und eine Eleine Kirche oder Kapelle, welche wohl noch 
aus älterer Zeit ſtammt, wenn fie aud) in unfern Tas 


-. gen wieder hergeftellt wurde und mannigfache Aenderuns 


gen, erlitten hat. Schon im Jahr 1408 Fam das Klö- 
ferlein auf dem Engelöberg etwas in Abnahme, Doch 
im leidigen Bauernfriege im Jahr 1525 erhielt e8 Den 
empfindlichjten Stoß, und Fam nie mehr in Aufnahme. 
Aus diefer Zeit des Baurenkriegs hat fich eine Sage 
erhalten, welche uns belehrt, wie die Anhöhe, auf der 
das Klofter geftanden, den Namen Engelöberg erhalten. 
Diefe Sage hat in neuerer Zeit einige Begründung ges 
funden, wenn wir fo fagen dürfen; als nemlich, in 
Folge einer Repakatur, vor dem Altare der Kirche ge— 


19 


graben wurde, da fand man das volltändige Gerippe 
einer Nonne, an deren Kopf noch goldgelbe Haare zu 
erfennen waren. Könnten das nicht Reſte Der feligen 
Frau Himmeltrud gemwefen feyn, von der wir fofort 
erzählen wollen, mas uns durch) die Sage aus Es 
Munde des Volls fund geworden m 


— 


Die Nonne auf dem Engelsberg. 


Eine traurige Zeit kam über das Kloſter auf dem En— 
gelsberg, als die aufrühreriſchen Bauern nach Oſtern des 
J. 1525 ſengend und brennend durch das Tauberthal zo— 
gen. Das ſtattliche Kloſter Scheftersheim wurde von den— 
ſelben rein ausgeplündert und zum Abſchied noch verbrannt. 
Kein beſſeres Loos durfte das Kloſter zu Markelsheim 
erwarten. Aber die geiſtlichen Frauen wurden noch zu 
guter Stunde davon benachrichtigt und rüſteten ſich zur 
Flucht, ehe noch der wilde Schwarm im Dorfe Mar— 
kelsheim erſchien. Nur die Melfterin des A 
Frau Himmeltrud, wollte zurück: bleiben, denn ſie hielt 
ed für Sünde vor Gott, aus Burcht vor Leiden und. 
Trübfalen Die Stätte zu verlaffen, wo fie vor dem An⸗ 
geſicht des Ewigen das Gelübde abgelegt hatte, nicht 
nur der Welt zu entſagen, ſondern auch Mangel und 
Armuth und alle Noth des Lebens geduldig zu ertras 
gen. Sie ‚blieb feſt bei: “ihren "Entfehluffe, obgleich die“ 
übrigen ‚Schweftern fie befchworen , mit ihnen zu fliee 
hen. Weinend nahmen Die geiftlichen Frauen. Abfchteb 


20 


von ihrer geliebten Meifterin, führten mit fich die Kofl- 
barfeiten des Klofters, und was zum gottesdienftlichen 
Gebrauch in die Kirche gehörte, und flüchteten: fich nach 
Mergentheim. Sobald die geiftlichen Frauen: das Klo— 
fter verlafien hatten, verriegelte Frau Himmeltrud das 
Klofter von Außen: und Innen, Damit es Dem erſten 
Angriff der Raub-Horden widerftehen könnte. — Noch 
fein Tag war vorüber, fo ftanden die Schaaren der 
Bauern ſchon in Markelsheim — bereits von Schef- 
tersheim aus, wo fie fich einige Zeit gelagert hatten, 
um in ihrem Raube zu fchmelgen und. zum Verderben 
der Gegend Rathsverfammlungen zu halten, hatten fie 
mit den Bürgern zu Marfelsheim unterhandelt , "und 
längft hatten fich Viele an die Aufrührer angefchlofjen. 
Markelsheim felbft hatte alfo Nichts zu befürchten, deſto 
mehr aber die :geiftliche Claufur auf der Höhe. Auf 
die richteten Die Aufrührer nun ihr ganzes Abfehen ; 
fie beftürmten gleich nach ihrer Ankunft das Kloſter, 
und redlich halfen dabei Manche aus Markelsheim felbft, 
die-längft die Nonnen auf dem Berge haften, weil der 
eine oder der andere eine Gült von feinem Feldſtück 
oder ein Faftnachtshuhn in das Klofter zu liefern hatte. 
— So kräftig die Bauern an die Pforte anrannten, 
fie richteten wenig aus, denn Die gewaltigen Riegel 
widerflanden ihren, Aexten und Kellebarden ; und man— 
ches Merkzeug wurde ſtumpf an den mit Eifen beſchla— 
‚genen eichenen Dielen. Sie hätten vielleicht: noch lange 
ihre Stöße und Hiebe vergebens: wieberholt, da Fam 
Einer auf den Einfall, flatt daß man an der Klofters 


24 


thüre Die Aexte und Sellebarden vergebens zerftoße, Die 
Doch noch für andere Geſchäfte aufzufparen wären, würde 
es gerathener ſeyn, die Mauern zu überſteigen. Es 
brachten einige Bürger von Markelsheim die Feuerleitern 
des Orts herbei, und mit Hülfe dieſer war man bald 
innerhalb der Kloſtermauern. Nun ging es über das 
Kloſtergebäude her. Die Hauptthüre wurde eingeſchlagen, 
dann der Speiſeſaal und die Zellen erbrochen, aber nir— 
gends fand ſich, was ſie ſuchten. Sie hatten von ihren 
neuen Genoſſen gehört, daß die Vorſteherin, Frau Him— 
meltrud, allein noch zurück geblieben ſey. Dieſe nun 
ſollte ihre Fuhrerin ſeyn zu den verborgenen Schätzen 
des Klofters, aber dieſe war nirgends zu finden. In 
ihrer offenen Zelle fanden fie die Schlüffel der Schaffe 
nerin, melche diefelbe beim Gehen an Frau Himmeltrud 
übergeben hatte ; neben der Lagerftätte, Die. nur aus 
wenigen Bettftücken beftand, ftand ein Krüglein, in dem 
noch wenige Tropfen Waffer waren ; ein kleines Brod 
lag Darneben, und man fonnte wohl daran feben, daß 
Eines eben noch ſein Mahl dabei gehalten ‚hatte. Bon 
den Zellen gingen die Gierigen nach der Speifefammer 


und den Keller. In der Speifefanmer waren nur - 


Eleine NRefte von Vorrath zu finden. Denn feit man 
von den Bauern hörte, die wider ihre Herren fich auf- 
lehnten, waren alle Faſtnachtshühner, und was fonft 
zum Klofter geliefert murde, audgeblieben ; alfo konn— 
ten die DVorräthe nur gering feyn. Im Keller aber 
fanden fich nur einige Fäßlein Wein, den die geiftlichen 
Frauen aus den Keinen Nebgütern am Klofterberg zu 


22 


erzielen pflegten; das letzte Jahr war der Herbſt nicht 
ſo reichlich ausgefallen. Dieſer wenige Wein war nun 
der einzige Raub, den ſie im Kloſter ſelbſt gewannen. 
Aus Aerger, daß ihre Beute ſo gering ausgefallen war, 
zerſchlugen ſie nun Alles, was ſie an Geräthen in den 
Zellen ſo wie in der Küche und im Keller fanden; 
beſonders die Schränke und Behälter, welche die Frauen 
ſelbſt vor ihrem Abgang ausgeleert hatten. Jetzt ver— 
ließen ſie das Kloſtergebäude und gingen auf einen 
Ort los, der reichere Beute verſprach, auf die Kirche 
des Kloſters. In dieſe wollten ſie brechen, obgleich 
mehrere von den Bewohnern des Orts dagegen rie— 
then; theils waren es ſolche, die es wußten, daß ſie 
leer wäre von ihren Koſtbarkeiten, da ſie Zeugen da— 
von waren, wie die geiſtlichen Frauen ſchon ausgeräumt 
hatten, theild waren e8 Männer von Markelsheim, Die 
noch fo viel chriftlichen Sinn hatten, es ungerne zu 
jehen, daß ihre Kirche, in der fie bisher ihre Andacht 
verrichtet hatten, unter ihren Augen vermüftet und ver— 
heert würde. Doch der ſchwarze Haufe aus dem oberen 
Tauberthal ließ fich nicht abhalten ; Die Aexte und Del- 
lebarden, welche fie eben noch an der Klofterpforte zer» 
jtoßen hatten, fegten fie auch an das Portal der Kirche 
an. Aber bier fanden fie ganz anderen Widerftand, 
als vor dem Thore der Kloftermauer. So oft ein eis 
fernes Werkzeug, Art oder Morgenjtern, auf den Thür— 
viegel fiel, prallte es gellend zurüd, oder brach in Stü- 
fen, wie wenn «8 von Glas geweſen wäre. Bald 
fahen fie, Daß eine andere Gewalt ihnen Widerſtand 


23 


feiftete, die nicht von Menfchen war. Die Meiften zogen 
fich zurüdf von den Haufe des Kern — nur Einige der 
Wildeſten ließen noch nicht nach in ihrer Wuth ; jemebr 
fie Widerftand gefunden hatten, deſto gieriger wurden 
ſie nach der Beute, die fie immer noch in der Kirche 
zu finden hofften. Die Feuerleitern, mit welchen fte 
über die Mauern geftiegen waren, legten fie nun auch 
an die Kirche an, aber Keiner von den Marfelsheimern 
hielt mehr die Leiter, wie zuvor beim Befteigen Der 
Kloftermauer. Schnell waren einige der Frechen oben, 
doc, als fie fchon die Hände auftreten, um die runs 
den ſchön gemalten Feniterfcheiben einzujchlagen, Fam 
fie ein Schwindel an; fie fielen rücklings von der Lei— 
ter und wälzten ſich unten im Schmerz, denn Der eine 
hatte Die Füße, der andere die Arme gebrochen. Mit 
Schrecken wandten fih nun Alle von dem Öotteshaufe, 
‚denn es mußten endlich auch die Roheſten erfennen, 
daß eine höhere Macht wider fie ftritt und Die Kirche 
Ihüßte. — Ja es war eine höhere Hand wider fie, denn 
der Herr hört Die Seinen, die zu ihm flehen in der 
Noth, und er fehirmt fein Heiligthum wider Die Gott— 
lofen. Am kleinen Altare der Kirche lag Frau Him— 
meltrud, die Meifterin des Klofters, auf ven Knieen, 
und flehte ohne Aufhören, fo lange die Rotte vor der 
Kirche tobte. Zuvor hatte fie in der Zelle des Klofters 
zugebracdht, als fie aber hörte, wie Die Tobenden über 
die Mauer fliegen, da flüchtete fie ſich in Die Kirche 
durch eine Eleine kaum fichtbare Thüre, die von dem 
Refektorium in den Chor führte, und warf den Riegel 


24 


vor. Nun trat fie an den Altar, warf fich nieder zum 
Gebet, und ftand nicht mehr auf, bis fie hörte, Daß 
fih Die Feinde, auch von dem Heiligthum wandten. 
Noch nie war ihr Gebet zu Gott fo heiß und flehent- 
lich geweſen; ſie betete nicht um ihre Errettung, fon- 
dern um die Erhaltung des Gotteshaufes. Dft zitterte 
und bebte fie, wenn Die ſchweren Aexte auf Die Thüre 
fielen, aber fte verzagte nicht; ja fte ließ Die Hoffnung 
nicht fchmwinden, Daß der Herr ihr Gebet erhören merde, 
als fie hörte, wie Die Srechen ſchon bis zu den Kir- 
chenfenftern. heraufitiegen und ihre wilde Stimme ver- 
nehmbar wurde. Wie fie vertraut hatte, jo wurde 
auch ihr Gebet erbört — auf einmal murde es ftille 
um die Kirche ber, und deutlich hatte fie. vernommen, 
wie die Notten tobend und fluchend abzogen. Jetzt 
erft richtete fie fih auf, und ging vom Xltare weg 
der Kirchenthüre zu. Da war es überall ftille gewor— 
den. Nicht einmal in dem Kloflerhofe war mehr eine 
Stimme vernehmbar. Die Feinde waren alle den Weg 
wieder zurück gegangen, den ſie binaufgeftiegen waren. 
Jetzt erft erflaunte Simmeltrud, wie Großes der Herr 
an ihr und dem Gotteshaus gethan hatte. Noch einmal 
warf fie fich vor dem Altar auf die Kniee, und jeßt war es 
ein heißes Danfgebet, das aus ihrem Herzen emporftieg, 
aufwärts zu demjenigen, der die Macht der Gottlofen 
zerfireuet wie Spreu und das Hoffen der Frommen nicht 
zu Schanden werden läßt, fondern fie erhöret, wenn 
fie ihn anrufen in der Noth. — Nachdem Himmeltrud 


25 


ıhre Andacht verrichtet hatte, wollte fie die Kirche ver— 
laffen und fich ing Klofter zurück begeben, denn während 
Alles dieß geſchah, mar es Abend und zulegt dunkle 
Nacht geworden. Sie ging auf die Kleine Pforte zu, 
welche den Chor mit dem Nefeftorium verband, und 
wollte auffchließen, aber im Dunkel der Nacht fand fte 
faum Die Stelle, wo fich die Pforte öffnete. Sie ging 
wieder zurück zum Altar, fegte fich auf die fleinernen 
Stufen nieder, um zu erwarten, bis fie beim Tages— 
lichte die Pforte öffnen könnte. Eine fchlaflofe Nacht 
durchwachte fie: bald quälte fie die Kälte auf Dem 
falten Steine, bald ein brennender Durft, denn feit der 
Morgenftunde, da fie aus der Zelle fich geflüchtet hatte, 
war fein Tropfen Waffer über ihre Lippen gefommen. 
Wie die erften Lichtftrahlen, wohl erft fpät, Durch Die 
Eleinen Fenfterfcheiben der Kirche fielen, da eilte fie auf 
die Pforte zu. Aber welch ein Schredfen! das Schloß 
war vorgefallen, und es war feine Möglichkeit vor— 
handen, es von innen zu Öffnen. Sie verſuchte es 
lange, aber es war vergebens ; da begab jte fich zu 
der eigentlichen Kirchenpforte, aber dieſe hatte ſie, ehe 
die Bauern in Markelsheim erfchtenen, oben ber mit 
einer ftarfen eifernen Stange noch zur Vorſorge ver: 
wahren laffen, und fo weit reichte ihre Kraft nicht hin, 
um dieſe eiferne Stange los zu machen und die Pforte 
zu öffnen. Troſtlos ging fie jet zu dem Altare zurück 
und fügte fich in das traurige 8008, eingefchloffen zu 
bleiben, "bis es Gottes Wille wäre, ihr durch eine Men 
ſchenhand das ins Klofter führende Pförtlein von Außen 


26 


öffnen zu laffen; aber vor der Hand war noch wenig 
Ausficht dazu, denn feit der Stunde, da Die Bauern— 
rotte abgezogen war, herrſchte Todtenftille um die Kirche 
herum und im ganzen Klofter. Oft ging fie zur Kir- 
chenthüre und laufchte, ob fie nicht Menfchentritte ver— 
nehmen fünnte, aber, fo fie e8 auch manchmal wähnte, 
ed war nur eine leere Täuſchung. Wer hätte auch 
der Eingefchlofjenen gedacht, und wenn Simmeltrud auch 
die beiten Ireunde im Dorfe gehabt hätte — hatte ja 
alle Bürger zu Markelsheim ein folcher Schwindel er— 
griffen, Daß fie feinem andern Gedanken mehr Raum 
gönnten, als wie ihnen bald ein taufendjähriges Reich 
der Freiheit und Gleichheit anbrechen würde. Darum 
hatten fich faft alle Bewohner des Ortes, ausgenom— 
men Kinder, Greife und Weiber, an den ſchwarzen 
Haufen aus dem Tauberthale angefchloffen und waren 
der Stadt zugezogen. — Indeffen war der Mittag, end- 
lich der Abend angebrochen und noch Feine Hülfe und 
Rettung für Die Gingefebloffene in der Kirche erfchienen. 
Seit der Zeit, da fie aus der Zelle hierher ſich bege— 
ben hatte, war fein Biffen mehr über ihren Mund ges 
fommen. Die Nefte eines Laiblein Brodes hatte fie 
in der Zelle Liegen laffen; in der Eile ihres Flüchtens 
in Die Kirche hatte fie es vergeflen, den wenigen Vor— 
rath, welchen die geiftlichen Frauen in der Speifefam: 
mer zurück gelaffen hatten, zu ihrer Labung mit fich 
zu nehmen; welch ein anderes Loos fand ihr jeßt 
bevor, als auf Die fehrecklichfte Weile zu verhungern. 
In ſolcher Noth warf fie fich nieder an den Stufen 


27 


des Altars, da fie fich zuvor fehon mund gefniet Hatte, 
im Flehen uud Gebet. Ach! fo flehte fie zu Gott mit 
thränendem Auge, Du haft erhöret mein Gebet und Dieß 
Haus wunderbar erhalten vor der Hand der Zerflörer, 
Du haſt mich entrinnen laffen vor den Gottlojen, und 
Dier in Deinem Heiligthum eine fichre Zuflucht mir 
bereitet ; follteft Du mich nur errettet haben von Der 
Hand der Böfen, um mich einem  fchreeflichen Tode, 
dem Hungertode, zu übergeben ? Barmberziger Vater 
im Simmel, daß ift nicht Dein heiliger Wille, Du 
wirft mich nicht verfehmachten laffen, denn Du erbarmft 
Dib ja des ©eringften in der Natur; allmächtiger 
Gott und Vater, Du haft wunderbar diefes Gotteshaus 
geſchützt vor der Wuth feiner Feinde, Du kannſt auch 
mich erhalten auf wunderbare Weiſe, daß ich mein 
Leben friſten möge und Dein heiliger Name dadurch 
verherrlichet werde. — Himmeltrud erhob ſich von den 
Stufen des Altars und ſuchte einen der Chorſtühle auf, 
um in Diefem die zweite Nacht zuzubringen, Die nun— 
mehr bereingebrochen war. Wielleiht, fo dachte fie, 
wird Der Schlaf mich überwältigen und mich vergefjen 
machen, an die Stillung des Hunger und Durftes zu 
denfen. Uber es war dem nicht fo. So entfräftet 
fie auch war durch das lange Faſten, , fie entfchlief lange 
nicht ; jede DViertelftunde dehnte fich aus zur Stunden- 
länge in der fchauerlichen Stille, die höchftens durch das 
Krächzen eines oben auf den Kirchenthurme haufenden 
Käuzchens unterbrochen wurde. Schon war die Mit— 
ternacht vorüber; eine fühlere Luft wehte, und zeigte 


28 


an, dag ein neuer Tag beginnen wolle — jetzt erſt 
fchten ein erquickender Schlaf auf die Augenlieder Der 
Frau Simmeltrud niederfinfen zu wollen. — Der Herr 
verläßt die Seinen nicht, er wird auch mich nicht ver— 
laſſen — mit diefem frommen Gedanken entſchlummerte 
die Gläubige. Nur ein Stündlein mochte fie der Schlaf 
erquickt haben, da ermachte fie wieder. Ein heller Schein 
umgab die nur halb Wachende, ihr Blick fiel auf den 
Altar, Der flrahlte, wie wenn er von vielen Kerzen 
beleuchtet wäre, und auf feinen Stufen ftand ein En— 
gel in glänzend weißer Geftalt — er hatte fich gegen jene 
Stelle auf dem Altar gewendet, wo der Priefler den 
heiligen Leib aufzubewahren pflegte. Himmeltrud ſah, 
wie der Engel die Hoſtie aus der geöffneten Mon- 
franz nahm und fie in den Speifefelch legte. — 
Im eriten Augenblick überfam die fromme Frau eine 
Furcht bei der ungewöhnlichen Erſcheinung, und noch 
mehr, als die weiße Geftalt die Stufen des Altars 
berabftieg, auf Sinmeltrud zu ging, und Die Softie 
vor ihr in Der Hand hielt. Himmeltrud, ſprach der 
Engel mit freundlicher Stimme, der Herr bat dein 
Stehen erhöret, nimm hin den Peib des Herrn des 
Gefreuzigten und nun zu Gott Exrhöheten! das ift Die 
rechte Lebensſpeiſe und das himmlische Manna, Das 
von nun an dich nähren foll, jo lange Deine Liebe’ fo 
groß fein wird, wie dein Vertrauen gewefen. Auf 
einmal war alle Furt bei Simmeltrud verſchwunden; 
fie trat aus dem Chorfiuhle, knieete nieder vor dem 
‚ Engel und empfing mit gefalteten Händen aus der 


29 


Hand des Himmlifchen den Leib des Herrn. Als fie * 
die Himmelsgabe “auf den Lippen fühlte, da war es 
ihe, als ob neue Lebenskraft durch alle ihre Glieder 
firömte. In Demfelben Augenblick war Alles. um fhe 
her verfehmunden ; an die Stelle des wunderbaren Lich— 
te8 , das ‚bisher den Ultar und den Chor: der Kirche 
beleuchtet hatte, war das natürliche Tageslicht getreten, 
und bald darauf fielen die erften Strahlen der aufge= 
henden Sonne durch die Beniterfcheiben. Himmeltrud 
hätte dieſe Erfcheinung für einen Traum halten Füne 
nen, ‘aber es mußte etwas wirklich Gefchehenes ſeyn, 
denn fie fühlte fich von jenem Augenbli an ganz neu 
geſtärkt, und nicht das geringfte Verlangen nach Bes 
friedigung eines Bedürfniſſes wurde mehr in ihr rege. 
Dasſelbe gefchah in der darauf: folgenden Nacht um 
diefelbe Stunde ; der Engel: erfchien und’ reichte ihr den 
Leib Des Herrn, und wieder fühlte fich Himmeltrud fo 
wunderbar geftärft, daß fie fein Verlangen mehr. nach 
irdifcher Speife und Trank empfand. So brachte fie 
viele Tage zu, indem fie nicht vom Altar wich, fondern 
nur dem Gebet und der Andacht fich widmete ; Des 
Nachts aber ftärfte fie Das himmliſche Manna, welches 
der Engel ihr darreichte. — Bald fühlte die fromme 
Frau kaum mehr, daß fie eingefchloffen war; am hei— 
ligften Orte fand fie ja ihren Wirfungsfreis im Amte 
des Gebets und der Fürbitte auch für ihre fernen Schwe— 
- fern. Vielleicht hatten Diefe jet ein unfteteres Loos, 
als fie, Die nun in Sicherheit war, denn gerade der 
Stadt Mergentheim zu hatte fich ja das Bauernheer 


30 


gezogen. Aber nicht jehr Lange vermweilten die räube- 
rifchen Horden an diefem Orte, wo fie mehr Theil- 
nehmer ihrer Anfichten und Unternehmungen, als ir 
gendwo, fanden. Bald darauf verfammelten fich Die 
Bauern von überall ber beim Städtchen Königshofen. 
Dort aber nahm ihre Herrlichkeit auf einmal ein Ende; 
der Truchſeß von Waldburg, mit Recht genannt Der 
Bauernjörg, lieferte mit feinem ſiegsgewohnten Heere 
den ungeordneten Schaaren der Bauern ein blutiged 
Treffen, und vier bis fechötaujend blieben todt auf Dem 
Mage. Nur Wenige, die bei Zeit noch ihr Heil im 
der Flucht fuchten, retteten ihr Leben und entrannen 
in Die Heimath. Von den Bürgern aus Markelsheim, 
die fo zahlreich ausgezogen waren, famen nicht fünfzig 
mehr in das Dorf zurüd. Sie bereuten, Daß fie je 
von dem Aufruhr Der Uebrigen fich hatten ergreifen 
laffen, und waren von nun an wieder ruhige Bürger. 
Die Kolbenfchläge und Schwerthiebe Der bündifchen 
Meiter Hatten ihnen bei Königshofen den Schwindel 
aus dem Kopf getrieben. — Set war ed wieder wie 
zuvor in Markelsheim. Während Die bäuriſchen Un— 
ruhen dauerten, hatte Niemand mehr der Kirche und 
des Gottesdienftes gedacht. Nach Den  unglüdlichen 
Ausgang der Bauernfache bei Königshofen kehrte auch 
ein frommer Sinn wieder. War bisher Die Kirche auf 
der Höhe Teer geftanden, jegt wallte man in Schaaren. 
wieder zu. ihr hinauf. Dießmal bedurfte es feines Merk 
zeugs, um die noch verfchloffene Kirche zu öffnen. Hat— 
ten die raubgierigen Horden trog aller Anftrengung 


31 


die Pforte nicht mit Gewalt öffnen Fönnen , jegt, als 
frommgefinnte Menfchen , Die fich fehnten, am Altar 
des Herrn einmal wieder zu beten, Einlaß begehrten, 
da bedurfte es nur eine? Fräftigen Drudes an Die 
Küirchenthüre: Die von innen quer übergelegte Eifenftange 
fiel Elirrend herab, rafjelnd öffnete fich dag Eifenfchloß, 
und Die Thürflügel dehnten fich weit aufeinander. Aber 
welch ein Anblick bot fich der erftaunten Menge dar! 
An den Stufen des Altares fniete Frau Simmeltrud, 
welche bisher verfchwunden geweſen war, ohne daß man 
wußte, wo fie bingefommen ſey. Ohne beftürzt zu 
werden über Die Gintretenden, ftand fie auf und ging 
iänen mit freundlichem Blif entgegen. Es war Die 
felbe Himmeltrud, welche Alle früber gekannt hatten 
als Meifterin des Klofters, und doch war fie fo fehr 
verändert in ihrem Weſen. Abgemagert war ihre Ges 
ftalt, todtenbleich, wie bei Einer, Die jo eben noch mit 
dem Leichentuche umgeben war, waren Geſicht und Hände, 
aber in ihrem Angeficht lag der Friede der Himmli— 
jchen, und ihre Augen glänzten voll Verklärung, wie 
bei Stephanus, als er den Simmel offen fah, und Die 
Herrlichkeit Gottes fehaute. — Faft zwei Monate lang 
war Himmeltrud eingefchloffen geweſen, ohne irdifche 
Epeife und Trank zu fich zu nehmen, Denn der Engel 
des Herrn hatte fie mit dem Brode des Lebens ernäh- 
vet. Aber diefes Geheimniß wurde nur Wenigen fund 
gethan, Denn fie fprach feitdem felten mehr mit denen, 
die auf dem Berge fie bejuchten. Auch wich fie, troß 
den Bitten Vieler, nicht mehr vom Haufe des Herrn 


32 


und feinem heiligen Altare, denn fie wollte nicht mehr 
ihre Wohnung unter den Menfchenkindern auffchlagen. 
Ihre Nuheftätte des Nachts war der Chorftubl, in dem 
der Engel Gottes ihr zuerft den Leib des Herrn dar— 
gereicht hatte; auch nahm fie Feine irdifche Speife mehr 
zu fih. Sie fchien bier fihon mit Den Geligen des 
Himmels im Umgang zu fliehen. Seitdem wurde fte 
als Heilige in Der ganzen Gegend verehrt. So oft 
Beter in die Kirche eintraten, fanden fie Die fromme 
Himmeltrud am Altare knieend, und ihre Andacht ers 
höhete noch mehr die Andacht der Betenden. Keiner 
trat aus dem Gotteshaufe, ohne zuvor den Segen von 
ihr zu verlangen, und Seiner ging, ohne das Wort 
des Troſtes aus ihrem Munde zu vernehmen : Friede 
jey mit Dir! Nur Einer ging ohne Segen und Frie— 
den von ihr. — Es war in den Tagen des beginnen 
den Serbftes 1525 , nachdem Dietrich von Clee, der 
Deutfchmeifter, in Mergentheim eingetroffen war, um 
ein fchauerliches Blutgericht über Diejenigen ine Amt 
Mergentbein zu halten, welche im Bauernfrieg befon= 
ders übel fich gehalten hatten. Bon allen Geiten wur— 
den Solche eingebracht, um in Mergentheim ihr Urtheil 
zu empfangen. Da war auch Einer, der fich befonders 
durch feine Wildheit und Rohheit ausgezeichnet hatte; 
er war ein Anführer der Bauern‘ gewejen und hatte 
die serfte Brandfadel in das Klofter zu Schefteröheim 
geworfen. Als man ihn mit gebundenen Händen Durch 
Marfelsheim führte, um ihn gen Mergenthein zu brins 
gen, und er eben an Die Anhöhe Fanı, wo das Srauen- 


33 


Elofter ftand, da ſprach er: Lieben Freunde, ich weiß 
wohl, daß ich nimmer aus der Stadt zurück kehre, 
fondern allda mein Leben lafjen muß; fo gemähret mir 
noch die Bitte, daß ich hier oben in die Kirche gebe, 
meine Sünden beichte, und von der heiligen Frau Den 
Segen zu meinem fchweren Gange empfange. Es ward 
ihm gewährt, man führte ihn in Die Kirche vor Frau 
Himmeltrud. Schon hob fie die Hände über dem. vor 
ihe Knieenden und wollte dad Wort des Gegend fpre- 
chen, da blickte er auf — fie fihaute ihm ins Auge, 
und jest erft erfannte fie, wen fie den Segen ertheilen 
wollte. Es waren wohlbefannte Züge, welche nur 
durch Die vielen verübten Miſſethaten unfenntlich ges 
worden waren — ed war der Mann, welcher ihre einft 
Treue gelobte, diefe fchändlich gebrochen Hatte, und nun 
um ihre Vergebung flehte. — Dir wird gefchehen, wie 
du e8 verdienet haft, rief fie — habe feinen Segen, kei— 
nen Frieden in Deiner legten Stunde. Sie wandte fich 
lieblo8 ab von Dem Unglücdlichen, fie, Die noch Keinen 
ohne das Wort Des Friedens entlafjen hatte. Der Mann 
aber trat jest zum Altar, Fnieete nieder, nicht mehr 
vor fchwachen Menfchen, fondern vor dem ewigen Gott, 
er befannte feine vielen Miffethaten, Die er im Leben 
verübt hatte, flebte voll Herzlicher Reue zu dem All— 
barmherzigen, und als er aufitand, ward es ihm leichter 
umd Herz. Das Wort: „Friede fey mit dir” war 
aus Himmels-Höhen an ihn ergangen. Ruhig empfing 
er zu Mergentheim den Todesſtreich — Don Him— 
meltrud aber wandte fich von nun an Der Herr, fein 


34 


Engel erjchten nicht mehr mit der Tabenden Himmels— 
ſpeiſe — nach drei Tagen fand man fie verfchmachtet 
an den Stufen des Altars. Cie hatte des Wortes 
vergeffen : jo lange Deine Liebe fo groß ſeyn wird, wie 
dein Vertrauen geweſen. — Die Höhe, auf der das 
Klofter fand, Hieg man von jener Zeit an, da der 
Engel des Herrn die Kirche gefehügt, und die Fromme 
Himmeltrud mit dem Brod des Lebens wunderbar er= 
nähret hatte, den Berg, wo der Engel waltete, den 
Engelöberg, und fo heißt er noch bis auf den heu— 
tigen Tag. 


Il. 
Burg Wenhaus bei Mergentheim. 


So maleriſch und romantifch auch der Zaubergrund 
jeyn mag — er mangelt eines Reizes, an dem andre 
Täler des Sranfenlandes fo reich find; nur wenige 
Burgen fihmüden die mit Reben befrängten Höhen zu 
beiden Seiten der Tauber. Doch ein Fleck des fchönen 
Grundes ermangelt auch Diefes Neizes nicht: Das ift 
der mittlere Taubergrund von Weifersheim an bis über 
Mergentheim hinaus. Auf der nördlichen Anhöhe über 
der Stadt fand einft Die alte Kötterburg, die bis auf 
die Spur verfehwunden tft — ihr gegenäber, auf Dem 
linfen Hfer der Zauber und weiter entfernt von Der 
Stadt, ragt auf einem ziemlich hohen Bergrüden, ge— 


3) 


nannt der Kitzberg, die Ruine der ehemaligen prächti- 
gen Deutfchordensburg Neuhaus, Die wir näher in's 
Auge faſſen. 

Zwei Wege führen auf die Burg: entweder gehen 
wir auf der nach Igersheim führenden Landftraße eine 
Strefe und wenden und dann rechts Die Höhe hinan 
— in einer Viertelftunde find wir auf dem Kigberg, 
in der Nähe der Burg angelangt; ein zweiter, am 
meiften begangener Weg, führt von Markelsheim aus 
in Die Burg. Wir gelangen auf dieſem Weg zueft 
an einen hochaufgemauerten Wall mit gewölbter Thor— 
Öffnung; ift man Durch dieſe getreten, jo fleht man auf 
einer fieinernen, mit Drei Bogen verfehenen Brüde, 
weldhe 60 Fuß lang und 16 Breit if. Diefe führt 
über einen 45 Fuß tiefen, gang ausgemauerten Gras 
ben, welcher das ganze Schloß umgibt. Durch ein 
verfchließbares Thor tritt man in den äußeren Schlog- 
hof; über das Thor hinweg zieht fich eine ftarfe Bruft- 
wehr, Die auf jeder Seite mit einem dien runden 
Zhurm in Berbindung fleht. Der wichtigfte Diefer 
Thürme ift der zur rechten Sand ſich anlehnende, in 
dem er vom Öraben an 50 Fuß in die Höhe und 36 
im Durchmeffer hat. Linker Hand am Eingang fehen 
wir 2 Platten von röthlichen Sandftein, auf der einen 
das Wappen des Hoch- und Deutfchmeifters Walther von 
Eronberg, mit Der Sahrzahl 1528, auf der andern das 
Mappen Maximilian I. von Defterreich, des’ Hoch- und 
Dentfchmeifters (1595 — 1618). Steigt man in der 
Nähe der ehemaligen Thorftube 30 Stufen aufwärts, 


36 


jo gelangt man auf den eigentlichen Schloßplatz, wo 
aus Trümmern neben den Heften von 2 runden, mit 
dem Schloßgraben in Verbindung ftehenden Thürmen, 
ein koloſſaler, noch 70 Fuß hoher runder Thurm ragt, 
an den im Laufe der Zeit die übrigen Theile der Burg 
angebaut wurden. Zunächft diefem Thurm in einem 
Schuppen befindet fich ein 336 Fuß tiefer Brunnen, aus 
Dem die Bewohner Der Burg noch big auf diefe Stunde 
vermittelft großer, an Ketten hängender Eimer, das 
Waſſer beraufziehen. In Diefem in die Felſen gehaue— 
nen Brunnen foll der ſchwediſche General-Lieutenant 
Graf v. Königsmarf feine großen Schäge verborgen, 
und beim fehnellen Abzug zurücgelaffen haben. Die 
Ruinen der Burg bieten überall einen Standpunft dar, 
von wo aus man eine liebliche, wenn auch nicht ge— 
rade großartige Ausficht geniegen Fann — wäre der 
hohe Thurm befteigbar, dann würde man wohl bis zu 
den Waldenburger Bergen und den Höhen des Oden⸗ 
waldes blicken können. 

Ueber den Urſprung der Burg Neuhaus gibt uns 
weder eine Chronik noch ſonſt eine Urkunde Aufſchluß, 
wir haben nur eine andeutende Sage. Dieſer zufolge 
ſtand auf dem gegenüberliegenden Kötterberg (in silva 
Ketereite, wie die Urfunde vom $. 1219 ihn nennt,) 
eine hohenloh'ſche Burg, Die nach und nach abging; 
Doch ftanden noch im J. 1746 merkliche Nefte Davon. ° 
Diefem Buraftall gegenüber follen nun Die Herren von 
Hohenlohe eine neue Burg erbaut haben, die fte Das 
Neue Haus (ſpäter Neuhaus) nannten. Vielleicht 


% 


37 


ftand der hohe Thurm fchon viel früher als Warte auf 
Diefer fehönen Höhe, und gab defto leichter Veranlaſ— 
fung, eine Burg daran anzubauen. Ihre älteften Bee 
ſitzer waren Die Serren von Hohenlohe-Brauneck, Die 
fih dann von diefer Burg Serren vom Neuen Haus 
nannten. Graf Gebhard von Hohenlohe-Brauneck war 
wohl der erfte, welcher Die Burg zu feinem bleibenden 
Mohnfig wählte; von hier aus begabte er im 3. 1282 
die Clauſe zu Wachbach (f. die Sage). Er ftarb im 
3. 1300 und Tiegt im Familtenbegräbnig zu Srauen- 
thal begraben. Seine Wittme Adelheid nebft ihrem 
Sohn Ulrich übergab im genannten Jahr ihre bisherige 
Nefidenz Neuhaus mit den dazu gehörigen Dörfern u. 
ſ. w., welches Alles bis dahin ihnen frei und eigen 
war, an das Hochftift Würzburg, und empfing Solches 
wieder von dem Stift ald.Mannlehen. Mit dem Fahr 
1315 erhielt das Deutfche Haus zu Mergentheim die 
erften Anfprüche an die Herrfihaft Neuenhaus, denn 
drei Brudersfühne des genannten Gebhard von Hohen— 
Iohe, Gottfried, Gebhard und Andreas, verpfänden, die 
Burg fammt verfchiedenen Gütern u. f. w. an die Brüs 
der vom Deutfchen Kaufe zu Mergentheim für 1100 
Pfund Heller. Im J. 1372 befaß Konrad von Ho— 
henlohe-Brauneck die Burg und Herrfchaft Neuenhaus. 
Diefer übergab im genannten Jahr das Schloß Neuen« 
haus fammt den Dazu gehörigen Dörfern um 7000 
Gulden an den Deutfchmeifter Philipp von Bifenbach, 
unter der Bedingung, die Burg innerhalb 20 Jahren 
wieder einlöfen zu dürfen. Im Jahr 1390 ging die 


38 


Herrfchaft auf feinen Bruder Gottfried über, aber nur 
für furze Zeitz; Durch den noch in demfelben Jahr er- 
folgten Tod Oottfrieds wurde das Lehen apert und fiel 
dem Hochftift heim. Seit Diefer Zeit mögen die Bir 
schöfe von Würzburg zur Abwechslung manchmal auf 
diefer Burg fich aufgehalten haben, aber fie wurde 
von ihnen noch zu andern Zweden gebraucht; ſie war 
auch geeignet, um ©efangene zu beherbergen. Im Jahr 
1396 lieg Bifhof Gerhard Die beiden widerfpenftigen 
Geiftlichen, den Domdechant Dtto von Milz zu Bamberg, 
fo wie deſſen Bruder, Sand von Milz, beide Dom- 
herren zu Würzburg, in ihren Chorröden verhaften und 
auf Die Burg Neuenhaus führen. Bier hatten fie Zeit, 
anderes Sinned zu werden. Bald darnach belehnte 
Biſchof Gerhard feine DVettern, die Grafen Hans und 
Günther von Schwarzburg, mit Schloß und Amt Neu- 
haus. Im Sabr 1411 verkauften diefe die Burg an 
den Deutfchmeifter Conrad von Egloffftein unter Vor— 
behalt der Wiederlöfung, zu welcher e8 aber nie ges 
fommen. Don nun an war der deutfche Orden alleiniger — 
Befiker der Burg und ihrer Zugehör. Der Orden hielt 
auf derfelben einen Amtmann oder Vogt, Der von bier 
aus über das ganze Amt das fogenannte Eentgericht (pein— 
liche Dalögericht) übte. Neuenhaus wurde nun der Strap 
ort für Die übelthätigen Berfonen des Amts. Das Schloß 
hatte nur eine Eleine Beſatzung und hatte in jener Zeit nie 
Etwas zu leiden. Im I. 1525 empfing die Burg den erften 
Stoß. AS die aufrührerifchen Bauern durch das Thal 
zogen, übergab die mit denfelben einyerftandene Bes 


’ 


39 


ſatzung das Schloß ohne Schwertjtreih. Die Seckel— 
leerer und Kiftenfeger plünderten es nach gewohnter 
Meife, und auf Anftiften eines gewiſſen Baul Werners 
aus Mergentheim wurde. Die ausgeleerte Burg zum 
Abſchied noch ausgebrannt. Der Schaden, den Der 


Orden erlitt, war ein bedeutender, Bald nach Dem 


Baurenfrieg ließ der Meifter Walther von Gronberg 
das Schloß wieder herftellen, und befeftigte es fo ftarf 
mit Außenwerfen, daß es von nun für Die Citadelle- 
der Stadt gelten Fonnte. Auch fein Nachfolger, Wolfgang 
Schußbar, that Etwas für die DBefeftigung der Burg ; 
der mächtige Thurm recht8 am Ihore mit der Auf- 
fchrift 1546, fo wie die innere Schlofmauer mit Der 
Jahrszahl 1550 ftammen aus feiner Zeit. Im fehmal- 
Faldijchen Krieg wurde Neuhaus von Johann von Meiks 
lenburg neun Tage lang beichoffen, dann erft übergeben. 
Die Burg murde in Folge dieſer Belagerung beinahe 
gänzlich zerflört. Unter dem Hoch- und Deutjchmeifter 
Georg Hans v. Wenkheim wurde fie wieder in wehr— 
haften Stand gefeßt. Die Hälfte feines großen Scha- 
tzes, 180,000 ſchwere Goldgulden, nebft vielen Gold» 
ftangen vertraute er ihren feften Gewölben an. Eine 
verhängnißvolle Zeit für Neuhaus. war die des dreißig— 
jährigen, Kriegs. Neubaus war gleichfam die Citadelfe 


Der Stadt, an der fich immer die erftien Stürme bra= 


chen, welche über die Stadt ergingen. Das Schloß 
theilte von nun an treulich das 2008 mit der Stadt 
Mergentheim, und wurde der Hauptſtützpunkt für Freunde 


und Feinde. Im November 1631 rückte der ſchwe— 


* 


408 


difche Obriſt v. Sperreuter in den Taubergrund und 
legte fich alsbald vor Neuhaus. Er durfte nicht lange 
auf Deffnung des Schloffes warten, denn am 25. No— 
vember übergaben die 150 Bertheidiger dad Schloß 
ohne Schwertftreich, und die Schweden nahmen davon 
Befts, aber nicht auf lange Bald mußte Sperreuter 
nach Würzburg und ließ nur 50 Mann zurück. Diefe 
machten es wie die frühere Befaßung und kapitu— 
Titten, als die Mergentheimer mit 300 Muöfetieren, 
30 Heitern und 2 Kanonen vor das Schloß zugen. 
AS der fchmedifche Feldmarfchall Guſtav Horn im De- 
zember Defjelben Jahres Mergentheim in Befig nahm, 
zog Obriſt von Sperreuter wieder vor Neuhaus und 
flürmte e8 in Der Nacht zu wiederholten Malen. Doch 
die Faiferliche Befaßung auf der Burg unter Sans Sig— 
mund Saller von Hallerſtein hielt fich dieß Mal rits 
terlich: mit blutigen Köpfen zogen die Schweden Sich 
zurüf, 6 Todte ließen fie in den Gräben und 60 
Verwundete brachten fie in dad Standquartier zurüd. 
Dennoch übergab fich Die Befagung am andern Mors 
gen mit Accord und ging zu den Schweden über. Bald 
darauf fihenkte König Guftav Adolph dem Obrift Die- 
trich v. Sperreuter das Schloß und Amt Neuhaus als 
Mannlehen, mit der Bedingung, Daß er immerdar 
auf eigne Koften eine Garnifon darauf halten müßte. 
Das that er auch, und ließ das Schloß fogar noch 
mehr befeftigen. Obrift 9. Sperreuter befaß Schloß 
und Amt Neuhaus bis ind Jahr 1634. Als in die— 
jem Jahr die Schweden Stadt und Gebiet räumten, 


41 


blieb auf Neuhaus nur eine fehmedifche Befabung von 
20 Mann zurüd. Diefe Eapitulirte, ohne einen Schuß 
zu thun, als eine Abteilung Kaiferlicher vor das Schloß 
309. Im November 1642 beſetzten Die Franzoſen das 
Schloß unter ihrem General Gubriane, im 3. 1645 
unter Türenne, aber, als dieſer Die Schlacht bei 
Herbfthaufen verlor, nahmen die Baiern das Schloß 
und viel Geld und Gut, das Türenne dafelbft zurüd- 
gelafjen hatte. Im J. 1646 Fam wieder eine fehwes 
diſche Befakung auf Neuhaus; im 3. 1647 commane 
Dirte Dafelbft der ſchwediſche Generallieutenant Graf 
Hans Carl v. Königsmark, welcher feine in Schwaben 
zufammengeraubten Schäße von mehreren Millionen 
im Werth in den Gewölben des Schloffes barg. Um 
diefe Zeit foll die Gräfin v. Königsmarf in Ab- 
wefenheit ihres Gemahls einige Monate lang auf Der 
Veſte Commandantin gewefen feyn. Noch bis zum 
3. 1649 hielten die Schweden Neuhaus befegt. Nach 
deren Abzug brach für das Schloß Neuhaus auf lange 
Zeit ein dauernder Friede an. Nur im 3. 1673 
erhielt e8 noch einmal von den Franzofen einen Bes 
ſuch unter ihren Generalen Monclas und Tremonille. 
Als fich bald darauf eine Faiferliche Armee unter Mon— 
teeueuli der Gegend näherte, zugen die Franzoſen wie— 
der weiter. — Im fpanifchen. Erbfolgefrieg wurde Die 
Befte zun Testen Mal in wehrhaften Stand geſetzt; 
als aber ein Dauernder Friede den fränfifchen Landen | 
zu Theil wurde, Tieß man nach und nach die Außen— 
werke zerfallen und gebrauchte das Schloß nur noch 


42 


zu einem Staategefängnig und temporärer Aufbersab- 
rung von Ordensfachen und Archivalien. Die ſchönen 
Genächer des Schloffes bewohnte der. jeweilige Amt- 
mann, Als aber im J. 1789 der Amtsjig in das 
unten am Berg liegende Igersheim verlegt wurde, 
ging auch Das Schloß bald dem Abgang zu. Im J. 
1793 wurde die Thurmuhr, bald darauf Das reichhal- 
tige Archiv an Käſekrämer verfauft, und dann wurde, 
hauptfächlich Durch ſchmutzige Brivathabfucht einiger 
Herren der Deutfchorden’fchen Kammer, die fich Hütten 
zu bauen hatten und bauten, das Schloßgebäude zu 
Neuhaus in Abwefenheit des übelberathenen Hoch und 
Deutfchmeitters abgebrochen. So zerfiel Die herrlichfte 
Burg im Zaubergrund, von deren früherer Pracht noch 
Manche zu erzählen wiſſen. Nunmehr ift Neuhaus 
fönigliche Staatsdomäne — und die Auine wird beffer 
gepflegt und erhalten als in früheren Tagen. * 

Eine Tiebliche Sage Fnüpft fih an die Auine von 
Neubaus. 


Der weiße Sirſch. 


Graf Gebhard von Hohenlohe, genannt vom Neuen 
Haus, war fo leidenfchaftlich der Jagd ergeben, Daß 
er fogar an den heiligften Tagen es für feine Sünde 
hielt, mit feinen Jägern und ganzen Koppeln von Hun— 
den birfchen zu geben. Wie oft mahnte ihn an joldyen 
heiligen Tagen der Klang des Glöckleins auf der Burg, 
welches ihre Bewohner zur Andacht rief, er möchte fich 


43 


auch anfchliefen an die Schaar der. Beter, um zuvor 
wenigftens einige Augenblicke chriftlicher Andacht zu 
weihen, ehe e8 an das wilde Getreibe Der Jagd ginge. 
Aber er hörte nicht auf des Glöckleins Klang, das 
mit lockenden Tönen ihn erinnerte, doch auch an fein 
Seelenheil zu denken. Und hätte, er nur allein für 
fich. folch Unrecht gethan, aber er zwang auch feine 
Untergebenen, mit ihm die heiligiten Tage zu entwei— 
hen. Darum blieb nur felten ein Diener, der ein red» 
licher ChHrift war , lange bei ihm. Doch der, welcher 
die Derzen der Menfchen Ienft, wo e8 am menigften 
möglich feheint, Tieß eine Mahnung an den Grafen ers 
gehen, anderes Sinnes zu werden, und nicht umſonſt — 

Es war gerade das heilige Chriftfeft, als der Graf 
in der Frühe Des Morgens fich zur Jagd anfchiekte. 
Freundlich bittend trat Frau Adelheid, feine Gemahlin, 
vor ihn im feftlichen Kleide, Das Gebetbuch an der 
Seite tragend, und wollte ihn dazu bewegen, mit ihr 
in die Kapelle zu treten, wo eben das Glöcklein 
läutete. Es war umfonft, beleidigten Blicks mandte 
er fich von der Bittenden; er eilte in den Hof, wo 
jein Bferd und der Jagdtroß ſchon bereit ftand. Frau 
Adelheid folgte ihrem Gemahl die Treppe hinab; fehon 
wollte er in den Stegreif fleigen, da rief fie noch fle- 
hentlicher bittend: hört ihr das Glöcklein, mein theurer 
Gemahl, es ruft zum heiligen Chriſtfeſt; haltet Doch 
nur einige Augenblicke. inne, bis die erfte Andacht vor— 
über ift. Was Glöcklein, was Chriftfeft! rief der Graf 
mit Hobnlachen, mögen Andere für mich beten. Wäh— 


44 


rend er dieß fprach, gab er dem Roß die Sporen, 
fnallte Taut mit Der Peitfche, daß es feltfan hallte zu 
des Glöckleins Klang, und jagte mit feinen Leuten aus 
dem Burghof, lärmender als je, und es fchien, als ob 
er feine Gattin noch damit kränken wollte. Die aber 
fprah mit wehmüthiger Stimme — er hätte es noch 
hören mögen, wenn der Lärmen der Abziehenden nicht 
fo groß gewefen wäre — ja, mein Gemahl, Andere 
werden für Dich beten — ich will es ſeyn vor allen. 
Andern, ich will flehen zu Gott, daß er Dir ein ans 
deres Herz gebe. Das that fie auch, die fromme Adel- 
heid ; fie trat über Die Schwelle der Kapelle, und ihre 
Andacht war am heutigen Pefttage feierlicher ala je, 
ihr Gebet fo heiß und innig wie noch nie — umd 
es war auch nicht umfonft, deun Das Gebet einer from— 
men Geele für. die Seele eines andern noch nicht Bes 
kehrten ift vor Gott wohlgefällig und bleibt nicht uner— 
hört. — Wir folgen dem Grafen von Hohenlohe auf 
feinem Jagdzuge, der ging bin über die Wälder, welche 
fich auf den Höhen gegen Wachbach Hinziehen. Die 
Jagd ſchien für dießmal recht glücdlich von Statten zu 
gehen. Hirſche und Rehe in unzähliger Menge wurden 
die jchnelle Beute der Jäger. Wohin immer der Pfeil 
des Grafen fehwirrte, da fand er fein Biel, und immer 
traf er auf den rechten le, fo daß die Thiere auf 
Einen Schuß zufammenfielen. Daher fam es auch, 
daß der Graf nicht aufhören wollte in feiner glückli- 
chen Jagd, bis die Sonne über dem Haupte ftand, 
Daß er fogar den Imbiß vergaß, den er gewöhnlich an 


45 


Ort und Stelle mit feinen Jagdgenoſſen zu halten 
pflegte, und zwar von dem, was man erjagt hatte. 
Es wurde Mittag, es murde Abend, umd fort’ ging 
Die lärmende Jagd, und laut ertönte das Halloh der 
Säger, und der Klang des Hüfthorns, denn der Graf 
fonnte nicht fatt werden an der Luſt des Jagens. Da, 
ala fehon die Abendfonne ihre jpärlichen Strahlen auf 
die Wälder herabfandte, ritt Graf Gebhard ein wenig 
abwärts von feinen Genofjen; im Lichte der Abend- 
fonne blinfte ihm Hinter dem Gebüfche etwas Weißes 
entgegen, er ritt näher und näher: da fprang ein Hirſch 
auf von blendend weißer Farbe, dergleichen er norh nie 
einen gefeben hatte, fo lang er ald Jäger den Bogen 
führte. Schnell legte der Graf an, aber, wie er den 
Bogen fpannte und zielte — auf einmal mar der Hirſch 
von der Stelle verfchwunden, und fein Auge fab Feine 
Spur mehr von ihm. Schon wollte er unmuthig feinen 
Bogen finfen laſſen, ſiehe da! in weiterer Entfernung 
wieder etwas Meißes hinter dem Gebüfcbe, dann wies 
der ein Geräuſch, und derſelbe Hirſch von blendender 
Weiße ftand auf, und hufchte Durch Gebüfch und Zweige. 
Wieder riß der Graf den Bogen in die Höhe, legte 
auf, fpannte, zielte, aber wieder war der Hirſch aus 
feinen Blicken verfchreunden ; und immer. wieder zeigte 
er fich in weiterer Entfernung. Statt laß zu werden, 
inden er fich immer vergeblich mühte, wurde Der Graf 
immer biiger im Derfolgen. Schon war er von fei- 
‚nem Gefolge ganz ferne gefommen und die Dämmerung 
längft hereingebroshen ; doch konnte er immer noch den 


46 


weißen Hirfih unterfcheiden, Der vor feinen Augen oft 
ganz nahe fich bewegte. Er mochte eine ſchöne Strede 
purchjagt haben, und immer war er mehr von den 
waldigen Berghöhen thalabwärt3 gefommen, ohne Daß 
er es recht wußte, auch fühlte er Feine Müdigkeit — 
aber feinem Bferde lief der Schweiß in Tropfen über 
Bauch und Mähne — es wurde immer träger, und 
zuletzt ſchien es ſo ermüdet, Daß es feinen Neiter nim— 
mer zu tragen vermochte. Da hielt der Graf an, denn 
eben hatte er wieder nach dem weißen Hirſch, der ſich 
nur auf 40 Schritte ihm in den Schuß geſtellt hatte, 
vergebens gezielt — er war wieder verſchwunden, und 
von nun an zeigte er ſich lange Zeit nicht mehr. Jetzt 
ſtieg der Graf vom Pferde, denn er fühlte eine Er— 
ſchlaffung durch alle ſeine Glieder; zugleich entdeckte 
er, daß er ganz und gar von ſeinem Wege abgekommen 
war. Mißmuthig warf er ſich nieder auf den eiskalten 
Boden, auf dem kaum die Eisdecke des Winters ſich 
gelöst Hatte. Er griff nach feiner Jagdflaſche, um ſei— 
nen brennenden Durft zu ftillen, aber die hatte er Der 
Hand feiner Jäger anvertraut; da flieg er ins Hüfte _ 
horn, doch der Klang verhallte ungehört in der ftillen 
Nacht, denn feine Genoſſen waren fern und fuchten 
den verlorenen Herrn überall, nur nicht da, wo er ſich 
gerade gelagert hatte. Immer brennender wurde des 
Grafen Durſt, immer fehneidender die Nachtkälte auf 
dem harten Boden und um ihn — er erhob feine 
erfchöpften Glieder, um eine Duelle aufzufuchen oder 
ein Bächlein, wo er feinen beißen Durft löſchte. Den 


47 


‚Zügel des Pferdes im den Händen, fchleppte er fich 
immer weiter, aber er fand Nichts, woran er ſich la— 
ben konnte. Wohl eine Stunde mochte er ſich müh— 
fam Durch Dornen und Gefträuch über Klippen und 
Steine durchgerungen haben, da, im Dunkel der Nacht, 
zeigte fich auf einmal wieder der weiße Hirſch. Nicht 
mehr hatte der Graf Luft, feinen Bogen zu fpannen, 
diemeil er fo oft geäfft worden war; er ging zu auf. 
die Stelle, wo der Hirſch aufgefprungen war, und ſiehe 
da, eine Quelle fprudelte an dem Ort, wo fidh der 
Hirſch gelegt Hatte. In dem Augenblid , da fich der 
Graf nieverbeugte, um feinen Gaumen zu laben, hörte 
er aus der Ferne ein Glöcklein tönen. Schnell machte 
er ſich auf, nachdem er fich gelabt Hatte und folgte 
in der finftern Nacht dem Tone des Glöckleins, Das 
immer näher Fang, fein Fuß aber ging längs einem 
Büchlein, Das jene Duelle bildete; der Graf war in 
jenem damals noch mit Waldung überwachfenen Thäl- 
chen angefommen, wo der Forellenbach entfpringt. Als 
dritter Wegführer glänzte vor ihm der weiße Hirſch, 
welcher jeßt wieder erfchien und ihm traulich voran: 
ging. Immer heller Elang Das Glöcklein, je meiter 
Graf Gebhard fürbag fehritt. Auf einmal verfchwand 
der weiße Sirfch, und der Graf war an Dit und Stelle, 
wo das Glöcklein geläutet wurde. Es tönte von dem 
Thürmchen einer Eleinen Kirche, Die von wenigen Ge— 
N bäuden und einer nicht hohen Mauer umgeben war. 
ö Der Graf befand ſich am Klöfterlein der geiftlichen 
. Braun zu Wachbach, das ſchon in alten Zeiten von 


48 


feinem Vorfahren, den Grafen von- Brauner, geftiftet 
worden war. Hier hatte man, zufällig als fich der 
Graf im Walde befand, nach Mitternacht die Mette 
geläutet, um die Nonnen in den Chor zum Gebet zu 
verfanmeln. — Don Wachbach aus brachte den Gra- 
fen ein Wegführer, den Die geiftlichen Frauen bereit- 
willig ihm mitgaben, in einer Fleinen Stunde auf Burg 
Neubaus, wo er von der Ängftlich forgenden Gemahlin, 
die fhon Boten nach ihm ausgefendet hatte, mit Freu— 
Den empfangen wurde. — Noch größer wäre ihre Freude 
gewefen, wenn fie gleich Damals gemußt hätte, wie ihr 
Gebet in der Kapelle für den geliebten Gemahl fo 
bald erhört, und jenes verhängnißvolle Verirren für 
ihn ein Segen im eigentlichen Sinne des Worts ge: 
worden war. Geit jenem Tage fah man den Grafen 
nie mebr, weder an einem Weiertag noch Sonntag, 
und noch viel weniger an einem Feſttage, zur Jagd 
reiten. Dafür begleitete ex deſto fleifiger feine fromme 
Gemahlin in Die Kapelle, und nie hörte man, Daß er 
je mehr den Ton des Glöckleins überhört hätte, jo oft 
es Die Bewohner der Burg zur Andacht rief. Er ges 
dachte, jo oft er es hörte, des Glödleins im Thale 
zu MWachbach, Dad den Verirrten wieder auf den rech— 
ten Weg zu feiner Burg, noch vielmehr aber auf Den 
Weg zu den ewigen Wohnungen geführt hatte. Aber 
Der Graf gedachte auch voll Freundlichkeit Der Nonnen 
zu Wachbach, von Denen jenes leitende Glöcklein zur 
guten Stunde geläutet worden war. Noch fein Tag 
war vergangen, feitvem Graf Gebhard wieder. glücklich 


49 


auf Neuhaus. anlangte, fo erfehien fchon Der alte Weip— 
recht, Meier auf Neuhaus, mit einem Wägelein. vor 
der Pforte des Klofters und begehrte Einlaf. Er war 
ein willkommner Gaft, denn fobald. er eintrat, ‚hob er 
vom Wägelein 1 Malter Korn, 3 Malter Haber, ein 
halbes Malter Käfe, 4 Hennen und einen ſchweren 
Geldfaf, darin 36 Bfund Heller lagen. Das Alles 
ftellte er zw. Danden der Frau ‚Schaffnerin, und ver- 
meldete beinebens einen freundlichen Gruß von feinen 
gnädigen Seren, dem Grafen Gebhard auf Neuhaus: 
Das zu einer Verehrung, darum, daß fie in jener Stunde 
feines Herumirrens zur Mette geläutet und einen Führer 
ihm mitgegeben; ſie mögen. fürder feiner, und feiner 
Gemahlin im Gebet gedenfen. — Bald Fam Graf Geb- 
hard und feine Gemahlin in eigner Perſon in das 
Klöfterlein zu Wachbach. Beide wurden mit größter 
Freude empfangen, und Die Nonnen fprachen ihren ges 
rührten Dank für die fchöne Verehrung aus. ber, 
wie wurden fie von Neuem fo freudig überrafcht, ale 
Graf Gebhard beim Abfchied ein großes Pergament 
mit dem gräflichen Siegel hervorzog und in die Sand 
der Priorin legte. In der Urkunde aber ftand zierlich 
und deutlich gefchrieben: „Al und Jedmänniglich, fo 
dieß Iefen, fey Fund und zu wiſſen, Daß ich, Graf 
Gebhard von Hohenlohe, genannt vom Neuen Haus, 
und mein ehlih Gemahl, Frau Adelheid, mit gutem 
- Willen und mwohlbedachtem Rath, den ehrſamen geift- 
lichen Frauen des Kloſters zu Wachbach zu einem jähr— 

Be Almofen vergabe: 36 Pfund Heller, 4 Malter 
H 4 


30 


Korn,’ 3 Malter Kaber, ein halbes Malter‘ Kaͤſe 4 
Hühner u. f. w. So gegeben auf’ Burg Neuhaus an 
St. Binzentit Tag im Jahr: 1282. Wirklich em— 
pfingen die Nonnen zu Wachbach alljährlich" diefe Gült 
des Grafen von Hohenlohe auf Nenhaus,ı'und won 
nun an ward das Mett- Glöclein mit Freuden ge- 
läutet , "wenn es auch noch fo frühe die Nonnen? aus 
dem Schlaf in den Ehor rief. Gerade nach 100 Jah⸗ 
ten verhallte der Ton’ des Glöckleins im Kloſter zu 
Wachbach, aber auch die jährliche Gült hörte guf, denn 
im Jahr 1381 verkauften die Nonnen Armuth halber 
ihre Elauſe mit all den Gütern, Rechten und Gewohn— 
beiten, ſo wie mit ihren eigenen Leuten, um ein jähr— 
liches — an das en a. zu⸗ iger 
am 


IV. 
Der Michelsberg am Meder. 


ir: eine Schlucht trennt Die Burg Hornet von er 

Berg, auf welchem die Wallfahrtsfapelle zum h. Mi— 
chael fteht. Eines der ſchönſten Aundgemälde anı Near 
bietet fich auf dieſer Höhe dem entzücten Beſchauer 
dar. Bon den Hohenloher und Löwenfteiner Bergen, 
von den Schlöffern Waldenburg und Löwenſtein im 
Diten fehweift das Auge über die an: dem Neckar vor⸗ 
geſchobenen Gebirgsausläufer den Fluß hinab nach: deni 


51 


Katzenbuckel im Odenwald hin, bis ein Kranz von 
Wäldern in unſrem Rücken ihm ein Ziel ſetzt. — Die 
mit Reben bepflanzte Abdachung gegen den Neckar und 
das Schloß Horneck heißt das Hummelreich; ob ſie 
wegen ihrer Höhe oder wegen des trefflichen Gewächſes, 
das hier oben wächsſt, dieſen Namen erhalten, oder 
auch ‚in, Folge der Sage; die unten folgt, Fäßt ſich 
nicht genau beftinnmen. Der den Felſen  abgefämpfte 
Boden. beweist fich ‚auch. danfbar für Die rauf ihn ver— 
wendete Mühe ‚- denn er gibt. den feurigen Himmels— 
reicher. Dben auf dieſer Abdachung fteht Die uralte, 
von einem Friedhof umgebene Kapelle. Gleich beim 
Eingang gewahren wir in der: Mauerniſche einen vier— 
feitigen römischen Opferaltar aus röthlichtem Sandftein. 
Er Hat eine fehüffelartige Vertiefung, in welcher eine 
Deffuung angebracht if, ‚Deren: Beftimmung feine an- 
dere gewefen feyn kann, ala das Opferblut aufzufangen 
und abfließen zu laffen. Auf der rechten Seite befindet 
ich ein: Dahn und ein Opfermeffer, auf der linken ein 
Krug, ein Löffel oder Berfen mit Stiel (Pfanne) und 
ein. zweiſchneidiges Schwert: eingehauen. Die auf- der 
aesperieite ftehende Infehrift von 8 geilen lautet: 


J (ovi) 0 (optimo) M( aximo) et Junoni re- 
ginae 

C (ajus) Fabius Germanus (Bis) Ä 

- Co (n) s (ulis) pro se et suis V (ota) s (ua). 

* — L (ibenter u) M Pe 


52 


Dieſer Altar iſt ſchon feit den Jahr 1564 bekannt; 
er weist darauf hin, Daß einft auf dieſem Berge eine 
beidnifche Opferftätte gewefen, wo römiſche Krieger 
geopfert ; als Das Chriſtenthum in dieſe Gegend drang, 
wurde die Opferftätfe mit dem Altare zerſtört und auf 
derfelben eine chriftliche Kapelle errichtet, wober man es 
mit den freilich an einem chriftlichen Gotteshaufe aufs 
fallenden Ueberbleibfeln eines heidniſchen Altar nicht 
fo genau nahm, wie wir denn überhaupt an fo man— 
chen alten Kirchen und Kapellen des Landes Steine 
mit römischen Bildwerken eingemauert finden. — Eine 
liebliche Sage, die noch in dem Munde des Volkes 
geht, gibt ung Bericht über die Entftehung der Wall 
fahrtsfapelle des h. Michael, 


Der beidnifche Jüngling und die 
chriftliche Jungfrau. 


Zu der Zeit, ald noch düftere Wildniß die Ufer des 
Neckars bedeckte, lebte in dieſer Gegend ein beidnifcher 
Jüngling. Er war mit einer edlen Jungfrau verlobt, 
Die den chriftlichen Glauben angenommen hatte, Diefe 
liebte ihn von ganzen Kerzen, aber fie wollte ihm nicht 
eher ihre Hand geben, ald bis er feinen Göttern ent- 
fagt und dem befeligenden Evangelium fein Herz ge 
Öffnet Hätte. Nun horchte zwar der Süngling mit 
Freudigkeit der Tieblichen Rede ihres Mundes, mit Der 
fie täglich und ftündlich ihn zum wahren Glauben zu 
as trachtete, aber er Eonnte den Sinn — Worte 


53 


nicht begreifen, und fein Herz blieb verſchloſſen, den 
Segen des Evangeliums in fich aufzunehmen. Nach— 
dem all ihre Bemühen um ihn vergeblich gewefen, ver— 
ließ fie Vater und Mutter und die Heimath ihrer Ju— 
gend, und floh, von tiefem Grame getrieben, in eine 
fehauerliche Einöde, wo fe unter den grimmen Thieren 
des Waldes lebte, die jte aber nicht zu verlegen wagten, 
fondern fie fogar noch freumdlicy nährten. Hier verlebte 
jle ihre Tage unter ftetem Gebet für das Geelenheil 
ihres Geliebten. Us fie nun nach einigen Jahren 
hingewelkt war und der Engel des Todes ihr Die Aue 
gen zugedrüct hatte, verkündete nur noch manche Schrift 
von ihr an Bäumen und Steinen das Schickſal ihrer 
legten Tage. Da gefchah es einsmald, Daß der heid— 
nifche Iüngling, ihr Verlobter, fich auf der Jagd hieher 


verirrte. Er jagte ein Wild, das er nicht zum Schuſſe 


E; 


bringen fonnte. Es war ein Hirfch von feltener Schöne, 
dem er manchmal ganz nahe Fam, und dann war er - 
fchnell feinen Blicken wieder verfchwunden. So verirrte 
er fich immer tiefer in den Wald hinein. Auf einmal 
war der Hirſch wieder fichtbar und er ftand ihm fo 
nahe, daß er ihn beinahe mit den Händen hätte greifen 
können — ſchon hatte er die Armbruft erhoben und 
den Bolzen aufgelegt, da wandte fich der Sirfch, blieb 
ftehen und blickte ihn unverwandt an, als wollte ev 
ihm fagen, Daß ein freundlicher Schußgeift feiner warte. 
Erſchrocken ließ der Jüngling die Armbruſt finken, und 
in demſelben Augenblick ſah er vor fich einen hochauf- 


geworfenen Nafenhügel, der eine menfchliche Grabftätte 


54 


verrietd. An Bäumen und Steinen. umher entdeckte 

er eingegrabene Schriftzüge, welche ihm Kunde gaben 
von den Testen Schieffal feiner Verlobten und von 
Allem, was fie um feinetwillen gelitten. Wie ein En 
gel Gottes ſchwebte ihm jeßt ein Bild vor Die. Seele, 
und in des Waldes Dunkel ward es plöglich helle in 
jeinem Innern. Was die Geliebte im Leben nicht - vers 
mocht hatte, das gelang ihr nun im Tode. Er warf 
fein: Sägergeräth weg, -flürzte den Altar feiner Götzen 
um, und eilte gen Worms zum Bifchof, der ihn Durch 
die. heilige Taufe zum Chriſtenthum einweihte. Hierauf 
erbaute er neben dem Grabhügel feiner Geliebten auf 
Diefen Berge eine Eleine Hütte aus Hol und Steinen. 
Davon heißt der Berg heut zu Tage’ Simmelreich und 
der Drt, wo der Einftedler hauste noch’ jetzt Gottes— 
höhe, denn der Jüngling überließ fich bier heiligen 
Betrachtungen. Oftmals verivrte fich auch ein Wande- 
rer in dieſe Einfamfeit, den führte er in feine Hütte, 
fabte ihm mit Speife und Trank und Teitete ihn dann 
wieder auf-den rechten Weg. Bald Tief Die Kunde von 
den: frommen Einfiedler im Lande umher. Zahlreiche 
MWallfahrten zogen hin, und: jeder fühlte fich in feiner 
Gegenwart frei von allen Leiden und ' Drangjalen. 
Endlich, da der Einftedler alt und fchwach war, pochte 
es in einer ftürmifchen Nacht an die enge Bforte feiner 
Zelle; ein Pilger trat herein, hoch und ſchön geftaltet, 
und aus feinen Augen Teuchtete hoher Friede. Eiligſt 
zündete der Einſiedler ein Feuer an, die Kleider des 
Fremdlings zu trocknen und feine Glieder zu erwärmen, 


55 


and feste ihm Speiſe und Trank vor; dann Enieete 
ex, wie er gewohnt war, nieder, und ‚verzichtete mit 
zitternder Stimme, aber freudig und glaubensvofl, fein 
Nachtgebet. Da, trat: der Pilger, das Haupt umgeben 
von einem Strahlenkranz, zu dem Berenden, der ihn, ohne 
ein Wort bervorbringen zu können, ſtaunend anblicte, 
und: fprach mit himmliſcher Milde: Dein Flehen ift 
erhört, Du frommer Knecht, gehe ein zur Ruhe deines 
Herrn. Damit füßte er. den Sprachlofen anf die Stirne. 
Entflohen war Die erlößte Seele. Am Morgen fanden 
ihn Die Waller fanft entichlafen neben den. £leinen: Ale 
tar, das Bild des himmlischen Friedens und Der Ruhe, 
nach heißen Kämpfen. Weinend begruben. ſie ihn und 
bauten ein Gotteshaus am der Stelle, dem h. Michael 
ae Das Kirchlein. fteht noch und fchaut weit in 
Die Lande, vormals gar oft befucht von Wallfahrern. 
Noch heut, zu Tage wird. Gottesdienft in dem Kirchlein 
gehalten, und die. Todtenfränge der im Friedhof ruhen— 
den Jungfrauen vom Dörflein Boͤttingen unten am 
Fuße des Michelebexgs werden in der Saale aufbe= 
wahrt. 


I 
— Saufen. am Meckar. 


Da, wo der liebliche Nedar in: zwei finsken, Krüm- 
mungen der. ‚Stadt Heilbronn zueilt, liegt der uralte 
Drt Laufen, deffen Kirche. ſchon ſeit dem Jahre 741 


96 


bis 746 urkundlich genannt wird. Doch noch Alter 
mag die urfprüngliche Anlage der Burg feyn, deren 
Reſte fich auf der im Neckar liegenden Felfeninfel er 
heben, dem Sturm von Jahrhunderten noch Troß bie- 
tend. Zuverläßig fland auf diefer, Durch eine Brüde 
mit dem jenfeitigen Ufer verbundenen Felſenhöhe, ein 
Kaftell der Römer, wie fie folche unter den Kaifern 
Poftumus und Probud anzulegen pflegten, um von 
hier aus Ddiefen Theil des fogenannten Zehentlandes zu 
bewachen. "Doch auch Diefes Kaftell fiel im Sturm der 
Zeiten, und auf feinen Trümmern baute ein fpäterer 
Befiger Die jegige Burg. Das war der berühmte Graf 
des Nordgaued, Ernſt, welcher ums Jahr 832 das 
Eaiferliche Kammergut Saufen (villa Lauppa) vom 
Kaifer Ludwig dem Frommen zum Gefchenf er: 
hielt. Er war es wohl auch, der Die Durch die Brans 
dung Ded Neckars entjtandene Felfenkluft Fünftlich zu 
arbeiten anfing, indem dieß zu feinem Zweck, Die Ges 
gend zu verfchönern, mefentlich war, und feine Nachfolger 
vollendeten dieſes Werf, Das zur Befeftigung der Burg 
jo fehr diente, indem die Felfenhöhe ganz und gar vom Ufer 
getrennt wurde. Graf Ernft foll ein Sohn des Gebhard, 
und Enfel des Herzogs Taſſilo, Grafen in Oflfranfen, 
aus Agilolfifchem Stamme gewefen feyn. Er ftand 
wegen feiner Tapferkeit und" Frömmigkeit bei Kaifer 
Ludwig in großen Gnaden, und aud) nod) unter Kaifer 
Ludwig dem Deutfchen war er fehr angefehen. Kaifer 
Ludwig hatte ihm feine eigene Tochter Friedburga zur 
Ehe gegeben’, er felbft aber wurde der Schwieger 





57 


von Karlmann, dem älteften Sohne Ludwig de3 Deut- 
fchen, der feine Tochter ehlichte, deren Namen nicht über— 
liefert if. Aber gerade diefe Verbindung führte feinen 
Sturz herbei, denn, da er im Jahr 861 feinem Echwie- 
gerfohne bei einem Aufftandsverfuche Deffelben gegen 
feinen Vater beiftand, fo wurde er von diefent aller 
feiner Ehrenämter entfegt und verlor wohl auch fein 
£aiferliches Lehen zu Raufen. Er ftarb auf feinen Al 
fodialgütern im Jahr 861; feine Söhne, Ernft IL IH. 
V.V., erhoben fi \vieber zu hohen Ehren. 

Die Burg Laufen war feit dem Jahr 861 wieder 
reihsunmittelbar. Erſt mit dem Jahr Hören wir 
von andern Beſitzern der Burg, die wahrſcheinlich 
in Laufen oder in der Nähe ihren Urſprung hatten, 
und in ihrer Familie hauptfächlich den Namen Boppo 
führten. Der erfte dieſes Namens wird fehon im Jahr 
1011 genannt, und dann noch einmal als Zeuge bei 
Gründung des Stifts Dehringen im Jahr 1037. Don 


ihm ftammten drei Söhne: Heinrich, Bruno Iy, 5 
der zugleich Graf im Kraich-, Enz- und Elfenzgau 


war, und Arnold, deffen Gemahlin Adelheid eine Ur— 
enkelin Kaifer Heinrichs III. gewefen. Arnold hinter 
ließ drei Söhne, Heinrich II., welcher ausdrücklich ein 
Graf von Laufen (de castro Loufe) genannt wird, 
Bruno, der Erzbifchof von Trier gewefen (v. 1102 
— 41124), und das Klofter Odenheim im Kraidigau 
 fliftete, und Boppo H., der durch feinen Sohn Con 
rad I. den Stamm fortpflanzgte. Deffen Sohn Boppo IL. 
erhielt Die väterlichen Lehen und lebte noch bis zum 


* 


58 


Jahr 1174. Er zeugte drei Söhne: Heinrich IL, 
Boppo IV., Conrad IE Von ihnen: ftarben «Heinrich 
"und Conrad ohne Nachkommen, Boppo hinterließ: zwei 
Töchter. Er ift wahrfiheinfich Der Beſitzer der Burg 
Dilsperg am Reckar geweſen, denn im 3. 1208 bewohnte 
er Diefe Burg. Don feinen zwei Töchtern brachte Mech— 
tild nach Ausfterben des männlichen Mannsftammes 
die Erbgüter der Grafen von Laufen am das Gefchlecht 
Der Dpnaften von Düren (Walddüren), melches fofort 
den gräflichen Titel und den  Bamiliennamen Boppo 
führte, | 
Nach, Abfterben Der Grafen von Laufen wurde Die 
Burg wieder reichdunmittelbar , denn nie wird unter 
den Befisungen der Dpnaften von Düren in nachfol- 
gender Zeit der Name Laufen genannt. Als: folche 
wurde fie mit der Stadt im Jahr 1227 von Kaiſer 
&riedrid DO. von Staufen dem Marfgrafenı Hermann 
von Baden verpfändet und nie wieder eingelöst. Seit— 
dem ſaßen Vögte in: der: Burg auf der Felfeninfel, 
und dieſe fonnten :wohl jenem edlen Gefchlecht ange: 
bört haben, von dem: ſchon ein Hermann. von Laufen 
vom Jahr 1156 bis 1165 vorkommt. Schon vor 
1346 wohnte zu Laufen Albrecht Der. Hovewart von 
Kirchheim; er hatte die Burg anıdem Nerfar (im Neckar) 
von einem gewiſſen Gerhard von Ubftatt erfauft, der 
auch fonft Befigungen zu Laufen hatte, Er verkaufte 
im Jahr 1369 dieſe an die Grafen von Wirtemberg, 
nachdem er ihnen fehon früher Stadt und Schloß Lau— 
fen zu Kauf gegeben, welche er von den Markgrafen 


59 


son Baden im Jahr 1346 erworben hatte. Aber nur 
zu. drei Theilen war die Burg am Nedar an Wir 
temberg übergegangen. Den vierten Theil befaß noch 
int Jahr 1434 ein gewiffer Hermann Neft von Ober- 
ftein und feine Hausfrau von Wifenbrunnen: nebft 
einem Theil am Zehenten‘, jo wie einigen Gefällen. 
Derfelbe verfaufte dies Alles int genannten Jahre an 
die Grafen von: Wirtemberg: um nein gewifjes Leibges 
ding. Weil: aber Diefer Theil des Schloffes ſo wie 
die übrigen vom Reiche zu Lehen rührten, fo empfing 
fie Graf Ludwig für fich und feinen Bruder Ulrich 
von Kaifer Sigmund zu Ulm zu Lehen. — Seitdem 
Wirtemberg Laufen erworben hatte, ſetzte es daſelbſt 
feine Dbervögte. Hand. Kriech im Jahr 1386 war 
einer der erftien, dem noch Zwanzig von Adel bis 1585 
folgten. Das Schloß in. der Stadt, das an das obere 
Thor ftieß, war wohl ihr erfter Wohnſitz; ald aber 
diefes fchon zu Ende des 15. Jahrhunderts fehr bau— 
fällig und unmwohnlich geworden war, wurde die Burg 
im Nedar ihre Wohnung. Noch zu Anfang des 17. 
Jahrhunderts war die. alte Burg’ auf der Neckarinſel 
fehr wohnlich. in hoher Dicker Mantel umgab die— 
ſelbe, und der vieredigte Thurm aus Quadern hatte 
sine Höhe von 180 Fuß, war inwendig 8 Fuß wett, 
und hatte 7 Fuß dicke Mauern. Bon nun an hatte diefe 
Burg wie die Etadt viel zu leiden. Als im 3. 1643 
die frangöfifcherweimar fche Armee: von Franfen her zog, 
legte der Generallieutenant Tupadel einen Kapitain Paul 
mit einer. Anzahl Dragoner zur Bewahrung des Paſſes 


60 


in die Burg. Im I. 1672 legte Herzog Eberhard IH. 
in die Gränzorte Neiter und Fußvolk, um fie gegen 
die Streifereien verfchiedener Armeecorps zu jihügen. 
Er Fam in eigener Berfon nach Laufen, befeßte den 
Paß am Neckar mit Fußvolf, und ließ Stadt und Burg 
befier befeftigen. Um fo auffallender ift es, wie Die 
Burg im Nedar fo bald in Verfall gerathen, wie wir 
jetzt ſehen, da ſie in allen fpäteren Kriegsunruhen, Die 
befonders - diefe Gegend am Nedar betroffen, immer 
verſchont geblieben war. Doch war fie noch die Woh— 
nung der Oberamtleute, die feit dem Jahr 1759 an 
die Stelle der Dbervögte traten. — Dermalen ift hier 
der Eib des SHoffameralamts mit einem freundlichen 
Wohnhaus und Garten. Noch jest gilt von diefem 
Schönen Wohnort, was einft Carl Füger, der geiftreiche 
Befchreiber der Neckargegend, Davon rühmte: „Wenn 
wir Die niedlich gelegene Wohnung: des Beamten, mit 
Allem umgeben, was zu des Lebens Nothdurft und 
Ergötzung des Auges dient, den geſchmackvoll angelegs 
ten Garten, der an verfchiedenen Orten immer übers 
rafchendere Anfichten darbietet, und Den altergrauen 
Thurm, der mitten in Diefer üppigen Vegetation als 
ein Geift von der Herrlichkeit vergangener Jahrhunderte 
zeugt — wenn wir Alles diefes betrachten, fo wird 
man den Wunfch fehr verzeihlich finden, hier die Tage 
ſeines Lebens in heiterer Feier der Natur zubringen zu 
dürfen!” — Seßen wir und an einem der vielen lieb— 
lichen Plaͤtzchen, ſchlagen das Buch der Legenden auf, 
und vernehmen, was fich in altergrauen Tagen auf 


61 


dieſer Tieblichen Infel und in den Räumen ber nun zer: 
fallenen Burgmauern begeben. 


Die heilige Negiswindis. 


Kaiſer Ludwig der Fromme pflegte oft fich auf ſei— 
nen Landſitzen von des Herrfchens Mühen zu erholen. 
‚Eine befondere Vorliebe hatte er für das biedere Schwa— 
benland; hier war er, der jo manche Untreue erfahren 
hatte, ficher. Er hatte hin und wieder Meierhöfe ans 
gelegt, auf denen er fi) auch dem Vergnügen der 
Landwirthſchaft überließ. Ein folcher Meierhof war 
aud) Laufen am Nedfar, vorher Eigentbum des une 
glücklichen Herzogs Theudebald, nun in Ludwigs Hän— 
den. Einft kam Ludwig auch hieher ; in feinem Ges 
folge war ein hochedler Herr, Namens Emft — ein 
Graf aus dem Nordgau — dem war Ludwig mit 
befonderer Huld und Liebe zugethan; er war es, der 
dem Kaifer manche trübe Laune verfcheuchte und mane 
hen Schmerz über erfahrenen Undank vergeffen machte, 

darum mußte er allezeit in ſeinem Gefolge feyn. % 
Läaängſt fchon hatte der fchöne Meierhof den edlen 
Ritter, der die Freigebigkeit feined Kaiferd Fannte, an— 
gefprochen. Hier an den Ufern des Neckars fehien Die 
Natur ihre Reize mit verjchwenderifcher Freigebigkeit 
ausgeſtreut zu haben, um dieſes Thal zu einem der 
ſchoönſten Punkte der in Diefer Hinficht fo reich aus— 
geſtatteten Gegend zu machen. Dießmal wüßte Ritter 
Ernft feinen Kaifer zu befonderd guter Laune zu ſtim— 


% 


62 


nen, und als er einsmals mit: ihn des Abends von 
einem Jagen recht fröhlich nach Hauſe ritt, brachte er 
feine Demüthige Bitte, der Kaifer möchte ihm feinen 
Meierhof zu Lehen ‚geben, Jo geſchickt an; daß Ludwig 
nicht umhin Fonnte, ihm Diefelbe zu gewähren. Den 
mitten in dem Meckar ganz iſolirt ragenden Felſen er- 
ſah ſich Graf Ernſt, um mit ſeiner Gemahlin Fried—⸗ 
burga darauf zu wohnen. Er baute daſelbſt eine Burg, 
in der er auch vor Feindes Angriff ſicher ſeyn fonnte; 
unter ſich den Fluß, der den Felfen von allen Seiten 
umſpült, über ſich den blauen Himmel, und rings um⸗ 
ber: eine äußerſt freundliche Natur — fühlte ſich der 
‚Graf bald. recht zu Haufe auf feiner neuen Burg. 
Hier. febte er mit Friedburgen in Huhe und Frieden, 
und gewann bald ein großes Anfeben-in der Gegend; 
zu. feinem Glücke ſchien nichts mehr zu fehlen, als ihm 
Friedburga ein Töchterlein gebar, die er Regiswindis 
hieß. So oft Ludwig in die Gegend kam, mußte 
Ernſt ſein Begleiter ſeyn, wenn es da oder dort etwas 
zu ſehen, anzuordnen und zu ſchlichten gab. Manchs— 
mal begleitete ihn) Friedburga, das zarte Kind ließen 
fle in den Händen einer Wärterin zurück, die im Rufe 
befonderer Klugheit ftand, und auch fieben Jahre lang, 
zur ‚großen Zufriedenheit der Eltern, des Kindes pflegte. 

Eines Tages begab es fich, Daß einer von Ernſts 
Dienitleuten , ein Bruder der: Märterin , bein Qüten 
der Pferde auf den benachbarten Waiden fich eine 
große Nachläßigkeit zu Schulden kommen ließ. Da er 
nichts zu feiner Entfchuldigung vorzubringen wußte, 


‚E 


63 


lieg ihn der Graf zur Warnung: fir: Andere ſtäupem. 
Als: ſolches die Wärterin vernommen, ergrimmete ſie 
darüber, und befchloß, an ihrem Herrn ſchreckliche Rache 
dafür zu nehmen; ſann auch lange — wie * 
ſolches am beſten thun könnte. — 

Da geſchah es, daß. der Graf mit feiner Gemahun 
eine Reiſe machte, und niemand auf der Burg war, 
ala die Amme mit denn zarten Kinde. So ſehr dieſe 
das Mäagdlein auch liebte, jo. ergriff: ſie dennoch jetzt, 
da ſie ſich allein mit ihm ſah, die Wuth der Hölle; 
die alte Rachgier erwachte von neuem. Sie ergriff das 
Kind, eilte mit ihm auf die äußerfte Spitze der Burg— 
mauer, erwürgte es, und: warf es: in den vorübereilen— 
den Fluß, der’ die ſchreckliche That verbergen follte. 
„ Mit ſtarren Blicken ſah te in Den jähen Abgrund, und 
vernahm, wie das MWafler tobte und fprudelte, gleich 
als wollte e3 feinen Abſcheu zu erfennen geben. Sie 
glaubte hierin ‚die Stimme des Richters zu vernehmen, 
ermwachte aus: ihrem Wahnfinn, und: eilte, gefoltert von 
Sewifjensbiffen, ander entgrgengefegten Seite des Ne— 


ckars ſich in feine Wellen hinabzuſtürzen. Plötzlich 
erſchienen einige Dienſtmannen der Burg, verhinderten 


J 
⸗ 


die Ausführung ihres Vorhabens, und befragten fie er 


darüber, worauf fie ihre Ihat befannte. Nach dieſem 
Geſtändniß entwich fe ihren, Sänden, und man —— 
nicht, was ‚aus: ihr geworden. 

Alle, Die. es vernahmen, wie Die boshafte Anime die 
Meine: Megisreindis gemordet habe, maren tief — 
oll Angſt und Schrecken gingen ſie an den Ufern. auf 


— 


ey 


64 


und ab, das Kind zu fuchen; da fanden fie es endlich 
in einem Strudel; fein: zartes Angeficht ‘war: weiß, 
jeine Wangen roth, und feine Aermelein hatte e8 freuz- 
weife über die Bruſt gefchlagen. Darauf zogen fie den 
zarten Körper aus dem Waſſer, beriefen die Diener 
der Kirche nebft vielen Andern, die dem Grafen Ernſt 
in Lieb und Freundfchaft zugethan waren, und‘ begru- 
ben ihn unter beißen Thränen, der Burg gegenüber, 
an dent jenfeitigen Ufer des) Neckars. Nach etlichen 
Tagen fanı Ernft mit Friedburgen wieder nach Haufe 
ein fröhliches Getümmel von Knappen fam ihm jonft; 
entgegen, und jeder beeiferte ich, der erſte zu ſeyn, Der 
feinen Herrn bediente. Uber Diegmal war Alles in 
Todeöftille verfunfen, und auch an der Schloßpforte 
wat niemand, der ihnen, ihre Pferde abnahm. Bedenk— 
lich eilten fie über Den Burghof hinweg, und ergrimmt 
fragte Ernſt den erften feiner Dienftleute, was dieſes 
zu bedeuten habe? Da erzählte er ihm weinend, wie 
Das zarte Kind durch die boshafte Amme getödtet wor= 
ben fey, und daß es dort drüben ſchon im fühlen Grabe 
liege. | 

Da ging e8 an ein Trauern und Klagen über den 
Tod Des geliebten Töchterleins, Daß die Burg Davon 
wiederhallte, und Friedburga wollte fich nimmer trö— 
ften Taffen. — Als nun der fromme Bifchof Humbert 
von Würzburg erfuhr, wie den Grafen Ernſt jo gro— 
ßes Leid betroffen habe, fo machte er fich auf gen Lau— 
fen, um den betrübten Eltern den Troſt der Kirche zu 
bringen. Er ließ ſich alles erzählen, und ald man 


€ 


65 


ihm fagte, wie fich Die Gefichtöfarbe des Kindes auch 
im Tode nicht verändert, und es feine Arme kreuz— 
weiß über einander gefchlagen babe, fo wußte er Diefeg 
auf befondere Heiligkeit des Kindes zu deuten und 
rieth deßhalb dem Grafen, über dem Grabe eine Kapelle) 
zu bauen, zu Ehren der heiligen Negiswindis. Einſt, 
handelte im frommen Glauben feiner Zeit, und th 
wie ihm der Bifchof gerathen. Als man den Leichnam | 
in einen filbernen Sarg legte, hörte man den Gefang - | 
der Engel, Die dieſes Kind felig priefen. Humbert 
weihte die Kapelle ein, und viele Gläubige wallfahrteten 

zu der Stätte, wo die Gebeine der heil. Regiswindis 
rubten. 

Drüben auf dem Schloffe ward e8 aber num bald 
einfam und leer; Ernft und Friedburga wollten da 
nicht mehr wohnen, wo ihnen fo großes Leid wider- 
fahren war; die fchönen Ufer des Neckars hatten für 
fie ihren Reiz verloren. Sie zogen wieder in ihre alte 
Heimath. 

Nach 400 Jahren ging die Kapelle der h. Regis— 
windis in Abgang, aber nicht ihr Andenfen. Es wurde 
im Jahr 1227 ihr zu Ehren neben der abgängigen 
Kapelle eine neue prächtige Kirche in edlem Style er— 
baut, die jegige Kauptfirche im Dorfe, die freilich im 
Laufe der Zeit manche Aenderung erlitten haben mag, 
denn von den vier Erfern und den goldenen Knöpfen 
die fie einft zierten, ift Nichts mehr zu fehen. Am 
15. Juni des genannten Jahres, wurden die Gekeine 
der fleinen Heiligen in die neuerbaute Kirche überge- 







„w 





66 


tragen und im Chor eingefenft. Auf Die Gruft wurde 
eine Steinplatte, in Oeftalt eines Sarges, gelegt, bie 
innen hohl ift und drei Deffnungen bat. Sie trägt 
Die gotbifche Inſchrift: Anno Dommi millesimo du- 
re vicesimo septime fuit canonisata et 
vanslata virgo et martir sancta Regiswindis et 
En data erları, (Nunmehr befindet fich diefer Grab: 
ſtein an der nördlichen Geite des Chors eingemauert.) 
Sm Jahr 1521 wurde S. Nenfis (Megiswindis) 
Sarg, zur Aufbewahrung ihrer irdifchen Reſte gemacht, 
wozu 56 Mark Silber im Werth von 729 fl. verbraucht 
wurden ; als die Neformation eingeführt wurde, foll 
der Silberne Sarg in einen zinnernen umgewandelt 
worden feyn. Im Jahr 1529 machte ein Kaplan der 
Kirche, Michael Epp, auf Die Thüren welche das Mo— 
nument der Heiligen einfchloßen, folgende zierliche In— 
ſchrift: 
En cubat insigni celebris Virguncula tumba 
Regiswindis in hac martyr et eximia. 
Quam fera primaevo nutrix in flore juventæ 
Insontem oppressit, acta furore gravi. 
' Urna per &ternum summo dilecta tonanti 
Ossa verenda tenet, spiritus astra colit. 


(Sieh in Diefer merkwürdigen Gruft Tiegt Regiswindis 
das berühmte Mägdlein und die ausgezeichnete Märtyre= 
rin, welche die rohe Umme, von Wuth getrieben, in 
der erften Blüthe der Jugend unschuldig erwürgte. Die 
Urne birgt tie dem Serrfiber im Donnergewölf ewig 





&7 


theuren Gebeine, der Geift wohnt über den Sternen.) 
Sn derfelben Kirche war früher auch ein altes Gemälde 
zu fehen, das die Todesgefchichte Der Jugendlichen dar— 
ftellte — wie diefe Legende überhaupt auch fonft im 
46. Jahrhundert zum Gegenſtand bildlicher Darſtellung 
gewählt worden if. 

. Südlich von der genannten Kirche fieht noch ein 
Altertbum, das wir nicht unbeachtet laffen Dürfen: es 
iſt Die eigentliche Kegiswindis- Kapelle, welche wohl erſt 
im. 14. Jahrhundert aus den Leberreften Der abge— 
gangenen uralten Wallfahrtsfapelle erbaut worden. Sie 
iſt im Grundriß ein Quadrat von ungefähr 18 Fuß 
Dreite, die Bedeckung bildet eine ‚achtfeitige Pyramide 
aus Duadern conftruirt z diefelbe ift im Innern hohl, 
ebenfalls achtſeitig. An Der Dftfeite ift ein Chor an— 
gefegt mit Drei Façen und ſpitzbogigem Gewölbe. Im 


Innern ſieht man noch Spuren von Frescomalerei. End— 


lich iſt dieſes altehrwürdige Denfmal wieder bergeftellt 
worden. Die 8. Koffammer bat 100 Thaler dafür 
bewilligt — der Altertbumsverein zu Gtuttgart bat 
eine ziemliche Summe zur Wiederherftellung beigeftenert, 
ebenfo bat auch die Stadt Laufen das Ihrige dazu 
beigetragen, und ſteht nun am freundlichen fer des 
Neckars wieder eine ſchöne Negiswindis- Kapelle. 


68 


—— 
Kloſter Hirfan. 


Die neuere Zeit hat verſchiedene Anſichten von den 
Klöſtern aufgeſtellt: wenn Die eine nichts anderes da— 
rin ſah, als den Sitz der Verfinſterung, ſo hat da— 
gegen die andere eine die ſchwärmeriſche Stimmung an— 
forechende Seite ihnen abzugewinnen geſucht. Wie wenig 
man bei Diefen beiden Anſichten der urfprünglichen Bes 
fimmung der Klöfter fich zu erinnern gewußt, bedarf 
faum angezeigt zu werden. Was die Burgen für Das- 
bürgerliche Xeben gemwefen find, das waren die Klöfter 


— - für religiöfe und wiflenfchaftliche Bildung, Pflanz- und. 


Zufluchtsftätten gegen die Vergewaltigungen der Zeit, 
und ficher geftellt in Abficht ihrer inneren Bebürfniffe 
durch reichliche, unantaftbare Stiftungen, Alles in For— 
men Die wir nach ihrer, nicht nach unferer Zeit beur— 
tbeilen müffen. Dieſe Eulturbiftorifche Bedeutung hatten 
beſonders im Deutfchland die Klöſter Neichenau im 
DBodenfee, fo wie Sirfau im Schwarzwald. Beinahe 
gleichzeitig gefliftet, Reichenau nur noch bedeutfamer, 
wie St. Gallen, durch die fogenannten äußeren Schulen 
(für Bildung weltlicher Zöglinge) haben Diefe drei Klöſter, 
wozu wir noch, wenn auch fpäter gegründet, Das Klofter 
Maulbronn zählen dürfen, am längiten ihre wichtige 
Bedeutung feftgehalten, wodurch fie ein Segen für Die 
nähere und fernere Umgebung geworden find. Wir 


* 


Pe 
* 


69 


wenden uns dem im lieblichen Schwarzwaldthale gele— 
genen Klöfter Hirfau zu, das noch in feinen Trümmern 
zeigt, wie prächtig e3 vor Zeiten gewefen. 

Zwei Tiebliche Sagen eröffnen die Gefchichte Des 
Klofters Hirſau. » 

Im flebenten Jahrhundert unferer Beitassnng (umso 
Sahr 643) da kaum noch das Chriftenthum in den 
Mäldern Alemanniens Eingang gefunden, Iebte eine 
reiche, edle und fromme Wittwe zu Calw, mit Namen 
Helizena, die ftammte aus dem Geſchlecht der Örafen 
jened Drts. Ihr einziger Wunfch war, da fie feine 
Kinder hatte, fich gang dem Himmel zu weihen; Das 
rum lag fie oft in brünftigem Gebete vor Gott, Daß 
er ihr offenbaren möge, wie fie ihre zeitlichen Güter 
ihm wohlgefällig anwenden könnte. Da begab fich 
einsmals, Daß fie in der Nacht über einem einfamen 
Thale in den Wolfen eine Kirche erblickte, unten im 
Thale aber drei fchöne Fichtenbäume, Die aus Einem 
Stamme gewachfen waren, und aus den Wolfen ver- 
nahm fie die Worte: Helizena, hab’ Acht! Dein Gebet . 
ift erhörec, und Deffen zum gewifien Wahrzeichen fiehe 
hier dieſes ebene Feld, Darauf drei Fichten ſtehen, welche 
aus Einem Stamme gewachfen, da follt du dieſe Kirche 
niederjegen. Als fie vom Schlaf erwachte, ftand ihr 
das Thal, fo fie im Traum gefehen, noch ganz vor 
Augen, ob fie gleich vordem nie dahin gefommen war. 
In ftillee Demuth zog fie des andern Tags, Gott zu 
- Ehren, ein Feftfleid an, und ging in Begleitung einer 
Magd und zweier Knechte hinaus, als ginge fie ſpa— 


70 


zieren, ging ins Thal hinab und ſtieg dann auf einen 
Berg. Da erſah ſie von dem Berge die Gegend, ſo 
fe im Traume erblickt hatte; es war ein lieblich Feld, 
Darauf Drei Fichten ftanden, Die aus Einem Stamme 
gewachfen waren. Fröhlich eilte fie den Bäumen zu, 
und fiel weinend vor Freude auf Die Erde, Füßte den 
Boden, 309 ihr feiden Gemand aus, und legte es ſammt 
all ihrem Schmuck und Evelgeftein unter die Bäume. 
nieder, Damit anzuzeigen, Daß fie all ihr zeitlich Gut 
diefer Stelle fehenfe, und alfo hier zu Gottes Ehren 
ihre Habe verwenden wolle. Sofort fehrte fie nach 
Hauſe zurüc, berief ihre Obeime, die Herren von Calwe, 
Egward und Reupold, den Drtsvorfteher und ihr eigenes 
Gefinde, und bat, ihr Vorhaben auseinanderfeßend, um 
die Einwilligung ihrer Verwandten, da der zur Grün— 
dung der Kirche auserfehene Grund und Boden jenen 
angehörte. Diefe willigten gerne ein, und vergabten 
Wald, Waide und Felder zur Stiftung. Alsbald Tieß 
Kelizena ihr Feſtkleid, ihre Ninge und 'Koftbarkeiten in 
die St. Nievlai- Kapelle zu Calwe bringen, und gelobte 
Gott und den Heiligen, daß ſie fünftig Nichts mehr 
dergleichen tragen wolle. Nun begann fie den Bau 
der Kirche, vollendete ihn im drei Jahren, und bat 
Gott, er möge fich der Kirche in Gnaden annehmen. 
Bald hernach ward ihr weiter im Traume eingegeben, 
fie follte zu der neuerbauten Kirche einige Berfonen 
fegen, um dem Gottesdienft abzuwarten. Sie lieg alfo 
auch em Haus zur Wohnung für Diefe bauen und 
verordnete darein vier Männer, welche der Welt entjagt 


71 


hatten und Die fie mit Allem, was zum Lebensunter- 
halt erfordert wurde, verforgte. Vieles Volk von der 
umliegenden Gegend ftrömte andächtig zu Diefer Kirche, 


die dem Heiligen Nazarius geweiht wurde. Das war 
der erſte Anfang Des Klofters Sirfau; im Jahr 830 - 


erfolgte eine: zweite Etiftung. 

Um dieſe Zeit lebte Graf Erlafried von Calwe, ein 
reicher und mächtiger Mann, und wohlgelitten bei Kaifer 
Ludwig dem Frommen. Er hatte einen Sohn, Namens 
Notting, welcher Bifchof von Vercelli geworden war. 
Aber auch an den fehönen Ufern des Bo Eonnte er 
jein heimathliches Thal im Schwarzwald nicht vergeffei. 
So fapte er einmal den Entfchluß, fein theures Vater— 
land und die lieben Seinigen wieder zu fehen, aber er 
wollte nicht ohne Gabe ind Vaterland zurückkehren. 
Längft befaß er die Gebeine des heiligen Aurelius aus 
Armenien, Dem er zur Bercelli ein Foftbares Grabmal 


= 


erbaut hatte. Diefen Schatz beſtimmte er für feine 


Heimath, aber er wollte folch Vorhaben nicht ausführen, 
ohne den Willen Gottes zuvor Darüber zu vernehmen. 
- Darum wandte er fich im Gebet zu Gott, brachte eine 
ganze Nacht fehlaflos vor dem Grabe des Heiligen zu, 
warf fich zur Erde nieder und rief alſo den Gottes- 
mann Aurelius an: beiliger Vater Aurelius, meine 
Zierde und nächft Gott mein einziger Sort, ich ſchütte 
vor dir aus das Anliegen meiner Seele und bitte dich, 
bei Der göttlichen Liebe, laß mich nicht länger im 
Zweifel, und belehre mich, deinen demüthigen Knecht, 
damit ich weiß, was ich thun foll, nach Gottes und 


72 


deinem Willen. Alſo betete er Enieend und unter Thrä— 
nen, legte fich dann müde nieder und entfchlief. Siebe 
da! im Traume erjcbien ihm der heil. Aurelius, ans 
gethan mit priefterlichem Schmucke, glängender ald Die 
- Sonne, und ſprach: Keil Dir, Bruder Nottingus! flehe 
auf, laß Dein Weinen, ich bin dazu da, um Dich nach 
Deutjchland zu begleiten, und mehr Seelen dort dem 
Herrn zu gewinnen, als mir im Leben gelungen, fo 
lange ich unter den Völkern predigte und Durch Wunder 
berühmt war. Kommſt du dahin, fo follt du ein 
Klofter der Diener Gottes gründen, da, wo Dir ein 
Dlinder begegnen wird, dem auf fein Gebet das Licht 
der Augen wieder gefchentt werden foll. Dieß gejagt, 
verfchwand der Heilige wieder. Sobald fich der ehr— 
würdige Bifchof vom Schlafe erhob, öffnete er noch in 
der Nacht den Sarg, trug die Gebeine des Heiligen in 
der Stille in fein Haus, nachdem er Das Grabmal 
forgfam verfchloffen, und ließ die Bewohner von Vercelli 
lange Zeit in dem Glauben, daß fie noch den theuren 
Gaft in ihrer Mitte hätten, den fie nimmer befaßen. 
Nun rüftete Notting Alles zur Abreife, wählte aus 
feiner Dienerfchaft die getreuften zu feinen Reiſegefährten, 
fieß einem Maulthiere die Kifte mit den Gebeinen des 
heiligen Aurelius aufladen, und trat feine Fahrt in Die 
Heimath an. Er langte nach furzer Zeit glüdlih im 
Deutfchland an, und wurde von den Geinigen in der 
Heimath mit Jubel empfangen. Nun zeigte er feinem 
Vater und Allen, die allda wohnten, an, welch theuren 
Schatz er ind Land bringe. Da noch im Augenblid 


73 


fein geweihter Ort vorhanden war, Der würdig meäre, 
den hohen Gaft aufzunehmen, und man nicht wollte, 
daß diefe heiligen Nefte über drei Tagen unter jündigen 
Menfchen verweilen, fo hielt man einen gemeinen Rath, 
wo man dem 6. Befenner eine Wohnung bereiten follte. 
Zu derfelbigen Zeit fland nicht weit von der Burg des 
Grafen Erlafried eine dem h. Nazarius gemeihte Kapelle, 
welche dem Berge, auf dem fie erbauet war, den Na— 
men gab bis auf den heutigen Tag. Da hielten es 
Alle für gut, den Leib des 5. Waters in dieſer Kapelle 
einftweilen niederzulegen, bis man einen pafjenderen Ort 
Dafür finden würde. Am folgenden Tage machte fich 
Notting mit feinen Dienern und fein Vater Erlafried 
‚mit feinem jüngern Sohn Ermefried frühe auf, an fie 
ichloßen fich viele Edle und Leute vom Volk an, melde 
Graf Erlafried den werthen Gäften zu Ehren verfammelt 
hatte, und nun, nachdem alles Nöthige zu Ehren Des 
- ‚Heiligen angeordnet war, ſchickte man fich an, den Leib 
des Heiligen die Anhöhe hinan zur genannten Kapelle 
Dee h. Nazarius zu tragen. Als man aber an jenem 
Page ankam, wo hernach das Klofter des 5. Aurelius 
errichtet worden, fiehe da trat ein Blinder mitten in 
die Schaar, entgegen dem 5. Leibe und fieng an, mit 
lauter Stimme zu rufen: erleuchte mich, heiligfter Gottes— 
verehrer Aurelius, durch deine Fürbitte, wie Du mir es 
verheißen haft! Da fprach Biſchof Notting zu ihm: 
wo hat der h. Aurelius dir verheißen, daß er dir Das 


s 
x 


Augenlicht geben wolle? der Blinde antwortete: in 
dieſer Nacht iſt mir der Heilige in der Noth meiner 


74 


Seele erfchienen und fprach zu mir: Morgen, im Na— 
men Jeſu Chrifti, wirft du Das Augenlicht erhalten. 
Und ich fprach: Herr, wer bift du? Er antwortete: 
ich bin der Bifchof Aurelius, neuangefommen in Deutfch- 
land, und hat mich der Sohn deines Grafen Erlafried 
biehergebracht. Als der Blinde Das gejagt hatte, rief 
er noch. einmal: heiliger Aurelius, hilf mir, Daß ich 
dich fehe. Zur Stunde wurden feine Augen geöffnet 
und er ſah vollfommen. Alle Anwefenden aber, ale 
fie das fo feltene Wunder fahen, lobeten ‚Gott und 
fprachen : gelobt feift du, Serr Iefu Ehrift, du Sohn 
des lebendigen Gottes! und ein Jeder fagte zum Anz 
dern, Der ihm zur Seite ftand: o wie groß ift jener 
Heilige, Der auch Blinden das Licht geben fann. Dar— 
nach fagte Notting zu feinem Vater Erlafried: Diefen 
Plag Hier bat der heil. Aurelius zu feinem Wohnort 
erlefen. Sofort hielt Bifchof Notting allda eine Meſſe, 
und feste den 5. Leib des Aurelius an einer dazu be- 
reiteten Stätte nieder. Darauf nach wenigen Tagen 
legte Notting feinem Vater und Bruder dar, wie er 
längft auf Ermahnung des heil. Aurelius im Traume 
ein Gelübde gethan, und bat, flehte und. befchwor fie, 
ſte möchten aus Liebe zu dem allmächtigen Gotte, zu 
Ehren des Heil, Petrus, Des Apoftelfürften, jo wie des 
heil. Biſchofs Aurelius, ein Klofter für Öottes Diener 
gründen, und zwar an Demfelben Drt, wo der Blinde 
das Augenlicht erhalten ; zugleich verbieß er, nach feinen 
fehwachen Kräften das Werk zu fördern. Es bedurfte 
feines langen Zufpruche, denn Das gefchehene Wunder 





75 


hatte auf die Herzen gewirkt; auch war Graf Erla— 
fried ein gottesfürchtiger Kerr, der längſt das Himm— 
liſche dem Irdiſchen vorzgog, und den Armen Tiebend 
diente. Ohne fich zu bevenfen, verhieß er, ſammt fei- 
nem Sohn Ermfried, Alles zu erfüllen, um was 
Potting bat. Kaum war derfelbe nach DVercelli zurücde 
gekehrt, fo fieng er fehon an, an dem genannten Plate 
dem heil. Aurelius zu Ehren ein Klofter zu erbauen. 
Im Jahr 831 5 der Bau begonnen, und nach 
ſteben Jahren vollendet. Jene Gegend bei Calw lieferte 
Holz und Steine im Ueberfluß, daß man Nichts für 
den Bau weit herholen mußte, dazu ſandte Biſchof 
Notting aus Vercelli eine Menge Gold und Silber, 
theils um den Bau zu fördern, theils zum erſten Un— 
terhalt der Mönche, Die allda fich anjledeln follten. 
Auch ſchickte er goldene und filberne Kreuze und Becher 
für den Gottesdienft, ferner Bücher und allerhand Ge- 
zierden zur Ausſchmückung des Gotteshauſes, um Doch 
auch einen Antheil am ſchönen Gott geweißten Werke 
zu haben. As Kirche und Klofter: vollendet ftand, 
begabte fie Graf Erlafried reichlich mit Öütern und Höfen, 
und Pabft Gregor VI. beftätigte die ganze Stiftung in 
einer feierlichen Urkunde Am 15. Mai 838 trafen 
fünfzehn Benediftinermönce mit ihrem Abt Liudebert 
aus Fulda ein, dire Graf Erlafried von Dem damals 
ſo berühmten Rabanus Maurus erbeten hatte. Die 
Einweihung der Kirche, zu Ehren des h. Petrus und 
Aurelius, geſchah am 11. September des genannten 
Jahres; ſie erhielt den Namen Aureliuskirche. 


76 


In der Folgezeit Fam das Kloſter in Abgang, theils 
durch Die Peſt, theild Durch Bedrückungen der Schirm— 
vögte, theils durch die Ausartung der Mönche felbft. 
Im Anfang des 11. Jahrhunderts wurden die Mönche 
fogar vertrieben und das Klofter blieb 63 Jahre leer, 
bis Pabſt Leo IX. aus dem Gefihlechte der Grafen 
von Egisheim und verwandt mit den Grafen von Calw, 
Diefe feine DVettern bei einem Befuch in Calw durch 
Androhung des Bannes zur Wiederherftellung des Klofters 
veranlaßte. Zum zweiten Mal half jetzt eine Frau, 
die Gräfin Wiltrud, Gemahlin des Grafen Adelbert I. 
von Calw, eines Neffen des genannten Pabſts, dem 
faft abgegangenen Klofter wieder zum Aufgang. Cie 
bewirkte bei ihm, Daß er fich entjchloß, Das. ſchadhaft 
gewordene Gebäude von Neuem berzuftellen. Im Jahr 
10066 berief er zwölf Mönche mit einem Abt Friedrich 
aus dem Klofter Einfiedeln, um das SKlofter neu zu 
beſetzen. Nach zwanzig Jahren war der Bau Der Kirche 
und des Klofters vollendet. Bei der Einweihung am 
4. Septbr. 1071 erhielt das Klofter Die widerrechtlich 
entzogenen Güter wieder zurück. Am 9. Oktbr. 1075 
unterzeichnete Babft Gregor VI. den zweiten Gtiftungs- 
brief und nahm das Klofter in feinen befonderen Schuß. 
Bon nun an beginnt die Olanzperiode Hirſau's, for 
wohl durch Die Schenfungen des ummohnenden Adels, 
als auch Durch Die Weisheit des Abtes Wilhelm und 
die Zucht feiner Mönche. Die Zahl der leßteren ver- 
wehrte fich bis auf 150, hiezu famen noch 50 Laien- 
brüder und 50 andere, damald Oblaten (Dargebotene) 


17 


genannt, die fich während des Kampfes zwifchen dem 
Kaiſerthum und Der Kirche zu Diefer flüchteten, ihre 
weltliche Kleidung zwar beibehielten, aber dem Klofter 
als gefchiefte Handwerker dienten. Aus Hirſau gingen 
nunmehr Golonien von Mönchen nach Schwaben und 
Franken, Während der 22 Jahre feines Negiments- 
(1069— 1091) entfendete Abt Wilhelm aus Hirſau 
130 Aebte nach verfchiedenen Kllöftern, und über 100 
im Verfall gefommene Klöfter brachte er theilmeije oder 
gänzlich wieder mit feinen Mönchen in Ordnung. Die 
Zahl der Mönche, Laienbrüder und Oblaten wuchs 
auf 300 heran, Unter diefen Umfländen war Dad 
alte Kloftergebäude bald zu Elein, und Abt Wilhelm 
baute nun ein neues auf einem fanften Vorhügel am 
linfen Ufer der Nagold, weil das alte in den Nied— 
zungen des rechten, dem Andrang des Hochwaſſers all- 
zufehr ausgefeßt war. Wilhelm begann den Bau im 
Jahr 1083 und vollendete ihn 1091, lediglich nur 
mit Hülfe feiner Mönche, Laienbrüder und Oblaten. 
Am 2. Mai wurde Die Kirche zu Ehren Jeſu Chriſti 
und der Ayoftel Petri und Pauli geweiht. Am 4. 
Juli defielben Jahres flarb Abt Wilhelm, einer der 
fräftigften und thätigften Männer feiner Zeit. Im 
folgenden Sahre waren auch die Kloftergebäude fo weit 
vollendet, daß der Convent in das neue Peter- und 
Baulklofter einziehen fonnte, ein ‘Brior und 12 Mönche 
blieben in dem Aureliusklofter zurüf. Unter Abt Wil 
helms erſten Nachfolgern iſt vor Allen Bruno zu 
nennen, der ein Bruder Conrads yon Wirtemberg war 


73 


und im J. 1105 Abt zu Sirfau geworden, Er war 
nicht weniger fromm als fein Vorfahr Wilhelm, und 
regierte 15 Jahre mit Eifer und Weisheit das Klofter. 
Auch unter ihm war das Klofter noch im Zunehmen: 
e8 erhielt ſchöne Etiftungen ımd gab im mehrere neu— 
geftiftete Klöfter, namentlich Lorch, Die erften Mönche, 
Die folgenden Aebte traten weniger in Die Fußftapfen 
Wilhelm's und Bruno’s, wenn wir auch einige Fluge 
und thätige aufzählen könnten. Abgeſehen davon, daß 
Sirfau unter feinen Schirmoögten, namentlich von ei— 
nem Udelbert VI. von Calw Biel auszuftehen hatte, 
beginnt 100 Jahre nach Wilhelm wieder eine traurige 
Zeit, Die wir bei jedem Kloſter wenigfiens einmal, 
wo nicht öfter eintreten feben, der. fatale Zirkel von 
Wohlftand zur Ausgelaffendeit, Derfchwendung und Are 
muth, von da, wenn es glücklich ging, durch gründe 
liche Befferung, welche ein paar Fluge und thätige Vor— 
ſteher bewirkten, dann wieder zum Wohlſtand, bis 
endlich der Geiſt der Zeit die Form, in welche alle 
gegoſſen waren, zerbröckelte oder zerbrach. Hirſau hat 
von nun an alle Schickſale, alle guten Eigenſchaften, 
ſo wie alle Fehler und Thorheiten mit den andern 
Klöſtern gemein, die wir von dem Ende des 11. bis 
zum Anfang des 14. Jahrhunderts in Schwaben und 
Sranfen entftehen fehen. Bon dieſer Zeit an ſank bie 
ehemalige Pflanzftätte für Kultur und Wiljenfchaft, die 
Männer von religiöfem Cinne und hober wiſſenſchaft⸗ 
licher Bildung hervorgebracht hatte, zu einer Anſtalt 
herab, welche einer durchgreifenden Reform bedurfte, 


79 


wie viele andern. Die Zeit der Reformation führte 
diefe Umpgeftaltung des Klofters Hirſau herbei, in Folge 
der fie noch lange, ihrer alten Beftimmung getreu, 
wenn auch mit der Zeit fortfchreitend, eine mohlthätige 
Anftalt geblieben ift. Wie mehrere andere Klöfter, fo 
war auc Sirfau in Volge der von den Serren von 
Mirtemberg geübten Schugvogtei allmählich unter ihre 
Hoheit gefommen. Im Jahr 1558 hob Herzog Chri- 
ſſoph Das Klofter auf und verwandelte es in eine ſo— 
genannte Kloflerfchule, Deren erfter evangelifcher Abt 
(Grälat) Heinrich Weikersreuter gewefen. Derſelbe Her— 
309 erbaute „aus ſondrer Anmuthung und Luft zu 
dieſem Klofter, und fonften des luftigen Ortes halben” 
auf Dem Platz der alten Abtei ein ftattliches Herren— 
haus, Das er befonders als Jagdſchloß benügte. — Noch 
40 Jahre nach dem weftphälifchen Frieden blühte Hirſau 
als ein evangelifches Seminar, das manchen frommen 
und gelehrten Geiftlichen dem DBaterland erzogen. Mit 
Ende des 17. Jahrhunderts erging über Sirfau, wie über 
viele Orte jener Gegend, ein trauriges Schiefal. Beim 
Einfall der Franzofen traurigen Andenfens, im Sabr 
1692, nach dem Treffen bei Detisheim, wurde Klofter 
und Schloß gänzlich abgebrannt. ‚Die Klofterfchule 
mußte nad) Denfendorf verlegt werden. Es bat ſich 
feitdem nie mehr aus feinen Trümmern erhoben. Nur 
die Dekonomiegebäude, von Denen Das Klofter rings. 
umgeben war, wurden nothdürftig wieder hergeftellt, 
um fie als Fluchtboden zu benützen. Was aber noch 
te vom Brande verſchont geblichen war, wis 


—J 
sr 
* 


80 


jene Kapelle, die noch im Jahr 1783 unverfehrt da— 
ſtand, wurde in den legten Jahren des vorigen und 
zu Anfang des jegigen Jahrhunderts zu Baumateria- 
lien verwendet. 

Mie es im Klöfter vor feiner Zerſtörung ausgeje- 
ben, darüber haben wir den genauen Bericht eines ge= 
wiffen Andreas Steinhard vom Jahr 1610, von dem 
wir Einiges in der naiven Schreibart des Verfaſſers 
felbft geben wollen. 2 

„Auf der einen Seite des Wafjers Nagold liegt das 
alt oder Kleinere Klofter, auf der andern das neue oder 
das größere. Meber das Waffer zwifchen beiden Klö— 
fern, Die Doch zufammengehören, gebt ein ſchön ſtei— 
nerne Bruck von braunrotben Quaderftüden, mit etlis 
chen Schmwibogen und Neckhern, Darauf man fißen und 
fihb mit Geſpräch erluftigen Fann, über dem Waffer 
Wald und beide Klöftern vor Augen babend. Das 
Waſſer ift frifch, raſch, darein bin und her aus den 
Nebentbälern andre frifche belle Brunnen Wäfferlen 
aus den Felſen über Stein und Sand zufließen. Die 
Kirch im neuen Klofter ift groß, lang, Hoch, weit, 
mit zwei gleichen viereeften hohen Thürmen gegen Der 
Sonnen Niedergang. Sie ift gebauet in Form und 
Geftalt des Kreuzes Chrifti, auch von braunrothen 
Duaderftücken, wie vorgemeldte Brud, und felben glei— 
chen der Kreuzgang. Immendig der Kirche find viele 
runde fleinerne Säulen zu beiden Geiten, alles von 
einem Stein, auch mit fehönen gemalten Figuren und 
Geſchichten aus dem alten und neuen Teftament; item 





81 


mit der römiſchen Kaiſer Bildniſſen, und ſonderlich des 
Herrn Chriſti Geſchichten von unten an bis oben aus, 
ein jedes an ſeinem Ort rausgeſtrichen und geziert. 
Gegen Mitternacht ſtoßen luſtige Capellen daran, da 
in der ein ein Meß eines Rieſen auf viel Schub und 
feine liverne Kleider, die er mit eifenen Ringen zuges 
than, in felben Gebirg oder Revier jich ſoll gehalten 
haben, gewiefen und gezeiget wird. Sonderlich gegen 
Mittag ftehet ein Capel dran mit Bfeilern, Fenſterge— 
fielen und einem Gewölb, alles von braunrothen Qua— 
derftücken oberzählter Barb. Da 0b demfelben eine 
feine Liberei, darinnen alte namhafte großen Bücher, fon- 
Derlich ein gar großes ſchweres pergamentnes Buch, das 
ein einziger Mann nit wohl naher thun oder handlen 
ann, welches inwendig der Decken an Orten und En— 
den herum, anftatt Der Spangen, mit hölzernen Riemen 
befihlagen und ein jeded Blatt ein junge Kalböhaut 
ſoll geweft feyn. Auch zwei neue, lange, fchöne und 
ausgeftrichne Refectorien mit Säulen. Im Sommer: 
Refectorio ift ein Springbrünnlein, da die Aebt con- 
terfeiet und mit ihrem Thun befchrieben werden... Im 
Minter-Refectorio ein eifner Of, darauf man ſteigen 
und oben rum fißen kann. Der Kreuzgang zwifchen 
der Kirchen und den Pefectorien, Darauf. der jungen 
Studiofen Dormitorium, Schlaffammern und Studier- 
kammern, umfängt einen ziemlichen Garten, bat auf 
4 Ceiten 4 Benfter, da ein jedes der Breite nach im 
3 Unterjchied oder Felde, durch zwei Eleine fleinerne 
- Säulen getheilet, und je zwifchen 2 Fenſtern ein. flei- 
6 


82 


nern. Pfeiler ; in den Fenſtern je im mittlern find Die 
Sefchichten, fo ſich mit Ehrifto verloffen, aus dem neuen 
Zeftament, fammt den prophetifchen Weiffagungen, und 
in denen beiden Nebenfeldern die Figuren, Vorbilden 
und Bedeutung aus dem alten Teftament in die Fen— 
ftergläfer gar Fünftlich und aufs deutlichfte mit allerlei 
ausbinftigen Farben gefchmelzt. An Dem Kreuzgang 
gegen Mitternachtwärts, in den Kreuzgarten hinein, ift 
ein hoher und meiter Erfer mit Bfeilern und Fenſter— 
geftelfen, auch gemahlten und gefchmelzten Fenſterglä— 
jern, darin ein hoher von Steinwerf und Bilder aus— 
gehauener Springbrunn, mit 24 Röhren und mit 3 
fteinernen Wafjernapfen über einander, da er in das Waffer 
von oben in engen und weiten mit lieblichene Getöß 
herab rauſchet, doch nicht ftet, fondern wenn er anges 
laffen wird. — Das find die fürnehmften Gebäu ohne 
das neue fleinerne Fürftenhaus gegen Mittagwärts, Das 
zur fürftlihen Wohnung und Herberg mit hohen Schne— 
fen, auch Stuben und Kammern je eind umbs ander, 
und andern dergleichen Gemach, wie auch mit Uhr— 
— werken und Sonnenzeigern zugericht.“ 
* So Wenig noch von all dem Herrlichen vorhanden 
if, as vor 1692 geſtanden, fo gibt es Doch noch 
er zer, was dem Freunde des Alterthums von 
Wichtigkeit iſt — auch Die Trümmer Des ehemaligen 
Kloſters find noch ſchön, und wir machen den Be- 
N der Ruinen auf folgende Reſte befonderd auf 
merkſam: 
1) Die alte Aureliuskirche, von Graf Erlafried m 





83 


9: Jahrhundert erbaut und von Graf Adelbert II. 
wieder bergeftellt, wurde fon im J. 1584 abgebro- 
hen; nur der weftliche Theil des Yanghaufes mit fer 
nen alten Säulen und den Erdgefchoßen zweier Thürme 
iſt ftehen geblieben. 

2) Auf der nordweftlichen Ecke des Vorhofs der 
großen Klofterkirche zum heil. Betras vom 3. 1091 
fteht noch einer der beiden haben vwierecfigten Thürme, 
Die mit einander den Hauptgang in die Kirche bilde- 
ten. Diefer Thurm hat eine Höhe von mehr als 100 
Fuß, die Mauern find 4 bis 4\, Buß did. Er if 
ein Quadrat, deffen Seite 19° 5 7° beträgt, hat 
> Stockwerk, die 3 unterfien find 29° hoch. Die 
Senfter find gefuppelt, im Kreis gefchloffen, zwifchen 
ihnen Säulen mit Würfelfteinen und erböhten Auf: 
fügen. Den Ihurm zieren halberhabene Steinbilder, 
biftorifcher und heraldifcher Deutung. Die Löwen Deus 
ten auf Das Mappen der Grafen von Calwe, die 
Hirſche auf das Kloſterwappen, der Enieende Mann, 
der feine Hand vor die Augen hält, foll wohl auf den 
Blinden hinweifen, Der nach Der oben gegebenen Sage 
vor dem Sarge des h. Aurelius wieder fehend gempre 
den. (Abgeb. in Der trefflichen Abhandlung des ger 
lehrten Krieg v. Hochfelden in Mone’s Anzeiger 
für Kunde der deutfchen Vorzeit Jahrg. 1835. Geite 
101 und 259.) Dom andern Thurme, fo wie von. 
der Kirche felbft Hasen fich nur geringe Mauerreſte er- 
halten. Auf der Norbfeite des nördlichen Geitenchers 
ſtehen noch die Grundmauern einer Kapelle mit kleinem 


— 


84 


Chor aus dem 14. Jahrhundert, fie hieß Die Rieſen⸗ 
£apelle und war zur Aufbewahrung des Kirchenfchages 
und anderer Merfwürbdigfeiten beftimmt. 


3) Die jetzige Ortöfirche zur heil. Marta 1508— 
1515 unter Abt Sobann D. erbaut. An diefer bes 
findet fi) nahe bei der Thür zu dem Pfarrgarten das 
faft lebensgroße Bild des h. Aurelius mit der Infchrift: 
Anno benignitatis octingentesimo tricesimo almi 
praesulis Aurelü venerando corpore de Italia 
translato est eidem Hirsaugia suscipiendo funda- 
ta. Neben diefem Bild iff ein Stein mit dem Wappen 
des Grafen Erlafried von Calw und der Umfchrift, Die 
theilweife noch leſerlich: (ab) inearnatione (Christi 
anno) octingentesimo XXX. fundatum est hoc . 
(monasterium a generoso domino Erlafrido , co- 
mite) de Calw. cujus depositio agitur Iv. kal. 
febr. In dem neben der Ortskirche befindlichen Bi- 
Sliothefsfaal haben Dede und Wandfäften- treiiiine 
Schnigarbeit. 

4) Un der Wand des Gebäudes, welches an Die 
Aureliusfirche anlehnt, ift eine Sandfteintafel mit dem 
Reliefbild eines Biſchofs oder Abts eingemauert. 


5) Bon dem von Herzog Ludwig erbauten Jagd- 
schloffe, fpäter Die Prälatur genannt, find noch bedeus 
tende Ruinen vorhanden. — Don den ehemaligen Glas— 
gemälden des Kreuzganges ift nur eines im Wirths— 
Haus zum Lamm noch zu fehen, die übrigen alle ſind 
nach dem Luſtſchloß Monrepos gewandert. 0.0 


85 


Ehe wir uns von der ehrmwürdigen Ruine des Klo— 
ſters Hirſau wenden, Hören wir noch 


Die Sage vom Müllerstind im 
Schwarzwald, 


Die ſchon der, Ehronift Gottfried von Biterbo (im 12. 
Sahrh.) erzählt, und von einem deutſchen Chronifen= 
fehreiber des 15. Jahrhunderts mit der Gründung des 
Klofierd Hirfau in Verbindung gebracht worden. Wir 
geben die naive Erzählung de3 legtern urkundlich treu 
wieder: 

„Da man zählt von der Geburt Chrifti unſers 
Herrn taufend und fünfundzwanzig Jahr, da erwaͤhl— 
ten die Kurfürften Herzog Conrad von Franken; der 
tegieret fünfzehen Jahr, und liegt zu Epeier begraben. 
Derjelb König Conrad gebot, wer den Frieden brädh, 
dem follt man fein Haubt abjchlagen. Das Gebot 
brach Graf Luipold von Kalb. Und da der König 
zu Land fam, Da entwich Graf Luipold an den Schwarz- 
wald in eine öde Mül, und meinet fich da zu enthals 
ten mit feiner Hausfrau, bis ihn des Königs Huld 
erworben würd. Und einsmals ritt der König unge— 
fährlich an Schwarzwald für die Mül hin. Und da 
ihn Graf Luipold hört, da forcht er, der König der 
fuchte ibn, und floh in den Wald und lieg da fein 
Hausfrauen in der Mül. Die Frau mocht vor Schre- 
den niederfommen, denn ed um Die Zeit war, daß jle 
ſollt gebären ein Kind. Als nun der König neben 


86 


die Mül kam und die Frau in ihren Nöthen hört 
Schreien, da hieß er befehen, was der Frau gebräch. 
In dem Drängen hört der König eine Stimm, die 
ſprach: auf diefe Stund ift ein Kind bier geboren, das 
wird deiner Tochter Mann, Der König erfchrad und 
wähnt anders nit, denn daß die Frau ein Bäurin wär, 
und gedacht, wie er fürfam, daß feine Tochter mit einem 
Bauern verbunden würd, und fchieft da zween feiner 
Diener in die Müle, daß fie das Kind tödten follten. 
Und deß zur Sicherheit, fo hieß er ihm des Kindes 
Herz bringen, und Sprach, er müßt e8 haben zu einer 
Buff. Die Diener mußten dem SKaifer genug thun, 
doch hätten fie Gottesfurcht und wollten das Kind nit 
tödten, denn es ein gar hübſch Knäblen war, und 
legten e8 auf einen Baum, Darum, Daß Etwer Des 
Kindes innen würd, und brachten dem Kaifer eines 
Hafen Herz. Das warf er den Hunden dar, und 
meinte, er wär damit fürfommen der Stimme der Weif- 
fagung. In den Weilen jagte Herzog Seinrich auf 
dem Wald und fand das Kind einig, und ſah, daß 
e3 eim neugeboren Kind war, und bracht ed heimlich 
beim feiner Frauen, die war unbärhaft, und bat, Daß 
fie fich des Kinds annähme und fie ſich in ein Kind» 
bet leg, und das Kind für ihr eigen natürlich Kind hätt, 
denn es ihm von Gott gefchidft wär worden. Die Her— 
zogin that e& gerne; und aljo ward das Kind getauft 
und Heinrich geheigen, und das Kind durft Niemand 
anders halten, denn für einen Serzogen von Schwaben. 

Und da das Kind alſo erwuchs, da ward es König 


87 


Conraden gefandt zu Sof. Da hieß der König den 
Knaben gewöhnlicher vor ihm ſtehen, dann die andern 


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jungen Herren, die an ſeinem Hofe waren, von ſeiner 
klugen Weisheit und Höflichkeit wegen. Nun kam dem 
Kaiſer für, Daß ein Läumde (Sage) wäre, daß der 
Junge nit ein vechter Herzog wäre von Schwaben, und 
wie Daß er ein geraubt Kind wäre. Da das der Kai- 
fer vernahm, da rechnet er feinem Alter nach und fam 
in eine Furcht, Daß er Der wäre, von dem eine Stimm 
in der Mille geredet hätte, und wollte dem abermal 
fürfommen, Daß er feiner Tochter nit zu einem Manne 
würde, und fchrieb einen Brief der Kaiferin, in dem 
empfahl er ihr, als Tieb ihr Leib und Leben wär’, daß 
fie den Zeiger dieſes Briefs Tieß tödten. Den Brief 
empfahl er dem jungen Serren verfchloffen, Daß er ihn 
der Kailerin antworte und Niemanden anders. Der 
junge Serr verftund in der Sachen nit anders, Dann 
Guts, und wolle die Botfchaft vollenden, und kam in 
eines gelebrten Wirthshaus, dem empfahl er feine Ta— 
fche von Sicherheit wegen, darin der Brief und andre 
Ding lagen. Der Wirth kam über den Brief von 
feines Wunderd wegen, und da er geichrieben fand, 
dag die Kaiferin ihn tödten ſollt', da fchrieb er, daß 
die Kaiferin dem jungen Herren, Zeiger Diefes Briefs, 
ihr Tochter gebe, und ihm fie zulegte ohnverzogentlich, 
und beichloß den Brief mit dem Siegel gar höflich zu 
ohne Gebrechen. Da nun der junge Here der Kaiferin 
Den Brief zeigte, da gab fie ihm die Tochter und legte 
Be ihm zu, Die Mähren kamen für den Kaifer, da be— 


88 


fand der Kaiſer mit dem Herzogen von Schwaben und 
ander Ritter und Knecht, wie der jung Herr war 
von Graf Luipold8 Weib in der Mül geboren, von 
dem die Stimm ihm geweiffagt hatte, und Sprach: nun 
merk ich wohl, daß Gottes Ordnung Niemand wider: 
ftehen mag, und fordert feinen Tochtermann zu dem 
Reich. König Heinrich bauet und flift Darnach Hirſau 
das Klofter an die Stat der Müle, Darin er geboren 
war worden. Alfo kam König Heinrich zum römifchen 
Reich, und hieß man ihn Henrifus Pius; er regiert 
17 Fahr und Tiegt zu Speier.“ 


| VII. 
Stammburg Wirtemberg. 


Nennt man die Burgen und Schlöſſer des Wirtem- 
berger Landes, fo ift e3 nicht mehr denn billig und 
recht, daß man auch den fchönen Berg nennt, auf dem 
einft die Stammburg unfered geliebten Sürftenhaufes 
geftanden. 

Auf einer der Testen vorfpringenden anmuthigſten 
Höhen über dem Neckar, dem Rothenberg (Rodenberg), 
jo genannt wegen des audgerodeten Waldes, lag Burg 
Mirtemberg. Im Süden hat man beinahe die ganze 
Alb mit ihren Burgen ins Geficht, gegen Abend den 


89 


Schwarzwald; an ihrem Fuße und weiterhin noͤrdlich 
die Gefilde des wirtemberg'ſchen Unterlands, vom Ne— 
Kar durchfloffen; in der Ferne am Horizont ift unter 
den Gebirgen der Melibofus zu erfennen. 

Man ſagt von den alten Burgen, die jo gar zere 
ftört find, daß man kaum mehr ihre Stätte erfennet, 
wo fie geftanven, „es ift fein Stein mehr von ihnen 
vorhanden” — das gilt nicht von der Stammburg 
Wirtemberg, denn allerdings iſt noch ein Stein von 
ihr vorhanden, und zwar ein wichtiger Stein, denn er 
zeugt mit deutlichen Worten von der erften urkundli— 
chen Begebenheit, welche auf der Burg vorgegangen, 
von der Einweihung der ehemaligen Burg:Gapelle, de— 
ren Erbauung auf jeden Fall in die erfte Zeit ber 
neuerbauten Burg fällt. Die uralte Infchrift Des Stei— 
nes lautet: Anno dominice incarn. (ationis) mille 
LXXXIH. indie. (tionis) vı. vu. idus Feb. ded. 
(icata) hæc cap. (ella) ab Adelb. (erto) Wormen 
(sis) ecc. (ecclesiae) Epo (episcopo) in honorem 
S. Nicolai. Das ift: Im Jahr der Menſchwer— 
dung des Herrn 1083, der febsten Indie 
tion, den 7. Febr., wurde geweiht diefe Ka— 
pelle von Adelbert, Bifchof der Kirche zu 
Worms, zu Ehren des heil. Nicolaus. Die 
Einmeihung der Burgfapelle zu Wirtemberg gejchah 
ungefähr um diefelbe Zeit, da in dem fogenannten 
Bempflinger Vertrag ums Jahr 1090 ein Conradus 
de Wirtineberg erjceint. Wir würden alfo nichts 
zu Gewagtes behaupten, wenn wir diefen Conrad von 


30 


Mirtineberg, den Alteften Stammherrn unferes uralten - 
Zürftenhaufes, auch für den Erbauer der Burg Wir- 
temberg erklären. Der Name der Burg ift fchon auf 
verfchiedene Weife gedeutet worden. „Einige leiten ihn 
von Wirth (im Nibelungenlied Herr) des Landes ab, ° 
wie bei Serrenberg ; Andre, und mit größerer Wahr- 
icheinlichfeit, nehmen an, daß die Burg zu Ehren der 
Frau des Erbauers Wirtimeberg, Frauenberg, ges 
nannt worden, wie denn auf der Feuerbacher Heide bei 
Stuttgart eine Burg Frauenberg geflanden. Da 
- Die Gefchichte des erlauchten Gefchlechtes, welches von 
der Burg Wirtenberg ausging, als eine allen Wir— 
tenibergern befannte anzunehmen ift, fo erzählen wir 
nur furz von den Schieffalen der Burg. Seit der 
Zeit ihrer Erbauung wird fie nicht ausdrücklich ge— 
nanut, aber vom großen Interregnum an. bis zum 
ewigen Landfrieden (200 Jahre lang) ift das Stammes 
ſchloß Wirtemberg unter feinen friegsfreudigen Herren 
der lebhafteſte Schauplag Der Begebenheiten. Hier 
ſammeln fich zahlreiche Vaſallen aus dem Adel des 
Schwabenlandes und treten unter den Schuß der Dy- 
naften von Wirtemberg; hier ift auch der Mittelpunft 
des fo oft, mit dem nahen Eflingen erneuerten Städte: 
kriegs. Damals erhob fich die Burg nach dem Bericht 
der Zeitgenoffer, in befonderer Pracht und Stärfe, die 
fie nach den folgenden Unfällen. nie wieder erreichte, 
König Rudolf Krieg gegen. Eberhard den Erlauchten 
brachte den meiften, in der Nähe von Stuttgart gele- 
genen, Burgen den lintergang; da bat wohl auch Bur 


—5 3 
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91 


Wirtemberg die erften feindlichen Stöße erlitten. Als 
König Heinrich VIL, der Erbe der Händel mit dem 
ſtolzen Grafen, ein ftarfes Heer von Reichsſtädtern 
gegen denjelben aufbot, da fiel das Stammjchloß in 
die Hände der Feinde, Die ed unter ihrem Führer Con» 
rad von Weinsberg von Grund aus zerftörten, wie 
jie auch dem Stift Beutelipach, dem Erbbegräbnig der 
Mirtemberger Grafen, thaten, das fie fo ſchrecklich ver» 
heerten, daß fie fogar die uralten Erbbegräbniffe ver- 
mwüfteten und Reichname und Gebeine aus den Gräbern 
riffen, um Haus Wirtemberg bis auf den Namen zu - 
‚vertilgen (1312). Doch erftand Die Burg bald wieder 
aus dem Echutt und trogte ihren Feinden. Graf 
Eberhard der Greiner trat in Die Zußftapfen feines 
Großvaters und fland mit Kaiſer und Reich in Uns 
frieden. Kaifer Carl IV. zog auch gegen ihn zu Felde, 
und Die Burg Wirtemberg wurde zum zmweitenmal zers 
ſtört (1360), doch blieben die Außern Mauern ftehen, 
und fie wurde bald wieder aufgebaut. Im 3. 1519 
wurde das Schloß im Angejicht des fchwerbedrängten 
Herzog Ulrichs abgebrannt.. Nach feiner Rückkehr aus 
der Verbannung im 3. 1534 ließ Ulrich Die Miege 
feiner Ahnen wieder aufbauen, und vielleicht in grö= 
Berem Umfange, als fie e8 früher gewefen war, Auch 
Herzog Chriſtoph, der fo bedeutende Summen, auf Die 
Schlöffer im Lande verwendete, baute das Schloß. wei— 


ter aus, alfo, DaB ed als Bergfchlog immer ‚noch mit " 


Autzen gebraucht werden konnte. So blieb das Schloß 
im Ganzen bis zu dem 80jährigen Kriege, einige wer 


92 


nige Veränderungen abgerechnet. Noch ift aus Diefer 
Zeit eine genaue Abbildung vorhanden, welche der be= 
rühmte Merian (lebte von 1593 — 1651) gegeben. 
Vergleichen wir Diefe mit dem Stand des Schloſſes, 
wie es am Cchluffe des adıtzehnten und noch in den 
erften Jahrzehnten des neunzehnten Jahrhunderts ges 
-wefen, jo erlitt e8 freilich durd) Die Verheerungen des 
30jährigen Krieges und Verwitterung im Laufe der 
Zeit noch manche Veränderung. Um das Echlof ber 
war eine dreifache feſte Mauer, ein Graben und ein 
Mall gezogen ; ein vieredigter maffiver Thurm bildete 
das Hauptthor, war aber (zufolge einer noch vorhan— 
denen Abbildung) ſchon vor 1799 verſchwunden, doch 
bildete ein zweiter ähnlicher noch; das innere Thor. 
Die äußere hölzerne Brücke mit einem Dach, welche 
zum. Abmerfen beſtimmt war, wurde durch eine fteinerne 
erfegt. Innen ftand ein gewaltiged Herrenhaus aus 
Duaderfteinen, mit einem Vorhäuschen auf der Well: 
feite, das aber mit den Zierrathen am Giebel des Haupt— 
gebaudes fpäter nimmer zu fehen war. Ueberdieß mar 
ren im Innern des Schloffes noch Spuren zweier 
Thürme zu erfennen, eines vieredigten, der gegen Abend, 
und eined runden, der gegen Morgen fland. Im SF. 
1799 war noch im Umfang der erfleren Mauer ein 
Stallgebiude und eine Wohnung zu fehen, welche der 
Schloßvogt und Förfter bewohnte. Bei der Wohnung 
des letzteren ging der ehemalige Fußweg in tie 
Burg. Auf dem großen Thore der Burg fcheint in 
früher Zeit noch ein Gebäude geflanden zu haben, 


93 


und auf Der Seite gegen die Landftraße herunter war 
eine Bettung für eine Lärmkanone angelegt, um ber 
Entftehung einer Feuersbrunſt der umliegenden Gegend 
davon Kunde zu geben. Noch am Ende des achtzehn- 
ten Jahrhunderts wurde das Echloß weieder reparirt 
und feiner Außenfeite ein leidiger weißer Anftrich ges 
geben. Im 3. 1819 gab König Wilhelm den Auinen 
feiner Stammburg eine wichtigere Bedeutung. Seiner 
vielgeliebten Gemahlin Katharina zu Ehren, Die jo 
gerne auf dieſer Tieblichen Höhe verweilte und liebevoll 
Dad Land überblickte, dem fie eine forgende Mutter ges 
worden war, ließ er die nach und nach verfallende Schloß» 
suine abbrechen, und durch Hofbaumeifter Salucci 
vom 5. 1820—24 auf diefer Stelle eine griechiiche 
Kapelle mit Priefterhaus bauen, um bier den irdischen 
Reften der verewigten Gattin eine Ruheſtätte zu be= 
reiten. Diefer in einfachem Styl erbaute Tempel bil- 
det eine Rotunde, die von innen vier Nifchen enthält, 
in welchen die Büften der vier Evangeliften aus caras 
rifhem Marmor, des Fohannes, von Danneder, 
des Lukas, von Wagner, des Marcus, von Zwere 
ger, des Matthäus, von Leeb, etwas über Lebend- 
größe, ftehen. ine verichloffene Treppe führt in Die 
ftille Gruft, wo die irdifche Hülle der edlen Landes- 
mutter ruht. Auf der öftlichen Seite des Tempels iſt 
die fchöne Infchrift zu lefen, welche König Wilhelm 
feiner umnvergeßlichen Gemahlin weihte: Seiner vol- 
lendeten Gemahlin, Catharina Paulowna, 

Großfürftiin von Rußland, Hat dieſe Ruhe 


“ 


94 


ftätte erbaut Wilhelm, König von Württem- 
berg, im Jahr 1824. 

Den Gottesdienft an der Kapelle auf Dem rothen 
Berge verfehen zwei griechifche ©eiftliche, ein ‘Briefter 
und ein Sänger. Samftag Abends, fo wie Sonntag 
Morgens wird gewöhnlich Gottesdienft gehalten. So 
wird noch in den fernften Zeiten auf Ddiefem fehönen 
Berge dad Gedächtnig der liebenden und innig geliebs 
ten Landesmutter Catharina gefeiert werden, die in 
der gleich geliebten Königin Bauline, fo wie der er= 
babenen Kaiferstochter Olga edle Nachfolgerinnen in 
treuer Liebe und Sorge für das Wohl ihrer Landes— 
finder gefunden. 

Sn der Safriftei der Kapelle ift die obengenannte 
alte Snfchrift vom Jahr 1083 eingemauert. ine freis 
lich nicht im Einklang mit unferer Ableitung des Na— 
mens Wirtemberg ſtehende Sage möge bier ftehen, zu— 
mal da Diefelbe ſchon im fechszehnten Jahrhundert von 
dem fleifigen Chroniften und Sagen- Sammler des 
Schwabenlandes, Martin Erufius, im 10. Bud 
H. Theil feiner Schwäbifhen Chronik überliefert, und 
jväter vielfach bearbeitet worden, in neuefter Zeit auch 
in einem größeren Büchlein, betitelt: 

Graf Johann von Wirtemberg 
und die Brautwerbung zu Gtuttgarten, 
von Dttmar F. 9. Schönhuth. Hall 1846. 


95 


Der Wirth am Berge. 


Zur Zeit, ald der erfte Staufer, Friedrich, Herzog 
von Schwaben geworden (Anno 1078), war unter 
jeinem Gefolge ein junger Ritter, Namens Johannes, 
der Durch Tapferkeit, Schönheit und Edelſinn ſich aus— 
gezeichnet. Eines Tages ließ Herzog Friedrich den— 
jelben zu fich entbieten und fprach zu ihm: „Lieber 
Freund Johannes, da mein erftgeborner Sohn und ders 
einftiger Nachfolger nunmehr zu feinen Jahren gekom— 
men ift und ich demfelben eine Gemahlin beizulegen 
Bedacht nehmen muß, alfo habe ich Dich, um deiner 
großen Treue und Klugheit willen, auserjehen, mir 
zur Ausführung Diefes meines Vorhabens Hülfe und 
Beiftand zu leiften. Nimm Dir alfo, weffen du bedarfit, 
um Dich aufs Schnellfte und Befte zu rüften, und reite 
mit ftattlicher Begleitung hinunter nach Freiburg — ente 
biete Dem Herzog von Zähringen, Berchtold, meine 
Dienfte und freundlichen Gruß, und Gringe meine Wer- 
bung um Die Sand feiner Tochter, Der fhönen und 
tügendreichen Jungfrau Mechtilde, für meinen Sohn, 
Herzog Friedrich, auf Das Befte bei demfelben an, 
denn Diefe ift e8, welche ich meinem Sohne zur Ge— 
mahlin und mir zur Schnur erforen habe.‘ Go re= 
dete jener Herzog Sriedrich, den einft am Grabe Kaifer 
‚Karla des Großen die Ahnung überfiel, Daß fein Ges 
ſchlecht einſt die Krone des römiſch-deutſchen Reiches 
bs werde, wie fpäter wirklich gefchab. 


96 


Herr Sohannes beſann ſich nicht erft, den ehrenden 
Auftrag anzunehmen, ftattete fih fchnell aus und fuhr 
freudigen Muthes ſeine Straße hin. 

Am Hoflager des Herzogs Berchtold angelangt, wurde, 
ſobald ſelbiger die Urſache feiner Sendung erfahren, 
den Gafte große Ehre und Gunſt erwiefen und feine 
Merbung mit Freuden angenommen. Alsbald wurde 
ein prächtiges Feſt veranftaltet: Banfet, Turnier und 
Zuftbarfeiten jeder Art wechſelten mit einander ab, Die 
Verlobung von Herrn Berchtold jchöner Tochter wür— 
diglich zu feiern. Bei jedem Unlaffe erwies. fich Jo— 
bannes, der Brautwerber, ala der flärffte und mutbigfte 
Ritter, beim Lanzenrennen, Schwertſchwingen und Kol- 
benfchlagen, fo wie geübt in anmutbiger Rede, und 
erfahren in manch einer fchönen Kunft, womit er Ritter 
und Frauen, Alt und Jung, zu vergnügen wußte, alfo, 
daß ion Alle aufs berzlichfte liebgewannen. . Doch zu- 
meift gemogen ward ihm Die fchöne Herzogstochter ſel— 
ber, und wie er, um zu feinen Herrn heimzufehren, 
Urlaub nehmend, vor ihre ſtand und fo hellen, freund— 
leben Blickes auf fie ſchaute, da trat unbemerft eine 
Thräne in ihr fehönes Auge, und fie fonnte nicht bins 
dern, daß nicht der leiſe Wunſch in ihr ficy regte: 
ihr Fünftiger Gemahl möge dieſem Ritter gleichen! — 
Und als er nun vollends fich entfernt Datte, da fühlte 
fie wohl, er habe ihr Herz mit. fich hinweg genommen, 
doch gelobte fte fich, ihre Empfindung niemals. zu offene 
baren und den Willen ihres Vaters zu vollbringen, denn 
fie war eine fromme und gehorfame Tochter. + 


97 


Aber auch Dem Johannes war es gleichermaßen 
ergangen. Als er, feinem Geleite voraus, über die 
glänzende Morgenau der Heimath entgegen ritt, da gr 
verfuchte er es umfonft, wie er e8 zu thun früher ge 
wohnt war, ein Jagd-, Schlacht« oder Minnelied, de— 
ren er felbjt Funftreich zu fegen mußte, in die frijche 
blaue Luft hinaus zu fingen. Die wohltönende Stimme 
verfagte ihm, feine Bruft war beflommen, fill finnend 
ritt er vor fih hin und erwog betrübten Muthes, wie 
fo große Tugend und Schönheit er an Jungfrau Mech- 
tilde gefunden, und wie er fein eben lang ſolch Ge— 
mahl in treuer Liebe und Verehrung halten würde, 
und wie recht betrübt es doch fey, Daß Diefes num und 
nimmermehr gefchehen könne. 

‚Wider alle Vermuthung empfing ihn Herzog Frie-⸗ 
Drich von Schwaben, welchem er Boten voraudgefendet 
und den glüflichen Ausgang zu wiſſen gethan, mit 
gar trauriger Geberde, und redete ihn alfo an: „DO 
mein lieber Freund Johannes, wie wohl und reiflich 
hatte ich mein Vorhaben erwogen, und wie gedachte ich 
weislich zu handeln, indem ich dir Diefe Brautwerbung 
auszurichten befahl, und ift nunmehr folche eine Urfache 
großer Trübfal und Unmuthes geworden; denn Du 
follft wiffen, daß mein junger Herr Sohn allbereits 
ohne mein Vorwiſſen feine zufünftige Gemahlin er-- 
wählet und ich derfelben mit einem theuren Eidfchwure 
verlobet hat. Auch vermöchte ich Diele feine Wahl 
nicht zu. ſchelten, denn es ift gleichermaßen: eines rei= 
hen und mächtigen Herzogs Rn eine tugendvolle 

7 


98 


Jungfrau adeligen Gemüths, in mancherlei Kunft und 
Wiffenfchaften wohl unterriefen, und von großer Schön— 
beit; und möchte ich felbige wohl als eine liebe Tochter 
annehmen, hätte ich nicht mein Mort an Herrn Berche 
told durch Dich alfbereit3 ſchon verpfändet, und wollte 
ich lieber mein Leben laffen, als folches nicht einlöfen: 
Geo, mein werther Johannes, bezeige Dich als einem 
getreuen und verftindigen Diener und &reund, und. 
entdecke mir einen Rath und Anfchlag, wie ich mein 
gegebenes Wort bei Ehren behalte, ohne meinen Herrn 
Sohn zu einer Gemahlfchaft zwingen zu müffen, welche 
feinem Sinne alfo ſehr widerftrebet. Findeſt du ein 
Mittel, ſolchem Verdruſſe zu begegnen, fo will ich es 
dir lohnen mit großen Ehren und Würden und reis 
chem Gute, und dich zeitlebens werth halten als mei= 
nen liebſten und getreueften Freund !” 

Als der Herzog geendet, da erblühete eine helle Röthe 
auf dem Antlige feines Ritters Johannes, und fein 
Auge leuchtete von einem füßen Soffnungsfchimmer. 
Er beugte das Knie und fprach vergnügten Mutbes: 
„Gnädigſter Gebieter, fo verfcheuchet denn Euren Kum— 
mer, dieweil ich zuverfichtlich glaube, mit Gottes Bei- 
fand Euer Vertrauen zu rechtfertigen und Euer Anz 
liegen zu einem für alle Zeiten frohen Ende zu bringen, 
undefihadet Eurer Ehre und gegebenen Berfprechung. 
Laßt mich unverweilt von binnen und harref getroft 
erwünjchter Botfchaft, Die Euch in Bälde von mir Ku? 
fommen ſoll.“ 

Nachdem ihm ein folches verftattet worden, ie 









93 


Herr Johannes auf das jchleunigfte weieder zurück an. 
das Hoflager des Zähringers; aber welche Töne kamen 
ihm da entgegen? Wehklagen erfüllte die Burg, denn 
Die Schöne und tugendreiche Derzogstochter war inzwi⸗ 
ichen in ein alſo ſchweres Siechthum verfallen, Daß die 
erfahrenften Aerzte und Meiſter der Kunft an ihren 
Auffommen verzweifelten, und für gewiß Dafür hielten, 
dag binnen kurzer Friſt Die Sichel des unerbittlichen 
Todes Diefe glanzvolle und füpduftende Blume son der 
Erde Hinmwegnehmen würde. Kerr Johannes erbat fich 
die Gnade, der Jungfrau alſogleich vorgeſtellt zu wer— 
den, dieweil ex eine Botfchaft an fte allein zu bringen 
gekommen fey. Als denfelben nun Herr Berchtold in 
dad Gemach der Fochter geführt und er an ihr Lager 
getreten, fich auf das Knie niedergelaffen; von ihr be= 
merkt werden — Da fahen Alle, jo zugegen, was ih— 
nen als ein Wunder des Himmel! fürkam, daß die 
erbleichten Wangen der Jungfrau ein fanftes Roth 
überflog, aus dem erlofchenen Auge neuer Glanz blinfte, 
die gefchloffenen Lippen ein Tiebliches Lächeln jpaltete, 
mund ein Blick des innigſten Wohlwoffens anf den in 
tieffter Bewegung vor ihr fnieenden Sohannes fich ſenkte. 
As Mechtild in Etwas fich wieder gefaßt: hatte, brach 
ſie zuerft das Stillſchweigen, und hub erhobenen Saup- 
tes mit leifer, aber Elarer Stimme an: yOeliebter 
Herr und Vater, warum jollte ich jetzo, wo ich viel 
wicht in Diefer Stunde noch von Euch und dem Leben 
mich trennen muß, nicht ungefcheut das Geheimniß 
vn Herzens, welches, fo mir Hoffnung längeren 





100 


Lebens geblieben, Durch Feine Macht der Welt über 
meine Lippen gefommen wäre, nunmehr nicht freudig 
befennen? Sa, mein Johannes, da ich Deine hohe Tu— 
gend und adelige Sefinnung, Weisheit und Muth an 
dir erkannt, da hatte meine Seele ſich Div zu eigen ge= 
geben, und ich gedachte, welch ein fo großes Glück es 
feyn müßte, wenn ich als dein Gemahl mein Leben 
lang in getreuer Liebe dir angehören dürfte Da aber 
dieſes nicht gefchehen könne, dieweil mein geliebter Herr 
und Water über mich ein Anderes befchloffen, fo ge= 
lobte ich bei mir, al eine getreue Tochter, in Allem - 
mich gehorfam zu bezeigen. Seo nimmt Gott Die 
ſchwere Berpflichtung von mir, und freudig folg’ ib 
Seinem Rufe, indem ich hoffe, daß Er nach Geiner 
Barmherzigkeit uns Alle nach furzer Trennung in Geis 
ner Serrlichfeit vereinigen werde, und fage ich alfo 
biermit euch Allen mein letztes Lebewohl!“ 

Als Die Jungfrau geendigt, nahm fie Herr Berchtold 
mit großem Trauern in feine Arme und ſprach: „O 
meine geliebte Tochter, hätte ich dieſes zuvor willen 
follen, fo wollte ich dich gerne Deren Johannes zur 
Gemahlin gegeben haben, und darfſt du deiner Wahl 
Dich nimmer ſchämen, denn obwohl nicht von hober 
Geburt oder großer Reichthume, befigt derſelbe jo hohe 
Gaben und glanzuoffe Tugenden, daß er folchergeftalt 
wohl ebenbürtig zu nennen !” 

Auf dieſe Rede erhob fich Johannes raſch und mit 
freudeftrablenden Mienen, eilte auf Herrn Berchtold und 
die Jungfrau zu, drückte deren Hände zu wiederholten 





101 


Malen an feinen Mund, und rief alddann mit großer: 
Bewegung aus: „Preis und Ehre fey dem allmächti— 
gen Schöpfer Himmels und der Erden, ohne Ende ift 
Seine Güte und wunderbar Sein Rath und zum 
Heile!“ Hierauf entdeckte er Herrn Berchtold die Ur- 
fache feiner Rüdfehr, und Alle lobeten und dankten 
Gott, der fo bittere Schmerzen in füße Luft, und fo 
ſchwere Trauer in aljo erquicliche Freude verfehret. 
Da die Jungfrau fehnell von ihrem Siechthume ſich 
erholte und wieder zu vorigen blühenden Kräften ges 
langte, fo ward alsbald die Hochzeit auf Das Herr— 
lichfte ausgerichtet, und erhielt Herr Johannes gleichere 
maßen von Herzog Berchtold ſowohl, ald von Herzog 
Sriedrichen weite Zehen und großes Gut an Burgen 
und Ländereien mit reichen Gefällen und Einfünften. 
Zu feinem Hauptſitze wählte er ein ſchönes Schlöß- 
lein auf einem freundlichen, rebenumpflanzten Berge 
am Neckar, zwifchen den Städten Waiblingen, der 
Wiege des Hohenftaufengefchlechtes, Eßlingen und Stutt— 
gart, von welcher herab er einen großen Theil feiner 
Herrſchaft überfchauen konnte. Diefe ſchuf er aber in 
Kurzem durch Freigebigfeit und Milde, Gerechtigfeit 
und Weisheit zu dem blühendften und fruchtbarften 
Garten des ganzen Gaues um. AU fein Lebenlang, 
welches er bis zu den höchſten Jahren brachte, blieb 
er feinem Herrn und Wohlthäter in Danfbarfeit und 
unerſchütterlicher Treue ergeben, und nach deſſen Tode 
feinem Sohne, dem nachmaligen Kaifer, den er auch 
auf feinem Kreuzzuge ins heilige Land begleitete. Stets 


102 


übte er nach der Väter Sitte gegendAlfe, Die bei ihm 
einfprachen, die bereitwilligfte Gaftlichkeit, und weil 
feine Burg das Haus am Berge genannt war, fo hieß 
man Herrn Johannes weit und breit nur den Wirth 
am Berge. Diefer Name ift denn auch dem erlauchten 
Gefchlechte der Megenten unferes Landes, und bon ihe 
sen aus Diefem ſelbſt verblieben. | 


VI. 
Burg Salkenflein im Schwarzwald. 


In einer einfamen, ganz von Bergen umfchloffenen 
Ihalgegend des Schwarzwaldes, nicht ferne von Dem 
gräflich von Biſſing'ſchen Marktflecken Schramberg, Tiegt 
hoch auf einem fehönen Granitfelfen, unter dem Der 
Waldbach Berneck Dahinraufcht, die Ruine Der ehe— 
maligen Burg Falkenſtein. Kein Fuß- oder Fahrweg 
führt zu den Trümmern der Burg; nur mühſam er— 
ſteigt man die hohe Felſenwand, auf der die Burg ſtand, 
und dann muß man von einem Bruchſtück zum andern 
Hettern, um zu der eigentlichen Auine zu gelangen. 
Hat man eine Höhe von 240 Fuß im Schmeiße des 
Angefichtd erftiegen, fo fteht man noch einige Umfangs- 
mauern des ehemaligen Wohngebäude von einer Höhe 
von 30 Fuß, und gegen die Nordfeite hin die Reſte 


* 


103 


‚der Umfangsmauer eines ecfigten Thurmd. Diefer Thurm 
enthielt wohl ein ſchreckliches Verließ der Gefangenen. 
Bon diefen Trümmern gebt es noch einmal aufwärts 
zu einer höher liegenden Burg, Die mit der untern 
durch einen verborgenen Gang in Berbindung ftand. 
Auf Diefer obern Burg ſtehen nur noch Die Refte einer 
Ihoröffnung mit bedeutenden Nebenmauern, welche 8 

Fuß dick find. Diefe Thoröffnung foll der Sage nad 
Dazu gedient haben, in einer Mafchine, die man Män- 
nerfchlitten nannte, Menfchen und PBroviant an der 
jähen Felfenwand auf die Burg hinaufzuzicehen. Aus 
erden bat ſich auf einer überhängenden Felſenſpitze 
noch Die Wand eines Thurmes erhalten, dev wohl in 
alter Zeit Der Lug ind Land gemefen. 

Die Gefchichte der Burg Palkenftein geht mit Ge— 
wißheit bis ins Jahr 1030 zurück: fie fpielt eine wich— 
tige Rolle bei den tragifchen Ausgang des edlen Her— 
3098 Ernſt von Schwaben, den unfer erfter Yaterlän- 
difcher Dichter, der unübdertreffliche Ludwig Uhland, 
in einem herrlichen Drama verewigt hat. Wir geben 
die Erzählung Diefer wichtigen Begebenheit nach dem 
Bericht des Chroniſten Wippo, eines Zeitgenoffen. 

„Durch Entziehtung des Reichs von Burgund, auf 
das Herzog Ernft Erbichaftsanfprüche machte, hatte fich 
Kaifer Konrad den Wivderwillen feines Stiefſohns zu— 
gezogen. Doch er, als der Mächtigere, achtete nicht 
darnach, fondern befahl dem Herzog fo wie den übri— 

gen gleich unzufriedenen Fürften Des Reichs die Heeres— 
folge mach Italien, Nur durch Vermittlung feiner 


104 


Mutter Gifela ließ fich Herzog Ernft Dazu bewegen. 
Zur Belohnung dafür ertheilte Konrad ihm Die Abtei 
Kempten, jo wie noch andere Ehrenbezeugungen. Das 
aber däuchte dem Herzog fein Erfaß für das Erbe von 
Burgund. Sobald er num aus Italien zurücfkehrte, 
befchloß er, mit Gewalt feine Rechte zu erlangen. Diefen 
Entſchluß befräftigten noch einige Vaſallen des Herzogs. 
Ernft unternahm nun manches Feindfelige gegen den 
Kaifer. Unter andern baute er eine Burg zu Zürich, 
um da fich ficher zu ftellen vor feinen Feinden, Die 
fih nun regen würden. Um dieß zu vollführen, nahm 
er aus den Abteien St. Gallen und Reichenau, was 
ihm gefiel, fo daß er beiden Klöftern einen großen 
Schaden zufügte. Alles das gefchad, während der Kaifer 
in Italien feine Angelegenheiten ordnete. Als er zus 
rücfam, forderte er den Serzog auf eine Fürſtenver— 
jammlung zu Ulm. Ernft erjchien aber nicht als Bits 
tender, jondern voll Vertrauen auf die Vaſallen, melche 
ihn umgaben. Aber Diefe hingen nicht fo unbedingt 
an ihm, wie er gehofft hatte. Wollte alfo Ernft wohl 
oder übel, jo mußte er fich feinem Stiefvater ergeben. 
Der ſprach ein Urtheil über ihn, und feßte ihn gefan— 
gen auf Die Burg ©iebichenftein in Sachſen. Nach 
zwei Jahren wurde Ernft wieder entlaffen, und das 
Herzogthun Alemannien wurde ihm wieder zugefagt, 
unter Der Bedingung, daß er feinen Lehensmann Graf 
Wezelo von Kyburg, der einer der fchlimmften Rath— 
geber Herzog Ernſts war, dem Kaifer ausliefere. Das 
thun zu wollen, follte Herzog Ernft mit einem Ed 


EZ 


105 


bejchwören, aber er wollte nicht: fein Freund war ihm 
lieber ald das Herzogthum. Da wurde Herzog Ernft 
für einen Reichsfeind erklärt und des Herzogthums 
förmlich entjegt. Ernft ging nun hinweg mit Den 
MWenigen feiner Getreuen und fann auf neue Rathſchläge 
gegen feinen Stiefyater. Er fammelte den Grafen 
MWezelo und noch andere Getreuen um fich, und machte 
ich an den Grafen Odo von Champagne, um Hülfe 
von ihm zu erlangen. Der war ihm aber nicht zu 
Willen. Da ging Ernft wieder nach Schwaben zurüd, 
nahm feinen Aufenthalt in einer Wildnif, genannt der 
Schwarzwald, an ficheren Orte, und lebte einige Zeit 
von elender Beute. Endlich geſchah e8, Daß er von 
den Leuten des Kaifers überall gedrängt wurde, daß 
Einige, die dem Kaifer günftig waren, die beften Pferde, 
welche der Herzog hatte, ihm hinterliftig won der Weide 
wegnahmen. Als der Herzog die Pferde verloren hatte, 
auf Die er fein Vertrauen fegte, da hafchte er in Der 
Noth überall alle Bferde zufanmen, die er haben fonnte, 
und brach mit Allen, die er um fich Hatte, aus Dem 
Walde hervor. Er gedachte, e8 wäre beffer, ehrlich zu 
ferben, als fehmählich zu leben. Sie famen durch 
das Waldgebirge hindurch in eine Gegend, Die man 
Baar nennt. Da fahen fie ein verlaßnes Echlop, Das 
feine Feinde in der vorigen Nacht befegt hatten. Dad 
hielt Herzog Ernft für einen Hinterhalt, den man ihm 
gelegt habe. Graf Manegold nemlich, ein Vaſall des 
Kaifers, der ein großes Lehen befaß von der Abtei 
Reichenau, welches ibm der Kaifer und der Biſchof 


196 


Warmann übergeben hatte, war hier als Schußpoften 
aufgeftellt worden, auf daß Herzog Ernft in dieſer 
Gegend feine Verheerung durch Raub und Brand ans 
richte. SIegt glaubte Ernft und feine allzufreudigen 
Anhänger, Tech an feinen Feinden rächen zu können; 
fie machten fich fogleich auf den Weg und rückten auf 
diefelben 108. Im derfelben Abficht Hatte fich Mane- 
gold mit feinen Leuten da und dorthin gerichtet, um 
die Wege des Herzogs genau zu beobachten. So ger 
ichah es, daß Beide fo nahe zufammentrafen, Daß fie 
fich gegenfeitig fehen und anveden konnten. Es waren 
aber auf Seiten Manegold8 viel mehr Kriegsleute, denn 
auf Seiten des Herzogs. Keine Zögerung — fie tra— 
ten zufammen und Fämpften hitzig. Auf Seiten des 
Herzogs flritten Die Krieger von Born, Wuth umd 
Kühnheit angetrieben, auf der andern Geite kämpften 
fie für Ehre und Belohnung. Die mit dem Herzog 
waren, achteten nicht des Lebens und flürzten in Den 
Tod. Der Herzog fchonte Niemand in dem Treffen, 
er fand aber auch Keinen, der feiner. fchonte: von 
Vielen verwundet, ſank er endlich Durchbohrt nieder. 
Da fiel auch der Graf Wezelo, Vaſall des Herzogs, 
um deffentwillen dieß Alles gefchehen war: Adelbert 
und Swerin Die Edlen und viele Andere fanden hier 
ihren Tod. Auf der andern Seite fiel Graf Mane- 
gold, der Urheber dieſes Streites, und mehrere An— 
dere mit ihm. Der Leichnam des Herzogs wurde nah 
Gonftanz gebracht, und nachdem er zuvor von. dem 
Bifchof vom Banne befreit war, in der Kirche St. 


r 107 


Maria begraben. Der Leib Manegolds aber wurde in 
der Neichenau zur Erde beftattet, Dieß geſchah am 
18. Aug. 1030.” 

GHundert Jahre nach diefer traurigen Begebenheit (1 130 
— 1148) werden zwei Brüder von Yalfenftein genannt, 
Johann, Abt von St. Georgen, und fein Bruder Reginald, 
der im J. 1141 in einem Gnadenbrief zeugte, den Kaifer 
Konrad dem Klofter St. Blaften auäftellte. Erſt im 
Sahr 1274 erfcheinen wieder zwei Brüder, Otto und 
Heinrich von Falfenftein, als Zeugen bei der Schen« 
fung des Kirchenfchages zu Waldkirch. Diefe alle ges 
hörten dem höheren Adel an. Vom Jahre 1305 — 
1315 fommen die Brüder Conrad und Erchinger 
Eigelwart, Breiherren von Falkenſtein, vor, die auf dem 
- unteren Schloffe Diefes Namens in der Baar wohnten, 
aber zuverläßig dem Gefihlecht derer von Falfenftein 
bei Schramberg angehörten. inige Jahre fräter (1323) 
wohnten auf Falfenftein die Gebrüder Eberhard, Sein: 
rich und Eglof, von denen der leßtere eine Adelheid 
von Landenberg (auf Schramberg) zur Che hatte. 
Unter ihnen wurde Burg Falfenftein Zeuge einer gräß- 
fihen That. Im Sabre 1372 wurde Graf Ulrich von 
Helfenftein von etlichen Vaſallen des Grafen Eberhards 
des Greiner von Würtemberg gefangen genommen und 
Dem Eberhard von Falfenftein in ritterliche Haft über« 
geben. Der von Falfenftein legte den Gefangenen in 
die nahe, ihm gehörige Burg Namftein, wo er Ein 
Jahr lang im ritterlicher Haft bleiben und gut gehal« 
ten werden follte. Sobald aber die Städter, befonderd 


108 


die von Ulm, deren Feldobrifter Graf Ulrich von Hel— 
fenftein war, von dieſer ehrlofen Gefangenjchaft hörs 
ten, zogen fie mit zwei Söhnen des Grafen vor Die 
Burg, um den Oefangenen zu befreien. Da wurden 
die Städter durch einen Boten Kaifer Karls IV. bei 
PBermeidung faiferlicher Ungnade gemahnt, von der 
Belagerung der Burg Ramftein abzuftehen. Dennoch 
Scheint Eberhard von Falkenftein für feinen Gefangenen 
beforgt gewefen zu feyn, er möchte vor Ablauf der 
Frift aus feiner Daft erlediget werden, darum befchloß 
er, ihn im Schuge der Nacht, in aller Stille, mehr 
in feine Nähe, auf die Burg Falkenſtein feltft zu 
bringen. Aber kaum faß Der Graf von Helfenftein 
im DBerließ des unteren Burggebäudes zu Palfenftein, 
fo wurde ihm der Hals abgefchnitten. Wer feine Sand 
bei dieſer gräßlichen Ihat im Spiele hatte, darüber ift 
ein Schleier gezogen, der bis auf Diefe Stunde noch 
nicht gelüftet worden. Sobald oben genannte Adelheid 
von Valfenftein von diefer Mordtbat hörte, Tieß fte die 
verftünmelte Leiche des Grafen von SHelfenftein in der 
nicht fern von der Burg liegenden und noch jebt fie= 
benden alten Kirche beerdigen und ihm ein Grabmal 
errichten. Auch Tieß fie Mefjen für die Geele des Er— 
mordeten leſen, denen fe immerdar anmwohnte Da 
am Zage des h. Ulrichs des Jahre 1372, als Frau 
Adelheid am Grabe des Ermordeten andächtig betete, 
nahte eine jugendliche Frau von edler Geftalt, in Trauer 
gekleidet, den Stufen des Altars und fing an bittere 
lich zu weinen. Darauf verrichtete fie mit aufgehabes 


109 


nen Händen ihre Andacht, und fprach ein andächtig 
Gebet für die Seele des ermordeten Vaters. Ehe fie 
‚den Altar verließ, legte ſie ein goldenes Kreuz als 
Opfer an Ddemfelben nieder. Auch Tieß fie fich das 
- Grabmal ihres Vaters zeigen, das fie lange mit thrä- 
nenden Augen betrachtete. Die edle Trauernde war 
Catharina, die Tochter des ermordeten Orafen v. Sel- 
fenftein. Sie wohnte von nun an allen Todtenmeſſen 
bei, vermweilte vier Wochen bei der Nubeftätte des fel. 
Vaters, und ftiftete für ihn eine ewige Meſſe. Nach— 
dem fie den Prieſter reichlich beſchenkt hatte, verließ fie 
Diefen Ort ihrer Wehmuth, und lieg fi) von nun an 
nimmer in der Gegend fehen. Auch die edle Adelheid 
von Balfenflein verließ bald darauf Die Burg, da die 
Unthat gejchehen war. 

Im Jahr 1440 hatte die Burg wieder eine Gefahr 
zu überfiehen. Zwei Berwandte, Jakob und Conrad 
von Falkenſtein, Damals Ganerben auf der Burg, ge— 
riethen wegen ihrer Befigungen mit einander in Streit. 
In Folge deffen überrumpelte Conrad von Falfenftein 
mit feinen Reiſigen Sand Hak von Waldnau und 
Hans von Ramſtein im 1444. Jahr feinen Vetter 
Safob, der an feinen folchen Ueberfall dachte, Er 
Drang mit feinen Genofjen in dem Vorhof des unteren 
Schloſſes, bejegte in größter Eile den Thurm, ver- 
wundete einige Edelknechte, und nahm Diefe fo wie 
feinen Vetter gefangen. Die Beinde hätten beinahe 
auch das obere Burggebäude erftiegen, wenn nicht Die 
Tochter Jakobs und der bei ihr fich aufhaltende Bräu⸗ 


10 


\ 
tigam Die mit dem untern Schloß verbindende Zug- 
brüce hätte ſchnell aufziehen laffen und einen Pfeilres 
gen auf die Anftürmenden herabgeſendet hätte, Bei 
diefem Lieberfall zeigte Die Tochter Jakobs einen ritter= 
lichen Muth, und trug Alles bei, um die Feinde ab- 
zutreiben. Bald mußte Conrad feinen Better wieder 
der Haft entlaffen, mußte Die Kriegsfoften und den 
Schaden erfegen und vor dem Sofgericht zu Rotweil 
dem Better Abbitte thun. 

Doch hörten die Streitigkeiten unter Diefen verwand— 
ten Ganerben von Falfenftein niet auf, bis fie Die 
verfehiedenen Burgen und Güter in der Mitte des 19. 
Jahrhunderts theilten. Don nun am nannte fich eine 
Linie die von Falfenftein zu Falfenftein, Die andere Die 
von Palfenftein zu Namftein. Die Beſitzungen der er— 
fteren Linie zur Hälfte kamen im Jahr 1444— 1449 
Durch Kauf an Graf Ludwig von Wirtemberg, Die der 
Balkenftein-Ramftein Durch Heirath an Hanſen v. Rech— 
berg, und von Diefem an. feinen Schwager Hans von 
Zandenberg. Mit der Mitte des 16. Jahrhunderts 
batte die fo hoch angefehene Familie von Falfenftein 
ihre fämmtlichen Stammgüter verloren. Die Söhne 
George, des Letzten von Falfenftein, find fchon im J. 
1558 in den bürgerlichen Stand herabgefunfen, und 
jte verheiratheten fich mit bürgerliihen Töchtern in Der 
Stadt Villingen. 

Mann die Burg Falfenftein Ruine geworden, läßt 
jich nicht mit Gewißheit angeben; nach einer münde 
— Sage wurde ſie durch die Rotweiler und andre 


114 


Reichsſtädte im Jahr 1491 zerſtört. — Ueber die 
Entftehung des Namens der Burg noch eme ſchöne 
Sage. BB 


Die Sage von dem weißen Falken. 


In den älteften Zeiten hieß die Burg Falkenſtein 
nur der Stein, wie viele andere Burgen des deut— 
ſchen Landes den Namen Stein führen, und noch jeßt 
ein nicht ferne von Falfenftein wohnendes Geſchlecht 
den Namen „son Stein” trägt. Wie die Burg Fal— 
tenftein ihren Namen erhielt, darüber gebt im Munde 
des Volks folgende Sage: 

In jenen Tagen, als Gottfried von Bouillon mit 
vielen Nittern und Herren nach Paläftina zog, um 
das h. Grab aus der Hand der Ungläubigen zu bes 
freien, befand fich unter der Zahl derer, welche den 
Bahnen des Kreuzes folgten, auch ein Nitter, genannt 
Kuno Yon Stein im Schwarzwald. Bein Abfchied 
von Daufe hatte er: zu feiner holden Gemahlin, Se— 
lindis von Höwin, geſagt: „Wenn ich nad) Jahresfrift 
nicht wieberfehre, dann bin ich todt und Du darfſt 
meiner nicht Länger harren.“ Als er dieß gejagt, fühte 
er noch einmal die Betrübte, beftieg fein Streitroß und 
ſchloß fich der Schaar feiner Genofjen an. Mit Thrä— 
nen im den Augen blickte Selindis dem Scheidenden 
nach, bis fein Selmbufch Hinter den dunfeln Tannen 
verſchwand. Eine 'innere Stimme fagte ihr, daß fie 


112 


ihn Tange nicht, vielleicht nie wieder fehen würde. 
Bald, nachdem die Kreuzfahrer ın Den erfehnten Lande 
angefonmen waren, folgten Kämpfe auf Kämpfe bis 
in die Näbe der heil. Stadt, und jeden Fuß Breit 
mußten die ritterlichen Streiter mit theurem Blute von 
den Saragenen erfaufen. Doch erreichten fie endlich) 
das Ziel ihrer Münfche, fie fahen die Zinnen der heil. 
Stadt, und begrüßten auf den Knieen den gemeihten 
Boden, wo einft der Erlöfer der Welt gelitten hatte 
und geftorben war: Aber nicht Allen, welche an dem 
Zuge Theil genommen hatten, wurde dieſes Glück zu 
Theil: viele fahen nur die Stadt, ohne die Thore be- 
treten zu Dürfen. Unter ihnen war auch der Ritter 
Kuno von Stein. Noch unter den Thoren der heil. 
Stadt begann ein blutiger Kampf. Kuno drängte fich 
in das Gefecht, wo ed am higigften war, wurde von 
dem Feinde umzingelt, und, ob er gleich ftritt wie ein 
Löwe, mußte er Doch zuleßt Der Uebermacht weichen, 
und wurde von den Feinden als Gefangener davonges . 
führt. Ein trauriges Loos empfing den unglüdlichen 
Nitter unter den Saragenen ; er wurde als Sklave ver- 
Fauft und in Das Innere des Landes fortgefchleppt, 
wo er gleich den Zugvieh an das Joch des Pfluges 
gefpannt, unter den Beitfchenhieben des unbarmberzigen 
Treibers Das Feld umacern mußte So ging ein Jahr 
dahin, dem Ritter in Bein und Dual der Knechtfchaft, 
feiner Gemahlin in der Heimath in Schmerz der Sehn- 
fucht nach dem Entfernten. Eines Abends — Kuno 
batte eben ſein Tagwerk vollendet — wurde er mit 


113 


noch andere Genoſſen feines Unglücks wie ein Vieh aus 
dem Pflug geſpannt und nach Haufe getrieben, um 
auszuruhen und für Die Mühe des folgenden Tages 
neue Kräfte zu ſammeln. Aber Der Ritter fand feine 
Rue ; feine Gedanfen ſchweiften hinüber in die ferne 
Seimath, er gedachte feiner geliebten Gemahlin, und 
RR gerade jetzt ein Jahr verfloffen wäre, jeit er fie 
verlaſſen und dag Wort gejprochen hatte: wenn ich 
nach Jahresfrift nicht wiederfehre, darfſt du nimmer- 
mehr meiner harren. Cine unendliche Sehnfucht,, Die 
theure Seimath und die geliebte Gemahlin wieder zu 
ſehen, befiel ihn bei Diefenn Gedanfen. „Ach! Daß ich 
fliegen Fünnte über Länder und Meere!" rief er oft 
aus, „um nur auf wenige Augenblice die Burg der Vä— 
‚ter und meine Gemahlin wieder zu fehen, gerne wollte 
ic) Dann wieder zurückkehren in meine Knechtfihaft, in 
der ich täglich fehmachte.” Kaum hatte er das Wort 
ausgefprochen, da ftand vor feinem Strohlager, auf 
das er fich eben ermüdet hingeworfen hatte, eine Geftalt, 
deren Gefichtözüge er zwar in der Dämmerung nicht zu 
unterfcheiden vermochte, aber Deutlich vernahm .er die 
Worte: „Herr Ritter im Pfluge, ift Eure Sehnſucht 
nach Seimath und Gemahlin fo groß, jo läßt fich leicht 
helfen.” Wer bift du, unheimliches Wefen, rief Kuno, 
indem er fich aufrichtete, Die Augen rieb und der Ge- 
ſtalt unerfchroden in's Antlig ſchaute. Ein Geficht mit 
widrigen Zügen grinzte ihn an. „Dein guter Freund 
bin ich,” antwortete die Geftalt — „ver wegen feiner 
anderen Abſicht da iſt, als, um dich zu erlöſen aus 
8 






114 


deiner. traurigen Tage, und der Dich wieder zurückführen will 
in Die Arme deiner Gemahlin, Die voll Sehnſucht dei— 
ner harret; fpute Dich, denn wer weiß, ob. deine Gattin. 
noch lange fret feyn wird, fintemal fo gar Viele um. 
fie werben und fie noch in hoher Jugendblüthe ſteht. * 
Willſt du dich aber meiner Führung anvertrauen, Hl 
ift dir nichts als Entſchloſſenheit noth.“ „Sag' an,“ 
fprach der Ritter, „was foll ich thun? wie willft du 
nich nach Hauſe bringen und im wie viel Zeit?" — 
„Herr Ritter im Pflug,” entgegnete der Unbefannte 
lachend — „bei uns rechnet man nicht nach Tagen, ger 
biete vielmehr, in wie viel Stunden icy dich hinführen 
fol, und dein Wunfch foll ftrads in Erfüllung gehen.“ 
Der Nitter befann fich eine Weile ; nicht ohne einiges 
Grauen betrachtete er die lange, hagere Geftalt des Man— 
nes, der vor ihm fand, und es fehlen ihm Anfangs 
nicht gerathen, fich deffen Führung anzuvertrauen. „Willft 
du, oder willft du nicht ?” fragte diefer jegt ungeduldig 
— „dir gefchiebt ja der Dienft, nicht mir; bedenfe nur 
deine fehreefliche Lage, in der du noch lange fehmachten 
£annft, bedenke die Freude, wenn du Deine Gattin wieder 
ſtehſt, Die jeßt noch, aber vielleicht bald nimmer, Deiner 
wartet; ja oder nein, ich muß es wiſſen.“ Die legten 
Morte des Mannes brachten den Ritter zum Entfchlufje. 
„Ich will mich dir anvertrauen, unheimliches Weſen,“ 
tief Kumo ; aber man fah wohl, daß ihm das Wort 
jchwer vom Munde ging — „bringe mich dahin, wohin 
mein Herz fich ſehnt und zwar fo ſchnell als möglich.“ 
— „Alſo wären wir fomweit im Reinen“ — verjeßte 


115 


der Unbefannte — „aber während ich Bir verfpreche, 
einen Dienft zu Teiften, haben wir Die Bedingung ver— 
| geffen, die Du mir dagegen zu leiten haft, und dieſe 
befteht, Damit ich dir's kurz jage, darin, daß du mir 
verſprichſt, von nun an mein Eigenmann zu ſeyn mit 
Leib und Seele, im Fall du, während ich dich in die 
Heimath führe, in Schlaf fällſt; bleibſt du aber wäh— 
rend dieſer Zeit und bis zur Ankunft daſelbſt wachend, 
ſo biſt du deines Verſprechens quitt, und ich erhalte 
dafür nichts, daß ich dich tauſend Stunden weit ge— 
tragen habe.“ — „Es ſey,“ verſetzte der Ritter, „aber 
ehe die Sonne hinter den Bergen hervortaucht, will ich 
in der Deimath feyn; nimm mein Wort, ich folge dir.” 
— „Dein Wort in Ehren,” fagte Der hagere Dann, 
„aber bei jedem Pakt muß eine Unterfchrift feyn, es 
ft für Leben und Sterben.” — „So trauft du aljo mei— 
nem ritterlichen Worte nicht ?" rief Kuno von Stein, 
ich habe e8 noch nie in meinem Leben gebrochen.” — 
„Herr,“ entgegnete der hagere Mann, „aber man geht 
halt doch ficherer, wenn man Schwarz auf Weiß, oder 
wie ich es lieber habe, Roth auf Weiß beſitzt.“ Mit 
diefen Worten z0g er einen Pergamentftreifen und eine 
Feder hervor und hielt Beides dem Nitter bin. Diefer 
wies Das Angebotene lange von fich, und befonders, 
als der Unheimliche mit der Feder eines der Blutge— 
ſchwüre, Die des Treibers Beitfche dem Nitter an Die 
Hand gefchlagen hatte, aufrigte und Die Feder in Das 
Blut tauchte — da beftel ihn ein heftiger Schauer. 
„Man muß fich zu helfen wiffen, wenn man feine 





116 


Zinte hat," ſagte fcheinbar gleichgültig der Hagere, bot 


aber gleich darauf alle Künfle der Ueberredung auf, 
un den Ritter zur Umnterfchrift feines Namens zu ver 


mögen. Mit zitternder Hand ergriff Kuno endlich Die. 


Feder und fihrieb auf das Pergament fein Namens- 
zeichen, wie er e8 gemöhnlich zu fchreiben pflegte. Schnell 
nahm der Mann den Pergamentftreifen wieder zur Hand 
und verbarg ihn unter den Falten eines Mantels, der 
feinen ganzen Körper bis zu den Füßen hinab einhüllte. 
„Friſch auf, Kerr Ritter!” rief er mit höhniſchem La— 
chen, „raſch und ohne Furcht das Roß beftiegen, Das 
Euch in wenigen Stunden an Ort und Stelle bringen 
wird.” Dieß gejagt, war der Unbekannte verfchwunden, 
an feiner Stelle dagegen ftand ein Löwe mit mwallender 
Deihne, aber nicht wild ausfehend, wie einer, der blut- 
gierig aus Lybiens Wüften bervorbricht, ſondern wie 
einer, der jeine Wildheit gänzlich verlernt hat und ko— 
fend feinem Meifter fich zu Süßen fehmiegt. Gehorſam 
beugte er feinen Rüden vor dem Ritter, und es war, 
als 05 er zu ihm fagen wollte: DVertraue Dich kühn 
meinem Nacken an, ich will dich ficher an Ort und 
Stelle bringen. Kuno Tieß fich nicht lange von dem 
freundlichen Blick des Löwen mahnen: voll Zuverficht 
ſchwang er fih auf den Nüden des feltfamen Roſſes, 
und es däuchte ihn, als ob er nie ficherer und beque= 
mer in einem Sattel gefeffen hätte. Sobald der Löwe 


den Reiter auf feinem Rücken fühlte, erhob er fich wie: 


mit Slügeln in Die Lüfte, und im Nu war unter ihnen 
der Ort verfchwunden, mo der Ritter biäher wie ein 


117 


Laftthier gequält worden war. Bfeilfchnell gieng es 
dahin über Berge und Meere, und in Kurzem war dem 
Nitter nicht mehr bange auf dem ungewöhnlichen Reit- 
gaul; feft fchloß er feine Füße um die weichen enden 
des Löwen, während er die Sand um Die wallende 
Mähne ichlang und fich derjelben als eines Zügels be- 
diente. Aber während er dahin ritt, mar e8 ibm, als 
ob ein unabmehrbarer Schlaf ſich auf feine Augenlieder 
niederfenfen wollte. Drei Nächte waren dem Ritter 
ohne Schlaf Dahingegangen, der Schmerz der Wunden, 
die der Treiber feinem Leib gejchlagen hatte, hatte bis 
Dahin Den Schlaf von feinen Augen ferne gehalten. 
Jetzt Dachte er mit Angſt des ſchrecklichen Verſprechens, 
er wolle mit Leib und Seele dem dienftbaren Geift zu 
eigen werden, wenn er einfchlafe, und dieß hielt jedege 
mal den Schlaf von ihm zurück, wenn er ihn über- 
mannen wollt. Mit einen Male aber war es ihm, 
als ob er, wie in den Tagen feiner Kindheit, fanft in 
einer Miege gefchaufelt würde; Traumbilder aus der 
Heimath und vom feligen Wiederfehn begannen, feine 
Phantaſie zu umganfeln. Er fenfte fein Haupt auf 
die Mähne des Löwen nieder, um fich dem Schlummer 
zu überlaffen, da fühlte er plöglich einen fanften Schlag 
auf fein Haupt; erftaunt fuhr er. mit dem Kopfe in 
die Höhe und fah einen herrlichen weißen Falken über 
jich in der Höhe fehweben. Aber bald ließ er fein mü- 
des Haupt wieder ſinken, neue Traumbilder nahten 
ihm, und er fühlte einen zweiten Schlag, wie von den 
Bedern eines Vogels; er fuhr wieder aus der Betäu- 


118 


bung auf, und dicht über ihm wehten dießmal die Fit- 
tige des weißen Falken. 

Den hat mir ein gütiger Gott gefendet, ſprach Der 
Ritter bey fich, auf daß er mich errette aus der Hand 
defien, der nach meiner Seele verlangt. 

Jegt war es ihm ganz Klar gemorden, um welch’ 
theuren Preis er die Rückkehr in Die Heimath und Das 
Wiederſehn feiner Gattin erfauft habe, darum nahm er 
ich von Neuem vor, wach zu bleiben, um die Soffnung 
des böfen Geiftes zu nichte zu machen. Aber fein Vor— 
baben wurde bald wieder vereitelt; mit Macht drückte 
der Schlaf wieder auf feine Augenlieder, und er ſank 
zum dritten Mal auf die Mähne des Löwen, um fi 
dem Schlafe zu überlaffen, dem er jo lange mit aller 
Gewalt widerſtrebt hatte. Da raufchte e8 zum Dritten 
Male über ihm; erfchroden fuhr er wieder auf, und 
fein Haupt berührte noch die Schwingen des weißen 
Falken, der ihn durch feinen Slügelfchlag fo eben wie 
der von Schlaf abgehalten hatte. Als er um fich 
blickte, fah er weit unter fich in der Morgendämmerung 
einen jchwarzen Gtreifen, der fich ihm bald als einen 
weithin ausgedehnten Wald zu erkennen gab; zugleich 
fenfte fich auch der Flug des Löwen immer tiefer. Bald 
erfannte der Ritter Die Zinnen einer Burg, die fich auf 
fteilen, von Tannen umwachfenen Beljen erhob, nah 
melcher der Löwe feine Richtung nahm; hell und friſch 
blickte er um fich, als ihn der Löwe vor dem Thore 
feiner mohlbefannten Burg niederfegte. In dem Au— 
genbli, da Ritter Kuno den Boden berührte, fiel der 


119 


Vergamentftreifen vor ihm nieder, auf dem er feinen 
Namen unterfchrieben hatte; das Pergament war Durch 
und Durch zerriffen. Zu gleicher Zeit erhob fich ein 
fchreeflicher Sturmwind, dag die Zinnen der Burg er- 
bebten, ihre Thürme wankten und Der Fels bis in feine 
Tiefen zitterte. Der Sturm dauerte fo lange, bis Die 
Sonne binter den Bergen hervorftieg. Der Ritter blickte 
auf — oben auf der Spike des höchften Ihurmes ſaß Der - 
Falke, und die erften Strahlen der Sonne vergoldeten 
fein meißes Gefieder ; da ftreefte Kuno feine Hände aus 
und winfte dem Balken, der fein Netter geworden, 
feinen Danf zu, bis der Vogel verfchwand, als die 
Sonne über den Thälern ftrahlte. Sein Herz aber rich— 
tete ſich im ftillen Danfgebet zu demjenigen empor, 
der den Balken zur Rettung jeiner Seele gefandt hatte. 
Und num eilteer in die Burg zum froben Wiederfehen 
der Gattin, die den lang Erfehnten freudig in ihre Arme 
ſchloß. Zum Andenken an feine Rettung nahm Ritter 
Kuno von Stein den Falken in fein Wappen auf und 
nannte Burg und Gefchleht nach ibm Falkenſtein. 


129 


IX. 


Die Kapelle St. Wendel zum Stein 
im Jagſtthal. 


Wandern wir von dem Ufer des Kochers durch Die 
gewerbreiche Stadt Künzelsau, mit Recht Klein Nürnberg 
genannt, die Höhe hinan, fo gelangen wir in 21% 
Stunden zu Den Ufern der jäh dahin frömenden Jagft. 
Ehe wir aber ins Thal wieder hinabfteigen, lohnt uns 
eine Tiebliche Ausſicht. Zu unſern Füßen liegt das 
Dorf Hohebach mit feiner bekannten ftattlichen Brücke 
mit 4 Bogen; rechts breiten fich fruchtbare Rebenge— 
lände aus, zur Linken haben wir ein waldiges Ufer, von 
dem die fchönjten Tufffteine zu Tag geben, Die man 
weit und breit finden kann — an dem fehönften Vor- 
fprung derſelben Elebt die Kleine Kapelle St. Wendel 
zum Stein, von dem Volk nur die GSteinfapel ges 
nannt. Aus geringer Ferne winkt der ftattliche Marft- 
jleefen Dörzbach mit feinen alterthümlichen, aber recht 
wohnlichen Schloffe der Freiherren von Eyb. — Wir 
überfehen eine der lieblichften Strecken des Jagſtthals — 
doch Das Schönfte in ihrer Mitte it die Steinfapelle, 
auf die wir zupilgern, aber nicht auf der Landſtraße, 
denn von da aus führt Fein Steg über Die Jagft, fon= 
dern am linfen Ufer des Floßes, größtentheild auf ei— 
nem angenehmen Waldwege. In einer ftarfen Bier 
telflunde gelangen wir zu dem Felſen, unter dem Die 


121 


Kapelle liegt. Don diefem Felſen, der wie ein Altar 
aus dem Thal in die Höhe ragt umd in feiner Mitte 
eine fchöne Linde trägt, fleigen wir auf einem jähen 
Pfade hinunter zur Kapelle. Wohl wegen ihrer eigen- 
thümlichen Lage, vermöge der fie an dem Tuffiteinfels 
(Stein) gleichfam anklebt, hat die Kapelle den Namen 
zum Stein, oder geradezu Steinfapelle erhalten. Ihr 
Sockel bildet mit dem Tufffteinfels gleichfam eine Maffe, 
fo Daß man kaum mehr unterfcheiden kann, was Fels 
oder Gemäuer if. Aus diefem Sodel find fünf mäch- 
tige Ahornbäume bervorgemachfen, die fait bis an das 
Dach der Kapelle reichen, und ihr ein malerifches Aus— 
jehen geben. Die Steinfapelle ift im einfachen gotbifchen 
Styl gebaut, und hat ein kleines Thürmchen mit eine 
fachem Kreuze. Zwiſchen den größeren Penftern und 
den Chorpfeiler gegen Hohebach ift eine Schrift, Die 
einem Steinmebzeichen gleicht, eingehauen. Der größere, 
rundbogige Eingang liegt gegen Kohebach, ein kleinerer 
gegen Dörzbach foll noch im Jahre 1790 auf dem 
Thürſturz die Jahrzahl 1515 gehabt haben. Treten wir 
in die Kapelle ein, fo fehen wir auch hier wieder, wie 
fle ihren Namen zum Stein mit Necht trägt, denn der 
rohe zerklüftete Tufffleinfels bildet ihre Giebelſeite. Ihr 
Plafond it ein hölzernes Getäfel, das mit zierlichen 
Arabesken bemalt if. Zur Linken in der Kapelle 
ſteht ein einfacher fteinerner Nebenaltar, auf dem meh— 
rere Holzbilder aufgeftellt find, unter andern Et. 
Veit und St. Wendelin, welches letztere Bild wohl 
no aus dem 15. Jahrhundert ſtammt. Ueber dem 


122 


Eingang in den Chor fteht die Jahreszahl 1520, welche 
wohl auf die Zeit einer Nenovation hinmeist. Die 
Decke des Chors ift ſchön gewölbt. Im Chor jteht 
ein einfacher Altar mit einer nicht ohne Kunft gear= 
beiteten Bildtafel aus Marmor. Ein ftattlicher Ritter 
im Harnifch kniet vor einem Grucifir, ihm gegenüber 
ein Srauenbild mit Iosgewundenen Haaren. Im Ges 
ſims des Altarbilds ift ein befonders Funftreich gear- 
beitetes Bild von Gott Vater angebracht. Die Infchrift 
lautet: der wol edel geftrenge Sebaſt. Strobi, 
der Zeit in des Herrn Obriſt Schönberg. 
Meg. bei Herrn Obriſt Leutenants Compagni 
Gornei hat Dis werd auf fein coſten hieher 
fertigen laßen Anno 1630. Bon der Kapelle 
führt eine Pforte aufwärts zu dem Felſen, an dem fie 
angebaut ift. Steigt man einige Stufen hinan, fo befindet 
man fich in einer weiten Grotte, da man oben am Fel— 
fen noch Die Spuren des Dachgiebeld einer früher Das 
geftandenen Wohnung wahrnimmt. Geht man zur 
Linken auf der in Feld gehauenen Treppe weiter auf- 
wärts, fo fommt man in eine von Nauch gefchwärzte 
Höhlung, welche eine Vorderwand mit Senfterlein hat. 
Beide Grotten follen in früherer Zeit dier Wohnung 
eines Einſtedlers geweſen ſeyn; Die Volksſage erklärt 
ſie auch für die Wohnung einer ehmals ſehr berüchtig— 
ten Vagabundin, genannt Britſchen-Babele (vielleicht 
Brigitta Barbara); daher hieß man noch lange dieſe 
Höhle Britfchen Babele's Loch. Neben der Kapelle ſteht 
ein altes Küfterhäuschen, in deffen unterem Raume 


123 


eine Flare Quelle fich befindet. — Das Eigentbum und 
Einfommen der Kapelle befteht in dem Ertrag des über 
ihr liegenden Waldes, fo wie der umliegenden Güter- 
ſtücke, wozu der Erlös der zu beiden Seiten liegenden 
Tufffteinfelfen zu rechnen ift, welche nach und nach aus 
geweidet werden. — Das Gefchichtliche über Die Kapelle 
befteht nur in wenigen Notizen. Als Engelhard von 
Berlichingen im Jahr 1478 von Sans von Bachenften 
feinen Antbeil an Dörzbach erfaufte, da behielt der Ver⸗ 
fäufer für fich vor feine geiftlichen Lehen, darunter auch 
das Kapelin zum Stein. Im Jahr 1491 ver- 
kaufte Albrecht von Bachenftein den Kirchenfaß der Pfarr— 
firche zu Dörzbach, mit dem Stein Darob gelegen, 
an Herrn Gög von Berlichingen. Unter den Herren yon 
Berlichingen wurde Die Kapelle zufolge der obengenannten 
Jahrzahl renovirt, alfo beftand fie fehon in viel frühes 
rer Zeit. Vielleicht ift der Chor erft im Jahr 1520 
an die Kapelle angebaut worden. — Die Kapelle St. 
Wendel zum Stein war fihon feit alten Zeiten eine 
viel befuchte Wallfahrt, in der durch einen Geiftlichen 
von Dörzbach Meſſe gelefen wurde, Noch im Jahr 
4561 heißt es in einer Urfunde: „die Kapelle zum 
Stein, welche von dem evangelifchen Pfarrherrn zu Dörze 
bach, der darefidiren wird, verfehen werden fol.” Demnach 
war nicht nur am Tage St. Wendelins (20. Okt)., 
wenn man bieher wallfahrtete, fondern wohl in jeder 
Woche in der Kavelle ein Gottesdienft. Darum mohnte 
auch jeder Zeit neben der Kapelle der fogenannte Ka— 
pellenmann oder Sakriftan. Noch jebt dauert die Wall- 


124 


fahrt fort, Denn jedes Jahr an ©t. Wendelin Tag 
wallen Schaaren von Andächtigen aus der Nähe und 
Ferne der Kapelle zu, und feiner verläßt die heilige 
Stätte, ohne ein Scherflein in den Opferitocf zu legen. — 
Bis in Die Ießte Hälfte des 17. Jahrhunderts fand ein 
eigner Gebrauch Statt von Seiten der proteftantifchen 
Anwohner der Kapelle. Je am Balmfonntag Famen Die 
(edigen Leute von Hohebach auf einem verfteinten Wege 
in die Kapelle und: fangen Paſſionslieder. Uber Die 
fromme Gemohnheit artete aus: die zufanımentreffenden 
Hohebacher und Dörzbacher geriethen vom Singen ind 
Streiten und Zanfen, da die Dörzbacher das Erjcheinen 
der Dohebacher in der Kapelle für einen Eingriff in ihre 
Territorialgerechtigkeit hielten. Vom Streiten Fam es 
zu Balgereien, wobei die jungen Leute von beiden Ge— 
meinden gegenfeitig Die Kraft ihrer Fäuſte aneinander 
versuchten. So mußte diefe Wallfahrt abgeftellt werden. 
Nur der Geiftliche, begleitet vom Seiligenmeifter, begleitet 
von Alten und Jungen, geht jest am Balmfontage auf die 
Kapelle, um den Inhalt des Opferſtocks zu erheben, der 
in die heilige Kaffe fällt. An die Stelle des wieder 
freundlichen Zufammenfommens bei der Kapelle ift ein 
liebliches Kinderfeft, der jährlibe Maientag, getreten, 
Der auf dem Felfen-Plateau über der Kapelle bei der 
bekannten Matenlinde abgehalten, und von allen An— 
wohnern des Jagſtthals, thalauf> und thalabwärts, 
befucht wird. 

Ueber die Gründung der Kapelle geben wir eine lieb— 
liche Sage. 





125 
Der Bau der Steinfapelle. 


Es war einmal ein Schäfer im nahen Dorfe Dörzbach 
— fo erzählt die Volksſage — bei welcher nur das Wort 
gilt: 

Es war post Christum natum, 
Man weiß nit mehr das Datum. 


Diefer Schäfer fand an der Stelle, da er feine Schaafe 
weidete, einen großen Geldfchag, der ihn auf einmal zu 
einem reichen Manne machte. Damals mußten die Leute 
das Geld beffer anzuwenden als jeßt, wenn fie Dejjen 
mehr hatten, als fie bedurften. Statt, daß fie große 
und ftattliche Häufer bauten, oder prächtige Geſpanne 
anfchafften, um mit zween oder auch vier Schimmeln 
zu fahren, widmete man folches, von Gott gejchenfte 
Geld, wieder zu Gottes Ehren an, entweder, um Spi— 
tale für Arme und Preßthafte zu ftiften, oder um Sir 
chen und Kapellen zur Vermehrung der Andacht zu 
bauen. Zu legterem frommen Zwecke beftimmte nun 
auch der genannte Schäfer feinen Geldſchatz, und be— 
Schloß, an demfelben Orte, mo. er dad Geld gefunden, 
dem Herrn zu Ehren, der ihm den Segen befcheert hatte, 
eine Heine Kirche oder Kapelle zu erbauen. Der Platz, 
wo der Schäfer den Schag ua foll über dem Fels 
gewefen feyn, nahe beim Walde; darum ließ er Steine 
und Alles, was man zum Bau einer Kapelle bedarf, 
dahin fchaffen. Schon waren die Steine behauen, und 
das Holz zugerichtet, und der Graben ausgeworfen, in 


125 


welchen das Fundament eingefegt werden follte, ftebe da! 
über Nacht wurden Holz und Steine hinüber gewälzt 
bis an das Ufer der Jagſt und Niemand mußte, wie 
es gefchehen war. Demungeachtet wurden Holz und 
Steine wieder auf den Felfen hinauf gefchafft und das 
Fundament eingefegt. Am Morgen lagen Die Steine 
wieder unter dem Felfen, jedoch nicht mehr unter und 
übereinander, fondern an Der Stelle, wo jeßt die Ka— 
pelle fteht, und zwar gerade fo aufgefeßt und geordnet, 
wie das oben fchon eingefegte Fundament geftanden 
hatte. Da verbrach fich der Stifter Der Kapelle nicht 
mehr Den Kopf über der Sauce; er ließ auch Feine 
Steine in der Nacht auf den früheren Plag mehr ftellen, 
um zu erfahren, Durch weſſen Hand Solches gejchehen 
war, denn damals glaubte man noch mehr, al jet, 
an das Walten unfichtbarer Mächte. Darum wollte er 
Diefer unfichtbaren höheren Gewalt nicht widerftehen, 
fondern er erfannte darin Gottes Willen, daß Die Ka— 
pelle nicht über, fondern unten am Felſen im Tieblichen 
Thale erbaut werden follte. Alsbald ließ der Stifter 
auf dem Vundamente, Das eine unfichtbare Macht ein— 
gefeßt hatte, fortbauen, und die Kapelle gedieh fo ſchnell 
bis zum Giebel, daß Jedmänniglich erkennen mußte, wie 
der Bau nicht nur Durch Gottes Willen, fondern unter 
feiner fichtbaren Unterflügung zu Stande fanı. Kein Ar— 
beiter wurde müde, fo fleißig er auch war, fein Schweiß 
rann von der Stirne der Steinmegen, ihre ganze Ar— 
beit war wie ein Spielwerk — Denn Der Kerr baute 
fein Haus. Als die Kapelle daſtand, fertig und vol- 


127 


lendet His zum Ihürmlein, in dem das Glöcklein Klang, 
da trat der fromme Schäfer freudig über die Schwelle ; 
er ftellte das alte Schnigbild des heiligen Wendelins 
-auf den Altar und fprach mit freudethränendem Blide: 
dem Schugpatron der Hirten foll die Kapelle geheiliget 
jeyn, denn ich bin ein Schäferemann! Dann fniete 
er nieder an den Stufen des Altars, über dem Das Bild 
des Gefreuzigten aufgerichtet war, und faltete jeine Hände 
zu einem andächtigen Gebet; er blickte auf zu dem Bil 
des Gefreuzigten, und von dem Bilde weg zu Demi, der 
nun erhöhet ift zur Herrlichkeit feines Waters, Die ihm 
von Ewigkeit ber bereitet ifl. Die Kapelle wurde bald 
darauf von dem Bifchof zu Würzburg feierlich geweiht 
zu Ehren Wendelins des Gottesheiligen. Seitdem hieß 
ſie die Kapelle St. Wendels zum Stein, zum Un- 
terfchied von andern Kapellen der Umgegend, die den— 
jelben Heiligen zum Patron haben ; fie wurde alljährlic) 
am Tage des heiligen Wendelin von Schaaren frommer 
Mallfahrer befucht. Aber am häufigften wallete Der 
fromme Schäfer zu Der von ihm geſtifteten Kapelle. 
3a, al3 er alt und ſchwach war und feinem Berufe 
nimmer abwarten Eonnte, zog er für immer in die Nähe 
der Kapelle, Denn er hatte weder Weib noch Kinder. 
Er baute von der Habe, Die er noch befaß, ein Eleines 

äuslein, das noch ftehende, in dem der Kapellenmann 
wohnt, und widmete fich dem Dienfte in der Kapelle. 
So oft der Frühmeßner von Dörzbach darin die Mefie 
las, abminiftrirte er als Sakriſtan; auch Täutete er das 
Glöcklein auf dem Thurme des Morgens und des Abends 


128 


und gar mancher Wanderer, der auf der Straße über 
der Jagft vorüber ging, betete beim Klange des Glöck— 
leins andächtiglich fein Ave Mergen. ines Abends, 
an einem Falten Wintertage, Täutete er das Glöcklein, 
aber er that nur einige Züge am Strange, und Die 
Töne verffangen, wie die traurigen Töne eines Todten— 
glökleins. Am andern Morgen tönte das Glöcklein 
nimmer. Als einige Leute von Dörzbach auf die Ka— 
velle famen, lag der fromme Kapellenmann erflarrt an 
den Stufen des Altars, über den Strang des Glöckleins 
fromm die Hände gefaltet. Noch einmal flang das 
Glöcklein traurig, als man es läutete über des Kapel- 
lenmanns offenem Grabe neben der Kapelle. — Zum 
dritten Mal Flang es traurig, und dann nimmer. Als 
nämlich nach der Reformation der Gottesdienft in der Ka: 
yelle nach und nach in Abgang Fam, wurde auch das Ge— 
läute immer feltener. Da fanden die von Dürzhach es für 
gut, Das Glöcklein von hellem Metall in ihrer Kirche 
aufzubängen. Aber als man es zum erftien Mal an— 
zog, ließ es einen ſchrillenden Klagelaut vernehmen, und 
verftummte: es war von oben bis unten zerjprungen. 
— Erſt feit neuerer Zeit hört man wieder Morgens 
und Abends eines Glöckleins Klang. Edle Freundin= 
nen der Kapelle find vor Jahren freundlich zufammen- 
getreten und haben ein neues Glöcklein geftiftet. 4. 








„ 123 
| X. —* 
Schloß Magenheim 


im Zabergäu. 


Auf einem nördlichen Vorſprung des Michelsbergs, 
rückwärts durch eine ſchroffe Kluft von dieſem getrennt, 
oberhalb des Dorfs Kleebronn, liegt das Schloß Magen— 
heim, das dem Grafen von Uexküll feine Wiederherſtellung 
im antifen Style verdanft. Es ruht auf einer gewalti— 
gen Belfenmaffe, bat ſehr diefe und hohe Mauern von 
Bodelfteinen, und auf der Südſeite unten gothiſche 
Fenſter. Im Erdgefchoffe, wo fich dermalen ein Keller 
befindet, fcheint früher ein großer Saal gemefen zu feyn, 
auch auf der fihon genannten Südſeite eine Kapelle. 
Ein mafftver vierefigter Thurm, in gleicher Höhe 
mit dem Schloffe, enthielt ein tiefes Burgverließ, wurde 
ſchon vor Jahren abgebrochen, und die Steine davon 
wanderten nach Erligheim. Auf der Burg genießt man 
eine fehöne Ausficht über den Zabergau, den fie in al- 
tev Zeit beherrfchte. Cine zweite Burg fland in ur— 
alten Zeiten oben auf dem Michelöberg, Die zuerft Lu— 
naburg (castrum June, Mondburg) geheißen haben 

; fpäter, nach dem Abgang der Römer, nahm jte 
ein deutſcher Häuptling in Befig, und nannte fich nach 
ihr Herr von Monheim (Mondheim), Magenheim, was 
noch dadurch beftätigt wird, daß dieſes Gefchlecht zmei 
Halbmonde im Wappen führt. Wenn mir der unten 
9 


130 


folgenden Sage Glauben fchenfen dürfen, jo war Er— 
finger von Monheim, der ums Jahr 1134 zu Zeiten 
Kaifer Lothars II. Icbte, einer der erften dieſes Ge— 
fehlechtes, das von Mainz feine Lehen trug. Im Jahr 
41147 fo wie 1152 tritt ein Zaifolf von Magenbeim 
in einer Urfunde ald Zeuge auf. Im Jahr 1182 
wird ein Erfinger (miles, vir nobilis) genannt, der 
aber zuverläßig dieſem Gejchlecht angehörte. Cin An— 
drer Diefes Namens lebte im Jahr 1203 und ein Ul- 
rich von Magenheim zeugt im J. 1220. Drei Brüder 
von Magenheim, Erfinger, Conrad und Zailolf von 
Magenheim , treten im Jahr 1231 auf. Von ihnen 
lebten Conrad noch im Jahr 1279 und Erfinger noch 
im Jahr 1287 mit zwei Söhnen Ulrich und Erfinger. 
Diefe Herren von Magenheim befaßen viel Dörfer, Ze= 
benten und Leute im Zabergau, unter andern auch Die 
Stadt Bönnigheim. Aber im Jahr 1288 veräußerten 
fie einen großen Theil ihrer Beftgungen, namentlich 
verfaufte Herr Conrad von Magenheim, der auf der 
oberen Burg faß, dieſe, jo wie die Stadt Bönnigheim 
und das Dorf Ramspach an König Rudolf von Habs— 
burg, der Alles das im Jahr 1291 feinem natürlichen 
Sohn Albrecht zu Eigen übergeben. Jedoch hatten die 
von Magenbeim- noch viele beträchtliche Befißungen im 
Zabergau, wenn auch eine der Stammburgen, ſowie 
die Stadt Bönnigheim veräußert war; beſonders wa— 
ren ſie noch begütert zu Güglingen: und im Jahr 1298 
nennt ſich Ulrich von Magenheim Herr zu Brackenheim. 
Im Jahr 1309 ift Erfinger von Magenbeim, ein Cohn 


131 


des älteren Erchinger, Inhaber der Stadt Brackenheim. 
Im Jahr 1320 verzichtet Zaifolf von Magenheim ges 
gen Heinrich von Cberftein auf feine Rechte, Die er 
hatte an die Stadt Güglingen, die Burg Blanfenhorn 
umd Die dazu gehörigen Leute; und das Jahr Darauf 
verfaufte er an den Marfgrafen Friedrich von Baden 
feine Burg Dchfenberg, die Dörfer Leonbronn, Michele 
bach, Zaberfeld, Ober-Ramſpach, Damp und den Hof 
zu Flehingen um 2200: Pſund Seller. Derfelbe ver= 
äußerte im Jahr 1341 an Graf Ulrich von Würtem- 
berg fein Gut zu Nieder-Ramſpach, Leut und Gut, 
auch den Kirchenfag und was dazu gehört, eigenthüme 
lich, um ein gewiſſes Leibgeding. Zaifolf von Magen- 
heim hatte fünf Söhne: Erfinger, Wilhelm, Ulrich, 
Friedrich, Heinrich, von denen die vier leßteren alle in 
geiftlichen Stand traten. Im Jahr 1367 verzogen ji 
diefelben all ihrer Anfprüche, Die fie von ihres Vaters 
und Erfingers ihres Bruders wegen, befonderd an die 
Burg Magenheim, die Stadt Bradfenhein halb und 
den Kirchenfag, To wie das halbe Dorf Kleebronn hatten, 
gegen Eberhard von Wirtemberg, dem Zaifolf und Er— 
chinger ihre Kerrichaft vermachten. Im Jahr 1399 
begab ſich Folgendes: „Als Zaifolf und Erfinger von 
9 nein alſo Hauß gehalten, daß von ihren fchönen 
ittern wenig mehr übrig blieb, fo faßte Erfinger den 
 Entfeluf, bei denen von Heilbrun fich bürgerlich ein— 
zulaßen. Diele ſchickten nun ihren Büttel nach Bra— 
ckenheim, wo fich Erfinger bisher aufgehalten, Daß man 
ih da beleuten (ihm Durch die Glocke Etwas verfündigen) 


132 


follte. Darüber wurde dem Büttel von den Braden- 
heimern ein Ohr abgefchnitten, als ver fich fremder 
Obrigkeit Sachen, die ihm, oder auch denen, die ihn 
abgefertigt, nicht gebürten, zu mifchen unterfangen.” 
Die von Heilbronn nahmen diefen Schimpf hoch auf, 
und flagten deßhalb gegen Graf Eberhard von Wür— 
temberg nebſt andern Punkten; da aber auch Diefer 
Manches gegen fie zu Elagen hatte, fo wurde auf einer 
Zagfahrt zu Bradenheim befchlofien, bei beiden Theilen 
jollten Schaden fgegen Schaden feyn. Der Lebte von 
Magenheim war der ſchon genannte Hemrich, Zaiſolfs 
Sohn, welcher noch im Sahr 1408 als Commenthur 
zu Rexingen lebte. Go endete das alte Gefchlecht der 
Herren von Magenheim, welches einft Durch Den Reiche 
thum feiner Befigungen und den Glanz feiner Verbin- 
dungen eine wichtige Rolle fpielte, Doch feltfamer Weife 
nie bei einemQTurnier genannt wird. Durch unflugen 
Haushalt und Freigebigkeit, beſonders an Die Kirche, 
war das edle Gefchlecht fo frühe herab gefommen. 
Bon den Schiefalen der Burg Magenheim wiffen 
wir nur fo viel, daß fie im Jahr 1360 zerftört wurde. 
ALS nemlich Serzog Nuprecht von der Pfalz in Kriege 
gegen Graf Eberhard von Wirtemberg mit Heeresmacht 
durchs Zabergau zog, und an die dreißig Dörfer und 
Schlöffer verheerte, mußte auch das Schlog Magenheim 
feinen Grimm erfahren, und wurde zerflört, wahrfchein= 
ich nur andgebrannt, denn es war ja fpäter wieder 
bewohnbar. Im Sahr 1566, da die Serren von Sach— 
jenheim das Schloß von Würtemberg zu Lehen trugen, 


133 


wurde wieder viel daran gebaut. Gegen das Ende des 
16. Jahrhunderts bauten Die von Liebenftein es wieder 
neu auf. 

Im Bereich des Schloffes Magenheim bewegt fich eine 
Sage, die wir wörtlich aus der fogenannten Zimmern’« 
chen Chronik (aus dem 16. Jahrhundert) entnehmen. 


Die Erfcheinung auf dem Stromberg. 


Herr Albrecht von Zimmern Fam zu mehr Malen 
zu Herzog Friedrich von Schwaben, feinem Herrn, Dies 
weil er bei ihm erzogen war, und allwegen eine bes 
ſondre Gnad gehabt. Zu einer Zeit, ald er abermals 
zu ihm geritten und einige Zeit bei ihm geweſen, bes 
gab es fich, daß Diefer Fürft mit feinen Graven und 
Herren, deren er in nit Eleiner Anzahl an feinem fürft- 
lichen Hof hatte, durch Kurzmweil ſpazieren ritt zu Gras 
- ven Erchinger von Monhaim, gen Monhaim in das 
Schloß, in den Zabergau gelegen, zu dem er vorhin 
mehr Malen fommen, in Anſehung, daß er gar fröhlich 
und furzweilig war mit Sagen und Allen, was einem 
edelgebornen Manne zu Kurzweil ziemt und gebührt. 
Sein Gemahl war eine Pfalzgrävin von Tübingen, 
Frau Maria genannt ; hatten mit einander zwo Töchter 
und feinen Sohn, war auch) fonft Fein Grave mehr 
Diefes Sefchlechts. Nun war ein großer luſtiger Wald, 
der Stromberg geheißen, allernächft dem Schloffe gelegen, 
darin viel Zeit her ein Hirfch, Dep Größe zu verwundern 


134 


war, gefehen worden, und Doch von denen Jägern und 
Dienern dieſes Grafen nie mochte gefangen werden. 
Begab ſich aus Schifung des Glüfd und Verhängniß 
Gottes, daß jetzund, dieweil Herzog Friedrich da mar, 
der Hirſch abermals gefunden ward, daß der Herzog 
und alles Hofgefind, auch Örave Erchinger von Mon- 
haim fonderlich erfreuet, und ritten hinaus gewönlich in 
guter Anzahl. Nun begab ficb, daß Herr Albrecht von 
Zimmern an ein fonder Ort auf dem Holz ritt; indem 
ftef vor ihm bin ein großer Schöner Hirfch, Defgleichen 
er vorbin nie mehr gefehen hat, feßet derhalben an ihn, 
in der Meinung, den zu erreiten; rannt dem fd lang - 
nach Durch den Wald, der faft lang und breit war, 

Daß er ihn nit mehr erfehen mocht, auch nit willen, 
wohin er hinfommen. Indem begegnet ihm ein Mann 
gar in ernftlicher und forchtlicher Geftalt. Wiewohl er 
nun fonft fein verfchrosfner Serr war, fo erjchraf er 
doch ob dieſem Menſchen oder menfchlicher Geftalt über 
die Maßen, und bezeichnete fich mit dem Zeichen des 
heiligen Kreuzes. Der inmenfchlicher Geftalt, jo vor 
ihm fand, fieng an zu reden und fprach: er dörfte fich 
fürchten, dann er märe von Gott dahin verordnet, ihm 
Etwas zu offenbaren; er jollte auch mit ihm reiten, jo 
wolle er ihm Abenteuer zeigen, dergleichen er vormals 
nie geſehn, es ſolle ihm auch nichts Schädliches an 
feiner Seele oder an feinen Leib in feinem Weg bes 
gegnen oder widerfahren. Herr Albrecht von Zimmern, 
als der hört, daß er von Gott redet, bewilliget, mit 
ihm zu reiten. Die Perfon gieng vor ihm Hin, Als 


135 


brecht folgte ihm nach. Als fienun, feines Bedünfeng, 
aus den Holz famen, fabe er die allerfchönften Wiefen 
und Iuftigfte Gegend, auch daſelbſt ein Schloß mit vie— 
len Thürmen und großer Köftlichfeit erbaut, dergleichen 
er vormals alle feine Tage nie mehr gejeben. Als fie 
nun zu dem Schloöß kamen, begegneten ihnen viele Leute, 
ala Knecht und Diener, alle ftilfchweigend, die ihm 
jein Pferd empfiengen. Der erfte, fo im Anfang mit 
ihm kommen, jagt: er dürfe fich des Schweigens nit 
verwundern, mit Niemanden auch nit reden, dann mit 
ihm, und feklich thun, was er ihn hieße. Hiemit kamen 
fie in das Schloß, da ward er geführt in einen fehönen 
weiten Saul; da faß ein Herr mit feinem KHofgefind 
zu Tiſch, melcher alsbald mit denenfelbigen allen gegen 
Herren Albrecbten aufitand, und neigten fich mit ihren 
Häuptern, ald ob fie ihn wollten empfahen und Ehr 
erbieten; fegten fich Darnach wiederum nieder, als ob 
fie äßen und tränfen. Herr Albrecht ftand alfo mit - 
feinem Schwerdt, das er in feinen Dänden hielt, und 
in feinem Weg von ihm laſſen wollte; befahe, wie 
ein föftlich Credenz- Efjen und anderes da war, body 
Alles fo ſtillſchweigend, daß er fich deſſen höchlich ver- 
wunderte. Als er nun eine gute Zeit allda geftanden, 
und alle Dinge nach Nothdurft befichtiget, audy der 
fißend Kerr famt feinem Hofgefind für fi) aß, und 
ſich Niemand feiner weiter dann, wie gehört, annahın, 
fagte der, fo ihn anfänglich befommen und ihn in das 
Schloß geführt: er follte gegen den Herrn und feinem 
Hofgefind mit dem Haupt neigen, dann er ihn wie— 


136 


derum hinaus und von dannen führen wollte Nach— 
dem nun Solche gefchehen, und der Kerr, auch alles 
fein Gefind ihm mit Aufftehen und dem Hauptneigen 
wiederum Ehre bewiejen, wie im Anfang, als er erft- 
lichs kommen, gefcheben, führet er ihn wiederum für 
das Thor, da alsbald die, fo ihm vormals fein Pferd 
empfangen, ed wiederum darjtellten, und ihm ftillfchmei- 
gend aufhalfen, darnach wiederum in das Schloß giengen. 
Alsbald er nun für die Pforten Fam, und fein Schwerdt 
wieder zu ihm gegürtet, führet ihn fein Gefell den Weg 
hinaus, den fie anfänglich binan geritten waren. Als— 
bald fie zu dem Wald, der Stromberg geheißen, ka— 
men, fprach der Geift: Dich mag nun Diefes Schloß 
und das, fo du darinnen gefeben haft, wohl Wunder 
nehmen. Antmortete ihm Here Albrecht: es denke ihn 
das größte Wunder, das er alle feine Tage gefehen, begehrt 
darauf ernftlich, Daß er ihm mollte anzeigen die Bedeut- 
niß, was dieß Alles wäre. Darauf der Geift fagte: Der 
Herr, den du da gefehen Haft, ift deines Herrn Vaters 
Bruder gemefen, ein chriftlicher frommer Herr, der viel 
wider die Ungläubigen geftritten bat. ber ich und 
Andere, ſo du gefehen, feyn feine Diener und fein Ans 
- hang gemwefen, und leiden die allergrößte unfägliche Bein, 
die mit Worten nit mag ausgefprochen werden, um 
deßwillen, daß er in feinem Leben die armen Leute gar 
hart geplaget, denenfelben das Ihre unbilliglich, Etlichen 
gewaltiger Weile abgenommen, und daffelbige wider. Die 
Ungläubigen gebraucht hat. Dazu haben wir ihm Alle 
gerathen und geholfen, in dem num gräßlichen Unrecht 


137 


gethan, und müfjen alle darum leiden, fo lang bis Gott 
ein Genügen hat. Diefes- Alles Haft du um Gott ver- 
dient, Daß es dir zu wiffen gethan werde, um Dich vor 
dDiefer und auch andern Sünden zu hüten und dein Les 
ben zu beffern. Nun muß ich mich jegund von dir 
jcheiden, fprach er, und zeigt ihm den Weg, wo er Durch 
den Wald wiederuns fommen wollt. Doch mußte er 
fich zuvor umfehren und befehen, wie der vorig Luft 
fich fobald in Kummer und Jammer verkehret hätte. 
Damit verfehwand er” vor ihm. Herr Albrecht Fehret 
fih um, fahe das vermeinte Schloß und alle vorige 
Schönheit, eitel Feuer und flinfenden Schwefel und 
Pech, hört auch das allerfläglich Gefchrei und Weinen, 
darob er einen folchen Schreden empfieng, der mit Wors 
ten nit gefagt werden mag. Nichtsdeftoweniger fehrte 
er fich der Gegend zu, die ihm der Geiſt gewiefen, und 
kam in kurzer Zeit wiederum zu Herzog Friedrichen 
und Grave Erchingern, von denen er nicht Teicht mehr 
erkannt worden, in Anſehung feiner fehnellen und kur— 
zen Veränderung, dann fein Haar und Bart, wiewohl 
er der Jahren nit fo alt, ganz weiß worden, darob 
fie ein groß Verwundern hätten. Nachdem er ihnen 
aber anzeigte die Urſach, was ihm die Weil begegnet, 
anfänglich mit dem Hirſch, darnach mit dem Geift in 
menfchlicher Geftalt, wie er ihn geführt und was großer 
Angft und Noth er darnach gejehen, hatten fie noch) 
mehr Verwundern, empfiengen darob eine große Furcht, 
und ritten alsbald mit Schwermüthigfeit wiederum auf 
Monhaim Herr Albrecht erfuchte Grave Erchingern 


138 


von Monhatınm gar ernitlicben, dieweil ihm Diefe Aben— 
teuer in feiner Grafichaft begegnet, daß er ihm ver- 
gönnte, der Enden eine Kirche zu bauen, welches Grave 
Erchinger nit allein gütlichen bewilligt, ſondern mit 
Gefallen feines Gemahls begab er fich, hierin zu vathen 
und zu helfen, daß da ein Frauenflofter gebauen wurde, 
darin Gott ewiglichen gelobt und geehret würde. Nit 
weniger bemwilligten fich Herzog Friedrich von Schwaben, 
ihmen beiden Hilf und Steuer zu thun, Damit Das 
Gotteshaus fürderlich erbaust würde, und folch Erbieten 
erjtattet er mit ganzen Treuen; dann er etlich Zehen- 
ten, jo fein eigen waren, und Anderes dazu verordnet 
und vergab, und war folches Klofter dem Schloß gegen 
über gebaut und Frauenzimmern geheißen. — Die 
Geſchicht hat fich ereignet, al3 man zählet nach Chrifli 
unjers Seeligimachers Geburt eintaufend einhundert und 
vier und dreißig Jahr, ift auch von Herrn Conraden 
von Manfchbach, Rittern, Yandgraf Wilhelms von Kefjen 
Zandhofmeiftern, der Golches in einem gar alten Buch 
gelefen, dermaßen angezeigt worden. 


139 


XI. 


Die St. Martinskirche und das Stift 
| zu Sindelfingen. 


Unter die älteften Kirchen unſers Vaterlandes gehört 
die St. Martinsfirche zu Sindelfingen. Sie wurde in 
einem und demfelben Sabre (1083) mit der Kapelle auf 
Burg Wirtemberg eingeweiht. Die Kirche ift, abge 
rechnet geringere Veränderungen, noch Diejelbige, wie 
fie am Ende des 11. Sahrhundert3 erbaut worden, 
und gibt Zeugniß, dag auch Wirtemberg manche Bau— 
denfniale aus der älteften Zeit aufzumeilen bat. 

Die Grundform der Martinsfirche iſt Die Der älteften 
chriftlichen, nach römischen Grundlagen erbauten Kirchen, 
der fogenannten Bafilifen, Sie hat ein Mitteljchiff 
und zwei Geitenfchiffe, die ſich im Oſten mit drei halb— 
runden Chorniſchen fchliegen. in eigentlicher Chor— 
raum fehlt der Kirche, indem derfelbe in das Mittel: 
ichiff verlegt if. Die Geitenmauern des hohen ‚» aber 
ſchmalen Mittelfchiffs, ruhen auf feharffantigen Arka— 
denbögen, die von vierzehn vieredigten, an ven Ecken 
durch Dreiviertelsfäulen abgerundeten Pfeilern getragen 
werden. Zwiſchen diefen, mit Würfelfnäufen verfehenen 
Dreiviertelsfäulen, tritt je ein Stück Pfeilergeſims her— 
vor. Die Seitenfchiffe mit hohen rundbogigen Fenjtern 
find etwa- um die Hälfte niederer, als das mit kleinen 
Rumdbogenfenftern verfehene Mittelfchiff, und haben, wie 


140 


dieſes, eine flache Dede. Die, urfprünglichen Fenſter 
an dem füdlichen GSeitenfchiffe find zum Theil in ob- 
longe verwandelt worden. Bon den mit KHalbfuppel- 
gewölben bedeckten Abſiden bat Die mittlere Drei ſpitz— 
bogige Fenſter, die wohl erft fpäter in folche verän- 
dert wurden, die beiden Seitennifchen dagegen haben je 
ein rundbogiges, in der urfprünglichen Geftalt erhalte 
ned, Venfterchen. Das Innere der Kirche bietet wenig 
Intereffantes. Sie ermangelt eines jeglichen Bildwerfe. 
Nirgends fieht man ein freiftcehendes Sfulpturwerf, ein 
Relief oder auch nur das geringfügigfte Ornament; 
ja wo Das Tegtere zur Sonderung, zum Abjchluß. oder 
der Bezeichnung architeftonifcher Theile unbedingt noth— 
wendig erfcheint, ift e8 von einer beinahe herben, rohen 
Einfachheit. Allein von Bedeutung ift der aus grob— 
förnigtem Sandftein in Form eines Tifches gefertigte 
Altar, mit einer einfachen, auf vier runden ſchmucklo— 
jen Säulen ruhenden Steinplatte; er hat zwar. feinen 
Kunſtwerth, ift aber megen feiner Cinfachheit und ur— 
iprünglichen Form, wie fie zur Zeit der Einführung 
des Ehriſtenthums üblich war, einer der merfwürbigften 
in Mirtemberg. In der Mitte des Altars befindet ſich 
eine oblonge, gegenwärtig zugemauerte Oeffnung, unter 
der früher der Behälter für Reliquien angebracht war, 
deren die Kirche ſehr viele beſeſſen. Dieſer Altar ſtammt 
aus der Zeit der Erbauung der Kirche. Die in go— 
thiſchem Styl gefertigte Kanzel iſt aus viel ſpäterer 
Zeit. — Im erſten Jahrzehent dieſes Jahrhunderts, 
da der Verfaſſer dieſer Blaͤtter im der Kirche ſeiner 


141 


theuren Vaterſtadt noch aus- und eingieng, waren 
die Wände der Kirche nicht fo kahl und kalt, wie in 
unfern Tagen. Ueber den Nrfadenbögen waren Die 
zwölf Apoſtel mehr als Iebensgroß angebracht „ lauter 
Bilder von Kunftwertb und hohem Alter. Eine den 
Bildern feindliche Zeit hat dieſe ebrwürdigen Gemälde 
übertüncht, und den Wänden den Schmuck genommen, 
der denn Auge der Alten und Jungen jo wohlthuend 
war. uch jenes große Presfogemälde oben auf der 
‚Empore, wo die alte, mit ſchönen Holzgemälden gezierte 
Orgel geftanden, ift verſchwunden. Wie oft ftand der 
Berfaffer ald Knabe voll ernfter Betrachtung vor dem 
‚Gemälde, das, wie aus der Divina Comedia des 
herrlichen Dante entnommen, den Zuftand der Ver— 
dammten Darftellte, wo der Fürft der Hölle, als ein ko— 
foffaler grüner Froſch dargeftellt, Die Kinder der Ver— 
dammnig auf einem Karren in den Schwefelpfuhl führe 
te. — Don all dieſen Freskogemälden ift nur einem 
einzigen Gnade widerfahren, es ift jenes, Das noch nee 
‚ben der Sufriftei zu ſehen ift, und Den Erbauer der 
Kirche Graf Asimbart zeigt, wie er Das Bild ver Kirche 
in der Hand hält. Schade, daß ein Schmierer, jtatt ein 
Albrecht Dürer, das chrwürdige Gemälde reftaurirt 
bat. Außer dieſen Fresfogemälden waren auch andere 
an den Wänden angebracht ; eines hing nicht fern von 
der Kanzel, und enthielt auf Einer Tafel von Holz 
‚die gut gemahlten Bruftbilder der ‚regierenden Herzoge 
‚von Wirtemberg, von Eberhard im Bart bis Eberhard 
IH. Als es aus der Kirche verbannt wurde, lag es 










142 


Tange im Staube der Bühne, bis ihm ein würbigerer 
Plag im Bürgerfaale des Rathhauſes angewiefen wurde, 

Un der nördlichen Seite der Kirche ift Die maffive, 
mit einen Kreuzgewölb verfehene Sakriſtei angebaut, 
in der zwei im Nenaifjanceftyl gefertigten Schränfe ent 
halten find: Im einem derfelben wird ein fehr altes 
meſſingnes Taufbecken aufbewahrt. 

Das Aeußere der Kirche iſt ebenſo einfach wie das 
Innere; die glatten Wände des Schiffs haben außer den 
Rundbogenfenſtern unter den Dachgeſimſen keine Ver— 
zierungen. An den Dachfrieſen der Abſiden fehlen dieſe 
Rundbogen, und nur eine ſchmale Verzierung von ne— 
ben einander geſtellten, die Ecke gegen Außen gekehrten 
Würfeln ziehen unter dieſen hin. Dagegen laufen Halb— 
ſäulen an ihnen hinauf, welche blinde Arkaden über 
den Fenſtern und den dazwiſchen liegenden Räumen 
tragen. Die Giebelſeite des Mittelſchiffs ragt über die 
Halbkuppeln der Abſiden bedeutend hervor und bat 
außer einem vertieften griechifchen Kreuz in dem ſtumm— 
winkligen Giebelfelve feine Verzierung. An der vorderen 
weftlichen Giebelfeite, wo im Giebel das gleiche Kreuz 
angebracht ift, befindet fich der urfprüngliche Hauptein— 
gang, deſſen Gewände fich in ſchmuckloſen rechten Win» 
feln abftufen. An der füdlichen Seite des Langhaufes 
fteht ein mafjiver Bau mit zwei Stocdwerfen, von des 
nen das untere mit einem vrippenlofen Kreuzgewölbe 
bedeckt iſt. Durch diefe Vorhalle, die ehmalige Tauf— 
Fapelle, noch jegt das „Wortzeichen" (sacramentum) 
genannt, gelangt man zu einem fpigbogigen Gingang 


143 


in Die Kirche, der, obwohl einer fpäteren Zeit angehö— 
rig, an feiner hölzernen Thüre ein jehr fehön gearbei- 
tetes DBroncebefchläge mit Löwenkopf im romanifchen 
Style zeigt: Das obere Stockwerk mit flacher Dede 
bat zwei fich gegen das füdliche Seitenſchiff öffnende 
rundbogige, Durch einen Pfeiler verbundene Arfaden, 
und an der öftlichen eine große Nifche, die nach Außen 
auf einem von überfragenden Wulften gebildeten Fuß 
balbrund hervortritt, und eine Ereisrunde, nach Innen 
vermauerte Deffnung enthält. 

Unter dem in das Mittelfehiff verlegten Chorraum 
der Kirche befand fich in alter Zeit die Gruftkirche 
(Kıypta) , deren noch zugemauerte Penfter von Au— 
Ben fichtbar jind. Noch kann fich der Verfaſſer einer 
Zeit erinnern, da man durch einen num bededten Gang 
in die Gruftfirche binabfteigen konnte. Hier» ift die 
Begräbnißftätte Der meiften Pröbſte und Gtiftsherren, 
über deren leider unlesbaren Grabmalen in der Kirche 
der Fuß Ddahinfchreitet. Viele Adelige Der Umgegend 
liegen gleichfalls in dieſer Krypta begraben ; unter An: 
dern foll auch Hans von Hutten, von der Stätte, wo 
er unter den Händen des zornmüthigen und vachjüchtis 
gen Kerzog Ulrichs von Wirtemberg fiel, bieher gebracht 
worden jeyn. 

Der maffive vierecfigte Thurm der Kirche mit hohem 
ſechsſeitigem Zeltdach hat nur oben rundbogige Fenſter, 
welche, obgleich theils zugemauert, theild verändert, fein 
bobes Alter beurkunden. Er ſtand urfprünglich frei 
von der Kirche, und wurde erft fpäter Durch einen ver— 


144 


mauerten Gang mit ihr in Verbindung gebracht. In 
feiner Glockenſtube hängen vier Öloden, von denen. Die 
größte die Jahrzahl 1450 trägt, die. beiden andern 
find fehr alt, und tragen nur die Namen der vier 
Apoftel ohne Jahrzahl; Die vierte ift vom Jahr 1796. 

Ueber die Erbauung der Martinsfirche gibt eine von 
einem Mönche in lateinifcher Sprache gefchriebene Chro= _ 
nit genauen Bericht, dem wir noch Einiges aus andern 
Chroniſten über die Gefchichte des Klofterd zu Sindel— 
fingen beifügen. 

In der Mitte des 11. Jahrhunderts lebte Graf 
Adalbert II. von Calwe, zubenannt Atzimbart (Abo 
der Pärtige) auf feiner Burg oberhalb dem Flecken 
Sindelfingen, mit feiner Gemahlin Wilifa, einer Tochter 
des Herzogs Gottfried von Niederlothringen (Bouillon). 
Um frühere Bergehungen an Der Kirche wieder gut zu 
machen, hatte er, auf Antrieb feiner frommen Gemahlin, 
das Klofter Hirfau von Neuem erbaut. Im eben dem 
Sinne errichtete er im Sahr 1059 auf feinem Grund 
und Boden zu Sindelfingen ein Benediftinerflofter, und 
ließ, um dieſes zu vollführen, die Mauern feines Schlofjes 
abbrechen. Schon um diefe Zeit mag die erfte Kirche 
von Fleinerem Anfang erbaut worden ſeyn. Als Graf 
Abo im Jahr 1066 die Mönche des Klofterd nach 
Hirfau verfeßte und an ihrer Stelle weltliche Chorher— 
ren berief, wurde mohl ein Bau in großartigerem Style 
begonnen, der den 4. Juli 1083 von dent Erzbifchof 
Gebhard von Salzburg und dem Bifchof Adalbert von 
Würzburg, dem heiligen Martin zu Ehren, geweiht 


145 


wurde. Aber auch- da war fie noch nicht vollendet, 
denn erft im Jahr 1110 wurde die Gruftfirche durch 
den Bifchof Gebhard von Conſtanz in Anweſenheit des 
Biichofs Adalbert von Worms zu Ehren der heil. Dreiei- 
nigfeit, der Geil. Maria und abſonderlich Des heil, Jo— 
hannes eingeweiht. Die Oberaufficht über die Kirche 
‘ wurde dem jeweiligen Bifchof von Conſtanz übertragen, 
und erhielt er dafür jährlich eine Viertels-Mark Sil— 
ber. Die Schirmvogtei des Klofterd übernahmen Die 
Herren des Fleckens, Die Grafen von Calwe. 

Graf Adalbert erbaute zunächſt an Die Kirche ein 
Haus für ſich und feine Gemahlin, in welchen er bis 
an ihren Tod (1093) wohnte. Im Jahr 1095 dar- 
auf nahm er das Mönchsgewand, und flarb im Klofter 
Hirſau im Jahr 1099. Er und feine Gemahlin Tiegen 
zu Sirfau begraben. Nach Beider Tod famen die Calw'- 
ſchen Befigungen an ihren Sohn Gottfried, und von 
diefem an Herzog Welf VI., den Gemahl feiner Toch— 
‚ter Uta. Durch dieſes Vermächtniß glaubte - fich Gott⸗ 
frieds Neffe, Graf Adalbert IV. von Calw, in ſeinen 
Rechten und Anſprüchen verkürzt. Er überfiel den 
Welf in ſeiner Burg Sindelfingen, nahm die Beſatzung 
gefangen und brannte den Flecken nieder. Dieſe Burg 
des Welfen war wohl jener neue Wohnſitz, welcher in 
‚demjenigen Theil des Fleckens erbaut wurde, der in ber 
jpäteren Stadt zunächfi an der Mauer belegen, noch 
bis in die neuere Zeit ven Namen „in der Burg” führte. 
— Gegen die Mitte des 13. Jahrhunderts finden wir 
Sindelfingen und die Schirmvogtei über das Stift im 

10 


146 


Bei der Pralzgrafın von Tübingen, von denen Rus 
dolf im Jahr 1274 dem Flecken bei Kaiſer Audolf 
Stadtgerechtigfeit erwarb. Von den Bfalggrafen von 
Tübingen kam Sindelfingen im Jahr 1326 an die von 
Nechberg, und von Diefen mit der Vogtei des Gifts 
im Jahr 43514 an die Grafen von Wirtemberg. Letz- 
teres hatte feit jeiner Gründung bis in die Mitte des 
15. Jahrhunderts an Befigungen und Einfünften be 
deutend zugenommen, fo daß es für eines ver reichiten 
der Gegend galt, und die Stelle eines Brobfies zu 
Sindelfingen felbft von Berlonen des höchiten Adels 
eine fehr gefuchte war. Das kam gar gelegen Dem 
Grafen Eberhard im Bart, als er die Univerfität zu 
Zübingen im Jahr 1477 gründete Er erhielt von 
Pabſt Sirtus IV. die Erlaubniß, zwei Triitheile Der 
Einfünfte des Stifts für die Ausftattung der neuge— 
gründeten Univerjität zu verwenden. Das Stift ge 
radezu aufzuheben, wäre nicht angegangen, darum er— 
richtete Eberhard mit einigen wenigen Abfällen des alten 
ſtiftiſchen Beſitzes, ſtatt des früheren weltlichen, ein re— 
gulirtes Chorherrn-Stift, und verſchrieb ſich dazu friſchen 
Saamen aus einem reformirten Auguſtiner-Kloſter. 
Trotz dem, daß das Stift zu Sindelfingen in Folge 
folcher Veräußerung feiner Befigungen und Einfünfte 
gar Viel verloren, war e8 doch noch im Anfang des 
16. Jahrhunderts ein nicht umnbegütertes Convent. 
Denn als Herzog Ulrich von Wirtemberg auf feinem 
Zuge zur Wiedereroberung feines Landes mit feinen 
Schweizern über Eindelfingen zog, thaten ſich diefe 


147 


drei Tage lang recht gütlich im Stifte; darüber be= 
richtet der fchweizerifche Ritter Hans Stockar gar naiy 
in feinem Tagebuch: „wir lagen da dri Tag ftill, und 
tranfen den Mönchen im Klofter in der VBorftadt ihren 
Min und Bier us, und hielten den Mönchen wild 
Hus, denn es ein rich Klofter if.” Nach der Refors 
mation wurde das Stift aufgehoben. 

Von den ehemaligen reichen Stift bat ſich nur 
Weniges erhalten, das deutlich an fein früheres Da— 
ſein erinnert. Es ſind die an die Martinskirche zu— 
nächſt anſtoßenden Gebäude, welche im Laufe der Zeiten 
mancherlei Veränderungen erlitten haben; fie find mit 
einer alten Mauer umgeben und führen nod) den 
Namen „Kloſterhof.“ Das eigentliche Convent war 
wohl Das mit der Kirche fo eng verbundene jegige 
Kameralamtsgebäude, von deſſen oberem Stocwerf man 
in die Kirche eintreten fann. Da war auch die 
Wohnung, welche Graf Atzo, nachden die Burg auf 
dem Berge abgetragen war, für ſich und feine Ge— 
mahlin einrichtete. — Ueber den Cingang zum Klo— 
fterhof findet fich noch eine gut erhaltene alte Gedächt- 
nigtafel, auf welcher in erhabener Arbeit vor dem Bilde 
des Erlöfers ein Ritter und eine fürftliche Frau im 
altdeutfcher Tracht fnieen. Die Infchrift in alter Moͤnchs— 
fchrift lautet: 

Illustrissima dna Mechtildis nata Palentina 
Reni ac Archiducissa Austriae et illustris Eber- 
hardus comes de Wirtemberg et ejusdem filius 
hujus saeri coenobii post prioris collegii transla- 


148 


tionemad Tuwingen restauratores atque canonieae 
regulae institutores anno domini MECCCLXXVH. 
Zu Deutfh: Die erlauchte Frau Mechtilde, geborne 
Pralggräfin vom Rhein und Erzherzogin von Defters 
reich, und Der erlauchte Graf Eberhard, ihr Cohn, 
Grneuerer dieſes heiligen Klofterd nach Verlegung des 
früheren Collegiums gen Tübingen, und Einrichter der 
Ganonifchen Regel im Jahr des Seren 1477. 

Noch weniger als vom ehemaligen Stifte hat ſich 
von der alten Calw'ſchen Grafenburg erhalten, aus 
deren Steinen Kirche und Klofter erbaut worden. Gie 
lag auf der nordöftlichen Seite der Stadt auf dem noch 
jest fogenannten Burghaldenberg (einem Vorberg der 
Schönbuchsterraffe) oberhalb dem großen ftädtifchen Gee. 
Es muß eine ftattliche Burg gemefen jeyn, wenn man 
einem alten Gemälde trauen darf, daS fammt dem Wap— 
yen der Stadt eine Pergamenthandſchrift v. I. 1560 
enthält und in einer treuen Kopie in der „Kleinen 
Chronik der Stadt und des Stifts Gindel- 
fingen® von Ottmar 8. 9. Schönhuth (Böb— 
Iingen 1834) zu finden if. Jetzt ift nur noch ein 
Theil des Burggrabens ſammt einigen Mauerreften 
vorhanden. Wie alle Nefte alter Burgen, fo find auch 
Diefe von Schaßgräbern Durchfucht worden. Auch Sa- 
gen knüpfen fi an den Burghaldenberg. Ein Hund 
mit feurigen Augen ſoll daſelbſt die vergrabenen Schäge 
hüten. Ein Wandrer ging in fpäter Nacht über Die 
Höhe, da die Burg ſtand — er fah einen Haufen 
glühender Kohlen, und eilte erfchrocden Davon; am 


149 


andern Morgen, als er wiederfehrte, um nach den 
Kohlen zu fehen, waren alle verfchwunden. — Die auf 
die Erbauung der Martinskirche fich beziehende 


Sage von der Glncke 


geht auf die Zeit des älteften Beflgerd der Burg, Graf 
Agimbart von Calwe, zurück. — Eines Tages, als 
- Graf Abimbart- ermüdet von der Jagd heimfehrte und 
fih niederlegte, hatte er einen Traum. Es däuchte 
ihm, als ob ein Mann in weißem Kleide vor ihm 
fände, der fprach: als ich auf Erden wandelte, bie 
ich Martinus, und nun bin ich unter den Seiligen 
Gottes. Dich babe ich erforen, daß du eine Kirche 
baueft, und ich will ihr Schüger feyn. Du follft abe 
brechen Die Mauern Deiner Burg, und aus den Stei— 
nen erbauen eine Kirche im Thal dort unten, wo der 
Flecken liegt. Zum Zeichen aber, wie es Gottes Wille 
ift, daß alfo gefchehe, will ich Dir offenbaren: es wird 
fich eine Glocke finden, die fehon lange in einem ſchlam— 
migten See verborgen liegt, Die foll der Erftling wer— 
den für das Gotteshaus, und ewige Zeiten foll fie 
bangen im Thurme Der Kirche. Alſo ſprach der Mann 
im weißen Kleide zu Graf Ba a da erwachte er 
son ſeinem Traume. 

Kaum graute der Tag, als ſchon Der Jaäger Des 
Grafen in's Gemach trat. Mein hoher Gebieter, ſprach 
er, laßt euch melden eine feltfame Gefchichte: Schon 


159 


feit manchen Tagen lauerte ih auf ein Wildſchwein, 
Das Nachts aus dem Walde Bricht und ringsum die 
Felder verheert. Auf einmal bin ich auf feine Spur 
fommen, und babe es verfolgt, ald e8 vom Raub in 
die Waldung heimfehrte. Das Wildſchwein flüchtete 
an den See, der mitten im Walde liegt, den man den 
Hinterlinger See heißt, von Dort aber wandte e& fich 
nach einer Stätte im Oeftrüppe nahe am Gee. Ich 
folgte ihm — fiehe da! es lag bei vielen Jungen in 
einer Höhlung , und der Rand ver Höhlung glänzte 
wie Metall. Ich unterfuchte es genauer, da war Die 
Höhle, in der dad Echwein mit den Jungen lag, der 
Bauch einer ungeheuren Glode, die das Schwein aus 
den See gewälzt hatte. 

Als der Jäger feinen Bericht ſchloß, erfannte der 
Graf die Wahrheit der Worte, welche im Traum an 
ihn ergangen waren. Alsbald fandte er Leute an den 
Hinterlinger See, ließ nachſuchen, und wirklich fand 
man die Glode, wie Der Jäger des Orafen berichtet 
hatte. Mit großer Mühe wurde Die Glocke aus dem 
Schlamme gezogen, und unter Jubel brachte man fie 
in den Flecken, wo die Kirche erbaut werden follte. 

Zur Stunde ließ Graf Agimbart Die Mauren feines 
folgen Schlofjes niederreißen ; man führte Die Steine 
binab in den Flecken, und in furzer Zeit fland allda 
eine fchöne Kirche. In Dem hoben und fchlanfen 
Thurme der Kirche bieng man die Ölodfe auf mit 
großer Freude, und ihr erfter Klang tönte dem Grafen 
und feiner Gemahlin füß zu Ohr und Herz. Die Kirche 


151 


wurde den heil. Martin geweiht, der dem Grafen im 
Traum erfchienen war. Heben Die Kirche aber Tieß 
Graf Atzimbart für fih und feine Gemahlin Wilika 
ein Haus bauen, welches mit der Kirche fo zuſam— 
menbieng, daß die beiden frommen Cheleute zu jeder 
Stunde des Tages darin der Andacht pflegen Eonnten, 
ohne nur einen Schritt über Die Straße zu gehen. 
Hier in diefen Kaufe, fo nahe dem Tempel Des Herrn, 
lebten Die Beiden noch manches Sahr in Sottfeligkeit 
und Uebung guter Werfe, was befonders die Armen 
und Dürftigen des Fleckens in reichem Maße erfuhren. 
Als die fromme Wilifa in Gott ihre Xebenstage be- 
ſchloß, zog Graf Asimbart hinüber in den Schmarz- 
wald in das von ihm wiederhergeftellte Klofter Hirſau, 
und ließ fich allda unter die Zahl der Mönche aufneb- 
men. Kurz vor feinem Hinſcheid ließ er die irdifihe 
Hülle feiner Gemahlin aus der Kirche zu Sindelfingen 
abholen und in der Aureliusfirche feierlich beifegen. 
Als er ftarb, wurde er neben ihr eingefenft, Damit, 
was im Leben verbunden, auch im Tode nicht getrennt 
‚wäre, 


Die Efelsburg. 


Eines der fchönften Thäler unfers Vaterlandes ift 
dad Brenzthal. Schon der alte Chronift Bruſchius 
nannte das Thal voller Begeifterung eine paradieftiche 
Gegend. Drei alte namhafte Klöfter, SHerbrechtingen, 
Anhaufen, Königsbronn, am Ufer der Brenz gelegen, 
und zahlreiche Burgen auf den felfigten Höhen, machen 
das Thal ungemein malerifch. Beſonders romantifih 
ift es Da, mo die Ruinen der Efelsburg von hohen Fels 
jen in das Thal blicken. Da meint man faft, die Brenz 
molle fich in dem Thale verbergen, bis fie weiter unten 
wieder mit ihren Flaren Wellen zum Borfchein fommt, 
die nun in breitem Bette Daher raufchen. 

Die Efelsburg ift eine Zierde des Thals, ob fie 
gleich FTeinen großen Umfang bat und ganz und 
gar zerfallen if. Sie ift Das Stammfchloß der 
Herren Eſel von Ejelsburg So komiſch der 
ame Diefer edlen Familie lautet, jo Dürfen wir Doch 
nicht annehmen, daß er dDerfelben geworden, um ihr 
damit eine Schmach anzuthun. Im Mittelalter war 
der Efel, deſſen man fich viel häufiger als jet bediente, 
fein fo verachtetes Thier, wie in umfern Tagen, im 
Gegentheil war der Eſel das Symbol der Kraft, und. 
die Herren Efel von Eſelsburg durften fich jo wenig 
ihres Namens ſchämen, als die Serren von Riedeſel, 
unter denen Männer mit dem Degen wie mit der Bes 


153 


der fich einen Namen erworben. — Das Gefchlecht der 
Herren, welche die Eſelsburg gründeten, ftand ohne al= 
Ien Zweifel in naher DBerwandtfchaft mit den Herren 
von Eſelsberg bei Vaihingen. Die Iegteren blühten 
ion im 13. Jahrhundert, denn in einer Maulbronner 
Urfunde vom Jahr 1232 zeugt ein Belrein von Efel$- 
perg. Dieſem Gefchlecht gehörte wahrfcheinlich jener 
Dichter Eblin von Efelsberg an, von dem unfer 
gelehrter Literatur» Hiftoriter Adalbert von Keller 
zwei altdeutfche erzählende Gedichte herausgegeben, Die 
zum wenigften in das 14. Jahrhundert gehören. Die 
von unfrer Burg benannten Herren von Eſelsburg 
fommen nicht viel fpäter vor. Im Jahr 1256 zeugt 
ein Gerwich von Eſelspurg in einer Urkunde des Gra— 
fen Hartmann von Dillingen. Im Jahr 1270 be— 
jtegelt Nudolf von Efelspurg einen Vertrag zwi— 
ſchen dem Bifchof Hartmann von Augsburg und dem 
Markgrafen Heinrih von Burgau. Im Jahr 1317 
leben die Gebrüder Rudolf und Germig von Efele- 
purg. Der erftere verkaufte „mit Willen Rudolſs ſei— 
nes Sohns und Gerwigs, Dtten von Ejelsyurg Sohnes, 
der (Dtto) Rudolfs des Alten Bruder geweft, alle 
feine Güter zu Illingen (bei Maulbronn), jo Gerwigs 
jeine8 Bruders gemefen find, um 500 Pfund Seller.” 
Es ift Derfelbe, der im Jahr 1327 feine Höfe und 
Güter zu Witeßlingen verkaufte und im Jahr 1328 
und 1329 unter dem Namen Audolf der Efel von 
Eſelspurg erfiheint: im Ilegteren Jahr als Bürge für 
Heinrich yon Stotzingen bei dem Verkauf des Kirchens 


154 


faßes zu Niederitogingen an das Kloſter Herbrech— 
tingen. Wir fehen hieraus, daß Rudolf Der Ejel von 
Gjelspurg bei Vaihingen, wie an der Brenz, begütert 
war. Die von Ejeleverg und die von Der Ejeläpurg 
an der Brenz gehören aljo zu einem Stamme. — 
Im Jahr 1343 verfaufen die Gebrüder Dans Conrad 
und Rudolf, genannt von Gfeleperg, ihre Güter zu 
Herbrechtingen, worauf die Grafen von Selfenflein fein 
Bogtrecht hatten. Im Jahr 1387 fiegelt Beter Ejel 
der SFüngere neben dem Brobft von Serbrechtingen. 
Ginige des Geſchlechts waren zu Geißlingen feßhaft. 
So fiegelt im Jahr 1412 der „erbar und veft Mann 
Dtto der Eſel von Gfelspurg, zu den Zeiten zu Geiß— 
Iingen gefefien, für Jakob Kottenbein, Bürger alda.‘ 
Sm Sahr 1417 am Tage ©. Florian ftarb Veit von 
Eſelspurg, feßhaft zu Geiflingen. Im Jahr 1540 
lebt Wolf Wilhelm von Ejelöpurg und feine Hausfrau 
Margaretha von Neideck, geborne von Neideck (in der 
fränfifchen Schweiz). Ihre Grablege hatten die Ejel 
von Eſelspurg in den Klöftern Anhaufen und Her— 
brechtingen. „Zu Anhaufen in der Kirchen, fagt der 
alte biedre und glaubwürdige vaterländifche Ehronift 
Gabelkover, find unter andern Wappen deren von Adel 
auch angemalet der von Eſelspurg Wappen; ift ein 
Ichreitender Ejel, feiner natürlichen Yarb im blauen 
Feld, auf dem Helm ein ganzer gehender Ejel, ſteht 
Dabei: Nudolf von Eſelspurg der Eſel.“ DBielleicht 
war Der genannte Wolf Wilhelm der Legte der Ejel 
zu Efelepurg, und die Männerfeindin, von der wir 


155 


erzäblen werben, feine Tochter. Die Burg fiel noch 
im 16. Jahrhundert an fremde Herren. Im 3.1592 
war fie in den Händen der Herren von Rechberg; von 
diefen Faufte fie Herzog Ludwig von Wirtemberg nebft 
der Burg Balfenftein und den Dörfern Dettingen, 
Heuchlingen und Mergelftetten für 79275 fl. — Ueber 
die ferneren Schieffale der Burg, wann und wie fie 
zerftört worden, haben wir Feine Berichte; vielleicht ift 
fie im Baurenfrieg zerftört morden, oder ift fie, wie 
manche Burg, die nun im Schutte liegt, von feltit 
zerfallen. Ganz nahe bei der Ejelsburg liegt der Mäd— 
chenfelg, von dem fich eine fchauerliche Sage im Munde 
des Volkes erhalten. 


Die Sage vom Mädchenfelfen. 


In jener Zeit, da Eſelsburg noch ein ftattlicher 
Wohnſitz war, lebte auf ihr ein altes Fräulein, Die 
Letzte des Gefchlechtes der Herren von Ejelsburg. In 
ihrer früheren Jugend hatte fie geliebt; heiß und innig, 
mit ganzer Seele hing fie an dem Manne, der ihr als 
Ideal, als Abglanz aller Vollkommenheit erjchienen 
war. Diefer aber hatte fie um die Freuden ihrer Ju— 
gend betrogen, hatte fie verlaffen und der Neue, wie 
dem Hohne ihrer Verwandten preiögegeben. Finſterer 
Haß zog in Das Herz der Oetäufchten; fie jebwur Den 
Männern Hache, und fchloß fich ein in die alte Burg Der 
Väter, die Eſelsburg, wo fie ſich mit dem Studium 


156 


der geheimen Naturkräfte befchäftigte, und es Darinnen 
jo weit gebracht haben foll, daß ſie Gewitter beſchwö— 
ven, alle Kranfbeiten heilen und den Tod in allen 
Geftalten Den Menſchen bringen Fonnte. Auf dem 
ganzen Schloffe lebte feine männliche Seele ; blos Jung» 
frauen, welche bei ihrem Eintritte Die Liebe abſchwören 
mußten, durften dort bleiben. Sie verfahen den häus— 
lichen Dienft und lebten abgejondert, fich felbit genü— 
gend, denn eines Männerfchugee bedurften fe nicht, 
da im weiten Umfreife die Gegend fo verrufen war, 
dag Niemand .derfelben nahen wollte, und jeder Wan— 
derer gerne einen weiten Umweg machte, um derfelben 
auszuweichen. So war eine Neihe von Jahren vers 
floffen, die Jungfrau war alt, aber noch bösmilliger 
geworden, und quälte ihre Mägde, die faſt aus lauter 
jungen und fchönen Mädchen beitanden. 

Da kam ein junger, fremder Fifcher in dieſe Ge- 
gend, fiedelte fib in dem Brenzthale an und warf je 
den Abend feine Nebe aus, wobei er mit Elarer und 
fhöner Stimme zu fingen pflegte. Seine Lieder tru— 
gen gewöhnlich das Gepräge tiefer Sehnfucht, oder ſie 
drücten das Gefühl erbörter Liebe aus. Die zwei 
jüngften Mädchen hörten Die Lieder und Fonnten nicht 
lange der Lockung widerftehen ; fie nahmen Eimer und 


gingen hinab zu dem Fluſſe, wo fie mit dem Fifcher - 


iprachen und mit ihm fofeten. Die Männerfeindin 
aber auf ihrer Warte hatte fogleich Davon Kunde und 
befchloß, ihrer Rachjucht zu genügen, die Mädchen zu 
verderben. Ein Wetterftrahl mit dumpfem Donnerfchlag 


157 


züdte durch das Thal; die Mädchen fühlten auf einmal 
im Sprechen ihre Zungen immer fihmerer werden, ihre 
Glieder waren Feiner Bewegung mehr fähig, das Herz 
allein ſchlug in immer matteren Bulfen, bis es endlich 
ganz aufhörte fich zu regen. Entſetzt fprang der Sifcher 
auf; feine Gefährtinnen maren in einen Stein verwan— 
delt, der fich innmer mehr ausdehnte und nur in ſchwa— 
hen Umriffen die menjchliche Form erkennen ließ. 

Die Zauberin farb, ihr Schloß ift zerfallen, aber 
noch ftehbt der Fels und erinnert an zwei Herzen, Die 
ein Opfer der Liebe wurden. Das romantifche Thal 
wird noch heute von manchen liebenden Baar befucht, 
und wenn dieſe dort Lieder der Liebe fingen, Dann 
hört man ein leiſes Geufzen, ein ftilles, Elagended r 
gleich einem Seufzer aus den Felfen tönen. 


XIH. 
Die St. Johanniskirche zu Gmünd. 


Die alte Hohenftaufen-Stadt Gmünd hat viele merk— 
würdige Kirchen aus alter Zeit — die jchönfte in Bezie— 
bung auf Bauart ift die St. Johannisfirche. Sie if 
zuverläßig noch ein Bauwerk des 11. Jahrhunderts. 
Sie ift Dreifchiffig mit einem ganz maſſiv gebauten 
Thurme, genannt Schwindelftein, welcher aus dem Viereck 
durch Abfchrägung ins Achteck übergeht, mo er zwei 


158 Bir 


Stockwerke im reinften Nundbogenfiyl zeigt; Darüber 
ift ein Giebelfranz, aus den ein Spigdach fich erhebt, 
zwar auch aus Holz mit glaſirten Ziegeln gedeckt, aber 
alterthümlich und in ſchönen Verhältniſſen zum ganzen 
Thurme. An der Weſtfront der Kirche ſind zwei Thü— 
ren, von denen die größte in das Mittelſchiff führt, 
aber nicht in der Achſe deſſelben ſteht. Auch ſind an 
dieſer Fronte frühzeitige Vergrößerungen „er Abſeiten 
zu bemerken. Zwei andere Thüren in der Südfront 
zeigen in ihren Umfaſſungen ſchlanke Säulchen mit 
äußerſt zierlichen Kapitälen von faſt cylindriſcher Form 
mit wenig Ausbauchung und von feiner Blätterzierung 
umrankt. Eine beſondere Merkwürdigkeit am Aeußern 
dieſer Kirche ſind die vielen ſymboliſchen (gnoſtiſchen) 
Geſtalten in den, unter Geſimſen und Gurten hinlau— 
fenden Rundbogenverzierungen, in erhabener Arbeit. So 
iſt an der unteren Ecke gegen Süden eine ſitzende ge-⸗ 
frönte Frau eingehauen, welche ein Kind auf ihrem | 
Schooße hält. Die rechte Sand der Frau und Die 
Linke des Kindes halten Etwas, mas einem Apfel 
gleicht; über ihnen ſchwebt ein Engel, der jegnend die 
Hände über der Frau und dem Kinde ausſtreckt. 
Unten- find zwei gefuppelte Sunde in vollem Lauf, und 
ein Männchen, das in ein Jagdhorn ftößt. Dieje bei- 
den Hauptfiguren, Frau und Jäger, follen mit Der 
Sage vom Ninge in Verbindung flehen, ob gleich die 
Mutter Gotted mit dem Kinde auch auf ähnliche Weife 
abgebildet wird, wenn wir nemlich den vermeintlichen 
Apfel für einen Reichgapfel oder eine Eleine Weltfugel 


Te 159 


in den Händen des Kindes halten. Unter diefen Fi— 
guren ſteht noch ein anderes Männchen, neben dem 
ſich Etwas befindet, Das drei in einander gefchlunges 
nen Bregeln gleich Sieht. Das Volk nennt Diefe in 
einander verwicelten Bregeln oder Stricke Zweifelsſtrick. 
Mas ift das? fragen wir mit Vielen, die ſchon vor 
diefer Figur ftanden und fich über dem Näthfel den 
Kopf zerbrachen. — In der Mitte ungefähr, an dem 
Giebel gegen Welten, erblidt man ein Männchen, Dem 
ein Teufel die Nechte wegreift. Tas Männchen joll 
nach der Volfsfage der Baumeifter der Kirche ſeyn, an 
dem der Teufel dieſe Operation vertragsmäßig vorge— 
nommen, weil er verfäunite, Die Slirche in der verſpro— 
chenen Zeit herzuftellen. Außerdem find auf den Qua— 
derfteinen der Kirche viele andere zahme und milte 
Thiere eingebauen,, die aber alle ſehr rauh und ohne 
Zeichnung ausgearbeitet find. Noch jieht man an der 
Siebelfeite, unten vor einem alten Gingang in den 
Chor, einen eingemauerten Grabftein mit dem Bildniß 
eines — einen Kelch in der Hand baltenden — Prieſters 
mit der Umfchrift: Anno gratiae 1050 (richtiger 1350) 
obiit Johannes Kirssenesser caplanus ad sanctum 
spiritum. (Im Jahr der Gnade 1350 ftarb Johannes 
Kirfjeneffer, Caplan zum heil. Geift.) 

Das Innere der ehrwürdigen Johanniskirche iſt lei- 
der! im Sefuiten-Styl verändert, und bietet außer eis 
nenn Delgemälde Nichts dar, das irgend einen Kunft- 
werth hätte. Das auf Tuch gemalte Bild ftellt die 
Burg Kohenftaufen und die Gegend vor, ehe die Stadt 


160 


Gmünd eriflirte. Das Bild ift wohl fchwerlich müßige 
Erfindung eines neueren Malers, fondern e8 mag dem 
Berfertiger ne ein altes Bild als Vorlage gedient 
haben. 

Ueber Die ——— der Johanniskirche haben wir 
keine urkundlichen Berichte, aber höchſt wahrſcheinlich 
war ihr Gründer der Staufer Herzog Friedrich von 
Schwaben (1080 —1105), der ſich überhaupt viele 
Verdienſte um die Hebung der Stadt Gmünd erwarb. 
Nicht mit Unrecht bringt man die eigentliche Gründung 
der Stadt mit der Erbauung der Kirche in Verbin— 
dung, denn erſt jetzt erhielt die Stadt ihren jetzigen 
Umfang, indem ſie zur Zeit, als Abt Volrad von St. 
Denys mit Genehmigung Kaiſer Karls des Grafen 
(768— 814) zu Gamundia die nun abgebrochene St. 
Veitskirche mit einem Klöfterlein gründete, eine Art 
Meiler, Hof (villa) gemefen feyn muß. Noch im 
Jahr 1297 beforgten die VBenediftiner zu Lorch den 
Gottesdienft an der St. Johannisfirche, ein Beweis 
von der innigen Beziehung, in welcher die Johannis— 
firche zum Klofter Lorch und fomit auch zu Den Her— 
ven auf Hohenſtaufen ftand. — Gar lieblich und finnig 
berichtet von der ——— der Kirche durch Herzog 
Friedrich 


Die Sage — Hinge. 


Wir fehen jet reiche, blühende Städte auf jenen 
Plätzen erbaut, mo vor langen Jahren nichts ald Wilde 


161 


niß und rauhe Wälder, von wilden Ihieren ‘bewohnt, 
gemefen. So war es auch mit dem Platze, wo jet 
das freumdliche Gmünd fleht. Den ganzen Raum be— 
deckte finftere Waldung, umd zeigte nur eine lichtere 
Stelle, mo eine fleine Wohnung, dem Jäger Effard 
gehörend, erbaut war. Der Alte war früher ein tapfe— 
rer Krieger und hatte feinen Sohn tüchtig im Waffen- 
handwerfe unterrichtet, fo Daß Diefer in der Leibwache 
des Herzogs Friedrich von Schwaben diente, und fid) 
ſchon bei mancher Gelegenheit hervorgethan hatte, Die 
Tochter des Kanzlers hatte den ſchönen Jüngling oft 
gefehen, und beide liebten fich mit der ganzen Innig— 
feit unverdorbener feuriger Jugend. Allein was Fonnte 
der junge Mann, der nichts befaß als feinen Namen, 
dem ftolzen, ehrgeizigen Kanzler bieten, der ihm hohn— 
lachend den Rücken gewieſen, al® er vor ihn getreten 
mar mit dem offenen freien Worte feiner Werbung ? 
Da wurde eine große Jagd veranftaltet und die Frau 
Herzogin Agnes (Tochter Kaifer Heinrichs IV.) Hatte 
das Unglück, ihren Ehering zu verlieren, mas damals 
für ein ficheres Zeichen einer unglücklichen, verderben- 
vollen Zufunft gehalten wurde. Die Jagd, welche fo 
heiter begonnen, wurde unterbrochen, und traurig -Fehrte 
alle nach dem herzoglichen Schloffe zurütf, wo der 
übrige Theil des Tages entfernt von jeder SHeiterfeit 
trübe verflof. 

Um andern Morgen ging der Xiebende zu feinem 
Vater und jagte ihm, wie er den Dienft des Herzogs 
verfaffen und in Waldeseinfamfeit der Erinnerung ſei— 

—T 11 


Cr ui 


ner Sugendliebe leben wolle. Dev Bater hatte nichts 
dagegen; er hoffte, die Zeit würde feinen Sohn heilen, 
und er wolle ihm daher feinen Zwang anthun. 

Auf dem Rückwege gemahrte ber junge Dann einen 
prachtvollen Hirſch, der feheu vor ihm die Flucht er: 
griff, aber nach kurzer Verfolgung von dem ſchwirren— 
den Todespfeil des fichern Schügen getroffen wurde. 
Erftaunen aber faßte denselben, als er an einer Spitze 
des Geweihes feiner Beute den verlorenen Ehering er= 
blickte. Sogleich eilte er nach Hohenſtaufen und brachte 
voll Freude den Fund. Die Serzogin, eine gmädige 
rau, wollte den Finder reichlich belohnen, Doch Diefer 
fchlug alles aus, und entdeckte ihr endlich Die Urſache 
feiner Traurigkeit, welche fie bemerft und Darum ges 
fragt hatte. Die Herzogin brachte es dahin, Daß Der 
Kanzler feine Tochter dem Jünglinge gab, dem ein 
ftattliches Haus im Walde gebaut wurde, 

Auf der Stelle aber, wo der Hirſch getödtet wurde, 
ließ der Herzog die noch jeßt ſtehende Et. Johannes 
Tirche bauen, wohin bald eine große Anzahl Pilger walls 
fahrteten. Das war auch die Beranlaffung, daß nach und 
nach der Wald gelichtet und angebaut wurde, fo Daß fich 
jest Dort eine blühende und ſchöne Stadt befindet. — 

Sonft kann die Sage weder Urkunde noch Sigill 
für ihre Glaubwürdigkeit aufmweifen, aber Die eben er= 
zählte ijt noch Daurender verewigt, denn fie wurde auf 
dem Thurme der Iohannisfircherzum ewigen Gedächt— 
niß eingehauen, wenn die Darftellung auch nur eine 
andeutende ift. 


XV. 
Waldenburg, 
im Hohenlohiſchen. 


Reich an Schlöffern und Burgen ift das Schöne, 
von Gott gefegnete Hohenloher Land — Ffaum ift ein 
Städtchen zu finden, wo nicht ein ftattlicher Herrenſitz 
prangt, in den fchon feit alten Zeiten die zahlreichen 
Glieder des erlauchten Fürftenhaufes Hohenlohe aus— 
und eingingen. In allewege aber gebührt zweien un- 
ter den fürftlichen Wobnfigen von Hohenlohe in Be- 
ziehung auf herrliche Lage der Vorzug. Diefe find: 
Schloß Schillingsfürft zwifchen Rotenburg und Anjpach 
zu, fchon feit den Anfang des 14. Jahrhunderts im— 
mer im Bejige des Hauſes Hohenlohe, und Schloß 
Waldenburg, faft im Herzen des Hohenloher Landes 
gelegen. Waldenburg, Schloß und Stadt, ragt auf 
dem teilen Borfprung einer Reihe von waldbekränzten 
Höhen, welche nad) dem Schloffe den Namen „Wal- 
denburger Berge‘ tragen, und blieft mit ihren Mau- 
ven und Thürmen wie eine Königsfrone auf das unten 
liegende gefegnete Zand herab. Auf Den innen des 
Schloffes hat man die fchönfte Ausficht im ganzen 
Hohenloher Lande. Wenden mir die Blicke gegen Oſten, 
fo zeigt fich, wohl in weiter Ferne, der ſchon genannte 
hohenloh'ſche Fürſtenſitz Scillingsfürft, und grüßt nach- 
barlich herüber zum Schloffe, wo daS blutsvermandte 
Sefchleht wohnt. Ueber Die Stadt Rotenburg hin 


164 u 


ichweift das Auge zu den „fränkiſchen Bergen,” auf 
deren höchfler Kuppe der hohe Landsberg, Das alters 
thümliche Schloß der Serren von Pöllnitz, fich lagert. 
Hinter den Frankenbergen verfinfen die fehönen Ufer 
des majeftätifchen Mains, dagegen ragen im fernften 
Hintergrumde Die Vorberge des Nhöngebirgg, und 
wenn wir immer weiter im Bogen gen Norden uns 
wenden, Die dunklen Waldhöhen des Speſſarts. Noch 
näher und deutlicher liegt vor uns der Odenwald mit 
dem weithin fichtbaren Kagenbudel und deſſen entfern- 
terem Nachbar, dem Melibofus, dem Mächter der Berge 
ftraße. Zulegt ruht da3 Ange auf den mit Burgen 
geſchmückten Bergen des Neckarthals, zieht fich dann 
wieder zurück über die Höhen, unter denen Kocher und 
Jagſt im brüderlichen Neckar münden, und betrachtet Die 
reich gefegnete Landſchaft, Die unmittelbar unter ung 
fich außbreitet. Es iſt Die fogenannte Kupferzeller 
Ebene, im Vordergrund Hohenbuch, wo Das treffliche 
Bier bereitet wird, und nicht ferne Davon Das dazu 
gehörige Landhaus, mo Herr Oekonom Otto Möride, 
der bedeutendfte Gutsbefiger im Umkreis, rationell und 
praftifch feine Felder baut und der Landwirthſchaft im 
diefer Gegend neuen Schwung gegeben. — Am ſchön— 
jten genteßt man die herrliche Ausficht auf Walden— 
burg zur Zeit, wenn der Reps blüht, wo Freunde der 
ihönen Natur von allen Gegenden dem Berge zu— 
wallen und ein heiteres Feſt feiern, das durch den An— 
blick Der reizenden, im ihrem fehönften Blumenfchmud 
ſtehenden Landfchaft, feine Weihe erhält, 


. 165 


Schloß Waldenburg (Maldenberg) hat, wie alle 
Burgen ähnlichen Namens, feine Benennung von dem 
Malde, der früher den Bergvorfprung bededte, und 
jegt noch über den ganzen Bergrüden fich hinzieht. 
Vielleicht war e8 zuerft ein Wartthurm, der auf Der 
Höhe erbaut wurde, und dad wäre der noch flehende 
fogenannte Männleinsthurm, zuverläßig das Altefte Bau- 
werk auf Waldenburg. An ihn wurde im Laufe Der 
Zeit das Schloß mit feinen VBorwerfen angebaut. 

Schon frühe faß ein edles Gefchlecht auf der Burg, 
das von ihr feinen Namen führte. Im Jahr 1218 
lebt ein Gottfried v. Waldenberg, Domherr zu Mürzs 
burg. Heinrich und Hermann, Grafen von Walden« 
berg, erfcheinen in einer Urfunde vom Jahr 1246, 
und es ift ſehr wahrfcheinlich, daß fie von unſrer Burg 
ſich gefchrieben, Denn die edlen Herren, welche neben 
ihm genannt werden, find alle aus der näheren oder 
ferneren Nachbarfchaft, wie z. B. ein Graf v. Eber- 
ſtein und von Neifen, ein Burggraf don Nürnberg, 
fo wie ein Herr von Büdingen u. f. w. Aber fehon 
mit der Mitte des 13. Jahrhunderts ift Waldenburg 
im Beſitze des berühmten Gottfried von Hohenlohe, 
Grafen von Romaniola. Im Jahr 1252 geht der 
Streithof bei Waldenburg von ihm zu Lehen, und im 
darauf folgenden Sabre ftellt derjelbe zweimal zu Wal- 
denburg Urkunden aus — ein Beweis, daß, er jich 
manchmal Dort aufgehalten. Später fommen wieder 
Herren von Walvdenberg vor, aber fie waren nur ho— 
henloh'ſche Burgmänner oder Vögte auf Waldenburg, 


166 on 
Im Jahr 1289 zeugt ein Raveno von Neuenftein, 
der alte Vogt von W., im Jahr 1292 Heinrich Gut- 
jar, weiland Vogt zu W. Im Jahr 1329 leben Ru— 
dolf von W., im Jahr 1339 Heinrich, Ulhards Sohn 
von W., und im Jahr 1342 Ulhard von Waldenberg. 
Spätere hohenloh'ſche Vögte waren: im Jahr 1338 
Heinrich von Enfingen, im Jahr 1346 Engelyard von 
Bachenftein, 1362 Götz von Stetten, 1380 Dietrich 
son Berlichingen, 1383 Hofwart Landfchad von Si— 
fingen, 1397 Götz von Belfenberg, 1445 Beter Zwi- 
far. — Schon in der Mitte des 14. Jahrhunderts, 
da Waldenburg im Befig Kraft III. von Hohenlohe, 
Urenfel des Grafen Gottfried, geweſen, war es zu 
einer Fleinen Stadt mit Mauer und Graben geworden, 
welche eine Gemeindeverfafjung mit zwölf zum Theil 
adeligen Richtern hatte Wie die kleine Stadt auf der 
nördlichen Seite Durch Die Burg und die natürliche 
Lage geſchützt war, jo erhielt fie auch gegen Süden, 
wo leicht an fie zu kommen war, ein ftarfes Vorwerk, 
welches Dann Die jpätere Vorftadt Durch Brücke und 
Graben verbunden. Der fogenannte Schanzthurm, wohl 
das ältefte Bauwerk nach den Männleinstäurm, To 
iwie der Wartthurm, bildeten dann das „alte Veſtungs— 
werk’, wie e8 der ehrliche und glaubwürdige M. Wibel 
auf einem Bilde (Hohenlohiſche Kirchendiftorie Bo. 4. 
Titelvignette) bezeichnet, und Die Stadt war von der 
füdlichen Seite gegen jeden feindlichen Angriff gededt. 
Im Laufe der Zeit, befonders im Dreißigjährigen Kriege, 
wurde Waldenburg da und Dort Durch angebrachte 


167 


Schanzen noch weiter befeftigt. Wir fünnen alfo Wal- 
denburg für Die durdy Rage und Gtärfe der Werfe 
wichtigfte Veſte des Hohenloher Landes betrachten. Da— 
rum, weil Waldenburg ſchon ſeit alten Zeiten als ein 
wohl verwahrt Haus galt, wurde es auch in Friedens— 
zeiten zu ähnlichen Zweden, wie Die Veſtung Asperg, 
nemlich zur Aufbewahrung wichtiger Oefangenen ver— 
wendet, wie MWibel jagt: „die landſäßige und übrige 
son Adel, die etwas verfchuldet, wurden allda verwah- 
vet.” So faßen hier gefangen im Jahr 1330 Engel— 
hard von Neivdek, 1351 MWartwein von Walde, und 
1352 Kreß von Büttelbronn. Auch Andre wurden 
in fpäterer Zeit auf Waldenburg in Haft gelegt, die 
den Herren der Burg zuwider waren. Go legte ein- 
mal (etwa um 1520) Graf Kraft von Kohenlohe den 
Junfer Götz Senft zu Münkheim, den er auf der Jagd 
(auf feinem vermeintlichen Jagdbezirk) gefangen genome 
men, gen Waldenburg in den Thurm. „So er heraus 
bat kommen wollen — fagt der treffliche Chroniſt 
Herold — Hat er ſich unter Andern verſchreiben 
müſſen, daß er ſein Lebenlang, wo er hinreiten will, 
allweg in ein zwilchen Juppen und Jägerhorn, wie 
er dazumal geritten, reiten will.“ Um dieſelbe Zeit 
hat Graf Albrecht Hanſen Newſer und Daniel Huſſen 
auf den Vogelheerden an dem Streiffelsberg gefangen, 
und nach Waldenburg geführt. — 

Stadt und Veſte Waldenburg war ſeit dem 13. 
Jahrhundert in ununterbrochenem Beſttz des hohenlohi— 
ſchen Hauſes. Nur vor dem Jahr 1390 war Wal- 


a 


168 


denburg an Bifchof Gerhard von Würzburg verjeßt 
worden, allein im genannten Jahre wieder eingelöst. 
Das Jahr darauf empfingen Die Gebrüder Ulrich und 
Gottfried von Hohenlohe (Söhne Krafts III.) die 
Stadt und Veſte Waldenburg ſamk Neuenftein und 
Dehringen von Bifchof Johanſen von Regensburg, 
„alfo daß diefelben fie und ihre Erben, Söhn und 
Töchter niefen und inne haben follen, mit allen Rech— 
ten und Nuten, wie Die genannt find, auch was zu 
dem Allem gehört, Nichts ausgenommen, als es bis— 
ber an ung fommen ift; fie follen auch und ihr Er— 
ben fürbaß diefelbe Lehenfchaft zu rechter Zeit. fordern 
und empfahen.” — In der zweiten Hälfte des 16. 
Sahrhunderts gab Waldenburg der von Graf Eberhard 
(r 1570) geftifteten Sauptlinie von Hohenlohe den 
Namen, und ift ſeitdem wenigftens die jeweilige Reſi— 
denz der erlauchten Familie gewefen. Der jegige Befiger, 
Se. Durchlaucht Fürſt Friedrich Carl Joſeph zu 
Hobenlohbe-Waldenburg-Schillingsfürfl, der 
begeifterte Verehrer feiner Ahnen, und der gelehrten Welt 
rühmlich befannt Durch feine gründlichen Forſchungen im 
Gebiet der Gefchichte und Siegel- und Wappenfunde, hat 
e8 zwar vorgezogen, das freundliche Kupferzell in der Ebene 
zu feinen Wohnfig zu wählen, aber er jchenft doch 
der Burg feiner Ahnen gebührend alle Aufmerkſamkeit. 
Davon find fprechende Beweiſe nicht nur Die forgfame 
Erhaltung des Schlofjes, ſondern manche neuere Baus 
ten und DVerfchönerungen, die auch Dem jonft weniger 
anfehnlichen Städtchen zur Zierde gereichen. — Außer 


169 


dem Schloffe bietet Waldenburg wenig Merlwürdiges 
für den Befucher. Im letzterem befteige man vor Al- 
lem den merfwürdigen Männleinsthurm, fogenannt we— 
gen den fleinernen Männlein, Die auf feinen Zinnen 
angebracht find.- Er ift vieredigt, aus Buckelſteinen 
erbaut , und hat eine Wendeltreppe, auf der fi) nur 
eine Berfon mit großer Mühe hinaufwinden Tann, 
weßwegen es fehr gerathen ift, wenn Damen mit Cri— 
nolinen dem gefährlichen Gang entfagen, und lieber 
unten auf dem Schloßwalle die Ausficht betrachten. 
Hat man jich bit zum Plateau des Thurms hinauf— 
gewunden, fo wird man freilich reichlich für feine Mühe 
belohnt, denn bei hellem Wetter hat man bier oben 
eine Ausficht auf 18 Meilen weit. Vom Thurm ſtei— 
gen wir herunter in Die ehrmürdige Schloßfapelle, wo 
ſich die Fürften von Hohenlohe-Waldenburg ihre Grab- 
lege erkoren; fie iſt einfach, aber für ihre Beltimmung 
würdig ausgeſtattet, und fcheint auf Grundlagen 
der älteften Kapellen zu ruhen, die im Jahr 1487 
von dem Grafen Kraft von Hohenlohe aufs Neue do— 
tirt worden. Die Kapelle beftand ſchon viel früher, 
denn ihre Kapläne, Heinrich Steffer, Lupold, Paul Tras 
ber, werden ſchon in früherer Zeit, der leßtere im Jahr 
1420, genannt. — Wenig Merfmürdiges bietet Die 
Hauptfirche der Stadt. Sie wurde im Jahr 1591 
von Graf Georg dem älteren erbaut und am Sonntag 
nach Aegidien eingeweiht. Ihre jebige Geftalt erhielt 
fie durch eine Renovation im Jahr 1717. Wohl 
— an ihrer Stelle zuvor eine alte Kirche, denn im 


170 


Jahr 1356 erhielt Waldenburg einen Pfarrer. Biel 
leicht war das ältere Gotteshaus eine jener Kapellen, 
welche nah ©. Widmanns Bericht auf Dem Rücken 
zu Waldenburg von Waldbrüdern erbaut worden. Die 
Kirchhofskirche außerhalb der Stadt ift in Beziehung 
auf Bauart weit älter und merfmwürdiger als die Stadt- 
firche; fie wurde in alter Zeit von Dehringen aus 
yerfeben, und ſteht vielleicht an der Stelle der zweiten 
von den ebengenannten Waldbrüder-Kapellen. — Au 
der am ſüdlichen Thore ftehende Thurn der Stadt ift 
von fehr alter Bauart, und wegen feiner, den Männ— 
leins-Thurm vielleicht noch überragenden Höhe, und 
der dadurch noch umfafjenderen Ausjicht, eines Be— 
juches wertb. — Unter die negativen Merkwürdig— 
feiten der Stadt gehört, Daß das Wafler 230 Staffeln 
hoch von der Seite des Bergs beraufgetragen werden 
muß. 

An Schloß Waldenburg knüpft ſich eine Geſchichte, 
die faſt «fo ſchauerlich lautet, wie eine der ernſteſten 
— und Mähren, die 


Waldenburger Faſtnacht 
im Jahr 1570. 


Wir geben den Bericht darüber wörtlich, wie ihn 
ein Augenzeuge, der Waldenburger Hofprediger Apin, 
in feiner noch bandfchrifilich vorhandenen Trauerpredigt 
geliefert. 

»Anno 1570. ben 7. Febr. iſt zu Waldenburg übel 


* 





171 


hergegangen, hat jich ein Teidiger Hall begeben; da hat hr 


der leidige Satan aus Gottes Verhengnuß eine ſchrök— 
liche Trageedien und Spectacul angerichtet, und ale 
ein-arger Schadenfroh fein Müthlein nach Luſt gefühlt: 
darum foll man ihn nit über die Thür malen, noch 
zu Gaft laden, dann er kommt wol von ihm ſelbſt, 
eder wo er gleich ſelbſt nit hinkommt, da fchift er 
jeine Botten hin. 

Damals waren zu Waldenburg in der Faftnacht, 
neben den Graven und neben denen von Adel beyein> 
ander neun Grävinnen, deren etliche vermumten fich 
nit einem englifchen ſchönen Habit, gingen daher in 
gar weifer Kleidung mit weifen papirnen Flügeln, wie 
man die Engel pflegt zu malen, und trugen auf ihren 
Häudtern weife papirne Kronen, darinnen fleine Ware 
lichtlein Grennten und Feuchteten: dagegen vermumten 
fih die Herren und der Adel mit einem fehenslichen 
Habit, ließen an ihre Sofen und Wam Arm und 
Beinen, dick Werk von Flachs mit Fade £. anne= 
ben und anfnüpfen, daß fie berein traten” zotigt und 
zerlumpt, wie man die Cacodæmones und ſchwarze 
Höllhund pflegt zu malen. Indem fie nun nad ger 
haltenem Tanz bei nächtliche Weile um 10. Schlag 
uf Dem obern Eaal bey dem Licht kniend emander 
ein Mummtanz bringen und nit dem Licht nicht für— 
fichtig umgehen, da gehet vom brennenden Licht das 
Berk unverfehens an: bald da wird auf dem Saal 
ein großer Tumult und Auflauf, ein großer Schref, 
Schreyen und Klagen: Cuntz von Velberg gibt bald 






= 


172 


die Flucht, und alſo vermumt ſpringt er die Schneken 
herab, daß er unverſehrt davon kommt, und von den 
andern nit angeſtekt wird, aber Veltin von Berlichin— 
gen und Simon von Neudek, auch Graf Albert von 
Hohenlohe (Neuenſtein) verbrennen ſo hart, daß ſie 
etliche Wochen zu Bett liegen müßen. | 
Graf Georg von Tübingen empfeht das Nachtmal 
den 22. Febr. darnah am 5. März (mar der Sonn» 
tag Laetare) da ihm unverfehens ein ander und neuer 
Zufall zum Brand gejchlagen, ftirbt um 8 Uhr Vor— 
mittagg und wird darnach den 7. hujus mit feines 
Gemahls großem Leid, Schmerzen und Wehklagen, be- 
graben zu Deringen in der Stiftsfirchen, da ich dann 
ibm eine Leichtpredigt gethan, die ich bernach feiner 
Frau Mutter auf ihr Begehren den 22. Matt mit mei— 
ned ©. 9. Leichtpredigt hinein gen Lichtenek geſchikt, 
Dagegen ihr Gnaden mir folgendes den 24. Jul. durch 
den von Bubenhofen hat irberantworten lafjen ein fir 
bernen Becher mit einem Deckel, Darauf Deren von 
Tübingen Wappen ift ausgeftochen gewefen. Y 
Mein gn. Herr Graf Eberhard verbrannt fo hart, 
dap man ihm hernach den 21. und 22. Febr. alle 
Finger an beeden Händen mußte vornen abjchneiden, 
empfing Doch zuvor den 29, (das war’ damals der 
Sonntag Reminiscere) das Hochwürdige Abendmal, 
that gar eine ſchöne chriftliche Bekanntnus, daran ich 
einen fonderlichen Gefallen hatte. Hernach den 9. 
Martii, vier Tag nach) feines Kern Schwagers Graf 
Georgen Abſchied, ftirbt er in der Frauenzimmerftuben 








173 


um 10. Schlag Vormittag in meinem Beymefen, wird = 
ven 11. Tag hujus zu Deringen in der Stiftsfirchen 
neben jeiner Frau Mutter und neben Graf Georgen. 


ehriftjeliger Gedechtnuß begraben, da ich dann ihm eine 


Leichtpredigt gethan. Den 14. Martii lies ſich Graf 


Albrecht wieder heim nach Neuenſtein fahren "und iſt 
mit Rath und Sülf feiner Frau Mutter wieder auf- 
kommen.“ 

Im Munde des Volks, das ſich weniger um Jahr 
und Datum kümmert, hat ſich die wahre Geſchichte zu 
einer Sage geſtaltet, in der das Geſchehene nur noch 
einige Zuſätze erhält, wie es ganz im Weſen der ſich 
fortbildenden Sage liegt. 

Eine Geſellſchaft junger luſtiger Leute hatte ſich ver— 
einigt, den Faſching auf dem Schloß Waldenburg mit 
rechter Ausgelaſſenheit zu begehen. Zwölf von ihnen 
ließen ſich zu dem Ende Teufelsmasken mit Hörnern, 
Schweif und Klauen verfertigen, umgaben ihre Kleider 
mit Werg, und neckten fo die übrige Geſellfchaft auf 
eine ziemlich ausgelaſſene Weife. Als endlich die Mite 
ternachtftunde vom Schloßthurn herabtönte, da fand 
fich plöglich ein Dreizehnter Teufel, völig fo gefleivet, 
wie die übrigen, unter den Gäften ein. Diefer übers 
bot die Andern noch bei Weitem an Ausgelaſſenheit, 
hatte aber in kurzer Zeit auch eine auffallende Unord— 
nung und Beftürzung im ganzen Schloffe verbreitet. 
Die Gäfte laufen verwirrt unter einander herum, und 
‚ehe man ſich's verfah, fanden Die zwölf Teufelsmas— 
‚Ten, deren Kleider Feuer gefangen hatten, in lichten 


’ 


* 


* 


—J 


174 


Slammen. Hülfe rufend, Dnrchrannten fie die Zimmer, 
und ſtürzten ſich endlich bewußtlos in Den tiefen Schloß— 
‚graben, der noch in derſelben Nacht vertrodinete, allein 
zur Verwunderung Aller nicht die geringfte Spur der 
— Leichen mehr enthielt. 


XV. 
Gohenrechberg. 


Der Rechberg oder Nebberg , fo genannt von den 
Reben , welche fich einft zahlreich in den Nadelhölgern 
des Gebirgs aufhielten, ift von dem nahen Aalbuch 
völlig abgefondert, und nur durch einen langen Erd— 
rücken mitoden SKohenftaufen zufammenhängend. Er 
gehört zu den höchften Höhen der Alb und erhebt ſich 
2167 Fuß über die Meeresfläche. Auf der Oberfläche 
des Bergs findet man bie und da Gold» und Silber— 
fteine, die jedoch nicht reichhaltig find, fo wie verftei- 
nerte Meerfchnerfen und Ammonshörner. Der Nechberg 
beftebt aus zwei Kuppen, vom denen Die erftere, bei 
weitem höhere, eine Kirche ſammt einem Pfarrhaus, 
die andere Die Burg Hohenrechberg trägt. Wir be- 
trachten zuerft Die obere Kuppe, genannt Dohenrechberg- 
Kirchberg. Auf dem Blake, da die gegenwärtige Kirche 
ftebt, foll vor Beiten die Klaufe eines Waldbruders 


4175 7 


geſtanden haben, der auf dem noch mit Tannenwäldern 
überwachſenen Berge, im Anblick einer herrlichen Na— 
tur, reichlichen Erfaß für die Genüſſe der Welt fand. 
Neben feiner Klauſe erbaute er eine kleine hölzerne 
Kapelle, in der er ein aus Lindenholz gejchnigtes Bild 
der heiligen Jungfrau aufftellte. Bald wallte von Nah. 
und ern das Volk der Umgegend zu diefer Kapelle, 
ja an hoben Feſttagen Famen oft jo viele Wallfahrer 
auf Der Höhe des Berges zufammen, daß fchon zu 
den geiten des M. Cruftus viele Läden und Krämer— 
buden für Käufer aufgefchlagen wurden, woraus förm— 
liche Märkte entftanden, die noch vor 90 Jahren febr 
zahlreich befucht wurden. Als die Zahl der frommen 
Maller fich immer vermehrte, erbaute Herr Ulrich von 
Rechberg im Jahr 1488 eine Kapelle von Stein, bes 
gadte fie mit einem ewigen Lichte, und fliftete eine 
Befoldung für einen jeweiligen Pfarrer, der zu gewiſ— 
fen Zeiten den Wallnern eine Meffe lefen mußte. Mönche 
von Gmünd verfahen bis in den Anfang des 18. Jahr— 
hundert3 den Gottesdienft an Diefer Kapelle. Als Die 
neue Kapelle vollendet war, wurde das alte Marien- 
bild feierlich von Geiftlichen in Diefelbe übertragen. 
„ber — fo lautet Die Legende — das Bild blieb nicht in 
der neuen Kapelle, fondern e8 wurde wiederholter Ma— 
len Nachts von den Engeln in Die alte Kapelle zu— 
rückgetragen.“ Darum ließ man die alte Kapelle mit 
dem Bilde ftehen; allein in der neuen wurde der Got- 
teebienft abgehalten, bis im 17. Jahrhundert der Graf 
drang Albrecht von Nechberg die von feinem Water 


176 


Bern begonnene neue und weit größere Kirche vollen- 
dete. In dieſer jetzt noch flehenden Kirche find fünf 
Dpferflöcfe mit ftets offenen Mäulern aber leider! mit 
immer leeren Mägen. — Im Jahr 1767 errichtete 
Sraf Mar von Rechberg eine eigene Pfarrei auf dem 
Berge; ans der. im Jahr 1488 erbauten Kapelle aber 
wurde für einen jländigen Pfarrer eine Wohnung ein= 
gerichtet. Im diefem Pfarrhaus wird dermalen ein 
guter Tubus aufbewahrt, der jeden Befucher des Berge 
zur Verfügung ſteht. Betrachten wir mit Hülfe Diefes 
Tubus die reigende Ausficht, die ſich auf Hohenrechberg 
Darbietet. Die ausgedehntefte hat man hauptfächlich, 
- wenn man fich zum nördlichen Dalbzirkel des Gefichtö- 
freifed wendet. Links gegen Weiten liegt der Hohen— 
ftaufen mit dem gleichnamigen Flecken, und den Dör— 
fein Wüfchenbeuren, Maitis, Lingling, Reitprechts, Mes 
nenz, Straßdorf, Gmünd. Rechts gegen Often erblicden 
wir die Dörfer Unterwaldftetten, VBettringen, Bargau, 
Eßingen, Herlifofen, Muthlangen u. a. mehr. Wenden 
wir Die Blicke nach Süden, ſo haben wir zur Rechten 
wieder den KHohenftaufen und Die Orte Ottenbach, Ki— 
zen, Krummmiälden, Großeislingen, Kleineißfingen, Göp— 
pingen, Salach; die Burgen Staufened, Ramsberg, 
„ Scharfenberg, nebft den Orten Donzdorf, Reichenbach, 
Winzingen, Wisgoldingen, Vorder- und Hinter-WBeilere 
Rechberg, die dicht am Fuße des Rechbergs ftehen. Das 
Alles ift aber nur die nächſte Umgebung des Rech— 
bergs, lauter Orte, die faum drei Stunden entfernt“ 
liegen. . Ueber die reizende Nähe ſchweift das Auge zu 


ET 


y 
entfernteren Punkten, und entdeckt nach Often das Schloß 


zu Ellwangen mit dem Schönenberg, gegen Norden 
den Einkorn bei Hall, gegen Weften Lorch, weiter hin 
Hohenheim und die Solitüde; gegen Süden und Süd— 
often den Aalbuch, den Bernhardäberg, die Ruinen Der 
Burg Nofenftein u. f. w. — Bei ganz reiner Luft 
fiebt man fogar Die Vogefen, ebenfo erblickt man, frei- 


lich nur felten, die ganze Kette Der Vorarlberger Schnees -» 


gebirge, immer als Vorbote eines nach 24 Stunden 
eintretenden Negenwetters, welche Erfahrung man be— 
fonderd auch auf dem herrlichen Qphentwiler Berg ma— 
chen Tann. Unſer unvergegliher Guftav Schwab 
muß einmal bei einem Beſuch auf Dohenrechberg fo 
glücklich gewefen feyn, von bier aus die Alpgebirge zu 
erfchauen, Denn er fchrieb in das Fremdenbuch auf Ho— 
benrechberg folgenden fchönen Reim: 


Sonnenfgein und Wald und Thal, 
Drüber fühner Winvesflügel, 
Schneegebirg im Abenpftrahf, 
Ningsum grün und golone Hügel, 
Alles veimet die Natur — 

Du, mein Lied, wie wenig nur! 


Hat ſich das Auge an der herrlichen Gegend fatt ge— 

ſehen, jo hat man hier oben, nach der Mühe des Berg- 

feigens, Gelegenheit, fich auch Teiblich zu Taben. Der 

jeweilige Pfarrer ift jederzeit fo eingerichtet, daß er die 

Dungrigen fpeifen und die Dürftenden tränfen Fan. 
12 


1783 


Hat man Sich, abfonderlih an einem Humpen mit 
Meißenfteiner Bier, gehörig erquickt, fo fleigt man von 
der oberen DBergfuppe auf Die untere; wir gelangen 
in einer kleinen DViertelftunde auf die Burg Hohen— 
rechberg, Die, um ein Biemliches tiefer, auf einem 
abgefonderten Hügel ſteht, deſſen Mittelfelfen fie ernft 
und alterthümlich, und noch gangerhalten, frönt. Auf 
einer großen fleinernen Brücke, die über eine Fleine 
Thalfchlucht führt, welche Die Burg von dem Gipfel 
des Nechverges trennt, gelangt man in den von Oe— 
fonomie-Gebäuden a Vorhof der Burg, Der 
auch die Wohnung des Schloßwächters enthält. Nun 
kommt man über eine hölzerne Brücke, die über einen 
ſehr tiefen Graben geſchlagen ift, der den Felſen von 
dem eriten Vorhof trennt, und rings um ihn ber lauft. 
Die Brüdfe führt zu einem zweiten Thor, Über welchem 
ehemals ein hoher Thurm geftanden haben foll. Bon 


da aus geht man zwifchen dem Schloßgebäude und 


der innern Umfangsmaner dem dritten Thore zu, und 
gelangt in ein enges Dreieck, welches Die zuſammen— 
laufenden hoben Duadermauern der Gebäude bildete. 

Darnadı fommt man durch ein viertes Thor in den 
innern Vorhof, zu welchem mehrere Staffeln hinauf 
führen; allda findet fich ein fehr tiefer, in Felſen ge— 
bauener Brunnen, der immerdar mit Regenwaſſer ge= 
füllt it, und auch bei der größten Trockenheit nie 
MWaffermangel hatte. — Das eigentliche Schloß hat 
die Form eines Hufeiſens, Das auf der nördlichen Eeite 
durch eine zweites Gebäude fortgefeßt und gejchloffen 


— 179 n Wi 


it. Der Bauart nach ift die Burg von hohem Alter, 
Das erite Stockwerk ift von den ftärfiten Sanditein- 
Duadern, die man am Berge felbit findet, aufgeführt., 
Die übrigen zwei Stockwerke find aus aufeinander getie= 
belten Balken erbaut. Das ganze Schloß ftanımt aus 
verfchiedenen Seiten: an manchen Stellen wurde jpäter 
angebaut oder ausgebefjert. Die innere Einrichtung 
it durchaus aus neuerer Zeit. Wohl wohnte jeit 1585, 
Keiner aus der Familie mehr im Schloffe, aber es 
wurde dennoch fo ziemlich im nothwendigfien Bauweſen 
erhalten. — Im unterften Stock find: Die alte Schlof- 
füche, einige Stuben für Das ©efinde, und der Pferde— 
ftall u. ſ. w. In das zweite umd dritte Stockwerk ge= 
langte man ehemals auf einer Neinernen Schneckenſtiege, 
die in einem hoben Thurm angebracht war, der jeit 
1660 abgetragen worden ; nunmehr führt eine ge- 
mwöhnliche bedeckte Stiege in dieſe Stockwerke. Im 
zweiten Stode befindet fih die ehemalige Beamten— 
wohnung, Das Kanzlei-Zimmer und die Küche, forie 
die jehr alte, ehrwürdige Burgfapelle; im dritten Stock— 
werfe find noch etwelche - Zimmer für die Herrſchaft, 
wenn fie etwa Die Burg befucht, und ein großer alter 
Saal. Im Jahr 1585 farb der Letzte der Hohen— 
rechberg'ſchen Hauptlinie auf dem Schloſſe Rechberg; 
ſeither wohnten nur die Beamten bier, und ſeit län— 
gerer Zeit auch dieſe nicht mehr, ſondern nur ein 
herrſchaftlicher Jager. Verfallener als die Burg find 
ihre Mauern, Thürme und Vorwerke, die ehemals ſehr 
bedeutend geweſen ſeyn müſſen. An der äußerſten 






180 


Mauer ftanden einft zwölf Ihürme, die wahrfcheinlich 
bewohnbar waren. Einer derfelben war von Folofjalem 
Umfang und ungeheuer hoch, er war durch einen Gang 
mit dem Schloffe verbunden; ſchon vor manchen Jah— 
ren wurde er, weil er baufällig war, abgetragen. 
Außerhalb der Aingmauern waren an dem Berge Ge— 
wölbe und unterirdifche Oänge angebracht, wahrſchein— 
lich für den Fall, wenn in Zeiten der Noth die Bes 
mwobner der Burg jich flüchten mollten. 

Kun zur Geſchichte der Burg und des Gefchlechts, 
das von ihr feinen Namen führt. 

Eine Sage, deren erfte Grundlage der fchmwäbifche 
Chronift, der alte treuberzige Thomas Lyrer von 
Rankwyl (aus dem 15. Jahrhundert), uns überliefert 

bat, eröffnet bie Gefthichte der Burg und Des Ge— 
jchlechts. — 

Im Anfang des 7. Jahrhunderts, als das Ehriften- 
thum in Deutfchland Wurzel zu fehlagen begann, hauste 
‚auf der Teck ein gewaltiger Heidenkönig, der Alle wü— 
tbend verfolgte, Die fich von ihren Götzen mandten 
‚und den chriftlichen Glauben annehmen wollten. Da 
jammelte der zu den Heiland der Chriften befehrte 
Herzog Rumelius von Schwaben alle feine Freunde 
und Vafallen und die fänmtlichen Edeln Der Umge— 


R3 gend gegen ihn, und zog Damit gegen den Feind der 


Chriſtenheit aus. Er lagerte fich mit einem gewaltigen 
Heer am Fuße der Te, wo auch der Heidenfönig 
ſein Heer verfanmelt hatte. ALS Die Veinde einander 
entgegenrückten, fiegte Herzog Rumelius, geftärft Durch 





181 


die Macht feines Glaubens, über den mächtigen Geg— 
ner. Dreizehentaujend erjchlagene Heiden bededten das 
Schlachtfeld, und noch viele von den Feinden wurden 
von den Chriften gefangen. Unter den Gefangenen 
waren auch vier Sünglinge, Gebrüder, die einen rothen 
Löwen auf den großen hölzernen Echilden führten. Der 
Sieger, gerührt durch die Schuldlofigfeit der. Jugend, 
ließ fte frei, beſchenkte fie veichlih, und fchiekte fie in 
das Land zwifchen der Rems und Fils, um ſich Dort 
anzuftedeln. Die vier Brüder nahmen den chriftlichen 
Slauben an, liegen ſich taufen, und erbauten auf eis 
nem fchönen hoben Berge, dem Rechberge, eine Burg, 
von der fie jofort ihren Namen führten. So wurden 
fie die Stammväter des noch jegt blühenden Gefchlechte. 
Sie behielten den rothen Löwen im Wappen bei, den 
fie noch ungetauft als Abzeichen geführt, mit dem Uns 
terfchiede, daß es nun zwei aufrechtftehende, mit dem 
Rücken gegen einander ftehende Löwen mit hervorgered- 
ten Zungen und dreifach in einander gefchlungenen 
Schwänzen find, und über dem Schilde als Helmzierde 
wächst der vordere Theil eines Nehbods hervor. Zum 
Andenken an bie blutige Ehriftene und SHeidenfchlacht, 
führt noch jet ein Thal in der Nähe von Hohenrech— 
berg den Namen Chriſtenthal. 

Urkundliche Nachrichten von dem hochedlen Gefchlecht 
erhalten wir erft gegen das Ende des 12. Jahrhunderte. 
Da lebte Ulrich von Rechberg, Marfchall von Schwa- 
ben und des Reichs, im Jahr 1179 ein Begleiter 
‚Kaifer Friedrichs, und in den Jahren 1199 8. Phi⸗ 


132 


fipps auf deren rheinifchen und ſchwäbiſchen Pfalzen. 
. Auch ift fein Name und der feiner beiden Frauen, 
Edilheid und Berchterade, auf einer Monſtranz, vere- 
wigt, Die er der heil. Kreuzfirche in Augsburg vergabte. 
Sein Sohn Hildebrand zog im Jahr 1194 mit K. 
Heinrich VI. nach Stalten und war fpäter in der Um— 
acbung K. Philips , K. Friedrichs IL. und Heinrich 
VI. Sb der im Sahr 1205 und 1215 in Urfuns 
den vorfommende Ulrich von Rechperg ein Bruder Hil— 
debrands gewefen, ift zweifelhaft, dagegen hatte Hilde: 
brand noch eine Schwefter Adelheid, Burggräfin zu 
Augsburg, und einen Bruder Siegfried, der vom Jahr 
1208—1227 Biſchof zu Augsburg gemwefen. Ale 
folder war er mit 8. Otto bei feiner Krönung in 
Rom und wohnte unter K. Friedrich II. vielen Reiche» 
tagen an; auch nahm er ein paar Male das Kreuz 
im Sabre 1219 und 1227, in welch legterem er auch 
auf feinem Hinzug nach Baldflina bereits in Apulien 
verjebieden. Hildebrands Söhne maren Hildebrand, 
Augsburger Domberr T 1279, Conrad und Ulrich, 
son Denen Ulrich im Sahr 1255 allein erfcheint, und 
dann werden im Jahr 1259 beide miteinander als 
Gebrüder aufgeführt. Bon diefen Gebrüdern wurde 
Gonrad Stifter der Sauptlinie auf den Bergen, und 
Ulrich der Gründer der Linie unter den Bergen (Rech— 
berghaufen). Letztere erlofch wieder mit Wilhelm von 
Nechberg im Jahr 1413, die erftere blühte Daurend 
fort und theilte fich wieder in vier Pinien, von denen 
Die zu Staufeneck im Jahr 1590, die zu Hohenrech— 


183 


berg im Jahr 1685, und die zu Donzdorf im Jahr 
1732 erlofchen ; Die zu Weißenftein ift Die noch blü— 
bende. Eo lange das Kaiferhaus der Staufer blühte, 
fchloßen fich die Recyberger mit unmandelbarer Treue 
an diefe an; als aber fein Stern erloſch und neben 
ibm das fchnell aufblühende Grafenhaus der Wirtem— 
berger eine wichtige Rolle in der Gefchichte des Schwa— 
benlandes übernahm, da waren fie eben fo treu Diefen 
zugethan. So jener friegerifche Dans von Mechberg, 
der in der Mitte des 15. Jahrhunderts Rath und Die- 
ner des Grafen Ulrich) von Wirtemberg gewelen. Er 
war ed, der dem Grafen vom Kriege mit dem Pfälzer 
Fritz abrieth; aber man hörte nicht auf feinen Rats, 
ja er verlor fogar die Gnade des Grafen. In Folge 
dDiefer unmwürdigen Behandlung ward er dann der Wi- 
Derpart des Wirternberger Grafen. — Ein andrer des 
Gefchlechts war Wilhelm von Nechberg um  Diejelbe 
Zeit, ein Mann von biederem, aber aufbraufendem 
Gemüth. Diefer war ein treuer Diener Herzog Georgs 
von Baiern, der im Jahr 1489 von dem Pabſt in 
den Bann getyan wurde. - Ein wälfcher Geiftlicher 
mußte dem Serzog den Bann verkündigen. Wilhelm 
‚von Nechberg, der chen anwefend war, wurde über 
Diefe Frechheit jo erbost, dag er den Pfaffen nöthigte, 
den Bannbrief zu verfchlingen. Als fich aber diefer 
weigerte, jo Durchfchoß ihn Der Nechberger mit einem 
Dfeile. Die Folge davon war, daß auch er vom Pabft 
mit dem Dann belegt wurde und der Herzog Nichts 
mehr son ihm wiſſen wollte. Diefer Wilhelm von 


184 


Rechberg ift wohl Derfelbige, der im Jahr 1445 in 
der Kirche zu MWeifersheim eine Mefje ftiftete und allda 
begraben liegt. Er fteht daſelbſt in ganzer Figur in 
Stein gehauen. — Ein befonders treuer Diener des Wire 
tembergifchen Hauſes war Philipp der Lange von Rech— 
berg, wirtembergifcher Dbervogt zu Göppingen, auch 
befannt als Befchüger des wegen feines evangelijchen 
Glaubens verfolgten Martin Cleß. Philipp von Rech— 
berg war der einzige unter den Anhängern des vertrie— 
benen Herzog Ulrichs, der auch im Unglüd bei ihm 
aushielt. Als Herzog Ulrich im. Jahr 1525 nad 
einem unglüclichen Verfuche zur Wievereroberung feines 
Landes wieder auf feine Felſenburg Hohentwiel jich 
zurückzog, da richtete ihn Der treue Diener auf in feiner 
Troftlofigkeit mit den Worten: „darum, mein Fürft, - 
die Hoffnung nicht weggeworfen, jondern deſto rüftiger 
geftrebt, Daß wir wohl ins Vaterland zurückkehren. Die 
Hände gerührt! dann wird ein Gott beiftehen; dem 
tapfeın Mann iſt Nichts Schwer, dem Tugendhaften 
fein Weg verfchloffen, den, der auf Recht und Billigfeit 
hofft, Nichts unehrbar. Gelang e3 hier nicht, jo muß 
man einen neuen Weg einjchlagen, mit neuen und 
wieder neuen Waffen ftreiten, bis wir mit Gottes Önade 
unfern Wunfch erreichen.” — Auch zu Ende des 16. 
Jahrhunderts lebte ein edler Utz von Rechberg auf 
Schloß Hohenrechberg, der ein eifriger Lutheraner war. 
Er faufte Luthers Hauspoftille und andre Bücher, aus 
denen er alle Sonntage feinem ganzen Haus die Pre= 
digten felbft vorlag, und zuvor und hernach Palmen 


185 


fang. „Soldyes wird man an wenigen Orten antref- 
fen,” jagt der alte Chronift Cruſius. 

Ueber die Schidfale der Burg Nechberg, Die zum 
erften Mal im Jahre 1317 Hohenrechberg genannt 
wird, nur noch Einiges. — Im Jahr 1440 wurde ſie 
vergebens von den Gmündern und Hallern umzingelt, 
In der Mitte des 16. Jahrhunderts hauste ein hitzi— 
ger Junker, Utz von Hechberg, auf der Burg, der eis 
nen wirtemberg’fchen DBedienten umbrachte. Darauf 
lieg Herzog Chriſtoph die junge Mannfchaft aus dem 
Amte Schorndorf mit einigen Reitern gegen die Burg 
zieben. Diefe fchlugen auf dem Gipfel des Bergs bei 
der Mallfahrtäfirche ihr Lager. Da floh der Junfer 
zum Burgfrieden: darauf nahm ihn feine Mutter an der 
- einen Hand, mit der andern nahm fie die Schlüffel 
der Burg, bot fie dar, und bat demüthig mit Thrä— 
nen um Frieden. Eine nicht geringe Genugthuung 
erfolgte. — Im legten Jahre des Dreißigjährigen Kriegs 
erhielt dad Schloß gewaltige Stöße, Da e8 von der 
frangöfiichen Befaßung zu Schorndorf mit Lift einges 
nommen wurde Doc fteht es würdig und feft von 
Geſtalt bis auf diefen Tag, wie fein Gefchlecht noch 
blüht, das in neuerer Zeit in den Grafenſtand erhoben, 
feinen Ruhm auf dem Schlachtfelde wie im ee 
behauptet hat. 

Ehe wir vom Berge fcheiden,, laffen wir und noch 
zwei wunderbare Sagen erzählen, welche in Familien— 
nachrichten überliefert find. 


186 
Der Klopfer zu Rechberg. 


Glockengeläute ertönte in der Burgkapelle des Schlof- 
ſes Nechberg; der Fleine Altar war mit Blumengewins 
den verziert und hatte fein Feſtgewand angelegt. Es 
galt aber auch einer fchönen Beier, denn Ulrich Yon 
Nechberg follte heute im Stammfchloffe der Ahnen mit 
jeiner reigenden Braut Anna von Venningen getraut 
werden. Schon betrat Der Diener des Herrn Die ge— 
weihte Stätte und fegnete den Bund der Xiebe, während 
die geladenen Gaſte in froher Rührung der heiligen 
Handlung folgten, und die errötbende Braut jich fanft 
an den geliebten Dann fchmiegte, mit dem fie jo eben 
das unauflösliche Gelübde der Liebe und Treue gewech- 
jelt hatte. Längft hatten die Herzen ſich gefunden und 
verftanden,, aber der alte Herr von Benningen war 
Rechberg's Werbung nicht hold und manch heiße Thräne 
bleichte Die blühende Wange des Mädchens, wenn fle 
mit inniger Sehnſucht des fernen Geliebten dachte. 

Es war fein leichtes Unternehmen, wenn ein Fräu- 
lein jener Zeit gegen den Willen ihrer Eltern dem 
Geliebten Nachricht von fich geben wollte: aber wo 
wäre das Hinderniß, das der Liebe Ausdauer, Mutb 
und Klugheit nicht endlich zu beflegen wüßte? Graf 
Rechberg hatte einen treuen Hund, welcher jo gut ab- 
gerichtet war, daß er die Briefe der Liebenden, unter 
feinem Halbbande verborgen, ficher an Ort und Stelle 
beforgte. Range Zeit war das Tluge Thier ein unent— 
behrlicher Freund der jungen Leute gewefen, als Ans 


187 


na's Vater der Sache auf den Grund fam, und ohne 
zu zürnen, den Entſchluß faßte, Das Glück der Kinder 
durch feinen Segen zu Frönen. 

Selige, wonnige Tage flogen num in ungetrübter 
Freude über ihrem Haupte bin: Ulrich Tuchte feine 
Welt in den glänzenden Augen feiner Frau und er 
bildete ihr ganzes Glück! 

Aber wie oft, wenn wir uns gleichfam im Glücke 
fonnen, haben ſich, ohne daß wir es bemerken, fchon 
Wolfen des Leidens iiber ung gefammelt und der Sturm 
droht Ioszubrechen, um all die zarten Knoſpen unferer 
dreude zu zernichten. 


So oft Uhrih von Nechberg vom Haufe abmejend 
war, jandte er feiner Gattin Nachricht durch Den treuen 
Hund, welcher ihnen ein eben fo Fluger, als fehneller 
Liebesbote geworden. 

Es war im Jahre 1496, als der Burgherr ſich 
veranlaßt ſah, auf eine Fehde auszuziehen. Wie im 
ängfllichem Vorgefühle nahenden Unglücks weinte Anna 
lange am Halſe ihres Gatten und ſchien ſich nicht von 
ihm trennen zu können. 

„Gott ſegne dich, mein treues Weib!“ ſprach er ge— 
rührt, ſie zum letzten Male umarmend, „ſey getroſt, 
bald ſoll mein Bote dir gute Nachricht bringen, und 
ſo Gott will, auch die frohe Zeit des Wiederſehens 
melden.“ 

Fort ſprengte der Ritter mit ſeinen Reiſigen, und 
von der Burgzinne winkte die zärtliche Gattin ihm ein 


188 


letztes Lebewohl zu, und blickte ihm nach, bis der Zug 
ihren thränenfchweren Blicken entfchwunden war. 

Tag um Tag verging — aber fein freundlicher Bote 
kam, der barrenden Herrin frohe Kunde zu bringen. 

Anna's Herz wurde immer fchwerer, und täglich 
fniete fie Stunden lange vor dem gleichen Altare, an 
welchem fie einjt dem geliebten Manne angetraut wor— 
den war, und flehte für ihn um Gegen, für ſich um 
Gnade und Kraft. 

Ein ſonniger Herbſttag neigte fich zu feinem Ende; 
die legten Strahlen der finfenden Sonne füßten ſchei— 
dend Berg und Thal und fandten goldene Streiflichter 
durch die runden Scheiben der Burgkapelle, in welcher 
Frau Anna, wie gewöhnlich, in tiefer Andacht betete. 
Immer länger wurden die Schatten, immer düſterer 
die Beleuchtung der Kapelle, bis endlich nur der Altar, 
in Schwachen Umrifjen von dent ewigen Lichte erleuche 
tet, jich hervorbob. Unna von Rechberg hatte, in ftiller 
Andacht verloren, Das Eintreten der Dämmerung faum 
Gemerft, als ein immer ſtärker mwerdendes Klopfen an 
der Kirchenthüre fie aufjchreefte. Ihr war wohl ges 
mejen in dem heiligen Frieden des Gotteöhaufes, und 
die Störung fam ihr unerwünſcht. Sie dachte, es jey 
einer der Diener des Kaufes, und Fümmerte jich zuerft 
nicht darum. Aber ftärfer und andauernd ertünte dad 
Klopfen, bis die junge Frau fich ungeduldig, mit den 
Morten „Ad, daß du ewig Elopfen müßteſt!“ von ih— 
vem DBettftuhle erhob, um die Thüre zu Öffnen. 

Der treue Hund, welcher ihren Gatten begleitet hatte, 


189 


ftund vor derfelben, und jchmeichelte der Herrin mit 
traurigen Blicken und ängftlichem Winfeln ; fein Brief 
war unter dem Halsband zu finden, und mit einem 
Schmerzensfchrei fanf die arme Frau ohnmächtig zu 
Doden. Zwei Tage fpäter brachte ein Knappe die 
Trauerbotfchaft von dem Tode des Herrn von Rechberg ; 
er war im Kampfe erfchlagen worden. 

Don diefer Stunde an ſchien das Leben in Anna’s 
Bruft gebrochen, der Gram zebrte fichtbar an ihr, und 
als nach Jahresfrift Die Serbitftürme wieder durch Die 
Bäume beulten und die gelben Blätter davon trieben, 
fangen fie auch ihrem armen Herzen das Todtenamt, 
und fie ward zur emigen Ruhe gebettet. Zur felben 
Stunde, ald ihr Geift ſich von den Feſſeln des Körpers 
löste, ertönte das geifterhafte Klopfen an der Thüre 
ihres Sterbezimmers wieder, und fo lange Das Befchlecht 
der Nechberg blühte auf Erden, hörte jeder Nachfomme, 
wo immer er lebte, jenes geheimnißvolle Klopfen in 
feiner Todesftunde, gleich einem mahnenden Rufe aus 
einer andern Welt. — Noch lange ſah man im Schloffe 
der Herren von Rechberg zu Weißenftein einen Hund 
abgebildet, der eine lederne Taſche am Halsband trug. 


Der Geift auf Staufen. 


Nach geläuteter Abendglocke fieht man oft, felbft bei 
Sturm und Regen, eine helle, weitleuchtende blaue 
Flamme über den ſchmalen Erdrücken, welcher Hohen— 
ſtaufen und Hohenrechberg verbindet, hinwandeln. Sie 


199 


ziebt, bald schnell, bald Tangfam, linfs an der Burg 
vorüber, bis an die Bfarrficche auf dem Berge. Von 
bier aus macht fie den gleichen Weg zurück und bleibt 
bis zum Morgenfegen am Hohenſiaufen fichtbar, wos 
rauf fie verfebwindet. Diejes Phänomen erſcheint nicht 
alle Tage, fondern nur bie und da, befonders zur 
Herbſtzeit. 


Im Munde des Volkes erhielt ſich eine Sage, der 
zufolge das Flaͤmmchen ein Geiſt iſt, der aber noch 
nie Jemand Böſes zugefügt bat. 


In den grauen Zeiten des Mittelalters, als der 
Minnefang im feinem ſchönſien Glanze blühte, lebte 
auf Hohenſtaufen ein Edelknecht, der, obgleich ein tapfes 
rer Kämpe, doch Die Yaute mit Meiſierſchaft jchlug. 
Seine Lieder voll Glut und Leben, fanden in gar man- 
chem Frauenderzen ein Echo, und manch ſchönes Auge 
itrahlte ihm im fenchtem fange eistgegen, ihm Der 
Minne Luſt Yerbeigend. Er aber blieb kalt gegen Das 
füße Locen, denn im feinem Kerzen lebte Das Bild der 
Freiin von Hohenrechberg. Er hatte Das Ideal, das 
er im Brennpunkte der Seele trag, im Weibe eines 
Andern gefunden: aber er blifte anf zu ihr, wie man 
zur Madonna aufblickt, in jeliger Begeiſterung, hoch 
erhaben über jeden irdiſchen Wunſch! Traf ihn ihr Auge, 
ſo fühlte er ſich hingeriſſen von dem ſüßen, unnennba— 
ren Zauber dieſes Blickes, und doch glich ſeine Liebe 
einer heiligen Verehrung. So oſt die Nacht anbrach, 
verließ der Sängling Staufen und pilgerte einſam nach 


197 


Hohenrechberg, wo er zu den fehmeichelnden Tönen 
der Laute der Geliebten ein Schlummerlied fang. 

Der Nitter von Nechberg aber entbrannte in wilder 
&iferfucht, er konnte Die reine ſchwärmeriſche Leiden 
haft des Jünglings nicht begreifen, und lauerte ihm 
auf. Nach tapferer Gegenwehr mußte der arme Sän— 
ger unterliegen umd wurde, febwer verwundet, in Das 
Burgverlieg gefchleppt, wo er, ohne Pflege und Nah— 
zung, nad) wenigen Jagen verfchmachtete. 

Keine Chronik meldet, 05 die Frau von Rechberg unter 
jenen Ereignifjen gelitten habe, aber des armen Sän— 
gers treue Liebe hat felbft Das Grab überlebt, umd 
feit jener geit fieht man, bejonders im Herbſte, als 
der Jahreszeit, in welcher die unfelige That vollbracht 
wurde, das blaue Flämmchen den gewohnten Weg 
mwallen und beim Morgenfegen verfehmwinden. Wer 

"vermag das Räthſel Diefer Erfcheinung zu ergründen, 
und wer die geheimnißvolle Verbindung mit einer an— 
dern Welt zu läugnen oder zu erklären? 


192 


XVL 
Sangenburg nnd Kabenflein 


an der Jagſt. 


Langenburg, früher Langenberg, das nach Waldenburg 
am febönften gelegene Schloß des erlauchten KHohenloh’- 
ſchen Bürftenhaufes, Nefidenz des Fürſten Ehriftian 
Ernft Earl zu Hohenlohe-Langenburg, rühm⸗ 
lich. bekannt als Präſident der würtembergiſchen Kam⸗ 
mer der Standesherren. Es liegt auf der Spitze einer 
weit in das freundliche Jagſtthal hinausragenden Ge— 
birgszunge, in Mitte eines wohlgepflegten Gartens, 
von deſſen Plattform aus ein ſchöner Einblick in Das 
Jagſtthal fich eröffnet. Das Schloß Langenburg ift 
ein mafjived geräumiges vierecfigte8 Gebäude, mit vier 
Eckthürmen und einem Mittelthurm, deſſen Knopf 1642 
Fuß über dem Meere ragt. ES ift Durch zwei tiefe 
Graben, über welche Brucken führen, von der Stadt 
getrennt. Im Jahr 1610 wurde das Schloß theil- 
weife neu aufgebaut. Wahrfcheinlid wurde Damals 
auch die Burgfapelle eingerichtet, welche im Jahr 1627 
eingeweiht worden. 

Der jebige, fehr wohnlich eingerichtete Fürftenfig, 
fteht auf den Grundlagen einer alten, einft wohlbe— 
Ne Burg, von der fich febon zu Anfang des 13. 

Jahrhunderts ein hochedles Gefchlecht nannte, Das mit 
den Dynaften von Hohenlohe, ihren Rechtsnachfolgern, 


193 


in nahen, mahrfcheinlich verwandtichaftlichen Verhält— 
niffen fland, und namentlich im althohenloh'fchen 
Drte Mergentheim mit begütert war. Walther von 
Zangenbere zeugt von den Jahren 1201 bis 1232 
häufig in Urkunden, und befindet fich meiftens unter 
dem Gefchlechte der Kaifer vom flaufifchen Haufe. 
Seine Söhne waren Albert und Siegfried. Mit Diefen 
trägt er im Jahr 1226 dem Hochftift Würzburg zu 
Lehen auf: Rangenberg, Veſte und Stadt, Bächlingen, 
Neffelbah u. ſ. w., nebſt allen Fifchengen in der 
Jagſt, Die zur Veſte Langenburg gehören. Unter feinen 
- Söhnen war Albert Bruder Deutfchordens in Preußen. 
Zu gleicher Zeit wird ein Heinrich von Langenberg 
genannt, der durch feine Gattin Sophie von Bielrieth. 
zu Biringen bei Schönthal Güter erworben hatte. 
Das Wappen dieſer Edelherren war queergetheilt, oben 
in der ſchwarzen Abtheilung ein gefrönter goldener 
leopardirter Löwe, unten Schwarz und Gold gefchacht. 
Wie Siboto von Langenberg, der mit Albrecht von 
Langenberg im Sahr 1224 in einer Urkunde zeugt, 
in das Gefchlecht einzureihen wäre, wiffen wir nicht. 
Mappen und Beflgungen der Herren von Langenberg 
gingen wohl fchon vor 1234 in den Befi dee 
Herren von Hohenlohe über. Wohl tritt noch im 
Jahr 1253, während Veſte Langenburg bereits hohen— 
lohiſcher Beſitz iſt, ein Heinrich von Langenburg in 
einer Urfunde ald Zeuge auf, aber, wenn er anders 
nicht der ‚Ichte Erbe der Langenburger war, fönnte er ein 
Burgmann der Herren von Hohenlohe geweſen ſeyn, 

13 


194 


wie der fpäter im Jahr 1287 und 1290 genannte 
Conrad Neze von Langenburg, welcher fich eigentlich 
von Bächlingen geſchrieben. — Im Jahr 1234. er= 
ging über die Veſte Langenburg ein trauriges 2008. 
Don ihr und andern ihren Burgen aus follen Die 
Gebrüder Gottfried und Conrad von Hohenlohe Feind- 
feligfeiten, ja fogar Raub und Brandfiftung verübt 
haben, wodurd der Landfriede geftört wurde, Als 
Klage darüber ergieng, fällten die Fürften auf dem 
Keichstage zu Frankfurt im genannten Jahr das Ur— 
theil, daß Diefe und andere Burgen zerfiört werden 
follten. König Seinrich (VII) von Staufen, Fried— 
rich II. Sohn, ließ Diefen Beſchluß Durch Heinrich von 
Neufen vollziehen, und Die Veſte Langenburg murde 
nach Urtheil und Recht zerfiört. Darüber fcheint fich 
Gottfried von Hohenlohe bei dem Kaifer, feinem 
Gönner, beſchwert zu haben, und Diejer befahl als— 
bald feinem Sohne, mit eigenem Oelde Die zerftörten 
Schlöffer wieder berzufiellen , und namentlich Das 
Schloß Langenburg, welches zu Frankfurt von Rechts- 
wegen einem Pupillen (etwa Dem obigen Heinrich von 
Langenberg) zurücgeftellt war, Diefem wieder abzu- 
nehmen und an Gottfried von Hohenlohe wieder zus 
rückzugeben. König Heinrich aber that das nicht, um 
nicht Ehre und Necht zu verlegen, Dagegen ließ ev an 
Gottfried von Hohenlohe 2000 Mark Silbers zur Wie— 
derherftellung der Burg auszahlen. Von nun an blieb Die 
Veſte Langenburg im Befis der Herren von Hohenlohe. 
Bon Gottfried ging fie auf feinen Sohn Mraft J. 


a 


195 


über, der fie jeiner Tochter Adelheid, Gemahlin Con: 
rads von Dettingen, für 1200 Mark Heimfteuer ver- 
febrieben. Seitdem wurde Langenburg son feinen Ber 
figern manchmal verfegt und verpfändet, aber immer 
wieder eingelöst, ja im Laufe der Zeit wurden noch 
mehrere Höfe, Güter und Zehenten erfauft, auch kamen 
in Folge von Erbtheilungen mehrere namhafte Orte 
hinzu, und jo bildete fich Die Herrſchaft Langenburg, 
welche durch daS neuefte Erbe, Stadt Weikersheim und 
Die Dazu gehörigen Orte, bedeutend vermehrt, nunmehr 
eines der fchönften hohenlohiſchen Fürſtenthümer ge— 
worden. 

Auf der Gemarkung des Schloſſes und der Stadt 
Langenburg Tagen in alter Zeit noch zwei Burgen, 
deren Befiger wie Die Reize von Bächlingen zu den 
Dafallen (Burgmännern) der Kerren von Hohenlohe 
auf LZangenburg gehörten. Eine lag am Weg nach 
Michelbach auf der Marfungsgränze, und hieß Struth, 
eine zweite etwas entfernter auf einem Vorſprung Des 


Bergs, oberhalb dem Weiler Hürden, welche den Nas 


men Kagenftein trug. Don diefer Burg find nur 
noch wenige Nefte übrig; es find nichts als Stein— 
haufen, welche an der Stelle fich finden, Da die frühere 
Burg ftand. Noch kennt man Güter bei Bichlingen, 


welche zur Burg Katzenſtein gehörten, und bis auf die 


Zeit, der Zehentablöfung flatt dem Zebenten nur 
dreißigſten Theil zu reichen hatten. Wir geben ein 
"Sage, wie fie noch im Munde des Volkes ‚gebt „die 
von der hi Diefer feltenen Abgabe berichtet, 


- 


196 
Die Sage vom Dreißigften. 


Gegen das Ende des 13. Jahrhunderts, da Lan— 
genburg ſchon längft den Herren von Hohenlohe an= 
gehörte, lebte auf der Burg Katenftein Ritter Kunibert, ein 
Vaſall der Hohenloher, ein Mann tapfer und kühn, aber 
raub in feinen Sitten, und hart und ftreng gegen feine 
Dinterfagen. Sa, was wollen wir fagen? er war es nicht 
nur gegen jeine Hinterſaßen, fondern auch gegen fein eigen 
Fleiſch und Blut. Seine Gattin Irmgard von Langenberg 
batte ibm einen Sohn geboren, an defjen Geburt fte 
ftarb. Das war der einzige Sprößling, an dem feine 
Hoffnung bieng. Demungeachtet ließ er ihn aufwach— 
jen obne Sorge und Pflege, ganz ſich jelbft überlaffen, 
aljo Das der Knabe wenig in die Nähe des Vaters 
fam, jondern mehr bei den Knechten im Stall feine 
Zeit zubrachte, oder unter den Buben der Hinterfaßen, 
die unten im Dorfe Bächlingen wohnten. Nur bei 
Tiſche ſah er den Vater, und da war die Unterhaltung 
gemöhnlich weder eine belehrende, noch freundliche, denn 
Ritter Kunibert war ein mürrifcher und troßiger Mann, 
der wenig redete. Sah der Sohn den Vater außer 
diefer Zeit, fo waren es nur jene Stunden, wo er 
den Sohn wegen dieſes oder jenes jugendlichen Ver— 
gebens zornig zur Rede ftellte, oder, was gemöhnlich 
der Fall war, den Rüden des armen Knaben mit der 
Veitſche Durchbläute, Die fonft für feine Jagdhunde bes 
flimmt war. Go fünnen wir uns mohl denfen, daß 
fih der Knabe von Jugend an menig an das Herz 


| 


197 


des Vaters anfchlog, fondern vielmehr jich demfelben 
immer mehr entfremdete. So wuchd der Knabe zum 
Jüngling, ohne Liebe zum Vater, aber auch ohne Sitte, 
denn der raube Vater ftand ihm weder mit Mahnung, 
noch Lehre zur Seite. Im jenen Zeiten war es Ges 
brauch, daß Nitter ihre Söhne, fobald fie das 14. 
Sahr erreichten, auf die Burg eines befreundeten Rit- 
terö jandten, um Hitterfchaft, Sitte und Anftand zu 
lernen ; das hielt Ritter Kunibert nicht für nöthig, 
denn er glaubte, daß fein Sohn Wildemar durch fich 
ſelbſt oder feine Knechte ſchon genug lernen Fönnte, 
um dereinft fein Roß tummeln, den Eber been und 
den Reiher beizen zu können; wie man den gnädigen, 
oder vielmehr ungnädigen Seren gegen die armen Hin— 
terfaßen jpielte, Das, meinte er, würde der Sohn am 
beiten dem Vater abjehen. Jedoch gerade darin nahm 
Wildemar den Vater nicht zum Vorbild, wenn er auch 
in Anderem viel Achnlichkeit mit dem Vater zu haben 
ſchien. Statt ſtolz und hochfahrend, war er gegen Die 
DBauernlümmel, wie fie fein Vater in feinem Gtolze 
nannte, freundlich und liebreich, und gar nicht wie ein 
Junkherr. Ja er war fo gerne unter den Bauern, daß 
man ihn oft bei ihnen auf dem Felde fand, wenn jte 
ihre ländliche Arbeit verrichteten, und Junkherr Wilde» 
mar entblödete jich nicht, Die Pferde am Pflug zu treis 
ben, oder in der Erndtezeit Die Garben zu binden und 
den Bauern helfen den Wagen zu laden. Darum 
wurde Wildenar manchmal gar firenge von dem Vater 
zu Rede geftellt, denn, ob er gleich den Sohn unter 


198 


den Bauernbuben hatte aufwachfen laffen, war es ihm 
Doch zuwider, Daß er als Junkherr von altem Adel zu 
ſolchem Bauernvolf ſich erniedrigte, und mit dem ge— 
meinen Volk, auf das er in feinem Adelſtolz jo Hoch 
berabfab, fo gar freundlich verkehrte. Ob gleich Ritter 
Kunibert dem Sohn wegen dieſes feines Treibens, Das 
ja nur eine Folge feiner vernachläßigten Erziehung war, 
heftige Vorwürfe machte, fo hörte der Junkherr dennoch 
nicht auf, jich freundlich zu Den Bauern zu halten, 
und man ſah ihn bald jelten mehr droben auf Der 
Burg, fondern eher drüben über Der Jagst in dem 
Dörflein Bächlingen. Wenn die Randleute in der Feier: 
ftunde oder an den Sonntag Abenden fich unter Der 
Drtslinde mit Söhnen und Töchtern verfammelten, da 
fehlte felten der Junkherr ab der Burg, und er that 
viel freundlicher mit den Dirnen des Orts, als mit 
den Töchtern des Grafen drüben auf der Burg Lan— 
genberg, wenn er je einmal jene Burg  beimfuchte. 
Einer vor Allen wendete Wildemar feine Aufmerkſam— 
feit zu, es war ©ertrude, das Mägpdlein mit blauen 
Augen und blonden Saaren. Sie war nicht aus dem 
Drte gebürtig, fondern hielt fich fett ihrer Jugend bei 
einem Wetter von mütterlicher Seite, dem Ortsrichter 
zu Bächlingen auf, dem fie, da er ohne Gattin und 
Finder war, bisher das Hausmefen führte. Ihre El 
tern und Gefchwifter faßen weiter unten im Sagstthal 
und waren Sinterfüaßen der Grafen von Hohenlohe. 
Seit Junkherr Wildemar die Tiebliche Gertrude ſah, 
verging fein Abend, Daß er nicht unter der Linde im 


199 


Drt fich einfand, und oft Echrte er erft, wenn der Mond 
weithin über das Thal ftrahfte, auf die väterliche Burg 
zurüf. Als aber der Winter mit feinen langen Aben— 
den eintrat, wo die Mägdlein des Dorfs fih zum Vorſitz 
verſammeln, fehlte auch der Junkherr nicht; er ſaß 
unter den Sünglingen des Dorfs, die noch Gefpielen 
feiner Jugend waren, und machte alle jene heiteren 
Spiele und Scerze mit, welche den Mägdlein von 
Lande die Unterhaltung der VBornehmen erfegen müſ— 
jen. War der Junkherr während der Spiele freund- 
lich gegen: Alle, fo ließ er, wenn die Jünglinge und 
Mägdlein auseinander gingen, unverbolen merken, wen 
jein Beſuch gegolten, denn er begleitete jeder Zeit Das 
liebliche Mägpdlein bis zum Haufe des Vetters — von 
dort aber kehrte er um, denn im Haufe des Drtörichterg 
war firenge Zucht, und Gertrude war fo rein und 
fittjam, Daß nur ein warmer Händedruck Alles war, 
was der Junkherr zum Abfchied erhielt. Mit Diefen 
Lohne mußte er fich begnügen, und dann in der ftod- 
> finftern Nacht Durch den tiefen Schnee, ja oft unter 
Wind und Sturm, den Burgpfad hinanfleigen, den 
er oft mit den Händen fuchen mußte Doch, wo hat 
ein Tiebender Jüngling je Wetternacht gefürchtet, oder 
von ſteilem und unmweglamen Pfade fich abſchrecken 
laffen, wenn diefer zum Liebchen Hin, ‘oder von ihm 
zurückführte? Aber andere Hinderniſſe flellten fich bald 
Wildemars Liebe in den Weg, die ſchwerer zu über— 
winden waren, ald Sturm und Wetternacht, als ſteile 
und ſchneebedeckte Pfade zur Hochgelegenen Burg. Rit— 


200 


ter Kunibert von Kaßenftein wurde bald aufmerkffam 
auf die nächtlichen Wanderungen des Eohnes, er er- 
fuhr von feinen Leuten, wen zu Lieb der Junkherr jo 
oft Die Burg hiuabſtieg, und fo fpät wieder nach Haufe 
kehrte — über der Jagst zu Bächlingen war es vor 
Niemand mehr verborgen, daß der Junkherr der blon- 
den. Gertrude zugethan ſey; ja, man wollte ſogar noch 
Mehr wiſſen, denn nirgends pflegt die geſchwätzige Sage 
mehr Hinzuzuthun, als in folchen Fällen. Wohl war 
es, als der Winter im Jagstthale Abichied nahm, und 
der Frühling fich wieder einftellte, zwifchen dem Junfe 
berrn und der lieblichen Gertrude weiter gekommen, 
ald es zu Anfang des Winters geweſen war — Das 
Mägpdlein ließ des Junkherrn Zuneigung nicht uner— 
wiedert, ja fie machte fich fo wenig Daraus, wenn fte 
von ihren Gefpielinnen mit ihm geneckt wurde, daß ſie 
ſich nicht feheute, Des Abends, wenn der Junkherr von 
der Burg herunterfam und wieder dahin zurückkehrte, 
ihm bis zu dem Steg, der über die Jagst führt, das 
Geleit zu geben. Aber immer geſchah es ohne Wiſſen 
ihres Vetters, Denn er ſah ungerne dazu, Daß ber 
Junkherr von Kagenftein auf feine Gertrude dad Auge 
geworfen hatte. Oft fagte er im ernften und bedeu— 
tungsvollen Tone zu ihr: Gertrud, laß von dem 
Junkherrn, denn zur Hausfrau kann er Dich nicht 
wollen, und für feine Buhlin bift du mir zu gut; 
weife ihn artig von Dir, ſonſt befürcht' ich, möcht! es 
wohl ein übel Ende nehmen. Gertrud verſprach es 
feierlich, den geliebten Junkherrn abzumeifen, ohne ihn 


201 


zu beleidigen, aber fo oft fie es ſich auch vornahm, 
jie Fam nie dazu. Noch viel weniger lieg Wildemar 
von feiner Neigung ab, obgleich der Vater zuerft bittere 
Worte, und dann die furchtbarften Drohungen an- 
wendete, um jeinen Sohn zu beflimmen, daß er von 
der Bauerndirne laſſe, mit der er nur den hohen Adel 
feined uralten Gefchlecht3 beflecke. Letzterer Grund galt 
bei Wildemar gar wenig, denn wenn er unter der 
Linde zu Bächlingen neben Gertrude faß, oder wenn 
fie ihm beim Abjchied auf dem SJagstbrücklein einen 
warmen Händedruck gab, fo ſchwand vor ihm jene 
Kluft, welche die Edelgeborenen und die Unfreien von 
einander trennte. Aber auch die Drohungen des Vaters 
machten nur auf Furze Zeit einen Eindruf auf ihn. 
Einige Zeit blieb er auf der Burg, aber bald ging 
er wieder ind Thal hinab. Er Dachte nicht, daß fein 
Vater in der Erbitterung des gefränften Adelftolzes fo 
weit gehen würde, felbft gegen fein eigen Fleiſch und 
Blut graufam zu verfahren, oder zum wenigiten das 
fchuldlofe Mägdlein zum Opfer feiner Rache zu machen. 
Das geſchah bälder, ald man nur vermuthen Eonnte. 
Eines Abends Eehrte der Junkherr vom Dorfe zurück 
— es war fchon tiefe Dämmerung, als er mit feiner 
Begleiterin an dem Brücflein anfam; eben hatte er ihr 
die Hand geboten, und war mit dem Wunfche: gute 
Nacht! über den Steg getreten, Gertrude aber wendete 
fich fehon beimmärts; da auf einmal wurde fie von 
einer hohen Geſtalt feftgehalten, die in Dunfel an 
den Eteg gefchlichen war, ohne daß Wildemar es merkte. 


202 


Gertrude ſchrie laut auf, als fie Die fremde Sand am 
Arme fühlte. Schnell Fehrte der Junkherr um, und 
fand wieder bei Gertrud, welche jich von dem fremden 

anne loszumachen fuchte, Der fie nach dem Brücklein 
zog. — Wildemar unterfuchte nicht fange, wer es war, 
er faßte Den Gegner, um ihn von Gertrud zu reißen. 
Aber Diefer war £räftiger, und fehleuderte das Mägd— 
fein, das er ohne Mühe an fich gezogen. hatte, über 
den Steg, wo die Jagst am tiefften war. Als Wil- 
demar den Ball hörte, ließ er von dem Manne, und 
iprang Der Geliebten nach, um fie zu retten. Er ver- 
ſank mit ihe in Die Mellen des Fluffes. — Der Ritter 
von Katzenſtein — das war die vermunmte Geftalt 
— hatte fein Werk vollbracht, zu den er ausgegangen 
war — er hatte das Opfer feiner Rache den Fluthen 
der Jagst übergeben — wider feinen Willen war e8 
ein Doppeltes Opfer geworden, auch der Sohn wurde 
mit in das Verderben Dineingezogen. Doc es machte 
dent harten Manne, der noch nie recht liebend für den 
Sohn gefühlt hatte, feinen großen Kummer. Er ſah 
das Mädchen, und bald Darauf auch den Sohn im Die 
Fluthen verfinfen — bald darauf, wie der Sohn Die 
Geliebte am Arm faßte und mit den Wellen rang, 
aber er wurde nicht gerührt — wie ein Fremder wandte 
er fih ab, und überließ die Külfsbedürftigen ihrem 
Schickſal. Er ging gleichgültig auf feine Burg zu— 
rue, und meinte noch ein gute8 Werk gethan zu haben. 
Aber über Dem Schieffal der Beiden, Die in der Fluth 
verfanfen, wachte ein Höherer, der es liebevoller mit 


’ 


203 


ihnen meinte. Weit unter dem Dorfe Bächlingen 
brachte Mildemar das halb todte Mädchen ang Land. 
Als Gertrude wieder zu fich gefommen war, wurde 
ſchnell ein Entſchluß gefaßt und ausgeführt. Wildemar 
hatte erfannt, Daß e3 fein Vater gewejen war, der fo 
ſchrecklich gegen das unfchuldige Mädchen verfahren 
war; alle Bande Der Liebe waren Dadurch zerrifien : 
er wollte nimmer auf die Burg zurückkehren. Un Der 
Hand des Tiebenden Mädchens zog er abwärts Das 
Thal. Im Dörflein Hohebah, nicht ferne von Der 
fteblichen Kapelle St. Wendelins zum Gtein, im Ge— 
burtsorte Gertrudeng ; fanden. beide freundliche Auf— 
nahme in Dersärmlichen Hütte liebender Eltern, und 
nach Kurzem die Erfüllung ihrer Münfche. Der Junf- 
herr Tegte alle Zeichen des adeligen Standes ab, ex 
vertauſchte Den ritterlichen Sammtrock mit den leinenen 
Kittel des Bauern, die Stiefel mit Flirrenden Sporen 


mit dem plumpen Bundſchuh, und fühlte ih von nun 


an viel glücklicher in feinem geringen Stande, am der 
Seite feiner getreuen Gertrud, als in feinem früheren 
Leben auf der Burg, Das ohne Liebe war, und ihm 
nie recht behagt hatte. Er lebte einfam und verborgen 
vor der Melt, in füßem Frieden, in dem er durch 
Nichts geftört wurde, da Niemand von ihrem Aufent— 
halt wußte, ausgenommen der Better zu Bächlingen, 
der bald nach Gertruds Rückkehr in die Heimath von 
ihren Eltern in Kenntniß gefeßt worden war, aber 


unter dem Giegel der größten Verſchwiegenheit, denn 


Gertrud und Wildemar befürchteten, der Vater anf 


204 

der Burg Fönnte fie früher oder fpäter in feiner Ver— 
borgenheit aufjuchen. Ihre Furcht übrigend war ver— 
gebens. Ritter Kunibert von Katzenſtein hatte nicht 
einmal nach feinen Sohne Nachfrage angeftellt, er 
mwähnte ihn in den Fluthen der Jagst begraben mit 
dem Mäbchen. — Er ſchweigt gerne von dem fo fchnell 
verfchwundenen Sohn, denn die Erwähnung feines 
Namens muß ihm ja in die Seele rufen, daß er, von 
Reidenfchaft verleitet, eine Doppelte Sünde gethan. Doc) 
die Stimme feines Gewiſſens fchmeigt nicht, wenn auch 
Niemand mehr von dem verfchmundenen Sohne redet, 
es Elagt ihn an uud macht ihm manche trübe Stunde. 
Je mehr feine Haare grau werden und Die Tage des 
Alters nahen, deſto einfamer und verlafjener fühlt er 
fib. Ritter Kunibert hat Diener und Reiſige um fich, 
Die feiner Befehle gewärtig find, aber unter ihnen ift 
kaum einer, der feinen Sohn erfegen fünnte, und wenn 
der verlorene Sohn Wildemar feinem Kerzen audy nicht 
fo nahe ftand, wie es hätte jeyn können. — Dreizehn 
lange Sabre feblichen dem Ritter dahin in feiner Ein- 
ſamkeit und DVerlaffenheit, in feinem Gram und Trüb- 
finn, der durch Nichts, weder durch Jagd, noch Trink 
gelag verfcheucht werden Fonnte. Oft famen Stunden 
bei ihm, Daß es Fein Diener mehr in feiner Näbe 
aushalten fonnte, fo düſter und griesgrämig war Ritter 
Kunibert. Es waren Stunden, wie bei König Saul, 
wenn der böfe Geift über ihn Fam. Nur Einer feiner 
Diener, der ergraute Wunibald , durfte in folchen 
Stunden um ihn ſeyn, und fonnte ein Wort des 


205 


Zufpruch® wagen, wenn der Nitter je ein folches an- 
nahm. Es war ein ſchöner Morgen im Mai, der 
Pfingfimontag, die Sonne glänzte mild über das Thal 
bin, aus dem Schatten der blüthenreichen Bäume er= 
Hang luftig die Stimme der Vögelein, und die Jagst 
raufchte noch rafcher durch den Wiefengrund, gleichſam 
ihre Freude zu bezeugen, daß es fo herrliche Zeit ſey. 
Der alte Wunibald trat in das Gemach feines Herrn, 
um ihm das Handbecken zu reichen. Was für ein 
fhöner Tag, fo begann er, als er feinen Seren mit 
düftrem und trübem Blicke ſah — traun, Das ift der 
jchönfte Pfingftentag, den ich mir denfen kann; die 
Leute im Thal haben es gut getroffen, Daß fie den _ 
zu ihrer Maienfahrt erfehen. So, fo, fagte der Ritter. 
griesgrämig, die Bächlinger wollen eine Maienfahrt 
halten, und doch find letztes Jahr die Früchte fo ſchlecht 
gerathen, Daß es kaum zum Zehenten für mich hin— 
reichte; von Gült und anderer Steuer will ich nicht 
reden — ich mein’, die Luft zur Maienfahrt follte 
heuer meinen Hinterfaßen vergangen feyn. Doch nicht, 
guädiger Kerr, entgegnete Wunibald, und fie haben 
auch Recht — was follen fie den Kindern dießmal 
die Freude nehmen, weil Ge legte Jahr fein geſegne— 
te8 und der Winter ein fo gar firenger gewejen? das 
Bittre müſſen fie verſchmerzen im Anblick des Segens, 
der jeßt vor ihrem Blicke Tiegt; wahrlich, gnädiger 
Herr, fo ſchön haben die Bäume noch nie geblüht, 
wie heuer, man flieht vor Blüthe Fein Blättchen mehr, 
im Saatfeld aber mwallen ſchon die ehren, Daß fie 


206 


nur reif werden Dürfen — traun, Da darf man fi 
fchon freuen im Mat, und eine Maienfahrt ift Feine 
Sünde. Aber, gnädiger Herr, was fagt ihr Dazu, Daß 
eure‘ Hinterfaßen diegmal bei ihrer Maienfahrt hieher 
auf Die Burg. ziehen und unter Der Linde Den Maien— 
tanz halten wollen? — Wer hat e8 dem Bauernvolf er= 
Yaubt? fragte der Ritter mit bittrem Ton: Niemand, 
entgegnete Wunibald, aber mich haben die Bächlinger 
angegangen, bei euch darum anzuhalten, und ihr wer— 
det es doch nicht abfcehlagen ; auch würd’ es euch wohl 
nicht fehaden, wenn ihr Die Sreude mit. anfehen würdet, 
denn ihr habt Doch fo wenig Sreude im Leben. „Wohl 
— die Luft Anderer mehrt nur meinen Trübfinn 
— Sag’ ihnen, fie Dürfen nicht Fommen.” Obgleich 
der Ritter auf ſolche Weiſe entichieden feinen Willen 
fund that, daß feine Maienfahrt nad) der Burg ge— 
fchehen dürfe, fo ließ fich Doch der gute Wunibald 
nicht abfehreden ; er wiederholte noch einige Male feine 
dringende Bitte, und beſtürmte fo lang das Herz Des 
Burgseren, bis er endlich, wenn auch etwas umwillig, 
fagte: fo mögen fie fommen! Im der andern Stunde 
hatten die Sinterfagen im. Thal ‚von ihrem treuen 
Fürfprecher fchon Bericht, Daß es geſchehen Dürfe, was 
ſie wünfchen. — Nachmittags um die zwölfte Stunde 
verfanmelte ſich Alt und Jung unter der Drtslinde, 
Alles war feftlich angethan wie zu einem Kirchgange, 
Befonders hatten die Mägplein und Sungfrauen allen 
Kleiverflaat zufammengefucht, den fie ſchon lange Zeit 
nimmer aus dem Behälter hervorgezogen hatten. Die 


207 


Sungfrauen bis zu den kleinſten Mägdlein von fieben 
Fahren trugen Schayeln von Roſen- und Goldbändern 
auf dem Kopf, und Blumenfränze in den Händen ; 
auch Die Knaben hatten reiche Schapeln aufgefegt und 
ſchwangen Diaienreifer. Als ſämmtliche Bewohner um 
Die Linde verfammielt waren, wurde Der Feſtzug geord— 
net, Knaben und Mägdlein ftellten ſich Baar und Baar. 
Den Zug eröffneten zwei Knaben, Die befonders feftlid) 
angethan waren; fie trugen große feidene Bahnen, 
welche, fonft bei firchlichen Aufzügen durchs Ort und 
auf der Flur getragen worden. Die früh vollendete 
Burgfrau hatte ‚beide Fahnen in die Kirche geftiftet, 
und mit eigener Hand in die eine Fahne ihr Familien— 
wappen, in Die andere das Mappen des Gemahls ges 
ſtickt. Nach den Tahnenträgern folgte die Muſik; «es 
waren Sünglinge mit einem Dudelſack, Blöten, Po— 
faunen und Hörnern. Hinter ihnen: gingen zwölf 
Mägdlein in weißen Kleidern, die trugen Blumenförb- 
chen in der Hand; dann Fam der ganze Zug, und 
zwar fo, daß immer Die Eleinften Kinder Horangingen. 

Nachdem der Zug in Reih und Glied getreten war, 
‘gab der Schulmeifter , welcher Alles geordnet hatte, 
ein Zeichen, und die Muſik fpielte eine heitere Meife 
zum Abzug. Jetzt erſt, als der Zug Die Linde verließ, 
und bergan flieg, ſah man die Menge, welche fich 
verfammelt hatte. So lange ſich der Zug der Kna— 
ben und Mägpdlein dehnte, fo groß war der Troß der 
Erwachfenen, der fich Hinten anfchloß, und zum Theil 
zur Eeite ging, ohne jedoch Die Ordnung zu flören, 


208 


Niemand im ganzen Orte war zurückgeblieben, felbft 
Greife und alte Mütterchen verliefen ihre Hütte, von 
der fie fich fonft felten trennten, und feuchten an ihrem 
Etabe Hinter oder neben dem Zug her, der, fo lange 
es fteil den Berg binanging, nur langfam einherzog, 
und da und dort einen fleinen Stillftand machte. Auf 
jolche Meife bedurfte e8 lange Zeit, bis man oben 
anfam, und e8 war Sleinen Leid, weder den Alten, 
no den Jungen — denn fo oft man einen Gtill- 
ftand machte, Fonnte man fich umfehen, und an dem 
fhönen Thale, feinen blumenreichen Wiefen und Feldern, 
jowie an den Gärten mit blüthenreichen Bäumen weiden. 
Endlich gelangte man auf der Fläche des Berges in 
der Näbe der Burg an. Mit Willen des Burgherrn 
— fo Diel Hatte der gute Wunibald bei feinem Herrn 
durch freundliche Bitte zumege gebracht — war das 
Thor der Burg mit frifchen Maien geziert, und ein 
Kranz von Moos, Epheu und Immergrün fchlang fich 
über den Bogen des Portals. Als Die Vorderften des 
Zugs den Burgherrn erblictten, der ſchon auf den 
Söller getreten war, um den Zug zu betrachten, bes 
gannen Die Spielleute eine heitere Weife, Die aber nur 
furz dauerte, denn fehnell fiel die ganze Jugend mit 
ihrem Geſang ein, und es Hang aus Aller Mund der 
Größeren, wie der SKleinften, die wonnigliche Weife: 

Wohl auf grüßen 

Wir den füßen 

Mat, der büßen 

Will des Winters Bein ; 


209 


Der ung will bringen 
Böglein Singen, 
Blumen Springen 
Und der Sonne Schein. 


Dann jpielten die Jünglinge wieder, und fo ging 
es fort mit Gefang und Muſik, bis der Zug unter 
der großen Linde im Burghof angefommen war. Wäh- 
vend Der Zug fich im Kreife ftellte, kam der Burgherr, 
begleitet von Wunibald, in den Hof herunter und der 
Linde zu, wo ein fehöner Sitz für ihm bereitet war. 
Die Fahnenträger fenkten vor ihm die Fahnen, Die 
Mägdlein mit Blumenförben beftreuten. feinen Weg mit 
Blumen, und Andere, welche Kränze trugen, bingen 
diefelben an den Aeſten der fich weit ausbreitenden 
Linde auf. Als Ritter Kunibert fich niedergelaffen hatte, 
ftellten fich Die blühenden Fahnenjunker zu beiden Sei: 
ten des Sitzes und liegen die Bahnen luſtig über dem 
Haupte des Burgherrn wehen. Bald gab der Führer- 
der Jugend wieder ein Zeichen ; die Knaben und Mägd- 
fein erhoben die luſtige Tanzweiſe: 


Wohl auf ihr Mägdlein zart und fein, 
Heran im füßen Maien! 


und die ganze Menge fiel unter dem Klange der Flöten 
und Pofaunen ein bei den Worten: 


Im Maien am Reihen 
Sich freuen Knaben und Mägdelein. 
14 


210 


Und nun begann die rechte Freude unter dem Spiele 
der Flöten und Pojaunen; Knaben und Mägplein bes | 
gannen zu tanzen auf dem mit Blumen beftreuten 
Boden ringd um Die Linde herum. Das war ein Ge— 
wimmel und ©etümmel, wie jdron lange Zeit nicht 
mehr in dem Burghof gewefen war. Se lärmender 
es zuging, deſto mehr freute e8 den Burgherrn. Co 
war ihm jchon lange nimmer Dad Herz aufgegangen, 
das für die Freude beinahe verichloffen zu feyn fchien. 
Darum Tieß er fich auch heute beſonders gnädig finden. 
Auf feinen Wink mußten die Diener große irdene Krüge 
mit Wein, und Körbe mit Brödchen berbeibringen. 
Wunibald machte den Mundſchenk, und Fieß den Be- 
cher mit edlem Wein fleifig unter den Kindern herum 
gehen. Als dies vorüber war, warf ein anderer Die- 
ner die Brödeben unter die Kinder; da gab es ein 
Gefrappel und Gezapypel, das dem Burgherrn eben fo 
viele Freude machte, wie das Tanzen felbft. Jedes 
der Kinder wollte fein Brödchen zuerft haben, und 
während fie haftig darnach griffen, purzelten die meiften 
auf den Boden, wo es bald fo voll mit Kindern, 
wie mit Blumen lag. Doc, kam feines zu kurz, denn 
wer auf dem Boden fein Brödehen ermifchte, erhielt 
jolches8 aus Der Hand Des Dienerd, Der noch einen 
Eleinen Vorrath zurücbehalten hatte. Als dieſe fürs 
mifche Brodvertheilung vorüber war, und fich Die 
jänmtlichen Kinder mit Speiſe und Trank erquidt! 
hatten, ging der Tanz wieder an, an dem befonderd 
die Mägdlein fich bei Weitem noch nicht erfüttigt hats 


211 


ten. Dießmal war e5 eine befiere Ordnung, als zu= 
vor, denn die Eleineren Kinder drangten fich noch nicht 
alle herbei, da manche noch mit dem Berzebren ihrer 
Brödlein befchäftigt waren. War es zuvor nur ein 
ungeordnetes Gewimmel, fo ſtellten fich jest Baar und 
Paar hintereinander ; ein Vortänzer mit feiner Tän— 
zerin begann den Reihen, und nur 6 Paare tanzten 
auf einmal um die Linde; hatten 6 Baare die Runde 
gemacht, dann flellten fie fich außer dem Kreis, und 
der Vortänzer begann wieder mit 6 andern PBaaren 
den Tanz. Mit fichtbarer Freude fah der Burgherr 
auf dieſen mohlgeordneten Reihen; befonders richtete 
er feine Aufmerffamfeit auf die Vortängerin. Es war 
ein Mägdlein von etma 12 Jahren mit blühenden 
Wangen und langen blonden Zöpfchen. Keines unter 
allen den Tanzenden zeigte eine folche Fertigkeit im 
Zangen, feines ftellte den Fuß fo niedlich, und hüpfte 
jo leicht an der Sand des Tänzer wie dieſes Mäd— 
chen — kurz, e8 war die bejte und Tieblichite Tänzerin 
unter allen, Die verfammelt waren; auch zeigte jich das 
Mädchen umermüdet, denn bei feinem einzigen Reihen 
hatte fie ausgeſetzt. Nitter Kunibert verfolgte das 
Mädchen immer mit feinem Auge, und fo oft ed an 
ihm vorüberflog, wollte er es aufhalten, um es zu 
fragen, wen es angehöre, aber es gelang ihm lange 
nicht. Kaum hatte dad Tanzen ein Ende erreicht, jo 
winkte der Burgherr dem Mägpdlein, das alsbald, aber 
frhüchtern und mit verfehämten Wangen, ihm mabe 
trat. Er faßte es bei der Sand und jprach: wen 


212 


gehörft Du zu, mein Kind, und wie heifeft du? Ich 
heiße Trudchen, und gehöre dem Ortsrichter von Bäch- 
fingen, antwortete das Mägdlein. Du bift eine ſchmucke 
Sängerin, jprach der Burgherr weiter, jo erbitte die 
eine Gnade von mir, weil du Deine Sache ſo gar brav 
gemacht haft. Das Mägdlein war verlegen und mollte 
lange nicht mit der Sprache heraus ; es wandte fich 
zu einem alten Manne, der indefjen fich genäbert hatte 
und binter ihm ſtand, und biete ihn forfchend an, 
gleichfam, als ob e8 fragen wollte, um maß es den 
Burgherrn bitten müßte. Noch einmal fapte Nitter 
Kunibert das Mägdlein bei der Sand, zog es zu fich, 
und fragte: was wünfcheft du, Daß ich Dir es erfülle, 
du ſchmucke Tänzerin? Ein Kreis von Ermwachfenen 
drängte ſich herbei, und richtete ſich mit gefpannter 
Erwartung auf das Mädchen, um zu hören, um was 
es bitten würde. Trudchen fab eine Zeitlang vor fich 
bin, als ob fie fich befinnen wollte, dann fprach ſie: 
weil ihr mir eine Gnade erlaubt, gnädiger Derr, fo 
bitte ich euch, Daß euch mein Vater Dort von feinen 
Grundftüden fürder nicht den zehnten, fondern den 
dreißigften Theil geben möge. Freundlich lächelte 
der alte Orterichter dem Mägdlein zu, als es jo fpradh, 
und flopfte ihm auf die Schulter ; der Burgherr aber 
ſprach: es ſey Dir verwilligt, mein Kind, um was Du 
gebeten haft — die Grundſtücke des Ortsrichters von 
Bächlingen follen auf ewige Zeiten nur den dreigigften 
geben. Jetzt trat Trudchen herzu und fühte dem Burg« 


herrn ehrerbietig die Sand; dann nahte auch der alte 


213 


Mann und Danfte Dem Ritter für feine Gnade, die er 
um des Mägdleins willen ihm erzeigt. Wirklich war 
es auch Fein Geringes, denn der Ortärichter hatte ſehr 
viele Grundftücke gerade unterhalb der Burg Kapenftein. 
Auf alle Umftehenden machte dieſe Önadenerweilung 
des Burgheren einen aar freudigen Eindrud. — Jetzt 
tanzen auch wir einen unjrem gnädigen Herrn zu Eh— 
ren, tiefen Die Erwachſenen, die einen Kreis um Die 
Linde geſchloſſen und vor Die Kinder fich gedrängt 
hatten. Und nun begann ein Tanzen und Springen, 
das noch länger dauerte, als bei den Kindern; Ritter 
Kunibert wurde fo fröhlich und in Folge feiner Freude 
iv gnädig, wie er es feit Mannsdenken nimmer ges 
mweien war, und ließ nicht nur den Kindern noch ein— 
mal Wein und Brod auftragen, Tondern er bewirthete 
auch die Erwachſenen, jo dag Alte und Junge Alles 
hatten, was nur das Herz wünschen fonnte. Das war 
ein luſtiger Maientag, dergleichen noch Feiner gehalten 
wurde, er endete erft, al$ die Sonne am Simmel fich 
neigte. inter hellem Subeljang verließen Alte und Junge 
den Burghof und zogen den Berg hinab, wenn auch 
nicht ganz in derfelben Ordnung, wie man hinaufge- 
kommen war, denn der kühle Trunf, den der Burgherr 
fvendete, hatte den Alten recht warın gemacht. Nur zwei 
blieben nod) im Burghof zurüf nach dem Willen des 
Burgherrn, der alte Ortsrichter und Trudchen. Als 
es im Hofe ruhig war, wendete ſich der Burgherr zu 
Trudchen, deren Gefichtszüge ihm gleich Anfangs auf- 
gefallen waren — fag’ mir, Trudchen, ſprach er, wie 


214 


heist deine Mutter? Gertrude, gnädiger Herr, antwors 
tete Das Mädchen. Und du wäreft alfo die Tochter 
diefes alten Mannes? fragte er weiter. Nein, dem 
ift nicht alfo, gnädiger Herr, nahm der Ortsrichter dag 
Mort — das Mägplein heißt mich nur Vater, weil ich 
e8 Schon Jahr und Tag bei mir habe — e8 ift aber 
das Kind meiner DBafe, Die weit unten an der Jagst, 
wohnt. Der Nitter fragte immer meiter; unbefangen 
antwortete Irudchen, bis er einem Geheimniß auf bie 
Spur Fam, das ihm der alte Mann zulegt nicht mehr 
vorenthalten fonnte ; unter Zittern und Zagen geftand 
er Alles, was fich feit jener Stunde begeben hatte, da 
der Burgherr feinen Jähzorn über Gertrude audgelafe 
jen hatte. Da wurde es dem Burgherrn weich ums 
Herz, er 309 das Mägplein an die Bruft und küßte 
es innig ; er, der felten geweint hatte, vergoß Thränen 
der innerjten Rührung ; er Sprach aber fein Wort, Denn, 
wenn Das Herz von Gefühlen überfließt, finden mir 
feine Worte, um ihnen den Ausdruck zu geben — 
nur aufwärts blickte er zu dem, der die Gefchide Der 
Menſchen oft wunderbar leitet, und deſſen Willen ims 
merdar gefchehen muß. Auch dem alten Ortsrichter 
liefen Die hellen Zähren über die Wangen herunter. 
Nur Trudchen mußte nicht, mas Das Alles bedeutete, 
daß der fo vornehme Herr fie and Herz drückte und 
füßte, und der alte Vater belle Thränen vergoß. Aber 
bald wurde auc dem Mädchen Das Räthſel gelöst. — 
Am anderen Tage nach der heiteren Maienfahrt Der 
Bächlinger faß Gertrude vor ihrer Hausthüre zu Hohes 


215 


bach, ein Kind hatte fie auf den Armen, und drei fleine 
Knaben fpielten in ihrer Nähe. Eben war ihr Gatte 
nach Haufe gefomnen — er trug die Senfe auf dem 
Rüden, und hatte auf der Wiefe Gras gemäht. Das 
Kind auf dem Schooß der Mutter ftreefte freudig Die 
Händlein gegen den Bater aus, und der fchäderte bald 
mit dieſem, bald richtete ex freundliche Worte an Die 
Mutter. Auf einmal rief Gertrude, Die eben in Die 
Ferne ſah: fehau, dort herab an der Jagst fommt ja 
Trudchen und der alte Vetter von Bächlingen, und 
mit ihnen ein vornehmer Herr. Wildemar, von den 
Bewohnern des Dorf3 nur der Edelbauer genannt, 
wandte ſich um, und ſah, woher Die drei kamen. O 
Gott, rief er, der gleicht dem Ritter auf Kagenftein; 
fein hoher Wuchs und fein Gang ift es. Gott fey 
ung gnädig, rief Gertrud ſchreckensbleich — dein Vater 
fucht uns auf; fie wandte fich zitternd und bebend Der 
Hausthüre zu, um fich in einen Schlupfwinfel zu ver- 
ftecfen. Bleibe, Gertrud, fagte Wildemar, der Vater 
kommt nicht im Zorn, fondern im Trieben, denn fiehe, 
er führt Trudchen an der Hand. Bald waren Die drei 
Säfte dem Haufe nahe gekommen — Trudchen lief in 
die Umarmung des Vaters und der Mutter, und freute 
fih im Wiederfehen der ihrigen. Ein amdere8 war 
freilich das Wiederfehen zwifchen dem Ritter und feinen 
Sohne. Auf wefjen Seite das Unrecht war, wiflen 
wir, aber auch der Sohn war nicht fo gegen den Va— 
ter geweſen, wie es Pilicht war. Es gab gegenfeitig 
abzubitten und zu bereuen, ed floßen gegenfeitig Thrä- 


46. 


nen ber Reue und der Wehmuth — die Liebe aber ſühnet 
Alles aus. So auch bier. Der Ritter hebt die Söh— 
nerin auf, Die ihm zu Füßen gefunfen, und fühnt durch 
eine väterliche Umarınung das Unrecht, welches er ge— 
gen fie geübt — jebt erfi erfennt er, Daß auch ein 
‚niedrig geborenes Weib Tiebensmürdig feyn fann. Die 
Enkelinnen faffen Hände und Füße Des vornehmen 
Herrn, der fihb nun als ihr Großvater fund tout, und 
fie herzlich Tiebfofet; befonderd Trudchen zeigt, daß fle 
Anfprüche an die Liebe des Großvaters habe, va er 
ſchon zuvor fo freundlich mit ihr gethan. Faſt hätte 
der Nitter von Kabenftein vergeffen,, heimzufehren, fo 
wohl fühlte er fich im Diefen ländlichen Familienfreife. 
Aber nach wenigen Stunden fuhr ein Wagen heran, 
mit prächtigen Roſſen befpannt — jo hatte es der treue 
MWunibald veranftaltet, der neben denn Wagen berging, 
und das Leibroß feines Kern führte. Sohn und Söh— 
nerin, fammt ihren Kindern groß und £lein, wie fie 
gingen und ftanden, mußten nebft dem Drtsrichter von 
Bächlingen einfteigen ; der Nitter aber faß auf Das 
Roß, das Wunibald geführt hatte, und nun ging es 
der Burg Kabenftein zu. — Im Eleinen Bauernhaus 
zu Dohebach war es auf einmal ftill und öd geworden, 
ein Defto froheres Leben aber begann von nun auf 
der Burg über der Jagst. Nitter Kunibert fühlte ſich, 
umgeben von den Seinigen, reicher, als er je geweſen 
war. Zum Andenken, daß ein Matentang den Burgs 
beren zum glücklichen Vater gemacht hatte, wurde jedes 
Fahr, wenn man in Bächlingen Maienfahrt hielt, der 


217 


Maientang bei der Linde auf der. Burg gehalten, und 
auch Wildemar hielt e8 fo, nachdem fein Vater zu den 
Vätern verfammelt war. Sene Grundftüce aber, welche 
der Ortörichter von Bächlingen befaß, geben bis auf 
den heutigen Tag nur den en 


) 


XVII. 
Durg und Stift Beutelſpach. 


Nahe am rebenumkränzten Remsthal, am Bache 
Beutel, liegt das ſtattliche Pfarrdorf Beutelſpach, wel— 
ches zunächſt nach der Burg Wirtemberg für die Ge— 
ſchichte des Wirtembergiſchen Fürſtenhauſes die wichtigſte 
Bedeutung hat. Ueber dem Dorf liegt eine Höhe, 
genannt der Kapellberg, wo vielleicht urſprünglich eine 
Wallfahrtskapelle geſtanden. Hier ſtand vor Zeiten 
die Burg der edlen Herren von Beutelſpach, die älteſte 
Wiege des Wirtembergiſchen Fürſtenhauſes, denn ſie 
ſtand lange vor der Burg auf dem Rothenberg. Sie 
iſt ein Raub der Zerſtörung geworden, aber noch zu 
den Zeiten des alten Verfaſſers der „Würtemberg'ſchen 
Stamms- und Namens-Quelle“ M. Joh. Georg 
Walzen, im Jahr 1657 muß die Burg Beutelſpach 
noch eine bedeutende Ruine geweſen ſeyn, ſah man ja 
noch im Jahr 1784 auf dem Berge die Ueberbleibſel 


218 


eined fehr ftarfen Thurms, an deffen Fundament ein 
zahmer Seigenbaum empor wuchs, welcher ohne einige 
Wart und Pflege Die fehönften Früchte trug. Jetzt ift 
fein Stein mehr von dieſer wichtigen Burg über ver 
Erde zu finden, aber, wer jich die Mühe nehmen will, 
nachzugraben, der ftößt da und dort auf Mauerrefte. 
Wunderbar! gerade Die wichtigften Burgen unferes 
Paterlandes find bis auf den Grund ein Raub der 
Zerflörung geworden. — Wer hat zuerft eine Burg auf 
dem SKapellberg erbaut * Wer uns dieſe Frage beant- 
wortet, der nennt und zugleich den älteften Stamm- 
bern des Wirtembergifcben Hauſes, wenigftend von 
mütterlicher Seite. Der ehrliche Chronift M. Walz 
it rüftig zur Hand, um die Frage zu löfen, und legt 
und mit allen möglichen Beweifen voll Wahrfchein- 
lichfeit, indem er fogar alte gefchriebene Chronifen zu 
Zeugen anruft, die fait ausgemachte Wahrheit dar, 
dag ein gewiffer Emmerichus, zu deutſch Emicho, 
weiland Feldhauptmann des Königs. Klodwig, der in 
der Schlacht bei Zülpich (496) das Belle getban, von 
feinem Herrn eine ſchöne Kandfchaft im Nemsthal, 
unweit Waiblingen, der alten Gibellinen= Stadt, zum 
Geſchenk erhalten, und über dem Flüßlein Beutel ein 
Schloß erbaut habe, das er Beutelſpach nannte, und 
von Dem er und feine Nachfommen fich fodann Herren 
von Beutelfpach heißen. Auf ihn läßt er nun ein 
ganzes ununterbrochenes ejchlechtäregifter folgen, in 
dem die Namen Emmerich noch zwei Mal vorkonmen, 
aber zulegt auch ein Mlrich, ein Albert, und ein Con- 


219 x 


vad erfcheint. Wir nehmen uns feine Zeit, zu untere 
fuchen, woher Walz feine Genealogie von Emmerich I. 
bis Heinrich, den Sohn Emmerichs III. (984), ent» 
nommen, denn Das Dürfen wir auch unſere neueren 
Gefchichtsforfcher nicht fragen, die den ehrlichen Wal; 
und Gonforten belachen, auch fie können nicht immer 
mit Siegel und Urfunde bemeifen, wo die Namen der 
Herren ftehen, die fie in ihre, auch oft felbft gemachten 
Genealogien, einführen. Wir halten und an’ den legten 
Namen Cunrad, und faffen mit diefem hiſtoriſchen 
Namen gewiffen Fuß im der Gefchichte. Cunrad ift 
der erfte, der mit dem Namen von Beutelſpach 
nach einem glaubwürdigen Berichte, dem Hirfchauer 
Vergabungsbuch, erfcheint, was ſchon der alte Chronik 
Nauflerus für eine gute Duelle anerfannt hat. Neben 
ihm ift Bruno, fein Bruder, der als Abt zu Hirſchau 
im Sabre 1120 ftarb, und Ruitgard, eine Schmeiter 
aufgeführt. 

Mer der Vater Diefer drei Gejchwifter von Beutels 
ſpach geweſen, ift nirgends überliefert, aber höchſt 
wahrfcheinlich war es Herr Adelbert von Beuteljpach, 
der vielleicht von den Grafen. von Galme abſtammen 
fönnte, welche in Ulri I Grafen von Linz und 
Argengau, dent Bruder des berühmten Gerold8 von 
Buſſen, ihren älteften Stammpyater haben follen. Wie 
fommt e8 aber, daß der genannte Cunrad von Beus 
telfpach in demſelben Vergabungsbuch von Hirſchau 
auch Cunrad von Wirtemberg genannt wird? Dems 
nad) hätte er zu gleicher Zeit Beutelfpach befeffen und 


220 


auf Burg Wirtemberg gewohnt, und bald fich von 
Beutelipach, bald von Wirtemberg genannt. Der ge- 
lehrte Profeffor Saug in Tübingen und unfer fcharf- 
finniger Dr. Carl Bfaff, der Altmeifter der Wirten- 
bergiſchen Gefchichte, behaupten aus triftigen Gründen, 
daß Cunrad von Beutelfpacy und Cunrad von Wir: 
temberg nicht eine und diefelbe Berfon, fondern Cun— 
rad von Mirtemberg fei der Sohn Luitgards, wie 
auch wirklich im Hirſchauer Buch ein ſolcher Eunrad als 
ihr Sohn genannt wird. Somit wäre der Knoten gelöft, 
aber der Schreiber des Hirſchauer Buchs hat nach ihrer 
Anſicht einen Schreibfehler gemacht, indem er, wo er 
Yuitgard, Die Schmefter Abt Bruno's, und Cunrads 
son Wirtemberg erwähnt, wie fie zwei goldene Arm— 
ſpangen zu einem Kelch dem Klofter Hirſchau vermacht, 
hätte feßen follen „Die Mutter Cunrads von Wirtem- 
berg.” Wir laſſen es Dahin geftellt ſeyn, zu ent- 
jcheiden, ob der Schreiber des alten Pergaments ges 
tehlt, oder ob die beiden ©elehrten fich geirrt. — Wer 
der Gatte der Ruitgarde von Beutelſpach und der Vater 
dieſes Cunrads von Wirtemberg geweſen, bleibt wie— 
der unentſchieden. Dr. Pfaff behauptet, es ſey ein 
Graf Ulrich geweſen, der ebenfalls ſeinen Urahnherrn 
in dem ſchon genannten Ulrich J., Grafen im Linz- und 
Argengau, auch Stammvater der Grafen von Nellenburg— 
Bringen, babe. Das Alles find — wenn auch ſcharf— 
jinnige Unterfuchungen — nur Vermuthungen; jo Biel 
bleibt gewiß, daß die Herren von Beuteljpach von mütter- 
licher Seite Die Ahnherrn der Wirtemberger geweſen, 


221 


und Beutelfpach fomit mit Recht auch für eine Wiege 
des Wirtembergifchen Fürftenhaufes gilt. Cunrad von 
Beutelfpach war wohl der LXegte feines Stammes; es 
gingen nun feine Befitungen auf den Sohn feiner 
Schweſter Ruitgarde, Cunrad von Wirtemberg, über, 
mit dem in einem Sohn Ludwig die Reihe der Grafen 
von Wirtemberg beainnt und ununterbrochen fortdauert. 
Burg Beutelfpach aber ift immer ein Wohnfig geblies 
ben, der den Grafen von Wirtemberg werth und theuer 
war. In dieſem Sinne hat Graf Ulrich mit dem 
Daumen (T 1263) das Stift zu Beutelfpach von 
Neuem hergeftellt und dotirt. Es war fchon Tange 
vorher, wie Graf Eberhard der Erlauchte es ſelbſt 
ausgejprochen, fchon längſt von Vorfahren der Wir 
temberger (denen von Beutelfpach) gegründet, und 
wurde von Ulrich zur Grablege feines Geſchlechts ges 
wählt, wo er felbft begraben wurde. Diefes fogenannte 
Heiligfreuzftift erhielt im Jahr 1247 von Pabſt Innos 
conz IV. die Erlaubniß, bei allgemeinem Interdikte 
Seelmefjen Tefen zu Dürfen. Einer feiner Pröbfte hieß 
Bertbold, und fommt in den Jahren 1253, 1254, 
1262 in Urfunden vor. As Kaifer Heinrich VIL 
mit Graf Eberhard dem Erlauchten Friegte, zog das 
‚Neichöheerr im Jahr 1312 gegen die Burgen des 
Grafen, gewannen und zerftörten fie. Wie die Burg 
MWirtemberg, fo wurde auch das Schloß Beutelivach 
gebrochen, das durch Verrath in Die Sände der Feinde 
gefommen war. Mor Allen wurde das Stift mit 
feinem ehrwürdigen PBamiliendenfmale ſchrecklich ver⸗ 


222 


wöäftet, denn die Feinde wollten Wirtemberg bis auf 
den Namen vertilgen. Da verlegte Graf Eberhard 
das Stift und das Erbbegräbnig des Hauſes nad 
Stuttgart (1321). 

Die Kirche des ehemaligen Stifts, welche Durch eis 
nen umterirdifchen Gang mit der Burg verbunden war, 
hat fich wenigſtens in den ältejten Theilen der Orts— 
firche erhalten, denn ed find noch Steine mit grotes- 
fen Figuren an derjelben vorhanden. Mod) findet fich 
vor dem Altar eine uralte vertiefte Steinplatte, mit 
dem älteften Wirtembergifchen Wappen, drei Hirſch— 
gemweihen, Deren jedes blos drei Zinfen hat. Neben 
demjelben findet fich auch auf einer alten Steinplatte 
ein Kelch von Erz eingegofjen, und hinter dem Altar 
ind noch platte Figuren mit Innfchriften, aber fehr 
verreifcht, auf dem Boden zu ſchauen. Die Wände 
der Kirche find bemalt, aber auch, wie wir e8 leider! 
jo häufig finden, übertüncht. Neben der Kirche ift Die 
ehemalige Gruft, die noch nicht ganz verfehüttet iſt — 
noch ein Zeuge der vandaliſchen Zerftörung Durch 
Menſchenhand. 

Eine Sage über den Ausgang der Herren von 
Beutelfpach möge Hier jtehen. 


Der Lebte von Beutelfpach. 


‚Gegen das Ende ded il. Jahrhunderts wohnte 
Herr Conrad von Beutelfpah, Gaugraf im Rems— 
gau, auf dem Kapellberg. rau Willeberg, aus dem 


223 


Hauſe Der Grafen von Achalm, war feine Haus— 
frau. Das erfte Kind, das fie ihm gebar, war ein 
liebliches Töchterlein. Der Graf foll nicht freudig 
gewejen ſeyn, ala ihm die Mutter Diefes Töchterlein 
zum erſten Mal in die Arme Iegte, denn er hatte 
ſehnlich einen Knaben gewünfcht, der ein Stammphalter 
jeines ©efchlechts hätte werden follen. Das Töchter 
lein erhielt in der heiligen Taufe den Namen Adelheid, 
und blühte froh und wonneſam heran zur Freude der 
Mutter; und auch der Water gewann das Töchterlein 
zulegt lieb wegen feines Tieblichen Weſens. Frau 
Willeberg gebar ihrem Gemahl hintereinander noch Brei 
Knaben, aber alle ftarben in den erften Wochen ihres’ 
Dafeyns. — Mit Schmerz erkannte zulegt Graf Com 
rad, Daß ihm von Gott fein Sohn beftimmt fey, Der 
feinen Stamm fortführe — er fügte fich in das Un— 
vermeidliche Des Schiefjals, und von nun an wandte cr 
alle feine Liebe feiner E£leinen Adelheid zu, Die durch 
ihre freundliches Wefen oft den Trübfinn feines Herzens 
verjcheuchte, wenn er gedachte, Daß er num mit um— 
gefehrtem Helm und Schild zu feinen Vätern fahren 
würde. Das war aber nicht fein einziger Kummer — das 
Töchterlein war faum 7 Jahre alt, da verfiel e8 in 
ein gefährliches Siechtbum, wo es dem Rande des 
Grabes nahe war. Jetzt erit fühlte Der Vater, wie 
lieb das Töchterlein ihm geweſen war, als es da lag 
bleich und abgezehrt, als es feine fonft fo regfamen 
Händlein faum mehr rührte, und mit trüben Augen 
die lieben Eltern anblickte — da, in jenen für Vater: 


224 


und Mutterherz jo bangen Stunden, that Frau Wille: 
berg das heilige Gelübde, jo Gott das Töchterlein vom 
augenjcheinlichen Tode retten würde, wollte fie es dem 
Himmel weiben. Der Vater, der den Jammer nimmer 
mit anjehen konnte, war ab der Burg in's Thal ge- 
titten; dort an einfamer Stelle fnieete er nieder, betete 
inbrünftig und that daſſelbe Gelübde, das Milleberg 
gethan hatte, Seit jener Stunde wandte es fich bei 
dem Kinde zum Beſſern; Die zuvor trüben Augen 
wurden heffer, auf feinen fo blafien Wangen blühte 
wieder eine Röthe auf, feine Händchen befamen wieder 
Leben, umd nach wenigen Tagen hatte es fo viele 
Kraft, um fich in feinem Bettlein von felbft aufzu— 
richten und feine Spielfachen zur Sand zu nehmen. 
Als Adelheid wieder vollfommen genefen war, traf 
den Grafen ein neuer Kummer. Frau Willeberg legte 
fih auf's SKranfenlager. In Folge des ununterbro= 
chenen Nachtwachens am Bette des Franfen Kindes 
batte fie fich ein fchleichendes Fieber zugezogen. Alle 
möglichen Mittel wurden zu ihrer Rettung angewendet; 
fie ftarb 8 Tage nachdem fie fich Eranf gelegt hatte. 
Tiefgebeugt ging Graf Conrad Hinter ihrem Sarge, 
an der Hand das Töchterlein, welches heiße Thränen 
in dad Grab der Mutter weinte, die in der Gorge 
für fein Leben ihr eigenes Leben geopfert hatte. Graf 
Conrad tröftete ſich am Grabe feiner geliebten Haus— 
frau, denn Das Töchterlein, dad er an feiner Hand 
führte, war ja das Ebenbild der Seligvollendeten. 
Adelheid follte auch in den Tugenden der Seele pas 


225 


Shenbild Der Mutter werden, Das war von nun an 
Die einzige Sorge des verwittweten Orafen — und 
diefe Sorge war auch nicht umfonft. In jedem Zuge 
des Geſichts, im jeder Bewegung war Adelheid ihrer 
Mutter gleich, fie wurde es auch in jeder Tugend Des 
Herzens und des Geiftes, wodurch Die Mutter fo 
liebenswürdig gewefen war, fie wurde es in ihrer 
liebevollen Gefinnung gegen Dürftige und Leidende, fo 
wie in jenen Eigenschaften und Kenntniffen, wodurd) 
Die Mutter als Hausfrau fo jegensreich gewirkt Hatte. 
Das Fräulein hatte faum Das zwölfte Jahr angetreten, 
fo nahm ſie ſchon Die Schlüffel zur Sand, Die bisher 
eing alte Dienerin des Hauſes unter fich hatte — ſie 
beforgte Das Hausweſen, wie eine Ermwachfene, beftellte 
die Küche und mar des Vaters Koch und Trurhfeß, 
Mundfchent und Kellermeifter in Einer Berfon. Der 
Vater aß Nichts, mas feine Liebe Tochter nicht felbft 
gekocht Hatte — fie bereitete Wildpret und Fifche, wie 
die Mutter folches bereitet hatte — er trank feinen 
Wein, den nicht Adelheid vom Keller geholt hatte und 
in feinem Lieblingsbecher kredenzte, aus dem einft feine 
jelige Willeberg getrunfen hatte. Wie oft gedachte 
Graf Conrad, wie Gott es doch fo liebend vorgeſehen 
batte, daß er ihm eine Tochter gegeben, die jebt durch 
Sorge und Pflege die Stelle einer Liebenden Hausfrau 
bei ihm vertrat. 

Dft fprach er Die Worte aus: „Gottes Wille ift 
immer der befte." — Gr drückte feine Adelheid an's 
Herz und fühlte fich reich in Dem Beſitz der guten 

15 


226 


Tochter, die, jemebr fie an Jahren zunahm, umſichti— 
ger und thätiger im Hausweſen wurde, und im der 
Lebe und Anhänglichfeit gegen den Vater Doch immer 
ein Kind zu bleiben fchien. So trat fie in das fünf- 
zehnte Jahr, ohne daß fie die Welt außerhalb der 
Burg Fennen gelernt hatte. Auf die Burg des Va— 
ters Fam Niemand, auffer der Oheim, Graf Emicho 
auf Burg Wirtemberg, der feine beiden Söhne 
und feine Tochter Luitgarde mit fich brachte. Diefe 
drei waren ihr einziger Umgang, ihre einzigen Ge— 
jpielen, — das war die ganze Welt, Die jle Eannte. 
Diefe Drei fuchte fie wieder auf ihrer Burg beim, und 
das war Dann der einzige Ort, auf dem fie fich hei— 
milch fühlte, wenn fie mit ihrem Vater je einmal 
auswärts Fam. Auſſer ihrem Oheim und ihren beiden 
Bettern gab es feine Männer in ver Welt, gegen Die 
das holdſelige Fräulein von Beutelſpach beſonders 
freundlich und liebevoll war; nur gegen fie trug fte 
eine Öefinnung, die derjenigen ähnlich war, melche fie 
ihrem Vater von ganzer Seele, von ganzem Herzen 
und ganzem Gemüthe weihte. Wer hätte glauben 
jollen, daß es in ihrem Herzen je anders hätte wer— 
den können? daß bald ein Sremdling einen Platz neben 
den Vater gewinne im Herzen der allein für den 
Vater lebenden Tochter ? | 

Eines: Abends ſaß Adelheid ganz allein bei ihrem 
Vater; fie drehte fleifig die Spindel, während ſich 
Graf Conrad nach den Mühen der Jagd im Lehnftuhl 
gütlich that. Eben hörte Adelheid aufmerkſam dem 


227 


Vater zu, der über das Crgebnig der Jagd berichtete, 
welche der Oheim auf Wirtemberg mit feinen Söhnen, 
fo mie viele Herren der Umgegend, ja fogar Orafen 
und Nitter aus dem fernen Schwargwald mitgemacht; 
denn e8 galt eine Hetze auf eine Schaar Bären und 
Mölfe, Die fih vom Schwarzwald herüber in die 
Schluchten des Welzheimer Waldes gezogen hatten. 
Graf Conrad Hatte feinen Bericht noch nicht geendet, 
da hörte man das Horn des Thorwächters ; bald da— 
vauf trat der Leibfnappe des Grafen .mit der Meldung 
ein: vor dem Thor fey eine Schaar Leute angefommen 
mit einem jungen Nitter, Der auf der Jagd verun- 
glückt ſey; ob man fie einlaffen jolle? Sogleich, be- 
fahl der Graf — denn es wäre das erfte Mal, daß 
ich einen Sülfsbedürftigen von meinem Thore gewieſen 
hätte. Das wird mohl einer von den Junfherrn ſeyn, 
fuhr er fort zu feiner Tochter, welche an der Jagd. 
nicht genug kriegen können, bis fie ihren Reſt davon 
tragen: aber jegt Adelheid, laß das Epinnen, und 
beftelle die Küche, Denn die Leute, "welche den Junk— 
heren bringen, werden hungrig feyn. Nicht! ein Stüb— 
lein zu und laß 28 wärmen ; auch jchaffe Linnen und 
Pflafter herbei, DaB e8 an Nichts fehle, denn eilige 
Hülfe ift Die rechte Hülfe. Während Adelheid ging, 
um nach dem Befehl des Vaters zu thun, fand auch 
er auf, um die nöthigen Anordnungen zu Unterbrin- 
gung des angekündigten Gafts zu treffen. Gerade 
trug man Diefen zum Thore herein, als Graf Conrad 
im den Hof binabfam, Auf einer Bahre von Eichen- 


a 


228 


zweigen trugen vier Jäger einen Junkherrn in reichem 
Sagdanzug. Bis über Die Füße war er mit Decken 
überlegt, um fein Saupt waren Tücher gebunden, jo 
daß e8 fait ganz bedeeft war, doch Fonnte man fo 
viel erkennen, Daß es ein ſchönes blühendes Antlitz 
war, auf dem wohl die Nöthe der Jugend noch kurz 
zuvor brannte, aber jest war es todtenfahl. Um Gott! 
rief Graf Conrad, als er in das Angeficht des Junk— 
beren ſchaute — Das iſt ja der Sohn meines — Sa, 
Eures Feindes, fagte der Verwundete mit fehmwacher 
Stimme, und doch hoffe ih, bei Euch ein Plätzlein 
zu finden, wo ich ruhig ſterben kann. Davon ift jest 
noch nicht Die Nede, Sunfherr, fagte Graf Conrad mit 
liebreicher Stimme — wenn Ihr nicht gar zerfeßt ſeyd, 
wird Euch mein alter Leibarzt Schon mieder zuſammen— 
jlifen, und meine Salben und PBflafter werden audı 
ihren Dienft thun wie immer. Jetzt erſt erfuhr Graf 
Conrad, was fi) begeben hatte. Wie er vermuthet 
hatte, fo war es auch gefchehen. Die Junkherrn, 
welche an der Jagd Theil nahmen, waren zu bißig 
im Verfolgen der Büren, während Die älteren Herren 
jich bald zurücdzogen. Einer der beftigfien Verfolger 
war der edle Süngling, den fie eben auf der Bahre 
brachten. Als er die Bolzen feiner Armbruft auf eis 
nen gewaltigen Bären verfchoffen hatte, daß er gleich 
einem Igel. umſpickt war, warf er feinen SJagdfpeer 
nach ihm ; aber dieſer fehlte. Da mendete fi} der Bär 
gegen den Jäger, riß ihn mit feinen Tatzen vom 
Pferde, und machte ſich fehon über ihn ber, als eine 


’ 


229 


fichere Beute. Unter dem Bären liegend fanden die 
Nachfolgenden den Jüngling — nocd zu rechter Zeit, - 
denn eben fuhr er mit feinen Taten gegen Das Daupt 
des unten Liegenden. Ein fräftiger Speerwurf traf 
den Büren bis ins Herz, und rettete Den Süngling. 
Hart vermundet an Haupt und Füßen luden fie den 
halb Ohnmächtigen auf eine Bahre, und trugen ihn 
einer Burg zu, Die am nächſten lag. 

Eine befjere Herberge hätte man für den Stranfen 
nicht finden fünnen. In einem Stüblein, das an das 
Schlafgemach des Grafen ſtieß, wurde der Jüngling 
untergebracht ; gar wohltuend war dem Kranfen die 
Märme, Die ihm entgegenfan, denn. er zitierte vor 
Fieberfroft. Das Erſte, was gefchah, war, daß feine 
Wunden unterfucht wurden. Es mar ein frauriger 
Erfund. An feinem linken Fuß war Wunde an Wunde, 
denn da hatte der Bär feine Krallen tief eingefchlagen ; 
fein Haupt aber blutete auf allen Seiten, denn er 
war auf felfigen Boden mit demfelben aufgefallen, als 
er vom Pferde geriffen war. Als die Wunden fammt 
dem Haupt ausgewafchen waren, wurde Linien mit 


- Del gefeuchtet und umgefihlagen. Erſt, nachdem dieſes 


Mittel ſchmerzſtillend gewirkt hatte, wurden Pflaſter 
und Salben aufgelegt. 

Der alte Leupold, Wildmeiſter und Leibarzt des 
Grafen in Einer Perſon, widmete ſich ganz der Pflege 
des Kranken. Zwei Drittheile ſeiner langen Laufbahn 
hatte er im Walde zugebracht, und bei einem Klaus— 
ner, bei dem er oft einkehrte, die Kräuter- und Heil— 


239 


funde kennen geleınt. Er fam nie vom Lager des 
Junkherrn — alfo war e8 der Wille des Grafen — 
Tag und Nacht war er um ihn befchäftigt, und Das 
dauerte mehr als vierzehn volle Tage. Da ermattete 
Die Kraft des alten Mannes — oft, wenn er Nächte 
hindurch gewacht hatte, übermannte ihn beim hellen 
Tag der Schlaf, er feßte fih in den Lehnſtuhl und 
bielt fein Schlafftündlein. Doch wurde indeffen der 
Kranke nicht verfäumt, Denn der alte Leupold batte 
eine thätige Sandlangerin gewonnen, die indeffen Den 
Kranken beforgte. Das war Adelheid, Die Tochter des 
Haufe, Die bisher dem alten Leupold treulich abge- 
eben hatte, wie er den Verband vom Haupte Des 
Kranken nahm, Die Wunden mit Linnen trocnete, und 
wieder frifche Salbe auflegte.. Darum durfte Adelheid 
und Niemand anders als fie Leupolds Stellvertreterin 
werden und des Kranken in folchen Stunden warten. 
Bei folcher Pflege von Zweien, befonderd eines ſo 
torgfamen Fräuleins, wie Adelheid, mußte die Seilung 
des Kranfen von Statten geben, und wir wundern 
uns nicht, Daß das Wort des Burgherrn in Erfüllung 
ging: feine Salben und Pflafter thaten gute Dienfte, 
ja fie übten beinahe Wunder an dem Gafte. Ehe der 
Frühling feine Boten fandte, Fonnte er das SKranfen- 
iager verlaffen, und er faß am Tifche des edlen Haus: 
herrn, wo Adelheid mit rofigen Lippen ihm den Becher 
bot, und ihn würzte mit freundlichem Blicke. Als Die 
Büfche und Heden blübten, und die Bäume fi zur 
Blüthe entfalteten, da beurlaubte fich Der edle Jüng— 


231 


fing von feinem biederen Gaſtfreund, und dankte ihm 
für all das Gute, das er ihm gethan Hatte feit zwei 
Monaten. — Der Graf drückte ihm herzlich Die Sand 
zum Ubfchied, als er aber dem Sräulein Die Hand 
reichte zum Lebewohl und Worte des Dankes fprechen 
wollte, da fiotterte er, und feine Hand zitterte in Der 
ijrigen. Fahrt wohl, fagte Adelheid, mit Thränen in 
den Augen, die fie mit aller Mühe nicht verbergen 
tonnte — fahrt wohl, und gedenfet auch zumeilen 
an die Burg auf dem Kappelberg. Sa, ers vergaß fie 
nie — wie gerne wäre er wiebergefehrt, ehe er noch 
recht fein Pferd, Das fich bisher im Stalle des Burg— 
herrn beimifch gefühlt hatte, über Die Zugbrüde traben 
lieg — wie gern hätte er noch einmal den Schmerz 
der Wunden getragen, und von Neuen angefangen, 
Trank zu feyn. Ja er vergaß nie die Burg auf dem 
FKappelberg und ihre freundlichen Bewohner. Nur an 
fie denfend, ritt er, begleitet von dem alten Xeupold, 
pen Burgweg hinab, und hörte nicht auf den Geſang 
der DVögelein, der von den grünenden Bäumen erflang, 
daß es vom Berge wiederhallte. Gr ritt der Burg 
MWirtemberg zu; unten beim Dörflein Uhlbach ſchied 
fein alter 2eibarzt von ihm, und von nun an waren 
Die Junfherren von Wirtemberg, Bruno und Conrad, 
feine Begleiter. Sie hatten ihn oft an feinem Schmer- 
zenslager auf der Burg des Oheims beſucht, und 
waren innige Freunde Des edlen Jünglings geworben. 
Die begleiteten ihn nun bis zu den Höhen des Schwarz: 
waldes, deſſen dunkle Waldung ihn aufnahm. Ehe 


232 


er fchied, verfprach er den beiden Brüdern, fie bald 
wieder auf Burg Wirtemberg heimzufuchen. 

Der edle Junkherr hielt fein Wort ; noch nicht war 
der Frühling vorüber, jo ftellte er fich wieder auf 
Burg Wirtemberg ein und begrüßte feine jugendlichen 
Freunde. Uber wie freudig wurde er überrafcht, als 
kurz nach feiner Ankunft zwei Fräulein in das Ge— 
mach traten, um den Saft zu bewillfonımen — die 
eine war Luitgarde, Die andere, das Fräulein vom 
Kappelberge, die eben auf Befuch bei ihren Verwand— 
ten auf Wirtemberg war. Auf ein freudiges Wieder— 
ſehen Beider folgte wieder ein Abſchied, und der war 
noch bitterer, als der erſte auf der Burg Des Vaters, 
denn hier vor den Augen einer liebenden Freundin 
durfte Adelheid ihre Gefühle weniger verhehlen, als vor 
den Augen eines ſtrengen Vaters. Der Junkherr ging 
und kam wieder, als es ſchon der fröhlichen Weinleſe 
entgegenging. War es Zufall oder Zug des Herzens, 
auch Adelheid war wieder bei ihrer Freundin Luitgarde, 
und fah den theuren Freund wieder, bei dem ihre Ge— 
danfen oft vermweilt hatten. Was Beide jchon längſt 
für einander fühlten, konnte Fein Geheimniß mehr 
bleiben — der Bund der Seelen ſchloß ſich — in der ° 
Burgfapelle zu Wirtemberg wurde der Bund. beftätigt 
— an den Stufen des Altars gelobte der Jüngling 
ewige Treue dem Fräulein von den Kappelberge, und 
fte ihm binwiederum. Nur Luitgarde, Die treue Seele, 
war Zeuge ihrer heiligen Schwüre. Ach! Daß der Se— 
gen des Vaters nicht mit Diefem Bunde war! 


233 


Lange blieb dieſer Bund der Herzen ein Geheimniß 
vor dem Vater des Fräuleins ; war es ja felbit unter 
den Bewohnern der Burg Wirteniberg nie bekannt ge= 
worden, was in der Kapelle vorgegangen war. Nur 
fo viel merkte Sedmänniglich, daß der Junkherr von 
Schwarzwald öfter fich einfand, als früher, und daß 
Fräulein Adelheid öfter als fonft ihre Verwandiin Luit- 
garde heimfuchte. Leäteres war beionderd dem Grafen 
von Beutelfpach aufgefallen, denn früher hatte feine 
Tochter nur felten ihn allein gelafien. Bald erfuhr 
er von den häufig wiederkehrenden Befuchen des Junk— 
herein vom Schwarzwald, und nun fonnte er wohl 
vermutden, warum Adelheid häufiger als je ihre Ge— 
fpielin Luitgarde heimſuchte. Schon beim Abjchied des 
Junkherrn aus feinem Haufe hatte er gefehen, was er 
für einen ſchmerzlichen Eindruck auf das Herz Der 
Tochter gemacht hatte; er hatte e3 für ein Vorüber- 
gehendes Gefühl gehalten, aber leider mußie er jest 
einer andern Anſicht werden. 

Eines Tages — es war unmittelbar, nachdem Adel— 
heid von einem Befuch auf Wirtemberg zurückgekehrt 
war, ftellte fie der Vater zu Rede. Adelheid, die 
nie mit einem Worte ihren Vater belogen hatte, ge: 
ftand, nachdem er fie ausgeforfcht hatte, Daß fle dort 
den Junkherrn gefehen, ja fie geftand, Daß fie ihn 
ſchon öfter- auf Burg Wirtemberg gefehen und ges 
ſprochen habe, aber immer nur unter den Augen ihrer 
Freundin Luitgarde. Nur noch wenige Sragen aus 
dem Munde des Vaters mit forfchendem Blicke waren 


. 234 


nötdig, und er hatte feiner Tochter Das Geheimniß 
ihrer Liebe zu dem Junkherrn entlocdt. Adelheid glaubte, 
daß Diefes Gefühl Fein Unrecht gegen den Bater wäre, 
denn fie hatte ihn fortwährend fo treu und innig ge- 
liebt, wie in ihren Kinderjabren, wenn auch die Liebe 
zu einem Fremden in ihrem Herzen Raum gewonnen 
batte. Jetzt erft erkannte fie, daß fie ein Unrecht bes 
gangen hatte, als der Vater, mehr mit fchmerzlichem, 
als erbittertem Blicke zu ihr fprach: „Adelheid, meine 
einzige Tochter, mein einziger Troft, warum muß Deine 
Piebe dem Sohne meined Feindes werden? Du fannft 
nie, nie die Seine werden." Meiter fprach er nicht ; 
er wandte fich ab von feiner Tochter mit thränendem 
Auge und ging in ein anderes Gemach, um fich feinen 
fehmerzlichen Gefühl zu überlaffen, um ſich felbft an- 
zuklagen, daß er einfi ein fo unbefonnenes Gelübde 
abgelegt hatte. 

Hätte Graf Conrad mit feiner Tochter hart geredet, 
hätte er ihr bittere Vorwürfe gemacht, es hätte ihrem 
Herzen wehe gethan, aber jene Worte, Die er eher mit 
Wehmuth, als mit Bitterkeit gefprochen hatte, gingen 
ihr noch tiefer. Einen folchen Schmerz hatte fie nod; 
nie gefühlt, wie heute; jte hätte vergehen mögen vor 
Herzeleid, und ob fie auch in Thränen zerfloß, es 
wurde ihrem Herzen nicht leichter. Sie wollte ihrem 
Vater nachgehen und Ulles geftehen, auch den Schwur 
in der Kapelle. Was märe e8 geweien? Gie hätte 
den ohnedies fehon tiefbetrübten Water noch tiefer ge— 


235 


beugt. Sie befann ſich lange, ob fie es thun ſollte 
— doch fie kam nicht Dazu. 

Seit jener Stunde, da es zu einem jo ſchmerzlichen 
Auftritt gekommen war, verließ Adelheid nie mehr die 
Burg, ſie wich nimmer von der Seite ihres Vaters. 
Luitgarde, die treue Freundin, welche ſie in dieſer Zeit 
auf dem Kappelberg heimſuchte, war die einzige, der 
ſie anvertraute, was indeſſen geſchehen war; durch ſie 
ließ ſie dem Mann ihrer erſten Liebe ein Lebewohl 
ſagen. Ihr Mund ſprach es, ob es aber auch aus 
dem Kerzen kam? — Dennoch war es ihr ernſter, feſter 
Wille, dieſer ihrer Liebe zu entſagen, die gegen den 
Willen des Vaters war. Wie leicht iſt ein Entſchluß 
gefaßt, aber wie ſchwer kommt er oft zur Ausführung! 
Von nun an war ein immerwährender Kampf im 
Herzen des Fräuleins: die Pflicht der Tochter kämpfte 
mit dem Gefühle der Liebe. Adelheid ſuchte zu ver— 
bergen, welcher Kampf in ihrem Innern vorging, aber 
es war nur zu ſichtbar vor Aller Augen. Das zuvor 
lebensvolle heitere Fräulein wurde ſtill und düſter, das 
Roth ihrer Wangen verſchwand — ſie glich eher einer 
verblühten Jungfrau, als einem Fräulein von 16 
Jahren — fie wandelte in den Gemächern der Burg, 
wie eine Nonne in den öden Gängen des Klofters, 
in das fie wider ihren Millen verfchloffen worden. 
Mit Wehmuth fah es Der Vater, aber, wenn er auch 
wußte, was die Veranlafjung diefes traurigen Zuftands 
feiner einzigen Tochter war, er Fonnte ihr feinen Troft 
geben; er fonnte fein Wort nicht zurücdnehmen, denn 


236 


das Gelübde, das er einft mit feiner feligen Hausfrau 
gethan hatte, fonnte er nicht brechen. 

Sonſt hatte der Graf feine meifte Zeit auf feiner 
Burg zugebracht, Der Umgang mit feinem Kinde war 
alle feine Freude — im böchften Falle, daß er von 
Zeit zu Zeit einer Jagd beimohnte feit bei feiner 
Adelheid ein fo gar Düfterer Gemüthszuftand eintrat, 
und fie mehr wie ein Geiſt als ein lebende Weſen 
in feiner Nähe wandelte, war er unfroh in feiner 
Burg, und riet manchmal hinüber zu feinen Bruder 
gen Wirtemberg, oder zu einem andern Seren Der 
Gegend, und fuchte fich feine Zeit zu vertreiben. Eins— 
mals, ed war an einem Winterabend, weilte er länger 
bei einem feiner Nachbarn, als er gewohnt war. Es 
war Schon Späte Nacht, als er, von feinem alten 
Diener Leupold begleitet, nach Kaufe ritt; der Rück— 
weg führte ihn über Die Rems, Die ſchon feit mehreren 
Tagen überfioren war. Nur ein fcehmales Brücklein 
führte über Diefelbe, Darum zog er ed vor, über Das 
Eis zu reiten. Er that e8, troß der Einrede yon 
Seiten Leupold's, der, und zwar nicht mit Unrecht, 
vermutbete, Daß das Eis noch fchwach wäre. ber, 
fiehe da! Graf Conrad war noch nicht in der Mitte 
ver Strömung, da brach das Eid, und das Pferd 
tank unter, fo daß fein Neiter bis über den Unterleib 
einſank; Leupold vitt ihm nach und 309 das Pferd 
am Zaume binüber. Er fam mit ihm ans Ufer, aber 
Graf Conrad zitterte und bebte vor Froſt. Er er- 
reichte noch feine Burg, aber kaum war er abgeftiegen, 





237 


fo fehüttelte e8 ihn im Fieberfroſt. Schnell brachte 
man ihn zu Bette, um ihn zu erwärmen, denn er hatte 
fich im eisfalten Waffer eine Erfältung zugezogen. 
Adelheid fam nimmer vom SKranfenlager des Vaters, 
und beforgte ibn ganz allein nach der Anweiſung des 
beilfundigen Leupold's. Der wendete alle Mittel an, 
und bot feine ganze Kraft auf, aber dießmal war es 
umfonf. Die Krankheit nahm überhand, Graf Eon- 
rad fühlte bald, daß fein Stündlein fommen werde. 
Es war auch näher, als er es glaubte. Er fiel aus 
einem Fieber in Das andere — oft redete er im Fieber— 
traume, während Adelheid an feinem Bette ſaß. Er 
nannte den Namen feiner feligen Hausfrau, und ein 
Lächeln verbreitete fich über fein Angeficht ; er rief den 
Namen feiner Tochter, und ein fehmerzliches Gefühi 
wurde in feinem Blicke fichtbar. Es war am Abend 
des Dritten Tage, als er aus einem folchen Fieber— 
traume erwachte, der ihn über Die Maßen geſchwächt 
hatte, Adelheid! rief er, indem er fich rafcher als je 
aufrichtete — Adelheid, meine einzige Tochter! Was 
wollt ihr, lieber Water, ſprach Adelheid fehluchzend, 
Denn fie ſah an dem bleichen Antlig, an dem trüben 
Blicke feiner Augen, daß fie ihren Bater nimmer lange 
befigen werde. Gieb mir Deine Sand, Liebes Kind, 
tief er, und verfprich mir, meinen Willen zu erfüllen, 
wenn ich nicht mehr bin. Ich will's, erwiederte Adel— 
heid, indem fie ihm ihre Hand reichte. So verſprich 
mir, dem Manne Deiner erfien Liebe zu entfagen, denn 
ev ift der Sohn eines Mannes, der mich einft bitter 


238 


beleidigt. Hab' ich es nicht gethan, lieber Vater, 
jagte Adelheid — ich habe ihn feit jener Stunde 
nimmer gejehen — aber warum foll er den Haß ent- 
gelten, den Ihr gegen feinen Vater traget ? habt Ihr 
ihm nicht alle Liebe erzeigt, al8 er nach Külfe bes 
dürftig zu Euch gebracht wurde? Wohl, ich Habe ihn 
nie gebaßt, fprach Graf Conrad, ob er gleich mir wehe 
gethan, Daß er Deine Liebe mir geſtohlen, und mit 
Undanf meine Gaftfreundfchaft gelohnt bat. Ach mein 
Vater, fehluchzte Adelheid, er Hat die Liebe eurer Tochter 
nicht erfchlichen, mein Herz hat fich felbft ihm zuge: 
wandt, weil ich ihn für einen edlen Mann erfannt 
habe. So, rief Graf Conrad, und man fah, daß er 
im Inneriten bewegt war — er bat Deine Neigung 
nicht erjchlichen, es ift Deine eigene Schwachheit ge— 
weien? fo kann ich ihn nicht Haffen — doch kannſt 
Du nie die Seine werden — gelob' e3 mir feierlich, 
meine Tochter, Daß Du ihm auf immer entfagen willft 
— er faßte ihre Hand, inden er alle Kraft zufammen- 
nahm, und erhob fie in der feinigen — gelobe mir, 
rief er heftig, als Adelheid noch zauderte, gelobe mir, 
dag Du nie die Gattin eines Mannes werden molteft, 
denn ich und Deine Mutter Haben Dich — Graf 
Conrad fonnte feine Rede nimmer vollbringen; er ſank 
auf fein Lager zurück und fprach nimmer. Weinend 
warf fich Adelheid über den Sterbenden: ich will es 
geloben, rief ſte, ich will es geloben! — aber der 
Pater hörte nimmer Den Schwur Der Tochter, nur fen 
brechendes Auge war auf fie gerichtet. Ach! daß 


239 


Adelheid den Schwur nicht hielt, den fie jo ſpät ges 
ſchworen! i 
Nur wenige Wochen waren vorüber, nachdem Graf 
Conrad zu feinen Vätern verfammelt war, fo fand 
fich ein Gaft auf der Burg ein, den Adelheid ſchon 
lange nimmer gefehen hatte, Er fam in Begleitung 
des Grafen Emicho und feiner beiden Söhne — es 
war der Junkherr vom Schwarzwald, der jet öffent» 
lich und ungefcheut um ihre Sand warb. So lange 
der Graf Conrad am Leben war, hatte er es nicht 
gewagt, auf die Burg zu kommen, zumal, nachdem 
Luitgarde ihm bedeutet Hatte, wie miffällig Das Ge— 
ftändniß der Tochter von dem Vater aufgenommen 
worden war, ja er hatte feitdem nicht einmal mehr 
die Burg Wirtemberg heimgeſucht. Wie nahm aber 
Adelheid Die Werbung des jungen Ritters auf, Der, 
jeit jte ihm nicht mehr gefehen, noch männlich fchöner 
geworden war? Cie ſprach Anfangs Nein — und 
wies auf das ſchwarze Kleid, Das fie noch trug in der 
Trauer um den geliebten Vater. Endlich gab fie dem 
Zureden des Oheims und ihren beiden Vettern nach 
und wollte e3 bedenken. Ihr Herz bedurfte Feiner 
langen Bedenkzeit — der liebevolle Bli des treuge- 
bliebenen Geliebten Hatte in ihrem Herzen Die alte noch 
frühere Liebe wieder rege gemacht, welche nur zurück— 
gedrängt war, aber nie ganz aufgehört hatte. Adel— 
heid vergaß ihres Schmurs, Den fie vor dem ſchon ge= 
Ichiedenen Vater gethan. Ehe der Junkherr vom 
Schwarzwald mit feinen Begleitern die Burg verlieh, 


240 


erhielt er des Fräuleins Sawort, und als er nad 
Aween Monaten wiederfehrte, wurde Adelheid von 
Beutelſpach fein eheliches Gemahl. 

Adelheid war eine glückliche Gattin, das Glück ihrer 
She wurde erhöht, als fie ihrem Gemahl verfündete, 
dag fie fich Mutter fühle. Ach, Daß dieſes Glück nur 
furze Zeit dauerte. Sie ging ſchon im achten Monate, 
da Äuferte fie gegen ihren Gemahl den Wunſch, ſie 
möchte ihre Verwandte Luitgarde auf Wirtemberg 
wiederfehen. Nie hatte ex ihr einen Wunfch verfagt, 
auch dießmal willfahrte er feiner Gemahlin. Er wollte 
fie felbft auf Burg Wirtemberg begleiten, "und auf 
dieſem Wege zugleich eine Beſitzung befuchen, die ihm 
jein Vater erft in jüngfier Zeit abgetreten hatte. Leu— 
pold, der alte Diener des Grafen Conrad, den Adel— 
beid von der elterlichen Burg mit fich genommen hatte, 
war der einzige Begleiter des Ehepaars. Als fie nahe 
dem Ort ritten, den Adelheid miit ihrem Oatten zum 
erften Mal beiuchen wollte, rief Leupold: gnädiger 
Herr! das ift ja der Ort, ob dem fich zwiſchon mei⸗ 
nem ſeligen Herrn und eurem Herrn Vater eine Feind— 
ſchaft erhoben, daß ſie nie mehr einander gut geworden, 
denn Jeder glaubte ein Recht darauf zu haben. Sie 
ritten weiter vorwärts, bis ſie die erſte Hütte des Hofs 
erblickten — der geſchwätzige Alte fuhr fort in ſeiner 
Rede, indem er ſich zu Frau Adelheid wandte: hieher 
ritt ich mit Eurem Vater ſelig, damals, als Ihr noch 
ein Kind todtkrank geweſen ſeyd, und dort an der 
Linde ſtieg er vom Pferde, ſtreckte die Arme gen 


241 


Simmel, um Eure Genefung flebend, und da bat er 
vor meinen Ohren das Gelübde gethan, er wolle Euch 
dem Simmel weihen, aber — der Menſch denkt's und Gott 
lenkt's — wär’ auch Schade geweſen, wenn Shr eine 
Nonne geworden mwäret. O Gott, rief Frau Adelheid, 
ebe noch Keupold ganz ausgefprochen, warum haft Du 
wir das nicht früher gefagt? Mit Diefen Worten fanf 
jie todtbleich ihrem Gemahl in Die Arme, Der Dicht 
neben ihr ritt. Man war an der Linde angefommen: 
Leupold fprang vom Pferd und nahın Die Todtfchwache 
aus dem Arme feines Kern, und legte fie fanft im 
Moos der. Linde nieder. Kauf, was Du laufen fannft, 
rief der Nitter dem Alten zu, und hole Wafler aus 
jener Sütte. Der Alte tripvelte von Dannen, während 
Adelheid in des Gemahls Schoß lag — ſich Freifend 
und wendend in Geburtswehen. Der Alte verzog, Da 
fprach Adelheid mit ſchwacher Stimme: hol! Du mir 
einen Trunk Waffer, mein Lieber. Er ging, fuchte 
ein Bächlein auf, füllte damit feine Jagdflafche und 
eilte der Gemahlin zu. Während er ein Bächlein 
auffuchte, gebar Adelheid ohne Hülfe einer Mehmutter. 
Als der Gemahl den Labetrunf herbeibrachte, hielt fie 
ihm ein Tiebliche® Mägpdlein entgegen. Er nahm es 
freudig in feine Arme; es war das Ebenbild feiner 
Mutter. Gott lohn' Dir deine Treue! fagte Adelheid, 
und fie blickte liebevoll den Gemahl an, aber Todtenbläffe 
überzog auf einmal ihre Angeſicht — ich fterbe — ihre 
Stimme wurde immer fchwächer — lebe wohl mein 
Beliebter — fie bot ihm Die Hand mit fchon brechen- 
16 


242 


dem Auge — dort auf Wirtemberg mein Grab in 
der Ka —. Sie fonnte das Wort nimmer aus— 
iprechen, neigte ihr Haupt an die Bruft des Gemahls, 
der mit der echten jte umfchlungen hielt, während er 
Das Töchterlein mit dem linfen Arm an fich drückte 
— amd entjchlief zu einen beffern Leben. Mutter 
und Kind in den Armen baltend, und im ftummen 
Schmerz fand Xeupold feinen Herrn. Mit ihm kamen 
die Bewohner der Hütte. Man brachte Alle, Vater, 
Mutter und Kind, in Die Hütte. Erſt dort ermwachte 
der faft Lebloſe, und goß feinen beißen Schmerz in 
Thränen aus. Noch an demjelben Tage wurde Adels 
heids Leiche auf Die nicht ferne Burg Wirtemberg ge- 
führt. Yuitgarde, die treue Freundin, die jo lang nach 
der Geliebten fich geiehnt hatte, ſah ſie wieder, aber 
e8 war eim jchmerzliches Wiederfehen. Am dritten 
Tage wurde Adelheid' eingefenft, wie e8 ihr Ießter 
Wille gemefen — an dem Orte, da fie den Bund ges 
Ichloffen, bei dent des Vaters Gegen nicht gewefen. 


243 


XVIII. 
Ruine Montfort (Sangenargen) 


REN 


Eine der fohönften Ruinen am herrlichen Bodenjee 
ift Sangenargen, das man fonft auch Schloß Montfort 
nennt nach feinem Erbauer, dem Grafen Wilhelm von 
Montfort. Die Schloßruine liegt äußerft nialerifch auf 
einer Inſel im See, genannt Argen, die jedoch längft 
durch einen Danım, welcher beim Abbruch des Schloffes 
durch Den Schutt gebildet wurde, mit dem Orte Lane 
genargen verbunden if. Da das Land, vor deu Die 
Eeine Infel liegt, hier eine ftarfe Ausbeugung in Den 
See macht, und Langenargen faft in der Mitte am 
oberen See liegt, jo bildet die Nuine einen Ausficht3- 
punft, der unftreitig den erſten Nang am Bodenjee 
einnimmt. Im feiner größten Breite dehnt fich der 
See vor dem Blicke aus, und kann von dem einen 
Ende bis zum andern überfchaut werden, was auf dem 
Standpunkt Friedrichshafen weniger der Fall if. Im 
duftiger Berne erblickt man bei heiterer Witterung jen- 
jeit8 Die ſchönen Schweizerufer mit ihren herrlichen 
Städten und Dörfern, mit ihren Schlöffern und Bur— 
gen, in ihrem Rücken erheben fich Die grünen Vorberge 
von Appenzell und St. Gallen, hinter ihnen der hohe 
Säntis, und fofort die entfernteren Alpenfetten mit 
ihren ewig befchneiten Häuptern. Wie durch feine teis 


244 


zende Lage, fo ift das Echloß auch Durch jeine Geſchichte 
merkwürdig. Seine Ruinen führen den Beichauer mit 
Einem Blif von einem Zeitabſchnitt in Den andern 
zurüf. Während mitten in den Ruinen und jelbft als 
Ruine die Schale des in fpäterer Zeit erſt erbauten 
Schlojjes ich erhebt, weißt ein andrer auf eine alt— 
deutiche Burg und Veſte des Mittelalters, ein dritter 
aber noch auf ein Römiſches Bauwerk. Wie Bregenz, 
Lindau und Wafferburg, fo war auch die Infel Argen 
einft einer der feften Bunfte, auf welchen die Römer 
feften Fuß gefaßt haben, und es follen. bier lange noch 
zwei mächtige Ihürme geftanden haben, Die man für 
ein Römerwerk erfannte. Auf dem Grund Ddiefer rö— 
mifchen Befeftigung wurde fpäter eine Deutjche Burg 
gefeßt. Aber auch fie unterlag den Stürmen der Zeit. 
Es ift lange von feiner Burg Langenargen mehr Die 
Rede, bis Graf Wilhelm von Montfort, welcher als 
Statthalter und Hauptmann Kaifer Ludwigs des Baiers 
in Mailand groß Gut in die Heimath gebracht hatte, 
auf den Grund der alten, faft zerftörten Burg in den 
Jahren 1332—1343 eine neue erbaute. Zu gleicher 
Zeit errichtete er nicht ferne Davon einen Münzhof, in 
dem filberne und fpäter fogar güldene Münzen geprägt 
wurden, denn die Grafen von Montfort hatten von 
alten Zeiten ber das Münzrecht. — Noch im 30jäh- 
rigen Krieg galt Schloß Langenargen für eine bedeu- 
tende Veſte. Im Jahr 1647 rückten Die Schweden 
unter General Wrangel vor dieſelbe; Der Eaiferliche 
Gommandant verließ fie feiger Weiſe, und wurde Das 


245 


für ın Lindau enthauptet. Darauf befeßten Die Schwe— 
den das Schloß, und hielten es inne bis zu dem Jahr 
1649. Eine während diefer Zeit aufgemorfene Schanze, 
wo jebt das Gärtlein angelegt ift, heißt noch die Schwe— 
denſchanze. Auch ein Hof Schwedi hat Durch feinen 
Namen noch das Andenken an die Schweden erhalten. 
Im Jahr 1720 Tieg Graf Anton von Monfort die 
Feſtungswerke abbrechen, das Schloß aber, fo von dem 
tobenden See ziemlich übel zugerichtet und ruinirt wor— 
den, neu herftellen. Graf Ernft legte dem Schloß ge 
genüber einen prachtvollen Garten mit einer auserleſe— 
nen Orangerie an, that auch fonft Viel zur Verſchö— 
nerung des Drtes, fo daß unter ihm Langenargen ſich 
zu einer der herrlichſten Orafenfite am See erhob, wo 
noch im Jahr 1744 die glänzendften Feſte gefeiert 
wurden. Auch ein Zeughaus mit den feltenften Rüftun- 
gen und Waffen war in dem Schloffe. — Im Jahr 
1783 fam die Burg Argen mit Zugehör an Oeſter— 
reich; da wurde Die reiche Rüftfanımer ausgeleert und die 
jeltenen Waffenftüce wurden nach Insbruck geführt, und 
son da wohl nach Ambras. Im Fahr 1805 fiel Lan- 
genargen an Baiern — Da wurde fein 2008 ein trauriges. 
Die bairifche Regierung verkaufte Das noch mwohlerhal- 
tene Schloß im Sahr 1809 an vier Bürger des Städt- 
ben: auf den Abbruch um die elende Summe von 
2100 Gulden, und diefe begannen das Werk der Zer— 
flörung. Als jedoch im mächften Jahr Langenargen 
an MWürtemberg kam, mußte auf ausdrücklichen Befehl 
König Friedrichs Der Abbruch des Schloſſes eingeftellt 


246 


werden. So wurden wenigftens die Nuinen des Schloj- 
ſes als eine romantifche Zierde Der Gegend erhalten. 
— In neuefter Zeit hat unfer vielgeliebter König Wil 
helm die Ruine Langenargen als Eigenthum erworben, 
und wir hegen die freudige Hoffnung, daß er Die Durch 
schöne Lage wie durch ihre Gefchichte wichtige Ruine 
aus ihren Schutte erweden, und vermöge feines Kunft- 
finns zu etwas Schönem umgeflalten werde, Damit 
Langenargen und Friedrichshafen ebenbürtige Nachbarn 
iverden. 

Dem Gefchlechte der alten Befiter des Schlofjes Zan- 
genargen gehörte jener ritterliche Graf von Montfort 
an, von dem uns der. jagenfundige Thomas Lyrer 
von Rankwyl eine denfwürdige Mähre berichtet. 


Der Graf von Miontfort. 


Zu Derfelbigen Zeit — wann? Das gibt Der alte 
treuherzige Chronift nie an bei allen feinen Gefchichten 
— da ift gemwefen ein mächtiger und edler Herr von 
Montfort, und ift ein ritterlicher, frommer und mann— 
bafter Mann gewelen. Der ift um der Ehre willen 
und der Nitterfchaft nach in ferne Lande ausgezogen, 
und fam an des großen Kaiſers Hof, des Chans zu 
Cathay. Da Hat er fich etwie viel Zeit gar ritterlich 
und wohl gehalten. Indem da hat fich eine Sache 
begeben, daß Die Frau des ehgenannten Kaiſers außer 
ihrem ehlichen Gemahl einen andern liebte und ausers 
wählte, um Kurzweil mit ihm zu haben. Das wollte 


247 


einen Ritter am Hof gar fehr verdrießen, und Die Kö— 
nigin war bei ihren Gemahl verklagt. Nun ift dazu— 
mal an dem Hof und in dem Lande Sitte gemwefen, 
daß eine jegliche in Unehren bezüchtigte Frau mit einem 
rittermäßigen Manne im Kampfe gegen den Bezüchter 
fich verantwörten und die Schuld von ihr bringen mußte. 
Das war alfo auc ihr von dem König auferlegt. 
Nun war die Königin in großem, fchwerem Leid, und 
wußte Niemand an ihrem Hof, den fie darum erfuchen 
und auf den fie Treu uud Glauben jegen möchte. Da 
fam ſie an den Grafen von dem Rothenfahn mit hohen 
Ermahnen und Erfuchen in Tieblichen jchönen und guten 
Morten, auch mit Berühmen der deutfchen Artigfeit 
im Srauendienft, und bat ihn zugleich um aller Frauen 
Zucht und Ehre willen: ob ihm je eine Güte oder 
Breundlichkeit von einer Frau gefchehen wäre, oder ihm 
fünftighin gefchehen follte, fo möchte er ihre Ehre und 
guten Leumund gegen den bösartigen Chrabfchneider, 
ihren Widerpart, im Kampf in Schuß nehmen. Der 
fromm ritterlich Graf bewies fein Mannheit und fein 
adelich Gefchlecht und gewährte der Königin ihre Bitte ; 
dadurch ließ fie all ihr Trauern ſchwinden, ihr Herz 
erhob fich zu großen Freuden, und fie nahm mit großer 
Dankbarkeit und in Gnaden fein edles Anerbieten auf. 
Doch verlangte er von ihr bei ihrer Königlichen Treue, 
ihm die Wahrheit zu fagen, fo er eine Frage an fie 
thäte. Da fragte er fie: ob fie der That, die man fie 
zeihe, fchuldig wäre, oder nicht? da fagte fie ihm: ja, 
fie wäre derfelben ſchuldig. Da fagte er ihr zu: nicht 


248 


defto minder wolle er denn auch um ihrer Ehre und 
feiner Zufage willen kämpfen. 

Soldyer Kampf ward durch den König fürgenommen 
und angejchlagen. Der fronm ritterlich Graf fanımelte 
jein Gemüth, und bat den allmächtigen Gott und feine 
liebe Mutter, fte möchten um alle Fromnten Ehr mil: 
len Sülf und Beiftand thun; dann befann er fich 
jchnell, zum Kampf gegen den Feind der Königin in 
den Kreis zu treten. Als er nun in den Kreis fan, 
um fi im Kampf gegen den Ritter der Königin we— 
gen zu wehren, Da gedachte er des Geftändniffes und 
war erfchrocen; er wich zurück und floh eine Zeit lang 
vor dem Gegner. Das verdroß den Ritter ihm ges 
genüber, er wandte fich mit Scheltworten an ihn und 
jchrie: ei du Böſewicht, du fleuchſt? Das ging dem 
Grafen zu Herzen, er rechtfertigte fich gegen ihn und 
fprach: Du lügſt und biſt an dir ſelber; ob Goit will, 
ſo will ich heute mein Ehre und Frömmigkeit an dir kund 
machen und dich mit der Hilfe Gottes zu Tod ſchlagen! 
Da gewann er den Sieg, ſchlug den Ritter zu Tod 
und rettete alſo der Königin ihre Ehre. Das kam der 
Königin zu großem Gut, alſo, daß es nicht unbillig 
war, wenn ſie ſich gar erbot, nach ihrem Vermögen 
ibm zu vergelten, und ihm viel Haab und Gut zu ges 
ben. Deffen weigerte er fich und begehrte Feine zeit— 
liche Haabe dafür, denn er hatte Alles um unfrer lieben 
Frau und aller Frauen Ehre willen gethan. Nun 
aber hatte die Königin ein Tuch, Das war, als unjer 
Herr Chriſt vom Stamme des h. Kreuzes geftorben ab» 


249 


genommen ward, unter und über ihn gelegt worden. 
Um das bat er ihr Eönigliche Gnade, e8 ihm zu ges 
ben und Nichts Andered. Da gab es ihm die Königin 
mit großen Ehren und hohem Erbieten, feine gnädige 
Frau bleiben, zu wollen. Alſo Fam er hinweg, und 
nahm Das Tuch mit ihm und fam an das Herzogen 
von Savoyen Hof, da ift er geblieben, Seine ritter- 
liche That an der Königin Hof aber ward ihn und 
allen feinen Nachkommen zu Lob und Preis immer und 
ereig angefchrieben. Deffen fich ein jeder rittermäßiger 
Mann wohl freuen mag; auch daß man fchönen Frauen 
deſto eifriger dienen möge, um den Lohn zu empfahen, 
den fie zu geben haben. 


XIX. 
Hohen-Menfen. 


Der Bergfegel, welcher auf feiner Spige mit fühnen 
Velfen und den noch Fühneren und großartigen Ruinen 
von Hohen-Neufen gefrönt ift, fleigt vom Neufes 
ner Thal auf, und hat an feinem Fuße Weinberge, 
Acker, etwas höher Maiden und Wälder. Das obere 
Drittheil des Berges ift, mit Ausnahme einer neuen 
Eleineren Tannencultur, vom Walde frei und zeigt weite - 
hin durch Schwaben den großen Umfang der ehemaligen 


250 


Feſtungswerke. Der höchſte Punkt der Burg liegt über 
der Stadt, 1292 Fuß über dem Meere, 2555 (2298 
Barifer. Fuß). Bon der eigentlichen Alb ift der Berg— 
fegel durch eine Fünftlich vertiefte Einfattelung getrennt. 
Die Landzunge, welche die Alb ſüdlich mit den Ho— 
hen-Neufen verbindet, ift in der Nähe Der Burg ziem— 
lich fchmal, und zeigt an einer Stelle einen noch ſchma— 
leren, über Felſen fünftlich angelegten Uebergang. Hat 
der Befucher die Landzunge hinter fich, fo befindet er ſich 
an der Gtelle eines Glacis, hinter welchem ſich Vor— 
werfe terafjenförmig erheben. Zur vechten Seite führt 
der Weg zur Burg. Derfelbe Hatte an verfchiedenen 
noch jest erfennbaren Stellen Zugbrücden. Zur linfen 
Seite dieſes Weges find Die Cingänge zu drei Vor> 
werfen. Im einen Graben dieſer Feftungstheile befindet 
fich eine merkwürdige, auf dieſer Höhe nie verfiegende 
Duelle. Diefe Vorwerke, in welchen fich Gewölbe und 
ein Thurm befinden, trugen einfl den Namen würt— 
tembergifcher Fürften. Unter einer großen Baftion, zu 
welcher und aus welcher Zugbrüden führen, geht ein 
gewölbter Gang durch, welcher den Weg weiter führt. 
Nach Ueberſchreitung dieſer Parthie kommt man, links 
ſich haltend, um einen gewaltigen runden Eckthurm, 
deſſen Baſis in Felſen gehauen iſt. Ueber die Stellen, 
wo früher eine ſteinerne Brücke führte, geht jetzt ein 
Weg mit Schranken, der auf die Höhe eines andern 
gewaltigen Eckthurms führt. An derjenigen Stelle, wo 
über dieſem Weg an den Ruinen ein neues Mauerſtück 
eingeſetzt ift, überragte Die Wohnung der Offiziere Die 


251 


Brücke. Don den Rondell des legtgenannten Thurmes 
aus führt eine Pforte in das Innere der Feſtung. 
Ueber und zu beiden Seiten der Pforte befand fid) die 
Kaſerne für Die Befakung. Dieſe Kaſerne ließ in Die= 
ſem Raume nur einen Kleinen Hof übrig. Am öftli- 
chen Ende der Kaferne war die Slirche, deren Glocken 
in dem benachbarten Weiler Tifchardt, und deren Ors 
gel auf dem Rathhauſe in Neufen ſich befinden. Die 
Gewölbe, welche man in diefen Räumen fieht, waren 
unmittelbar unter der SKaferne. Verläßt man diejen 
Raum und fteigt nach rechts weiter empor, jo gelangt 
man in den obern jehr geräumigen Schloßhof. Ueber 
dem Eingang und weiter nad) rechtd (in einem rechten 
Minfel) war die Wohnung des Kommandanten. Neben 
dieſer Localität und gegen Weſten, da wo jich in Den 
Auinen noch die hohen Gibel befinden, war das Zeug- 
baus, unter welchem ein noch gut erhaltener Keller 
fich befindet. Außer den zum Schuße nöthigen Waf— 
fen enthielt diefes Zeughaus eine Sammlung interejs 
fanter Waffen. An das Zeughaus reihen fich linfs 
und etwas höher gelegen zwei Burgverliege an. Das 
Volk bezeichnet eines davon als dasjenige, in welchem 
Süß Oppenheimer gefefjen fey. Die von der Mauer 
freie weftliche Seite des obern Schloßhofes bildet eine 
Terraffe ; Diefelbe gewährt von seiner Art Erfer aus 
eine prachtvolle Fernficht. — Eine kleine Brücde, welche 
noch fteht, führte vom öftlichen Theil des Schloßhofes 
in den Garten des Kommandanten. Rechts von Diefer 
Brücke, innerhalb des obern Hofes und neben der 


ae 


Mohnung des Commandanten, befand fich das Staate- 
gefängniß. Un diefes reihten fich im Halbfreife Ma- 
gazine, Werkftätten und Stallungen an. Der vordere 
Theil des ziemlich großen Gartens des Gommandanten 
bietet als höchfter Theil der Feſtung eine herrliche Rund— 
ſchau. Die weiteren Räumlichkeiten, Thürme, Gänge, 
Umfangsmauern dienten zu Kriegszwecken und erklären 
jtch leicht von felbft. Vor Erfindung des Schießpulvers 
nahm Die Burg wohl nur denjenigen Raum ein, wel 
chen Das Felfenplateau darbietet. Der Eingang in Diefe 
alte Burg fand wabhrfcheintih von Süden aus über 
eine Zugbrüde flatt, welche in den ſüdöſtlichen Thurm 
führte. Diefer zeigt noch heute in ziemlicher Höhe, 
einer Felſenerhöhung gegenüber, em nun zugemauertes 
Thor. Im übrigen ftanımen die Werfe von den Her— 
zogen Ulrich, Chriftopb und Earl Ulerander. — Die 
Ausficht auf Den ebengerannten Punkten ift von einer 
in Württemberg kaum anderswo gefannten Schönheit, 
und läßt fich eher bewundern als beſchreiben. Rechts 
erhebt fich Die Teck und etwas ferner ragt der Hohen— 
ftaufen herüber. Die Kapelle der Stammburg Würt- 
temberg glänzt von Dem rebenbefränzten Necarthale 
herauf. Die Schlöffer Asberg, Hohenheim, Golitude 
und eine Anzahl Dörfer und Städte liegen vor dem 
Befchauer in einem gewaltigen Salbfreis, der im fer 
nen Welten vom Schwarzwald eingerabmt wird. Linfs 
schaut Der Thurn der Achalm herüber, hinter ihr birgt 
ſich Die Gegend des Kichtenftein und der Nebelhöhle, 
und noch weftlicher Der durch Vorberge verdeckte Zol⸗ 


253 


lern. In der Richtung nah Süden wollen einige 
ſchon die Alpen gefehen haben. Wenn diefes aber auch 
nicht wahrfcheinlich it, fo ſchließt ein Blick auf Die 
Alb ein Banorama, welches felten feines Öleichen hat. 
Befonders herrlich ift Die Ausficht auf Hohenneufen, 
wenn man in der Zeit vor Sonnenaufgang die Veſte 
befteigt, und mit den erjien Strahlen der aufgehenden 
Eonne .die Nähe und Ferne betrachtet, Die wunderbar 
verherrlicht von goldenen Lichte vor unfern Augen liegt. 

Von der’ ſchönen Natur wenden wir ung zur Ge— 
ichichte der Burg, Die fo oft und trefflich bejchrieben 
worden, Daß wir wenig bier Neues mehr geben fönnen. 
— Schon ©. Schwab erwähnt der Sage, daß die Vefte 
Neufen römifchen Urfprungs fey, feheint aber wenig 
Gewicht darauf zu legen ; dagegen hat ein fcharffinniger 

und gefchichtsfundiger Gelehrter neuefter Zeit, Dr. A. 
Doll zu Neufen, in feinem mit Necht als trefflic 
anerfannten Büchlein (Hobenneufen und Hohenurach 
mit ihren Umgebungen. Urach 1859), aus dem wir 
Die vorangehende Schilderung des Bergs und der Ruine 
wörtlich entlehnt, Diefe Sage wieder aufgenommen, und 
fie einigermaßen Hiftorifch begründet. Die Landzunge, 
welche die Veſte mit der Alb verbindet, führt auf ein 
Gebirgs - Blateau, welches wegen feines fteilen Abfalls 
nach drei Seiten für die Nömer als firategifcher Anz 
baltspunft gelten Eonnte. Wälle und Gräben, weldıe 
die wenigen gefchügten Punkte deckten, find noch heute 
bei Erfenbrechtsweiler, Burrenbof und Grabenftetten 
fichtbar, und wurden längft für beidnifches Werk an— 


254 


gefeben. Dom Nedar aus führten römijche Straßen zu 
diefer Alb-Befeftigung, und Hohenneufen, das weithin 
die Gegend überragt, war eines ver Vorwerfe, eine 
Marte oder Eaftell, wie wir fie häufig auf den Ge— 
birgsvorfprüngen des alten Zehentlandes von Alleman— 
nien finden. Römiſche Münzen, Gelten= oder Germa— 
nengräber,, die in der Nähe von Neufen aufgefunden 
werden, möchten wir für weniger triftige Beweiſe eines 
römifchen Urſprungs von Hohenneufen halten. Die 
erſten urfundlichen Beftger und wohl Erbauer der Burg 
Meufen Flammen aus einem in Oberſchwaben hochan— 
jehnlichen Gefchlecht, den Grafen von GSulmetingen, 
deren Stammburg noch jegt in dem freundlichen Riß— 
thal im Dorfe Oberfulmetingen zu finden ift. Dort, 
auf der alten Burg Sulmeningen, faß ſchon im 10. 
Jahrhundert ein fchwäbifcher Graf, Namens Beiere, 
der drei Söhne hatte. Neginbald T 955, Adelbero, 
Goadjutor des H. Ulrich in Uugsburg, Manegold. 
Letzterer ift ohne Zweifel Der ältefte Stammherr Der 
Dynaften von Neufen. Er vermäblte ſich mit Mech- 
tild, der Tochter des Grafen Egino von Urach, und 
der mag ihm wohl beftinmt haben, fich in der Nähe 
feiner Anverwandten einen Stammfig zu gründen. Seine 
Kinder waren: Ulrich, Mönch im Klofter Zmiefalten, 
Mechtilde, Nonne in demfelben Klofter, und Eging, jo 
benannt nach feinem Großvater, der aber den Namen 
eines Grafen von Sulmetingen noch fortführte. Wann 
die Grafen von Sulmetingen auf Neufen anfäßig ges 
worden, ift nicht genau überliefert, aber zuverläßig be— 


255 


reitd im der erften Hälfte des 12. Jahrhunderts. Ob 
Graf Manegold den Grund und Boden von Neufen 
durch feine Gemahlin ererbt oder erfauft, ift nicht über— 
liefert. — Nun folgt die ununterbrochene Reihe der Her— 
ren von Neufen, die fich nicht mehr von Sulmetingen, 
fondern von Niefen, und zwar nur Herren von Niefen 
nennen. - Wenn Egino, Mangolds Sohn, Graf von 
Nifen, im Jahr 1190 als Zeuge genannt wird, jo 
kann er wohl Vater Bertholds L. von Neufen gemefen 
feyn, der vom Sabre 1198 —1219 vorkommt. Er 
war, wie Alle feines Namens nad) ibm, ein ungers 
trennlicher Sreund und Kriegsgefährte der Kaifer vom 
Haufe Staufen. Durch feine Verbindung mit einer 
reichen Erbin, der Tochter Graf Adalbert3 von Achalmı, 
wurde er Befißer der Graffchaft Achalm. Faſt gleich- 
zeitig mit ihm erfcheint Heinrich von Nifen, der mit 
Anfelm von Suftingen von Reichs wegen nach Italien 
fuhr, und den jugendlichen Bringen Friedrich von Staus 
fen zur Königswürde berief (im Jahr 1211.) Auch 
kommt um Diefelbe Zeit ein Berthold von Nifen vor, 
der im Jahr 1212 Kanzler Kaiſer Friedriche IL. ge— 
weſen, und im Jahr 1222 ala Bifchof von Briren 
geftorben. Söhne Bertholds I. waren Heinrich U. und 
Albert; fie waren meiftens im Hoflager K. Friedrichs, 
waren ihm zur Seite bei allen feinen Unternehmungen 
in Stalien und begleiteten ihn, den Bannfluch mit ihn 
tragend, nach Paläſtina, wo ſich Friedrich felbft Die 
Kaiferfrone auffeßte. Noch häufiger kommen fie vor 
bei Friedrichs Sohn K. Heinrichs VIL., beſonders wurde 


256 


Seinrich von Nifen viel von legterem gebraucht. Diefer 
Heinrich U. von Nifen muß zu feiner Zeit ein wich- 
tiger Mann gewefen ſeyn, denn der gleichzeitige Chro— 
nift Albertus Bohemus fagt von ihm im Jahr 1240, 
er. jey einer von den Mächtigeren und Edleren des Lan- 
des, er verftehe Die Grammatif und fehr gut Das Fran— 
zöfiiche. In einer Urfunde vom Jahr: 1241 nennt 
er fih Heinrich, von Gottes Gnaden Grave von Nifen. 
Seine Söhne waren Seinrich III. und Gottfried. Beide 
lagen in Fehde mit Bifchof Heinrich von Conftanz ; 
im Sabr 1255 am ©. Albanstage fam es im Schwig- 
gerthale (unterhalb Mesingen) zu einem Kampfe, in 
dem der geiftliche Krieger über Die ritterlichen Herren 
Sieger wurde. Die beiden Brüder nebft 40 andern 
Rittern und Edelfnechte wurden gefangen. Zum Danf 
gegen Gott ob. des verliehenen Siegs, bejchenfte Der 
Bifchof noch im Feldlager Die Marienfapelle zu Reut— 
Iingen, welche dem Kloſter Marchthal gehörte, mit al- 
lerlei Rechten. Später finden wir die beiden Gebrüder 
von Nifen abermals in einer Fehde mit dem Bilchof 
son Speier, und mitthätig bei Verwüflung des Etifts 
Badfnang. Gottfried ift der Durch feine Lieder berühmte 
Diinnefänger und erfcbeint in Urkunden von 1234— 
1254. Sein reifes Alter fällt genau in Die Periode 
des Mittagsglanzes der Dichtfunft in Der Zeit Der 
Staufer. Seine Lieder, Die ein ganzes Bändchen füllen, 
find ausgezeichnet Durch Anmuth der Form, durch 
Künftlichkeit und Zierlichfeit Der Reimſpiele, bewegen 
fih im engen Kreife der Gedanken und Ausdrücke. Der 


257 


ichöne Wald, des Frühlings Pracht, der grüne Anger, die 
Blumen der Wiefe, der Vögelein füßes Singen, der rotbe 
Mund der Geliebten, der an Glanz und Frifche mit der 
thauigen Roſe wetteifert — das ift der Gegenftand feiner 
Minnelieder. Mit Hecht feiert der edle Sänger die 
ſchöne Natur, denn ſah er fie nicht von feiner Burg 
in fo heiterem Glanze vor fich liegen Noch heute heißt 
im fühlen Thale, in das er mit feinen Windhunden 
binabritt, die Umgebung feines Guts „das Frauenhardt.“ 
In der pergamentnen KHandfchrift der Minnefänger zu 
Paris ift Gottfried von Nifen dargeftellt auf offenen 
grünem Feld, jugendlich, mit güldnem Kranz aufden Lo— 
fen, in grünem goldgefäumten Rocke und rothem, pelzge— 
füttertem Ueberfleid; er bietet die Nolle feiner Lieder 
einer Frau dar, welche ihm den Rücken wendet. Aber 
im blauen Felde hängen drei jilberne Jagbhorker mit 
rothem Band über einander — das angeborne Wappen 
des Geſchlechts. — Erſt im Jahr 1253 ſcheint Gott— 
fried die Frau ſeines Herzens gefunden zu haben; ſie 
hieß Mechtild und zeigte ſich mit ihm wohlthätig gegen 
das Kloſter Maulbronn durch eine Spende von Wein 
und Weizen für die dortigen Mönche. Gottfried zeugte 
mit Mechtild einen Sohn, der die alte Linie des Ge— 
ſchlechts zu Hohenneufen fortſetzte. Gleichzeitig mit 
ihnen erſcheint ein Berthold III., mit dem eine neue 
Linie des Haufes beginnt. Diefer heirathete Jutta, die 
einzige Tochter und Erbin Gottfrieds, des Grafen von 
Marftetten. Damit erhielt Berthold die Würde und 
den Namen eines Grafen von Marftetien, melche feinen 

17 


258 


Nachkommen verblieben, die fpäter im Jahr 1326 auch 
die Graffchaft Graifpach (links der Donau unterhalb 
Donauwörd) noch erhielten. Berthold, der fich von nun 
an immer Graf von Marftetten nennt, hatte zwei Söhne, 
Albert I. und Berthold IV. Berthold III. und fein 
Sohn Albert begleiteten den unglüdlichen Conradin 
von Schwaben nach Italien, um ihm das Erbe der 
Vater erobern zu helfen. Wahrfcheinlich nahm Berthold, 
Graf von Marftetten, feinen Wohnfiß auf der Burg 
Maritetten an der Sller, deren bedeutende Trümmer 
noch ihre ehmalige Größe verfündigen, feine Söhne 
aber blieben vielleicht auf der. alten Stammburg Niefen, 
von der ſie fich immer noch nennen. Nach ihnen tritt 
Rudolf, der Sohn Gottfrieds des Minnefängerd, auf, 
der die alten Stammgüter, ald Neufen, Nürtingen, 
Min ben, Blankenhorn und Güglingen im Zabergau, 
int Beſitz hat. Diefer zeugte einen Sohn Berthold und 
eine Tochter Luitgarde, welche letztere jich mit Herrn 
Conrad von Weinsberg vermählte. Da Berthold Feine 
Nachkommen hatte, fo wurde fein Schwager Erbe der 
Kerrfchaft, Die er aber fchon im Jahr 1301 an Oraf 
Eberhard den Erlauchten von Wirtemberg verkaufte. 
Die jüngere Linie Neufen-Marftetten blübte bis in Die 
Mitte des 14. Jahrhunderts. Berthold VIL., der Trä- 
ger diefer Linie, ftand bei Kaifer Ludwig dem Baier 
in großem Anſehen; er wurde fein erfter Rathgeber 
und Hauptmann in Baiern, al8 welcher er Vollmacht 
hatte, an Ludwigs Stelle zu fihalten und zu walten. 
Sm Jahr 1323 übertrug er ihm die Statthalterfchaft 


259 


in Stalin. Der Kaifer ließ feine Treue auch nicht 
unbelohnt, denn er befchenkte ihm reich mit Geld und 
Ländereien. Berthold vermäbhlte fich mit Agnes, Schwe— 
fer des Burggrafen Johann von Zollern-Nürnberg ; 
aber dieſe gebar ihm nur drei Töchter: Zwei von die— 
fen gingen ing Klofter, eine aber, Anna genannt, war 
fo hoch geehrt, daß Friedrich von Bayern, Cohn Her— 
zog Stephans, fie zur Hausfrau erforen. Durch fte 
erhielt Haus Wittelfpach das reiche Erbe von Neufen, 
Unna von Neufen zählen wir fomit unter die Ahn— 
frauen des bairiſchen Königshauſes. 

Nun noch Einiges über die Schieffale der Veſte Ho— 
benneufen. Der erite, der fie im Jahr 1311 aus 
Auftrag des Kaiſers berannte, war jener Conrad von 
Weinsberg, der fie noch im Jahr 1301 als eigew be- 
jefien hatte. Nur die Stadt Neufen, aber nicht die - 
Veſte, Eonnte Conrad erobern. — Als die Grafen von 
Wirtemberg in Jahr 1361 das Rand theilten, da ers 
hielt der ritterliche Eberhard der Naufchebart die Burg 
Kohenneufen zu einer Reſidenz, auf der er freilich nicht 
lange Ruhe hatte. Ber einer fpäteren Theilung, die 
aber Eberhard in Bart wieder aufgehoben, hatte Neu— 
fen die Beftimmung, feinen Namen einer Hälfte des 
Landes zu geben, denn es zerftel in WirtembergeNeufen 
(Stuttgart) und in Wirtemberg-Urach. Unter Herzog 
Eberhard II. wurde Neufen zum erften Mal der Ver— 
wahrungsort eines Staatsgefangnen. Holzinger, des 
Herzogs Schlimmer Rathgeber und Kanzler, wurde auf 
Neufen in Saft gelegt; ihm folgte bald (im Jahr 1512) 


260 


ein geiftlicher Würdeträger, Abt Georg Piscator (Fifcher) 
von Zmiefalten. Herzog Uleich Tieß ihn auf Neufen 
fegen. Der Vogt und Forjtmeiiter Belz, ein Schwager 
des berüchtigten wirttemberg. Kanzler Lamparter, jtarb 


im Ihurm auf Neufen, weil der Herzog ihn im Ver— 


decht hatte, er fey in den Händeln megen des ermorde- 
ten Hand Hutten gegen ihn gewefen. Conrad Breu— 
ning;' Dogt zu Tübingen, ſaß gleichfalld im Kerker 
zu Sohenneufen ; er mußte Dort Die Folter überftehen, 
und ward in Stuttgart enthaupter. Nach der Ver— 
treibung Herzog Ulrichs wurde auch Neufen mit an- 
dern Veſten vom ſchwäbiſchen Bund eingenommen. 


Ulrichs Gemahlin Sabine wählte im Jahr 1520 ihren 
Sit auf Kohenneufen und fand während den Schreden 


des Qaurenfriegs hinter den Mauren der noch gewal- 
tigen Veſte Schuß und Sicherheit. Als Ulricy nad 
der Schlacht bei Laufen im Jahr 1534 das Land fel- 
ner Väter wieder eroberte, übergab Der Burgvogt Ber- 
thold von Schilling die Vefte ihrem rechtmäßigen Seren. 
Gerade feierte Berthold Die Geburt feine erften Söhn— 
leind und war im Begriff, ihn zur Taufe zu tragen. 
Al2 der Serzog mit feinen Nittern und Reiſigen Die 


Burg binaufritt, fand er die Brürfen herabgelafien und 


das Thor offen. Bor dem Thore fland Berthold der 
Burgvogt, reichte demüthig dem Herzog den Schlüfjel 
der Burg, und erbat fich eine Gnade, Die der Herzog 
ihm gewährte: er trug das Söhnlein feines Dieners 
als Pathe in eigner Berfon zur Taufe. - Im Jahr 
1609 Fam wieder ein wichtiger Gefangner auf Hohen- 


— 


261 


neufen, es war Matthäus Enzlin, der wirtemberg’fche 
Kanzler; von Neufen Fam er nach Hohen-Urach, wo 
bald darauf fein Haupt unter dem Schwert fiel. 

Im 3Ojährigen Kriege bewährte Kohenneufen den 
Ruhm feiner Feftigkeit. Der Hauptmann Schnurm 
vertheidigte die Veſte gegen den faiferlichen General 
Gallas mit ungeheurer Ausdauer und Tapferkeit. Doch 
im Jahr 1635 wurde fie durch Aushungern eine Beute 
der Feinde, aber im weftphälifchen Frieden wurde Hohen— 
Neufen wieder an MWirtemberg zurücgegeben. Nach 
dem ZOjährigen Kriege hatte Hohen = Neufen keinen 
feindlichen Stoß mehr auszuhalten. Doch wurde jte 
in Jahr 1733 von Herzog Carl Alexander von Wir- 
temberg, dem auch Die Bergvefte Hohentwiel feine Bes 
feftigung zu verdanken hat, aufs Neue befeftigt. Die 
Merke, welche die Vefte gegen die Alb hin verteidigen 
follen, find hauptfächlich aus diefer Zeit. Er war in 
eigner Berfon auf der Veſte im Jahr 1734. Drei 
Jahre Darauf mußte fein unredlicher Minifter Jud Süß 
Dppenheimer in den Kerfer nach Neufen wandern. 
Seine Haft auf Neufen dauerte aber nur einige Wo— 
chen, von da kam er nach Asperg, und dann nach Stutt- 
gart an den Galgen. Im Jahre 1795, in der Zeit 
der franzöftfchen Nevolution, hatte die Veſte noch Dach 
und Fach, bot aber feinen drohenden, fondern vielmehr 
arımfeligen Anblick dar, denn nur 9 Invaliden bildeten 
die ganze Befagung. Als um jene Zeit der Gouver— 
neur dem Herzog Ludwig Eugen die feierliche Meldung 
that; auf der Veſtung Neufen ift Nichts Neues vor: 


262 


gefallen! — da erhielt er vom lächelnden Herzog zur | 
Antwort: D, ich bin froh, wenn nichts Altes einge- | 
fallen it! Doch wurde auf Antrag der Stände — 


bei den obfchwebenden ſchweren und ernften Zeitläuften 
— die Schleifung der Veſte befchlofien. Sie wurde 
jofort im Anfang dieſes Jahrhunderts abgetragen, denn 
die Zeit ihrer Bedeutfamfeit war vorüber. Es mag 
der Umgegend, befonders der Stadt Neufen, fein Leid 


| 
i 


geweſen feyn, ald die Mauern ihrer früheren Befchüßes | 


rin fielen: fie hatte mit dem dazu gehörigen Amt 
Bisher Die fehr bejchmwerlichen Feſtungsfuhren zu ver— 
feben. — Das fogenannte Wahrzeichen der Veſte Neufen 
war ein Eſelsfuß, der neben der zweiten Wache aufs 
gehängt war. , Die DVeranlafjung dazu fol dieſe ge— 


| 


wefen ſeyn: Vor Zeiten wurde ein Efel zum Waffer- | 


tragen gehalten, weil die Feſtung daran Mangel hatte. 
Ginft aber war fie fo enge eingelperrt, Daß die Beſatzung 
Den bitterftien Mangel litt. Da fütterte man den Efel 
von dem lebten Scheffel Gerfte jo reihlih, Daß er 
ftarb. Dann wurde fein wohlangefüllter Wanft über 
die Mauer binabgeworfen. Als Die Feinde, welche 
ſchon auf die Mebergabe der Stadt gehofft hatten, 
dieß ſahen, fchloßen fie daraus, daß die Befagung noch 
vollauf zu leben hätte, und zogen ab. Dem Ejel zum 
wohlverdienten Andenfen wurde einer feiner Süße auf— 
gehängt. Einft hatte ein gutes Weib von Linfenhofen 
mit einem dieſer Waffertriger Mitleiven und ſprach: 


„Du armer Efel, haft du auch zu freſſen?“ und als fie 


frank wurde, vermachte fie dem Ejel eine Wiefe, welche 


263 


auch nachmals, als Fein Efel mehr gehalten wurde, 
der Commandant jährlich mähen und einheimfen Tiep. 
Dieß gefchah noch bis ins Jahr 1802, und die Wicfe 
führte den Namen Efelöwieje. 

Hier noch Die romantische Gefchichte von der Verer— 
bung der Graffchaft Marjtetten an die Herren von 
Neufen, wie fie ein altveutfches Lied aus dem 15. 
Jahrhundert enthält, das unfer edler Ludwig Uhland 
in feiner trefflicyen Sammlung „Althochdeutſcher 
Bolfslieder” vom Jahr 1845 2. I. ©. 775— 
733 gegeben. 


Die Sage 
son dem edlen Moringer und dem Herrn 
von Neufen. 


Im fehönen Schwabenland, am Ufer der Iller, Tebte 
in alten Zeiten auf der Burg Marſtetten ein veicher 
Graf, Gottfried von Marftetten, den man den edlen 
Moringer nannte. Er war reich an Tugenden umd 
erfahren in aller Ritterſchaft. Er Hatte viele Lande 
durchzogen, und manch Abenteuer erfahren, nur ein 
Land hatte er noch nicht erjchaut, Dad jo man nennet 
St. Thomasland. Das zu fchauen, darnach fand 
fhon lang feine ganze Schnfucht. Eined Morgens 
un den Hahnenſchrei rief er ſeiner Frau, und ſprach 
zu ihr; Herzliebe Frau, höre, mich verlangt in St. 
Thomasland zu ziehen, das hab’ id) längſt mir ge— 


264 
lobt, und nun will ich einmal mein Gelübd erfülien, 
denn Tag und Nacht hab’ ich Feine Ruhe, bis ich 
demfelben Genüge gethan. Darum, holde Frau, gib 
mir Urlaub, Daß ich ziehen mag, und barre meiner 
fteben Jahre. Da Sprach die Frau gar trauriglich : 
jaget mir, mein lieber Herr und Gemahl, wenn ihr 
von dannen ziehet, wer ift es, Dem ihr euer Land und 
Gut anvertrauet? und wenn auch das treu und gut 
verwaltet wäre, wer foll, lieber Herr, mein treuer 

Pfleger jeyn, und wer foll Jutta, unſer zartes Töchter- 
lein, in feine Huth nehmen, bis Daß ihr wiederkehret 
von eurer Fahrt? Der edle Moringer tröftete fein 
boldes Ehegemahl und fprach : o traure nicht fo ſehr, 
du Liebe und Theure, Daß ich Yon-dannen ziehen will. 
Sch Habe fo manchen Ritter und Dienfimann, die von 
und Gut und Ehre haben: die werden dir im Treuen 
untertban feyn und dich in ihre Obhut nehmen. Das 
zarte Töchterlein werden und die frommen Klofterfrauen 
aufnehmen und erziehen ; ich will ihr dermaleins den 
Schleier felbft vom Haupte nehmen, und fie als folge 
Braut zum Altar begleiten. Auf Dich aber traue ich, 
daß du deine Ehre wohl bewahren wirft, wie Alle, 
die deinem Gefchlecht entfprofjen find, und wie du bis 
auf Diefe Stunde mir ſtets Fund gethan. Nun gib 
mir Urlaub, zarte Frau, ich will vollbringen meine 
Fahrt, denn mein Gelübde mag — brechen. 
Gedenke meiner mit Treue in Deinen ommen Ge⸗ 
bet, wenn ich von hinnen bin. ‚Lebe wohl; 
jegne Dich, und habe ung Alle in ſeiner Sud. aun 






er 


265 
möge St. Thomas, der fromme Heidenbote, uns feine 
Hülfe angedeihen laſſen. Unter füßen Küfjen verlieg 
der edle Kerr Die meinende Frau. 

Nun verließ der edle Herr fein Bette und trat aus. 
der Kammer. Da fland der Kämmerer vor der Thüre, 
in den Händen des Herrn Gewand. Als er ihn an- 
gefleivet hatte, brachte er ihm Das jilberne Beden dar; 
der edle Herr goß fih das Waſſer über die Hände 
und wufch fein Tichtes Auge Flar. Dann ſprach er 
zu feinem Kämmerer: mein allerliebfter Diener, mein 
Sinn fleht mir nah St. Thomasland, dahin will ich 
. ziehen und mein Gelübde erfüllen. Dir, du getreuer 
Knecht, der in meinem Dienft grau worden und fchon 
jo viele Treu erzeiget: hat, will ich meine Frau über— 
geben, auf daß du ihrer pflegeſt. Sieben Jahre will 
ich auswärts bleiben, und dann, wenn ich wiederkehre, 
und du mir Treu erzeiget haft, will ich dir's vergelten 
mit reichem Lohne. Da ſprach der Kämmerer tugend- 
lich: edler Serr, es däucht mir viel klüger gethan, 
wenn ihr daheim bliebet in eurem Lande, wo ihr Alles 
babt, was ihr nur begehren möget: die Frauen tragen 
lange Saare und haben kurzen Muth. Das merfet 
wohl, wenn ich euch rathen darf — nicht möcht ich 
eure Frau, jo gut und edel fie auch ift, länger hüten 
denn fieben Tag. Drum folget eurem treuem Knecht, 
und bleibet, wo ihr ſeyd. Dieſe Rede feines Kämme— 


ur 
BR: N —34 
* 


rers däuchte fremd und ſonderbar dem edlen Morti 






ſie ging ihm tief ins Herz, und mit traurigem Muͤthe 


trat er hinaus. Vor dem Hauſe fand er einen Junk— 


266 


bern, der war ihm wohl befannt: es war Berthold 
von Neufen, ein blonder und ſchöner Rittersmann, 
feiner Bafallen der beften einer. Der edle Moringer 
fab ihn freundlich an, dann fprach er liebevoll: mein 
allerliebfter Diener von Neufen, junger Herr, ich will 
jeßt ziehen gen Thomasland, aber wem befehle ich 
aladann meine Frau? wem anders, als euch, deſſen 
Treue und Nitterfinn ich ſchon oft erfannt babe; 
darum feid ihr Hüter und Pfleger fieben Jahre, ſo 
lange ich abwefend feyn will. Wißt ihre, wie einft 
der Herr vom Kreuze zu feinem Tiebften Jünger fprach? 
„Diefe ift deine Mutter!” Alſo fpreche ich auch zu 
euch, und befehle eurer Treue und Tugend mein viel 
liebes Ehegemahl, daß ihr derfelben pfleget als ein 
lieber Sohn. Da neigte fich der junge Kerr von 
Neufen gar tugendlich und fprach: Kerr, ziehet hinaus, 


° wohin ihr wollt, und habt getroften Muth, und mwäret 


ihr wohl dreißig Jahr in St. Thomasland, fürmahr, 
ihr Dürftet ohne Sorgen feyn, denn wie ein Sohn 
will ich warten und pflegen meiner edeln Frauen, alfo 
daß ihr. euch freuen werdet, wenn ihre wiederfehret. _ 
Dep freute fich der edle Moringer, als er folche Rede 
von dem jungen Grafen von Neufen vernahm, umd 
auf einmal war von. feinem’ Kerzen alle Schwere ge- 
men, die das Mort ded treuen Kämmererd auf 
fein‘ Herz gelegt hatte. Er gab dem Herrn von Neufen 


die Hand mit lieben Blicken, und zog von hinnen im 


Pilgergewand. 
Ben volle Jahre war br edle Moringer in St. 


267 


Thomasland, nachdem er die liebe Heimath, auch Weib 


und Kind verlaffen, — und manch ein Abenteuer hatte 
der theure Öotteöftreiter unter den Heiden überftanden, 
da der Herr ihm treulich aus aller Gefahr geholfen. 
Eined Tages lag er müde in einem Gartenhag, um 
auszuruhen, und war in tiefen Schlaf verfunfen. Und 
wie er dalag, das Antlig gen Simmel gerichtet und 
die Hände fromm gefaltet, da ward fein Geift von 
einem böfen Traum befchwert. Ein Engel vom Simmel 
Rand ihm zur Seite und ſprach alfo zu ihm: „er 
wache Moringer, es ift Zeit — fommft du nicht nad 
Haufe eben am heutigen Tage, fo nimmt der Junkherr 
von Neufen dein Ehegemapl zum Weibe.” Da machte 


der edle Herr auf, und raufte fi vor Sammer und 


Zeid feinen grauen Bart. Weh mir! rief er ſchmerz⸗ 


voll aus, wie reut mich meine Frau! weh wir, mein —* 


Land und meine Leute! weh mir, daß mich, iejeni 
die ich zu hoher Ehre und Wuͤrdigkeit erhoben M 


FOR 


fchänden will an meiner eigenen Ehre. Und daß ich 






— 


fo weit muß geſchieden ſeyn von meiner Heimath, um. 


Babin zu gelangen! So weit ich ſchau', ein fremdes 
Land, Gebirg an Gebirg, hoch wie die Wolfen — 


und fönnt ich fliegen, ſchnell wie ein Aar, nicht fan’ 4 


ich zur Stätte noch zeitig, um das Unrecht unver 
hüten, das mein Gemahl an mir begehen will. 





Gott verhüten! und du St. Thomas, mögeft Mir he 


trübtem Manne helfen. Du haft in dieſem Sande 


Wunder ſchon fo viele geübt, wenn du mir Oottes . 


Hülfe ſchickſt, ſo komm' ich wohl * Stätte. y- 





du feine neue Mähre aus der Burg dert 


268 


der edle Moringer jo Elagte und feufzte, und zu Gott 
und St. Thomas flehte, da fühlte er auf einmal Troft 
in feinem Herzen. Schnell wollte er fich erheben, 
doch war fein Leib fo bang und ſchwer von Leid und 
Kummer, daß er vor Müdigkeit wieder zurücjanf, und 
in einen tiefen Schlummer fiel. 

Und es gefchah, als der Ritter vom Schlaf ermachte, 
und feine Augen noch Faum geöffnet waren, da hörte 
er das Waſſer rauſchen; es war ein fo mohlbefannter 
Laut, und als fein Blick fich erbellte, da ſah er vor 
fich die Illee mit den blauen Wogen. Und neben ihm 
da raufchte das Rad von feines Schloffes Mühle, 
das oft vor feinem Ohr geraufcht hatte, wenn er in 
Schönern Tagen son feiner Burg bernieder ſah. Hoch 
oben auf der Höhe erglängte feine Burg im leßten 
Abenditrahl.e Da fprang er auf und bub Die Kände 
soll Andacht empor zum Himmel, er betete: nun dank 
ih Maria und ihrem Kinde, auch St. Thomas den 
heiligen zwölf Boten, dag fie mir hieher fo wunderbar 
geholfen haben und ich wieder bei meiner Mühle ftehe, 
auch meine Burg und Alles wieder erblicke nach mei— 
nes Herzens Begehren. Doch war er bald wieder ein 
trauriger Mann, denn, als er eintrat in Die Mühle, 
da mochte Niemand den beimgefommenen Herrn, Den 
edlen Moringer, mehr fennen, alfo war feine Geftalt 
unfenntlih und Bart und Haupthaar weiß und grau 
geworden. Als er den Müller fand; rief Ber an 
und ſprach: o Müller, du mein trauter Die ner, weißt 


; Br W Rx 
wine, ABeE: 





269 


an mir Sreundfchaft, lieber Mann, denn ich bin ein 
fremder Bilger, und thu' mir Befcheid auf meine Frage. 
Der Müller fah feinen Herrn, den auch er nicht Fannte, 
verwundert an und Sprach: kommt ihr aus aljo fer- 
nem Land, Daß ihr nicht wiffen foll’t, was fich in 
diefer Zeit begeben? Ja wohl weiß ich der abenteuer- 
lichen Mähren viele, Do eine. ift vor allen andern 
neu, die ift, Daß des edlen Moringers Frau den Junk— 
bern von Neufen heute zur Stunde zum Ehegemahl 
nehmen will: man fpricht, der edle Dioringer jey 
längft in fremden Landen geftorben; — das ift mir 
leid und macht mir ſchwer. Gott wolle ihm helfen 
aus aller Noth; ja Gott fey guädig meinem Tiebften 
Herrn! von ihm hab' ich groß Gut und alle meine 
Ehre. Gott tröfte feine Seele! ach! daß er nur immer 
bet ung wäre! Die Wort von feinem treuen Diener 
ging dem Ritter tief ins Herz, er Sprach bei ſich“ o 
weh! die Frau und der Vaſall vergaßen ihre Pflicht, 
doch meines Dieners Treu ‚blieb, mir ganz Zum 
Müller fagte er: ich wünſch' die einen guten Tag. 
merk aber — wenn deine Worte wahr find, — haft 
du zu Haus ein holdes Weib, fo geh’ nicht fort von 
ihr auf fieben Jahr. Auch traue feinem Gefellen, der 
noch von Alter zart ift, und dir von Herzen’ fromm 
und unfchuldsvoll dDäucht, Denn mit der Zeit kommt 
böfe Luft, und mit den Jahren wächſt der Bart. 
Als der Moringer alfo ſprach, wollte der Müller 
die Rede nicht verfieh'n, und wandte fich von ihm. 
Der Ritter ging den Burgpfad hinauf, den er vor 


270 


fieben Jahren fo oft gegangen war. Ach Gott! fo 
feufzte er, während er aufwärts flieg, fteh mir jeßt 
bei, uud rathe mir, wie ich in meine Burg hinein— 
komme, ohne daß mir ed das Hofgeſinde mwehret, jo 
mir zuvor unterthan gewefen. Jetzt fland er vor dem 
Thor feiner eigenen Burg. Mit fchweren Herzen und 
zitternder Hand Elopfte er am das Thor. Da rief der 
Thorwart: wer ift Davor? Der Moringer antwortete: 
o Freund, fag’ deiner Frau, es ift hienieden vor der 
Burg ein armer Pilgersmann. Nun komme ich heute 
jchon von ferne ber, daß ich gerade müde worden bin. 
Sp Öffne mir um Gotteswillen, und fäume dich nicht 
lang, denn e3 drängt mich, einzutreten in die Burg. 
Nur um ein Elein Almofen bitt ich deine Frau, um 
Gottes und St. Thomas willen, und um des edlen 
Moringerd Seele. Der Thorwart that nach feinem 
Gebot, ging ins Gemach zur edlen Burgfrau und 
jrrach: edle Frau, bienieden vor der Burg da fleht 
ein armer Pilgerömann, und flebt gar ſehr um ein 
Eeined Almofen um Gottes und St. Thomas willen, 
und um des edlen Moringers Seele. Als die Burg- 
frau dieſe Worte hörte, rief fie: fchleuß auf, ſchleuß 
auf Die Pforte und laß den Pilger fihnell zu mir 
herein" nicht foll er lang vor der Burg warten um 
St. Thomas und Gottedwillen; ja gib dem. armen 
Pilgersmann recht reichlich und fatt zu effen. Als— 
bald war der edle Moringer von dem Burgwart 
in die Burg eingelaffen. Indem er eintrat, ſprach er: 
ich danke dir Herr Jeſus Chriftus! Deiner Milde und 


271 


deiner Güte hab’ ich’E zu Danfen, daß mir meine Burg 
geöffnet if. Doch, als er in dem Hofe fland, ward 
ihm aufs Neue leid und fchwer, denn weder Diener 
noch Knabe Fam ihm entgegen, um ihn zu empfahen. 
Da jeßte er fich nieder auf Die Bank, denn, obwohl 
er faum hundert Schritte gethan hatte, däuchte er fich 
doch gar müd und ſchwach. Er ſchaute Hinauf zum 
Saal der Burg, der war erleuchtet wie zu jener Zeit, 
da er feine tugendfame Braut zum Altar führte. Auch 
ging es droben laut und luftig ber; denn Pfeifer und 
Harfenfpieler ließen fich hören, Daß es hell hinab in 
den Hof flang. Wie anders fchlug dem müden Kern 
dad Herz zu all dem lauten Schall! die Weile wurde_ 
ihm gar zu lang, und doch wagte er es nicht, hinauf 
zu gehen in den Saal, ob er gleich des Schloſſes 
einziger rechter Herr war. Day 

Indefien faßen droben im Saale Braut und Bräuti- 
gam, der von Neufen und des edlen Moringers Che- 
gemahl. Die Lampen brannten helle, und immer lauter 
Hangen die Pfeifen, Lauten und Harfen. Die beiden 
pflegten wohl des Mahls, das reichlih und, Eöftlich 
aufgetragen ward und mit ihnen Herren und Brauen, 
die an langen Tifchen im Saale faßen. Als nun die 
Abendftunde Fam, daß der Bräutigam mit der Braut 
in die Kammer eingehen follte, da fand ein alter treuer. 
Dienfimann auf und ſprach: fo lang mein Herr, der 
edle Moringer, in Diefer Burg noch waltete, da iſt es 
je feine Sitte gewefen, daß Fein Gaft auf feiner Burg 
entjchlief, er Hätte denn zuvor ein Lied gejungen; ein 


272 


folcher fißt dDrunten in dem Hof auf harter Banf, ein 
fremder wegemüder Bilgersmann. Das Wort vernahm 
Herr Berthold von Neufen, der Bräutigam — wie 
bald rief er voll Freudigfeit: es foll in alten Rechten 
ftehen! holt nur herauf den Pilgersmann ! Ihr Pfeifer 
hört zu Spielen auf, ihr Lauten ſchweigt — viel Tieb- 
licher ein helles Lied, dag aus der Menfchen Kehle 
klingt. Da rief man den Bilger in den Saal; er 
trat ein durch die hohe Ihüre, den Blick gefenft zur 
Erde, als blendete ihn der Schein, der aus dem Saale 
ftrablte. Er legte zur Seite feinen Stab, den er nicht 
gebraucht, und ſetzte fich ganz unten, wo das Gefinde 
feinen ©iß hatte. Kaum hatte Der von Neufen ihn 
erblickt, fo fprach er: mein Gaft, fing mir ein Liedlein 
fein, und gefällt es meinen Gäften wohl, ich geb’ Dir 
bier mein NRitterwort, du follft eine reiche Gabe dafür 
von mir empfahen. Da reichte man dem Pilger eine 
Harfe dar, er ftand auf, faßte fie mit gemandter Hand, 
ſchlug ihre Saiten und fang voll Ernft und Bedeutung 
ein Lied von der Frauen Wanfelmuth. Als der 
edle Moringer fang, war große Stille im ganzen 
Saal, daß man das Mühlrad im Thale raufchen hörte. 
Alle hörten voll Aufmerkfamfeit dem Liede des Pilgers 
zu, aber Eine vor allen, Das war die Braut, Des edlen 
Poringerd Ehgemahl. Die Worte ſanken ihr tief ind 
Herz, und ihre zuvor Elaren Augen, trübten ſich; fe 
mocht' wohl gedacht haben des edlen Gemahls, deſſen 
je vergeffen. Sie nahm einen goldenen Becher vom 
Tiſch und winkte ihrem Mundſchenk; der ſchenkte ihn 


273 


voll mit klarem Wein, und fie reichte ihn dem Pilger 
dar. Der Bilger nahm ihn aus der Hand der edlen 
Burgfrau, verneigte fich, und that Daraus einen kräf— 
tigen Zug. Dann zog er ab feiner, Hand einen Ring 
von lauterem rothen Gold, den ihm einit feine aller- 
liebſte Frau am Vermählungstag angefteeft hatte, und 
warf ihn, jo dag man es kaum merken fonnte, in Des 
Bechers Grund. Er fprach bei fich: Du treuer Ring, 
o wende meinen Schmerz, und vermähle mich zum 
zweiten Male mit meiner allerliebften rau. Dann 
wandte er fich zu dem Mundſchenk, indem er wieder 
den Becher nahm, und ſprach: mein trauter Gefelle, 
du allerliebfter Diener mein, willſt du thun nach mei- 
nem Willen, fo bring’ den Becher deiner Frau; ich 
gelobe dir's, Daß ich es dir vergelten will. Ja, ſprach 
der Mundfchenf, mein lieber Pilgersmann, es foll zur 
Stunde gefchehen. Er nahm den Becher, gab ihn der 
Burgfrau in die Hand und fprah: ach Tiebfte Frau, 
verjchmäht Den Becher nicht, und nehmt ihn, der 
Pilger jendet ihn. Während die Burgfrau den Becher 
aus der Hand des Mundſchenken nahm, faßte der 
Pilger die Harfe wieder, und fang noch ein Lied. Als 
die Burgfrau den Becher in der Sand hielt und in 
feinen Grund ſchaute, ſiehe, da blickte ihr in Ans 
lein yon rothem Gold entgegen; es war ihr wohlbe- 
fannt noch aus frühen Tagen. Da ward fie bald 
bleich, bald roth, und rief: Ihr Herren, der Moringer, 
mein Herr und Gemahl, ift hie! Zur Stunde ftand 
fie auf vom SHochzeitmahl, und fiel demütbiglich auf 
18 


274 


ihre Knie vor dem fremden Pilgersmann; fie ſprach: 
ſeyd mir willfommen, mein lieber Herr, wo bleibt ihr 
doch fo Tange® ob ihr reich an Leid geweſen, nun 
darf euch nimmer bange feyn. Laſſet ſchwinden all 
euer Trauern, entjchlagt euch alles Leids: ich habe 
meine Ehre noch; Die hab’ ich immer feft gehalten, 
edler Herr, drum danfet Gott im Himmelreich mit mir. 
Doch Hab’ ich Unrecht gegen euch gethban, daß mein 
Viund das eheliche Gelübde gebrochen, fo laſſet ftrenge 
Strafe über mich ergeh’n, und manert nur mich ein, 
ich will e8 mit Geduld ertragen. Als nun der Junk— 
herr von Neufen Solches alles fah und hörte, da trat 
auch er herzu, fiel Dem edlen Moringer zu Füßen; 
und flehend fprach er: mein Tiebfter Serr, ich hab’ 
gegen euch gebrochen Treu und Eid, und euer Weib 
von euch gewandt, drum fchlaget mir ab das Haupt, 
denn wohl hab ich's verdient durch mein Unrecht. Da 
fprach der edle Moringer, mein junger Herr, Das foll 
nicht geſchehen. Meint ihr, ich fomme nur aus der 
Fremde ber, um Rache zu üben? mit Nichten, das 
wäre gar Unrecht. Gott hielt uns alle in feiner Huth, 
er bat es mohl gelenkt. Wenn er fo große Gnade mir 
erzeigt, und mich gefund und wohl hieher geführet hat, 
wie Follt ich Zorn und Ungnade üben gegen Die, fo 
gegen "mich der Pflicht Yergeffen? Nein, euch und 
meinem Ehegemahl will ich verzeihen zur Stunde, da— 
mit an jenem großen Tage des Gerichts Gott auch 
mir möge gnädig und barmberzig feyn. Co flehet 
Beide auf, euch ſey verziehen von Herzen gern. Doch) 


275 


jagt, ſprach Der edle Herr zu feinem Ehegemahl — 
wo ift mein Töchterlen Jutta? damit ich froh ihr 
Antlitz ſchau, und fie fich freue meiner Wiederkehr. 
Herr, entgegnete Die Burgfrau, eben heute ift fie aus 
dem Klofter gefommen. Als ihr von dannen zoget, 
fprachet ihr, Daß ihr ſelbſt ihr Den Schleier Tüften 
wollt, jchaut, lieber Kerr, fie trägt ihn no. Da 
trat aus ihrem Kämmerlein hervor eine Jungfrau gar 
ſchmuck und ſchlank, alfo, daß der edle Moringer in 
ihr fein Töchterlein nicht mehr erfannte, das er ver- 
laffen hatte, fo fehr Hatte fie ihre Geftalt verändert, 
und war groß und ftattlich geworden. Nun, rief der 
Vater, indem er Die Tochter soll Verwunderung ans 
fchaute, wohl gediehen ift fie Doch! St. Thomas habe 
Danf. Dann trat er vor die Jungfrau, und nahm 
ihr den Schleier vom Geficht, und ein minniglich 
Brauenbild mit holden und verfchämten Wangen, mit 
Aeugelein, Die wie zwei Sterne ftrahlten, und einem 
Mündlein purpurroth, fo recht bereit, den erften Liebes- 
fuß zu empfaben, blickte den Umftehenden entgegen. 
Ei ſchauet, junger Herr von Neufen, rief der edle 
Moringer freudenreich — gleicht Diefe nicht der Mutter, 
und it fie nicht ihr Ebenbild? ja wohl, fo war fie 
auch) im jungen Jahren, als ich fie zum Altar ‚geführt, 
und dieſer alte Bart noch nicht grau war. Das fey 
die einzige Buße, Die ich zur Stunde euch auferlege, 
Herr von Neufen: werbt auf der Stelle um Diefes 
bolde Fräulein, eh daß ein Anderer fommt, der fte 
von binnen führt. Nehmt Hin mit ihr als Mitgift, 


276 


die Hälfte von Allen, was ich babe, Yon Feld und 
Wald, und allem Gut, was reich gebäuft in meinen 
Ccheunen liegt. uch ziemt viel beffer dieß mein 
ſchmuckes Töchterlem zum Ehgemahl, und laßt mir die 
alte Braut. Nicht zweimal ließ fich der von Neufen 
vathen, einzugeh'n den ſchönen Tauſch, denn e8 wollt! 
ihm zur Stunde bedünken, daß die junge Maid viel 
minniglicher blickte, al3 die alte Braut. Er ging auf 
fie zu und mahnte fie des Worts, das jo eben der Vater 
geiprochen. Das Jungfräulein lieh ihm gar bald ihr 
Ohr, denn ſchön und fehlanf von ftolgem Blick war 
der, der fie um Liebe bat. Indeß Der edle Moringer 
jein reuig Weib emporbob und den erfien Kuß nach 
langer Zeit wieder auf ihre Lippen drückte, umfchloß 
auch der von Neufen feine junge Braut, und bat den 
Dater und Mutter um ‚ihren Segen. Nach kurzen 
Stunden führte er die füße Braut zu Gottes heiligem 
Altar, und fchloß jebt einen jehönern Bund, als der 
zuvor gefchlofien war. Jetzt erft ging recht die Hoch 
zeit an — von Neuem fpielten auf Die Pfeifer, und 
Harf und Laute klang, daR es ins Thal erfcholl, und 
weithin über den ganzen Gau. Acht Tage lang mährte 
die Hochzeit mit Tanz und Spiel, alfo, Daß Die Freude 
und Wonne nimmer enden wollte. Die Hochzeit ward 
befchloffen mit einem feftlichen Turnier, in dem der 
edle Moringer mit dem jungen Schwiegerfohn eine 
Ranze brach, und der Alte ward Gieger über den 
Jungen. Noch Yange lebte der edle Moringer mit 
feinem Ehegemahl und wiegte helde Enfeln auf ſeinem 


277 


Schooße. US er zu feinen Vätern verfanmelt war 
und man ihn mit umgekehrten Helm und Schild in 
die Grube fenfte, da fam Herr Berthold von Neufen, 
und nahm die ganze Grafjchaft ein. Das war das 
reichfte Erbe im ganzen Illergau. Seitdem wohnte er 
mit feinem bolden Ehgemahl auf der Burg Marftetten 
bi3 an fein felig Ende. 


XX. 
Hohenkarpfen. 


Im Südweſten Wirtembergs liegt eine Landſchaft 
oder vielmehr großer Gau, der theils von der Alp, 
theil8 von Ausläufern des Schwarzwaldes begränzt 
wird, und den Namen Baar trägt. Die Landjchaft 
ift ziemlich gebirgig, nicht fehr bevölkert, trägt zwar 
. gute Frucht, allein weder Obſt noch Wein. — Als 
noch unfer deutjches Vaterland in Gaue, größere vder 
Eleinere Bezirke, eingetheilt war, Die von einem Gau— 
grafen verwaltet wurden, war einer der größten Gaue 
die fogenannte Berchtoldsbaar, manchmal auch einfach 
Bara genannt, die fich über einen großen Theil ver badi— 
ſchen Bezirfsänter Villingen, Hüfingen, Möhringen, und 
der wirtemberg'ſchen Oberämter Tuttlingen, Epaichingen, 
Rottweil, Balingen, Oberndorf, Sul, Treudenftadt, 
- Dorb, fo wie über Die figmaringen’fche Herrſchaft Haiger— 


278 


koch und das Fürſtenthum Hechingen ausdehnte. Ihre 
Nordgränze bildet der Neckar, die Weftgränge zog fich auf 
den Höhen des Schwarzwald von Freudenftadt aus bis in 
die Gegend der Donauquellen hin; gegen Dften bildetedie 
Gegend des Lauchart- und Steinlachthals die Abmar— 
fung. Somit beftand der Saupttheil der Baar aus 
Bezirken des Schwarzmalds. Ihrem ganzen Umfange 
nach bildete Diefelbe in den älteſten Zeiten ein klei— 
nes Herzogthum. Der in der Mitte des 8. Jahre 
hunderts vorfommende Graf Birchtilo (Berchtold), Urs 
enfel des allemannifchen Herzog Gotefrieds, gab ihr 
den Namen Berchtoldisbara, der fchon im Jahr 775 
im einer Urkunde vorfommt. — Jetzt veriichen mir 
unter Der wirtembergifchen Baar bauptjächlich die Ges 
gend von Tuttlingen bis an die Neckar- und Donaus 
Duelle bei Schwenningen und Donauefäingen. Ueber 
die Entftehung des Namens Baar herrichen verfchies 
dene Anfichten. Einige meinen, von einem Dorf Bara, 
in der Nähe der Vrigachquelle, Fomme der Name Baar 
ber, Andere leiten das Wort von Para ab, was jo» 
viel al8 Gericht bedeute, und fomit wäre Damit bes 
zeichnet worden, daß Graf Berthold in Diefem Bezirfe 
einft Gericht übte. Wie fit) der Name dieſes Gau’s 
ſeit mehr als 1000 Jahren erhalten hat, während Die 
Namen fo vieler Gaue des Landes ganz und gar ver- 
fchwunden find, fo hat ſich auch bei den Bewohnern der 
Baar, Die Durchfchnittlich einen Fräftigen Menfchenfchlag 
bilden, eine fchöne Eeidfame, ja malerifche Volkstracht 
bei den Frauen erhalten, an welcher bejonders Die 


279 


vothen wollenen Strümpfe am Sonntag wie Werktag 
fich auszeichnen, fo wie die von Zlittergold prangenden 
Kappen (Schapeln im Mittelalter), melche die aus: 
frauen nur am Sonntag tragen. 

Die Landjchaft Baar beherrjchen zwei in en 
Entfernung bon einander Tiegende Bergfegel, der 
Zupfenberg und der Hohenkarpfen; der erftere ift mit 
‚einen Tannenwald bedeckt, und gleicht einem auf Der 
Bahre rubenden Sarge, woher die Baar den Namen 
haben foll, der andere ganz baumlos und fteil ift, in 
feiner Sorm den SHohenftaufen merkwürdig ähnlich. 
In alten geiten trugen beide Berge gewaltige Burgen. 
Die Burg auf Lupfen ift ſchon in der erften Hälfte 
des 15. Jahrhunderts eine Nuine geweſen und jetzt 
find nur noch Wälle und Gräben von der uralten 
Bergveite vorhanden, Hohenkarpfen zeigt noch ftattliche 
Ueberrefte von einer gewaltigen Burg, Die einft ein 
bochedles Gejchlecht bewohnte. Die Burg Lupfen wird 
fpäter Gegenftand unferer Darftellung werden — wir 
wenden und vorerft der Nuine Kohenfarpfen zu, auf 
der die, welche Die Höhe erfteigen, reichlich für ihre 
Mühe belohnt werden, denn man genießt hier oben 
eine Ausficht, beſonders gegen Süden auf Die Berge 
mit emwigem Schnee, Die nur von der Ausficht auf 
der Zuttlinger Höhe übertroffen wird. Auch hier auf 
Hohenfarpfen will man, und nicht ohne Wahrfchein- 
fichfeit, wie auf dem Nachbarberg Lupfen, Die Trümmer 
einer urfprünglich römischen Bergvefte finden, Denn 
einmal. fiheint das noch yorhandene uralte Gemäuer 


280 


römifchen Ursprungs zu feyn, und dann find im Um— 
fang des Berges fehon häufig römische Münzen ges 
funden worden, welches Ießtere freilich Fein fo gar 
ftichhaltiger Bemeisgrund if. Wunderbar ift über Die 
frühefte ©efchichte der Burg Hohenfarpfen, jo wie 
über ein Gefchlecht, Das ſie in dem älteflen Zeiten be— 
wohnte, nicht das Geringfte überliefert. Die Gefwichte 
jeder Burg, und wenn fie auch von Der geringften 
Bedeutung geweſen wäre, gebt doch immerhin bis in 
das 14. Jahrhundert zurüd, und wir fennen die Na— 
"men des Gejchlechts, das ſie bewohnte, wenn es nur 
einige waren, aber Diefe gewaltige und durch ihre Lage 
wichtige Burg kann nur einen Beſitzer aus ältefter 
Zeit aufweifen, der ihren Namen geführt, das ift 
Egilwart von Karpfen, der im 3. 1050 lebte. Die 
ülteften Herren von Hohenkarpfen müffen demnach ſchon 
in der früheften Zeit ausgeftorben feyn, und Die Burg 
fam im verfchiedene Hände. In der erften Hälfte des 
15. Jahrhunderts war Die Burg in den Händen eines 
Stephans von Emershoven. Derfelbe hatte auch Wild- 
berg und Bulach von Wirtemberg zu Lehen, und ge— 
hörte jenem edlen Geſchlecht an, das fofort häufig in 
der Gefchichte des wirtemberg'ſchen Fürftenhaufes ers 
“ jebeint. Ein Gerwig von Emershoven bediente fich 
bei feiner Unterschrift gewöhnlich Diefes Namens: 
Gerwig von Emeröhoven das edel Blut, 
Das Wenig hat und Biel verthut. 

Im Jahr 1444 kaufte Graf Ludwig von Wirtemberg 
yon Stephan von Emershoven das Schloß und den 


281 


Berg Karpfen mit feinem Inbegriff und Zugehörde, 
die Dörfer Haufen ob Verena, Unter- und Öberal- 
Dingen, den halben Kirchenfab von gedachtem Haufen, 
die Gerechtigkeit und Gülten von dem Hof zu Günn- 
rigen, den halben Zehenten zu Aixheim, Die Pogtei 
zu Tellingen bei Aldingen, und etliche Gülten dafeldft, 
Rietheim, Troffingen, Bäfenheim mit Steuern, Dien- 
ſten, DVogtrechten, Gerichten und Zugehörden. Im 
Jahr 1453 belehnte Kaifer Friedrich II. in eigener 
Derfon zu Neuenftadt den Grafen Ludwig mit dem 
Schloß Karpfen fammt feinen Zugehörden, Serrlich- 
feiten, Würden, Ehren, Rechten, Dannichaften, hoben 
und niedern Gerichten, Wildpännen, Münzen, Zöllen, 
Glaiten, Landen und Leuten. Wir fönnen aus Diefem 
Kauf des Schloffes und der Herrſchaft Karpfen ans 
nehmen, Daß um jene Zeit frhon das Gefchlecht, wel— 
ches ſich von Der Burg nannte, ausgegangen war, 
obgleich M. Erufius und nach ihm I. U. Stein- 
bofer behaupten, daß Die Edelleute von Karpfen, 
welche einft auch Gundelfpach und Großheppach an der 
Rems befaßen, erit im Jahr 1480 ausgeftorben feyen. 
Im Jahr 1491 gründete Graf Eberhard der ältere 
von Wirtemberg ein neues Gejchlecht Der Herren von 
Karpfen, denn er übergab im genannten Jahr feinem 
natürlichen Sohn Hans Wirtemberger das Schloß 
Karpfen mit dem Berg und zugehörigen Gütern, einen 
- Theil des Zehenten zu Oberaldingen, das Dorf Haufen 
ob DBerena (unterhalb des Bergs), Das Burgftal Riet— 
heim, das Jagen am Rugenhart und an Dem Liemberg 


282 


nebft 34 Pfund Seller, welche das Amt Tuttlingen 
Bisher einem Burgvogt zu Karpfen für Die Burghut 
gegeben, als ein rechtes Mannlehen. Doch behielt er fich 
dabei bevor das Deffnungsrecht und verordnete, „daß 
Diejenigen, welche in Das Schloß eingelaffen würden, 
dem Hanſen oder feinem Burgvogt zuvor geloben und 
ſchwören follten, feinen Schaden zu thun; fo oft es 
auch zur Deffnung gebraucht würde, foll Graf Eber- 
hard allezeit einen frommen Reiſtgen und zween ehr= 
bare Knecht auf eigene Kolten in den Schloß haben. 
Weil aber das Schloß baufällig war, fo wurde dem 
Inhaber erlaubt, 1000 fl. darein zu verbauen, Doch, 
daß folcher Koften bei feinem Abgang ohne männliche 
Erben und Seimfallung des Lebens feinen Erben er- 
jet würde." — Don nun an nannte fich Sans 
MWirtemberger Herr von Karpfen, aber doch hat er bis 
an feinen Tod Den wirtembergiihen Schild mit den 
drei Hirfchhörnern und zwei Fiſchen, mit einem über- 
zwerchen Balken kreuzweiß durchzogen, behalten und 


geführt. Noch im Jahr 1498 erfcheint Dans von- 


Karpfen als Dogt zu Balingen; er flarb im Jahr 
1504 zu Stuttgart, wo fein Grabftein mit dem wir— 
temberg fchen Wappen und der Infchrift: „Der ehrbar 
Dann Sans Wirtemberger, dem Gott gnad Amen.” 
Wohl Söhne von ihm waren Eberhard und Ludwig 
von Karpfen, deren Namen freilich nicht mit Ruhm 
genannt werven, denn fie find auf der noch im Schloffe 
zu Tübingen befindlichen fchwarzen Tafel zu lefen, wo 
jene 64 Nitter mit goldener Schrift verzeichnet find, 


283 


welche im Jahr 1519 ohne Noth das Schloß Tübinger 
übergeben, und fich nicht als Helden und treue Diener 
ihre unglücdlichen Seren, Herzog Ulrichs, erzeigten. 
Der Stanım der jüngeren Herren von Karpfen blühte 
bis in das 17. Jahrhundert; da ging er aus bis auf 
eine einzige Erbtochter Anna Sabina von Karpfen, 
Tochter des Junkers Hans Dietrih von Karpfen. 
Johann Georg Widerhold , ein Urenfel Heinrich Wider- 
bolds, Bruders des Großvaters von umferen vielges 
feierten Conrad Widerhold, auf welchen das Kommando 
der unbezwingbaren Belfenvefte Hohentwiel im Jahr 
1650 übergangen war, vermählte fich mit genannter 
Anna Sabine von Karpfen, »pfropfte ein neues 
Meis auf den feinem Abgang nahen edlen Stamm, 
und übernahm mit ihr eine jchöne Herrſchaft als Erbe. 
Johann Georg Widerhold erzeugte mit Anna Sabina 
zwei Söhne, Johann Conrad und Johann Dietrich; 
von ihnen wurde der ältere, Sohann Dietrich, Nache 
folger feines Vaters im Commando auf Hohentwiel, 
und Stammherr der noch jeßt in einem ritterlichen 
Sprofjen, dem königl. würt. General, Freiherr Cuno von 
Widerhold, blühenden edlen Familie. Derfelbe if 
Befiger des vormaligen reichsritterfchaftlichen Guts Niet 
beim, wo ein adelicher Wohnftg fich befindet, und Des 
nunmehrigen Hofguts Dohenfarpfen, welches mit Niet» 
heim im fideicommiſſariſchem Verbande fteht. In dem 
Dorfe Saufen ob Verena befinden fich in der Orts— 
firche noch Grabmale, Wappen und Gemälde der Edlen 
von Kohenfarpfen und Rietheim, welche Eigenthum 
der Familie yon Widerhold find. 


284 


Eine wunderbare Sage Fnüpft ſich an die Gefchichte 
des älteren Gefchlec;ts von Hohenkarpfen, die wir num 
Be laſſen. 


Die Sage vom Noßſprung. 


Vor mehr als 600 Jahren wohnte auf der Burg 
Hohenkarpfen ein junger Ritter, Hugo von Hohen— 
Earpfen, ein Herr von ganz eigenthümlichem Wefen 
und Charakter. Seine früh verftorbenen Eltern hatten 
ihm der Glücksgüter Yiele und mancherlet hinterlaſſen: 
die Schönften Deerden trieben auf feinen großen üppigen 
Maiden, Die fruchtbarften Aecker und wildreichiten Wäl- 
der bededten feine weitläufigen Beſitzungen, und daheim 
in den mohlverfchlojfenen Gemölben lag Goldes und 
Silbers die Fülle. Dabei war Hugo ein Mann von 
hübſcher Körpergeftalt und trug ein edles Herz im ſei— 
fem Bufen. 

Dennoch ‚ward der reich Begabte Diefes vielfachen Se— 
gens nicht froh, denn ſtets umdüſterte ihn der Geift 
der Schwermuth und Langweile. Sein einziger Genuß 
beftand darin, im Morgen- oder Abendrothe die Gipfel 
der Berge zu erflimmen, um von dort unvderwandt in 
die dunkle, ftille Ferne Dinauszufehen. Da war dem 
Traurigen oft, als ob ihm aus dem wunderbaren Dufte, 
der den Blick feines Auges begränzte, das lange ver- 
mißte und lange erſehnte Glück entgegentreten follte. 
. Und wenn Ddieg Sehnen fich danıı nicht erfüllte, wenn 
Die Nebelftreifen, zu feiner freundlichen Geftalt fich bil- 


285 


dend, an ihm vorüberzogen, fo brach ihm das ſtürmiſch 
bewegte Herz und er vergoß nicht felten einen Strom 
von Thränen. Ward ihm auch bie und da eine frobe 
Stunde zu Theil, jo midmete er fich dem ritterlichen 
Waidmannsgeſchäfte; allein oft warf er mitten in Die 
fem Schwert und Wurfipieß von ſich und legte fich unter 
einen Baum, um fich dem unbefannten Quälgeiſte 
Sinzugeben,, der ihn unaufhörlich bedrängte. 


Einit hatte er, jpät Abends , als ſchon Die Sonne 
ſich Hinter die bewaldeten Anhöhen hinabſenkte, fein 
Jagdgeräthe ergriffen und eilte, nur von einem einzigen 
Knechte begleitet, hinaus in die Düftern Wälder. Sie 
batten noch nicht lange gejagt, als ein plöglich auf- 
fteigendes Gewitter den Forſt mit tiefer Nacht bedeckte. 
Der Regen goß in Strömen herab und zabllofe Blite 
feßten Die ganze Umgegend in ein augenblidliches Feuer. 
Herr und Diener hatten fich bei dieſem Toben der 
Elemente unmwillfürlich getrennt, jeder fuchte Den Heim— 
weg nach eigenem Gutdünfen, und geblendet von dem 
Slammenfpiel der Blige Hatte Ritter Hugo eine ganz 
entgegengefegte Richtung gewonnen. 


Endlich brach Die Wuth des Unwetters und die Gi- 
chel des Mondes zeigte fich wieder an dem klarer ge— 
wordenen Firmament. Allein, wo der junge Ritter 
fein Auge hinwandte, traten ihm überall wildfremde, 
noch nie geſehene Gegenftände entgegen, Er war ganz 
vom rechten Wege abgefommen, auch verfagte ihm fein 
ermüdetes Roß den Dienft und der Entfräftete befchloß 


286 


Daher, unter dichtem Bufchwerfe gelagert, den Morgen 
zu erwarten. 

So in dem Labyrinthe feines unruhvollen Herzens 
serloren, erfehütterte ihn mit einem Dale ein Dumpfes 
Getöfe, wie das Rollen eines unterirdifchen Donners, 
das von Sekunde zu Sekunde zunahm, Pazwifchen war 
e8, als murmelten tiefe, mißtönende Geifterftiimmen. 
Der Nitter richtete ſich langſam auf, faßte mit der 
Rechten fein gutes Schmerbt, mit der Linfen den Wurf: 
fpieß und ftarrte lautlos und kaum atbmend in Die 
Ferne. 

Da borft, nicht Hundert Echritte von dem Lauſchenden 
entfernt, der Boden auseinander und ein Licht fchlug 
aus dem weiten Riß empor. Die dumpfen Stimmen 
Zangen vernehmlicher, allein Hugo vermochte Feine 
Silbe zu verfiehen. Unverwandt war fein Blick nach 
der Spalte gerichtet, Da gewahrte er mit einem Male 
einen Zug bäßlicher, Schwarzer Zwerge aus dem blen- 
denden-Lichte emporfteigend. Endlich ſchwebte auch eine 
bolde, jungfräuliche Geftalt enıpor , deren Anblick das 
Herz des jungen Nitters im Innerften erſchütterte umd 
fein Gemüth wunderbar ergriff. - 

Nach einer Eleinen Weile fegte fich der Zug in Be- 
wegung und nahın feine Hichtung nicht ferne von Hugo. 
Da rief Einer aus der mißgeftalteten, graulichen Schaar 
in widerlich bellendem Tone: „Nun, übermüthiges Kind, 
wie fteht Deine Hoffnung aufdie Hilfe der himmlischen 
Götter? Siehe, nur drei Schritte von Dir entfernt gähnt 
Dein Grab und ruhig ftehen und wandeln Die verhaßten 


287 


Geftirne, auch eilt Fein zweibeiniges 5 eh zu 
deiner Rettung herbei.” 

Die Jungfrau rang auf dieſe furchtbare Anrede - 

jchmerzlich die Hände und vergoß einen reichen Strom 
von Thränen. 
„Es würde ihr auch wenig belfen,” — heulte gar 
widerlich ein zmeiter — „habt Ihr denn die Bedingung 
ſchon vergeffen? Er muß ein Vater- und Muttermörder 
feyn, und doch unſchuldig; er muß reich, tugendhaft, 
voll frifchen jugendlichen Lebens ſeyn, und fich Doc 
unglüclich fühlen; mer, vermag ſolche Widerſprüche zu 
vereinigen ?" 

Da fiel e8 wie ein Schleier von des Ritters Augen. 
Dit hohem Muthe und geſchwungenem Schwerdte, 
fprang er vor den grauenvollen Zug und rief: „Euer 
Gericht Hat ein Ende, ihr Unbolde! ich bin es, Der 
alle dieſe Widerfprüche zu vereinigen vermag! Meine 
Geburt nahm meiner Mutter das Leben und ihr Ver— 
luft flürgte meinen Vater in Wahnfinn und Tod. Euer 
räthſelhafter Höllenmund hat Euch betrogen. Ich bin 
reich, voll Fräftigen jugendlichen Lebens, und Gott 
fey Zeuge zwifihen mir und Euch, daß nicht der 
leifefte Vorwurf auf meinem Herzen lajtet ; den— 
noch fühle ich mich nicht glücklich feit dem erften Tage 
meines Bewußtfeins, und meine Tage fliegen in Trauer 
und Schwermuth dahin. Darum hinweg, Ihr Häflie 
ches Gefindel und laßt mir die holde, weinende Jung— 
frau frei, oder ich will Euch vertilgen von der Ober: 
fläche der Erde, daß fürder feine Spur mehr von Euch 


0% 


288 


zu ſehen fein fol!” Hierauf ſchwang der junge, muthige 
Nitter fein Schwerdt und im Nu war Die nächtliche 
Brut verfchmwunden. | 

Die Jungfrau hatte fich indeffen, wie in füßer Be- 
täubung an einen Baum gelehnt, durch Defjen Dichtes 
Gezweige nur wenige Mondftrahlen ihr wunderbar ver- 
klärtes Geficht beleuchteten. Der Ritter nahte fich ihr 
auf das Ehrerbietigfte, neigte fich befcheiden und ſprach: 
„Schönftes Mädchen, irgend ein guter Geift, der Euer 
jüßes, zartes Leben bewacht, hat mich zur rechten Stunde 
hieher an diefen Ort geführt. Sagt mir, wer feid Ihr, 
und wo ift das Haus Gurer Lieben, Damit ich Euch 
dorthin geleiten Fann 2” 

Da neigte das holde Mägplein fittfam ihr Haupt, 
jank auf ihre Kniee, faßte küſſend Hugos Hand und 
brach in lautes Weinen aus. 

„Am Gottes willen!” — rief beflürzt Der junge 
Held — „was beginnt Ihr, meine Theuerfte ? Bei den 
schönen ©eftirnen dieſes nächtlichen Himmels! ich habe 
nicht mehr gethan, ala was mir Nitterpflicht gebot. 
Ein Blick aus diefen holden Augen ift Danfes genug, 
und mir, nicht Euch, geziemt e&, das Knie zu beugen.“ 

Die Jungfrau drückte ihre gefalteten Hände an Die 
bochwallende Bruft und hob die von Thränen feuchten, 
blauen Augen zu ihrem Wetter auf. „Sprecht, hold» 
feliges Kind” — fuhr Hugo fört, und fuchte Die 
Knieende emporzurichten — „ſei Eure Heimath auch 
noch fo fern, ich will nicht eher ruben, bi8 ih Euch 
den fehükenden Armen der Eurigen übergeben habe.’ 


289 


— Das Mägdlein aber legte Die zarte, weiße Hand auf 
den vofigen Mund und zusfte fchweigend die Achjeln. 
„Dürft Ihr nicht ſprechen?“ — rief der Ritter er- 
flaunt und entrüftet — „und fürchtet Ihr noch immer 
Die ſchwarzen nächtlichen Mißgeburten da unten?" — 
Sie fohüttelte verneinend das lockige Haupt und fah 
demüthig und fehweigend zur Erde. „Nun, bei den 
Göttern, Das ift Höchjt ſonderbar“ — forach Hugo 
gemäßigter — „jollte die Natur, Die Euch jo gütig, 
ja verichwenderifch bedacht hat, Euch einzig die Gabe 
der herzbewegenden Rede verfagt haben?“ — Sie 
lächelte bei Diefen Worten und Drüdte beide Hände 
mit einem beißen, brennenden Blicke an ihr Herz. 

Darauf fagte der Ritter: „Hier fünnen wir nun 
einmal nicht bleiben, meine SKoldfelig. Wollt Ihr 
auf meine Burg mit mir ziehen, und Dort fo lange 
verweilen, bis Euer mir -unbefannter Zauber gelöst 
ift, fo kommt.” 

Das Mädchen nicte, freudig zufanmenfchauernd und 
mit wunderjüßen Lächeln. Hierauf erhob te ſich und 
gab dem in ihren Anblick ganz verfunfenen Süngling Die 
Hand, Diefer ſchwang ſich mit der fanft Erröthenden 
auf fein Roß, und in wenigen Stunden waren fie auf 
Hohenkarpfen angefommen. 

Die alte, gute Frau Margarethe, Hugo's gewefene 
Amme und nunmehrige Dausverwalterin, wunderte fich 
nicht wenig, als ihr junger Herr mit feiner neuen, 
über Ulles fchönen Burginfaßin anfam. , Er übergab 
fie alfogleich in ihre Hände und empfahl fie ihrer 

n 19 


290 


Obforge, was das Mädchen auch ganz willig und ver: 
gnügt aufnahm. Ihm felbft aber, dem fonft fo un— 
muthigen Sünglinge, war es nicht anders, als ob über 
jein bisher jo Düfteres Gemüth ein helles, wunderbares 
Licht aufgegangen wäre. Eine füße, freundliche Ahnung 
regte fich mit zarten Tönen in feinem nun weit fröh- 
licher fchlagenden Kerzen; verfchwunden war der Trauer- 
flor vor feiner Seele, und fte trat leuchtend und 
lächelnd aus fich ſelbſt hervor, fich freuend des fügen 
Lebens und der wunderherrlichen Schöpfung. Dahin— 
geſchwunden war die dunkle Nacht, die ihn fonft fo 
wehmüthig umfangen, und es begann, wie an einem 
beitern Maimorgen, um ihn zu tagen, um ihn zu 
blühen und zu grünen, dDuftige Blumen und Föftliche 
Brüche zu treiben. Denn, obgleich ſtumm und wort- 
los, fo. ſprach Das holde Mädchen Doch mit Bliden 
voll Liebe, mit holdlächelnden Engelsmienen, mit zarten 
balblauten Seufzern zu dem Ritter, jo daß Frau 
Margarethe darüber gar oft, jedoch lächelnder Were, 
den Kopf fcbüttelte. 

Eines Abends, als die Sonne fanf, Blumen und 
Blüthen rings auf dem Gefilde dufteten, die Sänger 
in Feld und Wald laut wurden, unzählige glänzende 
Thautropfen auf dem frifchen Grün hingen, luſtwan— 
delt Hugo mit der fehönen, ftummen Jungfrau und 
Frau Margaretde in dem herrlichen Gehölze, das die 
Burg Sohenfarpfen umgab. Die alte, redfelige Frau 
ſprach von den ſchönen Tagen ihrer Tängft entſchwun— 
denen Jugend; der Ritter und feine Holde aber fchwelgten 


291 


im Genuffe der Gegenwart und brücdten ſich mit 
feuchten Augen an die Bruft ihrer guten Bflegerin. 
Jetzt ſchollen Auftritte durch die grüne Waldesnacht 
und ein heißeres Schreien und Rufen ertönte durch 
die ftillen Abendlüfte. Während Die drei Wandler jich 
noch verwundert anſahen, brach ein ſchönes, weißes 
Roß mit gar Iujtigem Wiehern Durch die im Abend- 
rothe funfelnden Gebüſche. Auf ibm jap ein Fleince, 
höckeriges Ungethüm, gleich einem von denen, welden 
der junge Ritter feine füße Beute abgejagt hatte, und 
das abjcheuliche, ungeſtaltete Ungebeuer that ehr ängit- 
lich, hielt fich mit beiden Händen an der mwallenden 
Mähne des Thieres, und fehlen nicht anders, ald ob 
es augenblicflich in einen Abgrund zu ftürzen fürchtete. 
Sobald es aber den Nitter und das flumme Mädchen 
erblickte, da plumpte es ungeſchickt herab und Follerte 
in die Gebüfihe. Das Nöplein aber lief zu der freu— 
dig lächelnden Unbekannten und fniete demüthig vor 
ihr nieder. Sie umbalste gar freundlich das janfte 
Thier und bezeigte fich überaus erfreut und bewegt. 
Der junge Ritter und die alte Frau verwunderten 
ſich nicht wenig über die feltfame Ericheinung, Die ſich 
ſo eben in ihrer Gegenwart zugetragen hatte; dag 
Summe Mägdlein aber hatte ſich indeſſen auf das 
luſtig foharrende Roß geſchwungen und leitete es mit 
zarter Hand rückwärts nah der Burg, wohin auch 
die Andern willig folgten. „Wahrhaftig“ — fagte 
dran Margarethe zu Hugo — „wir beherbergen einen 
lieben, aber auch wunderfeltfamen Gaſt!“ — „So it 


292 


5" — erwiederte der junge Nitter; — „allein, wie 
ich ihr Bild, Das mich ganz beherrfcht, in meinem 
Kerzen trage, ſo foll fie die freiwaltende Herrin in, 
dDiefer meiner Väter Burg werden und bleiben !” 

Wie Dugo die fröhliche Jungfrau fo fanft und leicht 
die zarten Olieder auf dem fchlanfen Thier wiegen ſah, 
und wie fie mit den runden, munderjchönen Händen 
den glänzenden Hals des Freudigipringenden ftreichelte, 
da ging ihm Das volle Herz über ; er verließ Die alte, 
bedächtige Freundin und eilte der Heißgeliebten nach. 
Bald hatte er fte ereilt und fprach zu ihr, Die fo gar . 
boldfelig zu ihm herabſah: „Wie mag e8 doch fommen, 
daß Du ſchönes, fprachlofes Weſen mein unrubiges, 
widerſpenſtiges Herz fo fchnell in Deine füße Saft ges 
fangen nahmft? Es Tehren mich. meine Lieder, es lehrt 
mich mein junges Xeben, was ein treuliches Wort über 
des Menfchen Gemüth vermag. Und du haft mich 
Doch nicht anders angefprochen , als mit Deinen füßen 
Blicken, mit Dem holden Lächeln, das Dir um Mund 
und Wange fpielt und ich finde mich fchon ganz und 
gar dein eigen.‘ 

Kaum hatte Hugo dieß gefagt, da lächelte Die zärt— 
lich Begrüßte gar hold zu ihm herab und reichte ihm 
die, wie aus Roſen und Lilien gemobene Hand, auch 
that im demſelben Augenblicke das Rößlein einen jo 
raſchen Satz, daß die entfattelte Jungfrm in des 
Ritters Arme herabſank, morauf er fie alfogleich um— 
ichlog und die Erfchrocfene an feinen Bufen drückte. 

„un hab’ ich Dich!" — liſpelte Fofend Der Ente 


293 


zückte — „nun hab’ ich Dich, und wenn bein aller 
innerſtes Weſen mir nicht weiderftrebt und fonft auf 
Gunſt und Liebe eines irdiſchen Menfchen achtet, To 
magft du mir für immer bleiben. Was ich warn 
und laut ſchlagend an meinem Herzen gewahre, ift 
wahrhaftig des Sterblichen fihönfter Antheil. Und biſt 
du auch ein Weſen aus der höhern Melt, jo baft du 
Dein ſchönes, himmliſches Leben Doch in einen fo reizen 
den Körper gebaut, Daß dur mir nicht zürnen kannſt, 
wenn ich Dich ganz zu befiten wünſche.“ 
Da fah der in ihren fügen Blicken Verlorene eine 
glänzende Thräne unter den langen Augenwimpern 
ſchimmern, und e8 war ihm, als wenn das feligite 
„Ja!“ von ihren Lippen erfchollen wäre. Er fog den 
zarten DVerräther, der_die auf der Jungfrau Wangen 
auffteigende holde Scham vergebens Rügen zu firafen 
fuchte, Iangfam mit den brennenden Rippen auf, und 
das Rößlein hätte Leicht Davonlaufen Fönnen, Denn, 
Arm in Arm verfchlungen, war Simmel und Erde 
für die beiden Glücklichen verfchmunden. 

„So wilft du mein treues Weib werden und blei- 
ben?“ — fchmeichelte noch ferner der Entzüdte. Das 
Maͤgdlein antwortete nur mit füßen Küffen und ftillen 
Seufzern und ſchmiegte ſich innig und anmuthig an 
den vor Liebe Glühenden. Frau Margarethe, Die von 
ferne das entzückende Schaufpiel gewahrte, war gar 
fehr darüber erfreut, Denn fie erinnerte fich aus Den 
Tagen ihrer Jugend noch recht wohl, wie fehr treue 
Liebe Das Herz des Menſchen beglücke. 


294 


Stil, ohne Prunk und lärmende Feftlichkeiten, feierte 
der entzückte Hugo feine Vermählung, feine „Hoch— 
zeit” im eigentlichiten Sinne des Wortes, denn eine 
bobe Zeit ift fie für Seven, der das Höchſte im Mens 
fchenleben zu begreifen weiß. 

As nun am andern Morgen die Sonne mit gol- 
denen Strahlen das Lager der beiden Glücklichen be= 
grüpte, Da überrafchte Die bolde, junge Öattin den 
ſchmeichelnden Gemahl mit folgender fügen Anrede: 
„Nun, da ich ganz dein eigen bin, ift mein Mund 
entflegelt; in dem Simmel Deiner Liebe erreicht mich 
die Gewalt der finftern Erdengeifter nicht mehr, und 
ich darf in wohl lautenden Ionen Dir des Herzens 
Allerinnerftes eröffnen. Sp wife denn, mein füßes 
Leben, mein geliebter Gemahl, ih bin Jutta, die 
Tochter des Fürſten der Erdgeifter, und von dieſem 
mit Der geranbten Nichte des Herzogs von Alemannien 
auf Twiel erzeugt.‘ 

„Dem unbegreiflichen Willen des Schieffalg gemäß, 
folgen die Töchter aus einer folchen Verbindung immer 
der Natur der Mutter, die Söhne aber geftalten ſich 
ganz nach dem Ebenbild des unterirdifchen Vaters. 
Mas foll ich Dir erzählen von den Tagen meines auf- 
blühenden Lebens, von den glücklichen Jahren der 
Kindheit! Gleichförmig, mie eines ſanft wellenden 
Sluffes Wogen, floffen diefe Stunden dahin, da ſtarb 
meine Mutter, und ich fland nun allein, mit menjche 
lich fühlender Bruft, unter den wilden, unheimlichen 


an 


Zwerggeftalten, deren häßliches Orinfen, deren gefpenfters 


295 


haftes Neden mir immer das Herz erzittern machte.“ 

„Da warf, als ich immer mehr emporblühte, mein 
Vater fein lüfternes Auge auf mich, und begehrte mich 
Ungfüdliche zu feinem Weide; denn wiſſe, mein theuerfter 
Hugo, dag jene fromme, heilige Scheu, die unter euc) 
menfjchlichen Weſen waltet und den Water von der 
Tochter, den Bruder von der Schwefter fcheidet, jenen 
finfteren Ungeheuern gänzlich abgeht. Toll leben fte 
unter einander, wie das fie umfriechende Gewürme — 
und nun magft du dir, mein Geliebter, den Jammer 
und das Elend dvorftellen, Die ich in Diefer Umgebung 
ftündlich zu erdulden hatte.“ 

„Vergebens rang ich mit Eindlichen Bitten, mit 
Thränen und Klagen gegen den eifernen Entſchluß 
meined Vaters, und als ich endlich ein ganzes Jahr 
lange mit mutbiger Standhaftigfeit gekämpft Hatte, 
ließ er mir nur die Wahl zwifchen dem Tod und ſei— 
nem Willen. Ohne Bedenken mählte ich den erftern.“ 

„Mein Vater ließ mich nun von feinen fchadenfrohen 
Erdgeiftern greifen und befahl, mich an das Licht der 
Sonne zu bringen und Dort zu tödten. Doch, wie 
im Borgefühle einer glücklichen Zufunft, die meiner 
noch warten follte, fprach er einen Zauberbann über 
mich aus, den Du, mein trauted Derzgeipiel, in feinem 
ganzen Umfange gelöst halt. Stumm follte ich näm— 
lich bleiben, bis fich ein Netter in meinen Todesnöthen 
fände, der Vater- und Muttermörder und dennoch un= 
fchuldig, der reich, tugendhaft, voll frifchen jugendli- 
chen Lebens ſeyn und fich dennoch unglücklich fühlen 


/ 


I 


296 


müſſe. Stumm bi8 er Die Sprachlofe, dem unbejchadet, 
zu feiner Gattin gemacht hätte. Der erften Bedingung 
haft du mit Deinem Schwerdte entiprochen” — fuhr 
Jutta fort, und verbarg das erröthende Antlig an des 
freundlich Tächelnden Gatten Bruft — „und der zweiten 
mit Deiner mich beglücfenden Liebe. Ganz bin ich nun 
dent ſchönen Lichte wiedergegeben, und Die finfteren 
Erdgeifter haben fürder Feine Macht mehr über mich. 
Das fchöne, weiße Roß aber, das an jenem herrlichen 
Tage, wo Du mich zu Deinem lieben Weibe begehrteft, 
zu uns Fam, ift mein gutes Leibroß, Das mich öfter 
Durch Die langen, glimmenden Erdgänge trug, und es 
wohnen ihm gar wunderfame, zauberifche Eigenſchaf— 
ten bei.” 

Vier Jahre lang Hatte Hugo an der Seite feiner 
geliebten Gemahlin die füßeften Freuden der Liebe ge— 
foftet. Frau Jutta trug einen zarten Snaben auf 
ihren Armen ; ihre fanfte Serzensglut hatte ſich nicht 
vermindert, obgleich fie ihren Reichthum an Liebe jest 
zwifchen Vater und Sohn theilen follte, Denn ein 
unerfchöpflicher Zauberfchag von Liebe lag in ihrer 
ſchönen Brufl. Nicht fo der weltluftige Ritterfmann, 
in deſſen Innerem jest manche Stimme erflang, die 
früher gefchwiegen hatte. Zwar hing er noch immer 
mit warmen Serzen an ber reigenden, liebevollen 
Gattin, allein in der Verne, jenſeits der Berge, ſchien 
das fremde Leben nach ihm zu verlangen, und vor- 
züglich war e8 das Treiben in der Hofburg des mäch— 
tigen Landgrafen von Fürftenberg, deſſen Lehensmann 


297 


er war, was ihm manchen heimlichen Wunſch entlockte. 

Obgleich an zeitlichen Gütern überflüfftg gefegnet, 
wollte Hugo, um es den Erften feines Standes gleich 
zu thun, ebenfall® die Bergesadern in feinem Gebiete 
Öffnen, und Die blendende Beute aus dem Schooſe 
Der Erde für ſich gewinnen. Davor aber riet) ihm 
Frau Sutta, der er feinen Plan entdeckt hatte, aus 
allen Kräften ab. „Weißt du wohl” — fagte fie, — 
„wer dieſe von Euch fo gepriefenen Schäge bewacht? 
Es find die düſtern, tüdifchen Erdgeifter, Denen Du 
mich ritterlich abgewonnen haft, und die da unten in 
ihrer fchauerlichen Nacht auf unjere Göfe Stunde lauern. 
Gibſt du ihnen Luft und Licht auf deinen Gründen, 
fo ift e8 um dich und um mid) und um unfer hold— 
feliges Kind gefchehen. Auch kommt der göttliche 
Gegen nur von oben, und nicht aus den tiefen, grauen- 
vollen Schachten. Ich fage Dir, e8 thut nimmer gut, 
Die Alten da unten aufzufordern zur Gemeinfchaft mit 
den Kindern des Lichts." 

Diefe freundliche Warnung nahm Hugo folgfam im 
feinem Herzen auf, denn Jutta’3 weifjagende Geele 
hatte Die Dinge, Die da fommen würden, gar wohl 
errathen. Niemand wollte mehr dem ſegenbringenden 
Aderbau obliegen, Alles nur in den funfelnden Erden— 
ſchoos binabfteigen. So muhte es kommen, daß oft 
Groß und Klein inmitten feines Goldes und Silbers 
darbte, ja, daß felbit der fchmerzliche Hungertod nicht 
Wenige aus dem Volke wegraffte. Rings um unferes 
Ritters Beſitzungen herrſchte Die blinde Begierde nach 


298 


Schätzen; nur feine Seele mußte die holde Gattin 
davor zu bewahren. 

Don den Burgen der Ritter von Honberg und 
Gonzenberg, und von den Befisungen des Landgrafen 
ſelbſt erftrecften jich Die ergiebigen unterirdifchen Gänge 
bis in Hugo's Gebiet, und man wußte fich an deſſen 
Gränzmarken fo Mancherlei von dem boshaften Spude 
der Berggeifter zu erzühlen. In Der Morgen- und 
Abenddämmerung wagte fich Fein Arbeiter mehr auf 
den Adfer, wenn derfelbe nahe an den Grängen lag ; 
da wandelten in fürchterlichen, abentheuerlichen Ge- 
jtalten die finjteren Gnomen, und ſchreckten den fleigigen 
Landmann nicht felten bis auf den Tod. 

Der Jammer des Landes und das Unweſen der 
böfen Gefpenfter traf das Herz des Ritters von Hohen— 
karpfen recht fchwer. Da Sprach er eines Tages zu 
feiner Hausfrau: „SH kann das ftet3 mwachfende Lan 
deselend nicht mehr länger mit anfehen, darum will 
ich Hinüberziehen nach dem Hoflager meines gnädigen 
Herren, des Langrafen Egon, und ihm Die Augen 
öffnen.” | | 

„Ach“ — antwortete ihm Frau Jutta — „du bift 
da im Begriffe, eine böfe, undanfbare Sache zu untere 
nehmen, und wenn du von deinen Vorhaben nicht 
abſtehſt, wirft du uns Alle ficherlich zu runde richten.” 
— „Welch ein ängftliches Gefühl ergreift dich mit 
einem Male?’ — fragte Hugo ganz verwundert — 
„will ich doch nicht die Fahne des Aufruhrs gegen 
meinen Lehensheren erheben, jondern ihm, ald treuer 


— 299 


Dafall, nur des Landes Noth und Gefahr an da3 
Herz legen.” — „Ach, du ſtellft Dich den Gewaltigften 
im ganzen Lande entgegen” — ſprach Frau Jutta — 
„wenn du des armen Volkes Bartei ergreift. Der 
Durft nach Gold hat fie Alle entzündet und jeder 
Miderftand dagegen wird dir nur den Untergang be= 
reiten. — „Du thuft. meinem Herzen Unrecht” — 
erwiederte Hugo — „ed liegt gar ein guter Kern in 
dent Landarafen, und feines Volkes Wohl geht ihm 
über alles Gold und Silber der Erde.” — „Wollten 
die Götter, daß es fo wäre" — feufzte Frau Jutta 
— „allein eine innere, Unglück verfündende Stimme 
fagt mir das Gegentheil. Wofern du aber, troß 
meiner Warnung, dennoch auf deinem Vorhaben bes 
harrſt, fo nimm wenigftens mein treues Leibroß mit 
dir, umd befteige es im Augenblicke der dringendften 
Gefahr zu deiner Rettung.” 

Hugo that, wie feine fehöne und beforgte Gemahlin 
ihm geboten und zog zur Stunde mit dem trefflichen 
Roſſe nach dem Hoflager des Landgrafen auf Burg 
Fürftenberg. 

- Das Nöplein, das fonft fo munter und fröhlich mit 
feinem Reiter davonjagte, fehlen den Unmuth feiner 
Gebieterin zu theilen, es geberdete fich heute ganz un— 
gehorfam und widerfpenftig, und Zunge und Sporen 
des Ritters vermochten faum es fortzutreiben. So 
hatte jich denn Hugo verfpätet und ihn die Nacht 
überfallen, ehe er auf Fürſtenberg angefommen war. 
Zugleich thürmte fich ein fehweres Gewitter über feinem 


300 


Saupte auf, und bald jah er ſich genöthigt, wie in 
jener jchauerlichen Nacht, wo er feine geliebte Jutta 
aus der Gewalt der häplichen Erbgeifter befreite, unter 
einem Dichten Gebüfche feine Zuflucht gegen die herab» 
flürzenden Regenftröme zu fuchen. 

Es mochte beinahe Mitternacht ſeyn. Ritter Hugo 
gedachte bald feines MWeibes und Kindes zu Haufe, 
bald des morgenden Tages, wo er vor den Landgrafen 
treten milde, um ein gut gemeintes Wort für das 
Beite des Volkes zu ſprechen, allein Nichts vermochte 
die rätbjelbafte Unruhe zu bannen, von der er ſich 
befangen fühlte. 

Ein helles Praſſeln und Kniftern, nicht anders, als 
wenn ausgedörrte Holzwände berſten, erfcholl mit eis 
nen Male in der ganzen Gegend, und von Zeit zu 
Zeit Lang ein gellenvder Pfiff dazwiſchen, den ein 
dumpfes, entferntes, nur noch hörbares Geheul zu 
beantworten ſchien. Der Ritter ftarrte lange hinaus 
in Die finftere Nacht, ohne das Mindefte zu bemerfen. 
Endlich ſchien fich Die nördliche Seite des Waldes in 
einen bläulichen Brand zu fegen, der bald verlofch, 
bald fich mieder von Neuem entzündete. Das unge- 
wife Feuer bewegte ſich langſam vorwärts, und wie 
e3 dem Staunenden näher rückte, fehien ed immer mehr 
an Umfang zu gewinnen. Aehnliches begab ſich audı 
bald von der andern Seite des Forſtes, und fo weit 
das Auge des Ritters reichte, ſchienen Die Thäaͤler, Die 
Wälder und die Gebüfche in einem düſtern Feuer zu 
brennen. 


391 


Endlich entwirrte fich das Verworrene vor des 
Staunenten Auge, und er fah mit Entfegen, daß es 
feurige Bergmännlein waren, Die jchaarenmweife von 
allen Seiten heranzogen und gerade nach dem Orte 
ire Richtung nahmen, wo ſich Hugo mit feinem Roſſe 
gelagert hatte. Nicht ferne von ihm hielten fie ſtill, 
ſchloſſen einen Dichten Feuerfreis und tanzten unter 
feltfjamen Geften einen furchtbaren Reigen. Nach 
Beendigung deſſelben trat der Anſehnlichſte, Der eine 
flammende Krone auf dem Haupte trug, hervor und 
fprach mit beiferer, widerlicher Stimme: „Endlich, nach 
langem Hoffen und Sarren, ift die Stunde der Rache 
gefommen. Ihr wißt es, getreue Untertbanen meines 
Reiches, wie empfindlich mich jenes fterbliche Ungeheuer 
verwundete, indem es Die falfche, undanfbare Tochter 
meiner gerechten Beſtrafung und dem wohlverdienten 
Tode entriffen hat, und jest ftellt er fich auch noch 
der Ausbreitung unferes Reiches mit allen Kräften 
entgegen, indem er nach dem Hoflager des Landgrafen 
zu ziehen Willens ift, um ihm gegen den Bergbau auf 
Gold und Silber einzunehmen und fo unferer Macht 
über die Erdenföhne eine tödtlihe Wunde zu verjegen. 
* Rat uns daher den zmiefachen Verbrecher, Der zu 
meinem und Euerem Verderben lebt und arbeitet, vers 
urtheilen, und nach unferen unmandelbaren Gefegen 
mit ihm verfahren.” 

Ein vüfteres Gemurmel flog bei dieſen Worten durch 
die leuchtenden Schaaren; es jchien, ald ob die unge— 
flalteten Zwerge jich beratbichlagten ; endlich trat Einer’ 


302 


aus ihrer Mitte hervor, warf fich vor dem Sürften, - 
deſſen Krone immer dunkler brannte, nieder und fpracb: 
„Herr und Gebieter der mächtigen Geifter, welche Die 
gebeimnifvollen Tiefen der Erde bewohnen! Dein Wille 
ift und flet3 gerecht; wad Du über den DBerräther 
verbängft, das werde auf der Stelle an ihm vollzogen.“ 

Da leuchtete Iufliger die Krone auf dem Haupte des 
Erdfönigs, und mit fiegreich fehmetternder Stimme rief 
er: „Nun wohlan denn, fo ijt der Stab über ihn 
gebrochen ! Sterben bat die Menfchendrut längft ſchon 
gelernt; Der kurze Todesfchmerz wäre eine allzu ges 
linde Strafe für den heimtücifchen Verräther. Er ſoll 
leben, aber ein banges Leben voll Ungemach und 
Elend; ihn quäle die Erinnerung an die fchöne, Da= 
bingefchiedene Vergangenheit, und Der verzweiflungs- 
solle Gedanfe an eine lange, langſam marternde Zu— 
kunft; an feinem Herzen nage zudem eine matte, kern— 
Iofe Gegenwart und der feelentödtende Lebensedel. Das 
goldene Schlößlein, das wir mit funftfertigen Händen 
in ae Bei Erdhöhlen erbaut haben, foll er fcheuern 
und rein erhalten, Damit es inmitten der feuchten Erd- 
Dämpfe immer helle und glänzend fich fpiegele. Wehe 
im, wenn ein einziger Fleck, nur fo groß wie ein 
Stäubchen, Daran haften bleibt!” 

Nach Diefer Rede brach die ganze gräuliche Menge 
in ein lärmendes, gellendes Beifalljauchzen aus; Hugo 
ſah, wie fich augenblicklich der weite, feurige Kreis zu 
verengen begann, um ihn rettungslos einzufangen. Da 
6ligten auf einmal Frau Jutta’ letzte Worte durch 


303 


feine Seele und fchnell ſchwang er fih auf fein Roß, 
das luftig aufwieherte, als ed die Laſt feines Herrn 
verfpürte, und wie ein Pfeil mit ihm davonfprengte. 
In demfelben Augenblicke verlofchen die düftern, bläu— 
lichen Feuer der Bergmännlein, der ganze Spuck ver- 
ſchwand, und der Mond trat aus den geriffenen Wol— 
fen und beleuchtete eine fchöne, anmuthige Gegend. 
Der Hitter aber küßte fein rettendes Rößlein auf die 
milchweige Stirne und feste wohlgemuth feine Reife 
fort. 

Ein lichter, lauer Maimorgen begrüßte die Erbe, 
und noch nicht lange war Hugo, nachdenklich über Die 
faum überjtandene Gefahr, feines Weges dahingeritten, 
als ihm ſchon die Thürme der ftolgen Burg Fürften- 
berg von der gewaltigen Anhöhe herab im Strahle der 
Morgenfonne entgegenleuchteten. Etwas Unmuthiges 
empfand er Doch in feinem Innern, als er über die 
herabgelafjene Zugbrüdfe durch die hohe DBurgpforte 
eintritt ; auch fein treues Roß fchnob, als ob 58 die 
Sachen hier nicht geheuer fände; allein der Embfang, 
der ihm von Seiten des Randgrafen zu Theil wurde, 
ſchien alle trüben Ahnungen Lügen zu firafen. Er 

“ umarmte den jungen Ritterömann, den er fihon fo 
lange nicht mehr an feinem Hoflager beherbergt hatte, 
und erwies fich überhaupt fo zutraulih, Daß Hugo» 
über die Beſorgniſſe feiner Gattin Daheim, ſowie über 
feine eigenen Zweifel lächeln mußte, Er bielt darum 
auch nicht lange mit feinem Anliegen hinter Dem Berge, 


304 


fondern trug dafjelbe in wenigen, fchlichten, aber Klaren 
und beflimmten Worten vor. 

Da antwortete Landgraf Egon, ihn gütig bei der 
Hand faſſend: „Wahrlich, Ihr erfreut mich aufferor- 
dentlich, junger Nitter, mit Eurer überaus wohl ge— 
lungenen Borftellung. Ihr feid noch fo jung und 
ſchon jo erfahren, fo arm an Jahren und fo reich am 
Verſtande. Miffet, mein lieber, junger Freund, daß 
ich ebenfall3 das Gift in dem fonft jo friſchen Blute 
meines Landes gefunden habe, und daß ich entjchloffen 
bin, mit Gottes Hilfe dem um fich greifenden Unheil 
zu wehren; allein mich bedrängt für den Augenblic 
von einer andern Geite her eine weit größere Gefahr. 
Bon Norden ber bedrohte mich der Herzog von Urs— 
lingen und der mächtige Graf von Bollern, und von 
Mittag der Graf von Habsburg mit blutiger Fehde, 
fie jammeln bereits ihr Kämpfer, und jeden Tag muß 
ich eines feindliches Angriffes gewärtig ſeyn. Erſt 
muß dieſer Gefahr begegnet werden, ehe ich an die 
übrigen Landesangelegenheiten die bildende Hand legen 
kann. Leihet mir deßhalb vor Allem Euern Arm und 
Euer Schwerdt für dieſen Kriegszug und nachher werde 
ich Euch, als Euer Lehensherr, reich dafür belohnen.“ 

Der freudige Kriegsmuth, der, von dem ſüßen Koſen 
der Liebe eingewiegt, bisher in Hugo's Herzen nur 
geſchlummert hatte, erwachte auf des Landgrafen Mah— 
nung nicht anders, als wie ein junger Löwe, den eine 
leichte Verwundung zum blutigen Kampfe gereizt hat. 
Unſeres Ritters ganze Seele loderte auf in Luſt und 


395 


Begierde, ‚dem Srieden des Landes und feines Herrn 
auf dem Schlachtfelde zu begegnen, und ſchon am 
andern Tage zog er an der Spike einer muthigen 
Reiterichaar gegen den Herzog von Urslingen. Ueberall, 
wo er. mit feinem guten Roſſe erfchien,, Durchbrach er 
Die Schlachtordnung und jagte Haufen um Saufen in 
fchmähliche Flucht. Das Röplein felbft that dem Feinde 
mehr. Schaden, als viele einzelne Neiteröfnechte, denn 
wie) es in Die feindlichen Reiben. Fam, ſo biß und 
ſchlug e8 wie müthend um ſich und verwundete Viele 
bis auf den Tod. 
Bald war der Kriegszug beendet und. das — 
gräfliche Heer zog mit Ruhm und Beute, jeder in 
feine, Seimath. Kerr Egon empfing ‚den tapfern Hugo 
auf das ‚freundlichfte, -befchenfte ihn mit einer goldenen 
Chrenfette und fügte die Worte bei: „Ihr Habt Euch 
untadelig „betragen, junger Held, - und Durch. meinen 
Mund danft Euch Das Baterland. Allein Tage der 
Arbeit erfordern auch Tage der Ruhe, Darum .ziehet 
beim. zu Euerer geliebten Gemahlin und Euerem zar— 
ten Söhnchen und geniefet Die. Segnungen ; eines 
Friedens, den Ihr fo rühmlich erfämpfen halfet. Bei 
mir aber find Eure Worte auf feinen unfruchtbaren: 
Boden. gefallen, ‚fie werden keimen und reifen und dem 
Lande föftliche, Früchte tragen.” 

im ‚Hierauf nahm der Nitter freundlichen Yrlauh, und 
309, wiewohl nicht ganz befriedigt, nach Kaufe, \wo-ers 
aber nicht, Alles in den beften Unftänden, fand. Zwar 
waren Frau und. Kind gefund. und. wohl, allein Die 

20 


306 


Nachbarn hatten fich gar feindfelig bewiefen , ja, fle 
wagten e3 fogar, ihren goldhungerigen Bergbau bis 
auf des Nitters von Hohenkarpfen Grund und Boden 
zu treiben. Daraus erwuchſen dieſem allerlei Bes 
fehwerlichfeiten, und es Tiefen Klagen auf Klagen von 
feinen Untertanen ein. Die feindfeligen Bergmänn— 
fein necften nicht blos Morgens und Abends die Are 
beitsleute auf den Feldern, jondern auch am Tage, 
wo Ihnen das Sonnenlicht gebot, in ihrer falten Er 
dennacht zu bleiben, auch fliegen oft ſchwere Sten- 
bagel aus den tiefen Schachten empor und verwunde⸗ 
ten manchen fleißigen Landmann. 

Darüber ergrimmte Hugo im innerſten Stk, * 
feine reiſigen Knechte und verjagte Alles, was inner 
halb feiner Gränzen nah Gold und Silber grub; 
- hierauf verfehüttete er alle Gänge und begab fich dann 
wieder an des Landgrafen Hoflager, um * von 
dem Geſchehenen Rechenſchaft abzulegen. 

Weit weniger freundlich, als das erſte Pal, em⸗ 
pfing ihn Egon von Fürſtenberg, ja, er gab ihm nicht 
undeutlich zu verſtehen, wie er ſich mit ſeinen fort— 
währenden Klagen und Beſchwerden höchſt überflüſſig 
mache, und daß man ſelbſt recht gut wiſſe, was zu 
des Landes Beſtem erforderlich ſey. Ritter Hugo hin— 
gegen, der ſich feiner guten Sache bewußt war, nahm 
die froſtige Zurechtweifung auf das beleidigendfte auf 
und‘ fehrte, mit bitterem Unmut gegen den Lande! 
grafen im’ Herzen, auf feine heimathliche Burg zurück. 
Er beſchloß, nun und nimmermehr zu klagen, ſondern 


307 


fich, nach Achter Nitterart, ſelbſt Recht zu verſchaffen. 

Zu Haufe angekommen, fand er Alles in großer 
Beſtürzung und Berwirrung. Die benachbarten Grunde 
herren, namentlich der von Conzenberg, hatten fich der 
von Hugo's Beſitzungen Bertriebenen angenommen, 
während Des Legtern Abweſenheit feine Aecker vers 
wüftet, feine Höfe verbrannt, und Alles, was jich 
widerfegte, niedergemacht. Frau Jutta jelbft hielt fich 
nur mit Noth in der Burg gegen den wüthenden An— 
fall, und erſt wenige Stunden vor ihres Gemahls 
Heimfehr waren die Feinde abgezogen. Da ermachte 
der heißeſte Grimm in Hugo's Innerem, cr meinte 
vor Zorn und that einen hohen Schwur, dieſe Unbill 
fchwer und blutig zuräcen: Flugs fammelte er feine 
Knechte und zahlte feinen Widerfachern mit Wucher. 
Die Röthe ihrer brennenden Burgen und Höfe Teuchtete 
weit in das Land hinein, fo dag der Landgraf tu 
nicht geringer Beſorgniß war, es feten fremde Feinde 
eingefallen. Alle Schichten und Gruben wurden zer— 
ftört, und was mit den Waffen in der Hand getroffen 
wurde, mußte ohne Gnade den Tod erleiden. | 
Des folgenden Tages aber zogen. die Gefchlagenen 
an das Hoflager des Landgrafen, und weil ſie fich 
ſchon früher durch reiche Gefchenfe feiner’ Gnade ver— 
fichert hatten, fo fanden fte hier auch ſchnell Recht, 
Ritter Hugo’ von Hohenkarpfen wurde als Landesver— 
derber angeklagt und unverzüglich vor feines Lehens⸗ 
Gern Richterſtuhl geladen. id 
Frau Jutta — nicht wenig, als fie dieſe Nach⸗ 


308 


richt erfuhr, meinte bitterlich und fiel Dem geliebten 
Gemahl um den Hals mit den Worten: „Ach, hätten 
du doch den Grimm des Wolfes nimmermehr gereizt, 
fo wäre er nicht -in Deine Deerde gefallen; nun wer— 
den aber deine unfchuldigen Lämmer bluten, und dw 
ſelbſt, der kühne Hirte, wirft dieſe Wagniß vielleicht 
mit deinem Herzblute bezahlen müſſen.“ — „Faſſe 
Muth” — entgegnete ihr Hugo — „hab' ich ja Doch 
nichts Böfes verbrochen,, jondern nur Gleiches: mit: 
Gleichen: vergolten. Der Landgraf wird auch mich 
hören, und meine Feinde werden bejchämt abtreten.” 
— „Ad, das Gold ift weit mächtiger, als die Wahr- 
beit und das Recht“ — verfegte Fran Jutta — „mid 
befällt eine gar: böfe Ahnung. Sollte Dir aber irgend 
etwas Gefährliches widerfahren, fo vergiß nicht Deines 
guten. Leibroſſes.“ — Mit diefen Worten umarmte fie 
den geliebten Gemahl, und dieſer zog mit feinem treuen 

Thier nad) der Burg: ded Landgrafen. 

Mie e3 die fromme Geele der bejorgten Gattin - 
geahmet hatte, fo geſchah es auch. Beſtochene Richter 
fagen zu Gerichte , und. der Landgraf ſelbſt war. voll; 
des grimmigften Zornes. Der ritterliche Stolz, mit 
dem ſich Hugo vertheidigte, verfchlimmerte feine Sache 
noch mehr, und ihm wurde, als überwiefenem Landes⸗ 
verderber, das Todesurtheil gefprocden. us; 

Da warf. er fein ‚gutes Schwerdt vor, des —— 
grafen Füße und ſprach voll edeln Unmuths: „Nehmt 
hin meine wackere Waffe, die ich für Euch fo treu 
und ehrlich geführt, und mit ihr mein. Leben. Weiß 


309 


ich doch, wie Ihr einen gehorfamen "Lehensmann zu 
Selohnen pfleget. Noch aber waltet ein Gott über 
uns, und ihm übergebe- ich meine Sache!" — Der 
Landgraf wandte fich erröthend von dem Verurtheilten, 
und dieſer wurde ohne Verweilen in den unterften 
Kerker Der Burg abgeführt, wohin kein Strahl der 
Sonne dringen konnte. 

Mie nun der arme Nitter fo ohne afle Hoffnung 
gefangen ſaß, da erinnerte er ſich der letzten Worte 
feiner geliebten Gemahlin, und ein neuer, freundlicher 
Troſt ging in feiner Seele auf. Als Daher der Ker- 
Eermeifter erfchten, um ihm feine Flmmerliche Nahrung 
zu bringen, fprach er zu dieſem: „Lieber Sreund, als 
mir noch mein Glücksſtern ftrahlte, Habe ich Euch, 
wie Ihr Euch gewiß noch erinnert, manches Liebe und 
Gute ermwiefen. Nicht, als ob ich Euch jetzt überreden 
‚wollte, einen Treußruch am Euerem Gebieter zu be— 
geben, um mein bischen Leben dem Beile des Kenfers 
zu entziehen; da fey Gott vor! Vielmehr ermahne ich 
Euch ſelbſt, ſtandhaft gegen alle Verfuchung zu bleiben, 
denn Untreue ſchlägt ihren eigenen Seren. Aber ei- 
nen Wunſch Helfet mir erfüllen. Wenn ich noch 
einmal des Landgrafen Antlig ſchauen könnte, jo wäre 
mir der bittere Gang zum Tode gar fehr erleichtert. 
Mar er doch immer mein Freund und hatte e8 gut 
mit mir vor, ich aber habe im meinen verirrten Sinne 
‚gegen mich ſelbſt gevofithet. Seid doch fo gut, und 
— es durch Euere — dahin, daß mir 


310 


‚ber —— mein gnadiger Herr, dieſe letzte Pike 
gewährt.” 

Kurt, der Kerfermeifter, fühlte Mitleid ne dem 
unglücklichen Ritter und feiner boffuungslofen Jugend, 
und ging bin zu dem Landgrafen, um die legte Gnade 
für den Nerurtheilten von ihm zu. .erbitten. Herr 
Egon, eingedenf der früher aeleifteten Dienfte Hugo's, 

gewährte Diefelbe, und als er in aller Pracht feiner 
Miürde, umgeben von feinen Dienfimannen und Knappen, 
in den hohen Ahnenfaale des Schlofjes Fürftenberg 
faß, wurde der NWitter von Hohenkarpfen aus Dem 
Dunkel ſeines Kerfers in die glänzende Berfammlung 
geholt. 

„Edler Herr und Gebieter” — fprach der. Verur—⸗ 
theilte — „ich danke Euch für die hohe Gnade, Euer 
erhabenes Antlig noch einmal ſchauen zu Dürfen, und 
Gott mag dafür die Jahre, die ich früher in Das Reich 
der Schatten hinabfteigen muß, Euerem herrlichen Leben 
zurechnen. Meine Richter haben mich verurtheilt,, zu 
ſterben, ich murre nicht, auch mag ich meinen Tod 
verdient haben; allein mein letztes, umbedeutendes Ge» 
fuch — bedenfet, hoher Herr, es fpricht ein den Tode 
Gemeihter zu Euch — werdet Ihr mir gewiß nicht verwei—⸗ 
gern. Sch weill nicht um mein Leben bitten, das verwirkt 
ift, nicht um meine Freiheit, Die ich, wie meine Richter 
jagen, mißbraucht habe. Laßt mich nur. ald einen 
ritterlichen Mann von Diefer Welt Abfchied nehmen, 
und verleigt mir die Öunft, nur eine Kleine Weile noch 
mein wackeres Streitroß herumtummeln zu Dürfen.‘ 


A 7 


Der Landgraf lächelte ob der ſonderbaren Bitte, und 
befahl, alle Zugänge zu der Burg forgfältig zu ver 
fperren, die Wachen zu verdoppeln und jodann Das 
Begehrte zu gewähren. br se 

Das Röplein wieherte freudig sin als es herbei= 
geführt wurde und feinen wohlbefannien Seren erblickte, 
und fprang wie toll umber, fo daß es die Knappen 
faum zu halten vermochten. Der Ritter aber trat 
binzu, ftreichelte freundlich den ſchneeweißen Nacken des 
lieben Thieres, und wie Diefed ihn mit, feinen großen 
frommen Augen wieder anfah, da fonnte Hugo ſich 
nicht enthalten, es zu umhalſen und auf. Die jehöne, 
glänzende Stirne zu küſſen. „Wirſt mir nun wohl 
zum. legten Male dienen‘ — Sprach er und lehnte ſich 
traulich an das fchlanfe Rößlein. — „Saft mich zu 
mancher fügen Luft, zu manchem freudigen Kampfe 
getragen, magft mich nun auch zu meinem. .leßten, 
bittern Gange geleiten.” 

Das Nöflein wieherte abermals luſtig und heil auf, 
nicht anders, als 0b e8 feinem betrübten Herrn eine 
fröhliche Antwort geben wollte; auch ſchlug es in 
demfelben Augenblicke nach einem der Knechte, der den 
Ritter bohnlachend mahnte, nicht. fo lange mit dem 
legten Ritte zu zögern, ſo daß der ungeſchickte Burſche 
-fopfüber zu Boden purzelte, 

Nun ſchwang ſich Hugo auf das fcharrende Roß⸗ 
lein, gab ihm koſend die Zügel und ganz leiſe und 
linde den Schenkel. Mit ſchnaubenden Nüſtern und 
fliegender Mähne freiste es in Dem geräumigen Burg— 


312 


hofe, bald langſam, bald fröhlich tanzend, und der 
Landgraf und feine Umgebung fahen mit Freuden Die 
ſtolze Zierlichfeit Des Thieres, und wie es jo mit Liebe 
feinen fchönen Ritter zu tragen ſchien. Als es nim 
ſo fröhlich herumtobend an des Hofes nördliche Seite 
gekommen war, wo ſich der Berg, auf welchem die 
landgräfliche Burg emporragte, ſteil hinabſenkt in das 
Thal, durch welches die kaum erft ihren Quellen ent— 
jprungene Donau fich binfchlängelt, da wieherte es 
dreimal Hinter einander, daß die hoben Mauern und 
Mille wiederhallten, und feßte, wie auf eines Vogels 
Fittigen, mit einem Sprunge über Wall und Graben, 
und mit einem zweiten den Berg hinab in's Freie 
und Weite. Da erft errieth Ritter Hugo den Sinn 
feines Tieben Weibes, als fie ihm empfahl, in der 
äußerſten Gefahr feines Lebens r dem treuen * 
anzuvertrauen. 

Nun jagte Das rettende Sie mit feiner Henkkh 
Laſt nicht anders, als wie von Fitligen des Windes 
getragen, dahin, und bald waren beide in der Dichten 
Waldesnacht den Augen ber ai ent⸗ 
ſchwunden. 

Frau Jutta ſtand an der Pforte der heimathlichen 
Burg, ihr holdes Knäblein auf den Armen, als der 
Gerettete mit verhängtem Zügel dahergeſprengt Fam. 
Athemlos ſank er in Die Arme der ihn zärtlich Um— 
fangenden, dieje aber fprach mit Teifen Liebestönen zu 
ihm: „Hab' ich es Doch immer gefagt, mein Theuerfter, 
dag dieſes ferne, fremde Hofleben nicht für Dich tauge, 


313 


daß die Luft dort Die Herzen ſchwer niederdrücke, und 
daß du nur in Deinen friſchen Berglüften frei und froh 
zu athmen vermögeſt. Sieh Hier dein Söhnlein, das 
durch dich bald feinen Vater verloren hätte; ſieh mich, 
die wieder Glückliche, Die Durch dich zur Unglüdlichiten 
‚geworden wäre, und laß die wilden Wünſche, ‘die dich 
hinweglocken aus meinen Armen, für immer erfterben.” 
Hugo aber umarmte die weinende Gattin und fagte: 
„Wohl wäre mir manches Unheil erfpart worden, 
wenn ich Deiner Bitte gleich von Anfang willfahrt 
hätte; laß das Vergangene warnend für mich dahin— 
gegangen feyn, ich will mir von nun an eine heitere, 
glückliche Zufunft bereiten. Bier aber, mein ſüßes 
Weib! bier Haben wir die Tängfte Zeit gehaust; ich 
‚muß die heimathliche Erde verlafien, denn mit dem 
Landarafen babe ich für immer gebrochen, auch wird 
er es mir nie verzeihen, daß ich mich feinem Gewahre 
fan und, feinem Gerichte entzog. Ich will meine Burg 
in Flammen jeßen, damit feiner meiner Feinde fich 
darin nähre und fih mit feinem Siege über mich 
bruſte. Wir ziehen in eine fremde Gegend, binab an 
den fchönen Neckarſtrom, zu den Pfalzgrafen von Tü— 
‚Bingen, oder den mächtigen Herzogen von Teck, wo 
ich der fügen Nude froh geniegen kann; dort will ich 
mir einen neuen Heerd gründen 

Frau Sutta lächelte gar anmuthig Durch ihre Thrä— 
nen hindurch und fprach: „Was der gewaltige Troß 
des Mannes fich zu erreichen nicht getraut, Das wird 
vieleicht de3 Weibes duldender, bittender Sanftmuth 


314 


gelingen. Laß, mich, deinen, Friedensboten an den 
Landgrafen auf Fürftenberg ſeyn; ich. hoffe, zu Gott, 
fein Herz zu rühren und dich auf dem altheimifchen 
Boden feſtzuhalten. Ich will zu ihm binziehen mit 
diefem unferem Sohne auf den Armen, und nur von 
einem einzigen reiftgen Knechte begleitet. Wir Frauen, 
mein geliebter Gemahl, führen Waffen, denen fein 
menfchlich fühlendes Herz zu widerftehen vermag, und 
ſo hoffe auch ich meine Sendung auf das Beſte aus—⸗ 
zurichten.“ 

Hugo, deſſen früher. jo widerſpenſtiges Herz, Die 
Gefahr des nahen Todes bezähmt hatte,  willigte in 
die Bitte, feiner Holden Gattin, und die Gnaden-Walls 
fahrt wurde für den fommenden Morgen befchloffen. 
Kaum war. Diefer angebrochen, fo tbat Frau Jutta, 
wie ſie es verbeißen, nahm den Sinaben auf den Arm, 
feste fich auf das ‚Fluggetreue Roß, und zog, im Ges 
leite nur eines einzigen Dieners, hinauf gen, Fürflens 
‚berg. Schon unterwegs, nicht weit von da, mo jet 
das freundliche Städtchen Geifingen an der Donau 
liegt, traf fie auf den Landgrafen, der bereitd an der 
Spibe eines Trupps Gewappneter ausgezogen. war, um 
die Burg des entflobenen Ritters von Hohenkarpfen zu 
brechen. — Wer hat noch je dem Flehen einer holden, 
tugendreichen Frau widerftanden? Auch Landgraf Egon 
von Fürftenberg vergab und vergaß, und fortan Tebte 
Mitter Hugo ruhig auf feiner Burg, ohne die Gunft 
des Hofes ferner zu verfuchen. eh 


zu \ ; B— 


315 


XXI. 
Friedrichs hafen 
| und Das 
ehemalige Klofer Hofen. 


Beide, dad Schloß und die Stadt, liegen Dicht, am 
‚See, jeder Theil auf einem ausjpringenden Bogen 
Ron) des Geftades. Die Page ft eine der fehönften 
und großartigften am ſchwäbiſchen Meere, denn hier 
liegt Der Bodenfee in feiner größten Breite vor dem 
Blicke. Friedrichshafen befteht aus Drei verfchiedenen 
‚heilen, der ehemaligen Reichsſtadt Buchhorn, dem 
vormaligen Klofter (Briorat) Hofen, und der foge 
nannten Neuftadt, einer von Tag zu Tag wachfen- 
den Reihe Häuſer, welche fich von der Altſtadt gegen 
das Schloß und den Bahnhof Hinziehen. 

Stadt und Schloß Friedrichshafen haben eine beinahe 
tauſendjährige Gefchichte. Schon im Jahr 837 fommt 
Buchhorn, der alte Name der Stadt, als Buachihorn, 
Puhihorn, Buochihorn vor, welchen Namen ſie wohl 
won ihrer Lage am See, wie Romanshorn, Argen— 
born und andere Orte, erhielt. Vielleicht reichte ein 
Buchenwald bis an den See, wo nun ‚Schloß und 
Stadt ſtehen, und im gelichteten Walde wurde die 
erite Willa oder Burg gegründet. Daß der Nanıe von 
Buche herzuleiten, dieſe Anficht möchte Dadurch unter 


316 
fügt werden, daß Das salte Wappen der Stadt eine 
grüne, auögeriffene Buche im goldenen Felde zeigt, 
während die linke Seite des Schilde ein ſchwarzes 
Jagdhorn mit güldenem Befchläge und Bande im 
rotben Held Darftellt. — Aus alten Urkunden, die 
Buchhorn erwähnen, ergibt. fich, Daß es ſchon im der 
zweiten Hälfte ded 9. Jahrhunderts ein nicht unbe 
deutender Ort (locus) gewefen, an dem öffentliche 
Berhandlungen vorgenommen wurden. Buchhorn war 
eine fogenannte Ihingftätte (Gerichtsſtatt) und ein 
Siß der alten Grafen von Linzgau, der wohl in einem 
wohlbefeftigten Waſſerhaus beftand, das von den 
Fluthen des Sees befchüßt war. Der Linzgau grängte 
weftlich an den Höhgau bis hinauf nach Pfullendorf, 
öftlich an den Argen- und Schuffengau, bis. hinüber 
an die Stadt Tettnang und begriff gegen Norden noch 
die Orte Ober- And Untertheuringen in ſich. Als 
Grafen des Linzgau's werden genannt: Warn im 
Jahr 746, Ruodbert im Jahr 773—787, Adalrich 
805, Ulrich und Ratpert 807 und 815, Auochar 
828 ,. Chuonvad 844, Welfo fait zu gleicher Zeit, 
rich 860—883, Ulrich defjen Sohn im Jahr 886 
— 909. Diefer Ulrich, ‚der fich zuerſt von feinen 
Hauptwohnfige Graf von Buchhorn nannte und deu 
Beinamen der „Buchhorner” führte, war mit Karl 
den Großen und dem uralten Haufe der Welfen ver 
fippt, und pflanzte mit. feiner (treuen: Gemahlin Wen- 
dilgard, - einer Enfeltochter König Heinrich L durch 
ihre Mutter Hedewig, den Stamm “der ‚Grafen von 


317 


Buchhorn fort... Seine drei Söhne waren: Adelbard, 
Ulrich . und Burfhard. Der leßtere. wurde Abt zu 
&t: ©allen, die beiden anderen. Brüder theilten nach 
dem Tode des Vaters das väterliche Erbe. Ulrich 
erbielt Bregenz und Die Befigungen der. Familie in 
Nhätien, Adelbard aber Buchhorn und Die Dazu ges 
hörigen Güter. Adelhard, Graf in. Buchhorn, der ſich 
durch Schenfung um das: Klofter Betershaufen vers 
dient machte, hatte einen Sohn Richar, der als 
Kämmerer von St. Gallen erſcheint. Von dieſem 
ſtammte Otto. L, Linzgaugraf, im Jahr 1058... Dtto 
vermählte fich. mit Bertha, einer Tochter Welfd des 
Aelteren, Herzogs von Baiern. In feinen Tagen vers 
breitete ſich der. verderbliche Streit Kaifer Heinrichs IV. 
mit feinem. Gegner, Herzog Audolf von Schwaben, 
bis an Das Gelände des See's. Biſchof Dito von 
Gonftanz hielt zu Heinrichs Parthei. Als nun der, 
Gegenfönig Rudolf an den See nad) Reichenau und 
Gonftanz kam, da flüchtete fich .Bifchof Otto ver ihm 
in Die benachbarte Burg des Grafen von Buchhorn, 
und von da, al8ı er: fich nicht mehr. ſicher glaubte, 
nach Zürich. Dieſe Burg war wohl keine andere,; als 
Das befeftigte Buchhorn. ‚Dtto von. Buchhorn. jliftete, 
mit- feiner Gemahlin noch vor. dem, Jahre, 1089. ‚Daß. 
Kloſter Hofen; er ſtarb im Sahr 1101 und. liegt 
mit ſeiner Gemahlin in dieſem Kloſter „begraben. Noch, 
in fpäteren, Zeiten wurde am 31. Januar Bertha's 
Zahrstag gefeiert: — Mit: feinem, Sohn, Dtto, endete: 
der Stamm der Örafen von Buchhorn. Otto machte 


318 


fich vor feinen Zeitgenofjen eines grogen Verbrechens 
ſchuldig, denn er räubte einem Graf Ludwig von 
Pfullendorf feine Gemahlin und ließ jich mit ihr 
trauen. Da verkündete Biſchof Gebhard den Bann 
über ihn, und er wurde, in Folge göttlichen Etrafe 
gericht®, von den Dienftmannen des Grafen Ludwig 
auf die ſchrecklichſte Weile ermordet im Jahr 1089 
Graf Otto, das Opfer einer fehnöden Reidenfchaft, 
wurde von den Geinigen im Klofter Hofen begraben, 
aber ver Bifchof Gebhard gönnte ibm Feine Aube in’ 
der geweihten Erde; auf feinen Befehl: wurde er wieder 
audgegraben und auf den Schindanger geworfen. Alſo 
endete eines der edelften und mächtigiten Grafenhäuſer 
am Ufer des Bodenſee's. Dtto’8 Hab und Gut wurde 
von feinen Mördern geplündert. Da er kinderlos 
ftarb, fo wurden feine Güter von den Welfen in 
Befis genommen, obgleich die Orafen von Bregenz; 
als Blutsverwandte, nähere Anfprüche darauf hatten. 
Auch Buchhorn fiel an die Welfen und war ſchon 
längſt ein wohlbefeftigter Ort, denn wir Iefen, daß 
lange vorher (im Jahr 925) eine bis nach St. Gal— 
len ftreifende Ungarnhorde einen Angriff auf Bude 
horn machte, jedoch umverrichteter Dinge wieder abziehen 
mußte. Unter den Herzogen und Königen aus dem 
Haufe der Staufen bahnte fih Buchhorn den Weg 
zur Breiheit, und ging aus den Wirren des Zwifehen- 
reiches fchon als unabhängige Stadt hervor. ‚Ihre 
Sreigeiten wurden von Kaifer Rudolph I. im Fa 

1275 ’und von Kaifer Adolph im Jahre 1291 Bed 


r 
— 


319 


ftätigt. Kaifer Albrecht verlieh ihr im Jahre 1299 
das Recht, Daß feine Ritter oder Mönche erbliche 
Güter in der Stadt erwerben oder beſttzen Eünnen. 
Auch Die freie Wahl eines Stadtammanns erlangte 
Buchhorn, und zahlte dafür an die Neichslandvogtei 
zu Altdorf jährlich zehn Pfund und zwei Schilling 
Drennige. Im der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts 
erwarb fie fich noch ein  Eleines Gebiet Durch Anfauf 
der Drte Baumgarten und Erichskirch. — Buchhorn 
hatte auch eine Münze, und fand fehon im Jahre 
1404 in einem Münzverband mit Württemberg und 
mehreren ſchwäbiſchen Städten. — Die Berfaffung war 
democratiich. Das Regiment beftand aus einen klei— 
nen und einem großen Rath, mit zwei Burgermeiftern, 
die je auf zmei Jahre gewählt murden, und abwechs— 
lungsweiſe über eine Bürgerfchaft regierten, Die kaum 
zahlreicher war, als Die eines mittelmäßigen Dorfes. 
— Ueber die früheren Schickſale Buchhorns haben Die 
Ehroniften wenig aufgezeichnet. Im Sabre 1292, als 
der Abt von St. Gallen, Wilhelm von Montfort, 
nebſt feinem Bundesgenoſſen, dem Biſchof Rudolph yon 
Couftanz , gegen König Albrecht am See in Fehde 
lag, mußte auch Buchhorn es entgelten, daß es gegen 
den Bifchof von Gonflanz gewefen war. „Am Mars 
tinstag,“ fo erzählt der glaubwirdige St. Galler 
Chroniſt Kuchimeifter, fuhr der Bifchof von Con— 
ſtanz zu und ihr Theil (feine Bundesgenoffen) und 
fürmten zu Schiff und zu Fuß an ‚Buchhorn und 
gewannen es mit Gewalt.” Im Jahre 1363 rannte 


320 


die Stadt faſt ganz ab. Im breißigjäbrigen Krieg. 
war Buchhorn bald in der. Hand der Schweden, bald. 
in ‚der der Kaiferlichen.. Beide Theile binterließen fein. 
freundliches Andenfen, daſelbſt. Im Jahr 1643 wurde. 
e3 von den Weimaranern und im Sabre. 1645. von: 
Miderhold geplündert. — Mit dem Jahre 1802 hörte 
Buchhorn auf, eine Reichöftadt zu feyn, ‚denn ‚ed Fam. 
an Baiern, und im Jahr 1810 an Würtemberg. 
Wir gehen zur Gefchichte des Klofters Hofen über, 
die mit. der ‚der Stadt in der innigften Beziehung ſteht. 
Klofter Hofen gehörte in früheſter Zeit nebft ‚dem 
Dörflein. diefes Namens ebenfalls zu dem. rund und, 
Boden der. Stadt, denn gewöhnlich. hieß Das. Klofter. 
die. Zelle von Buchhorn. Dort ftand. auch, im 
Jahr 919. die dem h. Andreas geweihte Pfarrkirche, 
des Orts, und gab vielleicht die erfte Beranlaffung, 
zur Gründung des Klofters, was wir oben erzählt. 
Das Klofter zu Hofen ‚wurde zu. Ehren . ‚Der, ‚heiligen 
Dreieinigfeit,, der Sungfrau, Maria und ‚des heiligen, 
Pantaleon und Stephanus geweiht, und war. zuerſt 
mit Nonnen beſetzt, die meiſtens abeligen , Geſchlechts 
waren. Schirmvoͤgte des Kloſters waren. Die. Grafen 
von Buchhorn. Als nach dem. Erlöfchen dieſer ‚Grafen, 
Die Güter Derfelben an die Welfen. fielen, da übergab, 
Herzog Welf IV. das Kloſter Buchhorn, und die Pfarr⸗ 
kirche im Sof (qux est in atrio monasterii,,. im 
Vorhof des Kloſters) ſammt deren Zehenten a Weln⸗ 
hauſen, Argen, Meckenbeuren, Feldkirch u. A... mas; 
Alles zur Zeit: der Stiftung und. bald, nachher va 


321 
⸗ 
Geber, unter andern durch Rupert von Otterswang, 
Cuno von Sigebrandesberg und Bernhard von Atege— 
dorf an das Klöſterlein gekommen war, an die Abtei 
Weingarten. Im Jahr 1130 wurde auf Betreiben 
des Abtes Cuno zu Weingarten der VBertragi erneuert, 
und es Heißt Darin ausdrücklich: „Abt und: Convent 
follen Darauf bedacht jeyn, Daß Die Nonnen zu Sofen 
einen tauglichen Prior erhalten, der des Klofters An- 
gelegenbeiten vermalte, und die Geelforge übernehme, 
zugleich aber follen Abt und Convent darauf ſehen, 
daß feiner feiner Nachfolger oder Erben, welche nad) 
den Erbrecht Vögte des Klofters Weingarten find, 
die Vogtei über das genannte Klöfterlein veräußere 
oder seinen Andern Damit belehne.‘ Der Abt von 
Weingarten jchiefte fofort einen Bruder als Probſt 
dahin, Der zugleich Die Bfarrfirche verſehen mußte. 
Dieſe Kirche muß Damals auch als Kloſterkirche ge— 
dient „haben. Im Anfang des 13. Jahrhunderts 
wurde eine eigene Kirche für Das Klofter erbaut‘, Die 
baufällige Andreasfirche aber wieder erneuert, Denn 
ie Jahr 1215 meihter der Bifchof von Conftanz Die 
Pfarrkirche und am folgenden Tage auch die Klofter- 
Tirche mit dem Klofter zu Ehren ihrer alten Schuß- 
heiligen. Unter den Meifterinnen des Klofterd werben 
genannt: Frau Catharina von Morel, Frau Agnes 
von Bergen, Frau Agnes von Anmil, und Frau 
Arſula von Hoimar. Die Iegtere Meifterin hatte viel 
zu kämpfen mit ihren. Schweftern,, Die feinen gar 
keuſchen Lebenswandel führten, und auch miderfpenftig 
21 


3272 


gegen die Herrſchaft zu Weingarten jich erzeigten. Da 
machte Abt Johann Blaurer zw Weingarten mit Ge— 
nehmigung des Bifchofs Otto III. vom Gonftanz und 
des Johannes Truchfeg von Waldburg, Reichsvogt in 
Ober- und Niederfchwaben, eine Aenderung mit Dem 
Klofter zu Dofen. Das Kloftergut wurde von num 
an unter dem Namen Probſtei Hofen von dem je- 
weiligen Brobft aus Weingarten allein verwaltet. Der 
Probſt Hatte zu Hofen feinen ftändigen Sig und 
schaltete und waltete nach Belieben. Die noch übrigen 
Tonnen ließ man nach und nach abfterben, und e8 
wurde feine mehr aufgenommen. Sm Jahr 1430 
ftarb der von Weingarten veroronete Probft, und die 
Probftei blieb vafınt bis 434. Zu jener Zeit hatte 
Buchhorn zwei Pfarrer, welche in der-Stadt wohnten, 
einen Namens Hürnler und einen Namens Meate: 
Dem erfteren übertrug der Abt zu Weingarten Die 
Probſtei und Die Vfarrfirche, eigentlich Nicolausfapelte 
zu Buchhorn. Huch jenen Tod Drängte fich Der 
Dominikaner Reate mit Gifchöflicher Begünftigung und 
mit Anterflügung der Buchhorner als Pfarrer in die 
Kirche zu Hofen ein, obgleich Weingarten bereitd einen 
Brobft ernannt hatte Nach langem Streit ward im 
Jahr 1440 ein Bergleich gefchloffen, in Folge deſſen 
dem Reate die Fortfegung pfarrlicher Verrichtungen in 
der Kirche zu Buchhorn geftattet wurde. Im Jahr 
1456 war Jodokus Dietheimer aus Ulm Probſt zu 
Hofen bis zum Jahr 1482. Sein Nachfolger war 
Johannes Lang aus Weingarten, er farb‘ im Jahr 


323 


1499. Ihm folgt Jodokus Neukhum aus Lindau, 
der 16 Jahre der Probftei vorftand. Johann von 
Ramſperg, aus edlen Gefchlecht, wurde im Jahr 4515 
an feiner Statt gewählt. Zu feiner Zeit fanden ſich 
noch viele Urkunden und Briefe in Der Regiftratur 
der Probſtei, welche der gelehrte Caſpar Bruſchius, 
der Chroniſt der Klöſter, noch geſehen. Johann von 
Ramſperg war Probſt bis 1550. Im Jahr 1591 
wurde die Brobftei aufgehoben, umd die Verwaltung 
von einem Klofterhofmeifter, genannt Vogt, geführt, 
die Pfarrei aber einem Weltgeiftlichen übertragen. In 
demfelben Jahr wurden zum erjten Mal die zwei 
Pfarrer zu Hofen und zu Buchhorn‘ inveftirt, und 
jeit Diefer Zeit laufen zwei Pfarreien neben einander. 
Dennoch blieb die Buchborner Kirche Filialkirche "von 
Hofen. Erſt, als Teßteres im Jahr 1634 völlig abe _ 
gebrannt war, wurde die Pfarritelle von Hofen mit 

der von Buchhorn der Art vereinigt, Daß die Pfarrer 
in Buchhorn auch Die Pfarrei Hofen verfaben. Da 
ed aber an einer Kirche daſelbſt fehlte, fo wurde Die 
Gemeinde an die Pfarrfirche zu Buchhorn gewiefen. 
Im Sahr 1695 beſchloß Ast Willibald von Wein 
garten, ein Priorat zu Hofen einzurichten, und erbaute 
ein neues Klofter und eine neue Kirche, wie fie jest 
iſt. Im Jahr 1708 wurde Klofter und Kirche dem 
h. Bantaleon, Andreas und andern Heiligen gewidmet. 
In Demfelben Jahr wurden zwölf Kloftergeiftliche nebſt 
zwei Brüdern, fo wie ein Brior von Weingarten nach 
Hofen'verfegt, und an die Stelle der ehemaligen Probſtei 


324 


trat num Das Priorat Hofen. Im Sahr 1803 kam 
das Priorat Hofen ſammt Weingarten an Naſſau— 
Dranien, durch den Vertrag von 1804 an Oeſterreich, 
und Durch den Preßburger Frieden im Jahr 1805 an 
Mirtemberg. Der meife, König Friedrich, welcher den 
Werth dieſer Erwerbung in Beziefung auf Kandel 
und Schifffahrt erkannte, Tieß alsbald zur Wiederherz 
ſtellung Des alten zerfallenen Hafen von Hofen fchreiten. 
Als im Jahr 1810 auch die Stadt Buchhorn an 
Mirtemberg fam, wurden Buchhorn und Hofen unter 
den Namen „Stadt und Schloß‘ Friedrichshafen‘ zu 
Einer Gemeinde vereinigt, und eine Schöpfung trat 
ins Leben, die König Friedrichs Namen im Gegen 
verewigt. Dennoch Eonnte fich Das neue Friedrichs— 
bafen noch Feines großen Auffchwungs erfreuen, bis 
Vriedrichs edler Nachfolger Wilhelm Diefer ſchön 
gelegenen Beſitzung feine Aufmerffamfeit zumendete, und 
das frühere Brobfteigebäude zu einer jeweiligen Sommers 
refidenz einrichten Tieß. Zu gleicher Zeit murden Schiff- 
fahrt und Sandel, durch die Erbauung des Dampf- 
boots Wilhelm, Des erften auf dem Bodenfee, mehr 
als je gehoben. 

Der herrlichen Schöpfung unferes geliebten Königs, 
dem ſchönen Schloffe, wenden wir unfre Schritte zur, 
und finden in ihm das Merkwürdigſte, was —— 
hafen bietet. 

Ein ſchöner, von einer majeſtätiſchen Linde be⸗ 
ſchatteter Eingang führt in einen großen, zum Theil 
mit Blumenbeeten geſchmückten Hofraum. Rechts ſtehen 


ae 325 


die Wirthichafts- und Dienftgebäude mit dem ehema— 
ligen PVfarrhaufe, weiter links das Schloßgebäude und 
die an daſſelbe fich anfchliegende Kirche. Vorwärts 
und zur Site breiten fich herrliche Gartenanlagen aus. 
Das Ganze ift rundum mit einer Mauer umgeben, 
welche einen Blächenraum von 131% Morgen eins 
schließt. Das Schloß ift hoch und geräumig und 
bildet mit der Kirche ein Viereck, in deſſen Mitte ſich 
ein Sof, ehemals Conventhof, befindet. Ein auf 
Bögen rubender Gang, an deffen einem Ende ein 
Thürmchen fteht, verbindet das Schloß mit den Oe— 
fönomiegebäuden, und vermehrt den Zauber des Ganzen. 
Das Innere des Schloſſes ift geſchmackvoll und finnig 
eingerichtet, gang in Uebereinftimmung mit der fchönen 
Natur, die man hier vor Augen hat. Wir treten im 
erften Stock durch ein Vorgemach mit Pferdeſtücken in 
das blaue, in Form eines Zeltes drapirte Arbeits- 
zimmer des Königs, wo uns das Bild der unvergeß— 
lichen Königin Catharina begrüßt. Don da fonımen 
wir in ein weißes Ankleidezimmer, an das fich ein 
grünes Schlafgemach anfchlieft. In letzterem machen 
wir befonders auf Die fchwäbifchen Bauernfeenen, Kirch— 
weihe u. dgl., forwie die Studentenverfammiungen vom 
Biberacher Dialer Pflug aufmerffam. Durch die Garde— 
vobe gelangen wir in ein Gelag mit Abbildungen 
ruſſiſchen Militärs. Im Billardzimmer fchöne Vieh— 
ſtücke, Landfchaften und Geebilder, im Speifefaal 
Ehloris und Daphne von Gegenbauer, fowie Scenen 
aus deutichen Dichtern, z. B. Göthes Erlkönig, Bür— 


326 


gers Leonore, Der wilde Jäger, — ſodann zwei vater: 
fändifche Landfchaften, Burg Lichtenftein, Nebelhöhle, 
Feſte Hohentwiel — letzteres als düſteres Nachtſtück. — 
In zweiten Stock ſind die Gemächer der königlichen 
Vrinzeſſinnen mit drei Anſichten Neapels und zwei des 
feuerſpeienden Veſuvs. Durch Schlaf- und Garderobe— 
zimmer treten wir in den Salon, von deſſen offener 
Säulengallerie man eine der herrlichſten Ausſichten am 
ganzen See genieft. Man befindet fich eigentlich im 
Mittelpunft der ganzen Seelänge, erfchant bier auf 
einer Seite die Thürme von Gonftanz, anf der andern 
über Langenargen bin, die lange Erdzunge, aus wel—⸗ 
cher Der Rhein in den See tritt — und zwifchen dieſen 
beiden Punkten liegt der Obftgarten St. Gallens und 
des Thurgaus mit unzähligen Ortfchaften, Burgen, 
Höfen und Landhäufern, und die im Sintergrund der— 
felben auffteigende Kette grüner Hügel mit den fahlen 
Selfenwänden des Säntis. — Nun folgen die Zimmer 
Ihrer Majeſtät der Königin Bauline, die befonders 
Diefe ſchöne Reſidenz am Bodenfee zu einem lieben 
Aufenthalt in der freundlichen Jahreszeit erforen; das 
Arbeitszimmer mit einer Sammlung von Miniaturbildern 
der Föniglichen Familie, das Gefellfchaftszimmer mit 
zwei Genrebildern von Heß, ſowie einer Anficht von 
Friedrichshafen mit dem Dampfjebiff Wilhelm. — Im 
pritten Stod befinden fich die Gaſtzimmer mit dem 
VBortrait der Königin, von Steinfopf, mit Schweizer 
profpeeten, Rheingegenden n. ſ. w. und mehreren ſehr 

ſchönen Woafferfarben - Zeichnungen, Scenen aus dem 


"327 


ruſſiſchen Feldzuge, von dem genialen Difettanten Fabre— 
Dufaure, württembergiſchen Artillerie-Dberften, welcher 
Augenzeuge Diefer Handlungen war. — In zwei Öängen 
des Schloſſes machen wir noch auf zwei Fenſter mit 
Glasgemälden aufmerffam, die bei günftiger Beleudh- 
tung ein wunderbares Licht entgegenftrahlen. — Bon 
den Gemächern des Schloffes gelangt man in die Kir— 
che, jegt evangelifche Pfarrkirche. Sie ift ein maje- 
ftätifches, aus Rorfchacher Quadern im neuromanifchen 
Styl aufgeführtes Gebäude, und hat zwei hohe, mit 
Kuppeln verjebene Thürme. Ihr Inneres ift reich. an 
Stuffaturarbeit, und bat einen ſchönen, mit Figuren 
gezierten Hochaltar. Schade, dag auch hier, wie in 
den meiften Kirchen dieſes Styls, jo viel Ueberladung 
berrfcht, was dem an die einfach ſchöne Ornamentif 
des byzantinischen oder gothifchen Styls gewöhnten Auge 

fo wenig wohl thut. 
Bier in Diefer Kirche wurde am 17. Juli 1851 
die Bermählung Der jüngſten Tochter des Königs, 
Augufte, mit dem ritterlichen Prinzen Hermann zu 
Sachfen- Weimar gefeiert. Es ward aufs Neue Fund 
bei Diefer feierlichen Veranlafjung, wie lieb und theuer 
der Schöne Wohnjig der ganzen hohen Königsfamilie 
geworden — und mit welch inniger Liebe und Verehrung 
die Bewohner der Stadt und Gegend an der fünig- 
fichen Familie hängen, Davon fah man die rührendften 
Beweiſe. | 

Einen bejondern Befuch verdienen auch die jchönen 
und gejchmadfvollen Anlagen um Kirche und Schloß» 


328 


gebäude. Jeder Morgen: und Abend bietet bier neue 
Naturfeenen dar, indem nach Der Jahres: und Tages— 
zeit die Beleuchtung beftändig: wechſelt und der Eee, 
ſowie Die Hochgebirge, durch den Einfluß der Witte 
rung fich bald in Klarheit. und Ruhe, bald wolken— 
umhüllt und aufgeregt zeigen. Schloß Friedrichshafen 
und Umgebung: ift fürwahr ein Feenſitz zu nennen, 
befonders in jenen Tagen, wo die allgeliebte Königin 
Pauline in den Gemächern des Schloffes waltet, und 
eine zweite fromm und jegensreich wirfende Wendil— 
gard von Buchhorn für Einheimiſche und Fremde 
wird. 


2. Die treue Wendilgard. 


Zu Anfang des 10. Jahrhunderts lebte Graf Ulrich 
von Linz und Argengau zu Buchhorn mit feiner Oe⸗ 
mahlin, der edlen Frau Wendilgard. 

Als ums Jahr 919 die Ungarn zum zweiten Dale 
in Deutjchland einfielen und. verbeerend durch Das 
Baierland hereinrückten, zog auch Graf Ulrich mit 
feinen Genoffen ihnen entgegen, feine dortigen Güter 
zu vertheidigen. Es kam zur Schlacht. Graf Ulrich 
focht ritterlich gegen Die fremden Bedränger, batte aber 
das Unglüf, in die Hände der Feinde zu fallen, die 
ihn im die Gefangenfchaft wegführten. Er wurde von 
allen feinen Mitgenoffen für todt gehalten. So erhielt - 
auch Wendilgard die Kunde, Daß ihre Gemahl nimmer 
am Leben wäre Bald ftellten fich Freier ein, welche 


329 


ſich um die Hand der jugendlichen Wittwe bewarben, 
aber fie wollte nicht3 von folchen Anträgen hören. 
Um Allen auszumweichen, begab fie fich auf den Rath 
Bifhof Salomos nah St. Gallen, wo fie neben 
der Klaufe der heil. Wiborade eine Zelle ſich bauen 
ließ; allda Iebte fie von dem Ihrigen, und fpendete 
zum Seelenheil ihres  todtgeglaubten Gemahld Deu 
Armen reichliche Almoſen. Alljährlich Fam fte nach 
Buchhorn und feierte Dort des Gemahls Andenken mit 
andächtigen Gebet und Werfen der Wohlthätigfeit. 
Bier Jahre waren verfloffen, da begab fie ſich wie- 
der hinüber nach Buchhorn, um die gewohnte Trauer- 
feier zu begeben. Während fie num damit befchäftigt 
war, ihre milden Gaben an die zahlreich herbeiſtrömen— 
den Armen auszutheilen, drängte fich ein zerlumpter 
Bettler durch die Menge umd verlangte von ihr ein 
Kleid. Wendilgard Schaft, daß er fo frech und unge— 
ſtümm feine Gabe verlange, Doch reichte fie das Kleid, 
wenn auch etwas unwillig. Plötzlich ſchloß der Bett: 
fer die Geberin in feine Arme und küßte fie, Frau- 
Mendilgard mochte es geſchehen Tafjen oder nicht. 
Schmerzlich bewegt‘, Daß ihr folche Schande wider: 
fahren, zog dieſe ich auf ihren Stuhl zurück und rief: 
„Jetzt erft erfahre ich, daß mein Gemahl Ulrich nim— 
mer am Leben, da ich folche Frechheit von einen Bett- 
ler erfahren muß.” Da kamen einige der umftehenden 
Diener und wollten dem frechen Bettler Fauftichläge 
geben, aber der warf feine wilden langen Haare mit 
der Hand in den Naden zurüf, und rief: „O ver 


330 


ſchont mich doch mit euren Fauſtſchlägen, denn ich 
habe deren genug erduldet; ſchaut her und erkennet 
Graf Ulrichen euren Herrn!“ 

Als die erſtaunten Diener der Gräfin die Stimme 
ihres Seren hörten, und das einft jo mwohlbefannte 
Angeficht zwifchen feinen Locken erblickten, grüßten fie 
ihn laut, und das Hausgeſinde jauchzte vor Freuden. 
Ulrich trat zu Frau Mendilgard, nahm ihre Hand, 
und führte fie an eine ihr mohlbefannte Narbe. Da 
erwachte Wendilgard wie aus einem Schlafe und ſprach; 
„Das ift mein Herr, der Tiehfte aller Menfchen! Bit 
mir willfonmen, bift mir willfommen, mein Süßefter !“ 
Mährend fie den miedergefundenen Gemahl umarmte, 
rief fie ihrem Gefinde zu: „Leget eurem Herrn Kleider 
an, und fputet euch zur Stunde, Daß er ein Bad 
‚ empfange!” Als Ulrich wieder ziemliche Kleider ange 
tegt hatte, fprach er: „Nun laßt und zur Kirche gehen, 
um Gott zu danken!’ Mährend dem Gehen fehaute 
Ulrich feine Gemahlin an, und bemerfte den Nonnene 
jchleter, welchen fie angelegt hatte. „Sprich, wer bat 
dir den Schleier umgelegt?“ fragte er Frau Wendile 
gard. US er hörte, der Biſchof von Gonftanz habe 
ſolches gethan, da fie alle Hoffnung aufgegeben, daß 
ihr Gemahl je wiederfehren würde, fprach er: „Nun 
Darf ih Dich von Stund an nicht mehr umarmen, 
wenn der Biſchof nicht Erlaubniß dazu ertheilt.“ 

Bon den Geiftlichen, deren mehrere an dieſem Tage 
zufammen gefommen waren, wurden jeßt in der Kirche 
Aemter gehalten, nicht in Trauer für den Verftorbenen, 


331 
fondern soll: Freude für den Lebenden, und all das 
Bolt nahm andächtig daran Antheil. Darnach wird 
ein feſtliches Mahl gehalten, zu vem Diele berbeiftrö- 
men, Die von der wunderbaren ©efchichte hören, und 
Alle erquicen und freuen fich bei diefem Maple. 

Die nächfte Zeit Darauf berief Salomo von Conflanz 
eine Synode; auf diefer forderte Graf Ulrich feine 
Gemahlin wieder von dem Bifchof zurück. Der Be: 
ſchluß der Verfammlung fiel dahinaus: „Aelter ift 
das Gelübde, das Wendilgard ihrem Gemahl gethan; 
fie werde dem Gatten zurückgegeben, der Schleier aber 
in den Schränken der Kirche aufbewahrt, damit Frau 
MWendilgard, wenn je ihr Gemahl vor ihr fterben follte, 
denfelben als Wittwe wieder anlege.” Nun fehrte 
das wieder vereinigte Ehepaar nach Buchhorn zurüd, 
nachdem fle das Gelübde getban, daß, wenn fie 
noch einen Sohn erzeugen würden, derſelbe an der 
Mutter Statt dem heil. Gallus geweiht werben follte. 
Mirflich empfing Frau Wendilgard noch einen Sohn 
von ihren Gemahl, aber fie gebar ihn nicht: vierzehn 
Tage vor der Zeit Fam ſie in Kindesnöthen und ftarb. 
Das Söhnlein mußte ihr aus dem Leibe gejchnitten 
werden, und wurde dann in einem warmen Bauch 
eines frifchgefchlachteten Schweins zur Reife gebracht. 
Ju der Taufe erhielt das Kind den Namen Burfhard. 

Kaum war Burkhard der Pflege feiner Amme ents 
wachfen, fo brachte ihn fein Vater nah Et. Gallen, 
wie er mit feiner feligen Mutter gelobt hatte, und 
legte ihn auf den Altar der Kirche nieder, indem er 


S 332 


Segen für dad Kind von einer Mutter erflehte. Als 
Zugabe weibte er dem Klofter Grundftücde und Zehen— 
ten zu Höchſt. Im Klofter wurde der £leine Burf- 
hard erzogen ; Die Brüder nannten: den wunderfchönen 
Knaben Burkhard den Ungebornen. Weil er unzeitig 
geboren wurde, mar er fo zart, daß er bei jedem 
Fliegenftich Glutete; darum befam er von feinen Lehrern 
jelten Ruthenhiebe. So ſchwächlich und zart Burk 
hard immer am Leibe blieb, fo ſtark ward er an 
Geifteskraft. Er wurde fpäter wegen feiner ausge— 
zeichneten Gaben zum Abt des Kloſters gewählt. 


2. Des Lebens Schuld und Sübhne. 


An den reizenden Ufern des Bodenſee's Tag Die 
ftolge Burg der Grafen vom Linzgau. In Mitte 
lieblicher Anlagen erhob fie jich mit fürftlicher Pracht, 
und wenn die Morgenjonne die Ihürme und Binnen 
vergoldete und ſich in den hohen Benfterfcbeiben ſpiegelte, 
bot fie einen prächtigen Anblick. Drüben, am gegen» 
über liegenden Ufer der hohe Säntis und die ganze 
Kette der Schmeizergebirge , vollendete ein Bild para— 
dieſiſcher Schönheit. 

Die Grafen von Pinzgau waren ein altes, edles 
Geſchlecht, das bedeutende Namen unter feinen Gliedern 
zählte. Zur Zeit unferer Erzählung war. Otto II, 
Graf von Linzgau, Kerr und Beſitzer der. Schönen 
Herrschaft. Er war ein Enfel der frommen Wendile 
garde, deren hohe Tugenden und gottjeliges Leben ihr 


333 


den Ruf der Heiligkeit erworben hatten. Aber des 
jungen Grafen Sinn befchäftigte ſich nicht gleich dem 
Geiſte feiner edlen Ahnfrau mit hohen Dingen, ihm 
lachte die Welt: und junges, leidenjchaftliches Blut 
rollte in feinen Adern. Jagden und Turniere , Feſte 
und Trinfgelage folgten fich in bunter Abwechslung, 
und Das vergnügensfüchtige Derz des Schloßheren eilte 
unbefriedigt von einem zum andern. 

- Ein herrlicher Sommertag neigte fich zu feinem Ende, 
als Graf Dtto befahl, ihm fein Leibroß zu fatteln ; 
er batte fich längft vorgenonmen, feinen ehemaligen 
Maffengenoffen, den Grafen Ludwig von Pfullendorf, 
zu befuchen und einige Tage auf deſſen Burg zu ver: 
leben. Graf Ludwig war feit ein paar Jahren vers 
beivathet und die geſchwätzige Fama mußte viel von 
der hohen Schönheit feiner Gemahlin zu erzählen. 
Otto von Pinzgau war längft begierig gewefen, feines 
alten Breundes Hausfrau zu fehen, aber Vergnügen 
und Befucbe hatten ihn immer aufgehalten. Während 
er nun müßig an einem Fenſter feiner Burg Tehnte 
und dem Spiele der dunfeln Wellen zuſah, fam ihm 
plöglich der Gedanke, auf Schloß Pfullendorf einzu- 
fprechen ; dem Entfchluffe folgte Die rafche That, und 
‚eine halbe Stunde fpäter trabte Graf Otto über Die 
Zugbrücke. 

Die Nacht war bereits vorgeſchritten, als der Graf, 
von einem einzigen Diener begleitet, an dem Burgthore 
des Pfullendorfers Einlaß begehrte. Klirrend fiel Die 
Brücke nieder und mit den ſchuldigen Ehrenbezeugungen 


334 


wurde, der werthe Gaft empfangen. Graf Ludwig ließ 
fich'8 nicht nehmen, noch einen’ Becher zum Willfomm 
mit dem Freunde zu leeren, er bedauerte nur, daß 
feine Gemahlin fich febon zur Ruhe begeben hatte, 
und er ihn bitten müffe, fich bis morgen zu gedulden, 
um der Gruß der Hausfrau zu empfangen. Ein 
Stündchen mochte in traulichem Geplauder verfloffen 
jeyn, als die beiden Grafen fich derb Die Hände ſchüttel— 
ten und in ihren ®emächern die Ruhe fuchten. Der 
Graf von Linzgau befand ſich in einer eigenthümlichen 
Stimmung; ihm war's, als follte eine neue Lebens 
woche beginnen und doch begriff er nicht, welch Ereig— 
niß diefe Gemüthsbewegung begründete! Wie oft be— 
fchleichen und düftere Ahnungen Fommenden Unheils 
und der Menfchen Blindheit begreift die warnende 
Stimme nicht! 

Der. Morgen des folgenden Tages erglängte in all 
der Bracht des Sommers. Die Gärten und Anlagen 
des Schlofjes prangten in taufend Reigen, und Thau⸗ 
yerlen funfelten gleich Diamanten im den füpen Blüu⸗ 
thenkelchen. 

Graf Otto begab ſich frühe in das Gemhi in 
welchem der Morgenimbig genommen werden ſollte. 
Mit herzlichem Gruße trat ihm Graf Ludwig entgegen, 
und bald verfündete das Naufchen eines ſeidenen Ge: 
wandes das Nahen der Hausfrau. Gräfin Iſabella 


trat ein und begrüßte mit holdem Lächeln den Freund 


des Gatten, welcher: ſprachlos vor ihr ſtand, wie a 
blendet von dem Zauber ihrer Erjcheinung. 


335 


Die Kunde ihrer Schönheit war nicht übertrieben, 
fie Eonnte im Gegentheile diefem Leibreiz nicht genügen. 

Sfabella war eine hohe, ſchlanke Geftalt, reiches 
dunfelbrauned Saar umgab in glänzenden Loden ein 
Madonnenantlig, deffen dunkle, glühende Augen jedoch 
im ſeltſamen Widerfpruch mit dem frommen Ausdrucke 
ftanden, welche ihre Züge annahmen, fobald die langen 
Wimpern ihren funfelnden Blick verfchleierten. Süd— 
liche Leidenſchaft und zarte Weiblichkeit fchienen ſich 
bier im feltenen Vereine zu begegnen und brachten den 
verfchiedenften Eindruck hervor. 

Ein ſchwarzes Seidenkleid umfchloß im reichen Fal— 
ten die reisende Geftalt, und fo ftand fie vor dem er— 
jtaunten Grafen mit der Hohheit und Anmuth einer 
Fürftin. „Ihr feht, STabella, mein trautes Gemahl, 
Daß mein edler Freund Euern Weizen huldigt, obwohl 
er feine Worte für feine Bewunderung finden kann“ 
fprach Graf Ludwig lachend zu feiner Gattin. „Wir 
wollen ihm den Gruß verzeihen, fo er ung Fünftig 
feiner Aufmerkſamkeit würdigen will“ ſprach die Grä— 
fin mit milder Stimme und reichte dem Grafen, der 
unwillkührlich ſich vor ihr auf ein Knie niedergelaſſen 
hatte, die Hand zum Kuſſe. Otto blickte auf, ihre 
Augen trafen fich und —— Eine Blick hatte ſein 
Loos entſchieden! 

Liebe erwacht oft bei einem erſten —— 
iſt ein geheimnißvolles Band zwiſchen zwei fh erft 

enden Weſen, welches ſie uneierfehich zufanmen 
Bean | 


336 


‚Bisher war des Grafen von Linzgau's Herz der 


fügen Leidenfchaft fremd geblieben; unter. männlichen 
Vergnügen und Mebungen  floß ihm die Zeit, und 
noch feinem Weibe war es gelungen,’ in feine Geele 
den verzehrenden Funken zu werfen: jest „aber liebte 
er zum erften Male mit der ganzen Glut feines 
Weſens — liebte — die Gattin feines Freundes. 

Milde Kämpfe folgten fich in feiner Seele, — er 
wollte nicht ehrlos handeln, nicht den ihm vertrauen: 
den Freund um fein ganzes Glück betrügen, nicht dem 
Weibe feines Herzens den innern Frieden rauben: — 
aber unbefiegbar tobte die Feidenfchaft im feinen Adern ! 
Immer wieder verzögerte er feine Abreife, gleich als 
hielten ihn unfichtbare Mächte an den Ort feiner Luft 
und Qual gefefielt. | 

Sfabefla Hatte wohl längft, mit denn jeder" drau 


eigenen  Scharfblid , Des Grafen Liebe errathen. Sie 


war fein pflichtwergefjenes Weib, wenn fte auch ihrem 
Gatten die Sand nicht aus Liebe gereichtohatte, ſo 
wollte fie doch das Gelübde der Treue nicht verlegen 
und der fügen Lockung widerfiehen. Wohl jehmeichelte 
des Grafen Huldigung ihrer Eitelfeit, aber fie glaubte 
ſich ftarf genug, jede Herzensregung zu überivachen. 
Bald jedoch flößten feine glühenden Blicke das ſüße 
Gift auch ihrer Seele ein; fie verſäumte es, Die fei- 
wende Keidenfchaft zu zügeln, und als fie es wollte, 
war ed zu fpät! — Graf Ludwig von Pfullendorf 
Hatte nicht viel Sinn für Die Freuden der. Häuslich- 


feit, eine Bärenjagd hatte für ihn mehr Reiz, als das 


337 


zarte Kofen der Liebe. Erft wollte er den Gaft auch 
mit in feine Wälder nehmen, da diefer aber feine be- 
fondere Luft bezeugte, zog er allein unter fröhlichen 
Hörnerflang und Hundegebell feined Weges. Er liebte 
fein Weib und vertraute ihr unbedingt — glüdliche Blind» 
heit ! 

Eine Zeit voll Wonne und Weh war nun über 
Iſabella gekommen. ; Die Leidenfchaft war in ihrem 
Kerzen zum Drfane gewachſen, und ihrer Seele half 
ihr Kämpfen nichts. Otto hatte ihr feine Liebe ges 
ftanden, hatte in dem Zittern der Hand, in dem ver> 
rätherifchen Glanze des Auges Gegenliebe errathen, und 
füße Stunden flogen an Beiden vorüber, wenn ſie in 
innigem Geplauder nur ihrer Liebe dachten. 

Dft aber, wenn die Gräfin Abends allein in ihrem 
ftillen Gemache faß, Erallten fich ihr Die Furien der 
Neue ind Herz. Sie flehte auf den Knien um Er— 
barmen zum Himmel, faßte die heiligften Vorſätze, 
vergoß heiße Thränen, — doch fie ſah Ihn am nächften 
Morgen wieder — und liebte ihn rafender als zuvor! 
Auch Graf Dito von Linzgau Mitt unter der Glut 
feiner : Leidenſchaft und den Pflichten feiner Ehre. 
Tropfenweife hatte fich das brennende Gift in Die 
Herzen der Beiden gegoffen, Hatte ed erfüllt mit der 
Göttergabe des Abgrundes — der verbotenen Liebe! 
diefem wahnftnnigen Gefühle, zufammengefeßt aus Der 
Seligkeit des Himmeld und den Martern der Hölle — 
einem MWahnfinn, in welchem der Kranfe bald in den 
böchften Wonnen jchwelgt , bald auf der Folterbanf 

22 


338 


der Qualen ächzt. Iſabella's Tugend verfuchte einen 
legten Kampf. Sie hatte viel getan, was fie zu 
bereuen hatte, nichts, was die Neue abfchnitte. Sie 
bat den Grafen Otto, um feiner Liebe willen, ihr 
Haus zu verlaffen, ihre Ruhe zu fchonen, und er ge= 
borchte ihrer Bitte, und ſchied mit. blutendem Herzen 
von dem Schauplake feiner Luft und Dual. 
Das Herz kann Den Bruch. einer fehuldlofen, er— 
laubten Neigung überleben, Die Narbe bleibt, aber die 
Munde heilt: die Liebe jedoch, welche: ein Kind ver 
Schuld iſt, gräbt fich mit Any SET [Ben Zügen in's 
Herz ein. 

Sfabella gab ich redliche Mühe, — * Schmerz * 
Trennung von Otto zu bewältigen, ihre Pflichten treu 
zu erfüllen, ihrem Gatten ein liebes Weib zu ſehn; 
Niemand ahnte, was ſie litt, und ſie erſchlen wenigſtens 
äußerlich ruhig und gefaßt, obwohl die Sehnſucht nach 
dem Geliebten, der Schmerz um ein unerreichbar Glück, 
ihr wie ein Krebsſchaden an der Seele nagte. 

Einige Monate waren vergangen. Der Öraf von Rinz- 
gau hatte vergebens jede Zerftreuung gefucht; feine alten 
färmenden Freunde und deren Zechgelage Tprachen ihn 
nicht mehr an, Jagd und Waffenfpiel Hatte jeden Weiz 
verloren, und. in trübem Sinnen verfenft, verlebte er 
traurige Tage. JIſabella's Bild thronte auf Dem Altare 
feines Herzens, und wie all das, was unerreichbar 
ift, im unfern Augen auch unfehäßbar wird, jo * 
er ſie mit einer unverdienten Glorie. 

Otto hatte — die Stimme des Gereiffeng‘ eine 


/ 339 


geſchlaͤfert; er fehnte fich nach dem Befige der Ge— 
liebten und: war entfchloffen , fein Opfer zu ann, 
Das ihn zu Diefem Ziele führen konnte. 

» Eines Tages wurde ihm die Kunde, der Graf von 
Pfullendorf fey auf längere Zeit von Haufe abwefend, 
und Otto beſchloß, die Friſt zu nützen. Er wollte 
zu Iſabella veilen, fie zur Flucht bereden, zur Beruhi— 
gung ihrer Zweifel, ſich von dem Burgkaplan, welcher 
ſein Werkzeug war, mit ihr trauen laſſen und dann 
in ihren Armen ein glücklich Leben führen. Mit der 
Ungeduld der Leidenſchaft flog er nach Pfullendorf 
und ließ ſich der Gräfin melden. Mit glühenden 
Wangen und hochklopfendem Herzen trat Iſabella ihm 
entgegen. Er ſank vor ihr nieder, flüſterte mit all 
der Beredtſamkeit der Leidenſchaft ihr ſeine Liebe zu, 
malte ihr das Glück, das ſie erwarte, und bat ſie, 
ſich ihm anzuvertrauen. Er verſtand es ſo gut, ſie 
zu beruhigen, hatte er doch in ihrem Herzen ſeinen 
eifrigſten Verbündeten. Mit einem Male ſchien ihre, 
Angſt zu ſchwinden, es war ihr, als könnte ſie nie 
zagen, jo lange ſie an dieſem Herzen ruhte, und waͤh— 
rend ſie auf feine glühenden Worte lauſchte und: ihr 
Auge im jenem zu leſen fuchte, das fie ſo zärtlich 
anblickte, ging in ihrer Seele eine. neue Sonne aufs 
ſſe fühlte feine Reue, feinen Zweifel mehr, der wilde 
Sturm im Innern batte fich gelegt, — mas kümmerte 
ſie die Zufunft, wenn die Gegenwart fo unausſprechlich 
— war! 

“Inder folgenden. Nacht entführte - der Öraf von 


340 


Pinzgau feines Freundes Weit. Dem SHausgeiftlichen 
hatte er nicht gefagt, daß feine Braut die angetrante 
Gattin eines Andern fey, und Diefer fegnete in finfterer 
Mitternacht bei matten Kerzenfchein die unfelige Ber: 
bindung. Iſabella's Seele fehien in narfotifcher Ber 
täubung zu liegen: fein Gewiſſensvorwurf ftachelte fie: 
— fie rubte am Herzen des geliebten Mannes, und 
dort wähnte fie im Abgrunde der Hölle ku) glücklich 
zu ſeyn! 

Aber die ewige Gerechtigkeit läßt keine Uebertretung 
ihrer Gebote ungeftraft, und das Glück Der Sünder 
ift von furzer Dauer. Ä 

MWährend die pflichtvergeffene Gattin in den Armen 
Otto's ruhte, kehrte der Graf von Pfullendorf in die 
Heimath zurück und erfuhr dort feines Weibes Flucht. 
Voll edlem Zorne wandte er fich an den frommen 
Bifchof Gebhard von Gonftanz und bat ihn um Bei: 
ftand in feinem .berben Web. Der Name Des Ber: 
führer Fonnte dem Bfullendorfer fein Geheimniß 
bleiben, und er gelobte fich blutige Rache. 

Der Kirchenfürft ließ den Grafen von Linzgau aufs 
fordern, Die Entführte ihrem rechtmäßigen Gatten zus 
rücfzugeben und für die ſchwere Sünde Buße zu wirfen. 
Dtto verweigerte den Gehorſam, und nun ward mit 
ergreifender Peierlichkeit der Kirchenbann über ihn aus⸗ 
geſprochen. 

Nirgends war nun für den Unglücklichen mehr Ruhe 
und Sicherheit. Wenn er ſich aus ſeinem Schloſſe 
wagte, drohte ihm der Tod durch die Mannen des 


341 


fehmwergefränften Grafen, in den Armen der Geliebten 
verfolgte ihn der Bannftrahl, welcher ihn ausſchloß 
von der Gemeinde der Oläubigen und der ewigen 
Seligkeit. — Tag für Tag frallte fi) das Gefpenft 
der Angft tiefer in feine Seele, felbft Iſabella's Liebe 
Eonnte es nicht mehr werfcheuchen. Im folchem Ge— 
müthazuftand verlebte der Unglücliche viele Monden 
lang, wie ein VBerbannter auf einer Feljenflippe. Kaum 
daß er alle Wochen einmal aus feinem Gemach here 
vorging und mur auf den Balkon feines Schlofjes 
trat, um Gottes freie frifche Luft und die fchöne Natur 
zu genießen. Doch wandelte ihm einmal die Luft an, 
die er in früherer glücklicher Zeit oft genoffen hatte, 
und Die ihm oft mehr Vergnügen gemacht, ald die 
Jagd in den nahen Wäldern — die Luft, auf den 
Wellen des See's fih zu erfrifchen. Keinen Schritt 
vor feiner. Burg war er ficher vor der Verfolgung 
feiner Feinde, Die wie ein Neb feinen Wohnfig um— 
gaben — auf den Wellen des See's, fo däuchte ihm, 
war er ficher vor ihnen. Raſch ftieg er, ald «8 
dunfelte, die Wendeltreppe hinab, welche zu einem 
Ausgangspförtlein führte, 6i8 zu dem faft die Wellen 
des Sees reichten. Dort war an eifernem Riegel ein 
Nachen angebunden, auf dem er in früheren Tagen 
fi oft allein auf den Wellen des See's zu erluftigen 
pflegte. In den flieg er hinein, ergriff das Ruder, 
fuhr bis weit in den See hinein, und fehrte nach 
Eurzen Ausbleiben wieder in das Schloß zurück. Nies 
mand ſah ihn ab» und zurückfahren, und er wieder 


342 


holte Diefe Fahrt bald wieder ‚und wieder gelang es 
ihm, im Schuge der Nacht, ungefährdet in’ fein Schloß 
zurückzukommen. Beim dritten Male war es eine 
Unglücsfahrt. Schon bei feiner zweiten Fahrt war 
er ftatt ‘gegen die Mitte des See's, hinunter gegen 
die Burg Argen gefahren, und derfelben fo nahe: ges 
kommen, daß er die Leuchte des Wartthurms hell 
firahlen ſah. Dort hatte wohl der Wächter das 
Plätſchern des Nuders vernommen: Dort hatten Die 
Ritter von Hohenfels, Dienftmannen des Grafen von 
Pfullendorf, ſich ein DOeffnungsrecjt “erworben, um 
dem vogelfreien Grafen von Buchhorn nahe zu fegn. 
Da, wo die Nach in Den See minder, Tauerte Walter 
von Kohenfels jede Nacht, ſeitdem er Kunde erhalten, 
mit feinen Leuten auf einem Machen. "Graf Dito 
fuhr aus feiner Burg See über, aber noch war er 
nicht 10 Schritte cab der Burg gefahren, da fuhr wie 
ein Bliß ein Nachen auf ihn zu, mit Männern im 
eifernen Kleide, und ein fehreefliches Halt! tönte Durch 
Die Nacht über die Wellen des ftilfen Sees. Otto's 
Nahen wurde auf. einmal von eifernen Fäuften ge— 
halten, Ergid dich! fehrie Walter von Hohenfels ihn 
an. Graf Dtto, der im leichten Hauskleid ohne Waffen 
im Nachen faß, erwiederte das Wort mit einem Schlag 
feiner Nuderftange , der fo gewaltig war, wie Die 
Schläge der alten’ Fergen in der Heldenſage; aber Der 
Schlag traf nur einen Knecht des Ritters, Der zu 
Boden fank Walter von Hohenfels fprang auf den 
Machen des Grafen, und nun begann ein fehredlicher 


’ 


348 


Ringkampf. Aber während“ ſich diebeiden Gegner 
umſchlungen hielten, ſtieß der noch lebende Knecht des 
Ritters dem Grafen den Dolch in die Seite. Mit dem 
Rufe: Gott fer mir Sünder gnädig! endete der Graf 
unter den Armen des Ritters. Der Machen mit der 
blutenden Leiche des Grafen: Dito ſchwamm an Die 
Burg zurück. Noch in: der Nacht fanden die: Geinen 
die Leiche und brachten ſie vor die Gräfin. Iſabella 
fanf ohnmächtig neben: ihr: nieder und wurde Davon 


getragen, US ſie wieder zu fich kam, verlangte fie 


nochmal zu dem todten Gatten gerührt zu werden, und 
betrat langſam das düftere Gemach, in welchem — 
irdiſche Hülle rühte. 

Kein Menſch kennt die Kämpfe und Gefühle, bie 
indes armen. Weibes Herzen rasten. Ein Gefühl der 


Reue Über ihr verlorenes Leben erwachte mit aller 


Macht, die begangene Sünde mit ihren gräßlichen 
Solgen ftand klar vor ihrem geiftigen Auge und Doch 
tobte in ihrer Seele noch die Leidenschaft und der 


Schmerz um. den Verlorenen, und BR die Qualen 


der Reue zu übertäuben. 

Gottes unergründliche Barmherzigkeit aber hat noch 
nie ein armes Menſchenherz verlaſſen, und als Iſabella 
an dem Sarge kniete, Der ihn umſchloß, für Den fie 
Alles geopfert, da ſtammelten ihre Lippen faſt unwill— 
kührlich: „O heilige Jungfrau Maria Hilf mir armen 
Süuͤnderin!“ Der Schmerz ſchien feine Kraft vor dieſem 
ſüßen Namen verloren zu haben, die Thränen der 
Verirrten floſſen lange, und als fe ſich endlich erhob, 


+ 


— 


344 


hatte jle Frieden gefunden im eigenen Herzen; Gnade 
vor dem Ewigen. 

Noch in der gleichen Nacht verließ ſie ſtill und 
ungeſehen die Burg, um in einem fernen Kloſter Buße 
zu thun über. ihrer Sünden Menge. | 

Graf Dtto von Linzgau wurde mit all ſeinem 


Stande gebührenden Ehren in dem von ſeiner frommen 


Mutter Bertha geſtifteten Kloſter Hofen an der Seite 
ſeiner Eltern beigeſetzt. Nicht lange aber war es ihm 
gegönnt, in Frieden Dort zu ruhen; er war unver— 
jöhnt mit der Kirche, im Banne geftorben, und jo ges 
bührte Die heilige Stätte ihm nicht. 

Der Bischof von Conſtanz gab den Befehl, die Leiche 
wieder auszugraben und in ungeweihter Erde beizu— 
fegen. Im wilden Taumel der Leidenfchaft hatte Otto 
die Gebote feiner Kirche mit Füßen getreten, fte fonnte 
ihm deshalb ihre Segnungen aud) im Tode nicht ge⸗ 
währen. 

Der Graf Ludwig von Pfullendorf ftarb bald nach 
der fehmerzlichen Geſchichte, Die fein Lebensglück jäh 
zerftörte und ihm den Glauben an die Menfchheit ges 
raubt hatte. Iſabella aber lebte noch lange Jahre in 
firenger Buße: ihr einzig Flehen war um Gnade für 
Dtto’8 arme Seele und um Verzeihung für Die eigene 
jchwere Schulb. 

Als endlich ihre Auge im Tode brach, ftammelten 
die Lippen noch hörbar: O du Lamm Gottes, das 
der Welt Sünde trug, erbarme dich meiner ! 


349 


Stift Comburg und Einkorn 
bei Sall. 


Auf einem freien, aus dem Kocherthal fich erheben- 
den mäßig hohen Bergkegel Tiegt das ehemalige Ritter- 
ſtift Comburg , früher Kamberg genannt, und bietet 
nit feinen uralten feften Ringmauern, feinen hohen 
Thürmen, mit feinen malerifchen Baumgrupben, Allen 
und fruchtbaren Bergfeiten, einen ungemein freundlichen 
Anblid. Im Jahr 1802 kam Comburg mit feinem 
Gebiet unter wirtemberg’fche Hoheit und wurde als— 
bald aufgehoben. Nach feiner Säcularifation war 
Comburg einige Zeit Nefidenz des Prinzen Paul von 
Mirtemberg und feiner Gemahlin, die ihm hier im 
Jahr 1808 den durchlauchtigften Prinzen Friedrich 
geboren. Zu Ende des Jahre 1816 wurde Das 


k. Ehren-Invaliven- Korps hieher verlegt. In 12 Ges 


bäuden iſt daffelbe untergebracht. Die Wohnung des 
Commandanten ift außerhalb der Ningmaner. 

Auf dem Berge, auf welchem Comburg fteht, ſtand 
einft eine Burg, die von dem nahen Fluß Kocher deu 
Namen Kocherberg, Kobenburg (nach einer Urkunde 
von Jahr 1080.oppidum Cochenburg) führte, aus 
welchem Namen dann fpäter durch Zufammenziehung 
Camberg, Comburg geworden, Auf diefer Burg ſaß 


346 


vielleicht jchon im 10. Jahrhundert eines der ebelften 
- Grafengefihlechter im Frankenlande, das mit den Grafen 
son Rotenburg an der Tauber ein und daffelbe ge— 
wefen, und den Kocer, Mulache und Tauber» Gau 
verwaltete. Der erfle dieſes Gefchlechtes, welcher ur— 
fundlich genannt wird, ift Graf Burkhard von Comburg, 
welcher im Jahr 1037 als Schirmherr des Stifts 
zu Debringen saufgeführt wird: » Zu feiner Sippſchaft 
gehörte wahrfcheinfich jener Biſchof Gekhard IH: von 
Regensburg, welcher die Stiftskirche zu Dehringen- 
gründete, und deſſen Verwandte die frühere Pfarrkirche 
daſelbſt als ihre künftige Grabftätte bezeichnet: ‚hatten. 
Da der Stifter dieſer Kirche die Vogtei über dieſelbe 
dem Grafen Burkhard übertragen, eine Auszeichnung, 
womit man nur nahe Verwandte bedachte, auch Biſchof 
Gebhard von den Gütern der Grafen von Rotenburg 
bei der Stadt Hall, wenigſtens die Hälfte beſeſſen, 
ſo iſt die Anſicht unſeres trefflichen Vaterlands-Hiſto— 
rikers, Chr. Stälins, eine ſehr annehmbare, daß 
Burkhard und Gebhard mit einander verwandt geweſen. 
Nun war. aber : Bifchof Gebhard. sein Vatersbruder 
König Heinrichs III., des Saliers, und gehörte zum 
falifchen Herzogshauſe, demnach war auch Burkhard, 
Graf von Comburg, ein Salier, und die Anficht des 
Haller Chroniſten G. Widemanns iſt eine richtige, 
wenn er ſagt, daß Graf Reichard, ein Sohn Burf 
hards, won Geblüt der Herzoge von Franken gewefen. 
Ein Sohn Burkhards, deſſelben Namens, ft Der 
Gründer des Stifts Comlburg „geworden. ' Die Ges 


347 


ſchichte dieſer Gründung: fo wie ihrer der erften Zeit 
des Stifts, iſt fo reich an Sagen, und ſo naiv er- 
zählt: von dem genannten «Georg Widemann, ESyndi⸗ 
cus zu Comburg ums Jahr 1553, daß wir vielleicht 
den Leſern Diefer Blätter einen Gefallen erweifen, wenn 
wir Die Chronik (nad) der alten Hoſch. im Jahr 1855 
Herausgegeben von Ottmar Schönhuth) in * 
alten ehrlichen Tone ſelbſt reden Tafjen. 

Es iſt geweſen ein Graf von Rotenburg an * 
Tauber, vom Geblüt Der Herzoge von: Franken, Nee 
chardt genannt, deſſen Wappen war ein güldener Lö— 
wenfopf mit einen güldenen «Sparren im Maul, im 
blauen Feld, und eine Taube mit’ ausgebreiteten Flü— 
geln auf dem Helm. Gedachter Graf’ hat ‘gehabt zween 
Brüder mit Namen Einhardt und Rüger!  Einhardt 
hatte kein Kind noch Weib, ver baute in den zwei 
Dirfern als’ Reinwolſperg und Ihüngenthal, To Dazu 
nal ihm gehört haben, zwo Kirchen anno 1025, und 
machte zwo Pfarre Daraus. Dan ’fagt auch, Daß dieſer 
Einhardt das Bethaus zu Würzburg, nun dad neue 
Münfter genannt, da St. Kilian, Colonat und Totnant 
ruhen, gebaut habe. Graf Nüger aber hat gezeugt 
zween Söhn, als Albertum und Rügern. Dieſer 
Rüger hat durch einen Wechfel das Schloß Comburg, 
dazumal Cohenburg genannt, welches durch Abfterben 
des Letzten dieſes Geſchlechts Comburg dem Biſchof 
von Augsburg als Lehenherrn heimgefallen, überkommen. 
Und hat dies Schloß Comburg Graf Rüger wie ein 
Staͤdtlein erweitert, darin ſein Hofhaltung gehabt, und 


348 


bat nach feinem Tod vier Söhne verlaffen, ala Eins 
bardt den Bifchof von Würzburg, Burkhard, Rügern 
und Heinrichen, und glaub’ ich, Daß dieſe zween 
Grafen Rüger und Heinrich auch einen Theil an der 
Graffchaft des Kochergaues gehabt haben. Graf Eine 
bardt wurde ©eiftlicher, die andern drei aber hielten 
wie die Sunggefellen Haus zu Comburg, dahin and 
umliegenden Schlöffern von Edeln und Reitern ein 
tägliches Aufreiten war, alfo daß Comburg einem 
Reiter- oder Raubhaus gleicher fah, denn einem 
Grafenhof. 

Nun war beim Schloß Comburg eine Capelle in 
der Ehre Gottes und St. Bartholomäi gebaut, iſt 
unſer Frauen Kapelle derzeit beim Kreutzgang genannt, 
dem Falle dräuend gelegen; bei dieſer Kapelle ſtund 
ein großer Eichbaum, unter welchem bemeldete Grafen 
und deren Hofgeſinde Sommerszeit pflegten zu ſitzen 
und zu ruhen. Zu einer Zeit, als gedachter Graf 
Burkhardt darunter ruhete und ſchlief, hatte es ihn 
gedünkt, als ſehe er ein Klofter anſtatt des Schloſſes 
Comburg ſtehen, und Einen in biſchöflichen Kleidern, 
eine Ruthen in feiner Hand habend, ſolches Kloſter 
damit theilend, und auf dem Berg gegenüberliegend, 
hie vor Klein-Comburg, jetzt zu St. Gülgen genannt, 
ſitzend. Solches Geſichts Graf Burkhardt ſich, als er 
erwachte, verwunderte, ſeinem Bruder Graf Rügern es an— 
zeigt und treulich dem nachgedacht, und es beherziget 
hat. Es wohnete ein andächtig Weib unten am Berg 
Kohenburg, nun Steinbach genannt, welche täglich 


349 


dieſe Bartholomäi- Kapelle befuchte, Die zeigt dem Grafen 

an, Daß an dem Tag, als der Graf ermelder Geficht 
gefeben im Schlaf, jie auch folckes, als fie in der 
Kapelle an ihrem Gebet andächtig lag, machend ge- 
feben Habe. Es follen auch die im Dorf Heffenthal 
in der Chriftnacht ein großes Getön großer Glocken 
gehört haben, davon fie erwacht, aufgeftanden feyen, 
und in ihre Pfarrkirche gen Steinbach zur Chriftmette 
gehen wollen. Als fie zur Heſſenthaler Steig ge— 
fommen, habe e3 ſie gedünft, wie fie viel brennende 
Kerzen im Schloß Comburg fehen, und Chorgefang 
hörten, darob fie fich verwundert und gedacht haben, 
es werde Chriftmetten in obgedachter St. Bartholomäi- 
Kapelle gehalten werden; haben derhalben am Schloß 
Comburg angeklopft, und zur Chriftinetten in gemeldete 
Kapelle eingelaffen zu werden begehret. Da haben 
Ale ohne die Wächter im Schloß gefchlafen, und 
nichts hiervon gewußt. Als folch Geficht deren zu 
Heſſenthal lautbrecht ift worden, haben etlich zu Stein— 
bach gefagt, fie haben folches in der Chrifinacht zu 
Comburg auch gefehen und gehört; Etlich aber haben 
ein Gefpött daraus gemacht. 

Auf eine Zeit ift ein Graf des Kochengaues, zu 
Weſtheim mwohnend, mit gedachtem Graf Burfhardten 
gen Comburg geritten, und als er zum Berg Com— 
burg kam, Hat er feinen Hut abgezogen, fich gegen 
den Berg geneigt auf dem Pferd; als aber Graf 
Burkhardt feinen Freund, den Grafen des Kochengaueß, 
warum er fich gegen den Berg neige, fragte, fol er 


350 


geantwortet haben: die göttliche, Kraft verleihe, daß 
du Dich nicht vergebens geneigt habeſt =. 
Bolgendes bat fich begeben am heiligen Pfingſttag, 
als die drei Brüder, Graf Burkhardt, Heinrich und 
Rüger, in St. Vartholomni Kapelle zu Comburg Meſſe 
hörten, welche die Brüder St. Benedieter⸗-Ordens zu 
St. Jacob zu Hall hielten, wie fie Dem. Geſang: 
„Komm heiliger Geiſt mit deiner Gnaden,“ bis auf 
den Vers ſangen: „ertheil uns deine Salbung“ — 
Da find. die Brüder zu weinen bewegt aus der Kapelle 
gangen, Graf: Burfhardts -Gefichts , das er mie. obge— 
meldet, im Schlaf unter der. Eichen gehabt, > erinnert, 
in Emma einander zu verftehen gegeben, ihr Gemüt) 
und einſtimmiger Wille ſey, Das Schloß, und ‚Städt- 
fein zu zerbrechen, und sein Kloſter an die Statt zu 
bauen. : Wiewohl von Diefer Zeit an Die drei Grafen 
gedachten, wies angeregter ihr Wille fürderlich vollbracht 
möchte werden, jedoch, weil dazumal Kaiſer Heinrich IV. 
im andern Jahr feines Reichs einen Heerzug umd 
Krieg gegen Sachjenland führte‘, : welchem ‚die zwei 
Grafen, Heinrich und Rüger, als des. römifchen Reichs 
Lehensmänner, zu ſolchem Zug eigner Perſon mußten 
reifen, wurd es eingeſtellt. Als aber ſolcher Zug in 
Sachſen vollendet, Die Grafen wieder heinigefommten 
waren, hätte mittlerer Zeit Graf Burkhardt etliche 
andächtige Brüder aus: St. Jacobskloſter zu Hall zu 
ſich genommen, fo. in oftgedachter Bartholomäi-Kapelle 
die Sieben Zeiten hielten und in —* Burkhardts Be 
hauſung wohnten.» Dergeftalten das Reitergeſinde, 


351 


welches Graf. Rüger dazumal zu Comburg bei ſich 
hatte, Graf Burfhardts Brüder Gebet verjpottete und 
verachtete die Mönche, dadurch Umeinigfeit unter beder 
"Brüder Hofgefinde entftand, und der. Grafen — 
das Kloſter zu bauen, verhindert wurde. 

Als aber Graf Burkhardt und Rüger ſich vereinet, 
daß Graf Rüger mit etlichen ſeiner Diener gen Rom 
zog, ſich etliche Zeit in Italien aufgehalten, und mitt 
lerweilen auch Graf Burkhardt das Schlog und Städte 
fein Comburg abgebrochen, darauf Graf Rüger ver- 
ritten, hat man ein Kloſter Daraus 'gebauet. Dem— 
nach hat Graf Burkhardt auf einen Tag alle fein 
und feines Bruders Nügers gebliebenes Sofgefinde zu 
fich berufen, ihnen feinen und feiner Brüder Willen 
entdeckt, daß fie Willen! wären, aus dem Schloß 
Comburg ein Klofter zu bauen, und hätten fie zu 
erachten; dag Mönche und Reiter nicht taugten bei— 
einander zu wohnen, wolle ſie hiemit deßwegen beur- 
lauben, was Lohns fie verdient haben, ihnen auch 
geben, mit einem Zehrpfennig für ihren Abzug, follten 
fomit hinziehen und ihnen andere Herren fuchen. Uber 
Graf Rügers KHofgefinde wurde  folcher Nede reufchig, 
ſagend, fie wären Graf NRügers und nicht fein Graf 
Burfhardt3 Diener, deſſen Zukunft: wollten fie er— 
warten: gab er ihnen Urlaub, mußten ſie wohl fort 
ziehen. Alfo ift Graf Burkhard von ihnen gegangen 
und hat fich bedacht, wie er Graf Rügers Hofgeſindes 
möchte los werden. Als am 26. Mat nach dem 
Morgeneſſen Graf Rügers und Burkhardts übrig Hof 


352 


aefinde zum Theil vor dem Thor des Schloſſes Com—⸗ 
burg jahen und fchwagten, hat Graf Burkhardt etlich 
feiner. geheimften Diener zu jich berufen und die Borten 
des Schlofjes und Vorhofs Comburg beichloffen, dem Hof⸗ 
gejinde ihre Fahrniß und Kleider von oben vom Thurm 
der Vorten berabgeworfen und geſchrieen: fie follen jich 
eilends padfen oder er wolle mit Steinen zu ihnen 
werfen. Da fie aber verbarret, hat Graf Burkhardt 
mit Steinen zu ihnen geworfen. Als nun das Sof 
geſind feinen Ernft geipürt, fein fie mit viel Schelt- 
und Schmäbworten von dannen zogen. Alsbald bat 
Graf Burkhardt alle Gebäu des Stättleins und Bor: 
hofs Comburg, das zur Wohnung der Mönch nit 
dienftlich, abbrechen laſſen. Alſo bat Graf Burkhardt 
den 25. Mai Anno 1070 angebebt zu bauen, umd 
den erfien Stein an das Klofter Comburg und Das 
Münfter, wie es noch ftebt, gelegt, fanımt dem Schlaf 
baus und Refentbal und Creuzgang, ausgenommen Pie 
drei jteinen Thürn, jo nit über 10 Elfen hoch, mit 
großer Müh und Koften geführt, bis Anno 1082, 
das ift nach 12 Jahr vollendet und ausgebaut worden. 

Als nach vollendetem Bau Graf Rüger wieder beim 
fam, das Schloß Comburg abbrochen und allda ein . 
Klofter mit einem ſchönen Münfter gebaut erfahe, ward 
er fehr erfreut; und ift alfo Anno 1082 an Et. 
Thomastag den 21. Decembris das Münfter zu Com 
bnurg Durch Albertum, würgburgifchen Bifchof, im Na 
men der heiligen untheilbaren Dreifaltigkeit, Ehre des 
Heiligen Kreuzes, Mariä Gottes Gebärerin, St. Nicola 








393 


und aller Heiligkn geweiht worden. Dieſer Weihung fein 
zugegen geweſen Burfhardt, Seinrich und Rüger, die 
Grafen von Rotenburg, Gebrüder , mit Graf Heinrichs 
Gemahl, Geba genannt, und vielandere Örafen und Edeln: 
Da Abt und Eonvent zu Comburg ihres Gefallens 
Macht und Gewalt hatten, Vögt oder Schirmberren 
zu nehmen, ſo finden wir Graf Seinrichen, Graf Burf- 
hards von Rotenburg Bruder, diefes Klofters erften Schirm= 
herren, nach welcher Abjterben ift Graf Engelhard von 
2obenhaufen, nach diefem ein Bischof von Mainz wor— 
den, und Anno 1106 Einer, Herzog Friedrich genannt, 
ob er aber eim Herzog in Franken oder Schwaben ge= 
weft, ift nit gewiß. Es ift nach und nach unter vers 
ſchiedener Herren Schug Ffommen, einmal auch unter 
den Schirm der Grafen von Hohenlohe und eines 
Grafen von Wirtemberg ‚' der das Klofter von einem 
neuen ungewöhnlichen. Zoll, "welchen ein. Serr zu 
Limpurg in der Haalfteig fürgenonmen, entlediget hat; 
item: untern Schirm der Stadt Hall, zulegt iſt dieſer 
Schirm als ein Afterlehen an Die Herren zu Limpurg 
erwachſen. — Folgends, als die Zahl der Brüder zu 
Eomburg zugenommen ‚ ift ſolch Klofter zu Unters 
haltung derſelben von andächtigen Perſonen reichlich 
begabt : worden, als von Pfalzgraf Heinrichen und 
feinem’ Gemahl, Frau Adelgeid, von Herrn Albrecht 
von Bielrieth, Rittern, jo mit fenent Bruder abge— 
theilt, den Kalbtheil feines Schloſſes Bielrieth am Tluß 
Bühler, ob Cröffelbach gelegen, dem Schloß Comb 
gegeben, und ein Mönch daſelbſt worden iſt. Heinri 
23 


394 


von Mulfingen und Herr Heinrich? Erzprieſter “zu 
Mürzburg, ſammt zween ſeiner Brüder von Altdorf, die 
Winthar und Rihilo genannt; item: Einer Sigiboth 
genannt, mit ſeiner Mutter, Egesbert von Heſſenthal, 
Gutta von Bockſperg und viel Andere, die haben alle 
ihr Steur und Nugung an das Klofter geben. 

Bon den oftgenannten drei Grafen von Rotenburg, 
Gebrüdern, iſt Graf Einhardt der ältefte und Biſchof 
zu Würzburg geweßt, allda er ruhet. Graf Rüger 
nahm ihm für, gen Serufalem zu reiſen, in welcher 
Reis er ift verſchieden; wo er aber. begrabeng-ift nit 
fundbar worden. Graf Burkhardt iſt ein Laienbruder 
des Convents, genannt zu Comburg, worden); und 
als er daſelbs etlich Jahr gehorſamlich unter der Regel 
St: Benedikti gelebt, iſt er dem 2. Septembris ver⸗ 
ſchieden und daſelbſt begraben worden. 

Dieſer Zeit iſt ein reicher Edelmann zu Moingg ge⸗ 
feffen, Etliche wollen, er ſei ein Herr geweßt, Wignand 
genannt, der hat feine Wohnung: zu Kaſtell, wor 
Mainz: über liegend, «gehabt, welcher ein ehelich Weib, 
Adelheid genannt, hatte; Die, fromm, gerecht, aufrecht, 
redlich gewefen: » Diefer, Mann Hatte zu Mainz einem 
alten: jteinernen Hof oder Behaufung, dem Fall dräuend, 
den: ließ 'er abbrechen, und fund im ſolchem Gemäuer 
einen. nabmbaftigen Schatz verborgen. Dieweil num 
Wignand ein Mann guts Gewiſſens nit wußte, wer 
den Schab dahin“ verborgen, wem er gehöret, oder 
wohin er gewendet werden follt, hat er nach langen 
— ‚von. Der neuen Stiftung des: Kloſters 


399 


- Somburg, und daß drei ſteinern Thürn am Münfter 
dafelbft angefangen, aber durch Abſterben Graf Burk— 
hardts, des Klofters fürnehmften Stifters, und Mangel des 
Koftens nit ausgebaut worden ſeyen, gehört: zudem, 
DaB Graf Heinrich nach dem Traume feines Bruders 
aufın Berg vor Comburg überliegend, dazumal Kleins 
Comburg zu ©. Gilgen genannt, gein Frauenklofter ° 
zu bauen fürgenommen; weldyes Wignand und fein 
Weib bewegt, daß ſie beede mit dem gefundnen Schatz 
gen Comburg Sich gefügt und begeben haben. Als 
nun die fürgenommen Gebäu und Stiftung zu Kleine 
und Großen-Comburg ihnen gefallen, haben fie den 
gefundnen Echag mit all ihrem: Haab und Gut, das 
fie zu Mainz, Eaftell und fonften gehabt, zu voll— 
bringen: beeder Klöfter Gebäu, und daß die Brüder 
und Schwefter allda wohnende, ihre Wohnung als beſſer 
haben möchten, gewendet. Anno 1108 feyn die fchönen 
ausgehauen fandfteinern Ihürn zu Comburg und das 
Srauen-Klofter dabei zu St. Gilgen genannt, wie noch 
zunv Theil vor Augen iſt, darzu obgedachter Graf 
Heinrich von Rotenburg auch fein Hülf und Steuer 
geben, durch Wignand vollendet worden. Diefer Mignand 
ift ein Mönch zu Comburg, und feine Frau Adelheid 
eine Kloflerfrau zu St. Gilgen worden: | Kerr Wig— 
nand ſtarb am andern Tag nad) Martini, liegt zu 
Comburg ‚begraben ; an welchem Tag: noch jährlich 
fein Gedächtniß gefeiert wird; aber ‚feine Hausfrau iſt 
zu: &t. Oilgen begraben.‘ Graf Heinrich von Roten— 
Burg ift, als Etliche wollen, vor feinem End regieren— 


356 

der. Kerr im Sranfen worden; er flarb den 18. Febr. 
und Tiegt zu Comburg ‚begraben. Deſſen Hausfrau 
aber foll nach feinem Tod eine Klofterfran zu St. 
Gilgen worden ſeyn, allda fie auch begraben liegt. 

Das Flöfterlich Leben zu. St. Gilgen hat erſtlich 
gepflanzt Schwefter Agnes aus Gallien, welche Graf 
"Heinrich von wegen. ihres Elöfterlichen Reben: von Barid 
zu St. Gilgen gebracht, zu einer Briorin verordnet, 
Daß fie Die andern  Klofterfrauen darin nach Regeln 
St. Scholaftifa, der Schwefter St. Benedicti, zu leben 
unterweifen: bat follen: | 

Anno 1088 hat eine edle Wittfrau, Mechtild Meer⸗ 
woltin genannt, ſo im Schloß zu Stein, zwiſchen 
Künzelsau und Ingelfingen am Fluß Kocher gelegen, 
gewohnt, zu ſolchem Schloß ein Felſen, darunter eine 
ſelbſtgewachſen ſteinern Hülen iſt, eine Kirche in der 
Ehre Gottes und St. Martini gebaut, und folche 
Kirche mit dem Schloß und aller Nugung den Klofters 
frauen zu ‚St. Gilgen, da fie auch. eine Kloſterfrau 
worden, übergeben, verhoffend, daß mit: der Zeit andre 
mehr andächtige Berfonen ihr Hülf dahin ſollten thun, 
damit: Durch die Klofterfrauen zu St. Gilgen zum 
Stein auch eine: Klaus oder Frauenkloſter eingerichtet: 
würde, aber ihr Will ift verhindert worden. Darnach 
baden ‚auch zieren Ritter von Nußbaum, Vater und: 
Cohn, beede Marguardt genannt, ihr Schloß Nußbaum, 
bei Grießen an der Jagst Tiegend mit aller Zugehör 
und Einfommen,: den Brüdern zu Comburg, Doch daß 
allweg ſolch Kirch und Wohnung, darin ſie geweſt, mit 


397 


einem oder zween Brüdern des Convents zu Comburg, 
allda  Elöfterliches Leben zu pflanzen, befeßt würde, 
übergeben. Dieſe Nutzung iſt etlich Jahr in die In— 
firmerei oder Spital zu Comburg genommen, verbraucht 
worden, nun aber iſt es in andre Sand: kommen.“ 

Sp weit wörtlih aus Widemanns Comburger 
Chronik; wir geben nun, ebenfalls aus dieſer Quelle, 
eine kurze Öefchichte der Aebte des Klofters, ſowie der 
fpäteren Bröbfte des: Stifte. 

1) Hemmo der erfte Abt, ein Conventbruder aus 
Lorch, war ein geiftlicher andächtiger Mann, haufete 
wohl undftarb bei einen Befuch zu Lorch. 2) Adel- 
ranı, unter ihm wurde St. Gilgen geftiftet , hat 
ebenfalls wohl gehauſet. 3) Abt Herdwig war 
unter allen Aebten zu Comburg der fürnehmſte, und 
wird als der dritte Stifter geachtet, denn er hat viel 
Brüder und Schweſtern zu Groß- und Klein-Comburg 
verfammelt und ein gut Exempel geiſtlichen Lebens 
vorgetragen, hat wohl gehaust, das, Klofler und Gar— 
ten, wie die noch zum Theil stehen, mit einer Mauer 
umfangen, hat geftiftet den großen übergüldeten Leuchter, 
wie ein Kron ausſehend, fo ob der Stifter Sarg 
hängt; item: zwei übergüldete Tafeln, ‚die Bildnis 
Chriſti, jüngften Gerichts, und 12 Boten-in Die eine, 
welche zu St. Gilgen auf dem vorderen: Altar fteht, 
‚geftochen, aber die andre, fo zw Comburg bornen am 
Hohen Altar steht, ift viel. größer — deren: Bild find 
außgetrieben,, und mit viel gefaßten Edelſteinen ge— 
ſchmückt; item: ein gülden Kreuz, einer: Ellen hoch, 


3383 


vier Singer breit, auch mit vielen eingefagten edlen 
Steinen, Darunter der fürnehmfte in der Mitten, ein 
Gamahu, in Größe einer Junghennen Ei, die Bildniß 
eines Mohrenangeficht3 und Bruſt habend; und hat 
das Alles zu Gnad des Münſters zu Comburg ges 
geben und ewiglich allda zu bleiben verordnet. Abt 
Herdivig liegt unter dem güldenen: Leuchter neben den 
Fundatoren begraben. 4) Abt Adelbert hat Et. 
Sofen Capelle und den Spital zu Comburg gefiftet. 
5) Bernold wurde zu einem. Abt nach: Fulda be= 
rufen; führte ein gar geiftlich: Leben. 7 1158.16) 
Engelhard Leo, liegt zu St. Jakob in Hall be— 
graben. 7) Wernher, unter ihm wurden die Ge— 
beine der Stifter, Graf Burkhardts, Graf Heinrichs, 
Herrn Wignands und Abt Herdwigs ausgegraben, und 
in feinen ſteinernen Sarg gelegt. 8) Rüdinger, 
ein Sulmeinjtr aus Sall, bat wohl. gehaust. 9) 
Volkhard, liegt in der Probfter Nußbaum begraben. 
10) Walther tr 1213, liegt in Murrhardt begraben. 
14) Eonradrder Alt, wich wegen feines Alters 
von der Abtei, an feine Stelle trat Conrad bon 
Entfee Unter dieſem wurde das Statut gemacht, 
daß Keiner, er jey Denn von Dater und Mutter: edel, 
zu Comburg zum Conventual follt angenommen‘ wers 
den, denn zuvor wurden Edle und Unedle aufgenoms 
men; aus Diefem Statut iſt aber erwachſen, daß Die 
Eonventualen im Chor Mönche, im Feld: aber Ritter 
wollten ſeyn, führten auch Panzer unter den Kutten, 
und entflunden dem Klofter Daraus allerlei Abgäng 


- 


359 


und Anlaufens. 13) Eberhard Philipp von El— 
tersbofen F 1230. 14) Emerih von Beben- 
burg... 15) Seinrih von Scheffau T 1241. 
16) Berchtold von Michelfeld, nach Andern von 
SHobenftein. 17) Siegfried von Morftein, 
welcher viele Güter zum Klojter erfaufte. 18) Hein- 
rich von Bregingen. 19) Berniger, Etliche 
“aber "wollen, Burkhard Sulmeinfter, liegt zu 
Murrbard. 20) Conrad von AnhaufenT 1273. 
29 Wolfram von Bielrieth, mit dem die Halbe 
Burg Bielrieth an Comburg kam; "auch wurden zu 
feiner Zeit die vier Pfarren Thüngenthal, Gebfattel, 
Steinbach und Künzelsau dem  Klofter inforporirt. 
22) Conrad von Münkheim regierte 41 Jahre; 
er geriet mit denen "von Hall in Fehde, zog ſelbſt 
den Banzer an, wurde aber ſchwer verwundet und 
von den’ Dalleın gefangen; nur durch Verwendung 
des Biſchofs Matthias von Mainz kam er, wieder in 
Breibeit. Auch von den Schenken von: Limpurg und 
dem Graf von Hohenlohe ward er angefochten und 
7 1365. 23) Heinrich Sieder, der den nun 
folgenden Abt zuvor verdrängt hatte. 24) Rudolf 
von Gundelshoven folgte dem vorigen, © welchen 
er zuerft hatte weichen müſſen; er war ein frommer 
‚geiftlicher Mann und hatte ‚viel Widerwärtigfeit und 
Gewalt: von feinen Nachbarn zu leiden. 25) Er— 

finger Feldner + im Jahr 1399. Als später 
(1549) fein Grab zu Comburg geöffnet wurde, fand 
‚man ‚ihn in einen hölzernen Sarg noch unverwest 


360 


liegen. . 26) Ernfried von Vellberg, unter ihn 
ftifteten Die, von Hohenſtein die Et. Micheld= Kapelle, 
er: 71421: 27) Gottfried von: Stetten;-unter 
ibm befehdete Einer von Bemberg das Klofter, au 
‚ging der Städte Srieg an, und wurden des Kloſters 
Hinterfaßen mit Brand, Schwerdt_und Raub Schwere 
lich angegriffen.» Zu Beſchützung derſelben ward; er 
gezwungen, Reiterei zu treiben, führet ſeinen Harniſch 
und Spieß, æ1451. 28) Ernfried der ander des 
Namens von Vellberg, hat! die Kaiferfiube vollendet, 
die fein Norgänger angefangen ; er: hat im Jahr 1468 
den steinernen Sarg zu Comburg, darin der Stifter 
Gebeine in drei ledernen Säcken lagen, eröffnen, und 
nach genommener  Einficht wieder verfchließen laſſen. 
29) Endres von Triffihbaufen FT 1485. 30) 
Hildebrand von Crailsheim; wider. den feßten 
ſich feine: Gonventbrüder , weil er darwider war, Daß 
man aus der Kutten wollte Us er nah Würzburg 
309 und wieder heimkehrte, da wollten fie ihn nicht 
mehr: zu Comburg einlaſſen; er zog nun gen Hall in 
feines Vettern Hans von Morftein Haus, und ſtarb 
im Jahr 1488 vor Bekümmerniß. 31) Seifried 
von Holz fonnte nicht verhindern, wa8 feinem Vor— 
fahr zuwider ‚gemejen ‚war: der langgehegte Wunfch 
der Mönche, das Klofter in ein weltliches Chorberrn- 
oder Nitterflift zu verwandeln, ging im: Erfüllung. 
In den alten Zeiten. beftand der Convent aus einem 
Abt, einem Prior, einem Kämmerer, einem antor 
und 10. bis 12 Mönchen; nun: wurde das Klofter 


361 

ein: Stift, das unter einem: Probft einen Tefan , einen 
Scholaſter, einen Bantor, einen Cuſtos und 10 Dom- 
herren haben ſollte, die alle edlen Geſchlechts, ſo wie 
zwei ſolche, die Doctoren der heil. Schrift oder der 
Rechte ſeyen, und einige Chor-Vikarien haben ſollen. 
Seifried von Holz war der legte Abt und erſte Probſt; 
ser wählte zu feinem Coadjutor den Domherrn Beter 
von Aufjeg, einen Dann hohen Verſtands und An— 
ſehens, und FT im Sahr 1504. 2) Peter v. Auf 
ſeß hat Helfen für 12000 fl. Güter verfaufen und 
Fim Jahr 1522. 3) Marfgraf Gumpreibt von 
Brandenburg wurde dritter Probft, aber er ſah fein 
Rebenlang Gomburg niemals, bielt feine Hofhaltung 
zu Rom, und ließ die Probſtei Durch den Dekan zu 
Onolzbach einnehmen. Durch ihn iſt das Kapitel hart 
‚geftraft worden. 4) Probſt Philipp, Herr zu Lim- 
purg, Erbfchene und Semperfrei wollt’ mit Marfgraf 
Gumprecht die Probſtei einnehmen, der aber iſt ihm 
vorgangen; erft nach defien Tod ift er in die Probftei 
eingefommen, er T im Jahr 1545. 5) Probſt Da- 
miel Stieber hat dem Stift in feinen Nöthen viel 
Guts gethan, ſonderlich, da der Kaifer mit feinem 
Kriegsvolk zu Rotenburg Tag, erlangte er es, daß: fein 
Kriegsvolk das Stift bejchweren follte ; aber die treu 
* Heſſen haben es nicht gehalten. 

Der letzte Prior und erſte Dekan zu — if 
geweſen Friedrich von Büchelberg, der hat wohl 
gehauſet und *1493. Der zweite Dekan war Herr 
Conrad — von Schenfenftein im Jahr 


362 


1504. Der dritte Defan Erhard: von Schaum— 
burg verkaufte. für 12000 fl. Comburgifche Güter 
an Hall, und F im Jahr: 1518. Kerr Heinrich 
von Cöln, vierter Defan, murde vergiftet, ebenfo 
ftarb der fünfte Defan Georg von Truppach, der 
nur vierzehn Wochen regierte, durch Gift. Unter dem 
fechsten Dekan, Craft von Rüringen, ift das Stift 
Comburg, er felbft, fo wie das Kapitel in große 
Schuld und Noth gefommen ; er ward im Sahr 1533 
abgeſetzt. Eucharius von Fronhofen, Der fie 
Gente Defan, haufete wohl, löste alfe Schulden und 
Zinsgeld ab, und: verrechnete Dennoch auf 3000 fl. 
Einfünfte; die Chroniften nennen: ihn deßwegen den 
Dater von Comburg. Er wehrte fich nebft. dem Ca— 
pitel vitterlich gegen den damaligen Probſt Schent 
Philipp von Limpurg, der Den Convent außerordentlich 
drückte. Auch ihm wurde Durch Eine von Steinbach 
vergeben im Jahr 1536. Er wollt, fagt der Chronift, 
urorirt haben — fo wäre alfo auch er einer. von Dee 
nen gewefen, melche in Folge der Reformation zur 
Anficht gefommen, „es ift nicht gut, Daß der Menſch 
alfein ſey.“ Der achte Defan war Eytel Traufs 
wein, Doktor der Nechte, Domberr zu Worms, hat 
die Hälfte am Kreuzgang gebaut. Wohl Durch ihn 
wurden viel juridifche Werke der Stiftsbibliothek ein= 
werleibt; er T im Jahr 1536. Der neunte Defan 
war Bernhard von Schwalbach,‘ ein Chorherr 
aus Brüffel; er ließ alle Kirchen und Kapellen ſehr 
‚abgehen, jo dag Alles baufaͤllig wurde. Vielleicht 


353 


durch” ihn Fam Die intereffante, niederländifche flam— 
maͤndiſche, Sandjchrift, welche unter andern den Reis 
neke Fuchs enthält, in die Kloſterbibliothek. Er war 
ein großer Verfechter des Fatholifchen Glaubens, weßwegen 
auch die Reformation in Comburg feinen Gingang fand. 
‚Der zehnte Defan, Erasmus Neuftetter, genannt 
Stürmer, hat, was der Borfahr beinahe einfallen ließ, 
wieder neu aufgebaut, auch. Durch mancherlei neue 
Bauten fich DBerdienfte um das Klofter erworben. 
Beſonders aber hat er fich auch. um die Nachwelt ver— 
dient gemacht, Daß er. „die Bibliothek: mit koſtbaren, 
fowohl alten als neuen Sandfehriften und Büchern 
sbereicherte ,, ja fogar einen Fond zur Fortſetzung Der 
Bibliothek aus eigenen Mitteln geftiftet hat. 

"Die Bibliothek muß früher gering und klein ges 
wefen jeyn, denn die früheren ritterlichen Mönche 
trieben fich mehr auf der Jagd und den Fehden herum, 
‘als dag ſie den Wiffenfchaften. oblagen ; fo find wohl 
wenige Bücher von den. Iebensluftigen Gonventherren 
abgefchrieben oder verfaßt worden. Durch Gragmus 
Neuftetter hat Comburg eine Bibliothek an Incunabeln 
und Handjchriften erhalten, wie ſie nur Heidelberg 
und St. Gallen anfzumeifen hatte. Der fehr gelehrte, 
um: Deutfche und nordifche Literatur und Alterthums— 
Funde. fo. hochverdiente F. D. Gräter, Neftor des 
Gymnaſiums zu Hall, hat die reiche Comburger Bib— 
lioihef vor ihrer Wanderung nach Stuttgart im Jahr 
1806. befchrieben, in feinem trefflichen Werfe Bragur 
7. Band. Diefer fleißigen Befchreibung zufolge, be— 


364 


fanden jich in der Bibliothek und find nun im Etutt- 
gart im allem 150 Bände mit Handjchriften ; ‚unter 
diefen 46 auf Pergament und ebenſo viele auf Bere 
gament- Papier. . Unter den Pergamenten gehören. noch 
den 9.,. 10. und 11. Jahrhundert ann ein Paulus 
'Diaconus von den Thaten der Longobarden,: eine lat. 
Kirchengefchichte,, ein Tat. Pfalter mit Gloſſen, die 
Briefe des Apoſtels Paulus Tat; Scholien dazu, des 
b. Bernhards Briefe: Tat, Reden und Leben des heil. 
Benedikt. Außer diefen viele noch unverglichene Int. Elafe 
fifer in Papierhandfchriften des 15. Jahrhunderts, als 
Horaz, Terenz, Dvid, Cicero, Virgil, Tacitus von 
den Sitten der Deutfchen, Blinius. Ferner Gejchichtes 
iwerfe aus dem 16. Jahrh., unter andern die treffliche, 
vollftändigfte Sandfchrift der Annalen des J. Aventin, 
7 Voliobände lat. und 4 Poliobände deutfch. Endlich 
altdentfche Kandfchriften: die 24 Aelteften von Otto 
von Vaſſau, Bud) vom Schachſpiel, ind Deutfche 


überfegt von Heinrich yon Berg im J. 1438, Ulrich 


Schmids von Straubingen Reife nach Spanien und 


Indien, die goldene Bulle u. ſ. w. Unter den felter 
nen Wiegendrucfen der Comburger Bibliothek nennen 


wir nur: ein C. Zacitus v. J. 1469, ein Doctrinal 


v. J. 1470, Ciceros Briefe v. 3.1469, des Plinius 
Briefe v. 3. 1476, Naturgefchichte v. 3. 1476, eine Tat. 
Bibel v. 3. 1471, Albrechts von Eyb Margarita u.a. 

Einer der fpäteren Nachfolger des Grasmus Stür— | 
mer im Jahr 1614 war Herr Conrad Lud. Zobel 


von Gibelftatt, ebenfalls ein großer Freund ber 





365 


Wiſſenſchaften, hat gleichfalls die Bibliothek: mit meh— 
reren foftbaren Merken, Handfihriften und alten Dru— 
fen ‚vermehrt, und. fie wahrfcheinlich "zuerft: in Ord⸗ 
nung gebracht; er T 1.3. 1619. Bon feinem Nache _ 
folger Hans Adam Truchfep von Hofingen wird 
gleichfalls: gemeldet, daß er ein Miffale Romanum 
mit filbernen Schildchen und Clauſuren der Stiftskirche 
verehrt Habe: Dieſer Dekan, der 15. in der Reihe, 
fällt wohl in. die Zeiten des 30jährigen Kriegs. Als 
im Jahr 1631 der ſchwediſche Obriſt Scavalygfi mit 
Gewalt die evangelifche Lehre in Comburg einführen 
wollte, da flohen die fämmtlichen Bewohner, und erft 
ım Sahr 1634, nach der Schlacht bei Nördlingen, 
fonnten die Stiftöherren wieder ins Stift zurückkehren. 
Im folgte im Amte Fauft von Stromberg, T im 
Jahr 1673, Seinrih von Dften, T: 1695, 
Ulrich Baron vor Öuttenberg. Unter letzte— 
tem wurde Die neuerbaute Stiftskirche im J. 1717 
eingeweiht, Der legte Probft und Dechant zu Com— 
burg war Joh. Gottfried. Franz Lothar von: Grei— 
fen£lau; diefer T im Jahr. 1803 und. überlebte 
die Säcularifation des Stifts, das 732° Sahre unten 
dem. Wechfel der Zeiten, bald in. Herrlichkeit: bald in 
Abnahme beftanden hatte. — Wir wenden und von der 
Chronik des Stifts, und betrachten nun Alles, was 
noch won feiner alten Herrlichkeit zugt un 

Wenige Orte unſers Vaterlandes haben: ui Reid 
thum von uralten Baudenfmalen, ſo wie andern Alters 
thümern aufzuweiſen, wie das ehemalige Ritterſtift 


366 


Comburg mit dem dabei liegenden, St. GilgensKlöfters 
fein ; darum hat auch der jo thätige württembergiſche 
Alterthumsverein vor allen übrigen «den: Comburger 
Bandenfmalen feine Aufınerffanifert gugewendet: 0% 
. Da Comburg urfprünglich aus einer Burg in ein 
Klofter umgewandelt wurde, jo mußte man auch bier, 
wie es bei den meiften alten Burgen der dal war, 
durch: mehrere Thore in. das Innere „gelangen. Die 
äußeren zwei Thore find, wenigftens in ‚ihrer jetzigen 
Seftalt, neueren Urfprungs, das dritte, wodurch man 
in den Umkreis der eigentlichen Stiftsgebäude tritt, 
ift ganz einzig in feiner. Art, und ſtammt wohl Br 
aus dem Anfange des 12. Jahrhunderts. | A 
Zunächſt über dem Thorbogen nehmen wir einem 
Bildrahmen wahr, Der: zu beiden Geiten auf Löwen— 
föpfen ruht, welche, mit einem Sparten im Rachen, 
das MWappenbild des Klofters ſind. Er iſt in ächtem 
byzantiſchem Style, nit fogenannten verwechfelten Zahn⸗ 
ſchnittreihen ausgeführt. Das Frescobild in dieſem 
Rahmen zeigte in; früherer Zeit auf himmelblauem 
Grund einen thronenden Chriſtus und zu jeder Seite 
einen knieenden Heiligen; über den Bildern waren 
Bänder: mit Schrift, die man aber ſchon im Jahr 
1840, da die Aufnahme geſchah, nimmer entziffern 
founte, In neuefter Zeit ifto das Bild ganz und gar 
übertüncht worden. : Meber dem Thorbogen zieht ſich 
ein Gang’ hin mit Arkaden im Rundbogenſtyl. Der 
Sockel dieſer Gallerie zeigt: ähnliche Zahnſchnittreihen, 
wie die am Bildrahmen befindlichen. Zu beiden Geis 










367 


ten’ des Gangs erheben ſich Thürme in zwei Store 
werken; der Einbau derſelben hat ſich nimmer er— 
halten, deßgleichen ſind auch die Dächer erſt aus neueſter 
Zeit. Die Fenſter beider Thürme, wie Die Arkaden 
der Gallerie, haben alte Säulen, welche in ihren Wür— 
felknäufen den Aufſatz tragen, der in der byzantiſchen 
Baufunft: fo häufig einen tiefen Boygenanfänger unters 
ſtützt. Zwiſchen den beiden Thürmchen befindet ſich 
ein: Gebäude 15%, Fuß breit und: 31 lang, das in 
früherer Zeit als Kapelle diente. Die Architectur des 
ganzen Thorgebäudes, das wohl wenige ſeines Gleichen 
hat, iſt in ſchönem Sandſtein ausgeführt, und zeigt 
ſowohl im Ganzen, wie im Einzelnen die ſchönſten 
Verhältniſſe. Schreitet man von dieſem Thore den 
alten Burgweg aufwärts, ſo befindet man ſich an dem 
ſogenannten Archiv. Es ift sein von allen Seiten 
freiſtehendes, im Grundriß ſechseckiges Gebäude, mit 
pyramidalem Dache. Durch den untern Theil führt 
ein aufſteigendes halbkreisförmiges Gewölbe mit einer 
Treppe zum Plateau der Kirche. Darüber befindet 
ſich ein: ſechseckiger gewölbter Raum, deſſen Gewölbe— 
rippen ih Spitzbogen durch. eine iin der Mitte ſtehende 
Säule sunterftügt s ſind. Diefer Raum ift von einem 
„unter demſelbigen Dach befindlichen Gang umgeben, 
welcher durch Arkaden erhellt, wird. Letztere Haben 
dieſelben Säulen mit Würfelfnäufen, wie die am Thor 
befindlichen. . Die das Gebäude ‚tragende: Säule, welche 
noch fo friſch erſcheint, wie wenn fte eben Dev Meipel 
verlaffen: hätte, hat sein ſchönes Kapitäl,: das aber 


368 


fon auf den Uebergang des byzgantiichen im: dem 
gothiſchen Styl dentet, wie der Tpigbogige Eingang. 
Die Winde des Gebäudes Haben noch gut erhaltene, 
ſchöne Frescogemälde aus dem 15. Jahrhundert. Ueber 
dem auf nordöftlicher Seite flehenden Altar fehen wir 
faſt in Lebensgröße den hl. Erhart, Kilian, Nikolaus 
und, Erasmus; an den vier übrigen Wänden den 
Matthäus, Marcus, Lukas und Johannes, fowie den 
Daniel, Johannes den: Täufer, Petrus und Paulus. 
Diefes Gebäude, welches wohl weit und breit das 
einzige im feiner Art ift, ſoll in uralter Zeit: eine 
Tauffapelle geweſen ſeyn, und wurde wegen feiner 
feiten Bauart fpäterhin für das Archiv beftimmt. Etwa 
40° Schritte won’ bier aus steht die leider! nimmer 
alterthümliche Kloſterkirche. Nur drei Ihürme in by— 
zantiſchem Styl der im vorigen Jahrhundert, ganz 
im Jeſuitenſtyl, umgebauten: Kirche, ragen aus dem 
Dachwerk hervor, und mahnen am die frühere Herr— 
lichkeit der wohl noch im 11. Jahrhundert begonnenen 
Kirche. Zwei dieſer Thütme ſtehen nebeneinander über 
dem Chor, ein dritter erhebt ſich in gleichen: Höhe 
über dem öſtlichen Eingang. Alles drei Thürme find 
noch gut erhalten, ‚und: zeigen beſonders in den Fen—⸗ 
ſteröffnungen die herrlichſten Sculptürarbeiten im byganıı 
tiniſchen Styl. Da auch die innere Architectur und 
Dekorirung der Kirche einer neueren Zeit (dem 18. 
Jahrhundert) angehört‘, ſo machen‘ wir den Beſucher 
der Kirche nur auf Diejenigen Merkwürdigkeiten auf— 
merffam; welche. ſowohl in Beziehumg auf Kunſt, als 


369 


auf Altertum einzig in ihrer Art find. Voran fteht 
der in der Kirche befindliche. Altar, von vergoldetem 
getriebenem Kupfer, welcher noch aus dem 12. Jahr— 
hundert ftammt. Das Antipendium zeigt den Heiland 
mit den zwölf Apoſteln in ſieben Zoll Hohen Figuren 
nach uralter Manier. Im der Mitte innerhalb eines 
oben und unten zugelpigten Ovals, welches mit präch— 
tigem Schmelzwerk umgeben iſt, ſteht Chriftus in der 
Tunika und den gegürteten Mantel darüber, die Rechte 
fegnend. erhoben, in der Linken. die Bibel haltend; 

außerhalb des Schmelzwerfs in vier Ecken je: das 
Emblem eines Evangeliften Zu beiden Seiten , in 
viereckigen, durch Schmelzwerk abgetheilten Feldern, 
erblicken wir die zwölf Apoſtel mit beigeſchriebenen 
Namen, aber ohne die ſpäter ihnen beigelegte Attribute. 
Bwifchen dem Schmelzwerk und am ganzen Rande 
herum ift Viligranarbeit mit eingefeßten, theilweife num 
‚ausgebrochenen Edelfteinen. Das Chriflusbild umgibt 
mod) innerhalb ‚des Schmelzwerks eine Infehrift in 
ſchönen Lateinifchen Verſen. Ebenfo Täuft eine größere 
um die ganze Tafel herum, welche fich auf die Apoftel 
bezieht... Weber “dem Altar: hängt ein Kronleuchter, 
Aus einem Eupfernen vergoldeten Reif yon 151 Fuß 
Durchmeſſer beftehend; an ihm find: 12 thurmartige 
Laternen in byzantinischen Style, je von verfchiedener 
Arbeit, ringsum angebracht. Um den Reif geht 
gleichfalls eine uralte Umſchrift in Minen a 
Bei una 

Außer dieſen beiden Denkmalern alter Kunft nah 

24 


370 


wir noch aufmerkſam duf drei in der Kirche befinde 

lichen Grabmäler aus verfchiedenen Zeiten. In Ber 

Sacriftei befindet fih an der Wand das Denkmal des 

Abts Seyfried von Holz. Es zeigt eine Figur in 

Lebensgröße mit einer Ueberſchrift. Im Schiff der 

Kirche, wenn man aus dem Chor tritt, an der Tech 

ten Seitenwand, fehen wir das Denkmal des Defans 

Erasmus Neuftetter, genannt Stürmer, der durch 

feine vielen Bauten ald ein zweiter Stifter des Kloſters 
zu betrachten ift. Das dritte Denkmal jtand früher 
in. einer alten, vor mehreren Jahren abgebrochenen 
Kapelle, und murde an die nördliche Seitenwand Der 
Kirche verſetzt. Es iſt ein: in Alabafter mit viel 
Sculptur  ausgeführter Denkſtein, auf dem wir eine 
fnieende Frau, einen Wolf mit offenen Rachen, umd 
einen gewaltigen Rittersmann erblieten. Georg Bhilipp 
von Berlichingen zu Dörzbach ließ ihn feiner Mutter 
Brigitta, geb. v. DVellberg, die ausdrüdflich auf Com- 
burg begraben ſeyn wollte, errichten. — Treten wir 
aus Der weftlichen Pforte der Kirche binaus, fo haben 
wir bor und den in. der Wand des Kreuzgangs ber 
feftigten Denfitein des Abts Ernfried von Vellberg, 
zu. deſſen Finfer Hand die Randinfchrift nur den Na— 
men fammt der Jahreszahl 1418 enthält. Die Ine 
fehrift zu dem: Füßen fehlt, Dagegen find von den vier 
Pamilienwappen drei gut: erhalten. Von bier aus 
kommen wir in den im alterthümlicher Beziehung: merk U 
würdigften Theil der Kirche, in Die fogenannte Bar 
tbolomäus= Kapelle, welche wegen der daſelbſt befind⸗ 












371 


lichen Grabmale auch die äußere Schenfenfapelle heißt, 
und unmittelbar an die Oftjeite der Kirche ſtößt. Wir 
gelangen zuerjt in einen Kaum, der wohl den Altejten 
Theil der Kapelle bildet. Der ganze Boden befteht 
aus uralten Grabmalen, die fo abgetreten find, daß 
man weder Bilder noch Umſchrift Darauf zu erfennen 
vermag. Diefen Raum und die eigentliche größere Schen= 
ken⸗Kapelle trennt eine Wand mit einer Rundfenjter 
Gallerie, wie wir fie beim Thor und Archiv finden. 
Die Kapelle ſelbſt Hat eine flache Dede ohne irgend 
eine Verzierung, die Winde und der Boden find mit 
zum Theil abgetretenen Grabfteinen aus ver älteften 
Zeit bedeckt, unter andern mit den gut erhaltenen 
Wappen von Bebenburg und Nechberg. Wir ermähnen 
bier nur Die wichtigften derfelben, von welchen. die 
wer ihren Namen bat. 

Der zuverläßig -ältefte ift der auf — * duhboden 
liegende⸗ ‚Herrn Friedrichs von Limpurg (T 1333) und 
feiner Hausfrau, welcher ein einfaches Limpurgiſches 
Wappen mit Umſchrift zeigt. Nicht fern von dieſem 
ſteht an der Wand eine koloſſale Figur, vom Kopf 
bis zum Fuße in Eiſen gebültt, die rechte Hand Tiegt 
an einem Dolch, der an einer Kette über die Bruft 
hängt, die Tinfe liegt am Griff des Schlachtſchwertes. 
Auf den breiten Gurt prangen Löwenbilder. Leber 
dem Arme Tiegt der Turnierhelm, weiter unten das 
Wappenfchild mit den fünf Kolben.” Der Ritter ſteht 
auf einem Drachen; über dem Kopf des Drachen ſitzt 
auf einem von der Nandeinfaſſung etwas vorfpringen- 


372 


den Fußbänkchen ein nicdliches Hündchen. Es iſt dns 
Denkmal des Schenken Albert von Pimpurg (1,1373). 
Neben ihm an. derfelben Wand fteht das Denkmal 
feines Bruders, des Schenfen Conrad (F 1376), eine 
ebenfalls Tebensgroße Figur mit dem Weinsberger und 
Limpurger Wappen und einer Umfchrift.. Das jchönfte 
Denkmal ift unftreitig das des Schenken Georg (T. 1376), 
welches an der Wand neben dem. Eingang in Die 
Sofephs- Kapelle ſteht. Die Eolofjale, ganz freiſtehende 
Nitterfigur, in einer höchſt kunſtreich gearbeiteten Ar— 
matur hält ein Banner in der Rechten; zu ſeinen 
Füßen liegt ein Löwe, zu beiden Seiten ſieht man die 
Wappen feiner väterlichen und mütterlichen Ahnen, 
nemlich: Limpurg, Hohenlohe, Weinsberg und Henne— 
berg; Thierberg, Blankenburg, Baden und Leuchten— 
berg. In der Mitte ſteht das Wappen ſeiner Ge— 
mahlin, Margaretha, Gräfin von Hohenberg. In 
dieſer Kapelle, neben dem genannten Grabmal, ſteht 
noch ein uralter ſteinerner Betpult, auf den vier Ecken 
von Säulen mit Würfelkapitälern eingefaßt, und auf 
einem gegliederten Sockel ſtehend. Dieß iſt wohl das 
wichtigſte Alterthum an dieſem Orte. Ein Schwib⸗ 
bogen verbindet Die innere, Schenken- oder. ſogenannte 
Joſephskapelle mit ihrem Chore oder. der Altarnifche, 
Eine Reihe Wappen ftellt Daran die Ahnen Schenf 
Friedrich. V. und feiner Gattin Sufanna,ıgeb. von 
Thierjtein, dar, welche auch) ‚in Den zwei entgegenges 
fegten Ecken der Kapelle lebensgroß in: Sandſtein da 
ſtehen. Er ftiftete dieſe Kapelle und ruht: vor dem 


373 


Altar. Zwifihen feinen kaum mehr Eenntlichen Wappen 
war zu leſen: Anno Domini: 1474 ſtarb der. Edel 
und Wohlgeborne Streng Herr Friedrich, Herr zu 
Limpurg, des hailigen Römiſchen Reichs Erbſchenth 
und Semperfrei. — Eines beſondern Beſuches werth iſt 
das gegenüber von Comburg liegende ſogenannte Ca— 
puzinerkloſter Klein-Comburg, welches zur Gemeinde 
Steinbach gehört. Die noch wohl erhaltene. Klofter= 
Kirche St. Gilgen iſt dreiſchiffig und im Tateinifchen 
Kreuz erbaut, mit einem halbfreisförmigen Chor im 
Innern, außen aber geradlinigt beendigt. Das Chor 
ift im: Halbkreis überwölbt. Alles übrige Deckenwerk 
aber :ift von Holz. Das hohe Mittelſchiff wird auf 
jeder Seite von drei Säulen und einem Pfeiler im 
Innern unterftüßt: © Die’ Durch Halbkreisbogen ver— 
bundenen Säulen haben Würfelfnäufe und attijche 
Bafen. Sonftigen Schmuck an Gemälden. u. Dergl. 
aus alter Zeit Hat fle feinen mehr. Das Altarbild 
ftammt aus der Gapuziner- Periode. Wie St. Gilgen, 
fo mag einft die chi zu Sen erbaut ge 
weſen feyn. 

“ Bon Comburg — wir füglich auf dem alten 
Grund und Boden des Stifts einen — auf den 
ganz wir Weiler 


Ba it Sinkorn, Il 


* ſchon ſeit alten Zeiten einen Theil der —— 
Beſitzungen des Stifts bildete. Zwar gehen wir keinen 


374 


wichtigen Alterthümern mehr nach, aber einigen „alten 
Volksſagen, und was der Freund des Alterthums nicht 
findet, Das. wird dem Freunde der Natur zu Theil — 
es iſt eine der herrlichſten Ausfichten, die wir genießen 
fönnen. Don einem 1570 Buß hohen und fleilen 
Berge fehen wir über das hallifche, Timpurg’fche und 
hohenloh'ſche Gebiet bis nach Kohenftaufen, Rechberg, 
Ellwangen und Kapfenburg, und weithin gegen Sranfen. 
Dran genießt dieſe Föftliche Ausficht von einer Hoch— 
wacht aus, welche von einem Wächter bewohnt wird, 
der fonft von hier aus mit einer Allarmkanone Feuerſignale 
gab, und zugleich dad Amt hat, die Iremden zu bee 
dienen, welche den hier aufgeftellten Tubus für Die 
fehöne Ausficht benügen wollen. 

Neben der Hochwacht fleht die Wohnung eines 
fönigl. Waldfchüsen mit Defonomie = Öebäuden. Am 
intereffanteften find uns Die noch bedeutenden Nuinen 
einer Wallfahrtskirche, welche im Jahr 1710 an Die 
Stelle einer alten Wallfahrtskirche erbaut worden war, 
und am 6. Mai 1814, durch Blig entzündet, abbrannte. 
Die alte Wallfahrtsfapelle „zu den 14 Nothhelfern* 
war vom Stift Comburg fehon in frühen Zeiten er 
baut, wohl wegen der fchönen Ausficht, Die wir immer 
bei folchen Wallfahrtöfapellen finden. Es war wohl 
eine Kleine, aber in altem Style erbaute Kapelle — 
Die, deren Ruinen noch fiehen, war, ihren Reiten nach 
zu Schließen, eine in jenem. prächtigen fogenannten 
Sefuitenftyl erbaute, wie die Stiftskirche zu Comburg. 
Noch bie zum Jahr 1803. wurde diefe Wallfahrts- 


379 


fapelle von den Sranziöfaner- Mönchen zu Klein- Com⸗ 
burg verfeben. 

An den Einforn und fein Gebiet knüpfen ſich einige 
Sagen, die fo recht das Gepräge des Volksthümlichen 
fragen. Wir geben die vom Kechberger, vom Jäger 
Cuornle und von der Teufelskanzel. 


Der Rechberger. 


Wer fennt nicht die herrliche Ballade unferes ge— 
feierten Dichter-Greifen, Ludwig Uhlands „Junker 
Rechberger?“ Woher der Stoff zu dieſer Ballade ge- 
nommen, willen wir nicht, aber fte ift nach Form und 
Inhalt ganz ſo gehalten, wie viele ſeiner freien Balladen, 
die reine Produkte ſeines großen Dichtergeiſtes ſind, 
ob ſie gleich jo naiv klingen, daß wir manchmaf glauben 
koͤnnten, er hätte fle aus diefer oder jener Chronik al- 
ter Zeit oder aus dem Munde des Volks entnommen. 
Mit großer Freude lefen wir nun in der jedem rechten 
Schwaben liebgewordnen „Schwäbifchen Familienchro- 
nik“ eines fagenfundigen vaterländifchen Schriftftellers, 
Daß ein gewifjer Sigbertus (2) in feiner Chronif von 
einem SJunfer Nechberger erzähle, der mit feinen 
Dienern einſt fremden Herren entgegen ritt und über 
Nacht in einer Feldfapelle geblieben. Da er Morgens 
‚weiter zog, ließ er feine Handſchuhe liegen, und fehiekte 
deßhalb feinen Reitknecht zurück, um fie zu holen. 
Aber, ald der Reitknecht in die Kapelle kommt, fieht 
er bort einen Todtenfarg und darauf einen leibhaftigen 


376 


Teufel fißen, der hatte ſeines Herrn Handichube an. Kaum 
hat der Neitfnecht das gefehen, fo kehrt er zu. feinem 
Herrn zurüd und erzählt ihm Die Suche. Der reitet fed- 
lich in die Kapelle zurück, reift Dem: böſen Geiſt die 
Handſchuhe aus den Händen, und ritt weiter jeined 
Megs. Ueber eine Weile begegnet "ihm eine ‚ganze 
Truppe Reiter, und bald darauf noch eine; hintennach 
aber ritt Einer,» der führte ein leeres Pferd, dieſen 
fragte Nechberger: wer fie feyen? worauf Jener ant- 
wortete: fie jeyen Das wüthende Heer. Fragte Rech— 
berger, weiter: was foll Das ‚leere Pferd bedeuten ? 
Sprach der Reiter: mein Herr der Teufel hat einen 
'getreuen Diener, der heißt Rechberger, für. den: iſt es 
beftellt, denn derjelbige foll von Heut! übers Jahr er— 
ftochen werden und auf dieſem Pferd in fein Quartier 
reiten. — Einen fhönen Schluß gibt‘ unfer edler 
Uhland, der den Junker Rechberger füglicher als einen 
ächten Schnapphahn und Heckenreiter der. alten Zeit 
darftellt, welcher endlich,, um: feine vielen Sünden ab— 
zubüßen, wie der große Wolfdietrich im der Selden- 
fage, in ein- Klofter gebt, allda im Klofterftalle der 
Pferde waltet, und richtig über ein Jährlein von einem 
fchwarzen wilden Roße mitten aufs Herz gejchlagen 
und getödtet wird, mworauf um Mitternacht an des 
Junkers Grab ein fchwarzer Reitknecht mit einem 
Rappen erjcheint, und ihn aus dem Grabe wert, daß 
er von nun an als Junfer Nechberger “auf feinem 
Rappen umber reiten muß. Und das naive Eprüch« 
lein gibt er zur Warnung: a 1:94.00 


377 


vn Das Lied it Junkern zur Lehr gemadt, , | 
eu "Daß fie geben auf ihre: Handſchuh Acht, 
2 Und daß fie: fein bleiben laſſen 

Sn der Naht am Weg zu paffen. 


Woher auch die Sage von Junker Rechberger in ibrer 
doppelten Geftaltung ſeyn mag, fo viel ift gewiß, Daß 
zwifchen ihm und dem Rechberger des Einforns ein 
enger. Zuſammenhang Statt findet. Der Nechberger 
vom Einkorn ift fein fehreckender Reiter auf: ſchwarzem 
Rappen, fondern ein neckender Berageift. Er ift ein 
ebenbürtiger Bruder des im Höhgau am Bodenſee 
weit und breit befannten Poppele von Hohen— 
fräben, jenes Bergfobolds,, der befonders in guten 
Meinjahren am See fein Wefen treibt. Der Rede 
berger ift der Spuk, Irr- und Volter-Geift des hällie 
ſchen Landes, der die Spätlinge, Die mit etwas zu 
voller: Ladung : beimfehren ; die Händler, welche ein 
nicht ganz ‚moralifches Vrofitchen im Gurt, oder ein 
dergleichen Project im Kopfe Durch die Nacht tragen, 
die menfchlichen Kater, Die. „um: Die Feuerleitern ſtrei— 
chen,“ die Fubrleute, welche, um die bei Tag in den 
Wirthéshäuſern verfäunte Zeit hereinzubringen, nächte 
Iicher Weile ihr armes Geſpann bergauf plagen, irre 
führt. Bald leuchtet er als eine Feuersbrunſt in einer 
benachbarten Drtichaft und lacht unbändig, wenn die 
Sefoppten den Erennenden Weiler unverfehrt und in 
tiefſter Ruhe finden ; bald fchreit er kläglich um Hülfe 
und jcheint ſehr befriedigt, wenn die zu Hülfe Eilens 


373 


den in eine Pfüge plumpenz bald knarrt und aͤchzt 
er als überladener Wagen mit Peitſchengeklatſch und 
Bluchen eine Steige hinauf, und ift plöglich‘ ftilfe, 
wenn die, welche Beiftand leiſten wollen, ihr eigenes 
Fuhrwerk in einen Graben abjegen; bald bumpelt er 
als ein müder gebüdter Wanderer mit: einem WMefen, 
als wünfche er Die Gefellichaft des Nachfchreitenden, 
auf einem Fußpfade voraus, und ift jühlings vers 
jhwunden, wenn Diefer von einem berabhängenden 
Baumaft emen Schlag vor den Schädel erhält oder 
feine Beine gen Himmel kehrt; bald tanzt er als ein 
Licht voraus, und verlifcht, wenn die Leute nach eins 
gen Stunden genau wieder an dem Ort anlangen, 
von wannen fie ausgegangen find. Sein Gebiet ift 
Die ganze Gegend, welche vom Kocer- und Bühler 
Flug umſchloſſen wird, alfo vorzugsmeife Die jogenannte 
thüngenthaler Ebene bis Dber- Sontheim umd das 
Bifchachtbal, fein eigentlicher Si aber der Einforn, der 
fi) zu den oben befchriebenen Operationen‘ Dadurch 
befonders eignet, Daß fich Diefer Berg ſammt feinen 
Ausläufern als einziger Höhepunft mitten in der Ebene 
erhebt, und ſomit auch bei Nacht, zumal wenn Der 
Spuf ein feuriger ift, weithin fichtbar wird. Ueber— 
Dieß führt die Landſtraße von Hall nach Ellwangen, 
welche Die einzige Communicationslinie zwifchen dem 
Öftlichen und weitlichen heil des Oberamts bildet, 
über Die nordöftliche Abdahhung des Einforns, und if, 
fomit durch ihre Frequenz ein auserlefener Schauplag 
für Rechbergers Thätigkeit. Die Sage meldet, Rech» 


379 


berger jey der Befehlshaber eines Bähnleins Haller 
geweſen, das er im Kriege, wahrfcheinlih im Städte 
frieg, entwender zum Beinde übergeführt, oder zur 
Niedermezelung in die Hände gefpielt habe und dabei 
‚ felbft umgefonmen fey. Seitdem jey er verdammt, in 
diefer Gegend, entweder weil fie feine Heimath, oder 
der Echauplaß feiner Werrätherei war, rubelos ſich 
und Andern zur Geißel umberzufpufen. Wahrfcheins 
lich fteßt Diefe Sage in Verbindung mit einer Fehde, 
welche Die Haller gegen das Jahr 1444 oder 1449 
nach ©. Widemann mit den Herren von NRechberg führ 
ten, im der fie ihnen zwei Schlöffer zerftörten und 
den umbergelegenen Wald umhieben. Als ſie ſich 
hierauf in einiger - Unordnung und mit allzumeiter 
Vorausſchickung der Neiterei beutebeladen gegen Gmünd 
urüczogen, that einer der Kern von Nechberg, im 
Bund mit dem Grafen von Wirtemberg, einen Aus— 
fall aus dem Schloß Nechberg, machte 54 Halliſche 
‚nieder und führte Deren 68 ſammt Der wieder ges 
mwonnenen Beute als Gefangene nach Göppingen. 


Sage vom Jäger Cuornle. 


Jäger Cuornle war vor nicht gar langer Zeit eim 
Borftfnecht auf dem Einforn, der hatte feine Seele dem 
® Teufel verſchrieben, Dafür, daß er alles treffe, was 
ihm vor den Schuß käme. So ward er ver Tod 
alles Wildes, aber auch der Schreden der Wildjchügen, 
deren mehr als einer feinem Geſchoß erlag. Er hielt 


380 


zugleich eine Scenfe auf dem Einforn und ‚hatte 
vielen Zujpruch von den. benachbarten Ortſchaften und 
von den angefebenften Einwohnern won Somburg, Steins 
bach und Hall; Denn er war, obſchon ein unheimlicher, 
doch ein: mohlgebildeter intereffanter Mann, von feinen 
Sitten, und das Unheimliche zieht befanntlich auch ans 
Eines Tages nun gab er Tanz ‚und: Spiel in feinem 
Haufe, zu dem fich viele und vornehme Gäſte aus den 
obigen Drten einfanden. Als der Reigen im vollen 
Zuge war, und der Einforn von. Geigen und: Flöten 
wiederhallte, wurde Cuornle plötzlich Hinausgerufen: 
es läge unter. einer nahen Eiche ein prächtiger Edel— 
birfch, dem Verenden nahe. Cuornle ging und mit 
ihm einige Andere vom Handwerk. Am Plage ange 
langt fanden fie den Hirſch nicht „ wohl aber den 
Boden und das Gebüfch umher zerftampft und zermüßlt. 
Nun hieß Cuornle die Andern zurücfbleiben > er wolle 
den Hirſch, der fich nur, ind Buſchwerk zurückgezogen 
haben könne, allein fuchen. Plötzlich hörten die Männer 
ein Ringen und ein herzzerreißendes Hülfsgeſchrei, und 
als te herzueilten, fanden fe eine große Lache Blut, 
aber weder Hirſch noch Jäger Cuornle, mehr. Seine 
Zeit war um gewefen, und entweder hatte er fie ganz 
vergeflen gehabt, um feine Angſt zw betäuben, oder den 
Teufel durch irgend eine Lift hinauszuziehen und. um 
feine Seele zu betrügen gefuchtz Per aber weiß. Zeit 
und Stunde beffer, und gebet umher, wie ein brüflender 
Löwe, zu firchen, wen er verſchlinge. Seitdem jagt 
der Cuornle oft nächtlich Durch den Forſt und führt . 


381 


die benachbarten Säger ‚welche Wilderer in ihm» ver 
muthen, irre, mit manchen Bauern dagegen feheint er 
ſich gut zu verftehen, "und ihre Büchfen zu laden und 
zu richten. Wieser fich mit Rechberger, der Daffelbe 
Revier hat, verträgt, ift nicht anzugeben, es feheint 
aber, daß fie gute Kameradfchaft Halten , denn 'alle 
Geiſter, die Menfchen irre Leiten, find verſchworen. 
Noch iſt der Zeufelsfanzel zu gedenfen, die auf einem 
wilden Hügel ftand, in einem öden und abgelegenen Wintel 
des Einfornd, wo zur Zeit eim Steinbruch. Es Enüpft 
ſich Feine befondere Sage an dieſen Ort, außer daß 
nian in alten Zeiten: oft von einem auf der Spiße 
des Hügels befindlich geweſenen runden Stein aus 
gottesläſterliche Predigten, die Niemand als der Teufel 
babe halten können, gehört habe. Der runde Stein 
iſt verſchwunden, und ſeitdem hört man hier => feine 
—“ — 


—— 
Der Buffen. 


Eine Meile öfllich von Riedlingen Tiegt der Buffen, 
der ‚audgezeichnetfie Berg in Oberſchwaben, Daher auch _ 
von Alters her der Schwabenberg (Mons Duevus), 
aud, blos Schw abe genannt. Er erhebt ſich frei 
und weithin ſichtbar in der großen Donauebene bis 


332 


zu einer Höhe von 2364 Par, Fuß (2680 Würt. F.) 
Da aber feine Grundfläche fchon ſehr hoch liegt, fein 
Fuß überall fehr breit it, fo erreicht man jene Höhe 
ganz unvermerft und mit aller Gemächlichfeit. Um 
den Berg her liegen eine Menge größere und Eleinere 
Drte, und das Dorf Offingen» Buffen reicht bis an 
den Scheitel des Bergs_hin. Die Abhänge find gegen 
Norden und Diten bewaldet, auf der andern Seite 
tbeil3 angebaut, theils öde. Der im die Länge ges 
ſtreckte Scheitel De8 Bergs hat eine ziemlich geräumige 
Dberfläche, . welche durds einen tiefen Graben in zwei 
Theile getheilt-ift. Auf dem vorderen Theil fteht die 
alte Bfarrfirche Buffen, auf dem hintern liegen die 
Nuinen der Burg Buffen. Die Augficht auf dem 
Buffen iſt unvergleichlich ſchön: ganz Oberſchwaben 
bis an den Bodenfee, den man: felbjt noch auf dem 
Kirchthurm erblickt, und das Land, bis tief nach Baiern 
binab, liegt ald eine unermeßliche Ebene vor Augen, 
und in einer unüberfehbaren Kette ziehen im Hinter 
grunde die Tyroler= und Schweizeralpen bin, oft fo 
deutlich und Elar fich darftellend, daß man jeden ein- 
zelnen Berg mit bloßem Auge, und bei günftigem 
Fichte felbft die Landhäufer von St. Gallen unter 
ſcheiden kann. Mehr als 500 Drtfchaften Tiegen 
vor dem Blicke des Beſchauers. Nur die Waldburg, 
welche näher dem Bodenfee liegt, könnte dem Bun 
den Vorzug der Ausficht ftreitig machen. © at 

Das einzige ganze noch ftehende Gebäude auf 3 
Buſſen iſt die Kirche, welche nebſt dem Gottesacker 


383 


zum Dorfe Offingen gehört; fie wurde im Jahr 1516 
von den Trümmern der vorderen Burg neugebaut, und 
1781 abermals erneuert. Sie ift der Jungfrau Maria 
geweiht, deren Bild, als mater dolorosa, fie zu einer 
ſtark befuchten Wallfahrtskirche gemacht hat. Neben 
der Kirche ift ein Häuschen, das längſt aus einer 
Eremitenklaufe zur Wohnung einer: Eleinen Bamilie 
eingerichtet worden. — Auf. den Bufjen befanden fich 
in alten Zeiten zwei Burgen; die eine hieß Die Vor— 
derburg, Die andere Die Hinterburg. Die erſtere ftand 
zunächft ‘bei der Kirche und ift ſchon im 415. Jahre 
Hundert: ein Burgftall gewefen, deffen ‚Steine: verwen— 
det wurden, Die Hinterburg , auf dem binterg, Theil 
des Bergs ftehend, und. durch einen“ Graben von der 
- Kirche, fo mie von der andern Burg getrennt, hat 
fich am längſten wohnlich erhalten. Noch bis in den 
Anfang des 18, Jahrhunderts war die Hinterburg 
bewohnbar, Denn in einer alten handfchriftlichen: „Bes 
fehreibung der fchwäbifchen Burgen und Echlöffer durch 
Ernftvon Pflummern“ beißt es: „Sonften ift das 
jegige Schloß ‚auf dem Bufjen (darinnen ſich ſchwer— 
lich ein Jäger mit der Wohnung betragen fann) gegen 
feiner alten Magnifizenz gar fehlecht und nit viel höcher 
oder beffer, dann ein vergangnes Burgftall zu rechnen, 
fintemalen nit glaublih, dag Graf Gerold, welcher 
Kaiſer Earoli Magni Schwager war, auch über Baiern 
und Schwaben ein Landvogt gewejen, und auf Diejem 
Berg zum Buffen, allda er vornemlich reſidiret, feinen 

gräflichen Stammen, als ein Graf von Buſſen, ad 


384 


posteros transmittiret hat, felbiger Zeit, dieſe Reſi— 
denz nit viel ftattlicher erbaut habe.“ Unter Der 
zerftörenden Einwirkung der Zeit iſt auch Diefe Burg 
nach und nach von fel6ft zerfallen, und es finds nur 
noch wenige Ueberrefte "won ihr vorhanden. Unter 
diefen zeichnet fi) der Rumpf eines Thurms, durch 
feine eigene Bauart, ſo wie Durch feinergewaltigen, 
wiewohl größtentgeils geplünderten "Steinmaffen aus. 
Zuverläßig war diefer Thurm die erſte Anlage einer 
Befeftigung auf dem Buſſen, vielleicht ein: römischer 
MWartthurm: An dieſen Thurm wurde: in der chrifte 
lichen Zeit eine Burg ‚gebaut, die in alten Schriften 
den Namen Suevia führte, und der Sitz eitied ge 
waltigen "Alemannifchen Häuptlings “oder Herzogs ge 
wefen seyn muß. - Vielleicht: war es ſchon Herzog 
Gotefried von Alemannien, der auf dem Buſſen ſeinen 
Sitz hatte, denn feine Nachkommen find nach ihm auf 
und um den Bufſen herum begütert geweſen. Daß 
Graf Gerold, Schwager Karls des Großen, und durch 
feine Mutter Imma Urenkel des Herzogs Gotefried 
auf Dem Berge: Buffen feinen Sitz hatte, iſt wohl 
feinem‘ Zweifel "unterworfen. In den Annalen Der 
Reichenau, ſo mie in dem Urbarium des Klofters 
Beuron heißt er ausdrücklich Graf von Buſſen. Er 
war ein. befondrer Liebling , Karls des Großen und 
Graf in der Berchtoldsbaar,, ja vielleicht Graf über 
mehrere Gate; Denn im ſchwäbiſchen Landrecht, Dem 
Echmabenfpiegel, heißt er Herzog Gerold v. Schwaben, 
und dort wird auch um fänetwillen Den Schwaben‘ 


385 


das Recht verlieben, im Streite die Vorfechter zu ſeyn. 
Es heißt darin: Kaifer Karl verlieh . den Schwaben, 
wo man um des Reiches Noth ftreiten follte, da fell- 
ten die Schwaben vor allen Andern ſtreiten, und 
joll ihr Hauptmann. feyn der Herzog. von Schwaben. 
Als Karl die bairiichen Verhältniffe ordnete, da übers 
trug er im Jahr 791 feinem Schwager Die Statt- 
halterjchaft Baierns, eine. fehr. bedeutende Stellung. 
Gerold Hatte fich ſchon in früheren ‚Kriegen, nament: 
lich im fächftfchen Kriege, ausgezeichnet: er hatte fein 
eigenes Gefolg von Vaſallen. Gerold fiel im Fahr 
799 in einem Treffen gegen die Qunnen, und wurde 
in dem Klofter Reichenau , das er fo reich begabt 
hatte, begraben. Nach einer Urkunde vom Jahr 811 
hatte Gerold einen Sohn Berthold, dem Karl Der 
Große die Vogtei über gewiffe Orte am Buſſen ab— 
genommen, weil er übel damit gehanst habe. Da- 
gegen wurde fie einem Grafen Adelbert übertragen, 
unter dem eidlichen Berfprechen, daß er ein treuer 
Vogt und Schirmer der Güter feyn wolle, welche fein 
(Karls) lieber Better Egino (Bifchof von Verona, 
‚Gründer der Kirche zu Niederzell auf der Reichenau) 
dem Klofter zu, Tirmentingen und Offingen gefchenft, 
fo wie der Güter, welche Gerold zu Unlingen, Grü— 
ningen und Altheim dem Klofter übergeben. Möchten 
wir das Erflere bezweifeln, »Daß Graf Gerold einen 
Sohn gehabt, denn ein Zeitgenofje aus der Reichenau 
jagt ausdrüdlich, dag er feine Nachkommen Hinterlafjen, 
jo ift das Andre urfundlich wahr, Daß neben Graf 
25 


386 


Gerold wirklich ein Graf Berthold Güter um und auf 
den Buſſen befeffen, denn im Jahr 790 vermacht 
derfelbe Beſitzungen an der Donau und am Buſſen 
den Klofter St. Gallen, und feine Söhne Chadaloch 
und Paldebert fiegeln mit dem Vater. Derſelbe ver- 
gabt im Jahr 802 an die Reichenau Bufjen, Offingen 
dabei (eine der Burgen auf dem Bufjen und einen - 
Antheil am Dorfe). - Dann ſchenken im Jahr 
805 Chadaloch, der ſchon genannte, und fein drit— 
ter Bruder Wago, dem Klofter St. Gallen Die 
Kirche auf dem Bufjen und die Kirche am See (See- 
firh) u. f. w. Der Vater diefer drei Brüder, Ber— 
tbold, T im Jahr 802, hatte zur Gemahlin eine ge— 
wiffe Gerfinda, und war zuverläßig ein Enfel jenes 
Bertholds, der mit feinem Bruder Nebi den heiligen 
Pirminius in der Reichenau einfeßte, und ein Enfel 
Herzog Gotefriedd gewefen. Demnach ift es fehr wahr— 
jcheinlich, daß er von Vater und Großvater feine Be— 
figungen auf und um den Buffen geerbt. So werden 
wir wieder auf den Bufjen, als einen uralten Herzogs— 
fi, gewiefen, und ed wird und auch flar, wie Graf 
Gerold, Enfel jenes Herzogs Nebi, mit den Berchtolden 
(Birtilonen) feinen nahen Verwandten, Herr auf dem 
Buſſen gemefen. — Neben Gerold und den Bertholden 
war noch Mitbefiser Egino, Bifchof von Verona, der 
von ſehr vornehmen Eltern in Schwaben abftammte 
und mit Karl dem Großen verwandt gewefen. Er 
ging wieder in Die Heimath zurück, wählte Die Reichenau 
zu feinem Aufenthalt, und gründete im Jahr 799 zu. 


387 


Niederzell eine Kirche und eine Probſtei; er ftarb alla, . 
wo noch fein Grabmal zu fehen. Auch er vergabte 
Güter zu Dürmentingen und Offingen an die Reichenau. 
— Hauptbefiger der Güter auf und um den Buffen 
find noch gegen Schluß des 9. Jahrhunderts Die 
Urenfel des genannten Bertholds, denn im Jahr 889 
beftätigen Graf Chadaloch, der noch einen Bruder 
Berthold Hatte, eine Urfunde in dem Eritgau, in dem 
Drte Puſſo (Buffen). Nach den Birtilonen finden 
wir die Grafen von Vöhringen und Nellenburg, ohne 
Zweifel ihre Abkömmlinge, im Befige der Buffengüter. 
Zu diefen gehörte wohl auch jener erlauchte Mann, 
Veregrinus, der zweite Stifter des Kloſters Buffen- 
Beuron, der nad) einem ihm in dem Klofter gefeßten 
Grabmal im Jahr 1092 auf feinem Schloffe Buffen 
oeftorben it. Im Jahr 1291 Faufte 8. Rudolf von. 
dent Grafen Heinrich von Vöhringen den Buffen und 
‚alle auf und an demfelben gelegenen Güter und Orte, 
die Sinterburg auf Demfelben und die Vogtei über 
die Kirche. Die Vorderburg (bei der Kirche) war 
Neichenau’fches Lehen, wie fi das Urbar vom Jahr 
1303 ausdrückt: „Uf dem Buffen die Sinterburg und 
ein Baumgarten unter dem Thurme (dem angeblichen 
Römerthurm) ift der. Herrſchaft (Defterreich) eigen, 
jo ift die Vorderburg Lehen von Owe (Reichenau). 
Später ging auch die Vorderburg an Defterreich über. 
Nicht unmahrfcheinlich ift e8, daß K. Rudolf von 
Habsburg, der bekanntlich für einen feiner Söhne ‘ 
wieder ein Herzogthum Schwaben errichten wollte, ‘den 


388 


Buſſenberg, an den fich Die Erinnerungen eines alten 
Herzogsfiges Fnüpften, zum Mittelpunft und Hauptſitz 
einer neuen Echöpfung erfeben. Ob je Einer vom 
habsburg'ſchen Hauſe auf der Burg Buffen ſaß, if 
nicht befannt, Dagegen faßen nach "dem genannten 
Urbar fehon im Jahr 1292 auf dem Buffen öfter 
reichifche Burgvafallen (Burgmänner, Burgbefagung), 
die von den Drten der Serrjchaft Gefälle als Sold- 
leben bezogen. Unter andern werden genannt: ein Lud— 
wig von Sornftein im Jahr 1313, Einer von Stadegen 
(Stadion), Conrad von Ramftein, Audolf von Frie— 
Dingen, die leßteren beide im 3. 1408. Diefe hatten, 
wie es fcheint, ihre eigenen Wohnſitze auf dem Buſſen, 
nabe bei den Echlöffern, denn im fpäteren Zeiten: ver- 
fauften Nachfommen derfelben diefe ihre ererbten Burg- 
gefäge CBurgftälle) als freies Eigenthum an Andere. 

Mie die meisten öfterreichifchen Befigungen in Schwa— 
ben, fo Batte auch die Herrſchaft Buffen das Long, 
mehrmals verpfändet zu werden. Im Jahr 1325 kam 
te an die Grafen von Hohenberg, fpäter an Burfhard 
von Ellerbach, und endlich an Die Truchfeßen "von 
MWaldburg, und befaß die Herrſchaft im Jahr 1398 
Hans der Truchjeg von Waldburg, der zugleich Die 
Schirmvogtei über Die Reichenau’fchen Befigungen in 
der Gegend hatte. Neben dieſen Inhabern erfcheinen 
noch als öfterreichifche WVögte Die von Stein auf dem 
Bufjen,- weil Defterreich wohl Die Landeshoheit über 
die Herrſchaft beibehalten hatte. Im Jahr 1452 vers 
faufte Erzberzog Sigmund die Grafſchaft "Friedberg 


389 


ſammt dem Schloß und Stadt zu der Scheer, dazu 
Die Vogtei auf dem Schloß und Dorf Buſſen und 
Dirmentingen an den Truchfeßen Eberhard von Wald— 
burg um 32,000 fl., auf ein Ewiges und Beftändigee. 
Derfelbe wohnte im Jahr 1483 auf dem: Buffen. 
Später fuchte Defterreich die Herrſchaft Buffen wieder 
an ſich zu ziehen. » Durch einen Bertrag vom Jahr 
41680, da Defterreich Die Herrſchaft wieder einlöste, 
blieb den Truchſeßen Buffen mit Dürmentingen als 
Lehen und ewige Mannsinhbabung.  Diefe Inhabung 
begriff die zerftörte Burg Buffen die Orte Buffifch- 
- Dffingen, Hailtingen, Unlingen, Dentingen und Alt 
beim. Im Sahr 1786 verkauften die Truchſeßen von 
Waldburg die. Grafichaft Friedberg mit Buffen und 
Dürmentingen, Dem-Lehen, für 2,100,000 fl. an. den 
Bürften Karl Anfelm von Thurn und Taxis. Im 
Jahr 1806 kam Beides unter württembergifche Dber: 
berrichaft. 

Ueber die Schickſale der Burgen auf dem Buſſen 
wiſſen wir nur ſo Viel zu berichten. Im Jahr 1358 
wurde der Buſſen von Graf Eberhard v. Wirtemberg 
nebſt den Städten Rotenburg und Horb den Grafen 
von Hohenberg und Haigerloch abgenommen. Viel— 
leicht hat die Vorderburg ſchon damals ſtarke Stöße 
erhalten. Im Jahr 1633 den 14. und 15. Dezbr. 
wurde die Hinterburg von den Schweden und Wirtem— 
bergern eingenommen und bis auf die leeren Mauerſtöcke 
ausgebrannt; doch wurde ſie wahrſcheinlich wieder noth— 
dürftig zu einer Wohnung eingerichtet. — Daß der 


396 


Buffen ein wichtiger Bunft zu Kriegsoperationen war, 
hat fih am Schluß des 18. Jahrhunderts bewährt. 
Als im Jahr 1796 Der General Defair mit dem 
finfen Flügel der franzöftfchen Armee zwifchen der 
Donau und dem Federſee eine Stellung einnahm, da 
befegte er den Buß des Buſſen mir feiner Artillerie. 
Defair, der in eigner Berfor auf den Buſſen Faur, 
warf von hier aus am 30. September die Defterreicher 
über Ahlen zurüf, und begann von derfelben Stellung 
aus, am 2. Dftober, den Angriff in der Schlacht bei 
Biberach gegen Seekirch hin. — Es beftätigt ſich mit 
dieſem unſre oben ‚auögefprochene Anficht, daß Der 
Buffen zu alfen Zeiten auch ein ſtrategiſch —— 
Punkt geweſen. 

Da nach unfrer Anſicht der Buſſen ein Wohnſitz 
des Grafen Gerold und ſeines Geſchlechts geweſen, ſo 
iſt Die Anſicht keine gewagte, wenn wir annebnten, 
daß der Buſſen auch die Wiege der edlen Schwäbin 
Hildegard gewefen, die Gerolds Schweſter und Karls 
des Großen vielliebe Gemahlin mar. 

Hier alfo die Sage von der frommen Hilvegaxb. 


Bon der frommen Saiferin Sildegard. | 


Es gefchah mit Ausgang des Jahres 776, daß Karl 
der Große fich zu einem neuen Feldzug rüftete, und 
er trat eines Morgens in das Gemach feiner Gattin, 
um ihr Lebewohl zu ſagen. Liebe Hildegard! ſprach 
er, rathe mir, wem ich in meiner Abweſenheit das 


391 


Reich anvertraue, und das beſte Kleinod, jo ich habe, 
Dich, meine Theuerfte? Mein lieber Gemahl, ant- 
wortete Hildegard, wenn ich Euch rathen darf, fo ift 
es Euer Stiefbruder Taland, den Ihr zum Reichöver- 
weſer jeget, er ift ein tugendhafter Mann, und mich 
befehlet Ihr dem, in Defien Hut Wittwen und Waifen 
fteben, denn ich werde auch eine Wittwe feyn, wenn 
Ihr von, dannen ſeyd. Sie fagte dieſe Worte mit 
vielen Weinen. Wohl mochte fie gedenken, daß ihr. 
Trauriges bevorftehe. Da ſchloß Karl feine Gattin 
in feine Arme und ſprach mit thränendem Auge: ja 
Dem, in deſſen Schuß wir alle ftehen, will ich Dich 
anbefeblen. 

Schon warteten Karls Mannen im Hofe der Burg; 
er beftieg ſchnell ſein Roß, ehe fein Schmerz laut war, 
und ritt von dannen mit feinen GSchaaren. Wohl 
mit ſchwerem Seren, denn er ahnte, es würde in⸗ 
deſſen Trauriges geſchehen. — 

Wie ihm Hildegard gerathen hatte, ſo geſchah es 
auch. Karl ſetzte mit Willen ſeiner Reichsſtände ſeinen 
Stiefbruder Taland über das Reich, und übergab ihm 
ſeine Hildegard, daß er für alle ihre Angelegenheiten 
ſorge. Ach, daß er gerade dem Ungerechten ſein beſtes 
Kleinod anvertraute! Kaum war Karl abgezogen, ſo 
trat der böfe Mann mit feinen unreinen Begierden 
und Abfichten hervor, Die er ſchon lange im Kerzen 
verborgen hatte. Seht hielt er e8 für gute Gelegen- 
beit, ald Karl abırefend war, daß er der frommen Hilde— 
gard feine böfen Wünfche vortrug. Wo habt Ihr Eure 


392 ® 


Sinne? fprach Hildegard zu Taland als er folche& 
ihr vorbrachte, wifjet Ihr nicht, Daß ich die Gemahlin 
Eures Bruder bin? und ſo Dieß auch nicht wäre, 


wie follte ich Die Treue ‚brechen gegen den, dem ih 


die Treue am Altare ſchwur? Darauf achtete aber 
Taland nicht; je mehr ſie ihn abwies, deſto mehr 
drang er in fie, und am Ende forderterer das mit 
Droben, was er Anfangs nur erbeten hatte. Das 
brachte die fromme Hildegard über die Maßen in Sorgen ; 
fie gedachte ihrer fehmweren  Ahnungen beim Abſchied, 
wie fie jetzt in Erfüllung gingen, : undı wandte ſich 
nun in ihrer Noth zu dem, der Die Bedrängten nie 
verläßt, und ihnen Hilft, oft wunderbarer Weife. Eines 
Tages, al3 fie gerade wieder von des böfen Mannes 
Anträgen beſtürmt worden war, trat Rofine von Bod— 
man, ihre Gejpielin, Die fie fich fchon lange zur innige 
ften Freundin erforen hatte, in ihr Gemach. Was 
it Euch, theure Gebieterin *: fragte dieſe, als fie Die 
Kaiferin in Thränen gerfliegen ſah. Ach, meine 
Theure! erwiederte Hildegard, nur Gott kennt meinen 
Kummer; er mag mir helfen, Menfchen können es 
nicht. So  enthüllet Doch, fuhr: Das, Fräulein fort, 
mir Euren Kummer, Ihr wiffet ja, daß Euer Kummer 
auch der meine ift, und: vielleicht Eann ich Euch Rath 
Schaffen. Mit niedergefcblagenen Augen, denn fie 
ſchämte fich, e8 auszufprechen, erzählte: nun —— 
was bisher ſich ch zugetragen hatte. 

Roſine hörte mit inniger ——— ‚als Hilde⸗ 
gard ihren Kummer erzählte — ſie ſchwieg eine Zeit 


393 


Yang, als Hildegard geendet, und begann, nachdem ſie 
ein’ wenig nachgedacht hatte: Theuerſte Gebieterin, ich 
will Euch einen Rath geben, der gut gemeint it, und 
dieſen befolget. Mit Lift müffet Ihr fuchen des böfen - 
Mannes los zu werden, denn Gewalt flieht Euch Feine 
zu ‚Gebot. Ihr müffet fuchen, ihn hinzuzuhalten, bis 
Euer Gemahl wiederfehret. Wie dieß möglich ift, da— 
rüber. habe ich eben nachgedacht, "und es beftehet darin: 
So der böfe Mann wieder Fehret mit feinen Anträgen, 
jo müſſet Ihr freundlich gegen ihn: feyn, denn leicht 
fönnte er über Euch in Zorn entbrennen, und dad 
möchte Euch Böjes zuziehen; Ihr follt alſo zu ihm 
fprecben: „Ich wäre Euch ſchon längſt zu Willen 
gewefen, aber ich feheue Den Argwohn der böfen Welt. 
Darum gehet hin, umd errichtet im einem entlegenen 
- Walde ein Luftfchlößlein, da will ich Euch Dann aufs 
fuchen, »und es mag dann’ weder Euch noch mir Böſes 
daraus erfolgen." Wenn er dieß gethan hat, Dann 
will ich Euch ſchon einen weiteren Rath geben. — 
Hildegard Danfte Herzlich ihrer Freundin, daß fie ihr 
- aus ihrer Noth helfen wollte mit Gottes Willen, und 
ſie that alſo. Taland der Böfe kam wieder; Hilde— 
gard ſprach zu ihm, wie ihre. Freundin ihr gerathen 
hatte, und Taland ging hocherfreut wieder von dannen, 
verhoffend, daß jetzt bald das Ziel ſeiner Wuͤnſche 
erreicht wäre. Sogleich ließ er tief in einem entlege— 
nen Walde ein Haus aufführen, das eher einem feſten 
Thurme, als einem Luſtſchlößlein glich, und er ließ 
daran feſte Thürme anbringen, die er verwahrte mit 


394 


ftarfen Schlöffern, denn er gedachte dort recht umge 
. Hört feine unrechten Abjichten auszuführen. Bald 
fündete er der Kaiferin an, daß der Bau nach ihrem 
Willen vollendet fey, und nie mahnte fie an ihr Vers 
jprechen. 

Nun, liebe Rofina, jprach Hildegard in der Stunde, 
als Taland fie wieder verlaffen hatte, zu ihrer Freun— 
din, nun rathe weiter, was ich anfangen foll, daß 
ich des Böfen los werde? — Das ift jest leicht zu 
rathen,, antwortete Rofina, der Böſe hat jich eine 
Schlinge bereitet, in die er jegt felbft fallen muß. 
Ihr gehet mit ihm, — fo rathe ih Euch — in das 
Schloß, fo er bat erbauen lafjen; nehmet dann den 
Schlüffel zur Hauptthüre, der Böfewicht möge zuerft 
binein_ gehen, Ihr fchlieget dann zu, und laffet den 
fchlauen Fuchs fo lange in der Grube, bis Euer Ge— 
mahl fommt. Serausfommen mag er nicht, denn wie 
ich höre, ift das Schloß feft gebaut, und feine Riegel find 
dauerhaft. — Hildegard that, was ihre Freundin ihr 
gerathen, und es gefchah auch, wie fie gehofft hatte. 

Taland der Ungetrene traute ihren Worten, und 
fo wurde der Böfewicht in feiner Grube gefangen, die 
er felbft gegraben hatte. Hildegard folgte ihm in das 
Waldſchloß: Taland ging voran in das Gemach fo 
am ftärkften verfchloffen war, und Hildegard ſchloß 
hinter ihm Die Thüre. Seht erſt that fie ihm fund, 
was fie mit ihm vorhatte. Du follft in dem Gemach 
bleiben, fprach fie, 6i8 mein Gemahl wieder fehret, fo 
mag ich verfchont bleiben von Deinen böfen Wünfchen ; 


395 


was Du bedarfit, jollft Du Haben, und nichts foll 
Dir abgeben, bis auf jene Zeit, daß mein Gemahl 
wieder fehret. Da redete-auf einmal der böfe Taland 
in einer andern Sprache: Laſſet mich Doch heraus, bat 
er, ich will Euch Fünftig mit Allem dem verfchont 
lafjen, das ich Euch zumuthete, ich will Euch zwei 
Eide ſchwören, Daß ich es halten mag. Hildegard 
hörte nicht auf die Worte des Ungetreuen, verriegelte 
die Thüre fefter und ging von dannen. Als fie nach 
Haufe fam, danfte fie Gott inbrünftig, daß er fie auf 
jolche Weile von dem böſen Manne befreit Hatte, 
Mährend dieß am föniglichen Hofe geſchah, Hatte 
Karl feine Kriegsangelegenheiten fehneller in Ordnung 
‚gebracht, ald man gemähnt hatte, und er trat flegreich 
den Rückweg nach Aachen an. Kaum hörte Hildegard 
die freudige Botjchaft, daß ihr Gemahl in wenigen 
Stunden anfonımen würde, da eilte fie in das ver- 
borgene Waldſchloß und befreite den böfen Taland 
aus feiner Gefangenfchaft, in welcher er mehrere Wo— 
‚ chen zugebracht hatte, ohne großes Auffehen des Vol: 
fed, denn man wähnte ihn auf einer Ruftreife. 
Zaland that gar freundlich gegen Hildegard, als fie 
die Thüre öffnete, und fprach mit heuchlerifchem Blicke : 
es ſoll jest alles zwifchen und vergefien feyn, was 
gejchehen iſt — aber fein Herz gedachte nicht fo, fondern 
er entbrannte voll Rachfucht, Die er auch bald auss 
brechen Tief. AS fein Bruder, der Kaifer anlangte, 
da war.große Freude in der Stadt, zu allermeift bei 
Hildegard, deren Leid jeßt wieder im Freude und 


396 


Monne verwandelt febien. Aber es ſollte nicht Tange 
fo währen; fie fonnte nur furge Zeit das Glück Des 
Wiederſehens genießen, und noch mehr des Bittern 
folgte. 

Wenige Tage waren verfloſſen, ſo trat der unge- 
treue Mann vor feinen Bruder, und brachte allerlei 
böſe Kunde über das bisherige Betragen Hildegardens: 
vor allem, Sprach er, wollte fie mich auch zw Dingen 
verleiten, die ich nur Dann erfüllen fonnte, wenn ich 
Deine Ehre hätte in den Staub treten wollen. Siehe, 
fte hat ein: Ruftfchlog im Walde bauen laſſen, von 
dem nur ich weiß, auf Daß ſie mit ihren Buhlen 
ihrer Untreue. ungeftört fröhnen könnte. 

As der Kaifer dieſe verläumderifchen Worte des 
ungetreuen Bruders hörte, da ward er im Innerſten 
betrübt. So, fprach er weinend, das ift die Treue 
die mir Die Falſche am Altare gelobte? ich will ſie 
nimmer ſehen, die Treulofe. Gehe bin, mein Bruder, 
thue mit ihr, was Dir gefällt, daß fie nicht mehr vor 
mein Angeſicht kommt, die Schlange. Das waren 
eöftliche Worte für den Böfewicht.  Sogleich fandte . 
er feiner Knechte zween aus, die mußten in der Naht 
die Kaiferin aus ihrem Gemache holen. — Was wollt 
ir? Sprach ſie überrafcht, als dieſe hereintraten, wo 
fie mit ihrer geliebten Freundin, Roſina von Bodman, 
ſchlief. Wir: wollen das Gebot unferd Herrn erfüllen, 
fyrachen  Diefe mit rober Stimme. Wer ift Denn euer 
Herr? fragte Hildegard zitternd. Unſeres Kaifers 
Bruder: auf feinen Befehl, und Der iſt auch des 


- 


397 


Kaifers Mille, ſollen wir Eud) yon! dannen führen, 
und das Weitere werdet Ihr ſehen. Ach, du böjer 
Dann, wie rachjichtig biſt du, ach, du betrogener 
Gemahl, daß du dem Rathe deines böfen Bruders 
fofgft! feufzte Hildegard. — Wohl mochte Hildegard 
gedenken, daß der böfe Taland fich durch Verläumdung 
an ihr zu rächen juche und der Kaifer feinen Worten 
glaube. — So lafjet mich doch, bat Hildegard wei— 
nend, meinen Gemahl noch einmal ſehen, und ihn 
fragen, warum mir. folches gefchebe? Die rohen Knechte 
hörten nicht auf ihre Wort. Da trat Rofina, die treue 
Maid von Bodman, hinzu und fprach: ich trenne mich 
nicht von meiner Gebieterin, führer mich auch mit ihr 
von dannen. Die Knechte wehrten ihr, aber Roſina 
lieg ſich nicht abhalten, und folgte weinend der fronmen 
Kaiferin. Stille führten fie Die beiden Frauen durch 
den Burghof; da harrete fcehon ein Wagen, in den 
wurden fie gefeßt, zu beiden Geiten die Knechte ‚die 
jie bewachen mußten... Viele Stunden waren fie ges 
fahren, da hielt der Wagen ftille, und die beiden 
Frauen hörten Das Braufen eines breiten Stromes. 
Es war der Rheinſtrom, über den eine Brüde führte. 
Seßt fteiget ab, fprachen die Knechte, bier ift Das Ziel 
eurer Reife. Die rauen fliegen ab. Es war eine 
dunkle Nacht und nur wenige Sternlein erglänzten am 
- Himmel, überall Zodesftille, nur des Stromes Wogen 
unterbrachen Durch ihre Bewegung die Stille. Im. 
dieſem Strome, Sprachen die Kriechte zu: Hildegarden, 
ſollt Ihr Euer Grab finden — fo ift der Wille unfers 


398 


Gebieterd. Hildegard weinte, als fte dieſe Worte hörte. 
Hieß mein Gemahl, der Kaifer, euch ſolches an mir 
thun? fragte fie fchluchzend. Ja, unfer Gebieter hat 
es befohlen nach dem eignen Worte des Kaiferd. Nun, 
feufzte Sildegard, wenn mein Gemahl es befohlen, 
dann müßt ihr fein Gebot erfüllen. Ih will nun 
gerne fterben. AS fie dieß gefagt hatte, nahm fie 
ihr Diadem von Gold und Edelſtein von der Gtirne 
und bot es ihrer Freundin dar. Nimm es, ſprach 
fie weinend, und trag’ e8 zum Andenken an Deine 
unglücliche Freundin. Da fey Gott für, antwortete 
fehluchzend Rofina von Bodman, ich werde Euch nicht 
verlaffen, Dieweil ich Euch Treue geſchworen bis ing 
Grab. Ach, meine Theure, bat Hildegard, folge mir 
nicht, Du haft ja feine Schuld an Allem, was fi 
bisher zugetragen. Es wird Dir Niemand Böſes zu— 
fügen, kehr' mit diefen Männern und bringe meinem 
Gemahl die Kunde, daß ich unfchuldig fterbe, Daß alles 
Lüge fey, was fein Bruder über mid vorgebracht. 
Da antwortete Rofina von Bodman: redet mir nicht 
darein, theure Gebieterin, daß ich Euch verlajfen follte, 
und von Euch umfehre, wo Ihr fterbet, da will ich 
auch- fterben und begraben feyn. Nun fprach Hilde 
gard nicht? weiter zu ihrer Freundin. Die Knechte 
nahmen jeßt Die unglücfliche Frau und führten fie an 
das Geländer der Brücke. Rofina hing ſich an ihre 
Gebieterin und wollte fich nicht von ihr trennen laſſen. 
Da riffen Die Knechte das Fräulein von der Kaiferin, 
und flürzten diefe über die Brücke in Die Wogen des 


399 


braufenden Rheinſtromes. Als Rofina ihre Gebieterin 
hinunterftürgen fah, da beugte fie fich über die Brücke 
und flürzte ihr nach. Die Knechte verliefen den Dit, 
nachdem fie ihr Gebot erfüllt Hatten, Fehrten an den 
Hof zurüf, und berichteten ihrem ©ebieter, daß fie 
jeinen Willen vollführt. Der freute fich Deffen über 
die Maaßen, denn er wähnte, e8 fey feiner Rache ein 
Dpfer geworden. Aber es war dem nicht fo. Gotted 
Hand waltete über der. unglüflichen Fürftin und der 
getreuen Jungfrau von Bodman. Das Fräulein holte 
im Sturze in das Waſſer ihre ©ebieterin ein, fie er 
griff fle an ihrem Gewande umd hielt fie feit, daß fie 
nicbt unterfanf. Sie hielt fich lange über dem Waffer, 
denn in ihrer frühen Jugend, ehe fie an den Hof der 
Kaiferin Fam, Hatte fie manchmal in des Bodenſees 
Bluthen unter der Burg ihres Vaters mit ihren Ge— 
jpielinnen durch Das Bad fich ergößt, und hatte nad) 
und nad) im Schwimmen fich. geübt; fo gefchah es, 
daß fie die Retterin der treuen Sildegard murde. Sie 
brachte fie im Schwimmen an das entgegengefeßte Ufer. 
Danfend fanf Hildegard ihrer Retterin in die Arme. 
Beide harrten nun, bis e8 Tag war, an der Brüdfe 
des Stromes. Sie machten ſich jegt auf, und gingen 
längs des Stromed; da fanden fie eine Sifcherhütte,. 
Der Fifcher öffnete ihnen, und er und fein Weib 
färften Die Ermatteten mit Speis und. Trank, Mit 
dem Morgen ging der Fifcher in die Stadt und brachte 
an den Hof des Herzogs, der daſelbſt wohnte, feine 
Fiſche. Da erzählte er unter anderem, wie am Mor: 


400 


gen zwei Srauen Lei ihm angefommen wären, die _ 
ihm vornebmer Abfunft ſchienen. Sogleich fendete der 
Herzog in die Fifcherhütte, und. Hildegard mit ihrer 
dreundin wurde an den Hof abgeholt, der Herzog 
nahm beide mit aller Würde auf, aber Hildegard vers 
ſchwieg, ſo fehr der Herzog auch in fie Drang, ihre 
Abkunft, und alles, was ihr widerfahren war. Hilde— 
gard lebte eine ziemliche Zeit: lang an dem Hofe des 
Herzogs mit ihrer. geliebten Freundin Roſina von 
Bodman. Der Herzog ehrte beide wie lieder feiner 
Familie, und bot allem auf, un den beiden Frauen 
ein angenehmes Leben zu bereiten. Beſonders mar. 
der Gegenftand feiner Aufmerkſamkeit die ſchöne Hil— 
degard; fie merkte Dieß bald, und e8 war ihr eine 
jchmerzliche Bemerfung, Denn fie hatte. bis auf Diefe 
Stunde ihren Gemahl noch nicht vergeſſen. Wirklich 
trat im furzer Zeit Der Herzog mit feiner Neigung an 
den Tag; er erklärte Hildegarden, Daß er fie von 
Herzen liebe, und feine für würdiger fände, daß ſie 
das Herzogthum mit ihm beherrjchete. Co gerne hätte 
Hildegard geftanden, daß fie fchon Gemahlin‘ eines 
Andern wäre, aber fie Hatte bei fich Das Gelübde ge- 
than, feinem Menfchen ihr trauriges Schieffal anzu— 
vertrauen. Der Herzog drang in fie, daß fie fih er— 
Fläre. Da ging fie mit ihrer Rofina zu Rathe. Das 
Ergebniß der Berathung war, Daß fie beide den Hof 
des Herzogs verließen. Wohl redete: gegen diefe Ab— 
ficht Die Danfbarfeit, Die beide gegen den edlen: Her— 
zog begten, da er bisher fo viele Wohlthaten ihnen 


401 


erwiefen hatte, und es entftand ein harter Kampf im 
Herzen der treuen Hildegard. Das Gelübde, das jie 
ſich gethan hatte, ihrem Gemahl ewig treu zu bleiben, 
ob er fie auch verfloßen hatte, ſiegte; und beide, Hilde— 
gard und Roſina, entflohen in der Nacht vom Hofe 
des Herzogs in Bilgerkleidern. Was follten fie num 
aber beginnen, wohin follten fie fliehen? das war 
jetzt Die Srage, welche die beiden Freundinnen auf 
ihrem Wege bejchäftigte. Wir wollen auf Die Burg 
meines Oheims, der am Bodenfee baufet, fprach die 
treue Maid von Bodman. Sch folge Dir, ermiderte 
Hildegard, wohin Du geheft. Nach langem Erfragen 
erfundeten fie den Weg, der nach dem Bodenfee führte. 
Ueber manche verlaffene Ebene, manche Höhe wandelte 
der Fuß des Bilgerpaars, bis fie Die erjehnten Ufer 
des Bodenſees und Die befreundete Burg Bodman er— 
reichten. Wer lange Zeit von feiner Seintath ferne 
war, der kann fich vorftellen die Freude des Fräuleins 
von Bodman, als fie den Spiegel des Seed wieder 
zum erſtenmal erblidte, an deſſen Ufer ſie in ihrer 
Kindheit Iuftwandelte und die innen der Burg, in 
der jle geboren war. Alles was fte erblickte, ſchien 
ihr wieder herrlicher. Beide Pilger wurden von dem 
Ritter Hans von Bodman voll Gaftfreundfchaft auf- 
genommen. Wie hocherfreut war er, als er ein Glied 
feiner Familie in der Jungfrau erfannte, Die neben 
Hildegard ging. Noch in jungen Jahren hatte Rofina 
die Burg verlaffen, und jest war fie zur blühenden 
Jungfrau herangewachfen. Auch hier verhehfte Hildegard 
26 


402 


ihr traurige Gefchif, und nur ahnen fonnte Hans 
von Bodman, was Die fremde Frau auf feine Burg 
geführt. Bald betrachtete der Ritter von Bodman die 
treue Hildegard und feine Nichte als liebe Hausge— 
nofjen. Hildegard gewann den Aufenthalt an den 
Schönen Ufern des Sees fo lieb, Daß fie wünfchte, 
immer bier zu bleiben. Allein nicht nur, Daß Diefer 
Drt der Gegenftand ihrer wieder ermachenden Freude 
wurde — Hildegard murde ein Segen für Die ganze 
Ungegend. Schon von früher Jugend. an hatte fie 
eine Breude an Pflanzen und Steinen gehabt, und 
ihre verborgenen Kräfte zu erforſchen gefucht. Jetzt 
wandte fie Diefe Kunde an, um manchem. Kranfen, Der 
zu. ihr Fam, ein beilfames Tränklein, oder eine wohl- 
thuende Salbe zu bereiten. Dazu hatte fie auch Die 
befte Gelegenheit, denn jene ganze Gegend, bejonders 
das fchöne Höhgau mit feinen Bergfegeln, vor allen 
der nahe Berg Twiel, brachte eine, Menge beilfamer 
Kräuter hervor. Bald erjchallte der Auf der frommen 
Hildegard vom: Bodenfee bis in die fernften Gegenden 
des Schmwabenlandes, und Jedermann fprach von Der 
frommen Frau und ihrer Heilkunde. Um dieſe Zeit 
machte Kaifer Karl eine Reife durch das Schmabenland, 
Bei ihm war fein Bruder Taland, der fchon lange an 
einer unbeilbaren Krankheit litt. Seit jener Zeit 
nemlich, als er Die treue Hildegard ind Elend ver— 
ftoßen hatte, hatte ihn der Ausſatz befallen — e8 war 
wohl ein fichtbared Strafgericht, Das Gott ob feiner 
Miffethat über ihn verhängt hatte Er reiste im 


403 


manche Lande, um fich heilen zu laſſen, aber nirgends 
fand er Heilung Als er nun feinen Bruder Durch 
Schwaben begleitete, da hörte er von der frommen 
Hildegard am Bodenſee. Sogleich entjchloß er fich, 
den Weg dahin zu machen. 

Unterwegs hörte er, daß die fromme Frau feit 
längerer Zeit oft Konſtanz befuche, um Dort viele 
Kranke zu heilen, die in dieſer fchönen Stadt fich ein- 
fanden. Er z0g mit feinem Bruder, Der gerne auch 
einmal Diefe Stadt befuchte, gen Konftanz. Als Taland 
in Konftang ankam, fuchte er die Wohnung der Wun— 
derthäterin auf. Man zeigte ihm Diefelbe: es war 
eines der unanfehnlichften Häuslein der Stadt. Che 
er eintrat, Fam ihm die treue Maid von Bodman ent 
gegen und fragte nach feinem Begehren. Zaland ers 
fannte fie nicht, und fagte ihr, wer er fey und was 
er wolle. Roſina erzählte ihrer Gebieterin, daß Ta— 
fand, der fo groß Unglüf über fie verhängt, ihrer 
Hülfe begehre. Die foll ihm werden, fprach Dildegard, 
und man fah ihr in ihrem Tiebevollen Blide an, daß 
fie alles das Unrecht vergeffen hatte, fo er einft gegen 
fie verübt. Ich danke Gott, fprach fie, daß er mir 
Gelegenheit gibt, feurige Kohlen zu fanımeln auf Das 
Haupt meines Feindes. Gehe Hin und fage es ihm, 
aber zubor möge er hingehen in die Münfterfirche und 
feine Sünden befennen: dann erfi werde Die Arznei 
helfen, welche fie ihm fenden werde. Roſtna ging hin, 
und fprach zu Taland, wie ihr Hildegard befohlen 
hatte, Taland that nach dem Wort der Jungfrau: 


404 


jegt jandte ihm Hildegard eine Arznei, und Taland 
war in furzer Zeit genefen. 

Das vernahm Kaifer Karl; fogleich fandte er nach 
der mwunderthätigen Frau, denn er wünfchte, fie Eennen 
° zunlernen. Da ließ ihm Hildegard fagen: fie würde 
wohl vor ihm erfebeinen , aber fie Habe das Gelübde 
getdan, nur im Hauſe des Herrn. fi) vor dem Mens 
hen zu zeigen. Mit dem frühen Morgen erichien 
der SKaifer, begleitet von feinem Bruder, Dem wieder- 
genefenen, in dem Münfter zu Konftanz. Berfchleiert 
trat Hildegard vor ihren Gemahl, Daß er fie nicht 
erfannte. Großmächtiger Kaifer, begann Hildegard 
nit verftellter Stimme, Ihr wollet wiffen, wer ich ſey — 
e8 ſey Euch denn fund getban, aber zuvor gebt mir 
das Derfprechen, daß Ihr eine Bitte erfüllet, welche 
ich Euch dann vorlegen werde. Es iſt eine Bitte, Die 
Ihr nie bereuen werdet. Sch verfpreche e8 Euch, 
wunderthätige Frau, gelobte der Kaifer. Da ſchlug 
fie den Schleier zurück, und feine verftoßene Gattin 
fland vor ihm. Können die Todten auferftehen? rief 
Zaland, und er fanf blaß nieder am Kirchenftuhle, 
Hildegard iſt unfchuldig! feste er hinzu mit zitternder 
Stimme. Meine Hildegard unfchuldig ? rief Karl hucher- 
freut, und er ſchloß fie in feine Arme.  Kannft Du 
mir verzeihen? fprach Karl. Sch verzeihe Euch, mein 
theurer Gemahl, aber Ihr müßt dem verzeihen, ver 
fein Unrecht bereut hat, antwortete Hildegard, Ih 
wills um Deinetwillen, Da trat Roftina von Bode 
man hinzu, und alle drei dankten Gott für ferne 


405 


wunderbare Führung. Karl und Hildegard Iebten 
noch lange glücklich mit einander, 


XXIV. 
Kloſter Marienbers. 


Klofter Marienberg, Kloſter Berg zur lieben 
Srauen, auch häufig blos Klofter zum Berg 
genannt, liegt fehr maleriſch auf einem Felſen über 
der Lauchart, Hat noch gut erhaltene Gebäude und 
eine Eleine, aber fehöne Kirche. Das Klofter, wozu 
noch mehrere Dekonomie - Gebäude, auch eine Mühle 
gehören, wurde im Jahr 1682 neu erbaut, bat aljo 
nichtö alterthümlich Merkwürdiges mehr aufzuweifen. 
Auf der Anhöhe, da das Klofter zum Berg erbaut 
wurde, fand fchon in alten Zeiten ein armfeliges 
Beguinenhaus mit einer Eleinen Kapelle, das Frauen 
vom Auguftinerorden bewohnten. Dem Ktlöfterlein 
gegenüber ftand das Schloß Altenburg, welches dem 
Grafen Hugo von Montfort gehörte, und num bis 
auf etliche Hefte vom Burggraben verſchwunden ift. Gin 
Unglüf in der Familie des Grafen gab Veranlafſung zur 
Gründung eines förmlichen Klofters. Hören wir darüber 
den noch vorhandenen Stiftungsbrief vom 6. April des 
Sahres 1265, in dem fich Graf Hugo von Montfort, 


406 


der Stifter alfo ausdrückt: „Wir hatten zwei Söhn— 
fein, Die aus unjerem Schloß Altenburg an den Fluß 
hinab gingen, um zu baden; als fie fich gebadet, 
legten fie fih im einen Heufchuppen, Der nicht weit 
von Schloß entfernt, anf das Heu und fchliefen fanft 
ein, Wie nun durch Zufall neues Heu im Schuppen 
aufgehäuft wurde, find fie ohne Zweifel nach Gottes 
Millen erftidt. Nachdem wir mit großem Jammer 
und Herzeleid einige Wochen eifrige Nachfuchung nach 
unfern Söhnlein angeftellt und fie nicht finden Fonnten, 
dr haben wir den allmächtigen Gott und die Jung» 
frau Marta inftändig angeflehbt, er möge und folcher 
Gnade würdigen, Daß, wo wir unfre Söhnlein Teben- 
dig oder todt finden würden, wir. zu Ehren und Lob 
Gottes des Allmächtigen, auch der Gottesgebärerin, 
der Jungfrau Marta, zum ewigen Gedächtniß ein Klofter 
bauen wollen.”  Wirflich wurden die beiden Söhnlein 
mit Anfang des Frühlings unverwest unter dent Heu 
gefunden. Graf Hugo von Montfort, eingedenf feines 
Gelübdes, ftiftete nun ein Klofter zu Lob des all- 
mächtigen Gottes und feiner Mutter Maria, auch zu 
Ehren des h. Benedikts, und gab dazu dad Eigen- 
thum von Altenburg mit der Vogtei und allen Gütern, . 
als Wiefen, Feldern, Waiden, Fiſchenzen und Wäldern, - 
nebft einer Mühle; auch vergabte er noch fünf Pfund 
Hellerzing, Tübinger Münze, welche er mit feinen Mite 
erben vom Orte Oamertingen zu beziehen hatte. Die 
eigentliche Uebergabe gefchah Durch die Hand des Grafen 
Wolfrad von Vöhringen. Das Andenfen des Stifters 


407 


it durch ein noch im Klofter aufgehängtes Gemälde 
verewigt. — Die neue Stiftung hatte gleich im erfien 
Jahre Widermwärtigfeiten zu erdulden. Neidifihe, bös— 
geſinnte Menſchen fielen in das Klofter ein und jagten 
die Priorin mit ihren Schweftern hinaus, Die Dabei 
alle ihre Habe verloren. Doch nicht lange dauerte 
das Eril ver frommen Schweftern, denn im Jahr 1267 
jammelte Biichof Eberhard von Conſtanz die Zerftreu- 
‘ten wieder, feßte fie wieder ein und nahın fte in —* 
beſondern Schutz. 

Auch die Grafen von Wirtemberg machten ſich um 
das Kloſter verdient, denn laut einer Urkunde vom 
Jahr 1271 ſchenken und beſtätigen die Grafen Ulrich 
und Eberhard von Wirtemberg, auf Bitte ihres Vetters 
Graf Wolfrad von Vöhringen, der Priorin und dem 
ganzen Convent zu Marienberg die Vogtei des Städt- 
leind Brunnen, und all ihre Recht in dem Städtlein 
felbft, wie es ihnen fchon ihre Vater Ulrich gefchenft 
hatte. Berner betätigt Graf Eberhard von Wirtem- 
berg im Jahr 1288 die- Schenkung feines ehemaligen 
Bafallen Swigger von Truchtelfingen, beitehend in 
einigen Gütern zu Truchtelfingen und Steinhülben. 

Im Sabre 1281 wurde das Klofter vom Pabſt 
- Sohann XXL. in Schuß genommen. Im Jahr 1293 
übergab es der Bifchof Rudolf von Conftanz dem Abt 
und Convent Zwiefalten in Schuß und Schirm, und 
unterwarf es deſſen Obrigkeit in leiblichen wie in 
geiftlichen Dingen. Im der Folge jedoch nahmen ſich 
des leiblichen Schirms immer die Herren von Gamer- 


408 E 


tingen und Hettingen an, und der Abt von Zwiefalten 
war immer nur der geiftliche Obere. Im Jahr 1523, 
ald Die Herren von Speth zu Gamertingen Kaftenz, 
Schutz⸗ und Schirmvögte des Klofters geworden waren, 
entftanden bald allerhand Mißhelligfeiten. Der Con— 
vent zu Marienberg fündigte ihnen den Schirm auf, 
erkannte aber fpäter wieder die Herren von Speth ala 
Schirmvögte an, und gab eine jährliche Schirmsfrucht. 
In der Folge machte fich das Klofter ganz und gar 
los, und war frei und unabhängig, ohne jedoch ein 
immatrifulirtes Neichöflofter zu feyn. Im Jahr 1802 
wurde Marienberg von Württemberg in Beſitz ges 
nommen, aber es. behielt feine Cinrichtung. Man 
beließ die ſieben Klofterfrauen, Drei Schweftern und 
einen Beichtyater, um bier den Reſt ihrer Tage zu ver- 
leben. Noch im Sahr 1835 war das Klofter von 
Nonnen bewohnt. - Die Nonnen find nunmehr ſämmt— 
fich abgegangen, und das Klofter hat eine andere fchöne 
Beftimmung erhalten, wodurch es der Menfchheit wohl 
nüßlichev geworden ift, al3 in früheren Tagen. Der 
ehemalige rühmlich bekannte Arzt, Dr. Röſch zu Urach 
und der edle Pfarrer Geßler, nunmehr zu Graben 
ftetten, entwarfen den Blan zu einer Rettungsanftalt 
für förper- und geiftesfchmwache Kinder, und erkannten 
diefes im gefunden Albthal Tiegende Klofter für ein 
taugliches Afyl zu einer Seilanftalt. Das SHerzeleid 
trauernder Eltern gab dem Kloſter Marienberg feine 
Entſtehung — ſchon manchen trauernden Eltern ift 
hier ein Kind von Leiden genefen, und fie haben, wie 


409 


einſt Graf Hugo und feine Gattin, für ihre wieder- 
gefundenen Söhnlein fo Gott Lob und Preis dDargebracht 
für ihre Kinder, die ihnen der Helfer über alle Helfer 
von Neuen gefchenkt, und haben danfbar ind Herz ges 
graben die Namen der edlen eg Stif- 
ter der Anftalt. 


Die Kinder von Altenburg. 


Das Schloß Altenburg hatte eine herrliche Lage. 
Auf einer mäßigen Anhöhe reigend- gelegen, beherrſchte 
es ftolz Die nächfte Umgebung und fpiegelte fich in den 
fryftallhellen Wellen der nahen Lauchart. 

Graf Hugo von Montfort, der Beſitzer dieſer ſchönen 
Burg, hatte ſich mit feinem: trauten Weibe und zwei 
blühenden Knaben hieher zurück gezogen. - Müde von 
dem Geräufche der Welt, gab es für ihn Fein liebli— 
cheres Nuheplägchen, als Schloß Altenburg im flillen 
Albthale, und frohe Tage zogen von nun an über 
den Häuptern diefer glücklichen Familie hin. Der 
Eltern innigftes Beltreben ging dahin, ihre Kinder zu 
guten Menfchen zu bilden und Pie jungen Kerzen mit 
treuer Sand zu leiten. Diefe fehöne, heilige Sorge 
umfaßte ihr ganzes MWefen, und e8 war eine Freude, 
der Kinder fröhliches Gedeihen und der Eltern rührende 
Sorgfalt, fie vor Allem zu ſchützen, was der Seele oder 
dem Leib gefährlich Hätte werden fünnen, zu beobachten. 
Eines der Tiebften Vergnügen der beiden Knaben in 
den Sommermonaten war das Baden in den Fühlen, 


410 


Elaren Fluthen des Fluffes, welcher in der Nähe: der 
Burg vorbeiftrömte, und fie meilten beſonders gerne 
in den Abendftunden in dem erfrifchenden Elemente. 
Eines Tages kehrten fie nicht zurück; die Abendglocken 
waren längft verflungen und. die Dämmerung hatte 
ihren Schleier über die Gegend gefenkt, als die bes 
forgten Eltern felbft an’3 Ufer eilten, um die Lieblinge 
zu fuchen. Das Maffer war nicht reißend und hatte 
feine bejondere Tiefe; am Geſtade fanden fich Feine 
Kleider und fo war das Ertrinfen der "Kinder nicht 
wahrfcheinlich: dennoch zeigte fich Feine Spur derfelben 
und Das ängitliche Aufen der armen Eltern blieb un- 
beantwortet. Der Vollmond beleuchtete in Diefer Nacht 
eine Scene der Angft und des Schredene. Alle Be— 
wohnet der Burg und der nächften Umgebung verein- 
ten fich, um die Verlornen zu fuchen. In dem nahen 
Malde wurde das Wild vom Fadkelfchein und lautem 
Rufen aufgefiheucht, fein Winkel blieb undurchfucht, 
aber fein Erfolg frönte das redliche Mühen. Gerührt 
von dem Jammer der verzweifelnden Mutter, fegte man 
die Nachforfchungen noch den ganzen folgenden Tag 
fort, umſonſt — die Kinder waren und blieben fpurlos 
verfchmunden. Keine Worte können den Schmerz des 
Herrn von Altenburg und defjen Gattin befchreiben, 
weil feine erfunden find, Diefes entfegliche Weh zu 
malen. AL ihr Glück, ihre fühen Hoffnungen waren 
zertreten und fie fanden eine troftlofe Dede, wo früher 
Alles voll Leben und Sonnenfchein gewefen war! Im 
ihrem berbften Schmerze beteten fie gläubig zu Gott 





4li 


um Gnade und Erbarmen, und gelobten mit frommem 
Einne, an der Stelle, wo immer ſich die erfte Spur 
von ihren Knaben zeigen würde, ein Klofter zu bauen. 
Der Herbft und ein endlos Tanger Winter: waren ver- 
floffen, die erften Schneeglöckchen erhoben schüchtern 
‚ihre Köpfchen, Die Sonnenftrahlen vergoldeten mit 
neuer Bracht die entlaußten Bäume, al3 wollten fie 
die jungen Knoſpen zum froben Leben weden: aber 
fein LKichtftrahl Hatte je das Dunfel erhellt, dad über 
dem Schickſale der verlornen Kinder ruhte. Eines 
Tages gingen Die Knechte aus einer Scheune, Die Der 
Burg gegenüber lag, Heu zu holen, welches im ver— 
flojjenen Jahre dorthin gebracht und feither unberührt 
geblieben war. Dort in Mitte des Schoberd fanden 
fie Die zwei Leichen! — Da lagen die einft fo blühen«- 
den, boffnungsvollen Knaben, der Troft und die Freude 
der Eltern und all der milde Schmerz derfelben fonnte 
fte nicht wecken! Die Knaben hatten wahrfcheinlich 
nach dem Bade fich niedergelegt, um ein wenig zu 
fchlafen, waren von den Knechten nicht bemerft und 
mit Heu bedeckt worden, unter welchem fie erftickten. 
Dem Gelübde gemäß erbaute der Graf von Montfort an 
der Stelle der Scheune ein Klofter und gab ihm den 
Namen „Marienberg. Zwölf fromme Sungfrauen 
weihten bier ihr Leben dem Kern, und Die Eleine 
Gemeinde blühte unter dem Schutze der Öefegneten 
unter den Weibern.: Der treue Gott, auf den Die 
unglücklichen Eltern’ in ihres Lebens herbſtem Wen 
vertrauten, fenfte in ihr Herz den Frieden, den die 


412 


Melt nicht geben kann und vereinte fie nach einem 
fanften Tode wieder mit Jenen, die fie bienieden am 
Meiften geliebt. Ihre Leichen ruhen nebft denen ihrer 
Kinder unter dem SHochaltare der Klofterfirche, deren 


fromme Stifter fie gewejen. 
2ina Welebil. 


XXV. 
Die Wurmlinger Kapelle 
bei. 3.05 In ac, 


Ganz abgefondert erhebt ſi ch über den Dörfern. 
Wurmlingen und Hirſchau ein runder fteiler Berg, 


. auf deſſen Spige wunderlieblich eine Kapelle pranget, 


die und an das fehöne Lied unferes L. Uhlands mahnt: 


Droben ftehet die Kapelle, 
Schauet ftill ins Thal hinab. 


Gegen das Ammerthal Hin ift der Berg weniger ange 
baut, gegen das Nedarthal, beſonders Kirfchau zu, 


iſſt er vom Fuß an beinahe bis zur Höhe mit Wein- 


bergen —— Der Weg, der uns an die Kapelle 
führt, ztehk ſich an letzterem bin und iſt faſt einer der 
ſteilſten, * er auch manchmal ermüden, wir werden 
reichlich fuür unſere Mühe belohnt. Iſt die Höhe er— 


413 


reicht, jo treten wir Durch das fehwarze Thörchen rechte, 
das zu dem, die Kapelle umgebenden Friedhofe fuhrt. 
Mit Hecht hat eine neuere Hand auf dieſes Thörchen 
die Mahnung zur Mildthätigfeit gefchrieben, in früherer 
Zeit war es wohl nie nöthig gewelen. Das erfte 
nun, was ir thun, ift, daß wir im Innern des 
Friedhofes Die Hunde un Die Kapelle machen, um der 
herrlichen Ausficht zu genießen, die und Durch die 
Deffnungen der altergrauen Mauer und über das alte 
zerfallene Gemäuer felbft hinaus zu Theil wird. Mit 
Einen Blicke überfehen wir das ganze Neckarthal von 
Rottenburg bis Derendingen, und noch einen großen 
Theil des Ammerthals. Am weftlichen Buße des 
Berges liegt Wurmlingen, am öftlihen Hirſchau. 
Längs dem Neckarthale Tiegt Rottenburg mit feinen 
Thürmen, und in feiner Nähe rechts der hohe Wart: 
thurm, links die wenigen Nefte der Weilerburg; an 
Rottenburg ſich anfchliegend in einer fchönen Reihe 
hinunter die Dörflein Kiebingen, Bühl, Kilchberg, 
Meilheim und Derendingen, (die Stadt Tübingen ver- 
bergen die öftlichen Berge). inter Diefen Dörflein 
zieht fich die bläuliche Albfette bin, an Die noch der 
ichwärzliche Streifen des Schwarzwalds ftößt. Von 
der nördlichen Seite des Bergs erblicken wir zur 
Rechten den ſchön gelegenen Ammerbof, weiter linfs 
Sefingen, an das fich Pfäffingen und Boltringen an— 
reihen. PBreundlich winket vom nahen Berge herüber 
das anmuthige Schlößlein Roſeck, und die Thurnfpige 
von Dorfe Entringen meldet, Daß nicht ferne von 


414 


ihm Das brüderliche Schlößlein Hohen-Entringen fich 
erhebe, das von Den nördlichen Bergen neidifch ver: 
fteeft wird. 

Die Kapelle, wie wir fte jegt erblicken, zeigt und 
wenig Merfwiürdiges. Ein gewöhnliches einfaches 
Kirchlein, deffen Inneres an Unmichtigfeit dem Aeußeren 
entjpricht. Die Berzierungen beftehen bauptfächlich in 
unbedeutenden Votivgemäldchen aus neueren Beiten ; 
das einzig Merfwürdige ift im Innern des Kirchleind 
eine erneute Infchrift, die ſich auf der gegen das 
Neckarthal gefehrten Seite des Kirchleins befindet, 
welche meldet, daß „bier ein Graf Anfelmus von 
Calw aus dem 10. Jahrhundert begraben Tiege. * 

Im 16. Jahrhundert mußte diefe Infehrift noch nicht 
vorhanden gemefen feyn, denn es erzählt M. Erufius, 
daß er im Jahr 1589 auf einem Spaziergange zur 
Wurmlinger Kapelle einen Grabftein in einer Mauer- 
vertiefung eingefchloffen (da wo jegt die Infchrift fteht) 
gefunden habe, aber ohne eine Infchrift; mobei der 
ihn in die Kapelle führende Geiftliche die Bermuthung 
geäußert, Daß fich die Imfchrift auf der Kebrfeite bes 
finden möchte, was aber nur mit Wegheben des Steins 
gezeigt werden fonnte. Er erwähnt noch einer Tafel, 
die Dabei an der Mauer. gehangen babe, mit den 
Morten: „Graf Anfelm zu Calw, Stifter”, und einem 
beigefügten Wappen, das einen rothen Löwen ohne 
Haare im weißen Felde vorftellte, der auf drei bläu— 
lichen Hügeln oder Felfen ftand, eine bläuliche Krone 
auf dem Haupte trug, und feine ebenfalls bläuliche 


415 


Zunge herausſtreckte. Dieß nur zum Beweis, daß die 
jeßige Infchrift, ob fte gleich neweren Urfprunges fcheint, 
entweder erneut wurde, oder wenigfien3 auf einer 
älteren Meberlieferung beruht. Daß übrigens das 
Grab eines Stifters ſich wirklich auf der Kapelle ſchon 
in frühefter Zeit befand, dieß bezeugt die fpäter zu 
erwähnende Wurmlinger Stiftung, die Diefem — 
zugeſchrieben wird. 

Das Alterthümlich-Merkwürdigſte am Aeußern der 
Kapelle möchte das unter ihr angebrachte Gewölbe ſeyn. 
Mir gelangen am beiten zu demfelben, wenn wir 
durch das linke Thörchen des Kirchhofs Hinabfteigen. 
Der Eingang, durch den wir kommen, zeigt und 
mehrere Eleine Gewölbe, deren Bogen von niederen 
maſſiven GSteinpfeilern gebildet werden ; von dieſen 
fleigen wir ein wenig abmärts und treten in ein eins 
faches Gewölbe, das in einen gemauerten Gang aus— 
läuft, der bis gegen die Mitte des Kivchleins unter 
dem Boden fortführt. Was die Beftimmung dieſes 
unterirdifehen Gemwölbes früher war, ift ungewiß; wahr— 
fcheinlich ift e8, dag in der früheften Zeit Hier ein 
Todtengewölbe war. Vielleicht wäre dieß als die 
Stelle anzufehen, an der der Graf Anſelm von Calm 
laut jener Infchrift in der Kapelle begraben wurde. 
Die ganze Bauart des Gewölbes fpricht für ein Hohes 
Altertum und Fönnte die Muthmaßung unterftügen. 
Wohl mochte dieſes Gemölbe allein den Verwüſtungen 
des 30jährigen Kriegd entgangen feyn, während Die 
Kapelle felbft ein Opfer deffelben wurde. 


416 


Die Kapelle hieß vor Zeiten Die Kirche zum heiligen 
Nemigius, und der Berg der Nemigiberg. Der latei— 
nifche Name des Bergs ift mons vermicularis, eigent⸗ 
lich Wurmberg, von Lindwurm abgeleitet, wie’ jchon 
das Mappen der Edlen von Wurmlingen zeigt. Neben 
dem Kirchlein war in früherer Zeit noch eine Wohnung 
für den ©eiftlichen , den Das Klofter Kreuzlingen bei 
Conſtanz beordnete. Die führt und auf Das Ver— 
hältniß des Klofters Kreuzlingen. zu der -Wurmlinger 
Kapelle Schon nah Urfunden von 1185 finden 
wir Kreuzlingen im Beflg mehrerer Gefälle diefer 
Gegend ; dieſe foll Der oben erwähnte Graf Anſelm 
von Calw ſchon in frühefter Zeit dem Klofter Kreuz- 
lingen mit der von ihm geftifteten Kapelle auf Dem 
Berg vermacht haben. Zur Beziehung dieſer Gefälle 
nun und zum DBerfehen des Gottesdienftes auch für 
die Gegend, wurde yon dem Klofter ein Geiftlicher 
auf dem Berge angeftellt. Daß mirflih fchon frühe 
ein ſolches Verhältniß ftattgefunden habe, läßt fich 
aus Volgendem beweifen. Im Jahr 1192 übernimmt 
Kaifer Heinrich VI. die Befigungen des Klofters 
Kreuzlingen, und unter diefen auch Die von Wurm— 
lingen als Schirmvogt, indem fie ſchon früher fein 
Urgroßvater Welf befaß. 1213 kommt ein Abt 
Theodorich von Kreuzlingen als Plebanus (Geiftlicher) 
in Wurmlingen vor. 1226 will ein Graf Albert 
von Rottenburg dem Klofter Kreuzlingen den von ihm 
an defien Gütern in Wurmlingen zugefügten Schaden 
wieder erfegen. Dieſes Verhältniß betrifft natürlicher 


417 


Meile Hauptfächlich "Die Kirche auf Ya Berge und 
was von Befigungen um den Berg: jeldft oder in der 
Marfung des Dorfes Wurmlingen Tag. Es dauerte 
Bis im Die neueren Zeiten fort; Denn als während Des 
3Ojährigen Kriegs, der befonderd auch: dieſe Gegend 
jein Weh fühlen ließ, die Kapelle und: die Pfarr- 
wohnung niedergebrannt wurde, ward die Kapelle im 
Jahr 1682 wieder aufgebaut, 1685 eingeweiht und 
wieder von Kreuzlingen aus mit einem Geiftlichen des 
Klofters befegt. Im der neueften Zeit wurden die 
ſchon unter‘ Defterreich fequeftirten Güter infammerirt 
und vom Staate der Pfarrer ernannt. Bisher war 
die Kirche auf dem Berge auch Die eigentliche Dorf 
kirche. Erſt im Jahr 1820, als die auf dem Berge 
zu klein und Gaufällig wurde‘, baute man im Dorfe 
eine eigene. Der Zuftand, in den wir die Kapelle 
erblicken, iſt gleichfalls ein Werk Der neueften Zeit; 
natürlich war es mehr eine Verbefferung des Einzelnen, 
als eigentliche Wiederherftellung des Ganzen. Die 
Stelle des im 30jährigen Kriege mit der Kapelle 
niedergebrannten PBfarrgebäudes Auf dem Berge, Das 
nimmer "aufgebaut wurde, vertrat wahrfcheinlich das 
jeßige Pfarrhaus im Dorfe, Das: ſchon — als 
Kreuzlinger Pfleghof erbaut worden: war. 

Eine ſinnige Sage, ſo wie eine höchſt ſeliſame 
Stiftung knüpft ſich an die Perſon des obengenannten 
Grafen Anſelm von Calw, des erſten und edelſten 
Todten auf der Wurmlinger Kapelle. 

In‘ 27 


l 


> 


418 


Graf Anfelm von Calw und die 
Wurmlinger Mabl;eit. 


Graf Anjelm zu Calw war ein frommer Mann, 
der e3 mit Allen redlich meinte und treu ‚an feinem 
Worte bielt;-für ihn gab es fein gröperes Vergnügen, 
als frei, wie der Vogel in den Lüften, in der Welt 
berumzuftreifen. "Schon vor Jahren hatte er das Beil. 
Land gejehen, St. Thomasland hatte er auch bejucht, 
und dank. in die Heimath zurücgefehrt, war er wieder 
von Land zu Land gefahren, denn er freute jich, Die 
verjchiedenen Charaktere, die mannigfaltigen Sitten und 
Gebräuche der Menfchen Fennen zu. lernen. Um feiner 
Landfahrerluft vollfommen genügen zu fünnen, Hatte 
er. auch feine Frau genommen, damit nichts im Stande 
wäre, ihn zurüdzubalten. So blieb er oft jahrelang 
von jeiner Heimath weg, und fam er wieder nad 
Haufe, fo geichah es nur auf einige Wochen, um 
fein Saus zu beftellen und Anordnungen zu treffen, 
im Ball er nimmer in die Heimath ehren würde. 
Bereitö Hatte er ein hohes Alter erreicht, und. da 
er feine Kräfte mehr hatte, in die Berne, zu fahren, 
jo ftrich er durch Die Wälder und Täler feiner Graf: 
haft. Das ging. jo. mehrere Jahre Hin, bis endlich 
der Tod auch bier fich einfand. - Ungerne verließ Der 
Wanderluftige die Erde, um zur Ruhe einzugeben und 
unbeweglich zu liegen. Im Sterben vertheilte ex jeine 
ganze Habe unter feine Dienflleute, und machte den- 
jelben zur Pflicht, feine Leiche in einen Sarg, dieſen 


419 


auf einen fehwarzen Wagen zu legen, vor benfelben 
vier ſchwarze Stiere zu fpannen und folche ungehindert 
des Weges ziehen zu laſſen. Wo fie aber halten 
würden, dort follte eine Kapelle gebaut und in ders 
jelben der Graf begraben werden. Der legte Wille 
des Todten wurde gewiffenhaft befolgt. in langer 
Zug trauernder Diener folgte dem Wagen, bis die 
Stiere nach einem beſchwerlichen Wege über Berge 
und Durch Thäler auf einem hoben, fteilen Berg biel- 
ten und fich dort gemächlich niederliegen. Nun wurde 
der Sarg noch einmal geöffnet. Die Augen ganz 
offen, als wollte er noch einmal mit einem weiten 
Aundblide Abfchied von der Erde nehmen, lag der 
Todte in ftiller Ruhe da, von der Abendröthe beftrahlt, 
dag er ausfah, als rollte noch das Blut in feinen 
Adern, als wohne noch das &ben im feiner Bruft. 
Jetzt wurde der Erde wieder gegeben, was ihr gehörte, 
während von fünf Dörfern in der Runde ein feier 
liches Grabgeläute erfcholl. Der Sarg des Grafen 
wurde der Grundſtein der Kapelle, „die nunmehr über 
dem Grabe erbaut wurde, nah dem Willen des 
 Stifters. Im ihr Verrichtete von nun an manch an— 
dächtiger Pilger fein Abendgebet. Nah und nad 
fingen Die Bewohner der Umgegend an, ihre Todten 
auf den Berg zu bringen, fo daß fich mit der Zeit 
um den ©rafen eine Fleine Schaar Abgefchiedener 
fammelte;5 und Graf Anfelm von Calw war Bald 
nicht mehr der Einzige, der Diefe freundliche Höhe bes 
wohnte. — Während eine Infchrift feinen Namen in 


420 


der Kapelle verewigt hat, lebt fein. Andenken in ‚einer 
jonderbaren Stiftung fort, die wir in. ihrersalten 
naiven Sprache bier folgen laſſen. 

„Sn das Kapitel Wurmlinger Berg gehört der- Stadt 
Tübingen und Rottenburg, ſammt deren umliegenden 
Flecken Priefterfchaft, die ihren eigenen. Defan und 
Kammerer haben. Derfelbe Kammerer foll alle Jahr, 
auf Montag nach Allerfeelen Tag, mit einem oder zwei 
Dienern auf den Wurmlinger Berg gehn. Da fol 
er vor den Thor des Kirchhofs, auf. obgenanntem 
Berg, einen Wagen gut gejpaltenen dürrens Holzes, 
das gerne brennt und nicht rauchet, und Dazu einen 
Sack voll mohlgebrannter Kohlen finden. Darnach 
ſoll auch da feyn ein Wagen voll Heu, Darauf fol 
eine bafelbraune Gans ſitzen, welche der  Kammerer 
dem Fuhrmann, der das Heu hiehergeführt hat, fchenfen 
ſoll, zum Zeugniß, Daß auf den morgenden Tag ei- 
nem jeden Briefter, jo da anmefend feyn werde, ‚eine 
eigene Gans vorgefeßt werden foll. Weiter joll da 
ſeyn ein wohlgemäfteter dreifäbriger Stier, deßgleichen 
Drei gemäftete Schweine, nämlich ein. Milchferfelein, 
ein Sährling und ein Zweijährling , die. jollen auch 
durch einen Mezger beftchtigt werden, Damit fie nicht 
finnig feyen. Ferner foll der Kammerer da finden | 
dreierlei Bier, nämlich jährige, zweijähriges und drei— 
jähriges ; Diemeil aber das Bier in dieſem Land und 
zu dieſer Zeit 658 zu bekommen ift, haben ſich die 
Gapitelöverwandte Briefter mit dreierlei Wein, Davon 
der eine Nappus (Roth), der andere alt, der dritte 


421 


neu, doch weiß ſeye, abthätigen laſſen. Deßgleichen 
ſoll auch da ſeyn dreierlei Brod, nämlich Semmel-, 
Kern- und Roggenbrod, und je drei um einen Schilling 
gebacken werden. Auch ſoll da ſeyn ein geſchickter 
Mezger und ein berühmter Koch, der alles Obgemeldete 
wohl wiſſe zuzurichten und zu kochen. Alsdann ſoll 
des Abts von Kreuzlingen Pfleger, ſo auf dieſem Berg 
ſeine Wohnung hat, er feye eine geiſtliche oder welt— 
liche Perfon, der Mebger und Koch, fammt allem 
andern Gefind, Das zu dienen allda gebraucht wird, 
dem Kammerer einen Eid ſchwören, daß fie Deren oben 
angezeigten Dinge nichts in feinem andern Weg ver— 
ändern wollen, als wie er's fie befcheiden werde; Da-- 
rum foll ihm auch ein eigen befchloffenes Gemach, 
alle Dinge darinnen zu behalten, gegeben werden, und 
folches alles, wie oben gefchrieben ftehet, foll auf be— 
flimmten Tag verrichtet werden. Morgens, das it 
auf Dienftag nach Alferfeelen, follen der Dekan und 
alle Capitelherrn, ſammt den Miethlingen oder Helfern 
beider Städte, Tübingen und Rottenburg, frühe auf 
den obdgenannten Berg, e8 feye zu Noß oder zu Fuß, 
kommen und ihre Kußfappen mitbringen, bei Straf 
eines Moden Dinfels, mit Dem ein jeder, der zu fpät 
kommt, beftraft wird. Bleibt er aber gar aus, wird 
er gleicher Geftalten gebüßet. Es kann auch ein jeder 
mitbringen feinen Meßner, oder fonft einen Schüler, 
derfelbe foll feinem Pfarrherrn gleich gehalten werben. 
Und ob ſichs begebe, daß einem Capitelherrn, wern 
er unterwegs wäre, um auf den Berg zu ziehen, eine 


422 


oder mehrere ehrliche Perſonen bekämen, Die mag er 
einladen, und alſo einen oder mehrere Gäfte mit ficb 
bringen, doch foll er folches,: fobald er auf den Berg 
fommt, Dem Kammerer anzeigen, Damit man, fold;e 
Gifte nach Ehre wife zu halten. Man foll auch 
einem jeden, der ein Roß mit- fich bringt, einen neuen 
Kübel und einen Bierling Haber darein Dem Roß 
zum Butter geben, dazu auch-einen Streik, das Roß 
daran zu binden, zuftellen ; folchen Kübel und Strid 
bat eines jeden Capitelherrn Meßner zum Gedächtnig 
die Macht mit ihm beim zu nehmen. Wann nun Die 
Gapitelherren alfo am Morgen auf dem Berg zu— 
ſammen fommen find, follen fie ihre Stiefel und 
Sporn ausziehen und Die Kußfappen anlegen, vor der 
Kirche auf obgedachten Berg Fiegend, und bei Des 
Stifters Grab ein Bigilien beten. Darnach foll der 
Dekan des Capitels ein Seelenamt fingen und die 
Capitelherrn zu opfern geben, auch mittlerweilen zum 
Theil etliche Dieffen Iefen. Unter dieſem Amt vers 
fündet ein Briefter dem Stifter fen Gemahl und 
Kinder, auch fiehet der Kammerer mittlermweilen ein 
oder zweimal in die Küchen, ob Dad Feuer recht und 
ohne Rauch brenne. Nach dem Amt der Meffe geht 
man wieder zu des Gtifterd Grab, fingt ein Vesper 
Placebo ſammt angehängten Colkecten. Dennoch ftehet 
der Defan in Der Kirche vor dem Seel-Altar, und die 
Gapitelherren, angethan mit ihren Kußfappen, neben 
ihm nach der Reihe; Da bedeckt er zmeen feiner Apftanten 
mit der Stola, alsdann verlieft der Kammerer den 


423 


MWillen des Stifter mit verftändlicher Sprache, und 
erklärt alles, was darinnen nicht verftändlich geſetzt 
wäre. Darauf müffen ‚alle Gapitelherren mit einge- 
ſenkten Fingern in das Plenarium einen Eid ſchwören, 
daß ſolche Stiftung, als bis anhero gehalten worden, 
daß ſie auch ſolche Haltung von ihren vorfahrenden 
Capitelherrn, alſo je und allwege gehalten feye, allein 
das: ausgefchloffen, daß man jego Wein für Bier zu 
trinken vorfeßt. Auf folches bittet Der Kammerer die 
Gapitelheren , fammt allen ſo gegenwärtig find, zu 
Saft, und weil fie fih um den Vorſitz zanfen oder 
verlängern, ‘gebt er hinab gen Sulchen, welches unten 
am Berg liegt, und fpannet dafelbft auf dem Kirchhof 
des obgemeldeten gemegelten Stierd Haut au, fo 
breit fie mag, und heißt die ausfägigen Leute, fo fich 
allda, vermöge der Stiftung, verfammelt haben, nieders 
jigen. Darnach kommt er wieder zu den Gapitelheren 
und Gäften, nimmt ein Semmelbrod , höhlet es aus 
und flellt e8 einem jeden vor, darein legt ein jeder 
Gapitelherr einen Pfennig, aber‘ ein Gaft gibt was 
er will. Solches Geld trägt er zu den Armen, bie 
auf dem Kirchhof um die Stierhaut figen, und theilete 
unter fie aus. Mittlerweilen trägt man vor Dreierlei 
Brod, und feet dreierlei Wein vor, je zweien und 
zweien zufammen, und alsdann fpricht man das Bene- 
dieite. Darauf befichlt der Kammerer dem Koch an- 
zurichten. Alfo fegt man erfilich vor die drei Schweins— 
föpf geröftet, und nachdem man Davon gegeflen bat, 
hebt man Die wieder auf, jammt Wein und: Brod, 


l 


424 


was auf dem Tiſch iſt und gibt es den Ausfäsigen, 
die bei der Stiershaut figen.  Darnach legt man wieder 
dreierlet Brod auf, und trägt auf ein Beyeſſen von 
der ans, Fuß, Leber, Flügel, Magen und vergleichen, 
und wann. man. von folchem gegejjen: hat, hebt mans 
auf, ſammt Wein und Brod und gibts, wielohges 
meldet, armen Leuten. Darnach ſetzt man voriges 
ſottene Hennen, Brüh und Fleiſch, friſch Wein und 
Brod — was übrig bleibt, wird aufgehoben und armen 
Leuten mitgetheilt; alſo wird auch mit dem Pfeffer 
gehandelt.  Darnach fegt man vor gefottene Fiſch in 
einer. wohlgewürgten Brüh, aber alsdann legt man 
nur zweierlei Brod, nämlich Semmel= und Kernenbrod, 
und fehenft ein dreierlei Wein, mit dem aufgehobenen 
aber wird es, wie obgemieldet, gehalten.» Folgends wie— 


derum frifch Wein und Brod vorgelegt, und je zmei 


und zweien Capitelherrn vorgefeßt, eine gebratene Gans, 
darinnen fol ftecken ein gebratenes Huhn und in dem 
Huhn eine gebratene Wurft, damit aller guter Dinge 
drei ſeyen. Und von folchem mögen fle ihren Gäften, 
Mepnern, Schülern und Andern, fo zugegen find, etwas 
vorlegen; das übrige alles wie obgemeldet, foll mit 


Wein und Brod aufgehoben und den armen Leuten 


gegeben werden. Zuletzt fegt man vor Käß, Kuchen, 
Nuß, Trauben, Birn und dergleichen, und wann fols 
ches aufgehoben, gibt man das den armen Leuten, alfo, 


Daß vom diefer Mahlzeit nicht3 überbleibe, Dad nicht 


armen: Leuten mitgetheilt werden folle. Ueber das 
ſoll man auch den armen Leuten fochen und vorſetzen 


425 


I 
Brüh und Fleiſch, auch einen Pfeffer, Dazu jedem einen 
Becher mit Wein darfegen. Wann nun alfo Die 
Mahlzeit vollbracht, das Gratias gefprochen, und Die 
Herren vom Tiſch aufgeftanden find, gehen fte in die 
Kirch in den Chor und halten Rath, ob ihm mit 
diefer Mahlzeit, vermög der Stiftung‘, genugfam ge— 
fchehen feye oder nicht, und fo das mehrer wird, Daß ihnen 
genugfam gefchehen feye, auch fonften der Stiftung gelebt 
worden, alsdann zählt der Decan den Abt von Kreuze 
lingen und fein Convent, als VBerrichter dieſer Stiftung, 
frei, ledig und los aller Forderungen und Anfprach, 
die man im Fall, wo Mangel: vorhanden gewefen, an 
ihm oder dem Gonvent, mit oder ohne echt haben 
möchte, in allweg. Darnach verlieft man die Stiftung 
wieder öffentlih. Es mögen auch die apitelheren, 
wann e3 ihnen gelegen, eine Summe Geldes für Diefe 
Mahlzeit nehmen, Doch foll den Armen an ihrer Ge 
rechtigkeit Fein Abbruch, wie oberzählt, damit gefchehen. 
Und vb ſichs begebe, Daß dieſe Stiftung in einem oder 
mehr Bunften nicht gehalten würde, alsdann follen 
alle Nusungen und Einfommen des vorgemelveten 
Berges dem Klofter Kreuzlingen entwendet, und wie— 
derum zu dem älteften Grafen zu Calw fallen, der 
folle alsdann zu: einem Zeugniß einen Goldgulden, 
reitend auf einem Pferd und in dem GStegreif ftehend, 
über den Kirchthurm des gemeldeten Wurmlinger 
Bergs ausmwerfen und fehnellen, und foll darnach er 
und feiner Erben ſolche Stiftung gu verrichten fehuldig 
ſeyn. Am Abend gibt man dem Gefind Brüh und 


426 
Fleiſch, und zehn Schilling zu dem Abjchied,E und dar- 


nach alles übrige, es ſey gekocht oder ungefocht, "den # 


arnıen Leuten." — 

Diefe Stiftung - ift noch Anno Eprifti 41530 ‚ger 
halten worden. Nachher wurde: fie in ein ordentliches 
Mittagemahl, mit. dem noch ein Geldgefchent Yon 
2 fl. 45 fr. verbunden: war, verwandelt. Während 
der erften Zeiten "der Reformation fanden fich felbft 
evangelifche Pfarrer dabei ein, was zu manchen Irrungen 
Anlaß gab, worauf fie dann wegblieben. Noch heut 
zu Tag wird Durch die Pfarrer der Umgegend jährlich 
diefe Stiftung mit Todtenvigil, Seelenämtern und 
Befper am Dienftag nach der. allgemeinen Kirchweihe 
im Dftober gehalten, und Jeder erhält für Diefe Mahl: 
zeit 6 fl. 

Dieß die. befannte Stiftung der Wurmlinger Mahl⸗ 
zeit, die offenbar in eine ſehr frühe Zeit zu verſetzen 
iſt, wenn wir wirklich Graf Anſelm von Calw für 
den Stifter halten, der jeden Falls zu den -älteften 
Ahnherrn des Calwer Grafenhaufes “gehört, wahre 
jcheinlich einer der nächften Nachfommen Erlafrieds und 
Ermefrieds von Calwe gewefen, und mohl im Jahr 
938 gelebt haben kann, wie unfre alten wirtembergis 
chen Chroniften annehmen. Wenn e8 in der Stiftung 
gegen den Schluß beißt, Daß der ältefte Herre von 
Calwe auf dem Bferde, im Stegreif flehend, einen 
Goldgulden über den Kirchthurm der Kapelle werfen 
toll, fo bezieht jich Das auf eine Zeit, da der Stamm 
der Orafen von Calwe noch nicht auögeftorben war. 


427 


Das war der Fall im J. 1219, da mit Öottfried von 
Calwe der alte Stamm der Calwer Grafen ausge- 
gangen. Somit war im Anfang des 13. Jahrhun- 
derts bereits die wahrfcheinlich in Iateinifcher Sprache 
verfaßte -Stiftungs =» Urkunde vorhanden. Daß Die 
Stiftung des Grafen Anfelm fchon in alter Zeit wirk 
lieh in Ausführung gefonmmen ,, bezeugen mehrere Ur- 
funden , unter andern eine von Jahr 1348, Die ein 
gewiffer Dekan Berthold zu Boltringen  verfaßte, 
Der zu Bolge follte die Mahlzeit am Dienſtag nach 
Allerſeelentag gehalten werden. 

Nun noch eine Sage, die der Verfaſſer während 
der unvergeßlich febönen Tage auf der Alma Eber- 
hardina bei feinen Wanderungen auf die Wurmlinger 
Kapelle oft hat erzählen hören: 


Der Alte vom Berge. 


In jener drangfalsollen Zeit Des preißigjäßrigen 
Krieges, da die ehrwürdige Wurmlinger Kapelle von 
oben Händen niedergebrannt war, ſiedelte fich ein 
fronmer Mann neben den Ruinen des Kirchleind an, 
den man nur den Vater Leonhard, oder den: „Alten 
vom Berge” nannte. Er war hieher gefommen, um 
auf Gott geweihtem Boden in fliller Einſamkeit fein 
Leben Gott zu weihen. Niemand wußte, woher er Fam, 
Niemand Fannte feine früheren Sciedfale, aber Alle 
liebten und fegneten den guten Alten, deſſen Rath und 
Beiftand ihnen fo oft aus mander Noth geholfen. 


428 


Dichtes Waldgefträuch Hatte Die Auinen der Kapelle 
übermwachfen ; an diefe hatte er eine arme, kleine Woh— 
nung angebaut, die nur dürftig mit dem Nöthigſten 
verfegen war. Das Zeichen unferes Heiles, das 
Kreuz, war der einzige Schmuck der kahlen Wände. 
Sp arm aber auch Die Umgebung des ehrwürdigen 
Vaters war, fo reich an Liebe und innerem Frieden war 
jein Herz. Jahr um Jahr war ihm im Dienfte Gottes 
und in treuer Sorge für das Wohl der Mitmenfchen 
dahingefloflen; manch heilend Kräutchen, von ihm ge 
jvendet, hatte Der weinenden Mutter ihren Liebling 
wiedergefchenft , manch tröftend Wort hatte der jam— 
mernden Wittwe Vertrauen und Hoffnung in die Seele 
gegoffen, und in allem Weh des Lebens kamen die 
Bewohner Wurmlingens zu Bater Leonhard. Keiner 
verließ Die arme laufe ungetröftet, denn der Alte 
vom Berge. Tehrte fie voll Eindlichen Vertrauens den 
thränenvollen Blid gläubig nah Oben zu wenden, 
wo Alles Liebe und Erbarmen ift. 

Das Alter hatte feinen Silberfchnee auf das Haupt 
des frommen Vaters geſtreut, die einſt kräftige Geſtalt 
war nun gebückt, die zitternde Hand umklammerte den 
Stab, und nur ſelten mehr ſah man Vater Leonhard 
vom Berge herabwallen. Die Saat der Liebe bleibt 
nie ohne Ernte — und als die Kräfte des Greiſes immer 
mehr ſchwanden, brauchte er nur ſein Eſelein, dem er 
längſt neben ſeiner Clauſe eine Wohnung bereitet hatte, 
von ſeinem treuen Hündlein begleitet, hinab gen Wurm— 
lingen zu ſchicken, und die Einwohner wetteiferten, dem 


429 


allverehrten Vater Liebesgaben zu fenden und für alle 
jeine Bebürfniffe zu forgen. Tag um Tag fam denn 
die kleine Karavane den Berg herab, voraus lief das 
Hündchen, als wollte es forglich den beften Weg ſuchen, 
ihm trabte das Ejelein behutfam nach, «und fo kamen 
fie, von Jung und Alt begrüßt, ins Dorf, um es 
alsbald reich beladen wieder zu verlaffen. Die An— 
funft der Beiden war für Wurmlingen längft "ein 
Ereigniß geworden, dem man mit Sicherheit entgegen- 
ſah; um ſo mehr mußte es auffallen, als fie eines 
Tages "nicht eintrafen. „Was foll das bedeuten 2 
„warum fommt Vater Leonhard’S Efelein heute nicht?” 
folche Fragen gingen von Mund zu Mund, und fihnell 
entjchloffen fich einige Männer, nach der Urfache dieſes 
Ausbleibens zu forfchen.. Auf dem ganzen Wege fan— 
den fie feine Spur der beiden Thiere, und gelangten 
endlich zur Zelle des frommen Einftedlers, wo ſich 
ihnen die traurige Löſung Des Räthſels bot. Zwifchen 
einer Gruppe von hohen Gefträuchen fund ein kunſt— 
loſes Grucifixz, vor welchen Vater Leonhard lag, die 
eine Hand um Das Kreuz gefchlungen, während Die 
andere ſich am Boden ſtützte. ALS fie näher traten, 
fahen fie fein mildes, greijes Angeficht, aber die klaren, 
blauen Augen, die jo oft ihnen Frieden zugelächelt, 
waren mie im Schlafe gefihloffen. Ein langes, braunes 
Kleid hüllte Die Geftalt ein. Tiefe Etille herrſchte 
ringsum, fein Vogel wiegte ſich in der reinen Serbft- 
luft. Sie ftanden lange vor dem Liegenden und be— 
trachteten ihn aufmerffam; da konnte es ihnen nicht 


430 


entgehen, daß er fill und ſtumm, daß er ohne Athem 
war. Vater Leonhard war todt, noch im Tode Hielt 
er das heilige Bild umfchlungen! Im Anbau der Zelle 
fand man die beiden Gefährten des Einfiedlers Tiegen. 
Die Hand, welche fie fo Tange gefüttert Hatte, war 
erftarrt, und fo waren die treuen Thiere, die ihren 
Herrn nicht verlaffen wollten, verfchmachtet. Tief er- 
griffen  berathfchlagten die Männer von Wurmlingen, 
was nun zu thun fey, und fanden nichts Beſſeres, 
als Die Leiche einftweilen in Die Hütte des Einfiedlers 
zu tragen, bis man ſie in gemeihte Erde beiſetzen 
könne. Gie thaten es, fprachen Die Todtengebete und 
gingen ftille fort, um die traurige Kunde gen Wurm— 
lingen zu bringen. Wer Vater Leonhard früher ge- 
wefen, wurde niemals ergründet. 
Lina Welebil. 


XXVI. 


Ruine Geyersburg 
bei H ae 


Auf einer füdlichen Anhöhe über dem: linken Ufer- 
des Kochers, zwifchen Gelbingen und Obermünfheim, 
ragt ganz nahe beim Lindenhof (Lindenau in alten 
Zeiten, von dem fich fehon im Jahr 1275 ein Ritter 
Walther von Lindename genannt) die malcrifche Ruine 


431 


der Geyeröburg. „Die ganze Ruine befleht: nur noch 
aus einen uralten achtedfigten gebrochenen Thurme, an 
dem noch viele Fenfter und Luden jichtbar find. Un- 
ten am Thurme ift eine große Deffnung und ein Theil 
des Bogens über dem Eingange, der immer mehr zer 
fällt und fich erweitert. Da nirgends in der Umge— 
bung des Thurms Reſte von Mauerwerk fichtbar find, 
auch über dem ehemaligen Eingang an den Seiten des 
Thurms mehrere Fenſterlucken über einander: fichtbar 
find, jo möchte man faft glauben, daß diefer Thurm 
das Hauptgebäude geweſen, in dent Die Wohnung des 
Beligerd angebracht war. Wir wiſſen ja, wie fich im 
Mittelalter oft ganze Familien mit vielen Kindern mit 
einem einzigen Saale und etlichen Nebengelaffen begnüge 
ten, Denn in der guten alten Zeit lebte und wohnte 
man vick einfacher, als jetzt. Vielleicht ftand auch auf 
den oberſten Stockwerk des Thurms, auf defjen Trüm— 
mern nunmehr ſchlanke Tannen emporwachſen, eine höl— 
zerne Wohnung, wie wir ſie beſonders auf den alten 
Burgen der Schweiz finden. Wenn ein ſolcher Burg— 
thurm von einem Graben mit einer Zugbrüde umgeben 
war, fo war er binlänglich befeftigt, und fonnte leicht 
gegen den erften Angriff eines feindfeligen Nachbare aus» 
halten, bis Entfag aus der nahen Stadt herbeifam. 
Wenn wir von den wenigften Burgen wifjen, wer 
ihre Erbauer gemwefen, fo wiffen wir ed genau von der 
Geyersburg, wenn auch nicht Tag und Jahr der Er: 
bauung angegeben ifl. Der alte zuverläfige Haller 
Chroniſt Sodann Herold berichtet und in feiner. 


432 


Ehronica von der Stadt Hall (herausg. wm. 
Dttmar Schönhuth, Hall 1855) ©. 19 alſo: „Geierß— 
burg Hat ein Wittfram, ein geboren Geyerin, Die aber 
einen Veldner gehabt, zwifchen Gelbingen und Münk— 
ben, gleich bei Newenburg am Kocher: vber, vf einem 
Berg, imeiner Theurung ein klein Steinhauß umbgra— 
ben, gemauert vnd gebamwet, vnd irem gebornen Na— 
men nach Geyergburg genannt. Von diefem Steinhauß 
vnd Schloß ihr Wohner , ihr Sohn und Nachkommen 
die Geyer genannt fein worden.“ Woher dieſe Geyerin 
ftammte, die wir als die Erbauerin der Geyerdburg ken— 
nen, wiffen wir nicht. Im Jahr 1361 erfcheint ein 
Dietrich Geyer in einer Urkunde neben mehreren Rit— 
tern und Edlen aus der Umgegend, aber ſein Wohnſitz 
ift nicht genannt; es Tönnte aber möglicher Weife einer 
von Gejchlecht der Geyer von Gibelftatt im Gau feyn, 
deren Burg noch jest in jenem Dorfe in Trümmern 
zu fehen. "Nach unfrem Berichterftatter Hatte fie (zum 
Gemahl einen gewiſſen Veldner. Diefer Veldner ges 
hörte einem Geſchlecht an, das urſprünglich in Gailen— 
kirchen ſeinen Sitz hatte, und einen Conrad Veldener 
(um 1298) als ſeinen Ahnherrn zählte. Die Veldener, 
welche einen Fiſch im Wappen führten, zogen frühzeitig 
nach Sal, wo ſie bürgerlich wurden und im ſogenann⸗ 
ten DVeldenersthurm wohnten. Der Stammpater Diefer 
Haller Veldner ift wieder ein. Conrad Veldner, deſſen 
Wittwe Guta vom Jahr 1333—45 häufig in Haller 
Urkunden erfcheint, und Hauptfächlich Durch Erbauung 
der fogenannten Velonerin- Kapelle ihres Namens Ges 


433 


dächtnig verewigte. Sie hinterließ drei Söhne: Hein— 
rich, Conrad und Sand. Der leßtere ift wohl jener 
Dans Beldner, der in Jahr 1345 vorkommt und wohl 
mit jener Geyerin vermählt war, welche Die Burg baute, 
und fie den Grafen von Hohenlohe zu Lehen auftrug. 
MWahrichemlich ihr Sohn gleichen Namens nannte fich 
zum erfien Male „Gyr. Im Jahr 1383 ftiften Jo— 
hannes von Stetten, Ritter, Peter und Wilhelm von 
Stetten, Hand Beldener, Gyr genannt, und Sand yon 
Stetten, der jüngere, Bürger zu Hall, um ihres See— 
lenheils willen, den Altar in dem Chor in der Ka— 
yelle auf St. Michels Kirchhof , welche der Veldnerin 
‚Kapelle heikt, für den Kapları gemiffe Gülten von Häu— 
fern zu Hall (Hans Veldners bei der Brudfen) u. ſ. w. 
Im Jahr 1386 wird Hans Veldner, genannt Gyr, 
‚gemeinfchaftlich mit Götz von Stetten belehnt mit deſ— 
fen Theil an Kocherftetten. Er und feine Nachkom— 
men führten in ihrem Wappen einen weißen Fifch in 
einem gelben Strich, überzwerch in einem rothen Feld, 
und einen rothen überftülpten Heidenhuth, oben mit 
einem jchwarzen Sederbufch, fonft vom Ende zu beiden 
Seiten von Fifchen und Farben wie Die Schilde. — 
Schon mit Anfang des 15. Jahrhunderts war Die 
Geyersburg nicht mehr im Befis der Veldner, genannt 
Gyr, denn fchon im Jahr 1403 werden dem Sans 
Veldner alle feine Befigungen von der Stadt Hall 
ausgelöst und im Jahr 1406 von ihr an Rudolf 
von Münkheim übergeben. Hierunter waren auch Die 
Hohenloh'ſchen Lehen Veldners, mit welchen im Jahr 
— 


. 434 


1408 der genannte Rudolf von Münfhen, Ulrich von 
Sailenfirchen, und Conrad von Thalheim, alle drei 
Bürger zu Hall, von Graf Albrecht von Hohenlohe 
belehnt wurden. Insbeſondere befanden ſich darunter 
Geyersburg, das Haus und Kofraith mit feiner Zus 
gehörde, auch der Hof zu Lindenau und die Kelter da— 
felbft, wie das Alles dem Geyer geweſen ift. Diejes 
Mannslehen erhielt im Jahr 1414 Rudolf von Münf- 
beim allein, nachdem Graf Albrecht im Jahr 1408 
auch ihm allein, im Jahr 1430 aber Graf Kraft ſo— 
wohl Dem jüngern Rudolf, als des älteren Söhnen, 
Enderlin und Egelin das Burgftadel zu Obermünfhein, 
das Gütlein davon, Die Kelter, Fiſchwaſſer, viele Wein- 
berge, Gülten und Güter zu Ober: und Untermünf- 
heim nebft den Keltern in den Gaisbergen verliehen 
hatte. Im Jahr 1453 verlieh dieſes Mannslehen 
Graf Krafi von Hohenlohe dem genannten Endris von 
Münkheim, welchen Graf Albrecht im Jahr 1473 noch 
den Hof zu Michelfeld beifügte. Im Jahr 1484 wird 
Ulrich von Münfheim damit belehnt, nach deſſen Tod 
im Jahr 1507 das ganze Lehen der Lehenfchaft heim— 
fiel. Im Jahr 146... (eine Zahl fehlt) machen Hand 
und Gebaftian von Stetten, genannt die Veldner, auf 
die heimgefallenen Lehen eines Hans Geyers zu Hall 
Anfprüche. Derfelbe hätte alfo, nach dem er Die Geyers— 
burg verlaffen , wieder zu Hall gemohnt, wo er auch 


verftorben. Wir halten für feinen Sohn jenen Sans 
Veldner, genannt Geyer, der im Jahr 1473 erfcheint 


und feinen Antheil mehr an der Geyersburg hatte. — 


4395 


Ob die Geyeröburg im letztgenannten Jahr bereits zer— 
ſtört gemwefen, darüber haben wir feinen urkfundlichen 
Bericht. Der Sage nadı wurde fie von den Hallern 
gebrochen, weil die auf der Burg Räuberei getrieben, — 
Hören wir zuerft die Gefchichte von der Erbauung der 
Geyersburg, wie fie ſich zur fehönen Sage geftaltet hat. 


Die. Gründung der Geyersburg. 


- rau Bertha, aus dem Gejchlechte der Haller Edlen, 
genannt die Geyer, fühlte fich nach dem Tode ihres, 
in der Blüthe feines Lebens Hingefchiedenen Oatten, 
Hans Veldner, nicht mehr heimiſch in der lauten ges 
räuſchvollen Stadt Hall, wo fie die wenigen glücflie 
chen Jahre ihrer Ehe verlebt hatte. Sie entfchloß fich, 
geleitet von einer heißen Sehnfucht nach Ruhe und 
Stille, und nach wohlerwogener Wahl, ein Eleines 
Schlößlein, fern vom bunten Getriebe der Welt, zu 
erbauen, um allmählig ihr wundes Herz am Buſen 
der treuen Mutter Natur zu heilen und ihren Schmerz 
ungeftört in ihren Schooß auszuweinen. Sie traf mit 
fräftigem Geift alle Anftalten, bald den Bau zu begin- 
nen, nicht ahnend, welche Qinderniffe fid; Dagegen aufthür- 
men würden. Die Herren in Hall, ſich berufend auf 
einen vom römifchen Kaifer ihnen verliehenen Freiheits— 
brief, kraft defjen fie ermächtigt waren, jeden Bau einer 
neuen. Veſte im Umkreis einer Meile um Die Stadt zu 
verwehren, widerfegten ftch ihrem Willen, und verboten 
ihr geradezu, das bereitö Angefangene weiter zu fördern, 


436 


Aber Frau Bertha Veldnerin hatte den Gedanken 
mit zu großer Vorliebe im Herzen bewahrt, ſich über 
dem ftillen friedlichen Thale anzuftedeln, als ihn fo 
wohlfeilen Kaufs wieder abzugeben. 

Sie wandte ſich in ihrer Verlegenheit an einen 
Freund ihres feligen Gatten, den Schenken von Lim— 
purg, Deffen fräftiger DBermittlung es gelang, ihr Die 
Erlaubnig zum Bau zu erwirfen, welche ihr jedoch nur. 
unter dem ausprüclichen Vorbehalt ertheilt wurde, daß 
der Stadt Hall nie und unter Feinerlei Vorwand das 
Deffnungsrecht auf der von ihr erbauten Veſte ver- 
weigert werden dürfe, worüber eine Urfunde verfaßt, 
und fowohl von den Herren des Raths in der Stadt 
Hall, als von der Mittwe Veldner und dem Schenfen 
von Limpurg als Zeugen unterfchrieben und beftegelt 
wurde. 7 

Raſch und freudig begann num Die Arbeit des Baues 
Kaum wurde es fund, als von nahe und ferne“ viele 
durch Die damals herrfchende Theurung dem bitterfien 
Mangel ausgefegte Arme berbeieilten, der rau Veld— 
nerin für Nahrung und Obdach die thätigen, Arbeit 
gewohnten Hände zum Dienfte zu bieten. Unweit dem 
Plage, auf welchem das Schlößchen emporfteigen follte, 
lagen verfchüttet und vermoost die Trümmer‘ einer 
großen Burg in wilden Mafjen über einander; ein 
weites Feld mwuchernder Neffeln und Dornen begeichnes 
ten ihre Gränzen; aber ihr Name war verflungen in 
den Tagen der Vergangenheit und Niemand wußte, 
wer einft hier gehaufet. Aber reichlich Tieferten dieſe 


497 


Reſte Die Bedürfniſſe des Baus, und. aus den ſchön 
und: zierlich ‚behauenen Steinen ahmete der Geift einer 
Eräftigen Beriode der Kunft. 

Ein munteres, reges Treiben belebte jegt Die einfante 
Gegend. Täglich :befuchte Frau Bertha die Stätte des 
Baues, ſpornte mit Ernft und freundlicher Rede den 
Eifer der Arbeiter, um des Schlößleins Zinne bald luſtig 
emporfteigen zu fehen. Ein ſchönes Vorahnen hob ihr 
die tiefbewegte Bruft; aus dicht verhüllter Zukunft 
Dämmerten ihr frohe, fonnenhelle Tage herauf, und 
mit Ungeduld fah fie dem Tage entgegen, der fie in 
ihr Eleines  ftilles Eigentbum ‘einführen follte Und 
als das Schlöflein nun daftand in wohnlicher Zierde, 
und die Abendfonne feinen Schatten malte im fleinen 
Wellengefräufel des Kochers, die fertigen Arbeiter, am 
Fuße des Berges gelagert, mit trübem Blick ‚hinauf 
ſahen, und Darüber hinweg in ihre, wieder dem Mangel 
preiögegebene Zufunft, und manche Thräne banger 
Erwartung fich in dem grünen Nafen barg, da trat, 
von tiefen Mitleid bewegt, die Herrin zu dem Bau— 
meifter und gebot ihm, feinen Arbeiter zu entlaffen, 
ehe Denn er den Tag ihres: Einzugs im neuen Eigen- 
thum feftlich mit ihr gefeiert habe, und der Schaffner 
erhielt Befehl, Allen wie bisher Speife und Trank zu 
reichen. 

Ein heiterer Tag ging über Bertha auf, den Pfad 
zu erbellen, der fie mit ihrem einzigen Kinde, einem 
Golden Knaben, einführte in ihr erfehntes, freundliches 
Aſyl. Mit lauten Jubel begrüßte fle das ganze Chor 


438 

der Meiſter und Gefellen, angeführt von dem Bau— 
meifter, und geleitet von den Dielen, denen Die milde 
Hand der Herrin Brod und Unterhalt gefpendet hatte. 
Mit Danfbaren Thränen und Segenswünfchen weibten f 
fie des Schlößleins Pforte, und ala Frau Bertha den 
Fuß auf die Schwelle feßte, ertönte lautes Freuden— 
gefchrei der Menge von Neugier getriebenen Bejchauer, 
und Glückwünſche wirbelten im bunten Gewirre durch 
einander; mit Blumen und Eichengezweig fand fie 
alle Gemächer zierlich gefchmücdt, und der Geift des 
Friedens und der Ruhe wehete ihr heilverfündend ent= 
gegen. Reichlich fpendete fie nochmals Speife und 
Tranf, reichte mit eigener Hand umd freundlich dan— 
fenden Worten jedem feinen Lohn, und entließ am 
Abend alle, die nicht zu ihrem Eleinen Haushalt ge= 
hörten. 

Nach einigen Tagen entbot fie den Schenker von 
Limpurg, die Nitter von Sulburg und von Münkheim, 
Herren Berfer von Dullau, "Schultheißen der Stadt Salt, 
die Herrn von Teuwer und von Michelfeld und Den 
Eolen von Enslingen, zu einem Mittagsmahl; und 
als ſie nach dem Effen noch fröhlich beim Becher ver- 
weilten, mit Erzählung manch luſtigen Schwanfs aus 
der fröhlichen Jugendzeit fich die Zeit Fürzend, trat, 
fich fittig verneigend, Frau Bertha zu ihnen und bes 
gann alfo: | 

„Vergönnt, ihr edlen Ritter und Herren, mir em 
geneigtes Gehör und laffet euch mein Anliegen in 
Demuth vortragen. Ihr wiſſet allzuwohl, wie höchlich 





439 


Noth einer einfamen Wittwe ein Fräftiger Schuß thut, 
darum wollet ihr, Herr Schenk, mir.und meinem 
Waislein noch fürder ein treuer Schutzherr und Ver— 
fechter unferer Nechte feyn. Da ich aber nicht weiß, 
obwohl ich noch jung an Fahren und gefunden Leibes 
bin, wenn mein legted Stündlein jchlägt, jo habe ich 
in Gott und unter dem Schuge feiner Seiligen einen 
Entſchluß gefaßt, und bin gewillet, dieſes mein Schlöß: 
fein, jo ich frei aus eigenen Mitteln und ohne eines 
Menfchen Zufchuß erbauet, meinem einzigen Söhnlein 
Edelbert zu verfchreiben, welches ihm, fo ich früh ver— 
fterben und ihn unmündig verlaffen follte, Teichtlich 
von der Stadt Hall, als welche fih dem Bau ſtark 
widerfeget, ftreitig gemacht und entriffen werden fönnte, 
fo habe ich deßhalb dem Scultheißen Kern Berler 
von Dullau ‚» und den andern ehrfamen Rittern und 
Herren Die Bitte vorzutragen mich erfühnet, mit eueres 
Namens Unterfchrift und adeligen Inflegel die Urkunde 
zu beglaubigen und zu feften, und meinem Söhnlein 
ſo fein Erbe zu fichern. Da ich aber die letzte Sproſſe 
de3 Stammes der Geyer bin, jo ift mein Begehr, daß 
mein Name fih auf fpätere Gefchlechter Durch meinen 
Sohn vererbe, und er fürder „Edelbert Veldner der 
Geyer,” das Schlößlein aber für alle Zeiten die Geyers— 
burg heißen fol. Sämmtliche Herren fanden feine 
Urfache, der Mittwe ihr Verlangen zu verweigern, 
Es wurde alles rechtskräftig aufgefeßt, unterfchrieben 
und befiegelt, und von Stund an das Schlößlein vie 
Geyersburg, ſowie das junge Serrlein Veldner der 


440 


Geyer genannt. — Nur eine fchöne, heilige Sorge um: 
faßte von nun an das ganze Mefen und Leben der 
Burgfrau, Die Erziehung ihres Kindes. Schon in Hall 
ward er einem vielerprobten Lehrer vertraut. Zarte 
Liebesbande, wie die Natur fie um Vater und Sohn 
jchlingt, batte Gereit3 beide, Lehrer und Zögling, fo 
einzig und feft verbunden, daß Kerr Johannes Mühlbei- 
mer alles bisher Gewohnte und Liebgewonnene verließ 
und mit dem Knaben und feiner Mutter Hinaufzog ind 
ftille einfame Schlößlein über dem anmuthigen Thale. 

Zu gut Ffannte Meifter Johannes die Beftimmung 
eines Knaben, dem edles Blut die Adern ſchwellt, als 
daß er für binreichend halten Fonnte, feinen Zögling 
blos in den fehönen genußreichen Künften des Friedens 
heranzubilden. Edelbert mußte einft auch das Schwert 
zu führen wiffen, follte fich zum Ritter hinauffämpfen, 
jollte nach) der Sitte der Zeit auf blutbedeckter Bahn 
fih Größe und Macht erringen, Darum übte er den 
Knaben oft im Waffenfpiele, tummelte ſich mit ihm 
auf bäumendem Roſſe im weiten Felde umher, und 
machte ihm auf Diefe Weile eine Biegfamfeit und 
fichere Vertigfeit eigen, Deren wohlthätige Folge ſich 
in feinem fpäteren Leben oft bewährte. So gerne 
und freudig aber Edelbert dieſen Vorſpielen einer ernften 
Zufunft fich Hingab, To zog Doch eine innere Mahnung 
ihn unmiderftehlich in’8 Neich der Töne. Jeder Klang, 
kaum berührten Saiten entfchwebt, weckte in feiner 
Bruſt mächtig der Harmonie verwandte Töne, und in 
bober Begeifterung erbebten alle die zarten Saiten des 


441 


reinen jugendlichen Herzens. Herr Johannes, ſelbſt 
Meifter auf der Laute, bob durch feinen Unterricht 
noch höher des Knaben Streben, und bald war er fo 
weit, nicht mehr hinter der geflügelten Hand des Meifters 
gurück zu bleiben. 

So jchwanden Jahre dahin, und Edelbert in feäftiger 
Blüthe Hoch herangewachſen, hatte fein fechszehntes Jahr 
befchlofjen. Kleine Ausflüge an der Seite des Meifters 
zu den Herren der Nachbarfchaft, die der Sängerfunft 
hold, ihn freundlich willfommen hießen, hatten ihn vor 
der gewöhnlichen Schüchternheit in der Einſamkeit auf- 
gewachjener Jünglinge bewahrt, und ihm edlen Anftand 
und feine Sitten eigen gemacht; und mit holder Freude 
Jah die Mutter das verjüngte Bild ihres fo früh verlorenen 
Gatten. 

. Einft al& der Schenke von Limpurg feinem Sohn 
vor dem verfanmelten Adel der Stadt, fo wie vieler 
feiner Freunde und Bundesgenofien, die Ritterwürde 
ertheilen wollte und fie alle mit Frauen und Töchtern 
auf einen Tag auf feine Veſte einlud, Eonnte Frau 
Bertha um der vielen Verpflichtungen willen, Die fie 
dem Schenken ſchuldete, es nicht verweigern ‚ feiner 
freundlichen Mahnung mit ihrem Sohne gehorchen, fo 
wenig fo ein Feitgelage ihr Genuß bieten fonnte. Sie 
ritt, eine der leßten, an Edelbert3 Seite, der in an— 
muthiger Tracht der Sänger fie begleitete, in das 
Burgthor ein. — „Gott grüß Euch, edle Frau!’ rief 
ihr der biedere Schenfe entgegen, und hob -fie von 
ihrem Rößlein, „darf ich doch traun ! nichts Geringeres 


442 


beginnen, als meinen Sohn wehrhaft zu machen. Soll 
ich euch einmal hier oben auf meinem Nefte begrüßen * Nun 
feid mir willkommen! — Und auch Ihr mein ſchmucker 
Zunfer, kommt ja geſchmückt wie ein recht erprobter 
Sangesheld. — Fa, ja, fingt nur jeßt noch recht 
fröhlich und guten Muths. — Werdet zeitig genug 
verftummen, wenn Ihr einmal beim Schwerttang Den 
Reihen führt.” — Damit geiellte er beide der vers 
ſammelten großen ©efellfchaft zu, und machte fofort 
Anftalt, die feierliche Geremonie, deren Zeugen Die 
Säfte fein follten, vorzunehmen. Nach Deren Beendi— 
gung vereinte laute Luft und Sröhlichfeit die Herren 
und Frauen an reich befegten Tafeln. Luſtig kreisten 
die Becher voll perlenden Weind Die Runde von Mund 
zu Mund, und Scherz, Jubel und lautes Gelächter 
ſchwirrten in wirrem Getöfe durcheinander. 

An einer der Tafeln hatte fich zwifchen zwei jungen 
Rittern, Kungen von Kransberg und Walther von 
Hohenthüren, ein Streit entjponnen und ungezähmte 
Kampfesluſt, gefteigert Durch den Geift des Weins, 
entjchied, daß ein ernfter Gang das Necht an's Licht 
bringen follte. Hinaus auf die Ebene ritten troßig 
und ſtolz die Kämpfer. — Biele fammt einer Menge 
des Trofjes folgten ftürmend ihnen nacb, mit gefpann- 
ter Erwartung welchem der Sieg werde, und in manch 
neuem Zwiefpalt äufferten fich die getheilten Meinungen 
der Zuſchauer. Doch im kurzer Frift tönte lauter 
Zubelruf dem Sieger, Kungen von Kransberg. Im 
Zriumphe führte ihn Die Menge wieder in die Bere, 





443 


aber Walther von Hohenthüren, der gewaltige Prahler, 
ichlich fich heimlich und hinkend Davon. 

Aus aller Munde tönte Freudenruf und Lob Herrn 
Kunzen entgegen, als er wieder in den Hof trat. 
Seht griff Evelbert im fchönen Hochgefühl eines ver: 
wandten adeligen Ginnes mit geflügelter Hand in 
feine Saiten, und ein Lied voll deutfcher Kraft ent 
ftrömte des begeifterten Sängers Lippen. Verſtummt 
war jeder Laut, alles lauſchte dem herrlichen Gefang, 
wie er aus der Tiefe eines bemegten Gemüths herauf— 
jchwebte, alles, was fich Dort entfaltete, in Bild und 
Wort zu gejtalten. Er hatte geendet. Still in ſich 
verfenft entbebten nur einzelne Töne den faum bes 
rührten Saiten, wie ein mächtiges DBerbraufen der 
ftürmenden Gefühle feiner Bruft, und das laute Lob, 
ihm von allen Seiten gegollt, vermochte nicht, ihn 
feiner Begeifterung zu entrüfen. Da flüfterte, wie 
das flüchtige Vorüberwehen eines Zephyrs, eine mes 
fodifche Stimme in fein Ohr: Habt Danf, edler 
Sänger, habt Dank! Schnell ſich wendend, fah er 
zwei weibliche Geftalten vor ihm hinſchweben. Raſch 
folgte er ihnen und fragte den Erften, der ihm in den 
Meg kam, wer die beiden Frauenbilder wären. Der 
Gefragte nannte ihm Die rofenwangige, üppig aufge 
blühte Jungfrau Bertha, des Haaken von Wöllftein 
Tochter, und das Mädchen an ihrem Arme, Emma 
von Steinwang. Am Fuße des Berges, der Die Veite 
Limpurg trug, wohnte im einem kleinen Schlößlein 
Raimund, ihre Vater, ein biederherziger frommer Greis. 


444 


Wohl war Edelbert noch ſehr jung, und noch Fein 
Saum am Kinn Fündete den Fünftigen Bart; und 
doch fagte eine leife, innere Stimme, daß hier etwas 
Höheres, Heiligeres, als das gewöhnliche Anerfennen 
der Tapferfeit des Giegerd, fich in des Fräuleins flüh- . 
tigem Lobe ausſprach. Er trat in ihre Nähe, griff 
zarte, fchmeichelnde Töne in feine Laute und fang der 
Schönheit Preis, Der Liebe Glück aus einem vollen, _ 
reichen Serzen,, gehoben durch die Weihe der Kunft. 
Hocherglüht ſenkte Bertha den Blick tief zur Erde. Sie 
verftand des Gefanges Sinn, und bebte vor dem Ge— 
danfen, ihr Geheimniß verrathen zu haben. Aber mit 
frommen Taubenaugen ſah Emma, ihre Gefährtin, dem 
Sänger frei und offen in's Geficht, als wollte fie den 
Lippen Die Worte des Sängers entichlüpfen ſehen, und 
wunderbar — als müſſe er Die Kniee beugen — mar 
e8 dem Füngling um's Herz, wie er ihr in Die Haven | 
frommen Himmelsaugen blickte. 

Noch hatte er nicht geendet, als ein junger, zierlich 
aufgeſtuzter Herr — es war Giſelbert von Buchhorn und 
erſt ſtolz und übermüthig von einer Ritterfahrt nach 
Frankreich zurückgekehrt — höhniſch zu ihm trat und mit 
einer widerlich hohlen Stimme ſagte: „Was möcht ihr 
junger Fant mit dem Milchkinn Euch erkühnen, dem 
holden Fräulein etwas vorzuliebeln? Mir gebt die Laute 
und ihr ſollt euch baß der Weiſen verwundern, Die ihr 
aus deutſchem Munde wohl nie fo hören möget.“— 
Dann wollte er mit kecker Hand Die Raute dem Fünge 
ling entwinden. Zornesglut flog über Edelberts Ant 


445 


li; „die Laute ift mein, Herr,” rief er troßig, „und 
weder Eure Hand, nocd eure Stimme foll meiner Sai— 
ten reiner Klang verunehren.” Damit warf er fein 
Eaitenfpiel über die Schulter und fehritt unmilligen 
Zritted über den Hof bin. 

‚Eine laute raufchende Muftf rief nun Die Tänzer 
zum Reihen. Im vielfach verfchlungenen Kreiſen wir— 
belte die muntere, lebensfrohe Jugend dahin, und frei 
von jedem Zügel entfaltete laute Luft und Fröhlichkeit 
die rofigen Schwingen. Die älteren Derren und Brauen 
fosten noch beim Becher in gefelliger Einheit, und be— 
ſchauten mit manch holder Erinnerung aus den Tagen 
ihrer wonnereichen Jugend das bunte Treiben der Fröh— 
lichen. Auch Frau Bertha Veldnerin weidete fi 
an den vielfach geftalteten Wendungen der Tanzenden, 
unter denen harmlos und luſtig fich auch ihr Sohn 
tummelte, als mit befonderem Ernfte im Geſichte der 
Schenfe von Limpurg, ſich am ihre Seite fegend, alfo 
begann: „Noch felten that e8 Noth, Euch, mie Ihr mir 
das Hecht hiezu einst verliehet, mit gutem Rath zu 
Handen zu feyn, wo Ihr folchen bedürfet; Ihr. felbft, 
eine kluge Frau, wifjet Euch zu berathen, Doch "mahnt 
es mich ſchon lang, mit Euch einmal zu verfehren ob 
eurem Sohn. Wohl weiß ich, Daß mem: Zufpruch 
Euch nicht fonderlich erfreulich feyn wird, Doch gilt es 
enres Kindes Heil, edle Frau! So möget Ihr das 
Böſe hinnehmen um des Guten willen. Es ift mohl 
eine ergößliche und Tiebliche Kunft, fo mit dem Sat 
tenfpiel Ohr und Herz zu erfreuen, finde ich doch felbft 


446 


Gefallen daran, und mag ed “gar leiden, Daß Euer 
junger Herr der Kunft Meiſter wird, aber feht, Der 
Junker wird zu weibifch bei Euch, Frau Bertha! — 
Will er feinem Namen Ehre machen, reicht er nicht 
aus mit dem Ging und Gang; er muß hinaus in 
die Welt, unter Männern ein Mann werden, und im 
rechten Ernft das Waffenfpiel erlernen. Da wäre denn 
mein Rath, ihn irgend einem rechtlichen und tapfern 
Herrn zur Zucht anzuvertrauen, und fo e8 Euch nicht 
entgegen wäre, wollt ich wohl jelbft in ein Paar Ta— 
gen gegen Waldenburg reiten, mit dem Grafen von 
Hohenloh deßhalb Zwiefprach zu halten, und will er den 
Junker zum Edelknaben annehmen, fo geleite ich ihn, 
fo e8 euch lieb ift, felbft dahin. Ja, ich kann Euch 
nicht helfen, Frau Bertha,* fuhr der Schenke fort, als, 
ftatt Der Antwort, die Wittwe fehmerzlich zu weinen 
anfing, „Ihr nehmt es Eucy jegt gar leid, werdet mird 
aber einft danfen; ich meyn' es gut mit Euch, wenn 
ich gleich mit rauher Hand Euer weiches Herz vermunde. 
Befinnt Euch Darüber: — Könnt mir wohl in ein 
paar Tagen erft Eure Meinung fagen, wenn Ihr wollt.“ 

Damit flund er auf, um wegzugehen, aber Frau 
Veldnerin hatte fich gefaßt. und fagte, indem ſie ihre 
Thränen trodnete: „Ich kenne Eure Fürforge und Huld, 
Herr Schenke ! und ich bin Euch Höchlich zum Danfe 
verpflichtet Darob, aber möget es mir einfamer Wittwe 
jedoch nicht verargen, wenn ich den einzigen Sohn mit 
Schmerzen binziehen fehe, obwohl zu feinem Nußen 
und Frommen. Meyn' ich Doch, all meine Freude und 


447 


Friede ziehe mit ihm hinaus aus meinem Schloͤßlein. 
Doch ſtelle ich Alles Eurem weiſen Rath und Willen 
anheim. Waltet nach Eurem Gefallen, wie es Euch 
gut und recht dünkt. Gott und ſeine Heiligen werden 
mit ihm ſeyn!“ „Nun ja, ſo iſt's klug,“ entgegnete 
zufrieden der Schenke. „Waldenburg iſt ja nicht fern 
von Euch und Edelbert mag Euch wohl des Jahres 
ein paar mal heimſuchen.“ Er rief hierauf dem Jüng— 
ling und machte ihm ſeinen Willen kund, den dieſer 
mit freudigem Beifall vernahm. 

Der Graf von Hohenloh, dem der Schenke von Lim— 
purg, ſeinem Verſprechen zu Folge, die Wünſche der 
Frau Veldner in Einklang mit ſeinem eigenen kündete, 
war willig und bereit, ſte zu gewähren, und nach mes 
nigen Wochen zog Edelbert Veldner an der Seite des 
Schenken als Evelfnabe auf Waldenburg ein. 

Eine neue Welt erfchloß fich hier feinem Auge; Man- 
ches fprach ihn wunderſam, Manches erfreulich in des 
Grafen großem Haushalt an, aber ſchwer gemöhnte er 
fich an den rauhen, derben Ton der zahlreichen Diener- 
Schaft. Wohl fügt ein ernfter, fefter Wille fich überall 
der Nothwendigkeit eifernem Gebot. So auch Evelbert. 
Er gewöhnte ſich allmählig an die neue Weile. Der 
Graf gewann den befcheidenen, fügfamen Süngling 
lieb, und auch er hing mit ehrfurchtsyoller Liebe und 
Treue an feinem Herrn und Beſitzer. — So waren vier 
Jahre und etwas Darüber hingeeilt, und Freudenthrä— 
nen aus den Augen der treuen Mutter begrüßten den 
SJüngling, fo oft er auf der Geyersburg einfprach. 


448 


Wohl dankte ſie es jetzt dem Freunde, daß er einſt 
mit rauher Hand in ihre ſchoͤnſten Freuden gegriffen 
und den einzigen Liebling aus ihren Armen hinaus 
in's Leben geführt hatte. Gereifter an Geiſt und Kör— 
per ſtand er jetzt in hoher Anmuth und edler Haltung 
vor ihr, und die Saat des weiſen Johannes hatte 
ſich zu kräftiger Blüthe entfaltet. Seine ſtille Jugend, 
feſter Muth, Beſcheidenheit und Treue hatten ihm das 
beſondere Vertrauen ſeines Herrn erworben, weßhalb 
er ihn nicht nur jedesmal als Leibknappe begleiten 
mußte, ſondern auch oft in beſonders wichtigen oder 
geheimen Geſchäften von ihm verſchickt wurde. Klug— 
heit leitete dabei immer ſeine Schritte, er beſchickte ver— 
ſchwiegen und ſorgſam das ihm Aufgetragene und ge— 
wann ſich mit jedem Tage mehr das Vertrauen des 
Grafen von Hohenloh, ſeines Herrn. — Einſt, an einem 
trüben Novembertage, kehrte er im Geleite eines Knechts 
von einer kleinen Reiſe zurück. Schon fieng es all— 
mählig an zu dunkeln, als ihm das Brauſen eines 
Pferdes, ſo wie Hufſchläge das Nahen mehrerer Reiter 
verrieth. Doch ehe ſich der Geſtalten Umriſſe aus dem 
Nebel entwickelten, vernahm Edelbert die Worte, rauh 
und unwillig geſprochen: „Schweigt einmal mit euren 
unnützen Klagen. Iſt es Doch Eure und Eures Va— 
ters Schuld! — Warum habt Ihr — — —.“ Der 
Sprechende fehwieg, wie er. die Entgegenfommenden be= 
merkte, und dieſe fahen acht bis neun Pferde vorüber- 
ziehen, ohne erfpähen zu können, wer fte leite; aber 
in Edelbert erregte die Stimme, Die fo rauh und vers. 


449 


weifend gefprochen, eine wibrige Erinnerung. : Schon 
einmal hatten dieſe Töne ihm unfanft berührt. Gie 
viefen etwas längſt Verklungenes wieder ins Leben zu— 
rück, ohne daß er mit ſich in’s Klare fan, was es 
ſeyn möchte, was wie eine halb verwiſchte Schrift ernft 
und bedeutungsyoll in feiner Seele lag.  Sinnend 
ritt er vorwärts, bog bei Dullau rechts ab nach der 
Stadt Hall, von wo er befchloffen hatte, noch zur 
trauten Mutter zu gelangen, und unter ihren ſchir— 
menden Dache heimathlich zu übernachten. Schon: war, 
ald er Die Stadt erreichte, die Nacht herabgeſunken. 
Er hielt an einer Herberge, ſich Das verfpätete Veſper— 
brod reichen zw laffen, trat im die Schenke, und hatte 
eben fich behaglicy am warmen Ofen gefeßt, als ein 
ftarfes, ungeftümmes Klopfen an den niedrigen ver— 
ichloffenen Senfterladen feine Aufmerkſamkeit erregte. 
Es war ein Bote, der nach: dem jungen Herrn Kurt 
von Steinwang, oder vielmehr feiner Wohnung fragte 
und mit wenigen grauenhaften Worten erzählte, "Daß 
diefen Nachmittag der Pfarrderr von Mainhardt | mit 
feinem Meßner und einem Gafriftan heimfehrte, von 
einem Kranken, dem er am Morgen: die Simmelöfpeife 
im heil. Sterb - Sacrament 'gereicht und auf dem Wege 
im Wald unter: mehreren erfchlagenen Knechten einen 
ritterlichen Seren in feinem: Blute liegend gefunden 
Habe. Der: fchnell nad) Mainhardt um Hilfe gefchidte 
Mepner fehrte bald nach der Schreefensftätte, zurüf. 
Der Pfarrherr hatte unterdeffen "mit. Sorgfalt die Ge— 
fallenen unterſucht, nur noch in einem ber Knechte 

29 


450 


glimmte matt ein Funke des Lebens, » Der Ritter hatte 

aus vielen Wunden feinen Lebensquell verftrönt, und 
fein ehrwürdiges ©reifenhaupt im Tode geneigt, Man 
brachte fie alle gen Mainhardt, wo nach einigen Stun— 
den der Knecht fich ſo weit erholte, um zu jagen: 
daß der erfchlagene Ritter Herr Raimund von Stein- 
wang ſey, der feine Tochter Emma nad) Klofter Lich— 
tenftern: geleiten wollte, und bat, einen Boten feinem 
jungen Herrn zu fenden, damit er fehleunig der Räuber 
Spur: verfolge und das Fräulein rette. Edelbert eilte 
jelbft mit dem Boten fort zu Seren Kurt, den er in 
einer großen Beftürzung fand. "Eben war: feines Va— 
ters Pferd ſchnaubend und blutbefleckt mit zwei andern 
ledigen Roſſen heimgefommen, und hatte Sammer und 
Schrecken verbreitet. — Schon waren Pferde gefattelt 
und Kerr Kurt: im Begriff aufzufigen, als Edelbert 
mit dem Boten eintrat, um ihm das Schrecklichſte zu 
verfünden. Schmerz und Wuth zerriffen mit: wilder 
Gewalt des jungen Mannes Brujt. Er ſandte die 
gräßlichiten Schwüre hinauf in den trüben Nachthim— 
mel, nicht zu raſten, bis er des Vaters edles Blut 
an dem Thäter gerächt und die Schwefter gerettet-habe. 
Mit Mühe Fonnte ‚Edelbert dem von Schmerz Zerrüt- 
teten eine Antwort auf die Frage abgewinnen, ob ver 
auf: irgend Jemand feinen Verdacht zu leiten Urſache 
habe? Und. ala: ihm Diefer Gifelbert von Buchhorn 
nannte, Dem feine Schwefter ihre: Hand verfagt, und 
“feinen Nachftellungen zu entgehen, fich unter den Schuß 
der Frau Nebtiffin Kunigunde, Gräfin von Limpurg, 


4 


451 


im Klofter Lichtenftern  ftellen wollte, da zuckte es ihm 
wie ein Strahl vom Himmel Durch die Seele. Der 
Ton der heute im Vorüberziehen ‘der Reiter vernome 
menen Rede hatte ſchon einmal ihn unfanft berührt, 
al8 bei den Fefte auf Limpurg Buchhorn ihm höhnend 
begegnete, und klar wie der Tag war ihm die Gewiß— 
heit, daß Buchhorn der Ehrlofe mit feinem Raube an 
ihm vorbei auf feine Befte gezogen fey. Er eilte nach 
Hal zurück, beftieg fein Pferd, um auf der Höhe mit 
Kurt zufammenzutreffen. Schon harrte Kurt feiner 
und mit verhängtem Zügel gings fort nach Mainhardt. 

Mit heißen Thränen fanf diefer an der Reiche feines 
Vaters nieder. Wenig, jehr wenig war e8, was der 
todtfchwache, verwundete Sinecht noch berichten Eonnte, 
Aus feinen kaum vernehmbaren Worten wurde fo viel 
gewiß: „Als fie eine Strecke im Walde geritten waren, 
ſprengte ein Nitter mit gefchlofjenem Viſir nebft acht 
bis neun Knechten auf fie zu, ergriff des Fräuleing 
Pferd beim Zügel und jagte mit ihr dem Dieficht zu, 
wohin seiner ihrer Geleitöfnechte nachjagte. Sein Herr, 
von der überlegenen Zahl angefallen, habe fich vertheidigt; 
er aber, von einem Kolbenfchlag gleich bewußtlos zu 
Boden geſtreckt, wußte nicht weiter, wie alles geendet, 
erfuhr erſt bei feinem Erwachen aus der tödtlichen 
Ohnmacht feined Herrn fchmähliches Ende, und ent- 
fchlief. nun nach wenigen Stunden zum ewigen Frieden, 

Ueber der Keiche des Ritters gelobte Edelbert feinem 
Sohne treuen Beiftand, in dem gewiffen Vertrauen, 
daß Graf Hohenloh ihm mit einem Käuflein tapferer 


452 


Männer zuzueilen nicht‘ verfagen werde — Sobald 
die Todten der Erde übergeben waren, kehrte Kurt 
von Steinwang zurück, und bot feine Freunde und 
Maffengenofjen auf, mit ihm dem Näuber und Mör— 
der zu Leibe zu geben. Er forderte, nach Sitte und 
Brauch, Das geraubte Fräulein zurückzugeben, oder ge— 
wärtig zu jeyn, dag Waffengewalt ſie ihm ientreiße. 
Buchhorn aber. gab Höhnend zur Antwort! „Wenn 
fie die Hochzeitsfackeln leuchten ſehen vom Schloffe, 
würden fte ihm willfommene Gäſte ſeyn.“ 

Fünfzehn reifige Knechte vertraute der Graf Hohen⸗ 
loh Edelberts Führung. Den nächſten Morgen ſollte 
der Zug nach Buchhorn unternommen werden, und 
tief in der Nacht ſaßen die Herren noch beim Becher, 
ihre Plane beſprechend, als ein wildes Geſchrei: „die 
Veſte Buchhorn ſtehe in Flammen,“ ſie aufſchreckte. 
In fliegender Saft enteilten Kurt mit Edelbert und 
den Reiſigen dahin. Wie Teicht Fonnte Emma, viel- 
leicht eingeferfert, im Schreefen vergeffen, ein Haub der - 
Mammen werden! Wie leicht von einem Räuber zu- 
einem feiner Verbündeten geflüchtet und für fie’ ver- 
loren feyn! Ihr zu Hülfe, war jet die Lofung und 
wie auf dem Fittig der Windsbraut flogen Die Reiter 
durch die Nacht Hin. Schon war ein Theil’ des Ge— 
bäudes eingeftürzt.. Eifrig fuchten die ihm zur Vers 
theidigung von feinen Bundesgenoffen ‚geliehenen Knechte 
das Mebrige zu retten. Ungehindert drang Kurt! mit 
den Seinen ein, mit lauten Angftruf rannten fie fu— 
chend umher, hieher, dorthin, überall in alle Gemächer. 


453 


Ihrer Gewalt wichen Schlöffer und Riegel, öffneten 
ſich Keller und Gewölbe: Umfonft! nirgends eine 
Spur von Emma, kein Laut, feine Antwort. Auch 
der Ritter ließ ſich nicht ſehen. Der Gedanke, daß 
er mit dem Fräulein entflohen, um ſie anderwärts in 
Verwahrung zu bringen, machte es nothwendig, Knechte 
auf alle Wege auszuſenden, un die Flüchtlinge einzu— 
holen, falls e8 ihnen gelungen wäre, zu entkommen: 

Trüb und düſter Dämmerte der Tag herauf, Auch 
Kurt verließ: mit Edelbert die Brandftätte, um im der 
Gegend nach dem Fräulein und dem Räuber zu fpähen, 
als ein Knecht mit der Kunde auf fie zueilte: Das 
Fräulein fey Da, einer von den mit dem feligen Herrn 
auögerittenen Knechten — fie wohlbehalten zurück— 
gebracht. 

Seit jenem Tage, als bei dem Feſie auf Limpurg 
dem noch an das Knabenalter gränzenden Jüngling 
das Herz vor Emmas reinem Himmelsauge in hoher 
Andacht aufging, hatte er das Mädchen nicht mehr 
gefehen. 

&3 war ihm wunderbar wohl und weh zu Muthe, 
als er jetzt dem Schlößlein nahte, in vollendeter, ju— 
gendlicher Schöne, wie die junge, in zarter Farben 
pracht aufgeblühte Rose ; aber unter heißen Schmerzens— 
thränen trat dem Kommenden Die Jungfrau entgegen. 
Hier hatte fie erft den ganzen Umfang des Unglücks 
fennen gelernt. In freudiger Eile war fie dem leiten- 
den Knechte aus Buchhorns Raubneſte gefolgt, nicht 
ahnend, welche ſchwere Schuld er mit ihrer Rettung 


454 


zu Jühnen wähne. Hier hoffte fie dem Greifenvater 
in die Arme zu‘ finfen und: ihm mit Liebe und find» 
licher Pflege die Tage der Angft um ſie zu vergüten. 
Erfehüttert von ihrem namenloſen Schmerze bat der 
Knecht fie um geheimes Gehör, warf mit bittern 
Renethränen fich zu ihren Füßen und befannte, Daß 
er es fey, der fie werrathen und dem Ritter Buchhorn, 
in deſſen geheimem Solde er ſchon längſt ftehe, in die 
Hände gefpielt habe. Mehrere DVerfuche, es zu thun, 
waren mißlungen, hatten des Vaters Aufmerkſamkeit 
erregt und ihn bewogen, fie nach Lichtenftern zu bringen. 
Durch den niedrigen Verräther ward dem Ritter Der 
Tag der Reife genannt und das Bubenſtück ausgeführt. 
Mit heiligen Schwüren betheuerte der Verworfene zwar, 
daß er zur unerläßlichen Bedingung gemacht habe, fei= 
nes Herrn: zu ofchonen, aber defjen gewaltige Gegen- 
wehr erbitterte feine ®egner fo ſehr, daß fie, Das 
eigene Leben zu gewinnen, achtlos ſich vertheidigten 
und fo ſank der Greis, ein Opfer väterficher Liebe, ins 
Grab. Dem Fräulein wurde ein Reitermantel umges 
worfen, das ſchöne jungfräuliche Haupt in eine Sturm= 
haube verfteekt. Im fichern Hinterhalte harrten fie, 
bis die Knechte fich wieder zu ihnen: fanden. Unge— 
fährbet erreichten fie Buchhorn, wo der Verräther über 
das Ende des blutigen Kampfes unterrichter, gequält 
von Gewiffensangft und Reue, nicht Ruhe noch Raſt 
fand; empört über Verweigerung feines Sündenlohns, 
befchloß er, Durch des Fräuleins Rettung fich an dem 
Nitter zu rächen. Sorgfältig erfpähte er des Fräuleins 


455 


Gemach, legte in der Nacht in’ deffen Nähe in einer 
Vorrathskammer Feuer an, und als bei feinem Aus— 
bruch Angft und Schrecken jede andere Sorge beftegte, 
Lärm und Getümmel allgemein wurde,’ ftemmte er fich 
niit Mannesfraft an die Thüre. Willig folgte. das 
Fräulein den Mohlbefannten auf Nebenwegen zur 
väterlichen Wohnung, wo Trauer und Weheklagen ihr 
entgegen tönte. Gerührt von des Knechtes Neue, ver— 
fprach fe ihm zum Lohne ihrer Rettung die Ver— 
“ zeihung ihres Bruders zu erwirfen; er aber, ahnend, 
daß hier die Gnade der Gerechtigkeit weichen müffe, 
entfloh, ehe der junge Herr zurückkam, belaftet mit der 
Schwere eined böfen Gewiſſens, und fehrte nie wieder. 

Unruhig ſchritt Kerr Kurt im Gemache auf und 
ab; aber nur für heute wähnte er den Frevler feiner 
Mache entgangen. Feierlich erneute er den. Schmwur, 
nicht zu raften, bis er aus feiner Hand den Kohn des 
Bubenſtücks empfangen Habe. — Doch der Herr fpricht: 
die Rache ift mein; noch am Abend deſſelbigen Tages 
erhielt: Kurt Die Kunde, Daß, nachdem die Flamme 
bewältigt, man den Ritter Gifelbert in dem Gemach, 
worin das Fräulein verwahrt gewefen, gefunden habe, 
wahrſcheinlich wollte er fie retten und erſtickte i im Rauche, 
ehe des Rächers Hand ihn fand. 

Noch blickte Emmas blaues Auge fo fromm, fo 
rein, wie einft, aber nimmer fo unbefangen- weilte es 
auf Edelberts Untlig, und hohes Glutroth flog, be= 
gegneten fich ihre Blicke, über Die zarten jungfräulichen 
Wangen. Wohl verftand Evelbert dieſe ftummen Zei⸗ 


456 

chen, aber zu fehr ehrte er des Mädchens flille Trauer 
um den geliebten Vater, als Daß er jebt es wagen 
mochte, ihr feine Gefühle zu bekennen. Sinnig und 
ernſt kehrte er wieder heim mit feinem Häuflein, fein 
gutes: Schwert hatte dießmal nicht Die Scheide ver— 
laſſen, und fein Hochgefühl tapferer Waffenthat hob 
ihm die Bruſt. Tief verſchloſſen in verſchwiegener 
Bruſt, was ſo ſchön, ſo beſeligend ſie hob, ſtrebte er, 
ſich bald des Ritterthums würdig zu machen. Und 
als nach Jahresfriſt der Graf Hohenloh ſelbſt ihm 
des Kreuzes Zeichen mit blankem Schwert über die 
Schulter ſchrieb, ſäumte er nicht länger, der matauien 
Mutter die liebliche Tochter zuzuführen. 

An der Seite der ſchönen Emma floß ſein Leben 
im reichen Genuſſe häuslicher Freuden ſtill und ge— 
räuſchlos, wie der Fluß unter dem Schlößlein dahin. 
In kräftigen Sproſſen blühte das Geſchlecht der Geyer 
fort, und fo lange der Sohn deutſche Treue und 
Biederkeit mit dem Erbe des Vaters empfing, mit 
edler Sorge dieſe wieder in die Herzen ſeiner Kinder 
legte, wich das Glück nicht aus dem der Liebe und 
Gottesfurcht geheiligten Familienkreiſe; als aber Gier 
nach fremdem Gut und wilder Rachedurſt das Herz 
des letzten Bewohners der Burg erfüllte, floh die 
fromme Freude und das ſtille Glück der Häuslichkeit 
aus der Veſte, bis ſie bei einem nächtlichen Ueberfall 
in Brand geſteckt wurde und der Burgherr im Kampfe 
mit den ihm Nachſetzenden ſein Leben verlor, a 
wir ERS das Nähere erfahren. ink 


457 


—* ——— Ahnfrau der Gepers- 
j burg. | 


In * — Sälfte, des 15; Fahegunderts, als 
fchon Die meiften Adelsgeſchlechter des Kochergaues: ihre 
Burgen verlaſſen umd ſich in der bei ihren reichen 
Salzquellen herrlich aufblühenden Neichsftadt Hall ein— 
gebürgert hatten, hauste Kunz Beldner, genannt 
der Geyer, ein wilder Rittersmann und einem der 
mächtigen fogenannten Giebenburgen-©efchlechter ange— 
hörend, auf ſeiner, nur eine halbe: Stunde unterhalb 
der Stadt, am linken. Kocherufer fich. erhebenden Burg 
Geyersburg. Er zog es vor, bier oben auf heiterer 
Höhe ſeinem eigenen Willen zu leben, als drinnen in 
der eingeengten Thalftadt im Dumpfen Veldner⸗Thurme, 
der einftigen Burg feiner Ahnen, oder in einem Der 
ibm erblich "zugefallenen fünf Steinenhäufer auf dem 
Fiſchmarkte zu wohnen. Das freie Ritterweſen da 
auſſen, die ernſte Fehde, die luſtige Jagd, das fröh— 
liche Zuſammenſeyn mit Nachbarn beim traulichen 
Humpen uud — wann er Abends von dem Treiben 
des Tages heimkehrte — die frohen: Stunden im 
Kreife feiner. lieben: Hausfrau und feiner Kinder, wa= 
ren ihm weit anziehender, als der Aufenthalt in Der 
durch Uneinigfeiten in feindliche Parteien gefpaltenen, 


wildaufgeregten Stadt. Frau Agnes, Kunzens Ge. . 


mahlin, ftand mit emfiger Thätigfeit ihrem Hausweſen 
jelber »vor ‚unterrichtete das weibliche »Dausgefinde im 
Spinnen und Wolleweben, und leitete mit Eluger Ein- 


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ficht die Gefchäfte der nicht unbeträchtlichen Maierei 
in der freundlichen Lindenau hinter der Burg, welche 
den Bewohnern den nöthigen Unterhalt Tieferte. Sie 
und ihre beiden Kinder, Fräulein Adelheid, eine Eräftig 
beranblühende Jungfrau und ganz das fchöne Ebenbild 
ihrer Mutter, und Junker Dietrich, ein wilder Knabe, 
lebten während der häufigen Abwefenheit Kunzens unter 
den Schutze ded ergrauten Nitterd Hans Beldner, 
ihres Schwieger- und Großvaters, des älteften Raths— 
herrn von Hall, der den Reſt feiner Tage auf der 
Geyersburg, im Kreife. der Seinigen, zu verleben be⸗ 
ichloffen hatte; allein anders war es im Rathe des 
Höchſten befchloffen. 

Ed: war an einem ſchönen Somnterabende des Zah. 
re8 1432 — Ritter Kung war ſchon vor einigen Ta- 
gen mit einem Häuflein Reifiger zu einer Vehde gegen 
den Nitter von Bebenburg, Die Diefer mit dem Abt 
von Comberg hatte, ausgeritten — da ſaßen auf der 
Geyeröburg der. alte Hand Veldner, Walther Senft 
von Sulbürg und Hang. von Stetten beim traulichen 
Becher beifammen und unterhielten fich in ernften und 
ſcherzhaften Gefprächen mit einander. Die Weltbege: 
benheiten lieferten zwar Stoff genug zu ernfter Unter- 
baltung, aber aus Rüuückſicht für die ängftliche Frau 
Agnes, die fih mit dem Spinnrorfen zu den Herren 
hingefegt hatte und nebſt Adelheid für deren mangels 
lofe Bewirthbung beforgt war, wurde dad Geſpräch 
immer wieder auf feherzhafte Gegenſtände gewendet. 
Frau Agnes äußerte jedesmal: die innigfte Freude, wenn 


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der ergraute, lebensmüde Schmäher, von den Uebrigen 
zum Frohſinne geſtimmt, zuweilen den Schleier lüftete, 
der ſeine vorübergegangene Lebenszeit von der düſtern 
Gegenwart trennte und aus dem mannigfaltigen Vor: 
rathe feiner Grlebniffe einige der Taunigften Scenen 
aushob und fie mit dem "Teuer eines‘ Jünglings ver 
Geſellſchaft preis gab. Eben hatte der Alte wieder 
ſo ein luſtiges Mährchen aus der Vorzeit geendet und 
die Andern ihm lachend den Dank zugetrunfen , als 
ein Notbzeichen des Thurmwächters yplöglich die Aufs 
merkjamfeit Aller erregte. Sie fprangen haſtig an 
das Fenfter, von dem fich eine weite Ausficht in Das 
ſchöne Kocherthal darbot. „Was gibts 2’ riefen Veld— 
ner und Ritter Senft zugleich in den Burghof hinaus, 
wo fie den alten Knappen Kurt eben im Zwiegefpräche 
mit dem Thurmwart begriffen fahen. — „Bon der 
Lugebene fprangen zwei Ritter gegen die Fährte des 
Kochers herunter; drei andere traben eilends jenfeit3 
auf der Straße gen Münkheim.“ — „Habt ihr das 
Seldzeichen wahrgenommen?! — „Es ſcheint und Die 
Farbe der Münfheimer zu ſeyn; — jegt geht's durch 
den Kocher, der Eine eilt voraus — hu! wie Das 
jagt.” Da glaubte Ritter Senft vom Fenſter aus au 
noch wahrzunehmen, daß der Zurücfbleibende den Raps 
ven Egmunds von Münkhein unter fich habe; bald 
aber erfannte er Egmunden ſelbſt, der über die Line 
denau gegen die Burg heraufjagte. Alle waren jeßt 
von dem Gedanfen ergriffen, es müfje dem Ritter 
Kunz ein großes Unglück zugeftoßen fein, weil er nicht 


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mit feinem Lieblinge Egmund, mit dem er Doch zugleich 
ausgeritten war, auch wieder zurückkehrte. Aber "feiner 
der Männer wagte fich auszufprechen, und. Die ängft- 
liche Agnes fanf, ihrer Sinne nicht mehr mächtig und 
mit dem Ausrufe: „o Gott, mein Gemahl ift erſchla— 
gen ! auf dem Stuhl zurück. „Tröſtet euch, liebe 
Mutter — wief die hilfreich herbeigeeilte Adelheid — 
„glaubt nur fo Etwas nicht ; ſolch ein großes Unglück 
würde unfere fromme Ahnfrau Bertha, die Erbauerin 
diefer Burg, Die ja um ihrer vielen guten Werfe willen 
vom Himmel die Gnade erlangt: hat, die ihren Nach— 
fommen drohenden Unglücsfälle jedesmal durch ficht- 
bare Warnungszeichen anzudeuten, nicht unvorbereitet 
über ung ergehen laſſen.“ | | 

Dieſen Troftworten der fanften Jungfrau: nieften 
die Männer freudigen Beifall zu, und gerade wollte 
Hans Veldner fie ausführlicher beſtätigen, als Kurt 
einen Knappen zur Thüre bereinfchob, deſſen heitere 
Miene keinen Trauerboten ankündigte. Er wandte ſich 
gegen Frau Agnes, und meldete in beſcheidenem Tone, 
daß Herr Egmund von Münkheim unter Entbietung 
ſeines freundlichen Grußes, um die Erlaubniß bäte, 
aufwarten zu Dürfen. Er wurde willkommen geheißen, 
und kaum hatte Der freundliche Knappe einige Fragen 
beantwortet, fo verfündigte ein Hufſchlag auf der Zug- 
brücke und: Lärm im Burghofe des Ritters Anfunft. 
She noch der alte Veldner die Wendeltreppe erreichte, 
um den Ankonınenden zu bewillfommen, kam ihm 
ſchon Egmund oben entgegen und trat, Jeden freund- 


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fih grüßend und Frau Agnefen und Adelheid nach 
Nitterfitte die Hand drückend, im das Gemach. Alle 
blieften mit gefpannter Erwartung auf den jungen Rit— 
ter, um aus feinem Munde die Betätigung oder Rich- 
tigkeit ihrer fchreeflichen Ahnung zu vernehmen. ' Aber 
indem er Das fammetne, mit fchwarzen Büſchen vers 
zierte, Barret abnahm, öffnete ſich ſein kurzer Mantel, 
und Agnes’ und Adelheid gewahrten fogleic) mit Schres 
cken, Daß er den linken Arm mit ftarfem Verband in 
der Feldbinde trug. „Edle Frau" — fprach Egmund 
lächelnd — „erſchreckt nicht" ob der geringen Verwun— 
dung, Die ich als Denkmal der Freundfchaft höchlich 
achte; betrachtet fie vielmehr vald eine: Euch günftige 
Schiefung, denn ohne. fie möchte vielleicht Euerem 
Haufe Leid erwachfen und ich jegt nicht jo glücklich 
ſeyn, Euch Die tröftliche Kunde von der heute noch 
erfolgenden Rückkehr Eures Gemahls zu überbringen.” 
— „Um aller Heiligen willen‘ — rief Agnes voll 
Angft — „eröffnet mir Doch ohne Rückhalt, ‚Kerr 
Egmund, was deuten“ Euere Worte? warum fehrt 
mein Gemahl nicht mit Euch" zurück? ficherlich iſt ihm 
ein großes Unglück zugeſtoßen.“ — „Ihr wißt, edle 
Frau” — erwiederte Egmund — „daß Nitter Kunz 
immer nur im den vorderftien Reihen zu’ reiten pflegt 
und beim erften Unrennen fein Weſen dem Feinde 
fühn beurfundet: fo gefchah es auch bei. der dießma— 
ligen Fehde. Der Feind wurde gereorfen, . aber beim 
Nacheilen geriet Euer: Gemahlin einen Hinterhalt . 
und hofte fich einige Winden, die uns Anfangs Sorge 


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machten, bei näherer Befichtigung jedoch fich nicht als 
gefährlich zeigten. Burkhard von Eltershofen bot uns 
bei unferer Rückkehr geftern Nachtherberge an und ließ 
nicht zu, daß Kunz heute früh mit und fortreite, ſon— 
dern begehrte, er folle noch der Ruhe pflegen. Conrad 
von Gailenfirchen wird ibn heute noch hieher  geleiten. 
Euer Gemahl erfuchte mich, meinen Heimritt über Die 
Geyeröburg zu machen und Euch Kunde von ihm zu. 
bringen, und ich gebe Euch mit meinem Nitterwort . 
die Verfiherung, daß er aufer Gefahr iſt. Unter 
Eurer forglichen Pflege «wird er binnen kurzer Zeit 
wieder vollſtändig geneſen.“ — „Serzlichen Dank für 
diefe Berficherung, Herr Egmund“ — fagte Velbner, 
ihm die Hand drückend — „laßt es Euch nun ge 
fallen, bei uns niederzufigen und einen Labetrunk an- 
zunehmen. Adelheid! — febt Doch, wie das Mägd- 
len fo verfebüchtert Dafteht — eile, und fredenze dem 
Ritter den Willkomm!“ Mit einem theilnehmenden 
Seitenblie auf den verwundeten Ritter holte Adelheid 
einen filbernen Pokal aus dem: Kaften, füllte ihn: mit 
einem alten, Föftlichen Sorgenbrecher und fagte, indem 
fie ihn Egmunden darbot, mit fehüchterner Stimme: 
„Herr Ritter, ich bringe Euch den freundjchaftlichen 
Willkomm, und Gott jchenfe Euch zu unferem Troſte 
und unferer Freude vecht baldige Gefundheit !! — „Ich 
danfe Euch, edles Fräulein, für Euern freundlichen 
Wunſch, der nur deßhalb bald in Erfüllung gehen 
möge, Damit ich fortan mich ganz Euern Dienften zu 
widmen in den Stand gefegt werde” — entgegnete 


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Egmund, indem er mit feurigen Bliden den Pokal 
aus den Zitternden Händen der holden Jungfrau em— 
pfing:; — „Edle Frau, auf die glückliche, Rückkehr 
Eures Gemahls! Auf Euer Wohl, ihr Lieben Herren 
und Freunde!” Alle riefen ihm Dank zu, und Veldner 
bat’ ihn jeßt um einen kurzen Bericht über des Her⸗ 
gang des Streites. 

Eben wollte Egmund von Münkheim — — 
beginnen, als vom Thurme herab der Ruf des Wäch— 
ters ertönte: „Sie kommen, ſie kommen!“ und das 
auf der Mauerbrüſtung lauernde Burggeſinde ein lautes 
Sreudengefchrei erhob. Denn hinter der Burgebene 
wurden flatternde Fähnlein und ſchimmernde Lanzen- 
ſpitzen ſichtbar; allmählig zeigten fich die Reiter und 
Noffe des Vorderzuges auf der Höhe; die Kappen 
chwenften ihre Bidelhauben und blanfen Schwerdter 
über den Köpfen, freundlich gegen die Burg hinauf 
grügend, und fchlugen fie an einander, daß e8 weithin 
über das Thal klirrend ſcholl. Das frohe Getümmel 
hatte die Zafelrunde rafch in die Fenſter gezogen und 
Agnes ftarrte voll Freude und Bangigkeit, “voll Heff— 
nung und Angft, dem langfam von der Höhe herab» 
wallenden Zuge entgegen. Aber als fle zwijchen den - 
Keitern und Fußknechten einen bederften Wagen ge— 
wahrte, da Durchbebten fie Schauer und Schrecken und 
eine Thränenfluth entftürgte den zitternden Wimpern 
ded jammernden Weibes. „Tröſtet Euch doch, Frau 
Tochter!" — rief Beloner, von Mitleid ergriffen — 
„ſchauet nur hinüber, fle ziehen ja nicht mit geſenkten 


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Waffen noch verhüllten Fähnlein und Büfchenndaher, 
ſeht nur, der Wind fpielt freundlich mit den freien 
Fähnlein, hoch wallen die Helmbüſche und ſtrack er- 
heben fich die flimmernden Spigen der Ranzen in die 
Lüfte; wahrlich, Alles feine Zeichen der Trauer. Aber 
— fügte er wohlbedächtig hinzu — laßt und nun 
über den Empfang übereinfommen, mich Dünft, nad) 
Herrin Egmunds Bericht vertrage fich ein. lärmender 
Willfomm nicht mit Kunzens Kopfwunden, deßhalb“ 
— „wollen wir ung ftrafs aus dem Staub machen" 
— nahm Walther Senft die Rede auf — „wir 
könnten und Doch nicht venthalten, ihm Rede abzuges 
winnen und läftig zu fallen.” ‚Schnell nahmen Die 
Freunde Abfchied, eilten hinab, fchwangen fich auf Die 
Roffe und trabten über die Lindenau den fteinigen 
Weg am Kocher hinab gegen Obermünfhein. 
Indeffen Der Wagen mit dem Geleite gemächlich 
und in aller Stille herauf zog, |prengte Konrad von 
Gailenkirchen voraus und gerade über die Zugbrüde, 
als die mweinende Agnes mit Adelheid’ aug dem Thurme 
trat, um. den Zug im Burghof zu empfangen. Nach 
furzer, berzlicher Begrüßung fragte Die immer noch in 
Angft fehwebende Agnes, fowie Adelheid und der alte 
Beldner den Angefommenen fogleich nach Kunzens Be: 
finden nnd erhielten die beruhigendfte Auskunft darüber. 
Als aber der von Gailenkirchen den nähern Hergang 
der Sache erzählte und von Dem Verluſte der Hand 
Iprach, den Ritter Egmund bei Kunzens Rettung: er— 
litten Hatte, Da erſchracken Agnes und Adelheid auf 


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das Heftigfte und „es ift nicht möglich!’ — flotterte 
fegtere erblaffend — „er faß ja erft noch vor wenigen 
Augenblifen bei uns, ſprach nur von einer leichten 
Perwundung und verrieth nicht den geringften Schmerz. 
Kein, es ift nicht möglich!” — „In Eurer Gegen 
wart, ſchönes Mihmchen“ — verficherte Konrad lä— 
chelnd — „wird Ritter Egmund freilich nicht über 
Schmerzen klagen, ſie kämen denn von innen; indeß 
kann ich Euch ſelbſt keinen Eid dafür ſchwören, daß 
dem wirklich ſo ſey, wie ich geſagt habe; es ging nur 
ſo ein Gerede herum, als ihm die Wunden ausge— 
waſchen wurden. Indeß laßt uns das Wichtigere nicht 
vergeſſen. Euch, Frau Agnes, wollt ich zuvörderſt 
bitten, bei der Ankunft Eures Gemahls Feine unnöthigen. 
Klagen laut werden zu laffen; es it ja Feine Gefahr 
vorhanden, darum wäre das Befte, Ihr begebet Euch 
hinauf, bis wir ihn in fein Gemach gebracht und für 
die Pflege feiner Wunden das Nöthige beforgt haben.” 
— „Ihr habt Necht, Ritter Konrad” — fiel der alte 
Beldner ein; — „kommt Weiber, geleitet mich hinauf. 
Seht, ſchon beugt dorten der Zug um die Ede des 
Waldes heranwärtd. Im der Trinkſtube, Herr Vetter, 
fehen wir Euch und Euere Gefellen wieder 1" — „Wie 
Ihr es für gut findet, meine Herren” — feufzte Ag— 
ned, warf woch einen traurigen Blick Durch das Thor 
und ging mit Sans und Adelheid hinein. Jetzt rollte 
hohl und Tangfam der Wagen über die Zugbrüde. 
Geraume Zeit war feit diefen Vorfällen verflofien, 
die Berwundeten waren durch forgfame Pflege wieder 
30 


* 


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völlig genefen und Adelheid, die ſich dem tapfern 
Egmund von Münfheim ob feiner bemährten Berdienfte 
um den Vater, und wegen feiner Beharrlichfeit in der 
Minne höchlich verpflichtet fühlte, hatte diefe Doppelte 
Schuld getreulich mit ihrer Hand abgetragen und war 
ihm, als feine liebe Hausfrau, hinunter in Das veigend 
gelegene Wafjerfchloß nach Münfheim gefolgt, wo fte 
an feiner Seite, ungefährdet von den Stürmen umher, 
fchon mehrere Monden im wonnigen Lenze des ehelichen 
Glückes lebte. Mutter Agnes aber theilte ihre Zeit 
zwifchen den Pflichten auf der Geyeröburg und den 
erholenden Beſuchen bei Adelheid, und nicht EM 
luftwandelte auch der alte Veldner an ihrer Seite 
hinunter zu den glüclichen Enfeln, vermeilte dort den 
Tag über und fehrte vergnügten Geiſtes Abends wie- 
der zurüd. " 

Sp ſchlich Allen der Winter und ein Theil des 
Frühjahres 1433 wie ein Tieblicher Traum fehnell da— 
bin, ald an einem trüben, flürmifchen Apriltag Ritter 
Kunz binabritt, um feinen Schwiegerfohn Egmund zu 
einer Gafterei auf die Burg Conrad von Enslingen 
abzuholen. Auch den alten Hans Veldner auf der 
Geyersburg hatten mehrere Sreunde an diefem Abend 
heimgefucht, und fie faßen nach gewohnter Weife in 
traulicher Auswechſelung der neneften Zeitereigniffe 
beim labenden Becher. Hans von Stetten, der alte 
treue Freund, und Frau Agneſens nächfter Verwande 
ter, ein Herr des Rathes der Stadt Hall und feiner 
reichen Erfahrungen wegen fehon mehrmals in. wichti- 


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gen Angelegenheiten an das KHoflager des Kaiferd Sigis— 
mund abgeordnet, unterhielt die aufmerffamen Zuhörer 
über Die bedeutendften Vorfälle in der Stadt, endete 
aber unter bedenklichem Kopfichütteln Damit, Daß er 
in Dem DBerfehre Der Gegenpartei und .ihrem ftern 
heimlichen Zufamnientreten, ſowie aus noch verfchiedenen 
Anderen Andeutungen irgend einen neuen böslichen An— 
jchlag muthmaße. Doch ließ er fich nicht weiter her— 
aus, um der ängftlichen rau Muhme Agnes feine 
Beranlafjung zur Traurigkeit zu geben und leitete Die 
Unterhaltung auf andere Gegenftände über. Erſt am 

äten Abende machten die Freunde Anftalt zum Auf- 

che. Draußen aber ftrömte der Negen in Fluthen 
herab und der Sturm fauste um Die Mauern Der 
Burg ; deghalb bot ihnen die forgliche Hausfrau gaſt— 
liche Nachtherberge an, fie aber wendeten e8 ab, nah— 
men freundlich dankend Abfchied und trabten von 
dannen. Noch war Nitter Kunz beim Einbruche Der 
Dunkelheit nicht zurückgekehrt, und Da Veldner ver- 
muthete, er möchte, wie er öfter that, bei feinen Kin- 
dern in Münfheim übernachten, befahl er die Zugbrücke 


aufzuziehen und die gewöhnlichen Sicherheitsporfehrungen 


zu beobachten. Indeſſen wüthete der Sturm immer 


ftärfer, die Fenſter klirrten von dem anpraffelnden 


Regen, der Wetterhahn Fnarrte unheimlich vom Ihurme 
herab und Das Toben Des Kochers und das Ungeſtümm 
des Eichwaldes hinter der Burg ſchreckten Frau Agnes 
aus ihrem Schlummer empor. Eben verfündeten ferne 
Glockenſchläge Die Mitternachtäftunde, als der ſchauer— 


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liche Nothruf des Thurmwarts herabtönte. Agnes 
ftürgte mit der Lampe in das Gemach ihred Schwieger- 
vaters, der fich bereits vom Lager erhoben hatte, um 
Kunde über das fehrecliche Getümmel einzuziehen, den 
auch vom Burghof herauf fchallte Das Sammergefchrei 
des Gefindes, mit dem durchdringlichen Geheul ver 
Hunde Einen nächtlichen Ueberfall abnend, Den die 
ftürmifche Nacht begünftigen Fonnte, fiieß er mit fräf- 
tiger Fauft den Laden zurück, aber — Frampfhaft fich 
an dem Flügel des geöffneten Fenfters erhaltend, ftarrte 
er in jählinger, fchredlicher Ueberraſchung lautlos 
birraus, und Agnes, betäubt von der blendenden 

fcheinung, die fich ihren Blicfen darbot, ſank an je 
Seite mit dem Silferuf: „Iefus Maria!” befinnungs- 
108 zu Boden. Eine Geftalt, wie die der Ahnfrau 
Bertha, ſchwebte in hellem Lichtglanze an Der Burg— 
mauer vorüber gegen den Eichwald und zerrann dort 
im bläulichen Schimmer. Lange ſchon war die Er- 
ſcheinung verfchwunden, als Agnes mit Hilfe Veldners 
und einer Dienerin fich wieder erholt. Alle Bewoh— 
ner der Geyeröburg verfammelten fich um die geliebte 
Gebieterin und ſtimmten in ihren Erzählungen überein, 
dag Die Geftalt völlig dem Bilde jener freundlichen 
Edelfrau, das im Prunfgemache hänge, geglichen, ihre 
harmvollen Blicke gegen die Stadt gerichtet und, mit 
den Händen zingend, dahin gedeutet habe. Die uns 
nennbare Furcht der guten Frau mollte in Der warnen 
den Ahnfrau ein ihrem Gemahl drohendes Unglück er= 
kennen und flehte jammernd die Umſtehenden um eilige 





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Hilfe an. Der alte Ritter aber vermutbete einen etz 
neuerten Aufruhr in der Stadt und große Gefahr für 
feine Freunde, und befahl daher dem Schloßvogt, ſo— 
gleich zwei Reiſige auffigen zu laffen, um. Kunz und 
Egmund von der feltfamen Begebenheit auf der Geyers- 
burg fchleunig zu benachrichtigen. Auch in - Hall 
wurden am gleichen Tage, bald nach Mitternacht, Die 
Einwohner Durch ein reges Leben und Treiben auf 
den Straßen aus der Ruhe gefchredt.  Gemappnete 
Schaaren durchſtreiften Die Gaffen , forderten einander 

ie Loſung ab, ertheilten und erhielten Befehle, bes 
Mc ſich gegenfeitig über den Erfund ihrer Streife 
und tobten mitunter in grimmigen Worten gegen den 
nächtlichen Sturm, der mit Steinen und Ziegelftüden 
ihre Pickelhanben und Harnifche gar unfanft begrüßte, 
Die, ſchweren Ketten. an Den Aus- und Cingängen 
der Straßen wurden raffelnd aus den Globen gehoben 
‚und.quer über Diefelben ausgefrannt, und an alle 
Machen der Thore und Ausläſſe ergingen firenge Be— 
fehle, Niemanden weder ein= noch auszulaſſen. Die 
Bürger wolten in dieſen geheimnißvollen nächtlichen 
Anftalten einen Gotteögerichtäfampf auf den grauenden 
Morgen muthmaßen, Denn jedesmal wurden folche 
Dorjichte- und Sicherheitöyorfehrungen gegen den ſtö— 
venden Zudrang des Volkes getroffen. Einzeln fehlichen 
jich Aichter und Näthe, in ſchwarze Mäntel gehüfft, 
durch Die graufe Nacht: in das von Söldnern ftarf 
umftellte, alte und finftere Nathhaus, aus dem um 
die Dritte Morgenftunde ein Abgeorüneter des Raths 


479 


mit einem Haufen Gewappneter trat: und eilends dem 
Beldnerthurme in der Schuppach zufchritt, in welchen 
der erft vor menigen Stunden von der Geyersburg 
zurücgefehrte Sand von Stetten mit feinem einzigen 
Junker wohnte. Nach oft wiederholten ftarfen Schlägen 
an dem wohlserwahrten ftarfen Ihore des Thurmes 
entriegelte endlich ein Knecht auf: Befehl feines Ge— 
bieters — welcher, durch den Lärm geweckt, herab— 
geeilt war und dem Einlaß DBegebrenden, der ihm 
wichtige Nachrichten zu binterbringen vorgab, an der 
Stimme und als einen feiner Bartei erfannt — 





die kleine Einlaßpforte. Aber mit dieſem drang ungu— 
haltſam auch die Schaar hinein und umzingelte jählings 
den alten Ritter. Dem über dieſen ſchmählichen Ver— 
rath höchſt Ueberraſchten eröffnete nun der Abgeordnete 
in unfreundlichen, kurzen Worten den Befehl, alſo— 
gleich vor dem bereits verſammelten Gerichte zu er— 
ſcheinen, um über einen wichtigen Vorfall Rede zu 
ſtehen. Nicht achtend der bitteren Schmähreden, Vor— 
würfe und Einwendungen gegen das gewaltſame Ber 
fahren, beharrte der Verräther mit Ungeſtümm, auf 
ſchleuniger Folgeleiſtung, wendete des Alten Begehr, 
ſeinen Sohn als Begleiter und Beiſtand mitzunehmen, 
als nicht zuläßig ab und gab Einigen ſeines Gefolges 
den Befehl, den Junker bis zu abgemachter Sache 
ſtreng zu bewachen und beſonders wohl darauf zu 
ſehen, daß weder er, noch einer der Hausgenoſſen durch 
den geheimen Ausgang entrinne, der durch das Ge— 
wölbe des zunächſt mit der Stadtmauer verbundenen 


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Thurmes hinaus in's Freie führe; denn das alte Ge— 
ſchlecht der Veldner hatte ſchon in der Vorzeit, nebſt 
mehreren anderen Freiheiten, auch das Vorrecht einer 
eigenen Oeffnung aus der Stadt erlangt. Hans von 
Stetten, ſich keines Frevels, keiner Schuld bewußt, 
ergab ſich endlich den wiederholten Aufforderungen des 
Abgeordneten, ließ ſich ſeinen Mantel reichen und — 
gewarnt, nicht durch Hilferufen den gewiſſen Tod her— 
beizuführen — folgte er lautlos feinem Führer nad. 

Aus den meiften Käufern ſchimmerte ſchwaches 
Zampenlicht auf Die engen Gaffen herab und verrieth 
"Die Wachſamkeit der Bürger, deren Viele in der Stille 
ſich wappneten, um nöthigenfalls gleich bei der Hand 
zu ſeyn. Die Beherzteren ſchlichen aus ihren Woh— 
nungen, um bei den Herumwandelnden und Nachbarn 
Kundſchaft über die nächtliche Unruhe einzuziehen; aber 
die Anführer der Schaaren riethen den Neugierigen, 
ſich, nach eines ehrbaren Rathes Willen und Begehr, 
in ihre Häuſer zurückzuziehen und allda ruhig und 
ſtill des Weiteren zu harren; denn er, der für die 
Sicherheit und Ruhe ſeiner lieben Bürger in alle 
Wege wache und ſorge, ſey gerade jetzt verſammelt, 
um über ein ſchweres Verbrechen zu richten und da— 
durch großes Unheil von der Republik abzuwenden. — — 

Mehr als vier Jahrhunderte trennen uns jetzt von 
dem in jener Nacht über Hans von Stetten hereinge— 
brochenen, furchtbaren Verhängniſſe. Das Blutgericht 
wurde nicht, wie in früheren Zeiten, öffentlich, ſondern 
ganz geheim bei verſchloſſenen Thüren gehalten, und 


P b 
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es bfeibt uns Daher auch Der Gang dieſer VBerhand- 
fungen in Dunfel gehüllt. Aber nach Der Meberein- 
flimmung mehrerer bewährter Chronifen wurde Sans 
von Stetten fälfchlich einer hochverrätberifchen Hand» 
fung bezüchtigt, Die aber. ver Angeflagte als ſchändliche 
Berläumdung erklärte und fich erbot, fie vor einem 
vollen, nicht aber vor einem unvollftändtigen, 
einfeitigen Gerichte zu widerlegen‘ und feine Un— 
ſchuld völlig darzuthun ; Denn Das Gericht war nur 
von feinen Gegnern befeßt und es fehlten fünf Der 
älteften Richter. Aber, ohne darauf zw achten, wurde 
die Unterfuchung fortgefeßt: und ihm mehrere Zeugen 
feiner verbrecherifchen That gegenüber geftellt. Nach 
kurzer Verhandlung war das DBlutgericht beendigt. 
Hans von Stetten wurde für fehuldig erklärt, ihm 
das Todesurtheil angefündigt, und er alfogleich einer 
Rotte von Söldnern zur Abführung und Bollftrefung 
deffelben übergeben. Unter fortwährender Bethenerung 
feiner Unfchuld trat der, Durch fern Mißgeſchick gänz— 
fich entmuthigte, zitternde Greis aus der Rathsſtube. 
Noch konnte er nicht an die Möglichkeit eines fo 
unerhört graufamen Verfahrens glauben, fondern hielt 
e3 für eine fchrecfende Brüfung der. Todesangft, und 
darum bat er im Serabfchreiten flehentlich, feinen Sohn 
oder Einen feines Gefchlechted zu beſchicken, um unter 
deren Beiftand noch einmal Rede zu ſtehen. Sie aber 
fchleppten ihn befohlenermaßen eilend und ſchweigend 
in gepreßter Mitte hinab vor das Rathhaus in einen 
dichten ‚Kreis von Speeren, allwo fie ihn dem Nach— 


473 * 
richter überantworteten, und mit dem grauenden Mor— 
gen fiel das greife Haupt des edeln Mannes als 
Opfer eines rachefüchtigen Weibes, der. Städtemeifterin 
Gutta Heimberger. Diefes Weib verfolgte den 
von Stetten ſchon feit lange, wegen verfchiedener Ur— 
fachen, mit unverföhnlichem Haſſe. Ein zufälliger 
Borfall in der Sanct Jakobskirche gab ihr endlich 
willfommenen Anlaß, ihre Rache zu befriedigen. Eines 
Sonntags, ald die Städtemeifterin gerade zum Tiſche 
des Seren gehen wollte, hatte der von Stetten: das 
Mißgeſchick, ihr auf den Mantel zu treten und darüber 
zu ftolpern. Um nun nicht: zu fallen, haſchte er nach 
der Schnur einer über ihr hängenden Lampe und 
verurfachte Dadurch, Daß fich das Del über Den. foft- 
baren Schleier der Frau Städtemeifterin ausfchüttete. 
In Höchfter Entrüftung und mit racheerfüllten «Herzen 
enteilte fie der heiligen Stätte und fegte in aller Eile 
die Triebräder ihres höllifchen Machwerfes in Bewegung. 
Hans von Stetten wurde auf ihre alleinige Veran— 
laffung eines todeswürdigen Verbrechens ſchimpflich an— 
geklagt, und eim Zuſammenwirken für ihn mißlicher 
Umftände vermochte den größten ‚Theil der Richter, 
ihn -in Folge der rafchen Unterſuchung fig ſchuldig 
zu erkennen. 

Der Blutakt war vollbracht, und wegen der ſchnellen 
nächtlichen Vollziehung ohne Störung der Gegenpartei 
vorbeigegangen. Mit den erſten Strahlen der Morgen— 
ſonne wurden die Thore der Vorſtädte geöffnet und 
die Wachen von den TIhürmen- und Mauerumgängen, 


474 


mit Ausnahme weniger Poſten, in die noch verfchloffen 
gehaltene innere Stadt zurücfgezogen, um fie ald nöthige 
Derftärfung gegen die möglicherweife jet erſt aus— 
brechenden Unruhen verwenden zu Fönnen. Nachdem 
die barfchen Feuerbüchfen- und Armbrufl-Schüßen ab— 
gezogen waren, wagten fich die Bemohner der Gelbinger 
Vorſtadt allmälig aus ihren Käufern, um ſich unter 
einander über die Veranlaffung des nächtlichen Tumults 
zu befragen, und als fie jo längs der. Gaſſe hinauf, 
in neugierige Häuflein zufammengedrängt, fich ihre 
Muthmaßungen mittheilten, da fprengten von . Der 
Münfheimer Straße herauf durchs äußerfte Thor ſechs 
Ritter auf braufenden Kengften, gefolgt von Knappen 
und Knechten, und bahnten ſich kühn ihren Weg durch 
die Volfsmenge. Den rafchen Lauf ihrer Roſſe end— 
lich Hemmend, mühten «fie fich im Hinreiten bie und 
dort, Aufichluß über das feltfame Negen und Treiben 
einzuziehen, doch vie felbft unfundigen Bürger ver- 
mochten den eifrig Nachforjchenden feine Auskunft zu 
geben. Aber bei der St. Iofen= Kapelle fehmetterten 
jest plöglich Trompeten, und ein Herold auf ſtattlichem 
Roſſe hielt inmitten eines Volfshaufend, dem eben Die 
Nitter fich naheten, und verfündigte der aufmerfjam 
borchenden Menge mit lauter, vernehmlicher Stimme: 
„Daß ein edler Rath des h. römifchen Reiche freier 
Stadt Hall, ſtets wachſam für das Wohl feiner guten 
und getreuen Bürger und Infaßen, ſolchen hiemit 
Öffentlich fund und zu wiffen thue, mie er ſich, ob— 
wohl ſchweren Herzens, gemüßigt gefunden, gegen einen 


475 


Hochverräther mit aller Strenge der Geſetze zu ver— 
fahren. Hand von Stetten, Mitglied des Raths, habe 
fich ruchlos unterwunden,, feine Burg Sanzenbaäch, 
innerhalb der Gränzen des freien Gebietes Der Stadt 
Hall, an eine fremde Serrfchaft, nämlich an Den 
Grafen von Wirtemberg, zu verfaufen, und zwar, 
wider fein Gelübde und Eid, und ohne VBormiffen und 
Berrilligung eines edlen Raths, und feie deßhalb an- 
geklagt und überwiefen von dem gefammten Gericht 
einftimmig nach Hecht und Gefeß zum Tod verurtheilt 
und demnach heute, ihme zur mohlverdienten Strafe, 
Andern aber zum abicheulichen Erempel, durch Den 
Nachrichter vor dem Rathhaus vom Leben zum Tode 
gebracht worden, und verſehe fich ein edler Rath — —“ 
„Gottes Donner über das giftige Lügengezücht!“ 
brüllte Ritter Kung dem Herold, ihn unterbrechend, 
fürchterlich entgegen — „melde Deinem blutaierigen 
Rathe, daß ich Kunz Veldner, der Geyer von Geyers- 
burg, ihm der frecheften Lügen bezüchtige, ihm ob feinem 
jhändlichen Verfahren an meinem Ohm hiemit feind- 
ich abfage und, wo und wie ich fann, auf allen 
Wegen zu Schaden fein werde, es fei bei Tag oder 
Nacht, offen oder heimlich, mit Mord, Brand und 
Raub? — er fonnte nicht enden, denn es erhob ſich 
ein allgemeines Geichrei, als der Herold im höchfter 
Entrüfung fein Gefolge und die Bürger im Namen 
faiferlicher Majeftät um Hilfe anrief, den zwiefachen 
Frevler, der e3 wage, fein geheiligtes Amt anzutaften 
und einen ehrbaren Rath zu befchimpfen, auf ver 





476 


Stelle ala Aufrührer und Lundfriedensbrecher, in ges 
füngliche Haft zw bringen. Aber gefihügt bon Den 
rüftigen Kämpen, die, gleich ihm, mit Blißesjchnelle 
die Roſſe herumgemworfen und in gehöriger Verne ſich 
gleich vortheilhaft zum Angriff und Vertheidigung auf 
geftellt Hatten, als’ auch abgefchreeft durch Die gebiete- 
rifche Stimme Egmunds von Münfheim, der Die Bürger 
warnte, fich nicht in dieſe Irrung zu mifchen, Die er 
ohne Schwerdtftreich und Blutvergießen  beizulegen ge— 
meint ſey, verlief fich das Volk, und der Herold, aller 
Unterſtützung baar, jagte zürnend mit feiner Schaar 
in die Stadt zurück. Aber auch die Ritter ‚erachteten 
es für gerathen, fich zurückzuziehen, und es gelang 
ihnen, den bis zum Wahnſinn aufgereizten Ritter Kunz, 
der Jogleic) nachjagen und in der wild gährenden, von 
fremden Söldnern gefchüsten Stadt die Fehde eröffnen 
wollte, zum Abzuge zu bewegen. In Gelbingen hielten 
ſie Rath, und es wurde befchloffen, daß Egmund von 

Lünfheim und Konrad von Gailenfirchen nah Hall 
zurücdfehren, über die an ihrem Verwandten verübte 
Blutthat Nechenfchaft verlangen und ſich mit den 
Bornehmften ihrer Partei des Meitern berathen follten. 
Walther Senft, Seinrich Keck und Volk von Roßdorf 
aber nahmen den rachefchnaubenden Kunz ins Geleite 
und kehrten mit ihn auf feine Burg zurüd. 

Bereits: war e8 Abend geworden und noch immer 
warteten die Bewohner Der Geyersburg und Die da- 
felbjt verfammelten Freunde vergebens auf die Ent: 
wirfelung Der ſchrecklichen Bezebenheit. Während Frau 


477 


Agnes droben im Frauengemach in den Armen ihrer 
von Münfheim fchleunig herbeigeeilten Tochter Adels . 
beid lag, die fich erfolglos bemühte, Der tief erſchüt— 
terten Mutter tröftenden Balfam in das fummererfüllte 
Herz zu träufeln, faßen die Ritter unten in der Trink: 
ſtube, ihre anfänglich laute, in Aeußerung der vers 
fchiedenften Anfichten ſich Fundgebende Unterhaltung 
war allmählig einer, nur von kurzen, barfchen Wor— 
ten und Flüchen unterbrochenen Stille gewichen und 
nur darüber waren Alle einig, daß dad dem Hans 
von Stetten Schuld gegebene Verbrechen eine teufelt- 
fche, zu feinem Untergange gefchmiedete Erfindung fey. 
In fiheinbarer Theilnahmsloſigkeit ſaß Ritter Kunz, 
den Kopf auf den rechten Arm geftügt, an der Tafel, 
und nur eim einzigesmal  entfuhr ihm im der Ueber- 
wallung feines Innern eine schreefliche Drohung, Die 
er mit Hinunterflürzen eines vollen Humpen und deſſen 
lautem Niederftoßen auf den Tiſch beſiegelte. Der 
alte Hans Veldner dagegen, der in dem ſchrecklichen 
Ende ſeines Freundes deutlich genug eine vorher nicht 
geahnete Ueberlegenheit ſeiner Gegner erkannte, die ihre 
Unthat in geſetzliche Formen einzuhüllen wußten, wo— 
gegen ſich im jetzigen Augenblicke Nichts unternehmen 
ließ, ſah mit Bangigkeit die unheilvollen Folgen vor— 
aus, die dieſe Begebenheit durch vorſchnelle Einmiſchung 
und thätliches Verfahren ſeiner Partei nothwendig bringen 
mußte. Eben ſann er über die wirkſamſten Gegenmittel 
gegen die drohende Gefahr. nach, und wie er den ſtarren, 
unbeugfamen Willen ſeines Sohnes zu bejonnenem 


# 478 


Handeln Hinleiten Fönnte, als der Thurmwart Die An- 
kunft mehrerer Reiter anmeldete, die auch bald darauf 
in feierlicher Stille in die Burg einzogen. Unter ernfter 
Begrüßung traten Egmund und Conrad von Gailen- 
Eircben «mit noch mehreren befreundeten Kämpen im Die 
Stube, und indem eriterer fi) gegen Hans Veldner 
wandte und defien Hand ergriff, Iprach er mit gedämpf- 
ter, doch fefter Stimme: „Wir fommen oben von feiner 
Nudeftätte auf St. Jakobs Friedhof ; Diefe Hand, Die 
in der Eurigen ruht, drüdfte vor wenigen Stunden 
noch Die Falte Nechte des hingemordeten wadern Ge- 
fellen, und ich theile Eucb mit dieſem Drucke ſein letz— 
tes Lebewohl hienieden mit. Gott tröfte feine Seele!” 
— „Und verdanme feine Henker!" — brüllte Kunz, 
vor Zorn bleich, Dagegen. „Fandet Ihr ihn ſchuldig?“ 
— fragte nach eingetretener Stille Hans Veldner mit 
einem ſchweren Athemzuge, als befürchte er eine Be- 
jahung. „So wenig Ihr ein neugeborenes Kind einer 
Sünde zeihen möget, fo wenig ift Hand von Stetten 
des Frevels fehuldig, wegen deſſen er angeklagt und 
enthauptet wurde,” — entgegnete bitter Conrad von 
Sailenfirchen — „unfere fivengften Nachforfchungen 
vermochten nicht, eine Schuld gegen ihn aufzufinden ; 
die Knechte und Leibeigenen der Burg Sanzenbach 
ftehen nach wie vor unyerändert in Dienften und Pflich- 
ten; ja, felbjt mehrere von denen, Die zu unfern Geg- 
nerm gehören, haben ihre entfchiedene Mißbilligung über 
diefe Frevelthat zu erfennen gegeben und die Stimme 
des Volks hat jich bei der Beerdigung des Gemordeten 


479 . 


laut genug ausgefprochen. Defmegen find wir feft- 
entichloffen, Durch den gelehrten Licentiaten der Rechte, 
Herrn Hand Mangolt, eine, Klage vor des Kaifers 
Majeftät zu bringen und um unverweilte Unterfuchung 
und firenge Beftrafung zu Bitten, und wir hoffen, daß 
auch Ihr, Herr Veldner, und die übrigen bier anwe— 
fenden Ritter und Sreunde, Euch zu gemeinfchaftlichem 
Handeln mit und vereinigen werdet.” Unter allge: 
meinem: Beifalle wurde die getroffene Anordnung ges 
nehmigt ; nur Kung, dem Diejes friedliche und lang- 
fame Vorgehen im höchften Grade mißfiel, beharrte 
trogig auf feiner fchon ausgefprochenen Erklärung öf— 
fentlicher Abfagung, und weder die Vorftellungen feines 
Vaters, noch der Freunde dringende Bitten vermochten 
feinen Starrfinn zu brechen. Unmwillig über den Un- 
beugfamen, wandten fte fih von ihm ab und überließen 
es dem erfahrenen Alten, bei günftiger Weile feinen 
Sohn zu gemäßigteren Gefinnungen binzuleiten. Aber 
eben fo wenig, wie den Freunden, gelang es dem Va— 
ter, den harten Sinn Kunzens zu brechen; in vermef- 
jenem Zone und unter den fehreeflichften Betheuerungen 
ſchwur diefer, Daß er von num an als abgefagter Feind 
des Raths von Hall handeln werde, und indem er dad 
Gemach und Die Burg verließ und in dem hinter der— 
jelben Tiegenden Fichtenwalde verſchwand, entzog er ſich 
allen ferneren Einreden. 

Don nun an war der Friede und das häußliche 
Glück von der Geyersburg entwichen. Kunz, feinem 
Schwure getreu, fuchte und fand leicht Veranlaſſung, 


u» 480 


» 


fich mit den Feinden der Stadt in nah und fern zu 
verbinden und namentlich den Mitgliedern des Raths 
allen möglichen Schaden zuzufügen. Nicht das Bitten 
und Jammern feiner guten Hausfrau Agnes, nicht Die 
Vorftellungen des Vaters und der Freunde fanden in ber 
vacbeerfüllten Bruft des Ritters ferner Gehör. Mord, 
Drand und Beichädigung des Eigenthums feiner ver: 
baten Gegner bezeichneten feine Ausritte, auf allen 
Wegen lagerte er mit feinen Genofjen und mußte ge= 
raume Zeit den Gegenanftalten. der Haller gewandt 
auszuweichen und Diefelben fogar zu. ihrem eigenen 
Nachtheil zu menden. Höchſt entrüftet über das Treiben 
ſeines Sohnes, dem er nicht mehr zu fteuern im Stande 
war, hatte fich der alte Veldner in die Stadt zurüd- 
gezogen, um nicht in das vorausftchtliche Unglück ſei— 
ne8 Haufes mit hineingeftürgt zu werden und zugleich 
feine Habe fir Die Enfel zu retten ; ſelbſt Frau Agnes 
gab den DBorftellungen Egmunds und Adelheids end— 
lich nach, und z0g zu ihren Kindern in das Waſſer— 
ſchloß Münfheim hinab: denn fehon fehritt der Rath 
von Hal mit Einziehung aller dem Geyeröburger ge— 
hörigen Güter, deren man habhaft werden Fonnte, 
voran und hatte bereits einen ypeinlichen Prozeß bei 
dem Eaiferlichen Hofgerichte zu Rotweil eingeleitet, Der 
nothiwendig eine Achtserklärung gegen den Landfrieden- 
brecher zur Folge haben mußte. 

Eines Tages, in derfelben Abendftunde, als Kunz 
und feine wilden Gefelfen, mit ſchwerem Raube gepackt, 
eben auf Die Geyersburg zurücffehrten, vitt auch unter 


481 * 


2 
ſtarkem Geleite ein Bote vom Hofgericht zu Rotweil 
in die Thore Hall's ein, und überbrachte die Urkunde 
der Achterklärung gegen Ritter Kunz von der Geyers— 
burg und feine Helfershelfer. Auch rücte in derſelben 
Nacht noch der Waldbot, dem von Faiferlicher Majeftät 
die Aufficht über Die Wegelagerer und die Vollziehung 
der Acht übertragen war, mit einem Haufen Reiter 
und Bogenfchügen in die Stadt. Aber fafl um die— 
jelbe Stunde fchlich auch ein Kundfchafter zum Wei— 
terthor hinaus und nahm feinen Weg längs dem Ko- 
cberfluffe hinab, um in aller Eile Nachricht von dieſen 
Dorgängen auf die Geyeröburg zu bringen. Schon 
war es beinahe Mitternacht,. ald er auf dem fchmalen 
Fußpfad im DVogelholz an die Stelle gelangte, wo ber 
Fluß in weitem Bogen fih um den Neuberg herum— 
krümmt und er die heil erleuchtete, nicht mehr weit 
entfernte Burg erblidte. Von hier feßte er nun feinen 
Meg auf der Steige gegen Sülz hinauf fort, und 
fchlih oben auf befchwerlichen Pfade zmifchen wildem 
Geftrüppe und Gteingerölle durch den nur ihm und 
wenigen Getreuen befannten, geheimen Einlaß der in- 
nern Umfriedung der Burg zu. Hier oben aber berrfchte 
in dDiefen nächtlichen Stunden die gräulichfte Wirth: 
fchaft. Unten im Burghof und in der geräumigen 
Tenne über dem Gewölbe des Thurms, wo früher 
Frau Agneſens Häuslichkeit mwaltete, der aber nun zum 
Kerker unglüdlicher Gefangener umgefhhaffen worden 
war, lagerte bei Fackelſchein das Burggefinde mit den 
31 


Mi. 


* 482 


fremden Knappen und Sinechten, foffen wader drauf 
[05 und erzählten fich grauenhafte Mähren und voll 
brachte Bubenftüdfe: oben im PBrunfgemache aber- tha= 
ten ſich Kung und feine Gefellen in dem erft heute 
aufgefangenen alten Aheinweine, Der den Herren des 
Raths zu Hall von Heilbronn herauf zugefendet wor— 
den war, fo lange gütlich, bis der Geift in den Köpfen 
der wilden Becher fchredlich zu ſpucken begann und 
feuerfprübende Blige ihren Augen entfuhren. Als fie 
fo in unfinnigem Toben binfchwelgten, einander ihre 
eigenen vollführten Zrevelthaten zubrüfften und dann 
in muthwilligen Echerzgen und Schmähreden auch über 
die Ahnherrn herfielen, deren Bilder von den Wänden 
ernft auf diefes ganze Unweſen berabblickten, und als 
fie eben den Tugenden der frommen Ahnfrau Bertha, 
unter Beifallnicken des ausgearteten Enfels, mit grim— 
migem Lachen Hohn zu ſprechen wagten, da drang 
des Wächters brüllender Nothruf in ihre Ohren und 
bewirkte ploͤtzliche Stille in der Trinkſtube und im 
Burghofe. Alle eilten an die Fenſter und gewahrten 
im volfeften Lichtglanze fehwebend (dieſe plögliche Er— 
icheinung hatte den Ruf des Wächters veranlaßt) — 
die Geftalt der beleidigten Ahnfrau Bertha. 
Nahe dem Benfter, aus welchem Kunz binausjtarrte, 
jchwebte die Warnerin, unverwandt die Blicke auf den 
gefallenen Nachkommen gerichtet und mit drohenden 
Fingern gen Simmel deutend, bis fie allmählig den 
Blicken des Erſchrockenen wieder entfchwand. Kunz 


483 ” 
& 
fanf auf den Steinfig in der Senftervertiefung nieder, 
fenfte erfchüttert dad Haupt in beide Hände und harrte, 
gleich feinen Gefellen, eine Weile unbeweglich und Taut- 
108; endlich richtete er fich empor und rief mit wuthent- 
brannten Blicken auf die Anweſenden Diefen zu: „Wehe 
über Euch ! mwehe über mich! mein Stündlein naht ! 
Helfe mir Der, an den fie mich wies!" — „Wie, Kung?“ 
— fchrie Konrad von Thalheim — „Ihr wagt e8, uns, 
die wir Euch auf Eueren dringlichen Aufruf-gegen die 
Mörder Hanfens von Stetten Hilfe und Beiftand ge: 
leiftet haben, Vorwürfe zu machen? verflucht fey Euere 
Rede!“ „Das Wehe fomme über Dich allein, Undanf: 
barer!“ — ftimmte Claus von Buchhorn mit ein, und 
griff nach Helm und Schwerdt — „verdammt ſey Deine 
Ahnfrau mit fammt ihren Zauberftüclein !C Schnell 
erhob fich Der ergrimmte Geyer von feinem Site, um 
diefe Unbilden auf der Stelle thätlich zu rügen, da 
trat Konrad von Enzlingen befchwichtigend dazwiſchen 
mit den Worten : „Haltet ein ihr Freunde und lieben 
Geſellen! wie mögt Ihr gleich fo aufbraufen über ein 
Wort, Das Angft und Gewiffen dem Herzen erpreßte ? 
laßt ung einig bleiben, dieß thut uns jetzt vor Allem 
Noth!“ — Bei der plöblichen Stille, die dieſe Rede be- 
wirft hatte, wurde ein von befannten Zeichen begleitete: 
Pochen von den geheimen Einlaffe herauf gehört. Kunz 
eilte fogleich aus dem Gemache und befahl drohend den 
Knechten, die fich bei der ſchrecklichen Grfcheinung der 
Ahnfrau in den Thurm geflüchtet, Die Thüre verrammelt 


484 


E 


und in der lärmenden Unterhaltung das Pochen nicht 
gehört hatten, Das Pförtchen zu öffnen. Einige der 
Beherzteften gingen hinaus, dem Befehle zu gehorchen 
und bald darauf wurde ein Knecht Hang Beldners in 
das Gemach eingeführt. Stark angegriffen durch feinen 
fchleunigen Marjch von Hal her, fowie durch die über: 
rafchende Erfiheinung von der Burg herab, Die auch er 
geſehen hatte, fprach er mit Angftlicher Stimme zu Kunz: 
„Gerne möchte ich Euch, geftrenger Herr, einen freund: 
lichen Gruß bringen, aber da“ — indem er Kunzen ein 
Brieflein überreichte — „ver Inhalt wird Euch belehren, 
dag Euch von Stund an Feine freundliche Begrüßung 
mehr vergönnt ift.“ Raſch entfiegelte der Ritter Das 
Blatt, das nur die wenigen Worte enthielt: „Kunz, 
Du bift fammt Deinen Gefellen geächtet, fliehe eilends; 
nach Mitternacht brechen drei flarfe Haufen gegen Die 
Geyersburg auf, um Dich zu fangen und das Neft zu 
zerftören. Es ift das die legte Bitte Deines Vaters. 
Der barmherzige Gott geleite Dich.“ — Verzweiflung, 
Wuth und Gewiſſensbiſſe tobten in Kunzens Bruſt; er 
ließ den Brief fallen, ballte krampfhaft die Fauſt und 
fihrie unter gewaltigen - Schlägen auf den Tifch, daß 
die Humpen zufammenflirrten: „Hölle und Verdamm— 
nig den Mördern! Fluch über mich! o Vater! o Weib! 
o Kinder! Gott erbarme ſich unfer!“ Mit diefen Wor: 
ten ftürzte er ermattet auf den Sig zurüd. Auch 
Kunzens Unglücksgenoſſen ftanden lange, wie vom 
Donner gerührt, ob der entfeglichen Nachricht da. Der 


485 

Abgejandte ermahnte ſie aber, dem Inhalte des Briefes 
ohne Auffchub nachzukommen, da der Morgen bald ans 
brechen, mit dem Ave-Marinläuten die Burg unfehlbar 
umzingelt feyn werde und dann an fein Entfommen 
mehr zu denfen ſey. Damit entfernte er fich „weil er“ 
— wie er noch hinzufügte — „Feine weitere Gemeinschaft 
mehr mit Geächteten haben wolle, die den Menfchen 
nur Fluch und Verderben bringe.“ 

Nachdem die Betroffenen ich von ihrem erften Schre⸗ 
en in Etwas erholt hatten, gingen ſte mit einander zu 
Rathe und befchloffen,, die Burg anzuzünden und auf 
verfchiedenen Wegen Rettung durch die Flucht zu fuchen. 
Kumz wurde während der Anftalten hiezu von den Fu— 
rien der Hölle gequält; er war der Lebte, Der Das Haus 
feiner Väter, den Aufenthalt feines dereinftigen Glüdes, 
verließ. Noch unter der Thüre wandte er ſich um, 
nahm feuchten Auges Abfchied von den erzürnten Ahnen, 
glaubte in den lächelnden Antlige der frommen Bertha 
die Berficherung der Verzeihung zu lefen, zog dann 
raffelnd die ſchwere Thüre Hinter fich zu und wanfte 
deu voranleuchtenden Knechte die Treppe hinunter nach. 
Durch die fchauerliche Stille im Burghofe, die nur 
durch das Wiehern der Roſſe und die Befehle der Ritter 
unterbrochen wurde, tönte von Münfhein herauf das 
Glöcklein zum Ave-Maria und zu gleicher Zeit fohmetter: 
ten Zrompetenftöße oben von der Waldſpitze herein, Die 
jich bald nachher Hart vor dem Thore der Burg wieder: 


holten. Eilig hatte der größere Theil der Ritter und 


or 


486 


Knechte den Umgang der Mauern erftiegen, um das 
Begehren der Angefonmenen zu vernehmen. Nach dem 
dritten Zeichen rief ein Herold Die Achtserflärung über 
Kunz Veldner, den Geyer von Geyeröburg, und feine 
Geſellen aus, und als er feierlich mit fehredlichen Wor— 
ten endete: „Daß dieſe von Kaiferlicher Majeftät und 
dem Reiche offenbar Geächteten fürbaß mit ihren Leibern 
für vogelfrei erklärt und ihre Habe und Güter ohne 
Gnade der Confiscation verfallen feien, und Niemand 
ihnen Aufenthalt, Atzung, Trunk, Hilfe oder Troft, 
weder heimlich noch öffentlich angedeihen Iaffen dürfe, 
ohne in Die nach des Neiches Nechten beftimmten Strafen 
zu verfallen“ — da verließen die Knechte und das 
übrige Burggefinde mit Sammergefchrei die Mauern und 
begehrten mit Ungeftüm die Deffnung des Thord, um 
in aller Eile von dannen zu ziehen. Alle Verfuche der 
Ritter, fie zu einem gemeinfchaftlichen Ausfalle gegen 
die feindlichen Saufen zu bewegen, waren fruchtlos ; 
die Zugbrüde mußte herabgelaffen werden, die Reifigen 
und Fußfnechte ftürmten hinaus und verbanden fich. 
theils geradezu mit den feindlichen Saufen, theils ſuch— 
ten fie fih auf Schleichwegen durchzuwinden, over bis 
zu abgemachter Sache im Walddickicht zu verbergen. — 
Die Geächteten, fech8 an der Zahl, nebft zwei treuge— 
bliebenen Knappen, gelobten fich männlichen Beiftand 
bis in den Tod und trabten dann zwifchen dem Wald 
und Burggarten bin. Schon graute der Morgen, als 
fte auf einen Haufen Fußknechte fließen; doch dieſe 





437 


wichen ins Dickicht zurück und verfündeten den auf 
freiem Felde lauernden Reiſigen die Flucht der Geächte: 
ten. Der Kampf begann, lange hielt das verzweifelte 
Häuflein der Aechter Stand, Wunden wurden gefchlagen 
und empfangen; bald aber waren die Wenigen von 
alfen Seiten gänzlich umgingelt, wie praffelnder Hagel 
fielen faufende Schwerdter auf Kung und feine Unglücks— 
gefährten ein; — noch eine kurze Weile und fein 
Schwert zifchte mehr, Todtenftille trat ein, denn Kung 
lag ſammt feinen Gefellen gefchlachtet auf dem Stoppel— 
felde unmeit des Burggartens. Noch viele Jahre nach: 
her bezeichneten einige Steinfreuze die Stätte, wo die 
Raubritter der Geyersburg getödtet wurden. 


Indeß waren die Fußfnechte des Waldboten, dem Die 
Vollziehung der kaiſerlichen Acht oblag, in die verlaffene 
Burg eingedrungen, fchafften alle Habe heraus, befreiten 
die Gefangenen, und bald fah man aus dem Thurme 
eine hochlodernde Flamme emporfteigen, der Eurz nachher 
— unter dem Jubelgefchrei des lauernden Volkes, das 
fich auf dem jenfeitigen Bergrücken, wo einft die ſchöne 
Burg der reichen Erlacher ftand, verfammelt hatte — 
dag dumpfe Gefrache des einftürzgenden Dachjtuhled und 
der Gemächer folgte. 


Nicht lange nach dieſen Begebenheiten wurde der alte 
Hans Veldner zu feinen Vätern verfammelt, und mit 
ihm ftarb der Name der Veldner und Geyer im Kocher: 
gau aus. Junker Dietrich, der, ehe noch fein Vater 


488 
dem Mißgefchie verfiel, zu Verwandten nach Branfen 
gefchiekt wurde, fol fein Gefchlecht Dort fortgepflangt 
haben. Auch Agnes erlag vor der Zeit dem Kummer, 
und das Gejchlecht derer von Münfheim — der Nach: 
fommen Geyerd bon feiner Tochter Adelheid — erlofch 
im Jahr 1505 mit Ulrich von Münfheim, dem reichen | 
Ritter und großen Wohlthäter der Armen, der zu Hall 
bei St. Michael mit Schild und Helm beigefegt wurde. 





Drud von Sr. Henne in Stuttgart. 








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