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24
BOAPR 22
Sagen und —
von SE © —
der Stammburg Wirtemberg, dem Kloſter
- Hirfan, der St. Johanniskirche zu Gmünd,
von Hohen-Rechberg, Hohen-Neufen, dem
Michelsberg u. ſ. w. u. — w.
Von
*
Ottnar 5. H. Schönhuth,
—— —
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F ge“ ir
Stuttgart,
Berlag von Eduard Fifhhhaber.
Vvorwort.
—
Wenn je eine Landſchaft unferes deutfhen Va—
terlandes das Land der Burgen und Sagen ger
nannt werden kann, fo ift es unſer liebes Würt-
temberg, das Land der Schwaben mit Den Hohen:
lohe'ſchen Landestheilen. Es ift fein Berggipfel,
feine nur fleine Höhe, von der nicht eine Ritter:
burg oder eine Ruine herabblickt, an deren Grün:
dung oder Zerftörung ſich nicht eine anmuthige
Sage fnüpfte; wir finden aber auch kaum einen
ſchönen romantischen Thalwinfel, aus dem ung nicht
die alterthümlichen Gebäude eines Klofterg oder
einer Kaßelle entgegenwinken, über deren Entſte—
hung ſich in Chroniken oder im Munde des Vol—
kes nicht eine Geſchichte erhalten hätte,
IV
Zwar haben manche unferer Burgen und Klö—
fter Schwabens Schon Darfteller gefunden , aber
boch fehlte es bis jest an einem Werfe, das eine
Zufammenftelung aller Sagen und Geſchichten
derfelben enthält, und insbefondere hat eine Ge-
gend des Württemberger Landes big jest noch
wenige Darfteller erhalten — wir meinen Würt-
tembergs Antheil am füdlihen Franfen, Die ſchö—
nen Gegenden des Hohenloher Landes. Iſt aber
diefer Fleck des Baterlandes niht auch reih an
Burgen und Sagen? Wandert dur die reizen-
den Thäler deg mittleren Kochers, der Jagst und
der Tauber — auch auf ihren Höhen prangen
alte Burgen, die der Berheerung ftürmifcher Jahr—⸗
Hunderte widerftanden, und da oder dort fhaut
man noch ein Klofter, eine Kirche, oder Kapelle,
‚von denen das Volk Gefhichten und Mährchen
zu erzählen weiß. Auch bier ift poetifches Land,
auch bier ein Elaffifcher Boden, der einer Dar-
ftellung werth ift mit feinen Burgen, Klöſtern,
Kirchen und Kapellen.
Dieſes ſein geſammtes Württemberger Vater—
land in ſeinen Burgen, Klöſtern, Kirchen und Ka—
pellen hat der Verfaſſer zum Gegenſtand ſeiner
V
Daxſtellung gewählt; vornämlich will. er alle Sa—
gen und Geſchichten zuſammenſtellen, die ſich an
dieſe und jene Burgen, Klöſter, Kirchen und Kapellen
fnüpfen, wie ſich der Epheu um ihre alten Mauern
und Ruinen windet. Als ein bekannter Antiqua—
rius an der Tauber, wie an der Jagst und am
Kocher, bevorab am herrlichen Bodenfee, hielt er fi)
für berechtigt, diefe Arbeit zu unternehmen. Denn
wie manchen Hügel und Felsberg hat er evitie-
gen und ift auf den Auinen der Burgen geſtan—
den, Die fie zieren — in wie mandes Klofter,
Kirchlein und Kapelle ift er fehon eingetreten, und.
bat auf alten Denfmalen nicht nur Namen, fon-
dern auch Gefhichten und Sagen entziffert, oder
in Chronifen darüber nachgeſchlagen; wie oft ift
er mit lauſchendem Ohre vor einem alten Müt-
terlein geftanden, und hat über dieſe oder jene
Burg, diefes oder jenes Klofter fih Runden ge—
fammelt, und Gefdhichten und Mährchen fi er-
zählen Yaffen. Was er auf diefe oder jene Weite
gefunden und gefammelt, fol in diefem feit Jah—
ren vorbereiteten Werfe feinen lieben Landsleuten,
den Schwaben wie den Franken, den Altwürt-
tembergern wie den Hobenlohern, zu Luft und
VI
Lieb, zur Kurzweil, aber mitunter auch zur Ber
lehrung, in gewiß anfprechender Weife befchrieben
und erzählt werben.
Da die Preußiſch-Hohenzollern'ſchen Lande durch
ihre Lage und Schidfale bisher in fo mannigfacher
Beziehung zu Württemberg geftanden, fo haben
wir auch diefe an Gefchichten und Sagen fo reiche
Landſchaft in den Kreis unfrer Darftellung gezogen.
Wir werden auch ihnen, den freundlichen Nachbarn
von Hohenzollern, die mit uns durch Sprade
und Sitte ſo innig verwandt find, ihre Burgen,
Klöfter und Kapellen mit ihren fchönen Kunden der
Borzeit vorführen, und ihnen ihre vaterländifchen
Denfmale aufs Neue lieb und werth machen.
Möge vorliegender erfter Band eine freund:
fihe Aufnahme bei Allen finden, die für ihr Hei:
mathland, feine Gefchichten und Sagen begeiftert
find, und Zeugniß geben, daß der Herausgeber
erfüllt, was er verfprocen.
Ottmar F. H. Schönhuth,
Pfarrer zu Edelfingen,
Inhalt.
— — — —
Burg Horneck am Necar .
Suge vom Minneberg h
Die fehlimme Barbara von Foerne >
Das Klofter auf dem Eugelsberg
Die Nonne auf dem Engelsberg ——
Burg Neuhaus bei ARE a
Der weiße Hirſch . . ?
Der Michelsberg am Medar .
Der heivnifhe Jüngling und die örifiche ungfrau
Burg Laufen am Necdar . .
Die heilige Hegiswindis
Klofter Hirfan -
Die Suge nom Müllerskind im owatzwad
Stammburg Wirtemberg
Der Wirth am Berge
Burg Falkenftein im Schwarzwald
Die Suge non dem weißen Falken. .
Die Kapelle St. Wendel - Stein. im
Saaftthal . - .
Der Bau der Steinkapelle i
Schloß Magenheim im Zabergän
Die Erfiyeinung auf dem Stromberg .
Die St, Martinsfirche und * Stift zu
Sindelfingen äh
Sage von der Gloce .
Die Efeldburg 2%
Die Suge nom Mädchenfelfen N h
Die St. Johanniskirche zu Gmünd
Die Sage vom Ringe : ;
VIII
Seite
Waldenburg im Hohenlohiſchen —6
Die Waldenburger Faſtnacht im Jahr 1570 . . 170
berggg . nee
Der Klopfer zu Mefberg 27.207:
Der Geiſt auf Staufen . . 189
Langenburg und Katenftein an der Iagft 191
Die Sage vom Dreißigſten . . ; 196
Burg und Stift Beutelfpach u ee
Der Schte von Beutelfpah . 2» 0 won .n nn 222
Munine Zangenargen am Bodenfee . - .- 245
Der Graf non Mantfort 2-00 seta 51246
Hohen-Neufen . . an
Die Suge von dem edlen Beinen an dem Herrn
Nous eNden 6 a — EN
Mohentaryten . . unesns + ware
Die Suge vom Roßfprung . 284
ehren und das ‚ehemalige Siofter
Hofen . . 315
Die treue Wendilgard ara: muyänıı
"Des Lebens Schuld und Sühne . 332
Stift Comburg und — bei Halt. 345
Der Rechberger . - ——
— vom Jäger Euornle a a ———
Der Buſſen . . ee
Von ver frommen Kaiferin Hildegard ec «2 ee‘
Klofter Marienberg . . 2 6
Die Rinder von Altenburg . . 2 ———
Die Wurmlinger Kapelle bei Tübingen . „412
Graf Anfelm von Calw und die — or 418
Der Alte vom Berge . —** 427
Ruine Geyersburg bei Hall. ER ©)
Die Gründung der Geyersburg. 445
Die warnende Ahnfrau ver Geyersburg ... 0 497
1:
Burg Horneck a. Meckar,
ehemaliger Sig des deutſchen Ordens.
— —
Nur einen kleinen Antheil hat Württemberg an je—
ner Strecke des Neckars, in der Hügel an Hügel,
Berge an Berge ſich reihen, geſchmückt mit ſagenreichen
Burgen und Kapellen. Nur eine einzige Burg iſt es,
der wir auf dieſem Flecke begegnen, und die gleichſam
den Reigen der Burgen führt, "die am rechten Ufer
des Neckars liegen — es ift die Hiftorifch- merkwürdige,
Burg Horneck, welche fich über dem fchon unter’ Carl
dem Großen als villa Gundolfesheim befannten Städt-
chen Gundelsheim erhebt. Cie liegt. auf einem an
den Neckar weit vorlaufenden fteilen Kalkſteinfelſen
mit Schöner Ausficht. Leider haben wir feine aus der
älteften Zeit ftammende Burg vor und, fondern ein.
Herrenhaus aus dem L6ten Jahrhundert. Mitten aus
dem neuen Gebäude erhebt fich ein vierecfigter Thurm
(Berchfried), genannt Treppentburn, deſſen Wendeltreppe
in das neuere Schloß führt. Diefer, fo wie zwei in dem
untern Hofraum der Burg rechter Hand vom Eingang
ftehenden Gebäude von: düſterem Ausſehen gehören
möch der alten Burg an, Auch die mit Epheu über—
!
2
zogenen Vorwerke der Burg mit ihren Thürmchen, in
deren einem noch ein fchauerliches Verließ jich findet,
ffammen noch aus alter Zeit. Vom unten liegenden
Städtchen Gundelsheim aus ift Die Burg leicht zu be-
fteigen, nicht jo von der Landſtraße aus, da fie auf
faft fenfrecht emporfteigenden Kalffelfen ruht. Von der
nördlichen Seite aus hat Schloß Horneck ein noch dro—
benderes Ausſehen, indem fich bier eine tiefe Schlucht
den Berg binanzieht. — 2
Conrad v. Horneck, ein Ritter von altem Gefchlechte, °
das fehr begütert in dieſer Gegend geweſen, foll in der
eriten Hälfte des 13ten Jahrhunderts Die Burg erbaut
haben. Don ihm ging ſie an den deutſchen Orden
über. Wie das geſchah, ‚darüber berichtet ‚ein altes,
jeiner Inschrift nad) ums Jahr 1464 gefertigtes Del»
gemälde, welches neben einer Jungfrau Maria und der
Abbildung des alten Schloffes Die Uebergabe Der Bes
figung ‘an den deutſchen Orden durch Herrn Conrad ».
Horneck Darftellt. Die Legende des Bildes lautet aljo:
„Da man zalt von der Geburt: unfer& Herrn 1250
Jahr da faß ein edel freyman hie zu hornegg, der hieß
berr Konrad von hornegg und hat 3 Kindt, der war
eins ein Tochter und zween füne. Da demſelben edel
freyman jein Fraw geftarb, da gab ihm Got Die Ge-
nadt, Daß er fich begeben wollt, mit feinen. findern und
gabe die Dochter in das Klofter zu Billigheim und gab
da fich felber und feinen Sohn der Jungfrau. Maria
und dem deutſchen Orden. Der Kinder eines, Wernher
von Kornegg, war lahm. Opferte herr Conrad fich felber
3
and das Schloß Hornegg und alles Gut, das er hatte
Gott, unferer framen und dem Orden, und do er das
lahm Kind auf den Altar gefegt, als er vor nie ge=
tban hatte, da thatte Got das Zaychen und machte es
alfo gefund als fein ander Menfch an all feinem Leib.
Da nam do der vorgenannt Bruder Conrad von hor—
negg den ein Sohn mit ime und fuhr über Meer und
mar do alfo lang bis das derfelb fon geftorben, da
kam er bier wieder zu hornegg und bleyb do alfo lang,
bis Das Gott ime gaß ein gut felige ende feines Lebens
an dem nechiten Tag nach St. Raurenzen tag und ligt
begraben bie zu hornegg in dem fohr vor dem Altar.
Danach lebt fein ander fune, Bruder Wörnder, den do
Got gejund macht, manich Iare in eine gute beylige
und vollkommende Leben und war alfo beyliges Lebens,
Das sich alles Das befjert feines Lebens das in gefach,
und ftarbe, do man zalt von der geburt unferes herrn
Jeſu Chriſti Dreizehnhundert und fechs Jar, an St.
Dionifti tag und liget auch allhier zu hornegg im kohr,
begraben vor dem Altar und Bruder Conrads Gebein
feines Vaters bei ihme. Den und uns allen Gott -
genad. Amen.“
Zu dieſer Schenkung gefellten fich bald mehrere von
umliegenden del, fo daß Burg Horneck bald zum Sit
einer Commende wurde, denn ſchon i. 3. 1274 ver:
faufte Bruder Werner, Commenthur auf Horneck, meb:
rere Einfünfte in Edigheim und Oppau an das Klo=
fter Schönau. Schon in der erften Hälfte Des 14ten
Sahrhundert3 war die Commende fo bedeutend, Daß
4
ſogar die Deutſchmeiſter auf dieſer herrlich gelegenen
Neckarburg ihren Aufenthalt wählten. Eberhard von
Seinsheim, Meiſter Deutſchordens von 1420—1443,
wohnte und ſtarb zu Horneck, wo er in der Burgka—
pelle begraben liegt. Nach ihm hielt ſich der Deutſch—
meifter Eberhard von Stetten, aber nur furze Zeit, hier
auf. Der wichtigjte Bewohner der Burg war Joſt von
Denningen, Deutſchmeiſter und Rath Friedrich Des
Siegreichen von der Pfalz, der fich gar oft in Streit-
jachen feiner als eines Vermittlers bediente. Auch er
ftarb zu Horneck und murde daſelbſt begraben. "Unter
ihm wurde Horneck einer der Kauptfige des Ordens
in deutſchen Landen. Auf ihr lebten und ftarben hin—
tereinander Die Meifter Ulrich von Lentersheim, An—
drea von Grumbach, Hartmann von Stockheim, Jo—
hann Adelman von Adelmannzfelden, deren Grabmale
in der noch wohl erhaltenen Burgfapelle zu fehen find.
Unter den Deutfchmeifter Dietrich von Cleen war die
Kanzlei und das Archiv des Ordens auf Horneck, ſei—
nem Lieblingswohnſitz. Das anziehende Banerndeer
veranlaßte ihn im 3. 1525, von hier aus mit allen
jeinen Kleinodien nach Heidelberg zu flüchten, und Die
Ordensburg Kornef ihrem Schickſal zu überlaffen.
Darüber gerade, daß fie den Vogel mit all feinen Schä—
Ben ausgeflogen fahen, und fie menig mehr fürs Ki-
ſtenfegen und Seckelleeren fanden, ergrimmten fte jo ſehr,
daß fie das Schloß anzündeten und abbrannten. Den
alten gleichzeitigen Bericht hierüber finden wir in fol-
gender alter Infchrift auf dem Treppentburm.
-
0)
Anno domini 1525 unter Regierung Herrn Dies
terich son Eleen.
„Von Dftermondag den 17. Dags Aprillis bis
uf * Sondag Exaudi zu rechnen an blibe das Schloß
aus Forcht der Bauern Grimmikeit ganz öde und on
ein Haupt verlaffen ftan. Am Sondag nach Oſtern
wurde es von dem Hauffen der Bauern geblündert
und genommen; un an Freidag nach quasimodoge-
niti den 5. Dags Mait Durch vierzehn dazu verord-
nethe von Bauern zu Boden verbrennt. Die Schloß
Stocksbergk, Sulme, Dalaw desgleichen geblündert,
zerrifen und abgebrochen, Schewerbergf jchon erbaut
fampt SHeuchlen wurden auch ald darvor verbrenth.
Darnac) umb den Sondag Exaudi name der Bawern
Wüthen mit Blutvergiffen ein ende.
Bald nad) dem Banernfrieg wurde das Schloß Horneck
wieder aufgebaut: mwahrfcheinlich von den Jahren 1529
bis 1533, denn Diefe Zahlen finden fich auf einzel-
nen Steinen. Es geſchah unter dem Deutjchmeifter
Walter von Cronberg, der zugleich als Adminiftrator
des Hochmeifteramts in allen Landen des Ordens ein—
gejegt war. Weil Diefer die Stadt Mergentheim zu
feinem MWohnfig wählte, fo war Horneck von nun an
nur der Sit eines Commenthurs. Als das Schloß
mit Gundeleheim an die Krone Württemberg kam,
war es bald Kaferne, bald Speicher, bald Lazareth.
Später wurde es zu einem Amtsfig eingerichtet. End»
lich, als es ſchon zum Abbruch beftimmt werben follte,
faufte es ein deutſcher Kaufmann in Moskau un
[
6
8000 fl.; von dem ging es an den jekigen Befiber,
Kaufmann Sandel von Sall über, der Das herabge—
fommene Gebäude, in dem fich noch manche Spuren
alter Pracht finden, wieder wohnlich bergefiellt hat.
In der reftaurirten Kapelle wird feit neuerer Zeit für
die Evangelifchen der Umgegend Gottesdienft gehalten.
Von der Burg Sornef, deren Gefchichte wir im
Ueberblick gegeben, gingen mehrere unter fich nahe ver—
wandte Gejchlechter aus, die fich nach ihr nannten.
Dem älteften gehörte‘ Der fchon genannte Conrad mit
jeinen Kindern an, der noch einen Bruder Namens
Merner hatte, welcher fehr reich geweſen ſeyn muß,
denn er fliftete 4 Präbenden als Probft zu Wimpfen.
Vielleicht war auch jene Mechtild von Horneck, Die im
Stift zu Wimpfen eine Jahrzert hatte, won dieſem
Stamme Mit ihn eng verwandt war das Gefchlecht
der Hornecke von Hornberg, Das wohl nach Mebergabe
der Burg an den deutichen Orden feinen Wohnſitz
auf der nahen Burg Sornberg nahm, umd bis in Die
jpätefte Zeit blühte. Zu diefem Gejchlecht gehörte jene
Minna von Sorned, welche in der Lieblichen
Sage vom Minneberg
verherrlicht iſt. Füglich ziehen wir fie in unfern Bes
reich, ob fie gleich mehr auf dem Hornberg gegenüber
von Horneck und weiter unten am linfen Ufer Des
Neckars auf der Burg Minneberg ihren Echauplaß hat.
Auf der Burg Hornberg, wo einft die heilige Note
7
burga in ihrem ftillen Kämmerlein: zwifchen der. Welt
und ihrem Glauben fchwanfte, wohnte lange nad) ihr
auch eine Zierde ihres Gefchlechts, Minna von Horneck.
Ein Graf von Dilsberg, reich und angefehen vor allen
Nittern jener Gegend, warb um des Mägdleins Hand,
und nicht vermochte Minnas DBater , einen ſo angefe-
benen Eidam auszufchlagen.
Aber Minna's Serz und Liebe gehörten längft dem
Nitter Edelmuth von Neckarfteinach, Der zwar arm an
Gütern, aber deſto reicher an männlicher Tugend war.
Einft hatte ihn ein fröhliches Turnier auf die Burg
gerufen, und- die Jungfrau, welche ihm den: Sieges—
preis: gereicht, hatte fein Derz gewonnen. Des Nitters
Schönheit und wortreffliche Eigenfchaften verichafften
ihm bald Gegenliebe. Doch der Liebe Glück war von
furzer Dauer. Denn auch in Diefes einſame Thal
drang der Ruf zur Eroberung des heiligen Grabes,
und Ritter Edelmuth fäumte nicht, ,. ihm zu folgen.
Minna's Bater war dieß erwünfcht: er mollte den Ges
liebten feiner Tochter entfernen (hatte er Doch: bereits
einem Andern ihre Sand zugefagt) und beſtärkte Edel—
muthen noch durch Das gleißnerifche Berfprechen in
feinen Vorſatze: ihm, komme er als Sieger zurüch
Minna zur Gattin zu geben.
Echmerzlich; war die Trennung der beiden Liebenden.
Zange fieht Dinna vom Söller der Burg trauernd ih-
rem Geliebten nach, wie er, deſſen edle Geftalt inmit-
ten der ganzen Pilgerſchaar hervorragt, den ——— ab⸗
wärts ſchifft.
8
Fahre vergingen — der Thaten viele vollbrachte
Edelmuth, und fchon war er feines Gelübdes ledig,
und nur die Ehre hielt ihn zurüf, da des Kampfes
noch fein Ende, als er in einer heißen Schlacht, abe:
gefchnitten von den Seinen, in Veindes Hände gerieth.
Diefer, ergrimmt ob der ausgezeichneten Kriegstha—
ten des Helden, welche Schaaren von Ungläubigen den
Tod gebracht hatten, warf ihn in eine Höhle, einft Der
Aufenthalt wilder Thiere. Zwei Tage verlebte ex bier
ohne die mindefte Nahrung ; am dritten endlich erblickte
er oben am der einzigen Deffnung, welche fein Kerfer
hatte, ein liebliches Geficht ; eine .fehöne Hand warf
ihm drei Pfirfiche hinab, und eine zarte Stimme rief,
inden zugleich ein Seil von oben heraßgleitete: „Zwei
Diener harren meines Winkes, darum komm und folge
mir in jene ftillen Thäler, wo wir uns ungeftört der
Liebe freuen fünnen.” |
Aber: der Ritter antwortete: „Nur in meiner Hei—
math werd’ ich Liebe finden; Doch denkſt du edel, fo
rette mich.’ — „Nur Liebe kann dich retten,‘ entgeg- -
nete Die Stimme, „nur in meinen Armen: wirft du.
Freibeit finden.“ — „Nur wer Treue übt,” antwortete
Edelmuth, „ist wahrhaft frei; und ſo wahr ich ein
Ritter bin, werde ich mein Gelübde nicht brechen. —
Da verſchwand die rettende Erjcheinung, und tiefe Sehn—
jucht ergriff den Gefangenen nach feiner Geliebten.
Auch Diefe hatte unterdeſſen ſchwere Kämpfe zu bes
ftehen, doch wanfte ihre Treue gegen ihren: Erforenen
nicht. Als endlich die flehentlichften Bitten über ihren
9
harten Vater nichts vermochten, und er fie zur Ver—
mählung mit den Grafen von Diläberg zwingen wollte,
entfloh Minna aus der väterlichen Burg, von einer
getreuen Zofe begleitet.
Sie beftiegen einen Nachen, und fuhren, im Dunfel
der Nacht, den Strom hinab. Gegen Morgen famen
jie an den fchroffen Abhang eines Berges, deſſen Gipfel
von uralten Eichen bedeckt war. Sie landeten, um bier
einen Zufluchtsort zu fuchen, und gaben den Nachen
den Wellen Breis. Durch das dichtefte Gebüfch ftiegen
die zarten Frauen den Felſen binan, nicht ohne große:
Mühe, bis fie eine Höhle entdeckten, worin Minna,
bis zur Rückkehr ihres Ritters, mit ihrer Zofe zu
wohnen bejchloß.
Aber fiebenmal Eehrte der Frühling, nur der Geliebte
nicht. Da endlich brach der Jungfrau Herz in unge
filter Sehnfucht. — Die treue Zofe benegte die Leiche
ihrer Herrin mit beißen Thränen. Plötzlich vernahm
fie eine Stimme Hinter fich, und ala fie fich ummanbdte,
ftand Ritter Edelmuth in lichtem Waffenſchmucke vor
ihr. Er hatte ſeine Minna auf der Burg geſucht, und
als er dort niemanden, als den trauernden und reuigen
Vater fand, ſo ſchwur er, er wolle ſeine Waffen nicht
eher ablegen, bis er die Verlorene gefunden. Viele
Tage ſchon hatte er den Wald durchirrt, bis ihn fein
treuer Dund auf den rechten Pfad führte. Allenthalben
verfündeten feines Namens Zeichen, von Minna in Die
Bäume eingegraben, ihm die Nähe der Geliebten. So
gelangte ev endlich an den Eingang der Höhle.
10
Auf einem Moosbette lag entfeelt die Geliebte, noch
im Tode jchön wie ein Engel. Ein ungeheurer Schmerz
machte den Ritter beinahe felbft zur Leiche. Zur Bes
finnung zurückgekehrt, erfüllten feine Klagen die Wälder,
und jo oft er die Stelle wieder fand, wo feine Minna
jhon im fühlen Grabe rubte, rannen feine Thränen
heißer. - Als einft die Abendfonne freundlich den Hügel
beichien, warf Edelmuth, wie geftärft von oben, fich
auf feine Kniee nieder, und dankte Gott, daß er ihn
bieher geführt habe, um noch einmal das Bild fchauen
zu können, das er fo lange in feinem Herzen getragen.
Und als fein Schmerz ftiller geworden war,’ baute er
zum. ewigen Denfmal feiner Liebe an dieſer Stätte
eine Burg, und nannte fie Deinneberg, In der Velfen-
höhle aber, in welcher er Minna's Grab bereitet hatte, fügte
er indie Mauer des Hundes Bild, der ihn hieher geführt.
Hier brachte Edelmuth den Neft feiner Tage zu;
täglich wandelte er, angethan mit dem Waffenkleide,
in welchem feine verblichene Geliebte fih ihn ftets
dachte, durch den Forft, und wenn er an einen Baume
feinen Namen, von Minna's Hand eingegraben fand,
fo fchrieb er den ihrigen darunter. Schon lag der Roſt
auf feinem PBanzerfleide, fein Angeficht ward bleich, und
feine fräftige Gejtalt begann zu welfen —
Bis endlich er, von Alter grau,
In ſchwarzem Waffenfleid fich niederlegt,
Und nun zum Iegtenmal die Hände faltet,
Auffiehend au der hohen Liebesmacht,
11
Daß fie in ewiger Bereinigung
Den Herzen, die einander nur gelebt,
Die ird'ſche Liebestreue Tohnen möge.
Die Burg, von Menfchenhänden einft erbaut,
Sf num von Menfchenhand zerftöret au;
Ein Denfmal ew’ger Liebestreue, die,
Ob Mauern brechen, Schlöffer niederfinfen —
Selbft unzerftörbar, eine fih’re Burg,
Aufragt aus edler Herzen feftem Grund.
Cari Jäger.
Der Sage von der edlen Minna von Horneck reihen
wir füglich noch an die Geſchichte von der
ſchlimmen Barbara v. Horneck,
wie wir ſie einer alten glaubwürdigen Chronik ent—
nommen.
Zu Anfang des 15. Jahrhunderts zog Herr Ni—
klas von Dilsperg von ſeiner Burg am Neckar in das
gelobte Land, um manche Sünde, ſo hieß es, abzu—
büßen, die er an ſeiner erſten Hausfrau, einer Gertraud
von Ehrenberg, begangen. Hätte das auch daheim thun
können, denn er hatte feine ehmalige Buhlin, genannt
Barbara von Horneck, geehligt, welche von fo böfer
Gemüthsart war, daß er mit ihre ſchon eine Kölle auf
Erden hatte. Zuvor war fie freilich fromm gewefen,
12
wie ein Lamm, aber 8 Tage nach der Hochzeit ftreifte
fie das Lammfell von ihr, und ein leibhaftiger Wolf
kam zu Tage.
Nun hatte Herr Niklas v. Dilsperg 2 Kinder von
der erften Ehe, Die er, mohl nur, um fich ferner zu
verfündigen, der böfen Stiefmutter überließ. Diefe aber
hatte einen ſchon in früherer Zeit mit dem Ritter er—
zeugten boshaften Cohn, welchem ſie gar gern Die
ſchöne Herrfchaft Dilsperg zugemendet hätte. Die Kine
der ihrer Vorgängerin hielt fie natürlich gar übel, und
war gegen fie eine Stiefmutter im eigentlichen Ginne
des Morts. Eines Tags begegneten die beiden Kinder
— fie biefen Dtto und Elsbeth — einem Bruder Car—
thäufer, der noch die Thränen in ihren Augen fah, welche
fie eben geweint hatten. Da fprach er ihnen Troft ein,
und ſchloß alfo feine Nede: fo und das Daterhaus
verläugnet, fo tröftet und nähret uns der liebe Gott
ſelbſt in der Wildniß. Obgleich der fiebenjährige Dtto
diefe Nede nicht recht verftand, fo grübelte er doch
in feiner Meife Darüber nach, und fprach zu feinem
Schweſterlein, als fie einmal wieder gar arg von Der
böfen Stiefmutter geplagt wurden: lieb Elslein, feit
die Mutter todt ift, haben wir Feine gute Stunde mehr
— reißt Du, was? wir wollen in die Wildniß geben
und den lieben Gott fuchen, daß er und tröfte und
ernähre, wie der fromme Bruder gefagt hat. Deſſen
war Elöbeth zufrieden ; fie nahm ihr Hütlein von der
Wand und hing es über den Naden, nahm in die Linfe
ihre liebe Urfel, das war ihre Eleine Dode, die Rechte
13
gab fte dem Brüderlein, und fprach: wo du bingeheit,
da will ich auch hingehen ; und nun lief fie fort, mit
dem Bruder in den nahen Wald hinein. Sie gingen
von Morgens bis Abends immer zu, und als fte hung—
rig waren, fuchten fie Waldbeeren aller Art, mit denen
fie den Hunger nothdürftig flillten ; ihren Durjt Löjchten
fie an einem frifchen Wafferquell. Als es aber Nacht
wurde, da fingen beide Kinder an zu meinen, jedoch
während des Weinens fchliefen fie ein, und erwachten
erft, als die Sonne über ihre blühenden Gefichtlein
ſchien. Sie ftanden auf und gingen dann immer weiter
und weiter in das Dickicht, und mußten fih manchmal
mühſam hindurchwinden. Schon waren fie 2 Tage im
Walde herumgeirrt, da vernahmen fie den Ton von
Jagdhörnern; fie ftanden ängftlicy hin und laufchten,
wußten aber nicht, ob fie Furcht oder Freude darüber
baben jollten. Da war e8 ein Ritter, genannt Eitel—
wolf von Zwingenberg, der mit ftattlichen Jagdgefolge
daher ritt. Als Derjelbe die Kinder wahrnahm, fo be
fragte er fie: woher fommt ihr und wohin wollet ihr,
ihr lieben Kinder? Treuherzig erzählte Otto von der
böfen Stiefmutter, und wie ihn die Mede Des Bruder
Carthäuſer beftimmt hätte, mit Elsbeth Davon zu laufen
und den lieben Gott in der Wildniß aufzufuchen. Den
Nitter und feine Jagdgenofjen rührte gar fehr die Ver—
laffenheit ver Kinder und ihr Vertrauen auf Gottes
Hülfe; Eitelwolf fprach : ihr wiffet, lieben Freunde und
Nachbarn, Daß meine Ehe nicht gefegnet ward mit Sins
dern, Darum Däucht mir, der Kerr fende mir Diefe, daß
14
von mir und von meiner Hausfrau die Trauer, und
aus meiner Burg die düstere Stille weiche — ſo will ich
diefer verlafjenen Kindlein Vater ſeyn. Nun nahm er
felbit die Eleine Elsbeth auf fein Roß, fein Knappe den
Otto, und fo ritten alle wohlgemuth nach Haufe, mo
Hildegarde, des Ritters Hausfrau, den Gemahl und-
Kinder mit großen Freuden empfing — und fie bielt
die beiden Kinder von nun an gar wohl in mütterlicher
Sorge.
Als die böfe Stiefmutter auf Dilsperg erfuhr, wo
die beiden Kinder fich befanden , begehrte fie fie, aber
Eitelwolf von Zwingenberg verweigerte und ſprach
alfo : dem Vater, fo er wiederkehrt, will ich Die Kinder
zurücfgeben, aber fein Andrer foll fie empfahen,, und
follt es felbft der Kaifer feyn. Frau Barbara klagte
nun den Ritter an, mo fie nur fonnte, aber er er-
wehrte fich mit aller Macht des böfen Weibes, denn
die Kinder waren ihm und feiner Hausfrau mit jeden
Tag lieber geworden, und war von Niemanden ein
Spruch gefällt worden, wornad er feine Bfleglinge
außliefern follte,
Bereits waren 3 Jahre vergangen, Dito hatte jich
geübt in aller Ritterſchaft, und Elsbeth war fleißig
bei Spindel und Webftuhl. Da Fam aus Dem heil.
Lande ein Bilger, der brachte der böfen Stiefmutter
auf Dilsperg Die Botfchaft, daß ihr Eheherr Niklas
vor mehreren Jahren Dort Todes vYerfchieden, und ver—
ordnet babe, daß fein Leichnam in der Gruft feiner
Väter beftattet werden möge. Frau Barbara that nad
—
15
dem Testen Willen ihres Gemahls ; als aber das ge
jchehen, fo erhub fie aufs Neue ihre Klage gegen ib-
ren Eitelmwolf und rief den Pilger zum Zeugen auf,
wie es der legte Wille ihres Gemahls geweſen, daß
die beiden Kinder der GStiefmutter verbleiben follen. *
Aber Eitelwolf beharrte auf ſeiner Weigerung, um ſo
mehr, als aus dem Stiefbruder der Kinder ein böſer
Geſell geworden war, in deſſen Nähe für Otto und
Elsbeth Gefahr zu befürchten war. Ja, nicht nur
weigerte er ſich, die Kinder herauszugeben, ſondern er
forderte nunmehr dringend, daß Otto als Herr ſeiner
Erbgüter anerkannt und in ſeinem Beſitz geſchirmt werde,
ja er ſtiftete ſogar ein Bündniß mit ſeinen Nachbarn
und Freunden, daß fie ihm in ehrlicher Fehde wollten
beifteben, fo ein reifiger Zug noth thäte. Darob ges
riethen Frau Barbara und ihr Sohn in arge Wuth,
und verfammelten um jich eine große Schaar Söld—
linge, fo viel fie nur werben mochten, denn fie ge
dachten, auf ihren ungerechten Anfprüchen feft zu ver-
harren.
In denfelben geiten, am 7. Sevt. 1414, auf der
Rückkehr von feiner Krönung zu Aachen, Hielt Kaifer
Sigismund feinen Einzug zu Heidelberg und ward gar
feierlich empfangen. Alles Volk ftrömte hinaus ‚' Die
Altbürger der Stadt, Die Lehrer der Hochfchule und die
gefammte Klerifei zogen ihm entgegen mit brennenden
Kerzen, und begrüßten den Kaifer unter Abfingung
von Palmen. Siehe da! mitten in dieſer Teftlichkeit
drängte fich eine Frau zu dem Kaifer und fehrie: ſchaf—
16
fet Gerechtigfeit, Kerr Kaiſer, einer bedrängten Wittik.
Es war Frau Barbara von Dilöperg, die alsbald von
den Umftehenden zurückgehalten wurde, alſo, daß ſie
im Zorn von innerem Gift ſchäumte. Aber der Kaifer
ollte ſie hören; und nachdem er die Wittib, anderer
Sic auch Zeugen gegen fie vernommen hatte, be
te ev feinen Kanzler und Rath Eberhard zum Aus—
trag der Sache in jo weit, daß er ihm Bericht erftatte
nach Anhörung des Einen wie des Andern. Als Sol—
ches gefcheben, ließ er vermelden, er wolle auf feinem
Meg gen Cojtnis felbft nach Dilsperg kommen, den
Handel zu ſchlichten, befahl zugleich, Daß alle Theile
fich alldort geftellen follten. Dann am 10. Septem—
ber hielt er mit einem ftattlichen Gefolge von Kerren
und Reiſigen Einfehr auf Dilsperg, und als Alle bei-
jammen waren im Burghof, sprach der Kaiſer alfo zu
der Wittib: Frau, in eurer Sache gab euch Lieb' allein
das Reicht, weil ihr aber Die Liebe bier verläugnet habt,
fo dürft ihr niemals ein Recht beanfpruchen. Sinte—
“mal ihr nun gar haffet, wo Liebe Pflicht war, jo ver-
fielet ihr in eine Schuld, die euer Gewiſſen ftrafen mag.
Ich aber entfcheide nun, wie ich’ vor Gott zu vers
antworten gedenfe: Die Kinder bleiben Denen, die ihr
Herz gewonnen; die Güter gehören ihnen und jollen
ihnen gehören — ich beftätige dem Eitelwolf v. Zwin—
genberg und feiner Hausfrau die mwohlermorbenen Ele
ternrechte, Die weder ich, noch ein Anderer ihnen ftreitig.
machen, bin auch ficher, Ritter Eitelmolf werde die
Wittib des Niklas von Dilsperg nicht Mangel leiden
17
faffen, vielmehr alsbald mit Eberhard Winde berathen
und beftimmen, was euch als fefter Sig, fo wie euch
und euren Sohn zu des Leibes Noth und Pflege ger F
bühre. Das Erbe der Kinder aber fey noch in Ne
Stunde und bevor ich von Dannen ziehe, an Rit —
Eitelwolf unter Landesbürgſchaft und Kaiſers Sch
übergeben. |
Sp ward der Streit um die Kinder erledigt ur,
den Spruch des Kaifers, den Iedermänniglich mit lau-
tem Jauchzen aufgenommen. Der Diefed berichtet, Eber-
hard Winde, feßt Hinzu: ift auch männiglich bekun—
det, Daß Kaifer Sigismund ein grumdbiedrer Herzmann
und Fürſt war, hätt’ auch gern überall Fried' und Ge—
rechtigkeit gefehen, nur mochte er felten der Dienftmil-
ligen Hülfe gehaben.
1.
Das Klofter auf dem Engelsberg
bei Markelsheim a. d. Zauber.
Wer Fennt nicht den herrlichen Taubergrund und den
föftlichen Feuertranf, der auf feinen Nebhügeln wächst ?
Wenn je ein Gewächs des Weinftocds den Namen Nek-
tar verdient, fo ift e8 der Wein von der Tauber, den
er über feinen Bruder, den Neckarwein, ftellen. Be—
2
18
jonderd aber ift e3 jener Mein, der auf den fteilen
Bergen zwifchen Weikersheim und Mergentheim wächst,
namentlich über dem ftattlichen Flecken Marfelsheim, von
welhem Drte der feinfte Tauberwein den Namen
u Markelöheimer” führt.
Fine nicht nur der Schmeder feiner Weine findet
‚bier, was fein Herz befriedigt, fondern auch der Freund
alter Geichichten und Sagen, die fih an die Mauren
der Klöfter wie der Burgen anfnüpfen.
Auf jener Anhöhe bei Marfelsheim, Die man den
ein nennt, ftand vor Zeiten ein Frauen—
Hofter, welches für adelige wie bürgerliche Frauen ges
Fliftet war, und die Dynaften von Hohenlohe zu Schirm—
vögten hatte. Vom früheren Klofter find nur noch Reſte
der Umfangsmauer übrig, dann ein fehöner hoher Thurm
“von gotbifcher Bauart (aus dem XV. Jahrhundert)
und eine Eleine Kirche oder Kapelle, welche wohl noch
aus älterer Zeit ſtammt, wenn fie aud) in unfern Tas
-. gen wieder hergeftellt wurde und mannigfache Aenderuns
gen, erlitten hat. Schon im Jahr 1408 Fam das Klö-
ferlein auf dem Engelöberg etwas in Abnahme, Doch
im leidigen Bauernfriege im Jahr 1525 erhielt e8 Den
empfindlichjten Stoß, und Fam nie mehr in Aufnahme.
Aus diefer Zeit des Baurenkriegs hat fich eine Sage
erhalten, welche uns belehrt, wie die Anhöhe, auf der
das Klofter geftanden, den Namen Engelöberg erhalten.
Diefe Sage hat in neuerer Zeit einige Begründung ges
funden, wenn wir fo fagen dürfen; als nemlich, in
Folge einer Repakatur, vor dem Altare der Kirche ge—
19
graben wurde, da fand man das volltändige Gerippe
einer Nonne, an deren Kopf noch goldgelbe Haare zu
erfennen waren. Könnten das nicht Reſte Der feligen
Frau Himmeltrud gemwefen feyn, von der wir fofort
erzählen wollen, mas uns durch) die Sage aus Es
Munde des Volls fund geworden m
—
Die Nonne auf dem Engelsberg.
Eine traurige Zeit kam über das Kloſter auf dem En—
gelsberg, als die aufrühreriſchen Bauern nach Oſtern des
J. 1525 ſengend und brennend durch das Tauberthal zo—
gen. Das ſtattliche Kloſter Scheftersheim wurde von den—
ſelben rein ausgeplündert und zum Abſchied noch verbrannt.
Kein beſſeres Loos durfte das Kloſter zu Markelsheim
erwarten. Aber die geiſtlichen Frauen wurden noch zu
guter Stunde davon benachrichtigt und rüſteten ſich zur
Flucht, ehe noch der wilde Schwarm im Dorfe Mar—
kelsheim erſchien. Nur die Melfterin des A
Frau Himmeltrud, wollte zurück: bleiben, denn ſie hielt
ed für Sünde vor Gott, aus Burcht vor Leiden und.
Trübfalen Die Stätte zu verlaffen, wo fie vor dem An⸗
geſicht des Ewigen das Gelübde abgelegt hatte, nicht
nur der Welt zu entſagen, ſondern auch Mangel und
Armuth und alle Noth des Lebens geduldig zu ertras
gen. Sie ‚blieb feſt bei: “ihren "Entfehluffe, obgleich die“
übrigen ‚Schweftern fie befchworen , mit ihnen zu fliee
hen. Weinend nahmen Die geiftlichen Frauen. Abfchteb
20
von ihrer geliebten Meifterin, führten mit fich die Kofl-
barfeiten des Klofters, und was zum gottesdienftlichen
Gebrauch in die Kirche gehörte, und flüchteten: fich nach
Mergentheim. Sobald die geiftlichen Frauen: das Klo—
fter verlafien hatten, verriegelte Frau Himmeltrud das
Klofter von Außen: und Innen, Damit es Dem erſten
Angriff der Raub-Horden widerftehen könnte. — Noch
fein Tag war vorüber, fo ftanden die Schaaren der
Bauern ſchon in Markelsheim — bereits von Schef-
tersheim aus, wo fie fich einige Zeit gelagert hatten,
um in ihrem Raube zu fchmelgen und. zum Verderben
der Gegend Rathsverfammlungen zu halten, hatten fie
mit den Bürgern zu Marfelsheim unterhandelt , "und
längft hatten fich Viele an die Aufrührer angefchlofjen.
Markelsheim felbft hatte alfo Nichts zu befürchten, deſto
mehr aber die :geiftliche Claufur auf der Höhe. Auf
die richteten Die Aufrührer nun ihr ganzes Abfehen ;
fie beftürmten gleich nach ihrer Ankunft das Kloſter,
und redlich halfen dabei Manche aus Markelsheim felbft,
die-längft die Nonnen auf dem Berge haften, weil der
eine oder der andere eine Gült von feinem Feldſtück
oder ein Faftnachtshuhn in das Klofter zu liefern hatte.
— So kräftig die Bauern an die Pforte anrannten,
fie richteten wenig aus, denn Die gewaltigen Riegel
widerflanden ihren, Aexten und Kellebarden ; und man—
ches Merkzeug wurde ſtumpf an den mit Eifen beſchla—
‚genen eichenen Dielen. Sie hätten vielleicht: noch lange
ihre Stöße und Hiebe vergebens: wieberholt, da Fam
Einer auf den Einfall, flatt daß man an der Klofters
24
thüre Die Aexte und Sellebarden vergebens zerftoße, Die
Doch noch für andere Geſchäfte aufzufparen wären, würde
es gerathener ſeyn, die Mauern zu überſteigen. Es
brachten einige Bürger von Markelsheim die Feuerleitern
des Orts herbei, und mit Hülfe dieſer war man bald
innerhalb der Kloſtermauern. Nun ging es über das
Kloſtergebäude her. Die Hauptthüre wurde eingeſchlagen,
dann der Speiſeſaal und die Zellen erbrochen, aber nir—
gends fand ſich, was ſie ſuchten. Sie hatten von ihren
neuen Genoſſen gehört, daß die Vorſteherin, Frau Him—
meltrud, allein noch zurück geblieben ſey. Dieſe nun
ſollte ihre Fuhrerin ſeyn zu den verborgenen Schätzen
des Klofters, aber dieſe war nirgends zu finden. In
ihrer offenen Zelle fanden fie die Schlüffel der Schaffe
nerin, melche diefelbe beim Gehen an Frau Himmeltrud
übergeben hatte ; neben der Lagerftätte, Die. nur aus
wenigen Bettftücken beftand, ftand ein Krüglein, in dem
noch wenige Tropfen Waffer waren ; ein kleines Brod
lag Darneben, und man fonnte wohl daran feben, daß
Eines eben noch ſein Mahl dabei gehalten ‚hatte. Bon
den Zellen gingen die Gierigen nach der Speifefammer
und den Keller. In der Speifefanmer waren nur -
Eleine NRefte von Vorrath zu finden. Denn feit man
von den Bauern hörte, die wider ihre Herren fich auf-
lehnten, waren alle Faſtnachtshühner, und was fonft
zum Klofter geliefert murde, audgeblieben ; alfo konn—
ten die DVorräthe nur gering feyn. Im Keller aber
fanden fich nur einige Fäßlein Wein, den die geiftlichen
Frauen aus den Keinen Nebgütern am Klofterberg zu
22
erzielen pflegten; das letzte Jahr war der Herbſt nicht
ſo reichlich ausgefallen. Dieſer wenige Wein war nun
der einzige Raub, den ſie im Kloſter ſelbſt gewannen.
Aus Aerger, daß ihre Beute ſo gering ausgefallen war,
zerſchlugen ſie nun Alles, was ſie an Geräthen in den
Zellen ſo wie in der Küche und im Keller fanden;
beſonders die Schränke und Behälter, welche die Frauen
ſelbſt vor ihrem Abgang ausgeleert hatten. Jetzt ver—
ließen ſie das Kloſtergebäude und gingen auf einen
Ort los, der reichere Beute verſprach, auf die Kirche
des Kloſters. In dieſe wollten ſie brechen, obgleich
mehrere von den Bewohnern des Orts dagegen rie—
then; theils waren es ſolche, die es wußten, daß ſie
leer wäre von ihren Koſtbarkeiten, da ſie Zeugen da—
von waren, wie die geiſtlichen Frauen ſchon ausgeräumt
hatten, theild waren e8 Männer von Markelsheim, Die
noch fo viel chriftlichen Sinn hatten, es ungerne zu
jehen, daß ihre Kirche, in der fie bisher ihre Andacht
verrichtet hatten, unter ihren Augen vermüftet und ver—
heert würde. Doch der ſchwarze Haufe aus dem oberen
Tauberthal ließ fich nicht abhalten ; Die Aexte und Del-
lebarden, welche fie eben noch an der Klofterpforte zer»
jtoßen hatten, fegten fie auch an das Portal der Kirche
an. Aber bier fanden fie ganz anderen Widerftand,
als vor dem Thore der Kloftermauer. So oft ein eis
fernes Werkzeug, Art oder Morgenjtern, auf den Thür—
viegel fiel, prallte es gellend zurüd, oder brach in Stü-
fen, wie wenn «8 von Glas geweſen wäre. Bald
fahen fie, Daß eine andere Gewalt ihnen Widerſtand
23
feiftete, die nicht von Menfchen war. Die Meiften zogen
fich zurüdf von den Haufe des Kern — nur Einige der
Wildeſten ließen noch nicht nach in ihrer Wuth ; jemebr
fie Widerftand gefunden hatten, deſto gieriger wurden
ſie nach der Beute, die fie immer noch in der Kirche
zu finden hofften. Die Feuerleitern, mit welchen fte
über die Mauern geftiegen waren, legten fie nun auch
an die Kirche an, aber Keiner von den Marfelsheimern
hielt mehr die Leiter, wie zuvor beim Befteigen Der
Kloftermauer. Schnell waren einige der Frechen oben,
doc, als fie fchon die Hände auftreten, um die runs
den ſchön gemalten Feniterfcheiben einzujchlagen, Fam
fie ein Schwindel an; fie fielen rücklings von der Lei—
ter und wälzten ſich unten im Schmerz, denn Der eine
hatte Die Füße, der andere die Arme gebrochen. Mit
Schrecken wandten fih nun Alle von dem Öotteshaufe,
‚denn es mußten endlich auch die Roheſten erfennen,
daß eine höhere Macht wider fie ftritt und Die Kirche
Ihüßte. — Ja es war eine höhere Hand wider fie, denn
der Herr hört Die Seinen, die zu ihm flehen in der
Noth, und er fehirmt fein Heiligthum wider Die Gott—
lofen. Am kleinen Altare der Kirche lag Frau Him—
meltrud, die Meifterin des Klofters, auf ven Knieen,
und flehte ohne Aufhören, fo lange die Rotte vor der
Kirche tobte. Zuvor hatte fie in der Zelle des Klofters
zugebracdht, als fie aber hörte, wie Die Tobenden über
die Mauer fliegen, da flüchtete fie ſich in Die Kirche
durch eine Eleine kaum fichtbare Thüre, die von dem
Refektorium in den Chor führte, und warf den Riegel
24
vor. Nun trat fie an den Altar, warf fich nieder zum
Gebet, und ftand nicht mehr auf, bis fie hörte, Daß
fih Die Feinde, auch von dem Heiligthum wandten.
Noch nie war ihr Gebet zu Gott fo heiß und flehent-
lich geweſen; ſie betete nicht um ihre Errettung, fon-
dern um die Erhaltung des Gotteshaufes. Dft zitterte
und bebte fie, wenn Die ſchweren Aexte auf Die Thüre
fielen, aber fte verzagte nicht; ja fte ließ Die Hoffnung
nicht fchmwinden, Daß der Herr ihr Gebet erhören merde,
als fie hörte, wie Die Srechen ſchon bis zu den Kir-
chenfenftern. heraufitiegen und ihre wilde Stimme ver-
nehmbar wurde. Wie fie vertraut hatte, jo wurde
auch ihr Gebet erbört — auf einmal murde es ftille
um die Kirche ber, und deutlich hatte fie. vernommen,
wie die Notten tobend und fluchend abzogen. Jetzt
erft richtete fie fih auf, und ging vom Xltare weg
der Kirchenthüre zu. Da war es überall ftille gewor—
den. Nicht einmal in dem Kloflerhofe war mehr eine
Stimme vernehmbar. Die Feinde waren alle den Weg
wieder zurück gegangen, den ſie binaufgeftiegen waren.
Jetzt erft erflaunte Simmeltrud, wie Großes der Herr
an ihr und dem Gotteshaus gethan hatte. Noch einmal
warf fie fich vor dem Altar auf die Kniee, und jeßt war es
ein heißes Danfgebet, das aus ihrem Herzen emporftieg,
aufwärts zu demjenigen, der die Macht der Gottlofen
zerfireuet wie Spreu und das Hoffen der Frommen nicht
zu Schanden werden läßt, fondern fie erhöret, wenn
fie ihn anrufen in der Noth. — Nachdem Himmeltrud
25
ıhre Andacht verrichtet hatte, wollte fie die Kirche ver—
laffen und fich ing Klofter zurück begeben, denn während
Alles dieß geſchah, mar es Abend und zulegt dunkle
Nacht geworden. Sie ging auf die Kleine Pforte zu,
welche den Chor mit dem Nefeftorium verband, und
wollte auffchließen, aber im Dunkel der Nacht fand fte
faum Die Stelle, wo fich die Pforte öffnete. Sie ging
wieder zurück zum Altar, fegte fich auf die fleinernen
Stufen nieder, um zu erwarten, bis fie beim Tages—
lichte die Pforte öffnen könnte. Eine fchlaflofe Nacht
durchwachte fie: bald quälte fie die Kälte auf Dem
falten Steine, bald ein brennender Durft, denn feit der
Morgenftunde, da fie aus der Zelle fich geflüchtet hatte,
war fein Tropfen Waffer über ihre Lippen gefommen.
Wie die erften Lichtftrahlen, wohl erft fpät, Durch Die
Eleinen Fenfterfcheiben der Kirche fielen, da eilte fie auf
die Pforte zu. Aber welch ein Schredfen! das Schloß
war vorgefallen, und es war feine Möglichkeit vor—
handen, es von innen zu Öffnen. Sie verſuchte es
lange, aber es war vergebens ; da begab jte fich zu
der eigentlichen Kirchenpforte, aber dieſe hatte ſie, ehe
die Bauern in Markelsheim erfchtenen, oben ber mit
einer ftarfen eifernen Stange noch zur Vorſorge ver:
wahren laffen, und fo weit reichte ihre Kraft nicht hin,
um dieſe eiferne Stange los zu machen und die Pforte
zu öffnen. Troſtlos ging fie jet zu dem Altare zurück
und fügte fich in das traurige 8008, eingefchloffen zu
bleiben, "bis es Gottes Wille wäre, ihr durch eine Men
ſchenhand das ins Klofter führende Pförtlein von Außen
26
öffnen zu laffen; aber vor der Hand war noch wenig
Ausficht dazu, denn feit der Stunde, da Die Bauern—
rotte abgezogen war, herrſchte Todtenftille um die Kirche
herum und im ganzen Klofter. Oft ging fie zur Kir-
chenthüre und laufchte, ob fie nicht Menfchentritte ver—
nehmen fünnte, aber, fo fie e8 auch manchmal wähnte,
ed war nur eine leere Täuſchung. Wer hätte auch
der Eingefchlofjenen gedacht, und wenn Simmeltrud auch
die beiten Ireunde im Dorfe gehabt hätte — hatte ja
alle Bürger zu Markelsheim ein folcher Schwindel er—
griffen, Daß fie feinem andern Gedanken mehr Raum
gönnten, als wie ihnen bald ein taufendjähriges Reich
der Freiheit und Gleichheit anbrechen würde. Darum
hatten fich faft alle Bewohner des Ortes, ausgenom—
men Kinder, Greife und Weiber, an den ſchwarzen
Haufen aus dem Tauberthale angefchloffen und waren
der Stadt zugezogen. — Indeffen war der Mittag, end-
lich der Abend angebrochen und noch Feine Hülfe und
Rettung für Die Gingefebloffene in der Kirche erfchienen.
Seit der Zeit, da fie aus der Zelle hierher ſich bege—
ben hatte, war fein Biffen mehr über ihren Mund ges
fommen. Die Nefte eines Laiblein Brodes hatte fie
in der Zelle Liegen laffen; in der Eile ihres Flüchtens
in Die Kirche hatte fie es vergeflen, den wenigen Vor—
rath, welchen die geiftlichen Frauen in der Speifefam:
mer zurück gelaffen hatten, zu ihrer Labung mit fich
zu nehmen; welch ein anderes Loos fand ihr jeßt
bevor, als auf Die fehrecklichfte Weile zu verhungern.
In ſolcher Noth warf fie fich nieder an den Stufen
27
des Altars, da fie fich zuvor fehon mund gefniet Hatte,
im Flehen uud Gebet. Ach! fo flehte fie zu Gott mit
thränendem Auge, Du haft erhöret mein Gebet und Dieß
Haus wunderbar erhalten vor der Hand der Zerflörer,
Du haſt mich entrinnen laffen vor den Gottlojen, und
Dier in Deinem Heiligthum eine fichre Zuflucht mir
bereitet ; follteft Du mich nur errettet haben von Der
Hand der Böfen, um mich einem fchreeflichen Tode,
dem Hungertode, zu übergeben ? Barmberziger Vater
im Simmel, daß ift nicht Dein heiliger Wille, Du
wirft mich nicht verfehmachten laffen, denn Du erbarmft
Dib ja des ©eringften in der Natur; allmächtiger
Gott und Vater, Du haft wunderbar diefes Gotteshaus
geſchützt vor der Wuth feiner Feinde, Du kannſt auch
mich erhalten auf wunderbare Weiſe, daß ich mein
Leben friſten möge und Dein heiliger Name dadurch
verherrlichet werde. — Himmeltrud erhob ſich von den
Stufen des Altars und ſuchte einen der Chorſtühle auf,
um in Diefem die zweite Nacht zuzubringen, Die nun—
mehr bereingebrochen war. Wielleiht, fo dachte fie,
wird Der Schlaf mich überwältigen und mich vergefjen
machen, an die Stillung des Hunger und Durftes zu
denfen. Uber es war dem nicht fo. So entfräftet
fie auch war durch das lange Faſten, , fie entfchlief lange
nicht ; jede DViertelftunde dehnte fich aus zur Stunden-
länge in der fchauerlichen Stille, die höchftens durch das
Krächzen eines oben auf den Kirchenthurme haufenden
Käuzchens unterbrochen wurde. Schon war die Mit—
ternacht vorüber; eine fühlere Luft wehte, und zeigte
28
an, dag ein neuer Tag beginnen wolle — jetzt erſt
fchten ein erquickender Schlaf auf die Augenlieder Der
Frau Simmeltrud niederfinfen zu wollen. — Der Herr
verläßt die Seinen nicht, er wird auch mich nicht ver—
laſſen — mit diefem frommen Gedanken entſchlummerte
die Gläubige. Nur ein Stündlein mochte fie der Schlaf
erquickt haben, da ermachte fie wieder. Ein heller Schein
umgab die nur halb Wachende, ihr Blick fiel auf den
Altar, Der flrahlte, wie wenn er von vielen Kerzen
beleuchtet wäre, und auf feinen Stufen ftand ein En—
gel in glänzend weißer Geftalt — er hatte fich gegen jene
Stelle auf dem Altar gewendet, wo der Priefler den
heiligen Leib aufzubewahren pflegte. Himmeltrud ſah,
wie der Engel die Hoſtie aus der geöffneten Mon-
franz nahm und fie in den Speifefelch legte. —
Im eriten Augenblick überfam die fromme Frau eine
Furcht bei der ungewöhnlichen Erſcheinung, und noch
mehr, als die weiße Geftalt die Stufen des Altars
berabftieg, auf Sinmeltrud zu ging, und Die Softie
vor ihr in Der Hand hielt. Himmeltrud, ſprach der
Engel mit freundlicher Stimme, der Herr bat dein
Stehen erhöret, nimm hin den Peib des Herrn des
Gefreuzigten und nun zu Gott Exrhöheten! das ift Die
rechte Lebensſpeiſe und das himmlische Manna, Das
von nun an dich nähren foll, jo lange Deine Liebe’ fo
groß fein wird, wie dein Vertrauen gewefen. Auf
einmal war alle Furt bei Simmeltrud verſchwunden;
fie trat aus dem Chorfiuhle, knieete nieder vor dem
‚ Engel und empfing mit gefalteten Händen aus der
29
Hand des Himmlifchen den Leib des Herrn. Als fie *
die Himmelsgabe “auf den Lippen fühlte, da war es
ihe, als ob neue Lebenskraft durch alle ihre Glieder
firömte. In Demfelben Augenblick war Alles. um fhe
her verfehmunden ; an die Stelle des wunderbaren Lich—
te8 , das ‚bisher den Ultar und den Chor: der Kirche
beleuchtet hatte, war das natürliche Tageslicht getreten,
und bald darauf fielen die erften Strahlen der aufge=
henden Sonne durch die Beniterfcheiben. Himmeltrud
hätte dieſe Erfcheinung für einen Traum halten Füne
nen, ‘aber es mußte etwas wirklich Gefchehenes ſeyn,
denn fie fühlte fich von jenem Augenbli an ganz neu
geſtärkt, und nicht das geringfte Verlangen nach Bes
friedigung eines Bedürfniſſes wurde mehr in ihr rege.
Dasſelbe gefchah in der darauf: folgenden Nacht um
diefelbe Stunde ; der Engel: erfchien und’ reichte ihr den
Leib Des Herrn, und wieder fühlte fich Himmeltrud fo
wunderbar geftärft, daß fie fein Verlangen mehr. nach
irdifcher Speife und Trank empfand. So brachte fie
viele Tage zu, indem fie nicht vom Altar wich, fondern
nur dem Gebet und der Andacht fich widmete ; Des
Nachts aber ftärfte fie Das himmliſche Manna, welches
der Engel ihr darreichte. — Bald fühlte die fromme
Frau kaum mehr, daß fie eingefchloffen war; am hei—
ligften Orte fand fie ja ihren Wirfungsfreis im Amte
des Gebets und der Fürbitte auch für ihre fernen Schwe—
- fern. Vielleicht hatten Diefe jet ein unfteteres Loos,
als fie, Die nun in Sicherheit war, denn gerade der
Stadt Mergentheim zu hatte fich ja das Bauernheer
30
gezogen. Aber nicht jehr Lange vermweilten die räube-
rifchen Horden an diefem Orte, wo fie mehr Theil-
nehmer ihrer Anfichten und Unternehmungen, als ir
gendwo, fanden. Bald darauf verfammelten fich Die
Bauern von überall ber beim Städtchen Königshofen.
Dort aber nahm ihre Herrlichkeit auf einmal ein Ende;
der Truchſeß von Waldburg, mit Recht genannt Der
Bauernjörg, lieferte mit feinem ſiegsgewohnten Heere
den ungeordneten Schaaren der Bauern ein blutiged
Treffen, und vier bis fechötaujend blieben todt auf Dem
Mage. Nur Wenige, die bei Zeit noch ihr Heil im
der Flucht fuchten, retteten ihr Leben und entrannen
in Die Heimath. Von den Bürgern aus Markelsheim,
die fo zahlreich ausgezogen waren, famen nicht fünfzig
mehr in das Dorf zurüd. Sie bereuten, Daß fie je
von dem Aufruhr Der Uebrigen fich hatten ergreifen
laffen, und waren von nun an wieder ruhige Bürger.
Die Kolbenfchläge und Schwerthiebe Der bündifchen
Meiter Hatten ihnen bei Königshofen den Schwindel
aus dem Kopf getrieben. — Set war ed wieder wie
zuvor in Markelsheim. Während Die bäuriſchen Un—
ruhen dauerten, hatte Niemand mehr der Kirche und
des Gottesdienftes gedacht. Nach Den unglüdlichen
Ausgang der Bauernfache bei Königshofen kehrte auch
ein frommer Sinn wieder. War bisher Die Kirche auf
der Höhe Teer geftanden, jegt wallte man in Schaaren.
wieder zu. ihr hinauf. Dießmal bedurfte es feines Merk
zeugs, um die noch verfchloffene Kirche zu öffnen. Hat—
ten die raubgierigen Horden trog aller Anftrengung
31
die Pforte nicht mit Gewalt öffnen Fönnen , jegt, als
frommgefinnte Menfchen , Die fich fehnten, am Altar
des Herrn einmal wieder zu beten, Einlaß begehrten,
da bedurfte es nur eine? Fräftigen Drudes an Die
Küirchenthüre: Die von innen quer übergelegte Eifenftange
fiel Elirrend herab, rafjelnd öffnete fich dag Eifenfchloß,
und Die Thürflügel dehnten fich weit aufeinander. Aber
welch ein Anblick bot fich der erftaunten Menge dar!
An den Stufen des Altares fniete Frau Simmeltrud,
welche bisher verfchwunden geweſen war, ohne daß man
wußte, wo fie bingefommen ſey. Ohne beftürzt zu
werden über Die Gintretenden, ftand fie auf und ging
iänen mit freundlichem Blif entgegen. Es war Die
felbe Himmeltrud, welche Alle früber gekannt hatten
als Meifterin des Klofters, und doch war fie fo fehr
verändert in ihrem Weſen. Abgemagert war ihre Ges
ftalt, todtenbleich, wie bei Einer, Die jo eben noch mit
dem Leichentuche umgeben war, waren Geſicht und Hände,
aber in ihrem Angeficht lag der Friede der Himmli—
jchen, und ihre Augen glänzten voll Verklärung, wie
bei Stephanus, als er den Simmel offen fah, und Die
Herrlichkeit Gottes fehaute. — Faft zwei Monate lang
war Himmeltrud eingefchloffen geweſen, ohne irdifche
Epeife und Trank zu fich zu nehmen, Denn der Engel
des Herrn hatte fie mit dem Brode des Lebens ernäh-
vet. Aber diefes Geheimniß wurde nur Wenigen fund
gethan, Denn fie fprach feitdem felten mehr mit denen,
die auf dem Berge fie bejuchten. Auch wich fie, troß
den Bitten Vieler, nicht mehr vom Haufe des Herrn
32
und feinem heiligen Altare, denn fie wollte nicht mehr
ihre Wohnung unter den Menfchenkindern auffchlagen.
Ihre Nuheftätte des Nachts war der Chorftubl, in dem
der Engel Gottes ihr zuerft den Leib des Herrn dar—
gereicht hatte; auch nahm fie Feine irdifche Speife mehr
zu fih. Sie fchien bier fihon mit Den Geligen des
Himmels im Umgang zu fliehen. Seitdem wurde fte
als Heilige in Der ganzen Gegend verehrt. So oft
Beter in die Kirche eintraten, fanden fie Die fromme
Himmeltrud am Altare knieend, und ihre Andacht ers
höhete noch mehr die Andacht der Betenden. Keiner
trat aus dem Gotteshaufe, ohne zuvor den Segen von
ihr zu verlangen, und Seiner ging, ohne das Wort
des Troſtes aus ihrem Munde zu vernehmen : Friede
jey mit Dir! Nur Einer ging ohne Segen und Frie—
den von ihr. — Es war in den Tagen des beginnen
den Serbftes 1525 , nachdem Dietrich von Clee, der
Deutfchmeifter, in Mergentheim eingetroffen war, um
ein fchauerliches Blutgericht über Diejenigen ine Amt
Mergentbein zu halten, welche im Bauernfrieg befon=
ders übel fich gehalten hatten. Bon allen Geiten wur—
den Solche eingebracht, um in Mergentheim ihr Urtheil
zu empfangen. Da war auch Einer, der fich befonders
durch feine Wildheit und Rohheit ausgezeichnet hatte;
er war ein Anführer der Bauern‘ gewejen und hatte
die serfte Brandfadel in das Klofter zu Schefteröheim
geworfen. Als man ihn mit gebundenen Händen Durch
Marfelsheim führte, um ihn gen Mergenthein zu brins
gen, und er eben an Die Anhöhe Fanı, wo das Srauen-
33
Elofter ftand, da ſprach er: Lieben Freunde, ich weiß
wohl, daß ich nimmer aus der Stadt zurück kehre,
fondern allda mein Leben lafjen muß; fo gemähret mir
noch die Bitte, daß ich hier oben in die Kirche gebe,
meine Sünden beichte, und von der heiligen Frau Den
Segen zu meinem fchweren Gange empfange. Es ward
ihm gewährt, man führte ihn in Die Kirche vor Frau
Himmeltrud. Schon hob fie die Hände über dem. vor
ihe Knieenden und wollte dad Wort des Gegend fpre-
chen, da blickte er auf — fie fihaute ihm ins Auge,
und jest erft erfannte fie, wen fie den Segen ertheilen
wollte. Es waren wohlbefannte Züge, welche nur
durch Die vielen verübten Miſſethaten unfenntlich ges
worden waren — ed war der Mann, welcher ihre einft
Treue gelobte, diefe fchändlich gebrochen Hatte, und nun
um ihre Vergebung flehte. — Dir wird gefchehen, wie
du e8 verdienet haft, rief fie — habe feinen Segen, kei—
nen Frieden in Deiner legten Stunde. Sie wandte fich
lieblo8 ab von Dem Unglücdlichen, fie, Die noch Keinen
ohne das Wort Des Friedens entlafjen hatte. Der Mann
aber trat jest zum Altar, Fnieete nieder, nicht mehr
vor fchwachen Menfchen, fondern vor dem ewigen Gott,
er befannte feine vielen Miffethaten, Die er im Leben
verübt hatte, flebte voll Herzlicher Reue zu dem All—
barmherzigen, und als er aufitand, ward es ihm leichter
umd Herz. Das Wort: „Friede fey mit dir” war
aus Himmels-Höhen an ihn ergangen. Ruhig empfing
er zu Mergentheim den Todesſtreich — Don Him—
meltrud aber wandte fich von nun an Der Herr, fein
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Engel erjchten nicht mehr mit der Tabenden Himmels—
ſpeiſe — nach drei Tagen fand man fie verfchmachtet
an den Stufen des Altars. Cie hatte des Wortes
vergeffen : jo lange Deine Liebe fo groß ſeyn wird, wie
dein Vertrauen geweſen. — Die Höhe, auf der das
Klofter fand, Hieg man von jener Zeit an, da der
Engel des Herrn die Kirche gefehügt, und die Fromme
Himmeltrud mit dem Brod des Lebens wunderbar er=
nähret hatte, den Berg, wo der Engel waltete, den
Engelöberg, und fo heißt er noch bis auf den heu—
tigen Tag.
Il.
Burg Wenhaus bei Mergentheim.
So maleriſch und romantifch auch der Zaubergrund
jeyn mag — er mangelt eines Reizes, an dem andre
Täler des Sranfenlandes fo reich find; nur wenige
Burgen fihmüden die mit Reben befrängten Höhen zu
beiden Seiten der Tauber. Doch ein Fleck des fchönen
Grundes ermangelt auch Diefes Neizes nicht: Das ift
der mittlere Taubergrund von Weifersheim an bis über
Mergentheim hinaus. Auf der nördlichen Anhöhe über
der Stadt fand einft Die alte Kötterburg, die bis auf
die Spur verfehwunden tft — ihr gegenäber, auf Dem
linfen Hfer der Zauber und weiter entfernt von Der
Stadt, ragt auf einem ziemlich hohen Bergrüden, ge—
3)
nannt der Kitzberg, die Ruine der ehemaligen prächti-
gen Deutfchordensburg Neuhaus, Die wir näher in's
Auge faſſen.
Zwei Wege führen auf die Burg: entweder gehen
wir auf der nach Igersheim führenden Landftraße eine
Strefe und wenden und dann rechts Die Höhe hinan
— in einer Viertelftunde find wir auf dem Kigberg,
in der Nähe der Burg angelangt; ein zweiter, am
meiften begangener Weg, führt von Markelsheim aus
in Die Burg. Wir gelangen auf dieſem Weg zueft
an einen hochaufgemauerten Wall mit gewölbter Thor—
Öffnung; ift man Durch dieſe getreten, jo fleht man auf
einer fieinernen, mit Drei Bogen verfehenen Brüde,
weldhe 60 Fuß lang und 16 Breit if. Diefe führt
über einen 45 Fuß tiefen, gang ausgemauerten Gras
ben, welcher das ganze Schloß umgibt. Durch ein
verfchließbares Thor tritt man in den äußeren Schlog-
hof; über das Thor hinweg zieht fich eine ftarfe Bruft-
wehr, Die auf jeder Seite mit einem dien runden
Zhurm in Berbindung fleht. Der wichtigfte Diefer
Thürme ift der zur rechten Sand ſich anlehnende, in
dem er vom Öraben an 50 Fuß in die Höhe und 36
im Durchmeffer hat. Linker Hand am Eingang fehen
wir 2 Platten von röthlichen Sandftein, auf der einen
das Wappen des Hoch- und Deutfchmeifters Walther von
Eronberg, mit Der Sahrzahl 1528, auf der andern das
Mappen Maximilian I. von Defterreich, des’ Hoch- und
Dentfchmeifters (1595 — 1618). Steigt man in der
Nähe der ehemaligen Thorftube 30 Stufen aufwärts,
36
jo gelangt man auf den eigentlichen Schloßplatz, wo
aus Trümmern neben den Heften von 2 runden, mit
dem Schloßgraben in Verbindung ftehenden Thürmen,
ein koloſſaler, noch 70 Fuß hoher runder Thurm ragt,
an den im Laufe der Zeit die übrigen Theile der Burg
angebaut wurden. Zunächft diefem Thurm in einem
Schuppen befindet fich ein 336 Fuß tiefer Brunnen, aus
Dem die Bewohner Der Burg noch big auf diefe Stunde
vermittelft großer, an Ketten hängender Eimer, das
Waſſer beraufziehen. In Diefem in die Felſen gehaue—
nen Brunnen foll der ſchwediſche General-Lieutenant
Graf v. Königsmarf feine großen Schäge verborgen,
und beim fehnellen Abzug zurücgelaffen haben. Die
Ruinen der Burg bieten überall einen Standpunft dar,
von wo aus man eine liebliche, wenn auch nicht ge—
rade großartige Ausficht geniegen Fann — wäre der
hohe Thurm befteigbar, dann würde man wohl bis zu
den Waldenburger Bergen und den Höhen des Oden⸗
waldes blicken können.
Ueber den Urſprung der Burg Neuhaus gibt uns
weder eine Chronik noch ſonſt eine Urkunde Aufſchluß,
wir haben nur eine andeutende Sage. Dieſer zufolge
ſtand auf dem gegenüberliegenden Kötterberg (in silva
Ketereite, wie die Urfunde vom $. 1219 ihn nennt,)
eine hohenloh'ſche Burg, Die nach und nach abging;
Doch ftanden noch im J. 1746 merkliche Nefte Davon. °
Diefem Buraftall gegenüber follen nun Die Herren von
Hohenlohe eine neue Burg erbaut haben, die fte Das
Neue Haus (ſpäter Neuhaus) nannten. Vielleicht
%
37
ftand der hohe Thurm fchon viel früher als Warte auf
Diefer fehönen Höhe, und gab defto leichter Veranlaſ—
fung, eine Burg daran anzubauen. Ihre älteften Bee
ſitzer waren Die Serren von Hohenlohe-Brauneck, Die
fih dann von diefer Burg Serren vom Neuen Haus
nannten. Graf Gebhard von Hohenlohe-Brauneck war
wohl der erfte, welcher Die Burg zu feinem bleibenden
Mohnfig wählte; von hier aus begabte er im 3. 1282
die Clauſe zu Wachbach (f. die Sage). Er ftarb im
3. 1300 und Tiegt im Familtenbegräbnig zu Srauen-
thal begraben. Seine Wittme Adelheid nebft ihrem
Sohn Ulrich übergab im genannten Jahr ihre bisherige
Nefidenz Neuhaus mit den dazu gehörigen Dörfern u.
ſ. w., welches Alles bis dahin ihnen frei und eigen
war, an das Hochftift Würzburg, und empfing Solches
wieder von dem Stift ald.Mannlehen. Mit dem Fahr
1315 erhielt das Deutfche Haus zu Mergentheim die
erften Anfprüche an die Herrfihaft Neuenhaus, denn
drei Brudersfühne des genannten Gebhard von Hohen—
Iohe, Gottfried, Gebhard und Andreas, verpfänden, die
Burg fammt verfchiedenen Gütern u. f. w. an die Brüs
der vom Deutfchen Kaufe zu Mergentheim für 1100
Pfund Heller. Im J. 1372 befaß Konrad von Ho—
henlohe-Brauneck die Burg und Herrfchaft Neuenhaus.
Diefer übergab im genannten Jahr das Schloß Neuen«
haus fammt den Dazu gehörigen Dörfern um 7000
Gulden an den Deutfchmeifter Philipp von Bifenbach,
unter der Bedingung, die Burg innerhalb 20 Jahren
wieder einlöfen zu dürfen. Im Jahr 1390 ging die
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Herrfchaft auf feinen Bruder Gottfried über, aber nur
für furze Zeitz; Durch den noch in demfelben Jahr er-
folgten Tod Oottfrieds wurde das Lehen apert und fiel
dem Hochftift heim. Seit Diefer Zeit mögen die Bir
schöfe von Würzburg zur Abwechslung manchmal auf
diefer Burg fich aufgehalten haben, aber fie wurde
von ihnen noch zu andern Zweden gebraucht; ſie war
auch geeignet, um ©efangene zu beherbergen. Im Jahr
1396 lieg Bifhof Gerhard Die beiden widerfpenftigen
Geiftlichen, den Domdechant Dtto von Milz zu Bamberg,
fo wie deſſen Bruder, Sand von Milz, beide Dom-
herren zu Würzburg, in ihren Chorröden verhaften und
auf Die Burg Neuenhaus führen. Bier hatten fie Zeit,
anderes Sinned zu werden. Bald darnach belehnte
Biſchof Gerhard feine DVettern, die Grafen Hans und
Günther von Schwarzburg, mit Schloß und Amt Neu-
haus. Im Sabr 1411 verkauften diefe die Burg an
den Deutfchmeifter Conrad von Egloffftein unter Vor—
behalt der Wiederlöfung, zu welcher e8 aber nie ges
fommen. Don nun an war der deutfche Orden alleiniger —
Befiker der Burg und ihrer Zugehör. Der Orden hielt
auf derfelben einen Amtmann oder Vogt, Der von bier
aus über das ganze Amt das fogenannte Eentgericht (pein—
liche Dalögericht) übte. Neuenhaus wurde nun der Strap
ort für Die übelthätigen Berfonen des Amts. Das Schloß
hatte nur eine Eleine Beſatzung und hatte in jener Zeit nie
Etwas zu leiden. Im I. 1525 empfing die Burg den erften
Stoß. AS die aufrührerifchen Bauern durch das Thal
zogen, übergab die mit denfelben einyerftandene Bes
’
39
ſatzung das Schloß ohne Schwertjtreih. Die Seckel—
leerer und Kiftenfeger plünderten es nach gewohnter
Meife, und auf Anftiften eines gewiſſen Baul Werners
aus Mergentheim wurde. Die ausgeleerte Burg zum
Abſchied noch ausgebrannt. Der Schaden, den Der
Orden erlitt, war ein bedeutender, Bald nach Dem
Baurenfrieg ließ der Meifter Walther von Gronberg
das Schloß wieder herftellen, und befeftigte es fo ftarf
mit Außenwerfen, daß es von nun für Die Citadelle-
der Stadt gelten Fonnte. Auch fein Nachfolger, Wolfgang
Schußbar, that Etwas für die DBefeftigung der Burg ;
der mächtige Thurm recht8 am Ihore mit der Auf-
fchrift 1546, fo wie die innere Schlofmauer mit Der
Jahrszahl 1550 ftammen aus feiner Zeit. Im fehmal-
Faldijchen Krieg wurde Neuhaus von Johann von Meiks
lenburg neun Tage lang beichoffen, dann erft übergeben.
Die Burg murde in Folge dieſer Belagerung beinahe
gänzlich zerflört. Unter dem Hoch- und Deutjchmeifter
Georg Hans v. Wenkheim wurde fie wieder in wehr—
haften Stand gefeßt. Die Hälfte feines großen Scha-
tzes, 180,000 ſchwere Goldgulden, nebft vielen Gold»
ftangen vertraute er ihren feften Gewölben an. Eine
verhängnißvolle Zeit für Neuhaus. war die des dreißig—
jährigen, Kriegs. Neubaus war gleichfam die Citadelfe
Der Stadt, an der fich immer die erftien Stürme bra=
chen, welche über die Stadt ergingen. Das Schloß
theilte von nun an treulich das 2008 mit der Stadt
Mergentheim, und wurde der Hauptſtützpunkt für Freunde
und Feinde. Im November 1631 rückte der ſchwe—
*
408
difche Obriſt v. Sperreuter in den Taubergrund und
legte fich alsbald vor Neuhaus. Er durfte nicht lange
auf Deffnung des Schloffes warten, denn am 25. No—
vember übergaben die 150 Bertheidiger dad Schloß
ohne Schwertftreich, und die Schweden nahmen davon
Befts, aber nicht auf lange Bald mußte Sperreuter
nach Würzburg und ließ nur 50 Mann zurück. Diefe
machten es wie die frühere Befaßung und kapitu—
Titten, als die Mergentheimer mit 300 Muöfetieren,
30 Heitern und 2 Kanonen vor das Schloß zugen.
AS der fchmedifche Feldmarfchall Guſtav Horn im De-
zember Defjelben Jahres Mergentheim in Befig nahm,
zog Obriſt von Sperreuter wieder vor Neuhaus und
flürmte e8 in Der Nacht zu wiederholten Malen. Doch
die Faiferliche Befaßung auf der Burg unter Sans Sig—
mund Saller von Hallerſtein hielt fich dieß Mal rits
terlich: mit blutigen Köpfen zogen die Schweden Sich
zurüf, 6 Todte ließen fie in den Gräben und 60
Verwundete brachten fie in dad Standquartier zurüd.
Dennoch übergab fich Die Befagung am andern Mors
gen mit Accord und ging zu den Schweden über. Bald
darauf fihenkte König Guftav Adolph dem Obrift Die-
trich v. Sperreuter das Schloß und Amt Neuhaus als
Mannlehen, mit der Bedingung, Daß er immerdar
auf eigne Koften eine Garnifon darauf halten müßte.
Das that er auch, und ließ das Schloß fogar noch
mehr befeftigen. Obrift 9. Sperreuter befaß Schloß
und Amt Neuhaus bis ind Jahr 1634. Als in die—
jem Jahr die Schweden Stadt und Gebiet räumten,
41
blieb auf Neuhaus nur eine fehmedifche Befabung von
20 Mann zurüd. Diefe Eapitulirte, ohne einen Schuß
zu thun, als eine Abteilung Kaiferlicher vor das Schloß
309. Im November 1642 beſetzten Die Franzoſen das
Schloß unter ihrem General Gubriane, im 3. 1645
unter Türenne, aber, als dieſer Die Schlacht bei
Herbfthaufen verlor, nahmen die Baiern das Schloß
und viel Geld und Gut, das Türenne dafelbft zurüd-
gelafjen hatte. Im J. 1646 Fam wieder eine fehwes
diſche Befakung auf Neuhaus; im 3. 1647 commane
Dirte Dafelbft der ſchwediſche Generallieutenant Graf
Hans Carl v. Königsmark, welcher feine in Schwaben
zufammengeraubten Schäße von mehreren Millionen
im Werth in den Gewölben des Schloffes barg. Um
diefe Zeit foll die Gräfin v. Königsmarf in Ab-
wefenheit ihres Gemahls einige Monate lang auf Der
Veſte Commandantin gewefen feyn. Noch bis zum
3. 1649 hielten die Schweden Neuhaus befegt. Nach
deren Abzug brach für das Schloß Neuhaus auf lange
Zeit ein dauernder Friede an. Nur im 3. 1673
erhielt e8 noch einmal von den Franzofen einen Bes
ſuch unter ihren Generalen Monclas und Tremonille.
Als fich bald darauf eine Faiferliche Armee unter Mon—
teeueuli der Gegend näherte, zugen die Franzoſen wie—
der weiter. — Im fpanifchen. Erbfolgefrieg wurde Die
Befte zun Testen Mal in wehrhaften Stand geſetzt;
als aber ein Dauernder Friede den fränfifchen Landen |
zu Theil wurde, Tieß man nach und nach die Außen—
werke zerfallen und gebrauchte das Schloß nur noch
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zu einem Staategefängnig und temporärer Aufbersab-
rung von Ordensfachen und Archivalien. Die ſchönen
Genächer des Schloffes bewohnte der. jeweilige Amt-
mann, Als aber im J. 1789 der Amtsjig in das
unten am Berg liegende Igersheim verlegt wurde,
ging auch Das Schloß bald dem Abgang zu. Im J.
1793 wurde die Thurmuhr, bald darauf Das reichhal-
tige Archiv an Käſekrämer verfauft, und dann wurde,
hauptfächlich Durch ſchmutzige Brivathabfucht einiger
Herren der Deutfchorden’fchen Kammer, die fich Hütten
zu bauen hatten und bauten, das Schloßgebäude zu
Neuhaus in Abwefenheit des übelberathenen Hoch und
Deutfchmeitters abgebrochen. So zerfiel Die herrlichfte
Burg im Zaubergrund, von deren früherer Pracht noch
Manche zu erzählen wiſſen. Nunmehr ift Neuhaus
fönigliche Staatsdomäne — und die Auine wird beffer
gepflegt und erhalten als in früheren Tagen. *
Eine Tiebliche Sage Fnüpft fih an die Auine von
Neubaus.
Der weiße Sirſch.
Graf Gebhard von Hohenlohe, genannt vom Neuen
Haus, war fo leidenfchaftlich der Jagd ergeben, Daß
er fogar an den heiligften Tagen es für feine Sünde
hielt, mit feinen Jägern und ganzen Koppeln von Hun—
den birfchen zu geben. Wie oft mahnte ihn an joldyen
heiligen Tagen der Klang des Glöckleins auf der Burg,
welches ihre Bewohner zur Andacht rief, er möchte fich
43
auch anfchliefen an die Schaar der. Beter, um zuvor
wenigftens einige Augenblicke chriftlicher Andacht zu
weihen, ehe e8 an das wilde Getreibe Der Jagd ginge.
Aber er hörte nicht auf des Glöckleins Klang, das
mit lockenden Tönen ihn erinnerte, doch auch an fein
Seelenheil zu denken. Und hätte, er nur allein für
fich. folch Unrecht gethan, aber er zwang auch feine
Untergebenen, mit ihm die heiligiten Tage zu entwei—
hen. Darum blieb nur felten ein Diener, der ein red»
licher ChHrift war , lange bei ihm. Doch der, welcher
die Derzen der Menfchen Ienft, wo e8 am menigften
möglich feheint, Tieß eine Mahnung an den Grafen ers
gehen, anderes Sinnes zu werden, und nicht umſonſt —
Es war gerade das heilige Chriftfeft, als der Graf
in der Frühe Des Morgens fich zur Jagd anfchiekte.
Freundlich bittend trat Frau Adelheid, feine Gemahlin,
vor ihn im feftlichen Kleide, Das Gebetbuch an der
Seite tragend, und wollte ihn dazu bewegen, mit ihr
in die Kapelle zu treten, wo eben das Glöcklein
läutete. Es war umfonft, beleidigten Blicks mandte
er fich von der Bittenden; er eilte in den Hof, wo
jein Bferd und der Jagdtroß ſchon bereit ftand. Frau
Adelheid folgte ihrem Gemahl die Treppe hinab; fehon
wollte er in den Stegreif fleigen, da rief fie noch fle-
hentlicher bittend: hört ihr das Glöcklein, mein theurer
Gemahl, es ruft zum heiligen Chriſtfeſt; haltet Doch
nur einige Augenblicke. inne, bis die erfte Andacht vor—
über ift. Was Glöcklein, was Chriftfeft! rief der Graf
mit Hobnlachen, mögen Andere für mich beten. Wäh—
44
rend er dieß fprach, gab er dem Roß die Sporen,
fnallte Taut mit Der Peitfche, daß es feltfan hallte zu
des Glöckleins Klang, und jagte mit feinen Leuten aus
dem Burghof, lärmender als je, und es fchien, als ob
er feine Gattin noch damit kränken wollte. Die aber
fprah mit wehmüthiger Stimme — er hätte es noch
hören mögen, wenn der Lärmen der Abziehenden nicht
fo groß gewefen wäre — ja, mein Gemahl, Andere
werden für Dich beten — ich will es ſeyn vor allen.
Andern, ich will flehen zu Gott, daß er Dir ein ans
deres Herz gebe. Das that fie auch, die fromme Adel-
heid ; fie trat über Die Schwelle der Kapelle, und ihre
Andacht war am heutigen Pefttage feierlicher ala je,
ihr Gebet fo heiß und innig wie noch nie — umd
es war auch nicht umfonft, deun Das Gebet einer from—
men Geele für. die Seele eines andern noch nicht Bes
kehrten ift vor Gott wohlgefällig und bleibt nicht uner—
hört. — Wir folgen dem Grafen von Hohenlohe auf
feinem Jagdzuge, der ging bin über die Wälder, welche
fich auf den Höhen gegen Wachbach Hinziehen. Die
Jagd ſchien für dießmal recht glücdlich von Statten zu
gehen. Hirſche und Rehe in unzähliger Menge wurden
die jchnelle Beute der Jäger. Wohin immer der Pfeil
des Grafen fehwirrte, da fand er fein Biel, und immer
traf er auf den rechten le, fo daß die Thiere auf
Einen Schuß zufammenfielen. Daher fam es auch,
daß der Graf nicht aufhören wollte in feiner glückli-
chen Jagd, bis die Sonne über dem Haupte ftand,
Daß er fogar den Imbiß vergaß, den er gewöhnlich an
45
Ort und Stelle mit feinen Jagdgenoſſen zu halten
pflegte, und zwar von dem, was man erjagt hatte.
Es wurde Mittag, es murde Abend, umd fort’ ging
Die lärmende Jagd, und laut ertönte das Halloh der
Säger, und der Klang des Hüfthorns, denn der Graf
fonnte nicht fatt werden an der Luſt des Jagens. Da,
ala fehon die Abendfonne ihre jpärlichen Strahlen auf
die Wälder herabfandte, ritt Graf Gebhard ein wenig
abwärts von feinen Genofjen; im Lichte der Abend-
fonne blinfte ihm Hinter dem Gebüfche etwas Weißes
entgegen, er ritt näher und näher: da fprang ein Hirſch
auf von blendend weißer Farbe, dergleichen er norh nie
einen gefeben hatte, fo lang er ald Jäger den Bogen
führte. Schnell legte der Graf an, aber, wie er den
Bogen fpannte und zielte — auf einmal mar der Hirſch
von der Stelle verfchwunden, und fein Auge fab Feine
Spur mehr von ihm. Schon wollte er unmuthig feinen
Bogen finfen laſſen, ſiehe da! in weiterer Entfernung
wieder etwas Meißes hinter dem Gebüfcbe, dann wies
der ein Geräuſch, und derſelbe Hirſch von blendender
Weiße ftand auf, und hufchte Durch Gebüfch und Zweige.
Wieder riß der Graf den Bogen in die Höhe, legte
auf, fpannte, zielte, aber wieder war der Hirſch aus
feinen Blicken verfchreunden ; und immer. wieder zeigte
er fich in weiterer Entfernung. Statt laß zu werden,
inden er fich immer vergeblich mühte, wurde Der Graf
immer biiger im Derfolgen. Schon war er von fei-
‚nem Gefolge ganz ferne gefommen und die Dämmerung
längft hereingebroshen ; doch konnte er immer noch den
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weißen Hirfih unterfcheiden, Der vor feinen Augen oft
ganz nahe fich bewegte. Er mochte eine ſchöne Strede
purchjagt haben, und immer war er mehr von den
waldigen Berghöhen thalabwärt3 gefommen, ohne Daß
er es recht wußte, auch fühlte er Feine Müdigkeit —
aber feinem Bferde lief der Schweiß in Tropfen über
Bauch und Mähne — es wurde immer träger, und
zuletzt ſchien es ſo ermüdet, Daß es feinen Neiter nim—
mer zu tragen vermochte. Da hielt der Graf an, denn
eben hatte er wieder nach dem weißen Hirſch, der ſich
nur auf 40 Schritte ihm in den Schuß geſtellt hatte,
vergebens gezielt — er war wieder verſchwunden, und
von nun an zeigte er ſich lange Zeit nicht mehr. Jetzt
ſtieg der Graf vom Pferde, denn er fühlte eine Er—
ſchlaffung durch alle ſeine Glieder; zugleich entdeckte
er, daß er ganz und gar von ſeinem Wege abgekommen
war. Mißmuthig warf er ſich nieder auf den eiskalten
Boden, auf dem kaum die Eisdecke des Winters ſich
gelöst Hatte. Er griff nach feiner Jagdflaſche, um ſei—
nen brennenden Durft zu ftillen, aber die hatte er Der
Hand feiner Jäger anvertraut; da flieg er ins Hüfte _
horn, doch der Klang verhallte ungehört in der ftillen
Nacht, denn feine Genoſſen waren fern und fuchten
den verlorenen Herrn überall, nur nicht da, wo er ſich
gerade gelagert hatte. Immer brennender wurde des
Grafen Durſt, immer fehneidender die Nachtkälte auf
dem harten Boden und um ihn — er erhob feine
erfchöpften Glieder, um eine Duelle aufzufuchen oder
ein Bächlein, wo er feinen beißen Durft löſchte. Den
47
‚Zügel des Pferdes im den Händen, fchleppte er fich
immer weiter, aber er fand Nichts, woran er ſich la—
ben konnte. Wohl eine Stunde mochte er ſich müh—
fam Durch Dornen und Gefträuch über Klippen und
Steine durchgerungen haben, da, im Dunkel der Nacht,
zeigte fich auf einmal wieder der weiße Hirſch. Nicht
mehr hatte der Graf Luft, feinen Bogen zu fpannen,
diemeil er fo oft geäfft worden war; er ging zu auf.
die Stelle, wo der Hirſch aufgefprungen war, und ſiehe
da, eine Quelle fprudelte an dem Ort, wo fidh der
Hirſch gelegt Hatte. In dem Augenblid , da fich der
Graf nieverbeugte, um feinen Gaumen zu laben, hörte
er aus der Ferne ein Glöcklein tönen. Schnell machte
er ſich auf, nachdem er fich gelabt Hatte und folgte
in der finftern Nacht dem Tone des Glöckleins, Das
immer näher Fang, fein Fuß aber ging längs einem
Büchlein, Das jene Duelle bildete; der Graf war in
jenem damals noch mit Waldung überwachfenen Thäl-
chen angefommen, wo der Forellenbach entfpringt. Als
dritter Wegführer glänzte vor ihm der weiße Hirſch,
welcher jeßt wieder erfchien und ihm traulich voran:
ging. Immer heller Elang Das Glöcklein, je meiter
Graf Gebhard fürbag fehritt. Auf einmal verfchwand
der weiße Sirfch, und der Graf war an Dit und Stelle,
wo das Glöcklein geläutet wurde. Es tönte von dem
Thürmchen einer Eleinen Kirche, Die von wenigen Ge—
N bäuden und einer nicht hohen Mauer umgeben war.
ö Der Graf befand ſich am Klöfterlein der geiftlichen
. Braun zu Wachbach, das ſchon in alten Zeiten von
48
feinem Vorfahren, den Grafen von- Brauner, geftiftet
worden war. Hier hatte man, zufällig als fich der
Graf im Walde befand, nach Mitternacht die Mette
geläutet, um die Nonnen in den Chor zum Gebet zu
verfanmeln. — Don Wachbach aus brachte den Gra-
fen ein Wegführer, den Die geiftlichen Frauen bereit-
willig ihm mitgaben, in einer Fleinen Stunde auf Burg
Neubaus, wo er von der Ängftlich forgenden Gemahlin,
die fhon Boten nach ihm ausgefendet hatte, mit Freu—
Den empfangen wurde. — Noch größer wäre ihre Freude
gewefen, wenn fie gleich Damals gemußt hätte, wie ihr
Gebet in der Kapelle für den geliebten Gemahl fo
bald erhört, und jenes verhängnißvolle Verirren für
ihn ein Segen im eigentlichen Sinne des Worts ge:
worden war. Geit jenem Tage fah man den Grafen
nie mebr, weder an einem Weiertag noch Sonntag,
und noch viel weniger an einem Feſttage, zur Jagd
reiten. Dafür begleitete ex deſto fleifiger feine fromme
Gemahlin in Die Kapelle, und nie hörte man, Daß er
je mehr den Ton des Glöckleins überhört hätte, jo oft
es Die Bewohner der Burg zur Andacht rief. Er ges
dachte, jo oft er es hörte, des Glödleins im Thale
zu MWachbach, Dad den Verirrten wieder auf den rech—
ten Weg zu feiner Burg, noch vielmehr aber auf Den
Weg zu den ewigen Wohnungen geführt hatte. Aber
Der Graf gedachte auch voll Freundlichkeit Der Nonnen
zu Wachbach, von Denen jenes leitende Glöcklein zur
guten Stunde geläutet worden war. Noch fein Tag
war vergangen, feitvem Graf Gebhard wieder. glücklich
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auf Neuhaus. anlangte, fo erfehien fchon Der alte Weip—
recht, Meier auf Neuhaus, mit einem Wägelein. vor
der Pforte des Klofters und begehrte Einlaf. Er war
ein willkommner Gaft, denn fobald. er eintrat, ‚hob er
vom Wägelein 1 Malter Korn, 3 Malter Haber, ein
halbes Malter Käfe, 4 Hennen und einen ſchweren
Geldfaf, darin 36 Bfund Heller lagen. Das Alles
ftellte er zw. Danden der Frau ‚Schaffnerin, und ver-
meldete beinebens einen freundlichen Gruß von feinen
gnädigen Seren, dem Grafen Gebhard auf Neuhaus:
Das zu einer Verehrung, darum, daß fie in jener Stunde
feines Herumirrens zur Mette geläutet und einen Führer
ihm mitgegeben; ſie mögen. fürder feiner, und feiner
Gemahlin im Gebet gedenfen. — Bald Fam Graf Geb-
hard und feine Gemahlin in eigner Perſon in das
Klöfterlein zu Wachbach. Beide wurden mit größter
Freude empfangen, und Die Nonnen fprachen ihren ges
rührten Dank für die fchöne Verehrung aus. ber,
wie wurden fie von Neuem fo freudig überrafcht, ale
Graf Gebhard beim Abfchied ein großes Pergament
mit dem gräflichen Siegel hervorzog und in die Sand
der Priorin legte. In der Urkunde aber ftand zierlich
und deutlich gefchrieben: „Al und Jedmänniglich, fo
dieß Iefen, fey Fund und zu wiſſen, Daß ich, Graf
Gebhard von Hohenlohe, genannt vom Neuen Haus,
und mein ehlih Gemahl, Frau Adelheid, mit gutem
- Willen und mwohlbedachtem Rath, den ehrſamen geift-
lichen Frauen des Kloſters zu Wachbach zu einem jähr—
Be Almofen vergabe: 36 Pfund Heller, 4 Malter
H 4
30
Korn,’ 3 Malter Kaber, ein halbes Malter‘ Kaͤſe 4
Hühner u. f. w. So gegeben auf’ Burg Neuhaus an
St. Binzentit Tag im Jahr: 1282. Wirklich em—
pfingen die Nonnen zu Wachbach alljährlich" diefe Gült
des Grafen von Hohenlohe auf Nenhaus,ı'und won
nun an ward das Mett- Glöclein mit Freuden ge-
läutet , "wenn es auch noch fo frühe die Nonnen? aus
dem Schlaf in den Ehor rief. Gerade nach 100 Jah⸗
ten verhallte der Ton’ des Glöckleins im Kloſter zu
Wachbach, aber auch die jährliche Gült hörte guf, denn
im Jahr 1381 verkauften die Nonnen Armuth halber
ihre Elauſe mit all den Gütern, Rechten und Gewohn—
beiten, ſo wie mit ihren eigenen Leuten, um ein jähr—
liches — an das en a. zu⸗ iger
am
IV.
Der Michelsberg am Meder.
ir: eine Schlucht trennt Die Burg Hornet von er
Berg, auf welchem die Wallfahrtsfapelle zum h. Mi—
chael fteht. Eines der ſchönſten Aundgemälde anı Near
bietet fich auf dieſer Höhe dem entzücten Beſchauer
dar. Bon den Hohenloher und Löwenfteiner Bergen,
von den Schlöffern Waldenburg und Löwenſtein im
Diten fehweift das Auge über die an: dem Neckar vor⸗
geſchobenen Gebirgsausläufer den Fluß hinab nach: deni
51
Katzenbuckel im Odenwald hin, bis ein Kranz von
Wäldern in unſrem Rücken ihm ein Ziel ſetzt. — Die
mit Reben bepflanzte Abdachung gegen den Neckar und
das Schloß Horneck heißt das Hummelreich; ob ſie
wegen ihrer Höhe oder wegen des trefflichen Gewächſes,
das hier oben wächsſt, dieſen Namen erhalten, oder
auch ‚in, Folge der Sage; die unten folgt, Fäßt ſich
nicht genau beftinnmen. Der den Felſen abgefämpfte
Boden. beweist fich ‚auch. danfbar für Die rauf ihn ver—
wendete Mühe ‚- denn er gibt. den feurigen Himmels—
reicher. Dben auf dieſer Abdachung fteht Die uralte,
von einem Friedhof umgebene Kapelle. Gleich beim
Eingang gewahren wir in der: Mauerniſche einen vier—
feitigen römischen Opferaltar aus röthlichtem Sandftein.
Er Hat eine fehüffelartige Vertiefung, in welcher eine
Deffuung angebracht if, ‚Deren: Beftimmung feine an-
dere gewefen feyn kann, ala das Opferblut aufzufangen
und abfließen zu laffen. Auf der rechten Seite befindet
ich ein: Dahn und ein Opfermeffer, auf der linken ein
Krug, ein Löffel oder Berfen mit Stiel (Pfanne) und
ein. zweiſchneidiges Schwert: eingehauen. Die auf- der
aesperieite ftehende Infehrift von 8 geilen lautet:
J (ovi) 0 (optimo) M( aximo) et Junoni re-
ginae
C (ajus) Fabius Germanus (Bis) Ä
- Co (n) s (ulis) pro se et suis V (ota) s (ua).
* — L (ibenter u) M Pe
52
Dieſer Altar iſt ſchon feit den Jahr 1564 bekannt;
er weist darauf hin, Daß einft auf dieſem Berge eine
beidnifche Opferftätte gewefen, wo römiſche Krieger
geopfert ; als Das Chriſtenthum in dieſe Gegend drang,
wurde die Opferftätfe mit dem Altare zerſtört und auf
derfelben eine chriftliche Kapelle errichtet, wober man es
mit den freilich an einem chriftlichen Gotteshaufe aufs
fallenden Ueberbleibfeln eines heidniſchen Altar nicht
fo genau nahm, wie wir denn überhaupt an fo man—
chen alten Kirchen und Kapellen des Landes Steine
mit römischen Bildwerken eingemauert finden. — Eine
liebliche Sage, die noch in dem Munde des Volkes
geht, gibt ung Bericht über die Entftehung der Wall
fahrtsfapelle des h. Michael,
Der beidnifche Jüngling und die
chriftliche Jungfrau.
Zu der Zeit, ald noch düftere Wildniß die Ufer des
Neckars bedeckte, lebte in dieſer Gegend ein beidnifcher
Jüngling. Er war mit einer edlen Jungfrau verlobt,
Die den chriftlichen Glauben angenommen hatte, Diefe
liebte ihn von ganzen Kerzen, aber fie wollte ihm nicht
eher ihre Hand geben, ald bis er feinen Göttern ent-
fagt und dem befeligenden Evangelium fein Herz ge
Öffnet Hätte. Nun horchte zwar der Süngling mit
Freudigkeit der Tieblichen Rede ihres Mundes, mit Der
fie täglich und ftündlich ihn zum wahren Glauben zu
as trachtete, aber er Eonnte den Sinn — Worte
53
nicht begreifen, und fein Herz blieb verſchloſſen, den
Segen des Evangeliums in fich aufzunehmen. Nach—
dem all ihre Bemühen um ihn vergeblich gewefen, ver—
ließ fie Vater und Mutter und die Heimath ihrer Ju—
gend, und floh, von tiefem Grame getrieben, in eine
fehauerliche Einöde, wo fe unter den grimmen Thieren
des Waldes lebte, die jte aber nicht zu verlegen wagten,
fondern fie fogar noch freumdlicy nährten. Hier verlebte
jle ihre Tage unter ftetem Gebet für das Geelenheil
ihres Geliebten. Us fie nun nach einigen Jahren
hingewelkt war und der Engel des Todes ihr Die Aue
gen zugedrüct hatte, verkündete nur noch manche Schrift
von ihr an Bäumen und Steinen das Schickſal ihrer
legten Tage. Da gefchah es einsmald, Daß der heid—
nifche Iüngling, ihr Verlobter, fich auf der Jagd hieher
verirrte. Er jagte ein Wild, das er nicht zum Schuſſe
E;
bringen fonnte. Es war ein Hirfch von feltener Schöne,
dem er manchmal ganz nahe Fam, und dann war er -
fchnell feinen Blicken wieder verfchwunden. So verirrte
er fich immer tiefer in den Wald hinein. Auf einmal
war der Hirſch wieder fichtbar und er ftand ihm fo
nahe, daß er ihn beinahe mit den Händen hätte greifen
können — ſchon hatte er die Armbruft erhoben und
den Bolzen aufgelegt, da wandte fich der Sirfch, blieb
ftehen und blickte ihn unverwandt an, als wollte ev
ihm fagen, Daß ein freundlicher Schußgeift feiner warte.
Erſchrocken ließ der Jüngling die Armbruſt finken, und
in demſelben Augenblick ſah er vor fich einen hochauf-
geworfenen Nafenhügel, der eine menfchliche Grabftätte
54
verrietd. An Bäumen und Steinen. umher entdeckte
er eingegrabene Schriftzüge, welche ihm Kunde gaben
von den Testen Schieffal feiner Verlobten und von
Allem, was fie um feinetwillen gelitten. Wie ein En
gel Gottes ſchwebte ihm jeßt ein Bild vor Die. Seele,
und in des Waldes Dunkel ward es plöglich helle in
jeinem Innern. Was die Geliebte im Leben nicht - vers
mocht hatte, das gelang ihr nun im Tode. Er warf
fein: Sägergeräth weg, -flürzte den Altar feiner Götzen
um, und eilte gen Worms zum Bifchof, der ihn Durch
die. heilige Taufe zum Chriſtenthum einweihte. Hierauf
erbaute er neben dem Grabhügel feiner Geliebten auf
Diefen Berge eine Eleine Hütte aus Hol und Steinen.
Davon heißt der Berg heut zu Tage’ Simmelreich und
der Drt, wo der Einftedler hauste noch’ jetzt Gottes—
höhe, denn der Jüngling überließ fich bier heiligen
Betrachtungen. Oftmals verivrte fich auch ein Wande-
rer in dieſe Einfamfeit, den führte er in feine Hütte,
fabte ihm mit Speife und Trank und Teitete ihn dann
wieder auf-den rechten Weg. Bald Tief Die Kunde von
den: frommen Einfiedler im Lande umher. Zahlreiche
MWallfahrten zogen hin, und: jeder fühlte fich in feiner
Gegenwart frei von allen Leiden und ' Drangjalen.
Endlich, da der Einftedler alt und fchwach war, pochte
es in einer ftürmifchen Nacht an die enge Bforte feiner
Zelle; ein Pilger trat herein, hoch und ſchön geftaltet,
und aus feinen Augen Teuchtete hoher Friede. Eiligſt
zündete der Einſiedler ein Feuer an, die Kleider des
Fremdlings zu trocknen und feine Glieder zu erwärmen,
55
and feste ihm Speiſe und Trank vor; dann Enieete
ex, wie er gewohnt war, nieder, und ‚verzichtete mit
zitternder Stimme, aber freudig und glaubensvofl, fein
Nachtgebet. Da, trat: der Pilger, das Haupt umgeben
von einem Strahlenkranz, zu dem Berenden, der ihn, ohne
ein Wort bervorbringen zu können, ſtaunend anblicte,
und: fprach mit himmliſcher Milde: Dein Flehen ift
erhört, Du frommer Knecht, gehe ein zur Ruhe deines
Herrn. Damit füßte er. den Sprachlofen anf die Stirne.
Entflohen war Die erlößte Seele. Am Morgen fanden
ihn Die Waller fanft entichlafen neben den. £leinen: Ale
tar, das Bild des himmlischen Friedens und Der Ruhe,
nach heißen Kämpfen. Weinend begruben. ſie ihn und
bauten ein Gotteshaus am der Stelle, dem h. Michael
ae Das Kirchlein. fteht noch und fchaut weit in
Die Lande, vormals gar oft befucht von Wallfahrern.
Noch heut, zu Tage wird. Gottesdienft in dem Kirchlein
gehalten, und die. Todtenfränge der im Friedhof ruhen—
den Jungfrauen vom Dörflein Boͤttingen unten am
Fuße des Michelebexgs werden in der Saale aufbe=
wahrt.
I
— Saufen. am Meckar.
Da, wo der liebliche Nedar in: zwei finsken, Krüm-
mungen der. ‚Stadt Heilbronn zueilt, liegt der uralte
Drt Laufen, deffen Kirche. ſchon ſeit dem Jahre 741
96
bis 746 urkundlich genannt wird. Doch noch Alter
mag die urfprüngliche Anlage der Burg feyn, deren
Reſte fich auf der im Neckar liegenden Felfeninfel er
heben, dem Sturm von Jahrhunderten noch Troß bie-
tend. Zuverläßig fland auf diefer, Durch eine Brüde
mit dem jenfeitigen Ufer verbundenen Felſenhöhe, ein
Kaftell der Römer, wie fie folche unter den Kaifern
Poftumus und Probud anzulegen pflegten, um von
hier aus Ddiefen Theil des fogenannten Zehentlandes zu
bewachen. "Doch auch Diefes Kaftell fiel im Sturm der
Zeiten, und auf feinen Trümmern baute ein fpäterer
Befiger Die jegige Burg. Das war der berühmte Graf
des Nordgaued, Ernſt, welcher ums Jahr 832 das
Eaiferliche Kammergut Saufen (villa Lauppa) vom
Kaifer Ludwig dem Frommen zum Gefchenf er:
hielt. Er war es wohl auch, der Die Durch die Brans
dung Ded Neckars entjtandene Felfenkluft Fünftlich zu
arbeiten anfing, indem dieß zu feinem Zweck, Die Ges
gend zu verfchönern, mefentlich war, und feine Nachfolger
vollendeten dieſes Werf, Das zur Befeftigung der Burg
jo fehr diente, indem die Felfenhöhe ganz und gar vom Ufer
getrennt wurde. Graf Ernft foll ein Sohn des Gebhard,
und Enfel des Herzogs Taſſilo, Grafen in Oflfranfen,
aus Agilolfifchem Stamme gewefen feyn. Er ftand
wegen feiner Tapferkeit und" Frömmigkeit bei Kaifer
Ludwig in großen Gnaden, und aud) nod) unter Kaifer
Ludwig dem Deutfchen war er fehr angefehen. Kaifer
Ludwig hatte ihm feine eigene Tochter Friedburga zur
Ehe gegeben’, er felbft aber wurde der Schwieger
57
von Karlmann, dem älteften Sohne Ludwig de3 Deut-
fchen, der feine Tochter ehlichte, deren Namen nicht über—
liefert if. Aber gerade diefe Verbindung führte feinen
Sturz herbei, denn, da er im Jahr 861 feinem Echwie-
gerfohne bei einem Aufftandsverfuche Deffelben gegen
feinen Vater beiftand, fo wurde er von diefent aller
feiner Ehrenämter entfegt und verlor wohl auch fein
£aiferliches Lehen zu Raufen. Er ftarb auf feinen Al
fodialgütern im Jahr 861; feine Söhne, Ernft IL IH.
V.V., erhoben fi \vieber zu hohen Ehren.
Die Burg Laufen war feit dem Jahr 861 wieder
reihsunmittelbar. Erſt mit dem Jahr Hören wir
von andern Beſitzern der Burg, die wahrſcheinlich
in Laufen oder in der Nähe ihren Urſprung hatten,
und in ihrer Familie hauptfächlich den Namen Boppo
führten. Der erfte dieſes Namens wird fehon im Jahr
1011 genannt, und dann noch einmal als Zeuge bei
Gründung des Stifts Dehringen im Jahr 1037. Don
ihm ftammten drei Söhne: Heinrich, Bruno Iy, 5
der zugleich Graf im Kraich-, Enz- und Elfenzgau
war, und Arnold, deffen Gemahlin Adelheid eine Ur—
enkelin Kaifer Heinrichs III. gewefen. Arnold hinter
ließ drei Söhne, Heinrich II., welcher ausdrücklich ein
Graf von Laufen (de castro Loufe) genannt wird,
Bruno, der Erzbifchof von Trier gewefen (v. 1102
— 41124), und das Klofter Odenheim im Kraidigau
fliftete, und Boppo H., der durch feinen Sohn Con
rad I. den Stamm fortpflanzgte. Deffen Sohn Boppo IL.
erhielt Die väterlichen Lehen und lebte noch bis zum
*
58
Jahr 1174. Er zeugte drei Söhne: Heinrich IL,
Boppo IV., Conrad IE Von ihnen: ftarben «Heinrich
"und Conrad ohne Nachkommen, Boppo hinterließ: zwei
Töchter. Er ift wahrfiheinfich Der Beſitzer der Burg
Dilsperg am Reckar geweſen, denn im 3. 1208 bewohnte
er Diefe Burg. Don feinen zwei Töchtern brachte Mech—
tild nach Ausfterben des männlichen Mannsftammes
die Erbgüter der Grafen von Laufen am das Gefchlecht
Der Dpnaften von Düren (Walddüren), melches fofort
den gräflichen Titel und den Bamiliennamen Boppo
führte, |
Nach, Abfterben Der Grafen von Laufen wurde Die
Burg wieder reichdunmittelbar , denn nie wird unter
den Befisungen der Dpnaften von Düren in nachfol-
gender Zeit der Name Laufen genannt. Als: folche
wurde fie mit der Stadt im Jahr 1227 von Kaiſer
&riedrid DO. von Staufen dem Marfgrafenı Hermann
von Baden verpfändet und nie wieder eingelöst. Seit—
dem ſaßen Vögte in: der: Burg auf der Felfeninfel,
und dieſe fonnten :wohl jenem edlen Gefchlecht ange:
bört haben, von dem: ſchon ein Hermann. von Laufen
vom Jahr 1156 bis 1165 vorkommt. Schon vor
1346 wohnte zu Laufen Albrecht Der. Hovewart von
Kirchheim; er hatte die Burg anıdem Nerfar (im Neckar)
von einem gewiſſen Gerhard von Ubftatt erfauft, der
auch fonft Befigungen zu Laufen hatte, Er verkaufte
im Jahr 1369 dieſe an die Grafen von Wirtemberg,
nachdem er ihnen fehon früher Stadt und Schloß Lau—
fen zu Kauf gegeben, welche er von den Markgrafen
59
son Baden im Jahr 1346 erworben hatte. Aber nur
zu. drei Theilen war die Burg am Nedar an Wir
temberg übergegangen. Den vierten Theil befaß noch
int Jahr 1434 ein gewiffer Hermann Neft von Ober-
ftein und feine Hausfrau von Wifenbrunnen: nebft
einem Theil am Zehenten‘, jo wie einigen Gefällen.
Derfelbe verfaufte dies Alles int genannten Jahre an
die Grafen von: Wirtemberg: um nein gewifjes Leibges
ding. Weil: aber Diefer Theil des Schloffes ſo wie
die übrigen vom Reiche zu Lehen rührten, fo empfing
fie Graf Ludwig für fich und feinen Bruder Ulrich
von Kaifer Sigmund zu Ulm zu Lehen. — Seitdem
Wirtemberg Laufen erworben hatte, ſetzte es daſelbſt
feine Dbervögte. Hand. Kriech im Jahr 1386 war
einer der erftien, dem noch Zwanzig von Adel bis 1585
folgten. Das Schloß in. der Stadt, das an das obere
Thor ftieß, war wohl ihr erfter Wohnſitz; ald aber
diefes fchon zu Ende des 15. Jahrhunderts fehr bau—
fällig und unmwohnlich geworden war, wurde die Burg
im Nedar ihre Wohnung. Noch zu Anfang des 17.
Jahrhunderts war die. alte Burg’ auf der Neckarinſel
fehr wohnlich. in hoher Dicker Mantel umgab die—
ſelbe, und der vieredigte Thurm aus Quadern hatte
sine Höhe von 180 Fuß, war inwendig 8 Fuß wett,
und hatte 7 Fuß dicke Mauern. Bon nun an hatte diefe
Burg wie die Etadt viel zu leiden. Als im 3. 1643
die frangöfifcherweimar fche Armee: von Franfen her zog,
legte der Generallieutenant Tupadel einen Kapitain Paul
mit einer. Anzahl Dragoner zur Bewahrung des Paſſes
60
in die Burg. Im I. 1672 legte Herzog Eberhard IH.
in die Gränzorte Neiter und Fußvolk, um fie gegen
die Streifereien verfchiedener Armeecorps zu jihügen.
Er Fam in eigener Berfon nach Laufen, befeßte den
Paß am Neckar mit Fußvolf, und ließ Stadt und Burg
befier befeftigen. Um fo auffallender ift es, wie Die
Burg im Nedar fo bald in Verfall gerathen, wie wir
jetzt ſehen, da ſie in allen fpäteren Kriegsunruhen, Die
befonders - diefe Gegend am Nedar betroffen, immer
verſchont geblieben war. Doch war fie noch die Woh—
nung der Oberamtleute, die feit dem Jahr 1759 an
die Stelle der Dbervögte traten. — Dermalen ift hier
der Eib des SHoffameralamts mit einem freundlichen
Wohnhaus und Garten. Noch jest gilt von diefem
Schönen Wohnort, was einft Carl Füger, der geiftreiche
Befchreiber der Neckargegend, Davon rühmte: „Wenn
wir Die niedlich gelegene Wohnung: des Beamten, mit
Allem umgeben, was zu des Lebens Nothdurft und
Ergötzung des Auges dient, den geſchmackvoll angelegs
ten Garten, der an verfchiedenen Orten immer übers
rafchendere Anfichten darbietet, und Den altergrauen
Thurm, der mitten in Diefer üppigen Vegetation als
ein Geift von der Herrlichkeit vergangener Jahrhunderte
zeugt — wenn wir Alles diefes betrachten, fo wird
man den Wunfch fehr verzeihlich finden, hier die Tage
ſeines Lebens in heiterer Feier der Natur zubringen zu
dürfen!” — Seßen wir und an einem der vielen lieb—
lichen Plaͤtzchen, ſchlagen das Buch der Legenden auf,
und vernehmen, was fich in altergrauen Tagen auf
61
dieſer Tieblichen Infel und in den Räumen ber nun zer:
fallenen Burgmauern begeben.
Die heilige Negiswindis.
Kaiſer Ludwig der Fromme pflegte oft fich auf ſei—
nen Landſitzen von des Herrfchens Mühen zu erholen.
‚Eine befondere Vorliebe hatte er für das biedere Schwa—
benland; hier war er, der jo manche Untreue erfahren
hatte, ficher. Er hatte hin und wieder Meierhöfe ans
gelegt, auf denen er fi) auch dem Vergnügen der
Landwirthſchaft überließ. Ein folcher Meierhof war
aud) Laufen am Nedfar, vorher Eigentbum des une
glücklichen Herzogs Theudebald, nun in Ludwigs Hän—
den. Einft kam Ludwig auch hieher ; in feinem Ges
folge war ein hochedler Herr, Namens Emft — ein
Graf aus dem Nordgau — dem war Ludwig mit
befonderer Huld und Liebe zugethan; er war es, der
dem Kaifer manche trübe Laune verfcheuchte und mane
hen Schmerz über erfahrenen Undank vergeffen machte,
darum mußte er allezeit in ſeinem Gefolge feyn. %
Läaängſt fchon hatte der fchöne Meierhof den edlen
Ritter, der die Freigebigkeit feined Kaiferd Fannte, an—
gefprochen. Hier an den Ufern des Neckars fehien Die
Natur ihre Reize mit verjchwenderifcher Freigebigkeit
ausgeſtreut zu haben, um dieſes Thal zu einem der
ſchoönſten Punkte der in Diefer Hinficht fo reich aus—
geſtatteten Gegend zu machen. Dießmal wüßte Ritter
Ernft feinen Kaifer zu befonderd guter Laune zu ſtim—
%
62
nen, und als er einsmals mit: ihn des Abends von
einem Jagen recht fröhlich nach Hauſe ritt, brachte er
feine Demüthige Bitte, der Kaifer möchte ihm feinen
Meierhof zu Lehen ‚geben, Jo geſchickt an; daß Ludwig
nicht umhin Fonnte, ihm Diefelbe zu gewähren. Den
mitten in dem Meckar ganz iſolirt ragenden Felſen er-
ſah ſich Graf Ernſt, um mit ſeiner Gemahlin Fried—⸗
burga darauf zu wohnen. Er baute daſelbſt eine Burg,
in der er auch vor Feindes Angriff ſicher ſeyn fonnte;
unter ſich den Fluß, der den Felfen von allen Seiten
umſpült, über ſich den blauen Himmel, und rings um⸗
ber: eine äußerſt freundliche Natur — fühlte ſich der
‚Graf bald. recht zu Haufe auf feiner neuen Burg.
Hier. febte er mit Friedburgen in Huhe und Frieden,
und gewann bald ein großes Anfeben-in der Gegend;
zu. feinem Glücke ſchien nichts mehr zu fehlen, als ihm
Friedburga ein Töchterlein gebar, die er Regiswindis
hieß. So oft Ludwig in die Gegend kam, mußte
Ernſt ſein Begleiter ſeyn, wenn es da oder dort etwas
zu ſehen, anzuordnen und zu ſchlichten gab. Manchs—
mal begleitete ihn) Friedburga, das zarte Kind ließen
fle in den Händen einer Wärterin zurück, die im Rufe
befonderer Klugheit ftand, und auch fieben Jahre lang,
zur ‚großen Zufriedenheit der Eltern, des Kindes pflegte.
Eines Tages begab es fich, Daß einer von Ernſts
Dienitleuten , ein Bruder der: Märterin , bein Qüten
der Pferde auf den benachbarten Waiden fich eine
große Nachläßigkeit zu Schulden kommen ließ. Da er
nichts zu feiner Entfchuldigung vorzubringen wußte,
‚E
63
lieg ihn der Graf zur Warnung: fir: Andere ſtäupem.
Als: ſolches die Wärterin vernommen, ergrimmete ſie
darüber, und befchloß, an ihrem Herrn ſchreckliche Rache
dafür zu nehmen; ſann auch lange — wie *
ſolches am beſten thun könnte. —
Da geſchah es, daß. der Graf mit feiner Gemahun
eine Reiſe machte, und niemand auf der Burg war,
ala die Amme mit denn zarten Kinde. So ſehr dieſe
das Mäagdlein auch liebte, jo. ergriff: ſie dennoch jetzt,
da ſie ſich allein mit ihm ſah, die Wuth der Hölle;
die alte Rachgier erwachte von neuem. Sie ergriff das
Kind, eilte mit ihm auf die äußerfte Spitze der Burg—
mauer, erwürgte es, und: warf es: in den vorübereilen—
den Fluß, der’ die ſchreckliche That verbergen follte.
„ Mit ſtarren Blicken ſah te in Den jähen Abgrund, und
vernahm, wie das MWafler tobte und fprudelte, gleich
als wollte e3 feinen Abſcheu zu erfennen geben. Sie
glaubte hierin ‚die Stimme des Richters zu vernehmen,
ermwachte aus: ihrem Wahnfinn, und: eilte, gefoltert von
Sewifjensbiffen, ander entgrgengefegten Seite des Ne—
ckars ſich in feine Wellen hinabzuſtürzen. Plötzlich
erſchienen einige Dienſtmannen der Burg, verhinderten
J
⸗
die Ausführung ihres Vorhabens, und befragten fie er
darüber, worauf fie ihre Ihat befannte. Nach dieſem
Geſtändniß entwich fe ihren, Sänden, und man ——
nicht, was ‚aus: ihr geworden.
Alle, Die. es vernahmen, wie Die boshafte Anime die
Meine: Megisreindis gemordet habe, maren tief —
oll Angſt und Schrecken gingen ſie an den Ufern. auf
—
ey
64
und ab, das Kind zu fuchen; da fanden fie es endlich
in einem Strudel; fein: zartes Angeficht ‘war: weiß,
jeine Wangen roth, und feine Aermelein hatte e8 freuz-
weife über die Bruſt gefchlagen. Darauf zogen fie den
zarten Körper aus dem Waſſer, beriefen die Diener
der Kirche nebft vielen Andern, die dem Grafen Ernſt
in Lieb und Freundfchaft zugethan waren, und‘ begru-
ben ihn unter beißen Thränen, der Burg gegenüber,
an dent jenfeitigen Ufer des) Neckars. Nach etlichen
Tagen fanı Ernft mit Friedburgen wieder nach Haufe
ein fröhliches Getümmel von Knappen fam ihm jonft;
entgegen, und jeder beeiferte ich, der erſte zu ſeyn, Der
feinen Herrn bediente. Uber Diegmal war Alles in
Todeöftille verfunfen, und auch an der Schloßpforte
wat niemand, der ihnen, ihre Pferde abnahm. Bedenk—
lich eilten fie über Den Burghof hinweg, und ergrimmt
fragte Ernſt den erften feiner Dienftleute, was dieſes
zu bedeuten habe? Da erzählte er ihm weinend, wie
Das zarte Kind durch die boshafte Amme getödtet wor=
ben fey, und daß es dort drüben ſchon im fühlen Grabe
liege. |
Da ging e8 an ein Trauern und Klagen über den
Tod Des geliebten Töchterleins, Daß die Burg Davon
wiederhallte, und Friedburga wollte fich nimmer trö—
ften Taffen. — Als nun der fromme Bifchof Humbert
von Würzburg erfuhr, wie den Grafen Ernſt jo gro—
ßes Leid betroffen habe, fo machte er fich auf gen Lau—
fen, um den betrübten Eltern den Troſt der Kirche zu
bringen. Er ließ ſich alles erzählen, und ald man
€
65
ihm fagte, wie fich Die Gefichtöfarbe des Kindes auch
im Tode nicht verändert, und es feine Arme kreuz—
weiß über einander gefchlagen babe, fo wußte er Diefeg
auf befondere Heiligkeit des Kindes zu deuten und
rieth deßhalb dem Grafen, über dem Grabe eine Kapelle)
zu bauen, zu Ehren der heiligen Negiswindis. Einſt,
handelte im frommen Glauben feiner Zeit, und th
wie ihm der Bifchof gerathen. Als man den Leichnam |
in einen filbernen Sarg legte, hörte man den Gefang - |
der Engel, Die dieſes Kind felig priefen. Humbert
weihte die Kapelle ein, und viele Gläubige wallfahrteten
zu der Stätte, wo die Gebeine der heil. Regiswindis
rubten.
Drüben auf dem Schloffe ward e8 aber num bald
einfam und leer; Ernft und Friedburga wollten da
nicht mehr wohnen, wo ihnen fo großes Leid wider-
fahren war; die fchönen Ufer des Neckars hatten für
fie ihren Reiz verloren. Sie zogen wieder in ihre alte
Heimath.
Nach 400 Jahren ging die Kapelle der h. Regis—
windis in Abgang, aber nicht ihr Andenfen. Es wurde
im Jahr 1227 ihr zu Ehren neben der abgängigen
Kapelle eine neue prächtige Kirche in edlem Style er—
baut, die jegige Kauptfirche im Dorfe, die freilich im
Laufe der Zeit manche Aenderung erlitten haben mag,
denn von den vier Erfern und den goldenen Knöpfen
die fie einft zierten, ift Nichts mehr zu fehen. Am
15. Juni des genannten Jahres, wurden die Gekeine
der fleinen Heiligen in die neuerbaute Kirche überge-
„w
66
tragen und im Chor eingefenft. Auf Die Gruft wurde
eine Steinplatte, in Oeftalt eines Sarges, gelegt, bie
innen hohl ift und drei Deffnungen bat. Sie trägt
Die gotbifche Inſchrift: Anno Dommi millesimo du-
re vicesimo septime fuit canonisata et
vanslata virgo et martir sancta Regiswindis et
En data erları, (Nunmehr befindet fich diefer Grab:
ſtein an der nördlichen Geite des Chors eingemauert.)
Sm Jahr 1521 wurde S. Nenfis (Megiswindis)
Sarg, zur Aufbewahrung ihrer irdifchen Reſte gemacht,
wozu 56 Mark Silber im Werth von 729 fl. verbraucht
wurden ; als die Neformation eingeführt wurde, foll
der Silberne Sarg in einen zinnernen umgewandelt
worden feyn. Im Jahr 1529 machte ein Kaplan der
Kirche, Michael Epp, auf Die Thüren welche das Mo—
nument der Heiligen einfchloßen, folgende zierliche In—
ſchrift:
En cubat insigni celebris Virguncula tumba
Regiswindis in hac martyr et eximia.
Quam fera primaevo nutrix in flore juventæ
Insontem oppressit, acta furore gravi.
' Urna per &ternum summo dilecta tonanti
Ossa verenda tenet, spiritus astra colit.
(Sieh in Diefer merkwürdigen Gruft Tiegt Regiswindis
das berühmte Mägdlein und die ausgezeichnete Märtyre=
rin, welche die rohe Umme, von Wuth getrieben, in
der erften Blüthe der Jugend unschuldig erwürgte. Die
Urne birgt tie dem Serrfiber im Donnergewölf ewig
&7
theuren Gebeine, der Geift wohnt über den Sternen.)
Sn derfelben Kirche war früher auch ein altes Gemälde
zu fehen, das die Todesgefchichte Der Jugendlichen dar—
ftellte — wie diefe Legende überhaupt auch fonft im
46. Jahrhundert zum Gegenſtand bildlicher Darſtellung
gewählt worden if.
. Südlich von der genannten Kirche fieht noch ein
Altertbum, das wir nicht unbeachtet laffen Dürfen: es
iſt Die eigentliche Kegiswindis- Kapelle, welche wohl erſt
im. 14. Jahrhundert aus den Leberreften Der abge—
gangenen uralten Wallfahrtsfapelle erbaut worden. Sie
iſt im Grundriß ein Quadrat von ungefähr 18 Fuß
Dreite, die Bedeckung bildet eine ‚achtfeitige Pyramide
aus Duadern conftruirt z diefelbe ift im Innern hohl,
ebenfalls achtſeitig. An Der Dftfeite ift ein Chor an—
gefegt mit Drei Façen und ſpitzbogigem Gewölbe. Im
Innern ſieht man noch Spuren von Frescomalerei. End—
lich iſt dieſes altehrwürdige Denfmal wieder bergeftellt
worden. Die 8. Koffammer bat 100 Thaler dafür
bewilligt — der Altertbumsverein zu Gtuttgart bat
eine ziemliche Summe zur Wiederherftellung beigeftenert,
ebenfo bat auch die Stadt Laufen das Ihrige dazu
beigetragen, und ſteht nun am freundlichen fer des
Neckars wieder eine ſchöne Negiswindis- Kapelle.
68
——
Kloſter Hirfan.
Die neuere Zeit hat verſchiedene Anſichten von den
Klöſtern aufgeſtellt: wenn Die eine nichts anderes da—
rin ſah, als den Sitz der Verfinſterung, ſo hat da—
gegen die andere eine die ſchwärmeriſche Stimmung an—
forechende Seite ihnen abzugewinnen geſucht. Wie wenig
man bei Diefen beiden Anſichten der urfprünglichen Bes
fimmung der Klöfter fich zu erinnern gewußt, bedarf
faum angezeigt zu werden. Was die Burgen für Das-
bürgerliche Xeben gemwefen find, das waren die Klöfter
— - für religiöfe und wiflenfchaftliche Bildung, Pflanz- und.
Zufluchtsftätten gegen die Vergewaltigungen der Zeit,
und ficher geftellt in Abficht ihrer inneren Bebürfniffe
durch reichliche, unantaftbare Stiftungen, Alles in For—
men Die wir nach ihrer, nicht nach unferer Zeit beur—
tbeilen müffen. Dieſe Eulturbiftorifche Bedeutung hatten
beſonders im Deutfchland die Klöſter Neichenau im
DBodenfee, fo wie Sirfau im Schwarzwald. Beinahe
gleichzeitig gefliftet, Reichenau nur noch bedeutfamer,
wie St. Gallen, durch die fogenannten äußeren Schulen
(für Bildung weltlicher Zöglinge) haben Diefe drei Klöſter,
wozu wir noch, wenn auch fpäter gegründet, Das Klofter
Maulbronn zählen dürfen, am längiten ihre wichtige
Bedeutung feftgehalten, wodurch fie ein Segen für Die
nähere und fernere Umgebung geworden find. Wir
*
Pe
*
69
wenden uns dem im lieblichen Schwarzwaldthale gele—
genen Klöfter Hirfau zu, das noch in feinen Trümmern
zeigt, wie prächtig e3 vor Zeiten gewefen.
Zwei Tiebliche Sagen eröffnen die Gefchichte Des
Klofters Hirſau. »
Im flebenten Jahrhundert unferer Beitassnng (umso
Sahr 643) da kaum noch das Chriftenthum in den
Mäldern Alemanniens Eingang gefunden, Iebte eine
reiche, edle und fromme Wittwe zu Calw, mit Namen
Helizena, die ftammte aus dem Geſchlecht der Örafen
jened Drts. Ihr einziger Wunfch war, da fie feine
Kinder hatte, fich gang dem Himmel zu weihen; Das
rum lag fie oft in brünftigem Gebete vor Gott, Daß
er ihr offenbaren möge, wie fie ihre zeitlichen Güter
ihm wohlgefällig anwenden könnte. Da begab fich
einsmals, Daß fie in der Nacht über einem einfamen
Thale in den Wolfen eine Kirche erblickte, unten im
Thale aber drei fchöne Fichtenbäume, Die aus Einem
Stamme gewachfen waren, und aus den Wolfen ver-
nahm fie die Worte: Helizena, hab’ Acht! Dein Gebet .
ift erhörec, und Deffen zum gewifien Wahrzeichen fiehe
hier dieſes ebene Feld, Darauf drei Fichten ſtehen, welche
aus Einem Stamme gewachfen, da follt du dieſe Kirche
niederjegen. Als fie vom Schlaf erwachte, ftand ihr
das Thal, fo fie im Traum gefehen, noch ganz vor
Augen, ob fie gleich vordem nie dahin gefommen war.
In ftillee Demuth zog fie des andern Tags, Gott zu
- Ehren, ein Feftfleid an, und ging in Begleitung einer
Magd und zweier Knechte hinaus, als ginge fie ſpa—
70
zieren, ging ins Thal hinab und ſtieg dann auf einen
Berg. Da erſah ſie von dem Berge die Gegend, ſo
fe im Traume erblickt hatte; es war ein lieblich Feld,
Darauf Drei Fichten ftanden, Die aus Einem Stamme
gewachfen waren. Fröhlich eilte fie den Bäumen zu,
und fiel weinend vor Freude auf Die Erde, Füßte den
Boden, 309 ihr feiden Gemand aus, und legte es ſammt
all ihrem Schmuck und Evelgeftein unter die Bäume.
nieder, Damit anzuzeigen, Daß fie all ihr zeitlich Gut
diefer Stelle fehenfe, und alfo hier zu Gottes Ehren
ihre Habe verwenden wolle. Sofort fehrte fie nach
Hauſe zurüc, berief ihre Obeime, die Herren von Calwe,
Egward und Reupold, den Drtsvorfteher und ihr eigenes
Gefinde, und bat, ihr Vorhaben auseinanderfeßend, um
die Einwilligung ihrer Verwandten, da der zur Grün—
dung der Kirche auserfehene Grund und Boden jenen
angehörte. Diefe willigten gerne ein, und vergabten
Wald, Waide und Felder zur Stiftung. Alsbald Tieß
Kelizena ihr Feſtkleid, ihre Ninge und 'Koftbarkeiten in
die St. Nievlai- Kapelle zu Calwe bringen, und gelobte
Gott und den Heiligen, daß ſie fünftig Nichts mehr
dergleichen tragen wolle. Nun begann fie den Bau
der Kirche, vollendete ihn im drei Jahren, und bat
Gott, er möge fich der Kirche in Gnaden annehmen.
Bald hernach ward ihr weiter im Traume eingegeben,
fie follte zu der neuerbauten Kirche einige Berfonen
fegen, um dem Gottesdienft abzuwarten. Sie lieg alfo
auch em Haus zur Wohnung für Diefe bauen und
verordnete darein vier Männer, welche der Welt entjagt
71
hatten und Die fie mit Allem, was zum Lebensunter-
halt erfordert wurde, verforgte. Vieles Volk von der
umliegenden Gegend ftrömte andächtig zu Diefer Kirche,
die dem Heiligen Nazarius geweiht wurde. Das war
der erſte Anfang Des Klofters Sirfau; im Jahr 830 -
erfolgte eine: zweite Etiftung.
Um dieſe Zeit lebte Graf Erlafried von Calwe, ein
reicher und mächtiger Mann, und wohlgelitten bei Kaifer
Ludwig dem Frommen. Er hatte einen Sohn, Namens
Notting, welcher Bifchof von Vercelli geworden war.
Aber auch an den fehönen Ufern des Bo Eonnte er
jein heimathliches Thal im Schwarzwald nicht vergeffei.
So fapte er einmal den Entfchluß, fein theures Vater—
land und die lieben Seinigen wieder zu fehen, aber er
wollte nicht ohne Gabe ind Vaterland zurückkehren.
Längft befaß er die Gebeine des heiligen Aurelius aus
Armenien, Dem er zur Bercelli ein Foftbares Grabmal
=
erbaut hatte. Diefen Schatz beſtimmte er für feine
Heimath, aber er wollte folch Vorhaben nicht ausführen,
ohne den Willen Gottes zuvor Darüber zu vernehmen.
- Darum wandte er fich im Gebet zu Gott, brachte eine
ganze Nacht fehlaflos vor dem Grabe des Heiligen zu,
warf fich zur Erde nieder und rief alſo den Gottes-
mann Aurelius an: beiliger Vater Aurelius, meine
Zierde und nächft Gott mein einziger Sort, ich ſchütte
vor dir aus das Anliegen meiner Seele und bitte dich,
bei Der göttlichen Liebe, laß mich nicht länger im
Zweifel, und belehre mich, deinen demüthigen Knecht,
damit ich weiß, was ich thun foll, nach Gottes und
72
deinem Willen. Alſo betete er Enieend und unter Thrä—
nen, legte fich dann müde nieder und entfchlief. Siebe
da! im Traume erjcbien ihm der heil. Aurelius, ans
gethan mit priefterlichem Schmucke, glängender ald Die
- Sonne, und ſprach: Keil Dir, Bruder Nottingus! flehe
auf, laß Dein Weinen, ich bin dazu da, um Dich nach
Deutjchland zu begleiten, und mehr Seelen dort dem
Herrn zu gewinnen, als mir im Leben gelungen, fo
lange ich unter den Völkern predigte und Durch Wunder
berühmt war. Kommſt du dahin, fo follt du ein
Klofter der Diener Gottes gründen, da, wo Dir ein
Dlinder begegnen wird, dem auf fein Gebet das Licht
der Augen wieder gefchentt werden foll. Dieß gejagt,
verfchwand der Heilige wieder. Sobald fich der ehr—
würdige Bifchof vom Schlafe erhob, öffnete er noch in
der Nacht den Sarg, trug die Gebeine des Heiligen in
der Stille in fein Haus, nachdem er Das Grabmal
forgfam verfchloffen, und ließ die Bewohner von Vercelli
lange Zeit in dem Glauben, daß fie noch den theuren
Gaft in ihrer Mitte hätten, den fie nimmer befaßen.
Nun rüftete Notting Alles zur Abreife, wählte aus
feiner Dienerfchaft die getreuften zu feinen Reiſegefährten,
fieß einem Maulthiere die Kifte mit den Gebeinen des
heiligen Aurelius aufladen, und trat feine Fahrt in Die
Heimath an. Er langte nach furzer Zeit glüdlih im
Deutfchland an, und wurde von den Geinigen in der
Heimath mit Jubel empfangen. Nun zeigte er feinem
Vater und Allen, die allda wohnten, an, welch theuren
Schatz er ind Land bringe. Da noch im Augenblid
73
fein geweihter Ort vorhanden war, Der würdig meäre,
den hohen Gaft aufzunehmen, und man nicht wollte,
daß diefe heiligen Nefte über drei Tagen unter jündigen
Menfchen verweilen, fo hielt man einen gemeinen Rath,
wo man dem 6. Befenner eine Wohnung bereiten follte.
Zu derfelbigen Zeit fland nicht weit von der Burg des
Grafen Erlafried eine dem h. Nazarius gemeihte Kapelle,
welche dem Berge, auf dem fie erbauet war, den Na—
men gab bis auf den heutigen Tag. Da hielten es
Alle für gut, den Leib des 5. Waters in dieſer Kapelle
einftweilen niederzulegen, bis man einen pafjenderen Ort
Dafür finden würde. Am folgenden Tage machte fich
Notting mit feinen Dienern und fein Vater Erlafried
‚mit feinem jüngern Sohn Ermefried frühe auf, an fie
ichloßen fich viele Edle und Leute vom Volk an, melde
Graf Erlafried den werthen Gäften zu Ehren verfammelt
hatte, und nun, nachdem alles Nöthige zu Ehren Des
- ‚Heiligen angeordnet war, ſchickte man fich an, den Leib
des Heiligen die Anhöhe hinan zur genannten Kapelle
Dee h. Nazarius zu tragen. Als man aber an jenem
Page ankam, wo hernach das Klofter des 5. Aurelius
errichtet worden, fiehe da trat ein Blinder mitten in
die Schaar, entgegen dem 5. Leibe und fieng an, mit
lauter Stimme zu rufen: erleuchte mich, heiligfter Gottes—
verehrer Aurelius, durch deine Fürbitte, wie Du mir es
verheißen haft! Da fprach Biſchof Notting zu ihm:
wo hat der h. Aurelius dir verheißen, daß er dir Das
s
x
Augenlicht geben wolle? der Blinde antwortete: in
dieſer Nacht iſt mir der Heilige in der Noth meiner
74
Seele erfchienen und fprach zu mir: Morgen, im Na—
men Jeſu Chrifti, wirft du Das Augenlicht erhalten.
Und ich fprach: Herr, wer bift du? Er antwortete:
ich bin der Bifchof Aurelius, neuangefommen in Deutfch-
land, und hat mich der Sohn deines Grafen Erlafried
biehergebracht. Als der Blinde Das gejagt hatte, rief
er noch. einmal: heiliger Aurelius, hilf mir, Daß ich
dich fehe. Zur Stunde wurden feine Augen geöffnet
und er ſah vollfommen. Alle Anwefenden aber, ale
fie das fo feltene Wunder fahen, lobeten ‚Gott und
fprachen : gelobt feift du, Serr Iefu Ehrift, du Sohn
des lebendigen Gottes! und ein Jeder fagte zum Anz
dern, Der ihm zur Seite ftand: o wie groß ift jener
Heilige, Der auch Blinden das Licht geben fann. Dar—
nach fagte Notting zu feinem Vater Erlafried: Diefen
Plag Hier bat der heil. Aurelius zu feinem Wohnort
erlefen. Sofort hielt Bifchof Notting allda eine Meſſe,
und feste den 5. Leib des Aurelius an einer dazu be-
reiteten Stätte nieder. Darauf nach wenigen Tagen
legte Notting feinem Vater und Bruder dar, wie er
längft auf Ermahnung des heil. Aurelius im Traume
ein Gelübde gethan, und bat, flehte und. befchwor fie,
ſte möchten aus Liebe zu dem allmächtigen Gotte, zu
Ehren des Heil, Petrus, Des Apoftelfürften, jo wie des
heil. Biſchofs Aurelius, ein Klofter für Öottes Diener
gründen, und zwar an Demfelben Drt, wo der Blinde
das Augenlicht erhalten ; zugleich verbieß er, nach feinen
fehwachen Kräften das Werk zu fördern. Es bedurfte
feines langen Zufpruche, denn Das gefchehene Wunder
75
hatte auf die Herzen gewirkt; auch war Graf Erla—
fried ein gottesfürchtiger Kerr, der längſt das Himm—
liſche dem Irdiſchen vorzgog, und den Armen Tiebend
diente. Ohne fich zu bevenfen, verhieß er, ſammt fei-
nem Sohn Ermfried, Alles zu erfüllen, um was
Potting bat. Kaum war derfelbe nach DVercelli zurücde
gekehrt, fo fieng er fehon an, an dem genannten Plate
dem heil. Aurelius zu Ehren ein Klofter zu erbauen.
Im Jahr 831 5 der Bau begonnen, und nach
ſteben Jahren vollendet. Jene Gegend bei Calw lieferte
Holz und Steine im Ueberfluß, daß man Nichts für
den Bau weit herholen mußte, dazu ſandte Biſchof
Notting aus Vercelli eine Menge Gold und Silber,
theils um den Bau zu fördern, theils zum erſten Un—
terhalt der Mönche, Die allda fich anjledeln follten.
Auch ſchickte er goldene und filberne Kreuze und Becher
für den Gottesdienft, ferner Bücher und allerhand Ge-
zierden zur Ausſchmückung des Gotteshauſes, um Doch
auch einen Antheil am ſchönen Gott geweißten Werke
zu haben. As Kirche und Klofter: vollendet ftand,
begabte fie Graf Erlafried reichlich mit Öütern und Höfen,
und Pabft Gregor VI. beftätigte die ganze Stiftung in
einer feierlichen Urkunde Am 15. Mai 838 trafen
fünfzehn Benediftinermönce mit ihrem Abt Liudebert
aus Fulda ein, dire Graf Erlafried von Dem damals
ſo berühmten Rabanus Maurus erbeten hatte. Die
Einweihung der Kirche, zu Ehren des h. Petrus und
Aurelius, geſchah am 11. September des genannten
Jahres; ſie erhielt den Namen Aureliuskirche.
76
In der Folgezeit Fam das Kloſter in Abgang, theils
durch Die Peſt, theild Durch Bedrückungen der Schirm—
vögte, theils durch die Ausartung der Mönche felbft.
Im Anfang des 11. Jahrhunderts wurden die Mönche
fogar vertrieben und das Klofter blieb 63 Jahre leer,
bis Pabſt Leo IX. aus dem Gefihlechte der Grafen
von Egisheim und verwandt mit den Grafen von Calw,
Diefe feine DVettern bei einem Befuch in Calw durch
Androhung des Bannes zur Wiederherftellung des Klofters
veranlaßte. Zum zweiten Mal half jetzt eine Frau,
die Gräfin Wiltrud, Gemahlin des Grafen Adelbert I.
von Calw, eines Neffen des genannten Pabſts, dem
faft abgegangenen Klofter wieder zum Aufgang. Cie
bewirkte bei ihm, Daß er fich entjchloß, Das. ſchadhaft
gewordene Gebäude von Neuem berzuftellen. Im Jahr
10066 berief er zwölf Mönche mit einem Abt Friedrich
aus dem Klofter Einfiedeln, um das SKlofter neu zu
beſetzen. Nach zwanzig Jahren war der Bau Der Kirche
und des Klofters vollendet. Bei der Einweihung am
4. Septbr. 1071 erhielt das Klofter Die widerrechtlich
entzogenen Güter wieder zurück. Am 9. Oktbr. 1075
unterzeichnete Babft Gregor VI. den zweiten Gtiftungs-
brief und nahm das Klofter in feinen befonderen Schuß.
Bon nun an beginnt die Olanzperiode Hirſau's, for
wohl durch Die Schenfungen des ummohnenden Adels,
als auch Durch Die Weisheit des Abtes Wilhelm und
die Zucht feiner Mönche. Die Zahl der leßteren ver-
wehrte fich bis auf 150, hiezu famen noch 50 Laien-
brüder und 50 andere, damald Oblaten (Dargebotene)
17
genannt, die fich während des Kampfes zwifchen dem
Kaiſerthum und Der Kirche zu Diefer flüchteten, ihre
weltliche Kleidung zwar beibehielten, aber dem Klofter
als gefchiefte Handwerker dienten. Aus Hirſau gingen
nunmehr Golonien von Mönchen nach Schwaben und
Franken, Während der 22 Jahre feines Negiments-
(1069— 1091) entfendete Abt Wilhelm aus Hirſau
130 Aebte nach verfchiedenen Kllöftern, und über 100
im Verfall gefommene Klöfter brachte er theilmeije oder
gänzlich wieder mit feinen Mönchen in Ordnung. Die
Zahl der Mönche, Laienbrüder und Oblaten wuchs
auf 300 heran, Unter diefen Umfländen war Dad
alte Kloftergebäude bald zu Elein, und Abt Wilhelm
baute nun ein neues auf einem fanften Vorhügel am
linfen Ufer der Nagold, weil das alte in den Nied—
zungen des rechten, dem Andrang des Hochwaſſers all-
zufehr ausgefeßt war. Wilhelm begann den Bau im
Jahr 1083 und vollendete ihn 1091, lediglich nur
mit Hülfe feiner Mönche, Laienbrüder und Oblaten.
Am 2. Mai wurde Die Kirche zu Ehren Jeſu Chriſti
und der Ayoftel Petri und Pauli geweiht. Am 4.
Juli defielben Jahres flarb Abt Wilhelm, einer der
fräftigften und thätigften Männer feiner Zeit. Im
folgenden Sahre waren auch die Kloftergebäude fo weit
vollendet, daß der Convent in das neue Peter- und
Baulklofter einziehen fonnte, ein ‘Brior und 12 Mönche
blieben in dem Aureliusklofter zurüf. Unter Abt Wil
helms erſten Nachfolgern iſt vor Allen Bruno zu
nennen, der ein Bruder Conrads yon Wirtemberg war
73
und im J. 1105 Abt zu Sirfau geworden, Er war
nicht weniger fromm als fein Vorfahr Wilhelm, und
regierte 15 Jahre mit Eifer und Weisheit das Klofter.
Auch unter ihm war das Klofter noch im Zunehmen:
e8 erhielt ſchöne Etiftungen ımd gab im mehrere neu—
geftiftete Klöfter, namentlich Lorch, Die erften Mönche,
Die folgenden Aebte traten weniger in Die Fußftapfen
Wilhelm's und Bruno’s, wenn wir auch einige Fluge
und thätige aufzählen könnten. Abgeſehen davon, daß
Sirfau unter feinen Schirmoögten, namentlich von ei—
nem Udelbert VI. von Calw Biel auszuftehen hatte,
beginnt 100 Jahre nach Wilhelm wieder eine traurige
Zeit, Die wir bei jedem Kloſter wenigfiens einmal,
wo nicht öfter eintreten feben, der. fatale Zirkel von
Wohlftand zur Ausgelaffendeit, Derfchwendung und Are
muth, von da, wenn es glücklich ging, durch gründe
liche Befferung, welche ein paar Fluge und thätige Vor—
ſteher bewirkten, dann wieder zum Wohlſtand, bis
endlich der Geiſt der Zeit die Form, in welche alle
gegoſſen waren, zerbröckelte oder zerbrach. Hirſau hat
von nun an alle Schickſale, alle guten Eigenſchaften,
ſo wie alle Fehler und Thorheiten mit den andern
Klöſtern gemein, die wir von dem Ende des 11. bis
zum Anfang des 14. Jahrhunderts in Schwaben und
Sranfen entftehen fehen. Bon dieſer Zeit an ſank bie
ehemalige Pflanzftätte für Kultur und Wiljenfchaft, die
Männer von religiöfem Cinne und hober wiſſenſchaft⸗
licher Bildung hervorgebracht hatte, zu einer Anſtalt
herab, welche einer durchgreifenden Reform bedurfte,
79
wie viele andern. Die Zeit der Reformation führte
diefe Umpgeftaltung des Klofters Hirſau herbei, in Folge
der fie noch lange, ihrer alten Beftimmung getreu,
wenn auch mit der Zeit fortfchreitend, eine mohlthätige
Anftalt geblieben ift. Wie mehrere andere Klöfter, fo
war auc Sirfau in Volge der von den Serren von
Mirtemberg geübten Schugvogtei allmählich unter ihre
Hoheit gefommen. Im Jahr 1558 hob Herzog Chri-
ſſoph Das Klofter auf und verwandelte es in eine ſo—
genannte Kloflerfchule, Deren erfter evangelifcher Abt
(Grälat) Heinrich Weikersreuter gewefen. Derſelbe Her—
309 erbaute „aus ſondrer Anmuthung und Luft zu
dieſem Klofter, und fonften des luftigen Ortes halben”
auf Dem Platz der alten Abtei ein ftattliches Herren—
haus, Das er befonders als Jagdſchloß benügte. — Noch
40 Jahre nach dem weftphälifchen Frieden blühte Hirſau
als ein evangelifches Seminar, das manchen frommen
und gelehrten Geiftlichen dem DBaterland erzogen. Mit
Ende des 17. Jahrhunderts erging über Sirfau, wie über
viele Orte jener Gegend, ein trauriges Schiefal. Beim
Einfall der Franzofen traurigen Andenfens, im Sabr
1692, nach dem Treffen bei Detisheim, wurde Klofter
und Schloß gänzlich abgebrannt. ‚Die Klofterfchule
mußte nad) Denfendorf verlegt werden. Es bat ſich
feitdem nie mehr aus feinen Trümmern erhoben. Nur
die Dekonomiegebäude, von Denen Das Klofter rings.
umgeben war, wurden nothdürftig wieder hergeftellt,
um fie als Fluchtboden zu benützen. Was aber noch
te vom Brande verſchont geblichen war, wis
—J
sr
*
80
jene Kapelle, die noch im Jahr 1783 unverfehrt da—
ſtand, wurde in den legten Jahren des vorigen und
zu Anfang des jegigen Jahrhunderts zu Baumateria-
lien verwendet.
Mie es im Klöfter vor feiner Zerſtörung ausgeje-
ben, darüber haben wir den genauen Bericht eines ge=
wiffen Andreas Steinhard vom Jahr 1610, von dem
wir Einiges in der naiven Schreibart des Verfaſſers
felbft geben wollen. 2
„Auf der einen Seite des Wafjers Nagold liegt das
alt oder Kleinere Klofter, auf der andern das neue oder
das größere. Meber das Waffer zwifchen beiden Klö—
fern, Die Doch zufammengehören, gebt ein ſchön ſtei—
nerne Bruck von braunrotben Quaderftüden, mit etlis
chen Schmwibogen und Neckhern, Darauf man fißen und
fihb mit Geſpräch erluftigen Fann, über dem Waffer
Wald und beide Klöftern vor Augen babend. Das
Waſſer ift frifch, raſch, darein bin und her aus den
Nebentbälern andre frifche belle Brunnen Wäfferlen
aus den Felſen über Stein und Sand zufließen. Die
Kirch im neuen Klofter ift groß, lang, Hoch, weit,
mit zwei gleichen viereeften hohen Thürmen gegen Der
Sonnen Niedergang. Sie ift gebauet in Form und
Geftalt des Kreuzes Chrifti, auch von braunrothen
Duaderftücken, wie vorgemeldte Brud, und felben glei—
chen der Kreuzgang. Immendig der Kirche find viele
runde fleinerne Säulen zu beiden Geiten, alles von
einem Stein, auch mit fehönen gemalten Figuren und
Geſchichten aus dem alten und neuen Teftament; item
81
mit der römiſchen Kaiſer Bildniſſen, und ſonderlich des
Herrn Chriſti Geſchichten von unten an bis oben aus,
ein jedes an ſeinem Ort rausgeſtrichen und geziert.
Gegen Mitternacht ſtoßen luſtige Capellen daran, da
in der ein ein Meß eines Rieſen auf viel Schub und
feine liverne Kleider, die er mit eifenen Ringen zuges
than, in felben Gebirg oder Revier jich ſoll gehalten
haben, gewiefen und gezeiget wird. Sonderlich gegen
Mittag ftehet ein Capel dran mit Bfeilern, Fenſterge—
fielen und einem Gewölb, alles von braunrothen Qua—
derftücken oberzählter Barb. Da 0b demfelben eine
feine Liberei, darinnen alte namhafte großen Bücher, fon-
Derlich ein gar großes ſchweres pergamentnes Buch, das
ein einziger Mann nit wohl naher thun oder handlen
ann, welches inwendig der Decken an Orten und En—
den herum, anftatt Der Spangen, mit hölzernen Riemen
befihlagen und ein jeded Blatt ein junge Kalböhaut
ſoll geweft feyn. Auch zwei neue, lange, fchöne und
ausgeftrichne Refectorien mit Säulen. Im Sommer:
Refectorio ift ein Springbrünnlein, da die Aebt con-
terfeiet und mit ihrem Thun befchrieben werden... Im
Minter-Refectorio ein eifner Of, darauf man ſteigen
und oben rum fißen kann. Der Kreuzgang zwifchen
der Kirchen und den Pefectorien, Darauf. der jungen
Studiofen Dormitorium, Schlaffammern und Studier-
kammern, umfängt einen ziemlichen Garten, bat auf
4 Ceiten 4 Benfter, da ein jedes der Breite nach im
3 Unterjchied oder Felde, durch zwei Eleine fleinerne
- Säulen getheilet, und je zwifchen 2 Fenſtern ein. flei-
6
82
nern. Pfeiler ; in den Fenſtern je im mittlern find Die
Sefchichten, fo ſich mit Ehrifto verloffen, aus dem neuen
Zeftament, fammt den prophetifchen Weiffagungen, und
in denen beiden Nebenfeldern die Figuren, Vorbilden
und Bedeutung aus dem alten Teftament in die Fen—
ftergläfer gar Fünftlich und aufs deutlichfte mit allerlei
ausbinftigen Farben gefchmelzt. An Dem Kreuzgang
gegen Mitternachtwärts, in den Kreuzgarten hinein, ift
ein hoher und meiter Erfer mit Bfeilern und Fenſter—
geftelfen, auch gemahlten und gefchmelzten Fenſterglä—
jern, darin ein hoher von Steinwerf und Bilder aus—
gehauener Springbrunn, mit 24 Röhren und mit 3
fteinernen Wafjernapfen über einander, da er in das Waffer
von oben in engen und weiten mit lieblichene Getöß
herab rauſchet, doch nicht ftet, fondern wenn er anges
laffen wird. — Das find die fürnehmften Gebäu ohne
das neue fleinerne Fürftenhaus gegen Mittagwärts, Das
zur fürftlihen Wohnung und Herberg mit hohen Schne—
fen, auch Stuben und Kammern je eind umbs ander,
und andern dergleichen Gemach, wie auch mit Uhr—
— werken und Sonnenzeigern zugericht.“
* So Wenig noch von all dem Herrlichen vorhanden
if, as vor 1692 geſtanden, fo gibt es Doch noch
er zer, was dem Freunde des Alterthums von
Wichtigkeit iſt — auch Die Trümmer Des ehemaligen
Kloſters find noch ſchön, und wir machen den Be-
N der Ruinen auf folgende Reſte befonderd auf
merkſam:
1) Die alte Aureliuskirche, von Graf Erlafried m
83
9: Jahrhundert erbaut und von Graf Adelbert II.
wieder bergeftellt, wurde fon im J. 1584 abgebro-
hen; nur der weftliche Theil des Yanghaufes mit fer
nen alten Säulen und den Erdgefchoßen zweier Thürme
iſt ftehen geblieben.
2) Auf der nordweftlichen Ecke des Vorhofs der
großen Klofterkirche zum heil. Betras vom 3. 1091
fteht noch einer der beiden haben vwierecfigten Thürme,
Die mit einander den Hauptgang in die Kirche bilde-
ten. Diefer Thurm hat eine Höhe von mehr als 100
Fuß, die Mauern find 4 bis 4\, Buß did. Er if
ein Quadrat, deffen Seite 19° 5 7° beträgt, hat
> Stockwerk, die 3 unterfien find 29° hoch. Die
Senfter find gefuppelt, im Kreis gefchloffen, zwifchen
ihnen Säulen mit Würfelfteinen und erböhten Auf:
fügen. Den Ihurm zieren halberhabene Steinbilder,
biftorifcher und heraldifcher Deutung. Die Löwen Deus
ten auf Das Mappen der Grafen von Calwe, die
Hirſche auf das Kloſterwappen, der Enieende Mann,
der feine Hand vor die Augen hält, foll wohl auf den
Blinden hinweifen, Der nach Der oben gegebenen Sage
vor dem Sarge des h. Aurelius wieder fehend gempre
den. (Abgeb. in Der trefflichen Abhandlung des ger
lehrten Krieg v. Hochfelden in Mone’s Anzeiger
für Kunde der deutfchen Vorzeit Jahrg. 1835. Geite
101 und 259.) Dom andern Thurme, fo wie von.
der Kirche felbft Hasen fich nur geringe Mauerreſte er-
halten. Auf der Norbfeite des nördlichen Geitenchers
ſtehen noch die Grundmauern einer Kapelle mit kleinem
—
84
Chor aus dem 14. Jahrhundert, fie hieß Die Rieſen⸗
£apelle und war zur Aufbewahrung des Kirchenfchages
und anderer Merfwürbdigfeiten beftimmt.
3) Die jetzige Ortöfirche zur heil. Marta 1508—
1515 unter Abt Sobann D. erbaut. An diefer bes
findet fi) nahe bei der Thür zu dem Pfarrgarten das
faft lebensgroße Bild des h. Aurelius mit der Infchrift:
Anno benignitatis octingentesimo tricesimo almi
praesulis Aurelü venerando corpore de Italia
translato est eidem Hirsaugia suscipiendo funda-
ta. Neben diefem Bild iff ein Stein mit dem Wappen
des Grafen Erlafried von Calw und der Umfchrift, Die
theilweife noch leſerlich: (ab) inearnatione (Christi
anno) octingentesimo XXX. fundatum est hoc .
(monasterium a generoso domino Erlafrido , co-
mite) de Calw. cujus depositio agitur Iv. kal.
febr. In dem neben der Ortskirche befindlichen Bi-
Sliothefsfaal haben Dede und Wandfäften- treiiiine
Schnigarbeit.
4) Un der Wand des Gebäudes, welches an Die
Aureliusfirche anlehnt, ift eine Sandfteintafel mit dem
Reliefbild eines Biſchofs oder Abts eingemauert.
5) Bon dem von Herzog Ludwig erbauten Jagd-
schloffe, fpäter Die Prälatur genannt, find noch bedeus
tende Ruinen vorhanden. — Don den ehemaligen Glas—
gemälden des Kreuzganges ift nur eines im Wirths—
Haus zum Lamm noch zu fehen, die übrigen alle ſind
nach dem Luſtſchloß Monrepos gewandert. 0.0
85
Ehe wir uns von der ehrmwürdigen Ruine des Klo—
ſters Hirſau wenden, Hören wir noch
Die Sage vom Müllerstind im
Schwarzwald,
Die ſchon der, Ehronift Gottfried von Biterbo (im 12.
Sahrh.) erzählt, und von einem deutſchen Chronifen=
fehreiber des 15. Jahrhunderts mit der Gründung des
Klofierd Hirfau in Verbindung gebracht worden. Wir
geben die naive Erzählung de3 legtern urkundlich treu
wieder:
„Da man zählt von der Geburt Chrifti unſers
Herrn taufend und fünfundzwanzig Jahr, da erwaͤhl—
ten die Kurfürften Herzog Conrad von Franken; der
tegieret fünfzehen Jahr, und liegt zu Epeier begraben.
Derjelb König Conrad gebot, wer den Frieden brädh,
dem follt man fein Haubt abjchlagen. Das Gebot
brach Graf Luipold von Kalb. Und da der König
zu Land fam, Da entwich Graf Luipold an den Schwarz-
wald in eine öde Mül, und meinet fich da zu enthals
ten mit feiner Hausfrau, bis ihn des Königs Huld
erworben würd. Und einsmals ritt der König unge—
fährlich an Schwarzwald für die Mül hin. Und da
ihn Graf Luipold hört, da forcht er, der König der
fuchte ibn, und floh in den Wald und lieg da fein
Hausfrauen in der Mül. Die Frau mocht vor Schre-
den niederfommen, denn ed um Die Zeit war, daß jle
ſollt gebären ein Kind. Als nun der König neben
86
die Mül kam und die Frau in ihren Nöthen hört
Schreien, da hieß er befehen, was der Frau gebräch.
In dem Drängen hört der König eine Stimm, die
ſprach: auf diefe Stund ift ein Kind bier geboren, das
wird deiner Tochter Mann, Der König erfchrad und
wähnt anders nit, denn daß die Frau ein Bäurin wär,
und gedacht, wie er fürfam, daß feine Tochter mit einem
Bauern verbunden würd, und fchieft da zween feiner
Diener in die Müle, daß fie das Kind tödten follten.
Und deß zur Sicherheit, fo hieß er ihm des Kindes
Herz bringen, und Sprach, er müßt e8 haben zu einer
Buff. Die Diener mußten dem SKaifer genug thun,
doch hätten fie Gottesfurcht und wollten das Kind nit
tödten, denn es ein gar hübſch Knäblen war, und
legten e8 auf einen Baum, Darum, Daß Etwer Des
Kindes innen würd, und brachten dem Kaifer eines
Hafen Herz. Das warf er den Hunden dar, und
meinte, er wär damit fürfommen der Stimme der Weif-
fagung. In den Weilen jagte Herzog Seinrich auf
dem Wald und fand das Kind einig, und ſah, daß
e3 eim neugeboren Kind war, und bracht ed heimlich
beim feiner Frauen, die war unbärhaft, und bat, Daß
fie fich des Kinds annähme und fie ſich in ein Kind»
bet leg, und das Kind für ihr eigen natürlich Kind hätt,
denn es ihm von Gott gefchidft wär worden. Die Her—
zogin that e& gerne; und aljo ward das Kind getauft
und Heinrich geheigen, und das Kind durft Niemand
anders halten, denn für einen Serzogen von Schwaben.
Und da das Kind alſo erwuchs, da ward es König
87
Conraden gefandt zu Sof. Da hieß der König den
Knaben gewöhnlicher vor ihm ſtehen, dann die andern
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*
jungen Herren, die an ſeinem Hofe waren, von ſeiner
klugen Weisheit und Höflichkeit wegen. Nun kam dem
Kaiſer für, Daß ein Läumde (Sage) wäre, daß der
Junge nit ein vechter Herzog wäre von Schwaben, und
wie Daß er ein geraubt Kind wäre. Da das der Kai-
fer vernahm, da rechnet er feinem Alter nach und fam
in eine Furcht, Daß er Der wäre, von dem eine Stimm
in der Mille geredet hätte, und wollte dem abermal
fürfommen, Daß er feiner Tochter nit zu einem Manne
würde, und fchrieb einen Brief der Kaiferin, in dem
empfahl er ihr, als Tieb ihr Leib und Leben wär’, daß
fie den Zeiger dieſes Briefs Tieß tödten. Den Brief
empfahl er dem jungen Serren verfchloffen, Daß er ihn
der Kailerin antworte und Niemanden anders. Der
junge Serr verftund in der Sachen nit anders, Dann
Guts, und wolle die Botfchaft vollenden, und kam in
eines gelebrten Wirthshaus, dem empfahl er feine Ta—
fche von Sicherheit wegen, darin der Brief und andre
Ding lagen. Der Wirth kam über den Brief von
feines Wunderd wegen, und da er geichrieben fand,
dag die Kaiferin ihn tödten ſollt', da fchrieb er, daß
die Kaiferin dem jungen Herren, Zeiger Diefes Briefs,
ihr Tochter gebe, und ihm fie zulegte ohnverzogentlich,
und beichloß den Brief mit dem Siegel gar höflich zu
ohne Gebrechen. Da nun der junge Here der Kaiferin
Den Brief zeigte, da gab fie ihm die Tochter und legte
Be ihm zu, Die Mähren kamen für den Kaifer, da be—
88
fand der Kaiſer mit dem Herzogen von Schwaben und
ander Ritter und Knecht, wie der jung Herr war
von Graf Luipold8 Weib in der Mül geboren, von
dem die Stimm ihm geweiffagt hatte, und Sprach: nun
merk ich wohl, daß Gottes Ordnung Niemand wider:
ftehen mag, und fordert feinen Tochtermann zu dem
Reich. König Heinrich bauet und flift Darnach Hirſau
das Klofter an die Stat der Müle, Darin er geboren
war worden. Alfo kam König Heinrich zum römifchen
Reich, und hieß man ihn Henrifus Pius; er regiert
17 Fahr und Tiegt zu Speier.“
| VII.
Stammburg Wirtemberg.
Nennt man die Burgen und Schlöſſer des Wirtem-
berger Landes, fo ift e3 nicht mehr denn billig und
recht, daß man auch den fchönen Berg nennt, auf dem
einft die Stammburg unfered geliebten Sürftenhaufes
geftanden.
Auf einer der Testen vorfpringenden anmuthigſten
Höhen über dem Neckar, dem Rothenberg (Rodenberg),
jo genannt wegen des audgerodeten Waldes, lag Burg
Mirtemberg. Im Süden hat man beinahe die ganze
Alb mit ihren Burgen ins Geficht, gegen Abend den
89
Schwarzwald; an ihrem Fuße und weiterhin noͤrdlich
die Gefilde des wirtemberg'ſchen Unterlands, vom Ne—
Kar durchfloffen; in der Ferne am Horizont ift unter
den Gebirgen der Melibofus zu erfennen.
Man ſagt von den alten Burgen, die jo gar zere
ftört find, daß man kaum mehr ihre Stätte erfennet,
wo fie geftanven, „es ift fein Stein mehr von ihnen
vorhanden” — das gilt nicht von der Stammburg
Wirtemberg, denn allerdings iſt noch ein Stein von
ihr vorhanden, und zwar ein wichtiger Stein, denn er
zeugt mit deutlichen Worten von der erften urkundli—
chen Begebenheit, welche auf der Burg vorgegangen,
von der Einweihung der ehemaligen Burg:Gapelle, de—
ren Erbauung auf jeden Fall in die erfte Zeit ber
neuerbauten Burg fällt. Die uralte Infchrift Des Stei—
nes lautet: Anno dominice incarn. (ationis) mille
LXXXIH. indie. (tionis) vı. vu. idus Feb. ded.
(icata) hæc cap. (ella) ab Adelb. (erto) Wormen
(sis) ecc. (ecclesiae) Epo (episcopo) in honorem
S. Nicolai. Das ift: Im Jahr der Menſchwer—
dung des Herrn 1083, der febsten Indie
tion, den 7. Febr., wurde geweiht diefe Ka—
pelle von Adelbert, Bifchof der Kirche zu
Worms, zu Ehren des heil. Nicolaus. Die
Einmeihung der Burgfapelle zu Wirtemberg gejchah
ungefähr um diefelbe Zeit, da in dem fogenannten
Bempflinger Vertrag ums Jahr 1090 ein Conradus
de Wirtineberg erjceint. Wir würden alfo nichts
zu Gewagtes behaupten, wenn wir diefen Conrad von
30
Mirtineberg, den Alteften Stammherrn unferes uralten -
Zürftenhaufes, auch für den Erbauer der Burg Wir-
temberg erklären. Der Name der Burg ift fchon auf
verfchiedene Weife gedeutet worden. „Einige leiten ihn
von Wirth (im Nibelungenlied Herr) des Landes ab, °
wie bei Serrenberg ; Andre, und mit größerer Wahr-
icheinlichfeit, nehmen an, daß die Burg zu Ehren der
Frau des Erbauers Wirtimeberg, Frauenberg, ges
nannt worden, wie denn auf der Feuerbacher Heide bei
Stuttgart eine Burg Frauenberg geflanden. Da
- Die Gefchichte des erlauchten Gefchlechtes, welches von
der Burg Wirtenberg ausging, als eine allen Wir—
tenibergern befannte anzunehmen ift, fo erzählen wir
nur furz von den Schieffalen der Burg. Seit der
Zeit ihrer Erbauung wird fie nicht ausdrücklich ge—
nanut, aber vom großen Interregnum an. bis zum
ewigen Landfrieden (200 Jahre lang) ift das Stammes
ſchloß Wirtemberg unter feinen friegsfreudigen Herren
der lebhafteſte Schauplag Der Begebenheiten. Hier
ſammeln fich zahlreiche Vaſallen aus dem Adel des
Schwabenlandes und treten unter den Schuß der Dy-
naften von Wirtemberg; hier ift auch der Mittelpunft
des fo oft, mit dem nahen Eflingen erneuerten Städte:
kriegs. Damals erhob fich die Burg nach dem Bericht
der Zeitgenoffer, in befonderer Pracht und Stärfe, die
fie nach den folgenden Unfällen. nie wieder erreichte,
König Rudolf Krieg gegen. Eberhard den Erlauchten
brachte den meiften, in der Nähe von Stuttgart gele-
genen, Burgen den lintergang; da bat wohl auch Bur
—5 3
* — en
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91
Wirtemberg die erften feindlichen Stöße erlitten. Als
König Heinrich VIL, der Erbe der Händel mit dem
ſtolzen Grafen, ein ftarfes Heer von Reichsſtädtern
gegen denjelben aufbot, da fiel das Stammjchloß in
die Hände der Feinde, Die ed unter ihrem Führer Con»
rad von Weinsberg von Grund aus zerftörten, wie
jie auch dem Stift Beutelipach, dem Erbbegräbnig der
Mirtemberger Grafen, thaten, das fie fo ſchrecklich ver»
heerten, daß fie fogar die uralten Erbbegräbniffe ver-
mwüfteten und Reichname und Gebeine aus den Gräbern
riffen, um Haus Wirtemberg bis auf den Namen zu -
‚vertilgen (1312). Doch erftand Die Burg bald wieder
aus dem Echutt und trogte ihren Feinden. Graf
Eberhard der Greiner trat in Die Zußftapfen feines
Großvaters und fland mit Kaiſer und Reich in Uns
frieden. Kaifer Carl IV. zog auch gegen ihn zu Felde,
und Die Burg Wirtemberg wurde zum zmweitenmal zers
ſtört (1360), doch blieben die Außern Mauern ftehen,
und fie wurde bald wieder aufgebaut. Im 3. 1519
wurde das Schloß im Angejicht des fchwerbedrängten
Herzog Ulrichs abgebrannt.. Nach feiner Rückkehr aus
der Verbannung im 3. 1534 ließ Ulrich Die Miege
feiner Ahnen wieder aufbauen, und vielleicht in grö=
Berem Umfange, als fie e8 früher gewefen war, Auch
Herzog Chriſtoph, der fo bedeutende Summen, auf Die
Schlöffer im Lande verwendete, baute das Schloß. wei—
ter aus, alfo, DaB ed als Bergfchlog immer ‚noch mit "
Autzen gebraucht werden konnte. So blieb das Schloß
im Ganzen bis zu dem 80jährigen Kriege, einige wer
92
nige Veränderungen abgerechnet. Noch ift aus Diefer
Zeit eine genaue Abbildung vorhanden, welche der be=
rühmte Merian (lebte von 1593 — 1651) gegeben.
Vergleichen wir Diefe mit dem Stand des Schloſſes,
wie es am Cchluffe des adıtzehnten und noch in den
erften Jahrzehnten des neunzehnten Jahrhunderts ges
-wefen, jo erlitt e8 freilich durd) Die Verheerungen des
30jährigen Krieges und Verwitterung im Laufe der
Zeit noch manche Veränderung. Um das Echlof ber
war eine dreifache feſte Mauer, ein Graben und ein
Mall gezogen ; ein vieredigter maffiver Thurm bildete
das Hauptthor, war aber (zufolge einer noch vorhan—
denen Abbildung) ſchon vor 1799 verſchwunden, doch
bildete ein zweiter ähnlicher noch; das innere Thor.
Die äußere hölzerne Brücke mit einem Dach, welche
zum. Abmerfen beſtimmt war, wurde durch eine fteinerne
erfegt. Innen ftand ein gewaltiged Herrenhaus aus
Duaderfteinen, mit einem Vorhäuschen auf der Well:
feite, das aber mit den Zierrathen am Giebel des Haupt—
gebaudes fpäter nimmer zu fehen war. Ueberdieß mar
ren im Innern des Schloffes noch Spuren zweier
Thürme zu erfennen, eines vieredigten, der gegen Abend,
und eined runden, der gegen Morgen fland. Im SF.
1799 war noch im Umfang der erfleren Mauer ein
Stallgebiude und eine Wohnung zu fehen, welche der
Schloßvogt und Förfter bewohnte. Bei der Wohnung
des letzteren ging der ehemalige Fußweg in tie
Burg. Auf dem großen Thore der Burg fcheint in
früher Zeit noch ein Gebäude geflanden zu haben,
93
und auf Der Seite gegen die Landftraße herunter war
eine Bettung für eine Lärmkanone angelegt, um ber
Entftehung einer Feuersbrunſt der umliegenden Gegend
davon Kunde zu geben. Noch am Ende des achtzehn-
ten Jahrhunderts wurde das Echloß weieder reparirt
und feiner Außenfeite ein leidiger weißer Anftrich ges
geben. Im 3. 1819 gab König Wilhelm den Auinen
feiner Stammburg eine wichtigere Bedeutung. Seiner
vielgeliebten Gemahlin Katharina zu Ehren, Die jo
gerne auf dieſer Tieblichen Höhe verweilte und liebevoll
Dad Land überblickte, dem fie eine forgende Mutter ges
worden war, ließ er die nach und nach verfallende Schloß»
suine abbrechen, und durch Hofbaumeifter Salucci
vom 5. 1820—24 auf diefer Stelle eine griechiiche
Kapelle mit Priefterhaus bauen, um bier den irdischen
Reften der verewigten Gattin eine Ruheſtätte zu be=
reiten. Diefer in einfachem Styl erbaute Tempel bil-
det eine Rotunde, die von innen vier Nifchen enthält,
in welchen die Büften der vier Evangeliften aus caras
rifhem Marmor, des Fohannes, von Danneder,
des Lukas, von Wagner, des Marcus, von Zwere
ger, des Matthäus, von Leeb, etwas über Lebend-
größe, ftehen. ine verichloffene Treppe führt in Die
ftille Gruft, wo die irdifche Hülle der edlen Landes-
mutter ruht. Auf der öftlichen Seite des Tempels iſt
die fchöne Infchrift zu lefen, welche König Wilhelm
feiner umnvergeßlichen Gemahlin weihte: Seiner vol-
lendeten Gemahlin, Catharina Paulowna,
Großfürftiin von Rußland, Hat dieſe Ruhe
“
94
ftätte erbaut Wilhelm, König von Württem-
berg, im Jahr 1824.
Den Gottesdienft an der Kapelle auf Dem rothen
Berge verfehen zwei griechifche ©eiftliche, ein ‘Briefter
und ein Sänger. Samftag Abends, fo wie Sonntag
Morgens wird gewöhnlich Gottesdienft gehalten. So
wird noch in den fernften Zeiten auf Ddiefem fehönen
Berge dad Gedächtnig der liebenden und innig geliebs
ten Landesmutter Catharina gefeiert werden, die in
der gleich geliebten Königin Bauline, fo wie der er=
babenen Kaiferstochter Olga edle Nachfolgerinnen in
treuer Liebe und Sorge für das Wohl ihrer Landes—
finder gefunden.
Sn der Safriftei der Kapelle ift die obengenannte
alte Snfchrift vom Jahr 1083 eingemauert. ine freis
lich nicht im Einklang mit unferer Ableitung des Na—
mens Wirtemberg ſtehende Sage möge bier ftehen, zu—
mal da Diefelbe ſchon im fechszehnten Jahrhundert von
dem fleifigen Chroniften und Sagen- Sammler des
Schwabenlandes, Martin Erufius, im 10. Bud
H. Theil feiner Schwäbifhen Chronik überliefert, und
jväter vielfach bearbeitet worden, in neuefter Zeit auch
in einem größeren Büchlein, betitelt:
Graf Johann von Wirtemberg
und die Brautwerbung zu Gtuttgarten,
von Dttmar F. 9. Schönhuth. Hall 1846.
95
Der Wirth am Berge.
Zur Zeit, ald der erfte Staufer, Friedrich, Herzog
von Schwaben geworden (Anno 1078), war unter
jeinem Gefolge ein junger Ritter, Namens Johannes,
der Durch Tapferkeit, Schönheit und Edelſinn ſich aus—
gezeichnet. Eines Tages ließ Herzog Friedrich den—
jelben zu fich entbieten und fprach zu ihm: „Lieber
Freund Johannes, da mein erftgeborner Sohn und ders
einftiger Nachfolger nunmehr zu feinen Jahren gekom—
men ift und ich demfelben eine Gemahlin beizulegen
Bedacht nehmen muß, alfo habe ich Dich, um deiner
großen Treue und Klugheit willen, auserjehen, mir
zur Ausführung Diefes meines Vorhabens Hülfe und
Beiftand zu leiften. Nimm Dir alfo, weffen du bedarfit,
um Dich aufs Schnellfte und Befte zu rüften, und reite
mit ftattlicher Begleitung hinunter nach Freiburg — ente
biete Dem Herzog von Zähringen, Berchtold, meine
Dienfte und freundlichen Gruß, und Gringe meine Wer-
bung um Die Sand feiner Tochter, Der fhönen und
tügendreichen Jungfrau Mechtilde, für meinen Sohn,
Herzog Friedrich, auf Das Befte bei demfelben an,
denn Diefe ift e8, welche ich meinem Sohne zur Ge—
mahlin und mir zur Schnur erforen habe.‘ Go re=
dete jener Herzog Sriedrich, den einft am Grabe Kaifer
‚Karla des Großen die Ahnung überfiel, Daß fein Ges
ſchlecht einſt die Krone des römiſch-deutſchen Reiches
bs werde, wie fpäter wirklich gefchab.
96
Herr Sohannes beſann ſich nicht erft, den ehrenden
Auftrag anzunehmen, ftattete fih fchnell aus und fuhr
freudigen Muthes ſeine Straße hin.
Am Hoflager des Herzogs Berchtold angelangt, wurde,
ſobald ſelbiger die Urſache feiner Sendung erfahren,
den Gafte große Ehre und Gunſt erwiefen und feine
Merbung mit Freuden angenommen. Alsbald wurde
ein prächtiges Feſt veranftaltet: Banfet, Turnier und
Zuftbarfeiten jeder Art wechſelten mit einander ab, Die
Verlobung von Herrn Berchtold jchöner Tochter wür—
diglich zu feiern. Bei jedem Unlaffe erwies. fich Jo—
bannes, der Brautwerber, ala der flärffte und mutbigfte
Ritter, beim Lanzenrennen, Schwertſchwingen und Kol-
benfchlagen, fo wie geübt in anmutbiger Rede, und
erfahren in manch einer fchönen Kunft, womit er Ritter
und Frauen, Alt und Jung, zu vergnügen wußte, alfo,
daß ion Alle aufs berzlichfte liebgewannen. . Doch zu-
meift gemogen ward ihm Die fchöne Herzogstochter ſel—
ber, und wie er, um zu feinen Herrn heimzufehren,
Urlaub nehmend, vor ihre ſtand und fo hellen, freund—
leben Blickes auf fie ſchaute, da trat unbemerft eine
Thräne in ihr fehönes Auge, und fie fonnte nicht bins
dern, daß nicht der leiſe Wunſch in ihr ficy regte:
ihr Fünftiger Gemahl möge dieſem Ritter gleichen! —
Und als er nun vollends fich entfernt Datte, da fühlte
fie wohl, er habe ihr Herz mit. fich hinweg genommen,
doch gelobte fte fich, ihre Empfindung niemals. zu offene
baren und den Willen ihres Vaters zu vollbringen, denn
fie war eine fromme und gehorfame Tochter. +
97
Aber auch Dem Johannes war es gleichermaßen
ergangen. Als er, feinem Geleite voraus, über die
glänzende Morgenau der Heimath entgegen ritt, da gr
verfuchte er es umfonft, wie er e8 zu thun früher ge
wohnt war, ein Jagd-, Schlacht« oder Minnelied, de—
ren er felbjt Funftreich zu fegen mußte, in die frijche
blaue Luft hinaus zu fingen. Die wohltönende Stimme
verfagte ihm, feine Bruft war beflommen, fill finnend
ritt er vor fih hin und erwog betrübten Muthes, wie
fo große Tugend und Schönheit er an Jungfrau Mech-
tilde gefunden, und wie er fein eben lang ſolch Ge—
mahl in treuer Liebe und Verehrung halten würde,
und wie recht betrübt es doch fey, Daß Diefes num und
nimmermehr gefchehen könne.
‚Wider alle Vermuthung empfing ihn Herzog Frie-⸗
Drich von Schwaben, welchem er Boten voraudgefendet
und den glüflichen Ausgang zu wiſſen gethan, mit
gar trauriger Geberde, und redete ihn alfo an: „DO
mein lieber Freund Johannes, wie wohl und reiflich
hatte ich mein Vorhaben erwogen, und wie gedachte ich
weislich zu handeln, indem ich dir Diefe Brautwerbung
auszurichten befahl, und ift nunmehr folche eine Urfache
großer Trübfal und Unmuthes geworden; denn Du
follft wiffen, daß mein junger Herr Sohn allbereits
ohne mein Vorwiſſen feine zufünftige Gemahlin er--
wählet und ich derfelben mit einem theuren Eidfchwure
verlobet hat. Auch vermöchte ich Diele feine Wahl
nicht zu. ſchelten, denn es ift gleichermaßen: eines rei=
hen und mächtigen Herzogs Rn eine tugendvolle
7
98
Jungfrau adeligen Gemüths, in mancherlei Kunft und
Wiffenfchaften wohl unterriefen, und von großer Schön—
beit; und möchte ich felbige wohl als eine liebe Tochter
annehmen, hätte ich nicht mein Mort an Herrn Berche
told durch Dich alfbereit3 ſchon verpfändet, und wollte
ich lieber mein Leben laffen, als folches nicht einlöfen:
Geo, mein werther Johannes, bezeige Dich als einem
getreuen und verftindigen Diener und &reund, und.
entdecke mir einen Rath und Anfchlag, wie ich mein
gegebenes Wort bei Ehren behalte, ohne meinen Herrn
Sohn zu einer Gemahlfchaft zwingen zu müffen, welche
feinem Sinne alfo ſehr widerftrebet. Findeſt du ein
Mittel, ſolchem Verdruſſe zu begegnen, fo will ich es
dir lohnen mit großen Ehren und Würden und reis
chem Gute, und dich zeitlebens werth halten als mei=
nen liebſten und getreueften Freund !”
Als der Herzog geendet, da erblühete eine helle Röthe
auf dem Antlige feines Ritters Johannes, und fein
Auge leuchtete von einem füßen Soffnungsfchimmer.
Er beugte das Knie und fprach vergnügten Mutbes:
„Gnädigſter Gebieter, fo verfcheuchet denn Euren Kum—
mer, dieweil ich zuverfichtlich glaube, mit Gottes Bei-
fand Euer Vertrauen zu rechtfertigen und Euer Anz
liegen zu einem für alle Zeiten frohen Ende zu bringen,
undefihadet Eurer Ehre und gegebenen Berfprechung.
Laßt mich unverweilt von binnen und harref getroft
erwünjchter Botfchaft, Die Euch in Bälde von mir Ku?
fommen ſoll.“
Nachdem ihm ein folches verftattet worden, ie
93
Herr Johannes auf das jchleunigfte weieder zurück an.
das Hoflager des Zähringers; aber welche Töne kamen
ihm da entgegen? Wehklagen erfüllte die Burg, denn
Die Schöne und tugendreiche Derzogstochter war inzwi⸗
ichen in ein alſo ſchweres Siechthum verfallen, Daß die
erfahrenften Aerzte und Meiſter der Kunft an ihren
Auffommen verzweifelten, und für gewiß Dafür hielten,
dag binnen kurzer Friſt Die Sichel des unerbittlichen
Todes Diefe glanzvolle und füpduftende Blume son der
Erde Hinmwegnehmen würde. Kerr Johannes erbat fich
die Gnade, der Jungfrau alſogleich vorgeſtellt zu wer—
den, dieweil ex eine Botfchaft an fte allein zu bringen
gekommen fey. Als denfelben nun Herr Berchtold in
dad Gemach der Fochter geführt und er an ihr Lager
getreten, fich auf das Knie niedergelaffen; von ihr be=
merkt werden — Da fahen Alle, jo zugegen, was ih—
nen als ein Wunder des Himmel! fürkam, daß die
erbleichten Wangen der Jungfrau ein fanftes Roth
überflog, aus dem erlofchenen Auge neuer Glanz blinfte,
die gefchloffenen Lippen ein Tiebliches Lächeln jpaltete,
mund ein Blick des innigſten Wohlwoffens anf den in
tieffter Bewegung vor ihr fnieenden Sohannes fich ſenkte.
As Mechtild in Etwas fich wieder gefaßt: hatte, brach
ſie zuerft das Stillſchweigen, und hub erhobenen Saup-
tes mit leifer, aber Elarer Stimme an: yOeliebter
Herr und Vater, warum jollte ich jetzo, wo ich viel
wicht in Diefer Stunde noch von Euch und dem Leben
mich trennen muß, nicht ungefcheut das Geheimniß
vn Herzens, welches, fo mir Hoffnung längeren
100
Lebens geblieben, Durch Feine Macht der Welt über
meine Lippen gefommen wäre, nunmehr nicht freudig
befennen? Sa, mein Johannes, da ich Deine hohe Tu—
gend und adelige Sefinnung, Weisheit und Muth an
dir erkannt, da hatte meine Seele ſich Div zu eigen ge=
geben, und ich gedachte, welch ein fo großes Glück es
feyn müßte, wenn ich als dein Gemahl mein Leben
lang in getreuer Liebe dir angehören dürfte Da aber
dieſes nicht gefchehen könne, dieweil mein geliebter Herr
und Water über mich ein Anderes befchloffen, fo ge=
lobte ich bei mir, al eine getreue Tochter, in Allem -
mich gehorfam zu bezeigen. Seo nimmt Gott Die
ſchwere Berpflichtung von mir, und freudig folg’ ib
Seinem Rufe, indem ich hoffe, daß Er nach Geiner
Barmherzigkeit uns Alle nach furzer Trennung in Geis
ner Serrlichfeit vereinigen werde, und fage ich alfo
biermit euch Allen mein letztes Lebewohl!“
Als Die Jungfrau geendigt, nahm fie Herr Berchtold
mit großem Trauern in feine Arme und ſprach: „O
meine geliebte Tochter, hätte ich dieſes zuvor willen
follen, fo wollte ich dich gerne Deren Johannes zur
Gemahlin gegeben haben, und darfſt du deiner Wahl
Dich nimmer ſchämen, denn obwohl nicht von hober
Geburt oder großer Reichthume, befigt derſelbe jo hohe
Gaben und glanzuoffe Tugenden, daß er folchergeftalt
wohl ebenbürtig zu nennen !”
Auf dieſe Rede erhob fich Johannes raſch und mit
freudeftrablenden Mienen, eilte auf Herrn Berchtold und
die Jungfrau zu, drückte deren Hände zu wiederholten
101
Malen an feinen Mund, und rief alddann mit großer:
Bewegung aus: „Preis und Ehre fey dem allmächti—
gen Schöpfer Himmels und der Erden, ohne Ende ift
Seine Güte und wunderbar Sein Rath und zum
Heile!“ Hierauf entdeckte er Herrn Berchtold die Ur-
fache feiner Rüdfehr, und Alle lobeten und dankten
Gott, der fo bittere Schmerzen in füße Luft, und fo
ſchwere Trauer in aljo erquicliche Freude verfehret.
Da die Jungfrau fehnell von ihrem Siechthume ſich
erholte und wieder zu vorigen blühenden Kräften ges
langte, fo ward alsbald die Hochzeit auf Das Herr—
lichfte ausgerichtet, und erhielt Herr Johannes gleichere
maßen von Herzog Berchtold ſowohl, ald von Herzog
Sriedrichen weite Zehen und großes Gut an Burgen
und Ländereien mit reichen Gefällen und Einfünften.
Zu feinem Hauptſitze wählte er ein ſchönes Schlöß-
lein auf einem freundlichen, rebenumpflanzten Berge
am Neckar, zwifchen den Städten Waiblingen, der
Wiege des Hohenftaufengefchlechtes, Eßlingen und Stutt—
gart, von welcher herab er einen großen Theil feiner
Herrſchaft überfchauen konnte. Diefe ſchuf er aber in
Kurzem durch Freigebigfeit und Milde, Gerechtigfeit
und Weisheit zu dem blühendften und fruchtbarften
Garten des ganzen Gaues um. AU fein Lebenlang,
welches er bis zu den höchſten Jahren brachte, blieb
er feinem Herrn und Wohlthäter in Danfbarfeit und
unerſchütterlicher Treue ergeben, und nach deſſen Tode
feinem Sohne, dem nachmaligen Kaifer, den er auch
auf feinem Kreuzzuge ins heilige Land begleitete. Stets
102
übte er nach der Väter Sitte gegendAlfe, Die bei ihm
einfprachen, die bereitwilligfte Gaftlichkeit, und weil
feine Burg das Haus am Berge genannt war, fo hieß
man Herrn Johannes weit und breit nur den Wirth
am Berge. Diefer Name ift denn auch dem erlauchten
Gefchlechte der Megenten unferes Landes, und bon ihe
sen aus Diefem ſelbſt verblieben. |
VI.
Burg Salkenflein im Schwarzwald.
In einer einfamen, ganz von Bergen umfchloffenen
Ihalgegend des Schwarzwaldes, nicht ferne von Dem
gräflich von Biſſing'ſchen Marktflecken Schramberg, Tiegt
hoch auf einem fehönen Granitfelfen, unter dem Der
Waldbach Berneck Dahinraufcht, die Ruine Der ehe—
maligen Burg Falkenſtein. Kein Fuß- oder Fahrweg
führt zu den Trümmern der Burg; nur mühſam er—
ſteigt man die hohe Felſenwand, auf der die Burg ſtand,
und dann muß man von einem Bruchſtück zum andern
Hettern, um zu der eigentlichen Auine zu gelangen.
Hat man eine Höhe von 240 Fuß im Schmeiße des
Angefichtd erftiegen, fo fteht man noch einige Umfangs-
mauern des ehemaligen Wohngebäude von einer Höhe
von 30 Fuß, und gegen die Nordfeite hin die Reſte
*
103
‚der Umfangsmauer eines ecfigten Thurmd. Diefer Thurm
enthielt wohl ein ſchreckliches Verließ der Gefangenen.
Bon diefen Trümmern gebt es noch einmal aufwärts
zu einer höher liegenden Burg, Die mit der untern
durch einen verborgenen Gang in Berbindung ftand.
Auf Diefer obern Burg ſtehen nur noch Die Refte einer
Ihoröffnung mit bedeutenden Nebenmauern, welche 8
Fuß dick find. Diefe Thoröffnung foll der Sage nad
Dazu gedient haben, in einer Mafchine, die man Män-
nerfchlitten nannte, Menfchen und PBroviant an der
jähen Felfenwand auf die Burg hinaufzuzicehen. Aus
erden bat ſich auf einer überhängenden Felſenſpitze
noch Die Wand eines Thurmes erhalten, dev wohl in
alter Zeit Der Lug ind Land gemefen.
Die Gefchichte der Burg Palkenftein geht mit Ge—
wißheit bis ins Jahr 1030 zurück: fie fpielt eine wich—
tige Rolle bei den tragifchen Ausgang des edlen Her—
3098 Ernſt von Schwaben, den unfer erfter Yaterlän-
difcher Dichter, der unübdertreffliche Ludwig Uhland,
in einem herrlichen Drama verewigt hat. Wir geben
die Erzählung Diefer wichtigen Begebenheit nach dem
Bericht des Chroniſten Wippo, eines Zeitgenoffen.
„Durch Entziehtung des Reichs von Burgund, auf
das Herzog Ernft Erbichaftsanfprüche machte, hatte fich
Kaifer Konrad den Wivderwillen feines Stiefſohns zu—
gezogen. Doch er, als der Mächtigere, achtete nicht
darnach, fondern befahl dem Herzog fo wie den übri—
gen gleich unzufriedenen Fürften Des Reichs die Heeres—
folge mach Italien, Nur durch Vermittlung feiner
104
Mutter Gifela ließ fich Herzog Ernft Dazu bewegen.
Zur Belohnung dafür ertheilte Konrad ihm Die Abtei
Kempten, jo wie noch andere Ehrenbezeugungen. Das
aber däuchte dem Herzog fein Erfaß für das Erbe von
Burgund. Sobald er num aus Italien zurücfkehrte,
befchloß er, mit Gewalt feine Rechte zu erlangen. Diefen
Entſchluß befräftigten noch einige Vaſallen des Herzogs.
Ernft unternahm nun manches Feindfelige gegen den
Kaifer. Unter andern baute er eine Burg zu Zürich,
um da fich ficher zu ftellen vor feinen Feinden, Die
fih nun regen würden. Um dieß zu vollführen, nahm
er aus den Abteien St. Gallen und Reichenau, was
ihm gefiel, fo daß er beiden Klöftern einen großen
Schaden zufügte. Alles das gefchad, während der Kaifer
in Italien feine Angelegenheiten ordnete. Als er zus
rücfam, forderte er den Serzog auf eine Fürſtenver—
jammlung zu Ulm. Ernft erjchien aber nicht als Bits
tender, jondern voll Vertrauen auf die Vaſallen, melche
ihn umgaben. Aber Diefe hingen nicht fo unbedingt
an ihm, wie er gehofft hatte. Wollte alfo Ernft wohl
oder übel, jo mußte er fich feinem Stiefvater ergeben.
Der ſprach ein Urtheil über ihn, und feßte ihn gefan—
gen auf Die Burg ©iebichenftein in Sachſen. Nach
zwei Jahren wurde Ernft wieder entlaffen, und das
Herzogthun Alemannien wurde ihm wieder zugefagt,
unter Der Bedingung, daß er feinen Lehensmann Graf
Wezelo von Kyburg, der einer der fchlimmften Rath—
geber Herzog Ernſts war, dem Kaifer ausliefere. Das
thun zu wollen, follte Herzog Ernft mit einem Ed
EZ
105
bejchwören, aber er wollte nicht: fein Freund war ihm
lieber ald das Herzogthum. Da wurde Herzog Ernft
für einen Reichsfeind erklärt und des Herzogthums
förmlich entjegt. Ernft ging nun hinweg mit Den
MWenigen feiner Getreuen und fann auf neue Rathſchläge
gegen feinen Stiefyater. Er fammelte den Grafen
MWezelo und noch andere Getreuen um fich, und machte
ich an den Grafen Odo von Champagne, um Hülfe
von ihm zu erlangen. Der war ihm aber nicht zu
Willen. Da ging Ernft wieder nach Schwaben zurüd,
nahm feinen Aufenthalt in einer Wildnif, genannt der
Schwarzwald, an ficheren Orte, und lebte einige Zeit
von elender Beute. Endlich geſchah e8, Daß er von
den Leuten des Kaifers überall gedrängt wurde, daß
Einige, die dem Kaifer günftig waren, die beften Pferde,
welche der Herzog hatte, ihm hinterliftig won der Weide
wegnahmen. Als der Herzog die Pferde verloren hatte,
auf Die er fein Vertrauen fegte, da hafchte er in Der
Noth überall alle Bferde zufanmen, die er haben fonnte,
und brach mit Allen, die er um fich Hatte, aus Dem
Walde hervor. Er gedachte, e8 wäre beffer, ehrlich zu
ferben, als fehmählich zu leben. Sie famen durch
das Waldgebirge hindurch in eine Gegend, Die man
Baar nennt. Da fahen fie ein verlaßnes Echlop, Das
feine Feinde in der vorigen Nacht befegt hatten. Dad
hielt Herzog Ernft für einen Hinterhalt, den man ihm
gelegt habe. Graf Manegold nemlich, ein Vaſall des
Kaifers, der ein großes Lehen befaß von der Abtei
Reichenau, welches ibm der Kaifer und der Biſchof
196
Warmann übergeben hatte, war hier als Schußpoften
aufgeftellt worden, auf daß Herzog Ernft in dieſer
Gegend feine Verheerung durch Raub und Brand ans
richte. SIegt glaubte Ernft und feine allzufreudigen
Anhänger, Tech an feinen Feinden rächen zu können;
fie machten fich fogleich auf den Weg und rückten auf
diefelben 108. Im derfelben Abficht Hatte fich Mane-
gold mit feinen Leuten da und dorthin gerichtet, um
die Wege des Herzogs genau zu beobachten. So ger
ichah es, daß Beide fo nahe zufammentrafen, Daß fie
fich gegenfeitig fehen und anveden konnten. Es waren
aber auf Seiten Manegold8 viel mehr Kriegsleute, denn
auf Seiten des Herzogs. Keine Zögerung — fie tra—
ten zufammen und Fämpften hitzig. Auf Seiten des
Herzogs flritten Die Krieger von Born, Wuth umd
Kühnheit angetrieben, auf der andern Geite kämpften
fie für Ehre und Belohnung. Die mit dem Herzog
waren, achteten nicht des Lebens und flürzten in Den
Tod. Der Herzog fchonte Niemand in dem Treffen,
er fand aber auch Keinen, der feiner. fchonte: von
Vielen verwundet, ſank er endlich Durchbohrt nieder.
Da fiel auch der Graf Wezelo, Vaſall des Herzogs,
um deffentwillen dieß Alles gefchehen war: Adelbert
und Swerin Die Edlen und viele Andere fanden hier
ihren Tod. Auf der andern Seite fiel Graf Mane-
gold, der Urheber dieſes Streites, und mehrere An—
dere mit ihm. Der Leichnam des Herzogs wurde nah
Gonftanz gebracht, und nachdem er zuvor von. dem
Bifchof vom Banne befreit war, in der Kirche St.
r 107
Maria begraben. Der Leib Manegolds aber wurde in
der Neichenau zur Erde beftattet, Dieß geſchah am
18. Aug. 1030.”
GHundert Jahre nach diefer traurigen Begebenheit (1 130
— 1148) werden zwei Brüder von Yalfenftein genannt,
Johann, Abt von St. Georgen, und fein Bruder Reginald,
der im J. 1141 in einem Gnadenbrief zeugte, den Kaifer
Konrad dem Klofter St. Blaften auäftellte. Erſt im
Sahr 1274 erfcheinen wieder zwei Brüder, Otto und
Heinrich von Falfenftein, als Zeugen bei der Schen«
fung des Kirchenfchages zu Waldkirch. Diefe alle ges
hörten dem höheren Adel an. Vom Jahre 1305 —
1315 fommen die Brüder Conrad und Erchinger
Eigelwart, Breiherren von Falkenſtein, vor, die auf dem
- unteren Schloffe Diefes Namens in der Baar wohnten,
aber zuverläßig dem Gefihlecht derer von Falfenftein
bei Schramberg angehörten. inige Jahre fräter (1323)
wohnten auf Falfenftein die Gebrüder Eberhard, Sein:
rich und Eglof, von denen der leßtere eine Adelheid
von Landenberg (auf Schramberg) zur Che hatte.
Unter ihnen wurde Burg Falfenftein Zeuge einer gräß-
fihen That. Im Sabre 1372 wurde Graf Ulrich von
Helfenftein von etlichen Vaſallen des Grafen Eberhards
des Greiner von Würtemberg gefangen genommen und
Dem Eberhard von Falfenftein in ritterliche Haft über«
geben. Der von Falfenftein legte den Gefangenen in
die nahe, ihm gehörige Burg Namftein, wo er Ein
Jahr lang im ritterlicher Haft bleiben und gut gehal«
ten werden follte. Sobald aber die Städter, befonderd
108
die von Ulm, deren Feldobrifter Graf Ulrich von Hel—
fenftein war, von dieſer ehrlofen Gefangenjchaft hörs
ten, zogen fie mit zwei Söhnen des Grafen vor Die
Burg, um den Oefangenen zu befreien. Da wurden
die Städter durch einen Boten Kaifer Karls IV. bei
PBermeidung faiferlicher Ungnade gemahnt, von der
Belagerung der Burg Ramftein abzuftehen. Dennoch
Scheint Eberhard von Falkenftein für feinen Gefangenen
beforgt gewefen zu feyn, er möchte vor Ablauf der
Frift aus feiner Daft erlediget werden, darum befchloß
er, ihn im Schuge der Nacht, in aller Stille, mehr
in feine Nähe, auf die Burg Falkenſtein feltft zu
bringen. Aber kaum faß Der Graf von Helfenftein
im DBerließ des unteren Burggebäudes zu Palfenftein,
fo wurde ihm der Hals abgefchnitten. Wer feine Sand
bei dieſer gräßlichen Ihat im Spiele hatte, darüber ift
ein Schleier gezogen, der bis auf Diefe Stunde noch
nicht gelüftet worden. Sobald oben genannte Adelheid
von Valfenftein von diefer Mordtbat hörte, Tieß fte die
verftünmelte Leiche des Grafen von SHelfenftein in der
nicht fern von der Burg liegenden und noch jebt fie=
benden alten Kirche beerdigen und ihm ein Grabmal
errichten. Auch Tieß fie Mefjen für die Geele des Er—
mordeten leſen, denen fe immerdar anmwohnte Da
am Zage des h. Ulrichs des Jahre 1372, als Frau
Adelheid am Grabe des Ermordeten andächtig betete,
nahte eine jugendliche Frau von edler Geftalt, in Trauer
gekleidet, den Stufen des Altars und fing an bittere
lich zu weinen. Darauf verrichtete fie mit aufgehabes
109
nen Händen ihre Andacht, und fprach ein andächtig
Gebet für die Seele des ermordeten Vaters. Ehe fie
‚den Altar verließ, legte ſie ein goldenes Kreuz als
Opfer an Ddemfelben nieder. Auch Tieß fie fich das
- Grabmal ihres Vaters zeigen, das fie lange mit thrä-
nenden Augen betrachtete. Die edle Trauernde war
Catharina, die Tochter des ermordeten Orafen v. Sel-
fenftein. Sie wohnte von nun an allen Todtenmeſſen
bei, vermweilte vier Wochen bei der Nubeftätte des fel.
Vaters, und ftiftete für ihn eine ewige Meſſe. Nach—
dem fie den Prieſter reichlich beſchenkt hatte, verließ fie
Diefen Ort ihrer Wehmuth, und lieg fi) von nun an
nimmer in der Gegend fehen. Auch die edle Adelheid
von Balfenflein verließ bald darauf Die Burg, da die
Unthat gejchehen war.
Im Jahr 1440 hatte die Burg wieder eine Gefahr
zu überfiehen. Zwei Berwandte, Jakob und Conrad
von Falkenſtein, Damals Ganerben auf der Burg, ge—
riethen wegen ihrer Befigungen mit einander in Streit.
In Folge deffen überrumpelte Conrad von Falfenftein
mit feinen Reiſigen Sand Hak von Waldnau und
Hans von Ramſtein im 1444. Jahr feinen Vetter
Safob, der an feinen folchen Ueberfall dachte, Er
Drang mit feinen Genofjen in dem Vorhof des unteren
Schloſſes, bejegte in größter Eile den Thurm, ver-
wundete einige Edelknechte, und nahm Diefe fo wie
feinen Vetter gefangen. Die Beinde hätten beinahe
auch das obere Burggebäude erftiegen, wenn nicht Die
Tochter Jakobs und der bei ihr fich aufhaltende Bräu⸗
10
\
tigam Die mit dem untern Schloß verbindende Zug-
brüce hätte ſchnell aufziehen laffen und einen Pfeilres
gen auf die Anftürmenden herabgeſendet hätte, Bei
diefem Lieberfall zeigte Die Tochter Jakobs einen ritter=
lichen Muth, und trug Alles bei, um die Feinde ab-
zutreiben. Bald mußte Conrad feinen Better wieder
der Haft entlaffen, mußte Die Kriegsfoften und den
Schaden erfegen und vor dem Sofgericht zu Rotweil
dem Better Abbitte thun.
Doch hörten die Streitigkeiten unter Diefen verwand—
ten Ganerben von Falfenftein niet auf, bis fie Die
verfehiedenen Burgen und Güter in der Mitte des 19.
Jahrhunderts theilten. Don nun am nannte fich eine
Linie die von Falfenftein zu Falfenftein, Die andere Die
von Palfenftein zu Namftein. Die Beſitzungen der er—
fteren Linie zur Hälfte kamen im Jahr 1444— 1449
Durch Kauf an Graf Ludwig von Wirtemberg, Die der
Balkenftein-Ramftein Durch Heirath an Hanſen v. Rech—
berg, und von Diefem an. feinen Schwager Hans von
Zandenberg. Mit der Mitte des 16. Jahrhunderts
batte die fo hoch angefehene Familie von Falfenftein
ihre fämmtlichen Stammgüter verloren. Die Söhne
George, des Letzten von Falfenftein, find fchon im J.
1558 in den bürgerlichen Stand herabgefunfen, und
jte verheiratheten fich mit bürgerliihen Töchtern in Der
Stadt Villingen.
Mann die Burg Falfenftein Ruine geworden, läßt
jich nicht mit Gewißheit angeben; nach einer münde
— Sage wurde ſie durch die Rotweiler und andre
114
Reichsſtädte im Jahr 1491 zerſtört. — Ueber die
Entftehung des Namens der Burg noch eme ſchöne
Sage. BB
Die Sage von dem weißen Falken.
In den älteften Zeiten hieß die Burg Falkenſtein
nur der Stein, wie viele andere Burgen des deut—
ſchen Landes den Namen Stein führen, und noch jeßt
ein nicht ferne von Falfenftein wohnendes Geſchlecht
den Namen „son Stein” trägt. Wie die Burg Fal—
tenftein ihren Namen erhielt, darüber gebt im Munde
des Volks folgende Sage:
In jenen Tagen, als Gottfried von Bouillon mit
vielen Nittern und Herren nach Paläftina zog, um
das h. Grab aus der Hand der Ungläubigen zu bes
freien, befand fich unter der Zahl derer, welche den
Bahnen des Kreuzes folgten, auch ein Nitter, genannt
Kuno Yon Stein im Schwarzwald. Bein Abfchied
von Daufe hatte er: zu feiner holden Gemahlin, Se—
lindis von Höwin, geſagt: „Wenn ich nad) Jahresfrift
nicht wieberfehre, dann bin ich todt und Du darfſt
meiner nicht Länger harren.“ Als er dieß gejagt, fühte
er noch einmal die Betrübte, beftieg fein Streitroß und
ſchloß fich der Schaar feiner Genofjen an. Mit Thrä—
nen im den Augen blickte Selindis dem Scheidenden
nach, bis fein Selmbufch Hinter den dunfeln Tannen
verſchwand. Eine 'innere Stimme fagte ihr, daß fie
112
ihn Tange nicht, vielleicht nie wieder fehen würde.
Bald, nachdem die Kreuzfahrer ın Den erfehnten Lande
angefonmen waren, folgten Kämpfe auf Kämpfe bis
in die Näbe der heil. Stadt, und jeden Fuß Breit
mußten die ritterlichen Streiter mit theurem Blute von
den Saragenen erfaufen. Doch erreichten fie endlich)
das Ziel ihrer Münfche, fie fahen die Zinnen der heil.
Stadt, und begrüßten auf den Knieen den gemeihten
Boden, wo einft der Erlöfer der Welt gelitten hatte
und geftorben war: Aber nicht Allen, welche an dem
Zuge Theil genommen hatten, wurde dieſes Glück zu
Theil: viele fahen nur die Stadt, ohne die Thore be-
treten zu Dürfen. Unter ihnen war auch der Ritter
Kuno von Stein. Noch unter den Thoren der heil.
Stadt begann ein blutiger Kampf. Kuno drängte fich
in das Gefecht, wo ed am higigften war, wurde von
dem Feinde umzingelt, und, ob er gleich ftritt wie ein
Löwe, mußte er Doch zuleßt Der Uebermacht weichen,
und wurde von den Feinden als Gefangener davonges .
führt. Ein trauriges Loos empfing den unglüdlichen
Nitter unter den Saragenen ; er wurde als Sklave ver-
Fauft und in Das Innere des Landes fortgefchleppt,
wo er gleich den Zugvieh an das Joch des Pfluges
gefpannt, unter den Beitfchenhieben des unbarmberzigen
Treibers Das Feld umacern mußte So ging ein Jahr
dahin, dem Ritter in Bein und Dual der Knechtfchaft,
feiner Gemahlin in der Heimath in Schmerz der Sehn-
fucht nach dem Entfernten. Eines Abends — Kuno
batte eben ſein Tagwerk vollendet — wurde er mit
113
noch andere Genoſſen feines Unglücks wie ein Vieh aus
dem Pflug geſpannt und nach Haufe getrieben, um
auszuruhen und für Die Mühe des folgenden Tages
neue Kräfte zu ſammeln. Aber Der Ritter fand feine
Rue ; feine Gedanfen ſchweiften hinüber in die ferne
Seimath, er gedachte feiner geliebten Gemahlin, und
RR gerade jetzt ein Jahr verfloffen wäre, jeit er fie
verlaſſen und dag Wort gejprochen hatte: wenn ich
nach Jahresfrift nicht wiederfehre, darfſt du nimmer-
mehr meiner harren. Cine unendliche Sehnfucht,, Die
theure Seimath und die geliebte Gemahlin wieder zu
ſehen, befiel ihn bei Diefenn Gedanfen. „Ach! Daß ich
fliegen Fünnte über Länder und Meere!" rief er oft
aus, „um nur auf wenige Augenblice die Burg der Vä—
‚ter und meine Gemahlin wieder zu fehen, gerne wollte
ic) Dann wieder zurückkehren in meine Knechtfihaft, in
der ich täglich fehmachte.” Kaum hatte er das Wort
ausgefprochen, da ftand vor feinem Strohlager, auf
das er fich eben ermüdet hingeworfen hatte, eine Geftalt,
deren Gefichtözüge er zwar in der Dämmerung nicht zu
unterfcheiden vermochte, aber Deutlich vernahm .er die
Worte: „Herr Ritter im Pfluge, ift Eure Sehnſucht
nach Seimath und Gemahlin fo groß, jo läßt fich leicht
helfen.” Wer bift du, unheimliches Wefen, rief Kuno,
indem er fich aufrichtete, Die Augen rieb und der Ge-
ſtalt unerfchroden in's Antlig ſchaute. Ein Geficht mit
widrigen Zügen grinzte ihn an. „Dein guter Freund
bin ich,” antwortete die Geftalt — „ver wegen feiner
anderen Abſicht da iſt, als, um dich zu erlöſen aus
8
114
deiner. traurigen Tage, und der Dich wieder zurückführen will
in Die Arme deiner Gemahlin, Die voll Sehnſucht dei—
ner harret; fpute Dich, denn wer weiß, ob. deine Gattin.
noch lange fret feyn wird, fintemal fo gar Viele um.
fie werben und fie noch in hoher Jugendblüthe ſteht. *
Willſt du dich aber meiner Führung anvertrauen, Hl
ift dir nichts als Entſchloſſenheit noth.“ „Sag' an,“
fprach der Ritter, „was foll ich thun? wie willft du
nich nach Hauſe bringen und im wie viel Zeit?" —
„Herr Ritter im Pflug,” entgegnete der Unbefannte
lachend — „bei uns rechnet man nicht nach Tagen, ger
biete vielmehr, in wie viel Stunden icy dich hinführen
fol, und dein Wunfch foll ftrads in Erfüllung gehen.“
Der Nitter befann fich eine Weile ; nicht ohne einiges
Grauen betrachtete er die lange, hagere Geftalt des Man—
nes, der vor ihm fand, und es fehlen ihm Anfangs
nicht gerathen, fich deffen Führung anzuvertrauen. „Willft
du, oder willft du nicht ?” fragte diefer jegt ungeduldig
— „dir gefchiebt ja der Dienft, nicht mir; bedenfe nur
deine fehreefliche Lage, in der du noch lange fehmachten
£annft, bedenke die Freude, wenn du Deine Gattin wieder
ſtehſt, Die jeßt noch, aber vielleicht bald nimmer, Deiner
wartet; ja oder nein, ich muß es wiſſen.“ Die legten
Morte des Mannes brachten den Ritter zum Entfchlufje.
„Ich will mich dir anvertrauen, unheimliches Weſen,“
tief Kumo ; aber man fah wohl, daß ihm das Wort
jchwer vom Munde ging — „bringe mich dahin, wohin
mein Herz fich ſehnt und zwar fo ſchnell als möglich.“
— „Alſo wären wir fomweit im Reinen“ — verjeßte
115
der Unbefannte — „aber während ich Bir verfpreche,
einen Dienft zu Teiften, haben wir Die Bedingung ver—
| geffen, die Du mir dagegen zu leiten haft, und dieſe
befteht, Damit ich dir's kurz jage, darin, daß du mir
verſprichſt, von nun an mein Eigenmann zu ſeyn mit
Leib und Seele, im Fall du, während ich dich in die
Heimath führe, in Schlaf fällſt; bleibſt du aber wäh—
rend dieſer Zeit und bis zur Ankunft daſelbſt wachend,
ſo biſt du deines Verſprechens quitt, und ich erhalte
dafür nichts, daß ich dich tauſend Stunden weit ge—
tragen habe.“ — „Es ſey,“ verſetzte der Ritter, „aber
ehe die Sonne hinter den Bergen hervortaucht, will ich
in der Deimath feyn; nimm mein Wort, ich folge dir.”
— „Dein Wort in Ehren,” fagte Der hagere Dann,
„aber bei jedem Pakt muß eine Unterfchrift feyn, es
ft für Leben und Sterben.” — „So trauft du aljo mei—
nem ritterlichen Worte nicht ?" rief Kuno von Stein,
ich habe e8 noch nie in meinem Leben gebrochen.” —
„Herr,“ entgegnete der hagere Mann, „aber man geht
halt doch ficherer, wenn man Schwarz auf Weiß, oder
wie ich es lieber habe, Roth auf Weiß beſitzt.“ Mit
diefen Worten z0g er einen Pergamentftreifen und eine
Feder hervor und hielt Beides dem Nitter bin. Diefer
wies Das Angebotene lange von fich, und befonders,
als der Unheimliche mit der Feder eines der Blutge—
ſchwüre, Die des Treibers Beitfche dem Nitter an Die
Hand gefchlagen hatte, aufrigte und Die Feder in Das
Blut tauchte — da beftel ihn ein heftiger Schauer.
„Man muß fich zu helfen wiffen, wenn man feine
116
Zinte hat," ſagte fcheinbar gleichgültig der Hagere, bot
aber gleich darauf alle Künfle der Ueberredung auf,
un den Ritter zur Umnterfchrift feines Namens zu ver
mögen. Mit zitternder Hand ergriff Kuno endlich Die.
Feder und fihrieb auf das Pergament fein Namens-
zeichen, wie er e8 gemöhnlich zu fchreiben pflegte. Schnell
nahm der Mann den Pergamentftreifen wieder zur Hand
und verbarg ihn unter den Falten eines Mantels, der
feinen ganzen Körper bis zu den Füßen hinab einhüllte.
„Friſch auf, Kerr Ritter!” rief er mit höhniſchem La—
chen, „raſch und ohne Furcht das Roß beftiegen, Das
Euch in wenigen Stunden an Ort und Stelle bringen
wird.” Dieß gejagt, war der Unbekannte verfchwunden,
an feiner Stelle dagegen ftand ein Löwe mit mwallender
Deihne, aber nicht wild ausfehend, wie einer, der blut-
gierig aus Lybiens Wüften bervorbricht, ſondern wie
einer, der jeine Wildheit gänzlich verlernt hat und ko—
fend feinem Meifter fich zu Süßen fehmiegt. Gehorſam
beugte er feinen Rüden vor dem Ritter, und es war,
als 05 er zu ihm fagen wollte: DVertraue Dich kühn
meinem Nacken an, ich will dich ficher an Ort und
Stelle bringen. Kuno Tieß fich nicht lange von dem
freundlichen Blick des Löwen mahnen: voll Zuverficht
ſchwang er fih auf den Nüden des feltfamen Roſſes,
und es däuchte ihn, als ob er nie ficherer und beque=
mer in einem Sattel gefeffen hätte. Sobald der Löwe
den Reiter auf feinem Rücken fühlte, erhob er fich wie:
mit Slügeln in Die Lüfte, und im Nu war unter ihnen
der Ort verfchwunden, mo der Ritter biäher wie ein
117
Laftthier gequält worden war. Bfeilfchnell gieng es
dahin über Berge und Meere, und in Kurzem war dem
Nitter nicht mehr bange auf dem ungewöhnlichen Reit-
gaul; feft fchloß er feine Füße um die weichen enden
des Löwen, während er die Sand um Die wallende
Mähne ichlang und fich derjelben als eines Zügels be-
diente. Aber während er dahin ritt, mar e8 ibm, als
ob ein unabmehrbarer Schlaf ſich auf feine Augenlieder
niederfenfen wollte. Drei Nächte waren dem Ritter
ohne Schlaf Dahingegangen, der Schmerz der Wunden,
die der Treiber feinem Leib gejchlagen hatte, hatte bis
Dahin Den Schlaf von feinen Augen ferne gehalten.
Jetzt Dachte er mit Angſt des ſchrecklichen Verſprechens,
er wolle mit Leib und Seele dem dienftbaren Geift zu
eigen werden, wenn er einfchlafe, und dieß hielt jedege
mal den Schlaf von ihm zurück, wenn er ihn über-
mannen wollt. Mit einen Male aber war es ihm,
als ob er, wie in den Tagen feiner Kindheit, fanft in
einer Miege gefchaufelt würde; Traumbilder aus der
Heimath und vom feligen Wiederfehn begannen, feine
Phantaſie zu umganfeln. Er fenfte fein Haupt auf
die Mähne des Löwen nieder, um fich dem Schlummer
zu überlaffen, da fühlte er plöglich einen fanften Schlag
auf fein Haupt; erftaunt fuhr er. mit dem Kopfe in
die Höhe und fah einen herrlichen weißen Falken über
jich in der Höhe fehweben. Aber bald ließ er fein mü-
des Haupt wieder ſinken, neue Traumbilder nahten
ihm, und er fühlte einen zweiten Schlag, wie von den
Bedern eines Vogels; er fuhr wieder aus der Betäu-
118
bung auf, und dicht über ihm wehten dießmal die Fit-
tige des weißen Falken.
Den hat mir ein gütiger Gott gefendet, ſprach Der
Ritter bey fich, auf daß er mich errette aus der Hand
defien, der nach meiner Seele verlangt.
Jegt war es ihm ganz Klar gemorden, um welch’
theuren Preis er die Rückkehr in Die Heimath und Das
Wiederſehn feiner Gattin erfauft habe, darum nahm er
ich von Neuem vor, wach zu bleiben, um die Soffnung
des böfen Geiftes zu nichte zu machen. Aber fein Vor—
baben wurde bald wieder vereitelt; mit Macht drückte
der Schlaf wieder auf feine Augenlieder, und er ſank
zum dritten Mal auf die Mähne des Löwen, um fi
dem Schlafe zu überlaffen, dem er jo lange mit aller
Gewalt widerſtrebt hatte. Da raufchte e8 zum Dritten
Male über ihm; erfchroden fuhr er wieder auf, und
fein Haupt berührte noch die Schwingen des weißen
Falken, der ihn durch feinen Slügelfchlag fo eben wie
der von Schlaf abgehalten hatte. Als er um fich
blickte, fah er weit unter fich in der Morgendämmerung
einen jchwarzen Gtreifen, der fich ihm bald als einen
weithin ausgedehnten Wald zu erkennen gab; zugleich
fenfte fich auch der Flug des Löwen immer tiefer. Bald
erfannte der Ritter Die Zinnen einer Burg, die fich auf
fteilen, von Tannen umwachfenen Beljen erhob, nah
melcher der Löwe feine Richtung nahm; hell und friſch
blickte er um fich, als ihn der Löwe vor dem Thore
feiner mohlbefannten Burg niederfegte. In dem Au—
genbli, da Ritter Kuno den Boden berührte, fiel der
119
Vergamentftreifen vor ihm nieder, auf dem er feinen
Namen unterfchrieben hatte; das Pergament war Durch
und Durch zerriffen. Zu gleicher Zeit erhob fich ein
fchreeflicher Sturmwind, dag die Zinnen der Burg er-
bebten, ihre Thürme wankten und Der Fels bis in feine
Tiefen zitterte. Der Sturm dauerte fo lange, bis Die
Sonne binter den Bergen hervorftieg. Der Ritter blickte
auf — oben auf der Spike des höchften Ihurmes ſaß Der -
Falke, und die erften Strahlen der Sonne vergoldeten
fein meißes Gefieder ; da ftreefte Kuno feine Hände aus
und winfte dem Balken, der fein Netter geworden,
feinen Danf zu, bis der Vogel verfchwand, als die
Sonne über den Thälern ftrahlte. Sein Herz aber rich—
tete ſich im ftillen Danfgebet zu demjenigen empor,
der den Balken zur Rettung jeiner Seele gefandt hatte.
Und num eilteer in die Burg zum froben Wiederfehen
der Gattin, die den lang Erfehnten freudig in ihre Arme
ſchloß. Zum Andenken an feine Rettung nahm Ritter
Kuno von Stein den Falken in fein Wappen auf und
nannte Burg und Gefchleht nach ibm Falkenſtein.
129
IX.
Die Kapelle St. Wendel zum Stein
im Jagſtthal.
Wandern wir von dem Ufer des Kochers durch Die
gewerbreiche Stadt Künzelsau, mit Recht Klein Nürnberg
genannt, die Höhe hinan, fo gelangen wir in 21%
Stunden zu Den Ufern der jäh dahin frömenden Jagft.
Ehe wir aber ins Thal wieder hinabfteigen, lohnt uns
eine Tiebliche Ausſicht. Zu unſern Füßen liegt das
Dorf Hohebach mit feiner bekannten ftattlichen Brücke
mit 4 Bogen; rechts breiten fich fruchtbare Rebenge—
lände aus, zur Linken haben wir ein waldiges Ufer, von
dem die fchönjten Tufffteine zu Tag geben, Die man
weit und breit finden kann — an dem fehönften Vor-
fprung derſelben Elebt die Kleine Kapelle St. Wendel
zum Stein, von dem Volk nur die GSteinfapel ges
nannt. Aus geringer Ferne winkt der ftattliche Marft-
jleefen Dörzbach mit feinen alterthümlichen, aber recht
wohnlichen Schloffe der Freiherren von Eyb. — Wir
überfehen eine der lieblichften Strecken des Jagſtthals —
doch Das Schönfte in ihrer Mitte it die Steinfapelle,
auf die wir zupilgern, aber nicht auf der Landſtraße,
denn von da aus führt Fein Steg über Die Jagft, fon=
dern am linfen Ufer des Floßes, größtentheild auf ei—
nem angenehmen Waldwege. In einer ftarfen Bier
telflunde gelangen wir zu dem Felſen, unter dem Die
121
Kapelle liegt. Don diefem Felſen, der wie ein Altar
aus dem Thal in die Höhe ragt umd in feiner Mitte
eine fchöne Linde trägt, fleigen wir auf einem jähen
Pfade hinunter zur Kapelle. Wohl wegen ihrer eigen-
thümlichen Lage, vermöge der fie an dem Tuffiteinfels
(Stein) gleichfam anklebt, hat die Kapelle den Namen
zum Stein, oder geradezu Steinfapelle erhalten. Ihr
Sockel bildet mit dem Tufffteinfels gleichfam eine Maffe,
fo Daß man kaum mehr unterfcheiden kann, was Fels
oder Gemäuer if. Aus diefem Sodel find fünf mäch-
tige Ahornbäume bervorgemachfen, die fait bis an das
Dach der Kapelle reichen, und ihr ein malerifches Aus—
jehen geben. Die Steinfapelle ift im einfachen gotbifchen
Styl gebaut, und hat ein kleines Thürmchen mit eine
fachem Kreuze. Zwiſchen den größeren Penftern und
den Chorpfeiler gegen Hohebach ift eine Schrift, Die
einem Steinmebzeichen gleicht, eingehauen. Der größere,
rundbogige Eingang liegt gegen Kohebach, ein kleinerer
gegen Dörzbach foll noch im Jahre 1790 auf dem
Thürſturz die Jahrzahl 1515 gehabt haben. Treten wir
in die Kapelle ein, fo fehen wir auch hier wieder, wie
fle ihren Namen zum Stein mit Necht trägt, denn der
rohe zerklüftete Tufffleinfels bildet ihre Giebelſeite. Ihr
Plafond it ein hölzernes Getäfel, das mit zierlichen
Arabesken bemalt if. Zur Linken in der Kapelle
ſteht ein einfacher fteinerner Nebenaltar, auf dem meh—
rere Holzbilder aufgeftellt find, unter andern Et.
Veit und St. Wendelin, welches letztere Bild wohl
no aus dem 15. Jahrhundert ſtammt. Ueber dem
122
Eingang in den Chor fteht die Jahreszahl 1520, welche
wohl auf die Zeit einer Nenovation hinmeist. Die
Decke des Chors ift ſchön gewölbt. Im Chor jteht
ein einfacher Altar mit einer nicht ohne Kunft gear=
beiteten Bildtafel aus Marmor. Ein ftattlicher Ritter
im Harnifch kniet vor einem Grucifir, ihm gegenüber
ein Srauenbild mit Iosgewundenen Haaren. Im Ges
ſims des Altarbilds ift ein befonders Funftreich gear-
beitetes Bild von Gott Vater angebracht. Die Infchrift
lautet: der wol edel geftrenge Sebaſt. Strobi,
der Zeit in des Herrn Obriſt Schönberg.
Meg. bei Herrn Obriſt Leutenants Compagni
Gornei hat Dis werd auf fein coſten hieher
fertigen laßen Anno 1630. Bon der Kapelle
führt eine Pforte aufwärts zu dem Felſen, an dem fie
angebaut ift. Steigt man einige Stufen hinan, fo befindet
man fich in einer weiten Grotte, da man oben am Fel—
fen noch Die Spuren des Dachgiebeld einer früher Das
geftandenen Wohnung wahrnimmt. Geht man zur
Linken auf der in Feld gehauenen Treppe weiter auf-
wärts, fo fommt man in eine von Nauch gefchwärzte
Höhlung, welche eine Vorderwand mit Senfterlein hat.
Beide Grotten follen in früherer Zeit dier Wohnung
eines Einſtedlers geweſen ſeyn; Die Volksſage erklärt
ſie auch für die Wohnung einer ehmals ſehr berüchtig—
ten Vagabundin, genannt Britſchen-Babele (vielleicht
Brigitta Barbara); daher hieß man noch lange dieſe
Höhle Britfchen Babele's Loch. Neben der Kapelle ſteht
ein altes Küfterhäuschen, in deffen unterem Raume
123
eine Flare Quelle fich befindet. — Das Eigentbum und
Einfommen der Kapelle befteht in dem Ertrag des über
ihr liegenden Waldes, fo wie der umliegenden Güter-
ſtücke, wozu der Erlös der zu beiden Seiten liegenden
Tufffteinfelfen zu rechnen ift, welche nach und nach aus
geweidet werden. — Das Gefchichtliche über Die Kapelle
befteht nur in wenigen Notizen. Als Engelhard von
Berlichingen im Jahr 1478 von Sans von Bachenften
feinen Antbeil an Dörzbach erfaufte, da behielt der Ver⸗
fäufer für fich vor feine geiftlichen Lehen, darunter auch
das Kapelin zum Stein. Im Jahr 1491 ver-
kaufte Albrecht von Bachenftein den Kirchenfaß der Pfarr—
firche zu Dörzbach, mit dem Stein Darob gelegen,
an Herrn Gög von Berlichingen. Unter den Herren yon
Berlichingen wurde Die Kapelle zufolge der obengenannten
Jahrzahl renovirt, alfo beftand fie fehon in viel frühes
rer Zeit. Vielleicht ift der Chor erft im Jahr 1520
an die Kapelle angebaut worden. — Die Kapelle St.
Wendel zum Stein war fihon feit alten Zeiten eine
viel befuchte Wallfahrt, in der durch einen Geiftlichen
von Dörzbach Meſſe gelefen wurde, Noch im Jahr
4561 heißt es in einer Urfunde: „die Kapelle zum
Stein, welche von dem evangelifchen Pfarrherrn zu Dörze
bach, der darefidiren wird, verfehen werden fol.” Demnach
war nicht nur am Tage St. Wendelins (20. Okt).,
wenn man bieher wallfahrtete, fondern wohl in jeder
Woche in der Kavelle ein Gottesdienft. Darum mohnte
auch jeder Zeit neben der Kapelle der fogenannte Ka—
pellenmann oder Sakriftan. Noch jebt dauert die Wall-
124
fahrt fort, Denn jedes Jahr an ©t. Wendelin Tag
wallen Schaaren von Andächtigen aus der Nähe und
Ferne der Kapelle zu, und feiner verläßt die heilige
Stätte, ohne ein Scherflein in den Opferitocf zu legen. —
Bis in Die Ießte Hälfte des 17. Jahrhunderts fand ein
eigner Gebrauch Statt von Seiten der proteftantifchen
Anwohner der Kapelle. Je am Balmfonntag Famen Die
(edigen Leute von Hohebach auf einem verfteinten Wege
in die Kapelle und: fangen Paſſionslieder. Uber Die
fromme Gemohnheit artete aus: die zufanımentreffenden
Hohebacher und Dörzbacher geriethen vom Singen ind
Streiten und Zanfen, da die Dörzbacher das Erjcheinen
der Dohebacher in der Kapelle für einen Eingriff in ihre
Territorialgerechtigkeit hielten. Vom Streiten Fam es
zu Balgereien, wobei die jungen Leute von beiden Ge—
meinden gegenfeitig Die Kraft ihrer Fäuſte aneinander
versuchten. So mußte diefe Wallfahrt abgeftellt werden.
Nur der Geiftliche, begleitet vom Seiligenmeifter, begleitet
von Alten und Jungen, geht jest am Balmfontage auf die
Kapelle, um den Inhalt des Opferſtocks zu erheben, der
in die heilige Kaffe fällt. An die Stelle des wieder
freundlichen Zufammenfommens bei der Kapelle ift ein
liebliches Kinderfeft, der jährlibe Maientag, getreten,
Der auf dem Felfen-Plateau über der Kapelle bei der
bekannten Matenlinde abgehalten, und von allen An—
wohnern des Jagſtthals, thalauf> und thalabwärts,
befucht wird.
Ueber die Gründung der Kapelle geben wir eine lieb—
liche Sage.
125
Der Bau der Steinfapelle.
Es war einmal ein Schäfer im nahen Dorfe Dörzbach
— fo erzählt die Volksſage — bei welcher nur das Wort
gilt:
Es war post Christum natum,
Man weiß nit mehr das Datum.
Diefer Schäfer fand an der Stelle, da er feine Schaafe
weidete, einen großen Geldfchag, der ihn auf einmal zu
einem reichen Manne machte. Damals mußten die Leute
das Geld beffer anzuwenden als jeßt, wenn fie Dejjen
mehr hatten, als fie bedurften. Statt, daß fie große
und ftattliche Häufer bauten, oder prächtige Geſpanne
anfchafften, um mit zween oder auch vier Schimmeln
zu fahren, widmete man folches, von Gott gejchenfte
Geld, wieder zu Gottes Ehren an, entweder, um Spi—
tale für Arme und Preßthafte zu ftiften, oder um Sir
chen und Kapellen zur Vermehrung der Andacht zu
bauen. Zu legterem frommen Zwecke beftimmte nun
auch der genannte Schäfer feinen Geldſchatz, und be—
Schloß, an demfelben Orte, mo. er dad Geld gefunden,
dem Herrn zu Ehren, der ihm den Segen befcheert hatte,
eine Heine Kirche oder Kapelle zu erbauen. Der Platz,
wo der Schäfer den Schag ua foll über dem Fels
gewefen feyn, nahe beim Walde; darum ließ er Steine
und Alles, was man zum Bau einer Kapelle bedarf,
dahin fchaffen. Schon waren die Steine behauen, und
das Holz zugerichtet, und der Graben ausgeworfen, in
125
welchen das Fundament eingefegt werden follte, ftebe da!
über Nacht wurden Holz und Steine hinüber gewälzt
bis an das Ufer der Jagſt und Niemand mußte, wie
es gefchehen war. Demungeachtet wurden Holz und
Steine wieder auf den Felfen hinauf gefchafft und das
Fundament eingefegt. Am Morgen lagen Die Steine
wieder unter dem Felfen, jedoch nicht mehr unter und
übereinander, fondern an Der Stelle, wo jeßt die Ka—
pelle fteht, und zwar gerade fo aufgefeßt und geordnet,
wie das oben fchon eingefegte Fundament geftanden
hatte. Da verbrach fich der Stifter Der Kapelle nicht
mehr Den Kopf über der Sauce; er ließ auch Feine
Steine in der Nacht auf den früheren Plag mehr ftellen,
um zu erfahren, Durch weſſen Hand Solches gejchehen
war, denn damals glaubte man noch mehr, al jet,
an das Walten unfichtbarer Mächte. Darum wollte er
Diefer unfichtbaren höheren Gewalt nicht widerftehen,
fondern er erfannte darin Gottes Willen, daß Die Ka—
pelle nicht über, fondern unten am Felſen im Tieblichen
Thale erbaut werden follte. Alsbald ließ der Stifter
auf dem Vundamente, Das eine unfichtbare Macht ein—
gefeßt hatte, fortbauen, und die Kapelle gedieh fo ſchnell
bis zum Giebel, daß Jedmänniglich erkennen mußte, wie
der Bau nicht nur Durch Gottes Willen, fondern unter
feiner fichtbaren Unterflügung zu Stande fanı. Kein Ar—
beiter wurde müde, fo fleißig er auch war, fein Schweiß
rann von der Stirne der Steinmegen, ihre ganze Ar—
beit war wie ein Spielwerk — Denn Der Kerr baute
fein Haus. Als die Kapelle daſtand, fertig und vol-
127
lendet His zum Ihürmlein, in dem das Glöcklein Klang,
da trat der fromme Schäfer freudig über die Schwelle ;
er ftellte das alte Schnigbild des heiligen Wendelins
-auf den Altar und fprach mit freudethränendem Blide:
dem Schugpatron der Hirten foll die Kapelle geheiliget
jeyn, denn ich bin ein Schäferemann! Dann fniete
er nieder an den Stufen des Altars, über dem Das Bild
des Gefreuzigten aufgerichtet war, und faltete jeine Hände
zu einem andächtigen Gebet; er blickte auf zu dem Bil
des Gefreuzigten, und von dem Bilde weg zu Demi, der
nun erhöhet ift zur Herrlichkeit feines Waters, Die ihm
von Ewigkeit ber bereitet ifl. Die Kapelle wurde bald
darauf von dem Bifchof zu Würzburg feierlich geweiht
zu Ehren Wendelins des Gottesheiligen. Seitdem hieß
ſie die Kapelle St. Wendels zum Stein, zum Un-
terfchied von andern Kapellen der Umgegend, die den—
jelben Heiligen zum Patron haben ; fie wurde alljährlic)
am Tage des heiligen Wendelin von Schaaren frommer
Mallfahrer befucht. Aber am häufigften wallete Der
fromme Schäfer zu Der von ihm geſtifteten Kapelle.
3a, al3 er alt und ſchwach war und feinem Berufe
nimmer abwarten Eonnte, zog er für immer in die Nähe
der Kapelle, Denn er hatte weder Weib noch Kinder.
Er baute von der Habe, Die er noch befaß, ein Eleines
äuslein, das noch ftehende, in dem der Kapellenmann
wohnt, und widmete fich dem Dienfte in der Kapelle.
So oft der Frühmeßner von Dörzbach darin die Mefie
las, abminiftrirte er als Sakriſtan; auch Täutete er das
Glöcklein auf dem Thurme des Morgens und des Abends
128
und gar mancher Wanderer, der auf der Straße über
der Jagft vorüber ging, betete beim Klange des Glöck—
leins andächtiglich fein Ave Mergen. ines Abends,
an einem Falten Wintertage, Täutete er das Glöcklein,
aber er that nur einige Züge am Strange, und Die
Töne verffangen, wie die traurigen Töne eines Todten—
glökleins. Am andern Morgen tönte das Glöcklein
nimmer. Als einige Leute von Dörzbach auf die Ka—
velle famen, lag der fromme Kapellenmann erflarrt an
den Stufen des Altars, über den Strang des Glöckleins
fromm die Hände gefaltet. Noch einmal flang das
Glöcklein traurig, als man es läutete über des Kapel-
lenmanns offenem Grabe neben der Kapelle. — Zum
dritten Mal Flang es traurig, und dann nimmer. Als
nämlich nach der Reformation der Gottesdienft in der Ka:
yelle nach und nach in Abgang Fam, wurde auch das Ge—
läute immer feltener. Da fanden die von Dürzhach es für
gut, Das Glöcklein von hellem Metall in ihrer Kirche
aufzubängen. Aber als man es zum erftien Mal an—
zog, ließ es einen ſchrillenden Klagelaut vernehmen, und
verftummte: es war von oben bis unten zerjprungen.
— Erſt feit neuerer Zeit hört man wieder Morgens
und Abends eines Glöckleins Klang. Edle Freundin=
nen der Kapelle find vor Jahren freundlich zufammen-
getreten und haben ein neues Glöcklein geftiftet. 4.
„ 123
| X. —*
Schloß Magenheim
im Zabergäu.
Auf einem nördlichen Vorſprung des Michelsbergs,
rückwärts durch eine ſchroffe Kluft von dieſem getrennt,
oberhalb des Dorfs Kleebronn, liegt das Schloß Magen—
heim, das dem Grafen von Uexküll feine Wiederherſtellung
im antifen Style verdanft. Es ruht auf einer gewalti—
gen Belfenmaffe, bat ſehr diefe und hohe Mauern von
Bodelfteinen, und auf der Südſeite unten gothiſche
Fenſter. Im Erdgefchoffe, wo fich dermalen ein Keller
befindet, fcheint früher ein großer Saal gemefen zu feyn,
auch auf der fihon genannten Südſeite eine Kapelle.
Ein mafftver vierefigter Thurm, in gleicher Höhe
mit dem Schloffe, enthielt ein tiefes Burgverließ, wurde
ſchon vor Jahren abgebrochen, und die Steine davon
wanderten nach Erligheim. Auf der Burg genießt man
eine fehöne Ausficht über den Zabergau, den fie in al-
tev Zeit beherrfchte. Cine zweite Burg fland in ur—
alten Zeiten oben auf dem Michelöberg, Die zuerft Lu—
naburg (castrum June, Mondburg) geheißen haben
; fpäter, nach dem Abgang der Römer, nahm jte
ein deutſcher Häuptling in Befig, und nannte fich nach
ihr Herr von Monheim (Mondheim), Magenheim, was
noch dadurch beftätigt wird, daß dieſes Gefchlecht zmei
Halbmonde im Wappen führt. Wenn mir der unten
9
130
folgenden Sage Glauben fchenfen dürfen, jo war Er—
finger von Monheim, der ums Jahr 1134 zu Zeiten
Kaifer Lothars II. Icbte, einer der erften dieſes Ge—
fehlechtes, das von Mainz feine Lehen trug. Im Jahr
41147 fo wie 1152 tritt ein Zaifolf von Magenbeim
in einer Urfunde ald Zeuge auf. Im Jahr 1182
wird ein Erfinger (miles, vir nobilis) genannt, der
aber zuverläßig dieſem Gejchlecht angehörte. Cin An—
drer Diefes Namens lebte im Jahr 1203 und ein Ul-
rich von Magenheim zeugt im J. 1220. Drei Brüder
von Magenheim, Erfinger, Conrad und Zailolf von
Magenheim , treten im Jahr 1231 auf. Von ihnen
lebten Conrad noch im Jahr 1279 und Erfinger noch
im Jahr 1287 mit zwei Söhnen Ulrich und Erfinger.
Diefe Herren von Magenheim befaßen viel Dörfer, Ze=
benten und Leute im Zabergau, unter andern auch Die
Stadt Bönnigheim. Aber im Jahr 1288 veräußerten
fie einen großen Theil ihrer Beftgungen, namentlich
verfaufte Herr Conrad von Magenheim, der auf der
oberen Burg faß, dieſe, jo wie die Stadt Bönnigheim
und das Dorf Ramspach an König Rudolf von Habs—
burg, der Alles das im Jahr 1291 feinem natürlichen
Sohn Albrecht zu Eigen übergeben. Jedoch hatten die
von Magenbeim- noch viele beträchtliche Befißungen im
Zabergau, wenn auch eine der Stammburgen, ſowie
die Stadt Bönnigheim veräußert war; beſonders wa—
ren ſie noch begütert zu Güglingen: und im Jahr 1298
nennt ſich Ulrich von Magenheim Herr zu Brackenheim.
Im Jahr 1309 ift Erfinger von Magenbeim, ein Cohn
131
des älteren Erchinger, Inhaber der Stadt Brackenheim.
Im Jahr 1320 verzichtet Zaifolf von Magenheim ges
gen Heinrich von Cberftein auf feine Rechte, Die er
hatte an die Stadt Güglingen, die Burg Blanfenhorn
umd Die dazu gehörigen Leute; und das Jahr Darauf
verfaufte er an den Marfgrafen Friedrich von Baden
feine Burg Dchfenberg, die Dörfer Leonbronn, Michele
bach, Zaberfeld, Ober-Ramſpach, Damp und den Hof
zu Flehingen um 2200: Pſund Seller. Derfelbe ver=
äußerte im Jahr 1341 an Graf Ulrich von Würtem-
berg fein Gut zu Nieder-Ramſpach, Leut und Gut,
auch den Kirchenfag und was dazu gehört, eigenthüme
lich, um ein gewiſſes Leibgeding. Zaifolf von Magen-
heim hatte fünf Söhne: Erfinger, Wilhelm, Ulrich,
Friedrich, Heinrich, von denen die vier leßteren alle in
geiftlichen Stand traten. Im Jahr 1367 verzogen ji
diefelben all ihrer Anfprüche, Die fie von ihres Vaters
und Erfingers ihres Bruders wegen, befonderd an die
Burg Magenheim, die Stadt Bradfenhein halb und
den Kirchenfag, To wie das halbe Dorf Kleebronn hatten,
gegen Eberhard von Wirtemberg, dem Zaifolf und Er—
chinger ihre Kerrichaft vermachten. Im Jahr 1399
begab ſich Folgendes: „Als Zaifolf und Erfinger von
9 nein alſo Hauß gehalten, daß von ihren fchönen
ittern wenig mehr übrig blieb, fo faßte Erfinger den
Entfeluf, bei denen von Heilbrun fich bürgerlich ein—
zulaßen. Diele ſchickten nun ihren Büttel nach Bra—
ckenheim, wo fich Erfinger bisher aufgehalten, Daß man
ih da beleuten (ihm Durch die Glocke Etwas verfündigen)
132
follte. Darüber wurde dem Büttel von den Braden-
heimern ein Ohr abgefchnitten, als ver fich fremder
Obrigkeit Sachen, die ihm, oder auch denen, die ihn
abgefertigt, nicht gebürten, zu mifchen unterfangen.”
Die von Heilbronn nahmen diefen Schimpf hoch auf,
und flagten deßhalb gegen Graf Eberhard von Wür—
temberg nebſt andern Punkten; da aber auch Diefer
Manches gegen fie zu Elagen hatte, fo wurde auf einer
Zagfahrt zu Bradenheim befchlofien, bei beiden Theilen
jollten Schaden fgegen Schaden feyn. Der Lebte von
Magenheim war der ſchon genannte Hemrich, Zaiſolfs
Sohn, welcher noch im Sahr 1408 als Commenthur
zu Rexingen lebte. Go endete das alte Gefchlecht der
Herren von Magenheim, welches einft Durch Den Reiche
thum feiner Befigungen und den Glanz feiner Verbin-
dungen eine wichtige Rolle fpielte, Doch feltfamer Weife
nie bei einemQTurnier genannt wird. Durch unflugen
Haushalt und Freigebigkeit, beſonders an Die Kirche,
war das edle Gefchlecht fo frühe herab gefommen.
Bon den Schiefalen der Burg Magenheim wiffen
wir nur fo viel, daß fie im Jahr 1360 zerftört wurde.
ALS nemlich Serzog Nuprecht von der Pfalz in Kriege
gegen Graf Eberhard von Wirtemberg mit Heeresmacht
durchs Zabergau zog, und an die dreißig Dörfer und
Schlöffer verheerte, mußte auch das Schlog Magenheim
feinen Grimm erfahren, und wurde zerflört, wahrfchein=
ich nur andgebrannt, denn es war ja fpäter wieder
bewohnbar. Im Sahr 1566, da die Serren von Sach—
jenheim das Schloß von Würtemberg zu Lehen trugen,
133
wurde wieder viel daran gebaut. Gegen das Ende des
16. Jahrhunderts bauten Die von Liebenftein es wieder
neu auf.
Im Bereich des Schloffes Magenheim bewegt fich eine
Sage, die wir wörtlich aus der fogenannten Zimmern’«
chen Chronik (aus dem 16. Jahrhundert) entnehmen.
Die Erfcheinung auf dem Stromberg.
Herr Albrecht von Zimmern Fam zu mehr Malen
zu Herzog Friedrich von Schwaben, feinem Herrn, Dies
weil er bei ihm erzogen war, und allwegen eine bes
ſondre Gnad gehabt. Zu einer Zeit, ald er abermals
zu ihm geritten und einige Zeit bei ihm geweſen, bes
gab es fich, daß Diefer Fürft mit feinen Graven und
Herren, deren er in nit Eleiner Anzahl an feinem fürft-
lichen Hof hatte, durch Kurzmweil ſpazieren ritt zu Gras
- ven Erchinger von Monhaim, gen Monhaim in das
Schloß, in den Zabergau gelegen, zu dem er vorhin
mehr Malen fommen, in Anſehung, daß er gar fröhlich
und furzweilig war mit Sagen und Allen, was einem
edelgebornen Manne zu Kurzweil ziemt und gebührt.
Sein Gemahl war eine Pfalzgrävin von Tübingen,
Frau Maria genannt ; hatten mit einander zwo Töchter
und feinen Sohn, war auch) fonft Fein Grave mehr
Diefes Sefchlechts. Nun war ein großer luſtiger Wald,
der Stromberg geheißen, allernächft dem Schloffe gelegen,
darin viel Zeit her ein Hirfch, Dep Größe zu verwundern
134
war, gefehen worden, und Doch von denen Jägern und
Dienern dieſes Grafen nie mochte gefangen werden.
Begab ſich aus Schifung des Glüfd und Verhängniß
Gottes, daß jetzund, dieweil Herzog Friedrich da mar,
der Hirſch abermals gefunden ward, daß der Herzog
und alles Hofgefind, auch Örave Erchinger von Mon-
haim fonderlich erfreuet, und ritten hinaus gewönlich in
guter Anzahl. Nun begab ficb, daß Herr Albrecht von
Zimmern an ein fonder Ort auf dem Holz ritt; indem
ftef vor ihm bin ein großer Schöner Hirfch, Defgleichen
er vorbin nie mehr gefehen hat, feßet derhalben an ihn,
in der Meinung, den zu erreiten; rannt dem fd lang -
nach Durch den Wald, der faft lang und breit war,
Daß er ihn nit mehr erfehen mocht, auch nit willen,
wohin er hinfommen. Indem begegnet ihm ein Mann
gar in ernftlicher und forchtlicher Geftalt. Wiewohl er
nun fonft fein verfchrosfner Serr war, fo erjchraf er
doch ob dieſem Menſchen oder menfchlicher Geftalt über
die Maßen, und bezeichnete fich mit dem Zeichen des
heiligen Kreuzes. Der inmenfchlicher Geftalt, jo vor
ihm fand, fieng an zu reden und fprach: er dörfte fich
fürchten, dann er märe von Gott dahin verordnet, ihm
Etwas zu offenbaren; er jollte auch mit ihm reiten, jo
wolle er ihm Abenteuer zeigen, dergleichen er vormals
nie geſehn, es ſolle ihm auch nichts Schädliches an
feiner Seele oder an feinen Leib in feinem Weg bes
gegnen oder widerfahren. Herr Albrecht von Zimmern,
als der hört, daß er von Gott redet, bewilliget, mit
ihm zu reiten. Die Perfon gieng vor ihm Hin, Als
135
brecht folgte ihm nach. Als fienun, feines Bedünfeng,
aus den Holz famen, fabe er die allerfchönften Wiefen
und Iuftigfte Gegend, auch daſelbſt ein Schloß mit vie—
len Thürmen und großer Köftlichfeit erbaut, dergleichen
er vormals alle feine Tage nie mehr gejeben. Als fie
nun zu dem Schloöß kamen, begegneten ihnen viele Leute,
ala Knecht und Diener, alle ftilfchweigend, die ihm
jein Pferd empfiengen. Der erfte, fo im Anfang mit
ihm kommen, jagt: er dürfe fich des Schweigens nit
verwundern, mit Niemanden auch nit reden, dann mit
ihm, und feklich thun, was er ihn hieße. Hiemit kamen
fie in das Schloß, da ward er geführt in einen fehönen
weiten Saul; da faß ein Herr mit feinem KHofgefind
zu Tiſch, melcher alsbald mit denenfelbigen allen gegen
Herren Albrecbten aufitand, und neigten fich mit ihren
Häuptern, ald ob fie ihn wollten empfahen und Ehr
erbieten; fegten fich Darnach wiederum nieder, als ob
fie äßen und tränfen. Herr Albrecht ftand alfo mit -
feinem Schwerdt, das er in feinen Dänden hielt, und
in feinem Weg von ihm laſſen wollte; befahe, wie
ein föftlich Credenz- Efjen und anderes da war, body
Alles fo ſtillſchweigend, daß er fich deſſen höchlich ver-
wunderte. Als er nun eine gute Zeit allda geftanden,
und alle Dinge nach Nothdurft befichtiget, audy der
fißend Kerr famt feinem Hofgefind für fi) aß, und
ſich Niemand feiner weiter dann, wie gehört, annahın,
fagte der, fo ihn anfänglich befommen und ihn in das
Schloß geführt: er follte gegen den Herrn und feinem
Hofgefind mit dem Haupt neigen, dann er ihn wie—
136
derum hinaus und von dannen führen wollte Nach—
dem nun Solche gefchehen, und der Kerr, auch alles
fein Gefind ihm mit Aufftehen und dem Hauptneigen
wiederum Ehre bewiejen, wie im Anfang, als er erft-
lichs kommen, gefcheben, führet er ihn wiederum für
das Thor, da alsbald die, fo ihm vormals fein Pferd
empfangen, ed wiederum darjtellten, und ihm ftillfchmei-
gend aufhalfen, darnach wiederum in das Schloß giengen.
Alsbald er nun für die Pforten Fam, und fein Schwerdt
wieder zu ihm gegürtet, führet ihn fein Gefell den Weg
hinaus, den fie anfänglich binan geritten waren. Als—
bald fie zu dem Wald, der Stromberg geheißen, ka—
men, fprach der Geift: Dich mag nun Diefes Schloß
und das, fo du darinnen gefeben haft, wohl Wunder
nehmen. Antmortete ihm Here Albrecht: es denke ihn
das größte Wunder, das er alle feine Tage gefehen, begehrt
darauf ernftlich, Daß er ihm mollte anzeigen die Bedeut-
niß, was dieß Alles wäre. Darauf der Geift fagte: Der
Herr, den du da gefehen Haft, ift deines Herrn Vaters
Bruder gemefen, ein chriftlicher frommer Herr, der viel
wider die Ungläubigen geftritten bat. ber ich und
Andere, ſo du gefehen, feyn feine Diener und fein Ans
- hang gemwefen, und leiden die allergrößte unfägliche Bein,
die mit Worten nit mag ausgefprochen werden, um
deßwillen, daß er in feinem Leben die armen Leute gar
hart geplaget, denenfelben das Ihre unbilliglich, Etlichen
gewaltiger Weile abgenommen, und daffelbige wider. Die
Ungläubigen gebraucht hat. Dazu haben wir ihm Alle
gerathen und geholfen, in dem num gräßlichen Unrecht
137
gethan, und müfjen alle darum leiden, fo lang bis Gott
ein Genügen hat. Diefes- Alles Haft du um Gott ver-
dient, Daß es dir zu wiffen gethan werde, um Dich vor
dDiefer und auch andern Sünden zu hüten und dein Les
ben zu beffern. Nun muß ich mich jegund von dir
jcheiden, fprach er, und zeigt ihm den Weg, wo er Durch
den Wald wiederuns fommen wollt. Doch mußte er
fich zuvor umfehren und befehen, wie der vorig Luft
fich fobald in Kummer und Jammer verkehret hätte.
Damit verfehwand er” vor ihm. Herr Albrecht Fehret
fih um, fahe das vermeinte Schloß und alle vorige
Schönheit, eitel Feuer und flinfenden Schwefel und
Pech, hört auch das allerfläglich Gefchrei und Weinen,
darob er einen folchen Schreden empfieng, der mit Wors
ten nit gefagt werden mag. Nichtsdeftoweniger fehrte
er fich der Gegend zu, die ihm der Geiſt gewiefen, und
kam in kurzer Zeit wiederum zu Herzog Friedrichen
und Grave Erchingern, von denen er nicht Teicht mehr
erkannt worden, in Anſehung feiner fehnellen und kur—
zen Veränderung, dann fein Haar und Bart, wiewohl
er der Jahren nit fo alt, ganz weiß worden, darob
fie ein groß Verwundern hätten. Nachdem er ihnen
aber anzeigte die Urſach, was ihm die Weil begegnet,
anfänglich mit dem Hirſch, darnach mit dem Geift in
menfchlicher Geftalt, wie er ihn geführt und was großer
Angft und Noth er darnach gejehen, hatten fie noch)
mehr Verwundern, empfiengen darob eine große Furcht,
und ritten alsbald mit Schwermüthigfeit wiederum auf
Monhaim Herr Albrecht erfuchte Grave Erchingern
138
von Monhatınm gar ernitlicben, dieweil ihm Diefe Aben—
teuer in feiner Grafichaft begegnet, daß er ihm ver-
gönnte, der Enden eine Kirche zu bauen, welches Grave
Erchinger nit allein gütlichen bewilligt, ſondern mit
Gefallen feines Gemahls begab er fich, hierin zu vathen
und zu helfen, daß da ein Frauenflofter gebauen wurde,
darin Gott ewiglichen gelobt und geehret würde. Nit
weniger bemwilligten fich Herzog Friedrich von Schwaben,
ihmen beiden Hilf und Steuer zu thun, Damit Das
Gotteshaus fürderlich erbaust würde, und folch Erbieten
erjtattet er mit ganzen Treuen; dann er etlich Zehen-
ten, jo fein eigen waren, und Anderes dazu verordnet
und vergab, und war folches Klofter dem Schloß gegen
über gebaut und Frauenzimmern geheißen. — Die
Geſchicht hat fich ereignet, al3 man zählet nach Chrifli
unjers Seeligimachers Geburt eintaufend einhundert und
vier und dreißig Jahr, ift auch von Herrn Conraden
von Manfchbach, Rittern, Yandgraf Wilhelms von Kefjen
Zandhofmeiftern, der Golches in einem gar alten Buch
gelefen, dermaßen angezeigt worden.
139
XI.
Die St. Martinskirche und das Stift
| zu Sindelfingen.
Unter die älteften Kirchen unſers Vaterlandes gehört
die St. Martinsfirche zu Sindelfingen. Sie wurde in
einem und demfelben Sabre (1083) mit der Kapelle auf
Burg Wirtemberg eingeweiht. Die Kirche ift, abge
rechnet geringere Veränderungen, noch Diejelbige, wie
fie am Ende des 11. Sahrhundert3 erbaut worden,
und gibt Zeugniß, dag auch Wirtemberg manche Bau—
denfniale aus der älteften Zeit aufzumeilen bat.
Die Grundform der Martinsfirche iſt Die Der älteften
chriftlichen, nach römischen Grundlagen erbauten Kirchen,
der fogenannten Bafilifen, Sie hat ein Mitteljchiff
und zwei Geitenfchiffe, die ſich im Oſten mit drei halb—
runden Chorniſchen fchliegen. in eigentlicher Chor—
raum fehlt der Kirche, indem derfelbe in das Mittel:
ichiff verlegt if. Die Geitenmauern des hohen ‚» aber
ſchmalen Mittelfchiffs, ruhen auf feharffantigen Arka—
denbögen, die von vierzehn vieredigten, an ven Ecken
durch Dreiviertelsfäulen abgerundeten Pfeilern getragen
werden. Zwiſchen diefen, mit Würfelfnäufen verfehenen
Dreiviertelsfäulen, tritt je ein Stück Pfeilergeſims her—
vor. Die Seitenfchiffe mit hohen rundbogigen Fenjtern
find etwa- um die Hälfte niederer, als das mit kleinen
Rumdbogenfenftern verfehene Mittelfchiff, und haben, wie
140
dieſes, eine flache Dede. Die, urfprünglichen Fenſter
an dem füdlichen GSeitenfchiffe find zum Theil in ob-
longe verwandelt worden. Bon den mit KHalbfuppel-
gewölben bedeckten Abſiden bat Die mittlere Drei ſpitz—
bogige Fenſter, die wohl erft fpäter in folche verän-
dert wurden, die beiden Seitennifchen dagegen haben je
ein rundbogiges, in der urfprünglichen Geftalt erhalte
ned, Venfterchen. Das Innere der Kirche bietet wenig
Intereffantes. Sie ermangelt eines jeglichen Bildwerfe.
Nirgends fieht man ein freiftcehendes Sfulpturwerf, ein
Relief oder auch nur das geringfügigfte Ornament;
ja wo Das Tegtere zur Sonderung, zum Abjchluß. oder
der Bezeichnung architeftonifcher Theile unbedingt noth—
wendig erfcheint, ift e8 von einer beinahe herben, rohen
Einfachheit. Allein von Bedeutung ift der aus grob—
förnigtem Sandftein in Form eines Tifches gefertigte
Altar, mit einer einfachen, auf vier runden ſchmucklo—
jen Säulen ruhenden Steinplatte; er hat zwar. feinen
Kunſtwerth, ift aber megen feiner Cinfachheit und ur—
iprünglichen Form, wie fie zur Zeit der Einführung
des Ehriſtenthums üblich war, einer der merfwürbigften
in Mirtemberg. In der Mitte des Altars befindet ſich
eine oblonge, gegenwärtig zugemauerte Oeffnung, unter
der früher der Behälter für Reliquien angebracht war,
deren die Kirche ſehr viele beſeſſen. Dieſer Altar ſtammt
aus der Zeit der Erbauung der Kirche. Die in go—
thiſchem Styl gefertigte Kanzel iſt aus viel ſpäterer
Zeit. — Im erſten Jahrzehent dieſes Jahrhunderts,
da der Verfaſſer dieſer Blaͤtter im der Kirche ſeiner
141
theuren Vaterſtadt noch aus- und eingieng, waren
die Wände der Kirche nicht fo kahl und kalt, wie in
unfern Tagen. Ueber den Nrfadenbögen waren Die
zwölf Apoſtel mehr als Iebensgroß angebracht „ lauter
Bilder von Kunftwertb und hohem Alter. Eine den
Bildern feindliche Zeit hat dieſe ebrwürdigen Gemälde
übertüncht, und den Wänden den Schmuck genommen,
der denn Auge der Alten und Jungen jo wohlthuend
war. uch jenes große Presfogemälde oben auf der
‚Empore, wo die alte, mit ſchönen Holzgemälden gezierte
Orgel geftanden, ift verſchwunden. Wie oft ftand der
Berfaffer ald Knabe voll ernfter Betrachtung vor dem
‚Gemälde, das, wie aus der Divina Comedia des
herrlichen Dante entnommen, den Zuftand der Ver—
dammten Darftellte, wo der Fürft der Hölle, als ein ko—
foffaler grüner Froſch dargeftellt, Die Kinder der Ver—
dammnig auf einem Karren in den Schwefelpfuhl führe
te. — Don all dieſen Freskogemälden ift nur einem
einzigen Gnade widerfahren, es ift jenes, Das noch nee
‚ben der Sufriftei zu ſehen ift, und Den Erbauer der
Kirche Graf Asimbart zeigt, wie er Das Bild ver Kirche
in der Hand hält. Schade, daß ein Schmierer, jtatt ein
Albrecht Dürer, das chrwürdige Gemälde reftaurirt
bat. Außer dieſen Fresfogemälden waren auch andere
an den Wänden angebracht ; eines hing nicht fern von
der Kanzel, und enthielt auf Einer Tafel von Holz
‚die gut gemahlten Bruftbilder der ‚regierenden Herzoge
‚von Wirtemberg, von Eberhard im Bart bis Eberhard
IH. Als es aus der Kirche verbannt wurde, lag es
142
Tange im Staube der Bühne, bis ihm ein würbigerer
Plag im Bürgerfaale des Rathhauſes angewiefen wurde,
Un der nördlichen Seite der Kirche ift Die maffive,
mit einen Kreuzgewölb verfehene Sakriſtei angebaut,
in der zwei im Nenaifjanceftyl gefertigten Schränfe ent
halten find: Im einem derfelben wird ein fehr altes
meſſingnes Taufbecken aufbewahrt.
Das Aeußere der Kirche iſt ebenſo einfach wie das
Innere; die glatten Wände des Schiffs haben außer den
Rundbogenfenſtern unter den Dachgeſimſen keine Ver—
zierungen. An den Dachfrieſen der Abſiden fehlen dieſe
Rundbogen, und nur eine ſchmale Verzierung von ne—
ben einander geſtellten, die Ecke gegen Außen gekehrten
Würfeln ziehen unter dieſen hin. Dagegen laufen Halb—
ſäulen an ihnen hinauf, welche blinde Arkaden über
den Fenſtern und den dazwiſchen liegenden Räumen
tragen. Die Giebelſeite des Mittelſchiffs ragt über die
Halbkuppeln der Abſiden bedeutend hervor und bat
außer einem vertieften griechifchen Kreuz in dem ſtumm—
winkligen Giebelfelve feine Verzierung. An der vorderen
weftlichen Giebelfeite, wo im Giebel das gleiche Kreuz
angebracht ift, befindet fich der urfprüngliche Hauptein—
gang, deſſen Gewände fich in ſchmuckloſen rechten Win»
feln abftufen. An der füdlichen Seite des Langhaufes
fteht ein mafjiver Bau mit zwei Stocdwerfen, von des
nen das untere mit einem vrippenlofen Kreuzgewölbe
bedeckt iſt. Durch diefe Vorhalle, die ehmalige Tauf—
Fapelle, noch jegt das „Wortzeichen" (sacramentum)
genannt, gelangt man zu einem fpigbogigen Gingang
143
in Die Kirche, der, obwohl einer fpäteren Zeit angehö—
rig, an feiner hölzernen Thüre ein jehr fehön gearbei-
tetes DBroncebefchläge mit Löwenkopf im romanifchen
Style zeigt: Das obere Stockwerk mit flacher Dede
bat zwei fich gegen das füdliche Seitenſchiff öffnende
rundbogige, Durch einen Pfeiler verbundene Arfaden,
und an der öftlichen eine große Nifche, die nach Außen
auf einem von überfragenden Wulften gebildeten Fuß
balbrund hervortritt, und eine Ereisrunde, nach Innen
vermauerte Deffnung enthält.
Unter dem in das Mittelfehiff verlegten Chorraum
der Kirche befand fich in alter Zeit die Gruftkirche
(Kıypta) , deren noch zugemauerte Penfter von Au—
Ben fichtbar jind. Noch kann fich der Verfaſſer einer
Zeit erinnern, da man durch einen num bededten Gang
in die Gruftfirche binabfteigen konnte. Hier» ift die
Begräbnißftätte Der meiften Pröbſte und Gtiftsherren,
über deren leider unlesbaren Grabmalen in der Kirche
der Fuß Ddahinfchreitet. Viele Adelige Der Umgegend
liegen gleichfalls in dieſer Krypta begraben ; unter An:
dern foll auch Hans von Hutten, von der Stätte, wo
er unter den Händen des zornmüthigen und vachjüchtis
gen Kerzog Ulrichs von Wirtemberg fiel, bieher gebracht
worden jeyn.
Der maffive vierecfigte Thurm der Kirche mit hohem
ſechsſeitigem Zeltdach hat nur oben rundbogige Fenſter,
welche, obgleich theils zugemauert, theild verändert, fein
bobes Alter beurkunden. Er ſtand urfprünglich frei
von der Kirche, und wurde erft fpäter Durch einen ver—
144
mauerten Gang mit ihr in Verbindung gebracht. In
feiner Glockenſtube hängen vier Öloden, von denen. Die
größte die Jahrzahl 1450 trägt, die. beiden andern
find fehr alt, und tragen nur die Namen der vier
Apoftel ohne Jahrzahl; Die vierte ift vom Jahr 1796.
Ueber die Erbauung der Martinsfirche gibt eine von
einem Mönche in lateinifcher Sprache gefchriebene Chro= _
nit genauen Bericht, dem wir noch Einiges aus andern
Chroniſten über die Gefchichte des Klofterd zu Sindel—
fingen beifügen.
In der Mitte des 11. Jahrhunderts lebte Graf
Adalbert II. von Calwe, zubenannt Atzimbart (Abo
der Pärtige) auf feiner Burg oberhalb dem Flecken
Sindelfingen, mit feiner Gemahlin Wilifa, einer Tochter
des Herzogs Gottfried von Niederlothringen (Bouillon).
Um frühere Bergehungen an Der Kirche wieder gut zu
machen, hatte er, auf Antrieb feiner frommen Gemahlin,
das Klofter Hirfau von Neuem erbaut. Im eben dem
Sinne errichtete er im Sahr 1059 auf feinem Grund
und Boden zu Sindelfingen ein Benediftinerflofter, und
ließ, um dieſes zu vollführen, die Mauern feines Schlofjes
abbrechen. Schon um diefe Zeit mag die erfte Kirche
von Fleinerem Anfang erbaut worden ſeyn. Als Graf
Abo im Jahr 1066 die Mönche des Klofterd nach
Hirfau verfeßte und an ihrer Stelle weltliche Chorher—
ren berief, wurde mohl ein Bau in großartigerem Style
begonnen, der den 4. Juli 1083 von dent Erzbifchof
Gebhard von Salzburg und dem Bifchof Adalbert von
Würzburg, dem heiligen Martin zu Ehren, geweiht
145
wurde. Aber auch- da war fie noch nicht vollendet,
denn erft im Jahr 1110 wurde die Gruftfirche durch
den Bifchof Gebhard von Conſtanz in Anweſenheit des
Biichofs Adalbert von Worms zu Ehren der heil. Dreiei-
nigfeit, der Geil. Maria und abſonderlich Des heil, Jo—
hannes eingeweiht. Die Oberaufficht über die Kirche
‘ wurde dem jeweiligen Bifchof von Conſtanz übertragen,
und erhielt er dafür jährlich eine Viertels-Mark Sil—
ber. Die Schirmvogtei des Klofterd übernahmen Die
Herren des Fleckens, Die Grafen von Calwe.
Graf Adalbert erbaute zunächſt an Die Kirche ein
Haus für ſich und feine Gemahlin, in welchen er bis
an ihren Tod (1093) wohnte. Im Jahr 1095 dar-
auf nahm er das Mönchsgewand, und flarb im Klofter
Hirſau im Jahr 1099. Er und feine Gemahlin Tiegen
zu Sirfau begraben. Nach Beider Tod famen die Calw'-
ſchen Befigungen an ihren Sohn Gottfried, und von
diefem an Herzog Welf VI., den Gemahl feiner Toch—
‚ter Uta. Durch dieſes Vermächtniß glaubte - fich Gott⸗
frieds Neffe, Graf Adalbert IV. von Calw, in ſeinen
Rechten und Anſprüchen verkürzt. Er überfiel den
Welf in ſeiner Burg Sindelfingen, nahm die Beſatzung
gefangen und brannte den Flecken nieder. Dieſe Burg
des Welfen war wohl jener neue Wohnſitz, welcher in
‚demjenigen Theil des Fleckens erbaut wurde, der in ber
jpäteren Stadt zunächfi an der Mauer belegen, noch
bis in die neuere Zeit ven Namen „in der Burg” führte.
— Gegen die Mitte des 13. Jahrhunderts finden wir
Sindelfingen und die Schirmvogtei über das Stift im
10
146
Bei der Pralzgrafın von Tübingen, von denen Rus
dolf im Jahr 1274 dem Flecken bei Kaiſer Audolf
Stadtgerechtigfeit erwarb. Von den Bfalggrafen von
Tübingen kam Sindelfingen im Jahr 1326 an die von
Nechberg, und von Diefen mit der Vogtei des Gifts
im Jahr 43514 an die Grafen von Wirtemberg. Letz-
teres hatte feit jeiner Gründung bis in die Mitte des
15. Jahrhunderts an Befigungen und Einfünften be
deutend zugenommen, fo daß es für eines ver reichiten
der Gegend galt, und die Stelle eines Brobfies zu
Sindelfingen felbft von Berlonen des höchiten Adels
eine fehr gefuchte war. Das kam gar gelegen Dem
Grafen Eberhard im Bart, als er die Univerfität zu
Zübingen im Jahr 1477 gründete Er erhielt von
Pabſt Sirtus IV. die Erlaubniß, zwei Triitheile Der
Einfünfte des Stifts für die Ausftattung der neuge—
gründeten Univerjität zu verwenden. Das Stift ge
radezu aufzuheben, wäre nicht angegangen, darum er—
richtete Eberhard mit einigen wenigen Abfällen des alten
ſtiftiſchen Beſitzes, ſtatt des früheren weltlichen, ein re—
gulirtes Chorherrn-Stift, und verſchrieb ſich dazu friſchen
Saamen aus einem reformirten Auguſtiner-Kloſter.
Trotz dem, daß das Stift zu Sindelfingen in Folge
folcher Veräußerung feiner Befigungen und Einfünfte
gar Viel verloren, war e8 doch noch im Anfang des
16. Jahrhunderts ein nicht umnbegütertes Convent.
Denn als Herzog Ulrich von Wirtemberg auf feinem
Zuge zur Wiedereroberung feines Landes mit feinen
Schweizern über Eindelfingen zog, thaten ſich diefe
147
drei Tage lang recht gütlich im Stifte; darüber be=
richtet der fchweizerifche Ritter Hans Stockar gar naiy
in feinem Tagebuch: „wir lagen da dri Tag ftill, und
tranfen den Mönchen im Klofter in der VBorftadt ihren
Min und Bier us, und hielten den Mönchen wild
Hus, denn es ein rich Klofter if.” Nach der Refors
mation wurde das Stift aufgehoben.
Von den ehemaligen reichen Stift bat ſich nur
Weniges erhalten, das deutlich an fein früheres Da—
ſein erinnert. Es ſind die an die Martinskirche zu—
nächſt anſtoßenden Gebäude, welche im Laufe der Zeiten
mancherlei Veränderungen erlitten haben; fie find mit
einer alten Mauer umgeben und führen nod) den
Namen „Kloſterhof.“ Das eigentliche Convent war
wohl Das mit der Kirche fo eng verbundene jegige
Kameralamtsgebäude, von deſſen oberem Stocwerf man
in die Kirche eintreten fann. Da war auch die
Wohnung, welche Graf Atzo, nachden die Burg auf
dem Berge abgetragen war, für ſich und feine Ge—
mahlin einrichtete. — Ueber den Cingang zum Klo—
fterhof findet fich noch eine gut erhaltene alte Gedächt-
nigtafel, auf welcher in erhabener Arbeit vor dem Bilde
des Erlöfers ein Ritter und eine fürftliche Frau im
altdeutfcher Tracht fnieen. Die Infchrift in alter Moͤnchs—
fchrift lautet:
Illustrissima dna Mechtildis nata Palentina
Reni ac Archiducissa Austriae et illustris Eber-
hardus comes de Wirtemberg et ejusdem filius
hujus saeri coenobii post prioris collegii transla-
148
tionemad Tuwingen restauratores atque canonieae
regulae institutores anno domini MECCCLXXVH.
Zu Deutfh: Die erlauchte Frau Mechtilde, geborne
Pralggräfin vom Rhein und Erzherzogin von Defters
reich, und Der erlauchte Graf Eberhard, ihr Cohn,
Grneuerer dieſes heiligen Klofterd nach Verlegung des
früheren Collegiums gen Tübingen, und Einrichter der
Ganonifchen Regel im Jahr des Seren 1477.
Noch weniger als vom ehemaligen Stifte hat ſich
von der alten Calw'ſchen Grafenburg erhalten, aus
deren Steinen Kirche und Klofter erbaut worden. Gie
lag auf der nordöftlichen Seite der Stadt auf dem noch
jest fogenannten Burghaldenberg (einem Vorberg der
Schönbuchsterraffe) oberhalb dem großen ftädtifchen Gee.
Es muß eine ftattliche Burg gemefen jeyn, wenn man
einem alten Gemälde trauen darf, daS fammt dem Wap—
yen der Stadt eine Pergamenthandſchrift v. I. 1560
enthält und in einer treuen Kopie in der „Kleinen
Chronik der Stadt und des Stifts Gindel-
fingen® von Ottmar 8. 9. Schönhuth (Böb—
Iingen 1834) zu finden if. Jetzt ift nur noch ein
Theil des Burggrabens ſammt einigen Mauerreften
vorhanden. Wie alle Nefte alter Burgen, fo find auch
Diefe von Schaßgräbern Durchfucht worden. Auch Sa-
gen knüpfen fi an den Burghaldenberg. Ein Hund
mit feurigen Augen ſoll daſelbſt die vergrabenen Schäge
hüten. Ein Wandrer ging in fpäter Nacht über Die
Höhe, da die Burg ſtand — er fah einen Haufen
glühender Kohlen, und eilte erfchrocden Davon; am
149
andern Morgen, als er wiederfehrte, um nach den
Kohlen zu fehen, waren alle verfchwunden. — Die auf
die Erbauung der Martinskirche fich beziehende
Sage von der Glncke
geht auf die Zeit des älteften Beflgerd der Burg, Graf
Agimbart von Calwe, zurück. — Eines Tages, als
- Graf Abimbart- ermüdet von der Jagd heimfehrte und
fih niederlegte, hatte er einen Traum. Es däuchte
ihm, als ob ein Mann in weißem Kleide vor ihm
fände, der fprach: als ich auf Erden wandelte, bie
ich Martinus, und nun bin ich unter den Seiligen
Gottes. Dich babe ich erforen, daß du eine Kirche
baueft, und ich will ihr Schüger feyn. Du follft abe
brechen Die Mauern Deiner Burg, und aus den Stei—
nen erbauen eine Kirche im Thal dort unten, wo der
Flecken liegt. Zum Zeichen aber, wie es Gottes Wille
ift, daß alfo gefchehe, will ich Dir offenbaren: es wird
fich eine Glocke finden, die fehon lange in einem ſchlam—
migten See verborgen liegt, Die foll der Erftling wer—
den für das Gotteshaus, und ewige Zeiten foll fie
bangen im Thurme Der Kirche. Alſo ſprach der Mann
im weißen Kleide zu Graf Ba a da erwachte er
son ſeinem Traume.
Kaum graute der Tag, als ſchon Der Jaäger Des
Grafen in's Gemach trat. Mein hoher Gebieter, ſprach
er, laßt euch melden eine feltfame Gefchichte: Schon
159
feit manchen Tagen lauerte ih auf ein Wildſchwein,
Das Nachts aus dem Walde Bricht und ringsum die
Felder verheert. Auf einmal bin ich auf feine Spur
fommen, und babe es verfolgt, ald e8 vom Raub in
die Waldung heimfehrte. Das Wildſchwein flüchtete
an den See, der mitten im Walde liegt, den man den
Hinterlinger See heißt, von Dort aber wandte e& fich
nach einer Stätte im Oeftrüppe nahe am Gee. Ich
folgte ihm — fiehe da! es lag bei vielen Jungen in
einer Höhlung , und der Rand ver Höhlung glänzte
wie Metall. Ich unterfuchte es genauer, da war Die
Höhle, in der dad Echwein mit den Jungen lag, der
Bauch einer ungeheuren Glode, die das Schwein aus
den See gewälzt hatte.
Als der Jäger feinen Bericht ſchloß, erfannte der
Graf die Wahrheit der Worte, welche im Traum an
ihn ergangen waren. Alsbald fandte er Leute an den
Hinterlinger See, ließ nachſuchen, und wirklich fand
man die Glode, wie Der Jäger des Orafen berichtet
hatte. Mit großer Mühe wurde Die Glocke aus dem
Schlamme gezogen, und unter Jubel brachte man fie
in den Flecken, wo die Kirche erbaut werden follte.
Zur Stunde ließ Graf Agimbart Die Mauren feines
folgen Schlofjes niederreißen ; man führte Die Steine
binab in den Flecken, und in furzer Zeit fland allda
eine fchöne Kirche. In Dem hoben und fchlanfen
Thurme der Kirche bieng man die Ölodfe auf mit
großer Freude, und ihr erfter Klang tönte dem Grafen
und feiner Gemahlin füß zu Ohr und Herz. Die Kirche
151
wurde den heil. Martin geweiht, der dem Grafen im
Traum erfchienen war. Heben Die Kirche aber Tieß
Graf Atzimbart für fih und feine Gemahlin Wilika
ein Haus bauen, welches mit der Kirche fo zuſam—
menbieng, daß die beiden frommen Cheleute zu jeder
Stunde des Tages darin der Andacht pflegen Eonnten,
ohne nur einen Schritt über Die Straße zu gehen.
Hier in diefen Kaufe, fo nahe dem Tempel Des Herrn,
lebten Die Beiden noch manches Sahr in Sottfeligkeit
und Uebung guter Werfe, was befonders die Armen
und Dürftigen des Fleckens in reichem Maße erfuhren.
Als die fromme Wilifa in Gott ihre Xebenstage be-
ſchloß, zog Graf Asimbart hinüber in den Schmarz-
wald in das von ihm wiederhergeftellte Klofter Hirſau,
und ließ fich allda unter die Zahl der Mönche aufneb-
men. Kurz vor feinem Hinſcheid ließ er die irdifihe
Hülle feiner Gemahlin aus der Kirche zu Sindelfingen
abholen und in der Aureliusfirche feierlich beifegen.
Als er ftarb, wurde er neben ihr eingefenft, Damit,
was im Leben verbunden, auch im Tode nicht getrennt
‚wäre,
Die Efelsburg.
Eines der fchönften Thäler unfers Vaterlandes ift
dad Brenzthal. Schon der alte Chronift Bruſchius
nannte das Thal voller Begeifterung eine paradieftiche
Gegend. Drei alte namhafte Klöfter, SHerbrechtingen,
Anhaufen, Königsbronn, am Ufer der Brenz gelegen,
und zahlreiche Burgen auf den felfigten Höhen, machen
das Thal ungemein malerifch. Beſonders romantifih
ift es Da, mo die Ruinen der Efelsburg von hohen Fels
jen in das Thal blicken. Da meint man faft, die Brenz
molle fich in dem Thale verbergen, bis fie weiter unten
wieder mit ihren Flaren Wellen zum Borfchein fommt,
die nun in breitem Bette Daher raufchen.
Die Efelsburg ift eine Zierde des Thals, ob fie
gleich FTeinen großen Umfang bat und ganz und
gar zerfallen if. Sie ift Das Stammfchloß der
Herren Eſel von Ejelsburg So komiſch der
ame Diefer edlen Familie lautet, jo Dürfen wir Doch
nicht annehmen, daß er dDerfelben geworden, um ihr
damit eine Schmach anzuthun. Im Mittelalter war
der Efel, deſſen man fich viel häufiger als jet bediente,
fein fo verachtetes Thier, wie in umfern Tagen, im
Gegentheil war der Eſel das Symbol der Kraft, und.
die Herren Efel von Eſelsburg durften fich jo wenig
ihres Namens ſchämen, als die Serren von Riedeſel,
unter denen Männer mit dem Degen wie mit der Bes
153
der fich einen Namen erworben. — Das Gefchlecht der
Herren, welche die Eſelsburg gründeten, ftand ohne al=
Ien Zweifel in naher DBerwandtfchaft mit den Herren
von Eſelsberg bei Vaihingen. Die Iegteren blühten
ion im 13. Jahrhundert, denn in einer Maulbronner
Urfunde vom Jahr 1232 zeugt ein Belrein von Efel$-
perg. Dieſem Gefchlecht gehörte wahrfcheinlich jener
Dichter Eblin von Efelsberg an, von dem unfer
gelehrter Literatur» Hiftoriter Adalbert von Keller
zwei altdeutfche erzählende Gedichte herausgegeben, Die
zum wenigften in das 14. Jahrhundert gehören. Die
von unfrer Burg benannten Herren von Eſelsburg
fommen nicht viel fpäter vor. Im Jahr 1256 zeugt
ein Gerwich von Eſelspurg in einer Urkunde des Gra—
fen Hartmann von Dillingen. Im Jahr 1270 be—
jtegelt Nudolf von Efelspurg einen Vertrag zwi—
ſchen dem Bifchof Hartmann von Augsburg und dem
Markgrafen Heinrih von Burgau. Im Jahr 1317
leben die Gebrüder Rudolf und Germig von Efele-
purg. Der erftere verkaufte „mit Willen Rudolſs ſei—
nes Sohns und Gerwigs, Dtten von Ejelsyurg Sohnes,
der (Dtto) Rudolfs des Alten Bruder geweft, alle
feine Güter zu Illingen (bei Maulbronn), jo Gerwigs
jeine8 Bruders gemefen find, um 500 Pfund Seller.”
Es ift Derfelbe, der im Jahr 1327 feine Höfe und
Güter zu Witeßlingen verkaufte und im Jahr 1328
und 1329 unter dem Namen Audolf der Efel von
Eſelspurg erfiheint: im Ilegteren Jahr als Bürge für
Heinrich yon Stotzingen bei dem Verkauf des Kirchens
154
faßes zu Niederitogingen an das Kloſter Herbrech—
tingen. Wir fehen hieraus, daß Rudolf Der Ejel von
Gjelspurg bei Vaihingen, wie an der Brenz, begütert
war. Die von Ejeleverg und die von Der Ejeläpurg
an der Brenz gehören aljo zu einem Stamme. —
Im Jahr 1343 verfaufen die Gebrüder Dans Conrad
und Rudolf, genannt von Gfeleperg, ihre Güter zu
Herbrechtingen, worauf die Grafen von Selfenflein fein
Bogtrecht hatten. Im Jahr 1387 fiegelt Beter Ejel
der SFüngere neben dem Brobft von Serbrechtingen.
Ginige des Geſchlechts waren zu Geißlingen feßhaft.
So fiegelt im Jahr 1412 der „erbar und veft Mann
Dtto der Eſel von Gfelspurg, zu den Zeiten zu Geiß—
Iingen gefefien, für Jakob Kottenbein, Bürger alda.‘
Sm Sahr 1417 am Tage ©. Florian ftarb Veit von
Eſelspurg, feßhaft zu Geiflingen. Im Jahr 1540
lebt Wolf Wilhelm von Ejelöpurg und feine Hausfrau
Margaretha von Neideck, geborne von Neideck (in der
fränfifchen Schweiz). Ihre Grablege hatten die Ejel
von Eſelspurg in den Klöftern Anhaufen und Her—
brechtingen. „Zu Anhaufen in der Kirchen, fagt der
alte biedre und glaubwürdige vaterländifche Ehronift
Gabelkover, find unter andern Wappen deren von Adel
auch angemalet der von Eſelspurg Wappen; ift ein
Ichreitender Ejel, feiner natürlichen Yarb im blauen
Feld, auf dem Helm ein ganzer gehender Ejel, ſteht
Dabei: Nudolf von Eſelspurg der Eſel.“ DBielleicht
war Der genannte Wolf Wilhelm der Legte der Ejel
zu Efelepurg, und die Männerfeindin, von der wir
155
erzäblen werben, feine Tochter. Die Burg fiel noch
im 16. Jahrhundert an fremde Herren. Im 3.1592
war fie in den Händen der Herren von Rechberg; von
diefen Faufte fie Herzog Ludwig von Wirtemberg nebft
der Burg Balfenftein und den Dörfern Dettingen,
Heuchlingen und Mergelftetten für 79275 fl. — Ueber
die ferneren Schieffale der Burg, wann und wie fie
zerftört worden, haben wir Feine Berichte; vielleicht ift
fie im Baurenfrieg zerftört morden, oder ift fie, wie
manche Burg, die nun im Schutte liegt, von feltit
zerfallen. Ganz nahe bei der Ejelsburg liegt der Mäd—
chenfelg, von dem fich eine fchauerliche Sage im Munde
des Volkes erhalten.
Die Sage vom Mädchenfelfen.
In jener Zeit, da Eſelsburg noch ein ftattlicher
Wohnſitz war, lebte auf ihr ein altes Fräulein, Die
Letzte des Gefchlechtes der Herren von Ejelsburg. In
ihrer früheren Jugend hatte fie geliebt; heiß und innig,
mit ganzer Seele hing fie an dem Manne, der ihr als
Ideal, als Abglanz aller Vollkommenheit erjchienen
war. Diefer aber hatte fie um die Freuden ihrer Ju—
gend betrogen, hatte fie verlaffen und der Neue, wie
dem Hohne ihrer Verwandten preiögegeben. Finſterer
Haß zog in Das Herz der Oetäufchten; fie jebwur Den
Männern Hache, und fchloß fich ein in die alte Burg Der
Väter, die Eſelsburg, wo fie ſich mit dem Studium
156
der geheimen Naturkräfte befchäftigte, und es Darinnen
jo weit gebracht haben foll, daß ſie Gewitter beſchwö—
ven, alle Kranfbeiten heilen und den Tod in allen
Geftalten Den Menſchen bringen Fonnte. Auf dem
ganzen Schloffe lebte feine männliche Seele ; blos Jung»
frauen, welche bei ihrem Eintritte Die Liebe abſchwören
mußten, durften dort bleiben. Sie verfahen den häus—
lichen Dienft und lebten abgejondert, fich felbit genü—
gend, denn eines Männerfchugee bedurften fe nicht,
da im weiten Umfreife die Gegend fo verrufen war,
dag Niemand .derfelben nahen wollte, und jeder Wan—
derer gerne einen weiten Umweg machte, um derfelben
auszuweichen. So war eine Neihe von Jahren vers
floffen, die Jungfrau war alt, aber noch bösmilliger
geworden, und quälte ihre Mägde, die faſt aus lauter
jungen und fchönen Mädchen beitanden.
Da kam ein junger, fremder Fifcher in dieſe Ge-
gend, fiedelte fib in dem Brenzthale an und warf je
den Abend feine Nebe aus, wobei er mit Elarer und
fhöner Stimme zu fingen pflegte. Seine Lieder tru—
gen gewöhnlich das Gepräge tiefer Sehnfucht, oder ſie
drücten das Gefühl erbörter Liebe aus. Die zwei
jüngften Mädchen hörten Die Lieder und Fonnten nicht
lange der Lockung widerftehen ; fie nahmen Eimer und
gingen hinab zu dem Fluſſe, wo fie mit dem Fifcher -
iprachen und mit ihm fofeten. Die Männerfeindin
aber auf ihrer Warte hatte fogleich Davon Kunde und
befchloß, ihrer Rachjucht zu genügen, die Mädchen zu
verderben. Ein Wetterftrahl mit dumpfem Donnerfchlag
157
züdte durch das Thal; die Mädchen fühlten auf einmal
im Sprechen ihre Zungen immer fihmerer werden, ihre
Glieder waren Feiner Bewegung mehr fähig, das Herz
allein ſchlug in immer matteren Bulfen, bis es endlich
ganz aufhörte fich zu regen. Entſetzt fprang der Sifcher
auf; feine Gefährtinnen maren in einen Stein verwan—
delt, der fich innmer mehr ausdehnte und nur in ſchwa—
hen Umriffen die menjchliche Form erkennen ließ.
Die Zauberin farb, ihr Schloß ift zerfallen, aber
noch ftehbt der Fels und erinnert an zwei Herzen, Die
ein Opfer der Liebe wurden. Das romantifche Thal
wird noch heute von manchen liebenden Baar befucht,
und wenn dieſe dort Lieder der Liebe fingen, Dann
hört man ein leiſes Geufzen, ein ftilles, Elagended r
gleich einem Seufzer aus den Felfen tönen.
XIH.
Die St. Johanniskirche zu Gmünd.
Die alte Hohenftaufen-Stadt Gmünd hat viele merk—
würdige Kirchen aus alter Zeit — die jchönfte in Bezie—
bung auf Bauart ift die St. Johannisfirche. Sie if
zuverläßig noch ein Bauwerk des 11. Jahrhunderts.
Sie ift Dreifchiffig mit einem ganz maſſiv gebauten
Thurme, genannt Schwindelftein, welcher aus dem Viereck
durch Abfchrägung ins Achteck übergeht, mo er zwei
158 Bir
Stockwerke im reinften Nundbogenfiyl zeigt; Darüber
ift ein Giebelfranz, aus den ein Spigdach fich erhebt,
zwar auch aus Holz mit glaſirten Ziegeln gedeckt, aber
alterthümlich und in ſchönen Verhältniſſen zum ganzen
Thurme. An der Weſtfront der Kirche ſind zwei Thü—
ren, von denen die größte in das Mittelſchiff führt,
aber nicht in der Achſe deſſelben ſteht. Auch ſind an
dieſer Fronte frühzeitige Vergrößerungen „er Abſeiten
zu bemerken. Zwei andere Thüren in der Südfront
zeigen in ihren Umfaſſungen ſchlanke Säulchen mit
äußerſt zierlichen Kapitälen von faſt cylindriſcher Form
mit wenig Ausbauchung und von feiner Blätterzierung
umrankt. Eine beſondere Merkwürdigkeit am Aeußern
dieſer Kirche ſind die vielen ſymboliſchen (gnoſtiſchen)
Geſtalten in den, unter Geſimſen und Gurten hinlau—
fenden Rundbogenverzierungen, in erhabener Arbeit. So
iſt an der unteren Ecke gegen Süden eine ſitzende ge-⸗
frönte Frau eingehauen, welche ein Kind auf ihrem |
Schooße hält. Die rechte Sand der Frau und Die
Linke des Kindes halten Etwas, mas einem Apfel
gleicht; über ihnen ſchwebt ein Engel, der jegnend die
Hände über der Frau und dem Kinde ausſtreckt.
Unten- find zwei gefuppelte Sunde in vollem Lauf, und
ein Männchen, das in ein Jagdhorn ftößt. Dieje bei-
den Hauptfiguren, Frau und Jäger, follen mit Der
Sage vom Ninge in Verbindung flehen, ob gleich die
Mutter Gotted mit dem Kinde auch auf ähnliche Weife
abgebildet wird, wenn wir nemlich den vermeintlichen
Apfel für einen Reichgapfel oder eine Eleine Weltfugel
Te 159
in den Händen des Kindes halten. Unter diefen Fi—
guren ſteht noch ein anderes Männchen, neben dem
ſich Etwas befindet, Das drei in einander gefchlunges
nen Bregeln gleich Sieht. Das Volk nennt Diefe in
einander verwicelten Bregeln oder Stricke Zweifelsſtrick.
Mas ift das? fragen wir mit Vielen, die ſchon vor
diefer Figur ftanden und fich über dem Näthfel den
Kopf zerbrachen. — In der Mitte ungefähr, an dem
Giebel gegen Welten, erblidt man ein Männchen, Dem
ein Teufel die Nechte wegreift. Tas Männchen joll
nach der Volfsfage der Baumeifter der Kirche ſeyn, an
dem der Teufel dieſe Operation vertragsmäßig vorge—
nommen, weil er verfäunite, Die Slirche in der verſpro—
chenen Zeit herzuftellen. Außerdem find auf den Qua—
derfteinen der Kirche viele andere zahme und milte
Thiere eingebauen,, die aber alle ſehr rauh und ohne
Zeichnung ausgearbeitet find. Noch jieht man an der
Siebelfeite, unten vor einem alten Gingang in den
Chor, einen eingemauerten Grabftein mit dem Bildniß
eines — einen Kelch in der Hand baltenden — Prieſters
mit der Umfchrift: Anno gratiae 1050 (richtiger 1350)
obiit Johannes Kirssenesser caplanus ad sanctum
spiritum. (Im Jahr der Gnade 1350 ftarb Johannes
Kirfjeneffer, Caplan zum heil. Geift.)
Das Innere der ehrwürdigen Johanniskirche iſt lei-
der! im Sefuiten-Styl verändert, und bietet außer eis
nenn Delgemälde Nichts dar, das irgend einen Kunft-
werth hätte. Das auf Tuch gemalte Bild ftellt die
Burg Kohenftaufen und die Gegend vor, ehe die Stadt
160
Gmünd eriflirte. Das Bild ift wohl fchwerlich müßige
Erfindung eines neueren Malers, fondern e8 mag dem
Berfertiger ne ein altes Bild als Vorlage gedient
haben.
Ueber Die ——— der Johanniskirche haben wir
keine urkundlichen Berichte, aber höchſt wahrſcheinlich
war ihr Gründer der Staufer Herzog Friedrich von
Schwaben (1080 —1105), der ſich überhaupt viele
Verdienſte um die Hebung der Stadt Gmünd erwarb.
Nicht mit Unrecht bringt man die eigentliche Gründung
der Stadt mit der Erbauung der Kirche in Verbin—
dung, denn erſt jetzt erhielt die Stadt ihren jetzigen
Umfang, indem ſie zur Zeit, als Abt Volrad von St.
Denys mit Genehmigung Kaiſer Karls des Grafen
(768— 814) zu Gamundia die nun abgebrochene St.
Veitskirche mit einem Klöfterlein gründete, eine Art
Meiler, Hof (villa) gemefen feyn muß. Noch im
Jahr 1297 beforgten die VBenediftiner zu Lorch den
Gottesdienft an der St. Johannisfirche, ein Beweis
von der innigen Beziehung, in welcher die Johannis—
firche zum Klofter Lorch und fomit auch zu Den Her—
ven auf Hohenſtaufen ftand. — Gar lieblich und finnig
berichtet von der ——— der Kirche durch Herzog
Friedrich
Die Sage — Hinge.
Wir fehen jet reiche, blühende Städte auf jenen
Plätzen erbaut, mo vor langen Jahren nichts ald Wilde
161
niß und rauhe Wälder, von wilden Ihieren ‘bewohnt,
gemefen. So war es auch mit dem Platze, wo jet
das freumdliche Gmünd fleht. Den ganzen Raum be—
deckte finftere Waldung, umd zeigte nur eine lichtere
Stelle, mo eine fleine Wohnung, dem Jäger Effard
gehörend, erbaut war. Der Alte war früher ein tapfe—
rer Krieger und hatte feinen Sohn tüchtig im Waffen-
handwerfe unterrichtet, fo Daß Diefer in der Leibwache
des Herzogs Friedrich von Schwaben diente, und fid)
ſchon bei mancher Gelegenheit hervorgethan hatte, Die
Tochter des Kanzlers hatte den ſchönen Jüngling oft
gefehen, und beide liebten fich mit der ganzen Innig—
feit unverdorbener feuriger Jugend. Allein was Fonnte
der junge Mann, der nichts befaß als feinen Namen,
dem ftolzen, ehrgeizigen Kanzler bieten, der ihm hohn—
lachend den Rücken gewieſen, al® er vor ihn getreten
mar mit dem offenen freien Worte feiner Werbung ?
Da wurde eine große Jagd veranftaltet und die Frau
Herzogin Agnes (Tochter Kaifer Heinrichs IV.) Hatte
das Unglück, ihren Ehering zu verlieren, mas damals
für ein ficheres Zeichen einer unglücklichen, verderben-
vollen Zufunft gehalten wurde. Die Jagd, welche fo
heiter begonnen, wurde unterbrochen, und traurig -Fehrte
alle nach dem herzoglichen Schloffe zurütf, wo der
übrige Theil des Tages entfernt von jeder SHeiterfeit
trübe verflof.
Um andern Morgen ging der Xiebende zu feinem
Vater und jagte ihm, wie er den Dienft des Herzogs
verfaffen und in Waldeseinfamfeit der Erinnerung ſei—
—T 11
Cr ui
ner Sugendliebe leben wolle. Dev Bater hatte nichts
dagegen; er hoffte, die Zeit würde feinen Sohn heilen,
und er wolle ihm daher feinen Zwang anthun.
Auf dem Rückwege gemahrte ber junge Dann einen
prachtvollen Hirſch, der feheu vor ihm die Flucht er:
griff, aber nach kurzer Verfolgung von dem ſchwirren—
den Todespfeil des fichern Schügen getroffen wurde.
Erftaunen aber faßte denselben, als er an einer Spitze
des Geweihes feiner Beute den verlorenen Ehering er=
blickte. Sogleich eilte er nach Hohenſtaufen und brachte
voll Freude den Fund. Die Serzogin, eine gmädige
rau, wollte den Finder reichlich belohnen, Doch Diefer
fchlug alles aus, und entdeckte ihr endlich Die Urſache
feiner Traurigkeit, welche fie bemerft und Darum ges
fragt hatte. Die Herzogin brachte es dahin, Daß Der
Kanzler feine Tochter dem Jünglinge gab, dem ein
ftattliches Haus im Walde gebaut wurde,
Auf der Stelle aber, wo der Hirſch getödtet wurde,
ließ der Herzog die noch jeßt ſtehende Et. Johannes
Tirche bauen, wohin bald eine große Anzahl Pilger walls
fahrteten. Das war auch die Beranlaffung, daß nach und
nach der Wald gelichtet und angebaut wurde, fo Daß fich
jest Dort eine blühende und ſchöne Stadt befindet. —
Sonft kann die Sage weder Urkunde noch Sigill
für ihre Glaubwürdigkeit aufmweifen, aber Die eben er=
zählte ijt noch Daurender verewigt, denn fie wurde auf
dem Thurme der Iohannisfircherzum ewigen Gedächt—
niß eingehauen, wenn die Darftellung auch nur eine
andeutende ift.
XV.
Waldenburg,
im Hohenlohiſchen.
Reich an Schlöffern und Burgen ift das Schöne,
von Gott gefegnete Hohenloher Land — Ffaum ift ein
Städtchen zu finden, wo nicht ein ftattlicher Herrenſitz
prangt, in den fchon feit alten Zeiten die zahlreichen
Glieder des erlauchten Fürftenhaufes Hohenlohe aus—
und eingingen. In allewege aber gebührt zweien un-
ter den fürftlichen Wobnfigen von Hohenlohe in Be-
ziehung auf herrliche Lage der Vorzug. Diefe find:
Schloß Schillingsfürft zwifchen Rotenburg und Anjpach
zu, fchon feit den Anfang des 14. Jahrhunderts im—
mer im Bejige des Hauſes Hohenlohe, und Schloß
Waldenburg, faft im Herzen des Hohenloher Landes
gelegen. Waldenburg, Schloß und Stadt, ragt auf
dem teilen Borfprung einer Reihe von waldbekränzten
Höhen, welche nad) dem Schloffe den Namen „Wal-
denburger Berge‘ tragen, und blieft mit ihren Mau-
ven und Thürmen wie eine Königsfrone auf das unten
liegende gefegnete Zand herab. Auf Den innen des
Schloffes hat man die fchönfte Ausficht im ganzen
Hohenloher Lande. Wenden mir die Blicke gegen Oſten,
fo zeigt fich, wohl in weiter Ferne, der ſchon genannte
hohenloh'ſche Fürſtenſitz Scillingsfürft, und grüßt nach-
barlich herüber zum Schloffe, wo daS blutsvermandte
Sefchleht wohnt. Ueber Die Stadt Rotenburg hin
164 u
ichweift das Auge zu den „fränkiſchen Bergen,” auf
deren höchfler Kuppe der hohe Landsberg, Das alters
thümliche Schloß der Serren von Pöllnitz, fich lagert.
Hinter den Frankenbergen verfinfen die fehönen Ufer
des majeftätifchen Mains, dagegen ragen im fernften
Hintergrumde Die Vorberge des Nhöngebirgg, und
wenn wir immer weiter im Bogen gen Norden uns
wenden, Die dunklen Waldhöhen des Speſſarts. Noch
näher und deutlicher liegt vor uns der Odenwald mit
dem weithin fichtbaren Kagenbudel und deſſen entfern-
terem Nachbar, dem Melibofus, dem Mächter der Berge
ftraße. Zulegt ruht da3 Ange auf den mit Burgen
geſchmückten Bergen des Neckarthals, zieht fich dann
wieder zurück über die Höhen, unter denen Kocher und
Jagſt im brüderlichen Neckar münden, und betrachtet Die
reich gefegnete Landſchaft, Die unmittelbar unter ung
fich außbreitet. Es iſt Die fogenannte Kupferzeller
Ebene, im Vordergrund Hohenbuch, wo Das treffliche
Bier bereitet wird, und nicht ferne Davon Das dazu
gehörige Landhaus, mo Herr Oekonom Otto Möride,
der bedeutendfte Gutsbefiger im Umkreis, rationell und
praftifch feine Felder baut und der Landwirthſchaft im
diefer Gegend neuen Schwung gegeben. — Am ſchön—
jten genteßt man die herrliche Ausficht auf Walden—
burg zur Zeit, wenn der Reps blüht, wo Freunde der
ihönen Natur von allen Gegenden dem Berge zu—
wallen und ein heiteres Feſt feiern, das durch den An—
blick Der reizenden, im ihrem fehönften Blumenfchmud
ſtehenden Landfchaft, feine Weihe erhält,
. 165
Schloß Waldenburg (Maldenberg) hat, wie alle
Burgen ähnlichen Namens, feine Benennung von dem
Malde, der früher den Bergvorfprung bededte, und
jegt noch über den ganzen Bergrüden fich hinzieht.
Vielleicht war e8 zuerft ein Wartthurm, der auf Der
Höhe erbaut wurde, und dad wäre der noch flehende
fogenannte Männleinsthurm, zuverläßig das Altefte Bau-
werk auf Waldenburg. An ihn wurde im Laufe Der
Zeit das Schloß mit feinen VBorwerfen angebaut.
Schon frühe faß ein edles Gefchlecht auf der Burg,
das von ihr feinen Namen führte. Im Jahr 1218
lebt ein Gottfried v. Waldenberg, Domherr zu Mürzs
burg. Heinrich und Hermann, Grafen von Walden«
berg, erfcheinen in einer Urfunde vom Jahr 1246,
und es ift ſehr wahrfcheinlich, daß fie von unſrer Burg
ſich gefchrieben, Denn die edlen Herren, welche neben
ihm genannt werden, find alle aus der näheren oder
ferneren Nachbarfchaft, wie z. B. ein Graf v. Eber-
ſtein und von Neifen, ein Burggraf don Nürnberg,
fo wie ein Herr von Büdingen u. f. w. Aber fehon
mit der Mitte des 13. Jahrhunderts ift Waldenburg
im Beſitze des berühmten Gottfried von Hohenlohe,
Grafen von Romaniola. Im Jahr 1252 geht der
Streithof bei Waldenburg von ihm zu Lehen, und im
darauf folgenden Sabre ftellt derjelbe zweimal zu Wal-
denburg Urkunden aus — ein Beweis, daß, er jich
manchmal Dort aufgehalten. Später fommen wieder
Herren von Walvdenberg vor, aber fie waren nur ho—
henloh'ſche Burgmänner oder Vögte auf Waldenburg,
166 on
Im Jahr 1289 zeugt ein Raveno von Neuenftein,
der alte Vogt von W., im Jahr 1292 Heinrich Gut-
jar, weiland Vogt zu W. Im Jahr 1329 leben Ru—
dolf von W., im Jahr 1339 Heinrich, Ulhards Sohn
von W., und im Jahr 1342 Ulhard von Waldenberg.
Spätere hohenloh'ſche Vögte waren: im Jahr 1338
Heinrich von Enfingen, im Jahr 1346 Engelyard von
Bachenftein, 1362 Götz von Stetten, 1380 Dietrich
son Berlichingen, 1383 Hofwart Landfchad von Si—
fingen, 1397 Götz von Belfenberg, 1445 Beter Zwi-
far. — Schon in der Mitte des 14. Jahrhunderts,
da Waldenburg im Befig Kraft III. von Hohenlohe,
Urenfel des Grafen Gottfried, geweſen, war es zu
einer Fleinen Stadt mit Mauer und Graben geworden,
welche eine Gemeindeverfafjung mit zwölf zum Theil
adeligen Richtern hatte Wie die kleine Stadt auf der
nördlichen Seite Durch Die Burg und die natürliche
Lage geſchützt war, jo erhielt fie auch gegen Süden,
wo leicht an fie zu kommen war, ein ftarfes Vorwerk,
welches Dann Die jpätere Vorftadt Durch Brücke und
Graben verbunden. Der fogenannte Schanzthurm, wohl
das ältefte Bauwerk nach den Männleinstäurm, To
iwie der Wartthurm, bildeten dann das „alte Veſtungs—
werk’, wie e8 der ehrliche und glaubwürdige M. Wibel
auf einem Bilde (Hohenlohiſche Kirchendiftorie Bo. 4.
Titelvignette) bezeichnet, und Die Stadt war von der
füdlichen Seite gegen jeden feindlichen Angriff gededt.
Im Laufe der Zeit, befonders im Dreißigjährigen Kriege,
wurde Waldenburg da und Dort Durch angebrachte
167
Schanzen noch weiter befeftigt. Wir fünnen alfo Wal-
denburg für Die durdy Rage und Gtärfe der Werfe
wichtigfte Veſte des Hohenloher Landes betrachten. Da—
rum, weil Waldenburg ſchon ſeit alten Zeiten als ein
wohl verwahrt Haus galt, wurde es auch in Friedens—
zeiten zu ähnlichen Zweden, wie Die Veſtung Asperg,
nemlich zur Aufbewahrung wichtiger Oefangenen ver—
wendet, wie MWibel jagt: „die landſäßige und übrige
son Adel, die etwas verfchuldet, wurden allda verwah-
vet.” So faßen hier gefangen im Jahr 1330 Engel—
hard von Neivdek, 1351 MWartwein von Walde, und
1352 Kreß von Büttelbronn. Auch Andre wurden
in fpäterer Zeit auf Waldenburg in Haft gelegt, die
den Herren der Burg zuwider waren. Go legte ein-
mal (etwa um 1520) Graf Kraft von Kohenlohe den
Junfer Götz Senft zu Münkheim, den er auf der Jagd
(auf feinem vermeintlichen Jagdbezirk) gefangen genome
men, gen Waldenburg in den Thurm. „So er heraus
bat kommen wollen — fagt der treffliche Chroniſt
Herold — Hat er ſich unter Andern verſchreiben
müſſen, daß er ſein Lebenlang, wo er hinreiten will,
allweg in ein zwilchen Juppen und Jägerhorn, wie
er dazumal geritten, reiten will.“ Um dieſelbe Zeit
hat Graf Albrecht Hanſen Newſer und Daniel Huſſen
auf den Vogelheerden an dem Streiffelsberg gefangen,
und nach Waldenburg geführt. —
Stadt und Veſte Waldenburg war ſeit dem 13.
Jahrhundert in ununterbrochenem Beſttz des hohenlohi—
ſchen Hauſes. Nur vor dem Jahr 1390 war Wal-
a
168
denburg an Bifchof Gerhard von Würzburg verjeßt
worden, allein im genannten Jahre wieder eingelöst.
Das Jahr darauf empfingen Die Gebrüder Ulrich und
Gottfried von Hohenlohe (Söhne Krafts III.) die
Stadt und Veſte Waldenburg ſamk Neuenftein und
Dehringen von Bifchof Johanſen von Regensburg,
„alfo daß diefelben fie und ihre Erben, Söhn und
Töchter niefen und inne haben follen, mit allen Rech—
ten und Nuten, wie Die genannt find, auch was zu
dem Allem gehört, Nichts ausgenommen, als es bis—
ber an ung fommen ift; fie follen auch und ihr Er—
ben fürbaß diefelbe Lehenfchaft zu rechter Zeit. fordern
und empfahen.” — In der zweiten Hälfte des 16.
Sahrhunderts gab Waldenburg der von Graf Eberhard
(r 1570) geftifteten Sauptlinie von Hohenlohe den
Namen, und ift ſeitdem wenigftens die jeweilige Reſi—
denz der erlauchten Familie gewefen. Der jegige Befiger,
Se. Durchlaucht Fürſt Friedrich Carl Joſeph zu
Hobenlohbe-Waldenburg-Schillingsfürfl, der
begeifterte Verehrer feiner Ahnen, und der gelehrten Welt
rühmlich befannt Durch feine gründlichen Forſchungen im
Gebiet der Gefchichte und Siegel- und Wappenfunde, hat
e8 zwar vorgezogen, das freundliche Kupferzell in der Ebene
zu feinen Wohnfig zu wählen, aber er jchenft doch
der Burg feiner Ahnen gebührend alle Aufmerkſamkeit.
Davon find fprechende Beweiſe nicht nur Die forgfame
Erhaltung des Schlofjes, ſondern manche neuere Baus
ten und DVerfchönerungen, die auch Dem jonft weniger
anfehnlichen Städtchen zur Zierde gereichen. — Außer
169
dem Schloffe bietet Waldenburg wenig Merlwürdiges
für den Befucher. Im letzterem befteige man vor Al-
lem den merfwürdigen Männleinsthurm, fogenannt we—
gen den fleinernen Männlein, Die auf feinen Zinnen
angebracht find.- Er ift vieredigt, aus Buckelſteinen
erbaut , und hat eine Wendeltreppe, auf der fi) nur
eine Berfon mit großer Mühe hinaufwinden Tann,
weßwegen es fehr gerathen ift, wenn Damen mit Cri—
nolinen dem gefährlichen Gang entfagen, und lieber
unten auf dem Schloßwalle die Ausficht betrachten.
Hat man jich bit zum Plateau des Thurms hinauf—
gewunden, fo wird man freilich reichlich für feine Mühe
belohnt, denn bei hellem Wetter hat man bier oben
eine Ausficht auf 18 Meilen weit. Vom Thurm ſtei—
gen wir herunter in Die ehrmürdige Schloßfapelle, wo
ſich die Fürften von Hohenlohe-Waldenburg ihre Grab-
lege erkoren; fie iſt einfach, aber für ihre Beltimmung
würdig ausgeſtattet, und fcheint auf Grundlagen
der älteften Kapellen zu ruhen, die im Jahr 1487
von dem Grafen Kraft von Hohenlohe aufs Neue do—
tirt worden. Die Kapelle beftand ſchon viel früher,
denn ihre Kapläne, Heinrich Steffer, Lupold, Paul Tras
ber, werden ſchon in früherer Zeit, der leßtere im Jahr
1420, genannt. — Wenig Merfmürdiges bietet Die
Hauptfirche der Stadt. Sie wurde im Jahr 1591
von Graf Georg dem älteren erbaut und am Sonntag
nach Aegidien eingeweiht. Ihre jebige Geftalt erhielt
fie durch eine Renovation im Jahr 1717. Wohl
— an ihrer Stelle zuvor eine alte Kirche, denn im
170
Jahr 1356 erhielt Waldenburg einen Pfarrer. Biel
leicht war das ältere Gotteshaus eine jener Kapellen,
welche nah ©. Widmanns Bericht auf Dem Rücken
zu Waldenburg von Waldbrüdern erbaut worden. Die
Kirchhofskirche außerhalb der Stadt ift in Beziehung
auf Bauart weit älter und merfmwürdiger als die Stadt-
firche; fie wurde in alter Zeit von Dehringen aus
yerfeben, und ſteht vielleicht an der Stelle der zweiten
von den ebengenannten Waldbrüder-Kapellen. — Au
der am ſüdlichen Thore ftehende Thurn der Stadt ift
von fehr alter Bauart, und wegen feiner, den Männ—
leins-Thurm vielleicht noch überragenden Höhe, und
der dadurch noch umfafjenderen Ausjicht, eines Be—
juches wertb. — Unter die negativen Merkwürdig—
feiten der Stadt gehört, Daß das Wafler 230 Staffeln
hoch von der Seite des Bergs beraufgetragen werden
muß.
An Schloß Waldenburg knüpft ſich eine Geſchichte,
die faſt «fo ſchauerlich lautet, wie eine der ernſteſten
— und Mähren, die
Waldenburger Faſtnacht
im Jahr 1570.
Wir geben den Bericht darüber wörtlich, wie ihn
ein Augenzeuge, der Waldenburger Hofprediger Apin,
in feiner noch bandfchrifilich vorhandenen Trauerpredigt
geliefert.
»Anno 1570. ben 7. Febr. iſt zu Waldenburg übel
*
171
hergegangen, hat jich ein Teidiger Hall begeben; da hat hr
der leidige Satan aus Gottes Verhengnuß eine ſchrök—
liche Trageedien und Spectacul angerichtet, und ale
ein-arger Schadenfroh fein Müthlein nach Luſt gefühlt:
darum foll man ihn nit über die Thür malen, noch
zu Gaft laden, dann er kommt wol von ihm ſelbſt,
eder wo er gleich ſelbſt nit hinkommt, da fchift er
jeine Botten hin.
Damals waren zu Waldenburg in der Faftnacht,
neben den Graven und neben denen von Adel beyein>
ander neun Grävinnen, deren etliche vermumten fich
nit einem englifchen ſchönen Habit, gingen daher in
gar weifer Kleidung mit weifen papirnen Flügeln, wie
man die Engel pflegt zu malen, und trugen auf ihren
Häudtern weife papirne Kronen, darinnen fleine Ware
lichtlein Grennten und Feuchteten: dagegen vermumten
fih die Herren und der Adel mit einem fehenslichen
Habit, ließen an ihre Sofen und Wam Arm und
Beinen, dick Werk von Flachs mit Fade £. anne=
ben und anfnüpfen, daß fie berein traten” zotigt und
zerlumpt, wie man die Cacodæmones und ſchwarze
Höllhund pflegt zu malen. Indem fie nun nad ger
haltenem Tanz bei nächtliche Weile um 10. Schlag
uf Dem obern Eaal bey dem Licht kniend emander
ein Mummtanz bringen und nit dem Licht nicht für—
fichtig umgehen, da gehet vom brennenden Licht das
Berk unverfehens an: bald da wird auf dem Saal
ein großer Tumult und Auflauf, ein großer Schref,
Schreyen und Klagen: Cuntz von Velberg gibt bald
=
172
die Flucht, und alſo vermumt ſpringt er die Schneken
herab, daß er unverſehrt davon kommt, und von den
andern nit angeſtekt wird, aber Veltin von Berlichin—
gen und Simon von Neudek, auch Graf Albert von
Hohenlohe (Neuenſtein) verbrennen ſo hart, daß ſie
etliche Wochen zu Bett liegen müßen. |
Graf Georg von Tübingen empfeht das Nachtmal
den 22. Febr. darnah am 5. März (mar der Sonn»
tag Laetare) da ihm unverfehens ein ander und neuer
Zufall zum Brand gejchlagen, ftirbt um 8 Uhr Vor—
mittagg und wird darnach den 7. hujus mit feines
Gemahls großem Leid, Schmerzen und Wehklagen, be-
graben zu Deringen in der Stiftsfirchen, da ich dann
ibm eine Leichtpredigt gethan, die ich bernach feiner
Frau Mutter auf ihr Begehren den 22. Matt mit mei—
ned ©. 9. Leichtpredigt hinein gen Lichtenek geſchikt,
Dagegen ihr Gnaden mir folgendes den 24. Jul. durch
den von Bubenhofen hat irberantworten lafjen ein fir
bernen Becher mit einem Deckel, Darauf Deren von
Tübingen Wappen ift ausgeftochen gewefen. Y
Mein gn. Herr Graf Eberhard verbrannt fo hart,
dap man ihm hernach den 21. und 22. Febr. alle
Finger an beeden Händen mußte vornen abjchneiden,
empfing Doch zuvor den 29, (das war’ damals der
Sonntag Reminiscere) das Hochwürdige Abendmal,
that gar eine ſchöne chriftliche Bekanntnus, daran ich
einen fonderlichen Gefallen hatte. Hernach den 9.
Martii, vier Tag nach) feines Kern Schwagers Graf
Georgen Abſchied, ftirbt er in der Frauenzimmerftuben
173
um 10. Schlag Vormittag in meinem Beymefen, wird =
ven 11. Tag hujus zu Deringen in der Stiftsfirchen
neben jeiner Frau Mutter und neben Graf Georgen.
ehriftjeliger Gedechtnuß begraben, da ich dann ihm eine
Leichtpredigt gethan. Den 14. Martii lies ſich Graf
Albrecht wieder heim nach Neuenſtein fahren "und iſt
mit Rath und Sülf feiner Frau Mutter wieder auf-
kommen.“
Im Munde des Volks, das ſich weniger um Jahr
und Datum kümmert, hat ſich die wahre Geſchichte zu
einer Sage geſtaltet, in der das Geſchehene nur noch
einige Zuſätze erhält, wie es ganz im Weſen der ſich
fortbildenden Sage liegt.
Eine Geſellſchaft junger luſtiger Leute hatte ſich ver—
einigt, den Faſching auf dem Schloß Waldenburg mit
rechter Ausgelaſſenheit zu begehen. Zwölf von ihnen
ließen ſich zu dem Ende Teufelsmasken mit Hörnern,
Schweif und Klauen verfertigen, umgaben ihre Kleider
mit Werg, und neckten fo die übrige Geſellfchaft auf
eine ziemlich ausgelaſſene Weife. Als endlich die Mite
ternachtftunde vom Schloßthurn herabtönte, da fand
fich plöglich ein Dreizehnter Teufel, völig fo gefleivet,
wie die übrigen, unter den Gäften ein. Diefer übers
bot die Andern noch bei Weitem an Ausgelaſſenheit,
hatte aber in kurzer Zeit auch eine auffallende Unord—
nung und Beftürzung im ganzen Schloffe verbreitet.
Die Gäfte laufen verwirrt unter einander herum, und
‚ehe man ſich's verfah, fanden Die zwölf Teufelsmas—
‚Ten, deren Kleider Feuer gefangen hatten, in lichten
’
*
*
—J
174
Slammen. Hülfe rufend, Dnrchrannten fie die Zimmer,
und ſtürzten ſich endlich bewußtlos in Den tiefen Schloß—
‚graben, der noch in derſelben Nacht vertrodinete, allein
zur Verwunderung Aller nicht die geringfte Spur der
— Leichen mehr enthielt.
XV.
Gohenrechberg.
Der Rechberg oder Nebberg , fo genannt von den
Reben , welche fich einft zahlreich in den Nadelhölgern
des Gebirgs aufhielten, ift von dem nahen Aalbuch
völlig abgefondert, und nur durch einen langen Erd—
rücken mitoden SKohenftaufen zufammenhängend. Er
gehört zu den höchften Höhen der Alb und erhebt ſich
2167 Fuß über die Meeresfläche. Auf der Oberfläche
des Bergs findet man bie und da Gold» und Silber—
fteine, die jedoch nicht reichhaltig find, fo wie verftei-
nerte Meerfchnerfen und Ammonshörner. Der Nechberg
beftebt aus zwei Kuppen, vom denen Die erftere, bei
weitem höhere, eine Kirche ſammt einem Pfarrhaus,
die andere Die Burg Hohenrechberg trägt. Wir be-
trachten zuerft Die obere Kuppe, genannt Dohenrechberg-
Kirchberg. Auf dem Blake, da die gegenwärtige Kirche
ftebt, foll vor Beiten die Klaufe eines Waldbruders
4175 7
geſtanden haben, der auf dem noch mit Tannenwäldern
überwachſenen Berge, im Anblick einer herrlichen Na—
tur, reichlichen Erfaß für die Genüſſe der Welt fand.
Neben feiner Klauſe erbaute er eine kleine hölzerne
Kapelle, in der er ein aus Lindenholz gejchnigtes Bild
der heiligen Jungfrau aufftellte. Bald wallte von Nah.
und ern das Volk der Umgegend zu diefer Kapelle,
ja an hoben Feſttagen Famen oft jo viele Wallfahrer
auf Der Höhe des Berges zufammen, daß fchon zu
den geiten des M. Cruftus viele Läden und Krämer—
buden für Käufer aufgefchlagen wurden, woraus förm—
liche Märkte entftanden, die noch vor 90 Jahren febr
zahlreich befucht wurden. Als die Zahl der frommen
Maller fich immer vermehrte, erbaute Herr Ulrich von
Rechberg im Jahr 1488 eine Kapelle von Stein, bes
gadte fie mit einem ewigen Lichte, und fliftete eine
Befoldung für einen jeweiligen Pfarrer, der zu gewiſ—
fen Zeiten den Wallnern eine Meffe lefen mußte. Mönche
von Gmünd verfahen bis in den Anfang des 18. Jahr—
hundert3 den Gottesdienft an Diefer Kapelle. Als Die
neue Kapelle vollendet war, wurde das alte Marien-
bild feierlich von Geiftlichen in Diefelbe übertragen.
„ber — fo lautet Die Legende — das Bild blieb nicht in
der neuen Kapelle, fondern e8 wurde wiederholter Ma—
len Nachts von den Engeln in Die alte Kapelle zu—
rückgetragen.“ Darum ließ man die alte Kapelle mit
dem Bilde ftehen; allein in der neuen wurde der Got-
teebienft abgehalten, bis im 17. Jahrhundert der Graf
drang Albrecht von Nechberg die von feinem Water
176
Bern begonnene neue und weit größere Kirche vollen-
dete. In dieſer jetzt noch flehenden Kirche find fünf
Dpferflöcfe mit ftets offenen Mäulern aber leider! mit
immer leeren Mägen. — Im Jahr 1767 errichtete
Sraf Mar von Rechberg eine eigene Pfarrei auf dem
Berge; ans der. im Jahr 1488 erbauten Kapelle aber
wurde für einen jländigen Pfarrer eine Wohnung ein=
gerichtet. Im diefem Pfarrhaus wird dermalen ein
guter Tubus aufbewahrt, der jeden Befucher des Berge
zur Verfügung ſteht. Betrachten wir mit Hülfe Diefes
Tubus die reigende Ausficht, die ſich auf Hohenrechberg
Darbietet. Die ausgedehntefte hat man hauptfächlich,
- wenn man fich zum nördlichen Dalbzirkel des Gefichtö-
freifed wendet. Links gegen Weiten liegt der Hohen—
ftaufen mit dem gleichnamigen Flecken, und den Dör—
fein Wüfchenbeuren, Maitis, Lingling, Reitprechts, Mes
nenz, Straßdorf, Gmünd. Rechts gegen Often erblicden
wir die Dörfer Unterwaldftetten, VBettringen, Bargau,
Eßingen, Herlifofen, Muthlangen u. a. mehr. Wenden
wir Die Blicke nach Süden, ſo haben wir zur Rechten
wieder den KHohenftaufen und Die Orte Ottenbach, Ki—
zen, Krummmiälden, Großeislingen, Kleineißfingen, Göp—
pingen, Salach; die Burgen Staufened, Ramsberg,
„ Scharfenberg, nebft den Orten Donzdorf, Reichenbach,
Winzingen, Wisgoldingen, Vorder- und Hinter-WBeilere
Rechberg, die dicht am Fuße des Rechbergs ftehen. Das
Alles ift aber nur die nächſte Umgebung des Rech—
bergs, lauter Orte, die faum drei Stunden entfernt“
liegen. . Ueber die reizende Nähe ſchweift das Auge zu
ET
y
entfernteren Punkten, und entdeckt nach Often das Schloß
zu Ellwangen mit dem Schönenberg, gegen Norden
den Einkorn bei Hall, gegen Weften Lorch, weiter hin
Hohenheim und die Solitüde; gegen Süden und Süd—
often den Aalbuch, den Bernhardäberg, die Ruinen Der
Burg Nofenftein u. f. w. — Bei ganz reiner Luft
fiebt man fogar Die Vogefen, ebenfo erblickt man, frei-
lich nur felten, die ganze Kette Der Vorarlberger Schnees -»
gebirge, immer als Vorbote eines nach 24 Stunden
eintretenden Negenwetters, welche Erfahrung man be—
fonderd auch auf dem herrlichen Qphentwiler Berg ma—
chen Tann. Unſer unvergegliher Guftav Schwab
muß einmal bei einem Beſuch auf Dohenrechberg fo
glücklich gewefen feyn, von bier aus die Alpgebirge zu
erfchauen, Denn er fchrieb in das Fremdenbuch auf Ho—
benrechberg folgenden fchönen Reim:
Sonnenfgein und Wald und Thal,
Drüber fühner Winvesflügel,
Schneegebirg im Abenpftrahf,
Ningsum grün und golone Hügel,
Alles veimet die Natur —
Du, mein Lied, wie wenig nur!
Hat ſich das Auge an der herrlichen Gegend fatt ge—
ſehen, jo hat man hier oben, nach der Mühe des Berg-
feigens, Gelegenheit, fich auch Teiblich zu Taben. Der
jeweilige Pfarrer ift jederzeit fo eingerichtet, daß er die
Dungrigen fpeifen und die Dürftenden tränfen Fan.
12
1783
Hat man Sich, abfonderlih an einem Humpen mit
Meißenfteiner Bier, gehörig erquickt, fo fleigt man von
der oberen DBergfuppe auf Die untere; wir gelangen
in einer kleinen DViertelftunde auf die Burg Hohen—
rechberg, Die, um ein Biemliches tiefer, auf einem
abgefonderten Hügel ſteht, deſſen Mittelfelfen fie ernft
und alterthümlich, und noch gangerhalten, frönt. Auf
einer großen fleinernen Brücke, die über eine Fleine
Thalfchlucht führt, welche Die Burg von dem Gipfel
des Nechverges trennt, gelangt man in den von Oe—
fonomie-Gebäuden a Vorhof der Burg, Der
auch die Wohnung des Schloßwächters enthält. Nun
kommt man über eine hölzerne Brücke, die über einen
ſehr tiefen Graben geſchlagen ift, der den Felſen von
dem eriten Vorhof trennt, und rings um ihn ber lauft.
Die Brüdfe führt zu einem zweiten Thor, Über welchem
ehemals ein hoher Thurm geftanden haben foll. Bon
da aus geht man zwifchen dem Schloßgebäude und
der innern Umfangsmaner dem dritten Thore zu, und
gelangt in ein enges Dreieck, welches Die zuſammen—
laufenden hoben Duadermauern der Gebäude bildete.
Darnadı fommt man durch ein viertes Thor in den
innern Vorhof, zu welchem mehrere Staffeln hinauf
führen; allda findet fich ein fehr tiefer, in Felſen ge—
bauener Brunnen, der immerdar mit Regenwaſſer ge=
füllt it, und auch bei der größten Trockenheit nie
MWaffermangel hatte. — Das eigentliche Schloß hat
die Form eines Hufeiſens, Das auf der nördlichen Eeite
durch eine zweites Gebäude fortgefeßt und gejchloffen
— 179 n Wi
it. Der Bauart nach ift die Burg von hohem Alter,
Das erite Stockwerk ift von den ftärfiten Sanditein-
Duadern, die man am Berge felbit findet, aufgeführt.,
Die übrigen zwei Stockwerke find aus aufeinander getie=
belten Balken erbaut. Das ganze Schloß ftanımt aus
verfchiedenen Seiten: an manchen Stellen wurde jpäter
angebaut oder ausgebefjert. Die innere Einrichtung
it durchaus aus neuerer Zeit. Wohl wohnte jeit 1585,
Keiner aus der Familie mehr im Schloffe, aber es
wurde dennoch fo ziemlich im nothwendigfien Bauweſen
erhalten. — Im unterften Stock find: Die alte Schlof-
füche, einige Stuben für Das ©efinde, und der Pferde—
ftall u. ſ. w. In das zweite umd dritte Stockwerk ge=
langte man ehemals auf einer Neinernen Schneckenſtiege,
die in einem hoben Thurm angebracht war, der jeit
1660 abgetragen worden ; nunmehr führt eine ge-
mwöhnliche bedeckte Stiege in dieſe Stockwerke. Im
zweiten Stode befindet fih die ehemalige Beamten—
wohnung, Das Kanzlei-Zimmer und die Küche, forie
die jehr alte, ehrwürdige Burgfapelle; im dritten Stock—
werfe find noch etwelche - Zimmer für die Herrſchaft,
wenn fie etwa Die Burg befucht, und ein großer alter
Saal. Im Jahr 1585 farb der Letzte der Hohen—
rechberg'ſchen Hauptlinie auf dem Schloſſe Rechberg;
ſeither wohnten nur die Beamten bier, und ſeit län—
gerer Zeit auch dieſe nicht mehr, ſondern nur ein
herrſchaftlicher Jager. Verfallener als die Burg find
ihre Mauern, Thürme und Vorwerke, die ehemals ſehr
bedeutend geweſen ſeyn müſſen. An der äußerſten
180
Mauer ftanden einft zwölf Ihürme, die wahrfcheinlich
bewohnbar waren. Einer derfelben war von Folofjalem
Umfang und ungeheuer hoch, er war durch einen Gang
mit dem Schloffe verbunden; ſchon vor manchen Jah—
ren wurde er, weil er baufällig war, abgetragen.
Außerhalb der Aingmauern waren an dem Berge Ge—
wölbe und unterirdifche Oänge angebracht, wahrſchein—
lich für den Fall, wenn in Zeiten der Noth die Bes
mwobner der Burg jich flüchten mollten.
Kun zur Geſchichte der Burg und des Gefchlechts,
das von ihr feinen Namen führt.
Eine Sage, deren erfte Grundlage der fchmwäbifche
Chronift, der alte treuberzige Thomas Lyrer von
Rankwyl (aus dem 15. Jahrhundert), uns überliefert
bat, eröffnet bie Gefthichte der Burg und Des Ge—
jchlechts. —
Im Anfang des 7. Jahrhunderts, als das Ehriften-
thum in Deutfchland Wurzel zu fehlagen begann, hauste
‚auf der Teck ein gewaltiger Heidenkönig, der Alle wü—
tbend verfolgte, Die fich von ihren Götzen mandten
‚und den chriftlichen Glauben annehmen wollten. Da
jammelte der zu den Heiland der Chriften befehrte
Herzog Rumelius von Schwaben alle feine Freunde
und Vafallen und die fänmtlichen Edeln Der Umge—
R3 gend gegen ihn, und zog Damit gegen den Feind der
Chriſtenheit aus. Er lagerte fich mit einem gewaltigen
Heer am Fuße der Te, wo auch der Heidenfönig
ſein Heer verfanmelt hatte. ALS Die Veinde einander
entgegenrückten, fiegte Herzog Rumelius, geftärft Durch
181
die Macht feines Glaubens, über den mächtigen Geg—
ner. Dreizehentaujend erjchlagene Heiden bededten das
Schlachtfeld, und noch viele von den Feinden wurden
von den Chriften gefangen. Unter den Gefangenen
waren auch vier Sünglinge, Gebrüder, die einen rothen
Löwen auf den großen hölzernen Echilden führten. Der
Sieger, gerührt durch die Schuldlofigfeit der. Jugend,
ließ fte frei, beſchenkte fie veichlih, und fchiekte fie in
das Land zwifchen der Rems und Fils, um ſich Dort
anzuftedeln. Die vier Brüder nahmen den chriftlichen
Slauben an, liegen ſich taufen, und erbauten auf eis
nem fchönen hoben Berge, dem Rechberge, eine Burg,
von der fie jofort ihren Namen führten. So wurden
fie die Stammväter des noch jegt blühenden Gefchlechte.
Sie behielten den rothen Löwen im Wappen bei, den
fie noch ungetauft als Abzeichen geführt, mit dem Uns
terfchiede, daß es nun zwei aufrechtftehende, mit dem
Rücken gegen einander ftehende Löwen mit hervorgered-
ten Zungen und dreifach in einander gefchlungenen
Schwänzen find, und über dem Schilde als Helmzierde
wächst der vordere Theil eines Nehbods hervor. Zum
Andenken an bie blutige Ehriftene und SHeidenfchlacht,
führt noch jet ein Thal in der Nähe von Hohenrech—
berg den Namen Chriſtenthal.
Urkundliche Nachrichten von dem hochedlen Gefchlecht
erhalten wir erft gegen das Ende des 12. Jahrhunderte.
Da lebte Ulrich von Rechberg, Marfchall von Schwa-
ben und des Reichs, im Jahr 1179 ein Begleiter
‚Kaifer Friedrichs, und in den Jahren 1199 8. Phi⸗
132
fipps auf deren rheinifchen und ſchwäbiſchen Pfalzen.
. Auch ift fein Name und der feiner beiden Frauen,
Edilheid und Berchterade, auf einer Monſtranz, vere-
wigt, Die er der heil. Kreuzfirche in Augsburg vergabte.
Sein Sohn Hildebrand zog im Jahr 1194 mit K.
Heinrich VI. nach Stalten und war fpäter in der Um—
acbung K. Philips , K. Friedrichs IL. und Heinrich
VI. Sb der im Sahr 1205 und 1215 in Urfuns
den vorfommende Ulrich von Rechperg ein Bruder Hil—
debrands gewefen, ift zweifelhaft, dagegen hatte Hilde:
brand noch eine Schwefter Adelheid, Burggräfin zu
Augsburg, und einen Bruder Siegfried, der vom Jahr
1208—1227 Biſchof zu Augsburg gemwefen. Ale
folder war er mit 8. Otto bei feiner Krönung in
Rom und wohnte unter K. Friedrich II. vielen Reiche»
tagen an; auch nahm er ein paar Male das Kreuz
im Sabre 1219 und 1227, in welch legterem er auch
auf feinem Hinzug nach Baldflina bereits in Apulien
verjebieden. Hildebrands Söhne maren Hildebrand,
Augsburger Domberr T 1279, Conrad und Ulrich,
son Denen Ulrich im Sahr 1255 allein erfcheint, und
dann werden im Jahr 1259 beide miteinander als
Gebrüder aufgeführt. Bon diefen Gebrüdern wurde
Gonrad Stifter der Sauptlinie auf den Bergen, und
Ulrich der Gründer der Linie unter den Bergen (Rech—
berghaufen). Letztere erlofch wieder mit Wilhelm von
Nechberg im Jahr 1413, die erftere blühte Daurend
fort und theilte fich wieder in vier Pinien, von denen
Die zu Staufeneck im Jahr 1590, die zu Hohenrech—
183
berg im Jahr 1685, und die zu Donzdorf im Jahr
1732 erlofchen ; Die zu Weißenftein ift Die noch blü—
bende. Eo lange das Kaiferhaus der Staufer blühte,
fchloßen fich die Recyberger mit unmandelbarer Treue
an diefe an; als aber fein Stern erloſch und neben
ibm das fchnell aufblühende Grafenhaus der Wirtem—
berger eine wichtige Rolle in der Gefchichte des Schwa—
benlandes übernahm, da waren fie eben fo treu Diefen
zugethan. So jener friegerifche Dans von Mechberg,
der in der Mitte des 15. Jahrhunderts Rath und Die-
ner des Grafen Ulrich) von Wirtemberg gewelen. Er
war ed, der dem Grafen vom Kriege mit dem Pfälzer
Fritz abrieth; aber man hörte nicht auf feinen Rats,
ja er verlor fogar die Gnade des Grafen. In Folge
dDiefer unmwürdigen Behandlung ward er dann der Wi-
Derpart des Wirternberger Grafen. — Ein andrer des
Gefchlechts war Wilhelm von Nechberg um Diejelbe
Zeit, ein Mann von biederem, aber aufbraufendem
Gemüth. Diefer war ein treuer Diener Herzog Georgs
von Baiern, der im Jahr 1489 von dem Pabſt in
den Bann getyan wurde. - Ein wälfcher Geiftlicher
mußte dem Serzog den Bann verkündigen. Wilhelm
‚von Nechberg, der chen anwefend war, wurde über
Diefe Frechheit jo erbost, dag er den Pfaffen nöthigte,
den Bannbrief zu verfchlingen. Als fich aber diefer
weigerte, jo Durchfchoß ihn Der Nechberger mit einem
Dfeile. Die Folge davon war, daß auch er vom Pabft
mit dem Dann belegt wurde und der Herzog Nichts
mehr son ihm wiſſen wollte. Diefer Wilhelm von
184
Rechberg ift wohl Derfelbige, der im Jahr 1445 in
der Kirche zu MWeifersheim eine Mefje ftiftete und allda
begraben liegt. Er fteht daſelbſt in ganzer Figur in
Stein gehauen. — Ein befonders treuer Diener des Wire
tembergifchen Hauſes war Philipp der Lange von Rech—
berg, wirtembergifcher Dbervogt zu Göppingen, auch
befannt als Befchüger des wegen feines evangelijchen
Glaubens verfolgten Martin Cleß. Philipp von Rech—
berg war der einzige unter den Anhängern des vertrie—
benen Herzog Ulrichs, der auch im Unglüd bei ihm
aushielt. Als Herzog Ulrich im. Jahr 1525 nad
einem unglüclichen Verfuche zur Wievereroberung feines
Landes wieder auf feine Felſenburg Hohentwiel jich
zurückzog, da richtete ihn Der treue Diener auf in feiner
Troftlofigkeit mit den Worten: „darum, mein Fürft, -
die Hoffnung nicht weggeworfen, jondern deſto rüftiger
geftrebt, Daß wir wohl ins Vaterland zurückkehren. Die
Hände gerührt! dann wird ein Gott beiftehen; dem
tapfeın Mann iſt Nichts Schwer, dem Tugendhaften
fein Weg verfchloffen, den, der auf Recht und Billigfeit
hofft, Nichts unehrbar. Gelang e3 hier nicht, jo muß
man einen neuen Weg einjchlagen, mit neuen und
wieder neuen Waffen ftreiten, bis wir mit Gottes Önade
unfern Wunfch erreichen.” — Auch zu Ende des 16.
Jahrhunderts lebte ein edler Utz von Rechberg auf
Schloß Hohenrechberg, der ein eifriger Lutheraner war.
Er faufte Luthers Hauspoftille und andre Bücher, aus
denen er alle Sonntage feinem ganzen Haus die Pre=
digten felbft vorlag, und zuvor und hernach Palmen
185
fang. „Soldyes wird man an wenigen Orten antref-
fen,” jagt der alte Chronift Cruſius.
Ueber die Schidfale der Burg Nechberg, Die zum
erften Mal im Jahre 1317 Hohenrechberg genannt
wird, nur noch Einiges. — Im Jahr 1440 wurde ſie
vergebens von den Gmündern und Hallern umzingelt,
In der Mitte des 16. Jahrhunderts hauste ein hitzi—
ger Junker, Utz von Hechberg, auf der Burg, der eis
nen wirtemberg’fchen DBedienten umbrachte. Darauf
lieg Herzog Chriſtoph die junge Mannfchaft aus dem
Amte Schorndorf mit einigen Reitern gegen die Burg
zieben. Diefe fchlugen auf dem Gipfel des Bergs bei
der Mallfahrtäfirche ihr Lager. Da floh der Junfer
zum Burgfrieden: darauf nahm ihn feine Mutter an der
- einen Hand, mit der andern nahm fie die Schlüffel
der Burg, bot fie dar, und bat demüthig mit Thrä—
nen um Frieden. Eine nicht geringe Genugthuung
erfolgte. — Im legten Jahre des Dreißigjährigen Kriegs
erhielt dad Schloß gewaltige Stöße, Da e8 von der
frangöfiichen Befaßung zu Schorndorf mit Lift einges
nommen wurde Doc fteht es würdig und feft von
Geſtalt bis auf diefen Tag, wie fein Gefchlecht noch
blüht, das in neuerer Zeit in den Grafenſtand erhoben,
feinen Ruhm auf dem Schlachtfelde wie im ee
behauptet hat.
Ehe wir vom Berge fcheiden,, laffen wir und noch
zwei wunderbare Sagen erzählen, welche in Familien—
nachrichten überliefert find.
186
Der Klopfer zu Rechberg.
Glockengeläute ertönte in der Burgkapelle des Schlof-
ſes Nechberg; der Fleine Altar war mit Blumengewins
den verziert und hatte fein Feſtgewand angelegt. Es
galt aber auch einer fchönen Beier, denn Ulrich Yon
Nechberg follte heute im Stammfchloffe der Ahnen mit
jeiner reigenden Braut Anna von Venningen getraut
werden. Schon betrat Der Diener des Herrn Die ge—
weihte Stätte und fegnete den Bund der Xiebe, während
die geladenen Gaſte in froher Rührung der heiligen
Handlung folgten, und die errötbende Braut jich fanft
an den geliebten Dann fchmiegte, mit dem fie jo eben
das unauflösliche Gelübde der Liebe und Treue gewech-
jelt hatte. Längft hatten die Herzen ſich gefunden und
verftanden,, aber der alte Herr von Benningen war
Rechberg's Werbung nicht hold und manch heiße Thräne
bleichte Die blühende Wange des Mädchens, wenn fle
mit inniger Sehnſucht des fernen Geliebten dachte.
Es war fein leichtes Unternehmen, wenn ein Fräu-
lein jener Zeit gegen den Willen ihrer Eltern dem
Geliebten Nachricht von fich geben wollte: aber wo
wäre das Hinderniß, das der Liebe Ausdauer, Mutb
und Klugheit nicht endlich zu beflegen wüßte? Graf
Rechberg hatte einen treuen Hund, welcher jo gut ab-
gerichtet war, daß er die Briefe der Liebenden, unter
feinem Halbbande verborgen, ficher an Ort und Stelle
beforgte. Range Zeit war das Tluge Thier ein unent—
behrlicher Freund der jungen Leute gewefen, als Ans
187
na's Vater der Sache auf den Grund fam, und ohne
zu zürnen, den Entſchluß faßte, Das Glück der Kinder
durch feinen Segen zu Frönen.
Selige, wonnige Tage flogen num in ungetrübter
Freude über ihrem Haupte bin: Ulrich Tuchte feine
Welt in den glänzenden Augen feiner Frau und er
bildete ihr ganzes Glück!
Aber wie oft, wenn wir uns gleichfam im Glücke
fonnen, haben ſich, ohne daß wir es bemerken, fchon
Wolfen des Leidens iiber ung gefammelt und der Sturm
droht Ioszubrechen, um all die zarten Knoſpen unferer
dreude zu zernichten.
So oft Uhrih von Nechberg vom Haufe abmejend
war, jandte er feiner Gattin Nachricht durch Den treuen
Hund, welcher ihnen ein eben fo Fluger, als fehneller
Liebesbote geworden.
Es war im Jahre 1496, als der Burgherr ſich
veranlaßt ſah, auf eine Fehde auszuziehen. Wie im
ängfllichem Vorgefühle nahenden Unglücks weinte Anna
lange am Halſe ihres Gatten und ſchien ſich nicht von
ihm trennen zu können.
„Gott ſegne dich, mein treues Weib!“ ſprach er ge—
rührt, ſie zum letzten Male umarmend, „ſey getroſt,
bald ſoll mein Bote dir gute Nachricht bringen, und
ſo Gott will, auch die frohe Zeit des Wiederſehens
melden.“
Fort ſprengte der Ritter mit ſeinen Reiſigen, und
von der Burgzinne winkte die zärtliche Gattin ihm ein
188
letztes Lebewohl zu, und blickte ihm nach, bis der Zug
ihren thränenfchweren Blicken entfchwunden war.
Tag um Tag verging — aber fein freundlicher Bote
kam, der barrenden Herrin frohe Kunde zu bringen.
Anna's Herz wurde immer fchwerer, und täglich
fniete fie Stunden lange vor dem gleichen Altare, an
welchem fie einjt dem geliebten Manne angetraut wor—
den war, und flehte für ihn um Gegen, für ſich um
Gnade und Kraft.
Ein ſonniger Herbſttag neigte fich zu feinem Ende;
die legten Strahlen der finfenden Sonne füßten ſchei—
dend Berg und Thal und fandten goldene Streiflichter
durch die runden Scheiben der Burgkapelle, in welcher
Frau Anna, wie gewöhnlich, in tiefer Andacht betete.
Immer länger wurden die Schatten, immer düſterer
die Beleuchtung der Kapelle, bis endlich nur der Altar,
in Schwachen Umrifjen von dent ewigen Lichte erleuche
tet, jich hervorbob. Unna von Rechberg hatte, in ftiller
Andacht verloren, Das Eintreten der Dämmerung faum
Gemerft, als ein immer ſtärker mwerdendes Klopfen an
der Kirchenthüre fie aufjchreefte. Ihr war wohl ges
mejen in dem heiligen Frieden des Gotteöhaufes, und
die Störung fam ihr unerwünſcht. Sie dachte, es jey
einer der Diener des Kaufes, und Fümmerte jich zuerft
nicht darum. Aber ftärfer und andauernd ertünte dad
Klopfen, bis die junge Frau fich ungeduldig, mit den
Morten „Ad, daß du ewig Elopfen müßteſt!“ von ih—
vem DBettftuhle erhob, um die Thüre zu Öffnen.
Der treue Hund, welcher ihren Gatten begleitet hatte,
189
ftund vor derfelben, und jchmeichelte der Herrin mit
traurigen Blicken und ängftlichem Winfeln ; fein Brief
war unter dem Halsband zu finden, und mit einem
Schmerzensfchrei fanf die arme Frau ohnmächtig zu
Doden. Zwei Tage fpäter brachte ein Knappe die
Trauerbotfchaft von dem Tode des Herrn von Rechberg ;
er war im Kampfe erfchlagen worden.
Don diefer Stunde an ſchien das Leben in Anna’s
Bruft gebrochen, der Gram zebrte fichtbar an ihr, und
als nach Jahresfrift Die Serbitftürme wieder durch Die
Bäume beulten und die gelben Blätter davon trieben,
fangen fie auch ihrem armen Herzen das Todtenamt,
und fie ward zur emigen Ruhe gebettet. Zur felben
Stunde, ald ihr Geift ſich von den Feſſeln des Körpers
löste, ertönte das geifterhafte Klopfen an der Thüre
ihres Sterbezimmers wieder, und fo lange Das Befchlecht
der Nechberg blühte auf Erden, hörte jeder Nachfomme,
wo immer er lebte, jenes geheimnißvolle Klopfen in
feiner Todesftunde, gleich einem mahnenden Rufe aus
einer andern Welt. — Noch lange ſah man im Schloffe
der Herren von Rechberg zu Weißenftein einen Hund
abgebildet, der eine lederne Taſche am Halsband trug.
Der Geift auf Staufen.
Nach geläuteter Abendglocke fieht man oft, felbft bei
Sturm und Regen, eine helle, weitleuchtende blaue
Flamme über den ſchmalen Erdrücken, welcher Hohen—
ſtaufen und Hohenrechberg verbindet, hinwandeln. Sie
199
ziebt, bald schnell, bald Tangfam, linfs an der Burg
vorüber, bis an die Bfarrficche auf dem Berge. Von
bier aus macht fie den gleichen Weg zurück und bleibt
bis zum Morgenfegen am Hohenſiaufen fichtbar, wos
rauf fie verfebwindet. Diejes Phänomen erſcheint nicht
alle Tage, fondern nur bie und da, befonders zur
Herbſtzeit.
Im Munde des Volkes erhielt ſich eine Sage, der
zufolge das Flaͤmmchen ein Geiſt iſt, der aber noch
nie Jemand Böſes zugefügt bat.
In den grauen Zeiten des Mittelalters, als der
Minnefang im feinem ſchönſien Glanze blühte, lebte
auf Hohenſtaufen ein Edelknecht, der, obgleich ein tapfes
rer Kämpe, doch Die Yaute mit Meiſierſchaft jchlug.
Seine Lieder voll Glut und Leben, fanden in gar man-
chem Frauenderzen ein Echo, und manch ſchönes Auge
itrahlte ihm im fenchtem fange eistgegen, ihm Der
Minne Luſt Yerbeigend. Er aber blieb kalt gegen Das
füße Locen, denn im feinem Kerzen lebte Das Bild der
Freiin von Hohenrechberg. Er hatte Das Ideal, das
er im Brennpunkte der Seele trag, im Weibe eines
Andern gefunden: aber er blifte anf zu ihr, wie man
zur Madonna aufblickt, in jeliger Begeiſterung, hoch
erhaben über jeden irdiſchen Wunſch! Traf ihn ihr Auge,
ſo fühlte er ſich hingeriſſen von dem ſüßen, unnennba—
ren Zauber dieſes Blickes, und doch glich ſeine Liebe
einer heiligen Verehrung. So oſt die Nacht anbrach,
verließ der Sängling Staufen und pilgerte einſam nach
197
Hohenrechberg, wo er zu den fehmeichelnden Tönen
der Laute der Geliebten ein Schlummerlied fang.
Der Nitter von Nechberg aber entbrannte in wilder
&iferfucht, er konnte Die reine ſchwärmeriſche Leiden
haft des Jünglings nicht begreifen, und lauerte ihm
auf. Nach tapferer Gegenwehr mußte der arme Sän—
ger unterliegen umd wurde, febwer verwundet, in Das
Burgverlieg gefchleppt, wo er, ohne Pflege und Nah—
zung, nad) wenigen Jagen verfchmachtete.
Keine Chronik meldet, 05 die Frau von Rechberg unter
jenen Ereignifjen gelitten habe, aber des armen Sän—
gers treue Liebe hat felbft Das Grab überlebt, umd
feit jener geit fieht man, bejonders im Herbſte, als
der Jahreszeit, in welcher die unfelige That vollbracht
wurde, das blaue Flämmchen den gewohnten Weg
mwallen und beim Morgenfegen verfehmwinden. Wer
"vermag das Räthſel Diefer Erfcheinung zu ergründen,
und wer die geheimnißvolle Verbindung mit einer an—
dern Welt zu läugnen oder zu erklären?
192
XVL
Sangenburg nnd Kabenflein
an der Jagſt.
Langenburg, früher Langenberg, das nach Waldenburg
am febönften gelegene Schloß des erlauchten KHohenloh’-
ſchen Bürftenhaufes, Nefidenz des Fürſten Ehriftian
Ernft Earl zu Hohenlohe-Langenburg, rühm⸗
lich. bekannt als Präſident der würtembergiſchen Kam⸗
mer der Standesherren. Es liegt auf der Spitze einer
weit in das freundliche Jagſtthal hinausragenden Ge—
birgszunge, in Mitte eines wohlgepflegten Gartens,
von deſſen Plattform aus ein ſchöner Einblick in Das
Jagſtthal fich eröffnet. Das Schloß Langenburg ift
ein mafjived geräumiges vierecfigte8 Gebäude, mit vier
Eckthürmen und einem Mittelthurm, deſſen Knopf 1642
Fuß über dem Meere ragt. ES ift Durch zwei tiefe
Graben, über welche Brucken führen, von der Stadt
getrennt. Im Jahr 1610 wurde das Schloß theil-
weife neu aufgebaut. Wahrfcheinlid wurde Damals
auch die Burgfapelle eingerichtet, welche im Jahr 1627
eingeweiht worden.
Der jebige, fehr wohnlich eingerichtete Fürftenfig,
fteht auf den Grundlagen einer alten, einft wohlbe—
Ne Burg, von der fich febon zu Anfang des 13.
Jahrhunderts ein hochedles Gefchlecht nannte, Das mit
den Dynaften von Hohenlohe, ihren Rechtsnachfolgern,
193
in nahen, mahrfcheinlich verwandtichaftlichen Verhält—
niffen fland, und namentlich im althohenloh'fchen
Drte Mergentheim mit begütert war. Walther von
Zangenbere zeugt von den Jahren 1201 bis 1232
häufig in Urkunden, und befindet fich meiftens unter
dem Gefchlechte der Kaifer vom flaufifchen Haufe.
Seine Söhne waren Albert und Siegfried. Mit Diefen
trägt er im Jahr 1226 dem Hochftift Würzburg zu
Lehen auf: Rangenberg, Veſte und Stadt, Bächlingen,
Neffelbah u. ſ. w., nebſt allen Fifchengen in der
Jagſt, Die zur Veſte Langenburg gehören. Unter feinen
- Söhnen war Albert Bruder Deutfchordens in Preußen.
Zu gleicher Zeit wird ein Heinrich von Langenberg
genannt, der durch feine Gattin Sophie von Bielrieth.
zu Biringen bei Schönthal Güter erworben hatte.
Das Wappen dieſer Edelherren war queergetheilt, oben
in der ſchwarzen Abtheilung ein gefrönter goldener
leopardirter Löwe, unten Schwarz und Gold gefchacht.
Wie Siboto von Langenberg, der mit Albrecht von
Langenberg im Sahr 1224 in einer Urkunde zeugt,
in das Gefchlecht einzureihen wäre, wiffen wir nicht.
Mappen und Beflgungen der Herren von Langenberg
gingen wohl fchon vor 1234 in den Befi dee
Herren von Hohenlohe über. Wohl tritt noch im
Jahr 1253, während Veſte Langenburg bereits hohen—
lohiſcher Beſitz iſt, ein Heinrich von Langenburg in
einer Urfunde ald Zeuge auf, aber, wenn er anders
nicht der ‚Ichte Erbe der Langenburger war, fönnte er ein
Burgmann der Herren von Hohenlohe geweſen ſeyn,
13
194
wie der fpäter im Jahr 1287 und 1290 genannte
Conrad Neze von Langenburg, welcher fich eigentlich
von Bächlingen geſchrieben. — Im Jahr 1234. er=
ging über die Veſte Langenburg ein trauriges 2008.
Don ihr und andern ihren Burgen aus follen Die
Gebrüder Gottfried und Conrad von Hohenlohe Feind-
feligfeiten, ja fogar Raub und Brandfiftung verübt
haben, wodurd der Landfriede geftört wurde, Als
Klage darüber ergieng, fällten die Fürften auf dem
Keichstage zu Frankfurt im genannten Jahr das Ur—
theil, daß Diefe und andere Burgen zerfiört werden
follten. König Seinrich (VII) von Staufen, Fried—
rich II. Sohn, ließ Diefen Beſchluß Durch Heinrich von
Neufen vollziehen, und Die Veſte Langenburg murde
nach Urtheil und Recht zerfiört. Darüber fcheint fich
Gottfried von Hohenlohe bei dem Kaifer, feinem
Gönner, beſchwert zu haben, und Diejer befahl als—
bald feinem Sohne, mit eigenem Oelde Die zerftörten
Schlöffer wieder berzufiellen , und namentlich Das
Schloß Langenburg, welches zu Frankfurt von Rechts-
wegen einem Pupillen (etwa Dem obigen Heinrich von
Langenberg) zurücgeftellt war, Diefem wieder abzu-
nehmen und an Gottfried von Hohenlohe wieder zus
rückzugeben. König Heinrich aber that das nicht, um
nicht Ehre und Necht zu verlegen, Dagegen ließ ev an
Gottfried von Hohenlohe 2000 Mark Silbers zur Wie—
derherftellung der Burg auszahlen. Von nun an blieb Die
Veſte Langenburg im Befis der Herren von Hohenlohe.
Bon Gottfried ging fie auf feinen Sohn Mraft J.
a
195
über, der fie jeiner Tochter Adelheid, Gemahlin Con:
rads von Dettingen, für 1200 Mark Heimfteuer ver-
febrieben. Seitdem wurde Langenburg son feinen Ber
figern manchmal verfegt und verpfändet, aber immer
wieder eingelöst, ja im Laufe der Zeit wurden noch
mehrere Höfe, Güter und Zehenten erfauft, auch kamen
in Folge von Erbtheilungen mehrere namhafte Orte
hinzu, und jo bildete fich Die Herrſchaft Langenburg,
welche durch daS neuefte Erbe, Stadt Weikersheim und
Die Dazu gehörigen Orte, bedeutend vermehrt, nunmehr
eines der fchönften hohenlohiſchen Fürſtenthümer ge—
worden.
Auf der Gemarkung des Schloſſes und der Stadt
Langenburg Tagen in alter Zeit noch zwei Burgen,
deren Befiger wie Die Reize von Bächlingen zu den
Dafallen (Burgmännern) der Kerren von Hohenlohe
auf LZangenburg gehörten. Eine lag am Weg nach
Michelbach auf der Marfungsgränze, und hieß Struth,
eine zweite etwas entfernter auf einem Vorſprung Des
Bergs, oberhalb dem Weiler Hürden, welche den Nas
men Kagenftein trug. Don diefer Burg find nur
noch wenige Nefte übrig; es find nichts als Stein—
haufen, welche an der Stelle fich finden, Da die frühere
Burg ftand. Noch kennt man Güter bei Bichlingen,
welche zur Burg Katzenſtein gehörten, und bis auf die
Zeit, der Zehentablöfung flatt dem Zebenten nur
dreißigſten Theil zu reichen hatten. Wir geben ein
"Sage, wie fie noch im Munde des Volkes ‚gebt „die
von der hi Diefer feltenen Abgabe berichtet,
-
196
Die Sage vom Dreißigften.
Gegen das Ende des 13. Jahrhunderts, da Lan—
genburg ſchon längft den Herren von Hohenlohe an=
gehörte, lebte auf der Burg Katenftein Ritter Kunibert, ein
Vaſall der Hohenloher, ein Mann tapfer und kühn, aber
raub in feinen Sitten, und hart und ftreng gegen feine
Dinterfagen. Sa, was wollen wir fagen? er war es nicht
nur gegen jeine Hinterſaßen, fondern auch gegen fein eigen
Fleiſch und Blut. Seine Gattin Irmgard von Langenberg
batte ibm einen Sohn geboren, an defjen Geburt fte
ftarb. Das war der einzige Sprößling, an dem feine
Hoffnung bieng. Demungeachtet ließ er ihn aufwach—
jen obne Sorge und Pflege, ganz ſich jelbft überlaffen,
aljo Das der Knabe wenig in die Nähe des Vaters
fam, jondern mehr bei den Knechten im Stall feine
Zeit zubrachte, oder unter den Buben der Hinterfaßen,
die unten im Dorfe Bächlingen wohnten. Nur bei
Tiſche ſah er den Vater, und da war die Unterhaltung
gemöhnlich weder eine belehrende, noch freundliche, denn
Ritter Kunibert war ein mürrifcher und troßiger Mann,
der wenig redete. Sah der Sohn den Vater außer
diefer Zeit, fo waren es nur jene Stunden, wo er
den Sohn wegen dieſes oder jenes jugendlichen Ver—
gebens zornig zur Rede ftellte, oder, was gemöhnlich
der Fall war, den Rüden des armen Knaben mit der
Veitſche Durchbläute, Die fonft für feine Jagdhunde bes
flimmt war. Go fünnen wir uns mohl denfen, daß
fih der Knabe von Jugend an menig an das Herz
|
197
des Vaters anfchlog, fondern vielmehr jich demfelben
immer mehr entfremdete. So wuchd der Knabe zum
Jüngling, ohne Liebe zum Vater, aber auch ohne Sitte,
denn der raube Vater ftand ihm weder mit Mahnung,
noch Lehre zur Seite. Im jenen Zeiten war es Ges
brauch, daß Nitter ihre Söhne, fobald fie das 14.
Sahr erreichten, auf die Burg eines befreundeten Rit-
terö jandten, um Hitterfchaft, Sitte und Anftand zu
lernen ; das hielt Ritter Kunibert nicht für nöthig,
denn er glaubte, daß fein Sohn Wildemar durch fich
ſelbſt oder feine Knechte ſchon genug lernen Fönnte,
um dereinft fein Roß tummeln, den Eber been und
den Reiher beizen zu können; wie man den gnädigen,
oder vielmehr ungnädigen Seren gegen die armen Hin—
terfaßen jpielte, Das, meinte er, würde der Sohn am
beiten dem Vater abjehen. Jedoch gerade darin nahm
Wildemar den Vater nicht zum Vorbild, wenn er auch
in Anderem viel Achnlichkeit mit dem Vater zu haben
ſchien. Statt ſtolz und hochfahrend, war er gegen Die
DBauernlümmel, wie fie fein Vater in feinem Gtolze
nannte, freundlich und liebreich, und gar nicht wie ein
Junkherr. Ja er war fo gerne unter den Bauern, daß
man ihn oft bei ihnen auf dem Felde fand, wenn jte
ihre ländliche Arbeit verrichteten, und Junkherr Wilde»
mar entblödete jich nicht, Die Pferde am Pflug zu treis
ben, oder in der Erndtezeit Die Garben zu binden und
den Bauern helfen den Wagen zu laden. Darum
wurde Wildenar manchmal gar firenge von dem Vater
zu Rede geftellt, denn, ob er gleich den Sohn unter
198
den Bauernbuben hatte aufwachfen laffen, war es ihm
Doch zuwider, Daß er als Junkherr von altem Adel zu
ſolchem Bauernvolf ſich erniedrigte, und mit dem ge—
meinen Volk, auf das er in feinem Adelſtolz jo Hoch
berabfab, fo gar freundlich verkehrte. Ob gleich Ritter
Kunibert dem Sohn wegen dieſes feines Treibens, Das
ja nur eine Folge feiner vernachläßigten Erziehung war,
heftige Vorwürfe machte, fo hörte der Junkherr dennoch
nicht auf, jich freundlich zu Den Bauern zu halten,
und man ſah ihn bald jelten mehr droben auf Der
Burg, fondern eher drüben über Der Jagst in dem
Dörflein Bächlingen. Wenn die Randleute in der Feier:
ftunde oder an den Sonntag Abenden fich unter Der
Drtslinde mit Söhnen und Töchtern verfammelten, da
fehlte felten der Junkherr ab der Burg, und er that
viel freundlicher mit den Dirnen des Orts, als mit
den Töchtern des Grafen drüben auf der Burg Lan—
genberg, wenn er je einmal jene Burg beimfuchte.
Einer vor Allen wendete Wildemar feine Aufmerkſam—
feit zu, es war ©ertrude, das Mägpdlein mit blauen
Augen und blonden Saaren. Sie war nicht aus dem
Drte gebürtig, fondern hielt fich fett ihrer Jugend bei
einem Wetter von mütterlicher Seite, dem Ortsrichter
zu Bächlingen auf, dem fie, da er ohne Gattin und
Finder war, bisher das Hausmefen führte. Ihre El
tern und Gefchwifter faßen weiter unten im Sagstthal
und waren Sinterfüaßen der Grafen von Hohenlohe.
Seit Junkherr Wildemar die Tiebliche Gertrude ſah,
verging fein Abend, Daß er nicht unter der Linde im
199
Drt fich einfand, und oft Echrte er erft, wenn der Mond
weithin über das Thal ftrahfte, auf die väterliche Burg
zurüf. Als aber der Winter mit feinen langen Aben—
den eintrat, wo die Mägdlein des Dorfs fih zum Vorſitz
verſammeln, fehlte auch der Junkherr nicht; er ſaß
unter den Sünglingen des Dorfs, die noch Gefpielen
feiner Jugend waren, und machte alle jene heiteren
Spiele und Scerze mit, welche den Mägdlein von
Lande die Unterhaltung der VBornehmen erfegen müſ—
jen. War der Junkherr während der Spiele freund-
lich gegen: Alle, fo ließ er, wenn die Jünglinge und
Mägdlein auseinander gingen, unverbolen merken, wen
jein Beſuch gegolten, denn er begleitete jeder Zeit Das
liebliche Mägpdlein bis zum Haufe des Vetters — von
dort aber kehrte er um, denn im Haufe des Drtörichterg
war firenge Zucht, und Gertrude war fo rein und
fittjam, Daß nur ein warmer Händedruck Alles war,
was der Junkherr zum Abfchied erhielt. Mit Diefen
Lohne mußte er fich begnügen, und dann in der ftod-
> finftern Nacht Durch den tiefen Schnee, ja oft unter
Wind und Sturm, den Burgpfad hinanfleigen, den
er oft mit den Händen fuchen mußte Doch, wo hat
ein Tiebender Jüngling je Wetternacht gefürchtet, oder
von ſteilem und unmweglamen Pfade fich abſchrecken
laffen, wenn diefer zum Liebchen Hin, ‘oder von ihm
zurückführte? Aber andere Hinderniſſe flellten fich bald
Wildemars Liebe in den Weg, die ſchwerer zu über—
winden waren, ald Sturm und Wetternacht, als ſteile
und ſchneebedeckte Pfade zur Hochgelegenen Burg. Rit—
200
ter Kunibert von Kaßenftein wurde bald aufmerkffam
auf die nächtlichen Wanderungen des Eohnes, er er-
fuhr von feinen Leuten, wen zu Lieb der Junkherr jo
oft Die Burg hiuabſtieg, und fo fpät wieder nach Haufe
kehrte — über der Jagst zu Bächlingen war es vor
Niemand mehr verborgen, daß der Junkherr der blon-
den. Gertrude zugethan ſey; ja, man wollte ſogar noch
Mehr wiſſen, denn nirgends pflegt die geſchwätzige Sage
mehr Hinzuzuthun, als in folchen Fällen. Wohl war
es, als der Winter im Jagstthale Abichied nahm, und
der Frühling fich wieder einftellte, zwifchen dem Junfe
berrn und der lieblichen Gertrude weiter gekommen,
ald es zu Anfang des Winters geweſen war — Das
Mägpdlein ließ des Junkherrn Zuneigung nicht uner—
wiedert, ja fie machte fich fo wenig Daraus, wenn fte
von ihren Gefpielinnen mit ihm geneckt wurde, daß ſie
ſich nicht feheute, Des Abends, wenn der Junkherr von
der Burg herunterfam und wieder dahin zurückkehrte,
ihm bis zu dem Steg, der über die Jagst führt, das
Geleit zu geben. Aber immer geſchah es ohne Wiſſen
ihres Vetters, Denn er ſah ungerne dazu, Daß ber
Junkherr von Kagenftein auf feine Gertrude dad Auge
geworfen hatte. Oft fagte er im ernften und bedeu—
tungsvollen Tone zu ihr: Gertrud, laß von dem
Junkherrn, denn zur Hausfrau kann er Dich nicht
wollen, und für feine Buhlin bift du mir zu gut;
weife ihn artig von Dir, ſonſt befürcht' ich, möcht! es
wohl ein übel Ende nehmen. Gertrud verſprach es
feierlich, den geliebten Junkherrn abzumeifen, ohne ihn
201
zu beleidigen, aber fo oft fie es ſich auch vornahm,
jie Fam nie dazu. Noch viel weniger lieg Wildemar
von feiner Neigung ab, obgleich der Vater zuerft bittere
Worte, und dann die furchtbarften Drohungen an-
wendete, um jeinen Sohn zu beflimmen, daß er von
der Bauerndirne laſſe, mit der er nur den hohen Adel
feined uralten Gefchlecht3 beflecke. Letzterer Grund galt
bei Wildemar gar wenig, denn wenn er unter der
Linde zu Bächlingen neben Gertrude faß, oder wenn
fie ihm beim Abjchied auf dem SJagstbrücklein einen
warmen Händedruck gab, fo ſchwand vor ihm jene
Kluft, welche die Edelgeborenen und die Unfreien von
einander trennte. Aber auch die Drohungen des Vaters
machten nur auf Furze Zeit einen Eindruf auf ihn.
Einige Zeit blieb er auf der Burg, aber bald ging
er wieder ind Thal hinab. Er Dachte nicht, daß fein
Vater in der Erbitterung des gefränften Adelftolzes fo
weit gehen würde, felbft gegen fein eigen Fleiſch und
Blut graufam zu verfahren, oder zum wenigiten das
fchuldlofe Mägdlein zum Opfer feiner Rache zu machen.
Das geſchah bälder, ald man nur vermuthen Eonnte.
Eines Abends Eehrte der Junkherr vom Dorfe zurück
— es war fchon tiefe Dämmerung, als er mit feiner
Begleiterin an dem Brücflein anfam; eben hatte er ihr
die Hand geboten, und war mit dem Wunfche: gute
Nacht! über den Steg getreten, Gertrude aber wendete
fich fehon beimmärts; da auf einmal wurde fie von
einer hohen Geſtalt feftgehalten, die in Dunfel an
den Eteg gefchlichen war, ohne daß Wildemar es merkte.
202
Gertrude ſchrie laut auf, als fie Die fremde Sand am
Arme fühlte. Schnell Fehrte der Junkherr um, und
fand wieder bei Gertrud, welche jich von dem fremden
anne loszumachen fuchte, Der fie nach dem Brücklein
zog. — Wildemar unterfuchte nicht fange, wer es war,
er faßte Den Gegner, um ihn von Gertrud zu reißen.
Aber Diefer war £räftiger, und fehleuderte das Mägd—
fein, das er ohne Mühe an fich gezogen. hatte, über
den Steg, wo die Jagst am tiefften war. Als Wil-
demar den Ball hörte, ließ er von dem Manne, und
iprang Der Geliebten nach, um fie zu retten. Er ver-
ſank mit ihe in Die Mellen des Fluffes. — Der Ritter
von Katzenſtein — das war die vermunmte Geftalt
— hatte fein Werk vollbracht, zu den er ausgegangen
war — er hatte das Opfer feiner Rache den Fluthen
der Jagst übergeben — wider feinen Willen war e8
ein Doppeltes Opfer geworden, auch der Sohn wurde
mit in das Verderben Dineingezogen. Doc es machte
dent harten Manne, der noch nie recht liebend für den
Sohn gefühlt hatte, feinen großen Kummer. Er ſah
das Mädchen, und bald Darauf auch den Sohn im Die
Fluthen verfinfen — bald darauf, wie der Sohn Die
Geliebte am Arm faßte und mit den Wellen rang,
aber er wurde nicht gerührt — wie ein Fremder wandte
er fih ab, und überließ die Külfsbedürftigen ihrem
Schickſal. Er ging gleichgültig auf feine Burg zu—
rue, und meinte noch ein gute8 Werk gethan zu haben.
Aber über Dem Schieffal der Beiden, Die in der Fluth
verfanfen, wachte ein Höherer, der es liebevoller mit
’
203
ihnen meinte. Weit unter dem Dorfe Bächlingen
brachte Mildemar das halb todte Mädchen ang Land.
Als Gertrude wieder zu fich gefommen war, wurde
ſchnell ein Entſchluß gefaßt und ausgeführt. Wildemar
hatte erfannt, Daß e3 fein Vater gewejen war, der fo
ſchrecklich gegen das unfchuldige Mädchen verfahren
war; alle Bande Der Liebe waren Dadurch zerrifien :
er wollte nimmer auf die Burg zurückkehren. Un Der
Hand des Tiebenden Mädchens zog er abwärts Das
Thal. Im Dörflein Hohebah, nicht ferne von Der
fteblichen Kapelle St. Wendelins zum Gtein, im Ge—
burtsorte Gertrudeng ; fanden. beide freundliche Auf—
nahme in Dersärmlichen Hütte liebender Eltern, und
nach Kurzem die Erfüllung ihrer Münfche. Der Junf-
herr Tegte alle Zeichen des adeligen Standes ab, ex
vertauſchte Den ritterlichen Sammtrock mit den leinenen
Kittel des Bauern, die Stiefel mit Flirrenden Sporen
mit dem plumpen Bundſchuh, und fühlte ih von nun
an viel glücklicher in feinem geringen Stande, am der
Seite feiner getreuen Gertrud, als in feinem früheren
Leben auf der Burg, Das ohne Liebe war, und ihm
nie recht behagt hatte. Er lebte einfam und verborgen
vor der Melt, in füßem Frieden, in dem er durch
Nichts geftört wurde, da Niemand von ihrem Aufent—
halt wußte, ausgenommen der Better zu Bächlingen,
der bald nach Gertruds Rückkehr in die Heimath von
ihren Eltern in Kenntniß gefeßt worden war, aber
unter dem Giegel der größten Verſchwiegenheit, denn
Gertrud und Wildemar befürchteten, der Vater anf
204
der Burg Fönnte fie früher oder fpäter in feiner Ver—
borgenheit aufjuchen. Ihre Furcht übrigend war ver—
gebens. Ritter Kunibert von Katzenſtein hatte nicht
einmal nach feinen Sohne Nachfrage angeftellt, er
mwähnte ihn in den Fluthen der Jagst begraben mit
dem Mäbchen. — Er ſchweigt gerne von dem fo fchnell
verfchwundenen Sohn, denn die Erwähnung feines
Namens muß ihm ja in die Seele rufen, daß er, von
Reidenfchaft verleitet, eine Doppelte Sünde gethan. Doc)
die Stimme feines Gewiſſens fchmeigt nicht, wenn auch
Niemand mehr von dem verfchmundenen Sohne redet,
es Elagt ihn an uud macht ihm manche trübe Stunde.
Je mehr feine Haare grau werden und Die Tage des
Alters nahen, deſto einfamer und verlafjener fühlt er
fib. Ritter Kunibert hat Diener und Reiſige um fich,
Die feiner Befehle gewärtig find, aber unter ihnen ift
kaum einer, der feinen Sohn erfegen fünnte, und wenn
der verlorene Sohn Wildemar feinem Kerzen audy nicht
fo nahe ftand, wie es hätte jeyn können. — Dreizehn
lange Sabre feblichen dem Ritter dahin in feiner Ein-
ſamkeit und DVerlaffenheit, in feinem Gram und Trüb-
finn, der durch Nichts, weder durch Jagd, noch Trink
gelag verfcheucht werden Fonnte. Oft famen Stunden
bei ihm, Daß es Fein Diener mehr in feiner Näbe
aushalten fonnte, fo düſter und griesgrämig war Ritter
Kunibert. Es waren Stunden, wie bei König Saul,
wenn der böfe Geift über ihn Fam. Nur Einer feiner
Diener, der ergraute Wunibald , durfte in folchen
Stunden um ihn ſeyn, und fonnte ein Wort des
205
Zufpruch® wagen, wenn der Nitter je ein folches an-
nahm. Es war ein ſchöner Morgen im Mai, der
Pfingfimontag, die Sonne glänzte mild über das Thal
bin, aus dem Schatten der blüthenreichen Bäume er=
Hang luftig die Stimme der Vögelein, und die Jagst
raufchte noch rafcher durch den Wiefengrund, gleichſam
ihre Freude zu bezeugen, daß es fo herrliche Zeit ſey.
Der alte Wunibald trat in das Gemach feines Herrn,
um ihm das Handbecken zu reichen. Was für ein
fhöner Tag, fo begann er, als er feinen Seren mit
düftrem und trübem Blicke ſah — traun, Das ift der
jchönfte Pfingftentag, den ich mir denfen kann; die
Leute im Thal haben es gut getroffen, Daß fie den _
zu ihrer Maienfahrt erfehen. So, fo, fagte der Ritter.
griesgrämig, die Bächlinger wollen eine Maienfahrt
halten, und doch find letztes Jahr die Früchte fo ſchlecht
gerathen, Daß es kaum zum Zehenten für mich hin—
reichte; von Gült und anderer Steuer will ich nicht
reden — ich mein’, die Luft zur Maienfahrt follte
heuer meinen Hinterfaßen vergangen feyn. Doch nicht,
guädiger Kerr, entgegnete Wunibald, und fie haben
auch Recht — was follen fie den Kindern dießmal
die Freude nehmen, weil Ge legte Jahr fein geſegne—
te8 und der Winter ein fo gar firenger gewejen? das
Bittre müſſen fie verſchmerzen im Anblick des Segens,
der jeßt vor ihrem Blicke Tiegt; wahrlich, gnädiger
Herr, fo ſchön haben die Bäume noch nie geblüht,
wie heuer, man flieht vor Blüthe Fein Blättchen mehr,
im Saatfeld aber mwallen ſchon die ehren, Daß fie
206
nur reif werden Dürfen — traun, Da darf man fi
fchon freuen im Mat, und eine Maienfahrt ift Feine
Sünde. Aber, gnädiger Herr, was fagt ihr Dazu, Daß
eure‘ Hinterfaßen diegmal bei ihrer Maienfahrt hieher
auf Die Burg. ziehen und unter Der Linde Den Maien—
tanz halten wollen? — Wer hat e8 dem Bauernvolf er=
Yaubt? fragte der Ritter mit bittrem Ton: Niemand,
entgegnete Wunibald, aber mich haben die Bächlinger
angegangen, bei euch darum anzuhalten, und ihr wer—
det es doch nicht abfcehlagen ; auch würd’ es euch wohl
nicht fehaden, wenn ihr Die Sreude mit. anfehen würdet,
denn ihr habt Doch fo wenig Sreude im Leben. „Wohl
— die Luft Anderer mehrt nur meinen Trübfinn
— Sag’ ihnen, fie Dürfen nicht Fommen.” Obgleich
der Ritter auf ſolche Weiſe entichieden feinen Willen
fund that, daß feine Maienfahrt nad) der Burg ge—
fchehen dürfe, fo ließ fich Doch der gute Wunibald
nicht abfehreden ; er wiederholte noch einige Male feine
dringende Bitte, und beſtürmte fo lang das Herz Des
Burgseren, bis er endlich, wenn auch etwas umwillig,
fagte: fo mögen fie fommen! Im der andern Stunde
hatten die Sinterfagen im. Thal ‚von ihrem treuen
Fürfprecher fchon Bericht, Daß es geſchehen Dürfe, was
ſie wünfchen. — Nachmittags um die zwölfte Stunde
verfanmelte ſich Alt und Jung unter der Drtslinde,
Alles war feftlich angethan wie zu einem Kirchgange,
Befonders hatten die Mägplein und Sungfrauen allen
Kleiverflaat zufammengefucht, den fie ſchon lange Zeit
nimmer aus dem Behälter hervorgezogen hatten. Die
207
Sungfrauen bis zu den kleinſten Mägdlein von fieben
Fahren trugen Schayeln von Roſen- und Goldbändern
auf dem Kopf, und Blumenfränze in den Händen ;
auch Die Knaben hatten reiche Schapeln aufgefegt und
ſchwangen Diaienreifer. Als ſämmtliche Bewohner um
Die Linde verfammielt waren, wurde Der Feſtzug geord—
net, Knaben und Mägdlein ftellten ſich Baar und Baar.
Den Zug eröffneten zwei Knaben, Die befonders feftlid)
angethan waren; fie trugen große feidene Bahnen,
welche, fonft bei firchlichen Aufzügen durchs Ort und
auf der Flur getragen worden. Die früh vollendete
Burgfrau hatte ‚beide Fahnen in die Kirche geftiftet,
und mit eigener Hand in die eine Fahne ihr Familien—
wappen, in Die andere das Mappen des Gemahls ges
ſtickt. Nach den Tahnenträgern folgte die Muſik; «es
waren Sünglinge mit einem Dudelſack, Blöten, Po—
faunen und Hörnern. Hinter ihnen: gingen zwölf
Mägdlein in weißen Kleidern, die trugen Blumenförb-
chen in der Hand; dann Fam der ganze Zug, und
zwar fo, daß immer Die Eleinften Kinder Horangingen.
Nachdem der Zug in Reih und Glied getreten war,
‘gab der Schulmeifter , welcher Alles geordnet hatte,
ein Zeichen, und die Muſik fpielte eine heitere Meife
zum Abzug. Jetzt erſt, als der Zug Die Linde verließ,
und bergan flieg, ſah man die Menge, welche fich
verfammelt hatte. So lange ſich der Zug der Kna—
ben und Mägpdlein dehnte, fo groß war der Troß der
Erwachfenen, der fich Hinten anfchloß, und zum Theil
zur Eeite ging, ohne jedoch Die Ordnung zu flören,
208
Niemand im ganzen Orte war zurückgeblieben, felbft
Greife und alte Mütterchen verliefen ihre Hütte, von
der fie fich fonft felten trennten, und feuchten an ihrem
Etabe Hinter oder neben dem Zug her, der, fo lange
es fteil den Berg binanging, nur langfam einherzog,
und da und dort einen fleinen Stillftand machte. Auf
jolche Meife bedurfte e8 lange Zeit, bis man oben
anfam, und e8 war Sleinen Leid, weder den Alten,
no den Jungen — denn fo oft man einen Gtill-
ftand machte, Fonnte man fich umfehen, und an dem
fhönen Thale, feinen blumenreichen Wiefen und Feldern,
jowie an den Gärten mit blüthenreichen Bäumen weiden.
Endlich gelangte man auf der Fläche des Berges in
der Näbe der Burg an. Mit Willen des Burgherrn
— fo Diel Hatte der gute Wunibald bei feinem Herrn
durch freundliche Bitte zumege gebracht — war das
Thor der Burg mit frifchen Maien geziert, und ein
Kranz von Moos, Epheu und Immergrün fchlang fich
über den Bogen des Portals. Als Die Vorderften des
Zugs den Burgherrn erblictten, der ſchon auf den
Söller getreten war, um den Zug zu betrachten, bes
gannen Die Spielleute eine heitere Weife, Die aber nur
furz dauerte, denn fehnell fiel die ganze Jugend mit
ihrem Geſang ein, und es Hang aus Aller Mund der
Größeren, wie der SKleinften, die wonnigliche Weife:
Wohl auf grüßen
Wir den füßen
Mat, der büßen
Will des Winters Bein ;
209
Der ung will bringen
Böglein Singen,
Blumen Springen
Und der Sonne Schein.
Dann jpielten die Jünglinge wieder, und fo ging
es fort mit Gefang und Muſik, bis der Zug unter
der großen Linde im Burghof angefommen war. Wäh-
vend Der Zug fich im Kreife ftellte, kam der Burgherr,
begleitet von Wunibald, in den Hof herunter und der
Linde zu, wo ein fehöner Sitz für ihm bereitet war.
Die Fahnenträger fenkten vor ihm die Fahnen, Die
Mägdlein mit Blumenförben beftreuten. feinen Weg mit
Blumen, und Andere, welche Kränze trugen, bingen
diefelben an den Aeſten der fich weit ausbreitenden
Linde auf. Als Ritter Kunibert fich niedergelaffen hatte,
ftellten fich Die blühenden Fahnenjunker zu beiden Sei:
ten des Sitzes und liegen die Bahnen luſtig über dem
Haupte des Burgherrn wehen. Bald gab der Führer-
der Jugend wieder ein Zeichen ; die Knaben und Mägd-
fein erhoben die luſtige Tanzweiſe:
Wohl auf ihr Mägdlein zart und fein,
Heran im füßen Maien!
und die ganze Menge fiel unter dem Klange der Flöten
und Pofaunen ein bei den Worten:
Im Maien am Reihen
Sich freuen Knaben und Mägdelein.
14
210
Und nun begann die rechte Freude unter dem Spiele
der Flöten und Pojaunen; Knaben und Mägplein bes |
gannen zu tanzen auf dem mit Blumen beftreuten
Boden ringd um Die Linde herum. Das war ein Ge—
wimmel und ©etümmel, wie jdron lange Zeit nicht
mehr in dem Burghof gewefen war. Se lärmender
es zuging, deſto mehr freute e8 den Burgherrn. Co
war ihm jchon lange nimmer Dad Herz aufgegangen,
das für die Freude beinahe verichloffen zu feyn fchien.
Darum Tieß er fich auch heute beſonders gnädig finden.
Auf feinen Wink mußten die Diener große irdene Krüge
mit Wein, und Körbe mit Brödchen berbeibringen.
Wunibald machte den Mundſchenk, und Fieß den Be-
cher mit edlem Wein fleifig unter den Kindern herum
gehen. Als dies vorüber war, warf ein anderer Die-
ner die Brödeben unter die Kinder; da gab es ein
Gefrappel und Gezapypel, das dem Burgherrn eben fo
viele Freude machte, wie das Tanzen felbft. Jedes
der Kinder wollte fein Brödchen zuerft haben, und
während fie haftig darnach griffen, purzelten die meiften
auf den Boden, wo es bald fo voll mit Kindern,
wie mit Blumen lag. Doc, kam feines zu kurz, denn
wer auf dem Boden fein Brödehen ermifchte, erhielt
jolches8 aus Der Hand Des Dienerd, Der noch einen
Eleinen Vorrath zurücbehalten hatte. Als dieſe fürs
mifche Brodvertheilung vorüber war, und fich Die
jänmtlichen Kinder mit Speiſe und Trank erquidt!
hatten, ging der Tanz wieder an, an dem befonderd
die Mägdlein fich bei Weitem noch nicht erfüttigt hats
211
ten. Dießmal war e5 eine befiere Ordnung, als zu=
vor, denn die Eleineren Kinder drangten fich noch nicht
alle herbei, da manche noch mit dem Berzebren ihrer
Brödlein befchäftigt waren. War es zuvor nur ein
ungeordnetes Gewimmel, fo ſtellten fich jest Baar und
Paar hintereinander ; ein Vortänzer mit feiner Tän—
zerin begann den Reihen, und nur 6 Paare tanzten
auf einmal um die Linde; hatten 6 Baare die Runde
gemacht, dann flellten fie fich außer dem Kreis, und
der Vortänzer begann wieder mit 6 andern PBaaren
den Tanz. Mit fichtbarer Freude fah der Burgherr
auf dieſen mohlgeordneten Reihen; befonders richtete
er feine Aufmerffamfeit auf die Vortängerin. Es war
ein Mägdlein von etma 12 Jahren mit blühenden
Wangen und langen blonden Zöpfchen. Keines unter
allen den Tanzenden zeigte eine folche Fertigkeit im
Zangen, feines ftellte den Fuß fo niedlich, und hüpfte
jo leicht an der Sand des Tänzer wie dieſes Mäd—
chen — kurz, e8 war die bejte und Tieblichite Tänzerin
unter allen, Die verfammelt waren; auch zeigte jich das
Mädchen umermüdet, denn bei feinem einzigen Reihen
hatte fie ausgeſetzt. Nitter Kunibert verfolgte das
Mädchen immer mit feinem Auge, und fo oft ed an
ihm vorüberflog, wollte er es aufhalten, um es zu
fragen, wen es angehöre, aber es gelang ihm lange
nicht. Kaum hatte dad Tanzen ein Ende erreicht, jo
winkte der Burgherr dem Mägpdlein, das alsbald, aber
frhüchtern und mit verfehämten Wangen, ihm mabe
trat. Er faßte es bei der Sand und jprach: wen
212
gehörft Du zu, mein Kind, und wie heifeft du? Ich
heiße Trudchen, und gehöre dem Ortsrichter von Bäch-
fingen, antwortete das Mägdlein. Du bift eine ſchmucke
Sängerin, jprach der Burgherr weiter, jo erbitte die
eine Gnade von mir, weil du Deine Sache ſo gar brav
gemacht haft. Das Mägdlein war verlegen und mollte
lange nicht mit der Sprache heraus ; es wandte fich
zu einem alten Manne, der indefjen fich genäbert hatte
und binter ihm ſtand, und biete ihn forfchend an,
gleichfam, als ob e8 fragen wollte, um maß es den
Burgherrn bitten müßte. Noch einmal fapte Nitter
Kunibert das Mägdlein bei der Sand, zog es zu fich,
und fragte: was wünfcheft du, Daß ich Dir es erfülle,
du ſchmucke Tänzerin? Ein Kreis von Ermwachfenen
drängte ſich herbei, und richtete ſich mit gefpannter
Erwartung auf das Mädchen, um zu hören, um was
es bitten würde. Trudchen fab eine Zeitlang vor fich
bin, als ob fie fich befinnen wollte, dann fprach ſie:
weil ihr mir eine Gnade erlaubt, gnädiger Derr, fo
bitte ich euch, Daß euch mein Vater Dort von feinen
Grundftüden fürder nicht den zehnten, fondern den
dreißigften Theil geben möge. Freundlich lächelte
der alte Orterichter dem Mägdlein zu, als es jo fpradh,
und flopfte ihm auf die Schulter ; der Burgherr aber
ſprach: es ſey Dir verwilligt, mein Kind, um was Du
gebeten haft — die Grundſtücke des Ortsrichters von
Bächlingen follen auf ewige Zeiten nur den dreigigften
geben. Jetzt trat Trudchen herzu und fühte dem Burg«
herrn ehrerbietig die Sand; dann nahte auch der alte
213
Mann und Danfte Dem Ritter für feine Gnade, die er
um des Mägdleins willen ihm erzeigt. Wirklich war
es auch Fein Geringes, denn der Ortärichter hatte ſehr
viele Grundftücke gerade unterhalb der Burg Kapenftein.
Auf alle Umftehenden machte dieſe Önadenerweilung
des Burgheren einen aar freudigen Eindrud. — Jetzt
tanzen auch wir einen unjrem gnädigen Herrn zu Eh—
ren, tiefen Die Erwachſenen, die einen Kreis um Die
Linde geſchloſſen und vor Die Kinder fich gedrängt
hatten. Und nun begann ein Tanzen und Springen,
das noch länger dauerte, als bei den Kindern; Ritter
Kunibert wurde fo fröhlich und in Folge feiner Freude
iv gnädig, wie er es feit Mannsdenken nimmer ges
mweien war, und ließ nicht nur den Kindern noch ein—
mal Wein und Brod auftragen, Tondern er bewirthete
auch die Erwachſenen, jo dag Alte und Junge Alles
hatten, was nur das Herz wünschen fonnte. Das war
ein luſtiger Maientag, dergleichen noch Feiner gehalten
wurde, er endete erft, al$ die Sonne am Simmel fich
neigte. inter hellem Subeljang verließen Alte und Junge
den Burghof und zogen den Berg hinab, wenn auch
nicht ganz in derfelben Ordnung, wie man hinaufge-
kommen war, denn der kühle Trunf, den der Burgherr
fvendete, hatte den Alten recht warın gemacht. Nur zwei
blieben nod) im Burghof zurüf nach dem Willen des
Burgherrn, der alte Ortsrichter und Trudchen. Als
es im Hofe ruhig war, wendete ſich der Burgherr zu
Trudchen, deren Gefichtszüge ihm gleich Anfangs auf-
gefallen waren — fag’ mir, Trudchen, ſprach er, wie
214
heist deine Mutter? Gertrude, gnädiger Herr, antwors
tete Das Mädchen. Und du wäreft alfo die Tochter
diefes alten Mannes? fragte er weiter. Nein, dem
ift nicht alfo, gnädiger Herr, nahm der Ortsrichter dag
Mort — das Mägplein heißt mich nur Vater, weil ich
e8 Schon Jahr und Tag bei mir habe — e8 ift aber
das Kind meiner DBafe, Die weit unten an der Jagst,
wohnt. Der Nitter fragte immer meiter; unbefangen
antwortete Irudchen, bis er einem Geheimniß auf bie
Spur Fam, das ihm der alte Mann zulegt nicht mehr
vorenthalten fonnte ; unter Zittern und Zagen geftand
er Alles, was fich feit jener Stunde begeben hatte, da
der Burgherr feinen Jähzorn über Gertrude audgelafe
jen hatte. Da wurde es dem Burgherrn weich ums
Herz, er 309 das Mägplein an die Bruft und küßte
es innig ; er, der felten geweint hatte, vergoß Thränen
der innerjten Rührung ; er Sprach aber fein Wort, Denn,
wenn Das Herz von Gefühlen überfließt, finden mir
feine Worte, um ihnen den Ausdruck zu geben —
nur aufwärts blickte er zu dem, der die Gefchide Der
Menſchen oft wunderbar leitet, und deſſen Willen ims
merdar gefchehen muß. Auch dem alten Ortsrichter
liefen Die hellen Zähren über die Wangen herunter.
Nur Trudchen mußte nicht, mas Das Alles bedeutete,
daß der fo vornehme Herr fie and Herz drückte und
füßte, und der alte Vater belle Thränen vergoß. Aber
bald wurde auc dem Mädchen Das Räthſel gelöst. —
Am anderen Tage nach der heiteren Maienfahrt Der
Bächlinger faß Gertrude vor ihrer Hausthüre zu Hohes
215
bach, ein Kind hatte fie auf den Armen, und drei fleine
Knaben fpielten in ihrer Nähe. Eben war ihr Gatte
nach Haufe gefomnen — er trug die Senfe auf dem
Rüden, und hatte auf der Wiefe Gras gemäht. Das
Kind auf dem Schooß der Mutter ftreefte freudig Die
Händlein gegen den Bater aus, und der fchäderte bald
mit dieſem, bald richtete ex freundliche Worte an Die
Mutter. Auf einmal rief Gertrude, Die eben in Die
Ferne ſah: fehau, dort herab an der Jagst fommt ja
Trudchen und der alte Vetter von Bächlingen, und
mit ihnen ein vornehmer Herr. Wildemar, von den
Bewohnern des Dorf3 nur der Edelbauer genannt,
wandte ſich um, und ſah, woher Die drei kamen. O
Gott, rief er, der gleicht dem Ritter auf Kagenftein;
fein hoher Wuchs und fein Gang ift es. Gott fey
ung gnädig, rief Gertrud ſchreckensbleich — dein Vater
fucht uns auf; fie wandte fich zitternd und bebend Der
Hausthüre zu, um fich in einen Schlupfwinfel zu ver-
ftecfen. Bleibe, Gertrud, fagte Wildemar, der Vater
kommt nicht im Zorn, fondern im Trieben, denn fiehe,
er führt Trudchen an der Hand. Bald waren Die drei
Säfte dem Haufe nahe gekommen — Trudchen lief in
die Umarmung des Vaters und der Mutter, und freute
fih im Wiederfehen der ihrigen. Ein amdere8 war
freilich das Wiederfehen zwifchen dem Ritter und feinen
Sohne. Auf wefjen Seite das Unrecht war, wiflen
wir, aber auch der Sohn war nicht fo gegen den Va—
ter geweſen, wie es Pilicht war. Es gab gegenfeitig
abzubitten und zu bereuen, ed floßen gegenfeitig Thrä-
46.
nen ber Reue und der Wehmuth — die Liebe aber ſühnet
Alles aus. So auch bier. Der Ritter hebt die Söh—
nerin auf, Die ihm zu Füßen gefunfen, und fühnt durch
eine väterliche Umarınung das Unrecht, welches er ge—
gen fie geübt — jebt erfi erfennt er, Daß auch ein
‚niedrig geborenes Weib Tiebensmürdig feyn fann. Die
Enkelinnen faffen Hände und Füße Des vornehmen
Herrn, der fihb nun als ihr Großvater fund tout, und
fie herzlich Tiebfofet; befonderd Trudchen zeigt, daß fle
Anfprüche an die Liebe des Großvaters habe, va er
ſchon zuvor fo freundlich mit ihr gethan. Faſt hätte
der Nitter von Kabenftein vergeffen,, heimzufehren, fo
wohl fühlte er fich im Diefen ländlichen Familienfreife.
Aber nach wenigen Stunden fuhr ein Wagen heran,
mit prächtigen Roſſen befpannt — jo hatte es der treue
MWunibald veranftaltet, der neben denn Wagen berging,
und das Leibroß feines Kern führte. Sohn und Söh—
nerin, fammt ihren Kindern groß und £lein, wie fie
gingen und ftanden, mußten nebft dem Drtsrichter von
Bächlingen einfteigen ; der Nitter aber faß auf Das
Roß, das Wunibald geführt hatte, und nun ging es
der Burg Kabenftein zu. — Im Eleinen Bauernhaus
zu Dohebach war es auf einmal ftill und öd geworden,
ein Defto froheres Leben aber begann von nun auf
der Burg über der Jagst. Nitter Kunibert fühlte ſich,
umgeben von den Seinigen, reicher, als er je geweſen
war. Zum Andenken, daß ein Matentang den Burgs
beren zum glücklichen Vater gemacht hatte, wurde jedes
Fahr, wenn man in Bächlingen Maienfahrt hielt, der
217
Maientang bei der Linde auf der. Burg gehalten, und
auch Wildemar hielt e8 fo, nachdem fein Vater zu den
Vätern verfammelt war. Sene Grundftüce aber, welche
der Ortörichter von Bächlingen befaß, geben bis auf
den heutigen Tag nur den en
)
XVII.
Durg und Stift Beutelſpach.
Nahe am rebenumkränzten Remsthal, am Bache
Beutel, liegt das ſtattliche Pfarrdorf Beutelſpach, wel—
ches zunächſt nach der Burg Wirtemberg für die Ge—
ſchichte des Wirtembergiſchen Fürſtenhauſes die wichtigſte
Bedeutung hat. Ueber dem Dorf liegt eine Höhe,
genannt der Kapellberg, wo vielleicht urſprünglich eine
Wallfahrtskapelle geſtanden. Hier ſtand vor Zeiten
die Burg der edlen Herren von Beutelſpach, die älteſte
Wiege des Wirtembergiſchen Fürſtenhauſes, denn ſie
ſtand lange vor der Burg auf dem Rothenberg. Sie
iſt ein Raub der Zerſtörung geworden, aber noch zu
den Zeiten des alten Verfaſſers der „Würtemberg'ſchen
Stamms- und Namens-Quelle“ M. Joh. Georg
Walzen, im Jahr 1657 muß die Burg Beutelſpach
noch eine bedeutende Ruine geweſen ſeyn, ſah man ja
noch im Jahr 1784 auf dem Berge die Ueberbleibſel
218
eined fehr ftarfen Thurms, an deffen Fundament ein
zahmer Seigenbaum empor wuchs, welcher ohne einige
Wart und Pflege Die fehönften Früchte trug. Jetzt ift
fein Stein mehr von dieſer wichtigen Burg über ver
Erde zu finden, aber, wer jich die Mühe nehmen will,
nachzugraben, der ftößt da und dort auf Mauerrefte.
Wunderbar! gerade Die wichtigften Burgen unferes
Paterlandes find bis auf den Grund ein Raub der
Zerflörung geworden. — Wer hat zuerft eine Burg auf
dem SKapellberg erbaut * Wer uns dieſe Frage beant-
wortet, der nennt und zugleich den älteften Stamm-
bern des Wirtembergifcben Hauſes, wenigftend von
mütterlicher Seite. Der ehrliche Chronift M. Walz
it rüftig zur Hand, um die Frage zu löfen, und legt
und mit allen möglichen Beweifen voll Wahrfchein-
lichfeit, indem er fogar alte gefchriebene Chronifen zu
Zeugen anruft, die fait ausgemachte Wahrheit dar,
dag ein gewiffer Emmerichus, zu deutſch Emicho,
weiland Feldhauptmann des Königs. Klodwig, der in
der Schlacht bei Zülpich (496) das Belle getban, von
feinem Herrn eine ſchöne Kandfchaft im Nemsthal,
unweit Waiblingen, der alten Gibellinen= Stadt, zum
Geſchenk erhalten, und über dem Flüßlein Beutel ein
Schloß erbaut habe, das er Beutelſpach nannte, und
von Dem er und feine Nachfommen fich fodann Herren
von Beutelfpach heißen. Auf ihn läßt er nun ein
ganzes ununterbrochenes ejchlechtäregifter folgen, in
dem die Namen Emmerich noch zwei Mal vorkonmen,
aber zulegt auch ein Mlrich, ein Albert, und ein Con-
219 x
vad erfcheint. Wir nehmen uns feine Zeit, zu untere
fuchen, woher Walz feine Genealogie von Emmerich I.
bis Heinrich, den Sohn Emmerichs III. (984), ent»
nommen, denn Das Dürfen wir auch unſere neueren
Gefchichtsforfcher nicht fragen, die den ehrlichen Wal;
und Gonforten belachen, auch fie können nicht immer
mit Siegel und Urfunde bemeifen, wo die Namen der
Herren ftehen, die fie in ihre, auch oft felbft gemachten
Genealogien, einführen. Wir halten und an’ den legten
Namen Cunrad, und faffen mit diefem hiſtoriſchen
Namen gewiffen Fuß im der Gefchichte. Cunrad ift
der erfte, der mit dem Namen von Beutelſpach
nach einem glaubwürdigen Berichte, dem Hirfchauer
Vergabungsbuch, erfcheint, was ſchon der alte Chronik
Nauflerus für eine gute Duelle anerfannt hat. Neben
ihm ift Bruno, fein Bruder, der als Abt zu Hirſchau
im Sabre 1120 ftarb, und Ruitgard, eine Schmeiter
aufgeführt.
Mer der Vater Diefer drei Gejchwifter von Beutels
ſpach geweſen, ift nirgends überliefert, aber höchſt
wahrfcheinlich war es Herr Adelbert von Beuteljpach,
der vielleicht von den Grafen. von Galme abſtammen
fönnte, welche in Ulri I Grafen von Linz und
Argengau, dent Bruder des berühmten Gerold8 von
Buſſen, ihren älteften Stammpyater haben follen. Wie
fommt e8 aber, daß der genannte Cunrad von Beus
telfpach in demſelben Vergabungsbuch von Hirſchau
auch Cunrad von Wirtemberg genannt wird? Dems
nad) hätte er zu gleicher Zeit Beutelfpach befeffen und
220
auf Burg Wirtemberg gewohnt, und bald fich von
Beutelipach, bald von Wirtemberg genannt. Der ge-
lehrte Profeffor Saug in Tübingen und unfer fcharf-
finniger Dr. Carl Bfaff, der Altmeifter der Wirten-
bergiſchen Gefchichte, behaupten aus triftigen Gründen,
daß Cunrad von Beutelfpacy und Cunrad von Wir:
temberg nicht eine und diefelbe Berfon, fondern Cun—
rad von Mirtemberg fei der Sohn Luitgards, wie
auch wirklich im Hirſchauer Buch ein ſolcher Eunrad als
ihr Sohn genannt wird. Somit wäre der Knoten gelöft,
aber der Schreiber des Hirſchauer Buchs hat nach ihrer
Anſicht einen Schreibfehler gemacht, indem er, wo er
Yuitgard, Die Schmefter Abt Bruno's, und Cunrads
son Wirtemberg erwähnt, wie fie zwei goldene Arm—
ſpangen zu einem Kelch dem Klofter Hirſchau vermacht,
hätte feßen follen „Die Mutter Cunrads von Wirtem-
berg.” Wir laſſen es Dahin geftellt ſeyn, zu ent-
jcheiden, ob der Schreiber des alten Pergaments ges
tehlt, oder ob die beiden ©elehrten fich geirrt. — Wer
der Gatte der Ruitgarde von Beutelſpach und der Vater
dieſes Cunrads von Wirtemberg geweſen, bleibt wie—
der unentſchieden. Dr. Pfaff behauptet, es ſey ein
Graf Ulrich geweſen, der ebenfalls ſeinen Urahnherrn
in dem ſchon genannten Ulrich J., Grafen im Linz- und
Argengau, auch Stammvater der Grafen von Nellenburg—
Bringen, babe. Das Alles find — wenn auch ſcharf—
jinnige Unterfuchungen — nur Vermuthungen; jo Biel
bleibt gewiß, daß die Herren von Beuteljpach von mütter-
licher Seite Die Ahnherrn der Wirtemberger geweſen,
221
und Beutelfpach fomit mit Recht auch für eine Wiege
des Wirtembergifchen Fürftenhaufes gilt. Cunrad von
Beutelfpach war wohl der LXegte feines Stammes; es
gingen nun feine Befitungen auf den Sohn feiner
Schweſter Ruitgarde, Cunrad von Wirtemberg, über,
mit dem in einem Sohn Ludwig die Reihe der Grafen
von Wirtemberg beainnt und ununterbrochen fortdauert.
Burg Beutelfpach aber ift immer ein Wohnfig geblies
ben, der den Grafen von Wirtemberg werth und theuer
war. In dieſem Sinne hat Graf Ulrich mit dem
Daumen (T 1263) das Stift zu Beutelfpach von
Neuem hergeftellt und dotirt. Es war fchon Tange
vorher, wie Graf Eberhard der Erlauchte es ſelbſt
ausgejprochen, fchon längſt von Vorfahren der Wir
temberger (denen von Beutelfpach) gegründet, und
wurde von Ulrich zur Grablege feines Geſchlechts ges
wählt, wo er felbft begraben wurde. Diefes fogenannte
Heiligfreuzftift erhielt im Jahr 1247 von Pabſt Innos
conz IV. die Erlaubniß, bei allgemeinem Interdikte
Seelmefjen Tefen zu Dürfen. Einer feiner Pröbfte hieß
Bertbold, und fommt in den Jahren 1253, 1254,
1262 in Urfunden vor. As Kaifer Heinrich VIL
mit Graf Eberhard dem Erlauchten Friegte, zog das
‚Neichöheerr im Jahr 1312 gegen die Burgen des
Grafen, gewannen und zerftörten fie. Wie die Burg
MWirtemberg, fo wurde auch das Schloß Beutelivach
gebrochen, das durch Verrath in Die Sände der Feinde
gefommen war. Mor Allen wurde das Stift mit
feinem ehrwürdigen PBamiliendenfmale ſchrecklich ver⸗
222
wöäftet, denn die Feinde wollten Wirtemberg bis auf
den Namen vertilgen. Da verlegte Graf Eberhard
das Stift und das Erbbegräbnig des Hauſes nad
Stuttgart (1321).
Die Kirche des ehemaligen Stifts, welche Durch eis
nen umterirdifchen Gang mit der Burg verbunden war,
hat fich wenigſtens in den ältejten Theilen der Orts—
firche erhalten, denn ed find noch Steine mit grotes-
fen Figuren an derjelben vorhanden. Mod) findet fich
vor dem Altar eine uralte vertiefte Steinplatte, mit
dem älteften Wirtembergifchen Wappen, drei Hirſch—
gemweihen, Deren jedes blos drei Zinfen hat. Neben
demjelben findet fich auch auf einer alten Steinplatte
ein Kelch von Erz eingegofjen, und hinter dem Altar
ind noch platte Figuren mit Innfchriften, aber fehr
verreifcht, auf dem Boden zu ſchauen. Die Wände
der Kirche find bemalt, aber auch, wie wir e8 leider!
jo häufig finden, übertüncht. Neben der Kirche ift Die
ehemalige Gruft, die noch nicht ganz verfehüttet iſt —
noch ein Zeuge der vandaliſchen Zerftörung Durch
Menſchenhand.
Eine Sage über den Ausgang der Herren von
Beutelfpach möge Hier jtehen.
Der Lebte von Beutelfpach.
‚Gegen das Ende ded il. Jahrhunderts wohnte
Herr Conrad von Beutelfpah, Gaugraf im Rems—
gau, auf dem Kapellberg. rau Willeberg, aus dem
223
Hauſe Der Grafen von Achalm, war feine Haus—
frau. Das erfte Kind, das fie ihm gebar, war ein
liebliches Töchterlein. Der Graf foll nicht freudig
gewejen ſeyn, ala ihm die Mutter Diefes Töchterlein
zum erſten Mal in die Arme Iegte, denn er hatte
ſehnlich einen Knaben gewünfcht, der ein Stammphalter
jeines ©efchlechts hätte werden follen. Das Töchter
lein erhielt in der heiligen Taufe den Namen Adelheid,
und blühte froh und wonneſam heran zur Freude der
Mutter; und auch der Water gewann das Töchterlein
zulegt lieb wegen feines Tieblichen Weſens. Frau
Willeberg gebar ihrem Gemahl hintereinander noch Brei
Knaben, aber alle ftarben in den erften Wochen ihres’
Dafeyns. — Mit Schmerz erkannte zulegt Graf Com
rad, Daß ihm von Gott fein Sohn beftimmt fey, Der
feinen Stamm fortführe — er fügte fich in das Un—
vermeidliche Des Schiefjals, und von nun an wandte cr
alle feine Liebe feiner E£leinen Adelheid zu, Die durch
ihre freundliches Wefen oft den Trübfinn feines Herzens
verjcheuchte, wenn er gedachte, Daß er num mit um—
gefehrtem Helm und Schild zu feinen Vätern fahren
würde. Das war aber nicht fein einziger Kummer — das
Töchterlein war faum 7 Jahre alt, da verfiel e8 in
ein gefährliches Siechtbum, wo es dem Rande des
Grabes nahe war. Jetzt erit fühlte Der Vater, wie
lieb das Töchterlein ihm geweſen war, als es da lag
bleich und abgezehrt, als es feine fonft fo regfamen
Händlein faum mehr rührte, und mit trüben Augen
die lieben Eltern anblickte — da, in jenen für Vater:
224
und Mutterherz jo bangen Stunden, that Frau Wille:
berg das heilige Gelübde, jo Gott das Töchterlein vom
augenjcheinlichen Tode retten würde, wollte fie es dem
Himmel weiben. Der Vater, der den Jammer nimmer
mit anjehen konnte, war ab der Burg in's Thal ge-
titten; dort an einfamer Stelle fnieete er nieder, betete
inbrünftig und that daſſelbe Gelübde, das Milleberg
gethan hatte, Seit jener Stunde wandte es fich bei
dem Kinde zum Beſſern; Die zuvor trüben Augen
wurden heffer, auf feinen fo blafien Wangen blühte
wieder eine Röthe auf, feine Händchen befamen wieder
Leben, umd nach wenigen Tagen hatte es fo viele
Kraft, um fich in feinem Bettlein von felbft aufzu—
richten und feine Spielfachen zur Sand zu nehmen.
Als Adelheid wieder vollfommen genefen war, traf
den Grafen ein neuer Kummer. Frau Willeberg legte
fih auf's SKranfenlager. In Folge des ununterbro=
chenen Nachtwachens am Bette des Franfen Kindes
batte fie fich ein fchleichendes Fieber zugezogen. Alle
möglichen Mittel wurden zu ihrer Rettung angewendet;
fie ftarb 8 Tage nachdem fie fich Eranf gelegt hatte.
Tiefgebeugt ging Graf Conrad Hinter ihrem Sarge,
an der Hand das Töchterlein, welches heiße Thränen
in dad Grab der Mutter weinte, die in der Gorge
für fein Leben ihr eigenes Leben geopfert hatte. Graf
Conrad tröftete ſich am Grabe feiner geliebten Haus—
frau, denn Das Töchterlein, dad er an feiner Hand
führte, war ja das Ebenbild der Seligvollendeten.
Adelheid follte auch in den Tugenden der Seele pas
225
Shenbild Der Mutter werden, Das war von nun an
Die einzige Sorge des verwittweten Orafen — und
diefe Sorge war auch nicht umfonft. In jedem Zuge
des Geſichts, im jeder Bewegung war Adelheid ihrer
Mutter gleich, fie wurde es auch in jeder Tugend Des
Herzens und des Geiftes, wodurch Die Mutter fo
liebenswürdig gewefen war, fie wurde es in ihrer
liebevollen Gefinnung gegen Dürftige und Leidende, fo
wie in jenen Eigenschaften und Kenntniffen, wodurd)
Die Mutter als Hausfrau fo jegensreich gewirkt Hatte.
Das Fräulein hatte faum Das zwölfte Jahr angetreten,
fo nahm ſie ſchon Die Schlüffel zur Sand, Die bisher
eing alte Dienerin des Hauſes unter fich hatte — ſie
beforgte Das Hausweſen, wie eine Ermwachfene, beftellte
die Küche und mar des Vaters Koch und Trurhfeß,
Mundfchent und Kellermeifter in Einer Berfon. Der
Vater aß Nichts, mas feine Liebe Tochter nicht felbft
gekocht Hatte — fie bereitete Wildpret und Fifche, wie
die Mutter folches bereitet hatte — er trank feinen
Wein, den nicht Adelheid vom Keller geholt hatte und
in feinem Lieblingsbecher kredenzte, aus dem einft feine
jelige Willeberg getrunfen hatte. Wie oft gedachte
Graf Conrad, wie Gott es doch fo liebend vorgeſehen
batte, daß er ihm eine Tochter gegeben, die jebt durch
Sorge und Pflege die Stelle einer Liebenden Hausfrau
bei ihm vertrat.
Dft fprach er Die Worte aus: „Gottes Wille ift
immer der befte." — Gr drückte feine Adelheid an's
Herz und fühlte fich reich in Dem Beſitz der guten
15
226
Tochter, die, jemebr fie an Jahren zunahm, umſichti—
ger und thätiger im Hausweſen wurde, und im der
Lebe und Anhänglichfeit gegen den Vater Doch immer
ein Kind zu bleiben fchien. So trat fie in das fünf-
zehnte Jahr, ohne daß fie die Welt außerhalb der
Burg Fennen gelernt hatte. Auf die Burg des Va—
ters Fam Niemand, auffer der Oheim, Graf Emicho
auf Burg Wirtemberg, der feine beiden Söhne
und feine Tochter Luitgarde mit fich brachte. Diefe
drei waren ihr einziger Umgang, ihre einzigen Ge—
jpielen, — das war die ganze Welt, Die jle Eannte.
Diefe Drei fuchte fie wieder auf ihrer Burg beim, und
das war Dann der einzige Ort, auf dem fie fich hei—
milch fühlte, wenn fie mit ihrem Vater je einmal
auswärts Fam. Auſſer ihrem Oheim und ihren beiden
Bettern gab es feine Männer in ver Welt, gegen Die
das holdſelige Fräulein von Beutelſpach beſonders
freundlich und liebevoll war; nur gegen fie trug fte
eine Öefinnung, die derjenigen ähnlich war, melche fie
ihrem Vater von ganzer Seele, von ganzem Herzen
und ganzem Gemüthe weihte. Wer hätte glauben
jollen, daß es in ihrem Herzen je anders hätte wer—
den können? daß bald ein Sremdling einen Platz neben
den Vater gewinne im Herzen der allein für den
Vater lebenden Tochter ? |
Eines: Abends ſaß Adelheid ganz allein bei ihrem
Vater; fie drehte fleifig die Spindel, während ſich
Graf Conrad nach den Mühen der Jagd im Lehnftuhl
gütlich that. Eben hörte Adelheid aufmerkſam dem
227
Vater zu, der über das Crgebnig der Jagd berichtete,
welche der Oheim auf Wirtemberg mit feinen Söhnen,
fo mie viele Herren der Umgegend, ja fogar Orafen
und Nitter aus dem fernen Schwargwald mitgemacht;
denn e8 galt eine Hetze auf eine Schaar Bären und
Mölfe, Die fih vom Schwarzwald herüber in die
Schluchten des Welzheimer Waldes gezogen hatten.
Graf Conrad Hatte feinen Bericht noch nicht geendet,
da hörte man das Horn des Thorwächters ; bald da—
vauf trat der Leibfnappe des Grafen .mit der Meldung
ein: vor dem Thor fey eine Schaar Leute angefommen
mit einem jungen Nitter, Der auf der Jagd verun-
glückt ſey; ob man fie einlaffen jolle? Sogleich, be-
fahl der Graf — denn es wäre das erfte Mal, daß
ich einen Sülfsbedürftigen von meinem Thore gewieſen
hätte. Das wird mohl einer von den Junfherrn ſeyn,
fuhr er fort zu feiner Tochter, welche an der Jagd.
nicht genug kriegen können, bis fie ihren Reſt davon
tragen: aber jegt Adelheid, laß das Epinnen, und
beftelle die Küche, Denn die Leute, "welche den Junk—
heren bringen, werden hungrig feyn. Nicht! ein Stüb—
lein zu und laß 28 wärmen ; auch jchaffe Linnen und
Pflafter herbei, DaB e8 an Nichts fehle, denn eilige
Hülfe ift Die rechte Hülfe. Während Adelheid ging,
um nach dem Befehl des Vaters zu thun, fand auch
er auf, um die nöthigen Anordnungen zu Unterbrin-
gung des angekündigten Gafts zu treffen. Gerade
trug man Diefen zum Thore herein, als Graf Conrad
im den Hof binabfam, Auf einer Bahre von Eichen-
a
228
zweigen trugen vier Jäger einen Junkherrn in reichem
Sagdanzug. Bis über Die Füße war er mit Decken
überlegt, um fein Saupt waren Tücher gebunden, jo
daß e8 fait ganz bedeeft war, doch Fonnte man fo
viel erkennen, Daß es ein ſchönes blühendes Antlitz
war, auf dem wohl die Nöthe der Jugend noch kurz
zuvor brannte, aber jest war es todtenfahl. Um Gott!
rief Graf Conrad, als er in das Angeficht des Junk—
beren ſchaute — Das iſt ja der Sohn meines — Sa,
Eures Feindes, fagte der Verwundete mit fehmwacher
Stimme, und doch hoffe ih, bei Euch ein Plätzlein
zu finden, wo ich ruhig ſterben kann. Davon ift jest
noch nicht Die Nede, Sunfherr, fagte Graf Conrad mit
liebreicher Stimme — wenn Ihr nicht gar zerfeßt ſeyd,
wird Euch mein alter Leibarzt Schon mieder zuſammen—
jlifen, und meine Salben und PBflafter werden audı
ihren Dienft thun wie immer. Jetzt erſt erfuhr Graf
Conrad, was fi) begeben hatte. Wie er vermuthet
hatte, fo war es auch gefchehen. Die Junkherrn,
welche an der Jagd Theil nahmen, waren zu bißig
im Verfolgen der Büren, während Die älteren Herren
jich bald zurücdzogen. Einer der beftigfien Verfolger
war der edle Süngling, den fie eben auf der Bahre
brachten. Als er die Bolzen feiner Armbruft auf eis
nen gewaltigen Bären verfchoffen hatte, daß er gleich
einem Igel. umſpickt war, warf er feinen SJagdfpeer
nach ihm ; aber dieſer fehlte. Da mendete fi} der Bär
gegen den Jäger, riß ihn mit feinen Tatzen vom
Pferde, und machte ſich fehon über ihn ber, als eine
’
229
fichere Beute. Unter dem Bären liegend fanden die
Nachfolgenden den Jüngling — nocd zu rechter Zeit, -
denn eben fuhr er mit feinen Taten gegen Das Daupt
des unten Liegenden. Ein fräftiger Speerwurf traf
den Büren bis ins Herz, und rettete Den Süngling.
Hart vermundet an Haupt und Füßen luden fie den
halb Ohnmächtigen auf eine Bahre, und trugen ihn
einer Burg zu, Die am nächſten lag.
Eine befjere Herberge hätte man für den Stranfen
nicht finden fünnen. In einem Stüblein, das an das
Schlafgemach des Grafen ſtieß, wurde der Jüngling
untergebracht ; gar wohltuend war dem Kranfen die
Märme, Die ihm entgegenfan, denn. er zitierte vor
Fieberfroft. Das Erſte, was gefchah, war, daß feine
Wunden unterfucht wurden. Es mar ein frauriger
Erfund. An feinem linken Fuß war Wunde an Wunde,
denn da hatte der Bär feine Krallen tief eingefchlagen ;
fein Haupt aber blutete auf allen Seiten, denn er
war auf felfigen Boden mit demfelben aufgefallen, als
er vom Pferde geriffen war. Als die Wunden fammt
dem Haupt ausgewafchen waren, wurde Linien mit
- Del gefeuchtet und umgefihlagen. Erſt, nachdem dieſes
Mittel ſchmerzſtillend gewirkt hatte, wurden Pflaſter
und Salben aufgelegt.
Der alte Leupold, Wildmeiſter und Leibarzt des
Grafen in Einer Perſon, widmete ſich ganz der Pflege
des Kranken. Zwei Drittheile ſeiner langen Laufbahn
hatte er im Walde zugebracht, und bei einem Klaus—
ner, bei dem er oft einkehrte, die Kräuter- und Heil—
239
funde kennen geleınt. Er fam nie vom Lager des
Junkherrn — alfo war e8 der Wille des Grafen —
Tag und Nacht war er um ihn befchäftigt, und Das
dauerte mehr als vierzehn volle Tage. Da ermattete
Die Kraft des alten Mannes — oft, wenn er Nächte
hindurch gewacht hatte, übermannte ihn beim hellen
Tag der Schlaf, er feßte fih in den Lehnſtuhl und
bielt fein Schlafftündlein. Doch wurde indeffen der
Kranke nicht verfäumt, Denn der alte Leupold batte
eine thätige Sandlangerin gewonnen, die indeffen Den
Kranken beforgte. Das war Adelheid, Die Tochter des
Haufe, Die bisher dem alten Leupold treulich abge-
eben hatte, wie er den Verband vom Haupte Des
Kranken nahm, Die Wunden mit Linnen trocnete, und
wieder frifche Salbe auflegte.. Darum durfte Adelheid
und Niemand anders als fie Leupolds Stellvertreterin
werden und des Kranken in folchen Stunden warten.
Bei folcher Pflege von Zweien, befonderd eines ſo
torgfamen Fräuleins, wie Adelheid, mußte die Seilung
des Kranfen von Statten geben, und wir wundern
uns nicht, Daß das Wort des Burgherrn in Erfüllung
ging: feine Salben und Pflafter thaten gute Dienfte,
ja fie übten beinahe Wunder an dem Gafte. Ehe der
Frühling feine Boten fandte, Fonnte er das SKranfen-
iager verlaffen, und er faß am Tifche des edlen Haus:
herrn, wo Adelheid mit rofigen Lippen ihm den Becher
bot, und ihn würzte mit freundlichem Blicke. Als Die
Büfche und Heden blübten, und die Bäume fi zur
Blüthe entfalteten, da beurlaubte fich Der edle Jüng—
231
fing von feinem biederen Gaſtfreund, und dankte ihm
für all das Gute, das er ihm gethan Hatte feit zwei
Monaten. — Der Graf drückte ihm herzlich Die Sand
zum Ubfchied, als er aber dem Sräulein Die Hand
reichte zum Lebewohl und Worte des Dankes fprechen
wollte, da fiotterte er, und feine Hand zitterte in Der
ijrigen. Fahrt wohl, fagte Adelheid, mit Thränen in
den Augen, die fie mit aller Mühe nicht verbergen
tonnte — fahrt wohl, und gedenfet auch zumeilen
an die Burg auf dem Kappelberg. Sa, ers vergaß fie
nie — wie gerne wäre er wiebergefehrt, ehe er noch
recht fein Pferd, Das fich bisher im Stalle des Burg—
herrn beimifch gefühlt hatte, über Die Zugbrüde traben
lieg — wie gern hätte er noch einmal den Schmerz
der Wunden getragen, und von Neuen angefangen,
Trank zu feyn. Ja er vergaß nie die Burg auf dem
FKappelberg und ihre freundlichen Bewohner. Nur an
fie denfend, ritt er, begleitet von dem alten Xeupold,
pen Burgweg hinab, und hörte nicht auf den Geſang
der DVögelein, der von den grünenden Bäumen erflang,
daß es vom Berge wiederhallte. Gr ritt der Burg
MWirtemberg zu; unten beim Dörflein Uhlbach ſchied
fein alter 2eibarzt von ihm, und von nun an waren
Die Junfherren von Wirtemberg, Bruno und Conrad,
feine Begleiter. Sie hatten ihn oft an feinem Schmer-
zenslager auf der Burg des Oheims beſucht, und
waren innige Freunde Des edlen Jünglings geworben.
Die begleiteten ihn nun bis zu den Höhen des Schwarz:
waldes, deſſen dunkle Waldung ihn aufnahm. Ehe
232
er fchied, verfprach er den beiden Brüdern, fie bald
wieder auf Burg Wirtemberg heimzufuchen.
Der edle Junkherr hielt fein Wort ; noch nicht war
der Frühling vorüber, jo ftellte er fich wieder auf
Burg Wirtemberg ein und begrüßte feine jugendlichen
Freunde. Uber wie freudig wurde er überrafcht, als
kurz nach feiner Ankunft zwei Fräulein in das Ge—
mach traten, um den Saft zu bewillfonımen — die
eine war Luitgarde, Die andere, das Fräulein vom
Kappelberge, die eben auf Befuch bei ihren Verwand—
ten auf Wirtemberg war. Auf ein freudiges Wieder—
ſehen Beider folgte wieder ein Abſchied, und der war
noch bitterer, als der erſte auf der Burg Des Vaters,
denn hier vor den Augen einer liebenden Freundin
durfte Adelheid ihre Gefühle weniger verhehlen, als vor
den Augen eines ſtrengen Vaters. Der Junkherr ging
und kam wieder, als es ſchon der fröhlichen Weinleſe
entgegenging. War es Zufall oder Zug des Herzens,
auch Adelheid war wieder bei ihrer Freundin Luitgarde,
und fah den theuren Freund wieder, bei dem ihre Ge—
danfen oft vermweilt hatten. Was Beide jchon längſt
für einander fühlten, konnte Fein Geheimniß mehr
bleiben — der Bund der Seelen ſchloß ſich — in der °
Burgfapelle zu Wirtemberg wurde der Bund. beftätigt
— an den Stufen des Altars gelobte der Jüngling
ewige Treue dem Fräulein von den Kappelberge, und
fte ihm binwiederum. Nur Luitgarde, Die treue Seele,
war Zeuge ihrer heiligen Schwüre. Ach! Daß der Se—
gen des Vaters nicht mit Diefem Bunde war!
233
Lange blieb dieſer Bund der Herzen ein Geheimniß
vor dem Vater des Fräuleins ; war es ja felbit unter
den Bewohnern der Burg Wirteniberg nie bekannt ge=
worden, was in der Kapelle vorgegangen war. Nur
fo viel merkte Sedmänniglich, daß der Junkherr von
Schwarzwald öfter fich einfand, als früher, und daß
Fräulein Adelheid öfter als fonft ihre Verwandiin Luit-
garde heimfuchte. Leäteres war beionderd dem Grafen
von Beutelfpach aufgefallen, denn früher hatte feine
Tochter nur felten ihn allein gelafien. Bald erfuhr
er von den häufig wiederkehrenden Befuchen des Junk—
herein vom Schwarzwald, und nun fonnte er wohl
vermutden, warum Adelheid häufiger als je ihre Ge—
fpielin Luitgarde heimſuchte. Schon beim Abjchied des
Junkherrn aus feinem Haufe hatte er gefehen, was er
für einen ſchmerzlichen Eindruck auf das Herz Der
Tochter gemacht hatte; er hatte e3 für ein Vorüber-
gehendes Gefühl gehalten, aber leider mußie er jest
einer andern Anſicht werden.
Eines Tages — es war unmittelbar, nachdem Adel—
heid von einem Befuch auf Wirtemberg zurückgekehrt
war, ftellte fie der Vater zu Rede. Adelheid, die
nie mit einem Worte ihren Vater belogen hatte, ge:
ftand, nachdem er fie ausgeforfcht hatte, Daß fle dort
den Junkherrn gefehen, ja fie geftand, Daß fie ihn
ſchon öfter- auf Burg Wirtemberg gefehen und ges
ſprochen habe, aber immer nur unter den Augen ihrer
Freundin Luitgarde. Nur noch wenige Sragen aus
dem Munde des Vaters mit forfchendem Blicke waren
. 234
nötdig, und er hatte feiner Tochter Das Geheimniß
ihrer Liebe zu dem Junkherrn entlocdt. Adelheid glaubte,
daß Diefes Gefühl Fein Unrecht gegen den Bater wäre,
denn fie hatte ihn fortwährend fo treu und innig ge-
liebt, wie in ihren Kinderjabren, wenn auch die Liebe
zu einem Fremden in ihrem Herzen Raum gewonnen
batte. Jetzt erft erkannte fie, daß fie ein Unrecht bes
gangen hatte, als der Vater, mehr mit fchmerzlichem,
als erbittertem Blicke zu ihr fprach: „Adelheid, meine
einzige Tochter, mein einziger Troft, warum muß Deine
Piebe dem Sohne meined Feindes werden? Du fannft
nie, nie die Seine werden." Meiter fprach er nicht ;
er wandte fich ab von feiner Tochter mit thränendem
Auge und ging in ein anderes Gemach, um fich feinen
fehmerzlichen Gefühl zu überlaffen, um ſich felbft an-
zuklagen, daß er einfi ein fo unbefonnenes Gelübde
abgelegt hatte.
Hätte Graf Conrad mit feiner Tochter hart geredet,
hätte er ihr bittere Vorwürfe gemacht, es hätte ihrem
Herzen wehe gethan, aber jene Worte, Die er eher mit
Wehmuth, als mit Bitterkeit gefprochen hatte, gingen
ihr noch tiefer. Einen folchen Schmerz hatte fie nod;
nie gefühlt, wie heute; jte hätte vergehen mögen vor
Herzeleid, und ob fie auch in Thränen zerfloß, es
wurde ihrem Herzen nicht leichter. Sie wollte ihrem
Vater nachgehen und Ulles geftehen, auch den Schwur
in der Kapelle. Was märe e8 geweien? Gie hätte
den ohnedies fehon tiefbetrübten Water noch tiefer ge—
235
beugt. Sie befann ſich lange, ob fie es thun ſollte
— doch fie kam nicht Dazu.
Seit jener Stunde, da es zu einem jo ſchmerzlichen
Auftritt gekommen war, verließ Adelheid nie mehr die
Burg, ſie wich nimmer von der Seite ihres Vaters.
Luitgarde, die treue Freundin, welche ſie in dieſer Zeit
auf dem Kappelberg heimſuchte, war die einzige, der
ſie anvertraute, was indeſſen geſchehen war; durch ſie
ließ ſie dem Mann ihrer erſten Liebe ein Lebewohl
ſagen. Ihr Mund ſprach es, ob es aber auch aus
dem Kerzen kam? — Dennoch war es ihr ernſter, feſter
Wille, dieſer ihrer Liebe zu entſagen, die gegen den
Willen des Vaters war. Wie leicht iſt ein Entſchluß
gefaßt, aber wie ſchwer kommt er oft zur Ausführung!
Von nun an war ein immerwährender Kampf im
Herzen des Fräuleins: die Pflicht der Tochter kämpfte
mit dem Gefühle der Liebe. Adelheid ſuchte zu ver—
bergen, welcher Kampf in ihrem Innern vorging, aber
es war nur zu ſichtbar vor Aller Augen. Das zuvor
lebensvolle heitere Fräulein wurde ſtill und düſter, das
Roth ihrer Wangen verſchwand — ſie glich eher einer
verblühten Jungfrau, als einem Fräulein von 16
Jahren — fie wandelte in den Gemächern der Burg,
wie eine Nonne in den öden Gängen des Klofters,
in das fie wider ihren Millen verfchloffen worden.
Mit Wehmuth fah es Der Vater, aber, wenn er auch
wußte, was die Veranlafjung diefes traurigen Zuftands
feiner einzigen Tochter war, er Fonnte ihr feinen Troft
geben; er fonnte fein Wort nicht zurücdnehmen, denn
236
das Gelübde, das er einft mit feiner feligen Hausfrau
gethan hatte, fonnte er nicht brechen.
Sonſt hatte der Graf feine meifte Zeit auf feiner
Burg zugebracht, Der Umgang mit feinem Kinde war
alle feine Freude — im böchften Falle, daß er von
Zeit zu Zeit einer Jagd beimohnte feit bei feiner
Adelheid ein fo gar Düfterer Gemüthszuftand eintrat,
und fie mehr wie ein Geiſt als ein lebende Weſen
in feiner Nähe wandelte, war er unfroh in feiner
Burg, und riet manchmal hinüber zu feinen Bruder
gen Wirtemberg, oder zu einem andern Seren Der
Gegend, und fuchte fich feine Zeit zu vertreiben. Eins—
mals, ed war an einem Winterabend, weilte er länger
bei einem feiner Nachbarn, als er gewohnt war. Es
war Schon Späte Nacht, als er, von feinem alten
Diener Leupold begleitet, nach Kaufe ritt; der Rück—
weg führte ihn über Die Rems, Die ſchon feit mehreren
Tagen überfioren war. Nur ein fcehmales Brücklein
führte über Diefelbe, Darum zog er ed vor, über Das
Eis zu reiten. Er that e8, troß der Einrede yon
Seiten Leupold's, der, und zwar nicht mit Unrecht,
vermutbete, Daß das Eis noch fchwach wäre. ber,
fiehe da! Graf Conrad war noch nicht in der Mitte
ver Strömung, da brach das Eid, und das Pferd
tank unter, fo daß fein Neiter bis über den Unterleib
einſank; Leupold vitt ihm nach und 309 das Pferd
am Zaume binüber. Er fam mit ihm ans Ufer, aber
Graf Conrad zitterte und bebte vor Froſt. Er er-
reichte noch feine Burg, aber kaum war er abgeftiegen,
237
fo fehüttelte e8 ihn im Fieberfroſt. Schnell brachte
man ihn zu Bette, um ihn zu erwärmen, denn er hatte
fich im eisfalten Waffer eine Erfältung zugezogen.
Adelheid fam nimmer vom SKranfenlager des Vaters,
und beforgte ibn ganz allein nach der Anweiſung des
beilfundigen Leupold's. Der wendete alle Mittel an,
und bot feine ganze Kraft auf, aber dießmal war es
umfonf. Die Krankheit nahm überhand, Graf Eon-
rad fühlte bald, daß fein Stündlein fommen werde.
Es war auch näher, als er es glaubte. Er fiel aus
einem Fieber in Das andere — oft redete er im Fieber—
traume, während Adelheid an feinem Bette ſaß. Er
nannte den Namen feiner feligen Hausfrau, und ein
Lächeln verbreitete fich über fein Angeficht ; er rief den
Namen feiner Tochter, und ein fehmerzliches Gefühi
wurde in feinem Blicke fichtbar. Es war am Abend
des Dritten Tage, als er aus einem folchen Fieber—
traume erwachte, der ihn über Die Maßen geſchwächt
hatte, Adelheid! rief er, indem er fich rafcher als je
aufrichtete — Adelheid, meine einzige Tochter! Was
wollt ihr, lieber Water, ſprach Adelheid fehluchzend,
Denn fie ſah an dem bleichen Antlig, an dem trüben
Blicke feiner Augen, daß fie ihren Bater nimmer lange
befigen werde. Gieb mir Deine Sand, Liebes Kind,
tief er, und verfprich mir, meinen Willen zu erfüllen,
wenn ich nicht mehr bin. Ich will's, erwiederte Adel—
heid, indem fie ihm ihre Hand reichte. So verſprich
mir, dem Manne Deiner erfien Liebe zu entfagen, denn
ev ift der Sohn eines Mannes, der mich einft bitter
238
beleidigt. Hab' ich es nicht gethan, lieber Vater,
jagte Adelheid — ich habe ihn feit jener Stunde
nimmer gejehen — aber warum foll er den Haß ent-
gelten, den Ihr gegen feinen Vater traget ? habt Ihr
ihm nicht alle Liebe erzeigt, al8 er nach Külfe bes
dürftig zu Euch gebracht wurde? Wohl, ich Habe ihn
nie gebaßt, fprach Graf Conrad, ob er gleich mir wehe
gethan, Daß er Deine Liebe mir geſtohlen, und mit
Undanf meine Gaftfreundfchaft gelohnt bat. Ach mein
Vater, fehluchzte Adelheid, er Hat die Liebe eurer Tochter
nicht erfchlichen, mein Herz hat fich felbft ihm zuge:
wandt, weil ich ihn für einen edlen Mann erfannt
habe. So, rief Graf Conrad, und man fah, daß er
im Inneriten bewegt war — er bat Deine Neigung
nicht erjchlichen, es ift Deine eigene Schwachheit ge—
weien? fo kann ich ihn nicht Haffen — doch kannſt
Du nie die Seine werden — gelob' e3 mir feierlich,
meine Tochter, Daß Du ihm auf immer entfagen willft
— er faßte ihre Hand, inden er alle Kraft zufammen-
nahm, und erhob fie in der feinigen — gelobe mir,
rief er heftig, als Adelheid noch zauderte, gelobe mir,
dag Du nie die Gattin eines Mannes werden molteft,
denn ich und Deine Mutter Haben Dich — Graf
Conrad fonnte feine Rede nimmer vollbringen; er ſank
auf fein Lager zurück und fprach nimmer. Weinend
warf fich Adelheid über den Sterbenden: ich will es
geloben, rief ſte, ich will es geloben! — aber der
Pater hörte nimmer Den Schwur Der Tochter, nur fen
brechendes Auge war auf fie gerichtet. Ach! daß
239
Adelheid den Schwur nicht hielt, den fie jo ſpät ges
ſchworen! i
Nur wenige Wochen waren vorüber, nachdem Graf
Conrad zu feinen Vätern verfammelt war, fo fand
fich ein Gaft auf der Burg ein, den Adelheid ſchon
lange nimmer gefehen hatte, Er fam in Begleitung
des Grafen Emicho und feiner beiden Söhne — es
war der Junkherr vom Schwarzwald, der jet öffent»
lich und ungefcheut um ihre Sand warb. So lange
der Graf Conrad am Leben war, hatte er es nicht
gewagt, auf die Burg zu kommen, zumal, nachdem
Luitgarde ihm bedeutet Hatte, wie miffällig Das Ge—
ftändniß der Tochter von dem Vater aufgenommen
worden war, ja er hatte feitdem nicht einmal mehr
die Burg Wirtemberg heimgeſucht. Wie nahm aber
Adelheid Die Werbung des jungen Ritters auf, Der,
jeit jte ihm nicht mehr gefehen, noch männlich fchöner
geworden war? Cie ſprach Anfangs Nein — und
wies auf das ſchwarze Kleid, Das fie noch trug in der
Trauer um den geliebten Vater. Endlich gab fie dem
Zureden des Oheims und ihren beiden Vettern nach
und wollte e3 bedenken. Ihr Herz bedurfte Feiner
langen Bedenkzeit — der liebevolle Bli des treuge-
bliebenen Geliebten Hatte in ihrem Herzen Die alte noch
frühere Liebe wieder rege gemacht, welche nur zurück—
gedrängt war, aber nie ganz aufgehört hatte. Adel—
heid vergaß ihres Schmurs, Den fie vor dem ſchon ge=
Ichiedenen Vater gethan. Ehe der Junkherr vom
Schwarzwald mit feinen Begleitern die Burg verlieh,
240
erhielt er des Fräuleins Sawort, und als er nad
Aween Monaten wiederfehrte, wurde Adelheid von
Beutelſpach fein eheliches Gemahl.
Adelheid war eine glückliche Gattin, das Glück ihrer
She wurde erhöht, als fie ihrem Gemahl verfündete,
dag fie fich Mutter fühle. Ach, Daß dieſes Glück nur
furze Zeit dauerte. Sie ging ſchon im achten Monate,
da Äuferte fie gegen ihren Gemahl den Wunſch, ſie
möchte ihre Verwandte Luitgarde auf Wirtemberg
wiederfehen. Nie hatte ex ihr einen Wunfch verfagt,
auch dießmal willfahrte er feiner Gemahlin. Er wollte
fie felbft auf Burg Wirtemberg begleiten, "und auf
dieſem Wege zugleich eine Beſitzung befuchen, die ihm
jein Vater erft in jüngfier Zeit abgetreten hatte. Leu—
pold, der alte Diener des Grafen Conrad, den Adel—
beid von der elterlichen Burg mit fich genommen hatte,
war der einzige Begleiter des Ehepaars. Als fie nahe
dem Ort ritten, den Adelheid miit ihrem Oatten zum
erften Mal beiuchen wollte, rief Leupold: gnädiger
Herr! das ift ja der Ort, ob dem fich zwiſchon mei⸗
nem ſeligen Herrn und eurem Herrn Vater eine Feind—
ſchaft erhoben, daß ſie nie mehr einander gut geworden,
denn Jeder glaubte ein Recht darauf zu haben. Sie
ritten weiter vorwärts, bis ſie die erſte Hütte des Hofs
erblickten — der geſchwätzige Alte fuhr fort in ſeiner
Rede, indem er ſich zu Frau Adelheid wandte: hieher
ritt ich mit Eurem Vater ſelig, damals, als Ihr noch
ein Kind todtkrank geweſen ſeyd, und dort an der
Linde ſtieg er vom Pferde, ſtreckte die Arme gen
241
Simmel, um Eure Genefung flebend, und da bat er
vor meinen Ohren das Gelübde gethan, er wolle Euch
dem Simmel weihen, aber — der Menſch denkt's und Gott
lenkt's — wär’ auch Schade geweſen, wenn Shr eine
Nonne geworden mwäret. O Gott, rief Frau Adelheid,
ebe noch Keupold ganz ausgefprochen, warum haft Du
wir das nicht früher gefagt? Mit Diefen Worten fanf
jie todtbleich ihrem Gemahl in Die Arme, Der Dicht
neben ihr ritt. Man war an der Linde angefommen:
Leupold fprang vom Pferd und nahın Die Todtfchwache
aus dem Arme feines Kern, und legte fie fanft im
Moos der. Linde nieder. Kauf, was Du laufen fannft,
rief der Nitter dem Alten zu, und hole Wafler aus
jener Sütte. Der Alte tripvelte von Dannen, während
Adelheid in des Gemahls Schoß lag — ſich Freifend
und wendend in Geburtswehen. Der Alte verzog, Da
fprach Adelheid mit ſchwacher Stimme: hol! Du mir
einen Trunk Waffer, mein Lieber. Er ging, fuchte
ein Bächlein auf, füllte damit feine Jagdflafche und
eilte der Gemahlin zu. Während er ein Bächlein
auffuchte, gebar Adelheid ohne Hülfe einer Mehmutter.
Als der Gemahl den Labetrunf herbeibrachte, hielt fie
ihm ein Tiebliche® Mägpdlein entgegen. Er nahm es
freudig in feine Arme; es war das Ebenbild feiner
Mutter. Gott lohn' Dir deine Treue! fagte Adelheid,
und fie blickte liebevoll den Gemahl an, aber Todtenbläffe
überzog auf einmal ihre Angeſicht — ich fterbe — ihre
Stimme wurde immer fchwächer — lebe wohl mein
Beliebter — fie bot ihm Die Hand mit fchon brechen-
16
242
dem Auge — dort auf Wirtemberg mein Grab in
der Ka —. Sie fonnte das Wort nimmer aus—
iprechen, neigte ihr Haupt an die Bruft des Gemahls,
der mit der echten jte umfchlungen hielt, während er
Das Töchterlein mit dem linfen Arm an fich drückte
— amd entjchlief zu einen beffern Leben. Mutter
und Kind in den Armen baltend, und im ftummen
Schmerz fand Xeupold feinen Herrn. Mit ihm kamen
die Bewohner der Hütte. Man brachte Alle, Vater,
Mutter und Kind, in Die Hütte. Erſt dort ermwachte
der faft Lebloſe, und goß feinen beißen Schmerz in
Thränen aus. Noch an demjelben Tage wurde Adels
heids Leiche auf Die nicht ferne Burg Wirtemberg ge-
führt. Yuitgarde, die treue Freundin, die jo lang nach
der Geliebten fich geiehnt hatte, ſah ſie wieder, aber
e8 war eim jchmerzliches Wiederfehen. Am dritten
Tage wurde Adelheid' eingefenft, wie e8 ihr Ießter
Wille gemefen — an dem Orte, da fie den Bund ges
Ichloffen, bei dent des Vaters Gegen nicht gewefen.
243
XVIII.
Ruine Montfort (Sangenargen)
REN
Eine der fohönften Ruinen am herrlichen Bodenjee
ift Sangenargen, das man fonft auch Schloß Montfort
nennt nach feinem Erbauer, dem Grafen Wilhelm von
Montfort. Die Schloßruine liegt äußerft nialerifch auf
einer Inſel im See, genannt Argen, die jedoch längft
durch einen Danım, welcher beim Abbruch des Schloffes
durch Den Schutt gebildet wurde, mit dem Orte Lane
genargen verbunden if. Da das Land, vor deu Die
Eeine Infel liegt, hier eine ftarfe Ausbeugung in Den
See macht, und Langenargen faft in der Mitte am
oberen See liegt, jo bildet die Nuine einen Ausficht3-
punft, der unftreitig den erſten Nang am Bodenjee
einnimmt. Im feiner größten Breite dehnt fich der
See vor dem Blicke aus, und kann von dem einen
Ende bis zum andern überfchaut werden, was auf dem
Standpunkt Friedrichshafen weniger der Fall if. Im
duftiger Berne erblickt man bei heiterer Witterung jen-
jeit8 Die ſchönen Schweizerufer mit ihren herrlichen
Städten und Dörfern, mit ihren Schlöffern und Bur—
gen, in ihrem Rücken erheben fich Die grünen Vorberge
von Appenzell und St. Gallen, hinter ihnen der hohe
Säntis, und fofort die entfernteren Alpenfetten mit
ihren ewig befchneiten Häuptern. Wie durch feine teis
244
zende Lage, fo ift das Echloß auch Durch jeine Geſchichte
merkwürdig. Seine Ruinen führen den Beichauer mit
Einem Blif von einem Zeitabſchnitt in Den andern
zurüf. Während mitten in den Ruinen und jelbft als
Ruine die Schale des in fpäterer Zeit erſt erbauten
Schlojjes ich erhebt, weißt ein andrer auf eine alt—
deutiche Burg und Veſte des Mittelalters, ein dritter
aber noch auf ein Römiſches Bauwerk. Wie Bregenz,
Lindau und Wafferburg, fo war auch die Infel Argen
einft einer der feften Bunfte, auf welchen die Römer
feften Fuß gefaßt haben, und es follen. bier lange noch
zwei mächtige Ihürme geftanden haben, Die man für
ein Römerwerk erfannte. Auf dem Grund Ddiefer rö—
mifchen Befeftigung wurde fpäter eine Deutjche Burg
gefeßt. Aber auch fie unterlag den Stürmen der Zeit.
Es ift lange von feiner Burg Langenargen mehr Die
Rede, bis Graf Wilhelm von Montfort, welcher als
Statthalter und Hauptmann Kaifer Ludwigs des Baiers
in Mailand groß Gut in die Heimath gebracht hatte,
auf den Grund der alten, faft zerftörten Burg in den
Jahren 1332—1343 eine neue erbaute. Zu gleicher
Zeit errichtete er nicht ferne Davon einen Münzhof, in
dem filberne und fpäter fogar güldene Münzen geprägt
wurden, denn die Grafen von Montfort hatten von
alten Zeiten ber das Münzrecht. — Noch im 30jäh-
rigen Krieg galt Schloß Langenargen für eine bedeu-
tende Veſte. Im Jahr 1647 rückten Die Schweden
unter General Wrangel vor dieſelbe; Der Eaiferliche
Gommandant verließ fie feiger Weiſe, und wurde Das
245
für ın Lindau enthauptet. Darauf befeßten Die Schwe—
den das Schloß, und hielten es inne bis zu dem Jahr
1649. Eine während diefer Zeit aufgemorfene Schanze,
wo jebt das Gärtlein angelegt ift, heißt noch die Schwe—
denſchanze. Auch ein Hof Schwedi hat Durch feinen
Namen noch das Andenken an die Schweden erhalten.
Im Jahr 1720 Tieg Graf Anton von Monfort die
Feſtungswerke abbrechen, das Schloß aber, fo von dem
tobenden See ziemlich übel zugerichtet und ruinirt wor—
den, neu herftellen. Graf Ernft legte dem Schloß ge
genüber einen prachtvollen Garten mit einer auserleſe—
nen Orangerie an, that auch fonft Viel zur Verſchö—
nerung des Drtes, fo daß unter ihm Langenargen ſich
zu einer der herrlichſten Orafenfite am See erhob, wo
noch im Jahr 1744 die glänzendften Feſte gefeiert
wurden. Auch ein Zeughaus mit den feltenften Rüftun-
gen und Waffen war in dem Schloffe. — Im Jahr
1783 fam die Burg Argen mit Zugehör an Oeſter—
reich; da wurde Die reiche Rüftfanımer ausgeleert und die
jeltenen Waffenftüce wurden nach Insbruck geführt, und
son da wohl nach Ambras. Im Fahr 1805 fiel Lan-
genargen an Baiern — Da wurde fein 2008 ein trauriges.
Die bairifche Regierung verkaufte Das noch mwohlerhal-
tene Schloß im Sahr 1809 an vier Bürger des Städt-
ben: auf den Abbruch um die elende Summe von
2100 Gulden, und diefe begannen das Werk der Zer—
flörung. Als jedoch im mächften Jahr Langenargen
an MWürtemberg kam, mußte auf ausdrücklichen Befehl
König Friedrichs Der Abbruch des Schloſſes eingeftellt
246
werden. So wurden wenigftens die Nuinen des Schloj-
ſes als eine romantifche Zierde Der Gegend erhalten.
— In neuefter Zeit hat unfer vielgeliebter König Wil
helm die Ruine Langenargen als Eigenthum erworben,
und wir hegen die freudige Hoffnung, daß er Die Durch
schöne Lage wie durch ihre Gefchichte wichtige Ruine
aus ihren Schutte erweden, und vermöge feines Kunft-
finns zu etwas Schönem umgeflalten werde, Damit
Langenargen und Friedrichshafen ebenbürtige Nachbarn
iverden.
Dem Gefchlechte der alten Befiter des Schlofjes Zan-
genargen gehörte jener ritterliche Graf von Montfort
an, von dem uns der. jagenfundige Thomas Lyrer
von Rankwyl eine denfwürdige Mähre berichtet.
Der Graf von Miontfort.
Zu Derfelbigen Zeit — wann? Das gibt Der alte
treuherzige Chronift nie an bei allen feinen Gefchichten
— da ift gemwefen ein mächtiger und edler Herr von
Montfort, und ift ein ritterlicher, frommer und mann—
bafter Mann gewelen. Der ift um der Ehre willen
und der Nitterfchaft nach in ferne Lande ausgezogen,
und fam an des großen Kaiſers Hof, des Chans zu
Cathay. Da Hat er fich etwie viel Zeit gar ritterlich
und wohl gehalten. Indem da hat fich eine Sache
begeben, daß Die Frau des ehgenannten Kaiſers außer
ihrem ehlichen Gemahl einen andern liebte und ausers
wählte, um Kurzweil mit ihm zu haben. Das wollte
247
einen Ritter am Hof gar fehr verdrießen, und Die Kö—
nigin war bei ihren Gemahl verklagt. Nun ift dazu—
mal an dem Hof und in dem Lande Sitte gemwefen,
daß eine jegliche in Unehren bezüchtigte Frau mit einem
rittermäßigen Manne im Kampfe gegen den Bezüchter
fich verantwörten und die Schuld von ihr bringen mußte.
Das war alfo auc ihr von dem König auferlegt.
Nun war die Königin in großem, fchwerem Leid, und
wußte Niemand an ihrem Hof, den fie darum erfuchen
und auf den fie Treu uud Glauben jegen möchte. Da
fam ſie an den Grafen von dem Rothenfahn mit hohen
Ermahnen und Erfuchen in Tieblichen jchönen und guten
Morten, auch mit Berühmen der deutfchen Artigfeit
im Srauendienft, und bat ihn zugleich um aller Frauen
Zucht und Ehre willen: ob ihm je eine Güte oder
Breundlichkeit von einer Frau gefchehen wäre, oder ihm
fünftighin gefchehen follte, fo möchte er ihre Ehre und
guten Leumund gegen den bösartigen Chrabfchneider,
ihren Widerpart, im Kampf in Schuß nehmen. Der
fromm ritterlich Graf bewies fein Mannheit und fein
adelich Gefchlecht und gewährte der Königin ihre Bitte ;
dadurch ließ fie all ihr Trauern ſchwinden, ihr Herz
erhob fich zu großen Freuden, und fie nahm mit großer
Dankbarkeit und in Gnaden fein edles Anerbieten auf.
Doch verlangte er von ihr bei ihrer Königlichen Treue,
ihm die Wahrheit zu fagen, fo er eine Frage an fie
thäte. Da fragte er fie: ob fie der That, die man fie
zeihe, fchuldig wäre, oder nicht? da fagte fie ihm: ja,
fie wäre derfelben ſchuldig. Da fagte er ihr zu: nicht
248
defto minder wolle er denn auch um ihrer Ehre und
feiner Zufage willen kämpfen.
Soldyer Kampf ward durch den König fürgenommen
und angejchlagen. Der fronm ritterlich Graf fanımelte
jein Gemüth, und bat den allmächtigen Gott und feine
liebe Mutter, fte möchten um alle Fromnten Ehr mil:
len Sülf und Beiftand thun; dann befann er fich
jchnell, zum Kampf gegen den Feind der Königin in
den Kreis zu treten. Als er nun in den Kreis fan,
um fi im Kampf gegen den Ritter der Königin we—
gen zu wehren, Da gedachte er des Geftändniffes und
war erfchrocen; er wich zurück und floh eine Zeit lang
vor dem Gegner. Das verdroß den Ritter ihm ges
genüber, er wandte fich mit Scheltworten an ihn und
jchrie: ei du Böſewicht, du fleuchſt? Das ging dem
Grafen zu Herzen, er rechtfertigte fich gegen ihn und
fprach: Du lügſt und biſt an dir ſelber; ob Goit will,
ſo will ich heute mein Ehre und Frömmigkeit an dir kund
machen und dich mit der Hilfe Gottes zu Tod ſchlagen!
Da gewann er den Sieg, ſchlug den Ritter zu Tod
und rettete alſo der Königin ihre Ehre. Das kam der
Königin zu großem Gut, alſo, daß es nicht unbillig
war, wenn ſie ſich gar erbot, nach ihrem Vermögen
ibm zu vergelten, und ihm viel Haab und Gut zu ges
ben. Deffen weigerte er fich und begehrte Feine zeit—
liche Haabe dafür, denn er hatte Alles um unfrer lieben
Frau und aller Frauen Ehre willen gethan. Nun
aber hatte die Königin ein Tuch, Das war, als unjer
Herr Chriſt vom Stamme des h. Kreuzes geftorben ab»
249
genommen ward, unter und über ihn gelegt worden.
Um das bat er ihr Eönigliche Gnade, e8 ihm zu ges
ben und Nichts Andered. Da gab es ihm die Königin
mit großen Ehren und hohem Erbieten, feine gnädige
Frau bleiben, zu wollen. Alſo Fam er hinweg, und
nahm Das Tuch mit ihm und fam an das Herzogen
von Savoyen Hof, da ift er geblieben, Seine ritter-
liche That an der Königin Hof aber ward ihn und
allen feinen Nachkommen zu Lob und Preis immer und
ereig angefchrieben. Deffen fich ein jeder rittermäßiger
Mann wohl freuen mag; auch daß man fchönen Frauen
deſto eifriger dienen möge, um den Lohn zu empfahen,
den fie zu geben haben.
XIX.
Hohen-Menfen.
Der Bergfegel, welcher auf feiner Spige mit fühnen
Velfen und den noch Fühneren und großartigen Ruinen
von Hohen-Neufen gefrönt ift, fleigt vom Neufes
ner Thal auf, und hat an feinem Fuße Weinberge,
Acker, etwas höher Maiden und Wälder. Das obere
Drittheil des Berges ift, mit Ausnahme einer neuen
Eleineren Tannencultur, vom Walde frei und zeigt weite -
hin durch Schwaben den großen Umfang der ehemaligen
250
Feſtungswerke. Der höchſte Punkt der Burg liegt über
der Stadt, 1292 Fuß über dem Meere, 2555 (2298
Barifer. Fuß). Bon der eigentlichen Alb ift der Berg—
fegel durch eine Fünftlich vertiefte Einfattelung getrennt.
Die Landzunge, welche die Alb ſüdlich mit den Ho—
hen-Neufen verbindet, ift in der Nähe Der Burg ziem—
lich fchmal, und zeigt an einer Stelle einen noch ſchma—
leren, über Felſen fünftlich angelegten Uebergang. Hat
der Befucher die Landzunge hinter fich, fo befindet er ſich
an der Gtelle eines Glacis, hinter welchem ſich Vor—
werfe terafjenförmig erheben. Zur vechten Seite führt
der Weg zur Burg. Derfelbe Hatte an verfchiedenen
noch jest erfennbaren Stellen Zugbrücden. Zur linfen
Seite dieſes Weges find Die Cingänge zu drei Vor>
werfen. Im einen Graben dieſer Feftungstheile befindet
fich eine merkwürdige, auf dieſer Höhe nie verfiegende
Duelle. Diefe Vorwerke, in welchen fich Gewölbe und
ein Thurm befinden, trugen einfl den Namen würt—
tembergifcher Fürften. Unter einer großen Baftion, zu
welcher und aus welcher Zugbrüden führen, geht ein
gewölbter Gang durch, welcher den Weg weiter führt.
Nach Ueberſchreitung dieſer Parthie kommt man, links
ſich haltend, um einen gewaltigen runden Eckthurm,
deſſen Baſis in Felſen gehauen iſt. Ueber die Stellen,
wo früher eine ſteinerne Brücke führte, geht jetzt ein
Weg mit Schranken, der auf die Höhe eines andern
gewaltigen Eckthurms führt. An derjenigen Stelle, wo
über dieſem Weg an den Ruinen ein neues Mauerſtück
eingeſetzt ift, überragte Die Wohnung der Offiziere Die
251
Brücke. Don den Rondell des legtgenannten Thurmes
aus führt eine Pforte in das Innere der Feſtung.
Ueber und zu beiden Seiten der Pforte befand fid) die
Kaſerne für Die Befakung. Dieſe Kaſerne ließ in Die=
ſem Raume nur einen Kleinen Hof übrig. Am öftli-
chen Ende der Kaferne war die Slirche, deren Glocken
in dem benachbarten Weiler Tifchardt, und deren Ors
gel auf dem Rathhauſe in Neufen ſich befinden. Die
Gewölbe, welche man in diefen Räumen fieht, waren
unmittelbar unter der SKaferne. Verläßt man diejen
Raum und fteigt nach rechts weiter empor, jo gelangt
man in den obern jehr geräumigen Schloßhof. Ueber
dem Eingang und weiter nad) rechtd (in einem rechten
Minfel) war die Wohnung des Kommandanten. Neben
dieſer Localität und gegen Weſten, da wo jich in Den
Auinen noch die hohen Gibel befinden, war das Zeug-
baus, unter welchem ein noch gut erhaltener Keller
fich befindet. Außer den zum Schuße nöthigen Waf—
fen enthielt diefes Zeughaus eine Sammlung interejs
fanter Waffen. An das Zeughaus reihen fich linfs
und etwas höher gelegen zwei Burgverliege an. Das
Volk bezeichnet eines davon als dasjenige, in welchem
Süß Oppenheimer gefefjen fey. Die von der Mauer
freie weftliche Seite des obern Schloßhofes bildet eine
Terraffe ; Diefelbe gewährt von seiner Art Erfer aus
eine prachtvolle Fernficht. — Eine kleine Brücde, welche
noch fteht, führte vom öftlichen Theil des Schloßhofes
in den Garten des Kommandanten. Rechts von Diefer
Brücke, innerhalb des obern Hofes und neben der
ae
Mohnung des Commandanten, befand fich das Staate-
gefängniß. Un diefes reihten fich im Halbfreife Ma-
gazine, Werkftätten und Stallungen an. Der vordere
Theil des ziemlich großen Gartens des Gommandanten
bietet als höchfter Theil der Feſtung eine herrliche Rund—
ſchau. Die weiteren Räumlichkeiten, Thürme, Gänge,
Umfangsmauern dienten zu Kriegszwecken und erklären
jtch leicht von felbft. Vor Erfindung des Schießpulvers
nahm Die Burg wohl nur denjenigen Raum ein, wel
chen Das Felfenplateau darbietet. Der Eingang in Diefe
alte Burg fand wabhrfcheintih von Süden aus über
eine Zugbrüde flatt, welche in den ſüdöſtlichen Thurm
führte. Diefer zeigt noch heute in ziemlicher Höhe,
einer Felſenerhöhung gegenüber, em nun zugemauertes
Thor. Im übrigen ftanımen die Werfe von den Her—
zogen Ulrich, Chriftopb und Earl Ulerander. — Die
Ausficht auf Den ebengerannten Punkten ift von einer
in Württemberg kaum anderswo gefannten Schönheit,
und läßt fich eher bewundern als beſchreiben. Rechts
erhebt fich Die Teck und etwas ferner ragt der Hohen—
ftaufen herüber. Die Kapelle der Stammburg Würt-
temberg glänzt von Dem rebenbefränzten Necarthale
herauf. Die Schlöffer Asberg, Hohenheim, Golitude
und eine Anzahl Dörfer und Städte liegen vor dem
Befchauer in einem gewaltigen Salbfreis, der im fer
nen Welten vom Schwarzwald eingerabmt wird. Linfs
schaut Der Thurn der Achalm herüber, hinter ihr birgt
ſich Die Gegend des Kichtenftein und der Nebelhöhle,
und noch weftlicher Der durch Vorberge verdeckte Zol⸗
253
lern. In der Richtung nah Süden wollen einige
ſchon die Alpen gefehen haben. Wenn diefes aber auch
nicht wahrfcheinlich it, fo ſchließt ein Blick auf Die
Alb ein Banorama, welches felten feines Öleichen hat.
Befonders herrlich ift Die Ausficht auf Hohenneufen,
wenn man in der Zeit vor Sonnenaufgang die Veſte
befteigt, und mit den erjien Strahlen der aufgehenden
Eonne .die Nähe und Ferne betrachtet, Die wunderbar
verherrlicht von goldenen Lichte vor unfern Augen liegt.
Von der’ ſchönen Natur wenden wir ung zur Ge—
ichichte der Burg, Die fo oft und trefflich bejchrieben
worden, Daß wir wenig bier Neues mehr geben fönnen.
— Schon ©. Schwab erwähnt der Sage, daß die Vefte
Neufen römifchen Urfprungs fey, feheint aber wenig
Gewicht darauf zu legen ; dagegen hat ein fcharffinniger
und gefchichtsfundiger Gelehrter neuefter Zeit, Dr. A.
Doll zu Neufen, in feinem mit Necht als trefflic
anerfannten Büchlein (Hobenneufen und Hohenurach
mit ihren Umgebungen. Urach 1859), aus dem wir
Die vorangehende Schilderung des Bergs und der Ruine
wörtlich entlehnt, Diefe Sage wieder aufgenommen, und
fie einigermaßen Hiftorifch begründet. Die Landzunge,
welche die Veſte mit der Alb verbindet, führt auf ein
Gebirgs - Blateau, welches wegen feines fteilen Abfalls
nach drei Seiten für die Nömer als firategifcher Anz
baltspunft gelten Eonnte. Wälle und Gräben, weldıe
die wenigen gefchügten Punkte deckten, find noch heute
bei Erfenbrechtsweiler, Burrenbof und Grabenftetten
fichtbar, und wurden längft für beidnifches Werk an—
254
gefeben. Dom Nedar aus führten römijche Straßen zu
diefer Alb-Befeftigung, und Hohenneufen, das weithin
die Gegend überragt, war eines ver Vorwerfe, eine
Marte oder Eaftell, wie wir fie häufig auf den Ge—
birgsvorfprüngen des alten Zehentlandes von Alleman—
nien finden. Römiſche Münzen, Gelten= oder Germa—
nengräber,, die in der Nähe von Neufen aufgefunden
werden, möchten wir für weniger triftige Beweiſe eines
römifchen Urſprungs von Hohenneufen halten. Die
erſten urfundlichen Beftger und wohl Erbauer der Burg
Meufen Flammen aus einem in Oberſchwaben hochan—
jehnlichen Gefchlecht, den Grafen von GSulmetingen,
deren Stammburg noch jegt in dem freundlichen Riß—
thal im Dorfe Oberfulmetingen zu finden ift. Dort,
auf der alten Burg Sulmeningen, faß ſchon im 10.
Jahrhundert ein fchwäbifcher Graf, Namens Beiere,
der drei Söhne hatte. Neginbald T 955, Adelbero,
Goadjutor des H. Ulrich in Uugsburg, Manegold.
Letzterer ift ohne Zweifel Der ältefte Stammherr Der
Dynaften von Neufen. Er vermäblte ſich mit Mech-
tild, der Tochter des Grafen Egino von Urach, und
der mag ihm wohl beftinmt haben, fich in der Nähe
feiner Anverwandten einen Stammfig zu gründen. Seine
Kinder waren: Ulrich, Mönch im Klofter Zmiefalten,
Mechtilde, Nonne in demfelben Klofter, und Eging, jo
benannt nach feinem Großvater, der aber den Namen
eines Grafen von Sulmetingen noch fortführte. Wann
die Grafen von Sulmetingen auf Neufen anfäßig ges
worden, ift nicht genau überliefert, aber zuverläßig be—
255
reitd im der erften Hälfte des 12. Jahrhunderts. Ob
Graf Manegold den Grund und Boden von Neufen
durch feine Gemahlin ererbt oder erfauft, ift nicht über—
liefert. — Nun folgt die ununterbrochene Reihe der Her—
ren von Neufen, die fich nicht mehr von Sulmetingen,
fondern von Niefen, und zwar nur Herren von Niefen
nennen. - Wenn Egino, Mangolds Sohn, Graf von
Nifen, im Jahr 1190 als Zeuge genannt wird, jo
kann er wohl Vater Bertholds L. von Neufen gemefen
feyn, der vom Sabre 1198 —1219 vorkommt. Er
war, wie Alle feines Namens nad) ibm, ein ungers
trennlicher Sreund und Kriegsgefährte der Kaifer vom
Haufe Staufen. Durch feine Verbindung mit einer
reichen Erbin, der Tochter Graf Adalbert3 von Achalmı,
wurde er Befißer der Graffchaft Achalm. Faſt gleich-
zeitig mit ihm erfcheint Heinrich von Nifen, der mit
Anfelm von Suftingen von Reichs wegen nach Italien
fuhr, und den jugendlichen Bringen Friedrich von Staus
fen zur Königswürde berief (im Jahr 1211.) Auch
kommt um Diefelbe Zeit ein Berthold von Nifen vor,
der im Jahr 1212 Kanzler Kaiſer Friedriche IL. ge—
weſen, und im Jahr 1222 ala Bifchof von Briren
geftorben. Söhne Bertholds I. waren Heinrich U. und
Albert; fie waren meiftens im Hoflager K. Friedrichs,
waren ihm zur Seite bei allen feinen Unternehmungen
in Stalien und begleiteten ihn, den Bannfluch mit ihn
tragend, nach Paläſtina, wo ſich Friedrich felbft Die
Kaiferfrone auffeßte. Noch häufiger kommen fie vor
bei Friedrichs Sohn K. Heinrichs VIL., beſonders wurde
256
Seinrich von Nifen viel von legterem gebraucht. Diefer
Heinrich U. von Nifen muß zu feiner Zeit ein wich-
tiger Mann gewefen ſeyn, denn der gleichzeitige Chro—
nift Albertus Bohemus fagt von ihm im Jahr 1240,
er. jey einer von den Mächtigeren und Edleren des Lan-
des, er verftehe Die Grammatif und fehr gut Das Fran—
zöfiiche. In einer Urfunde vom Jahr: 1241 nennt
er fih Heinrich, von Gottes Gnaden Grave von Nifen.
Seine Söhne waren Seinrich III. und Gottfried. Beide
lagen in Fehde mit Bifchof Heinrich von Conftanz ;
im Sabr 1255 am ©. Albanstage fam es im Schwig-
gerthale (unterhalb Mesingen) zu einem Kampfe, in
dem der geiftliche Krieger über Die ritterlichen Herren
Sieger wurde. Die beiden Brüder nebft 40 andern
Rittern und Edelfnechte wurden gefangen. Zum Danf
gegen Gott ob. des verliehenen Siegs, bejchenfte Der
Bifchof noch im Feldlager Die Marienfapelle zu Reut—
Iingen, welche dem Kloſter Marchthal gehörte, mit al-
lerlei Rechten. Später finden wir die beiden Gebrüder
von Nifen abermals in einer Fehde mit dem Bilchof
son Speier, und mitthätig bei Verwüflung des Etifts
Badfnang. Gottfried ift der Durch feine Lieder berühmte
Diinnefänger und erfcbeint in Urkunden von 1234—
1254. Sein reifes Alter fällt genau in Die Periode
des Mittagsglanzes der Dichtfunft in Der Zeit Der
Staufer. Seine Lieder, Die ein ganzes Bändchen füllen,
find ausgezeichnet Durch Anmuth der Form, durch
Künftlichkeit und Zierlichfeit Der Reimſpiele, bewegen
fih im engen Kreife der Gedanken und Ausdrücke. Der
257
ichöne Wald, des Frühlings Pracht, der grüne Anger, die
Blumen der Wiefe, der Vögelein füßes Singen, der rotbe
Mund der Geliebten, der an Glanz und Frifche mit der
thauigen Roſe wetteifert — das ift der Gegenftand feiner
Minnelieder. Mit Hecht feiert der edle Sänger die
ſchöne Natur, denn ſah er fie nicht von feiner Burg
in fo heiterem Glanze vor fich liegen Noch heute heißt
im fühlen Thale, in das er mit feinen Windhunden
binabritt, die Umgebung feines Guts „das Frauenhardt.“
In der pergamentnen KHandfchrift der Minnefänger zu
Paris ift Gottfried von Nifen dargeftellt auf offenen
grünem Feld, jugendlich, mit güldnem Kranz aufden Lo—
fen, in grünem goldgefäumten Rocke und rothem, pelzge—
füttertem Ueberfleid; er bietet die Nolle feiner Lieder
einer Frau dar, welche ihm den Rücken wendet. Aber
im blauen Felde hängen drei jilberne Jagbhorker mit
rothem Band über einander — das angeborne Wappen
des Geſchlechts. — Erſt im Jahr 1253 ſcheint Gott—
fried die Frau ſeines Herzens gefunden zu haben; ſie
hieß Mechtild und zeigte ſich mit ihm wohlthätig gegen
das Kloſter Maulbronn durch eine Spende von Wein
und Weizen für die dortigen Mönche. Gottfried zeugte
mit Mechtild einen Sohn, der die alte Linie des Ge—
ſchlechts zu Hohenneufen fortſetzte. Gleichzeitig mit
ihnen erſcheint ein Berthold III., mit dem eine neue
Linie des Haufes beginnt. Diefer heirathete Jutta, die
einzige Tochter und Erbin Gottfrieds, des Grafen von
Marftetten. Damit erhielt Berthold die Würde und
den Namen eines Grafen von Marftetien, melche feinen
17
258
Nachkommen verblieben, die fpäter im Jahr 1326 auch
die Graffchaft Graifpach (links der Donau unterhalb
Donauwörd) noch erhielten. Berthold, der fich von nun
an immer Graf von Marftetten nennt, hatte zwei Söhne,
Albert I. und Berthold IV. Berthold III. und fein
Sohn Albert begleiteten den unglüdlichen Conradin
von Schwaben nach Italien, um ihm das Erbe der
Vater erobern zu helfen. Wahrfcheinlich nahm Berthold,
Graf von Marftetten, feinen Wohnfiß auf der Burg
Maritetten an der Sller, deren bedeutende Trümmer
noch ihre ehmalige Größe verfündigen, feine Söhne
aber blieben vielleicht auf der. alten Stammburg Niefen,
von der ſie fich immer noch nennen. Nach ihnen tritt
Rudolf, der Sohn Gottfrieds des Minnefängerd, auf,
der die alten Stammgüter, ald Neufen, Nürtingen,
Min ben, Blankenhorn und Güglingen im Zabergau,
int Beſitz hat. Diefer zeugte einen Sohn Berthold und
eine Tochter Luitgarde, welche letztere jich mit Herrn
Conrad von Weinsberg vermählte. Da Berthold Feine
Nachkommen hatte, fo wurde fein Schwager Erbe der
Kerrfchaft, Die er aber fchon im Jahr 1301 an Oraf
Eberhard den Erlauchten von Wirtemberg verkaufte.
Die jüngere Linie Neufen-Marftetten blübte bis in Die
Mitte des 14. Jahrhunderts. Berthold VIL., der Trä-
ger diefer Linie, ftand bei Kaifer Ludwig dem Baier
in großem Anſehen; er wurde fein erfter Rathgeber
und Hauptmann in Baiern, al8 welcher er Vollmacht
hatte, an Ludwigs Stelle zu fihalten und zu walten.
Sm Jahr 1323 übertrug er ihm die Statthalterfchaft
259
in Stalin. Der Kaifer ließ feine Treue auch nicht
unbelohnt, denn er befchenkte ihm reich mit Geld und
Ländereien. Berthold vermäbhlte fich mit Agnes, Schwe—
fer des Burggrafen Johann von Zollern-Nürnberg ;
aber dieſe gebar ihm nur drei Töchter: Zwei von die—
fen gingen ing Klofter, eine aber, Anna genannt, war
fo hoch geehrt, daß Friedrich von Bayern, Cohn Her—
zog Stephans, fie zur Hausfrau erforen. Durch fte
erhielt Haus Wittelfpach das reiche Erbe von Neufen,
Unna von Neufen zählen wir fomit unter die Ahn—
frauen des bairiſchen Königshauſes.
Nun noch Einiges über die Schieffale der Veſte Ho—
benneufen. Der erite, der fie im Jahr 1311 aus
Auftrag des Kaiſers berannte, war jener Conrad von
Weinsberg, der fie noch im Jahr 1301 als eigew be-
jefien hatte. Nur die Stadt Neufen, aber nicht die -
Veſte, Eonnte Conrad erobern. — Als die Grafen von
Wirtemberg in Jahr 1361 das Rand theilten, da ers
hielt der ritterliche Eberhard der Naufchebart die Burg
Kohenneufen zu einer Reſidenz, auf der er freilich nicht
lange Ruhe hatte. Ber einer fpäteren Theilung, die
aber Eberhard in Bart wieder aufgehoben, hatte Neu—
fen die Beftimmung, feinen Namen einer Hälfte des
Landes zu geben, denn es zerftel in WirtembergeNeufen
(Stuttgart) und in Wirtemberg-Urach. Unter Herzog
Eberhard II. wurde Neufen zum erften Mal der Ver—
wahrungsort eines Staatsgefangnen. Holzinger, des
Herzogs Schlimmer Rathgeber und Kanzler, wurde auf
Neufen in Saft gelegt; ihm folgte bald (im Jahr 1512)
260
ein geiftlicher Würdeträger, Abt Georg Piscator (Fifcher)
von Zmiefalten. Herzog Uleich Tieß ihn auf Neufen
fegen. Der Vogt und Forjtmeiiter Belz, ein Schwager
des berüchtigten wirttemberg. Kanzler Lamparter, jtarb
im Ihurm auf Neufen, weil der Herzog ihn im Ver—
decht hatte, er fey in den Händeln megen des ermorde-
ten Hand Hutten gegen ihn gewefen. Conrad Breu—
ning;' Dogt zu Tübingen, ſaß gleichfalld im Kerker
zu Sohenneufen ; er mußte Dort Die Folter überftehen,
und ward in Stuttgart enthaupter. Nach der Ver—
treibung Herzog Ulrichs wurde auch Neufen mit an-
dern Veſten vom ſchwäbiſchen Bund eingenommen.
Ulrichs Gemahlin Sabine wählte im Jahr 1520 ihren
Sit auf Kohenneufen und fand während den Schreden
des Qaurenfriegs hinter den Mauren der noch gewal-
tigen Veſte Schuß und Sicherheit. Als Ulricy nad
der Schlacht bei Laufen im Jahr 1534 das Land fel-
ner Väter wieder eroberte, übergab Der Burgvogt Ber-
thold von Schilling die Vefte ihrem rechtmäßigen Seren.
Gerade feierte Berthold Die Geburt feine erften Söhn—
leind und war im Begriff, ihn zur Taufe zu tragen.
Al2 der Serzog mit feinen Nittern und Reiſigen Die
Burg binaufritt, fand er die Brürfen herabgelafien und
das Thor offen. Bor dem Thore fland Berthold der
Burgvogt, reichte demüthig dem Herzog den Schlüfjel
der Burg, und erbat fich eine Gnade, Die der Herzog
ihm gewährte: er trug das Söhnlein feines Dieners
als Pathe in eigner Berfon zur Taufe. - Im Jahr
1609 Fam wieder ein wichtiger Gefangner auf Hohen-
—
261
neufen, es war Matthäus Enzlin, der wirtemberg’fche
Kanzler; von Neufen Fam er nach Hohen-Urach, wo
bald darauf fein Haupt unter dem Schwert fiel.
Im 3Ojährigen Kriege bewährte Kohenneufen den
Ruhm feiner Feftigkeit. Der Hauptmann Schnurm
vertheidigte die Veſte gegen den faiferlichen General
Gallas mit ungeheurer Ausdauer und Tapferkeit. Doch
im Jahr 1635 wurde fie durch Aushungern eine Beute
der Feinde, aber im weftphälifchen Frieden wurde Hohen—
Neufen wieder an MWirtemberg zurücgegeben. Nach
dem ZOjährigen Kriege hatte Hohen = Neufen keinen
feindlichen Stoß mehr auszuhalten. Doch wurde jte
in Jahr 1733 von Herzog Carl Alexander von Wir-
temberg, dem auch Die Bergvefte Hohentwiel feine Bes
feftigung zu verdanken hat, aufs Neue befeftigt. Die
Merke, welche die Vefte gegen die Alb hin verteidigen
follen, find hauptfächlich aus diefer Zeit. Er war in
eigner Berfon auf der Veſte im Jahr 1734. Drei
Jahre Darauf mußte fein unredlicher Minifter Jud Süß
Dppenheimer in den Kerfer nach Neufen wandern.
Seine Haft auf Neufen dauerte aber nur einige Wo—
chen, von da kam er nach Asperg, und dann nach Stutt-
gart an den Galgen. Im Jahre 1795, in der Zeit
der franzöftfchen Nevolution, hatte die Veſte noch Dach
und Fach, bot aber feinen drohenden, fondern vielmehr
arımfeligen Anblick dar, denn nur 9 Invaliden bildeten
die ganze Befagung. Als um jene Zeit der Gouver—
neur dem Herzog Ludwig Eugen die feierliche Meldung
that; auf der Veſtung Neufen ift Nichts Neues vor:
262
gefallen! — da erhielt er vom lächelnden Herzog zur |
Antwort: D, ich bin froh, wenn nichts Altes einge- |
fallen it! Doch wurde auf Antrag der Stände —
bei den obfchwebenden ſchweren und ernften Zeitläuften
— die Schleifung der Veſte befchlofien. Sie wurde
jofort im Anfang dieſes Jahrhunderts abgetragen, denn
die Zeit ihrer Bedeutfamfeit war vorüber. Es mag
der Umgegend, befonders der Stadt Neufen, fein Leid
|
i
geweſen feyn, ald die Mauern ihrer früheren Befchüßes |
rin fielen: fie hatte mit dem dazu gehörigen Amt
Bisher Die fehr bejchmwerlichen Feſtungsfuhren zu ver—
feben. — Das fogenannte Wahrzeichen der Veſte Neufen
war ein Eſelsfuß, der neben der zweiten Wache aufs
gehängt war. , Die DVeranlafjung dazu fol dieſe ge—
|
wefen ſeyn: Vor Zeiten wurde ein Efel zum Waffer- |
tragen gehalten, weil die Feſtung daran Mangel hatte.
Ginft aber war fie fo enge eingelperrt, Daß die Beſatzung
Den bitterftien Mangel litt. Da fütterte man den Efel
von dem lebten Scheffel Gerfte jo reihlih, Daß er
ftarb. Dann wurde fein wohlangefüllter Wanft über
die Mauer binabgeworfen. Als Die Feinde, welche
ſchon auf die Mebergabe der Stadt gehofft hatten,
dieß ſahen, fchloßen fie daraus, daß die Befagung noch
vollauf zu leben hätte, und zogen ab. Dem Ejel zum
wohlverdienten Andenfen wurde einer feiner Süße auf—
gehängt. Einft hatte ein gutes Weib von Linfenhofen
mit einem dieſer Waffertriger Mitleiven und ſprach:
„Du armer Efel, haft du auch zu freſſen?“ und als fie
frank wurde, vermachte fie dem Ejel eine Wiefe, welche
263
auch nachmals, als Fein Efel mehr gehalten wurde,
der Commandant jährlich mähen und einheimfen Tiep.
Dieß gefchah noch bis ins Jahr 1802, und die Wicfe
führte den Namen Efelöwieje.
Hier noch Die romantische Gefchichte von der Verer—
bung der Graffchaft Marjtetten an die Herren von
Neufen, wie fie ein altveutfches Lied aus dem 15.
Jahrhundert enthält, das unfer edler Ludwig Uhland
in feiner trefflicyen Sammlung „Althochdeutſcher
Bolfslieder” vom Jahr 1845 2. I. ©. 775—
733 gegeben.
Die Sage
son dem edlen Moringer und dem Herrn
von Neufen.
Im fehönen Schwabenland, am Ufer der Iller, Tebte
in alten Zeiten auf der Burg Marſtetten ein veicher
Graf, Gottfried von Marftetten, den man den edlen
Moringer nannte. Er war reich an Tugenden umd
erfahren in aller Ritterſchaft. Er Hatte viele Lande
durchzogen, und manch Abenteuer erfahren, nur ein
Land hatte er noch nicht erjchaut, Dad jo man nennet
St. Thomasland. Das zu fchauen, darnach fand
fhon lang feine ganze Schnfucht. Eined Morgens
un den Hahnenſchrei rief er ſeiner Frau, und ſprach
zu ihr; Herzliebe Frau, höre, mich verlangt in St.
Thomasland zu ziehen, das hab’ id) längſt mir ge—
264
lobt, und nun will ich einmal mein Gelübd erfülien,
denn Tag und Nacht hab’ ich Feine Ruhe, bis ich
demfelben Genüge gethan. Darum, holde Frau, gib
mir Urlaub, Daß ich ziehen mag, und barre meiner
fteben Jahre. Da Sprach die Frau gar trauriglich :
jaget mir, mein lieber Herr und Gemahl, wenn ihr
von dannen ziehet, wer ift es, Dem ihr euer Land und
Gut anvertrauet? und wenn auch das treu und gut
verwaltet wäre, wer foll, lieber Herr, mein treuer
Pfleger jeyn, und wer foll Jutta, unſer zartes Töchter-
lein, in feine Huth nehmen, bis Daß ihr wiederkehret
von eurer Fahrt? Der edle Moringer tröftete fein
boldes Ehegemahl und fprach : o traure nicht fo ſehr,
du Liebe und Theure, Daß ich Yon-dannen ziehen will.
Sch Habe fo manchen Ritter und Dienfimann, die von
und Gut und Ehre haben: die werden dir im Treuen
untertban feyn und dich in ihre Obhut nehmen. Das
zarte Töchterlein werden und die frommen Klofterfrauen
aufnehmen und erziehen ; ich will ihr dermaleins den
Schleier felbft vom Haupte nehmen, und fie als folge
Braut zum Altar begleiten. Auf Dich aber traue ich,
daß du deine Ehre wohl bewahren wirft, wie Alle,
die deinem Gefchlecht entfprofjen find, und wie du bis
auf Diefe Stunde mir ſtets Fund gethan. Nun gib
mir Urlaub, zarte Frau, ich will vollbringen meine
Fahrt, denn mein Gelübde mag — brechen.
Gedenke meiner mit Treue in Deinen ommen Ge⸗
bet, wenn ich von hinnen bin. ‚Lebe wohl;
jegne Dich, und habe ung Alle in ſeiner Sud. aun
er
265
möge St. Thomas, der fromme Heidenbote, uns feine
Hülfe angedeihen laſſen. Unter füßen Küfjen verlieg
der edle Kerr Die meinende Frau.
Nun verließ der edle Herr fein Bette und trat aus.
der Kammer. Da fland der Kämmerer vor der Thüre,
in den Händen des Herrn Gewand. Als er ihn an-
gefleivet hatte, brachte er ihm Das jilberne Beden dar;
der edle Herr goß fih das Waſſer über die Hände
und wufch fein Tichtes Auge Flar. Dann ſprach er
zu feinem Kämmerer: mein allerliebfter Diener, mein
Sinn fleht mir nah St. Thomasland, dahin will ich
. ziehen und mein Gelübde erfüllen. Dir, du getreuer
Knecht, der in meinem Dienft grau worden und fchon
jo viele Treu erzeiget: hat, will ich meine Frau über—
geben, auf daß du ihrer pflegeſt. Sieben Jahre will
ich auswärts bleiben, und dann, wenn ich wiederkehre,
und du mir Treu erzeiget haft, will ich dir's vergelten
mit reichem Lohne. Da ſprach der Kämmerer tugend-
lich: edler Serr, es däucht mir viel klüger gethan,
wenn ihr daheim bliebet in eurem Lande, wo ihr Alles
babt, was ihr nur begehren möget: die Frauen tragen
lange Saare und haben kurzen Muth. Das merfet
wohl, wenn ich euch rathen darf — nicht möcht ich
eure Frau, jo gut und edel fie auch ift, länger hüten
denn fieben Tag. Drum folget eurem treuem Knecht,
und bleibet, wo ihr ſeyd. Dieſe Rede feines Kämme—
ur
BR: N —34
*
rers däuchte fremd und ſonderbar dem edlen Morti
ſie ging ihm tief ins Herz, und mit traurigem Muͤthe
trat er hinaus. Vor dem Hauſe fand er einen Junk—
266
bern, der war ihm wohl befannt: es war Berthold
von Neufen, ein blonder und ſchöner Rittersmann,
feiner Bafallen der beften einer. Der edle Moringer
fab ihn freundlich an, dann fprach er liebevoll: mein
allerliebfter Diener von Neufen, junger Herr, ich will
jeßt ziehen gen Thomasland, aber wem befehle ich
aladann meine Frau? wem anders, als euch, deſſen
Treue und Nitterfinn ich ſchon oft erfannt babe;
darum feid ihr Hüter und Pfleger fieben Jahre, ſo
lange ich abwefend feyn will. Wißt ihre, wie einft
der Herr vom Kreuze zu feinem Tiebften Jünger fprach?
„Diefe ift deine Mutter!” Alſo fpreche ich auch zu
euch, und befehle eurer Treue und Tugend mein viel
liebes Ehegemahl, daß ihr derfelben pfleget als ein
lieber Sohn. Da neigte fich der junge Kerr von
Neufen gar tugendlich und fprach: Kerr, ziehet hinaus,
° wohin ihr wollt, und habt getroften Muth, und mwäret
ihr wohl dreißig Jahr in St. Thomasland, fürmahr,
ihr Dürftet ohne Sorgen feyn, denn wie ein Sohn
will ich warten und pflegen meiner edeln Frauen, alfo
daß ihr. euch freuen werdet, wenn ihre wiederfehret. _
Dep freute fich der edle Moringer, als er folche Rede
von dem jungen Grafen von Neufen vernahm, umd
auf einmal war von. feinem’ Kerzen alle Schwere ge-
men, die das Mort ded treuen Kämmererd auf
fein‘ Herz gelegt hatte. Er gab dem Herrn von Neufen
die Hand mit lieben Blicken, und zog von hinnen im
Pilgergewand.
Ben volle Jahre war br edle Moringer in St.
267
Thomasland, nachdem er die liebe Heimath, auch Weib
und Kind verlaffen, — und manch ein Abenteuer hatte
der theure Öotteöftreiter unter den Heiden überftanden,
da der Herr ihm treulich aus aller Gefahr geholfen.
Eined Tages lag er müde in einem Gartenhag, um
auszuruhen, und war in tiefen Schlaf verfunfen. Und
wie er dalag, das Antlig gen Simmel gerichtet und
die Hände fromm gefaltet, da ward fein Geift von
einem böfen Traum befchwert. Ein Engel vom Simmel
Rand ihm zur Seite und ſprach alfo zu ihm: „er
wache Moringer, es ift Zeit — fommft du nicht nad
Haufe eben am heutigen Tage, fo nimmt der Junkherr
von Neufen dein Ehegemapl zum Weibe.” Da machte
der edle Herr auf, und raufte fi vor Sammer und
Zeid feinen grauen Bart. Weh mir! rief er ſchmerz⸗
voll aus, wie reut mich meine Frau! weh wir, mein —*
Land und meine Leute! weh mir, daß mich, iejeni
die ich zu hoher Ehre und Wuͤrdigkeit erhoben M
FOR
fchänden will an meiner eigenen Ehre. Und daß ich
—
fo weit muß geſchieden ſeyn von meiner Heimath, um.
Babin zu gelangen! So weit ich ſchau', ein fremdes
Land, Gebirg an Gebirg, hoch wie die Wolfen —
und fönnt ich fliegen, ſchnell wie ein Aar, nicht fan’ 4
ich zur Stätte noch zeitig, um das Unrecht unver
hüten, das mein Gemahl an mir begehen will.
Gott verhüten! und du St. Thomas, mögeft Mir he
trübtem Manne helfen. Du haft in dieſem Sande
Wunder ſchon fo viele geübt, wenn du mir Oottes .
Hülfe ſchickſt, ſo komm' ich wohl * Stätte. y-
du feine neue Mähre aus der Burg dert
268
der edle Moringer jo Elagte und feufzte, und zu Gott
und St. Thomas flehte, da fühlte er auf einmal Troft
in feinem Herzen. Schnell wollte er fich erheben,
doch war fein Leib fo bang und ſchwer von Leid und
Kummer, daß er vor Müdigkeit wieder zurücjanf, und
in einen tiefen Schlummer fiel.
Und es gefchah, als der Ritter vom Schlaf ermachte,
und feine Augen noch Faum geöffnet waren, da hörte
er das Waſſer rauſchen; es war ein fo mohlbefannter
Laut, und als fein Blick fich erbellte, da ſah er vor
fich die Illee mit den blauen Wogen. Und neben ihm
da raufchte das Rad von feines Schloffes Mühle,
das oft vor feinem Ohr geraufcht hatte, wenn er in
Schönern Tagen son feiner Burg bernieder ſah. Hoch
oben auf der Höhe erglängte feine Burg im leßten
Abenditrahl.e Da fprang er auf und bub Die Kände
soll Andacht empor zum Himmel, er betete: nun dank
ih Maria und ihrem Kinde, auch St. Thomas den
heiligen zwölf Boten, dag fie mir hieher fo wunderbar
geholfen haben und ich wieder bei meiner Mühle ftehe,
auch meine Burg und Alles wieder erblicke nach mei—
nes Herzens Begehren. Doch war er bald wieder ein
trauriger Mann, denn, als er eintrat in Die Mühle,
da mochte Niemand den beimgefommenen Herrn, Den
edlen Moringer, mehr fennen, alfo war feine Geftalt
unfenntlih und Bart und Haupthaar weiß und grau
geworden. Als er den Müller fand; rief Ber an
und ſprach: o Müller, du mein trauter Die ner, weißt
; Br W Rx
wine, ABeE:
269
an mir Sreundfchaft, lieber Mann, denn ich bin ein
fremder Bilger, und thu' mir Befcheid auf meine Frage.
Der Müller fah feinen Herrn, den auch er nicht Fannte,
verwundert an und Sprach: kommt ihr aus aljo fer-
nem Land, Daß ihr nicht wiffen foll’t, was fich in
diefer Zeit begeben? Ja wohl weiß ich der abenteuer-
lichen Mähren viele, Do eine. ift vor allen andern
neu, die ift, Daß des edlen Moringers Frau den Junk—
bern von Neufen heute zur Stunde zum Ehegemahl
nehmen will: man fpricht, der edle Dioringer jey
längft in fremden Landen geftorben; — das ift mir
leid und macht mir ſchwer. Gott wolle ihm helfen
aus aller Noth; ja Gott fey guädig meinem Tiebften
Herrn! von ihm hab' ich groß Gut und alle meine
Ehre. Gott tröfte feine Seele! ach! daß er nur immer
bet ung wäre! Die Wort von feinem treuen Diener
ging dem Ritter tief ins Herz, er Sprach bei ſich“ o
weh! die Frau und der Vaſall vergaßen ihre Pflicht,
doch meines Dieners Treu ‚blieb, mir ganz Zum
Müller fagte er: ich wünſch' die einen guten Tag.
merk aber — wenn deine Worte wahr find, — haft
du zu Haus ein holdes Weib, fo geh’ nicht fort von
ihr auf fieben Jahr. Auch traue feinem Gefellen, der
noch von Alter zart ift, und dir von Herzen’ fromm
und unfchuldsvoll dDäucht, Denn mit der Zeit kommt
böfe Luft, und mit den Jahren wächſt der Bart.
Als der Moringer alfo ſprach, wollte der Müller
die Rede nicht verfieh'n, und wandte fich von ihm.
Der Ritter ging den Burgpfad hinauf, den er vor
270
fieben Jahren fo oft gegangen war. Ach Gott! fo
feufzte er, während er aufwärts flieg, fteh mir jeßt
bei, uud rathe mir, wie ich in meine Burg hinein—
komme, ohne daß mir ed das Hofgeſinde mwehret, jo
mir zuvor unterthan gewefen. Jetzt fland er vor dem
Thor feiner eigenen Burg. Mit fchweren Herzen und
zitternder Hand Elopfte er am das Thor. Da rief der
Thorwart: wer ift Davor? Der Moringer antwortete:
o Freund, fag’ deiner Frau, es ift hienieden vor der
Burg ein armer Pilgersmann. Nun komme ich heute
jchon von ferne ber, daß ich gerade müde worden bin.
Sp Öffne mir um Gotteswillen, und fäume dich nicht
lang, denn e3 drängt mich, einzutreten in die Burg.
Nur um ein Elein Almofen bitt ich deine Frau, um
Gottes und St. Thomas willen, und um des edlen
Moringerd Seele. Der Thorwart that nach feinem
Gebot, ging ins Gemach zur edlen Burgfrau und
jrrach: edle Frau, bienieden vor der Burg da fleht
ein armer Pilgerömann, und flebt gar ſehr um ein
Eeined Almofen um Gottes und St. Thomas willen,
und um des edlen Moringers Seele. Als die Burg-
frau dieſe Worte hörte, rief fie: fchleuß auf, ſchleuß
auf Die Pforte und laß den Pilger fihnell zu mir
herein" nicht foll er lang vor der Burg warten um
St. Thomas und Gottedwillen; ja gib dem. armen
Pilgersmann recht reichlich und fatt zu effen. Als—
bald war der edle Moringer von dem Burgwart
in die Burg eingelaffen. Indem er eintrat, ſprach er:
ich danke dir Herr Jeſus Chriftus! Deiner Milde und
271
deiner Güte hab’ ich’E zu Danfen, daß mir meine Burg
geöffnet if. Doch, als er in dem Hofe fland, ward
ihm aufs Neue leid und fchwer, denn weder Diener
noch Knabe Fam ihm entgegen, um ihn zu empfahen.
Da jeßte er fich nieder auf Die Bank, denn, obwohl
er faum hundert Schritte gethan hatte, däuchte er fich
doch gar müd und ſchwach. Er ſchaute Hinauf zum
Saal der Burg, der war erleuchtet wie zu jener Zeit,
da er feine tugendfame Braut zum Altar führte. Auch
ging es droben laut und luftig ber; denn Pfeifer und
Harfenfpieler ließen fich hören, Daß es hell hinab in
den Hof flang. Wie anders fchlug dem müden Kern
dad Herz zu all dem lauten Schall! die Weile wurde_
ihm gar zu lang, und doch wagte er es nicht, hinauf
zu gehen in den Saal, ob er gleich des Schloſſes
einziger rechter Herr war. Day
Indefien faßen droben im Saale Braut und Bräuti-
gam, der von Neufen und des edlen Moringers Che-
gemahl. Die Lampen brannten helle, und immer lauter
Hangen die Pfeifen, Lauten und Harfen. Die beiden
pflegten wohl des Mahls, das reichlih und, Eöftlich
aufgetragen ward und mit ihnen Herren und Brauen,
die an langen Tifchen im Saale faßen. Als nun die
Abendftunde Fam, daß der Bräutigam mit der Braut
in die Kammer eingehen follte, da fand ein alter treuer.
Dienfimann auf und ſprach: fo lang mein Herr, der
edle Moringer, in Diefer Burg noch waltete, da iſt es
je feine Sitte gewefen, daß Fein Gaft auf feiner Burg
entjchlief, er Hätte denn zuvor ein Lied gejungen; ein
272
folcher fißt dDrunten in dem Hof auf harter Banf, ein
fremder wegemüder Bilgersmann. Das Wort vernahm
Herr Berthold von Neufen, der Bräutigam — wie
bald rief er voll Freudigfeit: es foll in alten Rechten
ftehen! holt nur herauf den Pilgersmann ! Ihr Pfeifer
hört zu Spielen auf, ihr Lauten ſchweigt — viel Tieb-
licher ein helles Lied, dag aus der Menfchen Kehle
klingt. Da rief man den Bilger in den Saal; er
trat ein durch die hohe Ihüre, den Blick gefenft zur
Erde, als blendete ihn der Schein, der aus dem Saale
ftrablte. Er legte zur Seite feinen Stab, den er nicht
gebraucht, und ſetzte fich ganz unten, wo das Gefinde
feinen ©iß hatte. Kaum hatte Der von Neufen ihn
erblickt, fo fprach er: mein Gaft, fing mir ein Liedlein
fein, und gefällt es meinen Gäften wohl, ich geb’ Dir
bier mein NRitterwort, du follft eine reiche Gabe dafür
von mir empfahen. Da reichte man dem Pilger eine
Harfe dar, er ftand auf, faßte fie mit gemandter Hand,
ſchlug ihre Saiten und fang voll Ernft und Bedeutung
ein Lied von der Frauen Wanfelmuth. Als der
edle Moringer fang, war große Stille im ganzen
Saal, daß man das Mühlrad im Thale raufchen hörte.
Alle hörten voll Aufmerkfamfeit dem Liede des Pilgers
zu, aber Eine vor allen, Das war die Braut, Des edlen
Poringerd Ehgemahl. Die Worte ſanken ihr tief ind
Herz, und ihre zuvor Elaren Augen, trübten ſich; fe
mocht' wohl gedacht haben des edlen Gemahls, deſſen
je vergeffen. Sie nahm einen goldenen Becher vom
Tiſch und winkte ihrem Mundſchenk; der ſchenkte ihn
273
voll mit klarem Wein, und fie reichte ihn dem Pilger
dar. Der Bilger nahm ihn aus der Hand der edlen
Burgfrau, verneigte fich, und that Daraus einen kräf—
tigen Zug. Dann zog er ab feiner, Hand einen Ring
von lauterem rothen Gold, den ihm einit feine aller-
liebſte Frau am Vermählungstag angefteeft hatte, und
warf ihn, jo dag man es kaum merken fonnte, in Des
Bechers Grund. Er fprach bei fich: Du treuer Ring,
o wende meinen Schmerz, und vermähle mich zum
zweiten Male mit meiner allerliebften rau. Dann
wandte er fich zu dem Mundſchenk, indem er wieder
den Becher nahm, und ſprach: mein trauter Gefelle,
du allerliebfter Diener mein, willſt du thun nach mei-
nem Willen, fo bring’ den Becher deiner Frau; ich
gelobe dir's, Daß ich es dir vergelten will. Ja, ſprach
der Mundfchenf, mein lieber Pilgersmann, es foll zur
Stunde gefchehen. Er nahm den Becher, gab ihn der
Burgfrau in die Hand und fprah: ach Tiebfte Frau,
verjchmäht Den Becher nicht, und nehmt ihn, der
Pilger jendet ihn. Während die Burgfrau den Becher
aus der Hand des Mundſchenken nahm, faßte der
Pilger die Harfe wieder, und fang noch ein Lied. Als
die Burgfrau den Becher in der Sand hielt und in
feinen Grund ſchaute, ſiehe, da blickte ihr in Ans
lein yon rothem Gold entgegen; es war ihr wohlbe-
fannt noch aus frühen Tagen. Da ward fie bald
bleich, bald roth, und rief: Ihr Herren, der Moringer,
mein Herr und Gemahl, ift hie! Zur Stunde ftand
fie auf vom SHochzeitmahl, und fiel demütbiglich auf
18
274
ihre Knie vor dem fremden Pilgersmann; fie ſprach:
ſeyd mir willfommen, mein lieber Herr, wo bleibt ihr
doch fo Tange® ob ihr reich an Leid geweſen, nun
darf euch nimmer bange feyn. Laſſet ſchwinden all
euer Trauern, entjchlagt euch alles Leids: ich habe
meine Ehre noch; Die hab’ ich immer feft gehalten,
edler Herr, drum danfet Gott im Himmelreich mit mir.
Doch Hab’ ich Unrecht gegen euch gethban, daß mein
Viund das eheliche Gelübde gebrochen, fo laſſet ftrenge
Strafe über mich ergeh’n, und manert nur mich ein,
ich will e8 mit Geduld ertragen. Als nun der Junk—
herr von Neufen Solches alles fah und hörte, da trat
auch er herzu, fiel Dem edlen Moringer zu Füßen;
und flehend fprach er: mein Tiebfter Serr, ich hab’
gegen euch gebrochen Treu und Eid, und euer Weib
von euch gewandt, drum fchlaget mir ab das Haupt,
denn wohl hab ich's verdient durch mein Unrecht. Da
fprach der edle Moringer, mein junger Herr, Das foll
nicht geſchehen. Meint ihr, ich fomme nur aus der
Fremde ber, um Rache zu üben? mit Nichten, das
wäre gar Unrecht. Gott hielt uns alle in feiner Huth,
er bat es mohl gelenkt. Wenn er fo große Gnade mir
erzeigt, und mich gefund und wohl hieher geführet hat,
wie Follt ich Zorn und Ungnade üben gegen Die, fo
gegen "mich der Pflicht Yergeffen? Nein, euch und
meinem Ehegemahl will ich verzeihen zur Stunde, da—
mit an jenem großen Tage des Gerichts Gott auch
mir möge gnädig und barmberzig feyn. Co flehet
Beide auf, euch ſey verziehen von Herzen gern. Doch)
275
jagt, ſprach Der edle Herr zu feinem Ehegemahl —
wo ift mein Töchterlen Jutta? damit ich froh ihr
Antlitz ſchau, und fie fich freue meiner Wiederkehr.
Herr, entgegnete Die Burgfrau, eben heute ift fie aus
dem Klofter gefommen. Als ihr von dannen zoget,
fprachet ihr, Daß ihr ſelbſt ihr Den Schleier Tüften
wollt, jchaut, lieber Kerr, fie trägt ihn no. Da
trat aus ihrem Kämmerlein hervor eine Jungfrau gar
ſchmuck und ſchlank, alfo, daß der edle Moringer in
ihr fein Töchterlein nicht mehr erfannte, das er ver-
laffen hatte, fo fehr Hatte fie ihre Geftalt verändert,
und war groß und ftattlich geworden. Nun, rief der
Vater, indem er Die Tochter soll Verwunderung ans
fchaute, wohl gediehen ift fie Doch! St. Thomas habe
Danf. Dann trat er vor die Jungfrau, und nahm
ihr den Schleier vom Geficht, und ein minniglich
Brauenbild mit holden und verfchämten Wangen, mit
Aeugelein, Die wie zwei Sterne ftrahlten, und einem
Mündlein purpurroth, fo recht bereit, den erften Liebes-
fuß zu empfaben, blickte den Umftehenden entgegen.
Ei ſchauet, junger Herr von Neufen, rief der edle
Moringer freudenreich — gleicht Diefe nicht der Mutter,
und it fie nicht ihr Ebenbild? ja wohl, fo war fie
auch) im jungen Jahren, als ich fie zum Altar ‚geführt,
und dieſer alte Bart noch nicht grau war. Das fey
die einzige Buße, Die ich zur Stunde euch auferlege,
Herr von Neufen: werbt auf der Stelle um Diefes
bolde Fräulein, eh daß ein Anderer fommt, der fte
von binnen führt. Nehmt Hin mit ihr als Mitgift,
276
die Hälfte von Allen, was ich babe, Yon Feld und
Wald, und allem Gut, was reich gebäuft in meinen
Ccheunen liegt. uch ziemt viel beffer dieß mein
ſchmuckes Töchterlem zum Ehgemahl, und laßt mir die
alte Braut. Nicht zweimal ließ fich der von Neufen
vathen, einzugeh'n den ſchönen Tauſch, denn e8 wollt!
ihm zur Stunde bedünken, daß die junge Maid viel
minniglicher blickte, al3 die alte Braut. Er ging auf
fie zu und mahnte fie des Worts, das jo eben der Vater
geiprochen. Das Jungfräulein lieh ihm gar bald ihr
Ohr, denn ſchön und fehlanf von ftolgem Blick war
der, der fie um Liebe bat. Indeß Der edle Moringer
jein reuig Weib emporbob und den erfien Kuß nach
langer Zeit wieder auf ihre Lippen drückte, umfchloß
auch der von Neufen feine junge Braut, und bat den
Dater und Mutter um ‚ihren Segen. Nach kurzen
Stunden führte er die füße Braut zu Gottes heiligem
Altar, und fchloß jebt einen jehönern Bund, als der
zuvor gefchlofien war. Jetzt erft ging recht die Hoch
zeit an — von Neuem fpielten auf Die Pfeifer, und
Harf und Laute klang, daR es ins Thal erfcholl, und
weithin über den ganzen Gau. Acht Tage lang mährte
die Hochzeit mit Tanz und Spiel, alfo, Daß Die Freude
und Wonne nimmer enden wollte. Die Hochzeit ward
befchloffen mit einem feftlichen Turnier, in dem der
edle Moringer mit dem jungen Schwiegerfohn eine
Ranze brach, und der Alte ward Gieger über den
Jungen. Noch Yange lebte der edle Moringer mit
feinem Ehegemahl und wiegte helde Enfeln auf ſeinem
277
Schooße. US er zu feinen Vätern verfanmelt war
und man ihn mit umgekehrten Helm und Schild in
die Grube fenfte, da fam Herr Berthold von Neufen,
und nahm die ganze Grafjchaft ein. Das war das
reichfte Erbe im ganzen Illergau. Seitdem wohnte er
mit feinem bolden Ehgemahl auf der Burg Marftetten
bi3 an fein felig Ende.
XX.
Hohenkarpfen.
Im Südweſten Wirtembergs liegt eine Landſchaft
oder vielmehr großer Gau, der theils von der Alp,
theil8 von Ausläufern des Schwarzwaldes begränzt
wird, und den Namen Baar trägt. Die Landjchaft
ift ziemlich gebirgig, nicht fehr bevölkert, trägt zwar
. gute Frucht, allein weder Obſt noch Wein. — Als
noch unfer deutjches Vaterland in Gaue, größere vder
Eleinere Bezirke, eingetheilt war, Die von einem Gau—
grafen verwaltet wurden, war einer der größten Gaue
die fogenannte Berchtoldsbaar, manchmal auch einfach
Bara genannt, die fich über einen großen Theil ver badi—
ſchen Bezirfsänter Villingen, Hüfingen, Möhringen, und
der wirtemberg'ſchen Oberämter Tuttlingen, Epaichingen,
Rottweil, Balingen, Oberndorf, Sul, Treudenftadt,
- Dorb, fo wie über Die figmaringen’fche Herrſchaft Haiger—
278
koch und das Fürſtenthum Hechingen ausdehnte. Ihre
Nordgränze bildet der Neckar, die Weftgränge zog fich auf
den Höhen des Schwarzwald von Freudenftadt aus bis in
die Gegend der Donauquellen hin; gegen Dften bildetedie
Gegend des Lauchart- und Steinlachthals die Abmar—
fung. Somit beftand der Saupttheil der Baar aus
Bezirken des Schwarzmalds. Ihrem ganzen Umfange
nach bildete Diefelbe in den älteſten Zeiten ein klei—
nes Herzogthum. Der in der Mitte des 8. Jahre
hunderts vorfommende Graf Birchtilo (Berchtold), Urs
enfel des allemannifchen Herzog Gotefrieds, gab ihr
den Namen Berchtoldisbara, der fchon im Jahr 775
im einer Urkunde vorfommt. — Jetzt veriichen mir
unter Der wirtembergifchen Baar bauptjächlich die Ges
gend von Tuttlingen bis an die Neckar- und Donaus
Duelle bei Schwenningen und Donauefäingen. Ueber
die Entftehung des Namens Baar herrichen verfchies
dene Anfichten. Einige meinen, von einem Dorf Bara,
in der Nähe der Vrigachquelle, Fomme der Name Baar
ber, Andere leiten das Wort von Para ab, was jo»
viel al8 Gericht bedeute, und fomit wäre Damit bes
zeichnet worden, daß Graf Berthold in Diefem Bezirfe
einft Gericht übte. Wie fit) der Name dieſes Gau’s
ſeit mehr als 1000 Jahren erhalten hat, während Die
Namen fo vieler Gaue des Landes ganz und gar ver-
fchwunden find, fo hat ſich auch bei den Bewohnern der
Baar, Die Durchfchnittlich einen Fräftigen Menfchenfchlag
bilden, eine fchöne Eeidfame, ja malerifche Volkstracht
bei den Frauen erhalten, an welcher bejonders Die
279
vothen wollenen Strümpfe am Sonntag wie Werktag
fich auszeichnen, fo wie die von Zlittergold prangenden
Kappen (Schapeln im Mittelalter), melche die aus:
frauen nur am Sonntag tragen.
Die Landjchaft Baar beherrjchen zwei in en
Entfernung bon einander Tiegende Bergfegel, der
Zupfenberg und der Hohenkarpfen; der erftere ift mit
‚einen Tannenwald bedeckt, und gleicht einem auf Der
Bahre rubenden Sarge, woher die Baar den Namen
haben foll, der andere ganz baumlos und fteil ift, in
feiner Sorm den SHohenftaufen merkwürdig ähnlich.
In alten geiten trugen beide Berge gewaltige Burgen.
Die Burg auf Lupfen ift ſchon in der erften Hälfte
des 15. Jahrhunderts eine Nuine geweſen und jetzt
find nur noch Wälle und Gräben von der uralten
Bergveite vorhanden, Hohenkarpfen zeigt noch ftattliche
Ueberrefte von einer gewaltigen Burg, Die einft ein
bochedles Gejchlecht bewohnte. Die Burg Lupfen wird
fpäter Gegenftand unferer Darftellung werden — wir
wenden und vorerft der Nuine Kohenfarpfen zu, auf
der die, welche Die Höhe erfteigen, reichlich für ihre
Mühe belohnt werden, denn man genießt hier oben
eine Ausficht, beſonders gegen Süden auf Die Berge
mit emwigem Schnee, Die nur von der Ausficht auf
der Zuttlinger Höhe übertroffen wird. Auch hier auf
Hohenfarpfen will man, und nicht ohne Wahrfchein-
fichfeit, wie auf dem Nachbarberg Lupfen, Die Trümmer
einer urfprünglich römischen Bergvefte finden, Denn
einmal. fiheint das noch yorhandene uralte Gemäuer
280
römifchen Ursprungs zu feyn, und dann find im Um—
fang des Berges fehon häufig römische Münzen ges
funden worden, welches Ießtere freilich Fein fo gar
ftichhaltiger Bemeisgrund if. Wunderbar ift über Die
frühefte ©efchichte der Burg Hohenfarpfen, jo wie
über ein Gefchlecht, Das ſie in dem älteflen Zeiten be—
wohnte, nicht das Geringfte überliefert. Die Gefwichte
jeder Burg, und wenn fie auch von Der geringften
Bedeutung geweſen wäre, gebt doch immerhin bis in
das 14. Jahrhundert zurüd, und wir fennen die Na—
"men des Gejchlechts, das ſie bewohnte, wenn es nur
einige waren, aber Diefe gewaltige und durch ihre Lage
wichtige Burg kann nur einen Beſitzer aus ältefter
Zeit aufweifen, der ihren Namen geführt, das ift
Egilwart von Karpfen, der im 3. 1050 lebte. Die
ülteften Herren von Hohenkarpfen müffen demnach ſchon
in der früheften Zeit ausgeftorben feyn, und Die Burg
fam im verfchiedene Hände. In der erften Hälfte des
15. Jahrhunderts war Die Burg in den Händen eines
Stephans von Emershoven. Derfelbe hatte auch Wild-
berg und Bulach von Wirtemberg zu Lehen, und ge—
hörte jenem edlen Geſchlecht an, das fofort häufig in
der Gefchichte des wirtemberg'ſchen Fürftenhaufes ers
“ jebeint. Ein Gerwig von Emershoven bediente fich
bei feiner Unterschrift gewöhnlich Diefes Namens:
Gerwig von Emeröhoven das edel Blut,
Das Wenig hat und Biel verthut.
Im Jahr 1444 kaufte Graf Ludwig von Wirtemberg
yon Stephan von Emershoven das Schloß und den
281
Berg Karpfen mit feinem Inbegriff und Zugehörde,
die Dörfer Haufen ob Verena, Unter- und Öberal-
Dingen, den halben Kirchenfab von gedachtem Haufen,
die Gerechtigkeit und Gülten von dem Hof zu Günn-
rigen, den halben Zehenten zu Aixheim, Die Pogtei
zu Tellingen bei Aldingen, und etliche Gülten dafeldft,
Rietheim, Troffingen, Bäfenheim mit Steuern, Dien-
ſten, DVogtrechten, Gerichten und Zugehörden. Im
Jahr 1453 belehnte Kaifer Friedrich II. in eigener
Derfon zu Neuenftadt den Grafen Ludwig mit dem
Schloß Karpfen fammt feinen Zugehörden, Serrlich-
feiten, Würden, Ehren, Rechten, Dannichaften, hoben
und niedern Gerichten, Wildpännen, Münzen, Zöllen,
Glaiten, Landen und Leuten. Wir fönnen aus Diefem
Kauf des Schloffes und der Herrſchaft Karpfen ans
nehmen, Daß um jene Zeit frhon das Gefchlecht, wel—
ches ſich von Der Burg nannte, ausgegangen war,
obgleich M. Erufius und nach ihm I. U. Stein-
bofer behaupten, daß Die Edelleute von Karpfen,
welche einft auch Gundelfpach und Großheppach an der
Rems befaßen, erit im Jahr 1480 ausgeftorben feyen.
Im Jahr 1491 gründete Graf Eberhard der ältere
von Wirtemberg ein neues Gejchlecht Der Herren von
Karpfen, denn er übergab im genannten Jahr feinem
natürlichen Sohn Hans Wirtemberger das Schloß
Karpfen mit dem Berg und zugehörigen Gütern, einen
- Theil des Zehenten zu Oberaldingen, das Dorf Haufen
ob DBerena (unterhalb des Bergs), Das Burgftal Riet—
heim, das Jagen am Rugenhart und an Dem Liemberg
282
nebft 34 Pfund Seller, welche das Amt Tuttlingen
Bisher einem Burgvogt zu Karpfen für Die Burghut
gegeben, als ein rechtes Mannlehen. Doch behielt er fich
dabei bevor das Deffnungsrecht und verordnete, „daß
Diejenigen, welche in Das Schloß eingelaffen würden,
dem Hanſen oder feinem Burgvogt zuvor geloben und
ſchwören follten, feinen Schaden zu thun; fo oft es
auch zur Deffnung gebraucht würde, foll Graf Eber-
hard allezeit einen frommen Reiſtgen und zween ehr=
bare Knecht auf eigene Kolten in den Schloß haben.
Weil aber das Schloß baufällig war, fo wurde dem
Inhaber erlaubt, 1000 fl. darein zu verbauen, Doch,
daß folcher Koften bei feinem Abgang ohne männliche
Erben und Seimfallung des Lebens feinen Erben er-
jet würde." — Don nun an nannte fich Sans
MWirtemberger Herr von Karpfen, aber doch hat er bis
an feinen Tod Den wirtembergiihen Schild mit den
drei Hirfchhörnern und zwei Fiſchen, mit einem über-
zwerchen Balken kreuzweiß durchzogen, behalten und
geführt. Noch im Jahr 1498 erfcheint Dans von-
Karpfen als Dogt zu Balingen; er flarb im Jahr
1504 zu Stuttgart, wo fein Grabftein mit dem wir—
temberg fchen Wappen und der Infchrift: „Der ehrbar
Dann Sans Wirtemberger, dem Gott gnad Amen.”
Wohl Söhne von ihm waren Eberhard und Ludwig
von Karpfen, deren Namen freilich nicht mit Ruhm
genannt werven, denn fie find auf der noch im Schloffe
zu Tübingen befindlichen fchwarzen Tafel zu lefen, wo
jene 64 Nitter mit goldener Schrift verzeichnet find,
283
welche im Jahr 1519 ohne Noth das Schloß Tübinger
übergeben, und fich nicht als Helden und treue Diener
ihre unglücdlichen Seren, Herzog Ulrichs, erzeigten.
Der Stanım der jüngeren Herren von Karpfen blühte
bis in das 17. Jahrhundert; da ging er aus bis auf
eine einzige Erbtochter Anna Sabina von Karpfen,
Tochter des Junkers Hans Dietrih von Karpfen.
Johann Georg Widerhold , ein Urenfel Heinrich Wider-
bolds, Bruders des Großvaters von umferen vielges
feierten Conrad Widerhold, auf welchen das Kommando
der unbezwingbaren Belfenvefte Hohentwiel im Jahr
1650 übergangen war, vermählte fich mit genannter
Anna Sabine von Karpfen, »pfropfte ein neues
Meis auf den feinem Abgang nahen edlen Stamm,
und übernahm mit ihr eine jchöne Herrſchaft als Erbe.
Johann Georg Widerhold erzeugte mit Anna Sabina
zwei Söhne, Johann Conrad und Johann Dietrich;
von ihnen wurde der ältere, Sohann Dietrich, Nache
folger feines Vaters im Commando auf Hohentwiel,
und Stammherr der noch jeßt in einem ritterlichen
Sprofjen, dem königl. würt. General, Freiherr Cuno von
Widerhold, blühenden edlen Familie. Derfelbe if
Befiger des vormaligen reichsritterfchaftlichen Guts Niet
beim, wo ein adelicher Wohnftg fich befindet, und Des
nunmehrigen Hofguts Dohenfarpfen, welches mit Niet»
heim im fideicommiſſariſchem Verbande fteht. In dem
Dorfe Saufen ob Verena befinden fich in der Orts—
firche noch Grabmale, Wappen und Gemälde der Edlen
von Kohenfarpfen und Rietheim, welche Eigenthum
der Familie yon Widerhold find.
284
Eine wunderbare Sage Fnüpft ſich an die Gefchichte
des älteren Gefchlec;ts von Hohenkarpfen, die wir num
Be laſſen.
Die Sage vom Noßſprung.
Vor mehr als 600 Jahren wohnte auf der Burg
Hohenkarpfen ein junger Ritter, Hugo von Hohen—
Earpfen, ein Herr von ganz eigenthümlichem Wefen
und Charakter. Seine früh verftorbenen Eltern hatten
ihm der Glücksgüter Yiele und mancherlet hinterlaſſen:
die Schönften Deerden trieben auf feinen großen üppigen
Maiden, Die fruchtbarften Aecker und wildreichiten Wäl-
der bededten feine weitläufigen Beſitzungen, und daheim
in den mohlverfchlojfenen Gemölben lag Goldes und
Silbers die Fülle. Dabei war Hugo ein Mann von
hübſcher Körpergeftalt und trug ein edles Herz im ſei—
fem Bufen.
Dennoch ‚ward der reich Begabte Diefes vielfachen Se—
gens nicht froh, denn ſtets umdüſterte ihn der Geift
der Schwermuth und Langweile. Sein einziger Genuß
beftand darin, im Morgen- oder Abendrothe die Gipfel
der Berge zu erflimmen, um von dort unvderwandt in
die dunkle, ftille Ferne Dinauszufehen. Da war dem
Traurigen oft, als ob ihm aus dem wunderbaren Dufte,
der den Blick feines Auges begränzte, das lange ver-
mißte und lange erſehnte Glück entgegentreten follte.
. Und wenn Ddieg Sehnen fich danıı nicht erfüllte, wenn
Die Nebelftreifen, zu feiner freundlichen Geftalt fich bil-
285
dend, an ihm vorüberzogen, fo brach ihm das ſtürmiſch
bewegte Herz und er vergoß nicht felten einen Strom
von Thränen. Ward ihm auch bie und da eine frobe
Stunde zu Theil, jo midmete er fich dem ritterlichen
Waidmannsgeſchäfte; allein oft warf er mitten in Die
fem Schwert und Wurfipieß von ſich und legte fich unter
einen Baum, um fich dem unbefannten Quälgeiſte
Sinzugeben,, der ihn unaufhörlich bedrängte.
Einit hatte er, jpät Abends , als ſchon Die Sonne
ſich Hinter die bewaldeten Anhöhen hinabſenkte, fein
Jagdgeräthe ergriffen und eilte, nur von einem einzigen
Knechte begleitet, hinaus in die Düftern Wälder. Sie
batten noch nicht lange gejagt, als ein plöglich auf-
fteigendes Gewitter den Forſt mit tiefer Nacht bedeckte.
Der Regen goß in Strömen herab und zabllofe Blite
feßten Die ganze Umgegend in ein augenblidliches Feuer.
Herr und Diener hatten fich bei dieſem Toben der
Elemente unmwillfürlich getrennt, jeder fuchte Den Heim—
weg nach eigenem Gutdünfen, und geblendet von dem
Slammenfpiel der Blige Hatte Ritter Hugo eine ganz
entgegengefegte Richtung gewonnen.
Endlich brach Die Wuth des Unwetters und die Gi-
chel des Mondes zeigte fich wieder an dem klarer ge—
wordenen Firmament. Allein, wo der junge Ritter
fein Auge hinwandte, traten ihm überall wildfremde,
noch nie geſehene Gegenftände entgegen, Er war ganz
vom rechten Wege abgefommen, auch verfagte ihm fein
ermüdetes Roß den Dienft und der Entfräftete befchloß
286
Daher, unter dichtem Bufchwerfe gelagert, den Morgen
zu erwarten.
So in dem Labyrinthe feines unruhvollen Herzens
serloren, erfehütterte ihn mit einem Dale ein Dumpfes
Getöfe, wie das Rollen eines unterirdifchen Donners,
das von Sekunde zu Sekunde zunahm, Pazwifchen war
e8, als murmelten tiefe, mißtönende Geifterftiimmen.
Der Nitter richtete ſich langſam auf, faßte mit der
Rechten fein gutes Schmerbt, mit der Linfen den Wurf:
fpieß und ftarrte lautlos und kaum atbmend in Die
Ferne.
Da borft, nicht Hundert Echritte von dem Lauſchenden
entfernt, der Boden auseinander und ein Licht fchlug
aus dem weiten Riß empor. Die dumpfen Stimmen
Zangen vernehmlicher, allein Hugo vermochte Feine
Silbe zu verfiehen. Unverwandt war fein Blick nach
der Spalte gerichtet, Da gewahrte er mit einem Male
einen Zug bäßlicher, Schwarzer Zwerge aus dem blen-
denden-Lichte emporfteigend. Endlich ſchwebte auch eine
bolde, jungfräuliche Geftalt enıpor , deren Anblick das
Herz des jungen Nitters im Innerften erſchütterte umd
fein Gemüth wunderbar ergriff. -
Nach einer Eleinen Weile fegte fich der Zug in Be-
wegung und nahın feine Hichtung nicht ferne von Hugo.
Da rief Einer aus der mißgeftalteten, graulichen Schaar
in widerlich bellendem Tone: „Nun, übermüthiges Kind,
wie fteht Deine Hoffnung aufdie Hilfe der himmlischen
Götter? Siehe, nur drei Schritte von Dir entfernt gähnt
Dein Grab und ruhig ftehen und wandeln Die verhaßten
287
Geftirne, auch eilt Fein zweibeiniges 5 eh zu
deiner Rettung herbei.”
Die Jungfrau rang auf dieſe furchtbare Anrede -
jchmerzlich die Hände und vergoß einen reichen Strom
von Thränen.
„Es würde ihr auch wenig belfen,” — heulte gar
widerlich ein zmeiter — „habt Ihr denn die Bedingung
ſchon vergeffen? Er muß ein Vater- und Muttermörder
feyn, und doch unſchuldig; er muß reich, tugendhaft,
voll frifchen jugendlichen Lebens ſeyn, und fich Doc
unglüclich fühlen; mer, vermag ſolche Widerſprüche zu
vereinigen ?"
Da fiel e8 wie ein Schleier von des Ritters Augen.
Dit hohem Muthe und geſchwungenem Schwerdte,
fprang er vor den grauenvollen Zug und rief: „Euer
Gericht Hat ein Ende, ihr Unbolde! ich bin es, Der
alle dieſe Widerfprüche zu vereinigen vermag! Meine
Geburt nahm meiner Mutter das Leben und ihr Ver—
luft flürgte meinen Vater in Wahnfinn und Tod. Euer
räthſelhafter Höllenmund hat Euch betrogen. Ich bin
reich, voll Fräftigen jugendlichen Lebens, und Gott
fey Zeuge zwifihen mir und Euch, daß nicht der
leifefte Vorwurf auf meinem Herzen lajtet ; den—
noch fühle ich mich nicht glücklich feit dem erften Tage
meines Bewußtfeins, und meine Tage fliegen in Trauer
und Schwermuth dahin. Darum hinweg, Ihr Häflie
ches Gefindel und laßt mir die holde, weinende Jung—
frau frei, oder ich will Euch vertilgen von der Ober:
fläche der Erde, daß fürder feine Spur mehr von Euch
0%
288
zu ſehen fein fol!” Hierauf ſchwang der junge, muthige
Nitter fein Schwerdt und im Nu war Die nächtliche
Brut verfchmwunden. |
Die Jungfrau hatte fich indeffen, wie in füßer Be-
täubung an einen Baum gelehnt, durch Defjen Dichtes
Gezweige nur wenige Mondftrahlen ihr wunderbar ver-
klärtes Geficht beleuchteten. Der Ritter nahte fich ihr
auf das Ehrerbietigfte, neigte fich befcheiden und ſprach:
„Schönftes Mädchen, irgend ein guter Geift, der Euer
jüßes, zartes Leben bewacht, hat mich zur rechten Stunde
hieher an diefen Ort geführt. Sagt mir, wer feid Ihr,
und wo ift das Haus Gurer Lieben, Damit ich Euch
dorthin geleiten Fann 2”
Da neigte das holde Mägplein fittfam ihr Haupt,
jank auf ihre Kniee, faßte küſſend Hugos Hand und
brach in lautes Weinen aus.
„Am Gottes willen!” — rief beflürzt Der junge
Held — „was beginnt Ihr, meine Theuerfte ? Bei den
schönen ©eftirnen dieſes nächtlichen Himmels! ich habe
nicht mehr gethan, ala was mir Nitterpflicht gebot.
Ein Blick aus diefen holden Augen ift Danfes genug,
und mir, nicht Euch, geziemt e&, das Knie zu beugen.“
Die Jungfrau drückte ihre gefalteten Hände an Die
bochwallende Bruft und hob die von Thränen feuchten,
blauen Augen zu ihrem Wetter auf. „Sprecht, hold»
feliges Kind” — fuhr Hugo fört, und fuchte Die
Knieende emporzurichten — „ſei Eure Heimath auch
noch fo fern, ich will nicht eher ruben, bi8 ih Euch
den fehükenden Armen der Eurigen übergeben habe.’
289
— Das Mägdlein aber legte Die zarte, weiße Hand auf
den vofigen Mund und zusfte fchweigend die Achjeln.
„Dürft Ihr nicht ſprechen?“ — rief der Ritter er-
flaunt und entrüftet — „und fürchtet Ihr noch immer
Die ſchwarzen nächtlichen Mißgeburten da unten?" —
Sie fohüttelte verneinend das lockige Haupt und fah
demüthig und fehweigend zur Erde. „Nun, bei den
Göttern, Das ift Höchjt ſonderbar“ — forach Hugo
gemäßigter — „jollte die Natur, Die Euch jo gütig,
ja verichwenderifch bedacht hat, Euch einzig die Gabe
der herzbewegenden Rede verfagt haben?“ — Sie
lächelte bei Diefen Worten und Drüdte beide Hände
mit einem beißen, brennenden Blicke an ihr Herz.
Darauf fagte der Ritter: „Hier fünnen wir nun
einmal nicht bleiben, meine SKoldfelig. Wollt Ihr
auf meine Burg mit mir ziehen, und Dort fo lange
verweilen, bis Euer mir -unbefannter Zauber gelöst
ift, fo kommt.”
Das Mädchen nicte, freudig zufanmenfchauernd und
mit wunderjüßen Lächeln. Hierauf erhob te ſich und
gab dem in ihren Anblick ganz verfunfenen Süngling Die
Hand, Diefer ſchwang ſich mit der fanft Erröthenden
auf fein Roß, und in wenigen Stunden waren fie auf
Hohenkarpfen angefommen.
Die alte, gute Frau Margarethe, Hugo's gewefene
Amme und nunmehrige Dausverwalterin, wunderte fich
nicht wenig, als ihr junger Herr mit feiner neuen,
über Ulles fchönen Burginfaßin anfam. , Er übergab
fie alfogleich in ihre Hände und empfahl fie ihrer
n 19
290
Obforge, was das Mädchen auch ganz willig und ver:
gnügt aufnahm. Ihm felbft aber, dem fonft fo un—
muthigen Sünglinge, war es nicht anders, als ob über
jein bisher jo Düfteres Gemüth ein helles, wunderbares
Licht aufgegangen wäre. Eine füße, freundliche Ahnung
regte fich mit zarten Tönen in feinem nun weit fröh-
licher fchlagenden Kerzen; verfchwunden war der Trauer-
flor vor feiner Seele, und fte trat leuchtend und
lächelnd aus fich ſelbſt hervor, fich freuend des fügen
Lebens und der wunderherrlichen Schöpfung. Dahin—
geſchwunden war die dunkle Nacht, die ihn fonft fo
wehmüthig umfangen, und es begann, wie an einem
beitern Maimorgen, um ihn zu tagen, um ihn zu
blühen und zu grünen, dDuftige Blumen und Föftliche
Brüche zu treiben. Denn, obgleich ſtumm und wort-
los, fo. ſprach Das holde Mädchen Doch mit Bliden
voll Liebe, mit holdlächelnden Engelsmienen, mit zarten
balblauten Seufzern zu dem Ritter, jo daß Frau
Margarethe darüber gar oft, jedoch lächelnder Were,
den Kopf fcbüttelte.
Eines Abends, als die Sonne fanf, Blumen und
Blüthen rings auf dem Gefilde dufteten, die Sänger
in Feld und Wald laut wurden, unzählige glänzende
Thautropfen auf dem frifchen Grün hingen, luſtwan—
delt Hugo mit der fehönen, ftummen Jungfrau und
Frau Margaretde in dem herrlichen Gehölze, das die
Burg Sohenfarpfen umgab. Die alte, redfelige Frau
ſprach von den ſchönen Tagen ihrer Tängft entſchwun—
denen Jugend; der Ritter und feine Holde aber fchwelgten
291
im Genuffe der Gegenwart und brücdten ſich mit
feuchten Augen an die Bruft ihrer guten Bflegerin.
Jetzt ſchollen Auftritte durch die grüne Waldesnacht
und ein heißeres Schreien und Rufen ertönte durch
die ftillen Abendlüfte. Während Die drei Wandler jich
noch verwundert anſahen, brach ein ſchönes, weißes
Roß mit gar Iujtigem Wiehern Durch die im Abend-
rothe funfelnden Gebüſche. Auf ibm jap ein Fleince,
höckeriges Ungethüm, gleich einem von denen, welden
der junge Ritter feine füße Beute abgejagt hatte, und
das abjcheuliche, ungeſtaltete Ungebeuer that ehr ängit-
lich, hielt fich mit beiden Händen an der mwallenden
Mähne des Thieres, und fehlen nicht anders, ald ob
es augenblicflich in einen Abgrund zu ftürzen fürchtete.
Sobald es aber den Nitter und das flumme Mädchen
erblickte, da plumpte es ungeſchickt herab und Follerte
in die Gebüfihe. Das Nöplein aber lief zu der freu—
dig lächelnden Unbekannten und fniete demüthig vor
ihr nieder. Sie umbalste gar freundlich das janfte
Thier und bezeigte fich überaus erfreut und bewegt.
Der junge Ritter und die alte Frau verwunderten
ſich nicht wenig über die feltfame Ericheinung, Die ſich
ſo eben in ihrer Gegenwart zugetragen hatte; dag
Summe Mägdlein aber hatte ſich indeſſen auf das
luſtig foharrende Roß geſchwungen und leitete es mit
zarter Hand rückwärts nah der Burg, wohin auch
die Andern willig folgten. „Wahrhaftig“ — fagte
dran Margarethe zu Hugo — „wir beherbergen einen
lieben, aber auch wunderfeltfamen Gaſt!“ — „So it
292
5" — erwiederte der junge Nitter; — „allein, wie
ich ihr Bild, Das mich ganz beherrfcht, in meinem
Kerzen trage, ſo foll fie die freiwaltende Herrin in,
dDiefer meiner Väter Burg werden und bleiben !”
Wie Dugo die fröhliche Jungfrau fo fanft und leicht
die zarten Olieder auf dem fchlanfen Thier wiegen ſah,
und wie fie mit den runden, munderjchönen Händen
den glänzenden Hals des Freudigipringenden ftreichelte,
da ging ihm Das volle Herz über ; er verließ Die alte,
bedächtige Freundin und eilte der Heißgeliebten nach.
Bald hatte er fte ereilt und fprach zu ihr, Die fo gar .
boldfelig zu ihm herabſah: „Wie mag e8 doch fommen,
daß Du ſchönes, fprachlofes Weſen mein unrubiges,
widerſpenſtiges Herz fo fchnell in Deine füße Saft ges
fangen nahmft? Es Tehren mich. meine Lieder, es lehrt
mich mein junges Xeben, was ein treuliches Wort über
des Menfchen Gemüth vermag. Und du haft mich
Doch nicht anders angefprochen , als mit Deinen füßen
Blicken, mit Dem holden Lächeln, das Dir um Mund
und Wange fpielt und ich finde mich fchon ganz und
gar dein eigen.‘
Kaum hatte Hugo dieß gefagt, da lächelte Die zärt—
lich Begrüßte gar hold zu ihm herab und reichte ihm
die, wie aus Roſen und Lilien gemobene Hand, auch
that im demſelben Augenblicke das Rößlein einen jo
raſchen Satz, daß die entfattelte Jungfrm in des
Ritters Arme herabſank, morauf er fie alfogleich um—
ichlog und die Erfchrocfene an feinen Bufen drückte.
„un hab’ ich Dich!" — liſpelte Fofend Der Ente
293
zückte — „nun hab’ ich Dich, und wenn bein aller
innerſtes Weſen mir nicht weiderftrebt und fonft auf
Gunſt und Liebe eines irdiſchen Menfchen achtet, To
magft du mir für immer bleiben. Was ich warn
und laut ſchlagend an meinem Herzen gewahre, ift
wahrhaftig des Sterblichen fihönfter Antheil. Und biſt
du auch ein Weſen aus der höhern Melt, jo baft du
Dein ſchönes, himmliſches Leben Doch in einen fo reizen
den Körper gebaut, Daß dur mir nicht zürnen kannſt,
wenn ich Dich ganz zu befiten wünſche.“
Da fah der in ihren fügen Blicken Verlorene eine
glänzende Thräne unter den langen Augenwimpern
ſchimmern, und e8 war ihm, als wenn das feligite
„Ja!“ von ihren Lippen erfchollen wäre. Er fog den
zarten DVerräther, der_die auf der Jungfrau Wangen
auffteigende holde Scham vergebens Rügen zu firafen
fuchte, Iangfam mit den brennenden Rippen auf, und
das Rößlein hätte Leicht Davonlaufen Fönnen, Denn,
Arm in Arm verfchlungen, war Simmel und Erde
für die beiden Glücklichen verfchmunden.
„So wilft du mein treues Weib werden und blei-
ben?“ — fchmeichelte noch ferner der Entzüdte. Das
Maͤgdlein antwortete nur mit füßen Küffen und ftillen
Seufzern und ſchmiegte ſich innig und anmuthig an
den vor Liebe Glühenden. Frau Margarethe, Die von
ferne das entzückende Schaufpiel gewahrte, war gar
fehr darüber erfreut, Denn fie erinnerte fich aus Den
Tagen ihrer Jugend noch recht wohl, wie fehr treue
Liebe Das Herz des Menſchen beglücke.
294
Stil, ohne Prunk und lärmende Feftlichkeiten, feierte
der entzückte Hugo feine Vermählung, feine „Hoch—
zeit” im eigentlichiten Sinne des Wortes, denn eine
bobe Zeit ift fie für Seven, der das Höchſte im Mens
fchenleben zu begreifen weiß.
As nun am andern Morgen die Sonne mit gol-
denen Strahlen das Lager der beiden Glücklichen be=
grüpte, Da überrafchte Die bolde, junge Öattin den
ſchmeichelnden Gemahl mit folgender fügen Anrede:
„Nun, da ich ganz dein eigen bin, ift mein Mund
entflegelt; in dem Simmel Deiner Liebe erreicht mich
die Gewalt der finftern Erdengeifter nicht mehr, und
ich darf in wohl lautenden Ionen Dir des Herzens
Allerinnerftes eröffnen. Sp wife denn, mein füßes
Leben, mein geliebter Gemahl, ih bin Jutta, die
Tochter des Fürſten der Erdgeifter, und von dieſem
mit Der geranbten Nichte des Herzogs von Alemannien
auf Twiel erzeugt.‘
„Dem unbegreiflichen Willen des Schieffalg gemäß,
folgen die Töchter aus einer folchen Verbindung immer
der Natur der Mutter, die Söhne aber geftalten ſich
ganz nach dem Ebenbild des unterirdifchen Vaters.
Mas foll ich Dir erzählen von den Tagen meines auf-
blühenden Lebens, von den glücklichen Jahren der
Kindheit! Gleichförmig, mie eines ſanft wellenden
Sluffes Wogen, floffen diefe Stunden dahin, da ſtarb
meine Mutter, und ich fland nun allein, mit menjche
lich fühlender Bruft, unter den wilden, unheimlichen
an
Zwerggeftalten, deren häßliches Orinfen, deren gefpenfters
295
haftes Neden mir immer das Herz erzittern machte.“
„Da warf, als ich immer mehr emporblühte, mein
Vater fein lüfternes Auge auf mich, und begehrte mich
Ungfüdliche zu feinem Weide; denn wiſſe, mein theuerfter
Hugo, dag jene fromme, heilige Scheu, die unter euc)
menfjchlichen Weſen waltet und den Water von der
Tochter, den Bruder von der Schwefter fcheidet, jenen
finfteren Ungeheuern gänzlich abgeht. Toll leben fte
unter einander, wie das fie umfriechende Gewürme —
und nun magft du dir, mein Geliebter, den Jammer
und das Elend dvorftellen, Die ich in Diefer Umgebung
ftündlich zu erdulden hatte.“
„Vergebens rang ich mit Eindlichen Bitten, mit
Thränen und Klagen gegen den eifernen Entſchluß
meined Vaters, und als ich endlich ein ganzes Jahr
lange mit mutbiger Standhaftigfeit gekämpft Hatte,
ließ er mir nur die Wahl zwifchen dem Tod und ſei—
nem Willen. Ohne Bedenken mählte ich den erftern.“
„Mein Vater ließ mich nun von feinen fchadenfrohen
Erdgeiftern greifen und befahl, mich an das Licht der
Sonne zu bringen und Dort zu tödten. Doch, wie
im Borgefühle einer glücklichen Zufunft, die meiner
noch warten follte, fprach er einen Zauberbann über
mich aus, den Du, mein trauted Derzgeipiel, in feinem
ganzen Umfange gelöst halt. Stumm follte ich näm—
lich bleiben, bis fich ein Netter in meinen Todesnöthen
fände, der Vater- und Muttermörder und dennoch un=
fchuldig, der reich, tugendhaft, voll frifchen jugendli-
chen Lebens ſeyn und fich dennoch unglücklich fühlen
/
I
296
müſſe. Stumm bi8 er Die Sprachlofe, dem unbejchadet,
zu feiner Gattin gemacht hätte. Der erften Bedingung
haft du mit Deinem Schwerdte entiprochen” — fuhr
Jutta fort, und verbarg das erröthende Antlig an des
freundlich Tächelnden Gatten Bruft — „und der zweiten
mit Deiner mich beglücfenden Liebe. Ganz bin ich nun
dent ſchönen Lichte wiedergegeben, und Die finfteren
Erdgeifter haben fürder Feine Macht mehr über mich.
Das fchöne, weiße Roß aber, das an jenem herrlichen
Tage, wo Du mich zu Deinem lieben Weibe begehrteft,
zu uns Fam, ift mein gutes Leibroß, Das mich öfter
Durch Die langen, glimmenden Erdgänge trug, und es
wohnen ihm gar wunderfame, zauberifche Eigenſchaf—
ten bei.”
Vier Jahre lang Hatte Hugo an der Seite feiner
geliebten Gemahlin die füßeften Freuden der Liebe ge—
foftet. Frau Jutta trug einen zarten Snaben auf
ihren Armen ; ihre fanfte Serzensglut hatte ſich nicht
vermindert, obgleich fie ihren Reichthum an Liebe jest
zwifchen Vater und Sohn theilen follte, Denn ein
unerfchöpflicher Zauberfchag von Liebe lag in ihrer
ſchönen Brufl. Nicht fo der weltluftige Ritterfmann,
in deſſen Innerem jest manche Stimme erflang, die
früher gefchwiegen hatte. Zwar hing er noch immer
mit warmen Serzen an ber reigenden, liebevollen
Gattin, allein in der Verne, jenſeits der Berge, ſchien
das fremde Leben nach ihm zu verlangen, und vor-
züglich war e8 das Treiben in der Hofburg des mäch—
tigen Landgrafen von Fürftenberg, deſſen Lehensmann
297
er war, was ihm manchen heimlichen Wunſch entlockte.
Obgleich an zeitlichen Gütern überflüfftg gefegnet,
wollte Hugo, um es den Erften feines Standes gleich
zu thun, ebenfall® die Bergesadern in feinem Gebiete
Öffnen, und Die blendende Beute aus dem Schooſe
Der Erde für ſich gewinnen. Davor aber riet) ihm
Frau Sutta, der er feinen Plan entdeckt hatte, aus
allen Kräften ab. „Weißt du wohl” — fagte fie, —
„wer dieſe von Euch fo gepriefenen Schäge bewacht?
Es find die düſtern, tüdifchen Erdgeifter, Denen Du
mich ritterlich abgewonnen haft, und die da unten in
ihrer fchauerlichen Nacht auf unjere Göfe Stunde lauern.
Gibſt du ihnen Luft und Licht auf deinen Gründen,
fo ift e8 um dich und um mid) und um unfer hold—
feliges Kind gefchehen. Auch kommt der göttliche
Gegen nur von oben, und nicht aus den tiefen, grauen-
vollen Schachten. Ich fage Dir, e8 thut nimmer gut,
Die Alten da unten aufzufordern zur Gemeinfchaft mit
den Kindern des Lichts."
Diefe freundliche Warnung nahm Hugo folgfam im
feinem Herzen auf, denn Jutta’3 weifjagende Geele
hatte Die Dinge, Die da fommen würden, gar wohl
errathen. Niemand wollte mehr dem ſegenbringenden
Aderbau obliegen, Alles nur in den funfelnden Erden—
ſchoos binabfteigen. So muhte es kommen, daß oft
Groß und Klein inmitten feines Goldes und Silbers
darbte, ja, daß felbit der fchmerzliche Hungertod nicht
Wenige aus dem Volke wegraffte. Rings um unferes
Ritters Beſitzungen herrſchte Die blinde Begierde nach
298
Schätzen; nur feine Seele mußte die holde Gattin
davor zu bewahren.
Don den Burgen der Ritter von Honberg und
Gonzenberg, und von den Befisungen des Landgrafen
ſelbſt erftrecften jich Die ergiebigen unterirdifchen Gänge
bis in Hugo's Gebiet, und man wußte fich an deſſen
Gränzmarken fo Mancherlei von dem boshaften Spude
der Berggeifter zu erzühlen. In Der Morgen- und
Abenddämmerung wagte fich Fein Arbeiter mehr auf
den Adfer, wenn derfelbe nahe an den Grängen lag ;
da wandelten in fürchterlichen, abentheuerlichen Ge-
jtalten die finjteren Gnomen, und ſchreckten den fleigigen
Landmann nicht felten bis auf den Tod.
Der Jammer des Landes und das Unweſen der
böfen Gefpenfter traf das Herz des Ritters von Hohen—
karpfen recht fchwer. Da Sprach er eines Tages zu
feiner Hausfrau: „SH kann das ftet3 mwachfende Lan
deselend nicht mehr länger mit anfehen, darum will
ich Hinüberziehen nach dem Hoflager meines gnädigen
Herren, des Langrafen Egon, und ihm Die Augen
öffnen.” | |
„Ach“ — antwortete ihm Frau Jutta — „du bift
da im Begriffe, eine böfe, undanfbare Sache zu untere
nehmen, und wenn du von deinen Vorhaben nicht
abſtehſt, wirft du uns Alle ficherlich zu runde richten.”
— „Welch ein ängftliches Gefühl ergreift dich mit
einem Male?’ — fragte Hugo ganz verwundert —
„will ich doch nicht die Fahne des Aufruhrs gegen
meinen Lehensheren erheben, jondern ihm, ald treuer
— 299
Dafall, nur des Landes Noth und Gefahr an da3
Herz legen.” — „Ach, du ſtellft Dich den Gewaltigften
im ganzen Lande entgegen” — ſprach Frau Jutta —
„wenn du des armen Volkes Bartei ergreift. Der
Durft nach Gold hat fie Alle entzündet und jeder
Miderftand dagegen wird dir nur den Untergang be=
reiten. — „Du thuft. meinem Herzen Unrecht” —
erwiederte Hugo — „ed liegt gar ein guter Kern in
dent Landarafen, und feines Volkes Wohl geht ihm
über alles Gold und Silber der Erde.” — „Wollten
die Götter, daß es fo wäre" — feufzte Frau Jutta
— „allein eine innere, Unglück verfündende Stimme
fagt mir das Gegentheil. Wofern du aber, troß
meiner Warnung, dennoch auf deinem Vorhaben bes
harrſt, fo nimm wenigftens mein treues Leibroß mit
dir, umd befteige es im Augenblicke der dringendften
Gefahr zu deiner Rettung.”
Hugo that, wie feine fehöne und beforgte Gemahlin
ihm geboten und zog zur Stunde mit dem trefflichen
Roſſe nach dem Hoflager des Landgrafen auf Burg
Fürftenberg.
- Das Nöplein, das fonft fo munter und fröhlich mit
feinem Reiter davonjagte, fehlen den Unmuth feiner
Gebieterin zu theilen, es geberdete fich heute ganz un—
gehorfam und widerfpenftig, und Zunge und Sporen
des Ritters vermochten faum es fortzutreiben. So
hatte jich denn Hugo verfpätet und ihn die Nacht
überfallen, ehe er auf Fürſtenberg angefommen war.
Zugleich thürmte fich ein fehweres Gewitter über feinem
300
Saupte auf, und bald jah er ſich genöthigt, wie in
jener jchauerlichen Nacht, wo er feine geliebte Jutta
aus der Gewalt der häplichen Erbgeifter befreite, unter
einem Dichten Gebüfche feine Zuflucht gegen die herab»
flürzenden Regenftröme zu fuchen.
Es mochte beinahe Mitternacht ſeyn. Ritter Hugo
gedachte bald feines MWeibes und Kindes zu Haufe,
bald des morgenden Tages, wo er vor den Landgrafen
treten milde, um ein gut gemeintes Wort für das
Beite des Volkes zu ſprechen, allein Nichts vermochte
die rätbjelbafte Unruhe zu bannen, von der er ſich
befangen fühlte.
Ein helles Praſſeln und Kniftern, nicht anders, als
wenn ausgedörrte Holzwände berſten, erfcholl mit eis
nen Male in der ganzen Gegend, und von Zeit zu
Zeit Lang ein gellenvder Pfiff dazwiſchen, den ein
dumpfes, entferntes, nur noch hörbares Geheul zu
beantworten ſchien. Der Ritter ftarrte lange hinaus
in Die finftere Nacht, ohne das Mindefte zu bemerfen.
Endlich ſchien fich Die nördliche Seite des Waldes in
einen bläulichen Brand zu fegen, der bald verlofch,
bald fich mieder von Neuem entzündete. Das unge-
wife Feuer bewegte ſich langſam vorwärts, und wie
e3 dem Staunenden näher rückte, fehien ed immer mehr
an Umfang zu gewinnen. Aehnliches begab ſich audı
bald von der andern Seite des Forſtes, und fo weit
das Auge des Ritters reichte, ſchienen Die Thäaͤler, Die
Wälder und die Gebüfche in einem düſtern Feuer zu
brennen.
391
Endlich entwirrte fich das Verworrene vor des
Staunenten Auge, und er fah mit Entfegen, daß es
feurige Bergmännlein waren, Die jchaarenmweife von
allen Seiten heranzogen und gerade nach dem Orte
ire Richtung nahmen, wo ſich Hugo mit feinem Roſſe
gelagert hatte. Nicht ferne von ihm hielten fie ſtill,
ſchloſſen einen Dichten Feuerfreis und tanzten unter
feltfjamen Geften einen furchtbaren Reigen. Nach
Beendigung deſſelben trat der Anſehnlichſte, Der eine
flammende Krone auf dem Haupte trug, hervor und
fprach mit beiferer, widerlicher Stimme: „Endlich, nach
langem Hoffen und Sarren, ift die Stunde der Rache
gefommen. Ihr wißt es, getreue Untertbanen meines
Reiches, wie empfindlich mich jenes fterbliche Ungeheuer
verwundete, indem es Die falfche, undanfbare Tochter
meiner gerechten Beſtrafung und dem wohlverdienten
Tode entriffen hat, und jest ftellt er fich auch noch
der Ausbreitung unferes Reiches mit allen Kräften
entgegen, indem er nach dem Hoflager des Landgrafen
zu ziehen Willens ift, um ihm gegen den Bergbau auf
Gold und Silber einzunehmen und fo unferer Macht
über die Erdenföhne eine tödtlihe Wunde zu verjegen.
* Rat uns daher den zmiefachen Verbrecher, Der zu
meinem und Euerem Verderben lebt und arbeitet, vers
urtheilen, und nach unferen unmandelbaren Gefegen
mit ihm verfahren.”
Ein vüfteres Gemurmel flog bei dieſen Worten durch
die leuchtenden Schaaren; es jchien, ald ob die unge—
flalteten Zwerge jich beratbichlagten ; endlich trat Einer’
302
aus ihrer Mitte hervor, warf fich vor dem Sürften, -
deſſen Krone immer dunkler brannte, nieder und fpracb:
„Herr und Gebieter der mächtigen Geifter, welche Die
gebeimnifvollen Tiefen der Erde bewohnen! Dein Wille
ift und flet3 gerecht; wad Du über den DBerräther
verbängft, das werde auf der Stelle an ihm vollzogen.“
Da leuchtete Iufliger die Krone auf dem Haupte des
Erdfönigs, und mit fiegreich fehmetternder Stimme rief
er: „Nun wohlan denn, fo ijt der Stab über ihn
gebrochen ! Sterben bat die Menfchendrut längft ſchon
gelernt; Der kurze Todesfchmerz wäre eine allzu ges
linde Strafe für den heimtücifchen Verräther. Er ſoll
leben, aber ein banges Leben voll Ungemach und
Elend; ihn quäle die Erinnerung an die fchöne, Da=
bingefchiedene Vergangenheit, und Der verzweiflungs-
solle Gedanfe an eine lange, langſam marternde Zu—
kunft; an feinem Herzen nage zudem eine matte, kern—
Iofe Gegenwart und der feelentödtende Lebensedel. Das
goldene Schlößlein, das wir mit funftfertigen Händen
in ae Bei Erdhöhlen erbaut haben, foll er fcheuern
und rein erhalten, Damit es inmitten der feuchten Erd-
Dämpfe immer helle und glänzend fich fpiegele. Wehe
im, wenn ein einziger Fleck, nur fo groß wie ein
Stäubchen, Daran haften bleibt!”
Nach Diefer Rede brach die ganze gräuliche Menge
in ein lärmendes, gellendes Beifalljauchzen aus; Hugo
ſah, wie fich augenblicklich der weite, feurige Kreis zu
verengen begann, um ihn rettungslos einzufangen. Da
6ligten auf einmal Frau Jutta’ letzte Worte durch
303
feine Seele und fchnell ſchwang er fih auf fein Roß,
das luftig aufwieherte, als ed die Laſt feines Herrn
verfpürte, und wie ein Pfeil mit ihm davonfprengte.
In demfelben Augenblicke verlofchen die düftern, bläu—
lichen Feuer der Bergmännlein, der ganze Spuck ver-
ſchwand, und der Mond trat aus den geriffenen Wol—
fen und beleuchtete eine fchöne, anmuthige Gegend.
Der Hitter aber küßte fein rettendes Rößlein auf die
milchweige Stirne und feste wohlgemuth feine Reife
fort.
Ein lichter, lauer Maimorgen begrüßte die Erbe,
und noch nicht lange war Hugo, nachdenklich über Die
faum überjtandene Gefahr, feines Weges dahingeritten,
als ihm ſchon die Thürme der ftolgen Burg Fürften-
berg von der gewaltigen Anhöhe herab im Strahle der
Morgenfonne entgegenleuchteten. Etwas Unmuthiges
empfand er Doch in feinem Innern, als er über die
herabgelafjene Zugbrüdfe durch die hohe DBurgpforte
eintritt ; auch fein treues Roß fchnob, als ob 58 die
Sachen hier nicht geheuer fände; allein der Embfang,
der ihm von Seiten des Randgrafen zu Theil wurde,
ſchien alle trüben Ahnungen Lügen zu firafen. Er
“ umarmte den jungen Ritterömann, den er fihon fo
lange nicht mehr an feinem Hoflager beherbergt hatte,
und erwies fich überhaupt fo zutraulih, Daß Hugo»
über die Beſorgniſſe feiner Gattin Daheim, ſowie über
feine eigenen Zweifel lächeln mußte, Er bielt darum
auch nicht lange mit feinem Anliegen hinter Dem Berge,
304
fondern trug dafjelbe in wenigen, fchlichten, aber Klaren
und beflimmten Worten vor.
Da antwortete Landgraf Egon, ihn gütig bei der
Hand faſſend: „Wahrlich, Ihr erfreut mich aufferor-
dentlich, junger Nitter, mit Eurer überaus wohl ge—
lungenen Borftellung. Ihr feid noch fo jung und
ſchon jo erfahren, fo arm an Jahren und fo reich am
Verſtande. Miffet, mein lieber, junger Freund, daß
ich ebenfall3 das Gift in dem fonft jo friſchen Blute
meines Landes gefunden habe, und daß ich entjchloffen
bin, mit Gottes Hilfe dem um fich greifenden Unheil
zu wehren; allein mich bedrängt für den Augenblic
von einer andern Geite her eine weit größere Gefahr.
Bon Norden ber bedrohte mich der Herzog von Urs—
lingen und der mächtige Graf von Bollern, und von
Mittag der Graf von Habsburg mit blutiger Fehde,
fie jammeln bereits ihr Kämpfer, und jeden Tag muß
ich eines feindliches Angriffes gewärtig ſeyn. Erſt
muß dieſer Gefahr begegnet werden, ehe ich an die
übrigen Landesangelegenheiten die bildende Hand legen
kann. Leihet mir deßhalb vor Allem Euern Arm und
Euer Schwerdt für dieſen Kriegszug und nachher werde
ich Euch, als Euer Lehensherr, reich dafür belohnen.“
Der freudige Kriegsmuth, der, von dem ſüßen Koſen
der Liebe eingewiegt, bisher in Hugo's Herzen nur
geſchlummert hatte, erwachte auf des Landgrafen Mah—
nung nicht anders, als wie ein junger Löwe, den eine
leichte Verwundung zum blutigen Kampfe gereizt hat.
Unſeres Ritters ganze Seele loderte auf in Luſt und
395
Begierde, ‚dem Srieden des Landes und feines Herrn
auf dem Schlachtfelde zu begegnen, und ſchon am
andern Tage zog er an der Spike einer muthigen
Reiterichaar gegen den Herzog von Urslingen. Ueberall,
wo er. mit feinem guten Roſſe erfchien,, Durchbrach er
Die Schlachtordnung und jagte Haufen um Saufen in
fchmähliche Flucht. Das Röplein felbft that dem Feinde
mehr. Schaden, als viele einzelne Neiteröfnechte, denn
wie) es in Die feindlichen Reiben. Fam, ſo biß und
ſchlug e8 wie müthend um ſich und verwundete Viele
bis auf den Tod.
Bald war der Kriegszug beendet und. das —
gräfliche Heer zog mit Ruhm und Beute, jeder in
feine, Seimath. Kerr Egon empfing ‚den tapfern Hugo
auf das ‚freundlichfte, -befchenfte ihn mit einer goldenen
Chrenfette und fügte die Worte bei: „Ihr Habt Euch
untadelig „betragen, junger Held, - und Durch. meinen
Mund danft Euch Das Baterland. Allein Tage der
Arbeit erfordern auch Tage der Ruhe, Darum .ziehet
beim. zu Euerer geliebten Gemahlin und Euerem zar—
ten Söhnchen und geniefet Die. Segnungen ; eines
Friedens, den Ihr fo rühmlich erfämpfen halfet. Bei
mir aber find Eure Worte auf feinen unfruchtbaren:
Boden. gefallen, ‚fie werden keimen und reifen und dem
Lande föftliche, Früchte tragen.”
im ‚Hierauf nahm der Nitter freundlichen Yrlauh, und
309, wiewohl nicht ganz befriedigt, nach Kaufe, \wo-ers
aber nicht, Alles in den beften Unftänden, fand. Zwar
waren Frau und. Kind gefund. und. wohl, allein Die
20
306
Nachbarn hatten fich gar feindfelig bewiefen , ja, fle
wagten e3 fogar, ihren goldhungerigen Bergbau bis
auf des Nitters von Hohenkarpfen Grund und Boden
zu treiben. Daraus erwuchſen dieſem allerlei Bes
fehwerlichfeiten, und es Tiefen Klagen auf Klagen von
feinen Untertanen ein. Die feindfeligen Bergmänn—
fein necften nicht blos Morgens und Abends die Are
beitsleute auf den Feldern, jondern auch am Tage,
wo Ihnen das Sonnenlicht gebot, in ihrer falten Er
dennacht zu bleiben, auch fliegen oft ſchwere Sten-
bagel aus den tiefen Schachten empor und verwunde⸗
ten manchen fleißigen Landmann.
Darüber ergrimmte Hugo im innerſten Stk, *
feine reiſigen Knechte und verjagte Alles, was inner
halb feiner Gränzen nah Gold und Silber grub;
- hierauf verfehüttete er alle Gänge und begab fich dann
wieder an des Landgrafen Hoflager, um * von
dem Geſchehenen Rechenſchaft abzulegen.
Weit weniger freundlich, als das erſte Pal, em⸗
pfing ihn Egon von Fürſtenberg, ja, er gab ihm nicht
undeutlich zu verſtehen, wie er ſich mit ſeinen fort—
währenden Klagen und Beſchwerden höchſt überflüſſig
mache, und daß man ſelbſt recht gut wiſſe, was zu
des Landes Beſtem erforderlich ſey. Ritter Hugo hin—
gegen, der ſich feiner guten Sache bewußt war, nahm
die froſtige Zurechtweifung auf das beleidigendfte auf
und‘ fehrte, mit bitterem Unmut gegen den Lande!
grafen im’ Herzen, auf feine heimathliche Burg zurück.
Er beſchloß, nun und nimmermehr zu klagen, ſondern
307
fich, nach Achter Nitterart, ſelbſt Recht zu verſchaffen.
Zu Haufe angekommen, fand er Alles in großer
Beſtürzung und Berwirrung. Die benachbarten Grunde
herren, namentlich der von Conzenberg, hatten fich der
von Hugo's Beſitzungen Bertriebenen angenommen,
während Des Legtern Abweſenheit feine Aecker vers
wüftet, feine Höfe verbrannt, und Alles, was jich
widerfegte, niedergemacht. Frau Jutta jelbft hielt fich
nur mit Noth in der Burg gegen den wüthenden An—
fall, und erſt wenige Stunden vor ihres Gemahls
Heimfehr waren die Feinde abgezogen. Da ermachte
der heißeſte Grimm in Hugo's Innerem, cr meinte
vor Zorn und that einen hohen Schwur, dieſe Unbill
fchwer und blutig zuräcen: Flugs fammelte er feine
Knechte und zahlte feinen Widerfachern mit Wucher.
Die Röthe ihrer brennenden Burgen und Höfe Teuchtete
weit in das Land hinein, fo dag der Landgraf tu
nicht geringer Beſorgniß war, es feten fremde Feinde
eingefallen. Alle Schichten und Gruben wurden zer—
ftört, und was mit den Waffen in der Hand getroffen
wurde, mußte ohne Gnade den Tod erleiden. |
Des folgenden Tages aber zogen. die Gefchlagenen
an das Hoflager des Landgrafen, und weil ſie fich
ſchon früher durch reiche Gefchenfe feiner’ Gnade ver—
fichert hatten, fo fanden fte hier auch ſchnell Recht,
Ritter Hugo’ von Hohenkarpfen wurde als Landesver—
derber angeklagt und unverzüglich vor feines Lehens⸗
Gern Richterſtuhl geladen. id
Frau Jutta — nicht wenig, als fie dieſe Nach⸗
308
richt erfuhr, meinte bitterlich und fiel Dem geliebten
Gemahl um den Hals mit den Worten: „Ach, hätten
du doch den Grimm des Wolfes nimmermehr gereizt,
fo wäre er nicht -in Deine Deerde gefallen; nun wer—
den aber deine unfchuldigen Lämmer bluten, und dw
ſelbſt, der kühne Hirte, wirft dieſe Wagniß vielleicht
mit deinem Herzblute bezahlen müſſen.“ — „Faſſe
Muth” — entgegnete ihr Hugo — „hab' ich ja Doch
nichts Böfes verbrochen,, jondern nur Gleiches: mit:
Gleichen: vergolten. Der Landgraf wird auch mich
hören, und meine Feinde werden bejchämt abtreten.”
— „Ad, das Gold ift weit mächtiger, als die Wahr-
beit und das Recht“ — verfegte Fran Jutta — „mid
befällt eine gar: böfe Ahnung. Sollte Dir aber irgend
etwas Gefährliches widerfahren, fo vergiß nicht Deines
guten. Leibroſſes.“ — Mit diefen Worten umarmte fie
den geliebten Gemahl, und dieſer zog mit feinem treuen
Thier nad) der Burg: ded Landgrafen.
Mie e3 die fromme Geele der bejorgten Gattin -
geahmet hatte, fo geſchah es auch. Beſtochene Richter
fagen zu Gerichte , und. der Landgraf ſelbſt war. voll;
des grimmigften Zornes. Der ritterliche Stolz, mit
dem ſich Hugo vertheidigte, verfchlimmerte feine Sache
noch mehr, und ihm wurde, als überwiefenem Landes⸗
verderber, das Todesurtheil gefprocden. us;
Da warf. er fein ‚gutes Schwerdt vor, des ——
grafen Füße und ſprach voll edeln Unmuths: „Nehmt
hin meine wackere Waffe, die ich für Euch fo treu
und ehrlich geführt, und mit ihr mein. Leben. Weiß
309
ich doch, wie Ihr einen gehorfamen "Lehensmann zu
Selohnen pfleget. Noch aber waltet ein Gott über
uns, und ihm übergebe- ich meine Sache!" — Der
Landgraf wandte fich erröthend von dem Verurtheilten,
und dieſer wurde ohne Verweilen in den unterften
Kerker Der Burg abgeführt, wohin kein Strahl der
Sonne dringen konnte.
Mie nun der arme Nitter fo ohne afle Hoffnung
gefangen ſaß, da erinnerte er ſich der letzten Worte
feiner geliebten Gemahlin, und ein neuer, freundlicher
Troſt ging in feiner Seele auf. Als Daher der Ker-
Eermeifter erfchten, um ihm feine Flmmerliche Nahrung
zu bringen, fprach er zu dieſem: „Lieber Sreund, als
mir noch mein Glücksſtern ftrahlte, Habe ich Euch,
wie Ihr Euch gewiß noch erinnert, manches Liebe und
Gute ermwiefen. Nicht, als ob ich Euch jetzt überreden
‚wollte, einen Treußruch am Euerem Gebieter zu be—
geben, um mein bischen Leben dem Beile des Kenfers
zu entziehen; da fey Gott vor! Vielmehr ermahne ich
Euch ſelbſt, ſtandhaft gegen alle Verfuchung zu bleiben,
denn Untreue ſchlägt ihren eigenen Seren. Aber ei-
nen Wunſch Helfet mir erfüllen. Wenn ich noch
einmal des Landgrafen Antlig ſchauen könnte, jo wäre
mir der bittere Gang zum Tode gar fehr erleichtert.
Mar er doch immer mein Freund und hatte e8 gut
mit mir vor, ich aber habe im meinen verirrten Sinne
‚gegen mich ſelbſt gevofithet. Seid doch fo gut, und
— es durch Euere — dahin, daß mir
310
‚ber —— mein gnadiger Herr, dieſe letzte Pike
gewährt.”
Kurt, der Kerfermeifter, fühlte Mitleid ne dem
unglücklichen Ritter und feiner boffuungslofen Jugend,
und ging bin zu dem Landgrafen, um die legte Gnade
für den Nerurtheilten von ihm zu. .erbitten. Herr
Egon, eingedenf der früher aeleifteten Dienfte Hugo's,
gewährte Diefelbe, und als er in aller Pracht feiner
Miürde, umgeben von feinen Dienfimannen und Knappen,
in den hohen Ahnenfaale des Schlofjes Fürftenberg
faß, wurde der NWitter von Hohenkarpfen aus Dem
Dunkel ſeines Kerfers in die glänzende Berfammlung
geholt.
„Edler Herr und Gebieter” — fprach der. Verur—⸗
theilte — „ich danke Euch für die hohe Gnade, Euer
erhabenes Antlig noch einmal ſchauen zu Dürfen, und
Gott mag dafür die Jahre, die ich früher in Das Reich
der Schatten hinabfteigen muß, Euerem herrlichen Leben
zurechnen. Meine Richter haben mich verurtheilt,, zu
ſterben, ich murre nicht, auch mag ich meinen Tod
verdient haben; allein mein letztes, umbedeutendes Ge»
fuch — bedenfet, hoher Herr, es fpricht ein den Tode
Gemeihter zu Euch — werdet Ihr mir gewiß nicht verwei—⸗
gern. Sch weill nicht um mein Leben bitten, das verwirkt
ift, nicht um meine Freiheit, Die ich, wie meine Richter
jagen, mißbraucht habe. Laßt mich nur. ald einen
ritterlichen Mann von Diefer Welt Abfchied nehmen,
und verleigt mir die Öunft, nur eine Kleine Weile noch
mein wackeres Streitroß herumtummeln zu Dürfen.‘
A 7
Der Landgraf lächelte ob der ſonderbaren Bitte, und
befahl, alle Zugänge zu der Burg forgfältig zu ver
fperren, die Wachen zu verdoppeln und jodann Das
Begehrte zu gewähren. br se
Das Röplein wieherte freudig sin als es herbei=
geführt wurde und feinen wohlbefannien Seren erblickte,
und fprang wie toll umber, fo daß es die Knappen
faum zu halten vermochten. Der Ritter aber trat
binzu, ftreichelte freundlich den ſchneeweißen Nacken des
lieben Thieres, und wie Diefed ihn mit, feinen großen
frommen Augen wieder anfah, da fonnte Hugo ſich
nicht enthalten, es zu umhalſen und auf. Die jehöne,
glänzende Stirne zu küſſen. „Wirſt mir nun wohl
zum. legten Male dienen‘ — Sprach er und lehnte ſich
traulich an das fchlanfe Rößlein. — „Saft mich zu
mancher fügen Luft, zu manchem freudigen Kampfe
getragen, magft mich nun auch zu meinem. .leßten,
bittern Gange geleiten.”
Das Nöflein wieherte abermals luſtig und heil auf,
nicht anders, als 0b e8 feinem betrübten Herrn eine
fröhliche Antwort geben wollte; auch ſchlug es in
demfelben Augenblicke nach einem der Knechte, der den
Ritter bohnlachend mahnte, nicht. fo lange mit dem
legten Ritte zu zögern, ſo daß der ungeſchickte Burſche
-fopfüber zu Boden purzelte,
Nun ſchwang ſich Hugo auf das fcharrende Roß⸗
lein, gab ihm koſend die Zügel und ganz leiſe und
linde den Schenkel. Mit ſchnaubenden Nüſtern und
fliegender Mähne freiste es in Dem geräumigen Burg—
312
hofe, bald langſam, bald fröhlich tanzend, und der
Landgraf und feine Umgebung fahen mit Freuden Die
ſtolze Zierlichfeit Des Thieres, und wie es jo mit Liebe
feinen fchönen Ritter zu tragen ſchien. Als es nim
ſo fröhlich herumtobend an des Hofes nördliche Seite
gekommen war, wo ſich der Berg, auf welchem die
landgräfliche Burg emporragte, ſteil hinabſenkt in das
Thal, durch welches die kaum erft ihren Quellen ent—
jprungene Donau fich binfchlängelt, da wieherte es
dreimal Hinter einander, daß die hoben Mauern und
Mille wiederhallten, und feßte, wie auf eines Vogels
Fittigen, mit einem Sprunge über Wall und Graben,
und mit einem zweiten den Berg hinab in's Freie
und Weite. Da erft errieth Ritter Hugo den Sinn
feines Tieben Weibes, als fie ihm empfahl, in der
äußerſten Gefahr feines Lebens r dem treuen *
anzuvertrauen.
Nun jagte Das rettende Sie mit feiner Henkkh
Laſt nicht anders, als wie von Fitligen des Windes
getragen, dahin, und bald waren beide in der Dichten
Waldesnacht den Augen ber ai ent⸗
ſchwunden.
Frau Jutta ſtand an der Pforte der heimathlichen
Burg, ihr holdes Knäblein auf den Armen, als der
Gerettete mit verhängtem Zügel dahergeſprengt Fam.
Athemlos ſank er in Die Arme der ihn zärtlich Um—
fangenden, dieje aber fprach mit Teifen Liebestönen zu
ihm: „Hab' ich es Doch immer gefagt, mein Theuerfter,
dag dieſes ferne, fremde Hofleben nicht für Dich tauge,
313
daß die Luft dort Die Herzen ſchwer niederdrücke, und
daß du nur in Deinen friſchen Berglüften frei und froh
zu athmen vermögeſt. Sieh Hier dein Söhnlein, das
durch dich bald feinen Vater verloren hätte; ſieh mich,
die wieder Glückliche, Die Durch dich zur Unglüdlichiten
‚geworden wäre, und laß die wilden Wünſche, ‘die dich
hinweglocken aus meinen Armen, für immer erfterben.”
Hugo aber umarmte die weinende Gattin und fagte:
„Wohl wäre mir manches Unheil erfpart worden,
wenn ich Deiner Bitte gleich von Anfang willfahrt
hätte; laß das Vergangene warnend für mich dahin—
gegangen feyn, ich will mir von nun an eine heitere,
glückliche Zufunft bereiten. Bier aber, mein ſüßes
Weib! bier Haben wir die Tängfte Zeit gehaust; ich
‚muß die heimathliche Erde verlafien, denn mit dem
Landarafen babe ich für immer gebrochen, auch wird
er es mir nie verzeihen, daß ich mich feinem Gewahre
fan und, feinem Gerichte entzog. Ich will meine Burg
in Flammen jeßen, damit feiner meiner Feinde fich
darin nähre und fih mit feinem Siege über mich
bruſte. Wir ziehen in eine fremde Gegend, binab an
den fchönen Neckarſtrom, zu den Pfalzgrafen von Tü—
‚Bingen, oder den mächtigen Herzogen von Teck, wo
ich der fügen Nude froh geniegen kann; dort will ich
mir einen neuen Heerd gründen
Frau Sutta lächelte gar anmuthig Durch ihre Thrä—
nen hindurch und fprach: „Was der gewaltige Troß
des Mannes fich zu erreichen nicht getraut, Das wird
vieleicht de3 Weibes duldender, bittender Sanftmuth
314
gelingen. Laß, mich, deinen, Friedensboten an den
Landgrafen auf Fürftenberg ſeyn; ich. hoffe, zu Gott,
fein Herz zu rühren und dich auf dem altheimifchen
Boden feſtzuhalten. Ich will zu ihm binziehen mit
diefem unferem Sohne auf den Armen, und nur von
einem einzigen reiftgen Knechte begleitet. Wir Frauen,
mein geliebter Gemahl, führen Waffen, denen fein
menfchlich fühlendes Herz zu widerftehen vermag, und
ſo hoffe auch ich meine Sendung auf das Beſte aus—⸗
zurichten.“
Hugo, deſſen früher. jo widerſpenſtiges Herz, Die
Gefahr des nahen Todes bezähmt hatte, willigte in
die Bitte, feiner Holden Gattin, und die Gnaden-Walls
fahrt wurde für den fommenden Morgen befchloffen.
Kaum war. Diefer angebrochen, fo tbat Frau Jutta,
wie ſie es verbeißen, nahm den Sinaben auf den Arm,
feste fich auf das ‚Fluggetreue Roß, und zog, im Ges
leite nur eines einzigen Dieners, hinauf gen, Fürflens
‚berg. Schon unterwegs, nicht weit von da, mo jet
das freundliche Städtchen Geifingen an der Donau
liegt, traf fie auf den Landgrafen, der bereitd an der
Spibe eines Trupps Gewappneter ausgezogen. war, um
die Burg des entflobenen Ritters von Hohenkarpfen zu
brechen. — Wer hat noch je dem Flehen einer holden,
tugendreichen Frau widerftanden? Auch Landgraf Egon
von Fürftenberg vergab und vergaß, und fortan Tebte
Mitter Hugo ruhig auf feiner Burg, ohne die Gunft
des Hofes ferner zu verfuchen. eh
zu \ ; B—
315
XXI.
Friedrichs hafen
| und Das
ehemalige Klofer Hofen.
Beide, dad Schloß und die Stadt, liegen Dicht, am
‚See, jeder Theil auf einem ausjpringenden Bogen
Ron) des Geftades. Die Page ft eine der fehönften
und großartigften am ſchwäbiſchen Meere, denn hier
liegt Der Bodenfee in feiner größten Breite vor dem
Blicke. Friedrichshafen befteht aus Drei verfchiedenen
‚heilen, der ehemaligen Reichsſtadt Buchhorn, dem
vormaligen Klofter (Briorat) Hofen, und der foge
nannten Neuftadt, einer von Tag zu Tag wachfen-
den Reihe Häuſer, welche fich von der Altſtadt gegen
das Schloß und den Bahnhof Hinziehen.
Stadt und Schloß Friedrichshafen haben eine beinahe
tauſendjährige Gefchichte. Schon im Jahr 837 fommt
Buchhorn, der alte Name der Stadt, als Buachihorn,
Puhihorn, Buochihorn vor, welchen Namen ſie wohl
won ihrer Lage am See, wie Romanshorn, Argen—
born und andere Orte, erhielt. Vielleicht reichte ein
Buchenwald bis an den See, wo nun ‚Schloß und
Stadt ſtehen, und im gelichteten Walde wurde die
erite Willa oder Burg gegründet. Daß der Nanıe von
Buche herzuleiten, dieſe Anficht möchte Dadurch unter
316
fügt werden, daß Das salte Wappen der Stadt eine
grüne, auögeriffene Buche im goldenen Felde zeigt,
während die linke Seite des Schilde ein ſchwarzes
Jagdhorn mit güldenem Befchläge und Bande im
rotben Held Darftellt. — Aus alten Urkunden, die
Buchhorn erwähnen, ergibt. fich, Daß es ſchon im der
zweiten Hälfte ded 9. Jahrhunderts ein nicht unbe
deutender Ort (locus) gewefen, an dem öffentliche
Berhandlungen vorgenommen wurden. Buchhorn war
eine fogenannte Ihingftätte (Gerichtsſtatt) und ein
Siß der alten Grafen von Linzgau, der wohl in einem
wohlbefeftigten Waſſerhaus beftand, das von den
Fluthen des Sees befchüßt war. Der Linzgau grängte
weftlich an den Höhgau bis hinauf nach Pfullendorf,
öftlich an den Argen- und Schuffengau, bis. hinüber
an die Stadt Tettnang und begriff gegen Norden noch
die Orte Ober- And Untertheuringen in ſich. Als
Grafen des Linzgau's werden genannt: Warn im
Jahr 746, Ruodbert im Jahr 773—787, Adalrich
805, Ulrich und Ratpert 807 und 815, Auochar
828 ,. Chuonvad 844, Welfo fait zu gleicher Zeit,
rich 860—883, Ulrich defjen Sohn im Jahr 886
— 909. Diefer Ulrich, ‚der fich zuerſt von feinen
Hauptwohnfige Graf von Buchhorn nannte und deu
Beinamen der „Buchhorner” führte, war mit Karl
den Großen und dem uralten Haufe der Welfen ver
fippt, und pflanzte mit. feiner (treuen: Gemahlin Wen-
dilgard, - einer Enfeltochter König Heinrich L durch
ihre Mutter Hedewig, den Stamm “der ‚Grafen von
317
Buchhorn fort... Seine drei Söhne waren: Adelbard,
Ulrich . und Burfhard. Der leßtere. wurde Abt zu
&t: ©allen, die beiden anderen. Brüder theilten nach
dem Tode des Vaters das väterliche Erbe. Ulrich
erbielt Bregenz und Die Befigungen der. Familie in
Nhätien, Adelbard aber Buchhorn und Die Dazu ges
hörigen Güter. Adelhard, Graf in. Buchhorn, der ſich
durch Schenfung um das: Klofter Betershaufen vers
dient machte, hatte einen Sohn Richar, der als
Kämmerer von St. Gallen erſcheint. Von dieſem
ſtammte Otto. L, Linzgaugraf, im Jahr 1058... Dtto
vermählte fich. mit Bertha, einer Tochter Welfd des
Aelteren, Herzogs von Baiern. In feinen Tagen vers
breitete ſich der. verderbliche Streit Kaifer Heinrichs IV.
mit feinem. Gegner, Herzog Audolf von Schwaben,
bis an Das Gelände des See's. Biſchof Dito von
Gonftanz hielt zu Heinrichs Parthei. Als nun der,
Gegenfönig Rudolf an den See nad) Reichenau und
Gonftanz kam, da flüchtete fich .Bifchof Otto ver ihm
in Die benachbarte Burg des Grafen von Buchhorn,
und von da, al8ı er: fich nicht mehr. ſicher glaubte,
nach Zürich. Dieſe Burg war wohl keine andere,; als
Das befeftigte Buchhorn. ‚Dtto von. Buchhorn. jliftete,
mit- feiner Gemahlin noch vor. dem, Jahre, 1089. ‚Daß.
Kloſter Hofen; er ſtarb im Sahr 1101 und. liegt
mit ſeiner Gemahlin in dieſem Kloſter „begraben. Noch,
in fpäteren, Zeiten wurde am 31. Januar Bertha's
Zahrstag gefeiert: — Mit: feinem, Sohn, Dtto, endete:
der Stamm der Örafen von Buchhorn. Otto machte
318
fich vor feinen Zeitgenofjen eines grogen Verbrechens
ſchuldig, denn er räubte einem Graf Ludwig von
Pfullendorf feine Gemahlin und ließ jich mit ihr
trauen. Da verkündete Biſchof Gebhard den Bann
über ihn, und er wurde, in Folge göttlichen Etrafe
gericht®, von den Dienftmannen des Grafen Ludwig
auf die ſchrecklichſte Weile ermordet im Jahr 1089
Graf Otto, das Opfer einer fehnöden Reidenfchaft,
wurde von den Geinigen im Klofter Hofen begraben,
aber ver Bifchof Gebhard gönnte ibm Feine Aube in’
der geweihten Erde; auf feinen Befehl: wurde er wieder
audgegraben und auf den Schindanger geworfen. Alſo
endete eines der edelften und mächtigiten Grafenhäuſer
am Ufer des Bodenſee's. Dtto’8 Hab und Gut wurde
von feinen Mördern geplündert. Da er kinderlos
ftarb, fo wurden feine Güter von den Welfen in
Befis genommen, obgleich die Orafen von Bregenz;
als Blutsverwandte, nähere Anfprüche darauf hatten.
Auch Buchhorn fiel an die Welfen und war ſchon
längſt ein wohlbefeftigter Ort, denn wir Iefen, daß
lange vorher (im Jahr 925) eine bis nach St. Gal—
len ftreifende Ungarnhorde einen Angriff auf Bude
horn machte, jedoch umverrichteter Dinge wieder abziehen
mußte. Unter den Herzogen und Königen aus dem
Haufe der Staufen bahnte fih Buchhorn den Weg
zur Breiheit, und ging aus den Wirren des Zwifehen-
reiches fchon als unabhängige Stadt hervor. ‚Ihre
Sreigeiten wurden von Kaifer Rudolph I. im Fa
1275 ’und von Kaifer Adolph im Jahre 1291 Bed
r
—
319
ftätigt. Kaifer Albrecht verlieh ihr im Jahre 1299
das Recht, Daß feine Ritter oder Mönche erbliche
Güter in der Stadt erwerben oder beſttzen Eünnen.
Auch Die freie Wahl eines Stadtammanns erlangte
Buchhorn, und zahlte dafür an die Neichslandvogtei
zu Altdorf jährlich zehn Pfund und zwei Schilling
Drennige. Im der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts
erwarb fie fich noch ein Eleines Gebiet Durch Anfauf
der Drte Baumgarten und Erichskirch. — Buchhorn
hatte auch eine Münze, und fand fehon im Jahre
1404 in einem Münzverband mit Württemberg und
mehreren ſchwäbiſchen Städten. — Die Berfaffung war
democratiich. Das Regiment beftand aus einen klei—
nen und einem großen Rath, mit zwei Burgermeiftern,
die je auf zmei Jahre gewählt murden, und abwechs—
lungsweiſe über eine Bürgerfchaft regierten, Die kaum
zahlreicher war, als Die eines mittelmäßigen Dorfes.
— Ueber die früheren Schickſale Buchhorns haben Die
Ehroniften wenig aufgezeichnet. Im Sabre 1292, als
der Abt von St. Gallen, Wilhelm von Montfort,
nebſt feinem Bundesgenoſſen, dem Biſchof Rudolph yon
Couftanz , gegen König Albrecht am See in Fehde
lag, mußte auch Buchhorn es entgelten, daß es gegen
den Bifchof von Gonflanz gewefen war. „Am Mars
tinstag,“ fo erzählt der glaubwirdige St. Galler
Chroniſt Kuchimeifter, fuhr der Bifchof von Con—
ſtanz zu und ihr Theil (feine Bundesgenoffen) und
fürmten zu Schiff und zu Fuß an ‚Buchhorn und
gewannen es mit Gewalt.” Im Jahre 1363 rannte
320
die Stadt faſt ganz ab. Im breißigjäbrigen Krieg.
war Buchhorn bald in der. Hand der Schweden, bald.
in ‚der der Kaiferlichen.. Beide Theile binterließen fein.
freundliches Andenfen, daſelbſt. Im Jahr 1643 wurde.
e3 von den Weimaranern und im Sabre. 1645. von:
Miderhold geplündert. — Mit dem Jahre 1802 hörte
Buchhorn auf, eine Reichöftadt zu feyn, ‚denn ‚ed Fam.
an Baiern, und im Jahr 1810 an Würtemberg.
Wir gehen zur Gefchichte des Klofters Hofen über,
die mit. der ‚der Stadt in der innigften Beziehung ſteht.
Klofter Hofen gehörte in früheſter Zeit nebft ‚dem
Dörflein. diefes Namens ebenfalls zu dem. rund und,
Boden der. Stadt, denn gewöhnlich. hieß Das. Klofter.
die. Zelle von Buchhorn. Dort ftand. auch, im
Jahr 919. die dem h. Andreas geweihte Pfarrkirche,
des Orts, und gab vielleicht die erfte Beranlaffung,
zur Gründung des Klofters, was wir oben erzählt.
Das Klofter zu Hofen ‚wurde zu. Ehren . ‚Der, ‚heiligen
Dreieinigfeit,, der Sungfrau, Maria und ‚des heiligen,
Pantaleon und Stephanus geweiht, und war. zuerſt
mit Nonnen beſetzt, die meiſtens abeligen , Geſchlechts
waren. Schirmvoͤgte des Kloſters waren. Die. Grafen
von Buchhorn. Als nach dem. Erlöfchen dieſer ‚Grafen,
Die Güter Derfelben an die Welfen. fielen, da übergab,
Herzog Welf IV. das Kloſter Buchhorn, und die Pfarr⸗
kirche im Sof (qux est in atrio monasterii,,. im
Vorhof des Kloſters) ſammt deren Zehenten a Weln⸗
hauſen, Argen, Meckenbeuren, Feldkirch u. A... mas;
Alles zur Zeit: der Stiftung und. bald, nachher va
321
⸗
Geber, unter andern durch Rupert von Otterswang,
Cuno von Sigebrandesberg und Bernhard von Atege—
dorf an das Klöſterlein gekommen war, an die Abtei
Weingarten. Im Jahr 1130 wurde auf Betreiben
des Abtes Cuno zu Weingarten der VBertragi erneuert,
und es Heißt Darin ausdrücklich: „Abt und: Convent
follen Darauf bedacht jeyn, Daß Die Nonnen zu Sofen
einen tauglichen Prior erhalten, der des Klofters An-
gelegenbeiten vermalte, und die Geelforge übernehme,
zugleich aber follen Abt und Convent darauf ſehen,
daß feiner feiner Nachfolger oder Erben, welche nad)
den Erbrecht Vögte des Klofters Weingarten find,
die Vogtei über das genannte Klöfterlein veräußere
oder seinen Andern Damit belehne.‘ Der Abt von
Weingarten jchiefte fofort einen Bruder als Probſt
dahin, Der zugleich Die Bfarrfirche verſehen mußte.
Dieſe Kirche muß Damals auch als Kloſterkirche ge—
dient „haben. Im Anfang des 13. Jahrhunderts
wurde eine eigene Kirche für Das Klofter erbaut‘, Die
baufällige Andreasfirche aber wieder erneuert, Denn
ie Jahr 1215 meihter der Bifchof von Conftanz Die
Pfarrkirche und am folgenden Tage auch die Klofter-
Tirche mit dem Klofter zu Ehren ihrer alten Schuß-
heiligen. Unter den Meifterinnen des Klofterd werben
genannt: Frau Catharina von Morel, Frau Agnes
von Bergen, Frau Agnes von Anmil, und Frau
Arſula von Hoimar. Die Iegtere Meifterin hatte viel
zu kämpfen mit ihren. Schweftern,, Die feinen gar
keuſchen Lebenswandel führten, und auch miderfpenftig
21
3272
gegen die Herrſchaft zu Weingarten jich erzeigten. Da
machte Abt Johann Blaurer zw Weingarten mit Ge—
nehmigung des Bifchofs Otto III. vom Gonftanz und
des Johannes Truchfeg von Waldburg, Reichsvogt in
Ober- und Niederfchwaben, eine Aenderung mit Dem
Klofter zu Dofen. Das Kloftergut wurde von num
an unter dem Namen Probſtei Hofen von dem je-
weiligen Brobft aus Weingarten allein verwaltet. Der
Probſt Hatte zu Hofen feinen ftändigen Sig und
schaltete und waltete nach Belieben. Die noch übrigen
Tonnen ließ man nach und nach abfterben, und e8
wurde feine mehr aufgenommen. Sm Jahr 1430
ftarb der von Weingarten veroronete Probft, und die
Probftei blieb vafınt bis 434. Zu jener Zeit hatte
Buchhorn zwei Pfarrer, welche in der-Stadt wohnten,
einen Namens Hürnler und einen Namens Meate:
Dem erfteren übertrug der Abt zu Weingarten Die
Probſtei und Die Vfarrfirche, eigentlich Nicolausfapelte
zu Buchhorn. Huch jenen Tod Drängte fich Der
Dominikaner Reate mit Gifchöflicher Begünftigung und
mit Anterflügung der Buchhorner als Pfarrer in die
Kirche zu Hofen ein, obgleich Weingarten bereitd einen
Brobft ernannt hatte Nach langem Streit ward im
Jahr 1440 ein Bergleich gefchloffen, in Folge deſſen
dem Reate die Fortfegung pfarrlicher Verrichtungen in
der Kirche zu Buchhorn geftattet wurde. Im Jahr
1456 war Jodokus Dietheimer aus Ulm Probſt zu
Hofen bis zum Jahr 1482. Sein Nachfolger war
Johannes Lang aus Weingarten, er farb‘ im Jahr
323
1499. Ihm folgt Jodokus Neukhum aus Lindau,
der 16 Jahre der Probftei vorftand. Johann von
Ramſperg, aus edlen Gefchlecht, wurde im Jahr 4515
an feiner Statt gewählt. Zu feiner Zeit fanden ſich
noch viele Urkunden und Briefe in Der Regiftratur
der Probſtei, welche der gelehrte Caſpar Bruſchius,
der Chroniſt der Klöſter, noch geſehen. Johann von
Ramſperg war Probſt bis 1550. Im Jahr 1591
wurde die Brobftei aufgehoben, umd die Verwaltung
von einem Klofterhofmeifter, genannt Vogt, geführt,
die Pfarrei aber einem Weltgeiftlichen übertragen. In
demfelben Jahr wurden zum erjten Mal die zwei
Pfarrer zu Hofen und zu Buchhorn‘ inveftirt, und
jeit Diefer Zeit laufen zwei Pfarreien neben einander.
Dennoch blieb die Buchborner Kirche Filialkirche "von
Hofen. Erſt, als Teßteres im Jahr 1634 völlig abe _
gebrannt war, wurde die Pfarritelle von Hofen mit
der von Buchhorn der Art vereinigt, Daß die Pfarrer
in Buchhorn auch Die Pfarrei Hofen verfaben. Da
ed aber an einer Kirche daſelbſt fehlte, fo wurde Die
Gemeinde an die Pfarrfirche zu Buchhorn gewiefen.
Im Sahr 1695 beſchloß Ast Willibald von Wein
garten, ein Priorat zu Hofen einzurichten, und erbaute
ein neues Klofter und eine neue Kirche, wie fie jest
iſt. Im Jahr 1708 wurde Klofter und Kirche dem
h. Bantaleon, Andreas und andern Heiligen gewidmet.
In Demfelben Jahr wurden zwölf Kloftergeiftliche nebſt
zwei Brüdern, fo wie ein Brior von Weingarten nach
Hofen'verfegt, und an die Stelle der ehemaligen Probſtei
324
trat num Das Priorat Hofen. Im Sahr 1803 kam
das Priorat Hofen ſammt Weingarten an Naſſau—
Dranien, durch den Vertrag von 1804 an Oeſterreich,
und Durch den Preßburger Frieden im Jahr 1805 an
Mirtemberg. Der meife, König Friedrich, welcher den
Werth dieſer Erwerbung in Beziefung auf Kandel
und Schifffahrt erkannte, Tieß alsbald zur Wiederherz
ſtellung Des alten zerfallenen Hafen von Hofen fchreiten.
Als im Jahr 1810 auch die Stadt Buchhorn an
Mirtemberg fam, wurden Buchhorn und Hofen unter
den Namen „Stadt und Schloß‘ Friedrichshafen‘ zu
Einer Gemeinde vereinigt, und eine Schöpfung trat
ins Leben, die König Friedrichs Namen im Gegen
verewigt. Dennoch Eonnte fich Das neue Friedrichs—
bafen noch Feines großen Auffchwungs erfreuen, bis
Vriedrichs edler Nachfolger Wilhelm Diefer ſchön
gelegenen Beſitzung feine Aufmerffamfeit zumendete, und
das frühere Brobfteigebäude zu einer jeweiligen Sommers
refidenz einrichten Tieß. Zu gleicher Zeit murden Schiff-
fahrt und Sandel, durch die Erbauung des Dampf-
boots Wilhelm, Des erften auf dem Bodenfee, mehr
als je gehoben.
Der herrlichen Schöpfung unferes geliebten Königs,
dem ſchönen Schloffe, wenden wir unfre Schritte zur,
und finden in ihm das Merkwürdigſte, was ——
hafen bietet.
Ein ſchöner, von einer majeſtätiſchen Linde be⸗
ſchatteter Eingang führt in einen großen, zum Theil
mit Blumenbeeten geſchmückten Hofraum. Rechts ſtehen
ae 325
die Wirthichafts- und Dienftgebäude mit dem ehema—
ligen PVfarrhaufe, weiter links das Schloßgebäude und
die an daſſelbe fich anfchliegende Kirche. Vorwärts
und zur Site breiten fich herrliche Gartenanlagen aus.
Das Ganze ift rundum mit einer Mauer umgeben,
welche einen Blächenraum von 131% Morgen eins
schließt. Das Schloß ift hoch und geräumig und
bildet mit der Kirche ein Viereck, in deſſen Mitte ſich
ein Sof, ehemals Conventhof, befindet. Ein auf
Bögen rubender Gang, an deffen einem Ende ein
Thürmchen fteht, verbindet das Schloß mit den Oe—
fönomiegebäuden, und vermehrt den Zauber des Ganzen.
Das Innere des Schloſſes ift geſchmackvoll und finnig
eingerichtet, gang in Uebereinftimmung mit der fchönen
Natur, die man hier vor Augen hat. Wir treten im
erften Stock durch ein Vorgemach mit Pferdeſtücken in
das blaue, in Form eines Zeltes drapirte Arbeits-
zimmer des Königs, wo uns das Bild der unvergeß—
lichen Königin Catharina begrüßt. Don da fonımen
wir in ein weißes Ankleidezimmer, an das fich ein
grünes Schlafgemach anfchlieft. In letzterem machen
wir befonders auf Die fchwäbifchen Bauernfeenen, Kirch—
weihe u. dgl., forwie die Studentenverfammiungen vom
Biberacher Dialer Pflug aufmerffam. Durch die Garde—
vobe gelangen wir in ein Gelag mit Abbildungen
ruſſiſchen Militärs. Im Billardzimmer fchöne Vieh—
ſtücke, Landfchaften und Geebilder, im Speifefaal
Ehloris und Daphne von Gegenbauer, fowie Scenen
aus deutichen Dichtern, z. B. Göthes Erlkönig, Bür—
326
gers Leonore, Der wilde Jäger, — ſodann zwei vater:
fändifche Landfchaften, Burg Lichtenftein, Nebelhöhle,
Feſte Hohentwiel — letzteres als düſteres Nachtſtück. —
In zweiten Stock ſind die Gemächer der königlichen
Vrinzeſſinnen mit drei Anſichten Neapels und zwei des
feuerſpeienden Veſuvs. Durch Schlaf- und Garderobe—
zimmer treten wir in den Salon, von deſſen offener
Säulengallerie man eine der herrlichſten Ausſichten am
ganzen See genieft. Man befindet fich eigentlich im
Mittelpunft der ganzen Seelänge, erfchant bier auf
einer Seite die Thürme von Gonftanz, anf der andern
über Langenargen bin, die lange Erdzunge, aus wel—⸗
cher Der Rhein in den See tritt — und zwifchen dieſen
beiden Punkten liegt der Obftgarten St. Gallens und
des Thurgaus mit unzähligen Ortfchaften, Burgen,
Höfen und Landhäufern, und die im Sintergrund der—
felben auffteigende Kette grüner Hügel mit den fahlen
Selfenwänden des Säntis. — Nun folgen die Zimmer
Ihrer Majeſtät der Königin Bauline, die befonders
Diefe ſchöne Reſidenz am Bodenfee zu einem lieben
Aufenthalt in der freundlichen Jahreszeit erforen; das
Arbeitszimmer mit einer Sammlung von Miniaturbildern
der Föniglichen Familie, das Gefellfchaftszimmer mit
zwei Genrebildern von Heß, ſowie einer Anficht von
Friedrichshafen mit dem Dampfjebiff Wilhelm. — Im
pritten Stod befinden fich die Gaſtzimmer mit dem
VBortrait der Königin, von Steinfopf, mit Schweizer
profpeeten, Rheingegenden n. ſ. w. und mehreren ſehr
ſchönen Woafferfarben - Zeichnungen, Scenen aus dem
"327
ruſſiſchen Feldzuge, von dem genialen Difettanten Fabre—
Dufaure, württembergiſchen Artillerie-Dberften, welcher
Augenzeuge Diefer Handlungen war. — In zwei Öängen
des Schloſſes machen wir noch auf zwei Fenſter mit
Glasgemälden aufmerffam, die bei günftiger Beleudh-
tung ein wunderbares Licht entgegenftrahlen. — Bon
den Gemächern des Schloffes gelangt man in die Kir—
che, jegt evangelifche Pfarrkirche. Sie ift ein maje-
ftätifches, aus Rorfchacher Quadern im neuromanifchen
Styl aufgeführtes Gebäude, und hat zwei hohe, mit
Kuppeln verjebene Thürme. Ihr Inneres ift reich. an
Stuffaturarbeit, und bat einen ſchönen, mit Figuren
gezierten Hochaltar. Schade, dag auch hier, wie in
den meiften Kirchen dieſes Styls, jo viel Ueberladung
berrfcht, was dem an die einfach ſchöne Ornamentif
des byzantinischen oder gothifchen Styls gewöhnten Auge
fo wenig wohl thut.
Bier in Diefer Kirche wurde am 17. Juli 1851
die Bermählung Der jüngſten Tochter des Königs,
Augufte, mit dem ritterlichen Prinzen Hermann zu
Sachfen- Weimar gefeiert. Es ward aufs Neue Fund
bei Diefer feierlichen Veranlafjung, wie lieb und theuer
der Schöne Wohnjig der ganzen hohen Königsfamilie
geworden — und mit welch inniger Liebe und Verehrung
die Bewohner der Stadt und Gegend an der fünig-
fichen Familie hängen, Davon fah man die rührendften
Beweiſe. |
Einen bejondern Befuch verdienen auch die jchönen
und gejchmadfvollen Anlagen um Kirche und Schloß»
328
gebäude. Jeder Morgen: und Abend bietet bier neue
Naturfeenen dar, indem nach Der Jahres: und Tages—
zeit die Beleuchtung beftändig: wechſelt und der Eee,
ſowie Die Hochgebirge, durch den Einfluß der Witte
rung fich bald in Klarheit. und Ruhe, bald wolken—
umhüllt und aufgeregt zeigen. Schloß Friedrichshafen
und Umgebung: ift fürwahr ein Feenſitz zu nennen,
befonders in jenen Tagen, wo die allgeliebte Königin
Pauline in den Gemächern des Schloffes waltet, und
eine zweite fromm und jegensreich wirfende Wendil—
gard von Buchhorn für Einheimiſche und Fremde
wird.
2. Die treue Wendilgard.
Zu Anfang des 10. Jahrhunderts lebte Graf Ulrich
von Linz und Argengau zu Buchhorn mit feiner Oe⸗
mahlin, der edlen Frau Wendilgard.
Als ums Jahr 919 die Ungarn zum zweiten Dale
in Deutjchland einfielen und. verbeerend durch Das
Baierland hereinrückten, zog auch Graf Ulrich mit
feinen Genoffen ihnen entgegen, feine dortigen Güter
zu vertheidigen. Es kam zur Schlacht. Graf Ulrich
focht ritterlich gegen Die fremden Bedränger, batte aber
das Unglüf, in die Hände der Feinde zu fallen, die
ihn im die Gefangenfchaft wegführten. Er wurde von
allen feinen Mitgenoffen für todt gehalten. So erhielt -
auch Wendilgard die Kunde, Daß ihre Gemahl nimmer
am Leben wäre Bald ftellten fich Freier ein, welche
329
ſich um die Hand der jugendlichen Wittwe bewarben,
aber fie wollte nicht3 von folchen Anträgen hören.
Um Allen auszumweichen, begab fie fich auf den Rath
Bifhof Salomos nah St. Gallen, wo fie neben
der Klaufe der heil. Wiborade eine Zelle ſich bauen
ließ; allda Iebte fie von dem Ihrigen, und fpendete
zum Seelenheil ihres todtgeglaubten Gemahld Deu
Armen reichliche Almoſen. Alljährlich Fam fte nach
Buchhorn und feierte Dort des Gemahls Andenken mit
andächtigen Gebet und Werfen der Wohlthätigfeit.
Bier Jahre waren verfloffen, da begab fie ſich wie-
der hinüber nach Buchhorn, um die gewohnte Trauer-
feier zu begeben. Während fie num damit befchäftigt
war, ihre milden Gaben an die zahlreich herbeiſtrömen—
den Armen auszutheilen, drängte fich ein zerlumpter
Bettler durch die Menge umd verlangte von ihr ein
Kleid. Wendilgard Schaft, daß er fo frech und unge—
ſtümm feine Gabe verlange, Doch reichte fie das Kleid,
wenn auch etwas unwillig. Plötzlich ſchloß der Bett:
fer die Geberin in feine Arme und küßte fie, Frau-
Mendilgard mochte es geſchehen Tafjen oder nicht.
Schmerzlich bewegt‘, Daß ihr folche Schande wider:
fahren, zog dieſe ich auf ihren Stuhl zurück und rief:
„Jetzt erft erfahre ich, daß mein Gemahl Ulrich nim—
mer am Leben, da ich folche Frechheit von einen Bett-
ler erfahren muß.” Da kamen einige der umftehenden
Diener und wollten dem frechen Bettler Fauftichläge
geben, aber der warf feine wilden langen Haare mit
der Hand in den Naden zurüf, und rief: „O ver
330
ſchont mich doch mit euren Fauſtſchlägen, denn ich
habe deren genug erduldet; ſchaut her und erkennet
Graf Ulrichen euren Herrn!“
Als die erſtaunten Diener der Gräfin die Stimme
ihres Seren hörten, und das einft jo mwohlbefannte
Angeficht zwifchen feinen Locken erblickten, grüßten fie
ihn laut, und das Hausgeſinde jauchzte vor Freuden.
Ulrich trat zu Frau Mendilgard, nahm ihre Hand,
und führte fie an eine ihr mohlbefannte Narbe. Da
erwachte Wendilgard wie aus einem Schlafe und ſprach;
„Das ift mein Herr, der Tiehfte aller Menfchen! Bit
mir willfonmen, bift mir willfommen, mein Süßefter !“
Mährend fie den miedergefundenen Gemahl umarmte,
rief fie ihrem Gefinde zu: „Leget eurem Herrn Kleider
an, und fputet euch zur Stunde, Daß er ein Bad
‚ empfange!” Als Ulrich wieder ziemliche Kleider ange
tegt hatte, fprach er: „Nun laßt und zur Kirche gehen,
um Gott zu danken!’ Mährend dem Gehen fehaute
Ulrich feine Gemahlin an, und bemerfte den Nonnene
jchleter, welchen fie angelegt hatte. „Sprich, wer bat
dir den Schleier umgelegt?“ fragte er Frau Wendile
gard. US er hörte, der Biſchof von Gonftanz habe
ſolches gethan, da fie alle Hoffnung aufgegeben, daß
ihr Gemahl je wiederfehren würde, fprach er: „Nun
Darf ih Dich von Stund an nicht mehr umarmen,
wenn der Biſchof nicht Erlaubniß dazu ertheilt.“
Bon den Geiftlichen, deren mehrere an dieſem Tage
zufammen gefommen waren, wurden jeßt in der Kirche
Aemter gehalten, nicht in Trauer für den Verftorbenen,
331
fondern soll: Freude für den Lebenden, und all das
Bolt nahm andächtig daran Antheil. Darnach wird
ein feſtliches Mahl gehalten, zu vem Diele berbeiftrö-
men, Die von der wunderbaren ©efchichte hören, und
Alle erquicen und freuen fich bei diefem Maple.
Die nächfte Zeit Darauf berief Salomo von Conflanz
eine Synode; auf diefer forderte Graf Ulrich feine
Gemahlin wieder von dem Bifchof zurück. Der Be:
ſchluß der Verfammlung fiel dahinaus: „Aelter ift
das Gelübde, das Wendilgard ihrem Gemahl gethan;
fie werde dem Gatten zurückgegeben, der Schleier aber
in den Schränken der Kirche aufbewahrt, damit Frau
MWendilgard, wenn je ihr Gemahl vor ihr fterben follte,
denfelben als Wittwe wieder anlege.” Nun fehrte
das wieder vereinigte Ehepaar nach Buchhorn zurüd,
nachdem fle das Gelübde getban, daß, wenn fie
noch einen Sohn erzeugen würden, derſelbe an der
Mutter Statt dem heil. Gallus geweiht werben follte.
Mirflich empfing Frau Wendilgard noch einen Sohn
von ihren Gemahl, aber fie gebar ihn nicht: vierzehn
Tage vor der Zeit Fam ſie in Kindesnöthen und ftarb.
Das Söhnlein mußte ihr aus dem Leibe gejchnitten
werden, und wurde dann in einem warmen Bauch
eines frifchgefchlachteten Schweins zur Reife gebracht.
Ju der Taufe erhielt das Kind den Namen Burfhard.
Kaum war Burkhard der Pflege feiner Amme ents
wachfen, fo brachte ihn fein Vater nah Et. Gallen,
wie er mit feiner feligen Mutter gelobt hatte, und
legte ihn auf den Altar der Kirche nieder, indem er
S 332
Segen für dad Kind von einer Mutter erflehte. Als
Zugabe weibte er dem Klofter Grundftücde und Zehen—
ten zu Höchſt. Im Klofter wurde der £leine Burf-
hard erzogen ; Die Brüder nannten: den wunderfchönen
Knaben Burkhard den Ungebornen. Weil er unzeitig
geboren wurde, mar er fo zart, daß er bei jedem
Fliegenftich Glutete; darum befam er von feinen Lehrern
jelten Ruthenhiebe. So ſchwächlich und zart Burk
hard immer am Leibe blieb, fo ſtark ward er an
Geifteskraft. Er wurde fpäter wegen feiner ausge—
zeichneten Gaben zum Abt des Kloſters gewählt.
2. Des Lebens Schuld und Sübhne.
An den reizenden Ufern des Bodenſee's Tag Die
ftolge Burg der Grafen vom Linzgau. In Mitte
lieblicher Anlagen erhob fie jich mit fürftlicher Pracht,
und wenn die Morgenjonne die Ihürme und Binnen
vergoldete und ſich in den hohen Benfterfcbeiben ſpiegelte,
bot fie einen prächtigen Anblick. Drüben, am gegen»
über liegenden Ufer der hohe Säntis und die ganze
Kette der Schmeizergebirge , vollendete ein Bild para—
dieſiſcher Schönheit.
Die Grafen von Pinzgau waren ein altes, edles
Geſchlecht, das bedeutende Namen unter feinen Gliedern
zählte. Zur Zeit unferer Erzählung war. Otto II,
Graf von Linzgau, Kerr und Beſitzer der. Schönen
Herrschaft. Er war ein Enfel der frommen Wendile
garde, deren hohe Tugenden und gottjeliges Leben ihr
333
den Ruf der Heiligkeit erworben hatten. Aber des
jungen Grafen Sinn befchäftigte ſich nicht gleich dem
Geiſte feiner edlen Ahnfrau mit hohen Dingen, ihm
lachte die Welt: und junges, leidenjchaftliches Blut
rollte in feinen Adern. Jagden und Turniere , Feſte
und Trinfgelage folgten fich in bunter Abwechslung,
und Das vergnügensfüchtige Derz des Schloßheren eilte
unbefriedigt von einem zum andern.
- Ein herrlicher Sommertag neigte fich zu feinem Ende,
als Graf Dtto befahl, ihm fein Leibroß zu fatteln ;
er batte fich längft vorgenonmen, feinen ehemaligen
Maffengenoffen, den Grafen Ludwig von Pfullendorf,
zu befuchen und einige Tage auf deſſen Burg zu ver:
leben. Graf Ludwig war feit ein paar Jahren vers
beivathet und die geſchwätzige Fama mußte viel von
der hohen Schönheit feiner Gemahlin zu erzählen.
Otto von Pinzgau war längft begierig gewefen, feines
alten Breundes Hausfrau zu fehen, aber Vergnügen
und Befucbe hatten ihn immer aufgehalten. Während
er nun müßig an einem Fenſter feiner Burg Tehnte
und dem Spiele der dunfeln Wellen zuſah, fam ihm
plöglich der Gedanke, auf Schloß Pfullendorf einzu-
fprechen ; dem Entfchluffe folgte Die rafche That, und
‚eine halbe Stunde fpäter trabte Graf Otto über Die
Zugbrücke.
Die Nacht war bereits vorgeſchritten, als der Graf,
von einem einzigen Diener begleitet, an dem Burgthore
des Pfullendorfers Einlaß begehrte. Klirrend fiel Die
Brücke nieder und mit den ſchuldigen Ehrenbezeugungen
334
wurde, der werthe Gaft empfangen. Graf Ludwig ließ
fich'8 nicht nehmen, noch einen’ Becher zum Willfomm
mit dem Freunde zu leeren, er bedauerte nur, daß
feine Gemahlin fich febon zur Ruhe begeben hatte,
und er ihn bitten müffe, fich bis morgen zu gedulden,
um der Gruß der Hausfrau zu empfangen. Ein
Stündchen mochte in traulichem Geplauder verfloffen
jeyn, als die beiden Grafen fich derb Die Hände ſchüttel—
ten und in ihren ®emächern die Ruhe fuchten. Der
Graf von Linzgau befand ſich in einer eigenthümlichen
Stimmung; ihm war's, als follte eine neue Lebens
woche beginnen und doch begriff er nicht, welch Ereig—
niß diefe Gemüthsbewegung begründete! Wie oft be—
fchleichen und düftere Ahnungen Fommenden Unheils
und der Menfchen Blindheit begreift die warnende
Stimme nicht!
Der. Morgen des folgenden Tages erglängte in all
der Bracht des Sommers. Die Gärten und Anlagen
des Schlofjes prangten in taufend Reigen, und Thau⸗
yerlen funfelten gleich Diamanten im den füpen Blüu⸗
thenkelchen.
Graf Otto begab ſich frühe in das Gemhi in
welchem der Morgenimbig genommen werden ſollte.
Mit herzlichem Gruße trat ihm Graf Ludwig entgegen,
und bald verfündete das Naufchen eines ſeidenen Ge:
wandes das Nahen der Hausfrau. Gräfin Iſabella
trat ein und begrüßte mit holdem Lächeln den Freund
des Gatten, welcher: ſprachlos vor ihr ſtand, wie a
blendet von dem Zauber ihrer Erjcheinung.
335
Die Kunde ihrer Schönheit war nicht übertrieben,
fie Eonnte im Gegentheile diefem Leibreiz nicht genügen.
Sfabella war eine hohe, ſchlanke Geftalt, reiches
dunfelbrauned Saar umgab in glänzenden Loden ein
Madonnenantlig, deffen dunkle, glühende Augen jedoch
im ſeltſamen Widerfpruch mit dem frommen Ausdrucke
ftanden, welche ihre Züge annahmen, fobald die langen
Wimpern ihren funfelnden Blick verfchleierten. Süd—
liche Leidenſchaft und zarte Weiblichkeit fchienen ſich
bier im feltenen Vereine zu begegnen und brachten den
verfchiedenften Eindruck hervor.
Ein ſchwarzes Seidenkleid umfchloß im reichen Fal—
ten die reisende Geftalt, und fo ftand fie vor dem er—
jtaunten Grafen mit der Hohheit und Anmuth einer
Fürftin. „Ihr feht, STabella, mein trautes Gemahl,
Daß mein edler Freund Euern Weizen huldigt, obwohl
er feine Worte für feine Bewunderung finden kann“
fprach Graf Ludwig lachend zu feiner Gattin. „Wir
wollen ihm den Gruß verzeihen, fo er ung Fünftig
feiner Aufmerkſamkeit würdigen will“ ſprach die Grä—
fin mit milder Stimme und reichte dem Grafen, der
unwillkührlich ſich vor ihr auf ein Knie niedergelaſſen
hatte, die Hand zum Kuſſe. Otto blickte auf, ihre
Augen trafen fich und —— Eine Blick hatte ſein
Loos entſchieden!
Liebe erwacht oft bei einem erſten ——
iſt ein geheimnißvolles Band zwiſchen zwei fh erft
enden Weſen, welches ſie uneierfehich zufanmen
Bean |
336
‚Bisher war des Grafen von Linzgau's Herz der
fügen Leidenfchaft fremd geblieben; unter. männlichen
Vergnügen und Mebungen floß ihm die Zeit, und
noch feinem Weibe war es gelungen,’ in feine Geele
den verzehrenden Funken zu werfen: jest „aber liebte
er zum erften Male mit der ganzen Glut feines
Weſens — liebte — die Gattin feines Freundes.
Milde Kämpfe folgten fich in feiner Seele, — er
wollte nicht ehrlos handeln, nicht den ihm vertrauen:
den Freund um fein ganzes Glück betrügen, nicht dem
Weibe feines Herzens den innern Frieden rauben: —
aber unbefiegbar tobte die Feidenfchaft im feinen Adern !
Immer wieder verzögerte er feine Abreife, gleich als
hielten ihn unfichtbare Mächte an den Ort feiner Luft
und Qual gefefielt. |
Sfabefla Hatte wohl längft, mit denn jeder" drau
eigenen Scharfblid , Des Grafen Liebe errathen. Sie
war fein pflichtwergefjenes Weib, wenn fte auch ihrem
Gatten die Sand nicht aus Liebe gereichtohatte, ſo
wollte fie doch das Gelübde der Treue nicht verlegen
und der fügen Lockung widerfiehen. Wohl jehmeichelte
des Grafen Huldigung ihrer Eitelfeit, aber fie glaubte
ſich ftarf genug, jede Herzensregung zu überivachen.
Bald jedoch flößten feine glühenden Blicke das ſüße
Gift auch ihrer Seele ein; fie verſäumte es, Die fei-
wende Keidenfchaft zu zügeln, und als fie es wollte,
war ed zu fpät! — Graf Ludwig von Pfullendorf
Hatte nicht viel Sinn für Die Freuden der. Häuslich-
feit, eine Bärenjagd hatte für ihn mehr Reiz, als das
337
zarte Kofen der Liebe. Erft wollte er den Gaft auch
mit in feine Wälder nehmen, da diefer aber feine be-
fondere Luft bezeugte, zog er allein unter fröhlichen
Hörnerflang und Hundegebell feined Weges. Er liebte
fein Weib und vertraute ihr unbedingt — glüdliche Blind»
heit !
Eine Zeit voll Wonne und Weh war nun über
Iſabella gekommen. ; Die Leidenfchaft war in ihrem
Kerzen zum Drfane gewachſen, und ihrer Seele half
ihr Kämpfen nichts. Otto hatte ihr feine Liebe ges
ftanden, hatte in dem Zittern der Hand, in dem ver>
rätherifchen Glanze des Auges Gegenliebe errathen, und
füße Stunden flogen an Beiden vorüber, wenn ſie in
innigem Geplauder nur ihrer Liebe dachten.
Dft aber, wenn die Gräfin Abends allein in ihrem
ftillen Gemache faß, Erallten fich ihr Die Furien der
Neue ind Herz. Sie flehte auf den Knien um Er—
barmen zum Himmel, faßte die heiligften Vorſätze,
vergoß heiße Thränen, — doch fie ſah Ihn am nächften
Morgen wieder — und liebte ihn rafender als zuvor!
Auch Graf Dito von Linzgau Mitt unter der Glut
feiner : Leidenſchaft und den Pflichten feiner Ehre.
Tropfenweife hatte fich das brennende Gift in Die
Herzen der Beiden gegoffen, Hatte ed erfüllt mit der
Göttergabe des Abgrundes — der verbotenen Liebe!
diefem wahnftnnigen Gefühle, zufammengefeßt aus Der
Seligkeit des Himmeld und den Martern der Hölle —
einem MWahnfinn, in welchem der Kranfe bald in den
böchften Wonnen jchwelgt , bald auf der Folterbanf
22
338
der Qualen ächzt. Iſabella's Tugend verfuchte einen
legten Kampf. Sie hatte viel getan, was fie zu
bereuen hatte, nichts, was die Neue abfchnitte. Sie
bat den Grafen Otto, um feiner Liebe willen, ihr
Haus zu verlaffen, ihre Ruhe zu fchonen, und er ge=
borchte ihrer Bitte, und ſchied mit. blutendem Herzen
von dem Schauplake feiner Luft und Dual.
Das Herz kann Den Bruch. einer fehuldlofen, er—
laubten Neigung überleben, Die Narbe bleibt, aber die
Munde heilt: die Liebe jedoch, welche: ein Kind ver
Schuld iſt, gräbt fich mit Any SET [Ben Zügen in's
Herz ein.
Sfabella gab ich redliche Mühe, — * Schmerz *
Trennung von Otto zu bewältigen, ihre Pflichten treu
zu erfüllen, ihrem Gatten ein liebes Weib zu ſehn;
Niemand ahnte, was ſie litt, und ſie erſchlen wenigſtens
äußerlich ruhig und gefaßt, obwohl die Sehnſucht nach
dem Geliebten, der Schmerz um ein unerreichbar Glück,
ihr wie ein Krebsſchaden an der Seele nagte.
Einige Monate waren vergangen. Der Öraf von Rinz-
gau hatte vergebens jede Zerftreuung gefucht; feine alten
färmenden Freunde und deren Zechgelage Tprachen ihn
nicht mehr an, Jagd und Waffenfpiel Hatte jeden Weiz
verloren, und. in trübem Sinnen verfenft, verlebte er
traurige Tage. JIſabella's Bild thronte auf Dem Altare
feines Herzens, und wie all das, was unerreichbar
ift, im unfern Augen auch unfehäßbar wird, jo *
er ſie mit einer unverdienten Glorie.
Otto hatte — die Stimme des Gereiffeng‘ eine
/ 339
geſchlaͤfert; er fehnte fich nach dem Befige der Ge—
liebten und: war entfchloffen , fein Opfer zu ann,
Das ihn zu Diefem Ziele führen konnte.
» Eines Tages wurde ihm die Kunde, der Graf von
Pfullendorf fey auf längere Zeit von Haufe abwefend,
und Otto beſchloß, die Friſt zu nützen. Er wollte
zu Iſabella veilen, fie zur Flucht bereden, zur Beruhi—
gung ihrer Zweifel, ſich von dem Burgkaplan, welcher
ſein Werkzeug war, mit ihr trauen laſſen und dann
in ihren Armen ein glücklich Leben führen. Mit der
Ungeduld der Leidenſchaft flog er nach Pfullendorf
und ließ ſich der Gräfin melden. Mit glühenden
Wangen und hochklopfendem Herzen trat Iſabella ihm
entgegen. Er ſank vor ihr nieder, flüſterte mit all
der Beredtſamkeit der Leidenſchaft ihr ſeine Liebe zu,
malte ihr das Glück, das ſie erwarte, und bat ſie,
ſich ihm anzuvertrauen. Er verſtand es ſo gut, ſie
zu beruhigen, hatte er doch in ihrem Herzen ſeinen
eifrigſten Verbündeten. Mit einem Male ſchien ihre,
Angſt zu ſchwinden, es war ihr, als könnte ſie nie
zagen, jo lange ſie an dieſem Herzen ruhte, und waͤh—
rend ſie auf feine glühenden Worte lauſchte und: ihr
Auge im jenem zu leſen fuchte, das fie ſo zärtlich
anblickte, ging in ihrer Seele eine. neue Sonne aufs
ſſe fühlte feine Reue, feinen Zweifel mehr, der wilde
Sturm im Innern batte fich gelegt, — mas kümmerte
ſie die Zufunft, wenn die Gegenwart fo unausſprechlich
— war!
“Inder folgenden. Nacht entführte - der Öraf von
340
Pinzgau feines Freundes Weit. Dem SHausgeiftlichen
hatte er nicht gefagt, daß feine Braut die angetrante
Gattin eines Andern fey, und Diefer fegnete in finfterer
Mitternacht bei matten Kerzenfchein die unfelige Ber:
bindung. Iſabella's Seele fehien in narfotifcher Ber
täubung zu liegen: fein Gewiſſensvorwurf ftachelte fie:
— fie rubte am Herzen des geliebten Mannes, und
dort wähnte fie im Abgrunde der Hölle ku) glücklich
zu ſeyn!
Aber die ewige Gerechtigkeit läßt keine Uebertretung
ihrer Gebote ungeftraft, und das Glück Der Sünder
ift von furzer Dauer. Ä
MWährend die pflichtvergeffene Gattin in den Armen
Otto's ruhte, kehrte der Graf von Pfullendorf in die
Heimath zurück und erfuhr dort feines Weibes Flucht.
Voll edlem Zorne wandte er fich an den frommen
Bifchof Gebhard von Gonftanz und bat ihn um Bei:
ftand in feinem .berben Web. Der Name Des Ber:
führer Fonnte dem Bfullendorfer fein Geheimniß
bleiben, und er gelobte fich blutige Rache.
Der Kirchenfürft ließ den Grafen von Linzgau aufs
fordern, Die Entführte ihrem rechtmäßigen Gatten zus
rücfzugeben und für die ſchwere Sünde Buße zu wirfen.
Dtto verweigerte den Gehorſam, und nun ward mit
ergreifender Peierlichkeit der Kirchenbann über ihn aus⸗
geſprochen.
Nirgends war nun für den Unglücklichen mehr Ruhe
und Sicherheit. Wenn er ſich aus ſeinem Schloſſe
wagte, drohte ihm der Tod durch die Mannen des
341
fehmwergefränften Grafen, in den Armen der Geliebten
verfolgte ihn der Bannftrahl, welcher ihn ausſchloß
von der Gemeinde der Oläubigen und der ewigen
Seligkeit. — Tag für Tag frallte fi) das Gefpenft
der Angft tiefer in feine Seele, felbft Iſabella's Liebe
Eonnte es nicht mehr werfcheuchen. Im folchem Ge—
müthazuftand verlebte der Unglücliche viele Monden
lang, wie ein VBerbannter auf einer Feljenflippe. Kaum
daß er alle Wochen einmal aus feinem Gemach here
vorging und mur auf den Balkon feines Schlofjes
trat, um Gottes freie frifche Luft und die fchöne Natur
zu genießen. Doch wandelte ihm einmal die Luft an,
die er in früherer glücklicher Zeit oft genoffen hatte,
und Die ihm oft mehr Vergnügen gemacht, ald die
Jagd in den nahen Wäldern — die Luft, auf den
Wellen des See's fih zu erfrifchen. Keinen Schritt
vor feiner. Burg war er ficher vor der Verfolgung
feiner Feinde, Die wie ein Neb feinen Wohnfig um—
gaben — auf den Wellen des See's, fo däuchte ihm,
war er ficher vor ihnen. Raſch ftieg er, ald «8
dunfelte, die Wendeltreppe hinab, welche zu einem
Ausgangspförtlein führte, 6i8 zu dem faft die Wellen
des Sees reichten. Dort war an eifernem Riegel ein
Nachen angebunden, auf dem er in früheren Tagen
fi oft allein auf den Wellen des See's zu erluftigen
pflegte. In den flieg er hinein, ergriff das Ruder,
fuhr bis weit in den See hinein, und fehrte nach
Eurzen Ausbleiben wieder in das Schloß zurück. Nies
mand ſah ihn ab» und zurückfahren, und er wieder
342
holte Diefe Fahrt bald wieder ‚und wieder gelang es
ihm, im Schuge der Nacht, ungefährdet in’ fein Schloß
zurückzukommen. Beim dritten Male war es eine
Unglücsfahrt. Schon bei feiner zweiten Fahrt war
er ftatt ‘gegen die Mitte des See's, hinunter gegen
die Burg Argen gefahren, und derfelben fo nahe: ges
kommen, daß er die Leuchte des Wartthurms hell
firahlen ſah. Dort hatte wohl der Wächter das
Plätſchern des Nuders vernommen: Dort hatten Die
Ritter von Hohenfels, Dienftmannen des Grafen von
Pfullendorf, ſich ein DOeffnungsrecjt “erworben, um
dem vogelfreien Grafen von Buchhorn nahe zu fegn.
Da, wo die Nach in Den See minder, Tauerte Walter
von Kohenfels jede Nacht, ſeitdem er Kunde erhalten,
mit feinen Leuten auf einem Machen. "Graf Dito
fuhr aus feiner Burg See über, aber noch war er
nicht 10 Schritte cab der Burg gefahren, da fuhr wie
ein Bliß ein Nachen auf ihn zu, mit Männern im
eifernen Kleide, und ein fehreefliches Halt! tönte Durch
Die Nacht über die Wellen des ftilfen Sees. Otto's
Nahen wurde auf. einmal von eifernen Fäuften ge—
halten, Ergid dich! fehrie Walter von Hohenfels ihn
an. Graf Dtto, der im leichten Hauskleid ohne Waffen
im Nachen faß, erwiederte das Wort mit einem Schlag
feiner Nuderftange , der fo gewaltig war, wie Die
Schläge der alten’ Fergen in der Heldenſage; aber Der
Schlag traf nur einen Knecht des Ritters, Der zu
Boden fank Walter von Hohenfels fprang auf den
Machen des Grafen, und nun begann ein fehredlicher
’
348
Ringkampf. Aber während“ ſich diebeiden Gegner
umſchlungen hielten, ſtieß der noch lebende Knecht des
Ritters dem Grafen den Dolch in die Seite. Mit dem
Rufe: Gott fer mir Sünder gnädig! endete der Graf
unter den Armen des Ritters. Der Machen mit der
blutenden Leiche des Grafen: Dito ſchwamm an Die
Burg zurück. Noch in: der Nacht fanden die: Geinen
die Leiche und brachten ſie vor die Gräfin. Iſabella
fanf ohnmächtig neben: ihr: nieder und wurde Davon
getragen, US ſie wieder zu fich kam, verlangte fie
nochmal zu dem todten Gatten gerührt zu werden, und
betrat langſam das düftere Gemach, in welchem —
irdiſche Hülle rühte.
Kein Menſch kennt die Kämpfe und Gefühle, bie
indes armen. Weibes Herzen rasten. Ein Gefühl der
Reue Über ihr verlorenes Leben erwachte mit aller
Macht, die begangene Sünde mit ihren gräßlichen
Solgen ftand klar vor ihrem geiftigen Auge und Doch
tobte in ihrer Seele noch die Leidenschaft und der
Schmerz um. den Verlorenen, und BR die Qualen
der Reue zu übertäuben.
Gottes unergründliche Barmherzigkeit aber hat noch
nie ein armes Menſchenherz verlaſſen, und als Iſabella
an dem Sarge kniete, Der ihn umſchloß, für Den fie
Alles geopfert, da ſtammelten ihre Lippen faſt unwill—
kührlich: „O heilige Jungfrau Maria Hilf mir armen
Süuͤnderin!“ Der Schmerz ſchien feine Kraft vor dieſem
ſüßen Namen verloren zu haben, die Thränen der
Verirrten floſſen lange, und als fe ſich endlich erhob,
+
—
344
hatte jle Frieden gefunden im eigenen Herzen; Gnade
vor dem Ewigen.
Noch in der gleichen Nacht verließ ſie ſtill und
ungeſehen die Burg, um in einem fernen Kloſter Buße
zu thun über. ihrer Sünden Menge. |
Graf Dtto von Linzgau wurde mit all ſeinem
Stande gebührenden Ehren in dem von ſeiner frommen
Mutter Bertha geſtifteten Kloſter Hofen an der Seite
ſeiner Eltern beigeſetzt. Nicht lange aber war es ihm
gegönnt, in Frieden Dort zu ruhen; er war unver—
jöhnt mit der Kirche, im Banne geftorben, und jo ges
bührte Die heilige Stätte ihm nicht.
Der Bischof von Conſtanz gab den Befehl, die Leiche
wieder auszugraben und in ungeweihter Erde beizu—
fegen. Im wilden Taumel der Leidenfchaft hatte Otto
die Gebote feiner Kirche mit Füßen getreten, fte fonnte
ihm deshalb ihre Segnungen aud) im Tode nicht ge⸗
währen.
Der Graf Ludwig von Pfullendorf ftarb bald nach
der fehmerzlichen Geſchichte, Die fein Lebensglück jäh
zerftörte und ihm den Glauben an die Menfchheit ges
raubt hatte. Iſabella aber lebte noch lange Jahre in
firenger Buße: ihr einzig Flehen war um Gnade für
Dtto’8 arme Seele und um Verzeihung für Die eigene
jchwere Schulb.
Als endlich ihre Auge im Tode brach, ftammelten
die Lippen noch hörbar: O du Lamm Gottes, das
der Welt Sünde trug, erbarme dich meiner !
349
Stift Comburg und Einkorn
bei Sall.
Auf einem freien, aus dem Kocherthal fich erheben-
den mäßig hohen Bergkegel Tiegt das ehemalige Ritter-
ſtift Comburg , früher Kamberg genannt, und bietet
nit feinen uralten feften Ringmauern, feinen hohen
Thürmen, mit feinen malerifchen Baumgrupben, Allen
und fruchtbaren Bergfeiten, einen ungemein freundlichen
Anblid. Im Jahr 1802 kam Comburg mit feinem
Gebiet unter wirtemberg’fche Hoheit und wurde als—
bald aufgehoben. Nach feiner Säcularifation war
Comburg einige Zeit Nefidenz des Prinzen Paul von
Mirtemberg und feiner Gemahlin, die ihm hier im
Jahr 1808 den durchlauchtigften Prinzen Friedrich
geboren. Zu Ende des Jahre 1816 wurde Das
k. Ehren-Invaliven- Korps hieher verlegt. In 12 Ges
bäuden iſt daffelbe untergebracht. Die Wohnung des
Commandanten ift außerhalb der Ningmaner.
Auf dem Berge, auf welchem Comburg fteht, ſtand
einft eine Burg, die von dem nahen Fluß Kocher deu
Namen Kocherberg, Kobenburg (nach einer Urkunde
von Jahr 1080.oppidum Cochenburg) führte, aus
welchem Namen dann fpäter durch Zufammenziehung
Camberg, Comburg geworden, Auf diefer Burg ſaß
346
vielleicht jchon im 10. Jahrhundert eines der ebelften
- Grafengefihlechter im Frankenlande, das mit den Grafen
son Rotenburg an der Tauber ein und daffelbe ge—
wefen, und den Kocer, Mulache und Tauber» Gau
verwaltete. Der erfle dieſes Gefchlechtes, welcher ur—
fundlich genannt wird, ift Graf Burkhard von Comburg,
welcher im Jahr 1037 als Schirmherr des Stifts
zu Debringen saufgeführt wird: » Zu feiner Sippſchaft
gehörte wahrfcheinfich jener Biſchof Gekhard IH: von
Regensburg, welcher die Stiftskirche zu Dehringen-
gründete, und deſſen Verwandte die frühere Pfarrkirche
daſelbſt als ihre künftige Grabftätte bezeichnet: ‚hatten.
Da der Stifter dieſer Kirche die Vogtei über dieſelbe
dem Grafen Burkhard übertragen, eine Auszeichnung,
womit man nur nahe Verwandte bedachte, auch Biſchof
Gebhard von den Gütern der Grafen von Rotenburg
bei der Stadt Hall, wenigſtens die Hälfte beſeſſen,
ſo iſt die Anſicht unſeres trefflichen Vaterlands-Hiſto—
rikers, Chr. Stälins, eine ſehr annehmbare, daß
Burkhard und Gebhard mit einander verwandt geweſen.
Nun war. aber : Bifchof Gebhard. sein Vatersbruder
König Heinrichs III., des Saliers, und gehörte zum
falifchen Herzogshauſe, demnach war auch Burkhard,
Graf von Comburg, ein Salier, und die Anficht des
Haller Chroniſten G. Widemanns iſt eine richtige,
wenn er ſagt, daß Graf Reichard, ein Sohn Burf
hards, won Geblüt der Herzoge von Franken gewefen.
Ein Sohn Burkhards, deſſelben Namens, ft Der
Gründer des Stifts Comlburg „geworden. ' Die Ges
347
ſchichte dieſer Gründung: fo wie ihrer der erften Zeit
des Stifts, iſt fo reich an Sagen, und ſo naiv er-
zählt: von dem genannten «Georg Widemann, ESyndi⸗
cus zu Comburg ums Jahr 1553, daß wir vielleicht
den Leſern Diefer Blätter einen Gefallen erweifen, wenn
wir Die Chronik (nad) der alten Hoſch. im Jahr 1855
Herausgegeben von Ottmar Schönhuth) in *
alten ehrlichen Tone ſelbſt reden Tafjen.
Es iſt geweſen ein Graf von Rotenburg an *
Tauber, vom Geblüt Der Herzoge von: Franken, Nee
chardt genannt, deſſen Wappen war ein güldener Lö—
wenfopf mit einen güldenen «Sparren im Maul, im
blauen Feld, und eine Taube mit’ ausgebreiteten Flü—
geln auf dem Helm. Gedachter Graf’ hat ‘gehabt zween
Brüder mit Namen Einhardt und Rüger! Einhardt
hatte kein Kind noch Weib, ver baute in den zwei
Dirfern als’ Reinwolſperg und Ihüngenthal, To Dazu
nal ihm gehört haben, zwo Kirchen anno 1025, und
machte zwo Pfarre Daraus. Dan ’fagt auch, Daß dieſer
Einhardt das Bethaus zu Würzburg, nun dad neue
Münfter genannt, da St. Kilian, Colonat und Totnant
ruhen, gebaut habe. Graf Nüger aber hat gezeugt
zween Söhn, als Albertum und Rügern. Dieſer
Rüger hat durch einen Wechfel das Schloß Comburg,
dazumal Cohenburg genannt, welches durch Abfterben
des Letzten dieſes Geſchlechts Comburg dem Biſchof
von Augsburg als Lehenherrn heimgefallen, überkommen.
Und hat dies Schloß Comburg Graf Rüger wie ein
Staͤdtlein erweitert, darin ſein Hofhaltung gehabt, und
348
bat nach feinem Tod vier Söhne verlaffen, ala Eins
bardt den Bifchof von Würzburg, Burkhard, Rügern
und Heinrichen, und glaub’ ich, Daß dieſe zween
Grafen Rüger und Heinrich auch einen Theil an der
Graffchaft des Kochergaues gehabt haben. Graf Eine
bardt wurde ©eiftlicher, die andern drei aber hielten
wie die Sunggefellen Haus zu Comburg, dahin and
umliegenden Schlöffern von Edeln und Reitern ein
tägliches Aufreiten war, alfo daß Comburg einem
Reiter- oder Raubhaus gleicher fah, denn einem
Grafenhof.
Nun war beim Schloß Comburg eine Capelle in
der Ehre Gottes und St. Bartholomäi gebaut, iſt
unſer Frauen Kapelle derzeit beim Kreutzgang genannt,
dem Falle dräuend gelegen; bei dieſer Kapelle ſtund
ein großer Eichbaum, unter welchem bemeldete Grafen
und deren Hofgeſinde Sommerszeit pflegten zu ſitzen
und zu ruhen. Zu einer Zeit, als gedachter Graf
Burkhardt darunter ruhete und ſchlief, hatte es ihn
gedünkt, als ſehe er ein Klofter anſtatt des Schloſſes
Comburg ſtehen, und Einen in biſchöflichen Kleidern,
eine Ruthen in feiner Hand habend, ſolches Kloſter
damit theilend, und auf dem Berg gegenüberliegend,
hie vor Klein-Comburg, jetzt zu St. Gülgen genannt,
ſitzend. Solches Geſichts Graf Burkhardt ſich, als er
erwachte, verwunderte, ſeinem Bruder Graf Rügern es an—
zeigt und treulich dem nachgedacht, und es beherziget
hat. Es wohnete ein andächtig Weib unten am Berg
Kohenburg, nun Steinbach genannt, welche täglich
349
dieſe Bartholomäi- Kapelle befuchte, Die zeigt dem Grafen
an, Daß an dem Tag, als der Graf ermelder Geficht
gefeben im Schlaf, jie auch folckes, als fie in der
Kapelle an ihrem Gebet andächtig lag, machend ge-
feben Habe. Es follen auch die im Dorf Heffenthal
in der Chriftnacht ein großes Getön großer Glocken
gehört haben, davon fie erwacht, aufgeftanden feyen,
und in ihre Pfarrkirche gen Steinbach zur Chriftmette
gehen wollen. Als fie zur Heſſenthaler Steig ge—
fommen, habe e3 ſie gedünft, wie fie viel brennende
Kerzen im Schloß Comburg fehen, und Chorgefang
hörten, darob fie fich verwundert und gedacht haben,
es werde Chriftmetten in obgedachter St. Bartholomäi-
Kapelle gehalten werden; haben derhalben am Schloß
Comburg angeklopft, und zur Chriftinetten in gemeldete
Kapelle eingelaffen zu werden begehret. Da haben
Ale ohne die Wächter im Schloß gefchlafen, und
nichts hiervon gewußt. Als folch Geficht deren zu
Heſſenthal lautbrecht ift worden, haben etlich zu Stein—
bach gefagt, fie haben folches in der Chrifinacht zu
Comburg auch gefehen und gehört; Etlich aber haben
ein Gefpött daraus gemacht.
Auf eine Zeit ift ein Graf des Kochengaues, zu
Weſtheim mwohnend, mit gedachtem Graf Burfhardten
gen Comburg geritten, und als er zum Berg Com—
burg kam, Hat er feinen Hut abgezogen, fich gegen
den Berg geneigt auf dem Pferd; als aber Graf
Burkhardt feinen Freund, den Grafen des Kochengaueß,
warum er fich gegen den Berg neige, fragte, fol er
350
geantwortet haben: die göttliche, Kraft verleihe, daß
du Dich nicht vergebens geneigt habeſt =.
Bolgendes bat fich begeben am heiligen Pfingſttag,
als die drei Brüder, Graf Burkhardt, Heinrich und
Rüger, in St. Vartholomni Kapelle zu Comburg Meſſe
hörten, welche die Brüder St. Benedieter⸗-Ordens zu
St. Jacob zu Hall hielten, wie fie Dem. Geſang:
„Komm heiliger Geiſt mit deiner Gnaden,“ bis auf
den Vers ſangen: „ertheil uns deine Salbung“ —
Da find. die Brüder zu weinen bewegt aus der Kapelle
gangen, Graf: Burfhardts -Gefichts , das er mie. obge—
meldet, im Schlaf unter der. Eichen gehabt, > erinnert,
in Emma einander zu verftehen gegeben, ihr Gemüt)
und einſtimmiger Wille ſey, Das Schloß, und ‚Städt-
fein zu zerbrechen, und sein Kloſter an die Statt zu
bauen. : Wiewohl von Diefer Zeit an Die drei Grafen
gedachten, wies angeregter ihr Wille fürderlich vollbracht
möchte werden, jedoch, weil dazumal Kaiſer Heinrich IV.
im andern Jahr feines Reichs einen Heerzug umd
Krieg gegen Sachjenland führte‘, : welchem ‚die zwei
Grafen, Heinrich und Rüger, als des. römifchen Reichs
Lehensmänner, zu ſolchem Zug eigner Perſon mußten
reifen, wurd es eingeſtellt. Als aber ſolcher Zug in
Sachſen vollendet, Die Grafen wieder heinigefommten
waren, hätte mittlerer Zeit Graf Burkhardt etliche
andächtige Brüder aus: St. Jacobskloſter zu Hall zu
ſich genommen, fo. in oftgedachter Bartholomäi-Kapelle
die Sieben Zeiten hielten und in —* Burkhardts Be
hauſung wohnten.» Dergeftalten das Reitergeſinde,
351
welches Graf. Rüger dazumal zu Comburg bei ſich
hatte, Graf Burfhardts Brüder Gebet verjpottete und
verachtete die Mönche, dadurch Umeinigfeit unter beder
"Brüder Hofgefinde entftand, und der. Grafen —
das Kloſter zu bauen, verhindert wurde.
Als aber Graf Burkhardt und Rüger ſich vereinet,
daß Graf Rüger mit etlichen ſeiner Diener gen Rom
zog, ſich etliche Zeit in Italien aufgehalten, und mitt
lerweilen auch Graf Burkhardt das Schlog und Städte
fein Comburg abgebrochen, darauf Graf Rüger ver-
ritten, hat man ein Kloſter Daraus 'gebauet. Dem—
nach hat Graf Burkhardt auf einen Tag alle fein
und feines Bruders Nügers gebliebenes Sofgefinde zu
fich berufen, ihnen feinen und feiner Brüder Willen
entdeckt, daß fie Willen! wären, aus dem Schloß
Comburg ein Klofter zu bauen, und hätten fie zu
erachten; dag Mönche und Reiter nicht taugten bei—
einander zu wohnen, wolle ſie hiemit deßwegen beur-
lauben, was Lohns fie verdient haben, ihnen auch
geben, mit einem Zehrpfennig für ihren Abzug, follten
fomit hinziehen und ihnen andere Herren fuchen. Uber
Graf Rügers KHofgefinde wurde folcher Nede reufchig,
ſagend, fie wären Graf NRügers und nicht fein Graf
Burfhardt3 Diener, deſſen Zukunft: wollten fie er—
warten: gab er ihnen Urlaub, mußten ſie wohl fort
ziehen. Alfo ift Graf Burkhard von ihnen gegangen
und hat fich bedacht, wie er Graf Rügers Hofgeſindes
möchte los werden. Als am 26. Mat nach dem
Morgeneſſen Graf Rügers und Burkhardts übrig Hof
352
aefinde zum Theil vor dem Thor des Schloſſes Com—⸗
burg jahen und fchwagten, hat Graf Burkhardt etlich
feiner. geheimften Diener zu jich berufen und die Borten
des Schlofjes und Vorhofs Comburg beichloffen, dem Hof⸗
gejinde ihre Fahrniß und Kleider von oben vom Thurm
der Vorten berabgeworfen und geſchrieen: fie follen jich
eilends padfen oder er wolle mit Steinen zu ihnen
werfen. Da fie aber verbarret, hat Graf Burkhardt
mit Steinen zu ihnen geworfen. Als nun das Sof
geſind feinen Ernft geipürt, fein fie mit viel Schelt-
und Schmäbworten von dannen zogen. Alsbald bat
Graf Burkhardt alle Gebäu des Stättleins und Bor:
hofs Comburg, das zur Wohnung der Mönch nit
dienftlich, abbrechen laſſen. Alſo bat Graf Burkhardt
den 25. Mai Anno 1070 angebebt zu bauen, umd
den erfien Stein an das Klofter Comburg und Das
Münfter, wie es noch ftebt, gelegt, fanımt dem Schlaf
baus und Refentbal und Creuzgang, ausgenommen Pie
drei jteinen Thürn, jo nit über 10 Elfen hoch, mit
großer Müh und Koften geführt, bis Anno 1082,
das ift nach 12 Jahr vollendet und ausgebaut worden.
Als nach vollendetem Bau Graf Rüger wieder beim
fam, das Schloß Comburg abbrochen und allda ein .
Klofter mit einem ſchönen Münfter gebaut erfahe, ward
er fehr erfreut; und ift alfo Anno 1082 an Et.
Thomastag den 21. Decembris das Münfter zu Com
bnurg Durch Albertum, würgburgifchen Bifchof, im Na
men der heiligen untheilbaren Dreifaltigkeit, Ehre des
Heiligen Kreuzes, Mariä Gottes Gebärerin, St. Nicola
393
und aller Heiligkn geweiht worden. Dieſer Weihung fein
zugegen geweſen Burfhardt, Seinrich und Rüger, die
Grafen von Rotenburg, Gebrüder , mit Graf Heinrichs
Gemahl, Geba genannt, und vielandere Örafen und Edeln:
Da Abt und Eonvent zu Comburg ihres Gefallens
Macht und Gewalt hatten, Vögt oder Schirmberren
zu nehmen, ſo finden wir Graf Seinrichen, Graf Burf-
hards von Rotenburg Bruder, diefes Klofters erften Schirm=
herren, nach welcher Abjterben ift Graf Engelhard von
2obenhaufen, nach diefem ein Bischof von Mainz wor—
den, und Anno 1106 Einer, Herzog Friedrich genannt,
ob er aber eim Herzog in Franken oder Schwaben ge=
weft, ift nit gewiß. Es ift nach und nach unter vers
ſchiedener Herren Schug Ffommen, einmal auch unter
den Schirm der Grafen von Hohenlohe und eines
Grafen von Wirtemberg ‚' der das Klofter von einem
neuen ungewöhnlichen. Zoll, "welchen ein. Serr zu
Limpurg in der Haalfteig fürgenonmen, entlediget hat;
item: untern Schirm der Stadt Hall, zulegt iſt dieſer
Schirm als ein Afterlehen an Die Herren zu Limpurg
erwachſen. — Folgends, als die Zahl der Brüder zu
Eomburg zugenommen ‚ ift ſolch Klofter zu Unters
haltung derſelben von andächtigen Perſonen reichlich
begabt : worden, als von Pfalzgraf Heinrichen und
feinem’ Gemahl, Frau Adelgeid, von Herrn Albrecht
von Bielrieth, Rittern, jo mit fenent Bruder abge—
theilt, den Kalbtheil feines Schloſſes Bielrieth am Tluß
Bühler, ob Cröffelbach gelegen, dem Schloß Comb
gegeben, und ein Mönch daſelbſt worden iſt. Heinri
23
394
von Mulfingen und Herr Heinrich? Erzprieſter “zu
Mürzburg, ſammt zween ſeiner Brüder von Altdorf, die
Winthar und Rihilo genannt; item: Einer Sigiboth
genannt, mit ſeiner Mutter, Egesbert von Heſſenthal,
Gutta von Bockſperg und viel Andere, die haben alle
ihr Steur und Nugung an das Klofter geben.
Bon den oftgenannten drei Grafen von Rotenburg,
Gebrüdern, iſt Graf Einhardt der ältefte und Biſchof
zu Würzburg geweßt, allda er ruhet. Graf Rüger
nahm ihm für, gen Serufalem zu reiſen, in welcher
Reis er ift verſchieden; wo er aber. begrabeng-ift nit
fundbar worden. Graf Burkhardt iſt ein Laienbruder
des Convents, genannt zu Comburg, worden); und
als er daſelbs etlich Jahr gehorſamlich unter der Regel
St: Benedikti gelebt, iſt er dem 2. Septembris ver⸗
ſchieden und daſelbſt begraben worden.
Dieſer Zeit iſt ein reicher Edelmann zu Moingg ge⸗
feffen, Etliche wollen, er ſei ein Herr geweßt, Wignand
genannt, der hat feine Wohnung: zu Kaſtell, wor
Mainz: über liegend, «gehabt, welcher ein ehelich Weib,
Adelheid genannt, hatte; Die, fromm, gerecht, aufrecht,
redlich gewefen: » Diefer, Mann Hatte zu Mainz einem
alten: jteinernen Hof oder Behaufung, dem Fall dräuend,
den: ließ 'er abbrechen, und fund im ſolchem Gemäuer
einen. nabmbaftigen Schatz verborgen. Dieweil num
Wignand ein Mann guts Gewiſſens nit wußte, wer
den Schab dahin“ verborgen, wem er gehöret, oder
wohin er gewendet werden follt, hat er nach langen
— ‚von. Der neuen Stiftung des: Kloſters
399
- Somburg, und daß drei ſteinern Thürn am Münfter
dafelbft angefangen, aber durch Abſterben Graf Burk—
hardts, des Klofters fürnehmften Stifters, und Mangel des
Koftens nit ausgebaut worden ſeyen, gehört: zudem,
DaB Graf Heinrich nach dem Traume feines Bruders
aufın Berg vor Comburg überliegend, dazumal Kleins
Comburg zu ©. Gilgen genannt, gein Frauenklofter °
zu bauen fürgenommen; weldyes Wignand und fein
Weib bewegt, daß ſie beede mit dem gefundnen Schatz
gen Comburg Sich gefügt und begeben haben. Als
nun die fürgenommen Gebäu und Stiftung zu Kleine
und Großen-Comburg ihnen gefallen, haben fie den
gefundnen Echag mit all ihrem: Haab und Gut, das
fie zu Mainz, Eaftell und fonften gehabt, zu voll—
bringen: beeder Klöfter Gebäu, und daß die Brüder
und Schwefter allda wohnende, ihre Wohnung als beſſer
haben möchten, gewendet. Anno 1108 feyn die fchönen
ausgehauen fandfteinern Ihürn zu Comburg und das
Srauen-Klofter dabei zu St. Gilgen genannt, wie noch
zunv Theil vor Augen iſt, darzu obgedachter Graf
Heinrich von Rotenburg auch fein Hülf und Steuer
geben, durch Wignand vollendet worden. Diefer Mignand
ift ein Mönch zu Comburg, und feine Frau Adelheid
eine Kloflerfrau zu St. Gilgen worden: | Kerr Wig—
nand ſtarb am andern Tag nad) Martini, liegt zu
Comburg ‚begraben ; an welchem Tag: noch jährlich
fein Gedächtniß gefeiert wird; aber ‚feine Hausfrau iſt
zu: &t. Oilgen begraben.‘ Graf Heinrich von Roten—
Burg ift, als Etliche wollen, vor feinem End regieren—
356
der. Kerr im Sranfen worden; er flarb den 18. Febr.
und Tiegt zu Comburg ‚begraben. Deſſen Hausfrau
aber foll nach feinem Tod eine Klofterfran zu St.
Gilgen worden ſeyn, allda fie auch begraben liegt.
Das Flöfterlich Leben zu. St. Gilgen hat erſtlich
gepflanzt Schwefter Agnes aus Gallien, welche Graf
"Heinrich von wegen. ihres Elöfterlichen Reben: von Barid
zu St. Gilgen gebracht, zu einer Briorin verordnet,
Daß fie Die andern Klofterfrauen darin nach Regeln
St. Scholaftifa, der Schwefter St. Benedicti, zu leben
unterweifen: bat follen: |
Anno 1088 hat eine edle Wittfrau, Mechtild Meer⸗
woltin genannt, ſo im Schloß zu Stein, zwiſchen
Künzelsau und Ingelfingen am Fluß Kocher gelegen,
gewohnt, zu ſolchem Schloß ein Felſen, darunter eine
ſelbſtgewachſen ſteinern Hülen iſt, eine Kirche in der
Ehre Gottes und St. Martini gebaut, und folche
Kirche mit dem Schloß und aller Nugung den Klofters
frauen zu ‚St. Gilgen, da fie auch. eine Kloſterfrau
worden, übergeben, verhoffend, daß mit: der Zeit andre
mehr andächtige Berfonen ihr Hülf dahin ſollten thun,
damit: Durch die Klofterfrauen zu St. Gilgen zum
Stein auch eine: Klaus oder Frauenkloſter eingerichtet:
würde, aber ihr Will ift verhindert worden. Darnach
baden ‚auch zieren Ritter von Nußbaum, Vater und:
Cohn, beede Marguardt genannt, ihr Schloß Nußbaum,
bei Grießen an der Jagst Tiegend mit aller Zugehör
und Einfommen,: den Brüdern zu Comburg, Doch daß
allweg ſolch Kirch und Wohnung, darin ſie geweſt, mit
397
einem oder zween Brüdern des Convents zu Comburg,
allda Elöfterliches Leben zu pflanzen, befeßt würde,
übergeben. Dieſe Nutzung iſt etlich Jahr in die In—
firmerei oder Spital zu Comburg genommen, verbraucht
worden, nun aber iſt es in andre Sand: kommen.“
Sp weit wörtlih aus Widemanns Comburger
Chronik; wir geben nun, ebenfalls aus dieſer Quelle,
eine kurze Öefchichte der Aebte des Klofters, ſowie der
fpäteren Bröbfte des: Stifte.
1) Hemmo der erfte Abt, ein Conventbruder aus
Lorch, war ein geiftlicher andächtiger Mann, haufete
wohl undftarb bei einen Befuch zu Lorch. 2) Adel-
ranı, unter ihm wurde St. Gilgen geftiftet , hat
ebenfalls wohl gehauſet. 3) Abt Herdwig war
unter allen Aebten zu Comburg der fürnehmſte, und
wird als der dritte Stifter geachtet, denn er hat viel
Brüder und Schweſtern zu Groß- und Klein-Comburg
verfammelt und ein gut Exempel geiſtlichen Lebens
vorgetragen, hat wohl gehaust, das, Klofler und Gar—
ten, wie die noch zum Theil stehen, mit einer Mauer
umfangen, hat geftiftet den großen übergüldeten Leuchter,
wie ein Kron ausſehend, fo ob der Stifter Sarg
hängt; item: zwei übergüldete Tafeln, ‚die Bildnis
Chriſti, jüngften Gerichts, und 12 Boten-in Die eine,
welche zu St. Gilgen auf dem vorderen: Altar fteht,
‚geftochen, aber die andre, fo zw Comburg bornen am
Hohen Altar steht, ift viel. größer — deren: Bild find
außgetrieben,, und mit viel gefaßten Edelſteinen ge—
ſchmückt; item: ein gülden Kreuz, einer: Ellen hoch,
3383
vier Singer breit, auch mit vielen eingefagten edlen
Steinen, Darunter der fürnehmfte in der Mitten, ein
Gamahu, in Größe einer Junghennen Ei, die Bildniß
eines Mohrenangeficht3 und Bruſt habend; und hat
das Alles zu Gnad des Münſters zu Comburg ges
geben und ewiglich allda zu bleiben verordnet. Abt
Herdivig liegt unter dem güldenen: Leuchter neben den
Fundatoren begraben. 4) Abt Adelbert hat Et.
Sofen Capelle und den Spital zu Comburg gefiftet.
5) Bernold wurde zu einem. Abt nach: Fulda be=
rufen; führte ein gar geiftlich: Leben. 7 1158.16)
Engelhard Leo, liegt zu St. Jakob in Hall be—
graben. 7) Wernher, unter ihm wurden die Ge—
beine der Stifter, Graf Burkhardts, Graf Heinrichs,
Herrn Wignands und Abt Herdwigs ausgegraben, und
in feinen ſteinernen Sarg gelegt. 8) Rüdinger,
ein Sulmeinjtr aus Sall, bat wohl. gehaust. 9)
Volkhard, liegt in der Probfter Nußbaum begraben.
10) Walther tr 1213, liegt in Murrhardt begraben.
14) Eonradrder Alt, wich wegen feines Alters
von der Abtei, an feine Stelle trat Conrad bon
Entfee Unter dieſem wurde das Statut gemacht,
daß Keiner, er jey Denn von Dater und Mutter: edel,
zu Comburg zum Conventual follt angenommen‘ wers
den, denn zuvor wurden Edle und Unedle aufgenoms
men; aus Diefem Statut iſt aber erwachſen, daß Die
Eonventualen im Chor Mönche, im Feld: aber Ritter
wollten ſeyn, führten auch Panzer unter den Kutten,
und entflunden dem Klofter Daraus allerlei Abgäng
-
359
und Anlaufens. 13) Eberhard Philipp von El—
tersbofen F 1230. 14) Emerih von Beben-
burg... 15) Seinrih von Scheffau T 1241.
16) Berchtold von Michelfeld, nach Andern von
SHobenftein. 17) Siegfried von Morftein,
welcher viele Güter zum Klojter erfaufte. 18) Hein-
rich von Bregingen. 19) Berniger, Etliche
“aber "wollen, Burkhard Sulmeinfter, liegt zu
Murrbard. 20) Conrad von AnhaufenT 1273.
29 Wolfram von Bielrieth, mit dem die Halbe
Burg Bielrieth an Comburg kam; "auch wurden zu
feiner Zeit die vier Pfarren Thüngenthal, Gebfattel,
Steinbach und Künzelsau dem Klofter inforporirt.
22) Conrad von Münkheim regierte 41 Jahre;
er geriet mit denen "von Hall in Fehde, zog ſelbſt
den Banzer an, wurde aber ſchwer verwundet und
von den’ Dalleın gefangen; nur durch Verwendung
des Biſchofs Matthias von Mainz kam er, wieder in
Breibeit. Auch von den Schenken von: Limpurg und
dem Graf von Hohenlohe ward er angefochten und
7 1365. 23) Heinrich Sieder, der den nun
folgenden Abt zuvor verdrängt hatte. 24) Rudolf
von Gundelshoven folgte dem vorigen, © welchen
er zuerft hatte weichen müſſen; er war ein frommer
‚geiftlicher Mann und hatte ‚viel Widerwärtigfeit und
Gewalt: von feinen Nachbarn zu leiden. 25) Er—
finger Feldner + im Jahr 1399. Als später
(1549) fein Grab zu Comburg geöffnet wurde, fand
‚man ‚ihn in einen hölzernen Sarg noch unverwest
360
liegen. . 26) Ernfried von Vellberg, unter ihn
ftifteten Die, von Hohenſtein die Et. Micheld= Kapelle,
er: 71421: 27) Gottfried von: Stetten;-unter
ibm befehdete Einer von Bemberg das Klofter, au
‚ging der Städte Srieg an, und wurden des Kloſters
Hinterfaßen mit Brand, Schwerdt_und Raub Schwere
lich angegriffen.» Zu Beſchützung derſelben ward; er
gezwungen, Reiterei zu treiben, führet ſeinen Harniſch
und Spieß, æ1451. 28) Ernfried der ander des
Namens von Vellberg, hat! die Kaiferfiube vollendet,
die fein Norgänger angefangen ; er: hat im Jahr 1468
den steinernen Sarg zu Comburg, darin der Stifter
Gebeine in drei ledernen Säcken lagen, eröffnen, und
nach genommener Einficht wieder verfchließen laſſen.
29) Endres von Triffihbaufen FT 1485. 30)
Hildebrand von Crailsheim; wider. den feßten
ſich feine: Gonventbrüder , weil er darwider war, Daß
man aus der Kutten wollte Us er nah Würzburg
309 und wieder heimkehrte, da wollten fie ihn nicht
mehr: zu Comburg einlaſſen; er zog nun gen Hall in
feines Vettern Hans von Morftein Haus, und ſtarb
im Jahr 1488 vor Bekümmerniß. 31) Seifried
von Holz fonnte nicht verhindern, wa8 feinem Vor—
fahr zuwider ‚gemejen ‚war: der langgehegte Wunfch
der Mönche, das Klofter in ein weltliches Chorberrn-
oder Nitterflift zu verwandeln, ging im: Erfüllung.
In den alten Zeiten. beftand der Convent aus einem
Abt, einem Prior, einem Kämmerer, einem antor
und 10. bis 12 Mönchen; nun: wurde das Klofter
361
ein: Stift, das unter einem: Probft einen Tefan , einen
Scholaſter, einen Bantor, einen Cuſtos und 10 Dom-
herren haben ſollte, die alle edlen Geſchlechts, ſo wie
zwei ſolche, die Doctoren der heil. Schrift oder der
Rechte ſeyen, und einige Chor-Vikarien haben ſollen.
Seifried von Holz war der legte Abt und erſte Probſt;
ser wählte zu feinem Coadjutor den Domherrn Beter
von Aufjeg, einen Dann hohen Verſtands und An—
ſehens, und FT im Sahr 1504. 2) Peter v. Auf
ſeß hat Helfen für 12000 fl. Güter verfaufen und
Fim Jahr 1522. 3) Marfgraf Gumpreibt von
Brandenburg wurde dritter Probft, aber er ſah fein
Rebenlang Gomburg niemals, bielt feine Hofhaltung
zu Rom, und ließ die Probſtei Durch den Dekan zu
Onolzbach einnehmen. Durch ihn iſt das Kapitel hart
‚geftraft worden. 4) Probſt Philipp, Herr zu Lim-
purg, Erbfchene und Semperfrei wollt’ mit Marfgraf
Gumprecht die Probſtei einnehmen, der aber iſt ihm
vorgangen; erft nach defien Tod ift er in die Probftei
eingefommen, er T im Jahr 1545. 5) Probſt Da-
miel Stieber hat dem Stift in feinen Nöthen viel
Guts gethan, ſonderlich, da der Kaifer mit feinem
Kriegsvolk zu Rotenburg Tag, erlangte er es, daß: fein
Kriegsvolk das Stift bejchweren follte ; aber die treu
* Heſſen haben es nicht gehalten.
Der letzte Prior und erſte Dekan zu — if
geweſen Friedrich von Büchelberg, der hat wohl
gehauſet und *1493. Der zweite Dekan war Herr
Conrad — von Schenfenftein im Jahr
362
1504. Der dritte Defan Erhard: von Schaum—
burg verkaufte. für 12000 fl. Comburgifche Güter
an Hall, und F im Jahr: 1518. Kerr Heinrich
von Cöln, vierter Defan, murde vergiftet, ebenfo
ftarb der fünfte Defan Georg von Truppach, der
nur vierzehn Wochen regierte, durch Gift. Unter dem
fechsten Dekan, Craft von Rüringen, ift das Stift
Comburg, er felbft, fo wie das Kapitel in große
Schuld und Noth gefommen ; er ward im Sahr 1533
abgeſetzt. Eucharius von Fronhofen, Der fie
Gente Defan, haufete wohl, löste alfe Schulden und
Zinsgeld ab, und: verrechnete Dennoch auf 3000 fl.
Einfünfte; die Chroniften nennen: ihn deßwegen den
Dater von Comburg. Er wehrte fich nebft. dem Ca—
pitel vitterlich gegen den damaligen Probſt Schent
Philipp von Limpurg, der Den Convent außerordentlich
drückte. Auch ihm wurde Durch Eine von Steinbach
vergeben im Jahr 1536. Er wollt, fagt der Chronift,
urorirt haben — fo wäre alfo auch er einer. von Dee
nen gewefen, melche in Folge der Reformation zur
Anficht gefommen, „es ift nicht gut, Daß der Menſch
alfein ſey.“ Der achte Defan war Eytel Traufs
wein, Doktor der Nechte, Domberr zu Worms, hat
die Hälfte am Kreuzgang gebaut. Wohl Durch ihn
wurden viel juridifche Werke der Stiftsbibliothek ein=
werleibt; er T im Jahr 1536. Der neunte Defan
war Bernhard von Schwalbach,‘ ein Chorherr
aus Brüffel; er ließ alle Kirchen und Kapellen ſehr
‚abgehen, jo dag Alles baufaͤllig wurde. Vielleicht
353
durch” ihn Fam Die intereffante, niederländifche flam—
maͤndiſche, Sandjchrift, welche unter andern den Reis
neke Fuchs enthält, in die Kloſterbibliothek. Er war
ein großer Verfechter des Fatholifchen Glaubens, weßwegen
auch die Reformation in Comburg feinen Gingang fand.
‚Der zehnte Defan, Erasmus Neuftetter, genannt
Stürmer, hat, was der Borfahr beinahe einfallen ließ,
wieder neu aufgebaut, auch. Durch mancherlei neue
Bauten fich DBerdienfte um das Klofter erworben.
Beſonders aber hat er fich auch. um die Nachwelt ver—
dient gemacht, Daß er. „die Bibliothek: mit koſtbaren,
fowohl alten als neuen Sandfehriften und Büchern
sbereicherte ,, ja fogar einen Fond zur Fortſetzung Der
Bibliothek aus eigenen Mitteln geftiftet hat.
"Die Bibliothek muß früher gering und klein ges
wefen jeyn, denn die früheren ritterlichen Mönche
trieben fich mehr auf der Jagd und den Fehden herum,
‘als dag ſie den Wiffenfchaften. oblagen ; fo find wohl
wenige Bücher von den. Iebensluftigen Gonventherren
abgefchrieben oder verfaßt worden. Durch Gragmus
Neuftetter hat Comburg eine Bibliothek an Incunabeln
und Handjchriften erhalten, wie ſie nur Heidelberg
und St. Gallen anfzumeifen hatte. Der fehr gelehrte,
um: Deutfche und nordifche Literatur und Alterthums—
Funde. fo. hochverdiente F. D. Gräter, Neftor des
Gymnaſiums zu Hall, hat die reiche Comburger Bib—
lioihef vor ihrer Wanderung nach Stuttgart im Jahr
1806. befchrieben, in feinem trefflichen Werfe Bragur
7. Band. Diefer fleißigen Befchreibung zufolge, be—
364
fanden jich in der Bibliothek und find nun im Etutt-
gart im allem 150 Bände mit Handjchriften ; ‚unter
diefen 46 auf Pergament und ebenſo viele auf Bere
gament- Papier. . Unter den Pergamenten gehören. noch
den 9.,. 10. und 11. Jahrhundert ann ein Paulus
'Diaconus von den Thaten der Longobarden,: eine lat.
Kirchengefchichte,, ein Tat. Pfalter mit Gloſſen, die
Briefe des Apoſtels Paulus Tat; Scholien dazu, des
b. Bernhards Briefe: Tat, Reden und Leben des heil.
Benedikt. Außer diefen viele noch unverglichene Int. Elafe
fifer in Papierhandfchriften des 15. Jahrhunderts, als
Horaz, Terenz, Dvid, Cicero, Virgil, Tacitus von
den Sitten der Deutfchen, Blinius. Ferner Gejchichtes
iwerfe aus dem 16. Jahrh., unter andern die treffliche,
vollftändigfte Sandfchrift der Annalen des J. Aventin,
7 Voliobände lat. und 4 Poliobände deutfch. Endlich
altdentfche Kandfchriften: die 24 Aelteften von Otto
von Vaſſau, Bud) vom Schachſpiel, ind Deutfche
überfegt von Heinrich yon Berg im J. 1438, Ulrich
Schmids von Straubingen Reife nach Spanien und
Indien, die goldene Bulle u. ſ. w. Unter den felter
nen Wiegendrucfen der Comburger Bibliothek nennen
wir nur: ein C. Zacitus v. J. 1469, ein Doctrinal
v. J. 1470, Ciceros Briefe v. 3.1469, des Plinius
Briefe v. 3. 1476, Naturgefchichte v. 3. 1476, eine Tat.
Bibel v. 3. 1471, Albrechts von Eyb Margarita u.a.
Einer der fpäteren Nachfolger des Grasmus Stür— |
mer im Jahr 1614 war Herr Conrad Lud. Zobel
von Gibelftatt, ebenfalls ein großer Freund ber
365
Wiſſenſchaften, hat gleichfalls die Bibliothek: mit meh—
reren foftbaren Merken, Handfihriften und alten Dru—
fen ‚vermehrt, und. fie wahrfcheinlich "zuerft: in Ord⸗
nung gebracht; er T 1.3. 1619. Bon feinem Nache _
folger Hans Adam Truchfep von Hofingen wird
gleichfalls: gemeldet, daß er ein Miffale Romanum
mit filbernen Schildchen und Clauſuren der Stiftskirche
verehrt Habe: Dieſer Dekan, der 15. in der Reihe,
fällt wohl in. die Zeiten des 30jährigen Kriegs. Als
im Jahr 1631 der ſchwediſche Obriſt Scavalygfi mit
Gewalt die evangelifche Lehre in Comburg einführen
wollte, da flohen die fämmtlichen Bewohner, und erft
ım Sahr 1634, nach der Schlacht bei Nördlingen,
fonnten die Stiftöherren wieder ins Stift zurückkehren.
Im folgte im Amte Fauft von Stromberg, T im
Jahr 1673, Seinrih von Dften, T: 1695,
Ulrich Baron vor Öuttenberg. Unter letzte—
tem wurde Die neuerbaute Stiftskirche im J. 1717
eingeweiht, Der legte Probft und Dechant zu Com—
burg war Joh. Gottfried. Franz Lothar von: Grei—
fen£lau; diefer T im Jahr. 1803 und. überlebte
die Säcularifation des Stifts, das 732° Sahre unten
dem. Wechfel der Zeiten, bald in. Herrlichkeit: bald in
Abnahme beftanden hatte. — Wir wenden und von der
Chronik des Stifts, und betrachten nun Alles, was
noch won feiner alten Herrlichkeit zugt un
Wenige Orte unſers Vaterlandes haben: ui Reid
thum von uralten Baudenfmalen, ſo wie andern Alters
thümern aufzuweiſen, wie das ehemalige Ritterſtift
366
Comburg mit dem dabei liegenden, St. GilgensKlöfters
fein ; darum hat auch der jo thätige württembergiſche
Alterthumsverein vor allen übrigen «den: Comburger
Bandenfmalen feine Aufınerffanifert gugewendet: 0%
. Da Comburg urfprünglich aus einer Burg in ein
Klofter umgewandelt wurde, jo mußte man auch bier,
wie es bei den meiften alten Burgen der dal war,
durch: mehrere Thore in. das Innere „gelangen. Die
äußeren zwei Thore find, wenigftens in ‚ihrer jetzigen
Seftalt, neueren Urfprungs, das dritte, wodurch man
in den Umkreis der eigentlichen Stiftsgebäude tritt,
ift ganz einzig in feiner. Art, und ſtammt wohl Br
aus dem Anfange des 12. Jahrhunderts. | A
Zunächſt über dem Thorbogen nehmen wir einem
Bildrahmen wahr, Der: zu beiden Geiten auf Löwen—
föpfen ruht, welche, mit einem Sparten im Rachen,
das MWappenbild des Klofters ſind. Er iſt in ächtem
byzantiſchem Style, nit fogenannten verwechfelten Zahn⸗
ſchnittreihen ausgeführt. Das Frescobild in dieſem
Rahmen zeigte in; früherer Zeit auf himmelblauem
Grund einen thronenden Chriſtus und zu jeder Seite
einen knieenden Heiligen; über den Bildern waren
Bänder: mit Schrift, die man aber ſchon im Jahr
1840, da die Aufnahme geſchah, nimmer entziffern
founte, In neuefter Zeit ifto das Bild ganz und gar
übertüncht worden. : Meber dem Thorbogen zieht ſich
ein Gang’ hin mit Arkaden im Rundbogenſtyl. Der
Sockel dieſer Gallerie zeigt: ähnliche Zahnſchnittreihen,
wie die am Bildrahmen befindlichen. Zu beiden Geis
367
ten’ des Gangs erheben ſich Thürme in zwei Store
werken; der Einbau derſelben hat ſich nimmer er—
halten, deßgleichen ſind auch die Dächer erſt aus neueſter
Zeit. Die Fenſter beider Thürme, wie Die Arkaden
der Gallerie, haben alte Säulen, welche in ihren Wür—
felknäufen den Aufſatz tragen, der in der byzantiſchen
Baufunft: fo häufig einen tiefen Boygenanfänger unters
ſtützt. Zwiſchen den beiden Thürmchen befindet ſich
ein: Gebäude 15%, Fuß breit und: 31 lang, das in
früherer Zeit als Kapelle diente. Die Architectur des
ganzen Thorgebäudes, das wohl wenige ſeines Gleichen
hat, iſt in ſchönem Sandſtein ausgeführt, und zeigt
ſowohl im Ganzen, wie im Einzelnen die ſchönſten
Verhältniſſe. Schreitet man von dieſem Thore den
alten Burgweg aufwärts, ſo befindet man ſich an dem
ſogenannten Archiv. Es ift sein von allen Seiten
freiſtehendes, im Grundriß ſechseckiges Gebäude, mit
pyramidalem Dache. Durch den untern Theil führt
ein aufſteigendes halbkreisförmiges Gewölbe mit einer
Treppe zum Plateau der Kirche. Darüber befindet
ſich ein: ſechseckiger gewölbter Raum, deſſen Gewölbe—
rippen ih Spitzbogen durch. eine iin der Mitte ſtehende
Säule sunterftügt s ſind. Diefer Raum ift von einem
„unter demſelbigen Dach befindlichen Gang umgeben,
welcher durch Arkaden erhellt, wird. Letztere Haben
dieſelben Säulen mit Würfelfnäufen, wie die am Thor
befindlichen. . Die das Gebäude ‚tragende: Säule, welche
noch fo friſch erſcheint, wie wenn fte eben Dev Meipel
verlaffen: hätte, hat sein ſchönes Kapitäl,: das aber
368
fon auf den Uebergang des byzgantiichen im: dem
gothiſchen Styl dentet, wie der Tpigbogige Eingang.
Die Winde des Gebäudes Haben noch gut erhaltene,
ſchöne Frescogemälde aus dem 15. Jahrhundert. Ueber
dem auf nordöftlicher Seite flehenden Altar fehen wir
faſt in Lebensgröße den hl. Erhart, Kilian, Nikolaus
und, Erasmus; an den vier übrigen Wänden den
Matthäus, Marcus, Lukas und Johannes, fowie den
Daniel, Johannes den: Täufer, Petrus und Paulus.
Diefes Gebäude, welches wohl weit und breit das
einzige im feiner Art ift, ſoll in uralter Zeit: eine
Tauffapelle geweſen ſeyn, und wurde wegen feiner
feiten Bauart fpäterhin für das Archiv beftimmt. Etwa
40° Schritte won’ bier aus steht die leider! nimmer
alterthümliche Kloſterkirche. Nur drei Ihürme in by—
zantiſchem Styl der im vorigen Jahrhundert, ganz
im Jeſuitenſtyl, umgebauten: Kirche, ragen aus dem
Dachwerk hervor, und mahnen am die frühere Herr—
lichkeit der wohl noch im 11. Jahrhundert begonnenen
Kirche. Zwei dieſer Thütme ſtehen nebeneinander über
dem Chor, ein dritter erhebt ſich in gleichen: Höhe
über dem öſtlichen Eingang. Alles drei Thürme find
noch gut erhalten, ‚und: zeigen beſonders in den Fen—⸗
ſteröffnungen die herrlichſten Sculptürarbeiten im byganıı
tiniſchen Styl. Da auch die innere Architectur und
Dekorirung der Kirche einer neueren Zeit (dem 18.
Jahrhundert) angehört‘, ſo machen‘ wir den Beſucher
der Kirche nur auf Diejenigen Merkwürdigkeiten auf—
merffam; welche. ſowohl in Beziehumg auf Kunſt, als
369
auf Altertum einzig in ihrer Art find. Voran fteht
der in der Kirche befindliche. Altar, von vergoldetem
getriebenem Kupfer, welcher noch aus dem 12. Jahr—
hundert ftammt. Das Antipendium zeigt den Heiland
mit den zwölf Apoſteln in ſieben Zoll Hohen Figuren
nach uralter Manier. Im der Mitte innerhalb eines
oben und unten zugelpigten Ovals, welches mit präch—
tigem Schmelzwerk umgeben iſt, ſteht Chriftus in der
Tunika und den gegürteten Mantel darüber, die Rechte
fegnend. erhoben, in der Linken. die Bibel haltend;
außerhalb des Schmelzwerfs in vier Ecken je: das
Emblem eines Evangeliften Zu beiden Seiten , in
viereckigen, durch Schmelzwerk abgetheilten Feldern,
erblicken wir die zwölf Apoſtel mit beigeſchriebenen
Namen, aber ohne die ſpäter ihnen beigelegte Attribute.
Bwifchen dem Schmelzwerk und am ganzen Rande
herum ift Viligranarbeit mit eingefeßten, theilweife num
‚ausgebrochenen Edelfteinen. Das Chriflusbild umgibt
mod) innerhalb ‚des Schmelzwerks eine Infehrift in
ſchönen Lateinifchen Verſen. Ebenfo Täuft eine größere
um die ganze Tafel herum, welche fich auf die Apoftel
bezieht... Weber “dem Altar: hängt ein Kronleuchter,
Aus einem Eupfernen vergoldeten Reif yon 151 Fuß
Durchmeſſer beftehend; an ihm find: 12 thurmartige
Laternen in byzantinischen Style, je von verfchiedener
Arbeit, ringsum angebracht. Um den Reif geht
gleichfalls eine uralte Umſchrift in Minen a
Bei una
Außer dieſen beiden Denkmalern alter Kunft nah
24
370
wir noch aufmerkſam duf drei in der Kirche befinde
lichen Grabmäler aus verfchiedenen Zeiten. In Ber
Sacriftei befindet fih an der Wand das Denkmal des
Abts Seyfried von Holz. Es zeigt eine Figur in
Lebensgröße mit einer Ueberſchrift. Im Schiff der
Kirche, wenn man aus dem Chor tritt, an der Tech
ten Seitenwand, fehen wir das Denkmal des Defans
Erasmus Neuftetter, genannt Stürmer, der durch
feine vielen Bauten ald ein zweiter Stifter des Kloſters
zu betrachten ift. Das dritte Denkmal jtand früher
in. einer alten, vor mehreren Jahren abgebrochenen
Kapelle, und murde an die nördliche Seitenwand Der
Kirche verſetzt. Es iſt ein: in Alabafter mit viel
Sculptur ausgeführter Denkſtein, auf dem wir eine
fnieende Frau, einen Wolf mit offenen Rachen, umd
einen gewaltigen Rittersmann erblieten. Georg Bhilipp
von Berlichingen zu Dörzbach ließ ihn feiner Mutter
Brigitta, geb. v. DVellberg, die ausdrüdflich auf Com-
burg begraben ſeyn wollte, errichten. — Treten wir
aus Der weftlichen Pforte der Kirche binaus, fo haben
wir bor und den in. der Wand des Kreuzgangs ber
feftigten Denfitein des Abts Ernfried von Vellberg,
zu. deſſen Finfer Hand die Randinfchrift nur den Na—
men fammt der Jahreszahl 1418 enthält. Die Ine
fehrift zu dem: Füßen fehlt, Dagegen find von den vier
Pamilienwappen drei gut: erhalten. Von bier aus
kommen wir in den im alterthümlicher Beziehung: merk U
würdigften Theil der Kirche, in Die fogenannte Bar
tbolomäus= Kapelle, welche wegen der daſelbſt befind⸗
371
lichen Grabmale auch die äußere Schenfenfapelle heißt,
und unmittelbar an die Oftjeite der Kirche ſtößt. Wir
gelangen zuerjt in einen Kaum, der wohl den Altejten
Theil der Kapelle bildet. Der ganze Boden befteht
aus uralten Grabmalen, die fo abgetreten find, daß
man weder Bilder noch Umſchrift Darauf zu erfennen
vermag. Diefen Raum und die eigentliche größere Schen=
ken⸗Kapelle trennt eine Wand mit einer Rundfenjter
Gallerie, wie wir fie beim Thor und Archiv finden.
Die Kapelle ſelbſt Hat eine flache Dede ohne irgend
eine Verzierung, die Winde und der Boden find mit
zum Theil abgetretenen Grabfteinen aus ver älteften
Zeit bedeckt, unter andern mit den gut erhaltenen
Wappen von Bebenburg und Nechberg. Wir ermähnen
bier nur Die wichtigften derfelben, von welchen. die
wer ihren Namen bat.
Der zuverläßig -ältefte ift der auf — * duhboden
liegende⸗ ‚Herrn Friedrichs von Limpurg (T 1333) und
feiner Hausfrau, welcher ein einfaches Limpurgiſches
Wappen mit Umſchrift zeigt. Nicht fern von dieſem
ſteht an der Wand eine koloſſale Figur, vom Kopf
bis zum Fuße in Eiſen gebültt, die rechte Hand Tiegt
an einem Dolch, der an einer Kette über die Bruft
hängt, die Tinfe liegt am Griff des Schlachtſchwertes.
Auf den breiten Gurt prangen Löwenbilder. Leber
dem Arme Tiegt der Turnierhelm, weiter unten das
Wappenfchild mit den fünf Kolben.” Der Ritter ſteht
auf einem Drachen; über dem Kopf des Drachen ſitzt
auf einem von der Nandeinfaſſung etwas vorfpringen-
372
den Fußbänkchen ein nicdliches Hündchen. Es iſt dns
Denkmal des Schenken Albert von Pimpurg (1,1373).
Neben ihm an. derfelben Wand fteht das Denkmal
feines Bruders, des Schenfen Conrad (F 1376), eine
ebenfalls Tebensgroße Figur mit dem Weinsberger und
Limpurger Wappen und einer Umfchrift.. Das jchönfte
Denkmal ift unftreitig das des Schenken Georg (T. 1376),
welches an der Wand neben dem. Eingang in Die
Sofephs- Kapelle ſteht. Die Eolofjale, ganz freiſtehende
Nitterfigur, in einer höchſt kunſtreich gearbeiteten Ar—
matur hält ein Banner in der Rechten; zu ſeinen
Füßen liegt ein Löwe, zu beiden Seiten ſieht man die
Wappen feiner väterlichen und mütterlichen Ahnen,
nemlich: Limpurg, Hohenlohe, Weinsberg und Henne—
berg; Thierberg, Blankenburg, Baden und Leuchten—
berg. In der Mitte ſteht das Wappen ſeiner Ge—
mahlin, Margaretha, Gräfin von Hohenberg. In
dieſer Kapelle, neben dem genannten Grabmal, ſteht
noch ein uralter ſteinerner Betpult, auf den vier Ecken
von Säulen mit Würfelkapitälern eingefaßt, und auf
einem gegliederten Sockel ſtehend. Dieß iſt wohl das
wichtigſte Alterthum an dieſem Orte. Ein Schwib⸗
bogen verbindet Die innere, Schenken- oder. ſogenannte
Joſephskapelle mit ihrem Chore oder. der Altarnifche,
Eine Reihe Wappen ftellt Daran die Ahnen Schenf
Friedrich. V. und feiner Gattin Sufanna,ıgeb. von
Thierjtein, dar, welche auch) ‚in Den zwei entgegenges
fegten Ecken der Kapelle lebensgroß in: Sandſtein da
ſtehen. Er ftiftete dieſe Kapelle und ruht: vor dem
373
Altar. Zwifihen feinen kaum mehr Eenntlichen Wappen
war zu leſen: Anno Domini: 1474 ſtarb der. Edel
und Wohlgeborne Streng Herr Friedrich, Herr zu
Limpurg, des hailigen Römiſchen Reichs Erbſchenth
und Semperfrei. — Eines beſondern Beſuches werth iſt
das gegenüber von Comburg liegende ſogenannte Ca—
puzinerkloſter Klein-Comburg, welches zur Gemeinde
Steinbach gehört. Die noch wohl erhaltene. Klofter=
Kirche St. Gilgen iſt dreiſchiffig und im Tateinifchen
Kreuz erbaut, mit einem halbfreisförmigen Chor im
Innern, außen aber geradlinigt beendigt. Das Chor
ift im: Halbkreis überwölbt. Alles übrige Deckenwerk
aber :ift von Holz. Das hohe Mittelſchiff wird auf
jeder Seite von drei Säulen und einem Pfeiler im
Innern unterftüßt: © Die’ Durch Halbkreisbogen ver—
bundenen Säulen haben Würfelfnäufe und attijche
Bafen. Sonftigen Schmuck an Gemälden. u. Dergl.
aus alter Zeit Hat fle feinen mehr. Das Altarbild
ftammt aus der Gapuziner- Periode. Wie St. Gilgen,
fo mag einft die chi zu Sen erbaut ge
weſen feyn.
“ Bon Comburg — wir füglich auf dem alten
Grund und Boden des Stifts einen — auf den
ganz wir Weiler
Ba it Sinkorn, Il
* ſchon ſeit alten Zeiten einen Theil der ——
Beſitzungen des Stifts bildete. Zwar gehen wir keinen
374
wichtigen Alterthümern mehr nach, aber einigen „alten
Volksſagen, und was der Freund des Alterthums nicht
findet, Das. wird dem Freunde der Natur zu Theil —
es iſt eine der herrlichſten Ausfichten, die wir genießen
fönnen. Don einem 1570 Buß hohen und fleilen
Berge fehen wir über das hallifche, Timpurg’fche und
hohenloh'ſche Gebiet bis nach Kohenftaufen, Rechberg,
Ellwangen und Kapfenburg, und weithin gegen Sranfen.
Dran genießt dieſe Föftliche Ausficht von einer Hoch—
wacht aus, welche von einem Wächter bewohnt wird,
der fonft von hier aus mit einer Allarmkanone Feuerſignale
gab, und zugleich dad Amt hat, die Iremden zu bee
dienen, welche den hier aufgeftellten Tubus für Die
fehöne Ausficht benügen wollen.
Neben der Hochwacht fleht die Wohnung eines
fönigl. Waldfchüsen mit Defonomie = Öebäuden. Am
intereffanteften find uns Die noch bedeutenden Nuinen
einer Wallfahrtskirche, welche im Jahr 1710 an Die
Stelle einer alten Wallfahrtskirche erbaut worden war,
und am 6. Mai 1814, durch Blig entzündet, abbrannte.
Die alte Wallfahrtsfapelle „zu den 14 Nothhelfern*
war vom Stift Comburg fehon in frühen Zeiten er
baut, wohl wegen der fchönen Ausficht, Die wir immer
bei folchen Wallfahrtöfapellen finden. Es war wohl
eine Kleine, aber in altem Style erbaute Kapelle —
Die, deren Ruinen noch fiehen, war, ihren Reiten nach
zu Schließen, eine in jenem. prächtigen fogenannten
Sefuitenftyl erbaute, wie die Stiftskirche zu Comburg.
Noch bie zum Jahr 1803. wurde diefe Wallfahrts-
379
fapelle von den Sranziöfaner- Mönchen zu Klein- Com⸗
burg verfeben.
An den Einforn und fein Gebiet knüpfen ſich einige
Sagen, die fo recht das Gepräge des Volksthümlichen
fragen. Wir geben die vom Kechberger, vom Jäger
Cuornle und von der Teufelskanzel.
Der Rechberger.
Wer fennt nicht die herrliche Ballade unferes ge—
feierten Dichter-Greifen, Ludwig Uhlands „Junker
Rechberger?“ Woher der Stoff zu dieſer Ballade ge-
nommen, willen wir nicht, aber fte ift nach Form und
Inhalt ganz ſo gehalten, wie viele ſeiner freien Balladen,
die reine Produkte ſeines großen Dichtergeiſtes ſind,
ob ſie gleich jo naiv klingen, daß wir manchmaf glauben
koͤnnten, er hätte fle aus diefer oder jener Chronik al-
ter Zeit oder aus dem Munde des Volks entnommen.
Mit großer Freude lefen wir nun in der jedem rechten
Schwaben liebgewordnen „Schwäbifchen Familienchro-
nik“ eines fagenfundigen vaterländifchen Schriftftellers,
Daß ein gewifjer Sigbertus (2) in feiner Chronif von
einem SJunfer Nechberger erzähle, der mit feinen
Dienern einſt fremden Herren entgegen ritt und über
Nacht in einer Feldfapelle geblieben. Da er Morgens
‚weiter zog, ließ er feine Handſchuhe liegen, und fehiekte
deßhalb feinen Reitknecht zurück, um fie zu holen.
Aber, ald der Reitknecht in die Kapelle kommt, fieht
er bort einen Todtenfarg und darauf einen leibhaftigen
376
Teufel fißen, der hatte ſeines Herrn Handichube an. Kaum
hat der Neitfnecht das gefehen, fo kehrt er zu. feinem
Herrn zurüd und erzählt ihm Die Suche. Der reitet fed-
lich in die Kapelle zurück, reift Dem: böſen Geiſt die
Handſchuhe aus den Händen, und ritt weiter jeined
Megs. Ueber eine Weile begegnet "ihm eine ‚ganze
Truppe Reiter, und bald darauf noch eine; hintennach
aber ritt Einer,» der führte ein leeres Pferd, dieſen
fragte Nechberger: wer fie feyen? worauf Jener ant-
wortete: fie jeyen Das wüthende Heer. Fragte Rech—
berger, weiter: was foll Das ‚leere Pferd bedeuten ?
Sprach der Reiter: mein Herr der Teufel hat einen
'getreuen Diener, der heißt Rechberger, für. den: iſt es
beftellt, denn derjelbige foll von Heut! übers Jahr er—
ftochen werden und auf dieſem Pferd in fein Quartier
reiten. — Einen fhönen Schluß gibt‘ unfer edler
Uhland, der den Junker Rechberger füglicher als einen
ächten Schnapphahn und Heckenreiter der. alten Zeit
darftellt, welcher endlich,, um: feine vielen Sünden ab—
zubüßen, wie der große Wolfdietrich im der Selden-
fage, in ein- Klofter gebt, allda im Klofterftalle der
Pferde waltet, und richtig über ein Jährlein von einem
fchwarzen wilden Roße mitten aufs Herz gejchlagen
und getödtet wird, mworauf um Mitternacht an des
Junkers Grab ein fchwarzer Reitknecht mit einem
Rappen erjcheint, und ihn aus dem Grabe wert, daß
er von nun an als Junfer Nechberger “auf feinem
Rappen umber reiten muß. Und das naive Eprüch«
lein gibt er zur Warnung: a 1:94.00
377
vn Das Lied it Junkern zur Lehr gemadt, , |
eu "Daß fie geben auf ihre: Handſchuh Acht,
2 Und daß fie: fein bleiben laſſen
Sn der Naht am Weg zu paffen.
Woher auch die Sage von Junker Rechberger in ibrer
doppelten Geftaltung ſeyn mag, fo viel ift gewiß, Daß
zwifchen ihm und dem Rechberger des Einforns ein
enger. Zuſammenhang Statt findet. Der Nechberger
vom Einkorn ift fein fehreckender Reiter auf: ſchwarzem
Rappen, fondern ein neckender Berageift. Er ift ein
ebenbürtiger Bruder des im Höhgau am Bodenſee
weit und breit befannten Poppele von Hohen—
fräben, jenes Bergfobolds,, der befonders in guten
Meinjahren am See fein Wefen treibt. Der Rede
berger ift der Spuk, Irr- und Volter-Geift des hällie
ſchen Landes, der die Spätlinge, Die mit etwas zu
voller: Ladung : beimfehren ; die Händler, welche ein
nicht ganz ‚moralifches Vrofitchen im Gurt, oder ein
dergleichen Project im Kopfe Durch die Nacht tragen,
die menfchlichen Kater, Die. „um: Die Feuerleitern ſtrei—
chen,“ die Fubrleute, welche, um die bei Tag in den
Wirthéshäuſern verfäunte Zeit hereinzubringen, nächte
Iicher Weile ihr armes Geſpann bergauf plagen, irre
führt. Bald leuchtet er als eine Feuersbrunſt in einer
benachbarten Drtichaft und lacht unbändig, wenn die
Sefoppten den Erennenden Weiler unverfehrt und in
tiefſter Ruhe finden ; bald fchreit er kläglich um Hülfe
und jcheint ſehr befriedigt, wenn die zu Hülfe Eilens
373
den in eine Pfüge plumpenz bald knarrt und aͤchzt
er als überladener Wagen mit Peitſchengeklatſch und
Bluchen eine Steige hinauf, und ift plöglich‘ ftilfe,
wenn die, welche Beiftand leiſten wollen, ihr eigenes
Fuhrwerk in einen Graben abjegen; bald bumpelt er
als ein müder gebüdter Wanderer mit: einem WMefen,
als wünfche er Die Gefellichaft des Nachfchreitenden,
auf einem Fußpfade voraus, und ift jühlings vers
jhwunden, wenn Diefer von einem berabhängenden
Baumaft emen Schlag vor den Schädel erhält oder
feine Beine gen Himmel kehrt; bald tanzt er als ein
Licht voraus, und verlifcht, wenn die Leute nach eins
gen Stunden genau wieder an dem Ort anlangen,
von wannen fie ausgegangen find. Sein Gebiet ift
Die ganze Gegend, welche vom Kocer- und Bühler
Flug umſchloſſen wird, alfo vorzugsmeife Die jogenannte
thüngenthaler Ebene bis Dber- Sontheim umd das
Bifchachtbal, fein eigentlicher Si aber der Einforn, der
fi) zu den oben befchriebenen Operationen‘ Dadurch
befonders eignet, Daß fich Diefer Berg ſammt feinen
Ausläufern als einziger Höhepunft mitten in der Ebene
erhebt, und ſomit auch bei Nacht, zumal wenn Der
Spuf ein feuriger ift, weithin fichtbar wird. Ueber—
Dieß führt die Landſtraße von Hall nach Ellwangen,
welche Die einzige Communicationslinie zwifchen dem
Öftlichen und weitlichen heil des Oberamts bildet,
über Die nordöftliche Abdahhung des Einforns, und if,
fomit durch ihre Frequenz ein auserlefener Schauplag
für Rechbergers Thätigkeit. Die Sage meldet, Rech»
379
berger jey der Befehlshaber eines Bähnleins Haller
geweſen, das er im Kriege, wahrfcheinlih im Städte
frieg, entwender zum Beinde übergeführt, oder zur
Niedermezelung in die Hände gefpielt habe und dabei
‚ felbft umgefonmen fey. Seitdem jey er verdammt, in
diefer Gegend, entweder weil fie feine Heimath, oder
der Echauplaß feiner Werrätherei war, rubelos ſich
und Andern zur Geißel umberzufpufen. Wahrfcheins
lich fteßt Diefe Sage in Verbindung mit einer Fehde,
welche Die Haller gegen das Jahr 1444 oder 1449
nach ©. Widemann mit den Herren von NRechberg führ
ten, im der fie ihnen zwei Schlöffer zerftörten und
den umbergelegenen Wald umhieben. Als ſie ſich
hierauf in einiger - Unordnung und mit allzumeiter
Vorausſchickung der Neiterei beutebeladen gegen Gmünd
urüczogen, that einer der Kern von Nechberg, im
Bund mit dem Grafen von Wirtemberg, einen Aus—
fall aus dem Schloß Nechberg, machte 54 Halliſche
‚nieder und führte Deren 68 ſammt Der wieder ges
mwonnenen Beute als Gefangene nach Göppingen.
Sage vom Jäger Cuornle.
Jäger Cuornle war vor nicht gar langer Zeit eim
Borftfnecht auf dem Einforn, der hatte feine Seele dem
® Teufel verſchrieben, Dafür, daß er alles treffe, was
ihm vor den Schuß käme. So ward er ver Tod
alles Wildes, aber auch der Schreden der Wildjchügen,
deren mehr als einer feinem Geſchoß erlag. Er hielt
380
zugleich eine Scenfe auf dem Einforn und ‚hatte
vielen Zujpruch von den. benachbarten Ortſchaften und
von den angefebenften Einwohnern won Somburg, Steins
bach und Hall; Denn er war, obſchon ein unheimlicher,
doch ein: mohlgebildeter intereffanter Mann, von feinen
Sitten, und das Unheimliche zieht befanntlich auch ans
Eines Tages nun gab er Tanz ‚und: Spiel in feinem
Haufe, zu dem fich viele und vornehme Gäſte aus den
obigen Drten einfanden. Als der Reigen im vollen
Zuge war, und der Einforn von. Geigen und: Flöten
wiederhallte, wurde Cuornle plötzlich Hinausgerufen:
es läge unter. einer nahen Eiche ein prächtiger Edel—
birfch, dem Verenden nahe. Cuornle ging und mit
ihm einige Andere vom Handwerk. Am Plage ange
langt fanden fie den Hirſch nicht „ wohl aber den
Boden und das Gebüfch umher zerftampft und zermüßlt.
Nun hieß Cuornle die Andern zurücfbleiben > er wolle
den Hirſch, der fich nur, ind Buſchwerk zurückgezogen
haben könne, allein fuchen. Plötzlich hörten die Männer
ein Ringen und ein herzzerreißendes Hülfsgeſchrei, und
als te herzueilten, fanden fe eine große Lache Blut,
aber weder Hirſch noch Jäger Cuornle, mehr. Seine
Zeit war um gewefen, und entweder hatte er fie ganz
vergeflen gehabt, um feine Angſt zw betäuben, oder den
Teufel durch irgend eine Lift hinauszuziehen und. um
feine Seele zu betrügen gefuchtz Per aber weiß. Zeit
und Stunde beffer, und gebet umher, wie ein brüflender
Löwe, zu firchen, wen er verſchlinge. Seitdem jagt
der Cuornle oft nächtlich Durch den Forſt und führt .
381
die benachbarten Säger ‚welche Wilderer in ihm» ver
muthen, irre, mit manchen Bauern dagegen feheint er
ſich gut zu verftehen, "und ihre Büchfen zu laden und
zu richten. Wieser fich mit Rechberger, der Daffelbe
Revier hat, verträgt, ift nicht anzugeben, es feheint
aber, daß fie gute Kameradfchaft Halten , denn 'alle
Geiſter, die Menfchen irre Leiten, find verſchworen.
Noch iſt der Zeufelsfanzel zu gedenfen, die auf einem
wilden Hügel ftand, in einem öden und abgelegenen Wintel
des Einfornd, wo zur Zeit eim Steinbruch. Es Enüpft
ſich Feine befondere Sage an dieſen Ort, außer daß
nian in alten Zeiten: oft von einem auf der Spiße
des Hügels befindlich geweſenen runden Stein aus
gottesläſterliche Predigten, die Niemand als der Teufel
babe halten können, gehört habe. Der runde Stein
iſt verſchwunden, und ſeitdem hört man hier => feine
—“ —
——
Der Buffen.
Eine Meile öfllich von Riedlingen Tiegt der Buffen,
der ‚audgezeichnetfie Berg in Oberſchwaben, Daher auch _
von Alters her der Schwabenberg (Mons Duevus),
aud, blos Schw abe genannt. Er erhebt ſich frei
und weithin ſichtbar in der großen Donauebene bis
332
zu einer Höhe von 2364 Par, Fuß (2680 Würt. F.)
Da aber feine Grundfläche fchon ſehr hoch liegt, fein
Fuß überall fehr breit it, fo erreicht man jene Höhe
ganz unvermerft und mit aller Gemächlichfeit. Um
den Berg her liegen eine Menge größere und Eleinere
Drte, und das Dorf Offingen» Buffen reicht bis an
den Scheitel des Bergs_hin. Die Abhänge find gegen
Norden und Diten bewaldet, auf der andern Seite
tbeil3 angebaut, theils öde. Der im die Länge ges
ſtreckte Scheitel De8 Bergs hat eine ziemlich geräumige
Dberfläche, . welche durds einen tiefen Graben in zwei
Theile getheilt-ift. Auf dem vorderen Theil fteht die
alte Bfarrfirche Buffen, auf dem hintern liegen die
Nuinen der Burg Buffen. Die Augficht auf dem
Buffen iſt unvergleichlich ſchön: ganz Oberſchwaben
bis an den Bodenfee, den man: felbjt noch auf dem
Kirchthurm erblickt, und das Land, bis tief nach Baiern
binab, liegt ald eine unermeßliche Ebene vor Augen,
und in einer unüberfehbaren Kette ziehen im Hinter
grunde die Tyroler= und Schweizeralpen bin, oft fo
deutlich und Elar fich darftellend, daß man jeden ein-
zelnen Berg mit bloßem Auge, und bei günftigem
Fichte felbft die Landhäufer von St. Gallen unter
ſcheiden kann. Mehr als 500 Drtfchaften Tiegen
vor dem Blicke des Beſchauers. Nur die Waldburg,
welche näher dem Bodenfee liegt, könnte dem Bun
den Vorzug der Ausficht ftreitig machen. © at
Das einzige ganze noch ftehende Gebäude auf 3
Buſſen iſt die Kirche, welche nebſt dem Gottesacker
383
zum Dorfe Offingen gehört; fie wurde im Jahr 1516
von den Trümmern der vorderen Burg neugebaut, und
1781 abermals erneuert. Sie ift der Jungfrau Maria
geweiht, deren Bild, als mater dolorosa, fie zu einer
ſtark befuchten Wallfahrtskirche gemacht hat. Neben
der Kirche ift ein Häuschen, das längſt aus einer
Eremitenklaufe zur Wohnung einer: Eleinen Bamilie
eingerichtet worden. — Auf. den Bufjen befanden fich
in alten Zeiten zwei Burgen; die eine hieß Die Vor—
derburg, Die andere Die Hinterburg. Die erſtere ftand
zunächft ‘bei der Kirche und ift ſchon im 415. Jahre
Hundert: ein Burgftall gewefen, deffen ‚Steine: verwen—
det wurden, Die Hinterburg , auf dem binterg, Theil
des Bergs ftehend, und. durch einen“ Graben von der
- Kirche, fo mie von der andern Burg getrennt, hat
fich am längſten wohnlich erhalten. Noch bis in den
Anfang des 18, Jahrhunderts war die Hinterburg
bewohnbar, Denn in einer alten handfchriftlichen: „Bes
fehreibung der fchwäbifchen Burgen und Echlöffer durch
Ernftvon Pflummern“ beißt es: „Sonften ift das
jegige Schloß ‚auf dem Bufjen (darinnen ſich ſchwer—
lich ein Jäger mit der Wohnung betragen fann) gegen
feiner alten Magnifizenz gar fehlecht und nit viel höcher
oder beffer, dann ein vergangnes Burgftall zu rechnen,
fintemalen nit glaublih, dag Graf Gerold, welcher
Kaiſer Earoli Magni Schwager war, auch über Baiern
und Schwaben ein Landvogt gewejen, und auf Diejem
Berg zum Buffen, allda er vornemlich reſidiret, feinen
gräflichen Stammen, als ein Graf von Buſſen, ad
384
posteros transmittiret hat, felbiger Zeit, dieſe Reſi—
denz nit viel ftattlicher erbaut habe.“ Unter Der
zerftörenden Einwirkung der Zeit iſt auch Diefe Burg
nach und nach von fel6ft zerfallen, und es finds nur
noch wenige Ueberrefte "won ihr vorhanden. Unter
diefen zeichnet fi) der Rumpf eines Thurms, durch
feine eigene Bauart, ſo wie Durch feinergewaltigen,
wiewohl größtentgeils geplünderten "Steinmaffen aus.
Zuverläßig war diefer Thurm die erſte Anlage einer
Befeftigung auf dem Buſſen, vielleicht ein: römischer
MWartthurm: An dieſen Thurm wurde: in der chrifte
lichen Zeit eine Burg ‚gebaut, die in alten Schriften
den Namen Suevia führte, und der Sitz eitied ge
waltigen "Alemannifchen Häuptlings “oder Herzogs ge
wefen seyn muß. - Vielleicht: war es ſchon Herzog
Gotefried von Alemannien, der auf dem Buſſen ſeinen
Sitz hatte, denn feine Nachkommen find nach ihm auf
und um den Bufſen herum begütert geweſen. Daß
Graf Gerold, Schwager Karls des Großen, und durch
feine Mutter Imma Urenkel des Herzogs Gotefried
auf Dem Berge: Buffen feinen Sitz hatte, iſt wohl
feinem‘ Zweifel "unterworfen. In den Annalen Der
Reichenau, ſo mie in dem Urbarium des Klofters
Beuron heißt er ausdrücklich Graf von Buſſen. Er
war ein. befondrer Liebling , Karls des Großen und
Graf in der Berchtoldsbaar,, ja vielleicht Graf über
mehrere Gate; Denn im ſchwäbiſchen Landrecht, Dem
Echmabenfpiegel, heißt er Herzog Gerold v. Schwaben,
und dort wird auch um fänetwillen Den Schwaben‘
385
das Recht verlieben, im Streite die Vorfechter zu ſeyn.
Es heißt darin: Kaifer Karl verlieh . den Schwaben,
wo man um des Reiches Noth ftreiten follte, da fell-
ten die Schwaben vor allen Andern ſtreiten, und
joll ihr Hauptmann. feyn der Herzog. von Schwaben.
Als Karl die bairiichen Verhältniffe ordnete, da übers
trug er im Jahr 791 feinem Schwager Die Statt-
halterjchaft Baierns, eine. fehr. bedeutende Stellung.
Gerold Hatte fich ſchon in früheren ‚Kriegen, nament:
lich im fächftfchen Kriege, ausgezeichnet: er hatte fein
eigenes Gefolg von Vaſallen. Gerold fiel im Fahr
799 in einem Treffen gegen die Qunnen, und wurde
in dem Klofter Reichenau , das er fo reich begabt
hatte, begraben. Nach einer Urkunde vom Jahr 811
hatte Gerold einen Sohn Berthold, dem Karl Der
Große die Vogtei über gewiffe Orte am Buſſen ab—
genommen, weil er übel damit gehanst habe. Da-
gegen wurde fie einem Grafen Adelbert übertragen,
unter dem eidlichen Berfprechen, daß er ein treuer
Vogt und Schirmer der Güter feyn wolle, welche fein
(Karls) lieber Better Egino (Bifchof von Verona,
‚Gründer der Kirche zu Niederzell auf der Reichenau)
dem Klofter zu, Tirmentingen und Offingen gefchenft,
fo wie der Güter, welche Gerold zu Unlingen, Grü—
ningen und Altheim dem Klofter übergeben. Möchten
wir das Erflere bezweifeln, »Daß Graf Gerold einen
Sohn gehabt, denn ein Zeitgenofje aus der Reichenau
jagt ausdrüdlich, dag er feine Nachkommen Hinterlafjen,
jo ift das Andre urfundlich wahr, Daß neben Graf
25
386
Gerold wirklich ein Graf Berthold Güter um und auf
den Buſſen befeffen, denn im Jahr 790 vermacht
derfelbe Beſitzungen an der Donau und am Buſſen
den Klofter St. Gallen, und feine Söhne Chadaloch
und Paldebert fiegeln mit dem Vater. Derſelbe ver-
gabt im Jahr 802 an die Reichenau Bufjen, Offingen
dabei (eine der Burgen auf dem Bufjen und einen -
Antheil am Dorfe). - Dann ſchenken im Jahr
805 Chadaloch, der ſchon genannte, und fein drit—
ter Bruder Wago, dem Klofter St. Gallen Die
Kirche auf dem Bufjen und die Kirche am See (See-
firh) u. f. w. Der Vater diefer drei Brüder, Ber—
tbold, T im Jahr 802, hatte zur Gemahlin eine ge—
wiffe Gerfinda, und war zuverläßig ein Enfel jenes
Bertholds, der mit feinem Bruder Nebi den heiligen
Pirminius in der Reichenau einfeßte, und ein Enfel
Herzog Gotefriedd gewefen. Demnach ift es fehr wahr—
jcheinlich, daß er von Vater und Großvater feine Be—
figungen auf und um den Buffen geerbt. So werden
wir wieder auf den Bufjen, als einen uralten Herzogs—
fi, gewiefen, und ed wird und auch flar, wie Graf
Gerold, Enfel jenes Herzogs Nebi, mit den Berchtolden
(Birtilonen) feinen nahen Verwandten, Herr auf dem
Buſſen gemefen. — Neben Gerold und den Bertholden
war noch Mitbefiser Egino, Bifchof von Verona, der
von ſehr vornehmen Eltern in Schwaben abftammte
und mit Karl dem Großen verwandt gewefen. Er
ging wieder in Die Heimath zurück, wählte Die Reichenau
zu feinem Aufenthalt, und gründete im Jahr 799 zu.
387
Niederzell eine Kirche und eine Probſtei; er ftarb alla, .
wo noch fein Grabmal zu fehen. Auch er vergabte
Güter zu Dürmentingen und Offingen an die Reichenau.
— Hauptbefiger der Güter auf und um den Buffen
find noch gegen Schluß des 9. Jahrhunderts Die
Urenfel des genannten Bertholds, denn im Jahr 889
beftätigen Graf Chadaloch, der noch einen Bruder
Berthold Hatte, eine Urfunde in dem Eritgau, in dem
Drte Puſſo (Buffen). Nach den Birtilonen finden
wir die Grafen von Vöhringen und Nellenburg, ohne
Zweifel ihre Abkömmlinge, im Befige der Buffengüter.
Zu diefen gehörte wohl auch jener erlauchte Mann,
Veregrinus, der zweite Stifter des Kloſters Buffen-
Beuron, der nad) einem ihm in dem Klofter gefeßten
Grabmal im Jahr 1092 auf feinem Schloffe Buffen
oeftorben it. Im Jahr 1291 Faufte 8. Rudolf von.
dent Grafen Heinrich von Vöhringen den Buffen und
‚alle auf und an demfelben gelegenen Güter und Orte,
die Sinterburg auf Demfelben und die Vogtei über
die Kirche. Die Vorderburg (bei der Kirche) war
Neichenau’fches Lehen, wie fi das Urbar vom Jahr
1303 ausdrückt: „Uf dem Buffen die Sinterburg und
ein Baumgarten unter dem Thurme (dem angeblichen
Römerthurm) ift der. Herrſchaft (Defterreich) eigen,
jo ift die Vorderburg Lehen von Owe (Reichenau).
Später ging auch die Vorderburg an Defterreich über.
Nicht unmahrfcheinlich ift e8, daß K. Rudolf von
Habsburg, der bekanntlich für einen feiner Söhne ‘
wieder ein Herzogthum Schwaben errichten wollte, ‘den
388
Buſſenberg, an den fich Die Erinnerungen eines alten
Herzogsfiges Fnüpften, zum Mittelpunft und Hauptſitz
einer neuen Echöpfung erfeben. Ob je Einer vom
habsburg'ſchen Hauſe auf der Burg Buffen ſaß, if
nicht befannt, Dagegen faßen nach "dem genannten
Urbar fehon im Jahr 1292 auf dem Buffen öfter
reichifche Burgvafallen (Burgmänner, Burgbefagung),
die von den Drten der Serrjchaft Gefälle als Sold-
leben bezogen. Unter andern werden genannt: ein Lud—
wig von Sornftein im Jahr 1313, Einer von Stadegen
(Stadion), Conrad von Ramftein, Audolf von Frie—
Dingen, die leßteren beide im 3. 1408. Diefe hatten,
wie es fcheint, ihre eigenen Wohnſitze auf dem Buſſen,
nabe bei den Echlöffern, denn im fpäteren Zeiten: ver-
fauften Nachfommen derfelben diefe ihre ererbten Burg-
gefäge CBurgftälle) als freies Eigenthum an Andere.
Mie die meisten öfterreichifchen Befigungen in Schwa—
ben, fo Batte auch die Herrſchaft Buffen das Long,
mehrmals verpfändet zu werden. Im Jahr 1325 kam
te an die Grafen von Hohenberg, fpäter an Burfhard
von Ellerbach, und endlich an Die Truchfeßen "von
MWaldburg, und befaß die Herrſchaft im Jahr 1398
Hans der Truchjeg von Waldburg, der zugleich Die
Schirmvogtei über Die Reichenau’fchen Befigungen in
der Gegend hatte. Neben dieſen Inhabern erfcheinen
noch als öfterreichifche WVögte Die von Stein auf dem
Bufjen,- weil Defterreich wohl Die Landeshoheit über
die Herrſchaft beibehalten hatte. Im Jahr 1452 vers
faufte Erzberzog Sigmund die Grafſchaft "Friedberg
389
ſammt dem Schloß und Stadt zu der Scheer, dazu
Die Vogtei auf dem Schloß und Dorf Buſſen und
Dirmentingen an den Truchfeßen Eberhard von Wald—
burg um 32,000 fl., auf ein Ewiges und Beftändigee.
Derfelbe wohnte im Jahr 1483 auf dem: Buffen.
Später fuchte Defterreich die Herrſchaft Buffen wieder
an ſich zu ziehen. » Durch einen Bertrag vom Jahr
41680, da Defterreich Die Herrſchaft wieder einlöste,
blieb den Truchſeßen Buffen mit Dürmentingen als
Lehen und ewige Mannsinhbabung. Diefe Inhabung
begriff die zerftörte Burg Buffen die Orte Buffifch-
- Dffingen, Hailtingen, Unlingen, Dentingen und Alt
beim. Im Sahr 1786 verkauften die Truchſeßen von
Waldburg die. Grafichaft Friedberg mit Buffen und
Dürmentingen, Dem-Lehen, für 2,100,000 fl. an. den
Bürften Karl Anfelm von Thurn und Taxis. Im
Jahr 1806 kam Beides unter württembergifche Dber:
berrichaft.
Ueber die Schickſale der Burgen auf dem Buſſen
wiſſen wir nur ſo Viel zu berichten. Im Jahr 1358
wurde der Buſſen von Graf Eberhard v. Wirtemberg
nebſt den Städten Rotenburg und Horb den Grafen
von Hohenberg und Haigerloch abgenommen. Viel—
leicht hat die Vorderburg ſchon damals ſtarke Stöße
erhalten. Im Jahr 1633 den 14. und 15. Dezbr.
wurde die Hinterburg von den Schweden und Wirtem—
bergern eingenommen und bis auf die leeren Mauerſtöcke
ausgebrannt; doch wurde ſie wahrſcheinlich wieder noth—
dürftig zu einer Wohnung eingerichtet. — Daß der
396
Buffen ein wichtiger Bunft zu Kriegsoperationen war,
hat fih am Schluß des 18. Jahrhunderts bewährt.
Als im Jahr 1796 Der General Defair mit dem
finfen Flügel der franzöftfchen Armee zwifchen der
Donau und dem Federſee eine Stellung einnahm, da
befegte er den Buß des Buſſen mir feiner Artillerie.
Defair, der in eigner Berfor auf den Buſſen Faur,
warf von hier aus am 30. September die Defterreicher
über Ahlen zurüf, und begann von derfelben Stellung
aus, am 2. Dftober, den Angriff in der Schlacht bei
Biberach gegen Seekirch hin. — Es beftätigt ſich mit
dieſem unſre oben ‚auögefprochene Anficht, daß Der
Buffen zu alfen Zeiten auch ein ſtrategiſch ——
Punkt geweſen.
Da nach unfrer Anſicht der Buſſen ein Wohnſitz
des Grafen Gerold und ſeines Geſchlechts geweſen, ſo
iſt Die Anſicht keine gewagte, wenn wir annebnten,
daß der Buſſen auch die Wiege der edlen Schwäbin
Hildegard gewefen, die Gerolds Schweſter und Karls
des Großen vielliebe Gemahlin mar.
Hier alfo die Sage von der frommen Hilvegaxb.
Bon der frommen Saiferin Sildegard. |
Es gefchah mit Ausgang des Jahres 776, daß Karl
der Große fich zu einem neuen Feldzug rüftete, und
er trat eines Morgens in das Gemach feiner Gattin,
um ihr Lebewohl zu ſagen. Liebe Hildegard! ſprach
er, rathe mir, wem ich in meiner Abweſenheit das
391
Reich anvertraue, und das beſte Kleinod, jo ich habe,
Dich, meine Theuerfte? Mein lieber Gemahl, ant-
wortete Hildegard, wenn ich Euch rathen darf, fo ift
es Euer Stiefbruder Taland, den Ihr zum Reichöver-
weſer jeget, er ift ein tugendhafter Mann, und mich
befehlet Ihr dem, in Defien Hut Wittwen und Waifen
fteben, denn ich werde auch eine Wittwe feyn, wenn
Ihr von, dannen ſeyd. Sie fagte dieſe Worte mit
vielen Weinen. Wohl mochte fie gedenken, daß ihr.
Trauriges bevorftehe. Da ſchloß Karl feine Gattin
in feine Arme und ſprach mit thränendem Auge: ja
Dem, in deſſen Schuß wir alle ftehen, will ich Dich
anbefeblen.
Schon warteten Karls Mannen im Hofe der Burg;
er beftieg ſchnell ſein Roß, ehe fein Schmerz laut war,
und ritt von dannen mit feinen GSchaaren. Wohl
mit ſchwerem Seren, denn er ahnte, es würde in⸗
deſſen Trauriges geſchehen. —
Wie ihm Hildegard gerathen hatte, ſo geſchah es
auch. Karl ſetzte mit Willen ſeiner Reichsſtände ſeinen
Stiefbruder Taland über das Reich, und übergab ihm
ſeine Hildegard, daß er für alle ihre Angelegenheiten
ſorge. Ach, daß er gerade dem Ungerechten ſein beſtes
Kleinod anvertraute! Kaum war Karl abgezogen, ſo
trat der böfe Mann mit feinen unreinen Begierden
und Abfichten hervor, Die er ſchon lange im Kerzen
verborgen hatte. Seht hielt er e8 für gute Gelegen-
beit, ald Karl abırefend war, daß er der frommen Hilde—
gard feine böfen Wünfche vortrug. Wo habt Ihr Eure
392 ®
Sinne? fprach Hildegard zu Taland als er folche&
ihr vorbrachte, wifjet Ihr nicht, Daß ich die Gemahlin
Eures Bruder bin? und ſo Dieß auch nicht wäre,
wie follte ich Die Treue ‚brechen gegen den, dem ih
die Treue am Altare ſchwur? Darauf achtete aber
Taland nicht; je mehr ſie ihn abwies, deſto mehr
drang er in fie, und am Ende forderterer das mit
Droben, was er Anfangs nur erbeten hatte. Das
brachte die fromme Hildegard über die Maßen in Sorgen ;
fie gedachte ihrer fehmweren Ahnungen beim Abſchied,
wie fie jetzt in Erfüllung gingen, : undı wandte ſich
nun in ihrer Noth zu dem, der Die Bedrängten nie
verläßt, und ihnen Hilft, oft wunderbarer Weife. Eines
Tages, al3 fie gerade wieder von des böfen Mannes
Anträgen beſtürmt worden war, trat Rofine von Bod—
man, ihre Gejpielin, Die fie fich fchon lange zur innige
ften Freundin erforen hatte, in ihr Gemach. Was
it Euch, theure Gebieterin *: fragte dieſe, als fie Die
Kaiferin in Thränen gerfliegen ſah. Ach, meine
Theure! erwiederte Hildegard, nur Gott kennt meinen
Kummer; er mag mir helfen, Menfchen können es
nicht. So enthüllet Doch, fuhr: Das, Fräulein fort,
mir Euren Kummer, Ihr wiffet ja, daß Euer Kummer
auch der meine ift, und: vielleicht Eann ich Euch Rath
Schaffen. Mit niedergefcblagenen Augen, denn fie
ſchämte fich, e8 auszufprechen, erzählte: nun ——
was bisher ſich ch zugetragen hatte.
Roſine hörte mit inniger ——— ‚als Hilde⸗
gard ihren Kummer erzählte — ſie ſchwieg eine Zeit
393
Yang, als Hildegard geendet, und begann, nachdem ſie
ein’ wenig nachgedacht hatte: Theuerſte Gebieterin, ich
will Euch einen Rath geben, der gut gemeint it, und
dieſen befolget. Mit Lift müffet Ihr fuchen des böfen -
Mannes los zu werden, denn Gewalt flieht Euch Feine
zu ‚Gebot. Ihr müffet fuchen, ihn hinzuzuhalten, bis
Euer Gemahl wiederfehret. Wie dieß möglich ift, da—
rüber. habe ich eben nachgedacht, "und es beftehet darin:
So der böfe Mann wieder Fehret mit feinen Anträgen,
jo müſſet Ihr freundlich gegen ihn: feyn, denn leicht
fönnte er über Euch in Zorn entbrennen, und dad
möchte Euch Böjes zuziehen; Ihr follt alſo zu ihm
fprecben: „Ich wäre Euch ſchon längſt zu Willen
gewefen, aber ich feheue Den Argwohn der böfen Welt.
Darum gehet hin, umd errichtet im einem entlegenen
- Walde ein Luftfchlößlein, da will ich Euch Dann aufs
fuchen, »und es mag dann’ weder Euch noch mir Böſes
daraus erfolgen." Wenn er dieß gethan hat, Dann
will ich Euch ſchon einen weiteren Rath geben. —
Hildegard Danfte Herzlich ihrer Freundin, daß fie ihr
- aus ihrer Noth helfen wollte mit Gottes Willen, und
ſie that alſo. Taland der Böfe kam wieder; Hilde—
gard ſprach zu ihm, wie ihre. Freundin ihr gerathen
hatte, und Taland ging hocherfreut wieder von dannen,
verhoffend, daß jetzt bald das Ziel ſeiner Wuͤnſche
erreicht wäre. Sogleich ließ er tief in einem entlege—
nen Walde ein Haus aufführen, das eher einem feſten
Thurme, als einem Luſtſchlößlein glich, und er ließ
daran feſte Thürme anbringen, die er verwahrte mit
394
ftarfen Schlöffern, denn er gedachte dort recht umge
. Hört feine unrechten Abjichten auszuführen. Bald
fündete er der Kaiferin an, daß der Bau nach ihrem
Willen vollendet fey, und nie mahnte fie an ihr Vers
jprechen.
Nun, liebe Rofina, jprach Hildegard in der Stunde,
als Taland fie wieder verlaffen hatte, zu ihrer Freun—
din, nun rathe weiter, was ich anfangen foll, daß
ich des Böfen los werde? — Das ift jest leicht zu
rathen,, antwortete Rofina, der Böſe hat jich eine
Schlinge bereitet, in die er jegt felbft fallen muß.
Ihr gehet mit ihm, — fo rathe ih Euch — in das
Schloß, fo er bat erbauen lafjen; nehmet dann den
Schlüffel zur Hauptthüre, der Böfewicht möge zuerft
binein_ gehen, Ihr fchlieget dann zu, und laffet den
fchlauen Fuchs fo lange in der Grube, bis Euer Ge—
mahl fommt. Serausfommen mag er nicht, denn wie
ich höre, ift das Schloß feft gebaut, und feine Riegel find
dauerhaft. — Hildegard that, was ihre Freundin ihr
gerathen, und es gefchah auch, wie fie gehofft hatte.
Taland der Ungetrene traute ihren Worten, und
fo wurde der Böfewicht in feiner Grube gefangen, die
er felbft gegraben hatte. Hildegard folgte ihm in das
Waldſchloß: Taland ging voran in das Gemach fo
am ftärkften verfchloffen war, und Hildegard ſchloß
hinter ihm Die Thüre. Seht erſt that fie ihm fund,
was fie mit ihm vorhatte. Du follft in dem Gemach
bleiben, fprach fie, 6i8 mein Gemahl wieder fehret, fo
mag ich verfchont bleiben von Deinen böfen Wünfchen ;
395
was Du bedarfit, jollft Du Haben, und nichts foll
Dir abgeben, bis auf jene Zeit, daß mein Gemahl
wieder fehret. Da redete-auf einmal der böfe Taland
in einer andern Sprache: Laſſet mich Doch heraus, bat
er, ich will Euch Fünftig mit Allem dem verfchont
lafjen, das ich Euch zumuthete, ich will Euch zwei
Eide ſchwören, Daß ich es halten mag. Hildegard
hörte nicht auf die Worte des Ungetreuen, verriegelte
die Thüre fefter und ging von dannen. Als fie nach
Haufe fam, danfte fie Gott inbrünftig, daß er fie auf
jolche Weile von dem böſen Manne befreit Hatte,
Mährend dieß am föniglichen Hofe geſchah, Hatte
Karl feine Kriegsangelegenheiten fehneller in Ordnung
‚gebracht, ald man gemähnt hatte, und er trat flegreich
den Rückweg nach Aachen an. Kaum hörte Hildegard
die freudige Botjchaft, daß ihr Gemahl in wenigen
Stunden anfonımen würde, da eilte fie in das ver-
borgene Waldſchloß und befreite den böfen Taland
aus feiner Gefangenfchaft, in welcher er mehrere Wo—
‚ chen zugebracht hatte, ohne großes Auffehen des Vol:
fed, denn man wähnte ihn auf einer Ruftreife.
Zaland that gar freundlich gegen Hildegard, als fie
die Thüre öffnete, und fprach mit heuchlerifchem Blicke :
es ſoll jest alles zwifchen und vergefien feyn, was
gejchehen iſt — aber fein Herz gedachte nicht fo, fondern
er entbrannte voll Rachfucht, Die er auch bald auss
brechen Tief. AS fein Bruder, der Kaifer anlangte,
da war.große Freude in der Stadt, zu allermeift bei
Hildegard, deren Leid jeßt wieder im Freude und
396
Monne verwandelt febien. Aber es ſollte nicht Tange
fo währen; fie fonnte nur furge Zeit das Glück Des
Wiederſehens genießen, und noch mehr des Bittern
folgte.
Wenige Tage waren verfloſſen, ſo trat der unge-
treue Mann vor feinen Bruder, und brachte allerlei
böſe Kunde über das bisherige Betragen Hildegardens:
vor allem, Sprach er, wollte fie mich auch zw Dingen
verleiten, die ich nur Dann erfüllen fonnte, wenn ich
Deine Ehre hätte in den Staub treten wollen. Siehe,
fte hat ein: Ruftfchlog im Walde bauen laſſen, von
dem nur ich weiß, auf Daß ſie mit ihren Buhlen
ihrer Untreue. ungeftört fröhnen könnte.
As der Kaifer dieſe verläumderifchen Worte des
ungetreuen Bruders hörte, da ward er im Innerſten
betrübt. So, fprach er weinend, das ift die Treue
die mir Die Falſche am Altare gelobte? ich will ſie
nimmer ſehen, die Treulofe. Gehe bin, mein Bruder,
thue mit ihr, was Dir gefällt, daß fie nicht mehr vor
mein Angeſicht kommt, die Schlange. Das waren
eöftliche Worte für den Böfewicht. Sogleich fandte .
er feiner Knechte zween aus, die mußten in der Naht
die Kaiferin aus ihrem Gemache holen. — Was wollt
ir? Sprach ſie überrafcht, als dieſe hereintraten, wo
fie mit ihrer geliebten Freundin, Roſina von Bodman,
ſchlief. Wir: wollen das Gebot unferd Herrn erfüllen,
fyrachen Diefe mit rober Stimme. Wer ift Denn euer
Herr? fragte Hildegard zitternd. Unſeres Kaifers
Bruder: auf feinen Befehl, und Der iſt auch des
-
397
Kaifers Mille, ſollen wir Eud) yon! dannen führen,
und das Weitere werdet Ihr ſehen. Ach, du böjer
Dann, wie rachjichtig biſt du, ach, du betrogener
Gemahl, daß du dem Rathe deines böfen Bruders
fofgft! feufzte Hildegard. — Wohl mochte Hildegard
gedenken, daß der böfe Taland fich durch Verläumdung
an ihr zu rächen juche und der Kaifer feinen Worten
glaube. — So lafjet mich doch, bat Hildegard wei—
nend, meinen Gemahl noch einmal ſehen, und ihn
fragen, warum mir. folches gefchebe? Die rohen Knechte
hörten nicht auf ihre Wort. Da trat Rofina, die treue
Maid von Bodman, hinzu und fprach: ich trenne mich
nicht von meiner Gebieterin, führer mich auch mit ihr
von dannen. Die Knechte wehrten ihr, aber Roſina
lieg ſich nicht abhalten, und folgte weinend der fronmen
Kaiferin. Stille führten fie Die beiden Frauen durch
den Burghof; da harrete fcehon ein Wagen, in den
wurden fie gefeßt, zu beiden Geiten die Knechte ‚die
jie bewachen mußten... Viele Stunden waren fie ges
fahren, da hielt der Wagen ftille, und die beiden
Frauen hörten Das Braufen eines breiten Stromes.
Es war der Rheinſtrom, über den eine Brüde führte.
Seßt fteiget ab, fprachen die Knechte, bier ift Das Ziel
eurer Reife. Die rauen fliegen ab. Es war eine
dunkle Nacht und nur wenige Sternlein erglänzten am
- Himmel, überall Zodesftille, nur des Stromes Wogen
unterbrachen Durch ihre Bewegung die Stille. Im.
dieſem Strome, Sprachen die Kriechte zu: Hildegarden,
ſollt Ihr Euer Grab finden — fo ift der Wille unfers
398
Gebieterd. Hildegard weinte, als fte dieſe Worte hörte.
Hieß mein Gemahl, der Kaifer, euch ſolches an mir
thun? fragte fie fchluchzend. Ja, unfer Gebieter hat
es befohlen nach dem eignen Worte des Kaiferd. Nun,
feufzte Sildegard, wenn mein Gemahl es befohlen,
dann müßt ihr fein Gebot erfüllen. Ih will nun
gerne fterben. AS fie dieß gefagt hatte, nahm fie
ihr Diadem von Gold und Edelſtein von der Gtirne
und bot es ihrer Freundin dar. Nimm es, ſprach
fie weinend, und trag’ e8 zum Andenken an Deine
unglücliche Freundin. Da fey Gott für, antwortete
fehluchzend Rofina von Bodman, ich werde Euch nicht
verlaffen, Dieweil ich Euch Treue geſchworen bis ing
Grab. Ach, meine Theure, bat Hildegard, folge mir
nicht, Du haft ja feine Schuld an Allem, was fi
bisher zugetragen. Es wird Dir Niemand Böſes zu—
fügen, kehr' mit diefen Männern und bringe meinem
Gemahl die Kunde, daß ich unfchuldig fterbe, Daß alles
Lüge fey, was fein Bruder über mid vorgebracht.
Da antwortete Rofina von Bodman: redet mir nicht
darein, theure Gebieterin, daß ich Euch verlajfen follte,
und von Euch umfehre, wo Ihr fterbet, da will ich
auch- fterben und begraben feyn. Nun fprach Hilde
gard nicht? weiter zu ihrer Freundin. Die Knechte
nahmen jeßt Die unglücfliche Frau und führten fie an
das Geländer der Brücke. Rofina hing ſich an ihre
Gebieterin und wollte fich nicht von ihr trennen laſſen.
Da riffen Die Knechte das Fräulein von der Kaiferin,
und flürzten diefe über die Brücke in Die Wogen des
399
braufenden Rheinſtromes. Als Rofina ihre Gebieterin
hinunterftürgen fah, da beugte fie fich über die Brücke
und flürzte ihr nach. Die Knechte verliefen den Dit,
nachdem fie ihr Gebot erfüllt Hatten, Fehrten an den
Hof zurüf, und berichteten ihrem ©ebieter, daß fie
jeinen Willen vollführt. Der freute fich Deffen über
die Maaßen, denn er wähnte, e8 fey feiner Rache ein
Dpfer geworden. Aber es war dem nicht fo. Gotted
Hand waltete über der. unglüflichen Fürftin und der
getreuen Jungfrau von Bodman. Das Fräulein holte
im Sturze in das Waſſer ihre ©ebieterin ein, fie er
griff fle an ihrem Gewande umd hielt fie feit, daß fie
nicbt unterfanf. Sie hielt fich lange über dem Waffer,
denn in ihrer frühen Jugend, ehe fie an den Hof der
Kaiferin Fam, Hatte fie manchmal in des Bodenſees
Bluthen unter der Burg ihres Vaters mit ihren Ge—
jpielinnen durch Das Bad fich ergößt, und hatte nad)
und nad) im Schwimmen fich. geübt; fo gefchah es,
daß fie die Retterin der treuen Sildegard murde. Sie
brachte fie im Schwimmen an das entgegengefeßte Ufer.
Danfend fanf Hildegard ihrer Retterin in die Arme.
Beide harrten nun, bis e8 Tag war, an der Brüdfe
des Stromes. Sie machten ſich jegt auf, und gingen
längs des Stromed; da fanden fie eine Sifcherhütte,.
Der Fifcher öffnete ihnen, und er und fein Weib
färften Die Ermatteten mit Speis und. Trank, Mit
dem Morgen ging der Fifcher in die Stadt und brachte
an den Hof des Herzogs, der daſelbſt wohnte, feine
Fiſche. Da erzählte er unter anderem, wie am Mor:
400
gen zwei Srauen Lei ihm angefommen wären, die _
ihm vornebmer Abfunft ſchienen. Sogleich fendete der
Herzog in die Fifcherhütte, und. Hildegard mit ihrer
dreundin wurde an den Hof abgeholt, der Herzog
nahm beide mit aller Würde auf, aber Hildegard vers
ſchwieg, ſo fehr der Herzog auch in fie Drang, ihre
Abkunft, und alles, was ihr widerfahren war. Hilde—
gard lebte eine ziemliche Zeit: lang an dem Hofe des
Herzogs mit ihrer. geliebten Freundin Roſina von
Bodman. Der Herzog ehrte beide wie lieder feiner
Familie, und bot allem auf, un den beiden Frauen
ein angenehmes Leben zu bereiten. Beſonders mar.
der Gegenftand feiner Aufmerkſamkeit die ſchöne Hil—
degard; fie merkte Dieß bald, und e8 war ihr eine
jchmerzliche Bemerfung, Denn fie hatte. bis auf Diefe
Stunde ihren Gemahl noch nicht vergeſſen. Wirklich
trat im furzer Zeit Der Herzog mit feiner Neigung an
den Tag; er erklärte Hildegarden, Daß er fie von
Herzen liebe, und feine für würdiger fände, daß ſie
das Herzogthum mit ihm beherrjchete. Co gerne hätte
Hildegard geftanden, daß fie fchon Gemahlin‘ eines
Andern wäre, aber fie Hatte bei fich Das Gelübde ge-
than, feinem Menfchen ihr trauriges Schieffal anzu—
vertrauen. Der Herzog drang in fie, daß fie fih er—
Fläre. Da ging fie mit ihrer Rofina zu Rathe. Das
Ergebniß der Berathung war, Daß fie beide den Hof
des Herzogs verließen. Wohl redete: gegen diefe Ab—
ficht Die Danfbarfeit, Die beide gegen den edlen: Her—
zog begten, da er bisher fo viele Wohlthaten ihnen
401
erwiefen hatte, und es entftand ein harter Kampf im
Herzen der treuen Hildegard. Das Gelübde, das jie
ſich gethan hatte, ihrem Gemahl ewig treu zu bleiben,
ob er fie auch verfloßen hatte, ſiegte; und beide, Hilde—
gard und Roſina, entflohen in der Nacht vom Hofe
des Herzogs in Bilgerkleidern. Was follten fie num
aber beginnen, wohin follten fie fliehen? das war
jetzt Die Srage, welche die beiden Freundinnen auf
ihrem Wege bejchäftigte. Wir wollen auf Die Burg
meines Oheims, der am Bodenfee baufet, fprach die
treue Maid von Bodman. Sch folge Dir, ermiderte
Hildegard, wohin Du geheft. Nach langem Erfragen
erfundeten fie den Weg, der nach dem Bodenfee führte.
Ueber manche verlaffene Ebene, manche Höhe wandelte
der Fuß des Bilgerpaars, bis fie Die erjehnten Ufer
des Bodenſees und Die befreundete Burg Bodman er—
reichten. Wer lange Zeit von feiner Seintath ferne
war, der kann fich vorftellen die Freude des Fräuleins
von Bodman, als fie den Spiegel des Seed wieder
zum erſtenmal erblidte, an deſſen Ufer ſie in ihrer
Kindheit Iuftwandelte und die innen der Burg, in
der jle geboren war. Alles was fte erblickte, ſchien
ihr wieder herrlicher. Beide Pilger wurden von dem
Ritter Hans von Bodman voll Gaftfreundfchaft auf-
genommen. Wie hocherfreut war er, als er ein Glied
feiner Familie in der Jungfrau erfannte, Die neben
Hildegard ging. Noch in jungen Jahren hatte Rofina
die Burg verlaffen, und jest war fie zur blühenden
Jungfrau herangewachfen. Auch hier verhehfte Hildegard
26
402
ihr traurige Gefchif, und nur ahnen fonnte Hans
von Bodman, was Die fremde Frau auf feine Burg
geführt. Bald betrachtete der Ritter von Bodman die
treue Hildegard und feine Nichte als liebe Hausge—
nofjen. Hildegard gewann den Aufenthalt an den
Schönen Ufern des Sees fo lieb, Daß fie wünfchte,
immer bier zu bleiben. Allein nicht nur, Daß Diefer
Drt der Gegenftand ihrer wieder ermachenden Freude
wurde — Hildegard murde ein Segen für Die ganze
Ungegend. Schon von früher Jugend. an hatte fie
eine Breude an Pflanzen und Steinen gehabt, und
ihre verborgenen Kräfte zu erforſchen gefucht. Jetzt
wandte fie Diefe Kunde an, um manchem. Kranfen, Der
zu. ihr Fam, ein beilfames Tränklein, oder eine wohl-
thuende Salbe zu bereiten. Dazu hatte fie auch Die
befte Gelegenheit, denn jene ganze Gegend, bejonders
das fchöne Höhgau mit feinen Bergfegeln, vor allen
der nahe Berg Twiel, brachte eine, Menge beilfamer
Kräuter hervor. Bald erjchallte der Auf der frommen
Hildegard vom: Bodenfee bis in die fernften Gegenden
des Schmwabenlandes, und Jedermann fprach von Der
frommen Frau und ihrer Heilkunde. Um dieſe Zeit
machte Kaifer Karl eine Reife durch das Schmabenland,
Bei ihm war fein Bruder Taland, der fchon lange an
einer unbeilbaren Krankheit litt. Seit jener Zeit
nemlich, als er Die treue Hildegard ind Elend ver—
ftoßen hatte, hatte ihn der Ausſatz befallen — e8 war
wohl ein fichtbared Strafgericht, Das Gott ob feiner
Miffethat über ihn verhängt hatte Er reiste im
403
manche Lande, um fich heilen zu laſſen, aber nirgends
fand er Heilung Als er nun feinen Bruder Durch
Schwaben begleitete, da hörte er von der frommen
Hildegard am Bodenſee. Sogleich entjchloß er fich,
den Weg dahin zu machen.
Unterwegs hörte er, daß die fromme Frau feit
längerer Zeit oft Konſtanz befuche, um Dort viele
Kranke zu heilen, die in dieſer fchönen Stadt fich ein-
fanden. Er z0g mit feinem Bruder, Der gerne auch
einmal Diefe Stadt befuchte, gen Konftanz. Als Taland
in Konftang ankam, fuchte er die Wohnung der Wun—
derthäterin auf. Man zeigte ihm Diefelbe: es war
eines der unanfehnlichften Häuslein der Stadt. Che
er eintrat, Fam ihm die treue Maid von Bodman ent
gegen und fragte nach feinem Begehren. Zaland ers
fannte fie nicht, und fagte ihr, wer er fey und was
er wolle. Roſina erzählte ihrer Gebieterin, daß Ta—
fand, der fo groß Unglüf über fie verhängt, ihrer
Hülfe begehre. Die foll ihm werden, fprach Dildegard,
und man fah ihr in ihrem Tiebevollen Blide an, daß
fie alles das Unrecht vergeffen hatte, fo er einft gegen
fie verübt. Ich danke Gott, fprach fie, daß er mir
Gelegenheit gibt, feurige Kohlen zu fanımeln auf Das
Haupt meines Feindes. Gehe Hin und fage es ihm,
aber zubor möge er hingehen in die Münfterfirche und
feine Sünden befennen: dann erfi werde Die Arznei
helfen, welche fie ihm fenden werde. Roſtna ging hin,
und fprach zu Taland, wie ihr Hildegard befohlen
hatte, Taland that nach dem Wort der Jungfrau:
404
jegt jandte ihm Hildegard eine Arznei, und Taland
war in furzer Zeit genefen.
Das vernahm Kaifer Karl; fogleich fandte er nach
der mwunderthätigen Frau, denn er wünfchte, fie Eennen
° zunlernen. Da ließ ihm Hildegard fagen: fie würde
wohl vor ihm erfebeinen , aber fie Habe das Gelübde
getdan, nur im Hauſe des Herrn. fi) vor dem Mens
hen zu zeigen. Mit dem frühen Morgen erichien
der SKaifer, begleitet von feinem Bruder, Dem wieder-
genefenen, in dem Münfter zu Konftanz. Berfchleiert
trat Hildegard vor ihren Gemahl, Daß er fie nicht
erfannte. Großmächtiger Kaifer, begann Hildegard
nit verftellter Stimme, Ihr wollet wiffen, wer ich ſey —
e8 ſey Euch denn fund getban, aber zuvor gebt mir
das Derfprechen, daß Ihr eine Bitte erfüllet, welche
ich Euch dann vorlegen werde. Es iſt eine Bitte, Die
Ihr nie bereuen werdet. Sch verfpreche e8 Euch,
wunderthätige Frau, gelobte der Kaifer. Da ſchlug
fie den Schleier zurück, und feine verftoßene Gattin
fland vor ihm. Können die Todten auferftehen? rief
Zaland, und er fanf blaß nieder am Kirchenftuhle,
Hildegard iſt unfchuldig! feste er hinzu mit zitternder
Stimme. Meine Hildegard unfchuldig ? rief Karl hucher-
freut, und er ſchloß fie in feine Arme. Kannft Du
mir verzeihen? fprach Karl. Sch verzeihe Euch, mein
theurer Gemahl, aber Ihr müßt dem verzeihen, ver
fein Unrecht bereut hat, antwortete Hildegard, Ih
wills um Deinetwillen, Da trat Roftina von Bode
man hinzu, und alle drei dankten Gott für ferne
405
wunderbare Führung. Karl und Hildegard Iebten
noch lange glücklich mit einander,
XXIV.
Kloſter Marienbers.
Klofter Marienberg, Kloſter Berg zur lieben
Srauen, auch häufig blos Klofter zum Berg
genannt, liegt fehr maleriſch auf einem Felſen über
der Lauchart, Hat noch gut erhaltene Gebäude und
eine Eleine, aber fehöne Kirche. Das Klofter, wozu
noch mehrere Dekonomie - Gebäude, auch eine Mühle
gehören, wurde im Jahr 1682 neu erbaut, bat aljo
nichtö alterthümlich Merkwürdiges mehr aufzuweifen.
Auf der Anhöhe, da das Klofter zum Berg erbaut
wurde, fand fchon in alten Zeiten ein armfeliges
Beguinenhaus mit einer Eleinen Kapelle, das Frauen
vom Auguftinerorden bewohnten. Dem Ktlöfterlein
gegenüber ftand das Schloß Altenburg, welches dem
Grafen Hugo von Montfort gehörte, und num bis
auf etliche Hefte vom Burggraben verſchwunden ift. Gin
Unglüf in der Familie des Grafen gab Veranlafſung zur
Gründung eines förmlichen Klofters. Hören wir darüber
den noch vorhandenen Stiftungsbrief vom 6. April des
Sahres 1265, in dem fich Graf Hugo von Montfort,
406
der Stifter alfo ausdrückt: „Wir hatten zwei Söhn—
fein, Die aus unjerem Schloß Altenburg an den Fluß
hinab gingen, um zu baden; als fie fich gebadet,
legten fie fih im einen Heufchuppen, Der nicht weit
von Schloß entfernt, anf das Heu und fchliefen fanft
ein, Wie nun durch Zufall neues Heu im Schuppen
aufgehäuft wurde, find fie ohne Zweifel nach Gottes
Millen erftidt. Nachdem wir mit großem Jammer
und Herzeleid einige Wochen eifrige Nachfuchung nach
unfern Söhnlein angeftellt und fie nicht finden Fonnten,
dr haben wir den allmächtigen Gott und die Jung»
frau Marta inftändig angeflehbt, er möge und folcher
Gnade würdigen, Daß, wo wir unfre Söhnlein Teben-
dig oder todt finden würden, wir. zu Ehren und Lob
Gottes des Allmächtigen, auch der Gottesgebärerin,
der Jungfrau Marta, zum ewigen Gedächtniß ein Klofter
bauen wollen.” Wirflich wurden die beiden Söhnlein
mit Anfang des Frühlings unverwest unter dent Heu
gefunden. Graf Hugo von Montfort, eingedenf feines
Gelübdes, ftiftete nun ein Klofter zu Lob des all-
mächtigen Gottes und feiner Mutter Maria, auch zu
Ehren des h. Benedikts, und gab dazu dad Eigen-
thum von Altenburg mit der Vogtei und allen Gütern, .
als Wiefen, Feldern, Waiden, Fiſchenzen und Wäldern, -
nebft einer Mühle; auch vergabte er noch fünf Pfund
Hellerzing, Tübinger Münze, welche er mit feinen Mite
erben vom Orte Oamertingen zu beziehen hatte. Die
eigentliche Uebergabe gefchah Durch die Hand des Grafen
Wolfrad von Vöhringen. Das Andenfen des Stifters
407
it durch ein noch im Klofter aufgehängtes Gemälde
verewigt. — Die neue Stiftung hatte gleich im erfien
Jahre Widermwärtigfeiten zu erdulden. Neidifihe, bös—
geſinnte Menſchen fielen in das Klofter ein und jagten
die Priorin mit ihren Schweftern hinaus, Die Dabei
alle ihre Habe verloren. Doch nicht lange dauerte
das Eril ver frommen Schweftern, denn im Jahr 1267
jammelte Biichof Eberhard von Conſtanz die Zerftreu-
‘ten wieder, feßte fie wieder ein und nahın fte in —*
beſondern Schutz.
Auch die Grafen von Wirtemberg machten ſich um
das Kloſter verdient, denn laut einer Urkunde vom
Jahr 1271 ſchenken und beſtätigen die Grafen Ulrich
und Eberhard von Wirtemberg, auf Bitte ihres Vetters
Graf Wolfrad von Vöhringen, der Priorin und dem
ganzen Convent zu Marienberg die Vogtei des Städt-
leind Brunnen, und all ihre Recht in dem Städtlein
felbft, wie es ihnen fchon ihre Vater Ulrich gefchenft
hatte. Berner betätigt Graf Eberhard von Wirtem-
berg im Jahr 1288 die- Schenkung feines ehemaligen
Bafallen Swigger von Truchtelfingen, beitehend in
einigen Gütern zu Truchtelfingen und Steinhülben.
Im Sabre 1281 wurde das Klofter vom Pabſt
- Sohann XXL. in Schuß genommen. Im Jahr 1293
übergab es der Bifchof Rudolf von Conftanz dem Abt
und Convent Zwiefalten in Schuß und Schirm, und
unterwarf es deſſen Obrigkeit in leiblichen wie in
geiftlichen Dingen. Im der Folge jedoch nahmen ſich
des leiblichen Schirms immer die Herren von Gamer-
408 E
tingen und Hettingen an, und der Abt von Zwiefalten
war immer nur der geiftliche Obere. Im Jahr 1523,
ald Die Herren von Speth zu Gamertingen Kaftenz,
Schutz⸗ und Schirmvögte des Klofters geworden waren,
entftanden bald allerhand Mißhelligfeiten. Der Con—
vent zu Marienberg fündigte ihnen den Schirm auf,
erkannte aber fpäter wieder die Herren von Speth ala
Schirmvögte an, und gab eine jährliche Schirmsfrucht.
In der Folge machte fich das Klofter ganz und gar
los, und war frei und unabhängig, ohne jedoch ein
immatrifulirtes Neichöflofter zu feyn. Im Jahr 1802
wurde Marienberg von Württemberg in Beſitz ges
nommen, aber es. behielt feine Cinrichtung. Man
beließ die ſieben Klofterfrauen, Drei Schweftern und
einen Beichtyater, um bier den Reſt ihrer Tage zu ver-
leben. Noch im Sahr 1835 war das Klofter von
Nonnen bewohnt. - Die Nonnen find nunmehr ſämmt—
fich abgegangen, und das Klofter hat eine andere fchöne
Beftimmung erhalten, wodurch es der Menfchheit wohl
nüßlichev geworden ift, al3 in früheren Tagen. Der
ehemalige rühmlich bekannte Arzt, Dr. Röſch zu Urach
und der edle Pfarrer Geßler, nunmehr zu Graben
ftetten, entwarfen den Blan zu einer Rettungsanftalt
für förper- und geiftesfchmwache Kinder, und erkannten
diefes im gefunden Albthal Tiegende Klofter für ein
taugliches Afyl zu einer Seilanftalt. Das SHerzeleid
trauernder Eltern gab dem Kloſter Marienberg feine
Entſtehung — ſchon manchen trauernden Eltern ift
hier ein Kind von Leiden genefen, und fie haben, wie
409
einſt Graf Hugo und feine Gattin, für ihre wieder-
gefundenen Söhnlein fo Gott Lob und Preis dDargebracht
für ihre Kinder, die ihnen der Helfer über alle Helfer
von Neuen gefchenkt, und haben danfbar ind Herz ges
graben die Namen der edlen eg Stif-
ter der Anftalt.
Die Kinder von Altenburg.
Das Schloß Altenburg hatte eine herrliche Lage.
Auf einer mäßigen Anhöhe reigend- gelegen, beherrſchte
es ftolz Die nächfte Umgebung und fpiegelte fich in den
fryftallhellen Wellen der nahen Lauchart.
Graf Hugo von Montfort, der Beſitzer dieſer ſchönen
Burg, hatte ſich mit feinem: trauten Weibe und zwei
blühenden Knaben hieher zurück gezogen. - Müde von
dem Geräufche der Welt, gab es für ihn Fein liebli—
cheres Nuheplägchen, als Schloß Altenburg im flillen
Albthale, und frohe Tage zogen von nun an über
den Häuptern diefer glücklichen Familie hin. Der
Eltern innigftes Beltreben ging dahin, ihre Kinder zu
guten Menfchen zu bilden und Pie jungen Kerzen mit
treuer Sand zu leiten. Diefe fehöne, heilige Sorge
umfaßte ihr ganzes MWefen, und e8 war eine Freude,
der Kinder fröhliches Gedeihen und der Eltern rührende
Sorgfalt, fie vor Allem zu ſchützen, was der Seele oder
dem Leib gefährlich Hätte werden fünnen, zu beobachten.
Eines der Tiebften Vergnügen der beiden Knaben in
den Sommermonaten war das Baden in den Fühlen,
410
Elaren Fluthen des Fluffes, welcher in der Nähe: der
Burg vorbeiftrömte, und fie meilten beſonders gerne
in den Abendftunden in dem erfrifchenden Elemente.
Eines Tages kehrten fie nicht zurück; die Abendglocken
waren längft verflungen und. die Dämmerung hatte
ihren Schleier über die Gegend gefenkt, als die bes
forgten Eltern felbft an’3 Ufer eilten, um die Lieblinge
zu fuchen. Das Maffer war nicht reißend und hatte
feine bejondere Tiefe; am Geſtade fanden fich Feine
Kleider und fo war das Ertrinfen der "Kinder nicht
wahrfcheinlich: dennoch zeigte fich Feine Spur derfelben
und Das ängitliche Aufen der armen Eltern blieb un-
beantwortet. Der Vollmond beleuchtete in Diefer Nacht
eine Scene der Angft und des Schredene. Alle Be—
wohnet der Burg und der nächften Umgebung verein-
ten fich, um die Verlornen zu fuchen. In dem nahen
Malde wurde das Wild vom Fadkelfchein und lautem
Rufen aufgefiheucht, fein Winkel blieb undurchfucht,
aber fein Erfolg frönte das redliche Mühen. Gerührt
von dem Jammer der verzweifelnden Mutter, fegte man
die Nachforfchungen noch den ganzen folgenden Tag
fort, umſonſt — die Kinder waren und blieben fpurlos
verfchmunden. Keine Worte können den Schmerz des
Herrn von Altenburg und defjen Gattin befchreiben,
weil feine erfunden find, Diefes entfegliche Weh zu
malen. AL ihr Glück, ihre fühen Hoffnungen waren
zertreten und fie fanden eine troftlofe Dede, wo früher
Alles voll Leben und Sonnenfchein gewefen war! Im
ihrem berbften Schmerze beteten fie gläubig zu Gott
4li
um Gnade und Erbarmen, und gelobten mit frommem
Einne, an der Stelle, wo immer ſich die erfte Spur
von ihren Knaben zeigen würde, ein Klofter zu bauen.
Der Herbft und ein endlos Tanger Winter: waren ver-
floffen, die erften Schneeglöckchen erhoben schüchtern
‚ihre Köpfchen, Die Sonnenftrahlen vergoldeten mit
neuer Bracht die entlaußten Bäume, al3 wollten fie
die jungen Knoſpen zum froben Leben weden: aber
fein LKichtftrahl Hatte je das Dunfel erhellt, dad über
dem Schickſale der verlornen Kinder ruhte. Eines
Tages gingen Die Knechte aus einer Scheune, Die Der
Burg gegenüber lag, Heu zu holen, welches im ver—
flojjenen Jahre dorthin gebracht und feither unberührt
geblieben war. Dort in Mitte des Schoberd fanden
fie Die zwei Leichen! — Da lagen die einft fo blühen«-
den, boffnungsvollen Knaben, der Troft und die Freude
der Eltern und all der milde Schmerz derfelben fonnte
fte nicht wecken! Die Knaben hatten wahrfcheinlich
nach dem Bade fich niedergelegt, um ein wenig zu
fchlafen, waren von den Knechten nicht bemerft und
mit Heu bedeckt worden, unter welchem fie erftickten.
Dem Gelübde gemäß erbaute der Graf von Montfort an
der Stelle der Scheune ein Klofter und gab ihm den
Namen „Marienberg. Zwölf fromme Sungfrauen
weihten bier ihr Leben dem Kern, und Die Eleine
Gemeinde blühte unter dem Schutze der Öefegneten
unter den Weibern.: Der treue Gott, auf den Die
unglücklichen Eltern’ in ihres Lebens herbſtem Wen
vertrauten, fenfte in ihr Herz den Frieden, den die
412
Melt nicht geben kann und vereinte fie nach einem
fanften Tode wieder mit Jenen, die fie bienieden am
Meiften geliebt. Ihre Leichen ruhen nebft denen ihrer
Kinder unter dem SHochaltare der Klofterfirche, deren
fromme Stifter fie gewejen.
2ina Welebil.
XXV.
Die Wurmlinger Kapelle
bei. 3.05 In ac,
Ganz abgefondert erhebt ſi ch über den Dörfern.
Wurmlingen und Hirſchau ein runder fteiler Berg,
. auf deſſen Spige wunderlieblich eine Kapelle pranget,
die und an das fehöne Lied unferes L. Uhlands mahnt:
Droben ftehet die Kapelle,
Schauet ftill ins Thal hinab.
Gegen das Ammerthal Hin ift der Berg weniger ange
baut, gegen das Nedarthal, beſonders Kirfchau zu,
iſſt er vom Fuß an beinahe bis zur Höhe mit Wein-
bergen —— Der Weg, der uns an die Kapelle
führt, ztehk ſich an letzterem bin und iſt faſt einer der
ſteilſten, * er auch manchmal ermüden, wir werden
reichlich fuür unſere Mühe belohnt. Iſt die Höhe er—
413
reicht, jo treten wir Durch das fehwarze Thörchen rechte,
das zu dem, die Kapelle umgebenden Friedhofe fuhrt.
Mit Hecht hat eine neuere Hand auf dieſes Thörchen
die Mahnung zur Mildthätigfeit gefchrieben, in früherer
Zeit war es wohl nie nöthig gewelen. Das erfte
nun, was ir thun, ift, daß wir im Innern des
Friedhofes Die Hunde un Die Kapelle machen, um der
herrlichen Ausficht zu genießen, die und Durch die
Deffnungen der altergrauen Mauer und über das alte
zerfallene Gemäuer felbft hinaus zu Theil wird. Mit
Einen Blicke überfehen wir das ganze Neckarthal von
Rottenburg bis Derendingen, und noch einen großen
Theil des Ammerthals. Am weftlichen Buße des
Berges liegt Wurmlingen, am öftlihen Hirſchau.
Längs dem Neckarthale Tiegt Rottenburg mit feinen
Thürmen, und in feiner Nähe rechts der hohe Wart:
thurm, links die wenigen Nefte der Weilerburg; an
Rottenburg ſich anfchliegend in einer fchönen Reihe
hinunter die Dörflein Kiebingen, Bühl, Kilchberg,
Meilheim und Derendingen, (die Stadt Tübingen ver-
bergen die öftlichen Berge). inter Diefen Dörflein
zieht fich die bläuliche Albfette bin, an Die noch der
ichwärzliche Streifen des Schwarzwalds ftößt. Von
der nördlichen Seite des Bergs erblicken wir zur
Rechten den ſchön gelegenen Ammerbof, weiter linfs
Sefingen, an das fich Pfäffingen und Boltringen an—
reihen. PBreundlich winket vom nahen Berge herüber
das anmuthige Schlößlein Roſeck, und die Thurnfpige
von Dorfe Entringen meldet, Daß nicht ferne von
414
ihm Das brüderliche Schlößlein Hohen-Entringen fich
erhebe, das von Den nördlichen Bergen neidifch ver:
fteeft wird.
Die Kapelle, wie wir fte jegt erblicken, zeigt und
wenig Merfwiürdiges. Ein gewöhnliches einfaches
Kirchlein, deffen Inneres an Unmichtigfeit dem Aeußeren
entjpricht. Die Berzierungen beftehen bauptfächlich in
unbedeutenden Votivgemäldchen aus neueren Beiten ;
das einzig Merfwürdige ift im Innern des Kirchleind
eine erneute Infchrift, die ſich auf der gegen das
Neckarthal gefehrten Seite des Kirchleins befindet,
welche meldet, daß „bier ein Graf Anfelmus von
Calw aus dem 10. Jahrhundert begraben Tiege. *
Im 16. Jahrhundert mußte diefe Infehrift noch nicht
vorhanden gemefen feyn, denn es erzählt M. Erufius,
daß er im Jahr 1589 auf einem Spaziergange zur
Wurmlinger Kapelle einen Grabftein in einer Mauer-
vertiefung eingefchloffen (da wo jegt die Infchrift fteht)
gefunden habe, aber ohne eine Infchrift; mobei der
ihn in die Kapelle führende Geiftliche die Bermuthung
geäußert, Daß fich die Imfchrift auf der Kebrfeite bes
finden möchte, was aber nur mit Wegheben des Steins
gezeigt werden fonnte. Er erwähnt noch einer Tafel,
die Dabei an der Mauer. gehangen babe, mit den
Morten: „Graf Anfelm zu Calw, Stifter”, und einem
beigefügten Wappen, das einen rothen Löwen ohne
Haare im weißen Felde vorftellte, der auf drei bläu—
lichen Hügeln oder Felfen ftand, eine bläuliche Krone
auf dem Haupte trug, und feine ebenfalls bläuliche
415
Zunge herausſtreckte. Dieß nur zum Beweis, daß die
jeßige Infchrift, ob fte gleich neweren Urfprunges fcheint,
entweder erneut wurde, oder wenigfien3 auf einer
älteren Meberlieferung beruht. Daß übrigens das
Grab eines Stifters ſich wirklich auf der Kapelle ſchon
in frühefter Zeit befand, dieß bezeugt die fpäter zu
erwähnende Wurmlinger Stiftung, die Diefem —
zugeſchrieben wird.
Das Alterthümlich-Merkwürdigſte am Aeußern der
Kapelle möchte das unter ihr angebrachte Gewölbe ſeyn.
Mir gelangen am beiten zu demfelben, wenn wir
durch das linke Thörchen des Kirchhofs Hinabfteigen.
Der Eingang, durch den wir kommen, zeigt und
mehrere Eleine Gewölbe, deren Bogen von niederen
maſſiven GSteinpfeilern gebildet werden ; von dieſen
fleigen wir ein wenig abmärts und treten in ein eins
faches Gewölbe, das in einen gemauerten Gang aus—
läuft, der bis gegen die Mitte des Kivchleins unter
dem Boden fortführt. Was die Beftimmung dieſes
unterirdifehen Gemwölbes früher war, ift ungewiß; wahr—
fcheinlich ift e8, dag in der früheften Zeit Hier ein
Todtengewölbe war. Vielleicht wäre dieß als die
Stelle anzufehen, an der der Graf Anſelm von Calm
laut jener Infchrift in der Kapelle begraben wurde.
Die ganze Bauart des Gewölbes fpricht für ein Hohes
Altertum und Fönnte die Muthmaßung unterftügen.
Wohl mochte dieſes Gemölbe allein den Verwüſtungen
des 30jährigen Kriegd entgangen feyn, während Die
Kapelle felbft ein Opfer deffelben wurde.
416
Die Kapelle hieß vor Zeiten Die Kirche zum heiligen
Nemigius, und der Berg der Nemigiberg. Der latei—
nifche Name des Bergs ift mons vermicularis, eigent⸗
lich Wurmberg, von Lindwurm abgeleitet, wie’ jchon
das Mappen der Edlen von Wurmlingen zeigt. Neben
dem Kirchlein war in früherer Zeit noch eine Wohnung
für den ©eiftlichen , den Das Klofter Kreuzlingen bei
Conſtanz beordnete. Die führt und auf Das Ver—
hältniß des Klofters Kreuzlingen. zu der -Wurmlinger
Kapelle Schon nah Urfunden von 1185 finden
wir Kreuzlingen im Beflg mehrerer Gefälle diefer
Gegend ; dieſe foll Der oben erwähnte Graf Anſelm
von Calw ſchon in frühefter Zeit dem Klofter Kreuz-
lingen mit der von ihm geftifteten Kapelle auf Dem
Berg vermacht haben. Zur Beziehung dieſer Gefälle
nun und zum DBerfehen des Gottesdienftes auch für
die Gegend, wurde yon dem Klofter ein Geiftlicher
auf dem Berge angeftellt. Daß mirflih fchon frühe
ein ſolches Verhältniß ftattgefunden habe, läßt fich
aus Volgendem beweifen. Im Jahr 1192 übernimmt
Kaifer Heinrich VI. die Befigungen des Klofters
Kreuzlingen, und unter diefen auch Die von Wurm—
lingen als Schirmvogt, indem fie ſchon früher fein
Urgroßvater Welf befaß. 1213 kommt ein Abt
Theodorich von Kreuzlingen als Plebanus (Geiftlicher)
in Wurmlingen vor. 1226 will ein Graf Albert
von Rottenburg dem Klofter Kreuzlingen den von ihm
an defien Gütern in Wurmlingen zugefügten Schaden
wieder erfegen. Dieſes Verhältniß betrifft natürlicher
417
Meile Hauptfächlich "Die Kirche auf Ya Berge und
was von Befigungen um den Berg: jeldft oder in der
Marfung des Dorfes Wurmlingen Tag. Es dauerte
Bis im Die neueren Zeiten fort; Denn als während Des
3Ojährigen Kriegs, der befonderd auch: dieſe Gegend
jein Weh fühlen ließ, die Kapelle und: die Pfarr-
wohnung niedergebrannt wurde, ward die Kapelle im
Jahr 1682 wieder aufgebaut, 1685 eingeweiht und
wieder von Kreuzlingen aus mit einem Geiftlichen des
Klofters befegt. Im der neueften Zeit wurden die
ſchon unter‘ Defterreich fequeftirten Güter infammerirt
und vom Staate der Pfarrer ernannt. Bisher war
die Kirche auf dem Berge auch Die eigentliche Dorf
kirche. Erſt im Jahr 1820, als die auf dem Berge
zu klein und Gaufällig wurde‘, baute man im Dorfe
eine eigene. Der Zuftand, in den wir die Kapelle
erblicken, iſt gleichfalls ein Werk Der neueften Zeit;
natürlich war es mehr eine Verbefferung des Einzelnen,
als eigentliche Wiederherftellung des Ganzen. Die
Stelle des im 30jährigen Kriege mit der Kapelle
niedergebrannten PBfarrgebäudes Auf dem Berge, Das
nimmer "aufgebaut wurde, vertrat wahrfcheinlich das
jeßige Pfarrhaus im Dorfe, Das: ſchon — als
Kreuzlinger Pfleghof erbaut worden: war.
Eine ſinnige Sage, ſo wie eine höchſt ſeliſame
Stiftung knüpft ſich an die Perſon des obengenannten
Grafen Anſelm von Calw, des erſten und edelſten
Todten auf der Wurmlinger Kapelle.
In‘ 27
l
>
418
Graf Anfelm von Calw und die
Wurmlinger Mabl;eit.
Graf Anjelm zu Calw war ein frommer Mann,
der e3 mit Allen redlich meinte und treu ‚an feinem
Worte bielt;-für ihn gab es fein gröperes Vergnügen,
als frei, wie der Vogel in den Lüften, in der Welt
berumzuftreifen. "Schon vor Jahren hatte er das Beil.
Land gejehen, St. Thomasland hatte er auch bejucht,
und dank. in die Heimath zurücgefehrt, war er wieder
von Land zu Land gefahren, denn er freute jich, Die
verjchiedenen Charaktere, die mannigfaltigen Sitten und
Gebräuche der Menfchen Fennen zu. lernen. Um feiner
Landfahrerluft vollfommen genügen zu fünnen, Hatte
er. auch feine Frau genommen, damit nichts im Stande
wäre, ihn zurüdzubalten. So blieb er oft jahrelang
von jeiner Heimath weg, und fam er wieder nad
Haufe, fo geichah es nur auf einige Wochen, um
fein Saus zu beftellen und Anordnungen zu treffen,
im Ball er nimmer in die Heimath ehren würde.
Bereitö Hatte er ein hohes Alter erreicht, und. da
er feine Kräfte mehr hatte, in die Berne, zu fahren,
jo ftrich er durch Die Wälder und Täler feiner Graf:
haft. Das ging. jo. mehrere Jahre Hin, bis endlich
der Tod auch bier fich einfand. - Ungerne verließ Der
Wanderluftige die Erde, um zur Ruhe einzugeben und
unbeweglich zu liegen. Im Sterben vertheilte ex jeine
ganze Habe unter feine Dienflleute, und machte den-
jelben zur Pflicht, feine Leiche in einen Sarg, dieſen
419
auf einen fehwarzen Wagen zu legen, vor benfelben
vier ſchwarze Stiere zu fpannen und folche ungehindert
des Weges ziehen zu laſſen. Wo fie aber halten
würden, dort follte eine Kapelle gebaut und in ders
jelben der Graf begraben werden. Der legte Wille
des Todten wurde gewiffenhaft befolgt. in langer
Zug trauernder Diener folgte dem Wagen, bis die
Stiere nach einem beſchwerlichen Wege über Berge
und Durch Thäler auf einem hoben, fteilen Berg biel-
ten und fich dort gemächlich niederliegen. Nun wurde
der Sarg noch einmal geöffnet. Die Augen ganz
offen, als wollte er noch einmal mit einem weiten
Aundblide Abfchied von der Erde nehmen, lag der
Todte in ftiller Ruhe da, von der Abendröthe beftrahlt,
dag er ausfah, als rollte noch das Blut in feinen
Adern, als wohne noch das &ben im feiner Bruft.
Jetzt wurde der Erde wieder gegeben, was ihr gehörte,
während von fünf Dörfern in der Runde ein feier
liches Grabgeläute erfcholl. Der Sarg des Grafen
wurde der Grundſtein der Kapelle, „die nunmehr über
dem Grabe erbaut wurde, nah dem Willen des
Stifters. Im ihr Verrichtete von nun an manch an—
dächtiger Pilger fein Abendgebet. Nah und nad
fingen Die Bewohner der Umgegend an, ihre Todten
auf den Berg zu bringen, fo daß fich mit der Zeit
um den ©rafen eine Fleine Schaar Abgefchiedener
fammelte;5 und Graf Anfelm von Calw war Bald
nicht mehr der Einzige, der Diefe freundliche Höhe bes
wohnte. — Während eine Infchrift feinen Namen in
420
der Kapelle verewigt hat, lebt fein. Andenken in ‚einer
jonderbaren Stiftung fort, die wir in. ihrersalten
naiven Sprache bier folgen laſſen.
„Sn das Kapitel Wurmlinger Berg gehört der- Stadt
Tübingen und Rottenburg, ſammt deren umliegenden
Flecken Priefterfchaft, die ihren eigenen. Defan und
Kammerer haben. Derfelbe Kammerer foll alle Jahr,
auf Montag nach Allerfeelen Tag, mit einem oder zwei
Dienern auf den Wurmlinger Berg gehn. Da fol
er vor den Thor des Kirchhofs, auf. obgenanntem
Berg, einen Wagen gut gejpaltenen dürrens Holzes,
das gerne brennt und nicht rauchet, und Dazu einen
Sack voll mohlgebrannter Kohlen finden. Darnach
ſoll auch da feyn ein Wagen voll Heu, Darauf fol
eine bafelbraune Gans ſitzen, welche der Kammerer
dem Fuhrmann, der das Heu hiehergeführt hat, fchenfen
ſoll, zum Zeugniß, Daß auf den morgenden Tag ei-
nem jeden Briefter, jo da anmefend feyn werde, ‚eine
eigene Gans vorgefeßt werden foll. Weiter joll da
ſeyn ein wohlgemäfteter dreifäbriger Stier, deßgleichen
Drei gemäftete Schweine, nämlich ein. Milchferfelein,
ein Sährling und ein Zweijährling , die. jollen auch
durch einen Mezger beftchtigt werden, Damit fie nicht
finnig feyen. Ferner foll der Kammerer da finden |
dreierlei Bier, nämlich jährige, zweijähriges und drei—
jähriges ; Diemeil aber das Bier in dieſem Land und
zu dieſer Zeit 658 zu bekommen ift, haben ſich die
Gapitelöverwandte Briefter mit dreierlei Wein, Davon
der eine Nappus (Roth), der andere alt, der dritte
421
neu, doch weiß ſeye, abthätigen laſſen. Deßgleichen
ſoll auch da ſeyn dreierlei Brod, nämlich Semmel-,
Kern- und Roggenbrod, und je drei um einen Schilling
gebacken werden. Auch ſoll da ſeyn ein geſchickter
Mezger und ein berühmter Koch, der alles Obgemeldete
wohl wiſſe zuzurichten und zu kochen. Alsdann ſoll
des Abts von Kreuzlingen Pfleger, ſo auf dieſem Berg
ſeine Wohnung hat, er feye eine geiſtliche oder welt—
liche Perfon, der Mebger und Koch, fammt allem
andern Gefind, Das zu dienen allda gebraucht wird,
dem Kammerer einen Eid ſchwören, daß fie Deren oben
angezeigten Dinge nichts in feinem andern Weg ver—
ändern wollen, als wie er's fie befcheiden werde; Da--
rum foll ihm auch ein eigen befchloffenes Gemach,
alle Dinge darinnen zu behalten, gegeben werden, und
folches alles, wie oben gefchrieben ftehet, foll auf be—
flimmten Tag verrichtet werden. Morgens, das it
auf Dienftag nach Alferfeelen, follen der Dekan und
alle Capitelherrn, ſammt den Miethlingen oder Helfern
beider Städte, Tübingen und Rottenburg, frühe auf
den obdgenannten Berg, e8 feye zu Noß oder zu Fuß,
kommen und ihre Kußfappen mitbringen, bei Straf
eines Moden Dinfels, mit Dem ein jeder, der zu fpät
kommt, beftraft wird. Bleibt er aber gar aus, wird
er gleicher Geftalten gebüßet. Es kann auch ein jeder
mitbringen feinen Meßner, oder fonft einen Schüler,
derfelbe foll feinem Pfarrherrn gleich gehalten werben.
Und ob ſichs begebe, daß einem Capitelherrn, wern
er unterwegs wäre, um auf den Berg zu ziehen, eine
422
oder mehrere ehrliche Perſonen bekämen, Die mag er
einladen, und alſo einen oder mehrere Gäfte mit ficb
bringen, doch foll er folches,: fobald er auf den Berg
fommt, Dem Kammerer anzeigen, Damit man, fold;e
Gifte nach Ehre wife zu halten. Man foll auch
einem jeden, der ein Roß mit- fich bringt, einen neuen
Kübel und einen Bierling Haber darein Dem Roß
zum Butter geben, dazu auch-einen Streik, das Roß
daran zu binden, zuftellen ; folchen Kübel und Strid
bat eines jeden Capitelherrn Meßner zum Gedächtnig
die Macht mit ihm beim zu nehmen. Wann nun Die
Gapitelherren alfo am Morgen auf dem Berg zu—
ſammen fommen find, follen fie ihre Stiefel und
Sporn ausziehen und Die Kußfappen anlegen, vor der
Kirche auf obgedachten Berg Fiegend, und bei Des
Stifters Grab ein Bigilien beten. Darnach foll der
Dekan des Capitels ein Seelenamt fingen und die
Capitelherrn zu opfern geben, auch mittlerweilen zum
Theil etliche Dieffen Iefen. Unter dieſem Amt vers
fündet ein Briefter dem Stifter fen Gemahl und
Kinder, auch fiehet der Kammerer mittlermweilen ein
oder zweimal in die Küchen, ob Dad Feuer recht und
ohne Rauch brenne. Nach dem Amt der Meffe geht
man wieder zu des Gtifterd Grab, fingt ein Vesper
Placebo ſammt angehängten Colkecten. Dennoch ftehet
der Defan in Der Kirche vor dem Seel-Altar, und die
Gapitelherren, angethan mit ihren Kußfappen, neben
ihm nach der Reihe; Da bedeckt er zmeen feiner Apftanten
mit der Stola, alsdann verlieft der Kammerer den
423
MWillen des Stifter mit verftändlicher Sprache, und
erklärt alles, was darinnen nicht verftändlich geſetzt
wäre. Darauf müffen ‚alle Gapitelherren mit einge-
ſenkten Fingern in das Plenarium einen Eid ſchwören,
daß ſolche Stiftung, als bis anhero gehalten worden,
daß ſie auch ſolche Haltung von ihren vorfahrenden
Capitelherrn, alſo je und allwege gehalten feye, allein
das: ausgefchloffen, daß man jego Wein für Bier zu
trinken vorfeßt. Auf folches bittet Der Kammerer die
Gapitelheren , fammt allen ſo gegenwärtig find, zu
Saft, und weil fie fih um den Vorſitz zanfen oder
verlängern, ‘gebt er hinab gen Sulchen, welches unten
am Berg liegt, und fpannet dafelbft auf dem Kirchhof
des obgemeldeten gemegelten Stierd Haut au, fo
breit fie mag, und heißt die ausfägigen Leute, fo fich
allda, vermöge der Stiftung, verfammelt haben, nieders
jigen. Darnach kommt er wieder zu den Gapitelheren
und Gäften, nimmt ein Semmelbrod , höhlet es aus
und flellt e8 einem jeden vor, darein legt ein jeder
Gapitelherr einen Pfennig, aber‘ ein Gaft gibt was
er will. Solches Geld trägt er zu den Armen, bie
auf dem Kirchhof um die Stierhaut figen, und theilete
unter fie aus. Mittlerweilen trägt man vor Dreierlei
Brod, und feet dreierlei Wein vor, je zweien und
zweien zufammen, und alsdann fpricht man das Bene-
dieite. Darauf befichlt der Kammerer dem Koch an-
zurichten. Alfo fegt man erfilich vor die drei Schweins—
föpf geröftet, und nachdem man Davon gegeflen bat,
hebt man Die wieder auf, jammt Wein und: Brod,
l
424
was auf dem Tiſch iſt und gibt es den Ausfäsigen,
die bei der Stiershaut figen. Darnach legt man wieder
dreierlet Brod auf, und trägt auf ein Beyeſſen von
der ans, Fuß, Leber, Flügel, Magen und vergleichen,
und wann. man. von folchem gegejjen: hat, hebt mans
auf, ſammt Wein und Brod und gibts, wielohges
meldet, armen Leuten. Darnach ſetzt man voriges
ſottene Hennen, Brüh und Fleiſch, friſch Wein und
Brod — was übrig bleibt, wird aufgehoben und armen
Leuten mitgetheilt; alſo wird auch mit dem Pfeffer
gehandelt. Darnach fegt man vor gefottene Fiſch in
einer. wohlgewürgten Brüh, aber alsdann legt man
nur zweierlei Brod, nämlich Semmel= und Kernenbrod,
und fehenft ein dreierlei Wein, mit dem aufgehobenen
aber wird es, wie obgemieldet, gehalten.» Folgends wie—
derum frifch Wein und Brod vorgelegt, und je zmei
und zweien Capitelherrn vorgefeßt, eine gebratene Gans,
darinnen fol ftecken ein gebratenes Huhn und in dem
Huhn eine gebratene Wurft, damit aller guter Dinge
drei ſeyen. Und von folchem mögen fle ihren Gäften,
Mepnern, Schülern und Andern, fo zugegen find, etwas
vorlegen; das übrige alles wie obgemeldet, foll mit
Wein und Brod aufgehoben und den armen Leuten
gegeben werden. Zuletzt fegt man vor Käß, Kuchen,
Nuß, Trauben, Birn und dergleichen, und wann fols
ches aufgehoben, gibt man das den armen Leuten, alfo,
Daß vom diefer Mahlzeit nicht3 überbleibe, Dad nicht
armen: Leuten mitgetheilt werden folle. Ueber das
ſoll man auch den armen Leuten fochen und vorſetzen
425
I
Brüh und Fleiſch, auch einen Pfeffer, Dazu jedem einen
Becher mit Wein darfegen. Wann nun alfo Die
Mahlzeit vollbracht, das Gratias gefprochen, und Die
Herren vom Tiſch aufgeftanden find, gehen fte in die
Kirch in den Chor und halten Rath, ob ihm mit
diefer Mahlzeit, vermög der Stiftung‘, genugfam ge—
fchehen feye oder nicht, und fo das mehrer wird, Daß ihnen
genugfam gefchehen feye, auch fonften der Stiftung gelebt
worden, alsdann zählt der Decan den Abt von Kreuze
lingen und fein Convent, als VBerrichter dieſer Stiftung,
frei, ledig und los aller Forderungen und Anfprach,
die man im Fall, wo Mangel: vorhanden gewefen, an
ihm oder dem Gonvent, mit oder ohne echt haben
möchte, in allweg. Darnach verlieft man die Stiftung
wieder öffentlih. Es mögen auch die apitelheren,
wann e3 ihnen gelegen, eine Summe Geldes für Diefe
Mahlzeit nehmen, Doch foll den Armen an ihrer Ge
rechtigkeit Fein Abbruch, wie oberzählt, damit gefchehen.
Und vb ſichs begebe, Daß dieſe Stiftung in einem oder
mehr Bunften nicht gehalten würde, alsdann follen
alle Nusungen und Einfommen des vorgemelveten
Berges dem Klofter Kreuzlingen entwendet, und wie—
derum zu dem älteften Grafen zu Calw fallen, der
folle alsdann zu: einem Zeugniß einen Goldgulden,
reitend auf einem Pferd und in dem GStegreif ftehend,
über den Kirchthurm des gemeldeten Wurmlinger
Bergs ausmwerfen und fehnellen, und foll darnach er
und feiner Erben ſolche Stiftung gu verrichten fehuldig
ſeyn. Am Abend gibt man dem Gefind Brüh und
426
Fleiſch, und zehn Schilling zu dem Abjchied,E und dar-
nach alles übrige, es ſey gekocht oder ungefocht, "den #
arnıen Leuten." —
Diefe Stiftung - ift noch Anno Eprifti 41530 ‚ger
halten worden. Nachher wurde: fie in ein ordentliches
Mittagemahl, mit. dem noch ein Geldgefchent Yon
2 fl. 45 fr. verbunden: war, verwandelt. Während
der erften Zeiten "der Reformation fanden fich felbft
evangelifche Pfarrer dabei ein, was zu manchen Irrungen
Anlaß gab, worauf fie dann wegblieben. Noch heut
zu Tag wird Durch die Pfarrer der Umgegend jährlich
diefe Stiftung mit Todtenvigil, Seelenämtern und
Befper am Dienftag nach der. allgemeinen Kirchweihe
im Dftober gehalten, und Jeder erhält für Diefe Mahl:
zeit 6 fl.
Dieß die. befannte Stiftung der Wurmlinger Mahl⸗
zeit, die offenbar in eine ſehr frühe Zeit zu verſetzen
iſt, wenn wir wirklich Graf Anſelm von Calw für
den Stifter halten, der jeden Falls zu den -älteften
Ahnherrn des Calwer Grafenhaufes “gehört, wahre
jcheinlich einer der nächften Nachfommen Erlafrieds und
Ermefrieds von Calwe gewefen, und mohl im Jahr
938 gelebt haben kann, wie unfre alten wirtembergis
chen Chroniften annehmen. Wenn e8 in der Stiftung
gegen den Schluß beißt, Daß der ältefte Herre von
Calwe auf dem Bferde, im Stegreif flehend, einen
Goldgulden über den Kirchthurm der Kapelle werfen
toll, fo bezieht jich Das auf eine Zeit, da der Stamm
der Orafen von Calwe noch nicht auögeftorben war.
427
Das war der Fall im J. 1219, da mit Öottfried von
Calwe der alte Stamm der Calwer Grafen ausge-
gangen. Somit war im Anfang des 13. Jahrhun-
derts bereits die wahrfcheinlich in Iateinifcher Sprache
verfaßte -Stiftungs =» Urkunde vorhanden. Daß Die
Stiftung des Grafen Anfelm fchon in alter Zeit wirk
lieh in Ausführung gefonmmen ,, bezeugen mehrere Ur-
funden , unter andern eine von Jahr 1348, Die ein
gewiffer Dekan Berthold zu Boltringen verfaßte,
Der zu Bolge follte die Mahlzeit am Dienſtag nach
Allerſeelentag gehalten werden.
Nun noch eine Sage, die der Verfaſſer während
der unvergeßlich febönen Tage auf der Alma Eber-
hardina bei feinen Wanderungen auf die Wurmlinger
Kapelle oft hat erzählen hören:
Der Alte vom Berge.
In jener drangfalsollen Zeit Des preißigjäßrigen
Krieges, da die ehrwürdige Wurmlinger Kapelle von
oben Händen niedergebrannt war, ſiedelte fich ein
fronmer Mann neben den Ruinen des Kirchleind an,
den man nur den Vater Leonhard, oder den: „Alten
vom Berge” nannte. Er war hieher gefommen, um
auf Gott geweihtem Boden in fliller Einſamkeit fein
Leben Gott zu weihen. Niemand wußte, woher er Fam,
Niemand Fannte feine früheren Sciedfale, aber Alle
liebten und fegneten den guten Alten, deſſen Rath und
Beiftand ihnen fo oft aus mander Noth geholfen.
428
Dichtes Waldgefträuch Hatte Die Auinen der Kapelle
übermwachfen ; an diefe hatte er eine arme, kleine Woh—
nung angebaut, die nur dürftig mit dem Nöthigſten
verfegen war. Das Zeichen unferes Heiles, das
Kreuz, war der einzige Schmuck der kahlen Wände.
Sp arm aber auch Die Umgebung des ehrwürdigen
Vaters war, fo reich an Liebe und innerem Frieden war
jein Herz. Jahr um Jahr war ihm im Dienfte Gottes
und in treuer Sorge für das Wohl der Mitmenfchen
dahingefloflen; manch heilend Kräutchen, von ihm ge
jvendet, hatte Der weinenden Mutter ihren Liebling
wiedergefchenft , manch tröftend Wort hatte der jam—
mernden Wittwe Vertrauen und Hoffnung in die Seele
gegoffen, und in allem Weh des Lebens kamen die
Bewohner Wurmlingens zu Bater Leonhard. Keiner
verließ Die arme laufe ungetröftet, denn der Alte
vom Berge. Tehrte fie voll Eindlichen Vertrauens den
thränenvollen Blid gläubig nah Oben zu wenden,
wo Alles Liebe und Erbarmen ift.
Das Alter hatte feinen Silberfchnee auf das Haupt
des frommen Vaters geſtreut, die einſt kräftige Geſtalt
war nun gebückt, die zitternde Hand umklammerte den
Stab, und nur ſelten mehr ſah man Vater Leonhard
vom Berge herabwallen. Die Saat der Liebe bleibt
nie ohne Ernte — und als die Kräfte des Greiſes immer
mehr ſchwanden, brauchte er nur ſein Eſelein, dem er
längſt neben ſeiner Clauſe eine Wohnung bereitet hatte,
von ſeinem treuen Hündlein begleitet, hinab gen Wurm—
lingen zu ſchicken, und die Einwohner wetteiferten, dem
429
allverehrten Vater Liebesgaben zu fenden und für alle
jeine Bebürfniffe zu forgen. Tag um Tag fam denn
die kleine Karavane den Berg herab, voraus lief das
Hündchen, als wollte es forglich den beften Weg ſuchen,
ihm trabte das Ejelein behutfam nach, «und fo kamen
fie, von Jung und Alt begrüßt, ins Dorf, um es
alsbald reich beladen wieder zu verlaffen. Die An—
funft der Beiden war für Wurmlingen längft "ein
Ereigniß geworden, dem man mit Sicherheit entgegen-
ſah; um ſo mehr mußte es auffallen, als fie eines
Tages "nicht eintrafen. „Was foll das bedeuten 2
„warum fommt Vater Leonhard’S Efelein heute nicht?”
folche Fragen gingen von Mund zu Mund, und fihnell
entjchloffen fich einige Männer, nach der Urfache dieſes
Ausbleibens zu forfchen.. Auf dem ganzen Wege fan—
den fie feine Spur der beiden Thiere, und gelangten
endlich zur Zelle des frommen Einftedlers, wo ſich
ihnen die traurige Löſung Des Räthſels bot. Zwifchen
einer Gruppe von hohen Gefträuchen fund ein kunſt—
loſes Grucifixz, vor welchen Vater Leonhard lag, die
eine Hand um Das Kreuz gefchlungen, während Die
andere ſich am Boden ſtützte. ALS fie näher traten,
fahen fie fein mildes, greijes Angeficht, aber die klaren,
blauen Augen, die jo oft ihnen Frieden zugelächelt,
waren mie im Schlafe gefihloffen. Ein langes, braunes
Kleid hüllte Die Geftalt ein. Tiefe Etille herrſchte
ringsum, fein Vogel wiegte ſich in der reinen Serbft-
luft. Sie ftanden lange vor dem Liegenden und be—
trachteten ihn aufmerffam; da konnte es ihnen nicht
430
entgehen, daß er fill und ſtumm, daß er ohne Athem
war. Vater Leonhard war todt, noch im Tode Hielt
er das heilige Bild umfchlungen! Im Anbau der Zelle
fand man die beiden Gefährten des Einfiedlers Tiegen.
Die Hand, welche fie fo Tange gefüttert Hatte, war
erftarrt, und fo waren die treuen Thiere, die ihren
Herrn nicht verlaffen wollten, verfchmachtet. Tief er-
griffen berathfchlagten die Männer von Wurmlingen,
was nun zu thun fey, und fanden nichts Beſſeres,
als Die Leiche einftweilen in Die Hütte des Einfiedlers
zu tragen, bis man ſie in gemeihte Erde beiſetzen
könne. Gie thaten es, fprachen Die Todtengebete und
gingen ftille fort, um die traurige Kunde gen Wurm—
lingen zu bringen. Wer Vater Leonhard früher ge-
wefen, wurde niemals ergründet.
Lina Welebil.
XXVI.
Ruine Geyersburg
bei H ae
Auf einer füdlichen Anhöhe über dem: linken Ufer-
des Kochers, zwifchen Gelbingen und Obermünfheim,
ragt ganz nahe beim Lindenhof (Lindenau in alten
Zeiten, von dem fich fehon im Jahr 1275 ein Ritter
Walther von Lindename genannt) die malcrifche Ruine
431
der Geyeröburg. „Die ganze Ruine befleht: nur noch
aus einen uralten achtedfigten gebrochenen Thurme, an
dem noch viele Fenfter und Luden jichtbar find. Un-
ten am Thurme ift eine große Deffnung und ein Theil
des Bogens über dem Eingange, der immer mehr zer
fällt und fich erweitert. Da nirgends in der Umge—
bung des Thurms Reſte von Mauerwerk fichtbar find,
auch über dem ehemaligen Eingang an den Seiten des
Thurms mehrere Fenſterlucken über einander: fichtbar
find, jo möchte man faft glauben, daß diefer Thurm
das Hauptgebäude geweſen, in dent Die Wohnung des
Beligerd angebracht war. Wir wiſſen ja, wie fich im
Mittelalter oft ganze Familien mit vielen Kindern mit
einem einzigen Saale und etlichen Nebengelaffen begnüge
ten, Denn in der guten alten Zeit lebte und wohnte
man vick einfacher, als jetzt. Vielleicht ftand auch auf
den oberſten Stockwerk des Thurms, auf defjen Trüm—
mern nunmehr ſchlanke Tannen emporwachſen, eine höl—
zerne Wohnung, wie wir ſie beſonders auf den alten
Burgen der Schweiz finden. Wenn ein ſolcher Burg—
thurm von einem Graben mit einer Zugbrüde umgeben
war, fo war er binlänglich befeftigt, und fonnte leicht
gegen den erften Angriff eines feindfeligen Nachbare aus»
halten, bis Entfag aus der nahen Stadt herbeifam.
Wenn wir von den wenigften Burgen wifjen, wer
ihre Erbauer gemwefen, fo wiffen wir ed genau von der
Geyersburg, wenn auch nicht Tag und Jahr der Er:
bauung angegeben ifl. Der alte zuverläfige Haller
Chroniſt Sodann Herold berichtet und in feiner.
432
Ehronica von der Stadt Hall (herausg. wm.
Dttmar Schönhuth, Hall 1855) ©. 19 alſo: „Geierß—
burg Hat ein Wittfram, ein geboren Geyerin, Die aber
einen Veldner gehabt, zwifchen Gelbingen und Münk—
ben, gleich bei Newenburg am Kocher: vber, vf einem
Berg, imeiner Theurung ein klein Steinhauß umbgra—
ben, gemauert vnd gebamwet, vnd irem gebornen Na—
men nach Geyergburg genannt. Von diefem Steinhauß
vnd Schloß ihr Wohner , ihr Sohn und Nachkommen
die Geyer genannt fein worden.“ Woher dieſe Geyerin
ftammte, die wir als die Erbauerin der Geyerdburg ken—
nen, wiffen wir nicht. Im Jahr 1361 erfcheint ein
Dietrich Geyer in einer Urkunde neben mehreren Rit—
tern und Edlen aus der Umgegend, aber ſein Wohnſitz
ift nicht genannt; es Tönnte aber möglicher Weife einer
von Gejchlecht der Geyer von Gibelftatt im Gau feyn,
deren Burg noch jest in jenem Dorfe in Trümmern
zu fehen. "Nach unfrem Berichterftatter Hatte fie (zum
Gemahl einen gewiſſen Veldner. Diefer Veldner ges
hörte einem Geſchlecht an, das urſprünglich in Gailen—
kirchen ſeinen Sitz hatte, und einen Conrad Veldener
(um 1298) als ſeinen Ahnherrn zählte. Die Veldener,
welche einen Fiſch im Wappen führten, zogen frühzeitig
nach Sal, wo ſie bürgerlich wurden und im ſogenann⸗
ten DVeldenersthurm wohnten. Der Stammpater Diefer
Haller Veldner ift wieder ein. Conrad Veldner, deſſen
Wittwe Guta vom Jahr 1333—45 häufig in Haller
Urkunden erfcheint, und Hauptfächlich Durch Erbauung
der fogenannten Velonerin- Kapelle ihres Namens Ges
433
dächtnig verewigte. Sie hinterließ drei Söhne: Hein—
rich, Conrad und Sand. Der leßtere ift wohl jener
Dans Beldner, der in Jahr 1345 vorkommt und wohl
mit jener Geyerin vermählt war, welche Die Burg baute,
und fie den Grafen von Hohenlohe zu Lehen auftrug.
MWahrichemlich ihr Sohn gleichen Namens nannte fich
zum erfien Male „Gyr. Im Jahr 1383 ftiften Jo—
hannes von Stetten, Ritter, Peter und Wilhelm von
Stetten, Hand Beldener, Gyr genannt, und Sand yon
Stetten, der jüngere, Bürger zu Hall, um ihres See—
lenheils willen, den Altar in dem Chor in der Ka—
yelle auf St. Michels Kirchhof , welche der Veldnerin
‚Kapelle heikt, für den Kapları gemiffe Gülten von Häu—
fern zu Hall (Hans Veldners bei der Brudfen) u. ſ. w.
Im Jahr 1386 wird Hans Veldner, genannt Gyr,
‚gemeinfchaftlich mit Götz von Stetten belehnt mit deſ—
fen Theil an Kocherftetten. Er und feine Nachkom—
men führten in ihrem Wappen einen weißen Fifch in
einem gelben Strich, überzwerch in einem rothen Feld,
und einen rothen überftülpten Heidenhuth, oben mit
einem jchwarzen Sederbufch, fonft vom Ende zu beiden
Seiten von Fifchen und Farben wie Die Schilde. —
Schon mit Anfang des 15. Jahrhunderts war Die
Geyersburg nicht mehr im Befis der Veldner, genannt
Gyr, denn fchon im Jahr 1403 werden dem Sans
Veldner alle feine Befigungen von der Stadt Hall
ausgelöst und im Jahr 1406 von ihr an Rudolf
von Münkheim übergeben. Hierunter waren auch Die
Hohenloh'ſchen Lehen Veldners, mit welchen im Jahr
—
. 434
1408 der genannte Rudolf von Münfhen, Ulrich von
Sailenfirchen, und Conrad von Thalheim, alle drei
Bürger zu Hall, von Graf Albrecht von Hohenlohe
belehnt wurden. Insbeſondere befanden ſich darunter
Geyersburg, das Haus und Kofraith mit feiner Zus
gehörde, auch der Hof zu Lindenau und die Kelter da—
felbft, wie das Alles dem Geyer geweſen ift. Diejes
Mannslehen erhielt im Jahr 1414 Rudolf von Münf-
beim allein, nachdem Graf Albrecht im Jahr 1408
auch ihm allein, im Jahr 1430 aber Graf Kraft ſo—
wohl Dem jüngern Rudolf, als des älteren Söhnen,
Enderlin und Egelin das Burgftadel zu Obermünfhein,
das Gütlein davon, Die Kelter, Fiſchwaſſer, viele Wein-
berge, Gülten und Güter zu Ober: und Untermünf-
heim nebft den Keltern in den Gaisbergen verliehen
hatte. Im Jahr 1453 verlieh dieſes Mannslehen
Graf Krafi von Hohenlohe dem genannten Endris von
Münkheim, welchen Graf Albrecht im Jahr 1473 noch
den Hof zu Michelfeld beifügte. Im Jahr 1484 wird
Ulrich von Münfheim damit belehnt, nach deſſen Tod
im Jahr 1507 das ganze Lehen der Lehenfchaft heim—
fiel. Im Jahr 146... (eine Zahl fehlt) machen Hand
und Gebaftian von Stetten, genannt die Veldner, auf
die heimgefallenen Lehen eines Hans Geyers zu Hall
Anfprüche. Derfelbe hätte alfo, nach dem er Die Geyers—
burg verlaffen , wieder zu Hall gemohnt, wo er auch
verftorben. Wir halten für feinen Sohn jenen Sans
Veldner, genannt Geyer, der im Jahr 1473 erfcheint
und feinen Antheil mehr an der Geyersburg hatte. —
4395
Ob die Geyeröburg im letztgenannten Jahr bereits zer—
ſtört gemwefen, darüber haben wir feinen urkfundlichen
Bericht. Der Sage nadı wurde fie von den Hallern
gebrochen, weil die auf der Burg Räuberei getrieben, —
Hören wir zuerft die Gefchichte von der Erbauung der
Geyersburg, wie fie ſich zur fehönen Sage geftaltet hat.
Die. Gründung der Geyersburg.
- rau Bertha, aus dem Gejchlechte der Haller Edlen,
genannt die Geyer, fühlte fich nach dem Tode ihres,
in der Blüthe feines Lebens Hingefchiedenen Oatten,
Hans Veldner, nicht mehr heimiſch in der lauten ges
räuſchvollen Stadt Hall, wo fie die wenigen glücflie
chen Jahre ihrer Ehe verlebt hatte. Sie entfchloß fich,
geleitet von einer heißen Sehnfucht nach Ruhe und
Stille, und nach wohlerwogener Wahl, ein Eleines
Schlößlein, fern vom bunten Getriebe der Welt, zu
erbauen, um allmählig ihr wundes Herz am Buſen
der treuen Mutter Natur zu heilen und ihren Schmerz
ungeftört in ihren Schooß auszuweinen. Sie traf mit
fräftigem Geift alle Anftalten, bald den Bau zu begin-
nen, nicht ahnend, welche Qinderniffe fid; Dagegen aufthür-
men würden. Die Herren in Hall, ſich berufend auf
einen vom römifchen Kaifer ihnen verliehenen Freiheits—
brief, kraft defjen fie ermächtigt waren, jeden Bau einer
neuen. Veſte im Umkreis einer Meile um Die Stadt zu
verwehren, widerfegten ftch ihrem Willen, und verboten
ihr geradezu, das bereitö Angefangene weiter zu fördern,
436
Aber Frau Bertha Veldnerin hatte den Gedanken
mit zu großer Vorliebe im Herzen bewahrt, ſich über
dem ftillen friedlichen Thale anzuftedeln, als ihn fo
wohlfeilen Kaufs wieder abzugeben.
Sie wandte ſich in ihrer Verlegenheit an einen
Freund ihres feligen Gatten, den Schenken von Lim—
purg, Deffen fräftiger DBermittlung es gelang, ihr Die
Erlaubnig zum Bau zu erwirfen, welche ihr jedoch nur.
unter dem ausprüclichen Vorbehalt ertheilt wurde, daß
der Stadt Hall nie und unter Feinerlei Vorwand das
Deffnungsrecht auf der von ihr erbauten Veſte ver-
weigert werden dürfe, worüber eine Urfunde verfaßt,
und fowohl von den Herren des Raths in der Stadt
Hall, als von der Mittwe Veldner und dem Schenfen
von Limpurg als Zeugen unterfchrieben und beftegelt
wurde. 7
Raſch und freudig begann num Die Arbeit des Baues
Kaum wurde es fund, als von nahe und ferne“ viele
durch Die damals herrfchende Theurung dem bitterfien
Mangel ausgefegte Arme berbeieilten, der rau Veld—
nerin für Nahrung und Obdach die thätigen, Arbeit
gewohnten Hände zum Dienfte zu bieten. Unweit dem
Plage, auf welchem das Schlößchen emporfteigen follte,
lagen verfchüttet und vermoost die Trümmer‘ einer
großen Burg in wilden Mafjen über einander; ein
weites Feld mwuchernder Neffeln und Dornen begeichnes
ten ihre Gränzen; aber ihr Name war verflungen in
den Tagen der Vergangenheit und Niemand wußte,
wer einft hier gehaufet. Aber reichlich Tieferten dieſe
497
Reſte Die Bedürfniſſe des Baus, und. aus den ſchön
und: zierlich ‚behauenen Steinen ahmete der Geift einer
Eräftigen Beriode der Kunft.
Ein munteres, reges Treiben belebte jegt Die einfante
Gegend. Täglich :befuchte Frau Bertha die Stätte des
Baues, ſpornte mit Ernft und freundlicher Rede den
Eifer der Arbeiter, um des Schlößleins Zinne bald luſtig
emporfteigen zu fehen. Ein ſchönes Vorahnen hob ihr
die tiefbewegte Bruft; aus dicht verhüllter Zukunft
Dämmerten ihr frohe, fonnenhelle Tage herauf, und
mit Ungeduld fah fie dem Tage entgegen, der fie in
ihr Eleines ftilles Eigentbum ‘einführen follte Und
als das Schlöflein nun daftand in wohnlicher Zierde,
und die Abendfonne feinen Schatten malte im fleinen
Wellengefräufel des Kochers, die fertigen Arbeiter, am
Fuße des Berges gelagert, mit trübem Blick ‚hinauf
ſahen, und Darüber hinweg in ihre, wieder dem Mangel
preiögegebene Zufunft, und manche Thräne banger
Erwartung fich in dem grünen Nafen barg, da trat,
von tiefen Mitleid bewegt, die Herrin zu dem Bau—
meifter und gebot ihm, feinen Arbeiter zu entlaffen,
ehe Denn er den Tag ihres: Einzugs im neuen Eigen-
thum feftlich mit ihr gefeiert habe, und der Schaffner
erhielt Befehl, Allen wie bisher Speife und Trank zu
reichen.
Ein heiterer Tag ging über Bertha auf, den Pfad
zu erbellen, der fie mit ihrem einzigen Kinde, einem
Golden Knaben, einführte in ihr erfehntes, freundliches
Aſyl. Mit lauten Jubel begrüßte fle das ganze Chor
438
der Meiſter und Gefellen, angeführt von dem Bau—
meifter, und geleitet von den Dielen, denen Die milde
Hand der Herrin Brod und Unterhalt gefpendet hatte.
Mit Danfbaren Thränen und Segenswünfchen weibten f
fie des Schlößleins Pforte, und ala Frau Bertha den
Fuß auf die Schwelle feßte, ertönte lautes Freuden—
gefchrei der Menge von Neugier getriebenen Bejchauer,
und Glückwünſche wirbelten im bunten Gewirre durch
einander; mit Blumen und Eichengezweig fand fie
alle Gemächer zierlich gefchmücdt, und der Geift des
Friedens und der Ruhe wehete ihr heilverfündend ent=
gegen. Reichlich fpendete fie nochmals Speife und
Tranf, reichte mit eigener Hand umd freundlich dan—
fenden Worten jedem feinen Lohn, und entließ am
Abend alle, die nicht zu ihrem Eleinen Haushalt ge=
hörten.
Nach einigen Tagen entbot fie den Schenker von
Limpurg, die Nitter von Sulburg und von Münkheim,
Herren Berfer von Dullau, "Schultheißen der Stadt Salt,
die Herrn von Teuwer und von Michelfeld und Den
Eolen von Enslingen, zu einem Mittagsmahl; und
als ſie nach dem Effen noch fröhlich beim Becher ver-
weilten, mit Erzählung manch luſtigen Schwanfs aus
der fröhlichen Jugendzeit fich die Zeit Fürzend, trat,
fich fittig verneigend, Frau Bertha zu ihnen und bes
gann alfo: |
„Vergönnt, ihr edlen Ritter und Herren, mir em
geneigtes Gehör und laffet euch mein Anliegen in
Demuth vortragen. Ihr wiſſet allzuwohl, wie höchlich
439
Noth einer einfamen Wittwe ein Fräftiger Schuß thut,
darum wollet ihr, Herr Schenk, mir.und meinem
Waislein noch fürder ein treuer Schutzherr und Ver—
fechter unferer Nechte feyn. Da ich aber nicht weiß,
obwohl ich noch jung an Fahren und gefunden Leibes
bin, wenn mein legted Stündlein jchlägt, jo habe ich
in Gott und unter dem Schuge feiner Seiligen einen
Entſchluß gefaßt, und bin gewillet, dieſes mein Schlöß:
fein, jo ich frei aus eigenen Mitteln und ohne eines
Menfchen Zufchuß erbauet, meinem einzigen Söhnlein
Edelbert zu verfchreiben, welches ihm, fo ich früh ver—
fterben und ihn unmündig verlaffen follte, Teichtlich
von der Stadt Hall, als welche fih dem Bau ſtark
widerfeget, ftreitig gemacht und entriffen werden fönnte,
fo habe ich deßhalb dem Scultheißen Kern Berler
von Dullau ‚» und den andern ehrfamen Rittern und
Herren Die Bitte vorzutragen mich erfühnet, mit eueres
Namens Unterfchrift und adeligen Inflegel die Urkunde
zu beglaubigen und zu feften, und meinem Söhnlein
ſo fein Erbe zu fichern. Da ich aber die letzte Sproſſe
de3 Stammes der Geyer bin, jo ift mein Begehr, daß
mein Name fih auf fpätere Gefchlechter Durch meinen
Sohn vererbe, und er fürder „Edelbert Veldner der
Geyer,” das Schlößlein aber für alle Zeiten die Geyers—
burg heißen fol. Sämmtliche Herren fanden feine
Urfache, der Mittwe ihr Verlangen zu verweigern,
Es wurde alles rechtskräftig aufgefeßt, unterfchrieben
und befiegelt, und von Stund an das Schlößlein vie
Geyersburg, ſowie das junge Serrlein Veldner der
440
Geyer genannt. — Nur eine fchöne, heilige Sorge um:
faßte von nun an das ganze Mefen und Leben der
Burgfrau, Die Erziehung ihres Kindes. Schon in Hall
ward er einem vielerprobten Lehrer vertraut. Zarte
Liebesbande, wie die Natur fie um Vater und Sohn
jchlingt, batte Gereit3 beide, Lehrer und Zögling, fo
einzig und feft verbunden, daß Kerr Johannes Mühlbei-
mer alles bisher Gewohnte und Liebgewonnene verließ
und mit dem Knaben und feiner Mutter Hinaufzog ind
ftille einfame Schlößlein über dem anmuthigen Thale.
Zu gut Ffannte Meifter Johannes die Beftimmung
eines Knaben, dem edles Blut die Adern ſchwellt, als
daß er für binreichend halten Fonnte, feinen Zögling
blos in den fehönen genußreichen Künften des Friedens
heranzubilden. Edelbert mußte einft auch das Schwert
zu führen wiffen, follte fich zum Ritter hinauffämpfen,
jollte nach) der Sitte der Zeit auf blutbedeckter Bahn
fih Größe und Macht erringen, Darum übte er den
Knaben oft im Waffenfpiele, tummelte ſich mit ihm
auf bäumendem Roſſe im weiten Felde umher, und
machte ihm auf Diefe Weile eine Biegfamfeit und
fichere Vertigfeit eigen, Deren wohlthätige Folge ſich
in feinem fpäteren Leben oft bewährte. So gerne
und freudig aber Edelbert dieſen Vorſpielen einer ernften
Zufunft fich Hingab, To zog Doch eine innere Mahnung
ihn unmiderftehlich in’8 Neich der Töne. Jeder Klang,
kaum berührten Saiten entfchwebt, weckte in feiner
Bruſt mächtig der Harmonie verwandte Töne, und in
bober Begeifterung erbebten alle die zarten Saiten des
441
reinen jugendlichen Herzens. Herr Johannes, ſelbſt
Meifter auf der Laute, bob durch feinen Unterricht
noch höher des Knaben Streben, und bald war er fo
weit, nicht mehr hinter der geflügelten Hand des Meifters
gurück zu bleiben.
So jchwanden Jahre dahin, und Edelbert in feäftiger
Blüthe Hoch herangewachſen, hatte fein fechszehntes Jahr
befchlofjen. Kleine Ausflüge an der Seite des Meifters
zu den Herren der Nachbarfchaft, die der Sängerfunft
hold, ihn freundlich willfommen hießen, hatten ihn vor
der gewöhnlichen Schüchternheit in der Einſamkeit auf-
gewachjener Jünglinge bewahrt, und ihm edlen Anftand
und feine Sitten eigen gemacht; und mit holder Freude
Jah die Mutter das verjüngte Bild ihres fo früh verlorenen
Gatten.
. Einft al& der Schenke von Limpurg feinem Sohn
vor dem verfanmelten Adel der Stadt, fo wie vieler
feiner Freunde und Bundesgenofien, die Ritterwürde
ertheilen wollte und fie alle mit Frauen und Töchtern
auf einen Tag auf feine Veſte einlud, Eonnte Frau
Bertha um der vielen Verpflichtungen willen, Die fie
dem Schenken ſchuldete, es nicht verweigern ‚ feiner
freundlichen Mahnung mit ihrem Sohne gehorchen, fo
wenig fo ein Feitgelage ihr Genuß bieten fonnte. Sie
ritt, eine der leßten, an Edelbert3 Seite, der in an—
muthiger Tracht der Sänger fie begleitete, in das
Burgthor ein. — „Gott grüß Euch, edle Frau!’ rief
ihr der biedere Schenfe entgegen, und hob -fie von
ihrem Rößlein, „darf ich doch traun ! nichts Geringeres
442
beginnen, als meinen Sohn wehrhaft zu machen. Soll
ich euch einmal hier oben auf meinem Nefte begrüßen * Nun
feid mir willkommen! — Und auch Ihr mein ſchmucker
Zunfer, kommt ja geſchmückt wie ein recht erprobter
Sangesheld. — Fa, ja, fingt nur jeßt noch recht
fröhlich und guten Muths. — Werdet zeitig genug
verftummen, wenn Ihr einmal beim Schwerttang Den
Reihen führt.” — Damit geiellte er beide der vers
ſammelten großen ©efellfchaft zu, und machte fofort
Anftalt, die feierliche Geremonie, deren Zeugen Die
Säfte fein follten, vorzunehmen. Nach Deren Beendi—
gung vereinte laute Luft und Sröhlichfeit die Herren
und Frauen an reich befegten Tafeln. Luſtig kreisten
die Becher voll perlenden Weind Die Runde von Mund
zu Mund, und Scherz, Jubel und lautes Gelächter
ſchwirrten in wirrem Getöfe durcheinander.
An einer der Tafeln hatte fich zwifchen zwei jungen
Rittern, Kungen von Kransberg und Walther von
Hohenthüren, ein Streit entjponnen und ungezähmte
Kampfesluſt, gefteigert Durch den Geift des Weins,
entjchied, daß ein ernfter Gang das Necht an's Licht
bringen follte. Hinaus auf die Ebene ritten troßig
und ſtolz die Kämpfer. — Biele fammt einer Menge
des Trofjes folgten ftürmend ihnen nacb, mit gefpann-
ter Erwartung welchem der Sieg werde, und in manch
neuem Zwiefpalt äufferten fich die getheilten Meinungen
der Zuſchauer. Doch im kurzer Frift tönte lauter
Zubelruf dem Sieger, Kungen von Kransberg. Im
Zriumphe führte ihn Die Menge wieder in die Bere,
443
aber Walther von Hohenthüren, der gewaltige Prahler,
ichlich fich heimlich und hinkend Davon.
Aus aller Munde tönte Freudenruf und Lob Herrn
Kunzen entgegen, als er wieder in den Hof trat.
Seht griff Evelbert im fchönen Hochgefühl eines ver:
wandten adeligen Ginnes mit geflügelter Hand in
feine Saiten, und ein Lied voll deutfcher Kraft ent
ftrömte des begeifterten Sängers Lippen. Verſtummt
war jeder Laut, alles lauſchte dem herrlichen Gefang,
wie er aus der Tiefe eines bemegten Gemüths herauf—
jchwebte, alles, was fich Dort entfaltete, in Bild und
Wort zu gejtalten. Er hatte geendet. Still in ſich
verfenft entbebten nur einzelne Töne den faum bes
rührten Saiten, wie ein mächtiges DBerbraufen der
ftürmenden Gefühle feiner Bruft, und das laute Lob,
ihm von allen Seiten gegollt, vermochte nicht, ihn
feiner Begeifterung zu entrüfen. Da flüfterte, wie
das flüchtige Vorüberwehen eines Zephyrs, eine mes
fodifche Stimme in fein Ohr: Habt Danf, edler
Sänger, habt Dank! Schnell ſich wendend, fah er
zwei weibliche Geftalten vor ihm hinſchweben. Raſch
folgte er ihnen und fragte den Erften, der ihm in den
Meg kam, wer die beiden Frauenbilder wären. Der
Gefragte nannte ihm Die rofenwangige, üppig aufge
blühte Jungfrau Bertha, des Haaken von Wöllftein
Tochter, und das Mädchen an ihrem Arme, Emma
von Steinwang. Am Fuße des Berges, der Die Veite
Limpurg trug, wohnte im einem kleinen Schlößlein
Raimund, ihre Vater, ein biederherziger frommer Greis.
444
Wohl war Edelbert noch ſehr jung, und noch Fein
Saum am Kinn Fündete den Fünftigen Bart; und
doch fagte eine leife, innere Stimme, daß hier etwas
Höheres, Heiligeres, als das gewöhnliche Anerfennen
der Tapferfeit des Giegerd, fich in des Fräuleins flüh- .
tigem Lobe ausſprach. Er trat in ihre Nähe, griff
zarte, fchmeichelnde Töne in feine Laute und fang der
Schönheit Preis, Der Liebe Glück aus einem vollen, _
reichen Serzen,, gehoben durch die Weihe der Kunft.
Hocherglüht ſenkte Bertha den Blick tief zur Erde. Sie
verftand des Gefanges Sinn, und bebte vor dem Ge—
danfen, ihr Geheimniß verrathen zu haben. Aber mit
frommen Taubenaugen ſah Emma, ihre Gefährtin, dem
Sänger frei und offen in's Geficht, als wollte fie den
Lippen Die Worte des Sängers entichlüpfen ſehen, und
wunderbar — als müſſe er Die Kniee beugen — mar
e8 dem Füngling um's Herz, wie er ihr in Die Haven |
frommen Himmelsaugen blickte.
Noch hatte er nicht geendet, als ein junger, zierlich
aufgeſtuzter Herr — es war Giſelbert von Buchhorn und
erſt ſtolz und übermüthig von einer Ritterfahrt nach
Frankreich zurückgekehrt — höhniſch zu ihm trat und mit
einer widerlich hohlen Stimme ſagte: „Was möcht ihr
junger Fant mit dem Milchkinn Euch erkühnen, dem
holden Fräulein etwas vorzuliebeln? Mir gebt die Laute
und ihr ſollt euch baß der Weiſen verwundern, Die ihr
aus deutſchem Munde wohl nie fo hören möget.“—
Dann wollte er mit kecker Hand Die Raute dem Fünge
ling entwinden. Zornesglut flog über Edelberts Ant
445
li; „die Laute ift mein, Herr,” rief er troßig, „und
weder Eure Hand, nocd eure Stimme foll meiner Sai—
ten reiner Klang verunehren.” Damit warf er fein
Eaitenfpiel über die Schulter und fehritt unmilligen
Zritted über den Hof bin.
‚Eine laute raufchende Muftf rief nun Die Tänzer
zum Reihen. Im vielfach verfchlungenen Kreiſen wir—
belte die muntere, lebensfrohe Jugend dahin, und frei
von jedem Zügel entfaltete laute Luft und Fröhlichkeit
die rofigen Schwingen. Die älteren Derren und Brauen
fosten noch beim Becher in gefelliger Einheit, und be—
ſchauten mit manch holder Erinnerung aus den Tagen
ihrer wonnereichen Jugend das bunte Treiben der Fröh—
lichen. Auch Frau Bertha Veldnerin weidete fi
an den vielfach geftalteten Wendungen der Tanzenden,
unter denen harmlos und luſtig fich auch ihr Sohn
tummelte, als mit befonderem Ernfte im Geſichte der
Schenfe von Limpurg, ſich am ihre Seite fegend, alfo
begann: „Noch felten that e8 Noth, Euch, mie Ihr mir
das Hecht hiezu einst verliehet, mit gutem Rath zu
Handen zu feyn, wo Ihr folchen bedürfet; Ihr. felbft,
eine kluge Frau, wifjet Euch zu berathen, Doch "mahnt
es mich ſchon lang, mit Euch einmal zu verfehren ob
eurem Sohn. Wohl weiß ich, Daß mem: Zufpruch
Euch nicht fonderlich erfreulich feyn wird, Doch gilt es
enres Kindes Heil, edle Frau! So möget Ihr das
Böſe hinnehmen um des Guten willen. Es ift mohl
eine ergößliche und Tiebliche Kunft, fo mit dem Sat
tenfpiel Ohr und Herz zu erfreuen, finde ich doch felbft
446
Gefallen daran, und mag ed “gar leiden, Daß Euer
junger Herr der Kunft Meiſter wird, aber feht, Der
Junker wird zu weibifch bei Euch, Frau Bertha! —
Will er feinem Namen Ehre machen, reicht er nicht
aus mit dem Ging und Gang; er muß hinaus in
die Welt, unter Männern ein Mann werden, und im
rechten Ernft das Waffenfpiel erlernen. Da wäre denn
mein Rath, ihn irgend einem rechtlichen und tapfern
Herrn zur Zucht anzuvertrauen, und fo e8 Euch nicht
entgegen wäre, wollt ich wohl jelbft in ein Paar Ta—
gen gegen Waldenburg reiten, mit dem Grafen von
Hohenloh deßhalb Zwiefprach zu halten, und will er den
Junker zum Edelknaben annehmen, fo geleite ich ihn,
fo e8 euch lieb ift, felbft dahin. Ja, ich kann Euch
nicht helfen, Frau Bertha,* fuhr der Schenke fort, als,
ftatt Der Antwort, die Wittwe fehmerzlich zu weinen
anfing, „Ihr nehmt es Eucy jegt gar leid, werdet mird
aber einft danfen; ich meyn' es gut mit Euch, wenn
ich gleich mit rauher Hand Euer weiches Herz vermunde.
Befinnt Euch Darüber: — Könnt mir wohl in ein
paar Tagen erft Eure Meinung fagen, wenn Ihr wollt.“
Damit flund er auf, um wegzugehen, aber Frau
Veldnerin hatte fich gefaßt. und fagte, indem ſie ihre
Thränen trodnete: „Ich kenne Eure Fürforge und Huld,
Herr Schenke ! und ich bin Euch Höchlich zum Danfe
verpflichtet Darob, aber möget es mir einfamer Wittwe
jedoch nicht verargen, wenn ich den einzigen Sohn mit
Schmerzen binziehen fehe, obwohl zu feinem Nußen
und Frommen. Meyn' ich Doch, all meine Freude und
447
Friede ziehe mit ihm hinaus aus meinem Schloͤßlein.
Doch ſtelle ich Alles Eurem weiſen Rath und Willen
anheim. Waltet nach Eurem Gefallen, wie es Euch
gut und recht dünkt. Gott und ſeine Heiligen werden
mit ihm ſeyn!“ „Nun ja, ſo iſt's klug,“ entgegnete
zufrieden der Schenke. „Waldenburg iſt ja nicht fern
von Euch und Edelbert mag Euch wohl des Jahres
ein paar mal heimſuchen.“ Er rief hierauf dem Jüng—
ling und machte ihm ſeinen Willen kund, den dieſer
mit freudigem Beifall vernahm.
Der Graf von Hohenloh, dem der Schenke von Lim—
purg, ſeinem Verſprechen zu Folge, die Wünſche der
Frau Veldner in Einklang mit ſeinem eigenen kündete,
war willig und bereit, ſte zu gewähren, und nach mes
nigen Wochen zog Edelbert Veldner an der Seite des
Schenken als Evelfnabe auf Waldenburg ein.
Eine neue Welt erfchloß fich hier feinem Auge; Man-
ches fprach ihn wunderſam, Manches erfreulich in des
Grafen großem Haushalt an, aber ſchwer gemöhnte er
fich an den rauhen, derben Ton der zahlreichen Diener-
Schaft. Wohl fügt ein ernfter, fefter Wille fich überall
der Nothwendigkeit eifernem Gebot. So auch Evelbert.
Er gewöhnte ſich allmählig an die neue Weile. Der
Graf gewann den befcheidenen, fügfamen Süngling
lieb, und auch er hing mit ehrfurchtsyoller Liebe und
Treue an feinem Herrn und Beſitzer. — So waren vier
Jahre und etwas Darüber hingeeilt, und Freudenthrä—
nen aus den Augen der treuen Mutter begrüßten den
SJüngling, fo oft er auf der Geyersburg einfprach.
448
Wohl dankte ſie es jetzt dem Freunde, daß er einſt
mit rauher Hand in ihre ſchoͤnſten Freuden gegriffen
und den einzigen Liebling aus ihren Armen hinaus
in's Leben geführt hatte. Gereifter an Geiſt und Kör—
per ſtand er jetzt in hoher Anmuth und edler Haltung
vor ihr, und die Saat des weiſen Johannes hatte
ſich zu kräftiger Blüthe entfaltet. Seine ſtille Jugend,
feſter Muth, Beſcheidenheit und Treue hatten ihm das
beſondere Vertrauen ſeines Herrn erworben, weßhalb
er ihn nicht nur jedesmal als Leibknappe begleiten
mußte, ſondern auch oft in beſonders wichtigen oder
geheimen Geſchäften von ihm verſchickt wurde. Klug—
heit leitete dabei immer ſeine Schritte, er beſchickte ver—
ſchwiegen und ſorgſam das ihm Aufgetragene und ge—
wann ſich mit jedem Tage mehr das Vertrauen des
Grafen von Hohenloh, ſeines Herrn. — Einſt, an einem
trüben Novembertage, kehrte er im Geleite eines Knechts
von einer kleinen Reiſe zurück. Schon fieng es all—
mählig an zu dunkeln, als ihm das Brauſen eines
Pferdes, ſo wie Hufſchläge das Nahen mehrerer Reiter
verrieth. Doch ehe ſich der Geſtalten Umriſſe aus dem
Nebel entwickelten, vernahm Edelbert die Worte, rauh
und unwillig geſprochen: „Schweigt einmal mit euren
unnützen Klagen. Iſt es Doch Eure und Eures Va—
ters Schuld! — Warum habt Ihr — — —.“ Der
Sprechende fehwieg, wie er. die Entgegenfommenden be=
merkte, und dieſe fahen acht bis neun Pferde vorüber-
ziehen, ohne erfpähen zu können, wer fte leite; aber
in Edelbert erregte die Stimme, Die fo rauh und vers.
449
weifend gefprochen, eine wibrige Erinnerung. : Schon
einmal hatten dieſe Töne ihm unfanft berührt. Gie
viefen etwas längſt Verklungenes wieder ins Leben zu—
rück, ohne daß er mit ſich in’s Klare fan, was es
ſeyn möchte, was wie eine halb verwiſchte Schrift ernft
und bedeutungsyoll in feiner Seele lag. Sinnend
ritt er vorwärts, bog bei Dullau rechts ab nach der
Stadt Hall, von wo er befchloffen hatte, noch zur
trauten Mutter zu gelangen, und unter ihren ſchir—
menden Dache heimathlich zu übernachten. Schon: war,
ald er Die Stadt erreichte, die Nacht herabgeſunken.
Er hielt an einer Herberge, ſich Das verfpätete Veſper—
brod reichen zw laffen, trat im die Schenke, und hatte
eben fich behaglicy am warmen Ofen gefeßt, als ein
ftarfes, ungeftümmes Klopfen an den niedrigen ver—
ichloffenen Senfterladen feine Aufmerkſamkeit erregte.
Es war ein Bote, der nach: dem jungen Herrn Kurt
von Steinwang, oder vielmehr feiner Wohnung fragte
und mit wenigen grauenhaften Worten erzählte, "Daß
diefen Nachmittag der Pfarrderr von Mainhardt | mit
feinem Meßner und einem Gafriftan heimfehrte, von
einem Kranken, dem er am Morgen: die Simmelöfpeife
im heil. Sterb - Sacrament 'gereicht und auf dem Wege
im Wald unter: mehreren erfchlagenen Knechten einen
ritterlichen Seren in feinem: Blute liegend gefunden
Habe. Der: fchnell nad) Mainhardt um Hilfe gefchidte
Mepner fehrte bald nach der Schreefensftätte, zurüf.
Der Pfarrherr hatte unterdeffen "mit. Sorgfalt die Ge—
fallenen unterſucht, nur noch in einem ber Knechte
29
450
glimmte matt ein Funke des Lebens, » Der Ritter hatte
aus vielen Wunden feinen Lebensquell verftrönt, und
fein ehrwürdiges ©reifenhaupt im Tode geneigt, Man
brachte fie alle gen Mainhardt, wo nach einigen Stun—
den der Knecht fich ſo weit erholte, um zu jagen:
daß der erfchlagene Ritter Herr Raimund von Stein-
wang ſey, der feine Tochter Emma nad) Klofter Lich—
tenftern: geleiten wollte, und bat, einen Boten feinem
jungen Herrn zu fenden, damit er fehleunig der Räuber
Spur: verfolge und das Fräulein rette. Edelbert eilte
jelbft mit dem Boten fort zu Seren Kurt, den er in
einer großen Beftürzung fand. "Eben war: feines Va—
ters Pferd ſchnaubend und blutbefleckt mit zwei andern
ledigen Roſſen heimgefommen, und hatte Sammer und
Schrecken verbreitet. — Schon waren Pferde gefattelt
und Kerr Kurt: im Begriff aufzufigen, als Edelbert
mit dem Boten eintrat, um ihm das Schrecklichſte zu
verfünden. Schmerz und Wuth zerriffen mit: wilder
Gewalt des jungen Mannes Brujt. Er ſandte die
gräßlichiten Schwüre hinauf in den trüben Nachthim—
mel, nicht zu raſten, bis er des Vaters edles Blut
an dem Thäter gerächt und die Schwefter gerettet-habe.
Mit Mühe Fonnte ‚Edelbert dem von Schmerz Zerrüt-
teten eine Antwort auf die Frage abgewinnen, ob ver
auf: irgend Jemand feinen Verdacht zu leiten Urſache
habe? Und. ala: ihm Diefer Gifelbert von Buchhorn
nannte, Dem feine Schwefter ihre: Hand verfagt, und
“feinen Nachftellungen zu entgehen, fich unter den Schuß
der Frau Nebtiffin Kunigunde, Gräfin von Limpurg,
4
451
im Klofter Lichtenftern ftellen wollte, da zuckte es ihm
wie ein Strahl vom Himmel Durch die Seele. Der
Ton der heute im Vorüberziehen ‘der Reiter vernome
menen Rede hatte ſchon einmal ihn unfanft berührt,
al8 bei den Fefte auf Limpurg Buchhorn ihm höhnend
begegnete, und klar wie der Tag war ihm die Gewiß—
heit, daß Buchhorn der Ehrlofe mit feinem Raube an
ihm vorbei auf feine Befte gezogen fey. Er eilte nach
Hal zurück, beftieg fein Pferd, um auf der Höhe mit
Kurt zufammenzutreffen. Schon harrte Kurt feiner
und mit verhängtem Zügel gings fort nach Mainhardt.
Mit heißen Thränen fanf diefer an der Reiche feines
Vaters nieder. Wenig, jehr wenig war e8, was der
todtfchwache, verwundete Sinecht noch berichten Eonnte,
Aus feinen kaum vernehmbaren Worten wurde fo viel
gewiß: „Als fie eine Strecke im Walde geritten waren,
ſprengte ein Nitter mit gefchlofjenem Viſir nebft acht
bis neun Knechten auf fie zu, ergriff des Fräuleing
Pferd beim Zügel und jagte mit ihr dem Dieficht zu,
wohin seiner ihrer Geleitöfnechte nachjagte. Sein Herr,
von der überlegenen Zahl angefallen, habe fich vertheidigt;
er aber, von einem Kolbenfchlag gleich bewußtlos zu
Boden geſtreckt, wußte nicht weiter, wie alles geendet,
erfuhr erſt bei feinem Erwachen aus der tödtlichen
Ohnmacht feined Herrn fchmähliches Ende, und ent-
fchlief. nun nach wenigen Stunden zum ewigen Frieden,
Ueber der Keiche des Ritters gelobte Edelbert feinem
Sohne treuen Beiftand, in dem gewiffen Vertrauen,
daß Graf Hohenloh ihm mit einem Käuflein tapferer
452
Männer zuzueilen nicht‘ verfagen werde — Sobald
die Todten der Erde übergeben waren, kehrte Kurt
von Steinwang zurück, und bot feine Freunde und
Maffengenofjen auf, mit ihm dem Näuber und Mör—
der zu Leibe zu geben. Er forderte, nach Sitte und
Brauch, Das geraubte Fräulein zurückzugeben, oder ge—
wärtig zu jeyn, dag Waffengewalt ſie ihm ientreiße.
Buchhorn aber. gab Höhnend zur Antwort! „Wenn
fie die Hochzeitsfackeln leuchten ſehen vom Schloffe,
würden fte ihm willfommene Gäſte ſeyn.“
Fünfzehn reifige Knechte vertraute der Graf Hohen⸗
loh Edelberts Führung. Den nächſten Morgen ſollte
der Zug nach Buchhorn unternommen werden, und
tief in der Nacht ſaßen die Herren noch beim Becher,
ihre Plane beſprechend, als ein wildes Geſchrei: „die
Veſte Buchhorn ſtehe in Flammen,“ ſie aufſchreckte.
In fliegender Saft enteilten Kurt mit Edelbert und
den Reiſigen dahin. Wie Teicht Fonnte Emma, viel-
leicht eingeferfert, im Schreefen vergeffen, ein Haub der -
Mammen werden! Wie leicht von einem Räuber zu-
einem feiner Verbündeten geflüchtet und für fie’ ver-
loren feyn! Ihr zu Hülfe, war jet die Lofung und
wie auf dem Fittig der Windsbraut flogen Die Reiter
durch die Nacht Hin. Schon war ein Theil’ des Ge—
bäudes eingeftürzt.. Eifrig fuchten die ihm zur Vers
theidigung von feinen Bundesgenoffen ‚geliehenen Knechte
das Mebrige zu retten. Ungehindert drang Kurt! mit
den Seinen ein, mit lauten Angftruf rannten fie fu—
chend umher, hieher, dorthin, überall in alle Gemächer.
453
Ihrer Gewalt wichen Schlöffer und Riegel, öffneten
ſich Keller und Gewölbe: Umfonft! nirgends eine
Spur von Emma, kein Laut, feine Antwort. Auch
der Ritter ließ ſich nicht ſehen. Der Gedanke, daß
er mit dem Fräulein entflohen, um ſie anderwärts in
Verwahrung zu bringen, machte es nothwendig, Knechte
auf alle Wege auszuſenden, un die Flüchtlinge einzu—
holen, falls e8 ihnen gelungen wäre, zu entkommen:
Trüb und düſter Dämmerte der Tag herauf, Auch
Kurt verließ: mit Edelbert die Brandftätte, um im der
Gegend nach dem Fräulein und dem Räuber zu fpähen,
als ein Knecht mit der Kunde auf fie zueilte: Das
Fräulein fey Da, einer von den mit dem feligen Herrn
auögerittenen Knechten — fie wohlbehalten zurück—
gebracht.
Seit jenem Tage, als bei dem Feſie auf Limpurg
dem noch an das Knabenalter gränzenden Jüngling
das Herz vor Emmas reinem Himmelsauge in hoher
Andacht aufging, hatte er das Mädchen nicht mehr
gefehen.
&3 war ihm wunderbar wohl und weh zu Muthe,
als er jetzt dem Schlößlein nahte, in vollendeter, ju—
gendlicher Schöne, wie die junge, in zarter Farben
pracht aufgeblühte Rose ; aber unter heißen Schmerzens—
thränen trat dem Kommenden Die Jungfrau entgegen.
Hier hatte fie erft den ganzen Umfang des Unglücks
fennen gelernt. In freudiger Eile war fie dem leiten-
den Knechte aus Buchhorns Raubneſte gefolgt, nicht
ahnend, welche ſchwere Schuld er mit ihrer Rettung
454
zu Jühnen wähne. Hier hoffte fie dem Greifenvater
in die Arme zu‘ finfen und: ihm mit Liebe und find»
licher Pflege die Tage der Angft um ſie zu vergüten.
Erfehüttert von ihrem namenloſen Schmerze bat der
Knecht fie um geheimes Gehör, warf mit bittern
Renethränen fich zu ihren Füßen und befannte, Daß
er es fey, der fie werrathen und dem Ritter Buchhorn,
in deſſen geheimem Solde er ſchon längſt ftehe, in die
Hände gefpielt habe. Mehrere DVerfuche, es zu thun,
waren mißlungen, hatten des Vaters Aufmerkſamkeit
erregt und ihn bewogen, fie nach Lichtenftern zu bringen.
Durch den niedrigen Verräther ward dem Ritter Der
Tag der Reife genannt und das Bubenſtück ausgeführt.
Mit heiligen Schwüren betheuerte der Verworfene zwar,
daß er zur unerläßlichen Bedingung gemacht habe, fei=
nes Herrn: zu ofchonen, aber defjen gewaltige Gegen-
wehr erbitterte feine ®egner fo ſehr, daß fie, Das
eigene Leben zu gewinnen, achtlos ſich vertheidigten
und fo ſank der Greis, ein Opfer väterficher Liebe, ins
Grab. Dem Fräulein wurde ein Reitermantel umges
worfen, das ſchöne jungfräuliche Haupt in eine Sturm=
haube verfteekt. Im fichern Hinterhalte harrten fie,
bis die Knechte fich wieder zu ihnen: fanden. Unge—
fährbet erreichten fie Buchhorn, wo der Verräther über
das Ende des blutigen Kampfes unterrichter, gequält
von Gewiffensangft und Reue, nicht Ruhe noch Raſt
fand; empört über Verweigerung feines Sündenlohns,
befchloß er, Durch des Fräuleins Rettung fich an dem
Nitter zu rächen. Sorgfältig erfpähte er des Fräuleins
455
Gemach, legte in der Nacht in’ deffen Nähe in einer
Vorrathskammer Feuer an, und als bei feinem Aus—
bruch Angft und Schrecken jede andere Sorge beftegte,
Lärm und Getümmel allgemein wurde,’ ftemmte er fich
niit Mannesfraft an die Thüre. Willig folgte. das
Fräulein den Mohlbefannten auf Nebenwegen zur
väterlichen Wohnung, wo Trauer und Weheklagen ihr
entgegen tönte. Gerührt von des Knechtes Neue, ver—
fprach fe ihm zum Lohne ihrer Rettung die Ver—
“ zeihung ihres Bruders zu erwirfen; er aber, ahnend,
daß hier die Gnade der Gerechtigkeit weichen müffe,
entfloh, ehe der junge Herr zurückkam, belaftet mit der
Schwere eined böfen Gewiſſens, und fehrte nie wieder.
Unruhig ſchritt Kerr Kurt im Gemache auf und
ab; aber nur für heute wähnte er den Frevler feiner
Mache entgangen. Feierlich erneute er den. Schmwur,
nicht zu raften, bis er aus feiner Hand den Kohn des
Bubenſtücks empfangen Habe. — Doch der Herr fpricht:
die Rache ift mein; noch am Abend deſſelbigen Tages
erhielt: Kurt Die Kunde, Daß, nachdem die Flamme
bewältigt, man den Ritter Gifelbert in dem Gemach,
worin das Fräulein verwahrt gewefen, gefunden habe,
wahrſcheinlich wollte er fie retten und erſtickte i im Rauche,
ehe des Rächers Hand ihn fand.
Noch blickte Emmas blaues Auge fo fromm, fo
rein, wie einft, aber nimmer fo unbefangen- weilte es
auf Edelberts Untlig, und hohes Glutroth flog, be=
gegneten fich ihre Blicke, über Die zarten jungfräulichen
Wangen. Wohl verftand Evelbert dieſe ftummen Zei⸗
456
chen, aber zu fehr ehrte er des Mädchens flille Trauer
um den geliebten Vater, als Daß er jebt es wagen
mochte, ihr feine Gefühle zu bekennen. Sinnig und
ernſt kehrte er wieder heim mit feinem Häuflein, fein
gutes: Schwert hatte dießmal nicht Die Scheide ver—
laſſen, und fein Hochgefühl tapferer Waffenthat hob
ihm die Bruſt. Tief verſchloſſen in verſchwiegener
Bruſt, was ſo ſchön, ſo beſeligend ſie hob, ſtrebte er,
ſich bald des Ritterthums würdig zu machen. Und
als nach Jahresfriſt der Graf Hohenloh ſelbſt ihm
des Kreuzes Zeichen mit blankem Schwert über die
Schulter ſchrieb, ſäumte er nicht länger, der matauien
Mutter die liebliche Tochter zuzuführen.
An der Seite der ſchönen Emma floß ſein Leben
im reichen Genuſſe häuslicher Freuden ſtill und ge—
räuſchlos, wie der Fluß unter dem Schlößlein dahin.
In kräftigen Sproſſen blühte das Geſchlecht der Geyer
fort, und fo lange der Sohn deutſche Treue und
Biederkeit mit dem Erbe des Vaters empfing, mit
edler Sorge dieſe wieder in die Herzen ſeiner Kinder
legte, wich das Glück nicht aus dem der Liebe und
Gottesfurcht geheiligten Familienkreiſe; als aber Gier
nach fremdem Gut und wilder Rachedurſt das Herz
des letzten Bewohners der Burg erfüllte, floh die
fromme Freude und das ſtille Glück der Häuslichkeit
aus der Veſte, bis ſie bei einem nächtlichen Ueberfall
in Brand geſteckt wurde und der Burgherr im Kampfe
mit den ihm Nachſetzenden ſein Leben verlor, a
wir ERS das Nähere erfahren. ink
457
—* ——— Ahnfrau der Gepers-
j burg. |
In * — Sälfte, des 15; Fahegunderts, als
fchon Die meiften Adelsgeſchlechter des Kochergaues: ihre
Burgen verlaſſen umd ſich in der bei ihren reichen
Salzquellen herrlich aufblühenden Neichsftadt Hall ein—
gebürgert hatten, hauste Kunz Beldner, genannt
der Geyer, ein wilder Rittersmann und einem der
mächtigen fogenannten Giebenburgen-©efchlechter ange—
hörend, auf ſeiner, nur eine halbe: Stunde unterhalb
der Stadt, am linken. Kocherufer fich. erhebenden Burg
Geyersburg. Er zog es vor, bier oben auf heiterer
Höhe ſeinem eigenen Willen zu leben, als drinnen in
der eingeengten Thalftadt im Dumpfen Veldner⸗Thurme,
der einftigen Burg feiner Ahnen, oder in einem Der
ibm erblich "zugefallenen fünf Steinenhäufer auf dem
Fiſchmarkte zu wohnen. Das freie Ritterweſen da
auſſen, die ernſte Fehde, die luſtige Jagd, das fröh—
liche Zuſammenſeyn mit Nachbarn beim traulichen
Humpen uud — wann er Abends von dem Treiben
des Tages heimkehrte — die frohen: Stunden im
Kreife feiner. lieben: Hausfrau und feiner Kinder, wa=
ren ihm weit anziehender, als der Aufenthalt in Der
durch Uneinigfeiten in feindliche Parteien gefpaltenen,
wildaufgeregten Stadt. Frau Agnes, Kunzens Ge. .
mahlin, ftand mit emfiger Thätigfeit ihrem Hausweſen
jelber »vor ‚unterrichtete das weibliche »Dausgefinde im
Spinnen und Wolleweben, und leitete mit Eluger Ein-
458
ficht die Gefchäfte der nicht unbeträchtlichen Maierei
in der freundlichen Lindenau hinter der Burg, welche
den Bewohnern den nöthigen Unterhalt Tieferte. Sie
und ihre beiden Kinder, Fräulein Adelheid, eine Eräftig
beranblühende Jungfrau und ganz das fchöne Ebenbild
ihrer Mutter, und Junker Dietrich, ein wilder Knabe,
lebten während der häufigen Abwefenheit Kunzens unter
den Schutze ded ergrauten Nitterd Hans Beldner,
ihres Schwieger- und Großvaters, des älteften Raths—
herrn von Hall, der den Reſt feiner Tage auf der
Geyersburg, im Kreife. der Seinigen, zu verleben be⸗
ichloffen hatte; allein anders war es im Rathe des
Höchſten befchloffen.
Ed: war an einem ſchönen Somnterabende des Zah.
re8 1432 — Ritter Kung war ſchon vor einigen Ta-
gen mit einem Häuflein Reifiger zu einer Vehde gegen
den Nitter von Bebenburg, Die Diefer mit dem Abt
von Comberg hatte, ausgeritten — da ſaßen auf der
Geyeröburg der. alte Hand Veldner, Walther Senft
von Sulbürg und Hang. von Stetten beim traulichen
Becher beifammen und unterhielten fich in ernften und
ſcherzhaften Gefprächen mit einander. Die Weltbege:
benheiten lieferten zwar Stoff genug zu ernfter Unter-
baltung, aber aus Rüuückſicht für die ängftliche Frau
Agnes, die fih mit dem Spinnrorfen zu den Herren
hingefegt hatte und nebſt Adelheid für deren mangels
lofe Bewirthbung beforgt war, wurde dad Geſpräch
immer wieder auf feherzhafte Gegenſtände gewendet.
Frau Agnes äußerte jedesmal: die innigfte Freude, wenn
459
der ergraute, lebensmüde Schmäher, von den Uebrigen
zum Frohſinne geſtimmt, zuweilen den Schleier lüftete,
der ſeine vorübergegangene Lebenszeit von der düſtern
Gegenwart trennte und aus dem mannigfaltigen Vor:
rathe feiner Grlebniffe einige der Taunigften Scenen
aushob und fie mit dem "Teuer eines‘ Jünglings ver
Geſellſchaft preis gab. Eben hatte der Alte wieder
ſo ein luſtiges Mährchen aus der Vorzeit geendet und
die Andern ihm lachend den Dank zugetrunfen , als
ein Notbzeichen des Thurmwächters yplöglich die Aufs
merkjamfeit Aller erregte. Sie fprangen haſtig an
das Fenfter, von dem fich eine weite Ausficht in Das
ſchöne Kocherthal darbot. „Was gibts 2’ riefen Veld—
ner und Ritter Senft zugleich in den Burghof hinaus,
wo fie den alten Knappen Kurt eben im Zwiegefpräche
mit dem Thurmwart begriffen fahen. — „Bon der
Lugebene fprangen zwei Ritter gegen die Fährte des
Kochers herunter; drei andere traben eilends jenfeit3
auf der Straße gen Münkheim.“ — „Habt ihr das
Seldzeichen wahrgenommen?! — „Es ſcheint und Die
Farbe der Münfheimer zu ſeyn; — jegt geht's durch
den Kocher, der Eine eilt voraus — hu! wie Das
jagt.” Da glaubte Ritter Senft vom Fenſter aus au
noch wahrzunehmen, daß der Zurücfbleibende den Raps
ven Egmunds von Münkhein unter fich habe; bald
aber erfannte er Egmunden ſelbſt, der über die Line
denau gegen die Burg heraufjagte. Alle waren jeßt
von dem Gedanfen ergriffen, es müfje dem Ritter
Kunz ein großes Unglück zugeftoßen fein, weil er nicht
460
mit feinem Lieblinge Egmund, mit dem er Doch zugleich
ausgeritten war, auch wieder zurückkehrte. Aber "feiner
der Männer wagte fich auszufprechen, und. Die ängft-
liche Agnes fanf, ihrer Sinne nicht mehr mächtig und
mit dem Ausrufe: „o Gott, mein Gemahl ift erſchla—
gen ! auf dem Stuhl zurück. „Tröſtet euch, liebe
Mutter — wief die hilfreich herbeigeeilte Adelheid —
„glaubt nur fo Etwas nicht ; ſolch ein großes Unglück
würde unfere fromme Ahnfrau Bertha, die Erbauerin
diefer Burg, Die ja um ihrer vielen guten Werfe willen
vom Himmel die Gnade erlangt: hat, die ihren Nach—
fommen drohenden Unglücsfälle jedesmal durch ficht-
bare Warnungszeichen anzudeuten, nicht unvorbereitet
über ung ergehen laſſen.“ | |
Dieſen Troftworten der fanften Jungfrau: nieften
die Männer freudigen Beifall zu, und gerade wollte
Hans Veldner fie ausführlicher beſtätigen, als Kurt
einen Knappen zur Thüre bereinfchob, deſſen heitere
Miene keinen Trauerboten ankündigte. Er wandte ſich
gegen Frau Agnes, und meldete in beſcheidenem Tone,
daß Herr Egmund von Münkheim unter Entbietung
ſeines freundlichen Grußes, um die Erlaubniß bäte,
aufwarten zu Dürfen. Er wurde willkommen geheißen,
und kaum hatte Der freundliche Knappe einige Fragen
beantwortet, fo verfündigte ein Hufſchlag auf der Zug-
brücke und: Lärm im Burghofe des Ritters Anfunft.
She noch der alte Veldner die Wendeltreppe erreichte,
um den Ankonınenden zu bewillfommen, kam ihm
ſchon Egmund oben entgegen und trat, Jeden freund-
461
fih grüßend und Frau Agnefen und Adelheid nach
Nitterfitte die Hand drückend, im das Gemach. Alle
blieften mit gefpannter Erwartung auf den jungen Rit—
ter, um aus feinem Munde die Betätigung oder Rich-
tigkeit ihrer fchreeflichen Ahnung zu vernehmen. ' Aber
indem er Das fammetne, mit fchwarzen Büſchen vers
zierte, Barret abnahm, öffnete ſich ſein kurzer Mantel,
und Agnes’ und Adelheid gewahrten fogleic) mit Schres
cken, Daß er den linken Arm mit ftarfem Verband in
der Feldbinde trug. „Edle Frau" — fprach Egmund
lächelnd — „erſchreckt nicht" ob der geringen Verwun—
dung, Die ich als Denkmal der Freundfchaft höchlich
achte; betrachtet fie vielmehr vald eine: Euch günftige
Schiefung, denn ohne. fie möchte vielleicht Euerem
Haufe Leid erwachfen und ich jegt nicht jo glücklich
ſeyn, Euch Die tröftliche Kunde von der heute noch
erfolgenden Rückkehr Eures Gemahls zu überbringen.”
— „Um aller Heiligen willen‘ — rief Agnes voll
Angft — „eröffnet mir Doch ohne Rückhalt, ‚Kerr
Egmund, was deuten“ Euere Worte? warum fehrt
mein Gemahl nicht mit Euch" zurück? ficherlich iſt ihm
ein großes Unglück zugeſtoßen.“ — „Ihr wißt, edle
Frau” — erwiederte Egmund — „daß Nitter Kunz
immer nur im den vorderftien Reihen zu’ reiten pflegt
und beim erften Unrennen fein Weſen dem Feinde
fühn beurfundet: fo gefchah es auch bei. der dießma—
ligen Fehde. Der Feind wurde gereorfen, . aber beim
Nacheilen geriet Euer: Gemahlin einen Hinterhalt .
und hofte fich einige Winden, die uns Anfangs Sorge
402
machten, bei näherer Befichtigung jedoch fich nicht als
gefährlich zeigten. Burkhard von Eltershofen bot uns
bei unferer Rückkehr geftern Nachtherberge an und ließ
nicht zu, daß Kunz heute früh mit und fortreite, ſon—
dern begehrte, er folle noch der Ruhe pflegen. Conrad
von Gailenfirchen wird ibn heute noch hieher geleiten.
Euer Gemahl erfuchte mich, meinen Heimritt über Die
Geyeröburg zu machen und Euch Kunde von ihm zu.
bringen, und ich gebe Euch mit meinem Nitterwort .
die Verfiherung, daß er aufer Gefahr iſt. Unter
Eurer forglichen Pflege «wird er binnen kurzer Zeit
wieder vollſtändig geneſen.“ — „Serzlichen Dank für
diefe Berficherung, Herr Egmund“ — fagte Velbner,
ihm die Hand drückend — „laßt es Euch nun ge
fallen, bei uns niederzufigen und einen Labetrunk an-
zunehmen. Adelheid! — febt Doch, wie das Mägd-
len fo verfebüchtert Dafteht — eile, und fredenze dem
Ritter den Willkomm!“ Mit einem theilnehmenden
Seitenblie auf den verwundeten Ritter holte Adelheid
einen filbernen Pokal aus dem: Kaften, füllte ihn: mit
einem alten, Föftlichen Sorgenbrecher und fagte, indem
fie ihn Egmunden darbot, mit fehüchterner Stimme:
„Herr Ritter, ich bringe Euch den freundjchaftlichen
Willkomm, und Gott jchenfe Euch zu unferem Troſte
und unferer Freude vecht baldige Gefundheit !! — „Ich
danfe Euch, edles Fräulein, für Euern freundlichen
Wunſch, der nur deßhalb bald in Erfüllung gehen
möge, Damit ich fortan mich ganz Euern Dienften zu
widmen in den Stand gefegt werde” — entgegnete
463
Egmund, indem er mit feurigen Bliden den Pokal
aus den Zitternden Händen der holden Jungfrau em—
pfing:; — „Edle Frau, auf die glückliche, Rückkehr
Eures Gemahls! Auf Euer Wohl, ihr Lieben Herren
und Freunde!” Alle riefen ihm Dank zu, und Veldner
bat’ ihn jeßt um einen kurzen Bericht über des Her⸗
gang des Streites.
Eben wollte Egmund von Münkheim — —
beginnen, als vom Thurme herab der Ruf des Wäch—
ters ertönte: „Sie kommen, ſie kommen!“ und das
auf der Mauerbrüſtung lauernde Burggeſinde ein lautes
Sreudengefchrei erhob. Denn hinter der Burgebene
wurden flatternde Fähnlein und ſchimmernde Lanzen-
ſpitzen ſichtbar; allmählig zeigten fich die Reiter und
Noffe des Vorderzuges auf der Höhe; die Kappen
chwenften ihre Bidelhauben und blanfen Schwerdter
über den Köpfen, freundlich gegen die Burg hinauf
grügend, und fchlugen fie an einander, daß e8 weithin
über das Thal klirrend ſcholl. Das frohe Getümmel
hatte die Zafelrunde rafch in die Fenſter gezogen und
Agnes ftarrte voll Freude und Bangigkeit, “voll Heff—
nung und Angft, dem langfam von der Höhe herab»
wallenden Zuge entgegen. Aber als fle zwijchen den -
Keitern und Fußknechten einen bederften Wagen ge—
wahrte, da Durchbebten fie Schauer und Schrecken und
eine Thränenfluth entftürgte den zitternden Wimpern
ded jammernden Weibes. „Tröſtet Euch doch, Frau
Tochter!" — rief Beloner, von Mitleid ergriffen —
„ſchauet nur hinüber, fle ziehen ja nicht mit geſenkten
464
Waffen noch verhüllten Fähnlein und Büfchenndaher,
ſeht nur, der Wind fpielt freundlich mit den freien
Fähnlein, hoch wallen die Helmbüſche und ſtrack er-
heben fich die flimmernden Spigen der Ranzen in die
Lüfte; wahrlich, Alles feine Zeichen der Trauer. Aber
— fügte er wohlbedächtig hinzu — laßt und nun
über den Empfang übereinfommen, mich Dünft, nad)
Herrin Egmunds Bericht vertrage fich ein. lärmender
Willfomm nicht mit Kunzens Kopfwunden, deßhalb“
— „wollen wir ung ftrafs aus dem Staub machen"
— nahm Walther Senft die Rede auf — „wir
könnten und Doch nicht venthalten, ihm Rede abzuges
winnen und läftig zu fallen.” ‚Schnell nahmen Die
Freunde Abfchied, eilten hinab, fchwangen fich auf Die
Roffe und trabten über die Lindenau den fteinigen
Weg am Kocher hinab gegen Obermünfhein.
Indeffen Der Wagen mit dem Geleite gemächlich
und in aller Stille herauf zog, |prengte Konrad von
Gailenkirchen voraus und gerade über die Zugbrüde,
als die mweinende Agnes mit Adelheid’ aug dem Thurme
trat, um. den Zug im Burghof zu empfangen. Nach
furzer, berzlicher Begrüßung fragte Die immer noch in
Angft fehwebende Agnes, fowie Adelheid und der alte
Beldner den Angefommenen fogleich nach Kunzens Be:
finden nnd erhielten die beruhigendfte Auskunft darüber.
Als aber der von Gailenkirchen den nähern Hergang
der Sache erzählte und von Dem Verluſte der Hand
Iprach, den Ritter Egmund bei Kunzens Rettung: er—
litten Hatte, Da erſchracken Agnes und Adelheid auf
465
das Heftigfte und „es ift nicht möglich!’ — flotterte
fegtere erblaffend — „er faß ja erft noch vor wenigen
Augenblifen bei uns, ſprach nur von einer leichten
Perwundung und verrieth nicht den geringften Schmerz.
Kein, es ift nicht möglich!” — „In Eurer Gegen
wart, ſchönes Mihmchen“ — verficherte Konrad lä—
chelnd — „wird Ritter Egmund freilich nicht über
Schmerzen klagen, ſie kämen denn von innen; indeß
kann ich Euch ſelbſt keinen Eid dafür ſchwören, daß
dem wirklich ſo ſey, wie ich geſagt habe; es ging nur
ſo ein Gerede herum, als ihm die Wunden ausge—
waſchen wurden. Indeß laßt uns das Wichtigere nicht
vergeſſen. Euch, Frau Agnes, wollt ich zuvörderſt
bitten, bei der Ankunft Eures Gemahls Feine unnöthigen.
Klagen laut werden zu laffen; es it ja Feine Gefahr
vorhanden, darum wäre das Befte, Ihr begebet Euch
hinauf, bis wir ihn in fein Gemach gebracht und für
die Pflege feiner Wunden das Nöthige beforgt haben.”
— „Ihr habt Necht, Ritter Konrad” — fiel der alte
Beldner ein; — „kommt Weiber, geleitet mich hinauf.
Seht, ſchon beugt dorten der Zug um die Ede des
Waldes heranwärtd. Im der Trinkſtube, Herr Vetter,
fehen wir Euch und Euere Gefellen wieder 1" — „Wie
Ihr es für gut findet, meine Herren” — feufzte Ag—
ned, warf woch einen traurigen Blick Durch das Thor
und ging mit Sans und Adelheid hinein. Jetzt rollte
hohl und Tangfam der Wagen über die Zugbrüde.
Geraume Zeit war feit diefen Vorfällen verflofien,
die Berwundeten waren durch forgfame Pflege wieder
30
*
466
völlig genefen und Adelheid, die ſich dem tapfern
Egmund von Münfheim ob feiner bemährten Berdienfte
um den Vater, und wegen feiner Beharrlichfeit in der
Minne höchlich verpflichtet fühlte, hatte diefe Doppelte
Schuld getreulich mit ihrer Hand abgetragen und war
ihm, als feine liebe Hausfrau, hinunter in Das veigend
gelegene Wafjerfchloß nach Münfheim gefolgt, wo fte
an feiner Seite, ungefährdet von den Stürmen umher,
fchon mehrere Monden im wonnigen Lenze des ehelichen
Glückes lebte. Mutter Agnes aber theilte ihre Zeit
zwifchen den Pflichten auf der Geyeröburg und den
erholenden Beſuchen bei Adelheid, und nicht EM
luftwandelte auch der alte Veldner an ihrer Seite
hinunter zu den glüclichen Enfeln, vermeilte dort den
Tag über und fehrte vergnügten Geiſtes Abends wie-
der zurüd. "
Sp ſchlich Allen der Winter und ein Theil des
Frühjahres 1433 wie ein Tieblicher Traum fehnell da—
bin, ald an einem trüben, flürmifchen Apriltag Ritter
Kunz binabritt, um feinen Schwiegerfohn Egmund zu
einer Gafterei auf die Burg Conrad von Enslingen
abzuholen. Auch den alten Hans Veldner auf der
Geyersburg hatten mehrere Sreunde an diefem Abend
heimgefucht, und fie faßen nach gewohnter Weife in
traulicher Auswechſelung der neneften Zeitereigniffe
beim labenden Becher. Hans von Stetten, der alte
treue Freund, und Frau Agneſens nächfter Verwande
ter, ein Herr des Rathes der Stadt Hall und feiner
reichen Erfahrungen wegen fehon mehrmals in. wichti-
467
gen Angelegenheiten an das KHoflager des Kaiferd Sigis—
mund abgeordnet, unterhielt die aufmerffamen Zuhörer
über Die bedeutendften Vorfälle in der Stadt, endete
aber unter bedenklichem Kopfichütteln Damit, Daß er
in Dem DBerfehre Der Gegenpartei und .ihrem ftern
heimlichen Zufamnientreten, ſowie aus noch verfchiedenen
Anderen Andeutungen irgend einen neuen böslichen An—
jchlag muthmaße. Doch ließ er fich nicht weiter her—
aus, um der ängftlichen rau Muhme Agnes feine
Beranlafjung zur Traurigkeit zu geben und leitete Die
Unterhaltung auf andere Gegenftände über. Erſt am
äten Abende machten die Freunde Anftalt zum Auf-
che. Draußen aber ftrömte der Negen in Fluthen
herab und der Sturm fauste um Die Mauern Der
Burg ; deghalb bot ihnen die forgliche Hausfrau gaſt—
liche Nachtherberge an, fie aber wendeten e8 ab, nah—
men freundlich dankend Abfchied und trabten von
dannen. Noch war Nitter Kunz beim Einbruche Der
Dunkelheit nicht zurückgekehrt, und Da Veldner ver-
muthete, er möchte, wie er öfter that, bei feinen Kin-
dern in Münfheim übernachten, befahl er die Zugbrücke
aufzuziehen und die gewöhnlichen Sicherheitsporfehrungen
zu beobachten. Indeſſen wüthete der Sturm immer
ftärfer, die Fenſter klirrten von dem anpraffelnden
Regen, der Wetterhahn Fnarrte unheimlich vom Ihurme
herab und Das Toben Des Kochers und das Ungeſtümm
des Eichwaldes hinter der Burg ſchreckten Frau Agnes
aus ihrem Schlummer empor. Eben verfündeten ferne
Glockenſchläge Die Mitternachtäftunde, als der ſchauer—
468
liche Nothruf des Thurmwarts herabtönte. Agnes
ftürgte mit der Lampe in das Gemach ihred Schwieger-
vaters, der fich bereits vom Lager erhoben hatte, um
Kunde über das fehrecliche Getümmel einzuziehen, den
auch vom Burghof herauf fchallte Das Sammergefchrei
des Gefindes, mit dem durchdringlichen Geheul ver
Hunde Einen nächtlichen Ueberfall abnend, Den die
ftürmifche Nacht begünftigen Fonnte, fiieß er mit fräf-
tiger Fauft den Laden zurück, aber — Frampfhaft fich
an dem Flügel des geöffneten Fenfters erhaltend, ftarrte
er in jählinger, fchredlicher Ueberraſchung lautlos
birraus, und Agnes, betäubt von der blendenden
fcheinung, die fich ihren Blicfen darbot, ſank an je
Seite mit dem Silferuf: „Iefus Maria!” befinnungs-
108 zu Boden. Eine Geftalt, wie die der Ahnfrau
Bertha, ſchwebte in hellem Lichtglanze an Der Burg—
mauer vorüber gegen den Eichwald und zerrann dort
im bläulichen Schimmer. Lange ſchon war die Er-
ſcheinung verfchwunden, als Agnes mit Hilfe Veldners
und einer Dienerin fich wieder erholt. Alle Bewoh—
ner der Geyeröburg verfammelten fich um die geliebte
Gebieterin und ſtimmten in ihren Erzählungen überein,
dag Die Geftalt völlig dem Bilde jener freundlichen
Edelfrau, das im Prunfgemache hänge, geglichen, ihre
harmvollen Blicke gegen die Stadt gerichtet und, mit
den Händen zingend, dahin gedeutet habe. Die uns
nennbare Furcht der guten Frau mollte in Der warnen
den Ahnfrau ein ihrem Gemahl drohendes Unglück er=
kennen und flehte jammernd die Umſtehenden um eilige
469
Hilfe an. Der alte Ritter aber vermutbete einen etz
neuerten Aufruhr in der Stadt und große Gefahr für
feine Freunde, und befahl daher dem Schloßvogt, ſo—
gleich zwei Reiſige auffigen zu laffen, um. Kunz und
Egmund von der feltfamen Begebenheit auf der Geyers-
burg fchleunig zu benachrichtigen. Auch in - Hall
wurden am gleichen Tage, bald nach Mitternacht, Die
Einwohner Durch ein reges Leben und Treiben auf
den Straßen aus der Ruhe gefchredt. Gemappnete
Schaaren durchſtreiften Die Gaffen , forderten einander
ie Loſung ab, ertheilten und erhielten Befehle, bes
Mc ſich gegenfeitig über den Erfund ihrer Streife
und tobten mitunter in grimmigen Worten gegen den
nächtlichen Sturm, der mit Steinen und Ziegelftüden
ihre Pickelhanben und Harnifche gar unfanft begrüßte,
Die, ſchweren Ketten. an Den Aus- und Cingängen
der Straßen wurden raffelnd aus den Globen gehoben
‚und.quer über Diefelben ausgefrannt, und an alle
Machen der Thore und Ausläſſe ergingen firenge Be—
fehle, Niemanden weder ein= noch auszulaſſen. Die
Bürger wolten in dieſen geheimnißvollen nächtlichen
Anftalten einen Gotteögerichtäfampf auf den grauenden
Morgen muthmaßen, Denn jedesmal wurden folche
Dorjichte- und Sicherheitöyorfehrungen gegen den ſtö—
venden Zudrang des Volkes getroffen. Einzeln fehlichen
jich Aichter und Näthe, in ſchwarze Mäntel gehüfft,
durch Die graufe Nacht: in das von Söldnern ftarf
umftellte, alte und finftere Nathhaus, aus dem um
die Dritte Morgenftunde ein Abgeorüneter des Raths
479
mit einem Haufen Gewappneter trat: und eilends dem
Beldnerthurme in der Schuppach zufchritt, in welchen
der erft vor menigen Stunden von der Geyersburg
zurücgefehrte Sand von Stetten mit feinem einzigen
Junker wohnte. Nach oft wiederholten ftarfen Schlägen
an dem wohlserwahrten ftarfen Ihore des Thurmes
entriegelte endlich ein Knecht auf: Befehl feines Ge—
bieters — welcher, durch den Lärm geweckt, herab—
geeilt war und dem Einlaß DBegebrenden, der ihm
wichtige Nachrichten zu binterbringen vorgab, an der
Stimme und als einen feiner Bartei erfannt —
die kleine Einlaßpforte. Aber mit dieſem drang ungu—
haltſam auch die Schaar hinein und umzingelte jählings
den alten Ritter. Dem über dieſen ſchmählichen Ver—
rath höchſt Ueberraſchten eröffnete nun der Abgeordnete
in unfreundlichen, kurzen Worten den Befehl, alſo—
gleich vor dem bereits verſammelten Gerichte zu er—
ſcheinen, um über einen wichtigen Vorfall Rede zu
ſtehen. Nicht achtend der bitteren Schmähreden, Vor—
würfe und Einwendungen gegen das gewaltſame Ber
fahren, beharrte der Verräther mit Ungeſtümm, auf
ſchleuniger Folgeleiſtung, wendete des Alten Begehr,
ſeinen Sohn als Begleiter und Beiſtand mitzunehmen,
als nicht zuläßig ab und gab Einigen ſeines Gefolges
den Befehl, den Junker bis zu abgemachter Sache
ſtreng zu bewachen und beſonders wohl darauf zu
ſehen, daß weder er, noch einer der Hausgenoſſen durch
den geheimen Ausgang entrinne, der durch das Ge—
wölbe des zunächſt mit der Stadtmauer verbundenen
471
Thurmes hinaus in's Freie führe; denn das alte Ge—
ſchlecht der Veldner hatte ſchon in der Vorzeit, nebſt
mehreren anderen Freiheiten, auch das Vorrecht einer
eigenen Oeffnung aus der Stadt erlangt. Hans von
Stetten, ſich keines Frevels, keiner Schuld bewußt,
ergab ſich endlich den wiederholten Aufforderungen des
Abgeordneten, ließ ſich ſeinen Mantel reichen und —
gewarnt, nicht durch Hilferufen den gewiſſen Tod her—
beizuführen — folgte er lautlos feinem Führer nad.
Aus den meiften Käufern ſchimmerte ſchwaches
Zampenlicht auf Die engen Gaffen herab und verrieth
"Die Wachſamkeit der Bürger, deren Viele in der Stille
ſich wappneten, um nöthigenfalls gleich bei der Hand
zu ſeyn. Die Beherzteren ſchlichen aus ihren Woh—
nungen, um bei den Herumwandelnden und Nachbarn
Kundſchaft über die nächtliche Unruhe einzuziehen; aber
die Anführer der Schaaren riethen den Neugierigen,
ſich, nach eines ehrbaren Rathes Willen und Begehr,
in ihre Häuſer zurückzuziehen und allda ruhig und
ſtill des Weiteren zu harren; denn er, der für die
Sicherheit und Ruhe ſeiner lieben Bürger in alle
Wege wache und ſorge, ſey gerade jetzt verſammelt,
um über ein ſchweres Verbrechen zu richten und da—
durch großes Unheil von der Republik abzuwenden. — —
Mehr als vier Jahrhunderte trennen uns jetzt von
dem in jener Nacht über Hans von Stetten hereinge—
brochenen, furchtbaren Verhängniſſe. Das Blutgericht
wurde nicht, wie in früheren Zeiten, öffentlich, ſondern
ganz geheim bei verſchloſſenen Thüren gehalten, und
P b
472
es bfeibt uns Daher auch Der Gang dieſer VBerhand-
fungen in Dunfel gehüllt. Aber nach Der Meberein-
flimmung mehrerer bewährter Chronifen wurde Sans
von Stetten fälfchlich einer hochverrätberifchen Hand»
fung bezüchtigt, Die aber. ver Angeflagte als ſchändliche
Berläumdung erklärte und fich erbot, fie vor einem
vollen, nicht aber vor einem unvollftändtigen,
einfeitigen Gerichte zu widerlegen‘ und feine Un—
ſchuld völlig darzuthun ; Denn Das Gericht war nur
von feinen Gegnern befeßt und es fehlten fünf Der
älteften Richter. Aber, ohne darauf zw achten, wurde
die Unterfuchung fortgefeßt: und ihm mehrere Zeugen
feiner verbrecherifchen That gegenüber geftellt. Nach
kurzer Verhandlung war das DBlutgericht beendigt.
Hans von Stetten wurde für fehuldig erklärt, ihm
das Todesurtheil angefündigt, und er alfogleich einer
Rotte von Söldnern zur Abführung und Bollftrefung
deffelben übergeben. Unter fortwährender Bethenerung
feiner Unfchuld trat der, Durch fern Mißgeſchick gänz—
fich entmuthigte, zitternde Greis aus der Rathsſtube.
Noch konnte er nicht an die Möglichkeit eines fo
unerhört graufamen Verfahrens glauben, fondern hielt
e3 für eine fchrecfende Brüfung der. Todesangft, und
darum bat er im Serabfchreiten flehentlich, feinen Sohn
oder Einen feines Gefchlechted zu beſchicken, um unter
deren Beiftand noch einmal Rede zu ſtehen. Sie aber
fchleppten ihn befohlenermaßen eilend und ſchweigend
in gepreßter Mitte hinab vor das Rathhaus in einen
dichten ‚Kreis von Speeren, allwo fie ihn dem Nach—
473 *
richter überantworteten, und mit dem grauenden Mor—
gen fiel das greife Haupt des edeln Mannes als
Opfer eines rachefüchtigen Weibes, der. Städtemeifterin
Gutta Heimberger. Diefes Weib verfolgte den
von Stetten ſchon feit lange, wegen verfchiedener Ur—
fachen, mit unverföhnlichem Haſſe. Ein zufälliger
Borfall in der Sanct Jakobskirche gab ihr endlich
willfommenen Anlaß, ihre Rache zu befriedigen. Eines
Sonntags, ald die Städtemeifterin gerade zum Tiſche
des Seren gehen wollte, hatte der von Stetten: das
Mißgeſchick, ihr auf den Mantel zu treten und darüber
zu ftolpern. Um nun nicht: zu fallen, haſchte er nach
der Schnur einer über ihr hängenden Lampe und
verurfachte Dadurch, Daß fich das Del über Den. foft-
baren Schleier der Frau Städtemeifterin ausfchüttete.
In Höchfter Entrüftung und mit racheerfüllten «Herzen
enteilte fie der heiligen Stätte und fegte in aller Eile
die Triebräder ihres höllifchen Machwerfes in Bewegung.
Hans von Stetten wurde auf ihre alleinige Veran—
laffung eines todeswürdigen Verbrechens ſchimpflich an—
geklagt, und eim Zuſammenwirken für ihn mißlicher
Umftände vermochte den größten ‚Theil der Richter,
ihn -in Folge der rafchen Unterſuchung fig ſchuldig
zu erkennen.
Der Blutakt war vollbracht, und wegen der ſchnellen
nächtlichen Vollziehung ohne Störung der Gegenpartei
vorbeigegangen. Mit den erſten Strahlen der Morgen—
ſonne wurden die Thore der Vorſtädte geöffnet und
die Wachen von den TIhürmen- und Mauerumgängen,
474
mit Ausnahme weniger Poſten, in die noch verfchloffen
gehaltene innere Stadt zurücfgezogen, um fie ald nöthige
Derftärfung gegen die möglicherweife jet erſt aus—
brechenden Unruhen verwenden zu Fönnen. Nachdem
die barfchen Feuerbüchfen- und Armbrufl-Schüßen ab—
gezogen waren, wagten fich die Bemohner der Gelbinger
Vorſtadt allmälig aus ihren Käufern, um ſich unter
einander über die Veranlaffung des nächtlichen Tumults
zu befragen, und als fie jo längs der. Gaſſe hinauf,
in neugierige Häuflein zufammengedrängt, fich ihre
Muthmaßungen mittheilten, da fprengten von . Der
Münfheimer Straße herauf durchs äußerfte Thor ſechs
Ritter auf braufenden Kengften, gefolgt von Knappen
und Knechten, und bahnten ſich kühn ihren Weg durch
die Volfsmenge. Den rafchen Lauf ihrer Roſſe end—
lich Hemmend, mühten «fie fich im Hinreiten bie und
dort, Aufichluß über das feltfame Negen und Treiben
einzuziehen, doch vie felbft unfundigen Bürger ver-
mochten den eifrig Nachforjchenden feine Auskunft zu
geben. Aber bei der St. Iofen= Kapelle fehmetterten
jest plöglich Trompeten, und ein Herold auf ſtattlichem
Roſſe hielt inmitten eines Volfshaufend, dem eben Die
Nitter fich naheten, und verfündigte der aufmerfjam
borchenden Menge mit lauter, vernehmlicher Stimme:
„Daß ein edler Rath des h. römifchen Reiche freier
Stadt Hall, ſtets wachſam für das Wohl feiner guten
und getreuen Bürger und Infaßen, ſolchen hiemit
Öffentlich fund und zu wiffen thue, mie er ſich, ob—
wohl ſchweren Herzens, gemüßigt gefunden, gegen einen
475
Hochverräther mit aller Strenge der Geſetze zu ver—
fahren. Hand von Stetten, Mitglied des Raths, habe
fich ruchlos unterwunden,, feine Burg Sanzenbaäch,
innerhalb der Gränzen des freien Gebietes Der Stadt
Hall, an eine fremde Serrfchaft, nämlich an Den
Grafen von Wirtemberg, zu verfaufen, und zwar,
wider fein Gelübde und Eid, und ohne VBormiffen und
Berrilligung eines edlen Raths, und feie deßhalb an-
geklagt und überwiefen von dem gefammten Gericht
einftimmig nach Hecht und Gefeß zum Tod verurtheilt
und demnach heute, ihme zur mohlverdienten Strafe,
Andern aber zum abicheulichen Erempel, durch Den
Nachrichter vor dem Rathhaus vom Leben zum Tode
gebracht worden, und verſehe fich ein edler Rath — —“
„Gottes Donner über das giftige Lügengezücht!“
brüllte Ritter Kung dem Herold, ihn unterbrechend,
fürchterlich entgegen — „melde Deinem blutaierigen
Rathe, daß ich Kunz Veldner, der Geyer von Geyers-
burg, ihm der frecheften Lügen bezüchtige, ihm ob feinem
jhändlichen Verfahren an meinem Ohm hiemit feind-
ich abfage und, wo und wie ich fann, auf allen
Wegen zu Schaden fein werde, es fei bei Tag oder
Nacht, offen oder heimlich, mit Mord, Brand und
Raub? — er fonnte nicht enden, denn es erhob ſich
ein allgemeines Geichrei, als der Herold im höchfter
Entrüfung fein Gefolge und die Bürger im Namen
faiferlicher Majeftät um Hilfe anrief, den zwiefachen
Frevler, der e3 wage, fein geheiligtes Amt anzutaften
und einen ehrbaren Rath zu befchimpfen, auf ver
476
Stelle ala Aufrührer und Lundfriedensbrecher, in ges
füngliche Haft zw bringen. Aber gefihügt bon Den
rüftigen Kämpen, die, gleich ihm, mit Blißesjchnelle
die Roſſe herumgemworfen und in gehöriger Verne ſich
gleich vortheilhaft zum Angriff und Vertheidigung auf
geftellt Hatten, als’ auch abgefchreeft durch Die gebiete-
rifche Stimme Egmunds von Münfheim, der Die Bürger
warnte, fich nicht in dieſe Irrung zu mifchen, Die er
ohne Schwerdtftreich und Blutvergießen beizulegen ge—
meint ſey, verlief fich das Volk, und der Herold, aller
Unterſtützung baar, jagte zürnend mit feiner Schaar
in die Stadt zurück. Aber auch die Ritter ‚erachteten
es für gerathen, fich zurückzuziehen, und es gelang
ihnen, den bis zum Wahnſinn aufgereizten Ritter Kunz,
der Jogleic) nachjagen und in der wild gährenden, von
fremden Söldnern gefchüsten Stadt die Fehde eröffnen
wollte, zum Abzuge zu bewegen. In Gelbingen hielten
ſie Rath, und es wurde befchloffen, daß Egmund von
Lünfheim und Konrad von Gailenfirchen nah Hall
zurücdfehren, über die an ihrem Verwandten verübte
Blutthat Nechenfchaft verlangen und ſich mit den
Bornehmften ihrer Partei des Meitern berathen follten.
Walther Senft, Seinrich Keck und Volk von Roßdorf
aber nahmen den rachefchnaubenden Kunz ins Geleite
und kehrten mit ihn auf feine Burg zurüd.
Bereits: war e8 Abend geworden und noch immer
warteten die Bewohner Der Geyersburg und Die da-
felbjt verfammelten Freunde vergebens auf die Ent:
wirfelung Der ſchrecklichen Bezebenheit. Während Frau
477
Agnes droben im Frauengemach in den Armen ihrer
von Münfheim fchleunig herbeigeeilten Tochter Adels .
beid lag, die fich erfolglos bemühte, Der tief erſchüt—
terten Mutter tröftenden Balfam in das fummererfüllte
Herz zu träufeln, faßen die Ritter unten in der Trink:
ſtube, ihre anfänglich laute, in Aeußerung der vers
fchiedenften Anfichten ſich Fundgebende Unterhaltung
war allmählig einer, nur von kurzen, barfchen Wor—
ten und Flüchen unterbrochenen Stille gewichen und
nur darüber waren Alle einig, daß dad dem Hans
von Stetten Schuld gegebene Verbrechen eine teufelt-
fche, zu feinem Untergange gefchmiedete Erfindung fey.
In fiheinbarer Theilnahmsloſigkeit ſaß Ritter Kunz,
den Kopf auf den rechten Arm geftügt, an der Tafel,
und nur eim einzigesmal entfuhr ihm im der Ueber-
wallung feines Innern eine schreefliche Drohung, Die
er mit Hinunterflürzen eines vollen Humpen und deſſen
lautem Niederftoßen auf den Tiſch beſiegelte. Der
alte Hans Veldner dagegen, der in dem ſchrecklichen
Ende ſeines Freundes deutlich genug eine vorher nicht
geahnete Ueberlegenheit ſeiner Gegner erkannte, die ihre
Unthat in geſetzliche Formen einzuhüllen wußten, wo—
gegen ſich im jetzigen Augenblicke Nichts unternehmen
ließ, ſah mit Bangigkeit die unheilvollen Folgen vor—
aus, die dieſe Begebenheit durch vorſchnelle Einmiſchung
und thätliches Verfahren ſeiner Partei nothwendig bringen
mußte. Eben ſann er über die wirkſamſten Gegenmittel
gegen die drohende Gefahr. nach, und wie er den ſtarren,
unbeugfamen Willen ſeines Sohnes zu bejonnenem
# 478
Handeln Hinleiten Fönnte, als der Thurmwart Die An-
kunft mehrerer Reiter anmeldete, die auch bald darauf
in feierlicher Stille in die Burg einzogen. Unter ernfter
Begrüßung traten Egmund und Conrad von Gailen-
Eircben «mit noch mehreren befreundeten Kämpen im Die
Stube, und indem eriterer fi) gegen Hans Veldner
wandte und defien Hand ergriff, Iprach er mit gedämpf-
ter, doch fefter Stimme: „Wir fommen oben von feiner
Nudeftätte auf St. Jakobs Friedhof ; Diefe Hand, Die
in der Eurigen ruht, drüdfte vor wenigen Stunden
noch Die Falte Nechte des hingemordeten wadern Ge-
fellen, und ich theile Eucb mit dieſem Drucke ſein letz—
tes Lebewohl hienieden mit. Gott tröfte feine Seele!”
— „Und verdanme feine Henker!" — brüllte Kunz,
vor Zorn bleich, Dagegen. „Fandet Ihr ihn ſchuldig?“
— fragte nach eingetretener Stille Hans Veldner mit
einem ſchweren Athemzuge, als befürchte er eine Be-
jahung. „So wenig Ihr ein neugeborenes Kind einer
Sünde zeihen möget, fo wenig ift Hand von Stetten
des Frevels fehuldig, wegen deſſen er angeklagt und
enthauptet wurde,” — entgegnete bitter Conrad von
Sailenfirchen — „unfere fivengften Nachforfchungen
vermochten nicht, eine Schuld gegen ihn aufzufinden ;
die Knechte und Leibeigenen der Burg Sanzenbach
ftehen nach wie vor unyerändert in Dienften und Pflich-
ten; ja, felbjt mehrere von denen, Die zu unfern Geg-
nerm gehören, haben ihre entfchiedene Mißbilligung über
diefe Frevelthat zu erfennen gegeben und die Stimme
des Volks hat jich bei der Beerdigung des Gemordeten
479 .
laut genug ausgefprochen. Defmegen find wir feft-
entichloffen, Durch den gelehrten Licentiaten der Rechte,
Herrn Hand Mangolt, eine, Klage vor des Kaifers
Majeftät zu bringen und um unverweilte Unterfuchung
und firenge Beftrafung zu Bitten, und wir hoffen, daß
auch Ihr, Herr Veldner, und die übrigen bier anwe—
fenden Ritter und Sreunde, Euch zu gemeinfchaftlichem
Handeln mit und vereinigen werdet.” Unter allge:
meinem: Beifalle wurde die getroffene Anordnung ges
nehmigt ; nur Kung, dem Diejes friedliche und lang-
fame Vorgehen im höchften Grade mißfiel, beharrte
trogig auf feiner fchon ausgefprochenen Erklärung öf—
fentlicher Abfagung, und weder die Vorftellungen feines
Vaters, noch der Freunde dringende Bitten vermochten
feinen Starrfinn zu brechen. Unmwillig über den Un-
beugfamen, wandten fte fih von ihm ab und überließen
es dem erfahrenen Alten, bei günftiger Weile feinen
Sohn zu gemäßigteren Gefinnungen binzuleiten. Aber
eben fo wenig, wie den Freunden, gelang es dem Va—
ter, den harten Sinn Kunzens zu brechen; in vermef-
jenem Zone und unter den fehreeflichften Betheuerungen
ſchwur diefer, Daß er von num an als abgefagter Feind
des Raths von Hall handeln werde, und indem er dad
Gemach und Die Burg verließ und in dem hinter der—
jelben Tiegenden Fichtenwalde verſchwand, entzog er ſich
allen ferneren Einreden.
Don nun an war der Friede und das häußliche
Glück von der Geyersburg entwichen. Kunz, feinem
Schwure getreu, fuchte und fand leicht Veranlaſſung,
u» 480
»
fich mit den Feinden der Stadt in nah und fern zu
verbinden und namentlich den Mitgliedern des Raths
allen möglichen Schaden zuzufügen. Nicht das Bitten
und Jammern feiner guten Hausfrau Agnes, nicht Die
Vorftellungen des Vaters und der Freunde fanden in ber
vacbeerfüllten Bruft des Ritters ferner Gehör. Mord,
Drand und Beichädigung des Eigenthums feiner ver:
baten Gegner bezeichneten feine Ausritte, auf allen
Wegen lagerte er mit feinen Genofjen und mußte ge=
raume Zeit den Gegenanftalten. der Haller gewandt
auszuweichen und Diefelben fogar zu. ihrem eigenen
Nachtheil zu menden. Höchſt entrüftet über das Treiben
ſeines Sohnes, dem er nicht mehr zu fteuern im Stande
war, hatte fich der alte Veldner in die Stadt zurüd-
gezogen, um nicht in das vorausftchtliche Unglück ſei—
ne8 Haufes mit hineingeftürgt zu werden und zugleich
feine Habe fir Die Enfel zu retten ; ſelbſt Frau Agnes
gab den DBorftellungen Egmunds und Adelheids end—
lich nach, und z0g zu ihren Kindern in das Waſſer—
ſchloß Münfheim hinab: denn fehon fehritt der Rath
von Hal mit Einziehung aller dem Geyeröburger ge—
hörigen Güter, deren man habhaft werden Fonnte,
voran und hatte bereits einen ypeinlichen Prozeß bei
dem Eaiferlichen Hofgerichte zu Rotweil eingeleitet, Der
nothiwendig eine Achtserklärung gegen den Landfrieden-
brecher zur Folge haben mußte.
Eines Tages, in derfelben Abendftunde, als Kunz
und feine wilden Gefelfen, mit ſchwerem Raube gepackt,
eben auf Die Geyersburg zurücffehrten, vitt auch unter
481 *
2
ſtarkem Geleite ein Bote vom Hofgericht zu Rotweil
in die Thore Hall's ein, und überbrachte die Urkunde
der Achterklärung gegen Ritter Kunz von der Geyers—
burg und feine Helfershelfer. Auch rücte in derſelben
Nacht noch der Waldbot, dem von Faiferlicher Majeftät
die Aufficht über Die Wegelagerer und die Vollziehung
der Acht übertragen war, mit einem Haufen Reiter
und Bogenfchügen in die Stadt. Aber fafl um die—
jelbe Stunde fchlich auch ein Kundfchafter zum Wei—
terthor hinaus und nahm feinen Weg längs dem Ko-
cberfluffe hinab, um in aller Eile Nachricht von dieſen
Dorgängen auf die Geyeröburg zu bringen. Schon
war es beinahe Mitternacht,. ald er auf dem fchmalen
Fußpfad im DVogelholz an die Stelle gelangte, wo ber
Fluß in weitem Bogen fih um den Neuberg herum—
krümmt und er die heil erleuchtete, nicht mehr weit
entfernte Burg erblidte. Von hier feßte er nun feinen
Meg auf der Steige gegen Sülz hinauf fort, und
fchlih oben auf befchwerlichen Pfade zmifchen wildem
Geftrüppe und Gteingerölle durch den nur ihm und
wenigen Getreuen befannten, geheimen Einlaß der in-
nern Umfriedung der Burg zu. Hier oben aber berrfchte
in dDiefen nächtlichen Stunden die gräulichfte Wirth:
fchaft. Unten im Burghof und in der geräumigen
Tenne über dem Gewölbe des Thurms, wo früher
Frau Agneſens Häuslichkeit mwaltete, der aber nun zum
Kerker unglüdlicher Gefangener umgefhhaffen worden
war, lagerte bei Fackelſchein das Burggefinde mit den
31
Mi.
* 482
fremden Knappen und Sinechten, foffen wader drauf
[05 und erzählten fich grauenhafte Mähren und voll
brachte Bubenftüdfe: oben im PBrunfgemache aber- tha=
ten ſich Kung und feine Gefellen in dem erft heute
aufgefangenen alten Aheinweine, Der den Herren des
Raths zu Hall von Heilbronn herauf zugefendet wor—
den war, fo lange gütlich, bis der Geift in den Köpfen
der wilden Becher fchredlich zu ſpucken begann und
feuerfprübende Blige ihren Augen entfuhren. Als fie
fo in unfinnigem Toben binfchwelgten, einander ihre
eigenen vollführten Zrevelthaten zubrüfften und dann
in muthwilligen Echerzgen und Schmähreden auch über
die Ahnherrn herfielen, deren Bilder von den Wänden
ernft auf diefes ganze Unweſen berabblickten, und als
fie eben den Tugenden der frommen Ahnfrau Bertha,
unter Beifallnicken des ausgearteten Enfels, mit grim—
migem Lachen Hohn zu ſprechen wagten, da drang
des Wächters brüllender Nothruf in ihre Ohren und
bewirkte ploͤtzliche Stille in der Trinkſtube und im
Burghofe. Alle eilten an die Fenſter und gewahrten
im volfeften Lichtglanze fehwebend (dieſe plögliche Er—
icheinung hatte den Ruf des Wächters veranlaßt) —
die Geftalt der beleidigten Ahnfrau Bertha.
Nahe dem Benfter, aus welchem Kunz binausjtarrte,
jchwebte die Warnerin, unverwandt die Blicke auf den
gefallenen Nachkommen gerichtet und mit drohenden
Fingern gen Simmel deutend, bis fie allmählig den
Blicken des Erſchrockenen wieder entfchwand. Kunz
483 ”
&
fanf auf den Steinfig in der Senftervertiefung nieder,
fenfte erfchüttert dad Haupt in beide Hände und harrte,
gleich feinen Gefellen, eine Weile unbeweglich und Taut-
108; endlich richtete er fich empor und rief mit wuthent-
brannten Blicken auf die Anweſenden Diefen zu: „Wehe
über Euch ! mwehe über mich! mein Stündlein naht !
Helfe mir Der, an den fie mich wies!" — „Wie, Kung?“
— fchrie Konrad von Thalheim — „Ihr wagt e8, uns,
die wir Euch auf Eueren dringlichen Aufruf-gegen die
Mörder Hanfens von Stetten Hilfe und Beiftand ge:
leiftet haben, Vorwürfe zu machen? verflucht fey Euere
Rede!“ „Das Wehe fomme über Dich allein, Undanf:
barer!“ — ftimmte Claus von Buchhorn mit ein, und
griff nach Helm und Schwerdt — „verdammt ſey Deine
Ahnfrau mit fammt ihren Zauberftüclein !C Schnell
erhob fich Der ergrimmte Geyer von feinem Site, um
diefe Unbilden auf der Stelle thätlich zu rügen, da
trat Konrad von Enzlingen befchwichtigend dazwiſchen
mit den Worten : „Haltet ein ihr Freunde und lieben
Geſellen! wie mögt Ihr gleich fo aufbraufen über ein
Wort, Das Angft und Gewiffen dem Herzen erpreßte ?
laßt ung einig bleiben, dieß thut uns jetzt vor Allem
Noth!“ — Bei der plöblichen Stille, die dieſe Rede be-
wirft hatte, wurde ein von befannten Zeichen begleitete:
Pochen von den geheimen Einlaffe herauf gehört. Kunz
eilte fogleich aus dem Gemache und befahl drohend den
Knechten, die fich bei der ſchrecklichen Grfcheinung der
Ahnfrau in den Thurm geflüchtet, Die Thüre verrammelt
484
E
und in der lärmenden Unterhaltung das Pochen nicht
gehört hatten, Das Pförtchen zu öffnen. Einige der
Beherzteften gingen hinaus, dem Befehle zu gehorchen
und bald darauf wurde ein Knecht Hang Beldners in
das Gemach eingeführt. Stark angegriffen durch feinen
fchleunigen Marjch von Hal her, fowie durch die über:
rafchende Erfiheinung von der Burg herab, Die auch er
geſehen hatte, fprach er mit Angftlicher Stimme zu Kunz:
„Gerne möchte ich Euch, geftrenger Herr, einen freund:
lichen Gruß bringen, aber da“ — indem er Kunzen ein
Brieflein überreichte — „ver Inhalt wird Euch belehren,
dag Euch von Stund an Feine freundliche Begrüßung
mehr vergönnt ift.“ Raſch entfiegelte der Ritter Das
Blatt, das nur die wenigen Worte enthielt: „Kunz,
Du bift fammt Deinen Gefellen geächtet, fliehe eilends;
nach Mitternacht brechen drei flarfe Haufen gegen Die
Geyersburg auf, um Dich zu fangen und das Neft zu
zerftören. Es ift das die legte Bitte Deines Vaters.
Der barmherzige Gott geleite Dich.“ — Verzweiflung,
Wuth und Gewiſſensbiſſe tobten in Kunzens Bruſt; er
ließ den Brief fallen, ballte krampfhaft die Fauſt und
fihrie unter gewaltigen - Schlägen auf den Tifch, daß
die Humpen zufammenflirrten: „Hölle und Verdamm—
nig den Mördern! Fluch über mich! o Vater! o Weib!
o Kinder! Gott erbarme ſich unfer!“ Mit diefen Wor:
ten ftürzte er ermattet auf den Sig zurüd. Auch
Kunzens Unglücksgenoſſen ftanden lange, wie vom
Donner gerührt, ob der entfeglichen Nachricht da. Der
485
Abgejandte ermahnte ſie aber, dem Inhalte des Briefes
ohne Auffchub nachzukommen, da der Morgen bald ans
brechen, mit dem Ave-Marinläuten die Burg unfehlbar
umzingelt feyn werde und dann an fein Entfommen
mehr zu denfen ſey. Damit entfernte er fich „weil er“
— wie er noch hinzufügte — „Feine weitere Gemeinschaft
mehr mit Geächteten haben wolle, die den Menfchen
nur Fluch und Verderben bringe.“
Nachdem die Betroffenen ich von ihrem erften Schre⸗
en in Etwas erholt hatten, gingen ſte mit einander zu
Rathe und befchloffen,, die Burg anzuzünden und auf
verfchiedenen Wegen Rettung durch die Flucht zu fuchen.
Kumz wurde während der Anftalten hiezu von den Fu—
rien der Hölle gequält; er war der Lebte, Der Das Haus
feiner Väter, den Aufenthalt feines dereinftigen Glüdes,
verließ. Noch unter der Thüre wandte er ſich um,
nahm feuchten Auges Abfchied von den erzürnten Ahnen,
glaubte in den lächelnden Antlige der frommen Bertha
die Berficherung der Verzeihung zu lefen, zog dann
raffelnd die ſchwere Thüre Hinter fich zu und wanfte
deu voranleuchtenden Knechte die Treppe hinunter nach.
Durch die fchauerliche Stille im Burghofe, die nur
durch das Wiehern der Roſſe und die Befehle der Ritter
unterbrochen wurde, tönte von Münfhein herauf das
Glöcklein zum Ave-Maria und zu gleicher Zeit fohmetter:
ten Zrompetenftöße oben von der Waldſpitze herein, Die
jich bald nachher Hart vor dem Thore der Burg wieder:
holten. Eilig hatte der größere Theil der Ritter und
or
486
Knechte den Umgang der Mauern erftiegen, um das
Begehren der Angefonmenen zu vernehmen. Nach dem
dritten Zeichen rief ein Herold Die Achtserflärung über
Kunz Veldner, den Geyer von Geyeröburg, und feine
Geſellen aus, und als er feierlich mit fehredlichen Wor—
ten endete: „Daß dieſe von Kaiferlicher Majeftät und
dem Reiche offenbar Geächteten fürbaß mit ihren Leibern
für vogelfrei erklärt und ihre Habe und Güter ohne
Gnade der Confiscation verfallen feien, und Niemand
ihnen Aufenthalt, Atzung, Trunk, Hilfe oder Troft,
weder heimlich noch öffentlich angedeihen Iaffen dürfe,
ohne in Die nach des Neiches Nechten beftimmten Strafen
zu verfallen“ — da verließen die Knechte und das
übrige Burggefinde mit Sammergefchrei die Mauern und
begehrten mit Ungeftüm die Deffnung des Thord, um
in aller Eile von dannen zu ziehen. Alle Verfuche der
Ritter, fie zu einem gemeinfchaftlichen Ausfalle gegen
die feindlichen Saufen zu bewegen, waren fruchtlos ;
die Zugbrüde mußte herabgelaffen werden, die Reifigen
und Fußfnechte ftürmten hinaus und verbanden fich.
theils geradezu mit den feindlichen Saufen, theils ſuch—
ten fie fih auf Schleichwegen durchzuwinden, over bis
zu abgemachter Sache im Walddickicht zu verbergen. —
Die Geächteten, fech8 an der Zahl, nebft zwei treuge—
bliebenen Knappen, gelobten fich männlichen Beiftand
bis in den Tod und trabten dann zwifchen dem Wald
und Burggarten bin. Schon graute der Morgen, als
fte auf einen Haufen Fußknechte fließen; doch dieſe
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wichen ins Dickicht zurück und verfündeten den auf
freiem Felde lauernden Reiſigen die Flucht der Geächte:
ten. Der Kampf begann, lange hielt das verzweifelte
Häuflein der Aechter Stand, Wunden wurden gefchlagen
und empfangen; bald aber waren die Wenigen von
alfen Seiten gänzlich umgingelt, wie praffelnder Hagel
fielen faufende Schwerdter auf Kung und feine Unglücks—
gefährten ein; — noch eine kurze Weile und fein
Schwert zifchte mehr, Todtenftille trat ein, denn Kung
lag ſammt feinen Gefellen gefchlachtet auf dem Stoppel—
felde unmeit des Burggartens. Noch viele Jahre nach:
her bezeichneten einige Steinfreuze die Stätte, wo die
Raubritter der Geyersburg getödtet wurden.
Indeß waren die Fußfnechte des Waldboten, dem Die
Vollziehung der kaiſerlichen Acht oblag, in die verlaffene
Burg eingedrungen, fchafften alle Habe heraus, befreiten
die Gefangenen, und bald fah man aus dem Thurme
eine hochlodernde Flamme emporfteigen, der Eurz nachher
— unter dem Jubelgefchrei des lauernden Volkes, das
fich auf dem jenfeitigen Bergrücken, wo einft die ſchöne
Burg der reichen Erlacher ftand, verfammelt hatte —
dag dumpfe Gefrache des einftürzgenden Dachjtuhled und
der Gemächer folgte.
Nicht lange nach dieſen Begebenheiten wurde der alte
Hans Veldner zu feinen Vätern verfammelt, und mit
ihm ftarb der Name der Veldner und Geyer im Kocher:
gau aus. Junker Dietrich, der, ehe noch fein Vater
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dem Mißgefchie verfiel, zu Verwandten nach Branfen
gefchiekt wurde, fol fein Gefchlecht Dort fortgepflangt
haben. Auch Agnes erlag vor der Zeit dem Kummer,
und das Gejchlecht derer von Münfheim — der Nach:
fommen Geyerd bon feiner Tochter Adelheid — erlofch
im Jahr 1505 mit Ulrich von Münfheim, dem reichen |
Ritter und großen Wohlthäter der Armen, der zu Hall
bei St. Michael mit Schild und Helm beigefegt wurde.
Drud von Sr. Henne in Stuttgart.
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