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Full text of "Sammlung deutscher Gedichte 006"

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SfltitiLUNG  J>EOTSCHeZ- 


Urworte.  Orphisch  2 

Mir  zur  Feier  3 

Im  Abendrot  7 

Dauer  im  Wechsel  Q 

Zwei  Segel  9 

Der  Mensch  9 

Ganymed  10 

Lenzfahrt  11 

An  Schwager  Kronos  12 

Legt  in  die  Hand  das  Schicksal  13 

Das  Lied  von  der  Glocke  14 

Menschliches  Elende  21 

An  die  Sternen  21 

Threnen  des  Vatterlandes  22 

Die  Holle  22 

Es  ist  alles  eitel  23 

Drei  Gedichte  aus  'Sangerleben'  24 

Sie  faule,  verbummelte  Schlampe  25 

Die  schone  Miillerin  26 

Die  Winterreise  39 


[Jiz.iooi2.re.  Qh-phisch 


von  Johann  Wolfgang  von  Goethe 
Aavjaov,  Damon 

Wie  an  dem  Tag,  der  dich  der  Welt  verliehen, 
Die  Sonne  stand  zum  Grufie  der  Planeten, 
Bist  alsobald  und  fort  und  fort  gediehen 
Nach  dem  Gesetz,  wonach  du  angetreten. 
So  muBt  du  sein,  dir  kannst  du  nicht  entfliehen, 
So  sagten  schon  Sibyllen,  so  Propheten; 
Und  keine  Zeit  und  keine  Macht  zerstiickelt 
Gepragte  Form,  die  lebend  sich  entwickelt. 

TuX1!.  das  Zufallige 

Die  strenge  Grenze  doch  umgeht  gefallig 
Ein  Wandelndes,  das  mit  und  um  uns  wandelt; 
Nicht  einsam  bleibst  du,  bildest  dich  gesellig, 
Und  handelst  wohl  so,  wie  ein  andrer  handelt: 
Im  Leben  ist's  bald  hin-,  bald  widerfallig, 
Es  ist  ein  Tand  und  wird  so  durchgetandelt. 
Schon  hat  sich  still  der  Jahre  Kreis  geriindet, 
Die  Lampe  harrt  der  Flamme,  die  entziindet. 

Epox;,  Liebe 

Die  bleibt  nicht  aus!  -  Er  stiirzt  vom  Himmel  nieder, 
Wohin  er  sich  aus  alter  Ode  schwang, 
Er  schwebt  heran  auf  luftigem  Gefieder 
Um  Stirn  und  Brust  den  Friihlingstag  entlang, 
Scheint  jetzt  zu  fliehn,  vom  Fliehen  kehrt  er  wieder, 
Da  wird  ein  Wohl  im  Weh,  so  sufi  und  bang. 
Gar  manches  Herz  verschwebt  im  Allgemeinen, 
Doch  widmet  sich  das  edelste  dem  Einen. 


AvayKT),  Notigung 

Da  ist's  denn  wieder,  wie  die  Sterne  wollten: 
Bedingung  und  Gesetz;  und  aller  Wille 
Ist  nur  ein  Wollen,  weil  wir  eben  sollten, 
Und  vor  dem  Willen  schweigt  die  Willkiir  stille; 
Das  Liebste  wird  vom  Herzen  weggescholten, 
Dem  harten  MuB  bequemt  sich  Will  und  Grille. 
So  sind  wir  scheinfrei  denn  nach  manchen  Jahren 
Nur  enger  dran,  als  wir  am  Anfang  waren. 

EA,7ii<;,  Hoffnung 

Doch  solcher  Grenze,  solcher  ehrnen  Mauer 

Hochst  widerwart'ge  Pforte  wird  entriegelt, 

Sie  stehe  nur  mit  alter  Felsendauer! 

Ein  Wesen  regt  sich  leicht  und  ungeziigelt: 

Aus  Wolkendecke,  Nebel,  Regenschauer 

Erhebt  sie  uns,  mit  ihr,  durch  sie  beflugelt, 

Ihr  kennt  sie  wohl,  sie  schwarmt  durch  alle  Zonen; 

Ein  Fliigelschlag  -  und  hinter  uns  Aonen! 


gelesen  von  Rolf  Kaiser 


Mm.  Tun  i?eiei2- 


von  Rainer  Maria  Rilke 

Motto 

Das  ist  die  Sehnsucht:  wohnen  im  Gewoge 
und  keine  Heimat  haben  in  der  Zeit. 
Und  das  sind  Wiinsche:  leise  Dialoge 
taglicher  Stunden  mit  der  Ewigkeit. 

Und  das  ist  Leben.  Bis  aus  einem  Gestern 
die  einsamste  Stunde  steigt, 
die,  anders  lachelnd  als  die  andern  Schwestern, 
dem  Ewigen  entgegenschweigt. 

ICH  lOILL  eiN  QMLTtN  S€1N 

Ich  will  ein  Garten  sein,  an  dessen  Bronnen 
die  vielen  Traume  neue  B  lumen  brachen, 
die  einen  abgesondert  und  versonnen, 
und  die  geeint  in  schweigsamen  Gesprachen. 

Und  wo  sie  schreiten,  iiber  ihren  Haupten 

will  ich  mit  Worten  wie  mit  Wipfeln  rauschen, 

und  wo  sie  ruhen,  will  ich  den  Betaubten 

mit  meinem  Schweigen  in  den  Schlummer  lauschen. 


tCH  MILL  NICHT  UlNQEN  NfiCH  2€M  MOTEN  /,£B£W 


Ich  will  nicht  langen  nach  dem  lauten  Leben 
und  keinen  fragen  nach  dem  fremden  Tage: 
Ich  fTihle,  wie  ich  weifie  Bliiten  trage, 
die  in  der  Kiihle  ihre  Kelche  heben. 

Es  drangen  Viele  aus  den  Friihlingserden, 
darinnen  ihre  Wurzeln  Tiefen  trinken, 
um  nicht  mehr  konnend  in  die  Knie  zu  sinken 
vor  Sommern,  die  sie  niemals  segnen  werden. 

He/we  ?TL\}HvetLueHN€N  U&>ez- 

Meine  friihverliehnen 
Lieder  oft  in  der  Ruh 
iiberrankter  Ruinen 
sang  ich  dem  Abend  sie  zu. 

Hatte  sie  gerne  zu  Ronden 

aneinandergereiht, 

einer  erwachsenen  Blonden 

als  Geschenk  und  Geschmeid. 

Aber  unter  alien 

war  ich  einzig  allein; 

und  so  liefi  ich  sie  fallen: 

sie  verrollten  wie  lose  Korallen 

weit  in  den  Abend  hinein. 


ICH  G£H  JeTLT  IMMOL  DEN  GLQCNEN  p^f)S> 


Die  armen  Worte,  die  im  Alltag  darben, 
die  unscheinbaren  Worte,  lieb  ich  so. 
Aus  meinen  Festen  schenk  ich  ihnen  Farben, 
da  lacheln  sie  und  werden  langsam  froh. 

Ihr  Wesen,  das  sie  bang  in  sich  bezwangen, 
erneut  sich  deutlich,  dass  es  jeder  sieht; 
sie  sind  noch  niemals  im  Gesang  gegangen 
und  schauernd  schreiten  sie  in  meinem  Lied. 

fiime  Heiuoe  aus  flout 

Arme  Heilige  aus  Holz 
kam  meine  Mutter  beschenken; 
und  sie  staunten  stumm  und  stolz 
hinter  den  harten  Banken. 

Haben  ihrem  heifien  Miihn 
sicher  den  Dank  vergessen, 
kannten  nur  das  Kerzengluhn 
ihrer  kalten  Messen. 

Aber  meine  Mutter  kam 
ihnen  Blumen  geben. 
Meine  Mutter  die  Blumen  nahm 
alle  aus  meinem  Leben. 


Ich  geh  jetzt  immer  den  gleichen  Pfad: 
am  Garten  entlang,  wo  die  Rosen  grad 
Einem  sich  vorbereiten; 
aber  ich  fiihle:  noch  lang,  noch  lang 
ist  das  alles  nicht  mein  Empfang, 
und  ich  muss  ohne  Dank  und  Klang 
ihnen  voriiberschreiten. 

Ich  bin  nur  der,  der  den  Zug  beginnt, 
dem  die  Gaben  nicht  galten; 
bis  die  kommen,  die  seliger  sind, 
lichte,  stille  Gestalten,  - 
werden  sich  alle  Rosen  im  Wind 
wie  rote  Fahnen  entfalten. 

J>f)S  1ST  5>€tL  TQG,  IN  DZM  ICH  mJWUG  THTLON€ 

Das  ist  der  Tag,  in  dem  ich  traurig  throne, 
das  ist  die  Nacht,  die  mich  ins  Knieen  warf; 
da  bet  ich:  dass  ich  einmal  meine  Krone 
von  meinem  Haupte  heben  darf. 

Lang  muss  ich  ihrem  dumpfen  Drucke  dienen, 
darf  ich  zum  Dank  nicht  einmal  ihren  blaun 
Tiirkisen,  ihren  Rauten  und  Rubinen 
erschauernd  in  die  Augen  schaun? 

Vielleicht  erstarb  schon  lang  der  Strahl  der  Steine, 
es  stahl  sie  mir  vielleicht  mein  Gast,  der  Gram, 
vielleicht  auch  waren  in  der  Krone  keine, 
die  ich  bekam?... 


4 


Weifie  Seelen  mit  den  Silberschwingen, 
Kinderseelen,  die  noch  niemals  sangen,- 
die  nur  leis  in  immer  weitern  Ringen 
zu  dem  Leben  ziehn,  vor  dem  sie  bangen, 

werdet  ihr  nicht  euren  Traum  enttauschen, 
wenn  die  Stimmen  draufien  euch  erwachen,- 
und  ihr  konnt  aus  tausend  Taggerauschen 
nicht  mehr  losen  euer  Liederlachen? 

ICH  %IN  ZU  HftJSe  TttlSCH€N  f/9S  UWD  TZ-ftJM 

Ich  bin  zu  Hause  zwischen  Tag  und  Traum. 
Dort  wo  die  Kinder  schlafern,  heifi  vom  Hetzen, 
dort  wo  die  Alten  sich  zu  Abend  setzen, 
und  Herde  gliihn  und  hellen  ihren  Raum. 

Ich  bin  zu  Hause  zwischen  Tag  und  Traum. 
Dort  wo  die  Abendglocken  klar  verlangen 
und  Madchen,  vom  Verhallenden  befangen, 
sich  miide  stiitzen  auf  den  Brunnensaum. 

Und  eine  Linde  ist  mein  Lieblingsbaum; 
und  alle  Sommer,  welche  in  ihr  schweigen, 
riihren  sich  wieder  in  den  tausend  Zweigen 
und  wachen  wieder  zwischen  Tag  und  Traum. 


Und  einmal  16s  ich  in  der  Dammerung 
der  Pinien  von  Schulter  und  vom  Schofi 
mein  dunkles  Kleid  wie  eine  Luge  los 
und  tauche  in  die  Sonne  bleich  und  blofi 
und  zeige  meinem  Meere:  ich  bin  jung. 

Dann  wird  die  Brandung  sein  wie  ein  Empfang, 

den  mir  die  Wogen  festlich  vorbereiten. 

Und  eine  jede  zittert  nach  der  zweiten,  - 

wie  soil  ich  ganz  allein  entgegenschreiten: 

das  macht  mich  bang... 

Ich  weifi:  die  hellgesellten  Wellen  weben 

mir  einen  Wind; 

und  der  erst  beginnt, 

so  wird  er  wieder  meine  Arme  heben  - 

£>U  A)/J2.  tiLLE  Sf)NG€N 

Du,  den  wir  alle  sangen, 
du  einziger  und  echter  Christ, 
du  Kinderkonig,  der  du  bist,  - 
ich  bin  allein:  mein  Alles  ist 
entgegen  dir  gegangen. 

Du  Mai,  vor  deinen  Mienen 
sieh  mich  bereit,  die  Arme  weit: 
dein  Unmut,  deine  Zogerzeit, 
dein  Mut  und  deine  Miidigkeit 
hat  alles  Raum  in  ihnen... 


s 


Du  wacher  Wald,  inmitten  wehen  Wintern 
hast  du  ein  Frahlingsfuhlen  dir  erkiihnt, 
und  leise  lassest  du  dein  Silber  sintern, 
damit  ich  seh,  wie  deine  Sehnsucht  grunt. 

Und  wie  mich  weiter  deine  Wege  fuhren, 
erkenn  ich  kein  Wohin  und  kein  Woher 
und  weifi:  vor  deinen  Tie  fen  waren  Tiiren- 
und  sind  nicht  mehr. 

2>U  MUSSr  S>f)S  /,£B£W  NICHT  \/€1LST€H€N 

Du  musst  das  Leben  nicht  verstehen, 

dann  wird  es  werden  wie  ein  Fest. 

Und  lass  dir  jeden  Tag  geschehen 

so  wie  ein  Kind  im  Weitergehen  von  jedem  Wehen 

sich  viele  Bliiten  schenken  lasst. 

Sie  aufzusammeln  und  zu  sparen, 
das  kommt  dem  Kind  nicht  in  den  Sinn. 
Es  lost  sie  leise  aus  den  Haaren, 
drin  sie  so  gern  gefangen  waren, 
und  halt  den  lieben  jungen  Jahren 
nach  neuen  seine  Hande  hin. 


Ich  mochte  werden  wie  die  ganz  Geheimen: 

Nicht  auf  der  Stirne  die  Gedanken  denken, 

nur  eine  Sehnsucht  reichen  in  den  Reimen, 

mit  alien  Blicken  nur  ein  leises  Keimen, 

mit  meinem  Schweigen  nur  ein  Schauern  schenken. 

Nicht  mehr  verraten  und  mich  ganz  verschanzen 
und  einsam  bleiben;  denn  so  tun  die  Ganzen: 
Erst  wenn,  wie  hingefallt  von  lichten  Lanzen, 
die  laute  Menge  tief  ins  Knieen  glitt, 
dann  heben  sie  die  Herzen  wie  Monstranzen 
aus  ihrer  Brust  und  segnen  sie  damit. 

1/OJ2.  LfMTOL  UfMSCH€N  \JNS>  STfMN€N  S€l  STILL 

Vor  lauter  Lauschen  und  Staunen  sei  still, 
du  mein  tieftiefes  Leben; 
dass  du  weisst,  was  der  Wind  dir  will, 
eh  noch  die  Birken  beben. 

Und  wenn  dir  einmal  das  Schweigen  sprach, 

lass  deine  Sinne  besiegen. 

Jedem  Hauche  gieb  dich,  gieb  nach, 

er  wird  dich  lieben  und  wiegen. 

Und  dann  meine  Seele  sei  weit,  sei  weit, 
dass  dir  das  Leben  gelinge, 
breite  dich  wie  ein  Feierkleid 
iiber  die  sinnenden  Dinge. 


6 


T&iUM£,  2/£  IN  DEINEN  flZttN  1MLLEN 


Traume,  die  in  deinen  Tiefen  wallen, 
aus  dem  Dunkel  lass  sie  alle  los. 
Wie  Fontanen  sind  sie,  und  sie  fallen 
lichter  und  in  Liederintervallen 
ihren  Schalen  wieder  in  den  Schofi. 

Und  ich  weifi  jetzt:  wie  die  Kinder  werde. 

Alle  Angst  ist  nur  ein  Anbeginn; 

aber  ohne  Ende  ist  die  Erde, 

und  das  Bangen  ist  nur  die  Gebarde, 

und  die  Sehnsucht  ist  ihr  Sinn  - 


gelesen  von  Rolf  Kaiser 


IM  flQZNPTLOr  VON  ^fOSPEH 


Wir  sind  durch  Not  und  Freude 
Gegangen  Hand  in  Hand, 
Vom  Wandern  ruhn  wir  beide 
Nun  iiberm  stillen  Land. 

Rings  sich  die  Taler  neigen, 
Es  dunkelt  schon  die  Luft, 
Zwei  Lerchen  nur  noch  steigen 
Nachtraumend  in  den  Duft. 

Tritt  her,  und  lafi  sie  schwirren, 
Bald  ist  es  Schlafenszeit, 
Dafi  wir  uns  nicht  verirren 
In  dieser  Einsamkeit. 

O  weiter,  stiller  Friede! 
So  tief  im  Abendrot 
Wie  sind  wir  wandermiide  - 
Ist  das  etwa  der  Tod? 


von  Eichendorff 


gelesen  von  Rolf  Kaiser 


1 


von  Johann  Wolfgang  von  Goethe 

Hielte  diesen  friihen  Segen, 
Ach,  nur  eine  Stunde  fest! 
Aber  vollen  Bliitenregen 
Schiittelt  schon  der  laue  West. 
Soil  ich  mich  des  Griinen  freuen, 
Dem  ich  Schatten  erst  verdankt? 
Bald  wird  Sturm  auch  das  zerstreuen, 
Wenn  es  falb  im  Herbst  geschwankt. 

Willst  du  nach  den  Friichten  greifen, 
Eilig  nimm  dein  Teil  davon! 
Diese  fangen  an  zu  reifen, 
Und  die  andern  keimen  schon; 
Gleich  mit  jedem  Regengusse 
Andert  sich  dein  holdes  Tal, 
Ach,  und  in  demselben  Flusse 
Schwimmst  du  nicht  zum  zweitenmal. 

Du  nun  selbst!  Was  felsenfeste 
Sich  vor  dir  hervorgetan, 
Mauern  siehst  du,  siehst  Palaste 
Stets  mit  andern  Augen  an. 
Weggeschwunden  ist  die  Lippe, 
Die  im  Kusse  sonst  genas, 
Jener  Fufi,  der  an  der  Klippe 
Sich  mit  Gemsenfreche  mafi, 


Jene  Hand,  die  gern  und  milde 
Sich  bewegte,  wohlzutun, 
Das  gegliederte  Gebilde, 
Alles  ist  ein  andres  nun. 
Und  was  sich  an  jener  Stelle 
Nun  mit  deinem  Namen  nennt, 
Kam  herbei  wie  eine  Welle, 
Und  so  eilt's  zum  Element. 

Lafi  den  Anfang  mit  dem  Ende 
Sich  in  eins  zusammenziehn! 
Schneller  als  die  Gegenstande 
Selber  dich  voriiberfliehn. 
Danke,  dafi  die  Gunst  der  Musen 
Unvergangliches  verheifit, 
Den  Gehalt  in  deinem  Busen 
Und  die  Form  in  deinem  Geist. 

gelesen  von  Rolf  Kaiser 


von  Conrad  Ferdinand  Meyer 

Zwei  Segel  erhellend 
Die  tiefblaue  Bucht! 
Zwei  Segel  sich  schwellend 
Zu  ruhiger  Flucht! 

Wie  eins  in  den  Winden 
Sich  wolbt  und  bewegt, 
Wird  auch  das  Empfinden 
Des  andern  erregt. 

Begehrt  eins  zu  hasten, 
Das  andre  geht  schnell, 
Verlangt  eins  zu  rasten, 
Ruht  auch  sein  Gesell. 


gelesen  von  Rolf  Kaiser 


von  Matthias  Claudius 

Empfangen  und  genahret 

Vom  Weibe  wunderbar 

Kommt  er  und  sieht  und  horet, 

Und  nimmt  des  Trugs  nicht  wahr; 

Geliistet  und  begehret, 

Und  bringt  sein  Tranlein  dar; 

Verachtet,  und  verehret; 

Hat  Freude,  und  Gefahr; 

Glaubt,  zweifelt,  wahnt  und  lehret, 

Halt  nichts,  und  alles  wahr; 

Erbauet,  und  zerstoret; 

Und  qualt  sich  immerdar; 

Schlaft,  wachet,  wachst,  und  zehret; 

Tragt  braun  und  graues  Haar  etc. 

Und  alles  dieses  wahret, 

Wenn's  hoch  kommt,  achtzig  Jahr. 

Denn  legt  er  sich  zu  seinen  Vatern  nieder, 

Und  er  kommt  nimmer  wieder. 

gelesen  von  Rolf  Kaiser 


9 


von  Johann  Wolfgang  von  Goethe 

Wie  im  Morgenglanze 

Du  rings  mich  angliihst, 

Friihling,  Geliebter! 

Mit  tausendfacher  Liebeswonne 

Sich  an  mein  Herz  drangt 

Deiner  ewigen  Warme  Heilig  GefTihl, 

Unendliche  Schone! 

Dafi  ich  dich  fassen  mocht 
In  diesen  Arm! 

Ach,  an  deinem  Busen 

Lieg  ich,  schmachte, 

Und  deine  Blumen,  dein  Gras 

Drangen  sich  an  mein  Herz. 

Du  kiihlst  den  brennenden 

Durst  meines  Busens, 

Lieblicher  Morgenwind! 

Ruft  drein  die  Nachtigall 

Liebend  nach  mir  aus  dem  Nebeltal. 

Ich  komm,  ich  komme! 
Wohin?  Ach,  wohin? 


Hinauf!  Hinauf  strebt's. 

Es  schweben  die  Wolken 

Abwarts,  die  Wolken 

Neigen  sich  der  sehnenden  Liebe. 

Mir!  Mir! 

In  euerm  Schofie 

Aufwarts! 

Umfangend  umfangen! 
Aufwarts  an  deinen  Busen, 
Alliebender  Vater! 

gelesen  von  Rolf  Kaiser 


10 


Am  Himmel  wachst  der  Sonne  Glut, 
Aufquillt  der  See,  das  Eis  zersprang, 
Das  erste  Segel  teilt  die  Flut, 
Mir  schwillt  das  Herz  wie  Segeldrang. 

Zu  wandern  ist  das  Herz  verdammt, 
Das  seinen  Jugendtag  versaumt, 
Sobald  die  Lenzessonne  flammt, 
Sobald  die  Welle  wieder  schaumt. 

Verscherzte  Jugend  ist  ein  Schmerz 
Und  einer  ew'gen  Sehnsucht  Hort, 
Nach  seinem  Lenze  sucht  das  Herz 
In  einem  fort,  in  einem  fort! 

Und  ob  die  Locke  dir  ergraut 
Und  bald  das  Herz  wird  stillestehn, 
Noch  muB  es,  wann  die  Welle  blaut, 
Nach  seinem  Lenze  wandern  gehn. 


von  Conrad  Ferdinand  Meyer 


gelesen  von  Rolf  Kaiser 


11 


von  Johann  Wolfgang  von  Goethe 

Spute  dich,  Kronos! 
Fort  den  rasselnden  Trott! 
Bergab  gleitet  der  Weg; 
Ekles  Schwindeln  zogert 
Mir  vor  die  Stirne  dein  Zaudern. 
Frisch,  holpert  es  gleich, 
Uber  Stock  und  Steine  den  Trott 
Rasch  ins  Leben  hinein! 

Nun  schon  wieder 
Den  eratmenden  Schritt 
Miihsam  Berg  hinauf! 
Auf  denn,  nicht  trage  denn, 
Strebend  und  hoffend  hinan! 

Weit,  hoch,  herrlich  der  Blick 
Rings  ins  Leben  hinein; 
Vom  Gebirg  zum  Gebirg 
Schwebet  der  ewige  Geist, 
Ewigen  Lebens  ahndevoll. 

Seitwarts  des  Uberdachs  Schatten 
Zieht  dich  an 

Und  ein  Frischung  verheifiender  Blick 
Auf  der  Schwelle  des  Madchens  da. 
Labe  dich!  -  Mir  auch,  Madchen, 
Diesen  schaumenden  Trank, 
Diesen  frischen  Gesundheitsblick! 


Ab  denn,  rascher  hinab! 
Sieh,  die  Sonne  sinkt! 
Eh  sie  sinkt,  eh  mich  Greisen 
Ergreift  im  Moore  Nebelduft, 
Entzahnte  Kiefer  schnattern 
Und  das  schlotternde  Gebein  - 

Trunknen  vom  letzten  Strahl 
Reifi  mich,  ein  Feuermeer 
Mir  im  schaumenden  Aug, 
Mich  geblendeten  Taumelnden 
In  der  Holle  nachtliches  Tor. 

Tone,  Schwager,  ins  Horn, 

Rafile  den  schallenden  Trab, 

DaB  der  Orkus  vernehme:  wir  kommen, 

Dafi  gleich  an  der  Tike 

Der  Wirt  uns  freundlich  empfange. 

gelesen  von  Rolf  Kaiser 


Ljzgt  in  die  Hms>  MS 


von  Wilhelm  Raabe 

Legt  in  die  Hand  das  Schicksal  dir  ein  Gliick 
MuBt  du  ein  andres  wieder  fallen  lassen; 
Schmerz  wie  Gewinn  erhaltst  du  Stuck  um  Stuck, 
Und  Tiefersehntes  wirst  du  bitter  hassen. 

Des  Menschen  Hand  ist  eine  Kinderhand, 
Sie  greift  nur  zu,  um  achtlos  zu  zerstoren; 
Mit  Trummern  iiberstreuet  sie  das  Land, 
Und  was  sie  halt,  wird  ihr  doch  nie  gehoren. 

Des  Menschen  Hand  ist  eine  Kinderhand, 
Sein  Herz  ein  Kinderherz  im  heftgen  Trachten. 
Greif  zu  und  halt! ...  Da  liegt  der  bunte  Tand; 
Und  klagen  miissen  nun,  die  eben  lachten. 

Legt  in  die  Hand  das  Schicksal  dir  den  Kranz, 
So  muBt  die  schonste  Pracht  du  selbst  zerpflucken; 
Zerstoren  wirst  du  selbst  des  Lebens  Glanz 
Und  weinen  iiber  den  zerstreuten  Stiicken. 


gelesen  von  Rolf  Kaiser 


13 


S>ftS  VON  POL  QLQCkZ 


von  Friedrich  Schiller 

Vivos  voco 
Mortuos  plango 
Fulgura  frango 

Fest  gemauert  in  der  Erden 

Steht  die  Form,  aus  Lehm  gebrannt. 

Heute  muB  die  Glocke  werden, 

Frisch,  Gesellen,  seid  zur  Hand. 

Von  der  Stirne  heifi 

Rinnen  muB  der  Schweifi, 

Soil  das  Werk  den  Meister  loben, 

Doch  der  Segen  kommt  von  oben. 

Zum  Werke,  das  wir  ernst  bereiten, 
Geziemt  sich  wohl  ein  ernstes  Wort; 
Wenn  gute  Reden  sie  begleiten, 
Dann  fliefit  die  Arbeit  munter  fort. 
So  lafit  uns  jetzt  mit  Fleifi  betrachten, 
Was  durch  die  schwache  Kraft  entspringt, 
Den  schlechten  Mann  muB  man  verachten, 
Der  nie  bedacht,  was  er  vollbringt. 
Das  ists  ja,  was  den  Menschen  zieret, 
Und  dazu  ward  ihm  der  Verstand, 
Dafi  er  im  innern  Herzen  spiiret, 
Was  er  erschafft  mit  seiner  Hand. 

Nehmet  Holz  vom  Fichtenstamme, 
Doch  recht  trocken  lafit  es  sein, 
Dafi  die  eingeprefite  Flamme 
Schlage  zu  dem  Schwalch  hinein. 


Kocht  des  Kupfers  Brei, 
Schnell  das  Zinn  herbei, 
Dafi  die  zahe  Glockenspeise 
Fliefie  nach  der  rechten  Weise. 

Was  in  des  Dammes  tiefer  Grube 
Die  Hand  mit  Feuers  Hiilfe  baut, 
Hoch  auf  des  Turmes  Glockenstube 
Da  wird  es  von  uns  zeugen  laut. 
Noch  dauern  wirds  in  spaten  Tagen 
Und  riihren  vieler  Menschen  Ohr 
Und  wird  mit  dem  Betriibten  klagen 
Und  stimmen  zu  der  Andacht  Chor. 
Was  unten  tief  dem  Erdensohne 
Das  wechselnde  Verhangnis  bringt, 
Das  schlagt  an  die  metallne  Krone, 
Die  es  erbaulich  weiterklingt. 

Weifie  Blasen  seh  ich  springen, 
Wohl!  die  Massen  sind  im  Flufi. 
Lafits  mit  Aschensalz  durchdringen, 
Das  befordert  schnell  den  Gufi. 
Auch  von  Schaume  rein 
MuB  die  Mischung  sein, 
Dafi  vom  reinlichen  Metalle 
Rein  und  voll  die  Stimme  schalle. 

Denn  mit  der  Freude  Feierklange 
Begriifit  sie  das  geliebte  Kind 
Auf  seines  Lebens  erstem  Gange, 
Den  es  in  Schlafes  Arm  beginnt; 
Ihm  ruhen  noch  im  Zeitenschofie 
Die  schwarzen  und  die  heitern  Lose, 
Der  Mutterliebe  zarte  Sorgen 
Bewachen  seinen  goldnen  Morgen.  - 


Die  Jahre  fliehen  pfeilgeschwind. 
Vom  Madchen  reifit  sich  stolz  der  Knabe, 
Er  stiirmt  ins  Leben  wild  hinaus, 
Durchmifit  die  Welt  am  Wanderstabe. 
Fremd  kehrt  er  heim  ins  Vaterhaus, 
Und  herrlich,  in  der  Jugend  Prangen, 
Wie  ein  Gebild  aus  Himmelshohn, 
Mit  ziichtigen,  verschamten  Wangen 
Sieht  er  die  Jungfrau  vor  sich  stehn. 
Da  fafit  ein  namenloses  Sehnen 
Des  Junglings  Herz,  er  irrt  allein, 
Aus  seinen  Augen  brechen  Tranen, 
Er  flieht  der  Briider  wilden  Reihn. 
Errotend  folgt  er  ihren  Spuren 
Und  ist  von  ihrem  Grufi  begliickt, 
Das  Schonste  sucht  er  auf  den  Fluren, 
Womit  er  seine  Liebe  schmiickt. 
O!  zarte  Sehnsucht,  suites  Hoffen, 
Der  ersten  Liebe  goldne  Zeit, 
Das  Auge  sieht  den  Himmel  offen, 
Es  schwelgt  das  Herz  in  Seligkeit. 
O!  dafl  sie  ewig  griinen  bliebe, 
Die  schone  Zeit  der  jungen  Liebe! 

Wie  sich  schon  die  Pfeifen  braunen! 
Dieses  Stabchen  tauch  ich  ein, 
Sehn  wirs  iiberglast  erscheinen, 
Wirds  zum  Gusse  zeitig  sein. 
Jetzt,  Gesellen,  frisch! 
Priift  mir  das  Gemisch, 
Ob  das  Sprode  mit  dem  Weichen 
Sich  vereint  zum  guten  Zeichen. 

Denn  wo  das  Strenge  mit  dem  Zarten, 
Wo  Starkes  sich  und  Mildes  paarten, 


Da  gibt  es  einen  guten  Klang. 

Drum  prufe,  wer  sich  ewig  bindet, 

Ob  sich  das  Herz  zum  Herzen  findet! 

Der  Wahn  ist  kurz,  die  Reu  ist  lang. 

Lieblich  in  der  Braute  Locken 

Spielt  der  jungfrauliche  Kranz, 

Wenn  die  hellen  Kirchenglocken 

Laden  zu  des  Festes  Glanz. 

Ach!  des  Lebens  schonste  Feier 

Endigt  auch  den  Lebensmai, 

Mit  dem  Giirtel,  mit  dem  Schleier 

Reifit  der  schone  Wahn  entzwei. 

Die  Leidenschaft  flieht! 

Die  Liebe  muB  bleiben, 

Die  Blume  verbliiht, 

Die  Frucht  mufi  treiben. 

Der  Mann  mufi  hinaus 

Ins  feindliche  Leben, 

Mufi  wirken  und  streben 

Und  pflanzen  und  schaffen, 

Erlisten,  erraffen, 

Mufi  wetten  und  wagen, 

Das  Gliick  zu  erjagen. 

Da  stromet  herbei  die  unendliche  Gabe, 

Es  fiillt  sich  der  Speicher  mit  kostlicher  Habe, 

Die  Raume  wachsen,  es  dehnt  sich  das  Haus. 

Und  drinnen  waltet 

Die  ziichtige  Hausfrau, 

Die  Mutter  der  Kinder, 

Und  herrschet  weise 

Im  hauslichen  Kreise, 

Und  lehret  die  Madchen 

Und  wehret  den  Knaben, 

Und  reget  ohn  Ende 

Die  fleifiigen  Hande, 


15 


Und  mehrt  den  Gewinn 
Mit  ordnendem  Sinn. 

Und  fullet  mit  Schatzen  die  duftenden  Laden, 
Und  dreht  um  die  schnurrende  Spindel  den  Faden, 
Und  sammelt  im  reinlich  geglatteten  Schrein 
Die  schimmernde  Wolle,  den  schneeigten  Lein, 
Und  fuget  zum  Guten  den  Glanz  und  den  Schimmer, 
Und  ruhet  nimmer. 

Und  der  Vater  mit  frohem  Blick 
Von  des  Hauses  weitschauendem  Giebel 
Uberzahlet  sein  bliihend  Gliick, 
Siehet  der  Pfosten  ragende  Baume 
Und  der  Scheunen  gefullte  Raume 
Und  die  Speicher,  vom  Segen  gebogen, 
Und  des  Kornes  bewegte  Wogen, 
Riihmt  sich  mit  stolzem  Mund: 
Fest,  wie  der  Erde  Grund, 
Gegen  des  Ungliicks  Macht 
Steht  mir  des  Hauses  Pracht! 
Doch  mit  des  Geschickes  Machten 
1st  kein  ewger  Bund  zu  flechten, 
Und  das  Ungliick  schreitet  schnell. 

Wohl!  Nun  kann  der  Gufi  beginnen, 
Schon  gezacket  ist  der  Bruch. 
Doch,  bevor  wirs  lassen  rinnen, 
Betet  einen  frommen  Spruch! 
Stofit  den  Zapfen  aus! 
Gott  bewahr  das  Haus. 
Rauchend  in  des  Henkels  Bogen 
Schiefits  mit  feuerbraunen  Wogen. 

Wohltatig  ist  des  Feuers  Macht, 

Wenn  sie  der  Mensch  bezahmt,  bewacht, 


Und  was  er  bildet,  was  er  schafft, 

Das  dankt  er  dieser  Himmelskraft, 

Doch  furchtbar  wird  die  Himmelskraft, 

Wenn  sie  der  Fessel  sich  entrafft, 

Einhertritt  auf  der  eignen  Spur 

Die  freie  Tochter  der  Natur. 

Wehe,  wenn  sie  losgelassen 

Wachsend  ohne  Widerstand 

Durch  die  volkbelebten  Gassen 

Walzt  den  ungeheuren  Brand! 

Denn  die  Elemente  hassen 

Das  Gebild  der  Menschenhand. 

Aus  der  Wolke 

Quillt  der  Segen, 

Stromt  der  Regen, 

Aus  der  Wolke,  ohne  Wahl, 

Zuckt  der  Strahl! 

Hort  ihrs  wimmern  hoch  vom  Turm? 

Das  ist  Sturm! 

Rot  wie  Blut 

Ist  der  Himmel, 

Das  ist  nicht  des  Tages  Glut! 

Welch  Getiimmel 

Strafien  auf! 

Dampf  wallt  auf! 

Flackernd  steigt  die  Feuersaule, 

Durch  der  Strafie  lange  Zeile 

Wachst  es  fort  mit  Windeseile, 

Kochend  wie  aus  Ofens  Rachen 

Gliihn  die  Liifte,  Balken  krachen, 

Pfosten  stiirzen,  Fenster  klirren, 

Kinder  jammern,  Mutter  irren, 

Tiere  wimmern 

Unter  Trummern, 

Alles  rennet,  rettet,  fliichtet, 


16 


Taghell  ist  die  Nacht  gelichtet, 
Durch  der  Hande  lange  Kette 
Um  die  Wette 

Fliegt  der  Eimer,  hoch  im  Bogen 
Spriitzen  Quellen,  Wasserwogen. 
Heulend  kommt  der  Sturm  geflogen, 
Der  die  Flamme  brausend  sucht. 
Prasselnd  in  die  diirre  Frucht 
Fallt  sie,  in  des  Speichers  Raume, 
In  der  Sparren  diirre  Baume, 
Und  als  wollte  sie  im  Wehen 
Mit  sich  fort  der  Erde  Wucht 
Reifien,  in  gewaltger  Flucht, 
Wachst  sie  in  des  Himmels  Hohen 
Riefiengrofi! 
Hoffnungslos 

Weicht  der  Mensch  der  Gotterstarke, 
Miifiig  sieht  er  seine  Werke 
Und  bewundernd  untergehen. 

Leergebrannt 
Ist  die  Statte, 

Wilder  Sturme  rauhes  Bette, 

In  den  oden  Fensterhohlen 

Wohnt  das  Grauen, 

Und  des  Himmels  Wolken  schauen 

Hoch  hinein. 

Einen  Blick 
Nach  dem  Grabe 
Seiner  Habe 

Sendet  noch  der  Mensch  zuriick  - 
Greift  frohlich  dann  zum  Wanderstabe, 
Was  Feuers  Wut  ihm  auch  geraubt, 
Ein  siifier  Trost  ist  ihm  geblieben, 


Er  zahlt  die  Haupter  seiner  Lieben, 
Und  sieh!  ihm  fehlt  kein  teures  Haupt. 

In  die  Erd  ists  aufgenommen, 
Gliicklich  ist  die  Form  gefullt, 
Wirds  auch  schon  zutage  kommen, 
Dafi  es  Fleifi  und  Kunst  vergilt? 
Wenn  der  Gufi  mifilang? 
Wenn  die  Form  zersprang? 
Ach!  vielleicht,  indem  wir  hoffen, 
Hat  uns  Unheil  schon  getroffen. 

Dem  dunkeln  Schofi  der  heilgen  Erde 
Vertrauen  wir  der  Hande  Tat, 
Vertraut  der  Samann  seine  Saat 
Und  hofft,  dafi  sie  entkeimen  werde 
Zum  Segen,  nach  des  Himmels  Rat. 
Noch  kostlicheren  Samen  bergen 
Wir  traurend  in  der  Erde  Schofi 
Und  hoffen,  dafi  er  aus  den  Sargen 
Erbluhen  soil  zu  schonerm  Los. 

Von  dem  Dome, 
Schwer  und  bang, 
Tont  die  Glocke 
Grabgesang. 

Ernst  begleiten  ihre  Trauerschlage 
Einen  Wandrer  auf  dem  letzten  Wege. 

Ach!  die  Gattin  ists,  die  teure, 
Ach!  es  ist  die  treue  Mutter, 
Die  der  schwarze  Fiirst  der  Schatten 
Wegfiihrt  aus  dem  Arm  des  Gatten, 
Aus  der  zarten  Kinder  Schar, 
Die  sie  bliihend  ihm  gebar, 


17 


Die  sie  an  der  treuen  Brust 
Wachsen  sah  mit  Mutterlust  - 
Ach!  des  Hauses  zarte  Bande 
Sind  gelost  auf  immerdar, 
Denn  sie  wohnt  im  Schattenlande, 
Die  des  Hauses  Mutter  war, 
Denn  es  fehlt  ihr  treues  Walten, 
Ihre  Sorge  wacht  nicht  mehr, 
An  verwaister  Statte  schalten 
Wird  die  Fremde,  liebeleer. 

Bis  die  Glocke  sich  verkiihlet, 
Lafit  die  strenge  Arbeit  ruhn, 
Wie  im  Laub  der  Vogel  spielet, 
Mag  sich  jeder  giitlich  tun. 
Winkt  der  Sterne  Licht, 
Ledig  aller  Pflicht 

Hort  der  Pursch  die  Vesper  schlagen, 
Meister  muB  sich  immer  plagen. 

Munter  fordert  seine  Schritte 

Fern  im  wilden  Forst  der  Wandrer 

Nach  der  lieben  Heimathiitte. 

Blokend  ziehen 

Heim  die  Schafe, 

Und  der  Rinder 

Breitgestirnte,  glatte  Scharen 

Kommen  briillend, 

Die  gewohnten  Stalle  fiillend. 

Schwer  herein 

Schwankt  der  Wagen, 

Kornbeladen, 

Bunt  von  Farben 

Auf  den  Garben 

Liegt  der  Kranz, 


Und  das  junge  Volk  der  Schnitter 
Fliegt  zum  Tanz. 
Markt  und  Strafie  werden  stiller, 
Um  des  Lichts  gesellge  Flamme 
Sammeln  sich  die  Hausbewohner, 
Und  das  Stadttor  schliefit  sich  knarrend. 
Schwarz  bedecket 
Sich  die  Erde, 

Doch  den  sichern  Burger  schrecket 
Nicht  die  Nacht, 
Die  den  Bosen  grafilich  wecket, 
Denn  das  Auge  des  Gesetzes  wacht. 

Hedge  Ordnung,  segenreiche 
Himmelstochter,  die  das  Gleiche 
Frei  und  leicht  und  freudig  bindet, 
Die  der  Stadte  Bau  gegriindet, 
Die  herein  von  den  Gefilden 
Rief  den  ungesellgen  Wilden, 
Eintrat  in  der  Menschen  Hiitten, 
Sie  ge wohnt  zu  sanften  Sitten 
Und  das  teuerste  der  Bande 
Wob,  den  Trieb  zum  Vaterlande! 

Tausend  fleifige  Hande  regen, 
Helfen  sich  in  munterm  Bund, 
Und  in  feurigem  Bewegen 
Werden  alle  Krafte  kund. 
Meister  ruhrt  sich  und  Geselle 
In  der  Freiheit  heilgem  Schutz. 
Jeder  freut  sich  seiner  Stelle, 
Bietet  dem  Verachter  Trutz. 
Arbeit  ist  des  Burgers  Zierde, 
Segen  ist  der  Miihe  Preis, 
Ehrt  den  Konig  seine  Wiirde, 


18 


Ehret  uns  der  Hande  Fleifi. 

Holder  Friede, 
Siifie  Eintracht, 
Weilet,  weilet 

Freundlich  iiber  dieser  Stadt! 
Moge  nie  der  Tag  erscheinen, 
Wo  des  rauhen  Krieges  Horden 
Dieses  stille  Tal  durchtoben, 
Wo  der  Himmel, 
Den  des  Abends  sanfte  Rote 
Lieblich  malt, 

Von  der  Dorfer,  von  der  Stadte 
Wildem  Brande  schrecklich  strahlt! 

Nun  zerbrecht  mir  das  Gebaude, 
Seine  Absicht  hats  erfullt, 
Dafi  sich  Herz  und  Auge  weide 
An  dem  wohlgelungnen  Bild. 
Schwingt  den  Hammer,  schwingt, 
Bis  der  Mantel  springt, 
Wenn  die  Glock  soil  auferstehen, 
MuB  die  Form  in  Stiicken  gehen. 

Der  Meister  kann  die  Form  zerbrechen 
Mit  weiser  Hand,  zur  rechten  Zeit, 
Doch  wehe,  wenn  in  Flammenbachen 
Das  gliihnde  Erz  sich  selbst  befreit! 
Blindwiitend  mit  des  Donners  Krachen 
Zersprengt  es  das  geborstne  Haus, 
Und  wie  aus  offnem  Hollenrachen 
Speit  es  Verderben  ziindend  aus; 
Wo  rohe  Krafte  sinnlos  walten, 
Da  kann  sich  kein  Gebild  gestalten, 
Wenn  sich  die  Volker  selbst  befrein, 


Da  kann  die  Wohlfahrt  nicht  gedeihn. 

Weh,  wenn  sich  in  dem  Schofi  der  Stadte 
Der  Feuerzunder  still  gehauft, 
Das  Volk,  zerreifiend  seine  Kette, 
Zur  Eigenhilfe  schrecklich  greift! 
Da  zerret  an  der  Glocke  Strangen 
Der  Aufruhr,  dafi  sie  heulend  schallt 
Und,  nur  geweiht  zu  Friedensklangen, 
Die  Losung  anstimmt  zur  Gewalt. 

Freiheit  und  Gleichheit!  hort  man  schallen, 
Der  ruhge  Burger  greift  zur  Wehr, 
Die  Strafien  fullen  sich,  die  Hallen, 
Und  Wiirgerbanden  ziehn  umher, 
Da  werden  Weiber  zu  Hyanen 
Und  treiben  mit  Entsetzen  Scherz, 
Noch  zuckend,  mit  des  Panthers  Zahnen, 
Zerreifien  sie  des  Feindes  Herz. 
Nichts  Heiliges  ist  mehr,  es  losen 
Sich  alle  Bande  frommer  Scheu, 
Der  Gute  raumt  den  Platz  dem  Bosen, 
Und  alle  Laster  walten  frei. 
Gefahrlich  ists,  den  Leu  zu  wecken, 
Verderblich  ist  des  Tigers  Zahn, 
Jedoch  der  schrecklichste  der  Schrecken, 
Das  ist  der  Mensch  in  seinem  Wahn. 
Weh  denen,  die  dem  Ewigblinden 
Des  Lichtes  Himmelsfackel  leihn! 
Sie  strahlt  ihm  nicht,  sie  kann  nur  ziinden 
Und  aschert  Stadt  und  Lander  ein. 

Freude  hat  mir  Gott  gegeben! 
Sehet!  wie  ein  goldner  Stern 
Aus  der  Hiilse,  blank  und  eben, 


19 


Schalt  sich  der  metallne  Kern. 
Von  dem  Helm  zum  Kranz 
Spielts  wie  Sonnenglanz, 
Auch  des  Wappens  nette  Schilder 
Loben  den  erfahrnen  Bilder. 

Herein!  herein! 

Gesellen  alle,  schliefit  den  Reihen, 
Dafi  wir  die  Glocke  taufend  weihen, 
Concordia  soil  ihr  Name  sein, 
Zur  Eintracht,  zu  herzinnigem  Vereine 
Versammle  sie  die  liebende  Gemeine. 

Und  dies  sei  fortan  ihr  Beruf, 

Wozu  der  Meister  sie  erschuf! 

Hoch  iiberm  niedern  Erdenleben 

Soil  sie  in  blauem  Himmelszelt 

Die  Nachbarin  des  Donners  schweben 

Und  grenzen  an  die  Sternenwelt, 

Soil  eine  Stimme  sein  von  oben, 

Wie  der  Gestirne  helle  Schar, 

Die  ihren  Schopfer  wandelnd  loben 

Und  fuhren  das  bekranzte  Jahr. 

Nur  ewigen  und  ernsten  Dingen 

Sei  ihr  metallner  Mund  geweiht, 

Und  stiindlich  mit  den  schnellen  Schwingen 

Beriihr  im  Fluge  sie  die  Zeit, 

Dem  Schicksal  leihe  sie  die  Zunge, 

Selbst  herzlos,  ohne  Mitgefiihl, 

Begleite  sie  mit  ihrem  Schwunge 

Des  Lebens  wechselvolles  Spiel. 

Und  wie  der  Klang  im  Ohr  vergehet, 

Der  machtig  tonend  ihr  entschallt, 

So  lehre  sie,  dafi  nichts  bestehet, 

Das  alles  Irdische  verhallt. 


Jetzo  mit  der  Kraft  des  Stranges 
Wiegt  die  Glock  mir  aus  der  Gruft, 
Dafi  sie  in  das  Reich  des  Klanges 
Steige,  in  die  Himmelsluft. 
Ziehet,  ziehet,  hebt! 
Sie  bewegt  sich,  schwebt, 
Freude  dieser  Stadt  bedeute, 
Friede  sei  ihr  erst  Gelaute. 

gelesen  von  Christian  Al-Kadi 


20 


Memschuches  Blende 


von  Andreas  Gryphius 

Was  sind  wir  menschen  doch?  ein  wohnhaus  grimmer  schmertzen. 

Ein  baall  des  falschen  glucks/  ein  irrlicht  dieser  zeit. 

Ein  schawplatz  herber  angst/  vnd  wiederwertikeit/ 

Ein  bald  verschmeltzter  schnee  vnd  abgebrante  kertzen. 

Dis  leben  fleucht  davon  wie  ein  geschwatz  vnd  schertzen. 

Die  vor  vns  abgelegt  des  schwachen  leibes  kleidt 

Vnd  in  das  todten  buch  der  grossen  sterblikeit 

Langst  eingeschrieben  sind/  sind  vns  aus  sinn  vnd  hertzen. 

Gleich  wie  ein  eitell  traum  leicht  aus  der  acht  hinfalt 

Vnd  wie  ein  strom  verscheust/  den  keine  macht  auffhalt/ 

So  mus  auch  vnser  nahm/  lob  ehr  vnd  ruhm  verschwinden. 

Was  itzund  athem  holt/  fait  vnversehns  dahin: 

Was  nach  vns  kommen  wird/  wird  vns  ins  grab  nach  zihn. 

Was  sag  ich?  wir  vergehn  gleich  als  ein  rauch  von  winden. 

gelesen  von  Christian  Al-Kadi 


ftN  DIE  S^EV-NEN 


von  Andreas  Gryphius 

Ihr  lichter  die  ich  nicht  auff  erden  saat  kan  schawen/ 
Ihr  fackeln  die  ihr  stets  das  weite  firmament 
Mitt  ewren  flammen  ziert/  vndt  ohn  auffhoren  brent; 
Ihr  blumen  die  ihr  schmiickt  des  grossen  himmels  awen 
Ihr  wachter/  die  als  Gott  die  welt  auff  wolte  bawen; 
Sein  wortt  die  weisheit  selbst  mitt  rechten  nahmen  nent 
Die  Gott  allein  recht  misst/  die  Gott  allein  recht  kent 
(Wir  blinden  sterb lichen!  was  wollen  wir  vns  trawen!) 
Ihr  biirgen  meiner  lust/  wie  manche  schone  nacht 
Hab  ich/  in  dem  ich  euch  betrachtete  gewacht? 
Regirer  vnser  zeitt/  wen  wird  es  doch  geschehen? 
Das  ich/  der  ewer  nicht  alhier  vergessen  kan/ 
Euch/  derer  libe  mir  steckt  hertz  vndt  Geister  an 
Von  andern  Sorgen  frey  was  naher  werde  sehen. 

gelesen  von  Christian  Al-Kadi 


von  Andreas  Gryphius 

Anno  1636 

Wir  sindt  doch  nuhmer  gantz/  ja  mehr  den  gantz  verheret! 
Der  frechen  volcker  schaar/  die  rasende  posaun 
Das  vom  blutt  fette  schwerdt/  die  donnernde  Carthaun 
Hatt  aller  schweis/  vnd  fleis/  vnd  vorraht  auff  gezehret. 
Die  turme  stehn  in  glutt/  die  Kirch  ist  vmbgekehret. 
Das  Rahthaus  ligt  im  graus/  die  starcken  sind  zerhawn. 
Die  Jungfrawn  sindt  geschandt/  vnd  wo  wir  hin  nur  schawn 
Ist  fewer/  pest/  vnd  todt  der  hertz  vndt  geist  durchfehret. 
Hier  durch  die  schantz  vnd  Stadt/  rint  alzeit  frisches  blutt. 
Dreymall  sindt  schon  sechs  jahr  als  vnser  strome  fiutt 
Von  so  viel  leichen  schwer/  sich  langsam  fortgedrungen. 
Doch  schweig  ich  noch  von  dem  was  arger  als  der  todt. 
Was  grimmer  den  die  pest/  vndt  glutt  vndt  hungers  noth 
Das  nun  der  Selen  schatz/  so  vielen  abgezwungen. 


gelesen  von  Christian  Al-Kadi 


von  Andreas  Gryphius 

Ach!  vnd  weh! 

Mord!  Zetter!  Jammer!  Angst!  Creutz!  Marter!  Wiirme!  Plagen. 
Pech!  Folter!  Hencker!  Fla  i!  stanck!  Geister!  kalte!  Zagen! 
Ach  vergeh! 
Tieff  vnd  Hoh'! 

Meer!  Hiigel!  Berge!  Felfi!  wer  kan  die  Pein  ertragen? 

Schluck  abgrund!  ach  schluck'  eyn!  die  nichts  denn  ewig  klagen. 

Je  vnd  Eh! 

Schreckliche  Geister  der  tunckelen  holen/  Ihr  die  jhr  martert  vnd  Marter 
erduldet 

Kan  denn  der  ewigen  Ewigkeit  Fewer/  nimmermehr  biissen  dis  was  jhr 
verschuldet? 

O  grausamm'  Angst/  stets  sterben  sonder  sterben/ 

Difi  ist  die  Flamme  der  grimmigen  Rache/  die  der  erhitzete  Zorn 

angeblasen: 

Hier  ist  der  Fluch  der  vnendlichen  Straffe;  hier  ist  das  jmmerdar  wachsende 
rasen: 

O  MenscbJVerdirb/  vmb  hier  nicht  zuverderben. 


gelesen  von  Christian  Al-Kadi 


&S  1ST  fiLLES  EITEL 


von  Andreas  Gryphius 

DV  sihst  /  wohin  du  sihst  nur  Eitelkeit  auff  Erden. 

Was  dieser  heute  baut  /  reist  jener  morgen  ein: 

Wo  itzund  Stadte  stehn  /  wird  eine  Wiesen  seyn  / 
Auff  der  ein  Schafers-Kind  wird  spielen  mit  den  Herden. 

Was  itzund  prachtig  bliiht  /  sol  bald  zutretten  werden. 
Was  itzt  so  pocht  vnd  trotzt  ist  morgen  Asch  vnd  Bein  / 
Nichts  ist  /  das  ewig  sey  /  kein  Ertz  /  kein  Marmorstein. 

Itzt  lacht  das  Gliick  vns  an  /  bald  donnern  die  Beschwerden. 
Der  hohen  Thaten  Ruhm  muB  wie  ein  Traum  vergehn. 

Soil  denn  das  Spiel  der  Zeit  /  der  leichte  Mensch  bestehn? 
Ach!  was  ist  alles  difi  /  was  wir  vor  kostlich  achten  / 

Als  schlechte  Nichtigkeit  /  als  Schatten  /  Staub  vnd  Wind; 

Als  eine  Wiesen-Blum  /  die  man  nicht  wider  find't. 
Noch  wil  was  ewig  ist  kein  einig  Mensch  betrachten! 


gelesen  von  Christopher  Arndt 


23 


'S$HQ€XLU£££J4J 


von  Joseph  von  Eichendorff 

SMGZH  kfiNN  ICH  NICHT        £U  ... 

Singen  kann  ich  nicht  wie  du 
Und  wie  ich  nicht  der  und  jener, 
Kannst  du's  besser,  sing  frisch  zu! 
Andre  singen  wieder  schoner, 
Droben  an  dem  Himmelstor 
Wird's  ein  wunderbarer  Chor. 

Springer,  der  in  luft'gem  Schreiten 
Uber  die  gemeine  Welt, 
Kokettieret  mit  den  Leuten, 
Sicherlich  vom  Seile  fallt. 

Schiffer,  der  nach  jedem  Winde 
Bias  er  witzig  oder  dumm, 
Seine  Segel  stellt  geschwinde, 
Kommt  im  Wasser  schmahlich  um. 

Weisen  Sterne  doch  die  Richtung, 
Horst  du  nachts  doch  fernen  Klang, 
Dorthin  liegt  das  Land  der  Dichtung, 
Fahre  zu  und  frag  nicht  lang. 


Schlaft  ein  Lied  in  alien  Dingen, 
Die  da  traumen  fort  und  fort, 
Und  die  Welt  hebt  an  zu  singen, 
Triffst  du  nur  das  Zauberwort. 

gelesen  von  Christopher  Arndt 


24 


5Ve  ?fiuLe,  veg-WMMeLre 


von  Joachim  Ringelnatz 

»Sie  faule,  verbummelte  Schlampe,« 

Sagte  der  Spiegel  zur  Lampe. 

»Sie  altes,  schmieriges  Scherbenstiick,« 

Gab  die  Lampe  dem  Spiegel  zuriick. 

Der  Spiegel  in  seiner  Erbitterung 

Bekam  einen  ganz  gewaltigen  Sprung. 

Der  zornigen  Lampe  verging  die  Puste. 

Sie  fauchte,  rauchte,  schwelte  und  rufite. 

Das  Stubenmadchen  liefi  beide  in  Ruhe 

Und  doch:  Ihr  schob  man  die  Schuld  in  die  Schuhe. 


gelesen  von  Christopher  Arndt 


25 


2>/e  SCHONC  MQll&lin 


(Im  Winter  zu  lesen.) 

J)lCHT€tL,  tiLS  pTLQLOG 

Ich  lad'  euch,  schone  Damen,  kluge  Herrn, 

Und  die  ihr  hort  und  schaut  was  Gutes  gem, 

Zu  einem  funkelnagelneuen  Spiel 

Im  allermnkelnagelneusten  Styl; 

Schlicht  ausgedrechselt,  kunstlos  zugestutzt, 

Mit  edler  deutscher  Rohheit  aufgeputzt, 

Keck  wie  ein  Bursch  im  Stadtsoldatenstraufi, 

Dazu  wohl  auch  ein  wenig  fromm  fur's  Haus: 

Das  mag  genug  mir  zur  Empfehlung  sein, 

Wem  die  behagt,  der  trete  nur  herein. 

Erhoffe,  weil  es  grad'  ist  Winterzeit, 

Thut  euch  ein  Stundlein  hier  im  Griin  nicht  Leid; 

Denn  wifit  es  nur,  dafi  heut'  in  meinem  Lied 

Der  Lenz  mit  alien  seinen  Blumen  bliiht. 

Im  Freien  geht  die  freie  Handlung  vor, 

In  reiner  Luft,  weit  von  der  Stadte  Thor, 

Durch  Wald  und  Feld,  in  Griinden,  auf  den  Hohn; 

Und  was  nur  in  vier  Wanden  darf  geschehn, 

Das  schaut  ihr  halb  durch' s  offne  Fenster  an, 

So  ist  der  Kunst  und  euch  genug  gethan. 


von  Wilhelm  Muller 


Doch  wenn  ihr  nach  des  Spiels  Personen  fragt, 
So  kann  ich  euch,  den  Musen  sei's  geklagt, 
Nur  eine  prasentiren  recht  und  acht, 
Das  ist  ein  junger  blonder  Miillersknecht. 
Denn,  ob  der  Bach  zuletzt  ein  Wort  auch  spricht, 
So  wird  ein  Bach  deshalb  Person  noch  nicht. 
Drum  nehmt  nur  heut'  das  Monodram  vorlieb: 
Wer  mehr  giebt,  als  er  hat,  der  heifit  ein  Dieb. 

Auch  ist  dafur  die  Szene  reich  geziert, 

Mit  griinem  Sammet  unten  tapeziert, 

Der  ist  mit  tausend  Blumen  bunt  gestickt, 

Und  Weg  und  Steg  dariiber  ausgedriickt. 

Die  Sonne  strahlt  von  oben  hell  herein 

Und  bricht  in  Thau  und  Thranen  ihren  Schein, 

Und  auch  der  Mond  blickt  aus  der  Wolken  Flor 

Schwermuthig,  wie's  die  Mode  will,  hervor. 

Den  Hintergrund  umkranzt  ein  hoher  Wald, 

Der  Hund  schlagt  an,  das  muntre  Jagdhorn  schallt; 

Hier  stiirzt  vom  schroffen  Fels  der  junge  Quell 

Und  fliefit  im  Thai  als  Bachlein  silberhell; 

Das  Miihlrad  braust,  die  Werke  klappem  drein, 

Man  hort  die  Voglein  kaum  im  nahen  Hain. 

Drum  denkt,  wenn  euch  zu  rauh  manch  Liedchen  klingt, 

Dafi  das  Lokal  es  also  mit  sich  bringt. 

Doch,  was  das  Schonste  bei  den  Radern  ist, 

Das  wird  euch  sagen  mein  Monodramist; 

Verrieth'  ich's  euch,  verdiirb'  ich  ihm  das  Spiel: 

Gehabt  euch  wohl  und  amiisirt  euch  viel! 


Das  Wandern  ist  des  Mullers  Lust, 
Das  Wandern! 

Das  muB  ein  schlechter  Miiller  sein, 
Dem  niemals  fiel  das  Wandern  ein, 
Das  Wandern. 

Vom  Wasser  haben  wir's  gelernt, 
Vom  Wasser! 

Das  hat  nicht  Rast  bei  Tag  und  Nacht, 
Ist  stets  auf  Wanderschaft  bedacht, 
Das  Wasser. 

Das  sehn  wir  auch  den  Radern  ab, 
Den  Radern! 

Die  gar  nicht  gerne  stille  stehn, 

Die  sich  mein  Tag  nicht  miide  drehn, 

Die  Rader. 

Die  Steine  selbst,  so  schwer  sie  sind, 
Die  Steine! 

Sie  tanzen  mit  den  muntern  Reihn 
Und  wollen  gar  noch  schneller  sein, 
Die  Steine. 

O  Wandern,  Wandern,  meine  Lust, 
O  Wandern! 

Herr  Meister  und  Frau  Meisterin, 
Lafit  mich  in  Frieden  weiter  ziehn 
Und  wandern. 


Ich  hort'  ein  Bachlein  rauschen 
Wohl  aus  dem  Felsenquell, 
Hinab  zum  Thale  rauschen 
So  frisch  und  wunderhell. 

Ich  weifi  nicht,  wie  mir  wurde, 
Nicht,  wer  den  Rath  mir  gab, 
Ich  mufite  gleich  hinunter 
Mit  meinem  Wanders  tab. 

Hinunter  und  immer  weiter, 
Und  immer  dem  Bache  nach, 
Und  immer  frischer  rauschte, 
Und  immer  heller  der  Bach. 

Ist  das  denn  meine  StraBe? 
O  Bachlein,  sprich,  wohin? 
Du  hast  mit  deinem  Rauschen 
Mir  ganz  berauscht  den  Sinn. 

Was  sag'  ich  denn  von  Rauschen? 
Das  kann  kein  Rauschen  sein: 
Es  singen  wohl  die  Nixen 
Dort  unten  ihren  Reihn. 

Lafi  singen,  Gesell,  lafi  rauschen, 
Und  wandre  frohlich  nach! 
Es  gehn  ja  Miihlenrader 
In  jedem  klaren  Bach. 


27 


HfiLTl 

Eine  Miihle  seh'  ich  blicken 
Aus  den  Erlen  heraus, 
Durch  Rauschen  und  Singen 
Bricht  Radergebraus. 

Ei  willkommen,  ei  willkommen, 
Siifler  Miihlengesang! 
Und  das  Haus,  wie  so  traulich! 
Und  die  Fenster,  wie  blank! 

Und  die  Sonne,  wie  helle 
Vom  Himmel  sie  scheint! 
Ei,  Bachlein,  liebes  Bachlein, 
War  es  also  gemeint? 

War  es  also  gemeint, 
Mein  rauschender  Freund, 
Dein  Singen,  dein  Klingen, 
War  es  also  gemeint? 

Zur  Miillerin  hin! 

So  lautet  der  Sinn. 

Gelt,  hab'  ich's  verstanden? 

Zur  Miillerin  hin! 

Hat  sie  dich  geschickt? 
Oder  hast  mich  beriickt? 
Das  mocht'  ich  noch  wissen, 
Ob  sie  dich  geschickt. 


Nun  wie's  auch  mag  sein, 
Ich  gebe  mich  drein: 
Was  ich  such',  ist  gefunden, 
Wie's  immer  mag  sein. 

Nach  Arbeit  ich  frug, 
Nun  hab'  ich  genug, 
Fur  die  Hande,  fur's  Herze 
Vollauf  genug! 

Hatt'  ich  tausend 
Arme  zu  riihren! 
Konnt'  ich  brausend 
Die  Rader  fuhren! 
Konnt'  ich  wehen 
Durch  alle  Haine! 
Konnt'  ich  drehen 
Alle  Steine! 

DaB  die  schone  Miillerin 
Merkte  meinen  treuen  Sinn! 

Ach,  wie  ist  mein  Arm  so  schwach! 
Was  ich  hebe,  was  ich  trage, 
Was  ich  schneide,  was  ich  schlage, 
Jeder  Knappe  thut  es  nach. 
Und  da  sitz'  ich  in  der  grofien  Runde, 
Zu  der  stillen  kiihlen  Feierstunde, 
Und  der  Meister  spricht  zu  Allen: 
Euer  Werk  hat  mir  gefallen; 
Und  das  liebe  Madchen  sagt 
Allen  eine  gute  Nacht. 


28 


Ich  frage  keine  Blume, 
Ich  frage  keinen  Stern, 
Sie  konnen  mir  nicht  sagen, 
Was  ich  erfuhr'  so  gern. 

Ich  bin  ja  auch  kein  Gartner, 
Die  Sterne  stehn  zu  hoch; 
Mein  Bachlein  will  ich  fragen, 
Ob  mich  mein  Herz  belog. 

O  Bachlein  meiner  Liebe, 
Wie  bist  du  heut'  so  stumm! 
Will  ja  nur  Eines  wissen, 
Ein  Wortchen  um  und  um. 

Ja,  heifit  das  eine  Wortchen, 
Das  andre  heifiet  Nein, 
Die  beiden  Wortchen  schliefien 
Die  ganze  Welt  mir  ein. 

O  Bachlein  meiner  Liebe, 
Was  bist  du  wunderlich! 
Will's  ja  nicht  weiter  sagen, 
Sag',  Bachlein,  liebt  sie  mich? 


Seh'  ich  sie  am  Bache  sitzen, 
Wenn  sie  Fliegennetze  strickt, 
Oder  Sonntags  fur  die  Fenster 
Frische  Wiesenblumen  pfliickt; 


Seh'  ich  sie  zum  Garten  wandeln, 
Mit  dem  Korbchen  in  der  Hand, 
Nach  den  ersten  Beeren  spahen 
An  der  griinen  Dornenwand: 

Dann  wird's  eng'  in  meiner  Miihle, 
Alle  Mauern  ziehn  sich  ein, 
Und  ich  mochte  flugs  ein  Fischer, 
Jager  oder  Gartner  sein. 

Und  der  Steine  lustig  Pfeifen, 
Und  des  Wasserrads  Gebraus, 
Und  der  Werke  emsig  Klappern, 
'S  jagt  mich  fast  zum  Thor  hinaus. 

Aber  wenn  in  guter  Stunde 
Plaudernd  sie  zum  Burschen  tritt, 
Und  als  kluges  Kind  des  Hauses 
Seitwarts  nach  dem  Rechten  sieht; 

Und  verstandig  lobt  den  Einen, 
Dafi  der  Andre  merken  mag, 
Wie  er's  besser  treiben  solle, 
Geht  er  ihrem  Danke  nach  - 

Keiner  fuhlt  sich  recht  getroffen, 
Und  doch  schiefit  sie  nimmer  fehl, 
Jeder  muB  von  Schonung  sagen, 
Und  doch  hat  sie  keinen  Hehl. 

Keiner  wiinscht,  sie  mochte  gehen, 
Steht  sie  auch  als  Herrin  da, 
Und  fast  wie  das  Auge  Gottes 
1st  ihr  Bild  uns  immer  nah.  - 


29 


Ei,  da  mag  das  Miihlenleben 
Wohl  des  Liedes  wurdig  sein, 
Und  die  Rader,  Stein'  und  Stampfen 
Stimmen  als  Begleitung  ein. 

Alles  geht  in  schonem  Tanze 
Auf  und  ab,  und  ein  und  aus: 
Gott  gesegne  mir  das  Handwerk 
Und  des  guten  Meisters  Haus! 

\}NG€5AJLT> 

Ich  schnitt'  es  gern  in  alle  Rinden  ein, 
Ich  grub'  es  gern  in  jeden  Kieselstein, 
Ich  mocht'  es  sa'n  auf  jedes  frische  Beet 
Mit  Kressensamen,  der  es  schnell  verrath, 
Auf  jeden  weifien  Zettel  mocht'  ich's  schreiben: 
Dein  ist  mein  Herz,  und  soil  es  ewig  bleiben. 

Ich  mocht'  mir  ziehen  einen  jungen  Staar, 
Bis  dafi  er  sprach'  die  Worte  rein  und  klar, 
Bis  er  sie  sprach'  mit  meines  Mundes  Klang, 
Mit  meines  Herzens  vollem,  heifiem  Drang; 
Dann  sang'  er  hell  durch  ihre  Fensterscheiben: 
Dein  ist  mein  Herz,  und  soil  es  ewig  bleiben. 

Den  Morgenwinden  mocht'  ich  hauchen  ein, 
Ich  mocht'  es  sauseln  durch  den  regen  Hain; 
O,  leuchtet'  es  aus  jedem  Blumenstern! 
Triig'  es  der  Duft  zu  ihr  von  nah  und  fern! 
Ihr  Wogen,  konnt  ihr  nichts  als  Rader  treiben? 
Dein  ist  mein  Herz,  und  soil  es  ewig  bleiben. 


Ich  meint',  es  miifit'  in  meinen  Augen  stehn, 
Auf  meinen  Wangen  miifit'  man's  brennen  sehn, 
Zu  lesen  war's  auf  meinem  stummen  Mund, 
Ein  jeder  Athemzug  gab's  laut  ihr  kund; 
Und  sie  merkt  nichts  von  all'  dem  bangen  Treiben: 
Dein  ist  mein  Herz,  und  soil  es  ewig  bleiben! 

Guten  Morgen,  schone  Miillerin! 

Wo  steckst  du  gleich  das  Kopfchen  hin, 

Als  war'  dir  was  geschehen? 

Verdriefit  dich  denn  mein  Grufi  so  schwer? 

Verstort  dich  denn  mein  Blick  so  sehr? 

So  muB  ich  wieder  gehen. 

O  lafi  mich  nur  von  feme  stehn, 
Nach  deinem  lieben  Fenster  sehn, 
Von  feme,  ganz  von  feme! 
Du  blondes  Kopfchen,  komm  hervor! 
Hervor  aus  eurem  runden  Thor, 
Ihr  blauen  Morgensterne! 

Ihr  schlummertrunknen  Augelein, 

Ihr  thaubetriibten  Blumelein, 

Was  scheuet  ihr  die  Sonne? 

Hat  es  die  Nacht  so  gut  gemeint, 

Dafi  ihr  euch  schliefit  und  biickt  und  weint 

Nach  ihrer  stillen  Wonne? 


Nun  schiittelt  ab  der  Traume  Flor, 
Und  hebt  euch  frisch  und  frei  empor 
In  Gottes  hellen  Morgen! 
Die  Lerche  wirbelt  in  der  Luft, 
Und  aus  dem  tiefen  Herzen  ruft 
Die  Liebe  Leid  und  Sorgen. 


2>es  MOllols  Baumew 


Am  Bach  viel  kleine  Blumen  stehn, 
Aus  hellen  blauen  Augen  sehn; 
Der  Bach  der  ist  des  Miillers  Freund, 
Und  hellblau  Liebchens  Auge  scheint, 
Drum  sind  es  meine  Blumen. 

Dicht  unter  ihrem  Fensterlein 
Da  pflanz'  ich  meine  Blumen  ein, 
Da  ruft  ihr  zu,  wenn  Alles  schweigt, 
Wenn  sich  ihr  Haupt  zum  Schlummer  neigt, 
Ihr  wifit  ja,  was  ich  meine. 

Und  wenn  sie  that  die  Auglein  zu, 
Und  schlaft  in  siifier,  siifier  Ruh', 
Dann  lispelt  als  ein  Traumgesicht 
Ihr  zu:  Vergifi,  vergifi  mein  nicht! 
Das  ist  es,  was  ich  meine. 

Und  schliefit  sie  friih  die  Laden  auf, 
Dann  schaut  mit  Liebesblick  hinauf: 
Der  Thau  in  euren  Augelein, 
Das  sollen  meine  Thranen  sein, 
Die  will  auf  euch  meinen. 


Wir  safien  so  traulich  beisammen 
Im  kiihlen  Erlendach, 
Wir  schauten  so  traulich  zusammen 
Hinab  in  den  rieselnden  Bach. 


Der  Mond  war  auch  gekommen, 
Die  Sternlein  hinterdrein, 
Und  schauten  so  traulich  zusammen 
In  den  silbernen  Spiegel  hinein. 

Ich  sah  nach  keinem  Monde, 
Nach  keinem  Sternenschein, 
Ich  schaute  nach  ihrem  Bilde, 
Nach  ihren  Augen  allein. 

Und  sahe  sie  nicken  und  blicken 
Herauf  aus  dem  seligen  Bach, 
Die  Blumlein  am  Ufer,  die  blauen, 
Sie  nickten  und  blickten  ihr  nach. 

Und  in  den  Bach  versunken 
Der  ganze  Himmel  schien, 
Und  wollte  mich  mit  hinunter 
In  seine  Tiefe  ziehn. 

Und  iiber  den  Wolken  und  Sternen 
Da  rieselte  munter  der  Bach, 
Und  rief  mit  Singen  und  Klingen: 
Geselle,  Geselle,  mir  nach! 

Da  gingen  die  Augen  mir  iiber, 
Da  ward  es  im  Spiegel  so  kraus; 
Sie  sprach:  Es  kommt  ein  Regen, 
Ade,  ich  geh'  nach  Haus. 


31 


Bachlein,  lafi  dein  Rauschen  sein! 
Rader,  stellt  eur  Brausen  ein! 
All'  ihr  muntern  Waldvogelein, 
Grofi  und  klein, 
Endet  eure  Melodein! 
Durch  den  Hain 
Aus  und  ein 

Schalle  heut'  ein  Reim  allein: 
Die  geliebte  Miillerin  ist  mein! 
Mein! 

Friihling,  sind  das  alle  deine  Bliimelein? 
Sonne,  hast  du  keinen  hellern  Schein? 
Ach,  so  muB  ich  ganz  allein, 
Mit  dem  seligen  Worte  mein, 
Unverstanden  in  der  weiten  Schopfung  sein! 


Meine  Laute  hab'  ich  gehangt  an  die  Wand, 
Hab'  sie  umschlungen  mit  einem  griinen  Band  - 
Ich  kann  nicht  mehr  singen,  mein  Herz  ist  zu  voll, 
Weifi  nicht,  wie  ich's  in  Reime  zwingen  soil. 
Meiner  Sehnsucht  allerheifiesten  Schmerz 
Durft'  ich  aushauchen  in  Liederscherz, 
Und  wie  ich  klagte  so  sufi  und  fein, 
Meint'  ich  doch,  mein  Leiden  war'  nicht  klein. 
Ei,  wie  grofi  ist  wohl  meines  Gliickes  Last, 
Dafi  kein  Klang  auf  Erden  es  in  sich  fafit? 


Nun,  liebe  Laute,  ruh'  an  dem  Nagel  hier! 
Und  weht  ein  Liiftchen  iiber  die  Saiten  dir, 
Und  streift  eine  Biene  mit  ihren  Fliigeln  dich, 
Da  wird  mir  bange  und  es  durchschauert  mich. 
Warum  liefi  ich  das  Band  auch  hangen  so  lang'? 
Oft  fliegt's  um  die  Saiten  mit  seufzendem  Klang. 
Ist  es  der  Nachklang  meiner  Liebespein? 
Soil  es  das  Vorspiel  neuer  Lieder  sein? 

Mir  DEM  gilOaien  U^reN^Nj>€. 

»Schad'  um  das  schone  griine  Band, 
Dafi  es  verbleicht  hier  an  der  Wand, 
Ich  hab'  das  Griin  so  gern!« 
So  sprachst  du,  Liebchen,  heut'  zu  mir; 
Gleich  kniipf  ich's  ab  und  send'  es  dir: 
Nun  hab'  das  Griine  gern! 

Ist  auch  dein  ganzer  Liebster  weifi, 
Soil  Griin  doch  haben  seinen  Preis, 
Und  ich  auch  hab'  es  gern. 
Weil  unsre  Lieb'  ist  immergrun, 
Weil  griin  der  Hoffnung  Fernen  bliihn, 
Drum  haben  wir  es  gern. 

Nun  schlingst  du  in  die  Locken  dein 

Das  griine  Band  gefallig  ein, 

Du  hast  ja  's  Griin  so  gern. 

Dann  weifi  ich,  wo  die  Hoffnung  wohnt, 

Dann  weifi  ich,  wo  die  Liebe  thront, 

Dann  hab'  ich  's  Griin  erst  gern. 


32 


Was  sucht  denn  der  Jager  am  Miihlbach  hier? 
Bleib',  trotziger  Jager,  in  deinem  Revier! 
Hier  giebt  es  kein  Wild  zu  jagen  fur  dich, 
Hier  wohnt  nur  ein  Rehlein,  ein  zahmes,  fur  mich. 
Und  willst  du  das  zartliche  Rehlein  sehn, 
So  lafi  deine  Biichsen  im  Walde  stehn, 
Und  lafi  deine  klaffenden  Hunde  zu  Haus, 
Und  lafi  auf  dem  Home  den  Saus  und  Braus, 
Und  scheere  vom  Kinne  das  struppige  Haar, 
Sonst  scheut  sich  im  Garten  das  Rehlein  furwahr. 

Doch  besser,  du  bliebest  im  Walde  dazu, 
Und  liefiest  die  Miihlen  und  Miiller  in  Ruh'. 
Was  taugen  die  Fischlein  im  griinen  Gezweig? 
Was  will  denn  das  Eichhorn  im  blaulichen  Teich? 
Drum  bleibe,  du  trotziger  Jager,  im  Hain, 
Und  lafi  mich  mit  meinen  drei  Radern  allein; 
Und  willst  meinem  Schatzchen  dich  machen  beliebt, 
So  wisse,  mein  Freund,  was  ihr  Herzchen  betriibt: 
Die  Eber,  die  kommen  zu  Nacht  aus  dem  Hain, 
Und  brechen  in  ihren  Kohlgarten  ein, 
Und  treten  und  wiihlen  herum  in  dem  Feld: 
Die  Eber  die  schiefie,  du  Jagerheld! 


Wohin  so  schnell,  so  kraus,  so  wild,  mein  lieber  Bach? 
Eilst  du  voll  Zorn  dem  frechen  Bruder  Jager  nach? 
Kehr'  um,  kehr'  um,  und  schilt  erst  deine  Mullerin 
Fur  ihren  leichten,  losen,  kleinen  Flattersinn. 
Sahst  du  sie  gestern  Abend  nicht  am  Thore  stehn, 
Mit  langem  Halse  nach  der  grofien  Strafie  sehn? 
Wenn  von  dem  Fang  der  Jager  lustig  zieht  nach  Haus, 
Da  steckt  kein  sittsam  Kind  den  Kopf  zum  Fenster  'naus. 
Geh',  Bachlein,  hin  und  sag'  ihr  das,  doch  sag'  ihr  nicht, 
Horst  du,  kein  Wort,  von  meinem  traurigen  Gesicht; 
Sag'  ihr:  Er  schnitzt  bei  mir  sich  eine  Pfeif  aus  Rohr, 
Und  blast  den  Kindern  schone  Tanz'  und  Lieder  vor. 


33 


Nun  sitz'  am  Bache  nieder 
Mit  deinem  hellen  Rohr, 
Und  bias'  den  lieben  Kindern 
Die  schonen  Lieder  vor. 

Die  Lust  ist  ja  verrauschet, 
Das  Leid  hat  immer  Zeit: 
Nun  singe  neue  Lieder 
Von  alter  Seligkeit. 

Noch  bliihn  die  alten  Blumen, 
Noch  rauscht  der  alte  Bach, 
Es  scheint  die  liebe  Sonne 
Noch  wie  am  ersten  Tag. 

Die  Fensterscheiben  glanzen 
Im  klaren  Morgenschein, 
Und  hinter  den  Fensterscheiben 
Da  sitzt  die  Liebste  mein. 

Ein  Jager,  ein  griiner  Jager, 

Der  liegt  in  ihrem  Arm  - 

Ei,  Bach,  wie  lustig  du  rauschest! 

Ei,  Sonne,  wie  scheinst  du  so  warm! 

Ich  will  einen  Straufi  dir  pflucken, 
Herzliebste,  von  buntem  Klee, 
Den  sollst  du  mir  stellen  an's  Fenster, 
Damit  ich  den  Jager  nicht  seh'. 


Ich  will  mit  Rosenblattern 
Den  Miihlensteg  bestreun: 
Der  Steg  hat  mich  getragen 
Zu  dir,  Herzliebste  mein! 

Und  wenn  der  stolze  Jager 
Ein  Blattchen  mir  zertritt, 
Dann  stiirz',  o  Steg,  zusammen 
Und  nimm  den  Griinen  mit! 

Und  trag'  ihn  auf  dem  Riicken 
rn's  Meer,  mit  gutem  Wind, 
Nach  einer  fernen  Insel, 
Wo  keine  Madchen  sind. 

Herzliebste,  das  Vergessen, 
Es  kommt  dir  ja  nicht  schwer  - 
Willst  du  den  Miiller  wieder? 
Vergifit  dich  nimmermehr. 


34 


In  Griin  will  ich  mich  kleiden, 
In  griine  Thranenweiden, 
Mein  Schatz  hat 's  Griin  so  gern. 
Will  suchen  einen  Zypressenhain, 
Eine  Heide  voll  griinem  Rosmarein, 
Mein  Schatz  hat 's  Griin  so  gern. 

Wohlauf  zum  frohlichen  Jagen! 
Wohlauf  durch  Heid'  und  Hagen! 
Mein  Schatz  hat 's  Jagen  so  gern. 
Das  Wild,  das  ich  j  age,  das  ist  der  Tod, 
Die  Heide,  die  heifi'  ich  die  Liebesnoth, 
Mein  Schatz  hat 's  Jagen  so  gern. 

Grabt  mir  ein  Grab  im  Wasen, 

Deckt  mich  mit  griinem  Rasen, 

Mein  Schatz  hat 's  Griin  so  gern. 

Kein  Kreuzlein  schwarz,  kein  Bliimlein  bunt, 

Griin,  Alles  griin  so  rings  und  rund! 

Mein  Schatz  hat 's  Griin  so  gern. 

J>ie  sose  iffnLQe. 

Ich  mochte  ziehn  in  die  Welt  hinaus, 
Hinaus  in  die  weite  Welt, 
Wenn's  nur  so  griin,  so  griin  nicht  war' 
Da  draufien  in  Wald  und  Feld! 

Ich  mochte  die  griinen  Blatter  all' 
Pfliicken  von  jedem  Zweig, 
Ich  mochte  die  griinen  Graser  all' 
Weinen  ganz  todtenbleich. 


Ach  Griin,  du  bose  Farbe  du, 
Was  siehst  mich  immer  an, 
So  stolz,  so  keck,  so  schadenfroh, 
Mich  armen  weifien  Mann? 

Ich  mochte  liegen  vor  ihrer  Thiir, 
In  Sturm  und  Regen  und  Schnee, 
Und  singen  ganz  leise  bei  Tag  und  Nacht 
Das  eine  Wortchen  Ade! 

Horch,  wenn  im  Wald  ein  Jagdhorn  ruft, 
Da  klingt  ihr  Fensterlein, 
Und  schaut  sie  auch  nach  mir  nicht  aus, 
Darf  ich  doch  schauen  hinein. 

O  binde  von  der  Stirn  dir  ab 
Das  griine,  griine  Band, 
Ade,  Ade!  und  reiche  mir 
Zum  Abschied  deine  Hand! 

Was  treibt  mich  jeden  Morgen 
So  tief  in's  Holz  hinein? 
Was  frommt  mir,  mich  zu  bergen 
Im  unbelauschten  Hain? 

Es  bliiht  auf  alien  Fluren 
Bliimlein  Vergifi  mein  nicht, 
Es  schaut  vom  heitern  Himmel 
Herab  in  blauem  Licht. 

Und  soil  ich's  niedertreten, 
Bebt  mir  der  Fufi  zuriick, 
Es  fleht  aus  jedem  Kelche 
Ein  wohlbekannter  Blick. 


35 


Weifit  du,  in  welchem  Garten 
Bliimlein  Vergifi  mein  steht? 
Das  Bliimlein  muB  ich  suchen, 
Wie  auch  die  Strafie  geht. 

'S  ist  nicht  fur  Madchenbusen, 
So  schon  sieht  es  nicht  aus: 
Schwarz,  schwarz  ist  seine  Farbe, 
Es  pafit  in  keinen  Straufi. 

Hat  keine  griine  Blatter, 
Hat  keinen  Bliithenduft, 
Es  windet  sich  am  Boden 
In  nachtig  dumpfer  Luft. 

Wachst  auch  an  einem  Ufer, 
Doch  unten  fliefit  kein  Bach, 
Und  willst  das  Bliimlein  pfliicken, 
Dich  zieht  der  Abgrund  nach. 

Das  ist  der  rechte  Garten, 
Ein  schwarzer,  schwarzer  Flor: 
Darauf  magst  du  dich  betten  - 
Schleufi  zu  das  Gartenthor! 


Ihr  Bliimlein  alle, 
Die  sie  mir  gab, 
Euch  soil  man  legen 
Mit  mir  in's  Grab. 


Wie  seht  ihr  alle 
Mich  an  so  weh, 
Als  ob  ihr  wiifitet, 
Wie  mir  gescheh'? 

Ihr  Bliimlein  alle, 
Wie  welk,  wie  blafi? 
Ihr  Bliimlein  alle, 
Wovon  so  nafi? 

Ach,  Thranen  machen 
Nicht  maiengriin, 
Machen  todte  Liebe 
Nicht  wieder  bliihn. 

Und  Lenz  wird  kommen, 
Und  Winter  wird  gehn, 
Und  Bliimlein  werden 
Im  Grase  stehn, 

Und  Bliimlein  liegen 
In  meinem  Grab, 
Die  Bliimlein  alle, 
Die  sie  mir  gab. 

Und  wenn  sie  wandelt 
Am  Hiigel  vorbei, 
Und  denkt  im  Herzen: 
Der  meint'  es  treu! 

Dann  Bliimlein  alle, 
Heraus,  heraus! 
Der  Mai  ist  kommen, 
Der  Winter  ist  aus. 


36 


J>£J2-  M^LLeiL  \JNS>  POL  ffiCH 


Der  Midler. 
Wo  ein  treues  Herze 
In  Liebe  vergeht. 
Da  welken  die  Lilien 
Auf  jedem  Beet. 

Da  muB  in  die  Wolken 
Der  Vollmond  gehn, 
Damit  seine  Thranen 
Die  Menschen  nicht  sehn. 

Da  halten  die  Englein 
Die  Augen  sich  zu, 
Und  schluchzen  und  singen 
Die  Seele  zu  Ruh'. 

Der  Bach. 

Und  wenn  sich  die  Liebe 
Dem  Schmerz  entringt, 
Ein  Sternlein,  ein  neues, 
Am  Himmel  erblinkt. 

Da  springen  drei  Rosen, 
Halb  roth,  halb  weifi, 
Die  welken  nicht  wieder, 
Aus  Dornenreis. 

Und  die  Engelein  schneiden 
Die  Fliigel  sich  ab, 
Und  gehn  alle  Morgen 
Zur  Erde  hinab. 


Der  Miiller. 

Ach,  Bachlein,  liebes  Bachlein, 
Du  meinst  es  so  gut: 
Ach,  Bachlein,  aber  weifit  du, 
Wie  Liebe  thut? 

Ach,  unten,  da  unten, 

DiekuhleRuh'! 

Ach,  Bachlein,  liebes  Bachlein, 

So  singe  nur  zu. 


37 


J>es  thanes  UieGeNuep 


GuteRuh',  guteRuh'! 

Thu'  die  Augen  zu! 

Wandrer,  du  miider,  du  bist  zu  Haus. 

Die  Treu'  ist  hier, 

Sollst  liegen  bei  mir, 

Bis  das  Meer  will  trinken  die  Bachlein  aus. 

Will  betten  dich  kiihl, 
Auf  weichem  Pfuhl, 

In  dem  blauen  krystallenen  Kammerlein. 
Heran,  heran, 
Was  wiegen  kann, 

Woget  und  wieget  den  Knaben  mir  ein! 

Wenn  ein  Jagdhorn  schallt 
Aus  dem  griinen  Wald, 

Will  ich  sausen  und  brausen  wohl  um  dich  her. 
Blickt  nicht  herein, 
Blaue  Blumelein! 

Ihr  macht  meinem  Schlafer  die  Traume  so  schwer. 

Hinweg,  hinweg 
Von  dem  Miihlensteg, 

Boses  Magdlein,  dafi  ihn  dein  Schatten  nicht  weckt! 

Wirf  mir  herein 

Dein  Tuchlein  fein, 

Dafi  ich  die  Augen  ihm  halte  bedeckt! 

Gute  Nacht,  gute  Nacht! 
Bis  Alles  wacht, 

Schlaf  aus  deine  Freude,  schlaf  aus  dein  Leid! 
Der  Vollmond  steigt, 
Der  Nebel  weicht, 

Und  der  Himmel  da  oben,  wie  ist  er  so  weit! 


Weil  gern  man  schliefit  mit  einer  runden  Zahl, 

Tret'  ich  noch  einmal  in  den  vollen  Saal, 

Als  letztes,  fTinf  und  zwanzigstes  Gedicht, 

Als  Epilog,  der  gern  das  Kliigste  spricht. 

Doch  pfuschte  mir  der  Bach  in's  Handwerk  schon 

Mit  seiner  Leichenred'  im  nassen  Ton. 

Aus  solchem  hohlen  Wasserorgelschall 

Zieht  Jeder  selbst  sich  besser  die  Moral; 

Ich  geb'  es  auf,  und  lasse  diesen  Zwist, 

Weil  Widerspruch  nicht  meines  Amtes  ist. 

So  hab'  ich  denn  nichts  lieber  hier  zu  thun, 
Als  euch  zum  Schlufi  zu  wiinschen,  wohl  zu  ruhn. 
Wir  blasen  unsre  Sonn'  und  Sternlein  aus  - 
Nun  findet  euch  im  Dunkel  gut  nach  Haus, 
Und  wollt  ihr  traumen  einen  leichten  Traum, 
So  denkt  an  Miihlenrad  und  Wasserschaum, 
Wenn  ihr  die  Augen  schliefit  zu  langer  Nacht, 
Bis  es  den  Kopf  zum  Drehen  euch  gebracht. 
Und  wer  ein  Madchen  fuhrt  an  seiner  Hand, 
Der  bitte  scheidend  um  ein  Liebespfand, 
Und  giebt  sie  heute,  was  sie  oft  versagt, 
So  sei  des  treuen  Miillers  treu  gedacht 
Bei  jedem  Handedruck,  bei  jedem  Kufi, 
Bei  jedem  heifien  Herzensuberflufi: 
Geb'  ihm  die  Liebe  fur  sein  kurzes  Leid 
In  eurem  Busen  lange  Seligkeit! 

gelesen  von  Rolf  Kaiser 


38 


pure  Nficwr 

Fremd  bin  ich  eingezogen, 
Fremd  zieh'  ich  wieder  aus. 
Der  Mai  war  mir  gewogen 
Mit  mane  hem  Blumenstraufi. 
Das  Madchen  sprach  von  Liebe, 
Die  Mutter  gar  von  Eh'  - 
Nun  ist  die  Welt  so  triibe, 
Der  Weg  gehullt  in  Schnee. 

Ich  kann  zu  meiner  Reisen 
Nicht  wahlen  mit  der  Zeit: 
MuB  selbst  den  Weg  mir  weisen 
In  dieser  Dunkelheit. 
Es  zieht  ein  Mondenschatten 
Als  mein  Gefahrte  mit, 
Und  auf  den  weifien  Matten 
Such'  ich  des  Wildes  Tritt. 

Was  soil  ich  langer  weilen, 
Bis  man  mich  trieb'  hinaus? 
Lafi  irre  Hunde  heulen 
Vor  ihres  Herren  Haus! 
Die  Liebe  liebt  das  Wandern,  - 
Gott  hat  sie  so  gemacht  - 
Von  Einem  zu  dem  Andern  - 
Fein  Liebchen,  Gute  Nacht! 


von  Wilhelm  Muller 


Will  dich  im  Traum  nicht  storen, 
War'  Schad'  um  deine  Ruh', 
Sollst  meinen  Tritt  nicht  horen  - 
Sacht,  sacht  die  Thiire  zu! 
Ich  schreibe  nur  im  Gehen 
An's  Thor  noch  gute  Nacht, 
Damit  du  mogest  sehen, 
Ich  hab'  an  dich  gedacht. 

J>ie  i^erraL^fiHNe 

Der  Wind  spielt  mit  der  Wetterfahne 
Auf  meines  schonen  Liebchens  Haus. 
Da  dacht'  ich  schon  in  meinem  Wahne, 
Sie  pfiff  den  armen  Fliichtling  aus. 

Er  hatt'  es  ehr  bemerken  sollen, 
Des  Hauses  aufgestecktes  Schild, 
So  hatt'  er  nimmer  suchen  wollen 
Im  Haus  ein  treues  Frauenbild. 

Der  Wind  spielt  drinnen  mit  den  Herzen, 
Wie  auf  dem  Dach,  nur  nicht  so  laut. 
Was  fragen  sie  nach  meinen  Schmerzen? 
Ihr  Kind  ist  eine  reiche  Braut. 


Gefrorne  Tropfen  fallen 
Von  meinen  Wangen  ab: 
Und  ist's  mir  denn  entgangen, 
Dafi  ich  geweinet  hab'? 

Ei  Thranen,  meine  Thranen, 
Und  seid  ihr  gar  so  lau, 
Dafi  ihr  erstarrt  zu  Eise, 
Wie  kiihler  Morgenthau? 

Und  dringt  doch  aus  der  Quelle 
Der  Brust  so  gliihend  heifi, 
Als  wolltet  ihr  zerschmelzen 
Des  ganzen  Winters  Eis. 

Ich  such'  im  Schnee  vergebens 
Nach  ihrer  Tritte  Spur, 
Hier,  wo  wir  oft  gewandelt 
Selbander  durch  die  Flur. 

Ich  will  den  Boden  kiissen, 
Durchdringen  Eis  und  Schnee 
Mit  meinen  heifien  Thranen, 
Bis  ich  die  Erde  seh'. 

Wo  find'  ich  eine  Bliithe, 
Wo  sind'  ich  grimes  Gras? 
Die  Blumen  sind  erstorben, 
Der  Rasen  sieht  so  blafi. 


Soil  denn  kein  Angedenken 

Ich  nehmen  mit  von  hier? 

Wenn  meine  Schmerzen  schweigen, 

Wer  sagt  mir  dann  von  ihr? 

Mein  Herz  ist  wie  erfroren, 
Kalt  starrt  ihr  Bild  darin: 
Schmilzt  je  das  Herz  mir  wieder, 
Fliefit  auch  das  Bild  dahin. 

Am  Brunnen  vor  dem  Thore 
Da  steht  ein  Lindenbaum: 
Ich  traumt'  in  seinem  Schatten 
So  manchen  siifien  Traum. 

Ich  schnitt  in  seine  Rinde 
So  manches  liebe  Wort; 
Es  zog  in  Freud'  und  Leide 
Zu  ihm  mich  immer  fort. 

Ich  mufit'  auch  heute  wandern 
Vorbei  in  tiefer  Nacht, 
Da  hab'  ich  noch  im  Dunkel 
Die  Augen  zugemacht. 

Und  seine  Zweige  rauschten, 
Als  riefen  sie  mir  zu: 
Komm  her  zu  mir,  Geselle, 
Hier  findst  du  deine  Ruh' ! 

Die  kalten  Winde  bliesen 
Mir  grad'  in's  Angesicht, 
Der  Hut  flog  mir  vom  Kopfe, 
Ich  wendete  mich  nicht. 


40 


Nun  bin  ich  manche  Stunde 
Entfernt  von  jenem  Ort, 
Und  immer  hor'  ich's  rauschen: 
Du  fandest  Ruhe  dort! 

£>/e  Post 

Von  der  Strafie  her  ein  Posthorn  klingt. 
Was  hat  es,  dafi  es  so  hoch  aufspringt, 
Mein  Herz? 

Die  Post  bringt  keinen  Brief  fur  dich: 
Was  drangst  du  denn  so  wunderlich, 
Mein  Herz? 

Nun  ja,  die  Post  kommt  aus  der  Stadt, 
Wo  ich  ein  liebes  Liebchen  hatt', 
Mein  Herz! 

Willst  wohl  einmal  hinubersehn, 
Und  fragen,  wie  es  dort  mag  gehn, 
Mein  Herz? 

Manche  Thran'  aus  meinen  Augen 
1st  gefallen  in  den  Schnee; 
Seine  kalten  Flocken  saugen 
Durstig  ein  das  heifie  Weh. 

Wann  die  Graser  sprossen  wollen, 
Weht  daher  ein  lauer  Wind, 
Und  das  Eis  zerspringt  in  Schollen, 
Und  der  weiche  Schnee  zerrinnt. 


Schnee,  du  weifit  von  meinem  Sehnen: 
Sag'  mir,  wohin  geht  dein  Lauf? 
Folge  nach  nur  meinen  Thranen, 
Nimmt  dich  bald  das  Bachlein  auf 

Wirst  mit  ihm  die  Stadt  durchziehen, 
Muntre  Strafien  ein  und  aus: 
Fiihlst  du  meine  Thranen  gliihen, 
Da  ist  meiner  Liebsten  Haus. 

(jUt  2£M  Suisse 

Der  du  so  lustig  rauschtest, 
Du  heller,  wilder  Flufi, 
Wie  still  bist  du  geworden, 
Giebst  keinen  Scheidegrufi. 

Mit  harter,  starrer  Rinde 
Hast  du  dich  iiberdeckt, 
Liegst  kalt  und  unbeweglich 
Im  Sande  hingestreckt. 

In  deine  Decke  grab'  ich 
Mit  einem  spitzen  Stein 
Den  Namen  meiner  Liebsten 
Und  Stund'  und  Tag  hinein: 

Den  Tag  des  ersten  Grufies, 
Den  Tag,  an  dem  ich  ging, 
Um  Nam'  und  Zahlen  windet 
Sich  ein  zerbrochner  Ring. 

Mein  Herz,  in  diesem  Bache 
Erkennst  du  nun  dein  Bild? 
Ob's  unter  seiner  Rinde 
Wohl  auch  so  reifiend  schwillt? 


41 


Es  brennt  mir  unter  beiden  Sohlen, 
Tret'  ich  auch  schon  auf  Eis  und  Schnee. 
Ich  mocht'  nicht  wieder  Athem  holen, 
Bis  ich  nicht  mehr  die  Thiirme  seh'. 

Hab'  mich  an  jedem  Stein  gestofien, 
So  eilt'  ich  zu  der  Stadt  hinaus; 
Die  Krahen  warfen  Ball'  und  Schlofien 
Auf  meinen  Hut  von  jedem  Haus. 

Wie  anders  hast  du  mich  empfangen, 
Du  Stadt  der  Unbestandigkeit! 
An  deinen  blanken  Fenstern  sangen 
Die  Lerch'  und  Nachtigall  im  Streit. 

Die  runden  Lindenbaume  bliihten, 
Die  klaren  Rinnen  rauschten  hell, 
Und  ach,  zwei  Madchenaugen  gluhten!  - 
Da  war's  geschehn  um  dich,  Gesell! 

Kommt  mir  der  Tag  in  die  Gedanken, 
Mocht'  ich  noch  einmal  riickwarts  sehn, 
Mocht'  ich  zuriicke  wieder  wanken, 
Vor  ihrem  Hause  stille  stehn. 


Doch  bald  ist  er  hinweggethaut, 
Hab'  wieder  schwarze  Haare, 
Dafi  mir's  vor  meiner  Jugend  graut  - 
Wie  weit  noch  bis  zur  Bahre! 

Vom  Abendroth  zum  Morgenlicht 
Ward  mancher  Kopf  zum  Greise. 
Wer  glaubt's?  Und  meiner  ward  es  nicht 
Auf  dieser  ganzen  Reise! 

l£KJiH€. 

Eine  Krahe  war  mit  mir 
Aus  der  Stadt  gezogen, 
Ist  bis  heute  fur  und  fur 
Um  mein  Haupt  geflogen. 

Krahe,  wunderliches  Thier, 
Willst  mich  nicht  verlassen? 
Meinst  wohl  bald  als  Beute  hier 
Meinen  Leib  zu  fassen? 

Nun,  es  wird  nicht  weit  mehr  gehn 
An  dem  Wanderstabe. 
Krahe,  lafi  mich  endlich  sehn 
Treue  bis  zum  Grabe! 


2>aL  Greise  kop? 

Der  Reif  hatt'  einen  weifien  Schein 
Mir  iiber's  Haar  gestreuet. 
Da  meint'  ich  schon  ein  Greis  zu  sein, 
Und  hab'  mich  sehr  gefreuet. 


42 


Hier  und  da  ist  an  den  Baumen 
Noch  ein  buntes  Blatt  zu  sehn, 
Und  ich  bleibe  vor  den  Baumen 
Oftmals  in  Gedanken  stehn. 

Schaue  nach  dem  einen  Blatte, 
Hange  meine  Hoffnung  dran; 
Spielt  der  Wind  mit  meinem  Blatte, 
Zittr'  ich,  was  ich  zittern  kann. 

Ach,  und  Silt  das  Blatt  zu  Boden, 
Fallt  mit  ihm  die  Hoffnung  ab, 
Fall'  ich  selber  mit  zu  Boden, 
Wein'  auf  meiner  Hoffnung  Grab. 

Im  J)otte 

Es  bellen  die  Hunde,  es  rasseln  die  Ketten. 
Die  Menschen  schnarchen  in  ihren  Betten, 
Traumen  sich  Manches,  was  sie  nicht  haben, 
Thun  sich  im  Guten  und  Argen  erlaben: 
Und  morgen  friih  ist  Alles  zerflossen.  - 
Je  nun,  sie  haben  ihr  Theil  genossen, 
Und  hoffen,  was  sie  noch  iibrig  liefien, 
Doch  wieder  zu  finden  auf  ihren  Kissen. 

Bellt  mich  nur  fort,  ihr  wachen  Hunde, 
Lafit  mich  nicht  ruhn  in  der  Schlummerstunde! 
Ich  bin  zu  Ende  mit  alien  Traumen  - 
Was  will  ich  unter  den  Schlafern  saumen? 


Wie  hat  der  Sturm  zerrissen 
Des  Himmels  graues  Kleid! 
Die  Wolkenfetzen  flattern 
Umher  in  mattem  Streit. 

Und  rothe  Feuerflammen 
Ziehn  zwischen  ihnen  hin. 
Das  nenn'  ich  einen  Morgen 
So  recht  nach  meinem  Sinn! 

Mein  Herz  sieht  an  dem  Himmel 
Gemalt  sein  eignes  Bild  - 
Es  ist  nichts  als  der  Winter, 
Der  Winter  kalt  und  wild! 

Ein  Licht  tanzt  freundlich  vor  mir  her; 
Ich  folg'  ihm  nach  die  Kreuz  und  Quer; 
Ich  folg'  ihm  gern,  und  seh's  ihm  an, 
Dafi  es  verlockt  den  Wandersmann. 
Ach,  wer  wie  ich  so  elend  ist, 
Giebt  gern  sich  hin  der  bunten  List, 
Die  hinter  Eis  und  Nacht  und  Graus 
Ihm  weist  ein  helles,  warmes  Haus, 
Und  eine  liebe  Seele  drin  - 
Nur  Tauschung  ist  fur  mich  Gewinn! 


43 


Was  vermeid'  ich  denn  die  Wege, 
Wo  die  andren  Wandrer  gehn, 
Suche  mir  versteckte  Stege 
Durch  verschneite  Felsenhohn? 

Habe  ja  doch  nichts  begangen, 
Dafi  ich  Menschen  sollte  scheun  - 
Welch  ein  thorichtes  Verlangen 
Treibt  mich  in  die  Wiistenein? 

Weiser  stehen  auf  den  Strafien, 
Weisen  auf  die  Stadte  zu, 
Und  ich  wandre  sonder  Mafien, 
Ohne  Ruh',  und  suche  Ruh'. 

Einen  Weiser  seh'  ich  stehen 
Unverriickt  vor  meinem  Blick; 
Eine  Strafie  muB  ich  gehen, 
Die  noch  Keiner  ging  zuriick. 


Auf  einen  Todtenacker 
Hat  mich  mein  Weg  gebracht. 
Allhier  will  ich  einkehren: 
Hab'  ich  bei  mir  gedacht. 

Ihr  griinen  Todtenkranze 
Konnt  wohl  die  Zeichen  sein, 
Die  miide  Wandrer  laden 
In's  kiihle  Wirthshaus  ein. 


Sind  denn  in  diesem  Hause 
Die  Kammern  all'  besetzt? 
Bin  matt  zum  Niedersinken 
Und  todtlich  schwer  verletzt. 

O  unbarmherz'ge  Schenke, 
Doch  weisest  du  mich  ab? 
Nun  weiter  denn,  nur  weiter, 
Mein  treuer  Wanderstab! 

J>f)S  11L1LUCHT 

In  die  tiefsten  Felsengriinde 
Lockte  mich  ein  Irrlicht  hin: 
Wie  ich  einen  Ausgang  finde, 
Liegt  nicht  schwer  mir  in  dem  Sinn. 

Bin  gewohnt  das  irre  Gehen, 
'S  fuhrt  ja  jeder  Weg  zum  Ziel: 
Unsre  Freuden,  unsre  Wehen, 
Alles  eines  Irrlichts  Spiel! 

Durch  des  Bergstroms  trockne  Rinnen 
Wind'  ich  ruhig  mich  hinab  - 
Jeder  Strom  wird  's  Meer  gewinnen, 
Jedes  Leiden  auch  ein  Grab. 


44 


XLfisr 


Nun  merk'  ich  erst,  wie  mud'  ich  bin, 
Da  ich  zur  Ruh'  mich  lege; 
Das  Wandern  hielt  mich  munter  hin 
Auf  unwirthbarem  Wege. 

Die  Fiifie  frugen  nicht  nach  Rast, 
Es  war  zu  kalt  zum  Stehen, 
Der  Riicken  fuhlte  keine  Last, 
Der  Sturm  half  fort  mich  wehen. 

In  eines  Kohlers  engem  Haus 
Hab'  Obdach  ich  gefunden; 
Doch  meine  Glieder  ruhn  nicht  aus: 
So  brennen  ihre  Wunden. 

Auch  du,  mein  Herz,  im  Kampf  und  Sturm 
So  wild  und  so  verwegen, 
Fiihlst  in  der  Still'  erst  deinen  Wurm 
Mit  heifiem  Stich  sich  regen! 

Drei  Sonnen  sah  ich  am  Himmel  stehn, 
Hab'  lang'  und  fest  sie  angesehn; 
Und  sie  auch  standen  da  so  stier, 
Als  konnten  sie  nicht  weg  von  mir. 
Ach,  meine  Sonnen  seid  ihr  nicht! 
Schaut  Andren  doch  in's  Angesicht! 
Ja,  neulich  hatt'  ich  auch  wohl  drei: 
Nun  sind  hinab  die  besten  zwei. 
Ging'  nur  die  dritt'  erst  hinterdrein! 
Im  Dunkel  wird  mir  wohler  sein. 


Ich  traumte  von  bunten  Blumen, 
So  wie  sie  wohl  bliihen  im  Mai, 
Ich  traumte  von  griinen  Wiesen, 
Von  lustigem  Vogelgeschrei. 

Und  als  die  Hahne  krahten, 
Da  ward  mein  Auge  wach; 
Da  war  es  kalt  und  finster, 
Es  schrieen  die  Raben  vom  Dach. 

Doch  an  den  Fensterscheiben 
Wer  malte  die  Blatter  da? 
Ihr  lacht  wohl  iiber  den  Trimmer, 
Der  Blumen  im  Winter  sah? 

Ich  traumte  von  Lieb'  um  Liebe, 
Von  einer  schonen  Maid, 
Von  Herzen  und  von  Kiissen, 
Von  Wonn'  und  Seligkeit. 

Und  als  die  Hahne  krahten, 
Da  ward  mein  Herze  wach; 
Nun  sitz'  ich  hier  alleine 
Und  denke  dem  Traume  nach. 

Die  Augen  schliefi'  ich  wieder, 
Noch  schlagt  das  Herz  so  warm. 
Wann  grunt  ihr  Blatter  am  Fenster? 
Wann  halt'  ich  dich,  Liebchen,  im  Arm? 


AS 


Wie  eine  triibe  Wolke 
Durch  heitre  Liifte  geht, 
Wann  in  der  Tanne  Wipfel 
Ein  mattes  Liiftchen  weht: 

So  zieh'  ich  meine  Strafie 
Dahin  mit  tragem  Fufi, 
Durch  helles,  frohes  Leben, 
Einsam  und  ohne  GruB. 

Ach,  dafi  die  Lust  so  ruhig! 
Ach,  daB  die  Welt  so  licht! 
Als  noch  die  Stiirme  tobten, 
War  ich  so  elend  nicht. 

Fliegt  der  Schnee  mir  in's  Gesicht, 
Schiittl'  ich  ihn  herunter. 
Wenn  mein  Herz  im  Busen  spricht, 
Sing'  ich  hell  und  munter. 

Hore  nicht,  was  es  mir  sagt, 
Habe  keine  Ohren. 
Fiihle  nicht,  was  es  mir  klagt, 
Klagen  ist  fur  Thoren. 

Lustig  in  die  Welt  hinein 
Gegen  Wind  und  Wetter! 
Will  kein  Gott  auf  Erden  sein, 
Sind  wir  selber  Gotter. 


Driiben  hinter'm  Dorfe 
Steht  ein  Leiermann, 
Und  mit  starren  Fingern 
Dreht  er  was  er  kann. 

Barfufi  auf  dem  Eise 
Schwankt  er  hin  und  her; 
Und  sein  kleiner  Teller 
Bleibt  ihm  immer  leer. 

Keiner  mag  ihn  horen, 
Keiner  sieht  ihn  an; 
Und  die  Hunde  brummen 
Um  den  alten  Mann. 

Und  er  lafit  es  gehen 
Alles,  wie  es  will, 
Dreht,  und  seine  Leier 
Steht  ihm  nimmer  still. 

Wunderlicher  Alter, 
Soil  ich  mit  dir  gehn? 
Willst  zu  meinen  Liedern 
Deine  Leier  drehn? 

gelesen  von  Rolf  Kaiser 


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