SfltitiLUNG J>EOTSCHeZ-
Urworte. Orphisch 2
Mir zur Feier 3
Im Abendrot 7
Dauer im Wechsel Q
Zwei Segel 9
Der Mensch 9
Ganymed 10
Lenzfahrt 11
An Schwager Kronos 12
Legt in die Hand das Schicksal 13
Das Lied von der Glocke 14
Menschliches Elende 21
An die Sternen 21
Threnen des Vatterlandes 22
Die Holle 22
Es ist alles eitel 23
Drei Gedichte aus 'Sangerleben' 24
Sie faule, verbummelte Schlampe 25
Die schone Miillerin 26
Die Winterreise 39
[Jiz.iooi2.re. Qh-phisch
von Johann Wolfgang von Goethe
Aavjaov, Damon
Wie an dem Tag, der dich der Welt verliehen,
Die Sonne stand zum Grufie der Planeten,
Bist alsobald und fort und fort gediehen
Nach dem Gesetz, wonach du angetreten.
So muBt du sein, dir kannst du nicht entfliehen,
So sagten schon Sibyllen, so Propheten;
Und keine Zeit und keine Macht zerstiickelt
Gepragte Form, die lebend sich entwickelt.
TuX1!. das Zufallige
Die strenge Grenze doch umgeht gefallig
Ein Wandelndes, das mit und um uns wandelt;
Nicht einsam bleibst du, bildest dich gesellig,
Und handelst wohl so, wie ein andrer handelt:
Im Leben ist's bald hin-, bald widerfallig,
Es ist ein Tand und wird so durchgetandelt.
Schon hat sich still der Jahre Kreis geriindet,
Die Lampe harrt der Flamme, die entziindet.
Epox;, Liebe
Die bleibt nicht aus! - Er stiirzt vom Himmel nieder,
Wohin er sich aus alter Ode schwang,
Er schwebt heran auf luftigem Gefieder
Um Stirn und Brust den Friihlingstag entlang,
Scheint jetzt zu fliehn, vom Fliehen kehrt er wieder,
Da wird ein Wohl im Weh, so sufi und bang.
Gar manches Herz verschwebt im Allgemeinen,
Doch widmet sich das edelste dem Einen.
AvayKT), Notigung
Da ist's denn wieder, wie die Sterne wollten:
Bedingung und Gesetz; und aller Wille
Ist nur ein Wollen, weil wir eben sollten,
Und vor dem Willen schweigt die Willkiir stille;
Das Liebste wird vom Herzen weggescholten,
Dem harten MuB bequemt sich Will und Grille.
So sind wir scheinfrei denn nach manchen Jahren
Nur enger dran, als wir am Anfang waren.
EA,7ii<;, Hoffnung
Doch solcher Grenze, solcher ehrnen Mauer
Hochst widerwart'ge Pforte wird entriegelt,
Sie stehe nur mit alter Felsendauer!
Ein Wesen regt sich leicht und ungeziigelt:
Aus Wolkendecke, Nebel, Regenschauer
Erhebt sie uns, mit ihr, durch sie beflugelt,
Ihr kennt sie wohl, sie schwarmt durch alle Zonen;
Ein Fliigelschlag - und hinter uns Aonen!
gelesen von Rolf Kaiser
Mm. Tun i?eiei2-
von Rainer Maria Rilke
Motto
Das ist die Sehnsucht: wohnen im Gewoge
und keine Heimat haben in der Zeit.
Und das sind Wiinsche: leise Dialoge
taglicher Stunden mit der Ewigkeit.
Und das ist Leben. Bis aus einem Gestern
die einsamste Stunde steigt,
die, anders lachelnd als die andern Schwestern,
dem Ewigen entgegenschweigt.
ICH lOILL eiN QMLTtN S€1N
Ich will ein Garten sein, an dessen Bronnen
die vielen Traume neue B lumen brachen,
die einen abgesondert und versonnen,
und die geeint in schweigsamen Gesprachen.
Und wo sie schreiten, iiber ihren Haupten
will ich mit Worten wie mit Wipfeln rauschen,
und wo sie ruhen, will ich den Betaubten
mit meinem Schweigen in den Schlummer lauschen.
tCH MILL NICHT UlNQEN NfiCH 2€M MOTEN /,£B£W
Ich will nicht langen nach dem lauten Leben
und keinen fragen nach dem fremden Tage:
Ich fTihle, wie ich weifie Bliiten trage,
die in der Kiihle ihre Kelche heben.
Es drangen Viele aus den Friihlingserden,
darinnen ihre Wurzeln Tiefen trinken,
um nicht mehr konnend in die Knie zu sinken
vor Sommern, die sie niemals segnen werden.
He/we ?TL\}HvetLueHN€N U&>ez-
Meine friihverliehnen
Lieder oft in der Ruh
iiberrankter Ruinen
sang ich dem Abend sie zu.
Hatte sie gerne zu Ronden
aneinandergereiht,
einer erwachsenen Blonden
als Geschenk und Geschmeid.
Aber unter alien
war ich einzig allein;
und so liefi ich sie fallen:
sie verrollten wie lose Korallen
weit in den Abend hinein.
ICH G£H JeTLT IMMOL DEN GLQCNEN p^f)S>
Die armen Worte, die im Alltag darben,
die unscheinbaren Worte, lieb ich so.
Aus meinen Festen schenk ich ihnen Farben,
da lacheln sie und werden langsam froh.
Ihr Wesen, das sie bang in sich bezwangen,
erneut sich deutlich, dass es jeder sieht;
sie sind noch niemals im Gesang gegangen
und schauernd schreiten sie in meinem Lied.
fiime Heiuoe aus flout
Arme Heilige aus Holz
kam meine Mutter beschenken;
und sie staunten stumm und stolz
hinter den harten Banken.
Haben ihrem heifien Miihn
sicher den Dank vergessen,
kannten nur das Kerzengluhn
ihrer kalten Messen.
Aber meine Mutter kam
ihnen Blumen geben.
Meine Mutter die Blumen nahm
alle aus meinem Leben.
Ich geh jetzt immer den gleichen Pfad:
am Garten entlang, wo die Rosen grad
Einem sich vorbereiten;
aber ich fiihle: noch lang, noch lang
ist das alles nicht mein Empfang,
und ich muss ohne Dank und Klang
ihnen voriiberschreiten.
Ich bin nur der, der den Zug beginnt,
dem die Gaben nicht galten;
bis die kommen, die seliger sind,
lichte, stille Gestalten, -
werden sich alle Rosen im Wind
wie rote Fahnen entfalten.
J>f)S 1ST 5>€tL TQG, IN DZM ICH mJWUG THTLON€
Das ist der Tag, in dem ich traurig throne,
das ist die Nacht, die mich ins Knieen warf;
da bet ich: dass ich einmal meine Krone
von meinem Haupte heben darf.
Lang muss ich ihrem dumpfen Drucke dienen,
darf ich zum Dank nicht einmal ihren blaun
Tiirkisen, ihren Rauten und Rubinen
erschauernd in die Augen schaun?
Vielleicht erstarb schon lang der Strahl der Steine,
es stahl sie mir vielleicht mein Gast, der Gram,
vielleicht auch waren in der Krone keine,
die ich bekam?...
4
Weifie Seelen mit den Silberschwingen,
Kinderseelen, die noch niemals sangen,-
die nur leis in immer weitern Ringen
zu dem Leben ziehn, vor dem sie bangen,
werdet ihr nicht euren Traum enttauschen,
wenn die Stimmen draufien euch erwachen,-
und ihr konnt aus tausend Taggerauschen
nicht mehr losen euer Liederlachen?
ICH %IN ZU HftJSe TttlSCH€N f/9S UWD TZ-ftJM
Ich bin zu Hause zwischen Tag und Traum.
Dort wo die Kinder schlafern, heifi vom Hetzen,
dort wo die Alten sich zu Abend setzen,
und Herde gliihn und hellen ihren Raum.
Ich bin zu Hause zwischen Tag und Traum.
Dort wo die Abendglocken klar verlangen
und Madchen, vom Verhallenden befangen,
sich miide stiitzen auf den Brunnensaum.
Und eine Linde ist mein Lieblingsbaum;
und alle Sommer, welche in ihr schweigen,
riihren sich wieder in den tausend Zweigen
und wachen wieder zwischen Tag und Traum.
Und einmal 16s ich in der Dammerung
der Pinien von Schulter und vom Schofi
mein dunkles Kleid wie eine Luge los
und tauche in die Sonne bleich und blofi
und zeige meinem Meere: ich bin jung.
Dann wird die Brandung sein wie ein Empfang,
den mir die Wogen festlich vorbereiten.
Und eine jede zittert nach der zweiten, -
wie soil ich ganz allein entgegenschreiten:
das macht mich bang...
Ich weifi: die hellgesellten Wellen weben
mir einen Wind;
und der erst beginnt,
so wird er wieder meine Arme heben -
£>U A)/J2. tiLLE Sf)NG€N
Du, den wir alle sangen,
du einziger und echter Christ,
du Kinderkonig, der du bist, -
ich bin allein: mein Alles ist
entgegen dir gegangen.
Du Mai, vor deinen Mienen
sieh mich bereit, die Arme weit:
dein Unmut, deine Zogerzeit,
dein Mut und deine Miidigkeit
hat alles Raum in ihnen...
s
Du wacher Wald, inmitten wehen Wintern
hast du ein Frahlingsfuhlen dir erkiihnt,
und leise lassest du dein Silber sintern,
damit ich seh, wie deine Sehnsucht grunt.
Und wie mich weiter deine Wege fuhren,
erkenn ich kein Wohin und kein Woher
und weifi: vor deinen Tie fen waren Tiiren-
und sind nicht mehr.
2>U MUSSr S>f)S /,£B£W NICHT \/€1LST€H€N
Du musst das Leben nicht verstehen,
dann wird es werden wie ein Fest.
Und lass dir jeden Tag geschehen
so wie ein Kind im Weitergehen von jedem Wehen
sich viele Bliiten schenken lasst.
Sie aufzusammeln und zu sparen,
das kommt dem Kind nicht in den Sinn.
Es lost sie leise aus den Haaren,
drin sie so gern gefangen waren,
und halt den lieben jungen Jahren
nach neuen seine Hande hin.
Ich mochte werden wie die ganz Geheimen:
Nicht auf der Stirne die Gedanken denken,
nur eine Sehnsucht reichen in den Reimen,
mit alien Blicken nur ein leises Keimen,
mit meinem Schweigen nur ein Schauern schenken.
Nicht mehr verraten und mich ganz verschanzen
und einsam bleiben; denn so tun die Ganzen:
Erst wenn, wie hingefallt von lichten Lanzen,
die laute Menge tief ins Knieen glitt,
dann heben sie die Herzen wie Monstranzen
aus ihrer Brust und segnen sie damit.
1/OJ2. LfMTOL UfMSCH€N \JNS> STfMN€N S€l STILL
Vor lauter Lauschen und Staunen sei still,
du mein tieftiefes Leben;
dass du weisst, was der Wind dir will,
eh noch die Birken beben.
Und wenn dir einmal das Schweigen sprach,
lass deine Sinne besiegen.
Jedem Hauche gieb dich, gieb nach,
er wird dich lieben und wiegen.
Und dann meine Seele sei weit, sei weit,
dass dir das Leben gelinge,
breite dich wie ein Feierkleid
iiber die sinnenden Dinge.
6
T&iUM£, 2/£ IN DEINEN flZttN 1MLLEN
Traume, die in deinen Tiefen wallen,
aus dem Dunkel lass sie alle los.
Wie Fontanen sind sie, und sie fallen
lichter und in Liederintervallen
ihren Schalen wieder in den Schofi.
Und ich weifi jetzt: wie die Kinder werde.
Alle Angst ist nur ein Anbeginn;
aber ohne Ende ist die Erde,
und das Bangen ist nur die Gebarde,
und die Sehnsucht ist ihr Sinn -
gelesen von Rolf Kaiser
IM flQZNPTLOr VON ^fOSPEH
Wir sind durch Not und Freude
Gegangen Hand in Hand,
Vom Wandern ruhn wir beide
Nun iiberm stillen Land.
Rings sich die Taler neigen,
Es dunkelt schon die Luft,
Zwei Lerchen nur noch steigen
Nachtraumend in den Duft.
Tritt her, und lafi sie schwirren,
Bald ist es Schlafenszeit,
Dafi wir uns nicht verirren
In dieser Einsamkeit.
O weiter, stiller Friede!
So tief im Abendrot
Wie sind wir wandermiide -
Ist das etwa der Tod?
von Eichendorff
gelesen von Rolf Kaiser
1
von Johann Wolfgang von Goethe
Hielte diesen friihen Segen,
Ach, nur eine Stunde fest!
Aber vollen Bliitenregen
Schiittelt schon der laue West.
Soil ich mich des Griinen freuen,
Dem ich Schatten erst verdankt?
Bald wird Sturm auch das zerstreuen,
Wenn es falb im Herbst geschwankt.
Willst du nach den Friichten greifen,
Eilig nimm dein Teil davon!
Diese fangen an zu reifen,
Und die andern keimen schon;
Gleich mit jedem Regengusse
Andert sich dein holdes Tal,
Ach, und in demselben Flusse
Schwimmst du nicht zum zweitenmal.
Du nun selbst! Was felsenfeste
Sich vor dir hervorgetan,
Mauern siehst du, siehst Palaste
Stets mit andern Augen an.
Weggeschwunden ist die Lippe,
Die im Kusse sonst genas,
Jener Fufi, der an der Klippe
Sich mit Gemsenfreche mafi,
Jene Hand, die gern und milde
Sich bewegte, wohlzutun,
Das gegliederte Gebilde,
Alles ist ein andres nun.
Und was sich an jener Stelle
Nun mit deinem Namen nennt,
Kam herbei wie eine Welle,
Und so eilt's zum Element.
Lafi den Anfang mit dem Ende
Sich in eins zusammenziehn!
Schneller als die Gegenstande
Selber dich voriiberfliehn.
Danke, dafi die Gunst der Musen
Unvergangliches verheifit,
Den Gehalt in deinem Busen
Und die Form in deinem Geist.
gelesen von Rolf Kaiser
von Conrad Ferdinand Meyer
Zwei Segel erhellend
Die tiefblaue Bucht!
Zwei Segel sich schwellend
Zu ruhiger Flucht!
Wie eins in den Winden
Sich wolbt und bewegt,
Wird auch das Empfinden
Des andern erregt.
Begehrt eins zu hasten,
Das andre geht schnell,
Verlangt eins zu rasten,
Ruht auch sein Gesell.
gelesen von Rolf Kaiser
von Matthias Claudius
Empfangen und genahret
Vom Weibe wunderbar
Kommt er und sieht und horet,
Und nimmt des Trugs nicht wahr;
Geliistet und begehret,
Und bringt sein Tranlein dar;
Verachtet, und verehret;
Hat Freude, und Gefahr;
Glaubt, zweifelt, wahnt und lehret,
Halt nichts, und alles wahr;
Erbauet, und zerstoret;
Und qualt sich immerdar;
Schlaft, wachet, wachst, und zehret;
Tragt braun und graues Haar etc.
Und alles dieses wahret,
Wenn's hoch kommt, achtzig Jahr.
Denn legt er sich zu seinen Vatern nieder,
Und er kommt nimmer wieder.
gelesen von Rolf Kaiser
9
von Johann Wolfgang von Goethe
Wie im Morgenglanze
Du rings mich angliihst,
Friihling, Geliebter!
Mit tausendfacher Liebeswonne
Sich an mein Herz drangt
Deiner ewigen Warme Heilig GefTihl,
Unendliche Schone!
Dafi ich dich fassen mocht
In diesen Arm!
Ach, an deinem Busen
Lieg ich, schmachte,
Und deine Blumen, dein Gras
Drangen sich an mein Herz.
Du kiihlst den brennenden
Durst meines Busens,
Lieblicher Morgenwind!
Ruft drein die Nachtigall
Liebend nach mir aus dem Nebeltal.
Ich komm, ich komme!
Wohin? Ach, wohin?
Hinauf! Hinauf strebt's.
Es schweben die Wolken
Abwarts, die Wolken
Neigen sich der sehnenden Liebe.
Mir! Mir!
In euerm Schofie
Aufwarts!
Umfangend umfangen!
Aufwarts an deinen Busen,
Alliebender Vater!
gelesen von Rolf Kaiser
10
Am Himmel wachst der Sonne Glut,
Aufquillt der See, das Eis zersprang,
Das erste Segel teilt die Flut,
Mir schwillt das Herz wie Segeldrang.
Zu wandern ist das Herz verdammt,
Das seinen Jugendtag versaumt,
Sobald die Lenzessonne flammt,
Sobald die Welle wieder schaumt.
Verscherzte Jugend ist ein Schmerz
Und einer ew'gen Sehnsucht Hort,
Nach seinem Lenze sucht das Herz
In einem fort, in einem fort!
Und ob die Locke dir ergraut
Und bald das Herz wird stillestehn,
Noch muB es, wann die Welle blaut,
Nach seinem Lenze wandern gehn.
von Conrad Ferdinand Meyer
gelesen von Rolf Kaiser
11
von Johann Wolfgang von Goethe
Spute dich, Kronos!
Fort den rasselnden Trott!
Bergab gleitet der Weg;
Ekles Schwindeln zogert
Mir vor die Stirne dein Zaudern.
Frisch, holpert es gleich,
Uber Stock und Steine den Trott
Rasch ins Leben hinein!
Nun schon wieder
Den eratmenden Schritt
Miihsam Berg hinauf!
Auf denn, nicht trage denn,
Strebend und hoffend hinan!
Weit, hoch, herrlich der Blick
Rings ins Leben hinein;
Vom Gebirg zum Gebirg
Schwebet der ewige Geist,
Ewigen Lebens ahndevoll.
Seitwarts des Uberdachs Schatten
Zieht dich an
Und ein Frischung verheifiender Blick
Auf der Schwelle des Madchens da.
Labe dich! - Mir auch, Madchen,
Diesen schaumenden Trank,
Diesen frischen Gesundheitsblick!
Ab denn, rascher hinab!
Sieh, die Sonne sinkt!
Eh sie sinkt, eh mich Greisen
Ergreift im Moore Nebelduft,
Entzahnte Kiefer schnattern
Und das schlotternde Gebein -
Trunknen vom letzten Strahl
Reifi mich, ein Feuermeer
Mir im schaumenden Aug,
Mich geblendeten Taumelnden
In der Holle nachtliches Tor.
Tone, Schwager, ins Horn,
Rafile den schallenden Trab,
DaB der Orkus vernehme: wir kommen,
Dafi gleich an der Tike
Der Wirt uns freundlich empfange.
gelesen von Rolf Kaiser
Ljzgt in die Hms> MS
von Wilhelm Raabe
Legt in die Hand das Schicksal dir ein Gliick
MuBt du ein andres wieder fallen lassen;
Schmerz wie Gewinn erhaltst du Stuck um Stuck,
Und Tiefersehntes wirst du bitter hassen.
Des Menschen Hand ist eine Kinderhand,
Sie greift nur zu, um achtlos zu zerstoren;
Mit Trummern iiberstreuet sie das Land,
Und was sie halt, wird ihr doch nie gehoren.
Des Menschen Hand ist eine Kinderhand,
Sein Herz ein Kinderherz im heftgen Trachten.
Greif zu und halt! ... Da liegt der bunte Tand;
Und klagen miissen nun, die eben lachten.
Legt in die Hand das Schicksal dir den Kranz,
So muBt die schonste Pracht du selbst zerpflucken;
Zerstoren wirst du selbst des Lebens Glanz
Und weinen iiber den zerstreuten Stiicken.
gelesen von Rolf Kaiser
13
S>ftS VON POL QLQCkZ
von Friedrich Schiller
Vivos voco
Mortuos plango
Fulgura frango
Fest gemauert in der Erden
Steht die Form, aus Lehm gebrannt.
Heute muB die Glocke werden,
Frisch, Gesellen, seid zur Hand.
Von der Stirne heifi
Rinnen muB der Schweifi,
Soil das Werk den Meister loben,
Doch der Segen kommt von oben.
Zum Werke, das wir ernst bereiten,
Geziemt sich wohl ein ernstes Wort;
Wenn gute Reden sie begleiten,
Dann fliefit die Arbeit munter fort.
So lafit uns jetzt mit Fleifi betrachten,
Was durch die schwache Kraft entspringt,
Den schlechten Mann muB man verachten,
Der nie bedacht, was er vollbringt.
Das ists ja, was den Menschen zieret,
Und dazu ward ihm der Verstand,
Dafi er im innern Herzen spiiret,
Was er erschafft mit seiner Hand.
Nehmet Holz vom Fichtenstamme,
Doch recht trocken lafit es sein,
Dafi die eingeprefite Flamme
Schlage zu dem Schwalch hinein.
Kocht des Kupfers Brei,
Schnell das Zinn herbei,
Dafi die zahe Glockenspeise
Fliefie nach der rechten Weise.
Was in des Dammes tiefer Grube
Die Hand mit Feuers Hiilfe baut,
Hoch auf des Turmes Glockenstube
Da wird es von uns zeugen laut.
Noch dauern wirds in spaten Tagen
Und riihren vieler Menschen Ohr
Und wird mit dem Betriibten klagen
Und stimmen zu der Andacht Chor.
Was unten tief dem Erdensohne
Das wechselnde Verhangnis bringt,
Das schlagt an die metallne Krone,
Die es erbaulich weiterklingt.
Weifie Blasen seh ich springen,
Wohl! die Massen sind im Flufi.
Lafits mit Aschensalz durchdringen,
Das befordert schnell den Gufi.
Auch von Schaume rein
MuB die Mischung sein,
Dafi vom reinlichen Metalle
Rein und voll die Stimme schalle.
Denn mit der Freude Feierklange
Begriifit sie das geliebte Kind
Auf seines Lebens erstem Gange,
Den es in Schlafes Arm beginnt;
Ihm ruhen noch im Zeitenschofie
Die schwarzen und die heitern Lose,
Der Mutterliebe zarte Sorgen
Bewachen seinen goldnen Morgen. -
Die Jahre fliehen pfeilgeschwind.
Vom Madchen reifit sich stolz der Knabe,
Er stiirmt ins Leben wild hinaus,
Durchmifit die Welt am Wanderstabe.
Fremd kehrt er heim ins Vaterhaus,
Und herrlich, in der Jugend Prangen,
Wie ein Gebild aus Himmelshohn,
Mit ziichtigen, verschamten Wangen
Sieht er die Jungfrau vor sich stehn.
Da fafit ein namenloses Sehnen
Des Junglings Herz, er irrt allein,
Aus seinen Augen brechen Tranen,
Er flieht der Briider wilden Reihn.
Errotend folgt er ihren Spuren
Und ist von ihrem Grufi begliickt,
Das Schonste sucht er auf den Fluren,
Womit er seine Liebe schmiickt.
O! zarte Sehnsucht, suites Hoffen,
Der ersten Liebe goldne Zeit,
Das Auge sieht den Himmel offen,
Es schwelgt das Herz in Seligkeit.
O! dafl sie ewig griinen bliebe,
Die schone Zeit der jungen Liebe!
Wie sich schon die Pfeifen braunen!
Dieses Stabchen tauch ich ein,
Sehn wirs iiberglast erscheinen,
Wirds zum Gusse zeitig sein.
Jetzt, Gesellen, frisch!
Priift mir das Gemisch,
Ob das Sprode mit dem Weichen
Sich vereint zum guten Zeichen.
Denn wo das Strenge mit dem Zarten,
Wo Starkes sich und Mildes paarten,
Da gibt es einen guten Klang.
Drum prufe, wer sich ewig bindet,
Ob sich das Herz zum Herzen findet!
Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang.
Lieblich in der Braute Locken
Spielt der jungfrauliche Kranz,
Wenn die hellen Kirchenglocken
Laden zu des Festes Glanz.
Ach! des Lebens schonste Feier
Endigt auch den Lebensmai,
Mit dem Giirtel, mit dem Schleier
Reifit der schone Wahn entzwei.
Die Leidenschaft flieht!
Die Liebe muB bleiben,
Die Blume verbliiht,
Die Frucht mufi treiben.
Der Mann mufi hinaus
Ins feindliche Leben,
Mufi wirken und streben
Und pflanzen und schaffen,
Erlisten, erraffen,
Mufi wetten und wagen,
Das Gliick zu erjagen.
Da stromet herbei die unendliche Gabe,
Es fiillt sich der Speicher mit kostlicher Habe,
Die Raume wachsen, es dehnt sich das Haus.
Und drinnen waltet
Die ziichtige Hausfrau,
Die Mutter der Kinder,
Und herrschet weise
Im hauslichen Kreise,
Und lehret die Madchen
Und wehret den Knaben,
Und reget ohn Ende
Die fleifiigen Hande,
15
Und mehrt den Gewinn
Mit ordnendem Sinn.
Und fullet mit Schatzen die duftenden Laden,
Und dreht um die schnurrende Spindel den Faden,
Und sammelt im reinlich geglatteten Schrein
Die schimmernde Wolle, den schneeigten Lein,
Und fuget zum Guten den Glanz und den Schimmer,
Und ruhet nimmer.
Und der Vater mit frohem Blick
Von des Hauses weitschauendem Giebel
Uberzahlet sein bliihend Gliick,
Siehet der Pfosten ragende Baume
Und der Scheunen gefullte Raume
Und die Speicher, vom Segen gebogen,
Und des Kornes bewegte Wogen,
Riihmt sich mit stolzem Mund:
Fest, wie der Erde Grund,
Gegen des Ungliicks Macht
Steht mir des Hauses Pracht!
Doch mit des Geschickes Machten
1st kein ewger Bund zu flechten,
Und das Ungliick schreitet schnell.
Wohl! Nun kann der Gufi beginnen,
Schon gezacket ist der Bruch.
Doch, bevor wirs lassen rinnen,
Betet einen frommen Spruch!
Stofit den Zapfen aus!
Gott bewahr das Haus.
Rauchend in des Henkels Bogen
Schiefits mit feuerbraunen Wogen.
Wohltatig ist des Feuers Macht,
Wenn sie der Mensch bezahmt, bewacht,
Und was er bildet, was er schafft,
Das dankt er dieser Himmelskraft,
Doch furchtbar wird die Himmelskraft,
Wenn sie der Fessel sich entrafft,
Einhertritt auf der eignen Spur
Die freie Tochter der Natur.
Wehe, wenn sie losgelassen
Wachsend ohne Widerstand
Durch die volkbelebten Gassen
Walzt den ungeheuren Brand!
Denn die Elemente hassen
Das Gebild der Menschenhand.
Aus der Wolke
Quillt der Segen,
Stromt der Regen,
Aus der Wolke, ohne Wahl,
Zuckt der Strahl!
Hort ihrs wimmern hoch vom Turm?
Das ist Sturm!
Rot wie Blut
Ist der Himmel,
Das ist nicht des Tages Glut!
Welch Getiimmel
Strafien auf!
Dampf wallt auf!
Flackernd steigt die Feuersaule,
Durch der Strafie lange Zeile
Wachst es fort mit Windeseile,
Kochend wie aus Ofens Rachen
Gliihn die Liifte, Balken krachen,
Pfosten stiirzen, Fenster klirren,
Kinder jammern, Mutter irren,
Tiere wimmern
Unter Trummern,
Alles rennet, rettet, fliichtet,
16
Taghell ist die Nacht gelichtet,
Durch der Hande lange Kette
Um die Wette
Fliegt der Eimer, hoch im Bogen
Spriitzen Quellen, Wasserwogen.
Heulend kommt der Sturm geflogen,
Der die Flamme brausend sucht.
Prasselnd in die diirre Frucht
Fallt sie, in des Speichers Raume,
In der Sparren diirre Baume,
Und als wollte sie im Wehen
Mit sich fort der Erde Wucht
Reifien, in gewaltger Flucht,
Wachst sie in des Himmels Hohen
Riefiengrofi!
Hoffnungslos
Weicht der Mensch der Gotterstarke,
Miifiig sieht er seine Werke
Und bewundernd untergehen.
Leergebrannt
Ist die Statte,
Wilder Sturme rauhes Bette,
In den oden Fensterhohlen
Wohnt das Grauen,
Und des Himmels Wolken schauen
Hoch hinein.
Einen Blick
Nach dem Grabe
Seiner Habe
Sendet noch der Mensch zuriick -
Greift frohlich dann zum Wanderstabe,
Was Feuers Wut ihm auch geraubt,
Ein siifier Trost ist ihm geblieben,
Er zahlt die Haupter seiner Lieben,
Und sieh! ihm fehlt kein teures Haupt.
In die Erd ists aufgenommen,
Gliicklich ist die Form gefullt,
Wirds auch schon zutage kommen,
Dafi es Fleifi und Kunst vergilt?
Wenn der Gufi mifilang?
Wenn die Form zersprang?
Ach! vielleicht, indem wir hoffen,
Hat uns Unheil schon getroffen.
Dem dunkeln Schofi der heilgen Erde
Vertrauen wir der Hande Tat,
Vertraut der Samann seine Saat
Und hofft, dafi sie entkeimen werde
Zum Segen, nach des Himmels Rat.
Noch kostlicheren Samen bergen
Wir traurend in der Erde Schofi
Und hoffen, dafi er aus den Sargen
Erbluhen soil zu schonerm Los.
Von dem Dome,
Schwer und bang,
Tont die Glocke
Grabgesang.
Ernst begleiten ihre Trauerschlage
Einen Wandrer auf dem letzten Wege.
Ach! die Gattin ists, die teure,
Ach! es ist die treue Mutter,
Die der schwarze Fiirst der Schatten
Wegfiihrt aus dem Arm des Gatten,
Aus der zarten Kinder Schar,
Die sie bliihend ihm gebar,
17
Die sie an der treuen Brust
Wachsen sah mit Mutterlust -
Ach! des Hauses zarte Bande
Sind gelost auf immerdar,
Denn sie wohnt im Schattenlande,
Die des Hauses Mutter war,
Denn es fehlt ihr treues Walten,
Ihre Sorge wacht nicht mehr,
An verwaister Statte schalten
Wird die Fremde, liebeleer.
Bis die Glocke sich verkiihlet,
Lafit die strenge Arbeit ruhn,
Wie im Laub der Vogel spielet,
Mag sich jeder giitlich tun.
Winkt der Sterne Licht,
Ledig aller Pflicht
Hort der Pursch die Vesper schlagen,
Meister muB sich immer plagen.
Munter fordert seine Schritte
Fern im wilden Forst der Wandrer
Nach der lieben Heimathiitte.
Blokend ziehen
Heim die Schafe,
Und der Rinder
Breitgestirnte, glatte Scharen
Kommen briillend,
Die gewohnten Stalle fiillend.
Schwer herein
Schwankt der Wagen,
Kornbeladen,
Bunt von Farben
Auf den Garben
Liegt der Kranz,
Und das junge Volk der Schnitter
Fliegt zum Tanz.
Markt und Strafie werden stiller,
Um des Lichts gesellge Flamme
Sammeln sich die Hausbewohner,
Und das Stadttor schliefit sich knarrend.
Schwarz bedecket
Sich die Erde,
Doch den sichern Burger schrecket
Nicht die Nacht,
Die den Bosen grafilich wecket,
Denn das Auge des Gesetzes wacht.
Hedge Ordnung, segenreiche
Himmelstochter, die das Gleiche
Frei und leicht und freudig bindet,
Die der Stadte Bau gegriindet,
Die herein von den Gefilden
Rief den ungesellgen Wilden,
Eintrat in der Menschen Hiitten,
Sie ge wohnt zu sanften Sitten
Und das teuerste der Bande
Wob, den Trieb zum Vaterlande!
Tausend fleifige Hande regen,
Helfen sich in munterm Bund,
Und in feurigem Bewegen
Werden alle Krafte kund.
Meister ruhrt sich und Geselle
In der Freiheit heilgem Schutz.
Jeder freut sich seiner Stelle,
Bietet dem Verachter Trutz.
Arbeit ist des Burgers Zierde,
Segen ist der Miihe Preis,
Ehrt den Konig seine Wiirde,
18
Ehret uns der Hande Fleifi.
Holder Friede,
Siifie Eintracht,
Weilet, weilet
Freundlich iiber dieser Stadt!
Moge nie der Tag erscheinen,
Wo des rauhen Krieges Horden
Dieses stille Tal durchtoben,
Wo der Himmel,
Den des Abends sanfte Rote
Lieblich malt,
Von der Dorfer, von der Stadte
Wildem Brande schrecklich strahlt!
Nun zerbrecht mir das Gebaude,
Seine Absicht hats erfullt,
Dafi sich Herz und Auge weide
An dem wohlgelungnen Bild.
Schwingt den Hammer, schwingt,
Bis der Mantel springt,
Wenn die Glock soil auferstehen,
MuB die Form in Stiicken gehen.
Der Meister kann die Form zerbrechen
Mit weiser Hand, zur rechten Zeit,
Doch wehe, wenn in Flammenbachen
Das gliihnde Erz sich selbst befreit!
Blindwiitend mit des Donners Krachen
Zersprengt es das geborstne Haus,
Und wie aus offnem Hollenrachen
Speit es Verderben ziindend aus;
Wo rohe Krafte sinnlos walten,
Da kann sich kein Gebild gestalten,
Wenn sich die Volker selbst befrein,
Da kann die Wohlfahrt nicht gedeihn.
Weh, wenn sich in dem Schofi der Stadte
Der Feuerzunder still gehauft,
Das Volk, zerreifiend seine Kette,
Zur Eigenhilfe schrecklich greift!
Da zerret an der Glocke Strangen
Der Aufruhr, dafi sie heulend schallt
Und, nur geweiht zu Friedensklangen,
Die Losung anstimmt zur Gewalt.
Freiheit und Gleichheit! hort man schallen,
Der ruhge Burger greift zur Wehr,
Die Strafien fullen sich, die Hallen,
Und Wiirgerbanden ziehn umher,
Da werden Weiber zu Hyanen
Und treiben mit Entsetzen Scherz,
Noch zuckend, mit des Panthers Zahnen,
Zerreifien sie des Feindes Herz.
Nichts Heiliges ist mehr, es losen
Sich alle Bande frommer Scheu,
Der Gute raumt den Platz dem Bosen,
Und alle Laster walten frei.
Gefahrlich ists, den Leu zu wecken,
Verderblich ist des Tigers Zahn,
Jedoch der schrecklichste der Schrecken,
Das ist der Mensch in seinem Wahn.
Weh denen, die dem Ewigblinden
Des Lichtes Himmelsfackel leihn!
Sie strahlt ihm nicht, sie kann nur ziinden
Und aschert Stadt und Lander ein.
Freude hat mir Gott gegeben!
Sehet! wie ein goldner Stern
Aus der Hiilse, blank und eben,
19
Schalt sich der metallne Kern.
Von dem Helm zum Kranz
Spielts wie Sonnenglanz,
Auch des Wappens nette Schilder
Loben den erfahrnen Bilder.
Herein! herein!
Gesellen alle, schliefit den Reihen,
Dafi wir die Glocke taufend weihen,
Concordia soil ihr Name sein,
Zur Eintracht, zu herzinnigem Vereine
Versammle sie die liebende Gemeine.
Und dies sei fortan ihr Beruf,
Wozu der Meister sie erschuf!
Hoch iiberm niedern Erdenleben
Soil sie in blauem Himmelszelt
Die Nachbarin des Donners schweben
Und grenzen an die Sternenwelt,
Soil eine Stimme sein von oben,
Wie der Gestirne helle Schar,
Die ihren Schopfer wandelnd loben
Und fuhren das bekranzte Jahr.
Nur ewigen und ernsten Dingen
Sei ihr metallner Mund geweiht,
Und stiindlich mit den schnellen Schwingen
Beriihr im Fluge sie die Zeit,
Dem Schicksal leihe sie die Zunge,
Selbst herzlos, ohne Mitgefiihl,
Begleite sie mit ihrem Schwunge
Des Lebens wechselvolles Spiel.
Und wie der Klang im Ohr vergehet,
Der machtig tonend ihr entschallt,
So lehre sie, dafi nichts bestehet,
Das alles Irdische verhallt.
Jetzo mit der Kraft des Stranges
Wiegt die Glock mir aus der Gruft,
Dafi sie in das Reich des Klanges
Steige, in die Himmelsluft.
Ziehet, ziehet, hebt!
Sie bewegt sich, schwebt,
Freude dieser Stadt bedeute,
Friede sei ihr erst Gelaute.
gelesen von Christian Al-Kadi
20
Memschuches Blende
von Andreas Gryphius
Was sind wir menschen doch? ein wohnhaus grimmer schmertzen.
Ein baall des falschen glucks/ ein irrlicht dieser zeit.
Ein schawplatz herber angst/ vnd wiederwertikeit/
Ein bald verschmeltzter schnee vnd abgebrante kertzen.
Dis leben fleucht davon wie ein geschwatz vnd schertzen.
Die vor vns abgelegt des schwachen leibes kleidt
Vnd in das todten buch der grossen sterblikeit
Langst eingeschrieben sind/ sind vns aus sinn vnd hertzen.
Gleich wie ein eitell traum leicht aus der acht hinfalt
Vnd wie ein strom verscheust/ den keine macht auffhalt/
So mus auch vnser nahm/ lob ehr vnd ruhm verschwinden.
Was itzund athem holt/ fait vnversehns dahin:
Was nach vns kommen wird/ wird vns ins grab nach zihn.
Was sag ich? wir vergehn gleich als ein rauch von winden.
gelesen von Christian Al-Kadi
ftN DIE S^EV-NEN
von Andreas Gryphius
Ihr lichter die ich nicht auff erden saat kan schawen/
Ihr fackeln die ihr stets das weite firmament
Mitt ewren flammen ziert/ vndt ohn auffhoren brent;
Ihr blumen die ihr schmiickt des grossen himmels awen
Ihr wachter/ die als Gott die welt auff wolte bawen;
Sein wortt die weisheit selbst mitt rechten nahmen nent
Die Gott allein recht misst/ die Gott allein recht kent
(Wir blinden sterb lichen! was wollen wir vns trawen!)
Ihr biirgen meiner lust/ wie manche schone nacht
Hab ich/ in dem ich euch betrachtete gewacht?
Regirer vnser zeitt/ wen wird es doch geschehen?
Das ich/ der ewer nicht alhier vergessen kan/
Euch/ derer libe mir steckt hertz vndt Geister an
Von andern Sorgen frey was naher werde sehen.
gelesen von Christian Al-Kadi
von Andreas Gryphius
Anno 1636
Wir sindt doch nuhmer gantz/ ja mehr den gantz verheret!
Der frechen volcker schaar/ die rasende posaun
Das vom blutt fette schwerdt/ die donnernde Carthaun
Hatt aller schweis/ vnd fleis/ vnd vorraht auff gezehret.
Die turme stehn in glutt/ die Kirch ist vmbgekehret.
Das Rahthaus ligt im graus/ die starcken sind zerhawn.
Die Jungfrawn sindt geschandt/ vnd wo wir hin nur schawn
Ist fewer/ pest/ vnd todt der hertz vndt geist durchfehret.
Hier durch die schantz vnd Stadt/ rint alzeit frisches blutt.
Dreymall sindt schon sechs jahr als vnser strome fiutt
Von so viel leichen schwer/ sich langsam fortgedrungen.
Doch schweig ich noch von dem was arger als der todt.
Was grimmer den die pest/ vndt glutt vndt hungers noth
Das nun der Selen schatz/ so vielen abgezwungen.
gelesen von Christian Al-Kadi
von Andreas Gryphius
Ach! vnd weh!
Mord! Zetter! Jammer! Angst! Creutz! Marter! Wiirme! Plagen.
Pech! Folter! Hencker! Fla i! stanck! Geister! kalte! Zagen!
Ach vergeh!
Tieff vnd Hoh'!
Meer! Hiigel! Berge! Felfi! wer kan die Pein ertragen?
Schluck abgrund! ach schluck' eyn! die nichts denn ewig klagen.
Je vnd Eh!
Schreckliche Geister der tunckelen holen/ Ihr die jhr martert vnd Marter
erduldet
Kan denn der ewigen Ewigkeit Fewer/ nimmermehr biissen dis was jhr
verschuldet?
O grausamm' Angst/ stets sterben sonder sterben/
Difi ist die Flamme der grimmigen Rache/ die der erhitzete Zorn
angeblasen:
Hier ist der Fluch der vnendlichen Straffe; hier ist das jmmerdar wachsende
rasen:
O MenscbJVerdirb/ vmb hier nicht zuverderben.
gelesen von Christian Al-Kadi
&S 1ST fiLLES EITEL
von Andreas Gryphius
DV sihst / wohin du sihst nur Eitelkeit auff Erden.
Was dieser heute baut / reist jener morgen ein:
Wo itzund Stadte stehn / wird eine Wiesen seyn /
Auff der ein Schafers-Kind wird spielen mit den Herden.
Was itzund prachtig bliiht / sol bald zutretten werden.
Was itzt so pocht vnd trotzt ist morgen Asch vnd Bein /
Nichts ist / das ewig sey / kein Ertz / kein Marmorstein.
Itzt lacht das Gliick vns an / bald donnern die Beschwerden.
Der hohen Thaten Ruhm muB wie ein Traum vergehn.
Soil denn das Spiel der Zeit / der leichte Mensch bestehn?
Ach! was ist alles difi / was wir vor kostlich achten /
Als schlechte Nichtigkeit / als Schatten / Staub vnd Wind;
Als eine Wiesen-Blum / die man nicht wider find't.
Noch wil was ewig ist kein einig Mensch betrachten!
gelesen von Christopher Arndt
23
'S$HQ€XLU£££J4J
von Joseph von Eichendorff
SMGZH kfiNN ICH NICHT £U ...
Singen kann ich nicht wie du
Und wie ich nicht der und jener,
Kannst du's besser, sing frisch zu!
Andre singen wieder schoner,
Droben an dem Himmelstor
Wird's ein wunderbarer Chor.
Springer, der in luft'gem Schreiten
Uber die gemeine Welt,
Kokettieret mit den Leuten,
Sicherlich vom Seile fallt.
Schiffer, der nach jedem Winde
Bias er witzig oder dumm,
Seine Segel stellt geschwinde,
Kommt im Wasser schmahlich um.
Weisen Sterne doch die Richtung,
Horst du nachts doch fernen Klang,
Dorthin liegt das Land der Dichtung,
Fahre zu und frag nicht lang.
Schlaft ein Lied in alien Dingen,
Die da traumen fort und fort,
Und die Welt hebt an zu singen,
Triffst du nur das Zauberwort.
gelesen von Christopher Arndt
24
5Ve ?fiuLe, veg-WMMeLre
von Joachim Ringelnatz
»Sie faule, verbummelte Schlampe,«
Sagte der Spiegel zur Lampe.
»Sie altes, schmieriges Scherbenstiick,«
Gab die Lampe dem Spiegel zuriick.
Der Spiegel in seiner Erbitterung
Bekam einen ganz gewaltigen Sprung.
Der zornigen Lampe verging die Puste.
Sie fauchte, rauchte, schwelte und rufite.
Das Stubenmadchen liefi beide in Ruhe
Und doch: Ihr schob man die Schuld in die Schuhe.
gelesen von Christopher Arndt
25
2>/e SCHONC MQll&lin
(Im Winter zu lesen.)
J)lCHT€tL, tiLS pTLQLOG
Ich lad' euch, schone Damen, kluge Herrn,
Und die ihr hort und schaut was Gutes gem,
Zu einem funkelnagelneuen Spiel
Im allermnkelnagelneusten Styl;
Schlicht ausgedrechselt, kunstlos zugestutzt,
Mit edler deutscher Rohheit aufgeputzt,
Keck wie ein Bursch im Stadtsoldatenstraufi,
Dazu wohl auch ein wenig fromm fur's Haus:
Das mag genug mir zur Empfehlung sein,
Wem die behagt, der trete nur herein.
Erhoffe, weil es grad' ist Winterzeit,
Thut euch ein Stundlein hier im Griin nicht Leid;
Denn wifit es nur, dafi heut' in meinem Lied
Der Lenz mit alien seinen Blumen bliiht.
Im Freien geht die freie Handlung vor,
In reiner Luft, weit von der Stadte Thor,
Durch Wald und Feld, in Griinden, auf den Hohn;
Und was nur in vier Wanden darf geschehn,
Das schaut ihr halb durch' s offne Fenster an,
So ist der Kunst und euch genug gethan.
von Wilhelm Muller
Doch wenn ihr nach des Spiels Personen fragt,
So kann ich euch, den Musen sei's geklagt,
Nur eine prasentiren recht und acht,
Das ist ein junger blonder Miillersknecht.
Denn, ob der Bach zuletzt ein Wort auch spricht,
So wird ein Bach deshalb Person noch nicht.
Drum nehmt nur heut' das Monodram vorlieb:
Wer mehr giebt, als er hat, der heifit ein Dieb.
Auch ist dafur die Szene reich geziert,
Mit griinem Sammet unten tapeziert,
Der ist mit tausend Blumen bunt gestickt,
Und Weg und Steg dariiber ausgedriickt.
Die Sonne strahlt von oben hell herein
Und bricht in Thau und Thranen ihren Schein,
Und auch der Mond blickt aus der Wolken Flor
Schwermuthig, wie's die Mode will, hervor.
Den Hintergrund umkranzt ein hoher Wald,
Der Hund schlagt an, das muntre Jagdhorn schallt;
Hier stiirzt vom schroffen Fels der junge Quell
Und fliefit im Thai als Bachlein silberhell;
Das Miihlrad braust, die Werke klappem drein,
Man hort die Voglein kaum im nahen Hain.
Drum denkt, wenn euch zu rauh manch Liedchen klingt,
Dafi das Lokal es also mit sich bringt.
Doch, was das Schonste bei den Radern ist,
Das wird euch sagen mein Monodramist;
Verrieth' ich's euch, verdiirb' ich ihm das Spiel:
Gehabt euch wohl und amiisirt euch viel!
Das Wandern ist des Mullers Lust,
Das Wandern!
Das muB ein schlechter Miiller sein,
Dem niemals fiel das Wandern ein,
Das Wandern.
Vom Wasser haben wir's gelernt,
Vom Wasser!
Das hat nicht Rast bei Tag und Nacht,
Ist stets auf Wanderschaft bedacht,
Das Wasser.
Das sehn wir auch den Radern ab,
Den Radern!
Die gar nicht gerne stille stehn,
Die sich mein Tag nicht miide drehn,
Die Rader.
Die Steine selbst, so schwer sie sind,
Die Steine!
Sie tanzen mit den muntern Reihn
Und wollen gar noch schneller sein,
Die Steine.
O Wandern, Wandern, meine Lust,
O Wandern!
Herr Meister und Frau Meisterin,
Lafit mich in Frieden weiter ziehn
Und wandern.
Ich hort' ein Bachlein rauschen
Wohl aus dem Felsenquell,
Hinab zum Thale rauschen
So frisch und wunderhell.
Ich weifi nicht, wie mir wurde,
Nicht, wer den Rath mir gab,
Ich mufite gleich hinunter
Mit meinem Wanders tab.
Hinunter und immer weiter,
Und immer dem Bache nach,
Und immer frischer rauschte,
Und immer heller der Bach.
Ist das denn meine StraBe?
O Bachlein, sprich, wohin?
Du hast mit deinem Rauschen
Mir ganz berauscht den Sinn.
Was sag' ich denn von Rauschen?
Das kann kein Rauschen sein:
Es singen wohl die Nixen
Dort unten ihren Reihn.
Lafi singen, Gesell, lafi rauschen,
Und wandre frohlich nach!
Es gehn ja Miihlenrader
In jedem klaren Bach.
27
HfiLTl
Eine Miihle seh' ich blicken
Aus den Erlen heraus,
Durch Rauschen und Singen
Bricht Radergebraus.
Ei willkommen, ei willkommen,
Siifler Miihlengesang!
Und das Haus, wie so traulich!
Und die Fenster, wie blank!
Und die Sonne, wie helle
Vom Himmel sie scheint!
Ei, Bachlein, liebes Bachlein,
War es also gemeint?
War es also gemeint,
Mein rauschender Freund,
Dein Singen, dein Klingen,
War es also gemeint?
Zur Miillerin hin!
So lautet der Sinn.
Gelt, hab' ich's verstanden?
Zur Miillerin hin!
Hat sie dich geschickt?
Oder hast mich beriickt?
Das mocht' ich noch wissen,
Ob sie dich geschickt.
Nun wie's auch mag sein,
Ich gebe mich drein:
Was ich such', ist gefunden,
Wie's immer mag sein.
Nach Arbeit ich frug,
Nun hab' ich genug,
Fur die Hande, fur's Herze
Vollauf genug!
Hatt' ich tausend
Arme zu riihren!
Konnt' ich brausend
Die Rader fuhren!
Konnt' ich wehen
Durch alle Haine!
Konnt' ich drehen
Alle Steine!
DaB die schone Miillerin
Merkte meinen treuen Sinn!
Ach, wie ist mein Arm so schwach!
Was ich hebe, was ich trage,
Was ich schneide, was ich schlage,
Jeder Knappe thut es nach.
Und da sitz' ich in der grofien Runde,
Zu der stillen kiihlen Feierstunde,
Und der Meister spricht zu Allen:
Euer Werk hat mir gefallen;
Und das liebe Madchen sagt
Allen eine gute Nacht.
28
Ich frage keine Blume,
Ich frage keinen Stern,
Sie konnen mir nicht sagen,
Was ich erfuhr' so gern.
Ich bin ja auch kein Gartner,
Die Sterne stehn zu hoch;
Mein Bachlein will ich fragen,
Ob mich mein Herz belog.
O Bachlein meiner Liebe,
Wie bist du heut' so stumm!
Will ja nur Eines wissen,
Ein Wortchen um und um.
Ja, heifit das eine Wortchen,
Das andre heifiet Nein,
Die beiden Wortchen schliefien
Die ganze Welt mir ein.
O Bachlein meiner Liebe,
Was bist du wunderlich!
Will's ja nicht weiter sagen,
Sag', Bachlein, liebt sie mich?
Seh' ich sie am Bache sitzen,
Wenn sie Fliegennetze strickt,
Oder Sonntags fur die Fenster
Frische Wiesenblumen pfliickt;
Seh' ich sie zum Garten wandeln,
Mit dem Korbchen in der Hand,
Nach den ersten Beeren spahen
An der griinen Dornenwand:
Dann wird's eng' in meiner Miihle,
Alle Mauern ziehn sich ein,
Und ich mochte flugs ein Fischer,
Jager oder Gartner sein.
Und der Steine lustig Pfeifen,
Und des Wasserrads Gebraus,
Und der Werke emsig Klappern,
'S jagt mich fast zum Thor hinaus.
Aber wenn in guter Stunde
Plaudernd sie zum Burschen tritt,
Und als kluges Kind des Hauses
Seitwarts nach dem Rechten sieht;
Und verstandig lobt den Einen,
Dafi der Andre merken mag,
Wie er's besser treiben solle,
Geht er ihrem Danke nach -
Keiner fuhlt sich recht getroffen,
Und doch schiefit sie nimmer fehl,
Jeder muB von Schonung sagen,
Und doch hat sie keinen Hehl.
Keiner wiinscht, sie mochte gehen,
Steht sie auch als Herrin da,
Und fast wie das Auge Gottes
1st ihr Bild uns immer nah. -
29
Ei, da mag das Miihlenleben
Wohl des Liedes wurdig sein,
Und die Rader, Stein' und Stampfen
Stimmen als Begleitung ein.
Alles geht in schonem Tanze
Auf und ab, und ein und aus:
Gott gesegne mir das Handwerk
Und des guten Meisters Haus!
\}NG€5AJLT>
Ich schnitt' es gern in alle Rinden ein,
Ich grub' es gern in jeden Kieselstein,
Ich mocht' es sa'n auf jedes frische Beet
Mit Kressensamen, der es schnell verrath,
Auf jeden weifien Zettel mocht' ich's schreiben:
Dein ist mein Herz, und soil es ewig bleiben.
Ich mocht' mir ziehen einen jungen Staar,
Bis dafi er sprach' die Worte rein und klar,
Bis er sie sprach' mit meines Mundes Klang,
Mit meines Herzens vollem, heifiem Drang;
Dann sang' er hell durch ihre Fensterscheiben:
Dein ist mein Herz, und soil es ewig bleiben.
Den Morgenwinden mocht' ich hauchen ein,
Ich mocht' es sauseln durch den regen Hain;
O, leuchtet' es aus jedem Blumenstern!
Triig' es der Duft zu ihr von nah und fern!
Ihr Wogen, konnt ihr nichts als Rader treiben?
Dein ist mein Herz, und soil es ewig bleiben.
Ich meint', es miifit' in meinen Augen stehn,
Auf meinen Wangen miifit' man's brennen sehn,
Zu lesen war's auf meinem stummen Mund,
Ein jeder Athemzug gab's laut ihr kund;
Und sie merkt nichts von all' dem bangen Treiben:
Dein ist mein Herz, und soil es ewig bleiben!
Guten Morgen, schone Miillerin!
Wo steckst du gleich das Kopfchen hin,
Als war' dir was geschehen?
Verdriefit dich denn mein Grufi so schwer?
Verstort dich denn mein Blick so sehr?
So muB ich wieder gehen.
O lafi mich nur von feme stehn,
Nach deinem lieben Fenster sehn,
Von feme, ganz von feme!
Du blondes Kopfchen, komm hervor!
Hervor aus eurem runden Thor,
Ihr blauen Morgensterne!
Ihr schlummertrunknen Augelein,
Ihr thaubetriibten Blumelein,
Was scheuet ihr die Sonne?
Hat es die Nacht so gut gemeint,
Dafi ihr euch schliefit und biickt und weint
Nach ihrer stillen Wonne?
Nun schiittelt ab der Traume Flor,
Und hebt euch frisch und frei empor
In Gottes hellen Morgen!
Die Lerche wirbelt in der Luft,
Und aus dem tiefen Herzen ruft
Die Liebe Leid und Sorgen.
2>es MOllols Baumew
Am Bach viel kleine Blumen stehn,
Aus hellen blauen Augen sehn;
Der Bach der ist des Miillers Freund,
Und hellblau Liebchens Auge scheint,
Drum sind es meine Blumen.
Dicht unter ihrem Fensterlein
Da pflanz' ich meine Blumen ein,
Da ruft ihr zu, wenn Alles schweigt,
Wenn sich ihr Haupt zum Schlummer neigt,
Ihr wifit ja, was ich meine.
Und wenn sie that die Auglein zu,
Und schlaft in siifier, siifier Ruh',
Dann lispelt als ein Traumgesicht
Ihr zu: Vergifi, vergifi mein nicht!
Das ist es, was ich meine.
Und schliefit sie friih die Laden auf,
Dann schaut mit Liebesblick hinauf:
Der Thau in euren Augelein,
Das sollen meine Thranen sein,
Die will auf euch meinen.
Wir safien so traulich beisammen
Im kiihlen Erlendach,
Wir schauten so traulich zusammen
Hinab in den rieselnden Bach.
Der Mond war auch gekommen,
Die Sternlein hinterdrein,
Und schauten so traulich zusammen
In den silbernen Spiegel hinein.
Ich sah nach keinem Monde,
Nach keinem Sternenschein,
Ich schaute nach ihrem Bilde,
Nach ihren Augen allein.
Und sahe sie nicken und blicken
Herauf aus dem seligen Bach,
Die Blumlein am Ufer, die blauen,
Sie nickten und blickten ihr nach.
Und in den Bach versunken
Der ganze Himmel schien,
Und wollte mich mit hinunter
In seine Tiefe ziehn.
Und iiber den Wolken und Sternen
Da rieselte munter der Bach,
Und rief mit Singen und Klingen:
Geselle, Geselle, mir nach!
Da gingen die Augen mir iiber,
Da ward es im Spiegel so kraus;
Sie sprach: Es kommt ein Regen,
Ade, ich geh' nach Haus.
31
Bachlein, lafi dein Rauschen sein!
Rader, stellt eur Brausen ein!
All' ihr muntern Waldvogelein,
Grofi und klein,
Endet eure Melodein!
Durch den Hain
Aus und ein
Schalle heut' ein Reim allein:
Die geliebte Miillerin ist mein!
Mein!
Friihling, sind das alle deine Bliimelein?
Sonne, hast du keinen hellern Schein?
Ach, so muB ich ganz allein,
Mit dem seligen Worte mein,
Unverstanden in der weiten Schopfung sein!
Meine Laute hab' ich gehangt an die Wand,
Hab' sie umschlungen mit einem griinen Band -
Ich kann nicht mehr singen, mein Herz ist zu voll,
Weifi nicht, wie ich's in Reime zwingen soil.
Meiner Sehnsucht allerheifiesten Schmerz
Durft' ich aushauchen in Liederscherz,
Und wie ich klagte so sufi und fein,
Meint' ich doch, mein Leiden war' nicht klein.
Ei, wie grofi ist wohl meines Gliickes Last,
Dafi kein Klang auf Erden es in sich fafit?
Nun, liebe Laute, ruh' an dem Nagel hier!
Und weht ein Liiftchen iiber die Saiten dir,
Und streift eine Biene mit ihren Fliigeln dich,
Da wird mir bange und es durchschauert mich.
Warum liefi ich das Band auch hangen so lang'?
Oft fliegt's um die Saiten mit seufzendem Klang.
Ist es der Nachklang meiner Liebespein?
Soil es das Vorspiel neuer Lieder sein?
Mir DEM gilOaien U^reN^Nj>€.
»Schad' um das schone griine Band,
Dafi es verbleicht hier an der Wand,
Ich hab' das Griin so gern!«
So sprachst du, Liebchen, heut' zu mir;
Gleich kniipf ich's ab und send' es dir:
Nun hab' das Griine gern!
Ist auch dein ganzer Liebster weifi,
Soil Griin doch haben seinen Preis,
Und ich auch hab' es gern.
Weil unsre Lieb' ist immergrun,
Weil griin der Hoffnung Fernen bliihn,
Drum haben wir es gern.
Nun schlingst du in die Locken dein
Das griine Band gefallig ein,
Du hast ja 's Griin so gern.
Dann weifi ich, wo die Hoffnung wohnt,
Dann weifi ich, wo die Liebe thront,
Dann hab' ich 's Griin erst gern.
32
Was sucht denn der Jager am Miihlbach hier?
Bleib', trotziger Jager, in deinem Revier!
Hier giebt es kein Wild zu jagen fur dich,
Hier wohnt nur ein Rehlein, ein zahmes, fur mich.
Und willst du das zartliche Rehlein sehn,
So lafi deine Biichsen im Walde stehn,
Und lafi deine klaffenden Hunde zu Haus,
Und lafi auf dem Home den Saus und Braus,
Und scheere vom Kinne das struppige Haar,
Sonst scheut sich im Garten das Rehlein furwahr.
Doch besser, du bliebest im Walde dazu,
Und liefiest die Miihlen und Miiller in Ruh'.
Was taugen die Fischlein im griinen Gezweig?
Was will denn das Eichhorn im blaulichen Teich?
Drum bleibe, du trotziger Jager, im Hain,
Und lafi mich mit meinen drei Radern allein;
Und willst meinem Schatzchen dich machen beliebt,
So wisse, mein Freund, was ihr Herzchen betriibt:
Die Eber, die kommen zu Nacht aus dem Hain,
Und brechen in ihren Kohlgarten ein,
Und treten und wiihlen herum in dem Feld:
Die Eber die schiefie, du Jagerheld!
Wohin so schnell, so kraus, so wild, mein lieber Bach?
Eilst du voll Zorn dem frechen Bruder Jager nach?
Kehr' um, kehr' um, und schilt erst deine Mullerin
Fur ihren leichten, losen, kleinen Flattersinn.
Sahst du sie gestern Abend nicht am Thore stehn,
Mit langem Halse nach der grofien Strafie sehn?
Wenn von dem Fang der Jager lustig zieht nach Haus,
Da steckt kein sittsam Kind den Kopf zum Fenster 'naus.
Geh', Bachlein, hin und sag' ihr das, doch sag' ihr nicht,
Horst du, kein Wort, von meinem traurigen Gesicht;
Sag' ihr: Er schnitzt bei mir sich eine Pfeif aus Rohr,
Und blast den Kindern schone Tanz' und Lieder vor.
33
Nun sitz' am Bache nieder
Mit deinem hellen Rohr,
Und bias' den lieben Kindern
Die schonen Lieder vor.
Die Lust ist ja verrauschet,
Das Leid hat immer Zeit:
Nun singe neue Lieder
Von alter Seligkeit.
Noch bliihn die alten Blumen,
Noch rauscht der alte Bach,
Es scheint die liebe Sonne
Noch wie am ersten Tag.
Die Fensterscheiben glanzen
Im klaren Morgenschein,
Und hinter den Fensterscheiben
Da sitzt die Liebste mein.
Ein Jager, ein griiner Jager,
Der liegt in ihrem Arm -
Ei, Bach, wie lustig du rauschest!
Ei, Sonne, wie scheinst du so warm!
Ich will einen Straufi dir pflucken,
Herzliebste, von buntem Klee,
Den sollst du mir stellen an's Fenster,
Damit ich den Jager nicht seh'.
Ich will mit Rosenblattern
Den Miihlensteg bestreun:
Der Steg hat mich getragen
Zu dir, Herzliebste mein!
Und wenn der stolze Jager
Ein Blattchen mir zertritt,
Dann stiirz', o Steg, zusammen
Und nimm den Griinen mit!
Und trag' ihn auf dem Riicken
rn's Meer, mit gutem Wind,
Nach einer fernen Insel,
Wo keine Madchen sind.
Herzliebste, das Vergessen,
Es kommt dir ja nicht schwer -
Willst du den Miiller wieder?
Vergifit dich nimmermehr.
34
In Griin will ich mich kleiden,
In griine Thranenweiden,
Mein Schatz hat 's Griin so gern.
Will suchen einen Zypressenhain,
Eine Heide voll griinem Rosmarein,
Mein Schatz hat 's Griin so gern.
Wohlauf zum frohlichen Jagen!
Wohlauf durch Heid' und Hagen!
Mein Schatz hat 's Jagen so gern.
Das Wild, das ich j age, das ist der Tod,
Die Heide, die heifi' ich die Liebesnoth,
Mein Schatz hat 's Jagen so gern.
Grabt mir ein Grab im Wasen,
Deckt mich mit griinem Rasen,
Mein Schatz hat 's Griin so gern.
Kein Kreuzlein schwarz, kein Bliimlein bunt,
Griin, Alles griin so rings und rund!
Mein Schatz hat 's Griin so gern.
J>ie sose iffnLQe.
Ich mochte ziehn in die Welt hinaus,
Hinaus in die weite Welt,
Wenn's nur so griin, so griin nicht war'
Da draufien in Wald und Feld!
Ich mochte die griinen Blatter all'
Pfliicken von jedem Zweig,
Ich mochte die griinen Graser all'
Weinen ganz todtenbleich.
Ach Griin, du bose Farbe du,
Was siehst mich immer an,
So stolz, so keck, so schadenfroh,
Mich armen weifien Mann?
Ich mochte liegen vor ihrer Thiir,
In Sturm und Regen und Schnee,
Und singen ganz leise bei Tag und Nacht
Das eine Wortchen Ade!
Horch, wenn im Wald ein Jagdhorn ruft,
Da klingt ihr Fensterlein,
Und schaut sie auch nach mir nicht aus,
Darf ich doch schauen hinein.
O binde von der Stirn dir ab
Das griine, griine Band,
Ade, Ade! und reiche mir
Zum Abschied deine Hand!
Was treibt mich jeden Morgen
So tief in's Holz hinein?
Was frommt mir, mich zu bergen
Im unbelauschten Hain?
Es bliiht auf alien Fluren
Bliimlein Vergifi mein nicht,
Es schaut vom heitern Himmel
Herab in blauem Licht.
Und soil ich's niedertreten,
Bebt mir der Fufi zuriick,
Es fleht aus jedem Kelche
Ein wohlbekannter Blick.
35
Weifit du, in welchem Garten
Bliimlein Vergifi mein steht?
Das Bliimlein muB ich suchen,
Wie auch die Strafie geht.
'S ist nicht fur Madchenbusen,
So schon sieht es nicht aus:
Schwarz, schwarz ist seine Farbe,
Es pafit in keinen Straufi.
Hat keine griine Blatter,
Hat keinen Bliithenduft,
Es windet sich am Boden
In nachtig dumpfer Luft.
Wachst auch an einem Ufer,
Doch unten fliefit kein Bach,
Und willst das Bliimlein pfliicken,
Dich zieht der Abgrund nach.
Das ist der rechte Garten,
Ein schwarzer, schwarzer Flor:
Darauf magst du dich betten -
Schleufi zu das Gartenthor!
Ihr Bliimlein alle,
Die sie mir gab,
Euch soil man legen
Mit mir in's Grab.
Wie seht ihr alle
Mich an so weh,
Als ob ihr wiifitet,
Wie mir gescheh'?
Ihr Bliimlein alle,
Wie welk, wie blafi?
Ihr Bliimlein alle,
Wovon so nafi?
Ach, Thranen machen
Nicht maiengriin,
Machen todte Liebe
Nicht wieder bliihn.
Und Lenz wird kommen,
Und Winter wird gehn,
Und Bliimlein werden
Im Grase stehn,
Und Bliimlein liegen
In meinem Grab,
Die Bliimlein alle,
Die sie mir gab.
Und wenn sie wandelt
Am Hiigel vorbei,
Und denkt im Herzen:
Der meint' es treu!
Dann Bliimlein alle,
Heraus, heraus!
Der Mai ist kommen,
Der Winter ist aus.
36
J>£J2- M^LLeiL \JNS> POL ffiCH
Der Midler.
Wo ein treues Herze
In Liebe vergeht.
Da welken die Lilien
Auf jedem Beet.
Da muB in die Wolken
Der Vollmond gehn,
Damit seine Thranen
Die Menschen nicht sehn.
Da halten die Englein
Die Augen sich zu,
Und schluchzen und singen
Die Seele zu Ruh'.
Der Bach.
Und wenn sich die Liebe
Dem Schmerz entringt,
Ein Sternlein, ein neues,
Am Himmel erblinkt.
Da springen drei Rosen,
Halb roth, halb weifi,
Die welken nicht wieder,
Aus Dornenreis.
Und die Engelein schneiden
Die Fliigel sich ab,
Und gehn alle Morgen
Zur Erde hinab.
Der Miiller.
Ach, Bachlein, liebes Bachlein,
Du meinst es so gut:
Ach, Bachlein, aber weifit du,
Wie Liebe thut?
Ach, unten, da unten,
DiekuhleRuh'!
Ach, Bachlein, liebes Bachlein,
So singe nur zu.
37
J>es thanes UieGeNuep
GuteRuh', guteRuh'!
Thu' die Augen zu!
Wandrer, du miider, du bist zu Haus.
Die Treu' ist hier,
Sollst liegen bei mir,
Bis das Meer will trinken die Bachlein aus.
Will betten dich kiihl,
Auf weichem Pfuhl,
In dem blauen krystallenen Kammerlein.
Heran, heran,
Was wiegen kann,
Woget und wieget den Knaben mir ein!
Wenn ein Jagdhorn schallt
Aus dem griinen Wald,
Will ich sausen und brausen wohl um dich her.
Blickt nicht herein,
Blaue Blumelein!
Ihr macht meinem Schlafer die Traume so schwer.
Hinweg, hinweg
Von dem Miihlensteg,
Boses Magdlein, dafi ihn dein Schatten nicht weckt!
Wirf mir herein
Dein Tuchlein fein,
Dafi ich die Augen ihm halte bedeckt!
Gute Nacht, gute Nacht!
Bis Alles wacht,
Schlaf aus deine Freude, schlaf aus dein Leid!
Der Vollmond steigt,
Der Nebel weicht,
Und der Himmel da oben, wie ist er so weit!
Weil gern man schliefit mit einer runden Zahl,
Tret' ich noch einmal in den vollen Saal,
Als letztes, fTinf und zwanzigstes Gedicht,
Als Epilog, der gern das Kliigste spricht.
Doch pfuschte mir der Bach in's Handwerk schon
Mit seiner Leichenred' im nassen Ton.
Aus solchem hohlen Wasserorgelschall
Zieht Jeder selbst sich besser die Moral;
Ich geb' es auf, und lasse diesen Zwist,
Weil Widerspruch nicht meines Amtes ist.
So hab' ich denn nichts lieber hier zu thun,
Als euch zum Schlufi zu wiinschen, wohl zu ruhn.
Wir blasen unsre Sonn' und Sternlein aus -
Nun findet euch im Dunkel gut nach Haus,
Und wollt ihr traumen einen leichten Traum,
So denkt an Miihlenrad und Wasserschaum,
Wenn ihr die Augen schliefit zu langer Nacht,
Bis es den Kopf zum Drehen euch gebracht.
Und wer ein Madchen fuhrt an seiner Hand,
Der bitte scheidend um ein Liebespfand,
Und giebt sie heute, was sie oft versagt,
So sei des treuen Miillers treu gedacht
Bei jedem Handedruck, bei jedem Kufi,
Bei jedem heifien Herzensuberflufi:
Geb' ihm die Liebe fur sein kurzes Leid
In eurem Busen lange Seligkeit!
gelesen von Rolf Kaiser
38
pure Nficwr
Fremd bin ich eingezogen,
Fremd zieh' ich wieder aus.
Der Mai war mir gewogen
Mit mane hem Blumenstraufi.
Das Madchen sprach von Liebe,
Die Mutter gar von Eh' -
Nun ist die Welt so triibe,
Der Weg gehullt in Schnee.
Ich kann zu meiner Reisen
Nicht wahlen mit der Zeit:
MuB selbst den Weg mir weisen
In dieser Dunkelheit.
Es zieht ein Mondenschatten
Als mein Gefahrte mit,
Und auf den weifien Matten
Such' ich des Wildes Tritt.
Was soil ich langer weilen,
Bis man mich trieb' hinaus?
Lafi irre Hunde heulen
Vor ihres Herren Haus!
Die Liebe liebt das Wandern, -
Gott hat sie so gemacht -
Von Einem zu dem Andern -
Fein Liebchen, Gute Nacht!
von Wilhelm Muller
Will dich im Traum nicht storen,
War' Schad' um deine Ruh',
Sollst meinen Tritt nicht horen -
Sacht, sacht die Thiire zu!
Ich schreibe nur im Gehen
An's Thor noch gute Nacht,
Damit du mogest sehen,
Ich hab' an dich gedacht.
J>ie i^erraL^fiHNe
Der Wind spielt mit der Wetterfahne
Auf meines schonen Liebchens Haus.
Da dacht' ich schon in meinem Wahne,
Sie pfiff den armen Fliichtling aus.
Er hatt' es ehr bemerken sollen,
Des Hauses aufgestecktes Schild,
So hatt' er nimmer suchen wollen
Im Haus ein treues Frauenbild.
Der Wind spielt drinnen mit den Herzen,
Wie auf dem Dach, nur nicht so laut.
Was fragen sie nach meinen Schmerzen?
Ihr Kind ist eine reiche Braut.
Gefrorne Tropfen fallen
Von meinen Wangen ab:
Und ist's mir denn entgangen,
Dafi ich geweinet hab'?
Ei Thranen, meine Thranen,
Und seid ihr gar so lau,
Dafi ihr erstarrt zu Eise,
Wie kiihler Morgenthau?
Und dringt doch aus der Quelle
Der Brust so gliihend heifi,
Als wolltet ihr zerschmelzen
Des ganzen Winters Eis.
Ich such' im Schnee vergebens
Nach ihrer Tritte Spur,
Hier, wo wir oft gewandelt
Selbander durch die Flur.
Ich will den Boden kiissen,
Durchdringen Eis und Schnee
Mit meinen heifien Thranen,
Bis ich die Erde seh'.
Wo find' ich eine Bliithe,
Wo sind' ich grimes Gras?
Die Blumen sind erstorben,
Der Rasen sieht so blafi.
Soil denn kein Angedenken
Ich nehmen mit von hier?
Wenn meine Schmerzen schweigen,
Wer sagt mir dann von ihr?
Mein Herz ist wie erfroren,
Kalt starrt ihr Bild darin:
Schmilzt je das Herz mir wieder,
Fliefit auch das Bild dahin.
Am Brunnen vor dem Thore
Da steht ein Lindenbaum:
Ich traumt' in seinem Schatten
So manchen siifien Traum.
Ich schnitt in seine Rinde
So manches liebe Wort;
Es zog in Freud' und Leide
Zu ihm mich immer fort.
Ich mufit' auch heute wandern
Vorbei in tiefer Nacht,
Da hab' ich noch im Dunkel
Die Augen zugemacht.
Und seine Zweige rauschten,
Als riefen sie mir zu:
Komm her zu mir, Geselle,
Hier findst du deine Ruh' !
Die kalten Winde bliesen
Mir grad' in's Angesicht,
Der Hut flog mir vom Kopfe,
Ich wendete mich nicht.
40
Nun bin ich manche Stunde
Entfernt von jenem Ort,
Und immer hor' ich's rauschen:
Du fandest Ruhe dort!
£>/e Post
Von der Strafie her ein Posthorn klingt.
Was hat es, dafi es so hoch aufspringt,
Mein Herz?
Die Post bringt keinen Brief fur dich:
Was drangst du denn so wunderlich,
Mein Herz?
Nun ja, die Post kommt aus der Stadt,
Wo ich ein liebes Liebchen hatt',
Mein Herz!
Willst wohl einmal hinubersehn,
Und fragen, wie es dort mag gehn,
Mein Herz?
Manche Thran' aus meinen Augen
1st gefallen in den Schnee;
Seine kalten Flocken saugen
Durstig ein das heifie Weh.
Wann die Graser sprossen wollen,
Weht daher ein lauer Wind,
Und das Eis zerspringt in Schollen,
Und der weiche Schnee zerrinnt.
Schnee, du weifit von meinem Sehnen:
Sag' mir, wohin geht dein Lauf?
Folge nach nur meinen Thranen,
Nimmt dich bald das Bachlein auf
Wirst mit ihm die Stadt durchziehen,
Muntre Strafien ein und aus:
Fiihlst du meine Thranen gliihen,
Da ist meiner Liebsten Haus.
(jUt 2£M Suisse
Der du so lustig rauschtest,
Du heller, wilder Flufi,
Wie still bist du geworden,
Giebst keinen Scheidegrufi.
Mit harter, starrer Rinde
Hast du dich iiberdeckt,
Liegst kalt und unbeweglich
Im Sande hingestreckt.
In deine Decke grab' ich
Mit einem spitzen Stein
Den Namen meiner Liebsten
Und Stund' und Tag hinein:
Den Tag des ersten Grufies,
Den Tag, an dem ich ging,
Um Nam' und Zahlen windet
Sich ein zerbrochner Ring.
Mein Herz, in diesem Bache
Erkennst du nun dein Bild?
Ob's unter seiner Rinde
Wohl auch so reifiend schwillt?
41
Es brennt mir unter beiden Sohlen,
Tret' ich auch schon auf Eis und Schnee.
Ich mocht' nicht wieder Athem holen,
Bis ich nicht mehr die Thiirme seh'.
Hab' mich an jedem Stein gestofien,
So eilt' ich zu der Stadt hinaus;
Die Krahen warfen Ball' und Schlofien
Auf meinen Hut von jedem Haus.
Wie anders hast du mich empfangen,
Du Stadt der Unbestandigkeit!
An deinen blanken Fenstern sangen
Die Lerch' und Nachtigall im Streit.
Die runden Lindenbaume bliihten,
Die klaren Rinnen rauschten hell,
Und ach, zwei Madchenaugen gluhten! -
Da war's geschehn um dich, Gesell!
Kommt mir der Tag in die Gedanken,
Mocht' ich noch einmal riickwarts sehn,
Mocht' ich zuriicke wieder wanken,
Vor ihrem Hause stille stehn.
Doch bald ist er hinweggethaut,
Hab' wieder schwarze Haare,
Dafi mir's vor meiner Jugend graut -
Wie weit noch bis zur Bahre!
Vom Abendroth zum Morgenlicht
Ward mancher Kopf zum Greise.
Wer glaubt's? Und meiner ward es nicht
Auf dieser ganzen Reise!
l£KJiH€.
Eine Krahe war mit mir
Aus der Stadt gezogen,
Ist bis heute fur und fur
Um mein Haupt geflogen.
Krahe, wunderliches Thier,
Willst mich nicht verlassen?
Meinst wohl bald als Beute hier
Meinen Leib zu fassen?
Nun, es wird nicht weit mehr gehn
An dem Wanderstabe.
Krahe, lafi mich endlich sehn
Treue bis zum Grabe!
2>aL Greise kop?
Der Reif hatt' einen weifien Schein
Mir iiber's Haar gestreuet.
Da meint' ich schon ein Greis zu sein,
Und hab' mich sehr gefreuet.
42
Hier und da ist an den Baumen
Noch ein buntes Blatt zu sehn,
Und ich bleibe vor den Baumen
Oftmals in Gedanken stehn.
Schaue nach dem einen Blatte,
Hange meine Hoffnung dran;
Spielt der Wind mit meinem Blatte,
Zittr' ich, was ich zittern kann.
Ach, und Silt das Blatt zu Boden,
Fallt mit ihm die Hoffnung ab,
Fall' ich selber mit zu Boden,
Wein' auf meiner Hoffnung Grab.
Im J)otte
Es bellen die Hunde, es rasseln die Ketten.
Die Menschen schnarchen in ihren Betten,
Traumen sich Manches, was sie nicht haben,
Thun sich im Guten und Argen erlaben:
Und morgen friih ist Alles zerflossen. -
Je nun, sie haben ihr Theil genossen,
Und hoffen, was sie noch iibrig liefien,
Doch wieder zu finden auf ihren Kissen.
Bellt mich nur fort, ihr wachen Hunde,
Lafit mich nicht ruhn in der Schlummerstunde!
Ich bin zu Ende mit alien Traumen -
Was will ich unter den Schlafern saumen?
Wie hat der Sturm zerrissen
Des Himmels graues Kleid!
Die Wolkenfetzen flattern
Umher in mattem Streit.
Und rothe Feuerflammen
Ziehn zwischen ihnen hin.
Das nenn' ich einen Morgen
So recht nach meinem Sinn!
Mein Herz sieht an dem Himmel
Gemalt sein eignes Bild -
Es ist nichts als der Winter,
Der Winter kalt und wild!
Ein Licht tanzt freundlich vor mir her;
Ich folg' ihm nach die Kreuz und Quer;
Ich folg' ihm gern, und seh's ihm an,
Dafi es verlockt den Wandersmann.
Ach, wer wie ich so elend ist,
Giebt gern sich hin der bunten List,
Die hinter Eis und Nacht und Graus
Ihm weist ein helles, warmes Haus,
Und eine liebe Seele drin -
Nur Tauschung ist fur mich Gewinn!
43
Was vermeid' ich denn die Wege,
Wo die andren Wandrer gehn,
Suche mir versteckte Stege
Durch verschneite Felsenhohn?
Habe ja doch nichts begangen,
Dafi ich Menschen sollte scheun -
Welch ein thorichtes Verlangen
Treibt mich in die Wiistenein?
Weiser stehen auf den Strafien,
Weisen auf die Stadte zu,
Und ich wandre sonder Mafien,
Ohne Ruh', und suche Ruh'.
Einen Weiser seh' ich stehen
Unverriickt vor meinem Blick;
Eine Strafie muB ich gehen,
Die noch Keiner ging zuriick.
Auf einen Todtenacker
Hat mich mein Weg gebracht.
Allhier will ich einkehren:
Hab' ich bei mir gedacht.
Ihr griinen Todtenkranze
Konnt wohl die Zeichen sein,
Die miide Wandrer laden
In's kiihle Wirthshaus ein.
Sind denn in diesem Hause
Die Kammern all' besetzt?
Bin matt zum Niedersinken
Und todtlich schwer verletzt.
O unbarmherz'ge Schenke,
Doch weisest du mich ab?
Nun weiter denn, nur weiter,
Mein treuer Wanderstab!
J>f)S 11L1LUCHT
In die tiefsten Felsengriinde
Lockte mich ein Irrlicht hin:
Wie ich einen Ausgang finde,
Liegt nicht schwer mir in dem Sinn.
Bin gewohnt das irre Gehen,
'S fuhrt ja jeder Weg zum Ziel:
Unsre Freuden, unsre Wehen,
Alles eines Irrlichts Spiel!
Durch des Bergstroms trockne Rinnen
Wind' ich ruhig mich hinab -
Jeder Strom wird 's Meer gewinnen,
Jedes Leiden auch ein Grab.
44
XLfisr
Nun merk' ich erst, wie mud' ich bin,
Da ich zur Ruh' mich lege;
Das Wandern hielt mich munter hin
Auf unwirthbarem Wege.
Die Fiifie frugen nicht nach Rast,
Es war zu kalt zum Stehen,
Der Riicken fuhlte keine Last,
Der Sturm half fort mich wehen.
In eines Kohlers engem Haus
Hab' Obdach ich gefunden;
Doch meine Glieder ruhn nicht aus:
So brennen ihre Wunden.
Auch du, mein Herz, im Kampf und Sturm
So wild und so verwegen,
Fiihlst in der Still' erst deinen Wurm
Mit heifiem Stich sich regen!
Drei Sonnen sah ich am Himmel stehn,
Hab' lang' und fest sie angesehn;
Und sie auch standen da so stier,
Als konnten sie nicht weg von mir.
Ach, meine Sonnen seid ihr nicht!
Schaut Andren doch in's Angesicht!
Ja, neulich hatt' ich auch wohl drei:
Nun sind hinab die besten zwei.
Ging' nur die dritt' erst hinterdrein!
Im Dunkel wird mir wohler sein.
Ich traumte von bunten Blumen,
So wie sie wohl bliihen im Mai,
Ich traumte von griinen Wiesen,
Von lustigem Vogelgeschrei.
Und als die Hahne krahten,
Da ward mein Auge wach;
Da war es kalt und finster,
Es schrieen die Raben vom Dach.
Doch an den Fensterscheiben
Wer malte die Blatter da?
Ihr lacht wohl iiber den Trimmer,
Der Blumen im Winter sah?
Ich traumte von Lieb' um Liebe,
Von einer schonen Maid,
Von Herzen und von Kiissen,
Von Wonn' und Seligkeit.
Und als die Hahne krahten,
Da ward mein Herze wach;
Nun sitz' ich hier alleine
Und denke dem Traume nach.
Die Augen schliefi' ich wieder,
Noch schlagt das Herz so warm.
Wann grunt ihr Blatter am Fenster?
Wann halt' ich dich, Liebchen, im Arm?
AS
Wie eine triibe Wolke
Durch heitre Liifte geht,
Wann in der Tanne Wipfel
Ein mattes Liiftchen weht:
So zieh' ich meine Strafie
Dahin mit tragem Fufi,
Durch helles, frohes Leben,
Einsam und ohne GruB.
Ach, dafi die Lust so ruhig!
Ach, daB die Welt so licht!
Als noch die Stiirme tobten,
War ich so elend nicht.
Fliegt der Schnee mir in's Gesicht,
Schiittl' ich ihn herunter.
Wenn mein Herz im Busen spricht,
Sing' ich hell und munter.
Hore nicht, was es mir sagt,
Habe keine Ohren.
Fiihle nicht, was es mir klagt,
Klagen ist fur Thoren.
Lustig in die Welt hinein
Gegen Wind und Wetter!
Will kein Gott auf Erden sein,
Sind wir selber Gotter.
Driiben hinter'm Dorfe
Steht ein Leiermann,
Und mit starren Fingern
Dreht er was er kann.
Barfufi auf dem Eise
Schwankt er hin und her;
Und sein kleiner Teller
Bleibt ihm immer leer.
Keiner mag ihn horen,
Keiner sieht ihn an;
Und die Hunde brummen
Um den alten Mann.
Und er lafit es gehen
Alles, wie es will,
Dreht, und seine Leier
Steht ihm nimmer still.
Wunderlicher Alter,
Soil ich mit dir gehn?
Willst zu meinen Liedern
Deine Leier drehn?
gelesen von Rolf Kaiser
46