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Full text of "Schiller-Lexikon"

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Sciller-Lerikon. 


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Erläuterndes Wörterbuch 


Schiller's Diebterwerfen 


Unter Mitwirfung 


von 


Karl Goldbeck 


bearbeitet 
von 


Ludwig Rudolph. 


Erfter Band 
IE 


Mit dem Bilbnifie Schiller’e. 


— > . 
Berlin 


Nicolaiſche Verlagsbuchhandlung 
(A. Effert und 2. Lindtner) 


1869. 





72.13: 3% 
2 v. nu / 


Borrede. 


7-9-.3C Ma FF 


In dem Herzen jedes edlen Menſchen wohnt ein unvertilg⸗ 
barer Trieb, aufwärts zu blicken, etwas Höheres zu ver- 
ehren. Dieſer Trieb ift die Duelle der Keligion; ihm 
entftammt auch die Huldigung, die.wir unfterblidem Ver⸗ 
dienst erweijen. Einem ſolchen angeborenen Zuge des Herzens 
find die Volker aller Zeiten gefolgt, indem fie ihre großen 
Dichter verehrten; fie betrachteten fie als ihre Lehrer. Bei 
Den Griechen lernten die Knaben an dem Homer lefen; in 
den jüdifhen Prophetenſchulen wurde die Poeſie als einer 
ter wichtigften Unterrichtögegenftände betrachtet; bei den nor- 
diſchen Völkern waren die Stalden und Barden nicht nur 
die einzigen Vertreter der geifligen Bildung, ſondern aud 
die eigentlihen Inhaber und Bewahrer der Volksmoral. 
Es ift daher natürlih, daß auch hei und die Poefie auf 
dem Gebiete der Sugenderziehung von den früheften Lebens⸗ 
jahren an eine wichtige Rolle fpielt, und daß fie gleichzeitig 
dem gereiften Alter eine dauernde Quelle des erhebendften 
Genuſſes wird. Die Werke der Dichtkunſt dem großen 
Kreiſe der Gebilbeten, denen es zu eingehenden Studien 
an Zeit wie an Hülfäquellen fehlt, zum vollen Verſtändniß 
zu bringen, jebem Leſer die richtige Auffaflung alles Ein- 
zelnen, als ber unentbehrlihen Grundlage des Ganzen, zu 
ermögligen, das ift eine der würdigſten Aufgaben. 
% 


IV Borrede. 


Unter unfern Dichtern nimmt Schiller in dem Herzen 
feiner Nation den erften Plaß ein. Er ift, wie kein anderer, 
in's Bolt gedrungen; feine Werke finden ſich in den Paläften 
der Großen, wie in der befcheibenen MWohnftube des Hand⸗ 
werferd, auf den Nepofitorien der Gelehrten, wie auf den 
zierlichen Stageren der feinen Damenmwelt. Seine Gedanken 
ertönen aus dem Munde des Volkes in taufend „geflügelten 
Worten” und GSerttenzen; in den Schulftuben laufcht Die 
Jugend den wunderbaren Klängen feiner Lieder und Balladen; 
auf den Brettern, die die Welt bedeuten, fieht der begeifterte 
Süngfing, wie ber mit dem Ernſt des Lebens vertraute Mann 
die Geftalten früherer Jahrhunderte in ber verflärten An- 


ſchauungsweiſe des Dichters an feinem geiftigen Auge vor⸗ 


überſchreiten. Schiller iſt mit einem Worte der erklärte 
Liebling des deutfhen Volles. Bor Allem aber jhäben 
wir ihn um feines philofophtihen, auf das Ideale geridy- 
teten Geiftes willen. Die Deutihen find ein denkendes 
Volk, und daß Schiller vorzugsweije philoſophiſcher Dichter 
ift, gerade das hat ihn zum Liebling feiner Nation gemacht. 
Der Deutihe will auch auf dem Gebiete der Poeſie nicht 
bloß genießen; er verlangt mehr, er will zum Denken 
angeregt werden. Diefem nationalen Bedürfniß Tommt 
Schiller wie fein anderer Dichter entgegen; er will daher 
nicht bloß gelefen, er will ſtudirt fein. 

Dei Goethe, dem Meifter der deutjchen: Lyrik, gemügt 
ed, dag man fid) mit feiner eigenthümlichen Lebens» und 
Weltanfhauung vertraut made, daß man gemeinfam mit 
ihm empfinde. Wem das gelingt, ber verfteht ihn ſogleich; 
wer defjen aber nicht fähig if, dem pflegen aud die beften 
Erläuterungen nur wenig zu helfen. Schiller dagegen ift der 
Dichter der Neflerion, er verlangt, daß man ihm nachdenke. 


Borrede. v 


Sich in die Empfindung eines Anderen zu verſetzen, iſt nicht 
Jedem gegeben; aber ſeinen Gedanken zu folgen iſt leichter 
möglich, wenn es nur nicht an der richtigen Anleitung fehlt. 
Sin Dichter wie Schiller verträgt daher nit nur einen 
Sommentar, fondern für Viele iſt er eines ſolchen auch 
bedürftig. 

Freilich ift die Meinung, unjer großer Dichter biete 
eigentlidy Teine erheblichen Schwierigkeiten dar, ziemlidy weit 
verbreitet; indeflen find feine Dichtungen keinesweges eime 
leichte Lectüre; es ſteht gar Vieles zwiſchen den Zeilen, was 
fh nicht Jeder die Mühe giebt, berauszulefen. Seine 
eigenen Worte: „Was er weile verſchweigt, zeigt mir den 
Meiſter des Stils” gelten von ihm in fo hervorragendem 
Mate, daß Alle, denen es um ein tieferes Verftändniß feiner 
Werte zu thun ift, fih wohl bewußt fein werden, wie Vieles 
ihnen noch als ein verſchloſſenes Bud erſcheint. Die Siegel 
deſſelben zu löjen, das ift die Aufgabe, welche fih die Ver⸗ 
fafler der vorliegenden Arbeit geftellt haben. 

Die vortrefflihen Arbeiten von &. Schwab, Hoffmeilter, 
Balleste und Sof. Bayer, welde das Keben des Dichters 
im Zufammenbange mit feinen Werken zum Gegenftande 
ihrer Darftelung gemacht, fowie die ſchätzenswerthen Er⸗ 
läuterumgen einzelner Dichtungen von Hinrichs, Viehoff, 
Götzinger, Dünger und Anderen haben Schillers Werte 
dem Verſtändniß des deutihen Publicums näher gebracht; 
indeflen iſt es doch immer nur ein verhaͤltnißmaͤßig geringer 
Theil der Gebildeten, der fidy der Mühe unterzieht, Arbeiten 
wie die genannten durchzuſtudiren, um fi allmälig ein ſelb⸗ 
ftändiges Urtheil zu bilden. Berüdfitigen wir außerdem, 
welche bedeutende Verbreitung Schiller’d Werke jeit dem Er- 
löihen des Cotta'ſchen Privilegiums erfahren; berüdfichtigen 


vI Borrede. 


wir ferner die neue bei Cotta erſchienene Ausgabe, in wel- 
her unfer Dichter zum erſten Male in dem ganzen Umfange 
jeiner Werke der Ehre gewürdigt wird, wie ein Klaffifer des 
griechiſchen Alterthums behandelt zu werden: ſo wird das 
Publicum deſſelben vorausfichtlich und hoffentlich ein immer 
groͤßeres, und das Bedürfniß, ihn vollſtändig zu verſtehen, 
ein immer dringenderes. 

Einem ſo weit verbreiteten Bedürfniß kann unſerm 
Ermeſſen nach nur ein Woͤrterbuch abhelfen, welches dem 
Leſer mühſames Nachſuchen und Studiren erſpart, ihm 
dagegen bei jedem Anſtoß raſch ein Mittel an die Hand 
giebt, über die ſtörenden Klippen hinwegzukommen, über 
jede Frage, die ſich ihm aufdrängt, ſchnelle und ſichere Aus⸗ 
kunft zu erlangen. Gerade in dieſer letzten Beziehung aber 
iſt für Schiller noch außerordentlich wenig geſchehen; hödy- 
ſtens findet fich dies und jenes in einzelnen zerſtreuten, dem 
großen Publicum nicht zugänglichen Journalartikeln oder 
Programmarbeiten, während die Dichter der Alten, ſo wie 
die klaſſiſchen Werke der Franzoſen bereits überreich mit 
Commentaren verſehen ſind. Wer Schiller's Werke genauer 
ſtudirt, der bemerkt bald, mit welcher unermfidlichen Sorgfalt 
und welder außerordentlichen Gewifjenhaftigkeit er durchweg 
gearbeitet bat; fie find, abgejehen von ihrem hohen bid- 
terifchen Werthe, gleichzeitig ein unvergänglicdes Denkmal 
deutfchen Fleißes und deutſcher Gründlichkeit. Dieje nicht 
hoch genug anzuſchlagenden Eigenſchaften auch weiteren 
Kreiſen zum Bewußtſein zu bringen, betrachten wir als 
eine Aufgabe von wahrhaft nationaler Bedeutung und zu⸗ 
gleich als einen Tribut der Dankbarkeit, welcher den Manen 
unſeres Dichters gebührt. 


Vorrede. VII 


Wir legen daher dem Publicum in unſerer Arbeit zum 
erſten Male einen vollſtändigen Commentar zu Schiller's 
Dichterwerken in der Geſtalt eines Woͤrterbuches vor, wel⸗ 
ches von uns nach einem gemeinſam verabredeten Plane 
abgefaßt worden iſt. War es anfangs die Abſicht der beiden 
Berfafier, die Arbeit gleihmäßig unter ſich zu theilen, fo bat 
doch der auf dem Titel zuerft genannte, von mweldem auch 
die erfie Anregung zu dem Unternehmen ausgegangen, durch 
mancherlei Berufsgejchäfte und andere dringende literarijche 
Arbeiten in Anſpruch genommen, den größten Theil der Aus- 
führung und Bearbeitung dem in zweiter Reihe genannten 
Berfafler überlaffen müffen. Bon dem erfteren (G.) rühren 
daher in diefem Bande nur die Abhandlung über die Braut 
von Meifina, desgleichen mehrere Artikel wie Bibel, Geifter- 
jeher, Homer u. dal. her; außerdem aber hat er fi ber 
Aufgabe unterzogen, das von dem zweiten (R.) abgefaßte 
Manufcript einer jorgfältigen Revifion mit bejonderer Rüd- 
ficht auf die altlaffiihe Literatur zu unterwerfen. Ferner 
dürfen wir nicht unerwähnt laffen, daß wir uns bei ber- 
Bearbeitung unferes Werkes anfangs eine doppelte Aufgabe 
geftellt hatten; es follte nicht nur eine volksthümliche Arbeit 
werden, fondern es follte gleichzeitig wiſſenſchaftlichen An- 
forderungen genügen. Diefed doppelte Streben wird der 
I&härfer blickende Beurtheiler hoffentlich herauserkennen; nichts⸗ 
deſtoweniger find wir und wohl bewußt, daß wir bei dem 
nah und nad wachſenden Umfange der Arbeit davon haben 
Abſtand nehmen müflen, jeder berechtigten Forderung zu 
genügen, daß wir vielmehr den bejheidenen Zweden 
einer populären Darftellung ein entſchiedenes Bor- 
recht eingeräumt haben. Wir bitten daher, bie Arbeit, wie 


VIII Vorrede. 


ſie hier vorliegt, als ein Unternehmen zu betrachten, das 
eines weiteren Ausbaues nicht nur fähig, ſondern in man- 
hen Beziehungen gewiß auch bebürftig ift. 

‚Indem wir und num die Frage vorlegen, weldhe Kreije 
von unferer Arbeit Gebrauch machen Tönnen, jei es uns 
geftattet, einen Blid auf die Lebensſphären zu thun, welde 
und während der Arbeit ftetig vorgefchwebt haben. Es giebt 
wenig höhere Lehranftalten, in denen Schiller's Dichtungen 
nicht gelefen und erläutert werden, wenig Familienkreiſe, in 
denen feine Werke: nicht ftets neuen Genuß bereiten und bie 
edelſten Bebürfniffe des Geiftes befriedigen. Aber gering, 
iß die Anzahl Derjenigen, die jedes Gedicht ſogleich voll- 
ftändig verftehen, über jede Stelle jogleich völlig genügende 
Auskunft geben können. Hunderte und Laufende mögen ſich 
bei vielen Gedichten bloß an dem prächtigen Klange ber 
Verſe ergößen, ohne ein tiefere Verſtändniß derjelben an⸗ 
zuftreben. Viele kehren von Zeit zu Zeit zu ihren. Lieblings- 
gedichten zurüd und laffen das Uebrige als unverftänblid) 
bei Seite liegen, während fie bei einiger zweckentſprechenden 
Unterftügung die Anftrengung nicht ſcheuen würden, durch 
welche allein ihnen ihr Dichter zu einer wahrbaften Duelle 
des Genufjes und der Belehrung werden kann. Aber Mangel 
an Zeit, umfangreihe VBorftudien zu machen, Mangel an 
Hülfsmitteln, das Unentbehrliche aufzufinden, find ſchuld 
daran, daß die von dem Dichter beabfihtigte Wirkung fo 
häufig nur unvollfländig erreicht wird. Wir find überzeugt, 
daß befonderd die eben bezeichneten Kreife den Werth der 
vorliegenden lericaliihen Cinrihtung zu würdigen wiſſen 
und derjelben vor einem mit oft mehr ftörenden als will- 


fommenen Fußnoten belafteten Texte den Vorzug geben 


werden. 


Vorrede. IX 


Se reicher ein Dichter iſt, deſto mehr bedarf er ber 
Erflürung; nun findet fi aber gerade bei Schiller ein fol 
her Reichthum realer Kenntniffe und eine folde Fülle idealer 
Anſchauungen, daB man eigentlid von Niemandem erwarten 
ann, er werde ſich bei der Lectüre fogleich auf jedem einzelnen 
Gebiete vollftändig heimiſch fühlen. Den Leer fchnell auf 
das betreffende Gebiet zu verfegen, ift daher unjere Aufgabe 
geweien. Wir haben deshalb zu jedem einzelnen Gedichte 
eine kurze Einleitung, oder je nad Bebürfniß eine Ueber⸗ 
ht feines Inhalts gegeben. Ehen jo ift jedem Drama ein 
umfangreiherer einleitender Artikel gewidmet, welcher bie 
Entſtehungsgeſchichte des Stüdes wie feine hiſtoriſche Grund⸗ 
lage vorführt, außerdem aber eine gebrängte Charakteriſtik 
der handelnden Perſonen, eine Ueberfiht über den Gang 
der Handlung, die Entwidelung der zu Grunde liegenden 
Idee und eine Würdigung der ihm zu Theil gewordenen 
Beurtbeilungen enthält. Wir wollen den Lefer mit biejen 
Einkeitungen auf den Standpunkt ftellen, von weldem aus 
ex das betreffende Kunftwert mit wirklidem Nutzen betrach⸗ 
ten kann. 

Daß wir uns bei den gegebenen Grläuterungen einer 
gewifien Kürze befleipigt haben, wird der einſichtsvolle Leſer 
jedenfalls billigen, dba wir ihn nad dem Vorbilde unjeres 
Dichters mehr zum Denken anregen, als ihm das Denken 
abnehmen wollen. Wir haben und zwar die Aufgabe ge- 
ſtellt ihm zu Hülfe zu kommen, wollen ihn aber keinesweges 
mit überflüffigen Auseinanderfegungen beläftigen. Wenn 
deſſenungeachtet ein Artilel wie der über die Braut von 
Meſſina eine größere Ausdehnung und mit derjelben eine 
ihärfere Fritifche Haltung erhalten hat, jo wird dies in dem ' 


x Borrede. 


Charakter des Stüds, das aus der Reihe der übrigen Dra- 
men in eigenthümlicher Weife heraustritt, feine Rechtfertigung 
finden. Sonft lag uns vor Allem daran, den Dichter zu 
erflären, weniger ihn zu kritifiren. Das Verſtändniß mög- 
lichſt allfettig zu erjchließen, ſchien uns wichtiger als ver- 
meintlihen Fehlern nahzufpüren, befonders um der Jugend 
willen, auf die wir bei wmferer Arbeit beſonders Rückficht 
genommen, und der biejelbe unbedenklih in die Hände 
gegeben werden Tann. Crläuterungen, welde den unreifen 
Leſer zum leichtfertigen Abſprechen anleiten, ftiften unjerer 
Meberzeugung nach mehr Schaden als Nutzen; während ſolche, 
die ihm ‚das Dunkele zum Verſtändniß bringen und ihn 
befähigen, das Schöne zu empfinden, ihm wahrhaft erfprief- 
lich werben Tönnen. Schiller verdient es gewiß, daß wir 
ihm vor Allem unjere Liebe entgegen bringen; es ift bies 
wichtiger, als unſern Scharffinn an ibm .zu erproben. Wir 
baben und daher allerdings nicht gejcheut, ihn zu beurtheilen, 
ung aber wohl in Acht genommen, ihn zu verurtheilen. 
Kunftwerke, die fi) einer allgemeinen Anerkennung zu er- 
freuen haben, müfjen überhaupt nicht mit dem Secirmeffer 
bes Talten Berftandes zerlegt werben; nothmendiger ift es, 
daß wir und mit offenem Blid und warmem Herzen dem 
wohlthuenden Eindrud bingeben, den fie auf und machen, 
ohne jedoch unfer Auge gegen das zu verjchließen, was des 
Stempels der Vollendung etwa noch entbehrtl. Nur dann 
fönnen wir dem Dichter gerecht werden, wenn wir beraus- 
fühlen, was er gewollt hat, wenn wir ihn an feinem eigenen 
Maßſtabe meilen, nicht aber, wenn wir ibm Vorſchriften 
machen, denen er hätte genügen follen. Darum haben wir 
es und auch angelegen "fein laſſen, das vergleichende Stu- 
bium des Dichters nah Kräften zu fördern. Denn oft 


Borrede. xI 


trägt ein Gedicht zum Verſtändniß des anderen bei; mun- 
ches Epigramm erläutert einzelne Stellen in den Dramen; 
und dieje oder jene Abhandlung ift als ein wichtiger Gom- 
mentar für Die Tendenzen anzufehen, die” den Dichter bei 
leinem kũnſtleriſchen Schaffen geleitet haben. 

Außer den einleitenden Abfchnitten zu den Gedichten 
und den Dramen findet der Leſer in unjerer Arbeit noch 
eine beträchtliche Anzahl von Artikeln, welche Einzelheiten 
betreffen, über die er Belehrung verlangt. Wir weifen zu- 
nähft auf die Mythologie hin, die bei feinem Dichter eine 
fo hervorragende Rolle fpielt wie bei Schiller. Umfang⸗ 
reihe Darftellungen in mythologifhen Werken nachzuleſen, 
iſt bei der Lectüre eines Dichters nicht nur ermüdend, fon- 
dern auch flörend, bejonderd wenn man ſchnell das haben 
mil, was man augenblidlih gebraudt; außerdem aber ift 
ed belannt, daß bei Benennungen, wie: „der.Thrafer, der 
Thymbrier, Tantal's Tochter, der Gott der Eile, der jchilf- 
befränzte Gott“ u. ſ. w. uns viele mythologifhe Handbücher 
im Stich Iaffen. Für ſolche Fälle kommt dem Lejer unſer 
Woͤrterbuch nicht nur fchnell zu Hülfe, fondern es macht ihn 
auch mit dem ganzen Umfange bekannt, in welchem der 
Dichter die betreffende Gottheit in jeinen Werken zur An- 
ſchauung gebradyt oder zu höheren poetifchen Zweden benutzt 
bat. Und es ift feine Frage, daß Belehrungen, die man 
fh für einzelne bejondere Fälle holt, viel befler haften 

bleiben, als alles Studium der Mythologie im Allgemeinen, 
wobei man doch immer Vieles für den vorliegenden Zweck 
Entbehrlihe mit in den. Kauf nehmen muß. 

Achnlih dürfte es dem Leer mit vielen gejchichtlichen 
Berfonen geben; denn Benennungen wie: „der Gräßer, der 
Halberfläbter, der weimarijche Held, der königliche Bourbon, 


XII Vorrede. 


die lothringiſchen Brüder” u. ſ. w. find Ausdrücke, deren ge- 
ſchichtliche Beziehung wenigſtens nicht Allen ſogleich gegen- 
wärtig ſein dürfte. Hier kommen wir mit Erläuterungen zu 
Hülfe, die in hiſtoriſchen Werken nur mühſam nachgeſchlagen 
werden koͤnnen und dem vorliegenden Bedürfniß doch nicht 
immer entſprechen. Eben fo iſt es mit geſchichtlichen An- 
Tpielungen, wie „die ſpaniſche Doppelherrſchaft, die ſieben 
Weiſen Griechenlands, die fiebzig Dolmetſcher“ u. |. w., 
Ausdrüde, die dem Unkundigen ftetd eine augenblidliche 
Verlegenheit bereiten , in der es ihm willkommen fein muß, 
wenn er eine dunkele Vorſtellung mit einem Haren Bilde 
vertaufchen Tann. Desgleichen macen bibliſche oder andere 
literariide Namen und Anjpielungen, wie „Apoftel, Ardye, 
- Adrameleh, Armide, Grandiſon, Idris, Pamela u. a. m. 
ftet3 nähere Angaben wünſchenswerth. 

Ferner erinnern wir daran, daß Schillers Dramen in 
Betreff der Mannigfaltigfeit des Schauplaßes, auf dem fie 
ih bewegen, einen reichen Umfang geographilcher Kenntniffe 
vorausſetzen, und daß Häufig nicht nur die Lage der Ort⸗ 
Ihaften für das Verſtändniß einer Stelle von Bedeutung 
it, ſondern oft aud die politiſche Stellung, welche einzelne 
Ländergebiete in der betreffenden Zeit einnahmen. 

Schließlich machen wir auf zujammenfaljende Artikel, 
wie: Aftrologie, Bibel, Fremdwörter, Homer, Lyriſche Poefie 
u. dgl. aufmerkfam, welche nicht nur den Zwed haben, das 
vergleichende Studium des Dichters zu fördern, jondern 
welche gleichzeitig anziehende Seitenblide in die geiftigen 
Vorrathskammern gewähren, aus denen jein Genius zu 
ihöpfen pflegte. Was fonft an naturwiffenihaftliden An- 
ihauungen, von Erklärungen landfchaftliher und techniſcher 
Ausdrüde, jo wie von Wörtern und Wendungen vorkommt, 


Borrede. xiu 


mit denen Schiller die deutſche Sprache bereichert hat, ſo 
würde es zu weit führen, alle. dieſe Einzelnheiten aufzu- 
zählen; wir haben das Ganze fo einzurichten verſucht, daß 
der Leſer nicht leicht etwas Weſentliches vermiflen wird. 
Wir hoffen ſomit dem betheiligten Bublicum einen wichtigen 
Dientt zu leiften, da wir keinesweges der Anſicht find, daß 
duch das Zurückführen der Didytungen auf ihre Quellen, 
fo wie durch Erläuterungen der Genuß beim Leſen getrübt 
werden könne. Im Gegentheil fmd wir der Meinung, daf 
tiefere umd gründlichere Einſicht entſchieden dazu beiträgt, 
den Genuß zu erhöhen, ja ihn im Sinne des Dichters erft 
mögli zu maden. 


„Denn bei den alten lieben Todten 

Braucht man Erklärung, will man Noten; 

Die Neuen glaubt man blank zu verftehen, 

Do ohne Dolmetſch wird's auch nicht gehen.” 
Goethe. 


Möge das, was wir zu geben verſucht haben, mit 
Tremdliher Nachſicht aufgenommen werden; möge es aber 
auch dazu beitragen, eine Sache zu fördern, die es verdient, 
daß fih die Kräfte aller Gebildeten ihr widmen. Wie 
Schiller's Werke jest nicht mehr ausſchließliches Gigenthum 
einer einzelnen Firma, jondern wirkliches Nationaleigenthum 
geworden find: jo kann auch die Aufgabe, dad Verſtändniß 
derfelben "zu fördern, nicht Monopol weniger Einzelnen fein, 
fondern fie ift eine allgemeine, eine deutſche Angelegenheit. 
Wir werden daher jede Belehrung, jede Berichtigung, die 
uns zugeht, im Intereſſe der Sache mit Freuden begrüßen 
und für die Zukunft gewiſſenhaft berüdfichtigen, damit die 
unter vielen Mühen zu Stande gebradte und mit gewiß 


xIV Borrede. 


nicht zu verfennenden Schwierigkeiten verknüpfte Arbeit nad 
und nad) einer größeren Vollendung entgegen geführt werde. 
Schiller, hervorgegangen aus einer fturmbewegten Zeit, 
ift nicht nur eine belle Leuchte für unſer Sahrhundert, er ift 
auch der Prophet einer fernen Zukunft geworden. Die 
Schickſale, die er erlebt, erregen noch jeßt die Theilnahme 
aller fühlenden Herzen; die gewaltige Arbeitöfraft, die er 
entwicdelt, ift und bleibt ein Gegenftand der allgemeinften 
Bewunderung. Er bat die Poefie neu verjüngt und fie zu 
einer fiegreihen Macht erhoben, vor der die Großen ber 
Erde fi) beugten; er hat wejentlich dazu beigetragen, unjern 
geſellſchaftlichen Zuftänden ein neues Gepräge zu geben, er 
hat es wie Keiner verftanden, dem geiftigen Leben einen 
nie geahnten idealen Schmud zu verleihen. Aber Schiller 
tft nicht bloß ein edler Sänger, er iſt auch ein großer Menſch, 
ein wahrhaft erhabener Geift, deſſen Herz für Gott, Tugend 
und Unfterblichfeit eben jo wie für Wahrheit, Freiheit und 
Recht gefchlagen; in dem deutſcher Sinn und deutſches Weſen 
ih zur -ebelften Blüthe entfaltet; der Wiſſenſchaft und Kunft 
zu einem fhönen harmonischen Bunde zu verſchmelzen gewußt; 
defjen ideales Streben uns eine lebendige Gedankenwelt ber- 
porgezaubert hat, wie fie in allen Literaturen der Welt ver- 
geblih ihres Gleichen ſucht. Einer der bervorragenpdften 
Lehrer der Menfchheit, ift er unendlich reih an großen Ge- 
danken über unjere Beftimmung und verfieht ed, unferm 
Streben die ebelften Ziele vorzuhalten; denn er dachte groß 
von der Menichennatur, ron Einzelnen wie von ganzen 
Dölkern. Darum werden feine Werke fort und fort ein 
Born bleiben, an welchem alle edlen Naturen fi erfrifchen, 
feine Begeifterung wird, wie bisher, das Banner fein, um 


Vorrede. xv 


welches alle Diejenigen ſich ſchaaren, an die der Ruf zu 
großen Thaten ergangen iſt. 

Da das deutſche Volk bisher jedes Unternehmen, das 
nd die Aufgabe geftellt, ed mit dem Dichter feines Herzens 
inmiger vertraut zu maden, freudig begrüßt hat: fo hoffen 
wir auch mit dem vorliegenden Werke, weldes dem Leſer 
außer ben gegebenen Erläuterımgen gleichzeitig eine Menge 
edler und unſchätzbarer Bildungselemente zuführen will, feine 
vergebliye Arbeit zu liefen. Möge diefelbe bazu beitragen, 
dat Deutichlands Lieblingsdichter nicht, wie jo vieles Andere, 
nur für den flüchtigen Genuß des Augenblids in Anſpruch 
genommen, fondern daß er durd Förderung eines allfeitigen 
Berftändniffes eine wahrhaft erquidende Geiſtesnahrung und 
\omit volles Eigenthum unferes Volles werde. 


Berlin, im Januar 1869. 


Ludwig Rubolyh. Karl Boldbed. 


gem. 


Grklärıng der Zbkürzungen. 


bedeutet abgekürzt. 


uhr RR Tr m cm 


I} “ [2 w ” ” “ s ra 


Abkürzung. 
Ahfönitt. 
Accufatin. 
Adjectiv. 
altdeutſch. 
althochdeutſch. 
arabiſch. 
Buch der Aeneide. 
Band. 
beſonders 
bildlich. 
bisweilen auch. 
Braut von Meifina. 
Den Carlos. 
das if. 
Demetrins. 
besgleichen. 
Dreißigj. Krieg. 
ebendajelbfi. 
ehemals. 
eigentlich. 
Einleitung. 
engliſch. 
ergaͤnze. 
Fiesco. 
franzöfiſch. 
Goethe. 
Gedicht oder Ge⸗ 
dichte. 
gemein (in der 
Sprache des ge⸗ 
meinen Lebens) 


— — — —— — — — — — — — — — — — an te ea 
—— * — 


Gen. bedentet Genitiv. 
gew. gewoͤhnlich. 
| gL R. glieiches Ramend. 
Gr. d. ®. Grimmts beutfches 
Rörterbud. 
gt. griechiſch. 
gr. H. a. d. n. Geſch.⸗ großmũthige 
Handlung aus 
der neueſten 
Geſchichte. 
Gſtſ. Geifterfeher. 
H. d. K. Huldigung der 
Künfte. 
bebr. »  bebräticd. 
Boll. »  bolländiic. 
Iph. er Iphigenie. 
Il. 3Ilias. 
ital ⸗italieniſch. 
J. v. O. Jungfrau von 
Orleans. 
8.2.9 ⸗ Kinder des Hauſes. 
K. u. L Aabale und Liebe. 
Int. .«  Tateinifc. 
Mcb. » Machetd. 
Menichenf. Wenſchenfeind. 
Metr. Neberi. Metriſche Ueber⸗ 
J ſetzungen. 
Alth. Maltheſer. 
M. St. » Maria Stuart. 
mittl. Tat. :»  mitilere® Latei- 
niſch (Latein des 
Nittelaktert). 


Myth. 


Mythologie. 


N. a. O. 
neulat. 
niederd. 
niederſ. 


nord. Myth. 


Dd. 

Par. 
Partie. 
perſ. 
Perſ.⸗Verz. 


Erklärung der Abkürzungen. 
bebeutet Reffe als Onkel. 


neulateintich. 
nieberbeutich. 
niederſãchſiſch. 
norbifche Nytho⸗ 
logie. 
Odyffee. 
Paraſit. 
Particip. 
perſiſch. 
Perſonen⸗Ver⸗ 
zeichniß. 
Phaͤdra 
Phonicierinnen. 
Biccolomint. 
Pluralis. 
polniſch. 
Prolog. 
Räuber. 
ruſſiſch. 
flehe auch. 
fiehe dieſes. 
ſũddeutſch. 
fo viel als. 
fo viel wie. 
Seite. 
Scene. 
Schiller. 
ſchweizeriſch. 
ſogenannt. 
ſpaniſch. 
Spiel des Schid- 
falß. 


Sp. u. d. & 


fpr. 

Str. 

subst. 
tartar. 

techn. Ausdr. 


Zur. 
tũrk. 
uvam. 
ungar. 


urſpr. 


V. a. v. & 


verd. 
vergl. 
Bel. 


Borer. 
Borr. 
wörtl. 
Brb. 
Bit. 
Bf 2 


Bft. T. 
W. T. 
Zw.⸗H. 


bedeutet Spaziergang un⸗ 


ter den Linden. 
ſprich. 
Strophe. 
Subſtantivum. 
tartariſch. 
techniſcher Aus⸗ 
druck. 
Turandot. 
türkiſch. 
und anbere mehr. 
ungartich. 
urfprünglich. 
Bert. 
Berbredier aus 
verlorener Ehre. 
verberbt. 
vergleiche. 
Berkleinerung, 
Berfieinerungs- 
form. 
Borerinnerung. 
Borrebe. 
wörtlich. 
Barbed. 
Wallenſtein. 
Wallenſteins 
Lager. 
Wallenfteins Tod. 
Wilhelm Tell. 
Zwiſchen⸗ Hand⸗ 
lung. 


Bei den Dramen iſt nach Act und Scene citirt; MR. III, 2 bebeutet alſo: Räuber, 
Act IU, Sc. 2. Wo dies nicht möglih war, wie in ber Braut von Meflina, dem Geifter- 
jeher u. f. w., beziehen ſich die Ziffen auf Band unb Geite ber Cotta'ſchen Aukgabe 


von 1847, 


Aachen (Bed. Der Graf von Habsburg), eine Stadt in 

der jegigen preußifchen Rheinprovinz. Als Lieblingsſitz Karls 
des Großen, welcher dort in dem von ihn ſelbſt gegründeten 
Münfter begraben ift, wurde es Kroͤnungsſtadt der Deutjchen 
.Kaller. 
2 Aar (Ged. Das Eleufiiche Feſt). Dieſes Wort wird jept 
als der dichteriſche Ausdrud für „Adler“ angelehen, nad Gr. 
d. W. iſt es nad) dem gothifchen ara bed Adlerd echter Name, 
„erſt and dem zufammengejegten adalaro (db. i. Edelaar) gieng 
unfer jcheinbar abgeleitete adler hervor, und aar gilt noch in 
höherer Dichterſprache. Doch Luther jagt mır adeler, Goethe nur 
adler”; Schiller gebraucht beides. S. Zeus. 

Abbadoͤnna (R. IN, 2), hebr. Abaddoͤn, nah Dffenb. 
Joh. 9, 11 der Engel des Abgrund od. ber König ber böfen, 
dem Menſchen Berderben bringenden Mächte, in Klopftods 
Meiſſias ein böfer Geift, der, nachdem er fi} dem Plane ber 
‚anderen Böfen vergeblich wiberjept bat, ben Herrn am Delberg 
xreuevoll um Verzeihung bittet. 

Abbe (Sed. Die berühmte grau. — R. 1,2. — &ftj.10,137). 
Der franzoͤiſche Ausdrud für Abt. Juͤngere Söhne adeliger 
Bamilten erhielten Häufig durch königliche Bunft, mit der An— 

wartſchaft auf eine Abtei, den vorläufigen Titel „Abbe.” Der- 

felbe erhielt aber bald durch das oft fehr weltliche Treiben biefer 

‚Herren einen etwas frioolen Beigeſchmack. Der Prinz Eugen war 

in feiner Jugend „le petit abb& de Savoie“ gewejen, d. h. aus 

bem Hauje Savoyen, welches jet an der Spitze Italiend ſteht. 
I. 1 


92 Abdéra — Abend. 


Ein meifterhaft dargeftellter Typus tft der Abbe in dem Scribe: 
ſchen Stüde Adrienne Lecouvreur. Die Stelle in den Räubern 
deutet offenbar auf ein (und unbekanntes) paradoxes Bud 
über Alerander den Großen, wie man deren noch in unferm 
Jahrhundert in Deutichland zur Rettung eined Nero gefchrie 
ben hat, | 

Abdera (R. Borr.), eine griechifche Stabt an ber Küfte von 
Thracten. Obwohl fie fih rühmen durfte, der Geburtäort Des 
lachenden Philofophen Demokrit zu fein, war fie doch wegen der 
Albernheit ihrer Einwohner im Altertbum berücdhtigt, was be- 
kanntlich Wieland in feinen „Abderiten“ höchſt ergöglich darge⸗ 
ftellt hat. 

abe (R.IV,3) für ab, wie es in geiftlichen Liedern ehemals 
nicht felten vorfam und Sch. ald Reminiscenz vorfchweben mochte; 
in Gr. d. W. findet ih diefed Wort nicht. 

Abend, Der (Ged.) Ungeachtet feiner entfchiedenen Bor: 
liebe für gereimte Verſe hat Sch. hier, und zwar auf Wunfch 
W. v. Humboldt’8 ein antikes Versmaß, ähnlich dem der Horazi⸗ 
fhen Oden, gewählt. Dad Gedicht (am 25. Sept. 1795 an Körner 
geſchickt) hat dadurch einen eigenthümlichen Reiz befommen; ed 
tft, als ob Klänge aud einer fremden Welt und anwehten, die 
nichtödeftomeniger einem wohlbefannten Inhalte auf's innigfte 
fih anfchmiegen. Auch Außerte fih Humboldt im höchften Grade 
befriedigt durch das Gedicht. Er fagt: „Es herrſcht in ihm ein 
fehr einfacher und reiner Ton, bad Bild malt fi fehr gut vor 
dem Auge des Lejerd, und dad Ganze entläßt ihn, wie man 
fonft nur von Stüden der Griechen und Römer ſcheidet.“ — 
Str.1: Der ftrahlende Gott ift Phöbus (ſ. Apollgn). — Str. 2: 
ftatt Tethys fteht irrthümlich in einigen Ausgaben Theti (vergl. 
die beiden). — Eine befondere Schönheit liegt in dem Paralle- 
lismus, welden die dritten Verſe der drei erften Strophen dar- 
ftellen, wodurd die Hauptmomente, in welche dad Gemälde aud- 
einandergelegt tft, höchſt malerifch hervortreten. Bei dem Bor: 
trag tft auf fie ein befonderer Accent zu legen. 


Anführen — Adhat. 8 


abführen, ſich (K. u. 8. 1,1), bedeutet nach Gr. d. W. „fi 
entfernen, fortmadyen, abfahren, fterben”. 

abgezogener Begriff (Br. v. M. Ueber ben Gebrauch bes 
Chors in der Tragödie). Sch. Üüberfept damit das Fremdwort 
„Abftraction”, ſ. Gr. d. 8. unter abziehen. 

abkappen (R. IV, 3) nach Gr. d. W., für abkoppen (couper), 
abhauen, ſigürlich einen abkappen, derb abweiſen, abfahren 
laffen. 

Abraham's Schooß (Wt.L.8), Anſpielung auf Luc. 16, 22. 

Abſalon, David's Sohn; Abſalon 8 Zopf (Wit. L. 8), An⸗ 
ſpielung auf 2. Sam. 14, 26. 

Abſchied vom Lefer, das Schlußgebidht des erften Bandes, 
führt in fpäteren Ausgaben die Ueberſchrift: Sängers Abichieb 
(1. d.). 

Abſtreich (N. 1,2), nad Br. d. W. subhastatio, eigentlich 
das Mindergebot, im Gegenſatz zu Aufftreidh (ſ. d.), Mehr: 
gebot. 

Abt (W. T. II, 2), der Vorfteher eines Klofterd. — Abtei 
(®. 2. 8), die Wohnung und Pfründe eined Abtes. — Web: 
tiffin (R. II, 3), die Vorfteherin eines Ronnenflofters. 

Abijdos (Geb. Hero und Leander), Stadt in Kleinafien, 
an der jchmaljten Stelle des Helledpont d. i. der Darbanellen. 


Ycamas (2. DB. d. Aen. 45), nad Koch's Wörterbud zum 
Birgil „ein Sohn des Theſeus und der Phaͤdra“; es ift an bie: 
ſer Stelle wohl ein vom Dichter willkürlich gewählter Name. 

Achäer (Iph. I, Zw.⸗H.) ober Achaier (Geb. 2.2. d. 
Yen. 56), ein häufiger Name für die Sriechen, nach einem ber 
vier Hauptftämme derſelben, der in fpäterer Zeit feinen Siß 
vornehmlich in Achaja, dem nördlichen Küftenlande bed Pelo- 
ponnes hatte; beſonders werben ſie oft von Homer jo genannt. 

Achat (R. II, 3), ein bereits im Altertum hochgeſchätzter 
Stein, der übrigens weniger als Ringftein, dagegen mehr zu 
Moſaikarbeiten verwendet wird. 

9 


4 Ahkron — Adler. 


Achiron (Bed. Semele 2 — Ph. J, 1), ein Fluß in der Un» 
terwelt, oft auch dieſe felbit; der acher ont'ſche Kahn (Ged. 
An Goethe), ſ. Charon; bildl. „über den A. fördern” (R.I, 2), 
4.v. w. den Tod geben; vergleichend: „Sollen wir bier fichen 
wie bie Narren am Acheron?“ (F. IV, 4), die Schatten ber 
Berftorbenen mäfjen nämlich warten, bis Charon fie mit fei- 
nen Kahne abholt. 

Adilleide (Geb. 2. B. d. Xen. 87), d. ti. der Sohn des 
Achilles, Neoptolemud, au Pyrrhus genannt. 

Achilles, abge. Achill (Ged. Hektors Abſchied und 2.2, 
d. en. 5), der Sohn des theflaliichen Fürften Peleud und der 
Thetis (Ged. Kaſſandra und Iph. I, Zw.:H.), nad) feinem Vater 
oft ber Pelide (Ged. 2. B. d. Aen. und Iph. J, Zw.:H.), nach 
feinem Großvater Adacud (Iph. III, 4), dem Vater des Peleus, 
auch der Heacide (Iph. IV, 3), mit Rückſicht auf die Abkunft 
yon jeiner göttlichen Mutter au (Iph. I, Zw.:9.) „Zeus glor: 
reicher Enkel”, nad feinem Baterlande (2. B. d. Aen. 33) „per 
‚thefialiiche Achill“ genannt, war (Iph. III, 4) von Chiron (. d.) 
erzogen worden und erjcheint ald der Hauptheld in der Ilias. 
Er war der Anführer der Myrmidonen (Sph. IV, Zw.:9.), ‚über: 
haupt aber der Schönfte, Gewandteſte und Tapferfte ber grie- 
chiſchen Heerführer vor Troja; daher (Iph. IV, Zw.⸗H.) „ber 
Tapferfte der Inachiden“ (ſ. d.). — Schon in Aulis follte er 
vorgeblich mit Agamemnon's Tochter Sphigenta (Iph. I, 1), ſpä⸗ 
ter vor Troja mit Poldrena (vergl. Ged. Kaflandra) vermäplt 
werben. Als Knabe war er von feiner Mutter in das Waſſer 
bed Styx getaucht worden, um ihn unverwundbar zu machen; 
‚aber an der Ferſe, bet welcher fle ihn gehalten, empfing er burch 
Barid einen Pfeilſchuß und fand fo feinen Tod. 

Adiver, iin der Octavausgabe von 1835, 3,-27 und 53 
faäͤlſchlich für Argiver, ſ. d. 

Acte (M.St.I,7). Berfügung, Beſchluß bes Parlaments, 

Adler, Der, einer der größten und ftärkiten Raubvögel, iſt 
in Tünftleriihen Darjtellungen oft ſinnbildlich benutzt ‚worden. 





Anus — aberiren. 5 


a3 König ber Vögel war er bereits im Alterthum der Bogel 
deB Zeud (Bed. Das GÄF) und in Folge deſſen das Sinnbilb 
der DOber- und Atteinherrkbaft. Bekannt tft, daß er den roͤmi⸗ 
[hen Legionen ftatt unferer Fahnen als Feldzeichen diente. Unter 
den teutfchen Katjern führte ihr zuerft Otto IV. (1198— 1213) 
auf Siegeln. In das Reichsbanner, welches früher den Erzengel 
Michael geführt Hatte, Fam er erft unter Katfer Sigismund (1410 
bis 1437). — Bildlid wird Adler daher für das deutiche Neid 
gebraucht, wie (W. 7. U, 1) „bie Stäbte, die unter'n Schirm 
bes Adlers ſich geflüchtet.” 

Admetus, abgek. Admet (Geb. d. Götter Griechenlands), 
König von Pherä in Thefjalien und ein Schügling bed Apollo, 
der eine Zeit lang als Hirt bei ihm gebient hatte (Homer ZI. 
2, 715. 763). Er liebte die Alcefte, weldhe ihm von ihrem 
Bater Peliad zur Sattin verheißen worden war, jedoch unter 
der Beringung, daß er einen Löwen und einen Eber vor bden- 
jelben Wagen fpannen follte. Apollo war ihm bei der Erfüllung 
Dieter Aufgabe behülflih. Auch hatte ihm ber Gott die Unfterb- 
lichkeit gemwährleiftet, wenn beim Herannahen feined natürlichen 
Endes ein Anderer für ihn fterben wollte. Alcefte, feine Ge⸗ 
mablin, entſchloß ſich dazu. Herkules aber entriß fie dem Tode 
und gab fie dem Admet zurüd. — Euripides bat dieſen frei: 
willigen Opfertod der Alcefte zum Gegenftande ſeines gleich: 

namigen Drama’3 gemacht. 

Adoͤnis (Myth. Ged. Rente, B. 5 u. 6. — Die Götter 
Griechenlands, Str. 4, B. 8), der Sohn bed Königs Chniras 
vor Enpern, wurbe von ber Vems geliebt, aber auf Beran- 
lafſung des etferfüchtigen Mars durch einen Eber tödtlidy ver 
wundet. Venns eilte zwar ſchnell zu Hülfe, kam jedoch zu ſpuͤt, 
ſo daß Ihr nichts weiter übrig blieb als bie Klage um ihren 
Sichling. 

wostiren, von dem lat. adoräre, anbeten (3. v. Di 
IV, 8), die fonft nur einer Heiligen gebührende Verehrung ex: 
wetien. 


6 Adramélech — Aegis. 


Adramelech, hebr., der Name eines Abgottes, ſ. v. w. herr⸗ 
licher König, ein Götze, der nach dem Charakter der aſſyriſch⸗ 
babyloniſchen Mythologie irgend einen vergötterten Himmels⸗ 
körper bezeichnete und dem man nach 2. Kön. 17, 31 Söhne 
verbrannte; Klopftock's Adramelech (R. Borr.) iſt in deſſen Mef- 
ſfias ein mit Satan verbündeter Teufel. 

Adraftus, abgek. Adraft (Spb. I, Zw.⸗H.), ein mythiſcher 
König von Argos, einer der fieben Helden gegen Theben (j. Amı- 
phiaraus und Atalanta), wurde fpäter König von Sicyon, deffen 
Herricher Poͤlybus kinderlos geftorben war, ſ. Phönizierinnen. 


Aeacide 
a | f. Allen, 


Aegeus, in der Detavaudgabe Egeuß (Ph. I, 3), König 
in Athen, war mit Meta vermählt, hatte aber feine Kinder. Als 
er ein Orakel deöwegen um Rath fragte und eine bunfele Ant: 
wort erhielt, begab er fich, um Aufllärung zu erlangen, zu fei- 
nem &aftfreunde Pittheus (Ph. II, 2 und IV, 2), dem König 
von Trögene, der ihm feine eigene Tochter zuführte. Diefe ward 
die Mutter feined Sohnes Theſeus, der bier erzogen wurde. 
Aegeus hinterließ ihr Schwert und Schuhe, die er unter einem 
Felsblock verbarg, indem er der Mutter fagte, daß er an biefem 
Zeichen einft jeinen Sohn erfennen wolle. . 

Yegide, f. Aegis. 

Yegina (Iph. III, 4), die Tochter des Ylußgottes Aſopus in 
Böotien, gebar dem Jupiter den Aeäkus (vergl. Achilles). 

Aegis oder (Ged. 2.3. d. Xen. 39) Aegide, ber Schild 
des Zupiter und ber Minerva, auf welchem die Gorgo, ein mit 
Schlangen umfäumtes Medufenhaupt (ſ. Medufa), dargeftellt war. 
Zeus jchüttelte feinefurdhtbar ſtrahlende und-leuchtende Aegis (Ged. 
D. Siegeöfeft), wenn er Sturm und Gewölk erregte; ſomit ift 
fie urfprünglich wohl nicht? Anderes ald dad Abbild der Gewitter: 
wolfe. Im weiteren, bejonders tim bildlihen Sinne verftebt man 
unter Aegide jede ſchützende Bedeckung. 


Aegypten — Aenkas. 7 


Uegypten (Ged. Der Ring des Polykrated), eind der 
älteften Eulturländer der Welt, im norböftlichen Afrika. Die 
Regierung des Königs Amaſis, 570 v. Chr., bezeichnet einen 
funzen Glanzpunkt dicht vor dem Untergange ber Gelbftändig- 
keit des Reiches. Berühmt find beſonders die Ueberrefte koloffaler, 
von den despotiſchen Königen unternonmener Bauwerke, wie 
3 D. der Pyramiden, wonad Aegypten ald „das Sand der Py- 
ramiden“ bezeichnet wird (GEſtſ. 10, 162), |. „dad verjchleierte 
Bild m Said.” 

Aeltervater (D. C. V, 7). Die ift Karl V., Kaifer von 
Deutihland, als König von Spanien Karl I., weldher 1556 ab: 
dankte und ſich in das fpanifche Klofter St. Sufte zurüdzog. 
Deber jeinen Aufenthalt dafelbft, wie über das Berhältnig zu 
\emem Sohne, König Philipp II, find die feltjamften Mährchen 
verbreitet worden, wozu auch die Aeußerung Lerma’d zu rechnen 
Mt. Philipp war vielmehr ber reſpektvollfte Sohn, ſowohl vor 
als nach Der Abdankung feines, vor und nach der Abdankung, in 
Spanien allmäcdhtigen Baters, |. Mignet, Charles-Quint & St. Just. 
Auch das bekannte ſchöne Gedicht Platen’d: „Der Pilgrim von 
St. Juſt“ ift völlig mährdhenhaft. Karl V. ift am heflen Mittag 
mit großem Gefolge in das Klofter eingezogen. 


Aelteſte Thron der Chriftenheit (M. St.II,4), d. h. 
der Tranzöflfche, wenn man als feinen Gründer den Franken: 
Kinig Chlodwig, 481 — 511, anſieht. 

Yencad (Ger. 2.2. d. Aen. 1), |. Homer Il. 2, 820; 
13, 428, 465; 5, 265, 311; 20, 258, der Sohn des Anchiſes 
und der Benus, der Stammvater der Römer, war aud der noch 
brennenden Stadt Troja (weshalb er Ged. 4.3. d. Yen. 18 
der Phryger genannt wird, wo Phrygien, ber Name der mitt: 
leren Landſchaften Kleinafiend, im weiteren Sinne genommen 
wird), nachdem er biefelbe gegen die eindringenden Griechen ver: 
geblich vertheidigt, mit feiner Gattin Kreufa und feinem Sohne 
Ascanius (abgek. Aſkaͤn) geflohen, landete zuerft an der thraziichen 


8 Aenelde — Aeſchylus. 


Kufte, ſpaͤter an ber Nordafrika's, wo Juno, bie Beſchützerin 
des entſtehenden Karthago, ihn durch die Liebe zur Dido zu 
feſſeln ſuchte, damit er Rom nicht gründen könnte, denn ſte 
wußte, daß dieſer Stadt einft Karthago erliegen würde. Er ge: 
langte aber nach Stalten und Iandete an der Küfte Latium! 
Sein Sohn gründete Alba Longa, und aus biefer Stadt ſtammteé 
Romulus, der eigentlihe Gründer Roms. 

Aeneide (Ged. Die Zerftörung von Troja), ein Helben: 
gedicht in zwölf Büchern, von dem römifchen Dichter Virgillus 
(ſ. d.), welcher in demſelben die Irrfahrten und Kämpfe bes Ae⸗ 
neas befingt, in dem und beflen Gefährten die Römer die U: 
vorfahren ihres Volkes und ihrer vornehmften Gejchlechter fahen: 
Zugleich feiert er in demfelben das Haus des Kaiſers Auguſtus, 
unter weldhem er lebte. Birgil, der nach dem homerifchen umb 
ipäteren Vorbildern dichtete, war bebeutender durch die Eleganz 
jeiner Sprache ald durch Originalität der Erfindung. Dad Ge: 
dicht ift von dem Franzofen Scarron (+ 1660) und dem Deutſchen 
Blumauer (f. d.) traveftirt worden. 


Heölus, der Gott der Winde; daher die Anlifhe Harfe 
(Ged. Würde der Frauen), ein Snftrument, defien Saiten, wenn 
es im Freien aufgehängt wird, von dem Winde in Schwingung 
verjegt werden, wodurch höchſt anmuthige Klänge entftehen. 


Aebnen (ed. Das Geheimniß der Reminiscenz — R. IV, 
5), aoon tft ein griechifched Wort, welches fo viel als „Zeit“, 
„Beitalter", auch wohl „Sahrhundert“ bedeutet, dann im weite- 
ren Sinne poetiſch „unermeflene Zeiträume”. 


Aeſchylus (Br. v. M. Einl.). Der erfte der drei großen 
griechiſchen Tragiker d. i. Trauerfpielbicäter, 525 zu Eleuſis it 
der mittelgriedhifchen Landſchaft Attika geboren, Fämpfte bei Mai 
rathon, Salami und Platin gegen die Perjer mit. Cr zuerft 
ließ zwei Schaufpieler auftreten und ſchuf jo den Dialog, dei 
er zum Haupttheil des Stüded macht. Die und von ihm übrig 
gebliebenen fleben Tragödien find von Droyfen u. X. in's Deutſche 


Aeſoͤpus — Affect. 9 
überfegt worden. Die Br. v. M. ift an vielen Stellen, beſon⸗ 
ders in ten Chören, fehr geeignet, von feinem großartigen Style 
eine Boritelfung zu geben. 

Aeſoͤpus, der älteſte griechiiche Fabeldichter, angeblid im 
6. Sahrb. v. Chr. Er fol verwachlen geweſen fein und gehintt 
haben; Daher (R. I, 3) „Afopiicher Krüppel“. Bor den Yabeln 
Lafontaine's (bei Hachette) befindet fich eine Biographie Aeſop's. — 
Aeſopus (Iph. IT, 4) in einigen Ausgaben fälfchlich für Aſo⸗ 
pus (. d.). 

Aeſthetik (Ged. Jeremiade), die Gefühls- oder Geſchmacks⸗ 
lehre, die Wiſſenſchaft von dem Schönen und der Kunft, welche 
dieſen Namen von dem deutfchen Philoſophen A. S. Baumgar⸗ 
ten, + 1762, erhielt. 

äſthetiſch (Ged. Der Genius m. d. umgekehrten Fadel), 
geſchmackvoll, ſchön. 

Aether, eig. die höhere, reinere Himmelsluft, wie (Ged. 
D. Entzückung an Laura — Semele J — H. d. K.); ferner ſinn⸗ 
bildlich für Unendlichkeit, (wie (Ged. D. Ideale): 

„Bi an des Aethers bieichfle Sterne 
Erhob ihn der Entwürfe Sing.“ 
oder für das höchſte Wefen jelbft, wie (Br. v. M. ©. 414): 
„Nur ber allſehnde Aether über m 
Bar bed verſchwiegnen Glücks vertramter Zeuge." 

Aetna (Br. v. M. ©. 417), der höchfte und, worauf fein 
griechiſcher Name binbeutet, feuerjpeiende Berg (11,000 Fuß) 
auf der Inſel Stcilien. 

Aetolier, in der Octavausgabe Etolier (Phön.), Bewohner 
der Landſchaft Aetolien in Mittelgriechenland. 

Affeet, aus dem Lat., 1) ein lehhaftes Gefühl, eine Be 
mũthsbewegung (B. a. v. E. 10, 83 — Gftf. 65); 2) Leiden: 
haft (Gr. Handl. 10, 65 — V. a. v. E. 106); 3) leidenfchaftliche 
Erregung des barftellenden Künftlerd (M. St. III, 4 — Gſtſ. 192), 
jo wie die Hierdurch erzielte Wirkung (Br. v. M. Einl. 381), bei. 
der Schauber, wie (Geb. Shakeſpeare's Schatten): „ber ſchwarze 


® 


10 Afterfönig — Ahab. 


Affect“; affectvoll (Oft. 137), mit leidenfchaftlidem Nach- 
drud; affectirt (F. II, 2), mit verftelltem und gezwungenem 
Benehmen; Affectation, gem. erfünfteltes Betragen, aber „idea⸗ 
liſche Affectionen“ (R. Borr.) |. v. w. Geftalten, die ald das Er- 
geugniß einer überfpannten Einbilbungöfraft zu betrachten ſind. 

Afterkönig (Dem. II, 1), ein falfcher, dem ächten Könige 
an Werth nachitehender König, Gegenkoͤnig; eben jo Aftertö- 
nigin (M. St. I, 6). Die Schiller'ſche Stelle zu Afterkönig 
findet fih in Br. d. W. nicht. 

Agamemnon (Iph. I, 1), der Sohn des Atreus (Iph. I, 
3m.:9.) und Bruder des Menelauß (|. d.), war König von My: 
cenä. Bon feinem erften Ahnherrn Tantalus (j. d.) an bi8 auf 
feine Kinder herab wurde das ganze Haus von einem feindlichen 
Geſchick verfolgt; vergleiche Die großartige Darftellung in Göthe’3 
Sphigetie I, 3. Bei dem Audbruche ded trofanifchen Krieges 
wurde Agamenmnon, der allein 100 Schiffe auögerüftet hatte, von 
den griechijchen Yürften der Oberbefehl über das ganze Heer 
überfragen. Nach beendigtem Kriege kehrte er zwar glüdlich in 
feine Heimath zurüd, indeſſen wurde ihm hier durch bie Untreue 
feiner Gemahlin (j. Klytämneftra) der Tod bereitet. 

Agenor, der Sage nad der Sohn bed Belus, Vater des 
Kadmus und der Europa, war der Ahnherr der Phönicier (Phön.), 
der Urahn ber Dido und Semele's Großvater (Bed. Semele 2). 

Agnes (W. T. V, 1), die Tochter des im Sahre 1308 er: 
mordeten Kaiferd Albrecht I., verwittwete Königin von Ungarn; 
fie wüthete unmenſchlich, um den Tod ihred Vaters zu rächen. 

Agnus Dei (M. St. V, 6), lat., bad Lamm Gottes; ein 
geweihtes Stüd Wachs, von ber Geftalt einer Schaumünze. Auf 
der einen Seite iſt das Bild des Lammes mit der Siegeöfahne, 
auf der andern ein Heiliger dargejtellt. 

Ahab (Wit. 8. 8), der fiebente König aus dem Haufe 33: 
tael, regierte von 918—897 v. Chr. zu Samarla. Er wandelte 
in den Sünden Jerobeams (f. d.) und biente dem Baal (vergl. 
I. Kön. 16, 29—33). 





Ahn — Ag. 11 


Abhn oder Aelter vater (D. €. V, 7), der Großvater; „der 
mütterliche Ahn“ (Ged. 4. B. d. Aen. 48) iſt Zeus. Da 
naͤmlich Aeneas als Sohn der Venus ein Enkel des Zeus war, 
ſo iſt dieſer ſein Großvater mütterlicherſeits. Der Ahnherr 
der Phädra (PH. IV, 6) iſt Zeus, als Vater des Minos. — 
Im weiteren Sinne find Ahnen die Borfahren überhaupt, wie 
(B. %. U, 2): 

„So bat bie ulte Sitte hier vom Ahn 
Zum GEnfel unverändert fortbeftanden.* 

Aĩdes (bei Sch. Aldes), d. 1. der Unfichtbare (Ged. Odyſſeus), 
bei den Römern, obwohl auch dieſer Name griechifch ift, Pluto 
(Geb. Klage der Ceres — Hero und Leander — R. II, 3), der 
Sohn ded Kronos und der Rhea, der Bruder bed Zeus und des 
Bofeidon, war der Gott der Unterwelt oder bes Hades (vergl. Tar⸗ 
tar), wo er als Herrfcher über die Verftorbenen thronte; daher 
Ged. Nenie) „der Schattenbeberrfcher“ oder „der ſtygiſche 
Den?", (PH. IL, 5), „der Schattenkönig“ und (Geb. Glocke) 
„ber ſchwarze Fürft der Schatten“. Er fuhr auf einem von 
vier fhwarzen Rofjen gezogenen Wagen und trug einen Helm, 
ber ihn unfichtbar machte, woher er den Namen Aides oder 
Cateiniſch) Hades erhielt. 

Ajax. Unter den griechiſchen Heerführern von Troja füh: 
ren zwei Helden diejen Namen; daher heißt ed (Iph. I, 3w.:9.): 

„Erft jah ich die tapfern Zeltgenofien, 

Der Ajarxe Heldenpaar, vereint 

Mit Brotefilas, dem Freund, 

Auf den Sigen friedlich hingegofſen; 

Des Dileud Sobn, und did — bie Krone 

Salami — furätbarer Eelamone!” 
Der erfte, der Sohn des Dileus, eines Königs in Lofrid, ge: 
wöhnlich der kleine Ajax genannt, zeichnete ſich vor Troja als 
einer der vorzüglichften Helden aus. Bei ber Eroberung der 
Stadt jedoch ging feine Tapferkeit in rohe, durch Sinnlichkeit 
angeftachelte Wuth über, indem er bed Priamud Tochter, Kaf 
ſandra, „die Priefterin“ (Ged. 2.2. d. Yen. 73), welche ji in 


12 Akkon — Alba. 


den Xempel der ‘Minerva geflüchtet hatte, bei den Haaren von 
der Bildfäule der Göttin wegriß. Eine Darftellung biefer Scerte 
it (F. U, 17) de8 Malerd Romano „wüthender Ajax“. Zur 
Strafe für diefe Handlung ließ ihn bie Göttin in einem Mes 
reöfturme (Homer Od. 4, 499) umlommen. — Der zweite Ajax, 
ber größere genannt, war der Sohn bed Telamon au Ge 
lamid. Er war von Geftalt der Gewaltigſte im griechiichen Heere 
und hatte zwölf Schiffe nad Troja geführt. Offen und voll 
edlen Stolzes ftritt er mit Odyſſeus um die Waffen des gefalle- 
nen Achilled, auf die er wegen feiner Verwandtſchaft und Tapfer: 
feit Anfprüde hatte. Da man ihm aber fein Recht nicht ge: 
währen wollte, fo gab er fich verzweiflungsvoll ſelbſt den Tod; 
baber (Ged. D. Siegeöfeft): 

„Friede Deinen heil'gen Reſten! 

Nicht der Feind hat Dich entrafft; 

Ajarx fiel duch Ajax Kraft. 

AG, der Zorn verberbt die Beften!* 
Sophokles hat fein Gefchid in der gleichnamigen, und erhaltenen 
Tragödie bargeftellt. 

Akkon (Ged. D. Zohanniter), gew. Acco od. Acca, am 
Borgebirge Karmel in Paläſtina, wurde während ber Kreuzzüge 
Ptolematd, jpäter St.-Sean b’Acre genannt. Es war die leßte 
Beſitzung der Kreuzfahrer, indem im Jahre 1291 mit ben I 
hannitern die legten Ueberrefte der Chriften durch bie Mame— 
Iufen von bier vertrieben wurden. 

Akrokorinth, j. Korinth. 

Alba, Ferdinand Alvarez von Toledo, Herzog von Alba, 
Spanter, 1508 geboren, der bedeutendfte Feldherr Kaiſer Karl's V. 
dem er bie Schlacht bei Mühlberg 1547 gegen die deutſchen Pro- 
tejtanten gewann und jpäter bes Königs von Spanien Philipp's IE, 
bem er, jedoch vergeblich, die empärten Niederlande tn ſechs Jah⸗ 
ren blutiger Verwaltung gehorfam zu machen ſuchte. Er Trönte 
jein Leben durch Die 1581 unternommene Groberumg Porte 
gals, 1582 ftarb er. S. Sch. Abfall ber Niederlande und das 


Abion — alexandriniſch. 13 


berrlige, audy in's Deutiche überjepte Werk bed Nordamerikaners 
Motiey. Alba ift der Typus des fanatiichen Vorkämpfers bes 
Katholicismus, ähnlich dem deutfchen Generale Pappenheim im 
dreigigjährigen Kriege und den Guiſen in Frankreich. 

Abion (Ged. D. mmüberwindlidhe Zlotte), die alte, jetzt 
dichteriſche Benennung für Großbritannien, vielleiht von den 
weißen Kreidefellen der ſüdlichen Küften. 

Albrecht, König (W. T. V, 1). Albrecht I. (1298—1308), 
der Sohn Rudolph's von Habäburg, ein firenger und herrſch⸗ 
füchtiger Kaifer, der jeine Hausmacht möglichft zu vergrößern 
juchte, wurde von feinem Bruderſohn, dem Herzog Johann von 
Schwaben (j.d.), dem er fein Erbe vorenthielt, am 1. Mai 1308 
ermordet. 

Alcala, bei Sch. Alcaͤla (D. €. I, 2), in Neu⸗Caftilien, 
.beiaß jeit 1499 eine Univerfität. 

Wiceite, |. Admetus. 

leid, |. Herafles. 

Alerander Magnus (R. J, 1 u. IV, 1). Wlerander d. Gr., 
König von Macebonien (336 —323 v. Chr.), welcher in brei 
Schlachten, deren lebte und größte bei Arbela am Tigris ge 
Hiefert wurde, dem altperfiicden Reiche ein Ende machte, vergl. 
Abbe. 

alerandrinif (R. I, 2). „Das tft ja recht alerandrinifch 
geflennt” jagt Spiegelberg zu Moor. Die Stadt Alerandria, 
in Aegypten von Alerander dem Großen gegründet, wurde unter 
ben Ptolemäern, d. h. den Königen diefed Landes aud dem 
„Beichlechte des Ptolemäus, eines Feldherrn Alerander'd, ber fi 
‚zum Könige v. Aegypten machte, der Sitz reicher Bildung, Die 
.gber bald in rein gelehrte Forſchung überging, und deren mit. 
‚unter pebantijche Träger ſchon im Altertum Gegenftand bed 
Spottes waren. Es ſcheint, als fei dem wüften Spiegelberg 
Moor's mit fo nielen geſchichtlichen Namen ausſtaffirte Betrach⸗ 
fung zuwider. 


14 Algierer — Alpheus. 


Algierer (Mith.), Bewohner des Berglanded Algier am 
Abhange des Kleinen Atlad im nördlichen Afrika und bis 1832 
berüchtigt als freche Seeräuber, gegen weldhe Kaifer Karl V. 
1535 und 1541 berühmte Züge unternahm. 

Allerriftlichfter König (M. St. V,6), ein Ehrentitel, 
welchen ber Papit Pius II. 1469 Ludwig XI. und in ihm allen 
fünftigen Königen Frankreichs beilegte, fr. le Roi Trös- Chre- 
tien, doch fol er ſchon feit Ludwig dem Diden vielfach gebräudh- 
lich gewejen fein. 

Alp (W. T.1,4), Bezeihnung für die hohen Punkte des 
Alpengebtrged in der Schweiz. 

Alpenjäger, Der (Ged.), ein Gebicht, welches wie das 
Berglied (vergl. d.) i. 3. 1804 neben bem Tell entjtanden ift 
und ſich auf eine in der Schweiz herrichende Volksſage bezieht, 
in welcher ein Berggeiit, bier „der Bergedalte”, ald Beſchützer 
ber Gemfen erjcheint, Statt Gemfe hat Sch. bier den Ausdruck 
Gazelle gewählt, eine Thiergattung, die den Gemſen nahe ver: 
wandt ift und mit ihnen zu dem Geſchlechte der Antilopen ges 
hört. Bei der Mutter hat ihm jedenfalld die ängstlich beforgte 
Hedwig (W. T. III, 1), bei dem Süngling eine Natur wie ber 
Tell vorgefchwebt, der von ſich jagt: 

„Zum Hirten bat Natur mich nicht gebilbet; 
Raſtlos muß ih ein flüchtig Ziel verfolgen. 
Dann erft genieh’ ich meines Lebens recht, 
Wenn ich mir's jeden Tag auP& new’ erbeute.” 

Alpheus (Sph. I, Zw.⸗H.), ein Hauptfluß im Peloponnes, 
ber bei Tegea in Arkadien entjpringt und nach zweimaligem Ber: 
ſchwinden unter der Erde durch Elis hindurch in's tonifche Meer 
geht. Diejed öftere Verſchwinden gab. zu der Sage von einem 
Flußgotte Alpheus Veranlaffung, welcher die Nymphe Arethuſa 
liebte und einſt verfolgte (ſ. d.). Die keuſche Nymphe (daher 
Iph. I. Zw.⸗H.: „die ruhmreiche Arethuſa“) floh, als aber Als 
pheus nicht abließ, flehte fie zur Artemis, welche fie in eine Wolle 
hüllte; und als auch diefe noch der Verfolgung audgefegt blieb, 


Altarblatt — Alter. 15 


verwanbelte fie ſich in eine Quelle. Set nahm Alpheus feine 
Zinßgeftalt wieder an, um fi mit dem Waſſer der Arethufa zu 
vermiichen. Aber die unerbittliche Göttin verfegte fie nun nad 
der Injel Ortygia bei Sieilien. Doc auch hierhin verfolgte fie 
Alyten?, indem er fi unter dem Meere einen Weg bahnte unb 
als Duelle neben ihr zum Vorſchein fam. Seht Eonnte Arethuſa 
nicht länger widerftehen und geftattete der Duelle, fich mit ihrem 
Gewäfler zu vereinigen. Bon dem Zufammenhange beider Quel- 
len wird viel Wunderbares erzählt; fo fol eine zu Olympia in 
ben Alpheud geworfene Opferfchale in der Arethufa wieder zum 
Vorſchein gelommen fein, und letztere fol fi roth färben, wenn 
zu Olympia das Blut der geopferten Rinder in ben zu 
fliegt. Vergl. Bucentaur und Arethufa. 

Altarblatt (Sftf. 233), der hintere, in bie a ge- 
bante Theil eines Altard, der meift mit einem Gemälde geziert 
ift. Man pflegt daher auch dieſes letztere felbft Altarblatt od. 
Altarfüd (Gftſ. 231) zu nennen. 

Altdorf (Bft. 8. 7), füböftlih von Ninmberg; von 1576 
— 1807 beftand dort eine Untverfität, welche Wallenftein 1599 
bezog, auf der er fih aber nur durch Raufereien und Ausfchwei: 
fungen auszeichnete. — ©. a. Altorf. 

Altenglich Herz (M. St. I, 3), fo viel wie reblih, wader; 
mit Altengland — Old England — bezeichnen die Engländer 
gern ihr Vaterland, im Gegenſatze zu den fpäter hinzugekomme⸗ 
nen Theilen Wales, Schottland und Srland. 

Alter, Die drei, der Natur (Ged.), ein Epigramm auß 
dem Sabre 1800. Das griechiſche Alterthum belebte die Natur 
durch einen Reihthum von Göttergeftalten, welche den treiben: 
den und bewegenden Hintergrund aller Erſcheinungen bildeten. 
. Später unterwarf bie Schule fie den Gefegen der Mathematif; 
da dieſe Betrachtungsweije jedoch ſich nur auf feelenlofe Kräfte 
fügte, jo Tormte diejelbe der Phantafie Teine Befriedigung ge: 
währen. Erft die vernünftige Betrachtung ber neueren Zeit, 
von der Sch. freilih nur die Morgenröthe gefchaut, bat auch 





16 Altlandgamman — Amalthea. 


die Afthetiiche Betrachtung der Natur wieder in ihr volle Recht 
eingeſetzt. 

Altlandamman, ſ. Amman. 

altlombardiſch (Piccol. IT, 8). Die Piccolomini ftanımen 
nad Andern au Rom, von wo fie nad) Siena zogen. „Alt 
lombardiſch“ würde bebeuten, aus einem alten, in der Lombardei 
(d. 5. dem mittleren Theile Norditaliend) anfähigen Adelöge- 
Ishlesht. 

Altorf oder Uri (VB. T. I, 3), die Hauptftadt des Can⸗ 
fond Uri an der Mündung der Reuß in den Vierwaldftätter See 
und am Fuße ded bewaldeten Bannberged (W. T. III, 3), Deffen 
Baumſtämme den Ort gegen Lawinen und Yeldftürze ſchützen. 
Tel’ ie ®efängnig wird hier noch gezeigt; eben fo erinnern zwei 
Brunnen an ihn; einer mit feinem Standbilde, angeblich an ber 
‚Stelle, wo er den Apfelihuß gethban, der andere da, wo fein 
Knabe geftanden haben fol. — Sn der Octavaudgabe fteht Alt- 
dorf (1. d.). 

Altringer (Picc. I, 1) od. „Graf Altring” (Picc. V, 2) 
vertheidigte ald Tatjerlicher Oberft 1626 die Deffauer Brüde fieg 
reich gegen Mansfeld und gehörte ſpäter zu den dem Kaiſer be⸗ 
ſonders ergebenen Generalen. 

Altvorderen (W. T. I, 2), |. v. w. Vorfahren, Väter; un: 
ſere Stelle fteht in Gr. d. W. nicht. 

Alzellen (W. T. I, 1), ein Meiner Ort bei dem Dorfe Wol: 
fenſchießen im Engelberger Thal, etwa in der Mitte zwiſchen 
Stanz und Engelberg im Canton Unterwalbden. 

Amalia (Ged.). Dieſes Gedicht bildet in den „Räubern“ 
ben Anfang des dritten Aufzuged. Der Süngling, an ben es 
gerichtet ift, tft Karl Moor. 

Amalthen (Myoth.), einigen Dichtern zufolge eine Ziege, 
welche Zeus ald Knaben fäugte; nach anderen eine Nymphe, bie 
das Kind mit Ziegenmilch auferzog. Dieſe Ziege wurde von Zeus 
zum Lohn für ihre Ammendienfte unter die Sterne verfegt; vor: 
ber jedoch hatte er ihr ein Horn abgebrochen, welche er ben 


Amathuͤnt — Amethyſt. 17 


Töchtern des Konigs Melifſus von Creta ſchenkte. Dies Horn 
(Ged. D. Spaziergang) hatte die Eigenſchaft, fi mit den zu 
füllen, wa3 der Befiser befielben wünſchte. Vergl. Yorkıma. 

Amathunt 

Amathüs ſ. Aphrodite. 

Amathuſia 

Amazone (PH. I, 1). Die Amazonen waren ein ſagenhaftes 
Eriegerifched Weibervolk am Zluffe Thermöton in der Heinafla- 
tifchen Landſchaft Kappadocien; bild!. Jedes beberzte, kriegeriſche 
Weib, bei. (Picc. IV, 5) auch Reiterinnen. 

Ambra (Ged. Semele 1), eine graubraune, harzige Maſſe, 
Die beim Reiben einen Augerft angenehmen Geruch verbreitet. 
Sie erzeugt fib in den Eingeweiden ded Pottfifched, wird an 
den Kuüften Indiens vielfah vom Meere audgeworfen und war 
ſchon jeit den älteften Zeiten befannt. 

Ambrofia (Ged. Semele 2), f. Homer SI. 5, 340. 777; 
19, 38, 353; Od. 12, 63, war der Name der Götterjpeife, welche 
Den Himmliſchen ewige Sugend und Unfterblichkeit verlieh; daher 
ambroſiſch (Geb. Triumph d. Liebe. — D. Spaziergang), |. v. a. 
göttlih, aber auch füß duftend, ein verfchönernded Beiwort, 
defien fi Homer häufig bedient; daher auch Ambrofiabüfte 
(R. 1, 3). 

Amerika (K. u. L. II, 2). Zur Zeit, wo Sch. „Kabale und 
Liebe” fchrieb, vertheidigte Wafhington mit Frankreichs und Spa: 
ntend Hülfe die Freiheit Nordamerikas (1773 — 83) gegen bie 
englifchen Heere. Die Truppen, welche die empörten Amerikaner 
niederfämpfen follten, beftanden meift aus Geworbenen, ımter 
denen ſich auch viele Deutjche befanden, die damals von mehreren 
Landesherren, befonderd dem Kurfürften von Heffen, Friedrih IL, - 
auf ſchimpfliche Weiſe nach dem fernen Welttheil verfauft wurden. 
Der befannte deutſche Schriftfteller Seume, welcher auch zu den 
Berkauften gehörte, berichtet darüber Näheres. 

Amethyſt (Dem. T), eine violett gefärbte Barietät bes Berg⸗ 
kryſtalls, Die ihrer Schönheit wegen nicht jelten als Schmudftein 

L 2 





1B Amienz — Ampbion. 


serwenbet wird. Im Altertbum trug man ihn ald Amulet gegeps 
die Trunkenheit, worauf fi auc fein Name bezieht. 

Amiens (M. St. II, 2) in Zranfreih, Hauptort ber um 
Banal la Manche gelegenen Picarbie. 

Ammann (W.T.I,2) oder Amman, [.v.w. Amtmann 
oder Schultheiß, d.h. der mit der Gerichtsbarkeit betraute Vor⸗ 
fteher eines Orte. Der Borfteher eined größeren Bezirks heißt 
Landamman (W. T. IL, 1); der ältefte unter diefen Aitlanb- 
amman (W. T. 1,2) ° 

Ammon (Geb. 4.3. d. Xen. 37), ein in Aegypten verehrter 
Gott, den bie Griechen als Zeus bezeichneten. Die Aegypter 
nannten ihn Amun und ftellten ihn mit Widderhörnern dar. 
Sein berühmtes Orakel Iag in einer Dafe ber libyſchen Wüfte, 
heute Stwah, weſtlich von Aegypten. 

Ammonshorn (W. T. IV, 3), eine jept nur noch verfteinert 
vorkommende Schnedengattung, deren einzelne Arten von ber 
Größe einer Linje bi8 zu der eines Wagenradbed gefimden wer- 
ben. Ste haben die Geftalt eines Widderhornd (vergl. Ammon), 
befteben vorzugsweiſe aus Kalf oder Eiſenkies und finden ſich 
in faft allen Kalfgebirgen, in den Alpen bis zu einer Höhe von 
mehreren Taujend Fuß. 

Amor 

Ymoretten ſ. Eros. 

Amorinen 

Amphiaxous (Pbön.), berühmter Seher und Liebling ber 
Bötter; er nahın an dem Zuge der Sieben gegen Theben, als 
einer derjelben, Theil, wurde auf der Flucht mit feinem Streit 
. wagen non ber Erbe verichlungen, yon Zeus aber unſterhlich 
Umpbion (Bhön,), König in Theben, ein Sohn des In 
und der Antiope. Er war hochberühmt in der Kunft bes Sal 
tenſpiels, und der Sage nach ſollen fich Die zur Befeftigung 
Thebens verwendeten Steine durch die zauheriſchen Klänge feiner 


Amphitrite — Un ”". 19 


RMelodieen von ſelbſt in Bewegung gefept haben. Vergl. Ge. 
D. Eleufiihe Feſt, Str. 22 u. H. d. 8. 
Amphitrite, eine Oceanide, die Gemahlin bes Pofeidon 
Reytum), dem fie den Triton gebar, welcher mit feinen Eltern 
wi dem Grunde des Meereß in einem goldenen Palafte wohnte, 
Bei ten Dichtern tft Amphitrite. (Bed. D. Antritt d. neuen Jahr⸗ 
hunderts) oft die Perlonification ded Meered. So au (Br. v. 
M. 418), wo Don Manuel bei der Beichreibung bed Schmudeß 
feiner Braut nichts vergefien haben will: 
„ud; wicht ber Perlen und Korallen Schmuck, 
Der Meeredgättin wunberfame Baben.” 
te. Ampsule (3. v. DO. IV, 6), von dem lat. ampulla, 
Flaſche; in der katholiſchen Kirche das Gefäß mit Dem gemeiheten 
Chrisma, d. 5. (griechiſch) dem bei der Taufe, der Firmelung, 
den Krönumgdfeierlichkeiten 20. gebrauchten Salbdl. Die tn ber 
Sunmgafrau erwähnte Ampulla foll bei der Taufe des Franken⸗ 
kõnigs Chlodwig (+ 510) vom Himmel gefendet worden fein. In 
der Revolutiondzeit verloren gegangen, wurbe fie behufs der Krö- 
nung Karls X. (1824—1830) glüdlich wiedergefunden. 


Uuulet (Sftj. 10, 146), aus dem Arab., ein mit Fi⸗ 
guren oder einer Sufchrift verfehener Körper, gew. von Stein 
oder Metall, der von abergläubtichen Leuten am Halfe oder jonft 
ams Leibe getragen wird, und ber wor Zauberei und Krankheiten 
ſchũtzen ſoll. 

Yu ** (Ged.), drei Epigramme and dem Jahre 1798, bie 
vermuthlich an beftimmte Perfonen gerichtet waren, indefien zu⸗ 
gleich allgemeine Wahrheiten enthalten. Daß erfte follte fi 

(nad Boas) wohl auf den etwas zubringlihen Karl Auguft 
Böttiger beziehen, einen der kenntnißreichften Archäologen 
jener Zeit, deſſen Gelehrſamkeit Sc. u. &. bisweilen in Anſpruch 
nahmen. Webrigend erimert ed zugleih an: „Unterjchieb ber 
Stände” und „bad Werthe und Würdige“ (ſ. d.) — Das zweite 
Im an Wieland, vielleicht auch (mach Biehoff) an ben durch 
2% 


20 Anaͤkreon — Angelitern. 


feine „beutjche Proſodie“ umd andere Schriften befannten K. Ph. 
Moritz gerichtet fein, mit denen e8 Sch. umgelehrt ging, indem 
der Umgang mit ben betreffenden Perfonen an fi ihm werth- 
voller war als ihr pofitived Wiflen. — Dad dritte ift jeden. 
falls an Goethe gerichtet, deſſen objective Geiftesrichting auf 
den vorwiegend fpeculativen Dichter einen höchft anregenden Ein: 
fluß ausübte. 

Anakreon (Sp. u. d. L.), um 500 v. Chr. ein griechifcher 
Lyriker, deffen Charakter unjere Stelle ungefähr andeutet. Wir 
beftgen unter feinem Namen eine Sammlung anmuthiger Liebes: 
und Trinflieder, die von K. Uſchner (Berlin bei Schneider) über: 
tragen worden find. 

Anchiſes (Geb. 2. B. d. Aen. 53), der Vater des troja- 
nifchen Helden Aeneas, der ihm von der Göttin Aphrodite (Venus) 
geboren worden war (Homer, 31.20, 215), aus einem alten tro: 
janifchen Königsgeſchlechte, hütete die Rinderheerden feines Vaters 
an dem Berge Ida, wo ihn Venus mit ihrer Liebe beglüdte und 
ihm den Aeneas gebar. Lange Zeit hatte Anchiſes von der Gunft 
ber Göttin gejchwiegen, biß er einft, vom Weine erhigt, fich doch 
derjelben rühmte. Da eilte Venus Magend zum Zupiter, welcher 
(Sed. 2.32. d. Yen. 110) den Donnerkeil nad ihm fchleuderte, 
um ihn zu tödten. Indeſſen fiel fie Dem Zürnenden noch zeitig 
genug in ben Arm, fo daß Anchifed nur gelähmt wurde. 

Andove (F. V, 6), gew. Anfchont, ein Fleiner, zum ®e- 
ſchlecht der Häringe gehöriger Fiſch, der beſonders an dem Ita- 
lieniſchen und franzöſiſchen Küſten vorfommt und wie bie Sar- 
belle gegeflen wird. 

Undrögess (Ged. 2.8. d. Aen. 66), auch ein Sohn bes 
Minos, hier ein beliebig gewählter Name, |. Acamas. 

Andromade, |. Hektor. 

St. Ange (Mith.), ſ. Malta, 

Angelftern (D. €. V, 10), ber nörblihe Bolarftern, um 
welchen ber ganze Yirfternhimmel in 24 Stunden feine fcheinbare 
Drehung vollendet, während er jelber unbeweglich den Norbpol 


Anjon — Untigone. 21 


des Himmels bezeichnet. Aftronomifch ftreng genommen fteht ber 
Polarſtern übrigens nicht in dem Nordpol, fondern nur in der 
Nähe defielben. Vergl. Bol. 

Anjou, Herzog von (M. St. I, 6; II, 9). Der Herzog 
um Anjou (bei Sch. franz. Düc von Anjou), welcher feinen 
Titel nach der franzöftichen Provinz defielben Namens führt, tft 
Franz, Bruder Heinrich's III., des legten der Könige aus bem 
Haufe Baloid (1328 — 1589). Als die Holländer ihn beriefen; 
am ihm die Leitung ihres Widerftandeß gegen den König Bhl- 
lipp IL von Spanien anzuvertrauen, weldyen fie für abgejegt er: 
klaͤrt hatten, ging er zuvor nach England, da er ſich fchon fett 
1573 um Elifabeth’8 Hand bewarb. Sie übergab ihm einen 
Ring als Pfand ihrer Verfprehungen und unterzeichnete fogar 
einen Ehevertrag. Er ftarb aber bereits 1583. 

Anna (Ged. 4.2. d. Xen. 4), bie Schwefter der Königin 
Dido von Karthago. — Anna v. Boulen, ſ. Heinrih VIIL u. 
Elifabeth. 

Antecämera (Bicc. I, 2), od. fr. Antichambre (K. u. L. 
I, 6), dad Borzimmer. Sch. wählt die fpanifche Form, weil am 
Hofe zu Wien die ſpaniſche Etikette galt. Bekanntlich ftammten 
von Karl V. und jeinem Bruder Ferdinand I. die beiden Häu: 
fer Habsburg ab, welde in Deftrei noch jept (freilich indem 
1740 der Mannsflamm mit Karl VI. ausftarb und Maria The: 
refta den früheren Herzog von Lothringen heirathete), in Spa: 
nien bis 1700 regierten. 

Antibaptiften (Bft. 2. 8), ein von Sch. gebilbetes Fremd: 
wort, f. v. w. Leute, die nicht? von der Taufe halten. 

Antichambre, |. Antecamera. 


Antigone (Phön.), die berühmte Tochter des Oedipus. 
Die Gefchichte dieſes Fürften und feiner Familie erzählt im An- 
fang der „Scenen aus ben Phönizierinnen” Sofafta felbft voll- 
fändig. Sophofled hat fie in bem „König Oedipus“, dem „De: 
dipus in Kolönos” und endlich in ber „Antigone” (überf. von 


22 Antite — Antinome. 


Dernmer u. X.) verherrlich. „Antigone” tft noch heute eine Jierbe 
der deutichen Bühnen, beſonders berjenigen Berlins. 

Antike, Die, an den nordifhen Wanderer (Geb). Die 
frühere Weberfchrift dieſes Epigramms aus dem Sabre 1795 lau⸗ 
tete: „Die Antile an einen Wanderer aus dem Norden‘. W. 
w. Humboldt rühmt au dem Gedichte „den ernften ſcheltenden 
Son, der eine große Wirkung hervorbringt”. Der Grundgedande 
ift der, Daß der büftere Charakter unjerer nordiſchen Natur im 
Bergleich mit dem lachenden Himmel Staliend, und bemnächht 
unſere durch die Entfernung von den Elaffifchen Ländern hervor⸗ 
gerufene Anjchauungd: und Denkweiſe und die veine Auffaffung 
autiker Kunftwerke, wie ded klaſſiſchen Getftes überhaupt, in 
hoben Grade erfchweren muß. 

Antiten, Die, zu Paris (Ged.), ein Gedicht ans dem Jahre 
1803, welches feinem Inhalte nad) mit dem vorigen verwandt 
ijt, feiner metrifchen Form nad an „die deutfche Mufe” (ſ. d.) 
erinnert. Durch Goethe's Intereſſe für die bildende Kunft war 
auch Sch. zeitweife für diefelbe gewonnen worden, und jo ergoß 
fih denn fein Zorn in diefe Strophen, als die franzöſiſchen Re- 
publifaner bei ihrem flegreihen Vordringen in die Haffifchen Län; 
der eine Menge von Kunftichägen raubten, um diejelben in Paris 
aufzuftellen. Er tadelt diefen Vandalismus, der keinen anderen 
Zweck bat, als einer oberflächlichen Eitelkeit zu dienen, und ver: 
fünbet prophetiſch, was der Erfolg gelehrt, daß der Anblid der 
Schätze bed Alterthums feine tiefere Einwirkung auf die Ent: 
widelung des Kunftfinned der Franzoſen auszuüben im Stanbe 
fein würde. 

Antinous, ein ſchöner Züngling, welchen Katfer Hadrian 
aud Bithynien (in Kleinaflen) mitgebracht hatte und Den er jo 
liebte, daß er ihn beftänbig um fich haben mußte. Aber Lebens⸗ 
überdruß, oder ber Wahn, baf fein Tod für dad Wohl des Kat 
ferd unumgänglich nothwenbig fe, veranlaßten den Süngling, 
fih in den RU zu flürzen Don übermäßigem Schmerze er- 
griffen, widmete Hadrian feinem Liebling eine wahrhaft göttliche 


Antiope — Antritt. 5) 


Verehrung. Sr benannte ein Sternbild in der Nähe ber Mlch⸗ 
ftuße (zwifchen Adler, Steinbod und Schüge) mit feinem Na- 
wen, Tieß ihn Bildſäulen ımb Altäre errichten, erbaute ihm einen 
Tempel zu Mantinea in Arkadien und orimete, ihm zu Ehren, 
Wahrlich wiederlehrende feierfiche Spiefe an. So wurde An⸗ 
Unons ein Gegenſtand göttlier Verehrung, und es mar allge⸗ 
urein Sitte geworden, fein Bildniß in Häufern und Gärten 
otfzuftellen, nicht ſelken mit den Attributen des Bacchus her: 
ſehen. Beſonders wird eine Darflellung des Antinvus im Ba: 
Hl geprieſen. Die großen melancholiſch blickenden Augen, ber 
fett und zierlich geichnfttene Nend, das außerordentlich ſanfte 
Brofit in Verbindung mit bem edelgefürntten Körper find ein Be- 
weis von gründlidem und verftaͤndigem Studium der menſch⸗ 
lichen Geftalt, und führen zugleich einen neuen Typus in die 
gröechiſche Kunft ein; daher Heißt ed von Fiesco (%. 1, 1) 
„ein blühender Apoll, verſchmolzen in den männlich fchönen An⸗ 
tittousꝰ; dad Beiwort „maͤnnlich“ Monte die Bermuthung be- 
gründen, Sch. Babe an ben Antinons ber Odyſſee gedacht. " 


Antiope (Ph. I, 1), die Schweiter ber Amazonenkoͤnigin 
Hippölyta; fie war bei ber Beflegung der Amazonen (ſ. d.) ge: 
fangen genommen worden und ward dem Thefeus zu Theil, dem 
fie den Hippolytus gebar. Die Amagonen verbauden fich mit. 
den Scythen und rüdien gegen Attica vor. In dem nun fol: 
geuden Kampfe ftarb Antiope, an der Seite ihres Gatten muth⸗ 
vol kämpfend, den Heldentod. 

Antipathie, Deine (Ged.) ein Eyplgramm aus dem Zahre 
1796. 68 enthält eine erhabene Anforderung an das Menſchen⸗ 
geſchlecht, dem bei fortichreitenber Eniwidelung bie fittliche Dent: 
nad Handiungsweije zur andern Natur werben fol. 

Autiſtrophe, |. Strophe. 


Antritt, Der, des neuen Jahrhunderts (Ged.). Als das 
Jahr 1800 zu Ende ging, fahte Sch, im Vereine mit Goethe 
und dem durch feine „Blüthen griechifcher Dichter”, jo wie durch 


24 Antritt. 


mehrere Diufenalmanache befannten Leo v. Sedendorf (geb. 1773, 
+ 1809) den Plan, den Anfang bes neuen Zahrbundertd mit 
einer Reihe von Yeftlichkeiten zu begrüßen, um ihr liebed Wei— 
mar ein wenig in Bewegung zu bringen. Indeſſen ließ es ber 
- Ernft der damaligen politiichen Verhältniffe, jo wie die innere 
Berrifienheit der Gemüther zu feiner freubigen Stimmung kom— 
men. So gehört denn dieſes Gedicht nicht dem Anfange des 
Sahred 1801 an; fondern ed fit, wie aus einem Briefe Sch. 
an Goethe erhellt, erft um die Mitte ded Juni entitanden, und 
die leicht falfch zu deutende Ueberſchrift erft ſpäter hinzugefügt 
worden. &3 enthält eine Schilderung der damaligen bewegten 
Zeit, erinnert an die Kämpfe, die im Sahre 1800 in Stalien 
und Deutichland ftattfanden, und an den nach dem Frieben von 
Lüneville noch fortbeftehenden Krieg zwiichen England und Frank: 
reih. — Str. 1, B.4 erinnert an die Ermordung des rufftichen 
Katferd PaulI am 23. März 1801; Str. 2 an den Zufammen- 
fturz vieler Staatengebäude, auf deren Trünmern neue Repu⸗ 
bliten errichtet wurden; ferner an dad Abtreten des linken Rhein- 
uferd an Frankreich, fo wie an den Kampf der Engländer gegen 
die FSranzofen um Aegypten, welches im Sabre 1802 dem Sul: 
tan zurüdgegeben wurde. Str. 4 weift auf den Gallierkönig 
Brennud hin, der ben römiſchen Gefandten die Antwort gab: 
„Wir tragen das Recht auf ber Spitze des Schwerted, und tapfe: 
ren Männern gehört Alles“. Als derjelbe im J. 389 v. Chr. 
Rom zeritörte und nur das Capitol ſich noch hielt, verpflichteten 
fih die Gallier, gegen 1000 Pfund Gold wieder abzuziehen. 
Die Forderung ward bewilligt, indeß wog Brennus baffelbe auf 
falicher Wage nach, und als die Römer ſich befchwerten, warf 
er trogig fein Schwert zu den Gewichten mit dem Ausruf: „Wehe 
den Befiegten!“ Indeſſen war Camillus zum Dictator ernannt 
worden und erſchien zu rechter Zeit mit feinem Heere, um ben 
Vergleich für nichtig zu erflären. Es kam zum Kampfe, und 
feiner der Gallier erreichte fein Vaterland wieder. Der „Franke“ 
wird er genannt, weil man Bie alten Gallier, die früheren Bewohner 


Apanage — Aphrodite. 25 


Frankreich, gleich den Franken, auch ald Borfahren der Franzoſen 
anzujeben pflegt. — Das Paradies (Str. 6), dad von dem Brit ˖ 
ten ımentdedt bleibt, ift in der Schlußftrophe gefchilbert. 

Apanage (Gftj. 128), dad Leibgedinge, nämlid die Ab- 
ſindung der jüngeren fürftlihen Kinder mit Gütern oder an 
deren Einkünften, aus denen fle ihren ftandeögemäßen Unterhalt 
beftreiten können. 

Apenninen (Ged. D. berühmte Frau), dad Gebirge, wel: 
ches Stalien von N. nad ©. durchzieht. 

Aphrodite (Myth.), bei den Römern Venus. Der grie 
chiſche Name bedeutet die Schaumgeborene, denn fie war aus 
dem Schaume des Meered aufgetaucht, von wo fie auf einer See: 
mufchel zuerft auf der Inſel Cythere (f. u.), fpäter auf Eypern 
Iandete; daher wird fie (Br. v. M. 420): „Die gefällige 
Tochter tes Schaumd” genannt; ferner heißt ed (Geb. D. Triumph 
d. Wiebe): 

„Und fieh! der blauen Fluth entquillt 
Die Himmelstochter fanft und mild, 
Getragen von Rajaden 
Zu trunkenen Geftaben.“ 


Nach Homer (SI. 5, 370) ift fie eine Tochter des Zeud und der 
Meergötiin Dione (Ged. Die Blumen), nach welcher fie felbft 
bisweilen Dione (Iph. II, Zw.⸗H.) genannt wird. Außerdem 
führt fie noch viele andere Beinamen. Nach der Stadt Amathus 
od. Amathunt (Ged. D. Sätter Griechenlands) auf der Süp- 
tüfte von Cypern, wo fie am eifrigften verehrt ward, beißt fie 
Amathuſia (ebendaf.), nach der Inſel jelbft Cypria (Geb. 
4.2. d. Xen. 17). Der fübli von dem Peloponned gelegenen 
Spiel Cythera (jept Serigo) verdankt fie den Namen Cythere 
(Se. D. Götter Griechenlands). Das Vorgebirge Idalium auf 
Cypern, wo ihr ein Hain nebft einem Tempel gewidmet war, 
ift die Beranlafiung zu dem Namen Idalia (Geb. 4.2. d. 
Aen. 19) geworben, und endlich wird fie, on einer der Muſen, 
oft auch Urania (Ged. D. Künftler), d. 5. die Himmliſche 
genannt. Sie war bie Gattin des Bulfan (\. Hephaͤftos); gebar 


26 Aphrodite. 


indeſſen dem Mars den Eros (Geb. Poeſie des Lebens) ib 
dem Anchiſes den Aeneas (4. B. d. Aen. 67). 
Dem griechiſchen Vollsglauben zufolge, wie auch bei ben 


Dichtern, ift Aphrodite zunächft die Göttin der Liebe, welche Das 


Gefühl derjelben in allen Wefen erwedt; daher Hagt Juno (ed. 
Semele 1), zu fich jelbft ſprechend: 
„Wehe, Deinen Stolz zu beugen, 
Mupte Venus aus dem Schaume fleigen. 
Götter betbörte, 
Menſchen und Götter ihr zaubriſcher Bid.” 
Natürlich begünftigt fie Dann auch die Liebenden und tft ihnen 
Hülfreich, wie (Geb. Das Eleufiſche Zeit): 
„Benus mit dem Kolben Knaben 
Schmüdet felbft das erfte Baar.” 
Sa, in dem ganzen Gebiete der Natur fteht die Zuneigung Der 
verjehiedenen Geſchlechter unter ihrem Schuge, weshalb ed (Gew. 
D. Blumen) von den Blumen heißt: 
Gaukelnde Sylphiben ſchwingen 
Buhlend fi auf mem Schoohß! 
Wolbte eured Kelches Krone 
Nicht die Tochter der Dione 
Schwellend zu der Liebe BFEBTY" 
AS Beherricherin des Reichs der Liebe wird fie in entſprechen⸗ 
den Fällen um Hülfe angerufen. So heißt ed (Geb. Hero m. 
Leander): 
z „Und fie fleht zur Aphrodite, 
Daß fie dem Orkan gebiete." 
Wer ſich indeß ihrer Herrichaft zu entziehen fuchte, det hatte 
ihre Rache zu fürchten, daher fagt Theramen (Ph. I, 1) zu dem 
fragen Htppolyt: 
„So lang’ von bir verachtet, Hätte VBenns 
Ded Vaters Ehre nun an bir gerät?” 

Außer ihrer Eigenfchaft als Göttin ber Liebe ift Aphrodite 
auch bie Göttin der Schönheit und Anmuth, und darum trägt 
fie den Gürtel (f. d. und Homer Il. 14, 214), welcher Liebe, 
ſchmachtendes Verlangen, fanfte Schmeichelei und zärtliches Ge⸗ 
ſpraͤch in fi) vereint. Da fie in dem Kampfe um ben Preis 


Ayıdanıd — Apollon. 3 


der Schönheit (Iph. I, Zw.:5.) den Sieg davon tung (vergl. 
Erid), fo wird fie (Geb. 4. B. d. Aen. 19) „ber Schoͤnheit Ko 
sign” genaunt. 

Einige Male braucht Sch. Ihren Namen uch DIE, and 
zwar nmächft für Liebe, wie (Geb. 4.3. d. Aen. 6), wo Anna 
zu ihrer Schwefter Dido jagt: 

„Binf du 
Die Bonne, vie aud holden Kindern lacht, 
Der Bent fühe Freuden bir verſagen de 
Dom aber ift fie ihm auch daB Symbol der Gchönbelt, De zu⸗ 
nähft den Gedanken wedt, wie (Geb. D. Künftler): 
„Und der hinſchmelzende Gedanke flieht 
Sth ſtikl an die allgegemwärtige Eythere,*" 
außerbem aber in ftet3 welterjchreitender Fortentwickelung ben 
Menſchen zur Wahrheit, „zur bimmlifchen Urania” führt, wie’ 
(ebenbaf ‚Sie ſelbſt, die fanfte Cypria, 
Umleuchtet von der Beserfzone, 
Steht dann wor ihrem münb'gen Sohne 
Eutjchleiert ald Urania” 
Da die Venus den Alten dad Ideal weiblider Schönhelt war, 
fo wurde fie von Künftlern (R. V, 1. — Gftf. 238) fehr Häu- 
fig dargeftellt; eine der berühmteſten unter den antifen Dar- 
Bellungen ift die mebdicetiche oder die von Florenz (%. II, 5). 

Apidanus (Iph. III, 4), ein Fluß in Theffalien. 

Apollon (Diyth.), lat. Apollo, mit dem Beinamen Phö- 
Und, der Sohn des Zens und der Latona, wurde mit feiner 
Zuiliingichweiter Arteınid auf der Infel Delod geboren. Ben 
Themis mit Ambrofia und Nektar genährt, warb des Knaben 
Körper bald mit wunderbarer Kraft erfüllt, die fich zuerft gegen 
ben Drachen Pytho wendete, der einft auf Sunos Geheiß jeine 
Mutter überall verfolgt hatte. Am Berge Partnaffus traf er 
ihn und da derſelbe ihn hindern wollte, das Orabel zu Delphi 
im Befitz zu nehmen, vermittelt deſfſen Apollo den Renſchen den 
Biillen des Zend zu verkünden beabfiäjtigte, fo erlegte er dab 


28 Apollon. 


Untbier, weshalb er (Ged. D. Glück) „der pythiſche Steger” 
und (Ged. Kaflandra) „pythiſcher Gott” genannt wird. — 
Da Apollo für die Liebe fehr empfänglich war, jo weiß die Mythe 
von manchen Nympben und Töchtern ber Erdgeborenen zu er- 
zählen, auf welche fich die Stelle (Ged. D. Götter Griechenlands) 
bezieht: Pyrrha's ſchöne Zöchter zu beflegen, 
Nahm der Leto Sohn ben Hirtenftab.” 
Apollon gehört zu den zwölf großen Göttern der Griechen und 
Römer und vereinigt in ſich eine große Anzahl religiöfer Vor⸗ 
ftellungen. Al Sonnengott (Phön.) fährt er mit dem von 
vier braufenden weißen Rofjen gezogenen Sonnenwagen (Geb. 
D. Triumph d. Uebe) von Meer zu Meer und giebt der Welt 
den Tag; daher (Sp. I, 1): 
A „Schon fürbt die lichte Morgenröthe 

Den Himmel weiß, und flanımenwerfend fteigen 

Der Sonne Räder ſchon herauf.” 
weshalb auch (Bed. An Goethe) von dem „bewegten Rad der 
Zeit” die Rede iſt; desgl. (Br. v. M. 418): 

„Lichtweiß, gleihwie bed Sonnengotted Pferde" 
und (Geb. Hero u. Leander): 


„Sıh hinab die Sonnenroſſe 
Sliehen an bed Himmel! Rand.” 


In diefer Eigenichaft wird fein Name oft gleichbedeutend mit 
Helio3 (f. d.) gebraudht, fo wie ihm deshalb auch der Bei: 
name Phöbus (Ged. D. Abend. — Phön.), d. 5. wohl 
der Slänzende, gegeben wird. — Al ftrafender und ver: 
derbender Gott ift er mit Bogen und Pfeilen bewaffnet; 
baber (3.0. D.I,4) Sorel’8 Worte: 

„Den zarten Leib dem glüh’nden Pfeil ber Sonne 

Preis gegeben.” 
Deshalb bezeichnet ihn bie Mythe auch als Urheber ber durch 
die Hitze entftandenen Peſt und läßt ihn die Menſchen ſchaaren⸗ 
weile mit feinen Gefchoflen erlegen (Homer, 31. I, 43). — Yerner 
ift er der Gott des Geſanges und ded Saitenfpteld, ber 


Apollon. 29 


bei ben Göttermahlen die von ihm erfundene Either ſpielt; da⸗ 
ber (Ged. D. Eleuflihe Felt): 
„Aber aus den gold'nen Satten 
Lodt Apoll die Harmonie 
Und das bolde Maß der Zeiten 
Und die Macht der Melodie.” 
Auch Einzelne unter den Sterblidden erwählt er zu feinen Lieb- 
Iingen und beglüdt fie mit feiner Kunft, wie Ibykus, von dem 
es (Ged. D. Kraniche d. 3b.) heißt: 
„Sum ſchenkte des Geſanges Babe, 
Der Lieder füßen Rund Apoll.“ 
Ueberhaupt ift es eine jeiner angenehmften Aufgaben, die Men: 
ſchen dur Muſik zum Guten und Rechten zu führen; weshalb 
Zeus (Geb. Semele 2) von ihm jagt: 
„Apollo ſelbſt geftand, ed ſei Gutzüden, 
Menſch unter Menichen fein.” 
Endlich ift er ald Gott des Lichted auch der Gott ber Weiſ— 
fagung und Dichtung, wie (Geb. 4.2. d. Xen. 11): 
«BhöHns, der dad Kunftige enthüllt“, 
weshalb Semele (Geb. Semele 1) unmittelbar nach Juno's Pro: 
phezeihung mit Beziehung auf die Priefterin, welche zu Delphi 
die Orakelſprũche ertheilte, in den Audruf ausbricht: Ppthial 
Apollo!” In dieſer Eigenſchaft verleiht er auch den Menſchen 
vie Sabe, in die Zukunft zu fchauen (vergl. Kaflandra), über: 
Haupt dad Wahre und Schöne zu erkennen. Zugleich ift er 
(Iph. IV, Zw.⸗H.) der Chorführer der Mufen (f. d.) und als 
folder (ed. Dithyrambe) das Sinnbild Dichterifcher Begeifte: 
rung, weöhalb audy der Pegaſus (Geb. Peg. im Joche) „Phöbus 
ſtolzes Roß“ genannt wird. Ebenſo ift er der Inhaber ver 
ſchiedener Orafel; daher (Ged. 4.3. d. Aen. 64): 
„Segt Heißt Apoll's Drafel nad dem Strand 
Des herrlichen Italiens mich eilen“ 
und (Ged. 2. Bd. d. Xen. 42): 
„Apoll's Orakel ſpricht 
Weiffagend aus Kaffandren's Munde”, 


80 Apollonius von Tyana — Apoftel. 


Er beſchützt Die Trojaner, weshalb auch das trojaniſche Gebiet 
(Iph. III, 3m.:9.) „Phöbos heilige Erde” genannt werd. Da 
ibm bier zu Thymbra ein Tempel errichtet war, fo heißt er (Geb. 
Kaflandra) auch der Thymbrier. — Die Künftler ftellen den 
Apollo als eine jchöne, jugendlih blühende Männergeftalt dar, 
weshalb fein Name bisweilen auch bildlich gebraudht wid, wie 
(3.1,1): „ein blühender Apoll“. 

Apollonius von Zyana (Gftſ. 165), ein etwa 50n, Ehr. 
lebender Anhänger der pythagoräifchen Philofophie, wie die ſpä⸗ 
tere Zeit fie mit orientaliichen und neuplatoniſchen Ideen miſchte, 
der von den Heiden ald Wunderthäter gepriejen und gewifler- 
maßen Chriftuß entgegengeftellt wurde. Sein Leben tft von dem 
Sriehen Philoftratus, 200 n. Chr., mehr romanhaft freilih als 
geichtchtlich, beichrieben worden; dennoch ift dad Buch ein höchft 
merfwürbiged Denkmal des damaligen Zeitgeiſtes, in welchem 
griechiſche und orientaltiche Religionsvorſtellungen fich zum felt- 
famjten Aberglauben verbanden. Es gehört fo recht in den 
Geifterjeber und in dad 18. Sahrhundert, in welchem in ber 
Stadt der Aufflärung (Paris) ein Mesmer jeine magnetifchen 
Künfte treiben durfte. Das fehr leſenswerthe Bud tft von Fr. 
Jacobs, Stuttgart 1828, i. D. überſetzt. 

Apaſtel, wörtl. ein Geſandter, Bote; bei. Die Jünger Sefu 
al8 Verkündiger des Evangelium. — Mit dem Apoftel ber 
Stelle (M. St. V, 7): 

„Wie den Apoſtel einft 
Der Engel führte aus des Kerferd Banden“ . 

tft Petrus gemeint, welcher (Apoftelgefch. 12, 1—10) von Herobes 
ins Gefängniß geworfen, durch einen Engel wunderbar befreit 
wurde. — Bildl. ift Apoftel ein Menfch, zu dem man unbeding- 
tes Vertrauen bat, wie (Gſtſ. 172): „tn Kurzem war ich ber 
angebetete Apoftel des Hauſes“. Eben fo tft die Stelle (Ged. 
Elegie auf d. Tod e. Sünglingd): Es mögen „Gauner durch 
Apoftelmasken ſchielen“ eine biblifche Ausdrucksweiſe, die an den 
„Wolf im Schafskleide“ (Matth. 7,15) erinnert. 


Appiuß Slaubied — Arabier. 5 


Uypins Elaubius (%.1, 13), ein patricijcher Decerwir, dem 
® 450 v. hr. gelang, die Wahl der übrigen Decemvirn nach 
finem Willen zu Ieuen, fo Daß er glaubte, mit bieten, ſeinen 
Seſchẽ pfen, eine unumſchräukte Herrſchaft aufrichten zu Tünuen. 
Vach geishebener Wahl feat er mit feinen Planen hervor und 
eulasibte Hch ungefchent die frevelhafteſſe Willler; aber eine 
unüberlegte That, die Frucht einer blinden Leidenfchaft, führte 
jeinen Sturz herbei. U. EL ftelte einem ſchoönen Mädchen, 
Namens Birginia (F. II, 17), ber Tochter des Plebejers Bir 
ginius nach. Als er mehrere vergebliche Verſuche gemadt, das 
Mädchen zu verloden oder ihre Wärterin zu beftechen, ließ er 
fe durch einen feiner Glienten, Namens Claudius, mit Gewalt 
ergreifen, unter dein Borgeben, Birginia ſei die Tochter einer 
Sclavin des Claudius und dem Birginiud von befien finder: 
loſer Sattin untergefhoben. Allen Zeugnifien zum Trotz ſprach 
4. El. dur Richterſpruch feinem Clienten dad Mäbchen zu, 
und zwar in Gegenwart ihres Vaters. Diefer, in Verzweiflung, 
bittet um bie Erlaubniß, feiner Tochter noch ein Wort fagen zu 
därfen, und mit den Worten: „Seh frei und rein, Virginia, 
zu Deiner Mutter und zu Deinen Vorfahren" ftößt er ihr ein 
Mefier in die Bruft. Der Anblid des Leichnams entflammte 
Dad Boll zur Rache und Yatte den Sturz des A. CL zur Folge, 
der Fich übrigens im &efängnifie ſelbſt den Tod gab. — Be 
Yanutlich hat auch Leſſing dieſe Thatſache bewugt, um in feiner 
„Emilia Salotti” die Ermordung derielben durch ihren Vater 
su arllaͤnen 

Arabien, die ſuũdweſtlichſſe Halbinjel von Aflen, ift belannt 
aid das Baterland wohlriechender Gewächle, wie des Myrrhen⸗, 
des Veihrauchbauunes u. a.; Daher (Meb. V, 1): 

„Monbiend Böohigerühe alle 
Berfüßen diefe Heine Hand nicht mehr.‘ 

Srabier, einen fternlundigen (Br. v. M. 456). Be 
Ianttich waren es bie Araber, welche, nachdem das Unglüd der 
Zeiten Jahrhunderte lang alle wiflenfchaftlicden Beihäftigungen 


32 arachneiih — Arche. 


in Europa zurüdgebrängt, wieder einige Aufflärung itber Die 

gejegmäßigen Bewegungen am geftirnten Himmel verbreite 

ten. Befonderd unter dem Kalifen Almanfor (754 n. Chr.) unb 
feinen Nachfolgern wurde die Aftrorromie wieder gepflegt, umb 

Namen, wie Thabeth ben Korrah, Alfargant, Abulwefa, Aver- 

roed und Abulfeda machten in ber Gefchichte der Aftronomie 

Epoche. 

arachnéeiſch, wörtl. fpinnenartig, von dem gr. arachne, bie 
Spinne; im bildl. Sinne, wie (ed. Phantafte an Laura) ſ. v. w. 
tunftvoll. 

Aranjuez (©. ©. 1,1), ein am Tajo, öftlih von Toledo 
gelegenes Städtchen nebft einem von Philipp IL. erbauten Luft⸗ 
ſchloſſe mit köſtlichen Gärten in einem der reizendften Thäler 
von Neu-Baftilien. 

Arbeiter, der gelehrte (Geb.), ein Epigramm aus dem 
Sahre 1796. Eigentlich gelehrte Studien find ftet3 eine faure 
Arbeit, die nur geringen Genuß gewährt; erft wenn bie Reſul⸗ 
tate der Wiſſenſchaft in fchönem Gewande erjcheinen, werben fie 
genteßbar und weiteren Kreifen zugänglich. 

Arbela, |. Alerander Magnus. 

Achangel (Dem. II, 1), an der Mündung der Dwina, Ruß: 
lands ältefte Seeftadt. Sie wurde um 1584 gegründet und nad 
einem, dem Erzengel (Archängelus) Michael gewidmeten Klofter 
benannt. 

Arche. Die Stelle (Wit. 8. 8): „Die Arche der Kirche 
ſchwimmt im Blute” ift eine Anfpielung auf die Are Noahs, 

. welche zur Zeit der Sündfluth allein Rettung gewährte, gleich: 
wie vom katholiſchen Standpunkte aud aud die römiſche Kirche 
als die allein jeligmachende angejehen wird. Andererſeits ift es 
vielleicht auch eine Anjpielung auf die Bundeslade (arca foederis) 
ber Siraeliten, die, gleichfalls öfter den Gefahren des Krieges 
ausgeſetzt, eine Zeit lang fogar (I. Samuel, Cap. 4—6) in ber 
Gewalt der Philifter war. 


Archimedes — Ardenmnerwald. 83 


und fein Schuler (Ged.). Ardgimebeß, einer 
der berähmteften Mathematiker unb Phyſiler des Alterihums, 
wurde 287 v. Chr. zu Syrakus geboren. Er bat feine beiden 
Lieblingswiſſenſchaften mit einer Menge Höhft wichtiger Ent: 
dediuungen bereichert. Als im 2ten puniſchen Kriege ſeine Vater: 
Ttabt von den Römern unter Anführung des Conſuls Marecellus 
(212 v. &br.) belagert wurde, vertheidigte er diejelbe mittelft finn- 
reicher Krieggmafchinen. Indeſſen wurden die Römer durch Ueber: 
rumpelung Sieger, und Archimedes jelbft büßte bei der Erſtür⸗ 
mung fein Leben ein. Der Sage nach erfchlug ihn ein römifcher 
Solbat in feinem Zimmer, wo er damit beichäftigt war, mathe⸗ 
matiſche Figuren in den Sand zu zeichnen. Auf die Worte, bie 
er dem rohen Krieger zurief: „Zertritt mir meine Cirkel riati- 
bezieht ſich die Stelle (Wfl. X. IV, 8): 
Gerechnet bat er fort und fort, und enblidh 
Wird doch der Calcul irrig ſein; er wirb 
Sein Lehen ſelbſt hineingerechnet Haben, 
Wie jener bort in feinem Cirkel fallen.” 
—., Das oben genannte Epigramm ſtammt aus dem Jahre 1795. 
Der Grundgedanke, welchen der: Dichter dem Archimedes in ben 
Mund legt, ift der: Wir follen Kunft und Wiffenfchaft um ihrer 
ſelbſt, nicht aber um eines äußeren Nubend willen treiben; wo 
ftatt ber idealen Richtung das Nüutzlichkeitsprincip vorwaltet, da 
gebt das rein humane Intereſſe verloren. (Vergl. Wiſſenſchaft.) 
Architectur (Br. v. M. Einl. 378) ober Baukuufl. Sie 
wirb nad) den Gegenftänden, womit fie fi) beſchaͤftigt, in bürger- 
Ude, Kriegs, Schiff, Mühlen-, Brüden-, Straßen:Baufunft ꝛc. 
eingetheilt. Mit den Attributen, welche der Dichter der perſo⸗ 
nifichten Baukunſt (9. d. 8.) beilegt, der Mauerkrone und dem 
Schiff, deutet er auf diefenigen Erjcheinungen bin, weldhe Peters. 
burg vorzugsweiſe charakteriftren. 
Kress (O. C. V, 9), Stadt in der ſpaniſchen Provinz Cadiz. 
Ardennerwalb (J. v. O. V, 8) od. die Ardennen, ein rauhes, 
fit bewaldetes, kohlenreiches Bergland tm norddſtlichen Frank⸗ 
reich, wo es fich von ber Moſel bis zur Maas hinzieht. 
L 8 


3 Ares — Argus. 


res (Myth. Iph. I, gw..H.), dei ben Römern Mars, ein 
Sohn des Supiter und der Juno, war ber Gott des Kriegeß und 
das Stunbild der ungeftümen, rohen Tapferkeit, daher heißt er 
(Sp. IH, Zw.-$.): 
„Der ffrchterliche Bott ber Säladten”. 
Gleichnißweiſe fagt Wallenften (Bft. Z. IL, 13) von fi: 


Mein Name 
Ging wie ein Kriegsgott durch die Welt”, 


und (Br. v. M. 6.421) heißt e: 
„Denn die Jagd ift ein Gleichniß ber Schlachten, 
Des ernften Krtiegdgotts luſtige Braut.“ 
Bildl. |. v. w. Kriegsſsheer, wie (Iph. I, 1): 
„su Anlis 
Verſammelt AH ein fürchterlicher Mars”, 
od. Streittraft, wie (Spb. I, Bwß.): 


„Der Urgiver Mar 


and) friegerifche Begeifterung, wie (Phön.): 
„Dem flägt ber kalydon'ſche Mars im Bufen.” 


Auf Münzen, wie auf den Schlußfteinen von Triumphboͤgen er- 
Hurt man den Mars oft mit Trophäen auf der Schulter umb 
mit der Lanze in der Hand fortfehreitend; daher auch (J. v. O. 
I, 5) „der Stegesgott. 

Arethuſa (Iph. I, 8w. O.), eine Duelle auf der Inſel Naſob 
od. Ortygia bei Syrakus, der Sage nach urſprünglich eine Duell 
nymphe in SB. Vergl. Alphens. 

Argeier (Geb. 2.3. d. Yen. 58), eine ambere griechiſche 
Form für Argiver (|. b.). 

Argier (Bed. Semele 2), die Bewohner von Argos (f.b.). 
Argiver (Iph. I, 3w.:5.), bet Sch. auch Achiver und Ar: 
geier, werben von Homer oft die Griechen genannt. 

Argos (Geb. Semele2. — 2.2. d. Ken. 31. — Phoͤn) 
die Hauptſtadt der Landſchaft Argolis im Peloponnes; nad 
Sph. I, 1) Agamemnons Herrſcherſitz. Vergl. Cyklopenſtadt. 

Argus (Moth.), deſſen Abkunft verſchleden angegeben wich, 
war der hundertaͤugige Wächter (au dem ganzen Kärper mi 





Ariabnue — Ariſtoteles. 35 


Augen verfehen, vorn denen immer nur die eine Hälfte ſchlief), 
welchem Zuno bie Bewachung der von ihr aus Eiferſucht in 
eine Kuh verwanbelten Jo übergab. Mercur töbtete ihn auf 
Befehl des Jupiter, worauf June die hundert Angen feines 
Körpers dem Pfau in den Schweif fehte (vergl. Here). Der 
Argubblick Tommi dfter bildlich vor, wie (R.II,8): „Er, der die 
hundert Augen Des Argus hat, Fleden an feinem Bruder zu 
ipäben” — ferner (D. C. 1, 1): 
Be „th weiß, baß hundert Hungen 
Gebungen find, mich zu bewachen 
und (M. ©t. II, 8): 
„Bie ein Gefangene vom Argusblid 
Der Eiferfucht gehütel.” 

Ariadne (Ph. I, 1), f. Phäbra. 

Aricia (PH. I, 1), der Sage nad) eine Nymphe, mit der 
Rh Hippolytus vermählte, Indem Artemis ihn nach feinem um. 
glüdlichen Tode wieder auferwedt und nach Stalien verfegt hatte. 
Ste flammte aud dem Geſchlechte der Pallantiben (f. b.). 

Arion (Ged. D. Götter Griechenlands), ein berühniter 
@itHerfpteler und Dichter, dem man bie Ausbildung bed „Dis 

thyrambud“ verdanft (daher feine Zufaurmenftellung mit Pindar); 
er ſtammte aus Methymna auf Lesbos, einer Inſel im nörd- 
lichen Theile des Aegätichen Meeres, und lebte um 600 v. Chr. 
Man vergl. Schlegel’ 8 und Tiecks befanute Gedichte: Arion“. 

Arioſt (Sftf. 241). Lodovico Ariofto, ein berühmter ita⸗ 
lieniſcher Dichter aus dem 16. Jahrh., der fich beſonders durch 
Venen „rafenden Roland” unfterblich gemacht Hat. 

Ariſtaͤrch (Geb. D. berühmte Frau), ein berühmter aleran- 
driniſcher (f. d.) Grammatiker (150 v. Chr.) und gelehrter Er⸗ 
Ehrer der Gedichte des Homer, zeichnete fi durch Scharfſinn 
und reiche Kenntnifſe aus. Nach ihm pflegte man alle firengen 
Kunftrichter Ariſtarche zu nennen. 

Aeiſtsteles (Geb. D. Philoſophen), einer ber berühmteften 
Bhilofophen Griechenlands, geb. 384 v. Ehr., + 322, bet Ersieher 
— 8° 


36 Arkadien — Armenter. 


Alexanders des Großen, ber Schöpfer der Naturgefchichte und | 
Berfafler vieler philoſophiſcher Schriften. Die Stelle in ber 
Borrede zu den Räubern: „bie allzu engen Palifaden des Ari: | 
ſtoteles“ bezieht fidh auf die fogenannten drei Einheiten (ber 
Handlung, des Ortes und der Zeit), welche, nach einer jetzt als 
unrichtig erfannten Auslegung, Artftoteleg in feinem Buche über 
die Poetik in jedem Trauerſpiel beobachtet wiffen wollte. Dana 
follte jedem Stüde nur eine Handlung zu Grunde liegen, unb 
e8 follte diefe Handlung ohne DOrtöveränderung und in einem 
Zeitraum von 24 Stunden vor fi gehen. Daß dadurch ein 
Stüd wie die Räuber unmögli werden würbe, fieht man leicht 
ein. In Leffing’8 Hamburger Dramaturgie werben bie hierher 
gehörigen Fragen genau erörtert. 

Arkadien (Ged. Reflgnation. — D. fpielende Knabe. — 
R.IT, 1), ein von Hirten bewohntes Gebirgsland im mittleren 
Theile des Peloponned. Seine Bewohner lebten, wenigjtens in 
den älteren Zeiten Griechenlands, in glüdlicher Einfachheit und 
Unabhängigkeit und waren letbenjchaftliche Verehrer der Muſik 
und Poefle; daher arkadiſch (Geb. D. Triumph d. Liebe) ſ. v. w. 
ein verltebter Schäfer. 

Arkebuflere (Wſt. L. Perj.:Verz.), von dem fraf. arquebuse, 
Hakenbüchſe; ſ. v. w. Büchſenſchützen. 
arkturiſch (Bed. D. Antike an den nord. Wanderer), nordlich, 
von dem Arkturud, einem Sterne erfter Größe in bem Stern» 
bilde des Booted am nördlichen Firfternhimmel. 

Armada, ſpan. eine Ausrüftung, Kriegäflotte; |. D. un. 
überwindliche Ylotte. 

-. Yrmenier (Sf. 129), ein -Bemohner von Armenien, 
einem jüblih vom Kaufafus, zwifchen dem Schwarzen und dem 
Kaſpiſchen Meere gelegenen Hochlande. Die Armenter find fo- 
wohl als Handeläleute berühmt, wie auch durch eine eigenthüm⸗ 
Ude Bildung von hohem Alter, Bekannt find ihre Mechitariften- 
Möfter zu Wien und Benebig. 


Armida — Artemis. 37 


Urmida (MR. St. II, 4), eine weibliche Geſtalt, wie bie ber 
Eirce oder Kalypio in Homer’3 Odyſſee. In dem Gedichte des 
ilalieniſchen Dichters Tafſo (+ 1595) „DaB befreite Serufalem”, 
worin er den erften Kreuzzug befingt, in's D. überfept vom Griet 
(dter Sefang), tft fie ein Weib von zauberiſcher Schönheit und un: 
widerftehlicher Berführungdfunft und von ben den Chriſten feind: 
lichen Höllengeiftern dazu beftimmt, den jungen Helden Rinaldo 
an fih zu fefleln, um fo Serufalem vor ben Chriften zu retten, 
da es ohne ihn nicht erobert werben Tann. Sie und ihre zau⸗ 

berihen Gärten (15. ©.) find fprühwörtlic geworben. 

| Arnheim, aus ber märkifchen Familie Arnim; (Pice. II, 5 
web T), wo Dueftenberg diefen Namen mit einer gewiffen Richt: 
achtung ausſpricht, als fei Arnheim ein Wallenftein’3 unmür: 
tiger Gegner. Arnheim war (f. Sch. Dr. Kr. 214) ein Felbherr 
GGFeldmarſchall) des Kurfürften Johann Georg von Sachen. Nach 
dem Siege Guſtaw Adolph'3 bei Leipzig rüdte er in Böhmen ein 
und eroberte e8 (Dr. Kr. 276ff.). Die kriegeriſchen Operatio- 
nen, von denen In unferer Stelle die Rede ift, beichreibt Sch. 
Dr. Kr. 330— 388. 

Arras (3. v. O. III, 3) in Frankreich, Die Hanptftabt ber 
ehemaligen, zume Herzogthum Burgund gehörigen Graffchaft Ar- 
tois, des jebigen Departements Pad de Calais. 

Artemis CMyth.), bei den Römern Diana, führte von 
ihrem Geburtsorte Delos auch den Beinamen Delia (Geb. 
2. B. d. Aen. 20). Ste war die Tochter bes Zeus (Iph. V, 5) 
und der Latoͤna und bie Schwefter des Apollon. Bei den Grie—⸗ 
Gen wurde fie als Mondgöttin (daher 4. B. b. Aen. 98: „Die - 
vend dreimal wechfelnde Geftalt”), bei den Römern meift als 
Goͤttin der Jagd verehrt. Schon als Kind hatte He von Zeus 
dad erbeiene Vorrecht erhalten, ewig Jungfrau bleiben zu dlrfen 
Gaher Ph. V, 1: „bie keuſche Diana“). Ste durchſchweift als 
Jägerin Gebirge und Wälder, begleitet von einem zahlreichen 

Gefolge jungfräulicher Nymphen (vergl. Geb. D. deufliche Feſt. 
- — Bin) Im Altertfum war fie (Iph. 1,1): „die Schügerin 


88 Arth — Aſtrachan. 


von Aulis“, wa ihr in heiligen Hainen (Iph. I, Zw.⸗H.) Opfer 
Dargebracht wurden; und auch in modernen Darftellungen er- 
ſcheint fie als die Schuppatronin der Säger, wie (Br. v. M. 
430), wo Manfred jagt: 

„Der firengen Diana, ber Gremmbin ber Jagden, 

Saffet und folgen in's wilde @ehölz.“ 
Belsuntlih pflegt man auch Jagdhunde gern Diana (Dien- 
ſchenf. 2) zu nennen. 

Arth (W. T. IV, 1), ein Städtchen am füblichen Ende des 
Zuger Sees, am Fuße des Rigi. Der „Weg von Arth ua 
Küͤßnacht“ geht am Zuger See entlang. 

Age. Im Alterthum pflegte man bie Todten zu verbrennen 
und die erdigen Weberrefte (Aſche) derfelben in Amen aufzube- 
wahren; daher (Sp.u.d.8.) „die Aſche des Lykurgus“ (|. d.). — 
Sm höheren Stil heißt Aſche f. v. w. „bie irdifchen Weberrefte* 
überhaupt, wie (Dem. II, 1), wo Olga von bem als tobt bewein- 
ten Dimitri zur Marfa fagt: „doch feine Aſche jahft du nie“. 

Aftan (Geb. 2.3. d. Xen. 108) od. Adcantus, ber Sohn 
des Aeneas (vergl. d.) wurde von den Römern (ebendaf. Str. 115) 
Sulus genamnt.. 

Aſoͤpus (ph. III, 4), ein Zlußgott in Böotien. — Im 
einigen Ausgaben fteht faͤlſchlich Ae ſopus. 

Aſpeeten (R. I, 3 — K. u. 8%. I, 4), Ausſichten, Anzei⸗ 
hen; |. a. Mftrolog. 

Aſtraͤa (Ged.), eigentlich ein Beiname der Dike (d. i. Recht“), 
der Gottin bed Rechtes, |. v. w. „Sternenjungfrau“. Als Göttin 
ber Gerechtigkeit wandelte fie in dem goldenen Zeitalter auf der 
Erde und verließ biejelbe von allen Himmltichen als die letzte, 
am im Thierkreiſe als das Sternbild „Zungfrau” zu’ glänzen. 
Sie wird mit einer Binde um bie Augen bargeftellt. 

Aſtrachan (Zur. I, 1), die Hauptflabt bed ehemaligen Kö- 
nigreich8 Aftrachan, welches einft zu dem Chanat Kaptichal, 
einem Theile bed großen Mongolenreichs, gehörte, jeit dem 16. 
Jahrh. aber unter Iwaͤn II. mit Rußland vereinigt wurde, 





Aſtrolog. hr) 


Aſtrolog, (Pic. I, 1 — Bf. T. I, 1) ein Sterndeuter. 
Die Aiirsiagie, (Bft. T. U, 3) „Sterntunft“ genanm, tft die 
trägerliche Zunft, aus Der Giellung ber Sterne — be⸗ 
ſenders das Schickſal der Menſchen vorherzuſagen. Sie wurde 
beigubers im Mittelalter, und zwar felbft von denfenden Fürſten 
und uambaftern Gelehrten gepflegt. Daß man fich im Alterthum 
mit dem einfachen Auffaſſen der Erſcheinungen begnägte, wie 
der geflirnte Himmel fie darbietet, Tiegt nahe; ebenſo, daß bie 
Phantafle, die in jenen Zeiten die vorherrſchende Kraft der Seele 
wer, in dem Wechſel der Erfcheinungen das Walten freundlicher 
oder feinbliher Dämonen zu erfennen vermeinte Wem auch 
. eigene hervorragende Geifter die hinter dem äußeren Schein 

verbargene Wahrheit ahnten und anzubenten wagten, fo war 
died dach eben nur eine Ahnung, deren Richtigkeit weber von 
den Zeitgenoſſen, noch von den Nachkommen verflauben wurde. 
Erſt mit Galilei (geb. 1564, + 1642) rangen fich die Raturwiſſen⸗ 
ſchaften aua den Feſſeln ‚phantaftifcher Träumereien los, ohne 
jedoch dem aftxologiichen Irrwahn fogleich den Todesfioß zu 
verjegen. Man darf ſich daher nicht wundern, wenn Ausbrüde, 
wie „Slädsftern" (Br. v. M. 470) oder „ungliädlihes 
Sekirn” (3.9.0. II, 8), dedgl. „böfer Stern" (Zur. I, 1) 
allgemeine Anerkennung und weit verbreitete Annahme fanden. 
Daher ſagt anıh Johanna (3. v. D. II, 4) vergleichungaweiſe 
zu Burgund: 


„Icht Ihimmerk du in ſegenvollem Licht, 
Da du vorhin in blutroth düftrem Schein, 
Ein Shredensmond an biefem Himmel hingſt. 


deigleihen Sagt auch Iſabeau (J. v. O. II, 2) zu den entzweiten 
Feldherren: 


„Was für ein hirwerrückender Blanet 
Berwirrt euch alfo die gefunden Etunet” 
fehlte es auch nicht an Gegnern ber Mftrologie, wes⸗ 
halb Si. den Illo (Picc. II, 6) zu Wallenſtein fagen läßt: 
„DH! bu wirft auf die Sternenftunde warten, 
Bis dir bie irdiſche entflicht.” 


40 Aftrolog. 


Um die Art und Weiſe zu verftehen, wie die Aftrologen "bei 
ihren Prophezeihungen zu operiren pflegten, bat man Folgendes 
zu beachten. Der ganze Firfternhimmel dreht fich ſcheinbar Ek 
24 Stunden um bie Are der Erde, während bie Planeten ihre 
Stellung zu einander beftändig ändern. Die letzteren wanbelit 
nämlich in fehr verwidelten Pfaden in einer Bone des Himmels 
bie den Aequator ſchief durchſchneidet, fo daß bie eine Hälfte 
nach Norden, die andere nach Süden gerichtet ift. Diefe Zone 
bildet den fogenannten Thierkreis mit den zwölf himmliſchen Zel⸗ 
chen, deren jebes in 30 Grade getheilt ift, um, den jedesmaligen 
Stand ber Planeten genau beftinnmen zu Eönnen. Nach der Auf⸗ 
faflung. der Aftrologen wurben Sonne und Mond mit zu Den 
Wandelfternen gerechnet, von denen bamald nur Merkur, Veruß, 
Mars, Jupiter und Saturn bekannt waren. Alle übrigen Pla; 
neten Lonnten für die Afteologte Feine Bedeutung haben, da fte 
mit unbewaffnetem Auge nicht beobachtet werden Können, Ahern 
haupt aber erft jeit bem Jahre 1781, wo Herichel den Uranııd 
entdedte, nad und nach bekannt geworben find. Man unter⸗ 
ſchied alfo im Mittelalter fieben Planeten: Sorme, Mond, Ber 
cur, Venus, Mars, Zupiter und Saturn, bie man ähnlich den 
Firfterngruppen auch bildlich darzuſtellen pflegte; daher werben 
(Bft. T. I, 1): „die fieben Planetenbilder“, (Bft. T. I, 7) „pie 
fteben Herricher des Geſchicks genannt. — Um eine prophetifche 
Deutung der Zukunft zu geben, oder (Picc. II, 1) „bie Plas 
neten zu fragen”, handelte es fich bei den Aftrologen um bie 
Stellung, welche die Wandelfterne in einem gewifien Zeitpunkt 
zu einander und zu ben himmliichen Zeichen einnahmen. Be— 
ſonders beichäftigten fte fih damit, Semanden (Picc. II, 6 u. 
III, 4) da8 Horoſkop zu ftellen. Um ſich Hiervon eine Vorſtel⸗ 
lung zu machen, denke man fi ben Mittagskreis, welcher von 
bem Zenith durch ben Südpunkt des Horizonts, unter dieſem 
fort und durch den Nordpol des Himmels zum Zenith zurückgeht. 
Dieſer Kreis theilt den ganzen Himmel, alfo auch den Thier⸗ 
kreis, an irgend einer Stelle in zwei gleiche Theile. Blickt man 


Aftrolog. 4 


nun nad Süden, fo zerfällt der ganze Himmel in eine linke und 
eine rechte Hälfte. Jede Hälfte des Thierfreifes zerfällt wiederum 
in ſechs Theile, von Denen in den Moment, wo jeine Solftitial- 
puxtte mit dem Meridian zufanmenfallen, auf jeder Seite brei 
über und drei unter dem Horizonte liegen. Diele zwölf Ab» 
chnitte Heike in der Aftrologie bie himmliſchen Häufer (Picc. 
6: „de Himmels Häufer”). Sie werden gezählt, indem man 
an der Tinten oder Oftſeite zunächft unter dem Hori⸗ 
egenden, als bem erften beginnt, dann unter dem Hort 
ch rechts weiter zählt, fo daß Über dem Horizonte neben 
dem erften das zwölfte Haus Hiegt. Jedes diefer Häufer hatte 
feine befonbere Bebeutung. Da ih daB Himmeldgewölbe bei 
feiner Drehung um die Himmels: und Erbare von Often nad 
Weiten bewegt, fo war Ar. 1 bad auffteigenbe Haus, ober bab 
Horoſtkop, D. h. der Punkt des Thierkreiſes, welcher in dem 
Augenbiidl der Geburt eines Menfchen aufgeht (woͤrtlich: Stun- 
denſchau); mit ihm ftieg das erfte Haus an. Nr. 2 war dad 
Haus des Reichihumd, Nr. 3 dad ber Brüber, Nr. 4 baß ber 
Berwandtichaft, Nr. 5 da8 der Kinder, Nr. 6 das der Geſund⸗ 
beit, Ar. 7 daB ber Ehe, das mit dem untergehenden Punlte bed 
Thierkreiſes aufhört; Nr. 8 das des Tobes, Ar. 9 dad des Mit 
leids, Nr. 10 das ber Würben, welches mit dem zur Zeit der 
Geburt eined Menſchen eulminirenden Theile des Thierkreiſes 
anfängt, Nr. 11 bad Haus ber Freundſchaft, und Nr. 12 ba 
ber Feindſchaft. 

. Sobald mm ber Aftrolog jeine Häufer für einen beftinnnten 
Bettyunft feftgeftelit Hatte, conftrnirte er fi eine ziemlich einfache 
mecthematiſche Figur. Man zeichne ih ein Duabrat (f. &.42), 
thelle jede Seite beffelben in zwei gleiche Theile und verbinde bie 
benachbarten Halbirungspunkte durch gerade Linien. Auf biefe 
Weiſe erhält man ein zweites auf ber Spipe ſtehendes Uuabrat, 
mit dem man ebenfo wie mit dem erften verfährt, woburh man 
ein drutes Quadrat erhält, defien Seiten mit dem bed erfien pa⸗ 
rallel gehen. Endlich werben bie Ecken des dritten Quadratt 


— 


a 
H 


2 Aſtrolog. 


mit den zunächft liegenden des erſten verbunden. DaB ganze 
fhelt nun zwei Quadrate, ein kleineres und ein größeres Dar, 
zwiſchen deren Seiten 12 Drei» 
ede liegen, welche mit de Bif- 
feen I—XII bezeichnet werben, 
und zwar fo, dab man au Deus 
Mittelpunfte der linken Seite 
beginnt, und nach unten weiter 
fortichreitend, um dad inzere 
Duabrat berumgeht. Die fo be» 
zeichneten Dreiede entſprechen 
nun den zwölf himmliſchen Hãu⸗ 
jern, beren jebed die oben ge⸗ 
nanuten Beziehungen auf bie 
Schichſale des Menſchen bat, 
das fich natürlich verfchieden geftaltet, jenachdem biefed nder je- 
nes Beichen in da3 Haus eintritt (Picc. III, 4). 

Bon bejonderer Bedeutung für den Aftrologen waren bie 
fogenannten Afpecte („Anblide”) (Wf. T. I, 1), od. (ebendaf.) 
„Planetenajpecte”, d. h. die verſchiedenen Stellungen der Sonne, 
des Mondes und der Planeten im Thierkreife gegeneinander; da⸗ 
ber (BER. T. J, 7N: 

„Die Zeichen ſtehen ſieghaft über dir, 
Glũck winken bie Planeten bir herunter 
Und rufen: Es iſt an ber Zeit” 
oder (Bft T. V, 5): „Die Zeichen ftehen graufenhaft” .... 
„Wed jelbft in dem Planetenftand“. Man unterfcheidet fünf fol 
her Afperte: 1) die Conjunction oder Zufammentunft; 2) bie 
DOppofition oder ber Segenfchein (Bft. T. I, 1 „Doppelfchein”), 
in bem die Sterne 180° von einander entfernt find, alfo ber 
eine anfgeht, indem ber andere untergebt; 8) ber Gebritt- ober 
Triagonalſchein; 4) der (Bft. T. I, 1) Gentert: ober Duabrat- 
ſchein, auch die Quadratur genannt, wo die Sterne um 90° aus⸗ 
einander fiehen; 5) ber Gefechft: oder Sechftelfchein. Den brei 





Aftronomen — Atalanta. 48 


legten Aſpecten, die für die Aſtronomie völlig werthlod find, 
ſchrieben die Aftrologen einen bedeutenden Einfluß (wegen ber 
„Khrägen Strahlung”) auf das menſchliche Schidfal gu. — Un 
tex den zwölf Hänfern waren die wichtigften und einflußreichſten 
die vier jogenaunten Angeln des Himmeld, d. h. die vier Eden 
Dei auf der Spige ſtehenden Duadratd, die unwichtigften und 
bedeutungßlofeften bie vier ihnen unmittelbar vorhergehenden, die 
man daher auch die „faulen oder die fallenden Häufer“ nannte, 
Stand ein Planet (3. B. der Satum, BR. T. I, )) in einem 
diefer Haͤuſer „in cadente domo“, fo war er „unſchaͤdlich, macht⸗ 
108”, weil er jegt feinen Einfluß verlor. — Bergl. den zu dieſem 
Artikel bemupten Auffap „Wallenftein und die Aftrologie” in 
„Studien. Populäre Vorträge von Schleiden. Leipzig, bei En- 
gelmann, 1855“. 

Aſtronomen, Un die (Ged.), ein Epigramm aus dem Jahre 
1796. Sch. hatte für die rein berechnende Thaͤtigkeit ber Aftro⸗ 
nomen wenig Sinn; er fuchte dad Erhabene mehr in dem Men: 
Tchen jelbft, ber allerdings auch durch äußere Erſcheinungen zu 
erbebenden Betrachtungen veranlaßt werden Tann. 

Aſtronomiſche Schriften (Ged.), ein Epigramm, befien 
Tendenz mit der des vorigen Üibereinftimmt. Der Bermuthung 
zufolge follte e8 ſich auf eine Schrift: „Kosmologiſche Unterhal: 
tungen für die Iugend“ von Wünſch beziehen. 

Aſtyanax, der einzige Sohn bed Heltor und ber Androͤ⸗ 
made. „Ueber Aſtyanax unfre Goͤtter!“ (R. II, 2) jo viel als 
„unferes Sohnes werben ſich die Götter erbarmen”! Der Bert 
verlangt ben falfhen Accent „Ultyinar“. 

Atalauta (Phön.), eine Tochter des Königs Jafus und der 
Klhmene in Arkadien. Ihr Bater hatte fie außjegen lafſen, da 
er fi einen männlichen Erben gewünfcht hatte; indefien wıuzbe 
das hülflofe Kind von einer Bärin gejängt und ſpuͤter son Jaͤ⸗ 
gen rauh und wild erzogen, fo daß Jagd und Staub ihre Lieb⸗ 
Kngäbefchäftigung ward. Sie ift beſonders hekannt als bie Rut⸗ 
ter des Parthenopäns (Phön.), eines der fieben Helden, welche 


44 Ate — Athene. 


gegen Theben zogen. Als Bater befielben wird bald Meledger, 
bald Ares angegeben. 

Ate (M. St. II, 3. Eigentlih ein griechiſches Hauptwort, 
weiches „Schaden, Unheil, Geifteöverwirrung, Berblendung” be- 
deutet, dann auch einen Frevel, eine Schuld, und in diefen Be⸗ 
beutungen bei Homer außerorbentlih häufig ifl. Dann wird es 
von ihm perſonificirt (ST. 19, 91; 9, 502) als „Unhellsgättin, 
Tochter des Zeus, Urheberin der Geifteöverirrung oder Verblen- 
dung unb bed baraud entipringenden Unheil”. Sch. Hat in 
obiger Stelle den Begriff derfelben dichterifch frei behandelt. 


Athen (Ged. Semele — Ph. I, 1 u. I, 1), lat. Athenae, 
wie (Ph. I, 3. des Verjed wegen), die Hauptjtadt des alten Kö- 
nigreichs Attifa, fpäter Die berühmte Republil. Der Sage nadh 
wurde bie Stadt 1550 v. Chr. von Kekrops (Ged. D. Kraniche 
bes Ibykus; 1, 250, Anm. Cekrops) gegründet, weshalb die Burg 
(die Akroͤpolis) urſprünglich Kefropia hieß; fpäter wurde Die Stadt 
nach der Söttin Athene benannt. 

Athene (Myth.), bei den Römern Minerva, die Tochter 
des Zeus, wurde aus deſſen Haupte geboren, aus dem fle mit 
voller Rüftung und fchredlihem Kriegsgeſchrei hervorfprang, fo 
daß der ganze Olymp vor dem Schwunge ihres Speered erbebte, 
die Erde feufzte, der Ocean erbraufte und der Wagen des Son: 
— ſtillſtand; daher in dem Eleuſiſchen Feſt: 

„Und Minerva hoch vor Allen 

Ragend mit gewicht'gem Speer, 

Läßt die Stimme mächtig ſchallen 

Und gebeut dem Gotterheer.“ 
Häufig heißt fie auch Pallas Athene und (Ged. 2. B. d. 
Uen. 71 u. 105) Tritonia od. (Ged. 2. B. d. Aen. 39) Tri⸗ 
tonide. Athen war einer der älteſten Orte ihrer Verehrung, 
weshalb es (Ph. I, 5) Minervenſtadt genannt wird. — Athene 
tft vor Allem die Göttin des Krieges. Bor Troja begünftigt 
fie die tapferen und Mugen Griechen gegenüber dem Mars, wel- 
cher anf Seite ber Trojaner ftand; fle war es auch, welde den 


Athene. 45 


Erkus G. d.) lehrte, das berühmte Pferd (Ged. 2 B. d. Aen.3 
u. 31) zu verfertigen. Trotz ihrer kriegeriſchen, oft ſelbſt feind⸗ 
ſeligen Geſinnung erſcheint fie Doch zugleich als die Beſchützerin 
aller nũtzlichen Erfindungen, vor Allem des Ackerbaues, in Folge 
deſen fie als die Grũnderin der Städte, wie (Geb. D. Siegesfefb: 
„Ballas, die die Städte gründet 
Und zertrummert” ...... 
und ald bie Urbeberin des gefelligen und gebildeten Lebens er- 
fcheint; daher (Ged. D. Eleuſiſche Feft): 
„Sehe Mauern will fie gründen, 
Sedem Schug und Schirm zu feln, 
Die gerfireute Welt zu binden 
In vertraulichem Berein.“ 
Eben ſo wird fie als die Erfinderin und Beſchuͤtzerin der Schiff⸗ 
fahrt genannt; daher heißt es von ben Schiffen, die zum Streit 
nad Sion geführt werden (Iph. I, Zw.-9.): 
„Ballas mit geflügeitem Geſpanm 
Spt ihr Zeichen — auf der Wafferwäfte 
Eine Selferin dem Steuermann!” 
Mit Bofelton gerieth fle in einen Streit um die Benenmmg 
Abend. Da entihieben die Götter, die Stadt jolle nach dem 
Namen dedjenigen genammt werben, der die Menjchen mit dem 
beiten Gefchen? erfreuen würde. Pofeidon ſchuf das Roß, Athene 
den Delbaum, und diejer ward für nüßlicher erflärt, daher bringt 
„Minerva (ed. Spaziergang) des Delbaums grünende Reiſer“. 
Auf dieſe Weije eine wohlthätige Helferin, tft fie ſchließlich auch 
die Göttin der Weidheit; daher (3.9. O. IH, 6): 
„Grhabene Beruunft, lichthelle Tochter 
Des goͤttlichen Haupted.“ 
Somit erfcheint fie als Beſchũtzerin der Wiſſenſchaften und Künfte, 
die des Denkers Geift mit Forfcherfraft, des Künftlerd Seele mit 
Begelfterung erfüllt, ja ſelbſt einen prophetiſchen Blick in Die 
Zukunft gewährt; daher (Ged. D. Siegetfeft): 
„Srradh 9 ulyß mit Barnımgöblide, 
Bon Athenens Geiſt befeelt.” 





46 Athos — Atlas. 


Und (Geb) „einem fungen Freunde, als er fi ber Weisheit 
wibnete” legt Sch. bie Frage vor: 
„Biſt Du bereitet und reif, dad Heiligthum zu betreten, 
Bo deu verbäditigen Schatz Pallas Athene verwahrt?” 

Der Liebe war fie abbold und blieb ewig Jungfrau; daher fagt 
Sorel (3.9. D.IV,2) zu Johanna: 

„Mein liebend Herz flieht ſcheu vor Dir zuräd, 

So Imge Du der firengen Ballas gleicht.” 
Die Kunft ber Alten ftellte die Athene als eine erhabene jung- 
fräuliche Geftalt von hoher Schönheit dar, denn ſie durfte (Iph. 1, 
Zw.:9.) vor Paris mit Here und Cypria (d. i. Venus) um ben 
Preis der Schönheit ringen. Berg. Eris. 

Athos (Geb. Semele 2), das VBorgebirge auf der oͤſtlichften 
ber drei langen Lanbipigen ber macedonifchen Halbinſel Chi: 
fidife, welche fih in das Agdilche Meer hinein erftredi. Diss 
Borgebirge wurde befanntlic von Xerxes burchftochen. 

Atlas, der Sohn des Titanen Jaͤpetus hatte fih mit den 
übrigen Titanen gegen Zeus empört und mußte beöhalb zur 
Strafe dad ganze Himmelsgewölbe auf feinen Schultern tragen 
(Ged. 4.3. d. Aen. 46, 47 u.88). Einer andern Sage zufolge 
war Atlas König von Mauretanien in Afrika und wurde vom 
Perſeus, dem er gaftliche Aufnahme verweigerte, vermittelft bes 
Medufenhaupted in einen Berg verwandelt. Weber die folgende 
"Stelle (Br. v. M. 425) fehe man auch „Perjeud*: 

„Eindringt der Bott auch zu verfloff'nen Thoren; 
Zu Berfeus Thurm dat er ben Weg gefunden, 
Dem Dämon tft fein Opfer unverloren. 
Bär’ ed an öbe Klippen angebunden . 
Usb a bed Atlas Hintmeltzagenite Gäulen, 
©o wirb ein Slügelroß es bort ereilen.” 
Bildlich heißt es ferner (M. St. IV, 3) von Lord Burleigh: 
„Da ſeid Ihr ber allgewicht'ge Ram, ber Atlas 
Dei Staats: ganz England Liegt auf Curen Schultern”, 
f. Homer, Ob. I, 52. 


Atoͤm — Aufgabe. 4 


Ute, eig. ein untheilbares Beſtandthellchen ber Materie 
(Ger. D. Frenundſchaft), Feine Theile überhaupt; auch bilblich für 
die Bryerliche Hülle des Geiſtes wie (3.v.D. II, 6): 

“Balb ifi’6 vorüber, unb der Erde geb’ ich, 

Der ew’gen Sonne die Atome wieder, 

Die RG zu Schmerz und Luft in mir gefügt.' 
Atreiden, |. Atreus. 
Utrens (Bed. 2.32. d. Aen. 17. — D. Siegeöfeft. — Pom⸗ 
yet und Heraulamım. — Iph. 1, 1), der Enkel bes Zantalus, ber 
Sohn be Königs Pelops, der Bater des Agamemnon (f. d.) und 
Meneläuß, welche nah ihm auch Häufig die Atriden (Geb. 
3.2. d. Yen. 73. — D. Siegesfeſt. — Iph. II, 1 u. IV, 1) ober 
«Sed. 2. B. d. Aen. 87) Atreiden genannt werden. 

Atriben, ſ. Atreus. 

Attika (Ged. Semele 1), die äftliäfte Landſchaft Mittel⸗ 
griechenlands, in welcher Athen (ſ. d.) lag. 

Attila (Wſt. T. 1,5), in der deutſchen Heldenſage auch Etzel 
genannt, batte ſeit 444 n. Chr. die wilden Hunnenſtaͤmme vereinigt, 
mit denen er gegen die weſtlichen Länder zog und in Deutſchland 
und Frankreich Schreden verbreitete, bis er von ben Weftgothen 
und Franken auf den katalauniſchen Yeldern (bei Ehalond an 
der Marne) beflegt wurde, worauf er 453 flarb. 

Attinghauſen (W. T.I,4), der Wohnort Walther Yürft's, 
in bem feiner ganzen Länge nad von ber Reuß burchftrömten 
Canton Url. Bon der Burg bed Freiherrn Werner von Atting- 
haufen find noch Trümmer vorhanden. 

Attribut, zunähft eine beigelegte Eigenſchaft; dann ein 
Finibtldliches Unterſcheidungszeichen für allegoriſche Geftalten, 
wie (9.6. 8.) die Manerkrone und das Schiff Für die Architectur. 

Eben fo wird der Adler als Attribut bes Zeus, der Pfau als 
daB der Here, bie Fackel ald das des Hymen angefehen. 

Aubefpine, ſ. Maria Stunt. 

Yufgabe (&eb.), ein Epigraum von paraborem Charakter, 
ans dem Jahre 1796. Nur durch Erhebung zum Idealen kann 





48 Aufkoͤmmling — Ausftaffirung. 


der Einzelne bet vollftänbiger Wahrung feiner Iudividualltät ein 
vollendeter Menſch werden. 

Aufkommling (Gſtſ. 116), ein von Sch. gebildetes Bart, 
welches an das franzöſiſche parvenu erimert, das gewöhnlid 
durch Emporkömmling überjegt wird. 

Yufpafier, Der (Geb.), ein Epigramm aus dem Sabre 
1796; es war vermuthlich an Sch.'s „kritiſches Kleeblatt“ Gothe, 
W. v. Humboldt und Körner) gerichtet. 

Aufſtreich (R. J, 2 u. II, 1), in einigen Gegenden Deutſch⸗ 
lands ſ. v. w. Verkauf an ben Meiftbietenden; oder bildl. (R. I, 2) 
ſ. v. w. Steigerung; vergl. Abftreich. 

Augen, hundert (O. C. J, 1), ſ. Argus. 

Aulis (Geb. 4. B.d. Xen. 79. — Die Kraniche des Ibykus. 
— Iph. I, 1), eine Stadt in Böotien, von welcher die griechiſche 
Zlotte im Sabre 1184 v. Chr. nad Troja abfegelte. 

Aurora, |. Eos. 

ausbieten (K. u. 8. L 1) ſ. v. w. Jemandem das Hauß ver: 
bieten. In Gr.d. W. wird als ältere Conſtruction die mit dem 
Dativ angegeben, 3. B. „einem Pachter auöbieten“, d. h. ihn 
kündigen. Göthe bat den Accuſativ, wie hier Sch., der dort 
nicht angeführt ift. 

Ausgang aus dem Leben (Ged.). In der Erhebung zum 
Idealen erblickt der Dichter ein Mittel, dad dem Menfchen über 
die Schreden bed zeitlichen Todes hinweghilft. Vergl. dad Geb. 
Unfterblichkeit. 

ausreichen (R. Vorr.), ſ. v. w. erfaffen. 

Auſonia od. Auſonien (Ged. 4. B d. Aen. 64. — Die Am 
tike an den nord. Wanderer) wurde von ben Hellenen ganz Italien 
genannt; urjprünglid war es nur ber ſüdliche Theil zwiſchen 
dem Appennin und dem Mittelmeer. 

Ausftaffirung (Gſtſ. 119); flaffiren, von Stoff, etwas 
mit Zubehör, Stoff, verfehen; Ausftaffirung, daher f. v. w. Putz, 
doch gewöhnlich nur im komiſchen Sinne. 


De u 


® 


Auftrier — Babel. 49 


Auſtrier (Geb. Deutihe Treue), ein Oeſtreicher, von dem 
nenlat. Austria, Deftreidh. 

Auto da Ye (D.6.1,3), ſpan. (wörtlich: Act, d. i. Urtheil 
des Glaubens), ein Ketzergericht der ſpaniſchen Inquiſition (f. d.), 
die üffentliche und feierliche Verbrennung eines ſogen. Ketzers. 

Autoͤmedon (Geb. 2. B. d. Aen. 84), ein Sohn bed Dioreß, 
zwar ber Wagenlenker ded Achilles und ber Vertraute bes Pa- 
trochıs, ſchon tm Altertum jprüchwörtlih für einen Wagen⸗ 
Lenker, wie no jegt im Franzoͤſiſchen, „automddon* Tomifch 
für Kuticher. 

Avernus (Bed, Die Kimftler. — 4. B. d. Yen. 5 u. 94), ein 
See tm füblihen Stalten, von hohen, bewaldeten Ufern einge 
ſchlofſen und mit jchwefeligen Ausdünftungen bevedt. Er war 
deu Göttern ber Unterwelt geheiligt und wurde als Sig eines 
Dratels häufig beſucht. 

Axenberg (W. T. IV, 1), ein fchroffer Berg an ber Oftfeite 
beö zu dem Bierwaldftätterjee gehörenden Urnerſees, der hier eine 
Tiefe von 800 %. bat; an bem Berge zeigen fidh zwei Borfprüänge 
von ungleicher Größe, der große und ber Beine Axen. 

Azinucourt (J. v. O. I, H), Stabt in ber Nähe bes Pad be 
Salats, wo König Heinrich V. von England 1415 einen ua 
zenden Sieg über bie Franzoſen erfocht. 


B. 


baardu (8.n.2.1,2), verd. für dad fraf. partout, durchaus. 

Babel (Zur. II, 1). Die hochberühmte Hauptftadt Baby⸗ 
loniens eigentlich des Lande am untern Euphrat und Zigris, 
und eines ber ÄAlteften Weltreiche, wird im A. X. Babel genannt, 
von ben Griechen Babylon. Ste Ing an beiden Ufern des Euphrat, 
wo noch jest bei Hilleh fih Ruinen finden. Etwa 750 n. Ebr. 
wurde gegenüber an bem parallel fließenden Tigris die Stabt 

L 4 


50 Babington — Bacchus. 


Baghdad gegründet und Hauptftadt des muhammebantfchen 
Chalifenreiches. Mit Bezug hierauf ift die wunberliche Bezeich⸗ 
nung bei Sch. zu Stande gefommen. „Schach“, fo viel wie 
„König“, heißt der heutige Beberrfcher von Perfien, diefer 
Name hat Nichts mit dem uralten Babel zu thun. Wir bes 
finden uns in Turandot eben in ber Märchenwelt von Taufend 
und Einer Nadt. 
Babington, ſ. Marie Stuart. 
Bacchanten 
Bacchantinnen ſ. Bacchus. 
baechantifch 
Baechus (auch Ofkonhſos), der Sohn bed Jens‘ und ber 
Semele (f. d.), iſt bewichöne, jugendfich heitere Gott des Weines. 
Nachdem er die Hüfte feines‘ Waters verlaffen, ward er bem 
Hermes übergeben, welcher ihn von Nymphen auf dem Berge 
Nyſa in Indien (daher vielleicht der Name Dionyfos, beffen erfte 
Sylben dann „Gott“ bedeuten würben; |. SI. 6, 182; 14, 325; 
Db; 11, 326) erziehen lieh. Bon Bbotten aus (demm Semele, 
die Tochter de Cadnwos, wohnte in Theben, und bier mag auch 
urfprünglich Nyfa gelegen haben) verbreitete ſich der Cultus bes 
Gottes über ganz Griehenland und, wie die- Griechen es fich 
in fpäterer Zeit vorfiellten, durch einen wunderbaren Zug be3 
Gottes jelbft, bis in das ferne Indien. Aber diefer Zug wurde 
zu einem weltbeglüdenden, dern burch Die Veredelung des Wein: 
ſtocks hatte er den Sterblichen das Getränk verliehen, welches 
das Herz erfreut. Auf diefe Weife durchzog er nun die Welt, 
um den Weinbau zu verbreiten, begleitet von einem fröhlich 
jauchzenben Gefolge von Halbgöttern, Männern und Weibern, 
welche fich ihm anfchloffen, daher in den „Göttern Griechen 
lands“, Str, 8: 
„Das Evoe mimtrer Thyrſusſchwinger 
Und ber Panther prächtiges Beipamı 
Meideten den großen Breubebringer; 
Saun unb Satyr taumeln ihm voran! 


Bacchus. 51 


Um ihn ſpringen rafende, Märnaben, 

Ihre Tanze loben feinen Wein, 

Und des Wirthes braune Wangen laden 

Luſtig zw dem Beides ein," 
Einen mit Epheu oder Weinlaub umflochtenen Stab, den Thye⸗ 
ſus (Ged. Pompeji und Herculanum) in ben Händen, ein Tiger⸗ 
ober Rehfell um Die Schultern gehängt, fo erfcheint dad Gefolge 
von Männern und Weibern, Bacchanten und Bachantin- 
nen, bie letzteren auch Maͤnaden (d. i Rafende) genannt, in 
wilder Ausgelajjenheit, um. mit. Floͤten und Raufen ben Freuden⸗ 
bringer zu begrüßen. Daher heißt e8 (Geb. Pompeit und Her: 
culanum): „Hoch auf fpringt die Bachantin im Tanz, bort 
ruhet ſie ſchlummernd“; und von dem Palafte der Semele fagt 
Zeus (Geb. Semele 2): „grauenvolles Schweigen herrſcht rings: 
umher im einfamen Palaft, der fonft fo wild und fo bacchan⸗ 
tiſch Tärmte.“ 

Anfangs waren die Seite, bie man dem Bacchus zu Ehren 
feierte, wohl nichts Anderes als heitere und fröhliche Winzer: 
fefte; aber von Thracien aus verbreiteten fich bie fogenannten 
Drgien (jo viel wie geheime Religionsgebräuche) als mit trun⸗ 
fener Wildheit gefeierte Bacchusfefte nach und nach durch ganz 
Hellas. Daber heißt es (Geh. 4.B. d. Aen, 11): „EB quilit 
zweijäßr’ger Rinder Blut, dir, Bromius, zu Ehren”; ferner 
Hp, IV ! 3); 


„Grüne Aromen in dem Kkar 
Usb mit fihtenem Gefchofle, 
Menſchen oben, wıim.Mafle. 
Kam auch, bez Ayntauren Schaar, 
Angelodt von Bromins Pokale 
Ramen fle zum Göttermahle.“ 
wo Bacchus mit dem Beinamen Bromtuß, d.5. der Lautjauch⸗ 
sende, bezeichnet wird; und an die mit nächtlichen Schwelgereien 
verbundenen Feſte erinnert die Stelle (Geb. 4. B. d. Wen. 56): 
„So führt, wem der DOrgten Ruf erfchaflt, 
Die Mänas auf, wenn durch ihr glühentes Behtrne 
Die nahe Gottheit brauſt, und von Githärond Stirne 
Das nächtliche Geheul der Schweſtern wibschallt.” 


4* 


52 Bacchus — Batllif. 


Als Sinnbild bes fröhlichen Gelages beim gefüllten Becher wird 
Bacchus oft genannt; fo (Geb. Die Gunſt ded Augenblids): 
„Denn was frommt es, daß mit Leben 
Ceres den Altar gefhmädt? 
Das den Burpurfaft der Neben 
Bachus tn die Schale drüdt?* 
und (Ged. Ditbyrambe): _ 
„Kaum daß ih Bacchus, ben Auftigen, habe, 
Kommt auch ſchon Amor, ber Iächelnde Knabe.” 
Ehen fo wird von bem Schmaufe (Picc. IV, 6) gefagt: 
„Sr Liebt die Backhußfefte auch nicht ſehr.“ 
und (D. &. I, 4) beißt e8: 
= — — — ‚ein bachantifhes Getön 
Bon Reigen und von Pauken bonnert ihm 
Aus dem erleuchteten Balaft entgegen.” 
beögl. (5. 1,4): „ber bacchantifche Tanz.” — Endlich heißt es 
mit Beziehung auf feinen Beinamen Zreubebringer (Pice. 
II, 9) von trunkenen Kriegern: 
Blindwüthend ſchleudert felhft der Bott der Freude 
Den Bechkranz in das brennende Gebaͤude.“ 

Baden (W.T.1V,3), ein Städtchen im Canton Aargau, | 
an der zur Aar gehenden Rimmath. Nicht weit davon liegt eine 
anfehnlihe Ruine, der Stein zu Baben (W.T. V, I) genannt, 
von wo aus Kaiſer Albrecht I. die junge Freiheit der Eidge: 
nofienfchaft bebrobte Als er am 1. Mat 1308 von diefem 
Schlofſſe fortritt, fand er durch die Rache feines Neffen, Johann 
von Schwaben, den Tod. — Mit dem „König“ (IV, 3) tft 
Albrecht gemeint, und die Stelle: 

„Man deutet's auf ein große® Lanbesunglüd, 

Auf fchwere Thaten wiber bie Natur" 
tft als eine abergläubtfhe Vorahnung feiner Ermordung au 
betrachten. 


Baillif (K. d. H.), eine Altere frif. Form, jebt bailli, ber 
Amtmann, Landrichter, Schultheiß. 


Bairenth — Bannberg. 93 


Bairenth (Wft. 8.6), ein zu dem ehemaligen Oberfranken 
gehörendes Fürſtenthum, das felt dem Mittelalter im Befitz der 
Sohenzollerihen Burggrafen von Nürnberg war, 1810 aber an 
Baiern abgetreten wurde. 


Balardo (Sftf. 10, 133) tft ein auffallender Drudfehler 
mehrerer früherer Ausgaben, ber in ber von 1860 in 8. be- 
ritigt if. Balordo ift italieniſch und bedeutet „chwerfälliger 
Menſch, Tölpel”. 


Balbi (5. II, 4), eine der fchönften Straßen Genuas, die 
jest von dem Hafen bis zu dem Bahnhofe verlängert ift. 


Ballade (Ged.), fraf. la ballade, wörtl. ein Tanzlied, dann 
eine abenteuerliche Begebenheit, in der Form eines Liedes barge- 
felit, Das in früheren Zeiten gefungen wurbe (f. Lyriſche Poefle). 


Banbit, von dem ital. bandire, des Landes verweijen, ur: 
Iprünglich aber mit „bannen“ zufammenhängend, eig. ein Berbann: 
ter, Berwiefener; dann auch Landftreicher und beſonders (R. 
Verſ.Verz.) Straßenräuber und (%. IU, 5) Meuchelmörder. 


Bank (Gfti. 10, 182), „die Bank auffordern“, d. h. ben 
Geſammtbetrag derjelben durch Pointiren gewifiermaßen heraus⸗ 
fordern, und fie fomit (F. II, 5) fprengen. Gr. d. W. führt zu 
„auffordeen” noch mehrere Beiſpiele aus Sch. an, z. 2. eine 
belagerte Stadt aufforbern, fr. sommer, auch im Sinne von 
„berauöfordern, reizen”, oder „Semandes Schuß auffordern “ 
u. a. 


Bankerott (N. a. O. J, 15), gew. Bankrott, frz. banqueroute, 
von dem ital. banco rotto, d. h. gebrochene Bank, Handlungs» 
bruch, das Unvermögen zu zahlen; daher bankerott (R.I,2 u. 
1,3), f. v. w. zu Grunde gerichtet; Banterottirer (R. J, 1), 
Betrüger; Geiſtesbankerott (K. u. L. IV, 9), fein Berftändniß 
. für etwas habend. 


Baundberg (W. T. III, 3), ſ. Altorf; vergl. bannen. 


54 bannen. 


bannen (WB. T. U, 1). Die Wurzel eined Worted genau 
anzugeben, ift In fehr viefen Fällen, wie auch in dieſein, -mit 
großen Schwierigkeiten verbunden, f. über bannen '®r. D. W. 
Urſprünglich bedeutet es „Hegen des Gerichtes“, dantı jagt man 
„einen Forſt oder Wald, ein Gewäſſer bannen, ſie für heilig 
und unverleglich erflären, der gewöhnlichen Benußgung entziehen“, 
daher wird dad Jagdrecht an manchen Orten „Wildbann“ 
genannt. Deshalb heißt e8 (I, 1): „Sie werden den Hochflug 
und dad Hochgewilde bannen.” Go ein gejeglih binbender 
Ausſpruch, verflärft durch ben Volksaberglauben, befteht auch 
für die gegen Lawinenftürze künſtlich angelegten Schirmwälder; 
daher (III, 3): „Der Meifter Hirt erzählt'’8. — Die Bäume ſeien 
gebannt, fagt er, und wer fie jchäbige, dem wachſe feine Haud 
heraus zum Grabe.“ Eben daher kommt wohl auch Baͤuner 
(ID, 1), d. 5. die Fahne, an welche die Truppen durch ihren Eid 
gefefielt find; dedgl. Bannerherr (I,2 u. II, 1), ber ein eigenes 
Banner erheben kann und zugleich mit der peinlihen Gerichfs- 
barkeit belieben if. — Blutbann (II, 2) ift die oberfte Cri⸗ 
minalgewalt, d. h. das Recht, am Leben zu ftrafen. Der Ausdrud 
Blutbann war ſchon im deutjchen Alterthume üblich, wo bie fo» 
genannten Sentgrafen (II, 2 „ein großer Graf), welde ‚mit 
ber Gerichtsbarkeit über mehrere Hundert betraut waren, dtejed 
Recht hatten. — Heerbann, ober ſchweizeriſch und alt Her i⸗ 
bann (II, 2) hieß das Aufgebot aller ‚waffenfähigen rfreien 
Männer, die fich ſelbſt ausrüften und auf dem Zuge eine be⸗ 
ftimmte Zeit lang mit Lebensmitteln verjehen mußten. Aufangs 
durfte der Heerbann nur für allgemeine vom Bolt beſchloſſene 
Kriege aufgeboten werben; ſpäter jedoch warb Died ein Recht 
des Kaiſers. Bildlich wird endlich Bann, nad Gr. d. W., an 
gewendet im Sinne des Fluchs, Zaubers, der Feſſel, des Ber- 
botes überhaupt, wie (Picc. II,4), wo Mar in Beziehung auf 
Theklas reihen Schmud von Wallenſtein jagt: 
„Barum auch mußt er beim Empfange gleich 


Den Bann um fie verbreiten, glei zum Opfer 
Den Engel ſchmücken.“ 


Banner — Barberroß. 55 


Desgi. (WR. T. V, 2) von bem Weihwaſſer: 
Das ift bewährt, Hilft gegen jeben Bann.” 
und (Wil. T. V, 4), wo Wallenftein von der zerjprungenen gol: 
denen Kette fagt: 
„Diejed Banues Kraft if aus.” 
Endlich auch im Sinne bed Tirchlichen, den Sünder non ber 
Gemeinde ausſchließenden Banned auch W. T. V, 1: „Dem 
mit des Banned Fluch bewaffnet, kommt der Ungarn Königin, 
Die firenge Agnes” (f. dafelbft), obwohl Gr. d. W. dieſe Stelle 
unter die entfernteren, bildlichen Anwendungen jet. 
Banner, |. Wallenftein. 


Barbar (Ged. Die Künftler — Iph. I, 1), urfprünglich fo 
viel wie „fanımelnd”, „undeutlich ſprechend“, hie bei den Griechen 
jeder Ausländer; fpäter ein harter, graufamer Menſch, Unmenſch 
(Ged. 4.2. d. Ken. 10 — R.L3— Ku 81,6). Der 
erften Bedeutung gemäß heißt e8 auch von Paris, dem Trojaner 
oder Phrygier (f. Aeneas — Iph. II, Zw.⸗H.): 

„Du fange Dein barbariſch Lieb.” 
Der ‚zweiten Bebeutung gemäß (8. u. 2. IV, 7): „mein bar: 
barijches 8908“; desgl. Barbarei (B. a. v. E.), Grau: 
ſamkeit. 


Barbarofia (&. IV.2). Friedrich Barbaroffa (1152—11%0), 
der zweite Kaiſer aus dem Haufe der Hohenftaufen. Was Sch. 
mit dem Zuſatz „bem er:wider bie Seeräͤuber diente” bat ſagen 
wollen, entgeht uns; faft möchte man am eine feltiame Ber- 
wechſelung denken. Sn der fogenammten Thenteraudgabe "der 
Räuber, |. die Außg. v. 1860 in B., II, :&.235, 86 findet fidh 
bie Stelle gar nicht. 

Bearberrst (3. v. O. V, 11), jebt gew. Berberroß, frzſ. 
eheval barbe, ‚auch Bärber und Bärber, bei Gr. d. W., ein 
Pferd aus ber Barberei (audy Berberei ober bis 1832 Bar- 
bareflen-Staaten, d.h. Tunis und Algier) im nördlichen Afrika. 


56 Barcker — Barfüher. 


Daber au „barbarifche Küfte" (Gftſ. 10, 168 und , barbariſches 
Sklavenkleid“ (Gſtſ. 176). Die Berbern find eigentlid Der 
Bollsftamın, welcher Nordafrika fett uralter Zeit bewohnt, jetzt 
aber von den Arabern in die Sahara und den Atlas zurück⸗ 
gedrängt wird. Da beide Böller Muhammebaner find, werben 
fie größtentheilß verwechjelt, Haben aber in ihrer Abſtammung 
ſchwerlich etwas gemein, die Sprachen wenigftend find ganz ver- 
ſchieden. Auch Berberei und Barbaret werden verwechjelt, wozu 
auch die Stellen aud dem Geifterfeher Anlaß geben könnten. 


Bareder (Ged. 4. B. d. Aen. 8), bie Einwohner ber Stabt 
Barce in Cyrenalka, weitlih von Aegypten. 


Barce (Ged. 4.3. d. Yen. 114), die Amme bed Sichaͤus. 


Barde (Ged. Die deutihe Muſe). Die „Barden“ waren 
die Dichter der celtiichen Vollsſtaͤmme (deren Reſte die nicht 
franzöfifch redenden Bewohner der Bretagne in Frankreich und 
die nicht engliich redenden Bewohner von Wales, Hochſchottland 
und Irland bilden), während die Sänger ber norbifchen, ger- 
mantfhen Stämme „Stalden“ hießen. Cine Verwechſelung 
führte im 1Sten Jahrh. dazu, auch die altdeutichen und dann, 
im feterliden Style, jeden Dichter höherer Art fo zu nennen 
und durch Klopftod befonder® wurde der Name jehr gebräud- 
id. (Gr. d. W. nennt das „Bardenunfug“.) Man ftellte näm- 
lich ein altes, von dem römijchen Gejchichtichreiber Tacitus (f. d.) 
überlieferted Wort baritus oder barditus, welches „Schlacht: 
geſchrei“ bedeuten foll, mit dem celtiihen Worte zufammen. 
Klopftod behält dad Berbienft, die vaterländiiche Götterlehre 
dem Bewußtjein der Gebildbeten wieber nahe gebracht zu haben, 
Mipgriffe waren unvermeidlih; Sch. (f. unter Walhalla) und 
Goethe beachteten dieſe Richtung wentg. 

Barfüßer (Gſtſ. 10, 137), Mönche, die ftatt der Schuhe 
bloße Sandalen oder auch gar Feine Zußbefleidung tragen. Sie 
bilden innerhalb der Orden der Auguftiner, Yranziöcaner und 
Karmeltter befondere Eongregationen (Berbrüberungen). 





Birlappenmehl — Baron. 57 


Bärlappenmehl (R. I, 2) oder Bärlappfamen, daß blaß- 
gelbe Pulver der Früchte einer kryptogamiſchen Pflanze, bes 
gemeinen Bärlapp8 (Lycopodium clavätum). &8 ift aud) unter 
tem Namen Herenmehl oder Bligpulver bekannt, brennt, in 
Ucht geworfen, mit raſch auflodernder Zlamme und wird in den 
TIhentern gebraucht, um den Blig darzuftellen. 


Barmberzige Brüder (W. T. IV, 3), ein Orden, der im 
Sabre 1540 durch Giovanni di Dio geftiftet worden, welcher 
unter Karl's V. Fahnen in Afrika gefochten hatte. Sie traten 
zuerſt in Spanien auf, kleiden fich ſchwarz und haben die Ber: 
faffung eines Bettelorbens; fie haben Hofpitäler zur Aufnahme 

von Kranken und fammeln Almofen ein, von denen fie die Er: 
haltung ihrer Anftalten beftreiten. Außerdem gehört die Sorge 
für Berunglüdte, ſowie die Beitattung Erichlagener zu ihren 
Pflichten. — Die Einführung der barmberzigen Brüder in ben 
W. T. ift ald ein Anachronismus zu betrachten. 

Barnabit (M. St. III, 8). Die Barnabiten waren ein im 
Fahre 1535 zu Matland entflandener geiftlicher Orden, ber 
feinen Ramen von der ihm eingeräumten Kirche bed heiligen 
Barnabas trug. In Frankreich bediente man fi} ihrer ehemals 
zur Belehrung der Proteftanten. 

Barometer, ein bekanntes Suftrument zum Meſſen bes 
Luftdrucks; bildl. „Barometer der Seele” (K. u. 2. IN, 1), etwa 
ſo viel wie „bie verjchiedenen Außeren Anzeichen, an denen man 

die Seelenftimmung eined Menſchen erkennt.” 


Baron (Mcb. 1,8), nah Gr. d. W. ein erft im 17ten Jahr⸗ 
hundert aus dem frzſ. baron in's Deutfche aufgenommenes Wort, 
welches möglicherweije allerdingd urfprünglich dem Deutichen 
entflammt. Die frembartige Betonung der legten Silbe beweift 
aber, daß es uns erft aus ber Fremde wieder zugelommen tft. 
Barım iſt ein Freiherr oder (K. u. 2. I, 1) vornehmer Abeliger: 
Keichsbaron (Geb. D. berühmte Frau), ein Baron, ber nur 
von dem Kaiſer und nicht von einem andern Zürften abhängig ift. 


58 Barthelemi — Baſilisk. 


Barthelemt (M. St. IH, 4), die fogenamnte Bartholomäuß ; 
nacht oder die Pariſer Bluthochzeit, am 24. Auguft 1572, m 
welcher auf Anftiften der Katharina von Medicis, der Mutter 
des minderjährigen Karl-IX. (1560—74) Zaufende von Huge 
notten meuchelmörderifch umgebracht wurden, die zur Vermählung 
Heinrih8 von Navarra, des jpäteren berühmten Königs Hein⸗ 
rich IV. von Frankreich (1589 — 1610), mit Margarethe von 
Valois, der Tochter Katharina's, nach Parid gekommen waren. 

WBaſilisk, ein Ausdrud, der zunächft an eine Stelle bes 
alten Teftamentd erinnert, wo ed Jeſ. 59,5 beißt: „Ste brüten 
Bafillsten: Eier und wirken Spinneweb. Sfiet man von ihren 
Eiern, fo muß man fterben; zertritt man's aber, fo fähret eine 
Dtter heraus.” Auf diefe und einige andere Stellen (3ef. 11,8; 
14, 29; Ser. 8, 17) gründet fi eine Fabel, derzufolge man ſich 
den Bafilisk (eigentl. griechiſch „Heiner König“) ald ein drachen⸗ 
ähnliches Thier mit einer Krone auf dem Kopfe vorftellte, das 
aus Hahneiern auögebrütet worden, und befien Blid allein [yon 
tödtlich fein ſollte. Mit Anfpielung auf diefen Volksglauben 
ſpricht Amalia (R. II, 1) von Bafiliäfenanblid; ferner heißt 
es (M. St. III, 4): 

„Und Du, der bem gereizten Baftlist 
Den Morbblid gab, leg’ auf die Zunge nıir 
Den gift'gen Pfeil” 
eben fo (Ged. D. Kampf m. d. Drachen): 
„Da bäumet ſich mein Roß und fchenet 
An feinem Bafilisfenblid. 
Ferner fagt Wallenftein in Beziehung auf den Octavio Picco⸗ 
lomini (Wft. X. IH, 18): 
REN — „Ich 308 
Den Baftlisfen auf an meinem Bufen.* 
und (Dr. v. M. 5, 490) fagt Ifabella in Beziehung auf ihren 
Sohn Don Cäfar: 
— — — — — — „Einen Baſilisken 
Hab’ ich erzeugt, genährt an meiner Bruſt, 
Der mir den beffern Sohn zu Tode flach." 


Baſta — Battenx. 59 


DaB Thier, welches die Naturgefihichte unter dem Namen 
Bafttist kennt, ſcheint mit dem tn ber Blbel erwähnten nichts 
gemein zu haben; daß leptef® war vermuthlich eine Schlange 

Buſtua, von bem tal. bastare, genug fein; (8. u. L.], 1) 
es ft genug. — (Par. V, 8) Genug hiervon. 

Baſtard ift ein außer ber Ehe erzeugtes Kind, wie (J. v. O. 
Preol 3) Graf Dunoid; Baſtardtochter wird (M. St. I, 6) 
Elifabeth, die Tochter Heinrich's VIII. (+ 1547) und der mit 

ihm heimlich vermählten Anna von Boleyn genannt, weil der 
König die lebtere .erft wenige Monate vor Eliſabeths Geburt 
Bfferitlich als feine Gemahlin erflärte, nachdem er kurz zuvor 
ſich von feiner früheren Gemahlin, Katharina von Aragonten, 
Uutte fcheiten laſſen. Als er fpäter, weil er ſich männfiche Nach⸗ 
tommenfhaft wünjähte, feine Neigimg der Johanna Seymour 
zumanbte, ließ er Anna Boleyn enthaupten und erflärte deren 
Tochter für unberechtigt zur Erbfolge. 

Da ER. L. 7), eine alte Form für befix, Or. d. W. fept 
zu unſerer Stelle tn Parenthefe „tüchtig”; es ſcheint Die einzige 
beiSch. ſich findende Stelle zu fein, aus Gorthe giebt Gr. d. W. 
Deren fünf. 

Batavia (gr. Handl. a. d. n. Geſch. 10, 86), eine beden⸗ 
tende Stadt auf ber Nurbweiftüfte von ren, die Refidenz bes 
Generalgonverneurd der niederländifchen Beſitzungen in Indien. 

Batteur (R. Borr.), 1713—80, ein franzoͤſiſcher Kunftrichter, 
der tm 18ten Jahrhundert ein außerordentliched Anſehen hatte, fo 
daß fein Name, wie im fpäteren Alterthume ber des Ariſtarch (ſ. d.), 
beinahe fprüchwörtli wurde. Sein Hauptwerk war eine Ab⸗ 
hanblung: „Les Beaux-Arts röddits & um möme prineipe“, D. i. 
‚Ueber die Zurückführung ber ſchönen Klnfte auf ein eimziges 
Prinzip, von Ramler als „Snleitung ıtn bie ſchoͤnen Wiſſen⸗ 
fdheften” wiedergegeben. Ein Stück wie bie Räuber mußte eben 
in feiner faft wilben Urfprünglichkeit über die „allzu engen 
Dalltfaden des Ariftoteles (f. d.) und Batteux“ kühn hinweg 


60 Baum — Beichtiger. 


flürmen, Wer fih von dieſen Pallifaden und den Grundfäpen 
des Batteur einen Begriff machen will, ohne zu dem jetzt ven 
geflenen Buche zu greifen, vergfiche den Bau der von Sch. 
überfegten Phädra mit den Räubern und unjere Bemerkungen 
zu bem erfteren Stüde. 


Baum, Der fingende (Tur. II, 1), j. Waſſer, das tanzende. 


Bazar (Br.v. M. 5, 417) oder Bafar, per. im Morgen 
Iande der Markt, oder eine Straße, in welder die Kaufleute 
ihre Gewölbe haben. 


Befehlbuch (R. 1, 2), dad Bud, in welches bie Verord⸗ 
nungen ber Behörden eingetragen werben; bildl. wird (Wſt. X. 11) 
der Wachtmeifter fo genannt, weil er dad Buch, in welchem die 
Berhaltungdregeln der Soldaten zufammengeftellt find, gewöhn⸗ 
lich auswendig Tann. 


Begegnung, Die (Ged.), ein Gedicht aus d. 3. 1797, 
wo es in den Horen zum erften Mal abgebrudt wurde. Die 
Form bdeffelben tft die der achtzeiligen Stange; über die Perjon, 
an welche ed gerichtet tft, weiß man nichts. Da es in trefflicher 
Weile den Anfang der klaſſiſchen Periode unfered Dichterd be⸗ 
zeichnet: jo thut man vielleicht nicht unrecht, wenn man ſich Die 
Poeſie als die Geltebte ded Dichters denkt, die ihm bier zum 
ertten Male, wie Goethe in feiner „Zuneigung“ in ihrer ver: 
Härten Geftalt erfcheint, und fich zugleich auf's innigfte mit 
ihm vereinigt; denn Sch. war damals ſchon fieben Jahre ver: 
heirathet. 

Beichtiger (D. C. I, 1), gew. Beichtvater (8. d. H.), 
d. h. derjenige Geiſtliche, welchem dem Gebrauch der Eatholifchen 
Kirche gemäß Jemand von Zeit zu Zeit dad Belenntnig feiner 
einzelnen Bergehungen (daher K. u. %. II, 6, bildl. Beichte) ab⸗ 
zulegen pflegt; der Beichtende felbft wird Beichtkind (Sp. d. 
Sch.), ein Mönd, der die Beichte abnimmt, (Wfl. T. V, 2) 
„Beichtmönch“ genannt. 


beilegen — Beloͤſero. 61 


Beilegen. Nah Sander's Wörterbuch heißt „bie Segel 
beilegen " fo viel alö biefelben eintreffen, und „bas Schiff bei- 
en” |. ». w. „die Segel fo fielen, daß das Schiff liegen 
bleibt“. Nah Gr. d. W. heißt „das Schiff legt bei“ gleich: 
zeitig |. v. als „es hält gegen den Wind, in der Schifferſprache 
auch richt, dreht bei“, d. h. es ftellt Die Segel fo, baß einige 
ben Wind von hinten, andere von vorn empfangen, wodurch die 
Fahrt beidleunigt wird. Die Stelle (W. T. I, 1): „Wenn ihr 
frifch beilegt, holt ihr ihn noch ein” ift nicht anders als höhniſch 
zu verſtehen, d. 5. Reitet in ben See hinein und macht es wie 
die Schiffer, bie durch „beilegen” fchneller vorwärts kommen 
und ſomit ein anbered Boot einholen können An ein Serum: 
reiten um den ganzen Urnerjee, defien fteile Ufer dies überhaupt 
unmöglich machen, kann hier füglich nicht gebacht werden. 
Belebende, Das (Ged.), ein Epigramm aus dem Sabre 
1796, nichts als ein Sinnbild enthaltend, deſſen Deutung dem 
Zejer überlafien bleibt. Nur aus der Blume Tann die Frucht, 
und mit diefer der Keim zu einem neuen Leben fidh entwideln. 
Eben ſo kamn auch auf dem geiftigen Gebiete nur eine ſchöne 
Schöpfung, die den Menſchen in ber Geſammtheit feiner Geiſtes⸗ 
träfte ergreift, ein neued geiftiged Leben entzünden. 


Belialsſtreich (R. IV, 5). Bellal, aud dem Hebräifchen, 
iſt zunächft ein böfer Menſch, ein Taugenicht3; in der Bibel: 
prache (Pi. 18,5; 2. Sam. 22, 5; 2. Cor. 6, 15) tft Belial ber 
Höllenfinft, und „Kinder Belials“ (5. Mofe 13, 13; 2. Chron. 
13,7) find Kinder der Bodhelt. Ein Belialöftreich (oder Belials⸗ 
tie, 5. Mofe 15, 9) tft alfo ein ſataniſcher Streich. 

Bellona, lat. von dem Worte bellum, d. i. Krieg, daher 
bet ben Römern die Göttin des Krieges; (%. V, 1) der Name 
eines Kriegsſchiffes. 

Beloſſero (Dem. I, 1), ruſſiſch, d. i. der weiße See, ſüd⸗ 
Hd vom Onega⸗See. Dad an demſelben gelegene Kloſter wird 
yon neueren Geſchichtſchreibern das troizkiſche genannt. 


62 Belt — Berglied. 
Belt (Bed. Die berühmte Frau — Bicc. 1,7 — Bil. T.L5) 


der poetiſche Ausdrud für And Baltiiche Meer oder Die Oftſee; 


perſonificixt, d. 5. ald Meergottheit gedacht (H. d. 8.): 

„Die ftolge Siottenwüftung feiner .Brafte. 

Erſchrockt den alten, Belt. in ſeinem Meerpalaite.“ 

Benedicetiner (Sftf. 10, 143 u. 227). So heißt einer der 

berühmteften Monchsorden, gegründet von dem: heiligen: Bene 
dittus von Nurſia, welcher 528 dad noch jetzt beſtehende Kloſter 
auf dem Monte CGaſino im Reapolitaniſchen ſtiftete. Seine 
epochemachende Klofterregel wurbe im ganzen Abendlande maß⸗ 
gebend. Die⸗Benediktiner zeichneten: ſich, beſonders in Frankreich 
und Italien, durch eine wahrhaft bewundernswuͤrdige literariſche 
Thaͤtigkelt aus; un travail de Bénédjotin iſt im Frzſ ſprũch⸗ 
wörtlich für eine wifſſenſchaftlicho Arbeit, die eiſernen Fleiß 
erfordert. 


Benefiz, lat, wörtl. Wohlthat; ferner Begünſtigung, Bor- 
recht; in etwas erweitertem Sinne (Picc. I, 2): geiſtliche 
Pfründen. 


Berglied (Ged.), aud dem Sabre 180%, als Sch. ven, Tell 
dichtete. Man vergleiche die vorletzte Scene des fünften Aftes, 
in welder W. Tell dem. Barrictda die „Schredensitraße“ bes 
Tchreikt, die er durch das Thal der Neuß über den St, Gott- 
barbt (vergl. d.) wandern joll, um nad Stalien 34 kommen, 
Beide Darftellungen find um jo, mehr zu. bewundern). als Sch. 
mit der Gegend nur dur) Beichreihungen bekannt geworden 
fein konnte. — Str. 1: „Der ihwindlichte Steg” iſt der Weg, 
der an bem rechten Yeldabhange des Reußthales binaufführt; 
„die Riefen“, die mächtigen Pelsmaffen, welche fich immer enger 
zufammenbrängen; „die ſchlafende Löwin“ ber Anmerkung zu: 
folge die noch ruhende Lawine — Str. 2: Die fogenantte 
Teufelab ruͤche führt von dem vochten auf dad linke Ne ber 
Reuß, die Gier: 2800 Fuß (darunter 100 Fuß ſenkrecht) hevebſtuͤrzt 
und den Pfad über die Brücke fortdauernd mit Waſſerſtaub 


berichtet — Bernhard, 68 


benedt (vergl. Brüde, welde ftäubet). — Str. 3: Das „Ichaurige 
Thor” ift das fogenannte Urner Loch, ein im Sabre 1707 durch 
den Zellen gehanener Stollen von 200 Fuß Linge, deu in Das 
Urferen Thal nach Andermatt führt. — Str.4: Die vier Ströme 
find: vie Neuß, der Rhein, der Teffin und ber Rhone, beren 
Dmuellen bi jegt unerforfcht find. — Str. 5: Die „zwei Zinken“ 
find die höchſten Spitzen ded Gotthardtgebirges (j. d.), zwiſchen 
denen bie Straße nad Stalien, zunähft nach Wirolo hindurch⸗ 
führt. — Str. 6: „Die Königin“ ift der höchfte, ewig beeijte 
&ipfel bed weit verbreiteten Gebirgöftod. 


beriätet (W.T. IV, 1), „des Fahrens nicht wohl berichtet”, 
d. 5. des Yahrwaflerd unkundig. Gr. d. W. führt aus Sch.'s 
Proſa auch an: „nur in feiner Politit ſchlimm berichtet” und 
jest in Parenthefe: mal informe. 

Berlas, |. Turandot. 


Bein (B. T. IV, 2), bie Hauptftabt des ſchweizeriſchen 
Santons gleihed Namend und der Vorort der Schweig Sie 
ftegt auf einem hoben, fchmalen Zellen, den die Yar 100 Fuß 
tiefer faft ganz umſpült. Wir machen aufmerkſam auf bie Ber: 
wendung des weibliden Artifelöe: „Die ebla Bern erhebt ihr 
herrſchend Haupt.” — „Die rege Zürich waffnet ihre Zünfte*, 
wodurd bie beiden Städte in ſchöner Weiſe perfonificirt werden. 
Ferner bemerken wir, daß die Erwähnung Bern Dem flerbenden 
Seher angehört, denn Bern iſt erſt 1353 dem Schweizerbunde 
beigetreten, Züri 1351 

Wermbard, Herzog von Weimar (Ber. II, Tu IV, 5), 

geb. 1604, Sohn des Herzogd Johann von Sachſen, vereinigte 
fh, nachdem er in holländiichen Dienften eine tüchtige Kriegs⸗ 
ſchule durchgemacht, mit Guſtav Adolph, als diefer nach Deutſch⸗ 
land lam. Nach des großen Königs Tode wurde ihm von 
Dpenftierna (j. d.) ber Befehl über die Hälfte des Heeres au» 
veriraut, mit dem er Bamberg, Kronach, Hächftädt und Gichſtaͤdt 
eimahm; Daher (Picc. IL, 7): 


64 Beroẽ — Beſuch, nächtlicher. 


„Indeß der junge Weimariſche Held 
In's Frankenland unaufgehalten drang.” 
Hierauf Tämpfte er fiegreih am Rhein; daher (Picc. IV, 4): 
‚Der Prinz von Weimar rüftet fi mit Kraft, 
Am Main ein mächtig Fürſtenthum zu grünben.” 
Nah Wallenſtein's Tode fehte er den Krieg noch energifch fort, 
ftarb aber bereit3 1639, möglicherweife an Gift. Mit ihm ver- 
Ioren die Proteftanten eine ihrer mächtigften Stützen. Sm 
Dr. Kr. erwähnt ihn Sch. ©. 330, 339, 369, 370, 373, 376, 
377, 401 —19, 422, 439, 442, 443, 445 unb dharafterifirt 
ibn 446. * 


Berdẽ (Ged. Semele), die Amme ber Semele. 


Beſtie, von dem lat. bestia, eig. (R. IV, 5) ein wildes 
Thier; bildl. 1) ein grimmiges Thier (R. ,,2 — V. a. v. E.), 
wie auch der Cerberus (ſ. d.); 2) ein gemeiner, nichtbwürdiger 
Menſch RL2— F. 1, 9). — beſtialiſch (R. II, 3), roh 
und viehiſch. 

Beſtimmung, die verſchiedene (Ged.), ein Epigramm aus 
dem Jahre 1796. In die Sorge für die leibliche Erhaltung 
des Menſchengeſchlechts theilen ſich unendlich Viele, während 
ſich nur Wenige an der Sorge für ſeine geiſtige Fortbildung 
betheiligen. Die erſteren liefern gewiſſermaßen nur das Material, 
aus welchem Gefäße des Geiſtes gebildet werden können; ſo wie 
"auch eine Menge von Samenkörnern dem Zerſetzungsprozeſſe 
anheim fallen und in die chemiſchen Urbeſtandtheile der organi⸗ 
ihen Welt fih auflöfen, während nur eine geringe Anzahl ihre 
eigentliche Beftimmung erreicht, Keime eines fich fortentwideln- 
den Lebens zu werben. 

Beſuch, naͤchtlicher (W. T. II, 2). Ein uralter Gebrauch 
in der Schweiz iſt der ſogenannte Kiltgang, ein naächtlicher 
Beſuch des Liebhabers in der Schlafkammer feines Mädchens, 
wobei ed übrigens durchaus ehrenhaft zugeht, und Freiheiten, 
die man ſich öffentlich nicht erlaubt, weder genommen noch 





Bibel. 65 


geftattet werden. Daher nimmt auch ber junge Melchthal keinen 

Anftmd, in Gegerrwart der verfammelten Landögemeinde davon 
za \prehen. Etwas ganz Aehnliches berichtet aus Wales in 
keinem reizenden Bude: „Ein Herbft in Waled” (Hannover, 
1858.) Zulind Robdenberg, ©. 66. 


Bibel. Nächft den Quellen, aus welchen der Dichter pofitive 
Thatjachen ſchöpft, um fie im erzählenden Gedichte oder im 
Drama darzuftellen, gigbt ed noch eine andere Art von Quellen 
für poetiiche Anſchauung, denen man biöher weniger nachgegan: 
gen tft, als jenen erften (ſ. Bürgfchaft). Durch geheime Wahl: 
verwanbtichaft fühlt fich der Dichter zu beftimmten Sphären bes 
Phantaftelebend, wie es ſchon vor ihm poetifch verförpert wurde, 
ummiberftehlich oder wenigftend überwiegend hingezogen; fo Sch. 
zum Leben und zu den Anfchauungen bed griechiichen Volksgeiftes 
wie er bejonderd in der Mythologie fich dargeftellt bat. Da 
num aber, nädhft Griechenland, der jüdiſche Orient im X. und 
NR. T. für die Poeſie des Mittelalterd und der Neueren Zeit bie 
unerfchöpflichfte Duelle geworden tft, fo fragt es fih, ob Sc. 
denn in gar feinem Berbhältnik zu diefer legteren geftanden bat, 
woran fi weiterhin naturgemäß auch die Frage nah Sch.'s 
Stellung zum Chriftenthum und zur Religion überhaupt knüpfen 
würde. Anderen Dichtern find foldhe Unterfuhungen fchon zu 
Theil geworben. So tft Shakeſpeare's reiche Bibelkenntniß nach: 
gewiejen in dem englijchen Werfe: On Sh.’s knowledge and use 
of the Bible by Wordsworth. London, 1364. Eine vergleichende 
Charafteriftit Sch.’3 und Goethe's würde auf diefen Punkt Rüd: 
ficht nehmen müflen. Daß Sc. in feinen Kinderjahren bejon- 
derd gern aud der Bibel Iejen hörte, jagt und Palleske. Wir 
erfahren fogar aus einer Erwähnung in einem Briefe ſeines 
Baterd (von 1790), daß er im breizehnten Jahre ſchon einen 
Verſuch zu einem XTirauerjpiele „die Ehriften” gemacht hatte. 
Weiterhin wirkte Klopftol’d8 Meſſias mächtig auf ihn, umd ber 
Plan zu einem Gedichte „Mojed“ war in ihn entftanden. Der 
J. b 


66 Bibel, 


weitere Verlauf feiner Erziehung, der pietifttfche und auch ber 
in Formeln kramende damalige religiöfe Standpunkt follte jedoch, 
wenn auch nicht wieder auslöfchen, fo doch in feiner höheren 
dichterifchen Triebkraft erjtiden, wa8 bie Hand einer gültigen und 
finnigen Mutter im zarten Herzen ded Kindes auögefäet hatte. 
Die Eindrüde waren freilich zu ftark und zu vielfältig geweſen, als 
daß die erften größeren poetifchen Verſuche nicht Zeugnig davon 
abgelegt hätten, und fo findet fich gerade in den „Räubern“ eine 
nicht unbedeutende Zahl biblifcher Anjpielungen, wenn auch 
bedingt durch die Einführung des „Paftor Mofer” in dieſes 
Stüd und durch die Heuchelei des „Yranz Moor”, wo aber 
das Cine eben das Andere trägt. Die freiere Richtung, die 
fhon im Bunde mit 3. 3. Rouffeau (f. dj.) und fpäter auf 
Grund eigener philofophifcher und gefchichtliher Speculation 
gewiß auch ber vorhergehenden mebicinijchen Studien, beren 
materialiftiiher Widerhall in den „Räubern“ nicht zu verfennen 
tft, Sch.’8 geiftiged Leben genommen hatte, entriß ihn dem Zus 
ſammenhange mit der Bibel, und es ift nicht unintereffant, zu 
fehen, wo und wie fie ihm wieder nahe trat, Wir möchten be- 
baupten, daß äußere Anregung, aus Anlaß einer gejchilderten 
Situation, hier hauptfächlich gewirkt bat. Gerade in ben Ipri- 
ſchen Gedichten findet jich nur weniges Biblifche, die „Capuziner- 
predigt” (in Wit. L.) aber möchte einen ber bedeutenditen Bei- 
träge zu den bibliichen Erinnerungen liefern. Ebenfo die Beicht: 
jcene in „Marie Stuart”. Wer died zum Gegenftande weiterer 
Betrachtung oder Forſchung machen will, leje folgente Artikel: 
Abbadonna, abe, Abraham's Schooß, Abjalon, Adramelech, 
Ahab, Apoitel, Arche, Baſilisk, Beltal, Sana, Cherub, David, 
Ebräer, Eden, Eliefer, Goliath, Hermon, Herodes, Hiob, Horeb, 
fat, Sichariot, Jakob, Jehovah, Jeſu, Jerobeam, Jeruſalem, 
Jeſabel, Johannes, Joppe, Jordan, Joſeph, Joſua, Judas, 
Libanon, löſen, Loth, Mammon, Mann Gottes, Moloch, Moſes, 
Paläſtina, Petrus, Pfund, Pharao, Phariſäer, Prediger, Sad⸗ 
ducher, Salomo, Samuel, Satan, Saul, Schlüffel, Schooß ber 


Bibel. 67 


Kühe, Seraph, Steben Heilige Zahl, Sinai, Synebrium, To: 
Bad, Topf, Töpfer, WBierfürft. 

Bir machen jedoch daranf aufmerffan, daß Sch.'s Anfüh- 
rungen ntichieden auf eine eindringendere Keuntniß der Bibel 
himmeiln und daß er den Ausſpruch, welcher dad A. T. al 
en Handbvuch des Erhabenen bezeichnet bat, wohl zu würbigen 
wußte. Obwohl Sch. es ſich nicht verfagt, griechiſche Mythologie 
und bibliihe Erinmerungen nahe zufammen zu bringen, weiß er 
dod mit feinem Verſtändniß der Situation gemäß zu wählen. 
So erimert fi V, 11 die Zungfrau, als fie ihre Feſſeln brechen 
will, in einem herrlich ausgeführten Bilde „Simfon’3*, Sfabeau 
wird 1,5 mit der „unmatürlihen Mutter” vor dem Richterftuhle 
Salomon’ vergliden; der alte Erzbifchof, welcher in der Jung⸗ 
frau die Retterin Frankreich! fieht, erinnert in feinen Worten 

ar eine der fchönften Scenen des N. T. Luc. II, 22—38. 
D. @. U,2: „Bad fragt ein Miethling nad dem Königreich.” 
Der Traum Thibaut'8 (3. Prol. 2) ift wohl dem biblifhen Traume 
Joſeph's nachgedichtet. Der Großinquiſitor erſcheint D. E.V, 10 
wie der Schatten Samuels; die erhabene Geftalt des Mofes und 
das Wunder, in weldem dem Felſen lebendiged Waſſer ent- 
Ttrömt, werben öfter erwähnt 3. Prolog D. &. III, 2; M. St. 
V, 7. Natürlich findet fi) auch dad, was jo vielfach felbft im 
täglichen Leben verwerthet wird, wie Anjpielungen auf Zubas 
und „pen falſchen Bruderuß” M. St. TV, 10, die „Schlange, 
welche die Yerfe fſticht“ W.T.IV,7. W. Tell V, 1 Ende: „ſaͤen 
und ernten”, J. v. O. III, 4: die „Kleingläubigen“. M. St. V, 6: 
„das beffere Theil”, I,7: „der Schatten des Oelbaumes“, V, 11: 
„fteht die Some feſt“, im Andenken an Joſua; fo auch ganze 
Sprüde, wie im Munde Illo's W. T. IV,7: „Wer nicht ift mit 
mir, ber ift wider mid”; |. auh M. St. V, 6: „dad Wort ift 
todt”, ®. Tell II, 2: „Dem Kailer bleibe”, R. J, 1: „Aergert 
Dich Dein Auge”. Chriftus felbft wird M. St. J1, 6: „der er: 
habene Prebiger des Berged” genannt, Gott heißt D. @. II, 2: 
„ber Dreimalheilige". : 
5 


68 Bibel, chaldätfhe — Bicktre. 


Es darf nicht unerwähnt bleiben, daß Sch. zu verjchie 
denen Malen hinreißende Schilderungen des Tatholifchen Gottes: 
dienfteö gegeben bat, fo in M. St. I, 6 im Munde ded Con: 
vertiten Mortimer V, 11 in der Beichticene Marie Stuart’s, 
fo wie in der Braut von Meffina in Don Ceſar's Munde die Schil- 
derung der Zeichenfeierlichkeit; hierher gehört audy der Eiſenham⸗ 
mer und ber Kampf mit dem Draden. Daneben ftellen ſich nicht 
unbebenflih, wenn auch nur von Mortimer fo bezeichnet: „ber 
Puritaner dumpfe Predigtftuben“, zumal da in dieſem Stüde 
die geichichtliche Perſpektive doch zu ſtark vom Dichter verſchoben 
fein dürfte. 

Sch.'s Stellung zu ber Geſchichtlichkeit der Urkunden des 
4. T. Hat er jelbft in feiner „Sendung ded Moſes“ binlänglich 
Har gemacht. Daß er tropdem im höheren Sinne religiös war, 
tft in ſich ſelbſt Mar; nicht umfonft bat auch Goethe gefagt, „es 
fei etwas von der Chriftuänatur in ihm geweſen“, und jo mögen 
denn auch bie vielfachen Berfuche, welche man gemacht bat, Sch. 
wie auch Goethe mit dem pofitiven Chriftenthum zu verfnüpfen, 
denen vorzuziehen fein, welche einen Geift von dieſer Tiefe als 
gleichgültig oder gar feindfelig gegen die tieffte und nachhaltigfte 
geiftige Bewegung aller Zeiten darftellen möchten, ſ. Kleinert, 
SHh.8 religiöfe Bedeutung; Berlin, Wiegandt und Grieben, 
1866. (6 ®r.) 


Bibel, chaldäiſche (Sftf. 10, 145). Einzelne Abfchnitte 
im A. X. find allerdings chaldäiſch, d. b. in einem dem Hebrät: 
Ihen verwandten femitiihen Dialekte abgefaßt; in jene Scene 
des Geiſterſehers aber gehört eine vollftändige chaldäifche Bibel 
deöhalb, weil bie Chaldäer ſchon im Alterthume, jo auch noch 
zur Zeit der römiſchen Katjer, als Zauberfünftler und Weiffager 
berühmt waren. Das erjehen wir unter andern aus zahlreichen 
Stellen des Tacitus (f. d.) 


Bicktre (KR. u. L. IV, 3), ein von Ludwig XIH. in ber Nähe 
von Paris erbaute Schloß, welches anfangs zum Aufenthalt für 





Bild, das verſchleierte. 69 


die Suvaliden beſtimumt war, fpäter (unter Ludwig XIV.) in ein 
Hofpital verwandelt wurde. 

Bild, das verfäleterte, zu Sais (Ged.), eine Parabel 
aus dem Sahre 1795, in ungereimten fünffühigen Samben, dem 
Berdmaße ded deutichen Trauerſpieles. Der Dichter hat biefe 
Form jedenfalld abfichtlih gewählt, da der Stoff eine freiere 
Bewegung verlangte. Er konnte auf diefe Weiſe der Erzählung 
die nöthige Sebrängtheit geben, bie einzelnen mitwirkenden Per- 
fonen leichter redend einführen und den Dialog mit einer gewiflen 
Ungezwungenbeit behandeln. Daber erinnert denn nicht nur der 
Inhalt, fondern au bie Form bed Gedichtes lebhaft an bie 
Parabel von den drei Ringen in Leſfing's Nathan. Wenn Sch., 
dem ber Reim fo leicht zu Gebote ftand, den mufilalifchen Reiz 
deffelben hier zurũckwies, fo hat er und dafür auf andere Weiſe 
reichlich ſchadlos gehalten. Bor allem überraſcht und die Tiefe 
der Gedanken im Berein mit den glänzenden Bildern, und eben 
fo ber rafche Fortſchritt der Handlung, unterftüßt von dem höchſt 
auddruddvollen Satzbau. Bekanntlich verträgt die Parabel mr 
ein geringes Maß von Schmud. Derfelbe tft nicht nur da, jon- 
dern aud fo angebracht, wie ed die Würde diefer Dichtungbart 
verlangt. Das Gleichniß von dem Tone aus einer Harmonte 
und einer Farbe aus dem Regenbogen (vergl. Iris) iſt in dem 
Munde des feurigen Zünglings eben fo treffend, wie die Stei: 
gerung in ben Berfen, weldye fein nächtliche Eindringen in die 
Rotonde des Tempels ſchildern, von tief ergreifender Wirkung 
if. — Der Stoff zu diefem Gedichte ift vermuthlich aus Plu⸗ 
tarch entlehnt, und zwar aus einer Schrift über Iſis und Oſtris, 
in welder von dem Heiligthum der Iſis (f. d.) folgende In⸗ 
Ichrift angegeben wird: „Ich bin dad AU, das geweſen ift, das 
ift und das fein wird; noch nie hat ein Sterblicher meinen 
Schleier aufgebedt” (vergl. Jehovah). Der Schauplap ber Be- 
gebenheit ift Said, Die alte Hauptftabt von Unterägypten. Was 
die „geheime Weisheit” ober Die Myſterien betrifft, deren Ent- 
ſtehung bie Griechen, wenn auch ohne Grund, jelbft gern aus 


70 Bid — Birman. 


Aegypten berleiteten, wie jo manches Andere, um fi) mit bie- 
jem Lande uralter @ultur in Verbindung zu bringen, jo war 
ber Zwed derſelben wohl nichts Anderes al Aufklärung über 
gewifie Mythen unb Religiondgebräuche, deren eigentlichen Sinn 
man aus politiichen Rüdfichten dem Volke verborgen zu halten 
für gut fand. Und allerdings tft ein gemwifler Grad von Bil: 
dung durchaus erforderlih, um tiefere Wahrheiten in abftracter 
Weiſe zu erfafien, während biefelben dem ſchwächeren Verſtande 
nur in bildlicher Einfleidung nabe gelegt werben Fünnen. Die 
Parabel verfährt jelbft auf dieſe Weife, indem fie das ſymboliſch 
vorträgt, was erjt bei reiferer Erkenntniß intellectuell oder mora- 
Kich gefaßt werden kann. So ließ man auch in den Eleuſini⸗ 
ſchen Myſterien diejenigen, welche in diefelben eingeweiht werden 
jollten, gewiffe Grade durdlaufen, um fie nad) Maßgabe ihrer 
bargelegten Erkenntnißkraft oder ihrer fittlichen Würdigkeit all- 
mälig mit ben Geheimlehren befannt zu machen. Hieraus erhellt 
denn auch die Grundidee bed Gedichtes. Alle tiefere Wahrheit 
muß erworben, errungen, erfämpft werden. „Was Du ererbt 
von Deinen Vätern haft, erwirb es, um es zu beſitzen“ (G. 
Fauft 11, 31). Dieſes ftufenweife Fortfchreiten in unferer 
geiftigen und fittlihen Entwidelung läßt fich nicht ungeftraft 
überipringen, wir follen eben „verflärt werden von einer Klar- 
heit zu der andern“ (2. Cor. 3, 18). Wer auf unrechtmäßigem 
Wege rafcher zum Ziele gelangen will, der bringt ſich um feinen 
inneren Frieden, wie unfere Ureltern dad Paradies verloren 
haben; oder der Hochmuth führt feinen Yall herbei, wie es die 
Sage von Fauſt darftellt, der den letzten Zwed des Lebens allein 
in der Erfenntniß zu finden vermeinte. Gewiſſe Dinge bleiben 
auch dem tiefften Denker verborgen; der lebten und höchſten 
Wahrheit darf er nicht Anderes als feine Demuth entgegen 
bringen. „Wer e8 faflen kann, ber fafſe es!“ 

Birman (Mich. IV, 4), ein Berg in der fchottifchen Graf: 
ſchaft Perth, der zu Macbeths Zeiten Gerichtöplag geweſen 
fein ſoll. 


Biſchofshut — Blumauer. 71 


Biſchofſhut, Biſchofsmütze (Picc. IV, 5), beit bie eigen: 
KHamlich geftaltete Kopfbededung der Bilchöfe der katholiſchen 
Kirche, beſtehend aus zwei großen, oben ſpitz zulaufenden Blaͤt⸗ 
tern und vorn mit einem Kreuze geziert. Die Verleihung ber 
Biſchofsmütze ift wie die des Cardinalshutes (vergl. Carbinal) 
ein Borrecht ded Papfted. Wenn es (W. T. V, 1) von Kaiſer 
Albrecht in Beziehung auf feinen Neffen heißt: 

„Der Kaiſer hielt das väterlihe Erbe 

Dem ungebuldig Mahnenden zurüd! 

Es hieß, er denf ihn ganz darum zu füurzen, 

Mit einem Biſchofshut ihn abzufinden.” 
Jo bezieht fich dies auf den Einfluß, welchen die Kaifer bei Ber: 
leihung der betreffenden Würbe gelegentlich audzuliben vermod: 
ten, wofür fie den Papfte dann andere Gegendienfte erweifen 
mußten. 

Blajewig, ein Dorf fübl. von Dreöden, auf dem linten 
Elbufer. 

Blaͤſier (K. u. L. I, 2), verd. aus dem frzi. plaisir, Das 
Vergnũgen. 

blaue Göttin (Br. v. M. 5, 421), dad Meer (ſ. poetiſche 
Umschreibung). 

Bleidächer (Gftſ. 10, 155), ital. piombi, die berüchtigten 
Staatögefängniffe in dem ehemaligen Dogenpalafte zu Venedig. 
Sie lagen unmittelbar unter dem mit Blei gededten Dache, fo 
daß die Gefangenen eine unerträgliche Hitze auszuhalten hatten. 


Blumauer (Ged. Vorerinnerung zu den „Metrijchen Ueber: 
fegungen”). Aloys Blumauer, geb. 1755 in Oberöfterreich, + 1798, 
befannt durch zahlreiche, im Geiſt der Bürgerjchen Mufe ver: 
faßte Gedichte, die 1781 in dem Wiener Mufenalmanady er: 
Schienen. Er ift reich an Wiß und drolligen Berdrehungen, die 
indeg oft in niedrige Späße audarten. Durch feine „traveftirte 
Aeneide” (f. Aeneide) (Schw. Hall, Haſpelſche Buchhandl.), die 
1784 erſchien und fpäter noch mehrere Auflagen erlebte, zog er 
fich Sch.'s Unwillen zu. 





72 Blumen — Boten. 


Blumen, Die (Ged.), ein Meines, zu dem Kreis der Laura⸗ 
lieder (f. d.) gehörige Gedicht, das früher den Titel „ Meine 
Blumen” führte und durch die jpätere vortrefflich gelungene Um⸗ 
arbeitung bie gegenwärtige Geftalt erhiel. In einer (Str. 1) 
an bie Blumen gerichteten Anrede preift der Dichter die Vor- 
züge berjelben, beflagt es indeflen, daß die Natur ihnen Seele 
und Empfindung verlagt habe. Eben fo iſt (Str.2) ihnen das 
Gefühl der Liebe verfagt, während fie Doch der Liebe (ber In⸗ 
fectenwelt) eine Zufluchtöftätte gewähren. Endlich (Str.3) werden 
fie den Liebenden unter den vernünftigen Wefen zu einer ſymbo⸗ 
Itichen Sprade; Amor, „der mächtigſte der Götter” wohnt in 
ihnen. 

Blutbann, |. bannen. 


Böheim, der ehemalige Name für Böhmen, eine Ber: 
deutfchung des latein. Bojohemum. Die Herzöge von Böhmen 
nahmen fpäter den Königstitel an oder erhielten ihn von den 
deutſchen Katfern, denen fie den Lehnseid Teiften mußten. 1437 
kam das Land an das Haus Habsburg-Oeſtreich, bei dem es 
noch jest ff. Die Königin von Böhmen (D. C. I, 2) ift wohl 
Katfer Karl’ des Fünften Tochter Marie, die mit ihrem Better, 
dem fpäteren Katjer Marimiltan II, vermählt war, dem Sohne 
Katjer Ferdinand's II., des Bruderd von Karl dem Fünften. 


Bohemerweib, |. Zigeuner. 


Böhmerwald (Picc. V, 2), die 40 Meilen Tange, bis zu 
4554 Fuß anfteigende Bergfette, welche vom Yichtelgebirge aus 
bis an die Donau die fübweftlihe Grenze Böhmend bildet. 

Bojar (Dem. I), uriprünglid ein Krieger, gegenwärtig in 
den flavifchen Ländern ein adeliger Gutsbeſitzer oder Freiherr. 

Bonmot, frzi., eig. „gutes Wort”, d. i. ein wihiger ober 
Inftiger Einfall (K. u. 8. III, 2). 

Booten (Iph. I, 3w.:H.). Die Bewohner von Böotien, 
einer Landſchaft Mittelgriechenlands (fonft Bootier). Das Schlan- 


Bordeaur — Bourdeaux. 13 


genbild des Stifter8 bezieht fidh auf den Drachentöbter Kabınos, 
den Gründer Thebens, d. b. der Hauptftabt Böottend. Im Terte 
des Euripides ſteht an biefer Stelle (v. 256 ff.): auf den Außer: 
ſten Spigen der Schiffe am Steuerrande war ein Kadmosbild 
mit dem goldenen Drachen.” 


Bordeaur (8. d. H.), an der Gironde im ſüdweſtl. Frank— 
reich, einer der bedeutendften Handeläpläge. — In einigen Aus- 
gaben fteht nach veralteter Schreibart die ältere Form Bour⸗ 
deaur. 


Borgia (Berbr.a.v. E.). Eäfar (ital. Eefare, ſpr. Tichelare) 
Borgia war ein Sohn des Papfted Alerander VL, er ift in ber 
Geſchichte Tprüchwörtlich geworden für ein Ungeheuer an Falſch⸗ 
beit, Grauſamkeit und Sinnlichkeit. Er ftarb 1507. 


DM Borgo (Mith.), j. Malta. 
Boris Godunow (Dem. I), |. Demetrius. 
Boten, flammenbe, |. Yenerfignale. 


Botenfegel (W. T. IV, 3), ein Schiff mit einem Eilboten. 


Bonbon (Wit. T. 1,6). Der Eonnetable Karl v. Bourbon, 
ein Berwandter und Bajall König Yranz I. von Frankreich, 
war von diefem in feinem Ehrgeige vielfach tief gefränft worden. 
Aus Rache trat er zu Katfer Karl V. von Deutjchland über, und 
füsrte (1524) die kaiſerlichen Truppen ſiegreich gegen jeine 
früheren Landsleute an. Sein Berrath erregte indeß allgemei- 
nen Abſcheu, felbft bei jeinen neuen Verbündeten, und erjchwerte 
ihm die Erwerbung einer ficheren politiichen Stellung. So ftellte 
er fih 1527 an die Spige der ſchlecht bezahlten Soldtruppen 
des Katferd und machte mit ihnen einen abenteuerlichen Zug 
gegen Rom, welches von ben entarteten Kriegsknechten in robefter 
Weiſe geplündert wurde. Er felbft war gleich am Anfange bed 
Sturmes von einer feindlihen Kugel getödtet worben. 


Bourbeaur, |. Bordeaux. 


14 Brabant — Braut von Meifina. 


Brabant (O. C. 11,2 — 3.2. O. Prolog, 3), ehemals ein 
jelbftändiged Herzogthum, defien Beherrſcher ein großes Anſehen 
über die Negenten der benachbarten niederlänbifchen Staaten 
ausübten; jept eine der wichtigften Provinzen des Königreich 
Belgien. 

Bramarbad (Wit. L. 3), der Name eined Großſprechers im 
einem Luftipiele Holberg’3, des großen komiſchen Dichterd der 
Dänen; gewöhnlich |. v. w. Großmaul, Haudegen, NRaufbold. 
Davon bramarbaftren, wie (R. I, 2): „Der Wein bramarbaftrt 
(prahlt) aud Deinem Gehirne.“ 

Brandeis (Wit. 2. 11), ein Städtchen an der Elbe im nörd⸗ 
lichen Böhmen. 

Braunau (Wit. T. III, 10), böhmifche Stadt an ber fchle- 
fifchen Grenze. 


Brautlauf (W. T. IV, 3), ſ. v. w. Brautzug, d. t. der den 
Bräutigam begleitende Zug, wenn derfelbe feine Braut zur Hoch⸗ 
zeit abholt. 


Braut, Die, von Meſſina. Es iſt die Lektüre der grie- 
chiſchen Tragiker und befonderd des Aeſchylus, den Sch. in ber 
Weberjegung ded Grafen F. L. Stolberg las und den wir lieber 
in der Donner's oder Droyſen's Tennen lernen, welche den Did: 
ter zu dem Stoffe der Br. v. M. führte. Schon 1801 beichäf: 
tigte er fi) damit, und arbeitete den Winter 1802 —3 an ber 
Ausführung. Am 4. Yebruar 1803 las er das fertige Stüd in 
einem Kreife von Beichügern und Freunden vor und endlih am 
19. März fand die erfte Darftellung zu Weimar flat. Der 
Eindrud war bedeutend und ungewöhnlich ſtark, auch imponirte 
das Stüd dem jüngeren Theile des Publicums fo fehr, daß man 
dem Dichter nah der Aufführung am Schauſpielhauſe ein Lebe: 
body brachte, „welche man ſich fonjt in Weimar noch niemals 
herausnahm“. Im Mat arbeitete Sch. die einleitende Vorrede 
„über den Gebrauch des Chors in der Tragödie” und mit Die: 
jer erjchien die erfte Ausgabe Tübingen bei 3. S. Cotta 1803, 


Braut von Meifina. 75 


8°, XIV, 162 ©., die in ber Orthographie vieled Eigenthüm⸗ 
liche Hat. 

Die Fabel des Stüdes ftellt die Gedichte feindlicher Brü- 
der bar, eine Störung bed hetligften Naturverhältnifies, welche 
der gefunde Berftand, auch ohne Ariftoteled PVoetil c. 14, p. 4 ge- 
lefen zu haben, tragifch findet. Die Anregung, einen folchen Ge⸗ 
genftand von Neuem zn erfinden oder nach feiner Weiſe zu com- 
biniren, fand Sch. erftend in dem hochberühmten, von Iſabella 
in unjerem Stüde felbft erwähnten, feindlichen Brüderpaar der 
thebaniſchen Dedipudjage, die er Durch die „Scenen aud den Phd: 
nicierinnen“ des Euripided näher kennen gelernt und zweitens in 
einer jehr lebhaften Fugenderinnerung an J. A. Leiſewitz's 1776 
erſchienenen Julins von Tarent, der daflelbe Thema behandelt 
umd der jhon in ben feindlichen Brüdern der „Räuber“ einen 
ſtarken Nachhall gefunden hatte. Zu diefer Grundlage der im 
Stück entwidelten Thatfachen tritt mm aber eine Idee und 
zwar bie Darftellung des antiken Schickſalsbegriffes, welche jchon 
im Wallenftein erftrebt worden war. Auch hier liegt, nach Sch.'3 
eigenen Andeutungen, eine beftimmte Anregung aus ber alten 
Literatur vor; es ift ber durch das Studium des Sophokleifchen 
König Dedipud nen erregte Wunſch, der Tragödie die antile 
Einfachheit und bohe Idealität wiederzugeben und fo den ba: 
mals in Koßebue's dramatiichen Arbeiten fih antündigenden 
flachen und trivialen Darftellungen des fogenannten wirklichen 
Lebend entgegenzutreten. Als da8 befte Mittel Dazu glaubte Sc. 
die Wiedereinführung bed antifen Chored erkannt zu haben. 
Sedenfalld müffen unjere Leſer willen, daß erft Die 
Kenntniß des fopholleifhen Städes ben Schlüſſel 
zum inneren Verſtändniß des ſchillerſchen bietet. 

Die Herriherfamilte Meſfina's ift feit etwa zwei Monaten 
ihres fürftlichen Hauptes beraubt, zu um jo größerem Unheil 
für den Staat, als zwifchen den beiden Söhnen bed Königs ein 
mmerflärter, aus ber früheften Kindheit ftammender Haß wüthet, 
der die Bafallen des Reiches zu der Bitte an die verwittwete 


76 Braut von Meifina. 


Fürftin treibt, einen Verſuch zur Ausjöhnung der Prinzen zu 
machen. Diejelben haben verfprodhen, an dem Tage (an welchem 
dad Stüd beginnt) Rh in Gegenwart der Mutter zu fehen. 
Als die Geleitzüge der Söhne nahen, jendet fie den alten, treuen 
Diego nad) einem Klofter, um dort einen geheimnißvoll ange- 
deuteten Auftrag zu vollziehen, der das Glüd des Tages vollen- 
den jol. Die Worte der Mutter wirken auf ben älteren und 
den jüngeren Bruder, bie beide im Grunde edle Naturen fin, 
fo daß fte fich verfühnen. Da bringt ein Bote dem Don Ceſar 
die Nachricht, daß eine von ihm geliebte Dame, deren Spur er 
verloren hatte, von feinen Dienern in Meffina felbft aufgefunden 
jet. Don Ceſar verläßt feinen Bruder. Diefer erklärt nun dem 
Chor, daß auch er eine heimliche Liebe nähre, fo ſtark, daß fie 
ihm ſchon lange den Bruderhaß genommen — ein felned Wort 
des Dichters, welches in feiner erlaubten Anwendung auf Don 
Gefar, die mitunter bemängelte Schnelligkeit ber Berjöhnung 
volllommen erflärt — und daß er beichloffen habe, fich feiner 
Geliebten an biefem Tage ald Don Manuel zu entdeden. Fünf 
Monate vor der Zeit des Stüdes, alſo 3 Monate vor bem Tobe 
ded Vaters, hat er fie, indem er auf der Jagd eine weiße Hin- 
din verfolgte, in einem Klofter entdedit und ihre Liebe gewonnen. 
Es tft Died die erfte Stelle, wo der Zufchauer dur Don 

Manuel’! Worte 

Ein Heilig Pfand ward fie dem Gotteshaus 

Bertraut, dad man zurũck einft werbe forbern, 

Sich felber ein Geheimniß wuchs fie auf. 

Ein alter Diener naht von Zeit zu Zeit, 

Der einzige Bote zwifchen Kind und Mutter 
(der aber zugleich geftanden hat, daß fie von edlem Blute jet) — 
eigentlih ſchon in den innern Zufammenhang des Stüdes geſetzt 
wird. Er weiß jeßt — und augenfcheinlich ift dies für bie Afthe- 
tiiche Wirkung des Stüdes von der größten Wichtigleit — daß 
Don Manuel die geheimnißvolle Perfönlichkeit Tieht, die Sfabella 
duch Diego aus dem Klofter zurüdforbert und kann ahnen, 
daß ed die Schwefter ift. Nach Hofmeifter fol ber Zufchauer 


Braut von Meifina. 77 


erft p. 478 bei Beatrice's Ausruf „Web weh mir, o entjegenvolles 
Licht“, als fie erfährt, daß tabelle Don Manuel's und Don 
Ceſar's Mutter ift, die volle Einfiht in ben Zuſammenhang 
haben. 

Der Alte Hatte dem Mädchen am Tage vor dem Beginn 
des Stüdes gejagt, morgen werde ihr Schickſal ſich löſen. Darım 
bat Don Manuel in der Nacht fie nah Meiftina entführt. Sie 
wohnt in einer Billa unfern dem Klofter der Barmberzigen. 
Nach diefen Mittheilungen entfernt fih Don Manuel wit zwei 
Begleitern aus dem Chore, um den Foftbarften Brautihmud für 
fie zu kaufen. So fcheint Alles fich glüdlich zu löſen; aber gerade 
bier deutet Sch. — wohl jelbft der Anficht, daß der Zufchauer, 
von der Idee einer möglichen Liebe zwifchen Bruder und Schwe: 
fter beunruhigt, ſchon Unheil ahnt — durch den Chor an, daß 
diefed Glũck auf einer ımterwühlten Grundlage rubt. Denn 
dieſer theilt mit, „da ihm die lichtichen, krummen Liebeöpfabe 
mißfallen“, daß Iſabella, eigentlih vom Bater ihres Gemahls 
zur fürftlichen Gattin auserkoren, demfelben vom Sohne — dem 
nachherigen Vater Don Manuel’3 und Don Ceſar's — gewalt- 
fam entriffen worden fei. Da habe der Vater im Zorne diefem 
und feiner Ehe geflucht und jo berge das Fürſtenthum „Ichwarze 
Verbrechen, Greuelthaten ohne Namen”. Und im Folgenden 
hören wir den Dichter felbft, der die Grundlage feines Stückes 
motivfren will, wenn ber Chor fagt: 

„Es tft kein Zufall und blindes 2008, 
daß bie Brüder fich wũthend jelbft zerftören, 
denn verflucht warb der Mutter Schooß, 
fie follte den Haß und den Streit gebären“ 


Wir madhen auf die wichtige Thatſache aufmerffam, daß diefer 
legte Vers den Zuſchauer auch über den Sinn ber noch zu er: 
wähnenden Träume der Sfabella vollftändig aufllärt. 

Der Dichter führt und mın zu der geheimnißvollen Geliebten 
Don Manuel’d, Beatrice, die ängftlich den Freund erwartet, ber 
ihre Neue „über die fträfliche Flucht“, beruhigen fol. Sie er: 


78 Braut von Meſſina. 


zäblt, wie fie, um zu beten, ftch in dad nahe Klofter gewagt 
babe, dann aber Späher fürchtend es verließ, denn jchon früber 
einmal’ babe fie „mit frevlem Muth”, um dad Begräbnig des 
jüngft verftorbenen Fürſten von Meſſina zu feben, fih aus dem 
Klofter ihrer Erziehung hinausgewagt und bier habe fie in dem 
auf fte gebefteten Ylammenauge eines fremden Zünglingd eine 
plößliche wilde Leidenichaft geahnt. Dem Geliebten habe fie 
diefe Schuld verfchwiegen. Da mit einem Male erfcheint Don 
Ceſar jeldft, denn die von dem Boten ihm als gefunden gemel- 
dete Geliebte, deren Spur er verloren hatte, ift Beatrice. Er 
erinnert fie an die Begegnung bei den Begräbniß. 

Dem Zufchauer bleibt nun fein Zweifel mehr, daß beide 
Brüder die Schwefter lieben. Don Ceſar nennt fi ihr als 
Fürft Meſſina's; die Entjepte wagt, als er fle feine Braut nennt, 
fein Wort zu erwidern. Nad feiner Entfermmg aber ſpricht 
fie aus, daß fie oft Ichon mit geheimnißvollem Schauer von dem 
furchtbaren Geſchlechte und dem Schlangenhaß der Brüder ge- 
hört babe; fie fühlt fich rettungslos in dieje furdhtbare Sphäre 
hineingeriſſen. 

Unterdeß bat Iſabella von der Verſöhnung der Brüder er- 
fahren, und wir finden fie in ihrem Palafte inmitten beider; es 
erſcheint natürlich, daß fle der Mutter ihre Vereinigung und ihre 
Liebe mittheiler wollen. Iſabella preiſt ſich glüdlich, daß endlich 
der lang erjehnte feitlihe Tag erfchienen ſei, wo fie die Herzen 
ihrer Kinder verjühnt fehe. Aber diefer Tag joll noch durch die 
Enthüllung eines ſchönen Geheinnifjed gefeiert werden. Eine 
holde Schwefter, deren Geburt und Leben bis dahin in Dunkel 
begraben gewejen, foll zwilchen die verjühnten Brüder treten. 
Ste habe ihre Tochter, fo erzählt fie, dem ihr vom eigenen Vater 
drohenden Tode entreißen müflen, denn ein arabiſcher Aftrolog 
babe diefem erklärt, die beiden Söhne und fein ganzer Stamm 
würden durch fie vergehen — durch einen ihr felbft gewordenen 
Traum aber ermuthigt, den ein „gottgeltebter”, d. h. wohl chriſt⸗ 
licher, Mönch ihr gedeutet „ihre Tochter würde ber Söhne ftreitende 


Braut von Meffina. 79 


Genrüther in heißer Liebesgluth vereinen“ habe fie dieſelbe im 
Berborgenen erziehen laflen. 

Bon bier an weiß der Zuſchauer, daß Alle über Iſabella 
zuſammenbrechen muß, und wenn er auch bie Entwidlung in 
ihren Einzelnheiten nicht voraußfieht, fo weiß er doch, daß fie 
nur entfeglich fein kann; bie Andeutungen des Chors haben fchon 
den düfterften Schleier über die Zukunft gebreitet. Die beiden 
Zräume find für ihn in ihrer fich ergähzenden Bebeutung völlig 
Mar. Als der alte Diener Diego, der bie Tochter bringen foll, 
nun ankommt und erflärt, fie jei aus dem Klofter geraubt, ma- 
hen die Umftände und die Zeit, in der dies geſchehen fein joll, 
Don Manuel unruhig; „und Beatrice nennt ſich Deine Tochter?” 
fragt er die Mutter und dann weiter dringend mit breimaliger 
Frage „wo verbargft Du fie". Wir müflen ben Leſer auf die 
eigenthümliche, etwas zerbrechliche Künftlichkeit diefer Scene auf: 
merfjamn machen. Die Mutter bat kaum die Söhne aufgefor- 
dert, den Räubern zu Wafler und zu ande nachzuſpüren, als 
Don &efar wilb — und dies paßt zu jenem als ftürmifch und 
unüberlegt gejchilderten Charafter — davonftürmt. Don Ma- 
nuel aber, der in tiefes Nachdenken verſunken ift und der übri- 
gend den alten Diego nicht zu erkennen fcheint, obwohl er ihn 
doch nach feinen früheren Mittheilungen an den Chor öfter ge: 
ſprochen haben muß und ihn bier Direft anredet, thut nun die 
frei dringenden und fo natürlichen Anfragen nad dem Orte der 
Erziehung; Iſabella aber treibt ihn nur zur Eile und antwortet 
auf das dritte Mal: 

„verborgner nicht war fie im Schoß der Erbe.” 
Die Seltſamkeit diefer (nur in der Poefie möglichen) Antwort 
wird Niemand verfennen; bätte fie freilich den Ort genannt, fo 
hätte Don Manuel gewußt, daß er feine Schwefter liebte, und 
dad Stück hätte ein Ende gehabt. 

un Ran wirb fich, bemerkt Böttiger (unb wir verdanken auch 
dieſe interefiante Mittheilung Hoffmeifter V, 115), babet des Ver⸗ 
dachtes nie erwehren fünnen, daß ber Dichter dieſes Schweigen zur 


80 Braut von Meifina. 


Ausführung ſeines Planed notbwendig brauchte, fo daß Died aller- 
dings eine Schwäche des Stüdes tft. Sch. felbft indefien, als 
man ihm Died bemerflich zu machen fuchte, wunderte fi, wie 
man feine Intention jo wenig babe fafien Tönnen, da ja eben 
in dieſem Berfchließen des Mundes in fo kritiſchen Augenbliden, 
wo ein vettended Wort dad eherne Nep des Schhidjald hätte 
zerreißen Fönnen, die unabwendbare Gewalt, ja dad Dämonifche 
bed Verderben brütenden‘ Verhängniſſes fich recht deutlich offen- 
bare und alle Zufchauer mit geheimem Grauen durchſchauere.““ 
„Nur geht Hier, fügt Hoffmeifter hinzu, die Wirkſamkeit bes 
Schickſals und bie pſychologiſche Wahrheit nit Hand in Hand, 
und wir fehen nur einen Kunftgriff des Dichterd, wo wir bie 
legtere aufgehoben finden. Die umfichtige und verftändige Iſa⸗ 
bella Eonnte felbft im Affekt den Sohn nicht fortfchtden, ohne 
ibm die wiederholt geforderte nöthige Auskunft zu geben. 

Hier laͤßt daher der Dichter — um ein retarbirended Mo- 
ment zu ſchaffen — den Diego einfallen 

„o jeßt ergreift mich plößlich bange Furcht“ 


und num erzählen, wie Beatrice ihn gebeten habe, bem Todten- 
fefte beimohnen zu dürfen, wo denn wohl ein Räuber fie auf: 
gefpürt babe. Don Manuel athmet auf, denn in feiner Idee 
ift feine Geliebte unfähig, ihm das Geringfte zu verichweigen; 
fie ift nicht dieſelbe mit Iſabella's Tochter, tft nicht feine Schwe: 
fter. Der Zufchauer weiß nun freilich vollfommen ficher das 
Gegentheil. Doc nun befchliegt Manuel, fich Licht zu verfchaffen 
und geht. Sept läßt der Dichter Don Ceſar zurückkommen — und 
wir müflen audiprechen, daß wir bier um Haaresbreite an ber 
Klippe ded Komijchen vorbeiftreifen — und die Mutter nad) 
einem Zeichen zur Erkennung ber Schweiter, nach dem Orte ihter 
Erziehung fragen. Sie jagt ihm Alles Nöthige. 

Bon bier an erfüllt fih nun an Sfabella und ihren Söhnen 
ein grauenvolles Schiefal, dem die Mutter in immer neu er: 
wachender Hoffnung die hartnädigfte Verblendung entgegenfept. 


Braut von Meffina. 81 


Das Stück iſt noch nicht ganz bis zur Mitte gelangt, und viel: 
leicht ift die Verblendung Iſabella's zu lange feftgehalten; das 
Gefühl des Zufchauer3, der ſchon im Geheimniß tft, wird durch die 
übergroße, oft jubelnde Sicherheit der Fürſtin vielleicht zu pein⸗ 
ih angeipannt. Hierher gehört auch wohl, wenn man betrachtet, 
wie oft ih für Iſabella die entjeglihen Weberrajchungen des 
Schickſals wiederholen, die vorfichtige Andeutung Wilhelm v. Sum: 
boldt's an Sch. jelbit: „Daß der Stoff des Stüdes an fich fogar 
funftlich jei und bei minder guter Behandlung hätte ſpielend 
außjeben Fünnen.“ 

Don Manuel ift bei Beatrice angelangt und erfährt nun, 
daB jie bei der Todtenfeier gewejen, alſo jeine Schweiter ift. 
Schon tft Don Ceſar's Stimme, der ebenfalld herbeieilt (merf- 
würdig, daß feiner von beiden nach der Schweiter audgezogen 
ift!), gehört worden; Beatrice ſchmiegt fid) zitternd an Don Manuel 
an, welcher nun von feinem Bruder, der einen beuchlerijchen 
Verräther in ihm fieht, erfiochen wird. 

Hier tft die wichtige Stelle, wo beim Eintreten des wirf: 
lichen Unglüdes, ber Blutſchuld, ber Zufchauer ſich ernſtlich 
nah der Schuld der handelnden Perjonen fragt. Die Geichicht: 
Ihreibung könnte ſich begnügen, die Thatjachen einfach darzu- 
legen, jofern fie nur den realen Zufammenhang nachweijen kann; 
die Poefie, welche nach Ariftoteles philoſophiſcher iſt als Die Ge— 
ſchichte, kommt dem tiefiten Bedürfnig des menjchlichen Herzens 
entgegen — dem des Kindergemüthes, welches im Mährchen den 
leidenden Guten am Ende belohnt jehen will und tem Imm. 
Kants, der auf das Gefühl einer unverweigerlichen Gerechtigkeit 
die Unfterblichfeit der Seele begründet — nämlich den, eine ewige 
Gerechtigkeit wentgftend ahnen zu Dürfen und ſich mit der Menſch⸗ 
heit als zu einem fittlihen Ganzen zufammengeichlofien zu fühlen. 
Schon der alte griechifche Geichichtöichreiber Herodot (um 444 
v. &hr.) bat jeinem wundervollen Werke dieje ernite Grundlage 
gegeben; wer erfennt nicht in der folgenden Darlegung feiner 

I. 6 


82 Braut von Meifina. 


Sdeen, bie wir wörtlid der Einleitung feines vortrefflichen 
Heraußgeberd Stein entnehmen, den &eift unferes Stüdes? 


„Was die Gottheit einmal nach ewiger Ordnung über 
„einen Sterblichen verhängt bat, wird fein unabänder: 
„liches Verhängniß, dem er weder durch eigene noch durch 
„Anderer Hilfe zu entgehen vermag. Oft bethört fie einen 
„lolchen mit Uebermuth und eitler Hoffnung, verfchließt 
„fein Ohr der warnenden Stimme einfichtiger Freunde, 
„ja, mit berber Ironie ihre Opfers ſpottend, täuſcht fie 
„ihn wohl mit vieldeutigen Träumen oder doppelfinnigen 
„Orakelſprüchen, daß er, der Gefahr zu entrinnen wäh: 
„nend, in fie hineinrennt. Wie fie ſich gegen jede Ueber: 
„bebung als eiferfüchtige, fo erweift fie fich gegen jede 
„fttliche Ueberfchreitung als rächende und ftrafende Macht. 
„Jedes Unglüd, dad fie fendet, ift Folge einer Schuld, 
„und für das Vergehen des Ahnen muß oft ein fpäter 
„Enkel büßen. Das Geſetz der Vergeltung ſteht über 
„den Thaten der Völker, wie der einzelnen Menfchen. 
„Daß darüber oft der Unſchuldige mit dem Schuldigen 
„leiden muß, achtet die erzürnte Gottheit nicht. Aber ſie 
„ſucht es jelbft an den Werkzeugen ihres Zornes heim, 
„wenn fie mit zu großer Graufamfeit gegen ihre Opfer 
„verfahren und beftraft übermäßige, wenn auch gerechte 
„Rache. Dem Gekränkten verhilft fie zu Genugthuung, 
„und wo ber mächtige in ungleihem Kampfe den Schwa: 
„hen zu bewältigen broht, tritt fie auf diefe Seite und 
„ſtellt das Gleichgewicht der ftreitenden Parteien her”. 


Kein Unglüd ohne Schuld?! es iſt die furchtbar ernfte 
Frage, die im Alten Teftamente dad herrliche Buch Hiob behandelt 
und die — obwohl wir Modernen nicht geneigt find, dieſe Anficht 
für da8 Leben bes Einzelnen, am wenigften jebenfalld für unfer 
eigened gelten zu lafſen — bei großen welterfhütternden Ereig⸗ 
niſſen und bei Perfonen, die in folde unheilvoll verwidelt find 


Braut von Meſſina. 83 


Jul. Caeſar, befonders Karl I. und Ludwig XVI., Rapoleon I.), 
immer wieder bräuend an und berantritt. 

„Der Uebel größtes aber ift Die Schuld!” Worin liegt aber 
die Schuld ber Perſonen unjered Stüdes? Es tft klar, daß eine 
Hauptaufgabe Sch.’8 darin beftehen mußte, für dad Bewußtfein 
des modernen Zufchauerd biefe Schuld fo weit irgend möglich 
darzulegen. Wenn man nım zunächft dem Faden der Ereignifie 
in und vor dem Stüde bis zum tbatfächlichen Urjprung derjelben 
folgt, — d. b. nad) dem Punkte fucht, wo die erfte böfe „fortzeugend 
Neues“ gebärende That gefchieht, durch deren Nichtgeichehen 
auch das Ichlummernde böfje Geſchick nicht erwedt worden wäre — 
fo findet fi, derjelbe in der Vermählung Sfabella’3 mit dem 
Sohne ded Zürften. Sie hätte, auch auf die Außerfte Gefahr 
bin, ihre Hand verweigern müflen; Hoffmeifter V., p. 79 meint, 
fie hätte das Unwürdige von ihrem Gemahl nicht ertragen follen 
(nämlich feinen Befehl, die neugeborene Tochter zu tödten), geht 
aber damit offenbar nicht weit genug zurüd; viel klarer fchreibt 
ihr Palleöte — deflen Abhandlung und überhaupt vortrefflich 
erſcheint — bie Schuld der Läßlichkeit zu, „welche die wüſte 
Berfallenheit der Zamilie, die ſchmachvolle Ehe nicht von Grund 
auß zu heilen ftrebte”. Wie hat Sch. felbft darüber — 
Er laͤßt Beatrice ſelbſt zur Mutter ſagen 


und allen zum Berberben 
haft du den Zobeögätiern ihren Raub, 
den fie geforbert, frevelnb vorenthalten. 


und Don Gefar ruft kurz darauf ihr zu: 
und verflucht fei deine Heimlichkeit, 
die all dies Gräßliche verſchuldet! 
Es möchte nicht fo leicht zu erflären fein, daß Sch. auf dieſe 
furchtbaren Anfchulbigungen die Mutter erwiedern läßt: 
den Rachegeiftern überlaß' ich 
Died Haus — ein Frevel führte mich herein, 
ein Frevel treibt mid ud — — — — — — 
Alles dies 
erleid' ih ſchuldlos 
6* 


84 Braut von Meifina. 


Es ift aber nun um fo weniger möglid, daß der Zuſchauer an 
eine Schuld glaube, von der die Hauptperſon des Stüdes jelbjt 
durch die furchtbarften Beranftaltungen des rächenden Schickſals 
nicht überzeugt werden kann. Wie ift dann noch auf Iſa— 
bella das Schlußwort des Stüded anzuwenden? und 
follte dem modernen Menjchen nicht unerträglich fein, was ſchon 
dem Xriftoteled unerträgli war, der in feiner Poetik, welche 
Sch. tannte (c. 13, 2), ausdrücklich fagt: 
eine Tragödie darf und feinen Schiefaldmechfel vorführen, 
bei welchem tugendhafte Männer aud Glück in Unglüd 
gerathen, denn Died tft weder furchtbar noch Mitleid er: 
wedend, jondern vielmehr empörend*). 

Henn wir und nun fragen, wie begründet Sjabella, und 
mit ihr Sch., ihre Unfchuld vor ſich felbft — obgleich damit 
freilich noch nicht bewiefen tft, daß fle, nach den Geſetzen der 
Aefthetik und nach denen des menſchlichen Gefühles, unfchuldig 
fein darf —, jo führt und die Beantwortung diefer Frage in 
den eigentlichen inneren Zufammenhang unfered Stüdes. 


Hoffmeifter nennt Sfabella nach der bürgerlihen Moral un- 
chuldig, d. h. wohl, fie bat mit allen ihren Maßregeln nur Gu- 
te8 gewollt und hat, perfönlich vollfommen rein, vielmehr ein 
Dpfer der Gewaltthätigkeit Uebermächtiger, nie etwas Böſes 
beabfichtigt. Heimlichkeit ift ihr vorgeworfen worden — was hat 
fie zu diefer Heimlichkeit gebracht? Hier treten die beiden von 
ihr jelbit erzählten Träume ein. In der That, die beiden Träume, 
welche gerade in ihrem entgegengejegten Anfcheine die um ihr 
Kind beforgte und zur Rettung defjelben vollkommen beredhtigte 
Mutter täujhen mußten, entichuldigen fie auch volllommen, 
wenn auch noch jo viel Unheil gerade aus dieſer gut gemeinten 
Maßregel erwächſt. Sp ergiebt fih, daß diefe Träume ſchon 








2) Sujemihl lieft mit Ufener dvuapov, d. i. „unbehaglich“, Stahr lieft nıa- 
ov und überfept wie tim Text, Zell überfegt „abicheulich”; wir freuen und in 
ahlen's Ausgabe dieſes leytere, allein paffende Wort wieder bergeitellt zu jeben. 


Braut von Meffina. 85 


die Yallitride des böfen Schickſals find und daß dieſes wieder 
durch den vom Chor erwähnten Fluch des Ahnherrn gegen das 
fürftlihde Geſchlecht in Bewegung geſetzt wird. 

Die Srımbfrage für bad ganze Stüd ift: In wie wett ftimmt 
dad Gefühl des Zuſchauers mit den Yügungen bed Schickſals 
überein; in wie weit entiprechen fih Schuld und Strafe; in wie 
weit werden von dem Dichter Die Geſetze des fittlichen freien 
Willens gegenüber den Geſetzen bed jenfeitigen Schickſals auf: 
recht erhalten — und die Klippen find, dab das Schickſal, indem 
ed Unfchuldige ftraft, blind, oder der menfchliche Wille, indem er 
unfreiwillig Böfes thut, geknechtet erfcheinen müflen. Wenn man 
nun dad Drama nicht als eine fünftlihe Reproduction 
ber volksthümlichen antiken Dentweije anfehen, fonbern 
ihm die lebendige Wirkung auf Weſen unjerer Zeit ihern will, fo 
muß vor allen Dingen Schuld und Strafe in ein entiprechendes 
Berhältnig gefegt werden; ed muß unterfucht werden, in wie weit 
dad Eingreifen des Schidfald motiwirt wird. Der Standpunkt 
bes modernen Zufchauers kann aber nur der der fittlichen Frei⸗ 
beit fein, die ſich ſelbſt ihr Schidjal bereitet; weit entfernt die 
felbe in die Abhängigkeit eined Gbermächtigen höheren Willens 
zu ftellen, Hält er vielmehr den Glauben feft, daB diejer höhere 
Wille zulegt ter ringenden fittlihen Freiheit zum Siege ve 
beifen wird. Allerdings iſt die nur ein Glaube; vielleicht 
aber tft alle ®oefie nur da, um den Menfchen, welchem in 
der Yinfterniß und in den bittern Enttäufchungen bed Lebens 
jener Glaube doc, oft entſchwindet, wentgftend auf Stunden in 
ein höhere® Reich ber Geifter zu verfepen, wo fein Ideal ewi⸗ 
ger Gerechtigkeit ihm verwirklicht entgegentritt, um ihn jo für 
den Kampf des realen Lebens felbft zu ftärfen. Sa, fo eifer: 
fühtig find wir auf unfere Freiheit, fo fehr wollen wir und we: 
nigften8 das abfolute Bewußtſein derfelben bewahren, daß jelbft 
Me Vorſehung, und wäre fie noch fo gerecht, und gegen fich ha— 
ben würde, wenn wir vom Anfang der Entwidlung eined wirt: 
Iihen oder dichterifch geichaffenen Menfchenlebens an, ihre Hand 


86 Braut von Meifina. 


zu deutlich im Spiele fähen. Noch unmöglicher freilich ift ihr 
Gegentheil, der reine Zufall, in der dramatifchen Poefle; ex würde 
lächerlich, humoriſtiſch, empörend oder ſelbſt wahnwitzig erfchet- 
nen. Die Mitte bildet die Yreiheit und ein jittliches Cauſal⸗ 
geſetz von Urſache und Wirkung und der gläubige Gedanke an 
eine ewige Bergeltung, in deren Weſen und Wirken wir nicht 
tiefer einzudringen vermögen und auch nicht einmal wollen, bie 
wir aber im Bunde wifjen mit allem Guten, und die und im 
Leben des Einzelnen wie in dem Riefengemälde ber Gejchichte 
glei allmächtig erjcheint, Die oft dunkel geabnt wird, oft faft 
fichtbar dem Böfen die Schlinge legt, welche er allein nicht fieht, 
oft auch dad gewollte Gute, wenn ed nicht aud den reinften 
Tiefen des Herzend emporgefttegen ift, zum Unheil wendet, zulebt 
aber der Geift ift, der aus allem gewollten Böſen ftetd alles 
Gute zu Ichaffen weiß. 

Bis jetzt ift alfo der Fluch des Ahnherrn der erfte Anſtoß 
zu allen den unheilvollen Ereigniſſen, die den Perſonen des 
Stückes drohen. Der Vater verflucht nämlich den Sohn, der 
ihm die künftige Gemahlin entriſſen hat, und nebenbei trifft bie 
Verwünſchung wohl auch Iſabella. Merkwürdig genug hat Sch. 
nicht angedeutet, daß der eigentliche Miffethäter, Der Gemahl der 
Fürftin, feine Strafe in Folge ded Fluches gefunden bat, er 
ftirbt vielmehr im Vollbejig der Macht; denn daß er etwa in 
bem Haffe feiner Söhne, der leicht fein Reich zu Yall bringen 
Tonnte, eine ſolche Strafe gejehen hätte, gebt nicht aus dem Stüde 
hervor”). Freilich darf man auch an die That des Sohnes nicht 
etwa den juriftifden Maßſtab legen wollen, wonach ſie ge- 
feglich ftrafbar kaum erfeheinen würde; man laſſe fle im Ge⸗ 
gentheil jo fchwer als möglich wiegen, ed mag und grauen 


*) Wenn Palleske IT, 544 fagt: „Wenigſtens erfcheint ber unnatürliche Bru⸗ 
derhaß der beiden Söhne, welche den: Paare geboren werben, biejem jelbft wie 
eine Strafe und ermwedt ihm Grauen”, fo ift, bei der Wichtigkeit biefer Erör⸗ 
terung für den innern Zuſammenhang des Stüdes, barauf hinzuweiſen, baß mir 
von einer ſolchen Idee in demſelben Nichts haben finden können. 





Braut von Meifina. 87 


voll anwidern, wenn wir in das heiligfte und ibenlfte aller Ra: 
turmerbältnifje leidenſchaftliche Nebenbuhlerſchaft bineingetragen 
ſehen — die einzige bedenkliche Yrage bleibt und die Wirkung 
ded Fluches auf die folgende Generation bin. Denn der Haß 
der Brüder ift, nad) der ſchon angeführten Stelle, eine Wirkung 
dieſes Fluches: „Es ift kein Zufall und blindes Loos, daß bie 
Brüder fi) wüthenb felbft zerflören — denn verflucht warb ber 
Mutter Schoß, fie jollte den Haß und den Streit gebären“. 
Es fcheint und, als jet Sch. hier durch den Bau feines 
Stückes in eine eigenthämliche Verlegenheit gebradht worden. 
Wie leicht ließ ſich der Haß fürftlicher Brüder, von benen ber 
eine der geborene Unterthan des Anbern ift, auf die natürlichfte 
Weile motiviren! — man braudht ja nur an das thebaniſche 
Paar zu denken oder an Carl und Franz Moor. Aber eine 
folde Motivirung hätte das Stüd von Grund aus verändert. 
Wäre auch nur die jchnelle Verſöhnung möglich gewefen, wenn 
der angeborene Adel diejer Charaktere durch Neid, Eiferfudt 
und Herrichficcht zerrüttet und verzehrt worden wäre? Anderer: 
ſeits tft allerdings ſchwer begreiflich, wie ein Haß, von dem bie 
Mutter jelbft fagt 
„init ihnen wuchs 

„ans unbefannt verhängnikvollem Samen“ 

„auch ein unfel’ger Bruberhaß empor,“ 

„der Kindheit frohe Einigfeit zerreißenn,” 
s und reifte furchtbar mit dem Ernſt der Jahre.“ 
aljo eine jener Raturanlagen zu gegenfeitigem Hafje, wie fie auch 
im Privatleben nicht gerade felten find, dann fo ſchnell über: 
wunden werden Tanı. Der Dichter ift bier auch Außerft vor: 
fihtig verfahren, indem er biejen Zwieipalt ber Brüder durch 
teine bejonderd erwähnten unfühnbaren Thaten dem Zufchauer 
unverjöhnlich erjcheinen, fondern denfelben mehr in der Stellung 
der feindfeligen &efolge der Brüder ſich wiederjpiegeln läßt, 
indem er ihn, wie Hoffmeifter fagt, nur leije motivirt, auch die 
Charaktere der Brüder nicht zu fchroffen Gegenſaͤtzen ausprägt 
und endlih ein Band der Einheit erftend in dem vollen Adel 


88 Braut von Meifina. 


ber Gefinnung, der beide belebt, zweitens in der gleichmäßigen 
und Starken Liebe andentete, welche ihre Herzen an die Mutter 
fefjelt. 

Um den Dichter vor dem Borwurfe, der ihm vielfady ge- 
macht worden tft, zu ſchützen, daß nämlich alle Perjonen in dem 
Stüde ſchuldlos ſeien, hat man dem Ceſar nachgejprocdhen, die 
Heimlichfeit, mit welcher alle und bejonderd Iſabella ihr Handeln 
umgeben, fei ihre Schuld. Es fcheint und aber ganz falſch, mıf 
diefe Heimlichkeit den Hauptaccent zu legen; jebenfalld trifft man 
doc) dadurch nur ein Accidend und nicht Die Subftanz und vergißt 
ganz, daß der Haß der Brüder, wenn auch fcheinbar gleich im An- 
fang und eigentlih nur mit graujamer Sronie ded Schickſals 
bejeitigt, Doch die Triebfeder und Veranlafiung alles innerhalb des 
Stüded Geſchehenden ift und daß fchon in den beiden Träumen 
das Schiejal ihn offenbar mit in jeine Rechnung zieht, wodurch 
dann allerdings die Heimlichkeit Iſabella's die Beranlafiung 
gerade zum Entjeglichiten wird. 

Der Kern der Schuld ift unb bleibt der Raub Iſabella's 
durch den alten Fürften, die etwaige Schwäche, mit der fie nach» 
giebt, worüber der Dichter aber auch nicht die leiſeſte tadelnde 
Andeutung verliert, und der Fluch des Ahnherrn, der fi nicht 
an jeinem Sohne, wohl aber an feinen Enteln erfüllt. 

So läge aljo dieſe Nrfhuld vor den Stüde und ed fragte 
fih bier, wie weit da8 moderne Bewußtfein den Fluch und das 
ihn ausführende Schiefal ald Mächte des fittlihen und zugleich 
des poetiihen Lebens anzuerkennen bat und fich ihnen hingeben 
darf, noch ehe man die Frage aufwirft, wie ed denn mit der 
Schuld der Perſonen innerhalb des Stüdes ftehe. Daß die Eon- 
fteuction des Stüdes eine fünftliche fei, wird von allen modernen 
Kritilern, wie von Hoffinetjter (tin 5ten Bde. von Sch.'s Leben, 
©eiftesentwidlung und Werfe p. 113, 114), von dem geiſtvollen 
Sofeph Bayer (f. u.) von Gerlinger (f. u.) und auch von Palleske 
zugegeben, obwohl fich Diejer mit großer Gewandheit und Feinheit 


Braut von Meifina. 89 


bier ganz etgentlich zum Apologeten des Dichterd macht. Ihren tief: 
ften Grund fcheint dieſe Künftlichkeit Darin zu haben, dab Sch. ſich 
in die ganze Gedankenwelt der antiken Tragödie eben philoſophiſch 
und äftbettfch hineingedacht hatte und ſich audy auf dieſem Gebiete 
einmal als Dichter verjuchen wollte. „Ich habe es nicht vergefien, 
ſchreibt er an Wilhelm von Humboldt (und wir entnehmen diefe 
Gtelle aus Hoffm. V, p. 67), daß Sie mich ben modernften aller 
weuen Dichter genannt, und mid alfo im größten Gegenfag mit 
allem, was antik heißt, gedacht haben. Es follte mich alfo Doppelt 
freuen, wenn ich Shnen dad Geftändnig abzwingen Tönnte, Daß 
ih auch dieſen fremden Geiſt mir zu eigen habe machen 
können.“ „Sch will nicht leugnen, ſchreibt er ferner, daß mir 
ohne eine größere Belanntichaft, die ich indeflen mit dem Aeſchy— 
lus gemacht, Die Berfegung in die alte Zeit ſchwerer 
würde angelommen fein.“ So muß denn allerdings wohl 
dem modernen Leſer auch bad Recht bleiben, fih dem „fremden 
Beifte” gegenüber fremd zu fühlen; er muß, um dad GStüd 
ganz zu würdigen, Die Begriffe des eigenen fittlichen Lebens einen 
Augenblid bei Seite legen und mit Sch. den ſchweren Verſuch 
maden, fid in die alte Zeit hineinzuverfeben. Hier entſteht 
aber fogleidy ein doppeltes Bedenken. Iſt denn wirklich jene 
alte Zeit in ihren fittlihen Anfchauungen eine und fo volljtändig 
fremde gewefen, fönmen diefe Anfchauungen, zum Troß der Ein: 
heit des Meufchengeichlechtes, etwa gar den unfrigen entgegen: 
gejept geweien fein? Wideripricht dem nicht ſchon die bewun- 
dernswürdige Volksthümlichkeit, die in dem Augenblid, in wel: 
chem wir fchreiben, dad Mteiftermerk der attifchen Bühne wieder 
unter und gewonnen hat”)? Wo bleibt die Einheit und Allge- 
meingülttgfeit des Bewußtſeins und des Gewiſſens, wenn nicht 
die Jahrhunderte am ewigen Begriffe des Guten machtlos zer: 
ihellen? Und angenommen zweitens, das Undenkbare wäre möglich, 


— — 





*) Antigone auf der erften Bühne Berlin's. 


| 90 Braut von Meifina. 


bat Sch. fich fein moderne Bewußtſein jo vollftändig aus dem 
Sinne ſchlagen können, und bat er nirgends eine Vermittlung 
verjucht? 

Es handelt fih um die Denkbarkeit der Weiterwirtung bes 
Fluches. Alltäglich läßt die menſchliche Geſellſchaft ſowohl wie 
der Einzelne den Sohn die Vergehen oder auch nur das Unglück 
bed Baterd büßen und follte doch nicht für das herbe Gefeß, 
daß Gott die Sünden der Bäter beimfucht an ben Kindern his 
in's dritte und vierte Glied, wenigitend die Anerfennung eines 
inneren fürdhtenden Schauerd haben? Auch find altteftamen- 
taliſche Borjtellungen noch immer mächtig genug, um dem Fluche — 
wie anbdrerfeitd dem Segen — des Vaters und der Mutter, felbft 
da, wo er bei näheren Nachdenken als übereilt ober der Schuld 
nicht entſprechend erfunden werben follte, eine Die Bergeltung des 
Schickſals erzwingende Kraft beizumefien, befonderd aber wenn 
wir und im &ebiete der Poefle bewegen. Und nicht nur jüdifch, 
auch griehijh war dieſer Gedanke. „Man legte, jagt Preller 
Griechiſche Mythologie II, p. 237, in fo alter Zeit dem Fluche 
bed Baterd oder der Mutter eine dämoniſche Gewalt bei, bie 
nicht durch die Geringfügigkeit des Anlafjes, ja ſelbſt nicht durch 
die Neue bdefien, ber geflucht hatte, wieder aufgehoben werden 
konnte.“ Auch Hoffmeifter, indem er an die altteftamentalifche 
Anſicht erinnert, fegt hinzu: „Das tft dad Hochtragtiche im Laufe 
ber Dinge, daß durch eined Einzigen Schuld ganze Geſchlechter 
verderben”. In jedem Falle ift e8 ja auch unmöglich, den Ein- 
zelnen gleihjam wie ein nur fich ſelbſt entiprungenes, in fich 
volllommen einziged Atom von dem Ganzen lodzuldfen, dem er 
durch Geburt, Geſchichte, gemeinfame That, Verpflichtung aller 
Art angehört. Es giebt eine Anzahl von geradezu natürlichen, 
im ftrengften Sinne körperlichen und pſychiſchen, ber Yamilie, 
wie der Geſellſchaft entftammenden Bedingungen, deren Ein: 
wirfungen fich- auch der freiefte Geiſt, troß des volliten Bewußt- 
feind feiner Allgemeinheit und Ewigkeit nicht entzieht, anf deren 
Grunde er erft der Schmied jeined Glüdes und ſeines Unglüdes 





Braut von Meffina. 91 


wird. Gerade die Beobachtung der geſchichtlichen Thatſachen und 
felbft die materialiftiiche Betrachtung der Natur beftätigen dies, und 
da Sch. fo reflectirt hat, erfahren wir durch Böttiger’3 Mitthet- 
kungen bei Hoffm. V, 77. Diefelben find dankenswerth, weil fie es 
unmöglich machen, wie es freilich gleichwohl geſchehen ift, Sch. bie 
Einführung eines blinden und tauben Schidfales, welches den Un: 
ſchuldigen jchlägt, zuzuſchieben. „Es ift die Beobachtung, heit es 
dort aus Sch.’ 3 Munde, daß ein Bolt, ein Geſchlecht phyſiſch und 
moraliſch immer mehr ausarte, aber in diefer Ausartung auch fchon 
ben unvermeidlichen Fluch feiner Borfahren trage, und endlich, wenn 
das Map ganzvoll fei, ohne Rettung untergebe. Es fei hier eine 
wunderbare Wechjelwirkung; denn jo wie ed gefchehe, daß jelbft aus⸗ 
genrtete Kinder noch des Segens ihrer frommen unb gerechten Bor: 
fahren theilhaftig würden, fo könnten Schuld und Ruchlofigkeit 
der Bäter auch noch ein verderbendes Erbtheil für eine den An- 
heine nady ſchuldloſere Nachkommenſchaft werden.” Man barf 
dieſe Borftellungen antike ebenfowoh! als altteftamentalifche nen: 
nen, materialiftifche verbinden fih damit. „Man müfle bier mur 
das Animaliiche, welches in der Fortpflanzung, in der Race Itege 
und bei dem Menſchen Stammcharakter heiße, von dem unter: 
ſcheiden, was bie frühe Angewöhnung, Erziehung, Belipiele dem 
Stämmchen noch überdies einimpfen. Beides wirke gemeinfchaftlich. 
Bieled liege gewiß fchon im Blute. So wie ed Familiengefichter 
und Zamilienfranfheiten gebe, jo auch forterbende moralifche Ge: 
brechen und bei der zunehmenden phyſiſchen Schwäche auch ein 
moraliiched Unvermögen.“ So entſteht von der materiellen wie 
von der fittlihen Seite her der Begriff des Schidfaled, in wel: 
chem der Fluch mer ald die gewaltiam im Blige ſich entladende 
Elektricität der allgemeinen Atmoſphaͤre erjcheint. 

Denn der ganz frei ift, welder alle Bedingungen feines 
Dafeins geiftig felbft geichaffen hat, Died aber mır Gott möglich 
it, fo ringt auch die Menfchheit nur nad ber Freiheit, indem 
fle der Nothwendigkeit und dem theild rohen, theild frivolen Spiele 
des Zufall3 möglichft viel abzugemwinnen fucht, oder indem fie jene 


92 Braut von Meifina. 


Nothwendigkeit, jenen Zufall in einen höheren, gelftigen Welt⸗ 
zuſammenhang zu bringen ftrebt, d. h. indem fie fir Ihr eigenes Beben 
als Ganzes eine Philoſophie der Geſchichte, für das Keben des Ein⸗ 
zelnen eine höhere, weiſe Fügung, eine leitende Vorſehung zu be⸗ 
gründen ſucht. Der in der Mitte ftehende Begriff des Schickſals aber 
ift kein Durchdachter, e8 tft Die Zujammtenfaffung der Ahnungen bed 
SGemirthölebens, des beängftigten Gewifſens, der feurigen Begeifte- 
rung für irgend eine hohe Sache; in dem dunkeln Gefühl einer 
ewigen, gerechten Vergeltung, bie oft wunderfam verfchlungene 
Pfade geht, fcheint er zu gipfeln. Ob dieje Dunkeln Wolfen, die 
den Horizont aller Lebensziele verfchleiern, fich einft ganz lichten 
werden, ob alles Leben des Einzelnen und der Geſammtheit ſich 
einft erweiſen wird als aus der Idee geboren, — wer möchte es 
verneinen und wer wagte ed zu bejahen! Doch tft jo viel gewiß, daß, 
je mehr die Bedingungen und die Nothwendigkeiten ded Lebens, 
der Natur, der Gefchichte, der anererbten religiöfen Vorftellungen 
den Einzelnen einengen, ihm fein Freiheitsbewußtſein verfümmern, 
deſto günftiger der Boden für eine dichteriſche Darftellung des 
Schiefalöbegriffes ift. Aber au in ſolchen Epochen der Menſch⸗ 
beit wird es Abſtufungen geben, und wir möchten auf Die Wich⸗ 
tigkeit diefer Abftufungen bejonderd aufmerkſam machen. Am 
leichteften mißt man diefelben an den focialen Unterſchieden; fe 
dDrüdender und qualvoller die Nothwendigkeiten des Lebens find, 
befto mehr erfcheinen fie als blinde, von Ewigkeit her beftehenbe, 
ungzerbrechliche, und fehr ſchlimm würde die Philofophie des Dich: 
ters davonkommen, wollte man feinen Schidjaldbegriff nad) ben 
Morten des Dienerchored beurtbeilen: 
„Aber wenn fich die Kürften befehben, 
„Müflen die Diener fi) morden und töbten, 
. „Das tft Die Ordnung, ſo will ed bad Recht.” 

Und noch Harer, aber auch noch bedenflicher lautet e8: 

Ja, es iſt etwas Großes, ich muß es verehren, 

Um einer Herricherin firitliden Einn, 

Neber der Menſchen Thum und Verkehren 

Blickt fie mit ruhiger Klarheit bin. 





Draut von Meſſina. 93 


Und aber treibt dad verworrene Streben 
Blind und finnlod durch's wüſte Leben. 


Das ift der Schiefaläbegriff de in ewige Gefieln BR 
genen, unterworfenen Bolfed oder des Wächterd in der Antigone, 
welcher allerdings die Anſicht des griechiichen gemeinen Mannes 
und der Weiber (I. Raud zu Sophokles Antig. V, 286) vom 
Schickſal, aber nicht die des Sophokles und Perikles barftellt. 
So ift denn die alte Tragödie voll von Flüchen, Orakelſprüchen, 
träumen, die bann in allen Stüden wiederkehren, welche in 
Zeiten wilder inmerer und äußerer Kämpfe, bunfeln Ringens zum 
Lichte ſpielen, wie in der Zungfrau, im Wallenftein. In fpäteren 
Tagen, wo das Ziel ein klareres mit volltommmerem Bewußtſein 
verfolgtes wird, ſchwinden die Träume, verhallt Die Stimme ber 
Drakel, giebt ed nur noch einen Fluch, nur nohein Schid: 
fal, die Schuld, fo in Marla Stuart, fo bei Mirabeau, der 
auf Die Yrage, was dad Tragifche ſeines Geſchickes jei, bie 
derzzerreißenbe Antwort gab: „Meine Zugendfünden“. 


Dad moderne Bewußtſein bat feinen größeren Feind als 
diefen rohen Begriff eines blinden Schidjald, mit deſſen Hülfe 
man ein freied Streben auf jedem Gebiete in fih vernichten 
könnte. Hätte Sch. diefen begründen wollen, wie man ihm vor: 
geworfen bat, jo müßte man ein folched Eindringen überwundener 
Geſichtspunkte allerdings ftreng zurüdweijen; ed genügt, wenn 
man zugiebt, daß Sch., um die dunfleren Seiten des Gemüthes 
darzuftellen, fich vielleicht zu künſtlich im eine und fremde Ber: 
gangenbeit zurückgedacht hat, die er jedoch mit den eigenen und 
unfern Anjchauungen zu vermitteln ftrebte. Wir glauben auch 
nicht, daß jemals der Begriff eined in ſich völlig dunfeln, von fitt- 
lihen Grundlagen ganz abgewendeten Schiejald eine gebildete 
Menſchheit irgendwo beherrſcht habe, oder daß Sch. fich dieſe Vor: 
ftellung habe lebendig denken können. Halten wir und, womit wir 
zugleich den Uebergang zur Erörterung der Schuld der Perjonen 
im Stüde machen, an die Sage von Dedipus, ohne weldye die 


94 Braut von Meffina. 


Braut von Meffina wohl kaum eriftiren möchte, fo mag in ber 
fophollefihen Tragödie „König Oedipus“, der Held per- 
fönlih fi keiner Schuld an der furdtbar tragiſchen 
Berwidlung ded Ganzen bewußt fein, immer fteht Doch 
vor dem Stüde der in heftiger Leidenfchaft begangene Mord an 
einem bochbetagten Wanderer, und Debipus hat Tiefe der Selbft- 
erfenntniß genug, um fich ſelbſt einen Antheil der Schuld an allem 
Geſchehenen beizumefien, wie denn auch Jokafte ſich durch Selbft- 
mord ftraft. Nun erflären ſich die Philologen Schneidewin und 
Naud in der Vorrede zu ihrer Ausgabe des griechifchen Textes 
des jophofleiihen Stüdes alſo: 
„Der den Göttern einmal verhaßte Oedipus beftätigt 
„den Volksglauben, daß mandem troß des beiten 
„Willend nichts gelinge, weil er den Göttern zuwider jet: 
„ein Glaube, der aus der Beobachtung ded oft ſchreienden 
„Abftanded zwiſchen Berdienft und Schickſal entiprang. 
„Niemand wolle glauben, dieje Auffaffung vertrage fich 
„nicht mit dem fittlichen Standpunkte unferes frommen 
„Dichterd. Die Grundlage feiner nie genug zu bemun- 
„dernden Kunftihöpfung fand er fertig vor: Schuld 
„und Strafe in Einklang zu ſetzen, fonnte nit 
„leine Aufgabe fein, falls er nicht den Sinn der 
„Sage verderben wollte. Sodann beachte man, daß Debt- 
„pus, wenngleich perſönlich noch fo rein, doch bie 
„Schuld feiner Eltern büßt. Denn nah dem Glauben 
„ded Alterthumed werden die Miffethaten der Eltern oft 
„an Kindern und Kindeöfindern heimgefucht, und fogar 
„tm bloßen Verkehr zieht die Sünde ber Unreinen bie 
„Reinen mit in’8 Berderben. Nach allem muß als Grund—⸗ 
„gedanke des fopholleiichen Dramas aufgeftellt werben: 
„den Sterblichen, fei er noch jo gut, bewahrt alle Wach: 
„ſamkeit über jetne Schritte nicht vor Vergehungen, aller 
„Scharffinn in der Erfenntniß des Richtigen frommt ihm 
„nicht, fobald ihm die Liebe der Bdtter entgeht. 





Braut von Meffina. 95 


„Mag der äußere Schein noch jo blendend fein, je jpäter 
„und unverhoffter, um fo tiefer ftürzen bie Götter ben 
„Sottverhaßten.“ 


Wenn folche Anfichten über Sophofles möglich find *) — bie 
gelehrten Urheber derfelben erinnerten fich offenbar nicht des pla- 
toniſchen Dialoges Eutyphron, den wir auch ungelehrten Lefern 
empfehlen, noch auch der ariftotelifchen Lehre, die wir ſchon oben 
erwähnten —, wird Sch., welcher ber neidvollen Gegenwart an: 
gehört, fich nicht beflagen dürfen. Zener angebliche Götterhaß 
aber geht noch weit über den herodoteiſchen Götterneid hinaus, 
der, nur im Ausdrude befrembdend, eine vollftändig befriedigende, 
allgemein gültige Erflärung zuläßt. Unmöglich ift es, ſich unter 
lebenden Menſchen die Vorstellung eine8 unbegründeten Göt: 
terhafſes wirffam zu denfen, weil damit das Weſen aller Gotthett, 
als Bergelterin des Böfen, vollftändig vernichtet und die Grund: 
Inge jebes fittlichen Lebens zerftört fein würde. 

Fordert dad Schlußwort ded Dichterd:-„Der Nebel 
größtes aber ift die Schuld” entſchieden dazu auf, ge: 
nau zu unterfudhen, wie er dad Schidfal feiner Helden durch 
die Schuld derjelben motivirt hat, jo bleibt es vorläufig Problem, 
wie Iſabella ſich ſchuldlos erflären darf, ein Problem, welches 
die bebeutenbften Kritifen durchaus nicht gelöft haben, indem fie 
für fie eine Schuld aufzufinden wifjen, die jelbft anzudeuten ber 
Dichter verjhmäht hat, während ed ihm Doch jo leicht geweſen 
wäre. 

Weiter werden unfere Lejer aus unferer Darftellung, wie 
beſonders aus den angeführten Erörterungen Stein’8 und Schnei- 
bewin’8 erfannt haben, einen wie viel günftigeren Boden ber 


*) So ohne Weiteres wenigftend können wir fie nicht hinnehmen (ſ. G. 
Dronke p. 77 ff), für die moderne Xragödie aber find fie jebenfalld voll- 
lommen unverwendbar; auch diejenigen Tragiker, welche man, wie Müller, mit 
feiner „SäHufb" des Traffeften Satallamus angeflagt Hat, werfuchen überall zu 
motiwiren und zulegt ein Gleichgewicht zwifchen Schuld ımb Strafe herzuftellen. 


96 Draut von Meifina. 


antife Dichter für die Daritellung bed Schickſalsbegriffes vor: 
fand ald Sch. und daraus erklärt ih, daß dieſer noch nach andern 
und allgemeineren Motivirungen für dad Verhängniß juchte, 
welches die Perjonen ded Stüdes trifft. So läßt er denn ben 
Chor von ſchwarzen Berbredden und Greueln jprechen, die in 
dem Yürftenhauje begangen jeien. Und im Allgemeinen denfbar 
find ſolche Dem Zufchauer wohl, bei der Gewaltſamkeit und Leiden: 
Ihaftlichfeit, die allen Mitgliedern der Yantilie eigen ijt; anders 
wirft freilich in Sphigenie die Aufzählung der fchaudernollen 
Sünbenreihe, die dem Atridenbaud den Fluch der Götter zuzieht. 
Dann aber tft auch der ganze fürftliche Beſitz des regierenden 
Geſchlechtes Ergebniß roher Eroberung und gewaltiamer Knedh: 
tung eines friedlihen Bolfed, welches nun jchadenfroh ben Unter: 
gang feiner Unterdrüder mit anfieht, mit um fo berechtigterem 
Grimme als e3 jagen durfte: 
„88 hat an diejen Boden kein Recht.“ 


— — —— — — — — — — — 


„Gaftlich haben wir's aufgenommen,“ 

(Unſere Bäter — bie Zeit tft lang)“ 

„Und jept ſehen wir und alle als Knechte“ 

„Unterthan diefen fremden Geſchlechte.“ 
Noch energifcher jpricht Iſabella jelbft diejen Gedanken aud. Wir 
Müpfen hieran die Erörterung über die Schuld der Perfonen im 
Stüde felbft, mit welcher wir einen Theil der Sch. gemachten 
Borwürfe zurüdzumeijen gebenfen. 

Wie fteht ed mit der Schuld ber Perjonen im Stüde 
ſelbſt? Auf Siabella freilich möchten die Ausführungen Schrei: 
dewin’d und Naud’3 eine Anwendung finden, die wir äfthetijch 
nicht zu rechtfertigen vermögen und wir verweilen dazu einfach 
auf dad Gefühl, welches in und jo mächtig erregt wird, wenn 
ein überführter Verbrecher bis auf den legten Augenblid vor 
der Strafe an der Behauptimg ſeiner Unſchuld feitgehalten hat 
und mit feinem Geheimniß dahingegangen if. Wir glauben, 
daß, ohne den Pomp der dichteriichen Worte, in einfacher pro- 
fatiher Erzählung ein ſolches Verhältniß volljtändig unerträglich 





GE yo" Ve. EL BEE" % Ge 


Brut von Meifina. 97 


fein wide. Die von Don Gefar ihr vorgeworfene Heimlichkeit 
kun nicht Schuld genannt werden; ſchlimmer noch fteht ed mit 
dem Borwurf Beatrice's, 

Der felbft und wir, und allen zum Verberben 

Haft du den Todeögättern ihren Raub 

Den fie gefordert, freveind vorenthalten! 
Deun nur auf dem Gebiete der Vorftelungen, die im Stücke 
herrſchen, kann dies hingenommen werben; der moderne Zuſchauer 
darf den Verfuch, ed in nüchterne Gedankenproſa zu überfegen, 
nit ungeftraft machen. Wenn der Uebel größted wirklich Die 
Schuld ift, fo ift für Iſabella die Tragödie nicht vorhauden, da 
fie ohne Schuld iſt ). Auf die ſchon oben berührten Verſuche 
der modernen Kritiker, ihr irgend eine Schuld anzudichten, wird 
immer zu antworten jein, daß diefe Schuld vom Dichter nicht 
in ihr Bewußtſein verlegt worden fit, und daß wir fie deshalb 
als eine folhe nicht anerkennen dürfen. Hoffmeiſter's kurzes 
Bort: „Sie hätte das Unwürdige von ihrem’ Gemahl nicht ertra: 
gen jollen“, erörtert Palleöfe, indem er ihr „Läßlichkeit“ wor 
wirft, „welche die wüſte Zerfallenheit der Yamilie, Die ſchmach- 
volle Ehe nicht von Grund aus zu heilen ftrebte”. Uber wo it 
das von Sch ald ein Motiv angedeutet worden? Der Leſer 
gedulde ſich einen Augenblid. 

Sch. mußte bei der Schöpfung des Drama's überall fühlen, 
wie viel gimftiger die Stellung des antilen Dichterd folchen 
Stoffen gegenüber war, wenn im Herzen des Zufchauers fchon 
dad Bangen vor ben ewigen Bergeltungen ded Schickſals und 
vor der wunderbar geheimnißvollen Macht waltete, die unfere 
armen Erdengeſchicke oft fcheinbar willkürlich, immer unwider 
ſtehlich leitet, Die von uns ftet3 Die volle Hingabe an dad Gute 





) Rain wird bied audgebrndt in bem fehr lesbar und lebendig gejchriebenen 
Bude: Melpomene oder über das tragifche Imterefie von M. Enk, Wien 1827, 
p. 112: ‚Man weiß garnicht mehr, was man denken foll, wenn Sfabella, 
die man doch für eine gute Chriftin halten muß, dann wieder im firengften Ernfte 
des Affects in bie Worte außbricht: Alles dies erleid' ich ſchuldlos u. |. m." 

J. 7 


98 Braut von Meffina. 


verlangt und und doch jelbft faſt unvermeidliche Fallftride legt, 
und wenn dieſes Bangen bei dem Namen eines jener hehren 
Geſchlechter, deren einfame’Häupter Aurora mit den ewigen 
Strahlen berührt, aber much die Blike furchtbarer treffen, leben⸗ 
diger, tiefer und feierlicher erwachte. Aehnlich ſpricht fi, in 
feiner vortreffliden Abhandlung, Palledte aus: „Es ift nicht zu 
leugnen, daß die B. v. M. bei allen glänzenden Borzügen einiger: 
maßen den Eindrud des Künftlihen madt. Sch glaube, der 
Grund liegt in dem frei erfundenen Stoffe. Gerade bei einem 
Drama, wo der Schwerpunkt im Gange der Handlung Tiegt, 
ſollte vielleicht Die Handlung den Charakter des wirklich Ge⸗ 
ſchehenen ſchon in den Namen der Perfonen an ſich tragen, 
wentgftend müßte die gejchichtlihe Umgebung mit mehr Be- 
ſtimmtheit gezeichnet fein, als ed bier geichteht. Die Linien, 
aus welchen man fi die Situation geftalten muß, find in 
wenige Zeilen des Chor verftedt, und dadurch erhält die Grund⸗ 
lage des Stückes eine Unficherheit, welche bier am wentgften 
fühlbar fein müßte.” Wir glauben jhlieglih, Sch. hat ſich bie 
Wirkung einer fo reinen und hehren Prachtgeftalt, wie ST. ift — 
„wie fie mit ihren Söhnen blühend ben Kreis bes Schönen 
ſchließt“ — auf den Zufchauer, in weldyem der Dichter für das 
Erfte nur ſehr jelten einen Mitdenter zu fürdten bat, nicht 
entgehen laſſen mögen. Ober, um diefem Gedanken die Außerlihe 
Berechnung des Effektes zu nehmen, des Dichter Phantafie hat 
von der Sdealgeftalt des hohen Weibes nicht Iaflen und nicht 
abfallen mögen — wie ftänbe es mit ber herrlichen Eröffnung 
des Stüdes, wenn an Sf. irgend eine moralifhe Schuld 
Mebte? Steht man näher zu, fo bemerkt man, daß auf ber 
vollen moraliihen Schuldloſigkeit der Mutter das 
Schönfteim Drama beruht, das Verhältniß der Söhne 
und Beatrice's zu ihr, denen fie wie ein höheres We» 
fen gegenüberftebt. Die reine Liebe, die alle in biefem 
Sinne mit einander vereint, die reinen Worte des Muttergefühles, 
welche ihrer Wirkung in jedem Herzen ficher find, wären un⸗ 


Braut von Meifina. 99 


möglich gewefen. Der nüchternen und in dieſer Nüchternheit 
eigentlich Doch widermwärtigen SZolafte”) hat Sch. ein Ideal ber 
fürftlihen Frau und der Mutter gegenüberftellen wollen mb 
it dadurch freilich wohl in unleugbare Widerfprüche gerathen 
mit fi (wie wir unten fehen werden) und mit dem antikifiren- 
ben Geifte ded Ganzen; der beutiche Leſer aber, wenn er nicht 
mit dem linken Auge ftet8 die Paragraphen des äfthetiichen Ge⸗ 
fepbuches durchfliegt, wird verſucht fein ihm recht zu geben. 
„Ein entzüdendes Gemälde der Mutterwürde” nennt es Hoffmei⸗ 
fter. Wir möchten geradezu behaupten, baß die Geftalt 
Sfabella’5 ein Hauptmotiv zur Schöpfung des San: 
zen gewefen tft. i 

Indem wir fefthalten, daß die Schuld der Perfonen im 
Stüde felbft ihre Beranlaffung immer wieder in ber Urſchuld 
vor demjelben hat, erörtern wir fie näher. „Man bat gefagt, 
ſchreibt Palledte, daß alle Perfonen in der Braut unfchuldig 
fein. Sc. hatte freilich ein jehr zartes Gewiſſen. Aber mid) 
dünkt, die Schuld wäre gar nicht jo zart.“ Nun ftellt er bie 
Urfhuld dar. Dann fährt er fort: „Der Bater ftirbt. Aber 
noch vor feinem Tode hat Don Manuel ohne Einftimmung der 
Alten einen Liebesbund gefchlofien, von dem er jelbft verräth: 
„&8 brauchte weiter keines Menſchen Dienſt“. Beatrice, feine 
Geliebte, hat fi ihm leicht und unbeſonnen ergeben ... Noch 
mehr, Beatrice wiederholt die Schuld ihrer Mutter, wie Don 
Mannel die des Baterd. Auch fie bat ſchon ein Geheimniß vor 
Don Manuel. Ste war bei des Fürften Leichenfeier im Dome 
und hatte dort eine Begegnung, welche fie dem Gatten nit 
verbergen durfte. Ich will die Handlung nicht weiter verfolgen. 


*) „Ramentlich fteht Sokafte in 'ganz anderer Gemüthönerfaffung ihrem ebien 
Gemahl zur Seite. Sie lebt, ohne eigentlich ſchlecht zu fein, dem Genuß des 
Angenblicks und ſncht etwaige Störungen ihre® GBlüded auf bie leichteſte Urt 
Hinwegguräumen. Der rüädfihtölofe fittliche Exnft des Debipus ift ihr fremd; 
fle begehrt nicht die Wahrheit, fondern behaglichen Genuß.” Schneidewein und 
Aiund p. 21. 22. 

7 ® 


100 Braut von Meffina. 


Daß diefe Perſonen vollkommen frei handeln, wird jeder Leſer 
zugeben, fo wie, daß fie nicht jchulblos find.” So ohne Wei-- 
dered doch nicht und beſonders wicht auf Grund einer fo flüd: 
tigen Skizzirung der wichtigften Dinge, wie die vorliegende ift. 
Auch Sch. felbft wiberfericht, indem er Don Ceſar am Schluß 
des Ganzen von Don Manuel jagen, läßt 

Doch ich, der Mörder, folte glücklich fein, 

Und deine beil’ge Unſchuld ungeräcdet 

Sm tiefen Grabe liegen? 

Aber allerdings, im Stüde werden die Perſonen fchuldig. 
Wir müflen bier zuerft noch einmal auf Sjabella eingehen, von 
deren Schuld fchon bei der allgemeinen Erörterung diejer Yrage 
die Rede geweſen tft. Sollte man die Bemühung, durch genaues 
Nachrechnen darüber in's Klare zu kommen, für unnüp erklären, 
fo möchten wir und mit einem Worte Sch.'s (angeführt von 
Zillgenz „Ariftoteled und das Deutihe Drama” Würzburg, 
Thein, 1865, p. 15) kurz gerechtfertigt haben. Er jchreibt unter 
dem 11. März 1795 an Goethe: „Sobald mir einer merken läßt, 
ihm in poetiicher Darftelung irgend etwas näher anliegt, als 
daß die innere Nothwendigkeit und Wahrheit, jo gebe 
ich ihn auf”. 

Wir nehmen an, daß der Zuſammenhang und die Baujal: 
verbindung zwiſchen Schuld und Leiden oder Strafe dem mo: 
dernen Gefühl unentbehrlih find. Davon eriftirt auch in ber 
That nur eine Ausnahme, nämlich die, wo ein irdijched, unver- 
jehuldeteß Leiden um einer höheren Ideen willen ertragen wird; 
da leidet Einer wohl für Zaufende (Oed. Eol. V, 498 f.), aber 
— indem er die Schuld aller andern auf fi nimmt und fie zur 
jeinigen macht. Davon iſt jedoch bei Sfabella nicht die Rebe. 
Sehr merfwürbig zeigt fi nun die von und behauptete Noth: 
wendigfeit einer Annahme urfächlicher Verbindung und gerechter 
Abwägung zwiihen Schuld und Strafe für den modernen Zu- 
Ichauer darin, daß fämmtliche, befonbers ältere Kritiker 
wetteifern, der Sjabella eine Schuld anzudichten — 


Braut von Meifina. 101 


bei Rönnefarth, defien Schrift über bie Braut von Meffina 
(Leipzig 18... bei Dyf) wir allerdings nicht zu würdigen wifien, 
fteht Die Fürſtin mit Verbrechen bedeckt da. Und ähnlich tft es 
auch bei Dedipus. „Hatte Debipuß eine Schuld auf fich geladen? 
Und wenn dieß, wo begann bie Schuld? worin beitand fief — 
Wohl die am metften umftrittene Yrage von allen, die über bes 
Sophofle® Theologamena (d. i. Anfihten vom Göttlihen und 
Sittlihen) erhoben worden find?” So fchreibt Dronte (p. 72) 
— und Sch. ſollte nicht ähnliche Genauigkeit der Unterſuchung 
fordern dürfen? Obwohl fi nun bei Debipus viel leichter eine 
Schuld auffinden läßt, wenigſtens überhaupt ſchuldige Thaten 
und eine leidenfchaftlihe Charakteranlage und gleich entgegen; 
treten, jo iſt doch der Eindrud der Furchtbarkeit ded über ibn 
verhängten Leidens ein-fo erjhlitternter, daß dad Verhaͤltniß 
zwiſchen Schuld und Reiben verſchwindet und der Leſer zuftimmt, 
wenn Dronte (p. 76) weiter jagt: „In Betreff diefer Tra⸗ 
gödie müflen wir freilich dem faft allgemeinen Urtheil der Kunſt⸗ 
kritiker — und es war dies ja auch wohl dad Urtheil ber alten 
Athener — beipflihten, daß ihr Schluß nicht daß volle Gefühl 
fittlicher Befriedigung hervorruft. Der Schwerpunkt diejer Be 
friedigung Hegt eben jenfeitS des Königs Oedipus“. Nämlich; 
im Dedipus Eolonend. (Dies fest jedenfalls höchſt geiftvoll 
auseinander die Schrift des Grafen Baul Hort von Bars 
tenburg „Die Katharſis des Artftotele® und der Debipus 
Coloneus des Sophokles“ Berlin, W. Herb, 1866). Wohl des⸗ 
halb hatte Sophokles mit dem König Dedipus im tragiſchen 
Wettkampf nicht den erſten Preis errungen. 

Indem wir alſo vorläufig feftftellen, daß die Kritik, indem 
fe für Oedipus und Sfabella unabläffig nad einer Schuld ſucht, 
fo viel an ihr liegt, mitbeweift, wie tief das Bedürfniß ber ger 
rechten Abwägung von Schuld und Leiden, wenn ed ald Strafe 
auftritt, in uns tft, rhipfen wir Daran bie Bemerkung, in wel: 
Gen ferneren Conflict mit dem modernen Bewußtſein Sch. da⸗ 
durch gerieth, Daß er unferm Theater bie „idealiihen Masten“ 


102 Braut von Meffina. 


des antifen wiedergeben und von einer tieferen Entftehung und 
Entwidlung der Thaten und felbft der Creigniſſe aus den Cha⸗ 
rakteren heraus für dieſes Mal abjehen wollte. Da nämlich die 
Anbaltepuntte, welche Sch. jelbft giebt, um Iſabella eine Schuld 
aufzubürden, doch gar zu dürftig und den Schlägen bed Schick 
fal8 unproportiontrt find, jo bat die Kritik wieder raftlo8 ver- 
fucht, der Yürftin die „ivealiihe Maske“ abzunehmen, durch haar: 
Iharfe Erörterung ihres Charakters dem inneren Zufam: 
menhange ded Ganzen näher zu kommen und die Nothwendigkeit 
ihres ftrafenden Leidens nachzuweiſen. D. b. Zufchauer wie Kri- 
tifer erſtrehen unaudgefegt die Vermittlung zwiſchen Charalter 
und Schidfal, die der Dichter ber ganzen Anlage und Sphäre 
des Stückes nach weniger hervorhob. 

Noch immer hat die Kritik fich nicht entichließen können, 
ed mit Sch. fo genau zu nehmen, wie mit den Alten ober we- 
nigftend wie mit Goethe. Oder darf man ed etwa mit einem 
Dichter und bejonderd mit Sch. überhaupt nicht jo genau neh: 
men? Mit einem Dichter, der zugleich einer- der feinften und 
Ihärfften Denker der Nation gewefen tft, und zwar gerade auf 
dem Gebiete feiner eigenen Kunft? Der und durch die „Briefe 
über Don Carlos” und durch feine Recenfion ded „Egmont“ 
beweift, daß er wünjchte, daß man feine eigenen Stüde durch⸗ 
bäcdhte, wie er mit denen der andern that"? Warum muß die 
Kritil für Sfabella eine Schuld mit den Haaren berbeiziehen? 
Und warum erflärt fie nicht lieber, weshalb und in weldem 
Sinne der Dichter Iſabella eine jo energiihe Unſchuldserklaͤrung 
in den Mund legt? Warum verſchmäht fie es, das Schlußwort 
bed Stüdes in feiner Bedeutung für die einzelnen Perjonen des 
Stüdes nachzumeljen, und wenn fie alle unjchuldig find, worauf 
bezieht es fich, für wen hat ed Geltung? Wie konnte der Dichter 
wagen, eine jo naheliegende Combination zwifchen dieſem Schluß: 
wort und der Erflärung Sijabella’8 im Gemüthe des Zujchauers 
zu provoeiren, wenn nicht ein tieferer Zuſammenhang den ſchein⸗ 
baren Widerfpruch auflöfte? Kann der Zwed des Stückes ein 





— —— = 


Braut von Meffina. 103 


anderer fein, als zu zeigen, daß es eine fittlihde Macht, bas 
Schickſal, giebt, welches die gejtörte Harmonie des Weltenganges 
tächend wieder berzuftellen weiß, und auf bie hervorragendfte 
Perſon ded Ganzen follte diefer Zwed nicht pafien? Wie leicht 
wäre e8 Sch. gewejen, diefe Schuld von Iſabella audzujagen, 
wie er fie von ihrem Haufe im Allgemeinen ausſagt, wie viel 
Mühe, wie viel Mißbehagen hätte er und erſpart! Wir for: 
bern ben unbefangenen Leſer auf, fi zu fragen, was 
er denken würde, wenn Marie Stuart [id am Ende 
des Stüdes, dicht vor ihrer Hinrihtung für voll: 
tommen unſchuldig erflärte, oder wenn an die Stelle des 
mit Pulver in die Luft geiprengten Gatten, ein Hirngelpinnft 
von Heimlichkeiten träte? Und wo hat der Dichter auch nur 
an einer einzigen Stelle ein innerliches Schuldbewußtjein der 
Fürftin angedeutet, während Marie Stuart ihre Schuld auf 
jeder Seite anerfennt? 

Im Anſchluß an das, was wir oben über bie Schöpfung 
dieſes ganzen Charakterd gejagt haben, müſſen wir audfprechen, 
daß wir eine innere Löfung nicht kennen, daß aber eine ſolche 
bisher auch noch nicht gegeben tft. Wir können eben nur bie 
äußere Löfung bieten, bag Sch. mit der Geftalt Iſabella's Vieles 
und nicht zu BVereinigended bezwedt hat. Er bat eine weib- 
liche Spdenlgeftalt fchaffen wollen, durch moraliihe Schuld aber 
wäre bieje in fich vollftändig zerftört worden. Darauf weiſen 
die oben omgeftellten Betrachtungen bin, darauf auch die Art, 
wie die hehre Ericheinung der Mutter durch das ganze Gedicht 
bindurch von den Kindern gefeiert wird (f. u. die einzelnen Stel: 
len). Bielleicht ſchwebte Sch. dabei aus feinen Afchyleifchen Stu- 
dien Kiytämneftra’3 oder aus den Scenen ber Phönicierinnen 
Jokafte's Erfcheinung vor, die dort edler als bie ſophokleiſche 
erſcheint, vielleicht — bat er jelbft daran gedacht, ber Iphigenie 
ſeines Freundes (1786) das gewichtigere Ideal der Mutter an die 
Seite zu ftellen. Auch Züge, die dem Mannescharakter des Debdi: 
pus angehören, erjcheinen dunkel wieder; Iſabella zeigt in ihrem 


104 Braut von Meſſina. 


Schlußworte eine Art von Troß, der mit dem jonftigen Ge⸗ 
mälde ihres Weſens ſchwer zu vereinigen Hit. Dann aber hat 
Sch. an ihr bie unbedingte Unnermeiblichkeit der Schickſalsveran⸗ 
ftaltungen zeigen wollen. Die allgemeine Schuld bes Haufe: 
zieht auch die mit fort, die GOutes gewollt Haben. Denn welchem 
Zuſchauer, oder beflen, welcher Zuſchauerin non Fleiſch und Blut 
kann man einreden, daß Iſabella unrecht gethan habe, als fle 
ihr Kind dem finftern Tyrannen, ben robe Gewalt zu ihrem 
Gemahl gemacht hatte, zu verfteden und zu entreißen fuchte _ 

Den Beweid, warum dieſe verjuchte Idealſchoͤpfung — nad) 
unferer Anfigt — mißlang, können wir erft unten vollftändig 
zum Abſchluß bringen. 

Indem wir nun zu den andern Perfonen des Stückes über: 
gehen, müfjen wir zuerft einen peinlichen Punkt berühren. Der- 
Dichter hat fich wicht geiheut, eine Ehe zwiſchen Bruder und 
Schwefter voraudzufegen, wenn er dad auch unter fo dunkeln 
Ausdrüden verſteckt, daß manchem unbefangenen Zufchauer und- 
jelbft Xefer darüber fein volles Bewußtſein wird, oder daß ſogar 
Kritiker in der Selbſtanklage Beatrice's ein leeres Spiel des 
Dichters haben ſehen wollen (ſ. Hoffm. V, 78). Abgeſehen von 
der eben aus Palleske angeführten Stelle und dem bier recht 
bäßlihen Ausdrude Don Manuels von der „Liebe goldner Frucht“ 
fpricht der Chor geradezu von „dieſer Ehe jegenlofem Bunde” 
und enticheidend ift doch wohl Beatrice's, wie es fcheint über: 
fehenes, Zeugniß jelbit: „If Died Don Manuel, mein Satte, 
mein Geliebter?“ Wir fürchten, daß ber Dichter hier über Die 
Grenzen bed für dad moderne Gefühl Erlaubten hinäusgegangen 
ift und möchten hierin einen ungünftigen Einfluß des freilich 
noch Grauſigeres bietenden antiten Stüdes erfennen. Wir 
glauben auch, daß die Zeit, wo die Bühne ſolche Unnatürlich⸗ 
teiten zur Erregung tragilcher Stinmung gebrauchte, vollftänbig 
vorüber ift. Auch hier bleibt übrigens allerdingd ein Zweifel, 
wenn man an JIſabella's Worte denkt: „Und fittlieh ſelbſt blieb 


“ 


Braut von Mefftna. 105 


"ihre Leidenichaft.” So viel wir jehen, hat fein moderner Kritiker 
dieſen Widerſpruch berzorgehoben ‘). 


E 


) Hrffmeifter und Palleſske nehmen chne Weitere baflelbe an, wie wir; 
Derlinger erliert Don Manuel für ſchnldlos mit den Worten: „Wir fehen ihn 
auf dem Wege, den Begenflanb feiner kenſchen Liebe zur rechtmäßigen Gattin gu 
machen”. Es Itegt ums nicht daran, bem Dichter eine wiberwärtige Beranftaltung, 
eınen und Moderne ohne BWeitered empärenben Gedanken aufzubrängen — eB 
fragt fich nur, wie erflärt fich zuleht das Schlußwort bed Stückes? Oder will 
man ein ſolches Wort, nach ſolchen Scenen des Entfetzens, in der That auf Die 
Hirngefpinufte und Spinnengewebe der „Heimlichleiten” umb „Lüßlichkeiten” au⸗ 
wenden? Unb wo bleibt die Wirkung der Leibenfchaftlicgkeit, bie auch Beatrice . 
and Den Manuel augeberen iſt und die ſchließlich doch die eigentlihe Schuld 
des Sterblichen iſt! Bor Allem aber hat Sch. felbft in jeben Falle zur ſchlimm⸗ 
ſten Auslegung durch feine Ausdrucksweiſe Beranlaffung gegeben; man vergleiche 
ur mit @erlinger'd burgerlich wüchternen Worten bie Schilderung bed Dichters 
non ter erfien Vegegnung Don Nauuel's und feiner Geliebten. Indem wir ber 
Unfiht bleiben, baß der Geiſt des Ganzen, wie ber Begriff der Schuld und Strafe 
die Ehnld Den Manuel's äfthetifch fordern, bieten wir dem Aefer völlig unpar- 
tBetiich die Mittel zur Eutſcheildung. Man macht und darauf aufmerffam, daß in 
Der That die Perſonen bed Stückes den Auspruck „Batte” ſynonym mit „Bellebte” 
„Bram“ verwenden. Sehr bebenflich ift aber hoch die Stelle, an welcher, und 
die Wucht, mit welcher der Ehor dad Wort vom „fegenlofen Bunde der Ehe“ 
fpricht und jebenfalld doppelter Auslegung fähig ift die Stelle, wo Den Manuel 
bei der Erzäflımg de Diego plöglich fagt: „Blüdfelig Wort, das mir das Herz 
befreit“. Man nehme an, bad Verbältnih ſei unſchuldig, je erwartet man von 
Don Manuel eiwa ben Außbrud der Greube, vor dem Gräßlichen bewahrt zu 
fein und feinen Danf gegen das gütige Schickſal, welches noch rechtzeitig bie Ent- 
deckung herbeiführt. Darauf paßt, im Munde eine fo reinen und feujchen Den- 
Tchen, der Ausdruck: Gückſelig Wort, daB mir das Herz befreit" wie bie 
Sauft auf das Auge. So fügt man denn etwa hinzu: „Den Manuel lebt und 
webt in feier Liebe. Der Gebante, feine Beliebte jet feine Ehwehter und fo der 
Befig berfelden unmöglich für ihn, bedradt ihn währenb ber Erzählung des Die- 
ners mebr mb mehr, endlich aber glaubt er fdjliefen zu bürfen, fie fei «8 nicht 
wud jericht mum die obigen Worte‘. Für uns begimt Bier bie äſthetiſche Rohheit, 
denn eine folche iſt es, zu glauben, daß Semanb in bem Uugenblid, wo er erfährt, 
daß er feine Schweſter zu feiner Gattin zu machen in Gefahr wer, dieſe Leidenfhaft 
werfifiren läßt. Dann wirb doch wenigftens ſehr unwahrſcheinlich, daß eine 
Leidenſchaft biefer Urt tm Anfange und Bid dahin rein und keuſch geblieben ſei, 
beſonders nach einer erften Begegnung, mie Sch. fie fo ausführlich ſchildert. Es 





106 Braut von Meifina. 


Wie dem auch ſei, nach unferem Gefühl ift diefe abftoßende 
Beranftaltung des Schiefald unumgänglich nothwendig, um den 
Mord des Don Manuel erträglich zu machen. So tft er doch 
eine Sühne und,- wie wir bald fehen werden, ift Don Manuel 
der Schweiter gegenüber auch nicht bloß in die Yallftride des 
verraͤtheriſchen Schiejales gefallen. Diefe Ehe erft läßt bie 
&riftenz ded einen der Beiden, Die fie gefchloffen haben, un: 
möglich erjcheinen. Der Dichter entläßt und am Schlufie mit 
dem bräuenden und in jedem Herzen den tiefiten, beängftigenbd- 
ften Widerhall findenden Worte 

ber Webel größtes aber ift Die Schuld 
— denn wo wäre unter und ein Schuldlofer? — und man will 
die Schuld vollftändig aus dem Stüde hinwegdeuteln da, wo fle 
ift, und hineinzwängen da, wo fie nicht if? Man ift allerdings 
dem gewundenen Sange befjelben biöher noch nicht jcharf genug 
gefolgt. 

Don Ceſar wird dadurch zweimal fchulbig, Daß er, am hei: 
ligen Orte, beim Leichenbegängniß des Vaters, in ftürmijcher 
Leidenjchaft der Liebe entbrennt und dann blindlings den Bruder 
erfticht, in welchem er einen lügnerifchen Verräther zu erkennen 
glaubt. Auch jeine Erijtenz wird, zumal als er die Yaljchheit 
jeiner Beweggründe einfieht, zu einer Unmöglichkeit. Er fucht 
im Tode die Vergefienheit graufiger, nicht gewollter Thaten und 
zugleich die Sühne derfelben, die Don Manuel, glüdliher als 
er, durch Die Hand eined andern gefunden hatte. 


ſcheint und aber bem Geiſte und auch ben Gange bed Stückes angemefjener, daß 
Don Manuel, im Bewußtſein des Beſitzes der Beliebten, aufathmet und dem 
Schickſal dankt, welches ihn vor dem Bräßlichiten bewahrt — zu Haben [cheint, 
wie ja auch Sfabella, Öfter ald er, ſolche ironifchen Enttäufchungen durch das 
ſcheinbar günftige Schtefal erlebt. Man Iefe die Scene nad; Don Manuel's 
Haltung tft bie eines Menſchen, der im Schulbbewußtfein Entfegliches über fich 
tommen fiebt, aber es ift dem tragijchen Gehalt unangemefien, in diefem Entjeg- 
lichen die Unmöglichkeit einer Heizath zu erfennen. Für und wäre das in ber 
Zragöbie umter jeder Bedingung komiſch. S. au „Aus Stäbler$ Nachlaß“ von 
2. Rudolph, C. Golbbeck und E. Mäpner. Berlin 1865. p. 9. 





Braut von Meifina. ® -107 


Beatrice endlich theilt die Schuld mit Don Mannel. Ob: 
wohl fie weiß, dab ein Geheimniß über ihr waltet unb ahnen 
unb, Daß fie ‚außerordentlicher fittliher Kraft bedürfen wird, 
am der verbüllten Zukunft gegenübertreten zu fünnen, giebt fe 
ſich leidenſchaftlich und leichtſinnig hin und widerfteht den feltfam 
dunkeln Lockungen nicht, die fie treiben, vorzeitig in irgend einer 
Weiſe den Bann zu brechen, der fie umgiebt, aus dem fie Doch 
aber eine günftige Löfung erwarten darf. Eine Situation, in 
der freilich eben fo viele Entichuldigungen ber weiblichen Schwäche 
begründet find. Sc. hat auch wohl abfichtlich die vernichtende 
Strafe auf die Seite der aktiv Schuldigen geftellt; die palfiv 
Schuldigen überleben. 

Sn einer Tragödie, in welcher dem Schidfal oder den lei: 
tenden Mächten bed Menichenlebend die Hauptrolle zuertheilt tft, 
jo daß es faft allein handelnd, ja ummittelbar eingreifend er- 
ſcheint, muß die Charakteriftif der einzelnen Perjonen zurüd: 
treten, und daß died in der antiken Tragödie in der That ge: 
ſchieht, Hatte Sch. felbft erkannt, wenn er an Goethe fchreibt 
(Goffm. V, 94), dat die Charaktere des griechiichen Traueripiels 
mehr oder weniger idealiſche Masten und feine eigentliche In: 
dividuen feien, wie bei Shafefpeare oder Goethe. Sch. jelbft 
firebte aber von Natur ſchon mehr nach der Iyrifhen und dra⸗ 
matiſchen Darftellung "allgemeiner Gedanken und nad ber 
Schöpfung von Idealen, ald nach einer Eharalteriftif im Ein: 
zelnen, bie dem Geifte des ganzen 18. Sahrhunderts fern lag, 
obgleich Sch. auch in dieſer Beziehung doch reicher gewejen ift 
als die Kritik, einer einmal gefaßten Anficht über fein Weſen 
zu Liebe, es gelten Iafien will. So entjteht ein Unterſchied 
zwiihen der antiten und modernen oder eigentlich der ſhakeſpea— 
riſchen Tragödie. In der erften wird dad Walten des Schidjals 
und einer ewigen vergeltenden Gerechtigkeit an leidenden Men⸗ 
ſchen dargethan, die durch fchwere Berirrungen blinder Leiden: 
ſchaft die Strafen der Götter auf fidh ziehen; in der anderen 
kämpft die bewußte menfchliche Freiheit, gleichviel ob fie Das 


108° ® Drant von Meffina. 


Böfe oder dad Gute will, gegen feindliche Mächte des Lebens, 
die fich der Idee (Poſa, Jungfrau, Marta Stuart, Richard II, 
oder dem Egoismus (Wallenftein) ver Helden wiberfegen, ein 
Kampf, welcher zulept allerdings auch ein titantiches Ringen 
gegen das Schickſal wird, da die Fügungen der Geſchicke von jo 
zahllofen Einflüffen aller Art abhängen, daß ſie fich zuletzt Doch 
der Beitimmung des Einzelnen völlig entziehen. Es tft wohl 
zu beachten, daß eigentlich beide Mal ein Kampf mit dem, was 
man and beide Mal Schickſal nennen kann, ftattfindet; ber 
moderne Dichter fucht Died jedoch zurüdzubrängen, in den all 
gemeinen Cauſalnexus der Handlungen zu verlegen ober durch 
- andere geiftige Kräfte, welche denen bed Helden machtvoll ent- 
gegenwirken, gu erfeßen, obwohl zuletzt freilich über den Zufall 
des Gelingen und Mißlingens eine höhere Yügung entſcheidet, 
die wir ald im Bunde mit dem und eingeborenen Gefühle der 
Gerechtigkeit annehmen und ohne melde e8 eine Tragödie, wie 
wir dies Wort jest auffaflen, wohl nicht geben würde. 
Während der moderne Menſch, durch ploͤtzliche und unver: 
vermuthet eintretende Wendungen der Ereignifie, die gerade Das 
Unwahrfcheinlichfte wahr machen und des Mugen Rechenmeifterd 
fpotten, erjchüttert und belehrt, dad Walten des Schidjald ahnt, 
(äßt der antike Dichter baflelbe halb jogar aus dem Dunkel her: 
vortreten, und das zeigt fich beſonders darin, daß er ihm eine 
Stimme verleiht. Es ſpricht geradezu feinen Willen aus, es 
warnt und droht in Träumen, Vorbedeutungen, Orakelſprüchen; 
es läßt fich anrufen, ja feftbannen durch Flüche. Dieſe ganze über: 
natürliche Welt tit aus der Tragödie des modernen Geiftes verwie- 
fen, höchſtens daß fie ſymboliſch oder zur poetifchen Ausſchmückung 
herangezogen wird. Doch entfteht dieſer Unterjchied nur eben Durch 
die. verfchiedene geiftige Anlage ber Menſchen, weldhe den Stoff 
ber beiden Tragddien geben. In beiden rufen Thaten das 
Schickſal auf, in ber erften aber find es fast immer Thaten der 
Leidenſchaft, oft geradezu der Sinnlichkeit, dann des Zorneß, der 


Braut von Meifina. 109 


Nabe, mit denen fi Ehrgeiz und Herrichlucht mehr nur ver: 
‚binden. Solche Thaten find die des Laios, Dedipus, der Klytäm- 
neftra, bed Drefted, der Medea, des Phädra. Die Leibenfchaft 
aber ift Die dunkele Seite im Gemüthe des Menfchen, die ihn 
bald fo vollſtändig beberricht (fie entzüde oder fie martere ihn), 
daß fie ihm wie eine außer und über ihm waltende Macht er: 
iheint, der er erliegt. Wahrli der Weg von bes finnlihen 
Leidenfhaft der Liebe bis zur Schöpfung ber Liebeögottheiten, 
welche die riechen fo oft ald übermächtige und zürnende barftellen, 
war nicht weit. In der zweiten Art der Tragödie handelt es ſich 
um eine geiftige That, die aus einer reichen Gedankenwelt er- 
wächft und die fich ein bewußtes Ziel ftedt, welchem dad Leben 
und alle andere Güter im Boraud geopfert find. Der Böfe 
kann dad eben jo ſehr wie der Gute, aber da der Böſe in feiner 
Ziefe doch ſich jelbft nicht kennt — „fie wiflen nicht, was fie 
tbun“ —, ſo bleibt in ihm ein geipeufttiched Element; das Böfe ift 
ein fremder Saft im Menſchenherzen, und auch die moderne Tra⸗ 
gödie verfehmäht ed nicht, bier’ die däaͤmoniſchen Mächte einer 
anderen Welt wieder zu beleben. So in der Jungfrau, Macbeth, 
‚Richard ILL, Franz Moor, Wallenftein. Berjchwunden aber find fie 
aus der Tragödie des nach dem Guten ringenden Dienjchengeiftes, 
ber dem Ideal der Freiheit und Humanität auf Erden und unter 
jeinen leidenden ober verbiendeten Brübern eine Stätte bereiten 
will. Die beiden großartigften tragifchen Werke des Alterthums 
Pometheus und Antigone bilden dazu den Uebergang. Go wäre 
denn die eigentliche Fundſtätte der moderuen Tragödie in der 
Geihichte und bejsmderd in den Zeiten des Reformation und 
Revolution zu fuchen. Dem Altertum aber ift es nicht einge: 
fallen, feine geſchichtlichen Helden, jeine Agis und Cleomenes, 
jeine Tiberius und Cajus Gracchus, auf die Bühne zu bringen. 
Und weil in der neueren Tragödie der Menſch jelbft jein Schiefal 
will und ſich nach der Anlage jeined geiftigen Strebend jelbft 
feine Stätte bereitet, jo tft Mar, daß das moderne Drama bie 


110 Braut von Meſſina. 


tieferen Charaktere eben fo ſehr ſucht, als fle ber antiken entgehen. 
Diefe Betrachtungen ftellen und auf ben Boden, aus den Sch.'8 
Stud emporgewachſen ift. 
„Es ift unenblidy bewundernswürdig“, ſchreibt Humboldt am 
Sch. (Hoffm. V, 95), „und ich habe es eigens ſtudirt, mit wie 
wenig Zügen Sie beide Brüder fo feſt charakteriſtrt haben, daß 
jeder nur auf feine Weiſe die Zufchauer affictren kann, ebenfo- 
die Mutter und Beatrice.” Wir machen nody darauf aufmerf: 
fam, daß eine forgfältige Charakteriftit die Mutter von den 
Söhnen und ber Tochter trennen muß. Sc. felbft bat fie 
durch Die hehre Art, wie er fie dem Volke erfcheinen IABt, durch 
die hohen Preilungen, die ihr nicht nur aus dem Munbe der 
Tochter, jondern auch der feindlichen Brüder zu Theil werben, 
über die anderen Seftalten des Stüdes hinausgehoben. Waͤhrend 
bie Kinder alle drei etwas von dem gewaltthätigen, finnlich lei⸗ 
denſchaftlichen Weſen des Vaters an fih tragen, tft die Mutter 
entichteden eine in fich ruhige Natur, wie fte jo oft — wenig- 
ftend hat der moderne Roman das hundert Mal geſchildert — 
SGegenftand der Leidenschaft für finnlidhe Menſchen find. Mit 
vieler und vielleicht nicht genug gewürdigter Yeinheit hat Sch. 
die Stellung der Haupttheilnehmer der Handlung zu einander 
geordnet und einerſeits die Naturwahrheit der bdargeftellten. 
menfchlichen oder befier Yamtlienverhältniffe erhöht, andererfeits. 
die Stellung der Einzelnen zum Schidjal ſchattirt und tiefer- 
begründet. „Ded Baterd eignen Sinn und Geift erfenn’ ih — 
Sn meinem erfigebornen Sohn! Der liebte — Bon jeher, ſich 
verborgen in fich jelbft zu fpinnen —“ fo charaktertfirt Sfabella 
Don Mameel, den fie fpäter, freili in ber Aufwallung bes 
entjeglicäften Schmerzes, als fie ihn von dem Bruder ermordet 
weiß, ihren „beſſern Sohn“ nennt, vielleicht weil diefe in dem. 
Sohne mit Milde gepaarte Ruhe ihrem eigenen Weſen doch nodh. 
mehr entipriht. Im Gegenſatze dazu Steht Don Cefar, in wel: 
hem, auf einem urfprünglich ritterlichen, zur Offenheit ftür- 
milch hinwogenden ©runde, die Kräfte der Leidenſchaft fi am. 





Braut von Meifina. 111 


freieften entfalten. Don Mannel felbft ſpricht von des Bruders 
„wildem Sinn, der unbezwungen ftetd geblieben” und der eben 
angeführten Schilderung Don Manuel's durd die Mutter ent 
gegnet Don Eefar: „Richt meine Weiſe iſt's, geheimnißvoll — 
Mich zu verhüllen, Mutter. rei und offen, — Wie meine 
Stine, trag’ ich mein Gemüth.“ Ihm möchte eher die unrnhige 
Beatrice ähnlich fcheinen und, wie jo oft die Segenfäge fich an- 
ziehen, tft fie Don Manuel zur Seite geftellt. Dies Geſetz bed 
Gegenſatzes zieht alle drei, denn auch Don Mamuel iſt finnlid, 
leidenfchaftlich, zu dem ruhevollen Weſen der Mutter hin. 

Eines fteht nun feft, ſtürmiſche og verhaltene Leidenſchaft⸗ 
Iihleit und Sirmlichkeit ift der Grundzug aller biefer Charaktere. 
Abgeſehen von dem wilden Hafle der Brüder, genügt ed, bie 
Weiſe in’d Auge zu fafien, wie ihte Liebe zu Beatrice entfteht 
und wie diefe Don Manuel ſich hingiebt. Der Dichter bat das 
auf jeder Seite durch die Handelnden felbft audfprechen laſſen. 
Don Manuel fieht Beatrice zum erften Mal und: „Allee Maß 
der Zeiten war vergeflen — Tief in bie Seele drüdt fie mir den 
Bid, — Und umgewandelt fchnell tft mir dad Kerr." So 
ipriht andy Beatrice: „Wo waren die Sinne? — Was hab’ 
id gethan? — Ergriff mich bethörend — Ein rafender Bahn?“ 
und Don Manuel Worten genauer entfprechend: „Und fchnell, 
ald wär’ es ewig fo geweſen, — Schloß fi der Bund, den 
feine Menfchen Iöfen.” Auch Don Ceſar hat „bie Freiheit und 
Me Wahl“ verloren, denn als er Beatrice ploͤtzlich ſah, ergriff 
„dunkel mächtig“ im tiefften Innerſten ihn ihre Nähe, „und 
Mar auf einmal fühlt’ ich’E in mir werden — Die ift ed oder 
keine fonft auf Erden.” Und Don Manuel beftätigt: „Wem 
Ah Verwandtes zum Berwandten findet — Da ift kein Wider: 
ftand und feine Wahl.“ 

Wo aber feine Wahl ift, da ift auch feine Freiheit, und 
der Menſch wirb in blinder Leidenichaft auf einem Wege vor: 
wärts getrieben, befien Ausgang er nicht mehr kennt und nicht 
fennen will. Nach antiten aber wie nad modernen, nad) 


110 Braut von Meifina. 


tieferen Charaktere eben jo ſehr ſucht, ald fie der antiken entgehen. 
Diefe Betrachtungen ftellen und auf ben Boden, aus dem Sch.'8 
Stu emporgewachſen ift. 

„Es ift unendlich bewunderndwürbig”, Tchreibt Humboldt an 
Sch. (Hoffm. V, 95), „und ich babe ed eigens fiudtrt, mit wie- 
wenig Zügen Ste beide Brüder fo feft charakterifirt haben, daß: 
jeder nur auf feine Weife die Zufchauer affictren Tann, ebenfo- 
Die Mutter und Beatrice.” Wir machen noch darauf aufmerf- 
fam, daß eine forgfältige Charakteriftit Die Mutter von den 
Söhnen und der Tochter trennen muß. Sch. ſelbſt Bat fie 
durch die hehre Art, wie er fie dem Volke erjcheinen laͤßt, durch 
die hohen Preifungen, die ihr nicht nur aus dem Munde der 
Tochter, fondern auch der feindlihen Brüder zu Theil werben, 
über die anderen Geftalten des Stüdes hinaußgehoben. Währenb: 
bie Kinder alle drei etwas von dem gemaltthätigen, finnlich lei⸗ 
denſchaftlichen Weſen des Vaters an fich tragen, tft die Mutter 
entichieden eine in fich ruhige Natur, wie fie jo oft — wenig: 
ftend hat ber moderne Roman das hundert Mal geihildert — 
Gegenſtand der Leidenfchaft für finnlihe Menjchen find. Mit 
vieler und vielleicht nicht genug gemwürdigter Yeinheit hat Sch. 
die Stellung der Haupttheilnehmer der Handlung zu einander 
georbnet und einerjeitd die Naturmwahrbeit der dargeftellten 
menſchlichen oder befier Yamilienverhältntfie erhöht, andererfeits. 
Die Stellung der Einzelnen zum Schidfal jchattirt und tiefer- 
begründet. „Ded Vaters eignen Sinm und Geiſt erfenn’ ih — 
In meinem erftgebornen Sohn! Der liebte — Bon jeber, ſich 
verborgen in ſich jelbft zu fpinnen —“ fo charalterifirt Sjabella 
Don Manuel, den fie fpäter, freilih in der Aufwallung bed 
entfeglichften Schmerzes, als fie ihn von dem Bruder ermordet 
weiß, ihren „beflern Sohn“ nennt, vielleicht weil diefe in dem. 
Sohne mit Milde gepaarte Ruhe ihrem eigenen Weſen doch nad. 
mehr entipriht. Im Gegenſatze dazu fteht Don Eefar, in wel: 
dem, auf einem urjprünglich ritterlichen, zur Offenheit ftür: 
mifch hinwogenden runde, die Kräfte der Leidenfchaft ih am. 





Braut von Meffina. 111 


freieſten entfalten. Don Manuel ſelbft ſpricht von des Bruders 
„wildem Sinn, der unbezwungen ſtets geblieben“ und der eben 
angeführten Schilderung Don Manuel's durch die Mutter ent: 
gegnet Don Ceſar: „Richt meine Weiſe iſt's, geheimnißvoll — 
Mich zu verhüllen, Mutter. Frei und offen, — Wie meine 
Stime, trag’ ich mein Gemüth.“ Ihm möchte eher die unrnbige 
Beatrice ähnlich feinen und, wie fo oft die Gegenſaͤtze ſich an⸗ 
ziehen, ift fie Don Manuel zur Seite geftellt. Died Geſetz bed 
Gegenſatzes ziebt alle drei, denn auch Don Manuel ift finnlidh, 
leidenfchaftlich, zu dem ruhenollen Weſen der Mutter hin. 
Eines fteht nun feft, ftürmifche og verhaltene Leidenſchaft⸗ 
lichkeit und Sinnlichkeit ift der Grundzug aller dieſer Charaktere. 
Abgefehen von dem wilden Hafle der Brüder, genügt ed, die 
Weiſe in's Auge zu faflen, wie ihre Liebe zu Beatrice entfteht 
and wie diefe Don Manuel fi) hingiebt. Der Dichter hat das 
auf jeder Seite durch die Handelnden jelbft ausſprechen lafien. 
Don Mamuel fieht Beatrice zum erftien Mal und: „Alles Maß 
der Zeiten war vergeflen — Tief in die Seele drüdt fie mir den 
Bid, — Und umgewandelt jchnell tft mir das Herz.“ So 
ſpricht auch Beatrice: „Wo waren die Simet — Was hab’ 
ih gethan? — Ergriff mid bethörend — Ein rajender Wahn?“ 
md Don Manuel8 Worten genauer entſprechend: „Und fchnell, 
ald wär’ e8 ewig fo geweſen, — Schloß fi der Bund, den 
keine Menſchen loͤſen.“ Auch Don Ceſar hat „bie Freiheit und 
Die Wahl” verloren, denn als er Beatrice plöplih ſah, ergriff 
„dunfel mächtig” im tiefften Imerſten ihn ihre Nähe, „und 
Har anf einmal fühlt’ ich’8 in mir werben — Die tft ed oder 
feine fonft auf Erden.” Und Don Manuel beftätigt: „Wenn 
fih Berwandtes zum Verwandten findet — Da tft fein Wider: 
fand und feine Wahl.” 
Wo aber feine Wahl ift, da tft auch feine Freiheit, und 
der Menſch wird in blinder Leibenfchaft auf einem Wege vor: 
wärt8 getrieben, befien Ausgang er nicht mehr kennt und nicht 
fennen wild. Nah antiten aber wie nad mobernen, nad 


112 Braut von Meſſina. 


heidniſchen wie nach chriitlicden Begriffen und, einfacher gefagt, 
nach der gewöhnlichften täglichen Kebenderfahrung muß eine ſolche 
Leidenſchaft Unglüd auf den herabziehen, ber fich ihr bingieht. 
Es if in der menfchlichen Gefellichaft, auch nicht auf den freien 
Höhen ded fürftlichen Lebens, kein Platz für fie, Denn diefe be: 
fteht nur durch ein gewiſſes Maß von Entjagung in jedem Ein- 
zeluen; fie beruht und wird ewig beruhen auf bem täglichen 
Opfer der Selbftſucht, Sinnlichkeit und Leidenfhaft im Kleinen 
wie im Großen, bid die Menſchheit einft mit einem neuen idealen 
Aetherfleide angetban, die fernen Inſeln der Seligen beziehen 
wird — um nicht mehr die Menjchheit zu fein. Hier ftimmen 
die volksthümliche und einfältige Spruchweiöheit, die antife War: 
sung vor der Hybrid (griechifch „Uebermuth, Ueberhebung“), die 
tiefjten Lehren der Religion und die erhabenfte tragiiche Poefte 
volllommen mit einander überein. Bon biefer naturgemäßen 
Baſis aller Tragik aus mildert fi der Sch. gemachte Borwurf 
der Kimftlichkeit. Oedipus ift perjönlich vielleicht rein, aber 
ber Grund feined Weſens ift der, wie bei Ceſar mit Edelſinn 
wohl vereinbare, wilde Zornmuth, den er vor dem Stüde durch 
die Tödtung bed greifen Wandererd, in demſelben durch den 
übezeilten Fluch, durch fein Verfahren dem Tireflad unb dem 
Creon gegenüber und endlich auch noch in der Selbftbeitrafung 
an den Sag legt. Diefe Leidenfhaft aber braucht wicht weiter 
motivirt zu werden, fie Hit das ewige böſe Erbtheil ded Men- 
chen, bis auf einen gewifien Grab vielleicht der Kebenäfern. des 
Individuums felbft. Mit der Natur der beobachteten Thatſachen 
übereinftimmend, motivirt fie ber Dichter als ein phyfliches Erb: 
theil von den Uroätern ber unter den durchfichtigen ſymboliſchen 
Formen der antiken Denkweiſe. 

Doch ſind es auch nicht nur ſymboliſche Formen, denn dieſe 
Leidenſchaft führt durch eine philoſophiſche Verknüpfung, welche 
die gerade dieſem Stücke gegenüber oft ſehr äußerliche Kritik 
nicht hervorgehoben hat, zum Begriffe des Schickſals. Die höchſte 
Entfaltung des Menſchenideals liegt in dem Begriffe des freien 


a 


Braut von Meffina. 113 


Bewußtſeins des Einzelnen und in ber vollendeten Herrichaft 
des Geiftes über die Materie. Den Gedanken eined ihm innerlich 
fremden Schickſals zuriddrängend, ftrebt der Menich Geift zu 
werden oder wenigftend ein Ideal — eine Gottheit — zu ſchaf⸗ 
fen, in welcher er biejen höchſten Begriff eines in fich ſelbſt 
freien Geiftes anfchauen kann. „Wen die Bedeutung des Ideals 
(Kirchner, bie jpeculativen Syſteme jeit Kant, Zeipzig 1860 p. 15, 
nah Fichte) einmal aufgegangen ift, für den hat dad Vergäng- 
lie keinen Werth mehr. Schon der Menſch, den nur eine ein: 
zeine Idee, ein wifienfchaftlicher, künſtleriſcher, gefellichaftlicher 
Gedanke ergriffen Hat, findet den tiefften Genuß darin, ihm fein 
Dajein zum Opfer zu bringen. Wer aber den fittlichen Willen 
ſchlechthin erkannt bat, der dad allein Wirfliche und Weienhafte 
in und und im AU ift, für den find die Dinge nicht mehr vor: 
handen; er ruht mit feiner Liebe in dem, was unveränberlich 
und einzig ift, und findet in der Hingabe an dieſes Eine die 
Seligkeit; er jteht erbaben über Raum und Zeit, über Wechſel 
und Bielheit, über Glüd und Schmerz, denn fein Leben gehört 
nicht mehr ihm, fondern nur noch dem göttlihen Gedanken.“.. 
„Indem dieſe geiftige Schöpfung die finnliche ihren Beitimmun- 
gen unterwirft, und ihr nur die Bedeutung ded Stoffes übrig 
läht, offenbart fih die Erfcheinung ala ein wejenlojer Schein 
und die Freiheit aldö der Grundftoff bes Als.“ 

Den entgegengefegten düfteren Weg geht die Leidenſchaft. 
In ihre überwiegt Die Materie, d. 5. die ganze Äußere, irbifche 
Nothwendigkeit, die den Menſchen äußerlich und innerlich in 
Feſſeln Ichlägt. Es ift dieſes Ringen des innern idealen Men— 
ſchen mit den dunkelen Mächten der Sinnlicyteit eines der Grund: 
themen, vielleicht da8 Grundthema der ſchillerſchen Poeſie: 


Nur der Körper eignet jenen Mächten,“ 
„Die das dunkle Schickſal flechten;“ 
„Aber frei von jeder Zeitgewalt,“ 

„Die Geſpielin feliger Raturen“ 
„Bandelt oben in des Lichted Fluren; 
„Göttlich untern Göttern, die Geſtalt.“ 





114 Braut von Meiftna. 


„Bolt ihr Hoch auf ihren Slügeln ſchweben,“ 
„Werft die Ungft bed Irdiſchen von eu!” 
„Bliehet auß bem engen, bumpfen Leben" 
„In bed Ideales Reich.“ 


Sn den wundervollften Rebeformen drüdt Ceſar in feinem 
bitteren Todeskampfe ähnliche Gedanken aus, nicht ohne Anklänge 
an bie eben angeführte Strophe. Wie nun die Leidenſchaft dem 
Menſchen aus dem unfeeltichen Theile feiner jelbft entgegentritt, 
bejonderd wo fie mit Sinnlichfeit gemifcht ift, fo ericheint fie 
dem von ihr Beherrichten und Gequälten, wie wir fchon oben 
andeuteten, bald ald eine Außerliche Macht, die mit gewaltjamer 
Verführung ihn blendet und dann rettungs8los fortreißt. Daß 
Geiftige im Menjchen wird erbrüdt, das freie Bewußtſein 
ſchwindet; er regiert fich jelbft nicht mehr, und weift — wozu 
tief innerlih auch der Wunſch treibt, die Stimme des Gewifiend 
zu erftiden — fo zu jagen die Verantwortlichkeit von ſich ab, 
indem er fich al8 in der Gewalt wild tobender, unwiberftehlicher 
Mächte befindlih anfieht. „Aut sua cuique deus fit dira 
cupido* fagt es kurz und treffend Virgil, „Die furdhtbare Begierde 
wird und zum Gotte.” 


Daher rührt auch die Vorliebe der Dichtung, die überall 
auf dad Perjönlich:Lebendige, welches ja auch ihr Kern ift, aus⸗ 
gebt, für PVerfjonificationen, an denen ſchon Homer, bejonders 
aber Sch. reich ift. (Siehe den Artikel darüber.) Sie find bei 
ihm oft jehr reich und an Allegorie ftreifend audgemalt. Wir 
beichränten uns bier auf die Braut von Meſſina. „Die Liebe 
fteigt aus des Hafles Flammen, wie ein neu verjüngter Phönir“ 
„Schön ift der Friede; ein lieblicher Knabe liegt er gelagert 
am ruhigen Bach“ — „Auch die Liebe beweget dad Leben... 
die gefällige Tochter ded Schaum's“ — „Arglift hat auf allen 
Pfaden... . ihr betrüglich Nep geftellt” — „So flieht der alte 
Hay mit jenem nächtlichen Gefolge, dem hohläugigten Verdacht, 
der jcheelen Mißgunſt und dem bleichen Neide” — „Die Freude 
trägt mich auf leichten Flügeln fort" — „Das ſchöne Mitleid 


Braut von Meifina. 115 


neigt fi, ein weinend Schwefterbild, mit fanft anfchıniegender 
Rparmung auf die Urne“ — „Der Reid vergiftete mein Leben 
... ber alte Reid wird raſtlos mir mein Herz zernagen” — 
„Die Hände bed Brudermordes“ — Mit weiten Schritten 
reitet das Shredensgefpenft der blutigen That ein 
ber" — „Durch die Straßen der Städte, — Bom Sammer 
gefolget, Schreitet dad Unglüd, Lauernd umpfchleicht ed die 
Häufer der Menſchen“ — („Und dad Unglüd fchreitet ſchnell“ 
1. Aeſchyſus, Tragödie Agamemnon V. 1083). 


Es ſteht ja auch pſychologiſch feft, daß bie Leidenſchaft 
durch Hallucinationen endlich zum Wahnſinn führt. Dieſe 
Macht der Leidenſchaft und des Böſen (im chriſtlichen Mittel: 
alter der Teufel) ift im Altertbum der Dämon. Go wird 
die Leidenſchaft das Schidfal bes Menſchen, fo tft Die 
Tragödie der Leidenschaft aud Die Schikſalſtragödie. 


Wie wir oben ſahen, daß der Dichter die dunfele Gewalt 
der Leidenſchaft von den Perjonen des Stüdes felbft jchildern 
läßt, fo wetteifern ſie auch in der Darftellung diefer Gewalt als 
einer faft perjonificttten, bewußt handelnden Macht unter den 
verſchiedenften Namen, wie fie dieſelbe in ihrer Unüberwindlich⸗ 
feit in ſich walten fühlen. Sie find wie mit einer dDämont- 
then Atmojphäre umgeben, deren Einwirkung ſich zu entziehen 
ganz unmöglich erſcheint. 

Merkwürdig hat Sch. durch Beatrice dieſe Unklarheit der 
Leidenfchaft in fich felbft, in Worten ausdrücken lafien, melde: 
man mit Unrecht wideriprechend finden würde: 

„Bergieb, du Herrliche, bie mich geboren,” 
„Daß ih, vorgreifenb den verhängten Stunden,” 
„Mir eigenmächtig mein Geſchick erforen” 
„Nicht frei erwählt' ich's, ed bat mich gefunden;” 
„SE dringt der Bott auch zu verfchlofl'inen Thoren,” 
„Bu Perfeus Thurm hat er den Weg gefimben,” 
„Dem Dämon ift fein Opfer unverloren.* 

8 » 


116 Braut von Meſſina. 


Bir haben oben die Borftellung des griechifchen Gefchichts- 
chreibers Herodot vom Neide*) der Götter erwähnt; auf jeder 
©eite finden wir fie im Munde der Helden wieder. „Denn mit 
‘der nächſten Morgenjonne Strahl — Zft fie die Meine, und 
des Dämons Neid — Wird Feine Macht mehr haben über 
mich,“ jagt Manuel, der an ihn glaubt wie Ceſar, mit den Wor- 
ten: „Und daß ich feft ſogleich den Zufall faffe — Und mid 
verwahre vor des Dämons Neide.“ Auch Sfabella kennt 
ihn: „Mit meiner Hoffnung fptelt ein tückiſch Weſen — Und 
nimmer ſtillt ſich ſeines Neides Wuth,“ und dann: „DO, muß 
ein neid'ſcher Dämon mir die Wonne — des heiß erflehten 
Augenblicks verbittern“. „Daß mir der böſe Genius nicht 
ſchlummert — Erinnert warnend mich der Tochter Flucht.“ 
Die Unbegreiflichkeit der Schickſalsfügungen, der ſchnelle Wandel 
ber &reignifle, der eigenen Gefühle, das jaͤhe Umfchlagen von 
Glück in Unglüd, von Luft in Schmerz erſcheint dem Menichen 
als ein Zauber. Bon einem „Zaubernebel” fpricht der Chor 
zu Manuel. Beatrice bat Ceſar's Herz „mit allmächt’gen Zau- 
beröbanden nachgezogen”, ihr Wejen ergreift ihn „wie Zaubers 
Kräfte unbegreiflich weben.“ Sie felbft, wenn fie an ihre 
fchnelle Leidenschaft für Don Mamuel denkt, fragt fih: „Um: 
ſtrickte mich blendend ein Zauber der Hölle?“ Die Ewigkeit 
und Wnentrinnbarfeit des Berhängnifles wird an die „Sterne“ 
gefnüpft. Don Cefar fragt die Mutter: „Iſt's Wahl, wenn 
des Geftirned Macht den Menihen — Ereilt in der ver- 
bängnigvollen Stunde?" Beatrice war, gegen bed Geliebten 
Wunſch, bei dem Leichenbegängniß: „Doch weiß ich nicht, welch 
böfen Sterned Macht — Mi trieb mit unbezwing- 
lihen Gelüften.“ Don Gefar darf einen Augenblid „den 
Glückſtern“ Sfabella’8 preifen, fie aber „will nicht eher ihre 


*) Herodot von Halikarnaß (über). von Baehr, Stuttgatt, bei Hoffmann) 
1, 32. III, 40. VII, 46; nach der höheren unb reineren Anſchauung Plato's „fteht 
der Reid außerhalb des Chores der Wötter.” 





Braut von Meffina. 117 


Sterne loben, biß fie das Ende diefer Thaten geſehn“, bis fie 
da8 enträtbfelnde Wort gefunden „im Spiele des unverftänd: 
ih, frummgewundenen Lebens.“ So werben audy „günftige, 
glückliche Zeichen“ erwähnt. In immer neuen Wendungen Tehren 
diefe Hindentungen auf überirdiſche Mächte wieder; Don Cefar 
ſpricht vom „enter feines Lebend, der ihn mit der Liebe Strahl 
berührt”, wie auch Don Manuel „der Liebe heil’gen Götterftrahl“ 
kennen gelernt bat. Iſabella fürdtet, Don Gefar habe in der 
Wahl feiner Liebe „bem ersten mächtigen Gefühl” getraut 
„wie einer Götterſtimme“ und ald „eine Stimme 
Gottes“ erſcheint ihn fein Haß, ald er eben- feinen Bruber 
getödte. „Eine unregierfam ftärlere Götterhand fpinnt“ 
das Schickſal des fürſtlichen Hauſes. Oder ed wird auch ganz 
allgemein „ein Gott“ als „bewahrend“ und „leitend“ genannt. 
Aber die Leidenſchaften, wie ſie ja ſelbſt den Menſchen, der fie 
hegt, auf dad Bitterfte ftrafen, finden auch rächende Götter 
bereit. „Im Stillen fchaffen die Rachegötter“, „Todes⸗ 
götter” Iauern auf ihren Raub, ihnen vor allen muß die Schuld 
gezahlt werden, die „Furien des Streites“ („des Streitö jchlan- 
genhaarigtes Scheufal”) entichlafen wohl auf einige Zeit, aber 
bald muß ber Frevler den ehernen Schritt derfelben „der rächen: 
den Söttinnen” hören. „Den Rachegeiftern” überläßt Iſabella 
dad fürftlide Haus. Die Strafen der „Himmelsmächte“, „der 
hochwohnenden, alleöichauenden Götter” führt der Tod aus, zu 
deſſen „traurigen Thoren“ und deſſen „unvergänglidem Palafte” 
alle Sterblichen wallen. 

Mit diefer Leidenjchaftlichkeit, aus der Sch. den Begriff des 
Schickſſals jo tief entwidelt hat, find nun auch eigentlich bie 
Eombinationen ſchon gegeben, welche Charakteren diejer Art bie 
Grube graben, in die fie hineinftürzen wollen und müflen. Hier 
tritt die Idee des Zufalld heran. Wer hätte nicht in feinem 
Leben diejen verftändigen — fo freilich ſich felbft mwiderjprechen- 
den — gleichſam Zwecke verfolgenden Zufall einmal Tennen ge: 
iernt, größtentheild wohl in boshaft ſchadenfroher Srimace; wen 


118 Braut von Meflina. 


hätte er nicht eine Freude verdorben, wen nicht eine ftrenge 
Lehre gegeben, wenn die kleinfte Vorſicht vernachläffigt war, 
ober wenn alle Vorſichtsmaßregeln erfchöpft ſchienen? Go er- 
fcheint der Zufall oft troniih, indem er unjere weiſeſten Ber: 
anftaltungen in dad Gegentheil verfehrt oder vielmehr gerade 
durch fie und in’8 Unglüd geführt Hat; Diego: 

„und fo, aus guter Meinung, fchafft ich Böfes,” 
ernfter aber der Chor: - 

„Denn noch niemand entfloh dem verhängten Geſchick“ 

„Und wer fi vermißt, e& Flüglich zu werben,” 

„Der muß es felber erbauend vollenden.” 

Solche Zufälle werden wir and bem Reben des Einzelnen 
oder der Geſchichte nie ganz herausrechnen können unb die &r- 
kenntniß, dab irgend ein Zufall Großes und Gutes verhindert 
oder den Untergang edler Menſchen befördert hat, wird immer 
ein bittere8 Problem für und bleiben. In geſchichtlichen Bor: 
gängen reinigt er ſich für unfere Betrachtung leichter zum Höhe: 
ren Verhängniß; in biefem Sinne vielleicht Hatte Timoleon in 
feinem Haufe der Zufalldgättin (Automatia) einen Altar errichtet 
(Plutarh, Leben ded Tim. c. 36), dad Haus felbft aber bem 
heiligen Dämon geweiht. So bat der gejchichtliche Zufall etwas 
wunberbar und geheimnißvoll Anziehendes für und, und wo er 
nicht ift, fucht die Legende ſolche frappanten Yügungen zu 
ſchaffen. Napoleon, von Elba nah Frankreich zurüdtehrend, 
ſchifft IH am Bord der Snconftantia ein — die warnende Sronte 
des Zufalld; das Schiff, auf weldem Cromwell im Begriff ift, 
nad Amerika auszuwandern, wird auf einen bejonderen Befehl 
Karl's I. zurückgehalten — ber Zufall als höheres Verhängniß. 

Kun fol zwar auß der idealen Welt der Poefle der Zufall 
eigentlich getilgt jein und jedenfalls darf er nicht an Wende⸗ 
punkten beſtimmend ſich einfinden; ganz wird man ihn midt 
vertreiben Tönnen, höchftens verfteden, beſonders in einem Stücke, 
wie dad unferige. Doch baut, wie gejagt, der Dichter nicht 


— 


Braut von Meſfſina. 119 


fee Schöpfung auf den Zufall, daß 3.8. Don Mamuel durch 
eine „weiße Hinbin” (derem ſich zu oft in der Sage* wiederfinden, 
als dab man nit auch in dieſer eine ſymboliſche Bedeutung, 
einen Schickſalsboten, vermutben dürfte) gerade zum Klofter 
Beatrice’8 geführt wird. Dem jener leidenſchaftliche Grundzug 
der Charaktere enticheidet Doch erft über die Bedeutung des 
Zufalls. Bis an das Thor des Klofters Iodte er Don Manuel; 
mit der ftürmilchen Hingabe an feine Leidenfchaft übernahm diefer 
allein die Berantwortung für alles Folgende; denn das Tragifche 
bes Lebens ift, daß Alles am feidenen Faden hängt und daß ein 
Augenbli der VBergeffenbeit, unabfehbare Uebel auf und und bie 
Unfrigen berabziehen kann. Sn ber Dichtung müflen diefelben 
dann freilich noch weiter motivirt werben, ber einzelne Yebltritt 
genügt nicht, fie zu erflären; das Leben tft eben bitterer als 
die Boefle. Diefe Motivtrung tft von Sch., wenn auch in den 
ſymboliſchen und und entfrembeten Formen bed Alterthumes, 
bie aber doch noch nicht ganz in und verflungen find, vollftändig 
gegeben, uund fo wird denn, mit der Lebenswahrheit, dem Stüde 
auch die tiefe Einwirkung auf dad Gemuth bes Hörerd nicht 
abgeiprochen werden bürfen. Der Dichter baut Die einzelnen 
Kombinationen, die alle möglich find, auf den ewigen tragt: 
hen Grund menſchlicher Schuld, d. i. die angeborene Leiden: 
ſchaftlichkeit, die, wenn ihr die Grube nicht gegraben würbe, nicht 
taftete, bis fie ſelbſt fie fich gegraben hätte. Für den kritiſchen Lefer, 
der alle diefe Berechnungen in den engen Rahmen bed Stüdes, 
auf den einen enticheibenden Tag der Kataftrophe zuſammen⸗ 
gedrängt fiebt, mag dann der Eindrud der Künftlichfeit nicht ganz 
zu überwinden fein. Bon einem blinden Schtefal aber, wie 
einzelne Kritiker e8 dem Dichter ohne Weitered vorgeworfen 
baden, ift nicht die Rebe. Wenn Siabella, durch den doppelten 


*) In Bezug auf diefe „alte, oft gebrauchte Mafchinerie" verweiſt Hoffm. V, 
pP. 30 A. auf Böttiger, Minerva 38 ff. 


120 Brant von Meifina. 


Traum verführt, vielleicht Die Wege des Schickſals nothgedrungen 
gehen mußte, Beatrice, Don Manuel, Don Gefar waren fret, 
der wilden Leidenfchaft des Augenblids nicht zu gehorchen. 
Der Uebel größtes bleibt die Schuld. 

Wie die Menſchen eine große und audgezeichnete Eigenfchaft 
ihrem Beſitzer jelten ganz verzeihen, — benn der aus dem Chore 
der Götter ausgeftoßene Neid bat ſich unter die Menjchen ge- 
flüchtet und liebevolle Aufnahme bei ihnen gefunden —, jo hat 
auch die hinreißende Pracht der Sprache in der Braut von Meifina 
die Kritifer veranlaßt, den innern Zufammenhang des Stüdes faft 
für nebenfädhlich zu erklären und kurz abzufertigen, ald ob Sch. 
nicht auch bier, wie immer, tief gefühlt und tief gedacht hätte. 
Daß der Kritik ihr Recht bleibt, haben wir jelbft überall bewiejen, 
doch muß man dabei auf dem einmal vom Dichter gewählten 
Boden bleiben. Solcher Tadel ift oft ziemlich herbe ausgeſprochen 
worden. Hoffmann erflärt geradezu, „die ganze Tragödie jet 
nad unwahrfcheinlichen und fonderbaren Zufälligfeiten angelegt“ 
und rügt bejonderd den Mißbrauch, der mit dem Schweigen ber 
Perſonen an enticheidender Stelle getrieben ſei. Die Gründe 
Iſabella's, die Tochter nad) Dem Tode des Gemahld noch zu 
verbergen, feien unzureichend, obwohl der Dichter gegen dieſen 
allerdings ernften Einwurf fi dur den Mund der Yürftin 
ſelbſt zu rechtfertigen fucht. Beatrice verftummt, als fie von 
dem nur einmal gejehenen Don Gefar für feine Braut erklärt 
wird. Das Schweigen Iſabella's, ald Don Manuel fie nach 
dem Aufenthalt der Tochter fragt, ift oben erwähnt worden. 
Ein jehr hartes Urtheil in Bezug auf den Kernpunft, auf die 
Schuld, fallt über unfer Stüd Gerlinger, nach welchem jede 
erhabene, Acht tragifche Wirkung verfehlt if. Er vermißt, in 
Bezug auf die Verfluchung des Ahnherrn und ihre Wirkungen, 
Banz jened Chenmaß in Bedingung und Yolge, jene ausglei- 
chende Verfnüpfung und das befriedigende, ſich aufwägende Ver- 
hältnig von Schuld und Strafe, und fleht dafür fataliftifche 
Gewaltherrſchaft in der niederfchlagendften Geftalt und mit 


Braut von Meifina. 121 


maßloſer Willfür Ichalten. Gegen ſolche Vorwürfe Hoffen wir 
den Dichter nicht ohne Erfolg vertheidigt zu haben”). 

Einen dem Dichter biöher nicht gemachten Borwurf müflen 
wir jedoch hinzufügen, zumal da berfelbe uns auf ben für bie 
Beurtheilung des Stückes ımd bes Dichters fo höchſt wichtigen 
Charakter der Iſabella zurüdführt. 

Dem Philofophen Sch., der in den Religionen die Religion 
fuchte, 

Welche Religion ich bekenne? Keine von allen, 
Die Du mir nennfl. — Und warum feiner Aus Religion. 
galten die ſymboliſchen Formen aller Religionen gleich, aber feine 
zweite Natur, die Tünftleriiche, drängte feine Vorliebe zu den 
ihönen Formen ded Alterthums und etwa zu denen bed Katho⸗ 
licismus (ſ. „Bibel“). So finden fi die mythologiſchen Bor: 
ſtellungen bei ihm auch im Munde folcher Perfonen, bie, wie die 
Jungfrau, fie nie gehabt haben können, einfach als poetifcher 
Schmud. Anders ift e8 jedoch in unferem Stüde. Hier find bie 
religiöfen Borftellungen in der auffallendften Weiſe vom Dichter 
mit Bewußtjein gemiſcht. Sch. fucht Died in feiner Einleitung 
jelbft zu begründen. „Eine andere Freiheit, jagt er dort am 
Schluſſe, die ich mir erlaubt, möchte ſchwerer zu rechtfertigen fein. 
Ich Habe die hriftliche Religion und die griechiſche Götterlehre 
vermifcht angewendet, ja, jelbft an ben maurijchen Aberglauben 
erinnert. Aber der Schauplag der Handlung ift Meſſina, wo 


) A. Auhn — Schiller's Geifledgang, Berlin 1863 —, der dad Stüd p. M8 
nur {ehr kurz beſpricht und auf bie Erörterung des Einzelnen gar nicht eingeht, 
erklaͤrt: „Die auftretenden Perſonen ſtehen fchon im Anfange des Stüdes fertig 
de. Gleich mit ihrer Geburt haftet die Schuld ihnen an, und biefer gegenüber 
dad übermädtige Schickſal. Und dieſes Schickſal erfcheint nicht als göttliche Ge⸗ 
rechtigkeit, welche die Schuld beftraft, fondern es fteht ganz äußerlich dem Willen 
and Charakter der auftretenden Berfonen gegenüber und lauert gierig im Hinter⸗ 
runde, feine Dpfer zu verfchlingen“. „Der eigentliche Sinn der Handlung wirk 
ganz ans unferer fittliden Sphäre herausgerückt. So urtheilt auch Julian 
Schmidt in „Weimar und Jena“: „Dem Stüde fehlt, was den Nero aller Poefie 
ausmachen foll, die Bethelligung ded Bemüthed”" (nach Kuhn). 


122 Braut von Meffina. 


dieſe drei Religionen theils Iebendig, theils in Dentmälern fort: 
wirkten und zu den Sinnen ſprachen. Und dann halte ich es 
für ein Recht der PVoefle, die verjchiebenen Religionen als ein 
collectiwes Ganze für die Einbildungstraft zu behandeln, in 
welchen alles, wa8 einen eigenen Charakter trägt, eine eigene 
&Empfindungsweije ausdrückt, feine Stelle findet. Unter ber Hülle 
aller Religionen liegt die Religion felbft, die Idee eined Goͤttlichen, 
und ed muß dem Dichter erlaubt fein, dieſes auszuſprechen, in 
welcher Form er es jedesmal am bequemiten und am treffendften 
findet.” Wenn dem Philoſophen alles von Sch. Hier Bean- 
pruchte unzweifelhaft zuzugeben ift, jo glauben wir doch, daß 
«3 gerade dem Dichter ebenfo unzweifelhaft abgefprocdhen 
werben muß. Der tragifche Dichter bejonderd muß „eine feite 
fittlihe Weltanſchauung in feinen Werke in ben beftimmteften 
Zügen außprägen und fie demjelben zur ficheren Unterlage geben“ 
(End), weil gerade durch fie dem Zufchauer die innere Erhebung 
und endliche VBerföhnung wird, die nur aus einem in fidh con- 
feqwenten Gedankenſyftem gefchöpft werden kann. Selbft Außer: 
Tich ift es geſchichtlich nachzuweiſen, daß örtlich neben einander 
beftehende, lebensträftige Religionen ſich größtentheild herbe 
von einander abftoßen und jo den, meinetwegen beſchraͤnkt zu 
nennenden, Eifer ihrer Belenner anfachen; jedenfalls aber, mögen 
auch in Meſſina drei Religionen nebeneinanber beitanden haben, 
in Dem Herzen bes Einzelnen war dies unmöglid. Die 
unterjchied8lofe Verwendung der ſymboliſchen Yormen und Rebe: 
wendungen mußte aber gerade in unſerem Stüde die verberb: 
lichften Folgen nach fi ziehen. Sn jedem anderen 3.8. rein 
gefchichtlichen Drama ließen fie fih, wie Sch. es ſtets gethan 
bat, zu poetiſchem Schmud herabſetzen, hier aber, wo die höchſten 
geiftigen Yragen angeregt und entichieden werden, tragen jene 
Symbole auch ihre ganze Gedankenſchwere und bie eigenthüm- 
sihe Weltanſchauung, die fich in ihnen verkörpert, unablößbar 
mit fih, fo daß bie Helden des Stüdes nicht mehr aus einem 


Braut von Meffina. 123 


Sarnzen heraus athmen und leben und baß bie reine Tiefe 
ber Charaktere völlig verdunkelt wirb 

Am ſchlimmſten zeigt ſich dies bei Iſabella. Wer es mit 
uns durch die Ehrfurcht für geboten hält, den Gedanken des 
großen Dichters nachzuforfchen, wird Hier zuerft einen Fehler 
in der Bühnenperfpective finden”). Der Titel des Stüdes — 
es ift das einzige Mal, dag Sch. einen ımlünftlerifchen Doppel- 
titel gewählt hat — macht die Braut von Meffina oder die 
feindlichen Brüber zu Helden und zwar nach Hoffmeifter (p. 118) 
weil „da8 Geſammtintereſſe, wie es bisher zwiſchen den feind- 
Khen Brüdern getheilt war, ſich fpäter auf Beatrice zufammen- 
zieht”, mo man dann vieleicht den Titel auch umgekehrt gewünfcht 
hätte, vor Allem aber doch mit der nothwendigen Einheit 
des Intereſſes in einen ſehr bedenklichen Conflict geräth. Wir 
deuteten ſchon oben an, daß Sch. das Hauptintereffe auf die 
Fürftin concentrirt bat, wie Hoffmelfter das eigentlich auch 
ſelbſt zugiebt, wenn er (p. 88) jagt, der Dichter Habe von allen 
Verſonen die Fürſtin in die vielfachſte Wechfelwirkung mit dem 
Schickſal geſetzt und in ihrem Benehfen die Schidfalätheorte 
gleihlam weiter audgeführt. Nicht umfjonft hat der Dichter „das 
entzüdende Gemälde der Mutterwürde” in ihr dargeftellt. Sie 
it die Säule des Haufes, der Chor darf „ihren fürftlichen Sinn 
preifen, ber über der Menihen Thun und Verkehr mit ruhiger 
Klarheit hinblickt“; fie tft der Mittelpunkt der vaterlofen Yamilie, 
bie Herzen und die hoͤchſte Ehrfurcht gehören ihr; Don Gefar 
jagt ihr: „Denn eine zweite ſah ih nicht, wie Did, — Die ich 
gleich wie ein &ötterbild verehre”; ıumbefchreiblich fchön lebt in 
der dunfeln Erinnerung Beatrice's die göttliche Geſtalt, Die fie 
dann „tm fehonen Engeldantlig ihrer Mutter“ wiebererfennt, 


—— 





*) Während ber Gorrectur finden wir bei U. Kuhn p. 855 die furze, unaus⸗ 
geführte Andeutung: „Bir fehen ab von dem tiefgefühlten Mangel eines 
Trägers ber dramatifchen Idee, beren Durchführung, bier in eine BVielheit der 
Berfonen zerfplittert, der nothwendigen Goncentrirung entbehrt". 


124 Braut von Meifina. 


„auch ihrer Stimme ſeelenvolle Töne erwachen“ beim Zus 
rückdenken in ihrer Seele. In den Augen ded Zuſchauers aber 
bat fie noch ein ganz andered höchftes Recht auf jeine Theil: 
nahme, nämlich das des höchſten Schmerzes, ded Mutter: 
ſchmerzes, deſſen Tragkraft durch das Schidfal auf eine fo 
graufame Probe geftelt wird. Daß fte unfchuldig ift, wird den 
unbefangenen, natürlich empfindenden Zufchauer zuerft nod mehr 
für fie einnehmen, zumal da fte allein eine reine Geftalt ift, 
auf welcher Blid und Gedanke ausruhen Tönnen, eine hehre 
Idealgeſtalt, die der Dichter jelbft der heiligen Zungfrau an die 
Seite zu ftellen ſich nicht gefcheut hat. Wir glauben nun aber 
nicht, erftens, daß died Intereſſe im Verhaͤltniß zum Ganzen 
fteht, fo daß alfo, was wir oben die Bühnenperjpective nannten, 
verlegt ift; zweitens glauben wir, daß Sch. diefer Slanzfigur feines 
Stüdes zu Liebe, eined der Naturgefepe der Tragödie verlegt, zu 
defien Begründung es Teined Artitoteled (ſ. o.) gebraucht hätte, 
dasjenige nämlich, welches verbietet, den Unfchuldigen leiden zu 
laflen; drittens aber, daß das Interefſe, welches Iſabella zuerft 
erweckt, fich nicht aufrecht erhält und’ auch vor ber tieferen Be⸗ 
trachtung nicht beftehen kann, mit anderen Worten, daß der 
Charakter Sfabella’3 mangelhaft durchdacht und aus— 
geführt tft. 

Bei dem Audrufe der Sfabella, daß alle ihre Leiden eine 
Unfchuldige treffen, denfen wir, muß auch der nalvfte und ge 
rübrtefte Zufchauer fragen, warum muß fie leiden und die Ant- 
wort darauf, die auch Teiner der und befannt gewordenen Kritifer 
genügend gegeben bat, möchte ihm fehr fchwer werden. Bon bier 
aud aber wird eine tiefere Betrachtung des ganzen Charakters 
angeregt. Möge und der eifrige und getfteögewandte Apologet 
Sch'8. dazu anleiten. „Aber, heißt es bei Palleöfe II, 547, es 
fommt nicht darauf an, ob Htob im Blüde fromm ift, jondern 
wie er im Elende fi bewährt. Und da fehe man nun dieſe 
Mutter. Als ihre Glücksorakel gelogen haben, da geht ihr 
ganzer Glaube an alles Göttliche in Flüchen auf... 


Braut von Meifina. 135 


Es ift eine body: und bei allem Muttergefühl hartfinnige _ 
Natur... . Solchen Natusen wird jebe Strafe, ja ihr ganzes 
Leben zur einem verhängten Geſchick weil fie ed nicht aus 
dem tieferen Born jittliher Zwede geftalten.” Aber 
bier ift Tein Wort, welches nicht mit ber von Sch. fo ſichtlich 
angeftrebten Darftellung einer hehren und doch feelenvollen 
Idealgeftalt im Traffeften Widerſpruch fände und leider — tft 
eben diefer Widerſpruch vorhanden. Gerade in ihrem Berhält: 
niß zum Göttlichen, welches über Weſen und Leben bed Men: 
idhen, über die Art befonderd, wie es das unvermeidlidhe Leiden 
auffaßt, Jo allein enticheidet, tft Iſabella (wie Jokafte) flach 
und nüchtern zu nennen. Shre Frömmigkeit, von dem ber 
Schickſalstragödie nothiwendigen Orakel — Traum — und Wahr: 
jageapparate abgejehen, ift eine ganz Außerlide, und geradezu 
verlegend find bie Worte, die die jeelenvolle Mutter an 
ihren Sohn Don Gefar richtet, deflen Haupt die Götter mit 
der ſchmerzensvollen Majeftät des Leidens gekrönt haben! 

‚Reich iſt die Chriſtenheit an Gnabenbildern,* 

„Zu denen wallend ein gequältes Herz“ 

„Kann Ruhe finden. Manche ſchwere Bürde“ 

„Ward abgeworfen in Loretto’3 Haus," 

„und fegensuolle Himmeldtraft ummeht“ 

„Das heil'ge Grab, das alle Welt entjünbigt.” 

„Bielkräftig au ift das Gebet ber Frommen,“ 

„Sie haben reihen Borrath an Berbienft,“ 

„Und auf der Stelle, wo ein Morb geſchah,“ 

Kann ſich ein Tempel reinigen erheben.“ 

Und merkwürdig! während in Meſſina alle drei Religionen 
neben einander beftehen jollen, aus denen der Dichter dad zu 
jeinen höheren, fünftleriihen Zweden Paflende auswählen barf, 
it gerade jede eigentlich hriftliche VBorftellung — auch aus dem 
Mutterherzen — vollftändig und forgfältig ausgefchlofien. Die 
ſymboliſchen Yormen des Tatholifhen Chriftenthbumd und feine 
Außerliden Bußmittel, der rohe, fataliftiiche Aberglaube des 
Muhamedaners fpielen eine gewiſſe Role — alle tieferen fitt- 
lichen Wahrheiten und Gefühle find in dad Gewand ber 


126 Braut von Meffine. 


Antike gefleivet. Hören wir noch einmal ©. Dronte(p. 88) über 
den Dichter des Dedipud Colonens. „Durch dad Ganze zieht 
„fich die in den Schleier bed Wunderbaren gehüllte Barftellung“ 
„bin: ber durch berbe Lebensgeſchicke getroffene, aber demütbig” 
„den Göttern vertrauenbe Sterbliche erlangt in einem jenfeitigen” 
„Leben feligen Gotteßfrieben, der ihm Erfag für alles Weber” 
„ſtandene bietet. Auf diefed Jenſeits, in dem bie fittliche Welt⸗ 
„ordnung ihren Abichluß findet, deutet Die freudige Zuverſicht“ 
„bin, mit der Dedipus in den Tod gebt; darauf weift der Um⸗“ 
„fand bin, daß die Gottheit jelbft den von der Erde Scheiden⸗“ 
„ben hinüberleitet; Davon redet geradezu der Dichter, wenn er“ 
„den Chor von 1565 dem Sterbenden nachrufen läßt, da er jo” 
„viel bed Jammers ohne Schuld getragen, möge ihn jebt auch“ 
„ein gerechter Gott verflären.” Auch in umjerem Gedichte giebt 
ed ein Jenſeits — dort walten die Söhne ala Dioskuren! 
Und dem breddenden Mutterherzen wird der bittere Troſt, daß 
feine Kinder verföhnt ruhen werden — im Haufe des Todes! 

Unwillkürlich drängt fi dem Lejer, wenn er fo das ſchöne 
Ideal zertrümmert zu feinen Füßen fieht, der Gedanke an 
Goethe's Iphigenie auf, die auch im Haufe der Atriden ſchuld⸗ 
108 bleibt und durch die Reinheit ihres Herzens alle Wun- 
den heilt, die Eumeniden beruhigt. &8 ift gut, nach dem Stu: 
dium des Charakterd der Iſabella ben vierten und fünften Akt 
ber Spbigente wieder zu lejen”). 

&3 wird, wie wir ſchon im Anfange angedeutet haben, 
dabei bleiben müflen, daß wir es hier mit einem Tünftlerifchen, 
mitunter Tünftlich gewordenen Berfuhe Sch’. zur Wiederher⸗ 
ftelung ber antiken Tragödie zu thun haben, der jeinen Geift 
außerordentlich anzog, in den er aber feine philojophiihe Au: 
Ihauung nicht ungetrübt bineinverlegen konnte, wie er das im. 


*) Wie Dichter ſich verftehen und mißverftehen können, barüber ſ. in Bezug. 
anf Sch.'s Anſicht von Sphigente, die kurze @inleitung in biefed Stüd von K 
Goedeke in der klaſſiſchen Reiſebibliothek. Gotta 1867. 





Braut von Meſſina. 197 


Marquis Pofa und eigentlih nur hier gekomnt bat. Diele phi⸗ 
loſophiſche Srundbedingung, verbunden mit der natürlichen Bor- 
liebe des Künftlerd für eine glänzende und reiche Symbolik, hat 
Sch. einerjeitö verhindert, den Charalteren, beſonders ber Frauen, 
die erwärmte Innigkeit und bie durchfichtige Tiefe zu geben, 
welche faft immer religiöfer Grundlage entſtammt, andererjeits 
iin zu einer Miſchung ber Reltgionsformen geführt, die wenig: 
ftend der Braut von Meffina durchaus gefchabet bat. Wir 
wollen den Apologeten Sch’8. nicht machen und darum ſprechen 
wir aus, daß Sch's. philoſophiſche Natur Hier ſtoͤrend eingegrif: 
fen bat. Ganz läßt fi daher 3. Bayer’d Bemerkung”) nicht 
abweifen (III p. 233): „Für Sch. war dad Geichid freilich 
nichts Anderes, ald ein Bünftlich zurechtgelegtes Mittel, um einen 
erhöhten Schauer der tragiſchen Wirkung bervorzubringen — 
jonft benügte er den antiken Schidfalsglauben mit ebenjo wenig 
imerlichem Antheil für feine theatraliſchen Zwede, wie etwa das 
Motiv der chriſtlichen Inſpiration in der Jungfrau von Orleans.” 
Über darf ein Dichter foldyen Dingen gegenüber theilnahmlos 
fein? oder kann er in Gedanken, an denen er feinen innerlidhen 
Antheil hat, die aber den gewaltigften Antheil an feinen Geftal⸗ 
tungen haben, wahrhaft fchöpferifch werben? darf er hoffen oder 
verfuchen, den Zufchauer mit Mitteln zu bewegen, die für ihn 
jelbft nur Maſchinen und äußerlihe Hebel find? Möchten diefe 
Probleme unſern Lefern zu benfen geben! Auch Sch. würde 
ih damit vielleicht begnügen und gewiß, er würde zulegt babei 
bach nicht verlieren. 

Es bleibt und noch übrig zu erörtern, welche Löſung Sch. 
feiner tragiſchen Verwicklung gegeben hat, und welche Anerlen- 
nung diefelhe etwa im Herzen des Zuſchauers findet. 

Mit einer Einfachheit und Innigkeit, Die unferer modernen 
Darftellungswelfe faft ganz entgeht, bat Leifing tm 79ften Stück 


9 Dieſe Bemerkung ift wohl zu fcheiben von dem, was wir oben aus Ger- 
Unger mitgeteilt Haben. 





128 Braut von Meſſina. 


der Hamburger Dramaturgie im Anſchluß an Weiße's Richard 
den Dritten ſich darüber außgefprochen: 
„Artftoteles hat e8 wohl gefagt, und das wird ed ganz 
„gewiß fein! Er fpricht von einem Gräßlichen, das ſich 
„bei dem Unglüd ganz guter, ganz unfchuldiger Berjonen 
„finde. Und find nicht die Königin Elifabeth, die Prin- 
„zen vollkommen ſolche Perjonen? Was haben fie ge- 
„than? Wodurd haben fie es fich zugezogen, daß fie 
„in den Klauen diejer Beftie find? ... Wer wird läug: 
„nen, daß fie unfern ganzen Sammer verdienen? Aber 
„it diefer Sammer, der mih mit Schaudern an bie 
„Schidfale der Menfchen denken läßt, dem Murren wider 
„die Vorſehung fich zugefellt, und Verzweiflung von Wei- 
„tem nachſchleicht, iſt dieſer Sammer — ih will nicht 
„fragen, Mitleid? — er heiße wie er wolle — aber tft 
„er dad, wad eine nachahmende Kunft erweden jollte? 
„Man fage nicht: erweckt ihn doch Die Geſchichte; gründet 
„er ih doch auf etwas, das wirklich gefchehen iſt. — 
„Das wirklich geicheben ift? es fet, fo wird es feinen guten 
„Grund in dem ewigen unendlichen Zufammenbange aller 
„Dinge haben. In diefem ift Wetöheit und Güte, was 
„uns in den wenigen &liedern, die der Dichter heraud: 
„nimmt, blinded Geſchick und Grauſamkeit jcheint. Aus 
„Dielen wenigen Gliedern follte er ein Ganzes machen, das 
„völlig fi rundet, wo eind aus dem andern fich völlig 
„erklärt, wo feine Schwierigkeit aufftößt, derentwegen wir 
„die Befriedigung nicht in feinem Plane finden, ſondern 
„fe außer ihm in dem allgemeinen Plane der Dinge 
„ſuchen müflen; dad Ganze dieſes fterblihden Schöpfer 
„ſollte ein Schattenriß von dem Ganzen bed ewigen 
„Schöpfers fein; follte und an den Gedanken gewöhnen, 
„wie fich in ihm Alles zum Beften auflöfe, werde es aud 
„in jenem geicheben; und er vergißt dieſe feine edelfte 
„Beitimmung fo jehr, daß er die unbegreifliden Wege 


Braut von Meifina. 129 


„der Borfiht mit in feinen Meinen Zirkel fit und ge- 
„flifſentlich unſern Schauder darüber erregt? — O ver: 
„ſchont und damit, ihr, bie ihr unfer Herz in eurer 
„Gewalt Habt? Wozu diefe traurige Empfindung? Uns 
„Unterwerfung zu lehren? Diefe kann uns die Talte Ber: 
„nunft lehren, und wenn die Xehre der Vernunft in uns 
„bleiben foll, wenn wir bei unferer Unterwerfung noch 
„Vertrauen und fröhlichen Muth behalten ſollen; fo tft e8 
„höchſt nöthig, daß wir an bie verwirrenden Benfpiele 
„ſolcher unverdienten jchredlichen Verhängnifſe fo wenig, 
„al8 möglich, erinnert werden. Weg mit ihnen von der 
„Dühne! Weg, wenn ed fein könnte, aud allen Büchern 
„mit ihnen.” 

Diefe Herrlihen Worte laſſen fih dahin zufammenfaffen, 
daß der Glaube an eine ewige Gerechtigkeit, an einen wenn 
auch mit zahllofen Leiden erfauften Triumph des Guten, als das 
tieffte Bedürfniß des menjchlichen Herzens, durch den tragiſchen 
Dichter bekräftigt werden ſoll. Dieſe Gerechtigkeit, dieſes Gute 
laͤßt zugleich allein den Menſchen frei in ſich ſelbſt ruhen und 
jemehr er fi dem Ideal hingiebt, deſto freier wird auch das 
Geiftige in ihm. In diefem Sinne einer unauflöslihen Berbin- 
dung bed einzelnen Menjchen mit dem Guten durfte dann Leſſing 
das fcheinbar paradorale, in der That erhabene Wort fprechen: 
„Brei jein, beißt müfjen, dad heißt, feiner Weberzeugung folgen 
müffen, ich danke Gott, daß ich muß.” Um Sch. aber gerecht 
zu werden, muß man den Boden acceptiren, auf den er ſich 
geftelt bat. Died nicht thun und dann hart aburtbeilen, beißt 
jo viel als, er hätte die Braut von Mejlina nicht jchreiben 
folen. Das ift nun aber einmal geicheben und wir können es 
nicht bedauern. &8 handelt fi hier nicht um eine Tragödie 
geiftiger Thaten, es find Thaten der Leidenfchaft, welche die 
ewigen Weltgeſetze der Sittlichkeit verleßen und der Dichter will 
zeigen, daß das Schilfal die genauefte Rechenſchaft fordert und 
daß auch der letzte Heller der Schuld bezahlt werden muß. Daß 

J. 9 


130 Braut von Meifina. 


es bem Dichter alfo nit gelungen fei, und mit einem froben 
Bewußtſein unferer Freiheit zu entlafien, möchten wir deshalb 
mit Hoffmann nicht Flagen. Sch. kann e8 faum gewollt haben 
und zwar, weil e8 der ganzen Anlage der Tragödie nach um- 
möglih war. Das große, gigantiihe Schickſal, von dem er jelbft 
in „Shaleipeare’8 Schatten“ jagt, daß ed den Menfchen erhebt, 
wenn ed ihn zermalmt, thut Hier allerdings mehr das Letztere 
als das Erftere, aber die Idee der ewigen Gerechtigkeit triumphirt, 
wie mangelhaft dies auch im Einzelnen durchgeführt fein mag, 
wie viel bejonderd auch gegen die Mittel zu jagen jet, durch 
welche fie triumphirt. Mit voller Abfichtlichkeit ſchließt daher 
dad Stüd mit der dDräuenden Warnung: „Der Uebel größ- 
tes aber ift die Schuld.” Dafür aber au „von dem Moment 
an, wo die dumpfen, abnungsvollen Trauerklänge den Chor mit 
der Leihe Don Manueld ankündigen — von da an, wo Die 
ZTodtenflage in düfteren, beängftigenden Lauten erſchallt — welche 
Srandiofität des tragiſchen Effectö, dem fich in diefer Art kaum 
etwas Aehnliched zur Seite ftellen läßt.” (Bayer.) 

Sfabella, Beatrice, Don Manuel haben die fchwerften 
Schiejalsfhläge erfahren oder find ihnen erlegen. Don Ceſar 
fühlt, daß fein Dafein unmöglich geworden tft. Er beichließt 
dem Bruder zu folgen. Die Motive zu feinem Selbitmorde 
find im Geifte des ganzen Stückes gegeben, „nur mit Blut 
büßt fi) ab der blut'ge Mord,” „den Todesgöttern muß er 
feine Schuld zahlen,” „aber Damit will er auch den alten Fluch 
des Hauſes auflöfen,“ denn „der freie Tod nur bricht Die Kette 
des Geſchicks“. Die Brubderliebe, die Ceſar mit dem Schwerte 
gemordet bat, wacht in feinem Herzen verzehrend auf; der Tod 
ift ein mächtiger Vermittler, da Löfchen alle Zornedflammen auß, 
der Haß verſöhnt fih. Aber audy eine That der vergeltenden 
Gerechtigkeit will Don Ceſar üben, er will nicht glüdlich fein 
oder verfuchen es zu fein im Leben, „während Don Manuel'3 
heilige Unſchuld ungerächt im tiefen Grabe liegt” — jo tödtet 


er ſich. 


Braut von Meffina. 181 


Bielleicht ift auch dies noch eine letzte That der Leibenfchaft 
3 Mannes, der es unmöglih findet, mit firengen Buß- 
fafteiungen eine ewige Schuld allmählich abaufchöpfen, der mit 
gebrochenen Herzen nicht leben kann, der „freudig zu den Yroben” 
aufbliden, und mit freiem Geifte in den Aether über ihn grei- 
fen muß — aber dieömal ftrebt der Bewaltfame nad dem Him⸗ 
melreich, die Leidenſchaft dient der Selbftaufopferung, ber Mord 
übt furdhtbare Gerechtigkeit; ewige Mächte find e8 — die triumphi⸗ 
rende, reine Xiebe, die fühnende Gerechtigkeit — bie dem Helden daß 
Schwert in die Hand geben und ihm helfen, die irdiſchen Feſſeln 
zu breiden. Und will fcheinen, als habe Sch. nichts Schöneres 
geichrieben, als diefe Schlußfcene der Braut von Meflina, in 
weicher der Held dem janften und doch fo mächtigen Zuge des 
Lebens widerftebend, feinen felfenfeften Glauben an die Wahr: 
beit der fittlihen Ideen durch den Tod bethätigt und von ber 
unvollflommnen Liebe, die er mit jo wunderbar ergreifenber Bit: 
terfeit gejchildert Hat, zur vollfommenen binüberetlt. 

„Beil ih dich liebte über alle Grenzen“ 
Trag' ich den ſchweren Fluch des Brudermiorbe,” 
„Liebe Zu bir war meine ganze Schul“ 

So mag ber Tod ded Märtyrerd der Liebe auch ben Zu- 
ſchauer verfühnen und fo möchten wir und zum Schluß die vor 
treffliche Bemerkung Palleske's (vielleicht nach Hoffmeifter p. 86) 
aneignen: 

„Für uns hat Sch. dad Schidjal in eine höhere Ord⸗ 
nung aufgelöft, und indem er die Handelnden burd 
daB Leiden, welches über fie hereinbricht, zu— 
legt in Riebe vereinigt (die höhere Löfung bes 
Orakelſpruches), indem die Mutter endlich nad) tie- 
feren Heilquellen für die Schuld ſucht, nad Gebet, 
Einfamteit und innerem Aufbau, indem Don Ceſar dad 
Gericht für feine Greuelthat an ſich felbft vollzieht und 
mit der Schuld nicht leben kann, erweift fi dad, was 
fie betroffen, ald das einzige Mittel, welches dieſe wilden 

9 % 


132 Braut von Meifina. 


Naturen zum wahren und böchften Gute beranziehen 
Tonnte, das heißt, dad ſcheinbar Zufällige erweiſt fih alb 
bad Bernünftige und Nothwendige.“ 
Do lafſen wir den Dichter felbft ſprechen und ihn daB legte 
Wort behalten: 


Habella. 
D, hab’ ich euch nur barum nad Meifina 
Berufen, um euch beide zu begraben? 
Euch zu verföhnen, rief ich euch hierher, 
Und ein verderblich Schickſal kehret all 
Mein Hoffen in fein Begentheil mir um. 


Don Gefar. 
Schilt nit den Ausgang, Mutter! &8 erfüllt 
Sich alles, was verfproden ward. Wir zogen ein 
Mit EriedensHoffnungen in biefe Thore, 
Unb friepli werden wir zuſammen run, 
Berföhnt auf ewig, in bem Haus des Todes. 


Weber Sch.’3 Abfichten bei der Wiedereinführung des Chors 
Härt er und ſelbſt in feiner Einleitung binlänglich auf, die Sache 
läßt fi aber, nad einer jechzigjährigen Erfahrung, Türzer 
behandeln, ald died noch von Hoffmeifter gefchehen konnte. Diefe 
Erfahrung bat gezeigt, daß ihn die moderne Tragödie nicht will 
und nicht verträgt und daß wir Sch. Sag, „der alte Chor 
würde ohne Zweifel Shafefpeare'8 Tragödie erft ihre wahre 
Bedeutung geben“ zurüdweilen dürfen. ine eigentlih ent 
ſcheidende Probe Hätte Sch. auch wohl nur geboten, wenn er 
den kühnen Verſuch gemacht hätte, in einem Stüde von wefent- 
li moderner, ſhakeſpeariſcher Art den Chor nit nur möglich, 
ſondern für bie höhere äAfthetiihe Wirkung bed Ganzen fürber - 
lich, ja nothwendig erfcheinen zu laflen. Unſere deutſche Bühne 
ift vielleicht zu oft Gegenftand und Schauplap des Erperimen- 
tirend geweſen. Etwas Aehnliches liegt hier vor, und den Bor: 
würfen, die Sch.s Chore gemacht worden find, müflen wir und 
anfchliegen. Wenn Schlegel’ Ausdrud „der Chor iſt der idea⸗ 
Kifirte Zuſchauer“, die Wahrheit enthält, fo läßt er ſich auf den 


Braut von Meifina, 133 


pertefüchtigen Chor unjeres Stüded allerdings nicht anwenden. 
Nachdem Sch. in feiner meifterhaft gefchriebenen Einleitung dem 
Chore die wichtigften Afthetiichen Aufgaben gewahrt bat „uns 
vor ber blinden Gewalt der Affekte zu ſchützen und dadurch, daß 
er mit feiner berubigenden Betrachtung zwiichen die Paffionen 
tritt, und die Freiheit zurüdgugeben, die im Sturm ber Affekte 
verloren gehen würde”, fügt er am Schluffe hinzu: „Ich babe 
den Chor zwar in zwei Theile getrennt und im Streite mit 
ih ſelbſt dargeftellt; aber dies ift nur dann der Fall, wo er als 
wirkliche Perfon und ald blinde Menge mithandelt. Als Chor 
und ala ideale Perfon ift er immer eind mit ih felbft.” In 
dieſem unfcheinbaren „zwar” ftedt die Klippe, an ber Sch. 
gejcheitert tft. Man hat ganz richtig gefehen, daß Sch. ſich in 
der Nothwendigkeit befand, dad Erfcheinen bes Chores für daB 
moderne Publitum zu motiviren. So gab er dieje Rolle dem 
Gefolge der auftretenden Yürften, welches nun aber felbftthätig 
in die Handlung eingreift und alfo theild in dad Geſchehene 
verwidelte Perſon fein theild über allem Geſchehenen unpartetiich 
daftehen joll — ein Problem, welches auch hier nicht gelöft ift. 
Run läßt ſich nicht leugnen, daß bie perfönliche Phyfiognomie 
des Chores eine ziemlich niedrige ift, von dem Iſabella jagen 
darf: „Die wilden Banden, die euch folgen.“ Wie dieſer 
Chor, der in Unterwürfigfeit gegen die Fürflen wahrhaft fchwelgt, 
dann doch geeignet fein fol, uns unfere Freiheit zurüdzugeben, 
iſt nicht recht Mar, „da ihn felbft ja da8 verworrene Streben 
blind und ſinnlos durch's wüßte Leben treibt.” Died wider: 
ſpricht entſchieden dem prophetiſchen und priefterlihen Tone, den 
der Chor in den Zwilchenaften anfchlagen muß. Wir wollen 
jedoch nicht vergefien, daß wir dieſer mißlungenen Erneuerung 
des Chores vielleicht die in Sprache und Gedanken ſchwungvoll⸗ 
ſten Stüde Schiller'ſcher Poeſie fchulden. 

Schließlich noch ein Wort über die Kritik unſeres Stückes. 
Sch. felbft theilt uns mit, daß der Schöpfung der Braut von 
Meſſina dad Studium ded Aeſchylus voraudging; wir glauben 


184 Braut von Meifina. 


denjenigen unferer Zejer, welche dem Altertyum — obwohl es 
täglich mehr und mehr Gemeingut aller Gebildeten wird — noch 
ferner ftehen, einen Dienft zu erweifen, werm wir ihnen die geift- 
solle und ftreng wifienfchaftlidhe aber Do vollfommen le8- 
bare Studie, mit durchweg deutſcher Anführung ber Dichter 
ftellen, empfehlen, durch welde G. Dronte den ſchönften Grund 
zum Berftändniß nicht bloß dieſes fchillerfhen Stückes gelegt 
bat: „Die religidien und fittliden Borftellungen des Aeſchylos 
und Sophokles.“ Leipzig, Teubner, 1861. (24 Sgr.) Hoffmei⸗ 
fter ift befannt und anerkannt. So viel wir, wie aud unferen 
forgfältigen Anführungen hervorgeht, ihn jchulden, es will uns 
jcheinen, als ſei feine geiſtreiche Darftelung nicht recht aus 
einem Guß und jelbft nicht ganz ohne Widerſprüche; bebauer: 
lich ericheint und die verlehrte Interpretation der Motive Don 
Ceſar's zum Selbftmorde, die dem Schönften die Blüthe raubt. 
Mit großer Yeinheit hat VPalleste manche harte Beurtheilung 
unfered Dichter8 zu widerlegen oder zu mildern gewußt; dem 
Begriff des Schickſals bejonderd hat er in allgemein verjtänd- 
licher Weiſe vorzüglich erörtert. Nicht genug zu empfehlen ift die 
glanzuolle und ideenreiche Darftellung des Schillerfchen Geiſtes⸗ 
lebend durch Joſeph Bayer im dritten Bande des Buches: 
„Bon Gottſched bis Schiller.” Prag, Mercy, 1863. Endlich 
machen wir aufmerkſam auf bie jehr tüchtige, aber mit herber und 
ſchonungsloſer Kritik gegen den Dichter gerichtete Schrift von 
Baptiſt Gerlinger: „Die griechifchen Elemente in Schiller's 
Braut von Meſſina.“ Augsburg, Kollmann, 1858. (15 Sgr.) 
Wir ſelbſt haben, vielleicht zu unparteiifch, verſucht, Schil- 
ler ſowohl als feinen Gegnern gerecht zu werden, möchte ed und 
wenigftend gelungen fein, irberall durch gewiſſenhafte 
fahlihe Erörterung zum Denken angeregt zu haben. 
Wir wiederholen, dab unter den angeführten Büchern bad von 
G. Dronke den Lefer am tiefften in den Geiſt des Alterthums 
einführt und ihn zugleih am beften ausrüftet, tn freier Selbft⸗ 
ſtändigkeit Sch.’8 Werk zu beurtheilen. 


Breite — Brief. 158 


Breite und Ziefe (Ged.), ein didaktiſches Gedicht aus 
dem Jahre 1797. Es giebt eine Menge oberflächlicder Raturen, 
die, obwohl fie den Werth der Bildung nicht verfennen, doc 
einen verkehrten Weg einfchlagen und in der Bielwifierei daB 
Ziel ihred Strebens ſuchen. Bon ihnen ift eine Einwirkung auf 
bad Leben nicht zu erwarten; bieje geht vielmehr nur von Sol⸗ 
den aus, bie ihre Kraft zu concentriren verftehen, glei dem 
Baume, der allerdings auch prächtig grünende Zweige entwidelt, 
deflen Hauptftreben jedoch auf die ſchließliche Entwidelung des 
Samenkorns gerichtet tft, dad den Keim zu einem neuen Leben 
in ſich birgt. 


Brenta Gſtſ. 10, 136), ein kleiner Fluß, welcher auf den 


tridentiniſchen Alpen entſpringt und ſich in den — 
Meerbuſen ergießt. 


Bretagne, ſ. Warbeck und Britamia. 


Brett im Deean (M. St. 1,7) nennt Maria Stuart die 
- and England und Schottland beftehende Inſel Großbritannien, 
indem fie diejelbe einem im Meere ſchwimmenden Brett (planche 
de salut, d. t. Rettungäbrett) vergleicht, welches bei einem Schiff: 
bruche oft von Zweien erfaßt wird, um fi aus ber Gefahr 
bed Grtrinfend zu erretten. * 


Bretteln, im Brette jpielen; bei. (R. II, 3) Dame ziehen 
sder Schach fpielen. 

Brief, alter (W. T. II, 2). Der Brief war von Kaiſer 
Heinrich II. aus dem Jahre 1018. Im Sahre 1144 verwarfen 
de Waldftätte den Ausſpruch des Kaiferd Konrad III, ald er ein 
Urteil, welches Heinrich V. gegen fie gefällt, zur Ausführung 
bringen wollte, indem ſie fagten: „wenn der Kaiſer mit ihrem 
Schaden und mit Beichimpfung des Andenkens ihrer Väter ihre 
Alpen ungerechten Pfaffen geben wollte, fo jei der Schirm bed 
Reiches ihnen zu nichts nüße; fürhin wollten fie ſich jelbft mit 
ihrem Arm beichüten und das Erbtheil ihrer Väter vertheidigen.“ 


136 Brieg — Brüde. 


Somit traten fie aus dem Neichöverband, in ben fie erft 1152 
unter Friedrich I. zurũckkehrten. 


Brieg (Bft. 2. 10), Stadt an der Oder, oberhalb Breslau. 


Brigadier (Gftſ. 10, 143), fraf. ein General, weldher eine 
Brigade, d. h. eine größere Heeresabtheilung befehligt. 

Britannia (Geb. Die unüberw. Flotte), Die uralten Ein» 
wohner Englands, welche die Römer, als fle Eroberungsverſuche 
auf dieſer Inſel machten, dort antrafen, rechnet man zum celti- 
ſchen oder keltiſchen Stamme (ſ. Barden), unter dem Namen 
Britten ober Briten (M. St.), wovon auch die franzöſiſche Pro- 
vinz Bretagne ihren Namen bat. Sie wurden fpäter von den 
449 n. C. in England eingewanderten Angeln und Sachſen in 
bie Berge von Waled gedrängt, welche ihre Nachkommen noch 
heut bewohnen, haben aber „Großbritannien“ den Namen ge- 
geben. 

Britte (M. St. J, 6 u.1,7), |. Britannia. 

Bromius, |. Bacchus. 

Brud (VW. T. V, 1) oder Brugg im Aargau, ein freund- 
lies Städtchen an der Yar, Kurz vor ihrer Bereinigung mit der 
Neuß. Nicht weit davon liegt dag Stammſchloß Haböburg, in 
defien Nähe Kaiſer Albrecht I. ermordet wurde. 


Brüde, Die fhöne (Ged.), ein Epigramm aus dem Jahre 
1797. Dad „hinüber gehn“ (nämli über den Strom) 
intereffirt durch den verftedten Doppelfinn, während der fchnelle 
metrijhe Fluß der Worte die Bewegung malerijch ausdrückt. 

Brüde, Die, welde ſtäubet (W. T. V, 2). Wenn man 
von Bürglen aus im Thal der Reuß zum St. Gotthardt empor: 
fteigt, jo erblidt man zwei Straßen. Die alte ift ein holperiger 
Saumpfab unb zeigt noch zahlreiche Ueberreſte zerfallener Brüden 
und Granitpflafter, die neue Straße ift von den Urnern und 
Zejlinern im Jahre 1820 begonnen und 1832 vollendet worden, 
Da, wo fich das Reußthal zu einer jchaurigen Wildniß verengt, 





Bruder. 157 


führen zwei Brüden über den Abgrund. Die alte, die jogenannte 
Zeufelöbrüde (vergl. Berglied), ift 75 Fuß hoch und 6 Fuß breit, 
ohne Geländer, und größtentheild non Felsgewaͤchſen übermuchert. 
Die darüber [hwebente neue Brüde aud dem Jahre 1830 bildet 
einen einzigen Bogen von 25 Fuß Spannung, ber über einen 
95 Zuß tiefen Abgrund binwegführt, durch weldhen die Neuß, 
300 Zub hoch herabftürzend, donnernd über die Felſen dahin 
brauft, fo daß Alles, was die Brüde paffirt, von fortdauerndem 
Staubregen benegt wird. ine halbe Stunde weiter gelangt 
man zu Dem Urner Loch, einer durch den Felſen des Kilchberges 
geiprengten Gallerie (d. 5. Durchfahrt) von 180 Fuß Länge, 
15 Zuß Höhe und 16 Fuß Breite. Ehe diefe Gallerie (im 
Sabre 1707) gejprengt war, führte um die äußeren Wände 
eines der beiden Fellen (den fogenannten Schöllenen, zwiſchen 
benen die Reuß hervorbricht) eine in Ketten hängende Brüde, 
über welche der Fluß zu palfiren war. Die Brüde bieß bie 
„ſtäubende Brücke“ und die beiden Schöllenen müflen als 
dad „ſchwarze Felſenthor“ betrachtet werden. Hat man das 
Urner Loch palfirt, fo eröffnet ſich plötzlich eine überrafchende 
Ausficht auf das Tiebliche, grüne Urjeren-Thal (Sch.’8 „heiteres 
Thal der Freude”), ein Hochthal, in welches ſich zahlreiche 
Gletſcher herabſenken, und in dem Andermatt oder Urjeren der 
Hauptort ift. Bon hier aus fteigt man zu den fchwarzen Seen 
empor, etwa 60 an ber Zahl, unter denen ber Lago grande, der 
Lago Scuro, der Lago Sella und der Lucendro-See bie bedeu: 
tenbften find. Zwiſchen ihnen (bei Sch. „die ewigen Seen”) 
führt die Straße hindurch zu der aud mehreren Schneebergen 
beftehenden Gruppe de3 St. Gotthardt (f. d.), über einen Paß 
von 6650 Fuß Höhe, in dad Thal des Teſſin oder Ticino, auch 
Bal Tremola genannt, in welchem Atrolo das erſte italienifche 
Dorf if. Dies ift der Weg, welchen W. T. dem Johannes 
Barricida beichreibt. 

Bruder (Ged. 4.3. d. Aen. 119). Dido's Bruder, Pyg⸗ 
malion, Hatte ihren Gatten Sihäus ermordet. 


188 Brüder — Brutuß. 


Brüder, Die lothringiſchen (M. St. II, 3), |. Cardinal. 

Brügge (Bft. T. II, 15 — 3.0.0. 111,3) in Belgien, einft 
der Hauptort de3 ganzen europätichen Handel, war häufig Die 
Refidenz der burgunbifchen Herzöge. 

Brunel (W. T. II, 1) oder Brunegg, ein Schloß in ber 
Nähe von Brud (ſ. d.), nicht weit von der Heilquelle Schinznach; 
ed fol der Familienſitz bed Landvogts Geßler gewejen fein. 
Bertba v. Bruned (W. T. V, 1: „bie Brunederin”) tft nit 
geſchichtlich. 

Brünig (W. T. V, 1), ein 3580 Fuß hoher Paß, der von 
Sarnen aus hinter Lungern zu einem ehemaligen Zollhauſe 
hinaufführt. Bon der Paßhöhe aus hat man die Ausſicht in 
das Nidwalder: und das Hadlithbal und kann entweder nad 
Brienz oder nach Meyringen gelangen. 

Brünn (Wft. T. III, 10), Stabtäin Mähren. 

Brunnen (DV. T. I, 4), ein freundlicher Ort, der Hafenplap 
von Schwyß, an dem nördlichen Ufer des Vierwaldſtätter Sees, 
bei dem Audgange des Muottathales. 


Brüffel (D.C. 1,2 — Wrb.) in Südbrabant, einer Pro: 
vinz des jetzigen Königreichd Belgien, deſſen Haupt und Refidenz- 
ftadt es tft. Auf Herzog Alba’8 Befehl wurden 1568 bier bie 
Grafen Egmont und Horn hingerichtet. 


Brutus (R. Borr.), Marcud Junius Br., geb. 85 v. Chr., 
war dem Pompejus, obwohl derjelbe feinen Vater getödtet, nach 
Thefialien gefolgt, wo er an der Schlacht bei Pharfalus Theil 
nahm. Im Kampfe wurbe er von Cäfar gerettet, wegen feiner 
Berbienfte vielfach bevorzugt und ſogar zum Prätor gemacht; 
dennoch trieb ihn feine glühende Freiheitöliebe dazu, an die Spige 
der gegen Caͤſar gerichteten Verſchwörung zu treten und jeine 
perjönlichen Snterefien dem Wohle des Staated zum Opfer zu 
bringen. (Bergl. Philippi.) Ihm ftellt Sch. den Catilina 
gegenüber, der fchon unter Sulla’8 Schredendherrichaft fich durch 


Bub — Buchhändler » Anzeige. 189 


Greuelthaten audgezeichnet, felbft feinen eigenen Bruder getödtet 
batte und deſſen ganzes Leben eine Kette von Freveln war. Un 
der Spige einer Schaar junger Leute, die ihm an Laftern, Ge⸗ 
mußſucht und Ehrgeiz vollftändig glichen, befchloß er, zu einer 
Zeit, wo Pompejus mit der bewaffneten Macht im fernen Aſien 
beihäftigt war, fich des Staates zu bemeiftern, alled Beftehende 
umzuftürzen und fich mit feinem Anhange Befreiung von drüden: 
der Schuldenlaft, fo wie Aemter, Reichthümer und willkürliche 
Herrſchaft zu erringen. Aber Cicero überwachte feine Schritte, 
trat als jein Gegner auf, entdedte Die Ichändliche Verſchworung 
und veranlaßte, daß Batilina von feiner Flucht nach Gallten 
abgejchnitten ward, bei welcher Gelegenheit er wüthend fechtenb 
feinen Tod fand. — „Ein Brutus oder ein Eatilina” heißt alfo 
bier: Ein Freiheitäheld oder ein Verbrecher. 
Bub (W. T. V, 1), ſ. v. w. Knappe, Diener. 


Bucentaur, ein fabelhaftes Ungeheuer, welches man ſich 
zur oberen Hälfte als Menſch, zur unteren als Stier dachte 
(vergl. Alpheus; Iph. I, 3w.:9.); ferner war Bucentauro 
auch der Rame für die reich vergoldete Galeere, welche der Doge 
von Benebig jeit dem Sabre 1311 jedesmal am Himmelfahrts⸗ 
tage beftieg, um auf das adriatiiche Meer binauszufahren, wo 
er durch Verſenkung eined Ringes feine Bermählung mit dem- 
felben feierte. _&3 war died ein Sinnbild der Oberherrſchaft, 
welche fich die Republik Venedig über das adriatiſche Meer an- 
gemaßt hatte. Nach diefem Schiffe mochte fih bie gefchloflene 
Geſellſchaft (Gftſ. 10, 202 u. 218) genannt haben. 

Bud, Das goldene (%. 11,5), vergl. die Anmerfung zu 
(Ged. D. berühmte Frau). 

Budoen (Wfl... 11) am Federſee (f. d.), ein Städtchen 
im Donaufreife des jepigen Königreichs Würtemberg, welches 
fett 1495 ein Herzogthum war. 


Bucdhändler-Anzeige (Ged.), ein Xenion, das ſich (nad 
Biehoff) urfprünglid auf 3. 3. Spalding’8 Schrift: „Ueber bie 


140 Budweis — Bürglen. 


Beſtimmung des Menfchen”, 13. Aufl, 1794, bei Weidmann in 
Leipzig, bezieht. Auch unfere Öffentlichen Anzeigen würden einem 
geiftreichen Satirifer oft binlänglichen Stoff zu aͤhnlichen Epi⸗ 
grammen geben. 


Budweis (Bft. T. III, 10), Stadt an der Moldau im jüb: 
lihen Böhmen. 


Buggisgrat (W. T. IV, 1), ein Feldvorfprung in der Nähe 
bed Arenberges (f. d.) am Vierwaldſtätterſee. Dicht dabei Itegt 
die fogenannte Telldplatte mit einer Kapelle, die im Zahre 
1388 dort errichtet worden fein fol. Der Teufeldmünfter, 
ein einzeln emporragender Yeldblod, und dad Hackmeſſer, ein 
gekrümmter, fcharflantig gegen den See vorjpringender Fels: 
rüden, liegen zwiſchen dem Buggidgrat und der Tellsplatte. 

Bühel, fd. für Hügel oder Anhöhe (W.T. II, 2), ein Dorf 
im Entlebuch, auf der Straße von Luzern nad) Bern. 

Bulle, von dem lat. bulla, eig. Blafe; das erhabene Siegel 
an öffentlichen Urkunden; dann bei. a. eine päpftliche Verord⸗ 
nung. Die Bulle, durch welche Elifabetb (M. St. IV, 2) in 
den Bann getban wurbe, hatte ihren Grund nächſt ber beharr- 
lihen Weigerung der Königin, zur katholiſchen Kirche überzu- 
treten, beſonders darin, daß diefelbe in den Kirchengebräuchen 
bedeutende WBeränderungen vornahm, in Folge deren faft alle 
katholiſchen Bilchöfe fich weigerten, ferner ihr Amt zu verfeben. 


Bünde, |. Eidgenofien. 


Burg (Picc. V, 1) oder Hofburg (Wft. T. III, 13), das 
faijerliche Reſidenzſchloß im fübweftlichen Theile der Stadt Wien. 


Burgau (Bit. T. IV,2 u. V, 4), Stadt im Oberdonan: 
kreife Baierns, wo Wallenftein Edelknabe an dem Hofe ded 
Markgrafen von Burgau war. 

Bürglen (W. T. I, 1), ein reizendes Dorf in dem zum 
Canton Uri gehörenden Schäcdhenthale, war Tell’8 Geburtd- unb 


Bürgſchaft. 141 


Wohnort. Im Sabre 1354 foll Tell bei der Rettung eines 
Kindes im Schächenbache ertrunten fein. An der Stelle feines 
ehemaligen Wohnhauſes fteht jept eine Kapelle. 

Bürgfchaft, Die. (Ged.) Zu den Aufgaben, welche die kri⸗ 
tiſche Titerarifche Forſchung unferer Tage mit ganz befonberer Bor- 
liebe verfolgt, gehört auch der Nachweis der Quellen, aud denen 
die großen Dichter aller Zeiten geſchöpft und die fie umgeftaltet 
haben. Es ift wichtig, den Laien darauf aufmerffam zu machen, 
daß eigentlich neue Erfindung dichterifcher Stoffe viel feltener 
it, ald er glauben möchte, daß im Gegentheil die Menjchheit 
ih eine Anzahl thatfächlicher Kombinationen ald Grundlage 
von Luſt- und Zrauerfpielen, Mährchen, YZabeln, Anekdoten, 
Novellen, Geſchichten aller Art, ja ſogar von Wigworten und 
endlich jelbft von charakterifttichen Zügen aus dem Leben großer 
Männer von Geichleht zu Geſchlecht überliefert, und die alten 
Spielzeuge unermüdlich immer von Neuem wieder aufpust. 
Lafontaine bearbeitet die Yabeln der alten Römer, Griechen 
und jelbft Sndier und, um ein befanntes Beiſpiel anzuführen, 
Rückert's „Es ging ein Mann im Syrerland* findet fich zuerft 
in einem im Mittelalter hochberühmten Roman „Barlaam und 
Joſaphat“ (ſ. Piſchon, Leitfaden S. 37), der, in griechiicher 
Sprade aus Konftantinopel und zugekommen, urſprünglich wohl 
von den Ufern ded Ganges ftammt. Shakeſpeare's Quellen find 
erforfcht, mit feinen eigenen Dichtern tft das deutfche Bolt noch 
ſehr im NRüdftande. Eine glänzende Probe ber kritifchen For⸗ 
hung diefer Art bieten Büchmann's allbefannte „Geflügelte 
Borte”. Unfere Ballade wurde im Sahre 1798 gleich nach der 
Beendigung ded „Kampfes mit dem Drachen“ gedichte. Sc. 
jagt in einem Briefe an Körner, daß er fich bet feiner ber 
früheren Balladen der freien Kunftthätigfeit fo deutlich bewußt 
geweſen fei, als bei diefen beiden, und daß er fie mit ganzer 
Beionmenhett gedacht und organtfirt babe. — Was den Stoff 
betrifft, fo giebt Sch. ald feine Quelle dad Yabelbud des 
Hyginus an, eined römijchen Schriftftellers, defien Zeitalter fich 


142 Burgund. 


nicht genau beftimmen läßt. Das Buch befteht in einer Samm- 
kung von 277 mythologiſchen Erzählungen, die vermuthlich ale 
Skizzen alter Trauerfpiele zu betrachten find. Su der unferm 
Gedichte zu Grunde liegenden Erzählung von „dem höchſt grau- 
ſamen Tyrannen Dionyſius“ heißen die beiden Yreunde Möros 
und Selinuntind. Die ganze Darftellung ftimmt mit dem In⸗ 
halte des Gedichtes im Wejentlichen überein, nur daß von den 
Hinderniffen, welde dem auf ber Rückkehr begriffenen Möros 
entgegentreten, allein dad Anjchwellen ded Stromes genannt 
wird. Die übrigen find von Sch. Hinzuerfunden, um die Treue 
des Freundes in allmäliger Steigerung zur Anſchauung zu 
bringen und fomit einen lebhafteren Eindrud auf dad Gemüth 
des Leſers herporzurufen. — Andere Darftellungen derjelben 
Begebenheit finden ſich bei Porphyrius in dem Leben des Py⸗ 
thagorad, bei Diodor von Sieilien, bei Cicero, bei Balerius 
Marimud und in ben Novelle Morali von Francesco Soave, 
unter denen die vierte „Damone e Pitia“ wegen ihrer ergrei- 
fenden Darftellung und ihres poetiihen Schmudes zu einem 
intereffanten Vergleiche mit Sch.'s Ballade geeignet tft. 

Burgund (D. C. II, 5), ein zu Frankreich gehöriges Herzog: 
thbum, die jegigen Provinzen Burgund, mit der Hpft. Dijon 
und Franche⸗-Comté umfaflend, welches der König Johann von 
Frankreich 1362 feinem Sohne Philipp zu Lehen gab. Sein 
Sohn Johann ohne Furcht (Jean sans Peur) wurde in dem 
Kriege zwiſchen England und Frankreich, der von 1327 — 1435 
dauerte, vom Dauphin, dem fpäteren Karl VII., ermordet. Daber 
nahm fein Sohn Philipp der Gute („der mächtige Burgund“ 
J. v. O. Prol. 3) eifrigen Antheil an jenem Kriege gegen Frank⸗ 
reich. Mit Karl dein Kühnen, der gegen die Schweiger bei 
Nancy fiel (1477), jchließt die gerade Defcendenz dieſes Hauſes 
in männlicher Linie ab. Yür alle hiſtoriſchen Ueberfichten der 
Art empfehlen wir das eben fo geiftuolle als thatjachenreiche Ge⸗ 
ſchichtswerk von Knochenhauer, Handbuch der Weltgeichichte, 
3 Theile. Potsdam, 1860, bei Stein. 





Burkhart — Caͤcilia. 148 


Burkhart am Bühel (WB. T. Perf.:Berz.), ein einer alten 
Urbmde entlehnter Name. 

Burſche (R. I, 2), ehemals eine Benennung für Muſen⸗ 
föhne oder Studenten; burſchikos (Wft. L. 7) findentenmäßig, 
zügelloß. 

Buſiris (D. €. III, 10), ein tyrannticher König des alten 
Yegyptend, der feine Hände mit dem Blute aller Fremden be- 
fledte. Sch. verwerthet ihn, in der Verbindung mit Nero (f. d.), 
als einen Typus der Graufamleit. 


Buscage (Gftf. 10, 227), ein vermuthlich aus dem ttal. 
boschetto (Gebũſch) gebildeter, aber fchlecht franzöfirter Ausdrud 
für bosquet oder bocage (Wäldchen, Gehölz). 


€. 
(Urtitel, welche man bier vermißt, find unter MB aufzufuchen.) 


Cabale, |. Kabbala. 


Cabinet (Mech. VI, 1) tft tm Englifhen auch ſoviel wie 
Schubladenſchränkchen. 


Eäcilia (R. II, 3), in italieniſcher Schreibweiſe Cecilia 
(Br. v. M. 5, 451), der in Ad. Stahr's Text zum Raphaelalbum 
mitgetheilten Legende zufolge eine Jungfrau, die Tochter heidni⸗ 
ſcher Eltern, welche zu Ende des zweiten Jahrhunderts n. Chr. 
in Rom lebten, wo ſie dieſelbe einem edlen Jüngling, Namens 
Valerianus, verlobten. Dies war jedoch wider ihren Willen 
geſchehen, ba fie heimlich Chriſtin war und dad Gelübde abgelegt 
hatte, ewig Sungfrau zu Bleiben. Der Tag der VBermählung 
erſchien, und ſchon erſchallte der Hochzeitsreigen, aber „während 
die Suftrumente ertönten, tönte in ihrem Innern allein der Ruf 
um Hülfe zu dem Herm”. Dieſe Stelle der Legende ward Ber: 
anlaffung, Caͤcilia als die Schugpatronin der heiligen Muſik und, 
in weiterer Ausbildung der heiligen Sage, ald bie Erfinderin 
der Orgel zu verehren. Als der Bräutigam ſich ihr näherte, 


ng 
⸗ 


144 Kader — Canal. 


bedeutete fie ihm, daß ein Engel ihre Unfchuld bewadhe und 
wies ihn an den Biſchof Urban, durch welchen er zur chriftlichen 
Religion befehrt und getauft wurde. Bald aber brachen Chriſten⸗ 
verfolgungen aus, in denen Balerianud jowohl, wie die jung» 
fräulich gebliebene Cäcilie da8 Leben verloren. Schon in fehr 
früher Zeit feierte die Kirche im November große muſikaliſche 
Hefte unter dem Namen Cäcilienfeſte. Allgemein bekannt ift 
Raphael's berühmtes Bild zu Bologna, welches nach Ad. Stahr’8 
Ausdrud „die vollendete Perfontfication ber tiefiten und beilig- 
ften mufilalifhen Andacht” darſtellt, und durch welches ber 
Künftler gewiffermaßen „die chriſtliche Mufe der Tonkunſt“ ge 
Ihaffen. 

Eadir (D.C. V, 83), Seefeftung im füdlihen Spanien, am 
atlantiichen Meere. 


Caduceus, |. Hermes. 


Calais (M. St.II,2), eine Stadt in der Grafichaft Artois 
im nörblichen Frankreich, der gewöhnliche Weberfahrtäort nach 
dem fieben Stunden entfernten Dover in England. 

Ealatrava (D. ©. III, 7), ein fpanifcher, im Jahre 1164 
von Alfons II. geftifteter Orden, der als Belohnung ertheilt - 
wird. 


Samerale (R.I, 2), „dad Cam.” jebt gebräuchlich in der Form 
der Mehrheit „Cameralia“; die Wiſſenſchaften, welche von ber 
Staatöverwaltung handeln. 


Samönen oder Samenen, |. Mufen. 

Cana, Die Hochzeit zu (Oſtſ. 10,227), auf welcher Jeſus 
Waſſer in Wein verwandelte, |. Ev. Soh. 2, 1—12. 

Canal, von dem lat. canälis, eig. die Röhre, Wafferleitung, 
Waſſergraben. Der Canal (Bft. 10, 133) ift ber Canale grande 
oder Canalazzo in DBenedig, welcher die Stabt in Geftalt eines 
S durdhfchneidet und an einigen Stellen etwa 200 Fuß breit 
tft. — Bildl. (K. u. L. 1,2) ſ. v. w. Weg. 


Connä — Carneval. 145 


Cannä (R. 1,2), in Apulien, dem öftlichen Theile von 
Unteritalien. Hier brachte Hannibal i. 3. 216 v. Chr. den 
Römern, die unter den Conſuln Aemilius Paullus und Teren: 
tins Barro fochten, eine der fürchterlichften Niederlagen bei. 


Canterbury (M. St. 1,7), in der Grafſchaft gi. N. ſüdl. 
von der Themſe. Der Erzbifhof von C. ift Prima (ſ. d. des 
Reichs und eriter Pair (f. d.), refidirt aber in Kondon. 

Caplan (Ged. D. Graf v. Haböburg; Anm. — Dem. I), ein 
Geiftlicher, der einer Gapelle vorfteht, ein Haudpriefter, auch ein 
Hũlfs⸗ oder Untergeiftlicher. 

Carabinier (Wit. 2. I, 1), ein Reiter, der mit einem Cara⸗ 
biner (kurzed Yeuergewehr) bewaffnet tft. 

Carbinal, der Titel derjenigen Geiftlichen der- römiſchen 
Kirhe, die ihrem Range nach dem Papfte unmittelbar folgen. 
Shre Zahl ward 1526 von Sixtus V. auf 70 feftgefept. Die 
Wahl derjelben hängt allein von dem Papfte ab und wird ihnen 
durch Weberjendung ded Cardinalshutes befannt gemacht. Sie 
find durch die verjchiedenen Länder, in denen die katholiſche Kirche 
die herrſchende ift, vertheilt, daher (D. C. V, 9) „der Inquiſitor⸗ 
Sardinal oder der Cardinal-Groß-Inquiſitor“ (ſ. d.. — Die 
beiden Sardinäle, deren in Maria Stuart gedacht wird, |. 
Lothringiſche Brüder. 

Cardinal-Infant. PB. II, 7. W. T. III, 3 (f. Sch. Dr. 
Kr. 374. 416), d. h. der Prinz (wofür der ſpaniſche Austrud 
Infant, d. h. Kind ft, wie die Kinder der königlichen Familie 
„les Enfants de France” genannt wurden), welcher zugleich Car: 
dinal ift. Es war ber Bruder Philipp’8 ded Vierten von Spa: 
nien, ber Statthalter von Mailand, welder von hier nach Deutſch— 
land marfchirte und 1634 die enticheidende Schlacht bei Nörd— 
lingen gewinnen half. 

Carneval (ed. An einen Moraliften — Eſtſ. 10, 127), 
nad Einigen: von dem ital. carne vale, d. h. Fleiſch, lebe wohl! 
Die Faſtnachtsluftbarkeiten, der Faſching; vergl. Faftnacht. 

I. 10 


146 " Carolin — Eäfar. 


Carolin (8. u. 8. I, 5), eine Goldmünze von 6 Thalern 
- oder 11 rheinifchen Gulden. 


Cartouche (R. I, 1), ein berüchtigter Gauner aus dem An- 
fange des 18. Jahrhunderts. Er war Hauptinann einer Räuber: 
bande in der Normandie und machte fpäter jelbft die Umgegend 
von Paris unficher, bis er 1721 ergriffen und mit dem Rabe 
vom Leben zum Tode gebracht wurde. Noch während man ihm 
den Prozeß machte, brachte ihn Legrand auf die Bühne. 


Eäfar, Cajus Zulius (Sp. u. d. L.), geb. 100 v. Ehr., ein 
Römer aus altadeligem Geſchlechte, that fich ſchon im Jünglings⸗ 
alter im Kriege hervor, gelangte bald zu hohen Stantsämtern 
und ſchloß mit Pompejug und Cäſar dad erfte Triumvirat. 
Sm Sahre 58 war Cäfar nah Gallien gefchidt worden, wel: 
ches er eroberte, zur römiſchen Provinz machte und in vortreff: 
licher Weife verwaltete. Da bewirkte Pompejus einen Senat3- 
beichluß, zufolge deſſen Cäfar feine Truppen entlaffen und feine 
Statthalterfchaft niederlegen follte, widrigenfalld man ihn für 
einen Feind des Baterlandes erflären würde. Jetzt forderte Cäſar 
feine Soldaten auf, die Ehre ihred Yeldherrn zu rächen, ging 
49 über den Rubicon und nahm Stalien ohne Schwertichlag ein; 
daher (Wit. T. II, 2): 

„Was thu' ih Schlimmres, 
Als jener Cäſar tbat, — — — — — — 


Er führte wider Rom die Legionen, 
Die Rem ihm zur Beſchützung anvertraut.“ 


Hierauf wurden ihm bald alle höchſten Staatsämter übergeben, 
ſo daß er mit faſt unumſchränkter Gewalt regierte. Sein Leben 
iſt reich an denkwürdigen Ereigniſſen; daher (R. J, 1): „die 
Abenteuer des Julius Cäſar“. Er hatte 500 Schlachten ge: 
wonnen und 1000 Staͤdte erobert; daher war fein Glück ſprüch— 
wörtlich geworden (vergl. Ged. D. Glück und die oben citirte 
Stelle aus Wfl. T.). — Bildl. braucht Sch. feinen Namen für 


Caſſius — Catilina. 147 


„Held“, wie (Ged. Shakeſpeare's Schatten): „Es dürfte fein Cä— 
far auf euren Bühnen ſich zeigen?“ und (Ged. D. Flüfſe), wo 
Triebrich der Große mit dem Namen Cäfar belegt wird. 

@affius, vergl. Philippi. 

@aftellan (Dem. I.), von dem lat. castellum, Burg, Feſtung; 
ein Burgvogt, Schloßauffeher. Dann in Polen die hohen Abit: 
gen, welche ein ritterliche8 Schloß befaßen. 

Eaftilien (D. ©. I, 4), der Name für zwei ehemalß felbft: 
fändige Theile ded Königreichs Spanien, Alt: und Neucaftilien. 
Davon caſtilianiſch (D. ©. I, 3) und Caſtilier (Mith.), 1. 
vd. w. Spanier. 


Eaftraten oder Berfchnittene (Tur. Perf.:Verz.), ihrer 
Mannhaftigkeit künſtlich beraubte Weſen, welche in ben orien: 
taliſchen Ländern zur Bewachung der Frauengemächer ver: 
wendet werden. In der Gegenwart werden in Rom und felbft 
noch in Dredden foldhe Leute als Sänger benugt, weil fie in 
Folge der Caftration eine Sopranftimme behalten; daher (Sp- 
u. d. 2): „in den Gurgeln der verfchnittenen Enkel einer wim- 
mernden Opernarie frohnen“. Bildl „das fchlappe Caftraten- 
jahrhundert“ (R. I, 2), eine Zeit, der ed an Kraft fehlt, etwas 
Selbftändiged hervorzubringen. 


Saftriotto (Mith.), ein Ingenieur, der fi zu Ende bes 
16. Jahrh. um die Art der italientfchen Befeftigungen verdient 
gemacht bat, indem er die alte fpanifhe Manter durch einen 
vorgelegten Wal mit Fajemattirten Bollwerken verbeflerte. 


Catalonien (D. ©. III, 7), ein ſpaniſches Fürftentbum am 
Mittelmeere, von den Pyrenäen bis über die Mündung ded Ebro 
hinaus. Bielleicht dachte Sch. an unferer Stelle an die Unruhen, 
die der in Ungnade gefallene Staatejecretär Philipp’8 II., An: 
tonio Perez, aud Rache in Aragonien erregen wollte. 

Eatiltne, |. Brutus. 

10 * 


148 Cavalier — Gentraliiche Sonne. 


Gavalier, von dem ital. cavallo, Pferd; eig. ein Ritter 
wie das frzi. Chevalier (D. C. 1,4, od. (R. II, 1 — F. J, 
9 — GEſtſ. 10, 128) Edelmann — der Cavalier (Wit. T. IV, 11) 
ift von Rofenberg, Theklas Stallmeifter (j. das Perſ.-Verz.). — 
Frankreichs Cavaliere (M. St. II, 1), die damald an dem eng» 
liſchen Hofe anmwefenden, zur franzöftichen Gejandichaft gehören- 
den vornehmen Herren. 

Cawdor (Mech. I, 3), ein Waldſchloß im mittleren Schott- 
land in der Nähe des Murray: Golf, jebt eine fait ganz zer- 
fallene Ruine, in deren Nähe dem Reijenden noch der Ort.ge: 
zeigt wird, wo Macbeth angeblich mit den Heren zujammentraf. 

Gedern (R. I, 2), ſchöne und kräftige Bäume von bedeu- 
tender Höhe, welche zur Familie der Nabelhölzer gehören. „Ce⸗ 
bern gehauen auf dem Libanon“ ift eine Anipielung auf die 
Bibeljtellen 1. Chron. 23, 4 und 1. Kön. 5, 6, wo von den zu 
dem Tempelbau gehauenen Cedern die Rede tft. 


Cekrops (Ged. D. Kraniche d. Ibykus), |. Athen. 


Eentaur (Iph. IV, Zw.:9.), ein fabelhaftes Weſen des 
griechiſchen Alterthums, welches zur oberen Hälfte als Menjch 
zur unteren als Pferd dargeftellt wurde. Die Borjtelung von 
ſolchen Roßmenſchen ſcheint ſich erſt in der nachhomeriſchen Zeit 
ausgebildet zu haben; denn Chiron (Iph. III, 4) erſcheint bei 
Homer noch nicht in der Miſchgeſtalt, die er bei ſpäteren Dich— 
tern annahm Die Centauren waren ein ſehr beliebter Gegen: 
ftand der bildenden Kunft bei den Griechen; beſonders dachte 
man fi in der älteften Zeit den Wagen des Bacchus, wie er 
im Siegeszuge aus Indien zurüdfehrte, von ſolchen Weſen ge: 
zogen; daher findet man die Gentauren oft in den Darftellungen 
ſolcher Bacchuszüge, weshalb ed (Ged. Pompeji und Hereula- 
num) von der Bacchantin heißt: 

Flüchtig tummelt fie Hier den rafhen Gentauren, auf einem 
Knie nur ſchwebend, und treibt frifh mit dem Thyrfus ihn an.“ 


Centraliſche Sonne, ſ. Plejaden. 


Gerberud — Charis. 149 


Cerberus, der Höllenhund, (R. I, 2), „die heulende Beftie“ 
genannt, wird gewöhnlich mit drei Köpfen dargeftelt. Er hatte 
Die Schatten der Iinterwelt zu bewachen, ließ alſo Teden hinab, 
aber Riemanben wieder herauf; daher (Ged. D. Triumph der 
Liebe) „der wilde Hüter“; vergleihend (F. V, 6) „wie ber 
hölliſche Kettenhund“. 

Gere, |. Demeter. 


Chalets (Iph. I, Zw... u. V, 6), eine auf der Weftfeite ber 
griehifhen Inſel Euböa (Negroponte) gelegene Stadt, an der 
Meerenge (dem Euripus), welche dieſe Inſel von dem mittel: 
griechifchen Feſtlande trennt, etwa Auliß gegenüber (f. d.). 


Chalons (3. v. O. III, 2), Stadt an der Marne, in dem 
nördlichen Theile der Champagne. 

Chaos (R. Borr.), nad) der Anficht der Griechen der Zu- 
ftand des Weltalld vor dem Schöpfungdacte, wo alle Elemente 
in wilder Berwirrung durch einander gemengt waren, aus ter 
die Weltförper nah und nach hernortraten. Der Auddrud findet 
fi nur in Sch.’3 Jugendarbeiten (Kauralieder; Geb. Größe der 
Welt, d. Freundſchaft, R. IV, 5 ꝛc.), wo man ihm bad Streben 
anmerkt, fi mit feiner Phantafle in die Unendlichkeit zu ftürzen. 


Ehapitre, j. Fremdwörter (Capitel). 


Charis (Myth.), eigentli ein griechiſches Wort, welches 
„Reiz“, „holdes Weſen“, „Anmuth“ bedeutet, |. v. w. das latei⸗ 
niſche „Grazie“; ald Eigenname tft es nach Homer zunädhft die 
ihöne Gattin des Bullan (ZI. 18, 382, ſ. auch Od. 8, 267); 
gewöhnlich aber werden drei folder Grazien, auch Chari: 
tinnen oder Huldgättinnen unterjdhieden. Sie waren nad) 
Heftod Töchter des Zeus und der fchönen Dceanide Eurynome 
und hießen Euphrofine, Aglaja und Thalia. Homer (31. 5, 338. 
14, 269. 17, 51. Ob. 6, 18. 8, 364. 18, 194) bezeichnet fie 
als Dienerinnen der Venus; ihr falben fie da8 Haar, baden und 
Ihmäden fie mit zierlich geftidten Gewändern, und umſchweben 


150 Charis. 


fie in anmutbhigem Tanze. So werben ſie allgemein als bie 
Göttinnen der Anmuth gedacht und erfcheinen als ein Bild des 
gejeligen Beifammenjeind, das durch Anftand und feine Sitte 
geregelt, durch Schmud und Freude gehoben wird. Sch. find 
vor allen Dingen die Frauen die perjonificirten Grazien, daher 
heißt e8 im Gegenſatz zu ihnen von den Männern (Geb. Würde 
der Frauen): 
Es befehden fih im Grimme 
Die Begierben wilb und roh, 
Und der Eris rauhe Stimme 
Waltet, wo die Charts floh.” 
Bon den Frauen felbit dagegen (ebenbaf.): 
„Und in der Grazie züchtigem Schleier 
Nähren fie wachſam das heilige Feuer 
Schöner Gefühle mit Heiliger Hand.” 
Den Künjten verleihen die Grazien das Höchſte, ohne das jene 
weder beſtehen noch gefallen können, nämlich den Reiz der An: 
muth; daber fchmüden fie alle VBerhältniffe im Leben bed Men- 
Ihen, denn (Ged. D. Künitler) jelbit 
„Wo taufend Schreden auf ihn zielen, 
Solgt ihm ein Harmonienbad), 
Sieht er die Huldgättinnen fpielen, 
Und ringt in ſtill verfeinerten Gefühlen 
Der lieblichen Begleitung nad.“ 
Und fo wird denn die Huldigung verftändlich, weldhe ihnen der 
Dichter (Ged. D. Götter Griechenlands) darbringt: 
„Betend an der Grazien Wltären, 
Kniete da die bolde Priefterin, 
Sandte ſtille Wünfche m Cytheren 
Und Gelübde an die Charitin.“ 
Hiernach wird nun au die Art umd Weife Mar, wie die bil: 
dende Kunft die Grazien darftellt. Sie ftehen, einander bie 
Hände bietend, oder fich gegenfeitig umfchlingend, im Kreije, wie 
auch die Wohlthaten ſich von Einem auf den Andern fortpflan: 
zen und zuleßt zu dem, der fie gejpendet, zurüdfehren, wodurch 


Sharon — Charybde. 151 


das die Menſchen vereinigende Band noch enger geknüpft wird. 
In vielen andern Fällen, wie (Ged. D. Künftlr. — D. €. 
I, 8. — 9.288. — GEſtſ. 10, 137, 217 u. 234) bedeutet Gra⸗ 
gie (Int. gratia) nichts Anderes als Anmuth, Lieblichkeit, Liebreiz. 
Endlich werden (R. II, 1) aud Vergangenheit und Zukunft als 
Grazien bezeichnet. 


Eharon (Ged. Semele 1. — Die berühmte Frau) tft der 
Fahrmann in der Unterwelt, ein alter Diener bed Pluto. Er 
hält Wade am Styr und nimmt die Seelen der Abgefchiedenen 
in Empfang, die er in feinem Kahne (f. Acheron) nach dem Tar: 
tarus hinüberführt; daher (R. IV, 5): „Ihwarzer Schiffer“ 
und (Ged. D. Ideal u. d. Leben): „des Todtenſchiffers 
Kahn“. Das Geldftück (Obölus), welches dafür gezahlt werden 
mußte, pflegte man den Verftorbenen unter die Zunge zu legen. 


Charybde (Ged. D. Tauder). Die Charpbdi war ber 

Sage nach eine Tochter des Neptun und der Erde, und wurde 

ihrer Unerfättlichleit wegen von Zupiter in's Meer geftürzt, wo 

fie jede Schiff, das fich ihr näherte, verfchlang. Died war in 

ber Meerenge von Meſſina gefchehen, weshalb der dort befind: 

lihe Strudel im Alterthum allgemein gefürchtet war. Gegen: 

| wärtig hält man eine Stelle am Eingange bed Hafens von 
| Meifina für die Charybdis der Alten. Sie ift etwa 100 Schritt 
| breit und wogt und wirbelt beftändig, auch wenn bad Meer 
ſonſt gang ruhig ift. Webrigens iſt fie mır bei Sturm gefährlich, 
und wenn nicht gerade Südwind weht, fo fahren die Schiffer 
ohne Gefahr hinüber. Mit der Charybdid zugleich wird ge: 
wöhnlih die Scylla genannt, d. h. eigentlih Hündin, daher 
(Ged. Odyſſeus) „der Scylla Gebell“. Es iſt ein einzeln ftehen- 

ber Felſen an der Küfte von Salabrien, mehrere Meilen von 
Meifina entfernt. Das Meer bricht ſich bier mit einen heulen: 

den Tone, und wenn der Wind und bie eintretende Yluthftrömung 
einander entgegengejegt find, fo tft die Fahrt am diejer Stelle 
allerdings ſehr gefährlih. Dur ben befannten Vers der 





152 Chatulle — Cherub. 


„Alerandreis” des mittelalterlihen Dichters Philipp Gualtherus, 
Bch. 5, V. 301: 


„Incidis in Scyllam, cupiens vitare Charybdim.“ 


Du ftürzeft in die Scylla, während Du die Charybdis zu ver- 
meiden wünſcheft — find dieſe gefährlichen Stellen ſprüchwörtlich 
geworden. 


Chatulle, ſ. Schatulle. 


Eherub (ed. An die Freude), pl. Cherubim (3.0.0. 
Prol. 4) im A. T. der Name eined geflügelten Wunderthieres 
mit menſchlichem Antlig, das man fi immer in Verbindung 
mit Jehovah, bejonderd ald Träger jeined Wagenthroned dachte 
(vergl. Heſekiel, Gap. 1 u. Cap. 10, 14; ferner Pf. 18,11 u. 
Pi. 80,2); Ipäter diente der Name zur Bezeichnung für Engel 
höherer Ordnung (vergl. 1. Moſe 3,24); jo 3.3. (Mech. 1,14), 
wo es in Beziehung auf Duncan’8 Ermordung heißt: 

„Daß wider diefe ſchauderhafte That 
Sich feine Tugenden wie SCherubim 
Erheben werben.“ 


und (ebendaf. IV, 1), wo Roſſe in Beziehung auf Macduff's 
Reife jagt: 
— — — Irgend ein 
Wohlthät'ger Cherub fliege vor ihm her 
Nah England und entfalte fein Geſuch.“ 
Die Stellen (Ged. Die Johanniter): 
„gerrlich‘ kleidet fie euch, deB Kreuzes furchtbare Ruftung, 
Wenn ihr — — — — — — 
— — — — mit der Cherubim Schwert ſteht vor dein heiligen Grab.” 
(D. C. I, 6): 
„Wie Gottes Cherub vor dem Paradies 
Steht Herzog Alba vor dem Thron.“ 
und (Dem. I): 


„Und über jedem Haufe, jedem Thron 
Schmebt der Vertrag wie eine Cherubs wache.“ 


Ehevalier — Chiragra. 153 


find Anipielungen auf 1. Moſe 3, 24: „Der Herr trieb Adam 
and und lagerte vor den Garten Eden den Cherub mit einem 
bloßen hauenden Schwert, zu bewahren den Weg zu dem Baum 
ded Lebens.“ 

Chevalier, |. Eavalier. ‚ 

Ehiffern (Sftf. 10, 146.253) od. Ziffern (M. St. II, 4), 
geheime Zeihen, welche mur diejenigen, die fie miteinander ver: 
abretet, entziffern oder dechiffriren (Oftſ. 10, 253) können. 

Chimäre, zunädft ein fabelhaftes Ungeheuer, das nad) 
Homer's (SI. 6, 179. 16, 328) Befchreibung vorn ein Löwe, in 
der Mitte eine Seid und hinten ein Drache war und verderben: 
bringende Flammen ſpie. Bellerophon, ein Sohn des Könige 
Glaukos von Korinth, beflegte ed mit Hülfe der Minerva, die 
ihm Apollo’8 Flügelroß, den Pegafus gab, jo daß der Angriff 
von der Zuft her möglich ward. Bildl. ift Chimäre (D. €. II, 10) 
eine Träumerei, ein Hirngefpinnft. 

China (Zur.), ein großes Kaiferreih im öftlichen Alien, 
das auf 200,000 Duabdratmeilen 430 Millionen Einwohner zählt 
und außer dem eigentlichen China mit der Hauptftadt Peling, 
bei Sch. Pedin (Zur. I, 1) faft das ganze innere Afien um: 
faßt. — Ferner ift China ter Name eined Heilmitteld, der 
Rinde des in Peru wacjenden Fieberrindenbaumed (Cinchona 
Condaminea); daber jagt Pantalon (Zur. II, 2): 

„Da mußt ich nichts von China, ald es ſei 
Ein trefflih’8 Pulver gegen's kalte Sieber.“ 

Chinon (3.v. O. Prol. 3), gew. Chateau Chinon, Städt: 
den an der zur Seine fließenden Yonne, öftlih von Revers 
(47° Br.). 

Chiozza (Gftj. 10,257), richtiger Chiöggia [fpr. Kiobdicha], 
ein ziemlich bedeutender Hafenort, ſüdlich von Venedig, noch in 
den Lagunen des Meeres gelegen. 

Chiragra (Wft.2.8), von dem gr. cheir, Die Hand, ſ. v. w. 
Handgicht, im Gegenſatz zu Podagra oder Fußgicht. 


154 Chiron — Chor. 


Chiron, ein weifer Mann (ph. III, 4) des Alterthuns, 
ber ald Erzieher großer Helden, bejonderd des Herfuled und bes 
Achilles (Iph. I, Zw.:H.) genannt wird. Als fein Bater wird 
Kronod, als feine Mutter Philyra, des Oceanus Tochter, an: 
gegeben. Da fi) Kronos bet der Ueberraſchung der Philyra aus 
Furcht vor feiner Gemahlin in ein Roß verwandelte, fo wurde 
Chiron (Sph. IV, 3w.:H.) fälfchlih al3 Centaur (vergl. d.) an- 
gejehen. 

Chor, von dem gr. choros, ein Rundtanz, mit Gejang ver: 
bundener Reihentanz. 1) Eine Schaar von Tänzern und Sän- 
gern, wie (Ged. D. Kraniche d. Sbyfus, Str. 12—18) der Chor 
der Erinnyen bejchrieben wird, deſſen furdhtbarer Eindrud auf 
die verjammelten Zujchauer die Entdedung der Mörder herbei: 
führt. Seine Bedeutung in der antiten Tragödie ift zunächft 
aus den Zwilchenhandlungen der Iphigenie zu erjehen. Dazu 
beftimmt, die Pracht und das Yelerliche der Handlung zu er: 
höhen, bildete er urjprünglich einen Hauptbeftandtheil derfelben 
und wurde erft fpäter zur Nebenſache herabgebrüdt. Die Per: 
onen des Chors erfcheinen ald Zeugen der auf der Bühne ftatt- 
findenden Vorgänge, und treten mitwirfend ein, wenn die Hanb- 
lung einen Stilftand erfährt, um den durch den Borgang 
erzeugten Empfindungen einen Auddrud zu leihen. Außerdem 
aber wendet fi der Chor auch an die handelnden BPerfonen, 
denen er in der Geftalt von Bemerkungen Rath und Warnung 
oder Troft und Ermahnung ertheilt. In einem Briefe an Goethe 
vom 29. December 1797 ſchreibt Sch., „daß in dem Drama bie 
gemeine Naturnahahmung am beiten durch Die Einführung jym: 
bofiiher Behelfe verdrängt werbe, die in allem dem, was nicht 
zur wahren Kunſtwelt des Poeten gehört, und aljo nicht darge: 
ftellt, fondern bloß bedeutet werden fol, die Stelle des Gegen: 
ſtandes vertreten.” in ſolches Mittel ift ihm der Chor in 
der „Braut von Meſſina“ (|. d.), von dem W. v. Humboldt 
fagt: „Er ift die lebte Höhe, auf der man bie Tragödie den: 
profatihen Leben entreißt und vollendet die reine Symbolif des 


Choröbus — Circe. 155 


Kunſtwerks.“ — In den „Maltheſern“ follte der Chor eine 
freiere und felßftändigere Stellung erhalten als in der Braut 
von Meifina; er follte den guten Geiſt ded Ordens vertreten, 
wie auch in der „Huldigung der Künſte“ der Chor dem ſymbo— 
liſchen Handeln der Landleute mit feinem idealen Ausdruck zu- 
gleich die höhere Weihe ertheil. — Chor’ ift 2) ein vollftim- 
miger Gefang, an dem Alle Theil nehmen. wie (ed. An db. 
Freude), wo er dazu beftimmt ift, das von einzelnen Stimmen 
Ausgeſprochene zu verallgemeinern oder zu befräftigen, überhaupt 
aber die Gedanken und Empfindungen auf dad Höchfte und Un: 
vergängliche Hinzulenfen. — 3) Ein erhöhter Drt in der Kirche 
für fingende Schüler oder „Chorfnaben” (J. v. O. IV, 6), 
bie in der katholiſchen Kirche bei der Mefie zugleich andere 
Dienfte zu verrichten haben. Im Vergleich zu dem hohen Chor, 
auf welchem ber Hauptaltar fteht, heikt es von der Jungfrau 
Maria (3.0. O. IV, 3) bildlich: 
„Sie felder wandelt in des Himmels Chören.“ 


Ehoröbus (Ged. 2. B. d. Aen. 61), f. Kaffandra. 


Eicade, ein geflügeltes, in füdlichen Gegenden ziemlich 
häufiges Inſect (Br. v. M. 5, 418), ein Schmud in der Geſtalt 
ſolches Thieres. 

Cicisbeo (F. J, I), ital. eig. ein Lispler, gew. ein vertrauter 
Freund einer verheiratheten Frau, nach italienischer Sitte ein 
begünftigter Liebhaber. 

@imbale, j. Symbale. 

Eingulum (Ged. D. Gang nah d. Eifenhammer), ter 
Gürtel oder die weiße Schnur, mit welder die katholiſchen 
Priefter ihr weited Gewand aufgürten. 

Ciree (Myth.), eine Tochter des Sonnengottes, der fie auf 
jeinem Wagen nach Weften mit ſich führte und auf einer bei 
Stalien liegenden Inſel ausjepte. Diefe Injel verwandelte fie 
bald in einen zauberifchen Aufenthalt, beihäftigte ſich auch viel 


156 Cirkel — Eithäron. 


mit Kräutern und der Bereitung von Zaubertränfen, und warb 
durch ihre Künfte jelbft den Begleitern des Ulyſſes gefährlich, 
der bei jeinen Srrfahrten auf ihrer Injel landete (Od. 10, 136 ff.). 
Bildl. iſt Eirce (3.0. O. II, 10) der Ausdrud für ein weib- 
liches Wefen, das fih auf die Künfte der Verführung veriteht. 

Eirkel, lat. circulus (Verkl. v. circus), ein Kreiß; 1) eine 
befannte mathematifche Figur (Wit. T. IV, 8), vergl. Archimedes; 
2) ein Werkzeug zum Meſſen (Wfl. T. 1,7); 3) ein ringförmiger 
Körper, wie eine Krone, daher (Picc. V, 1) „goldener Cirkel“, 
vergl. Reif; 4) der Kreidlauf, wie (Ged. Räthjel 9): 


„So drebn wir uns in ew’ger Jugend 
um Di herum im Cirkeltanz.“ 


od. bildl. ein Kreislauf von Erjcheinungen (R.IV, 2), 5) ein 
Kreis von Borftellungen (K. u. L. II, 4); 6) gefchlofiene &e- 
jellichaft, wie (Get. An d. Freude): „Schließt den heil'gen 
Cirkel dichter”; desgl. (K.u.8. I, 7 — Sp. d. Sch.), daher 
auch (ebendaf.): „Ring ded Vergnügens“; endl. Familienkreis 
(Bftj. 10, 170). 

Eithäron, in einigen Ausgaben Cythäron, der Name 
eines Berges in Böotien, in der Nähe von Theben. Er wurde 
beſonders ald Sig der Juno angejehen; daher (Phön.): „Juno's 
Au, die den Gipfel Cithärons fhmüdt“; ferner (Bed. Se: 


mele 1): 
„Pfauen Suno’3, erwartet mein 
Auf Cithärons wolkigtem Gipfel.“ 


(ebendaſ.): 

„wie frohlockend dann 

Will ih herüber vom Cithäron meiben mein Auge.“ 
und (ebendaf.):- 
„auf Cithärons Bipfel 

Stand fiegfrohlockend Juno.“ 
Außerdem war dieſer Berg auch dem Dienſte des Bacchus ge: 
weiht; daher heißt es (Ged. 4. B. d. Aen. 56): 


— — — — — — — „wenn von Cithärons Stirne 
Dad nächtliche Geheul der Schweftern widerhallt.“ 


Bither — Columbus. 157 


Either, ein Saiteninftrument der alten Griechen, ähnlich 
unferer (Wfl. T. III, 4) gleichfalls Cither genannten Guttarre; 
daher (Iph. IV, 3w.:9.): 

„Wie Iteblich erflang 

Der Hochzeitsgeſang, 

Den zu ber Cither tanzluftigen Tönen, 
Zur Schalmei und zum libyſchen Rohr 
Sang der Kımenen 

Verſammelter Chor.” 


Sie tft ein gewöhnliches Attribut der Sänger oder Dichter; 
daher (Bed. Pegafus im Joche): 
„Die Either Fingt in feiner leſchten Hand.” 

Claudius, |. Appius El. 

Clauſel (Bicc. II, 1 u. IV, 7), von dem lat. clausüla, 
weiches jo viel wie Einſchränkung, Bedingung, Vorbehalt be: 
deutet. Davon: fi verclaufuliren (Picc. IV, 7), fi durch 
Einjhräntungen oder Bedingungen ficher ftellen. 

@lermont (3. v. D. I, 4), Hauptftabt der Auvergne, an 
dem zur Xoire fließenden Allier gelegen. 

Sollifion (Gſtſ. 10, 218), von dem lat. collidere, zufam: 
menftoßen; da8 Gegeneinanderwirfen zweier Kräfte, zweier 
Naturen von verijhiedenem Charakter. 

Colmar (Bar. I, 1), Hauptort des Departements Oberrhein 
im Elfaß. 

Golofieum (M. St. I, 6), auch Coliſeum, das größte 
Amphitheater des Altertbumd, dad in Rom untes dem Kaifer 
Beipafian für öffentliche Schaufpiele erbaut wurde und deſſen 
großartige Trümmer noch jetzt ftehen. Die Benennung ift nicht 
antik Tondern italieniih, das Wörterbuh von Yanfani leitet 
den Namen von den Kolofjal: Statuen her, mit denen ed ges 
ſchmückt war. 


Columbus (Ged.), ein epigrammatifchee Gedicht aus 
tem Sahre 1795. Golumbus hatte, wie befannt, mit vielen 


158 Comitat — Concept. 


Scywierigfeiten zu Tampfen, ebe es ihm gelang, mit den zu 
jeinem kühnen Vorhaben nöthigen Mitteln ausgerüſtet zu wer: 
den. Selbft Hohn und Spott hatte er von denen zu erbulden, 
die das Streben jeined Geiftes nicht zu fallen vermochten. — 
W. v. Humboldt nennt den Schluß dieſes Epigrammd über: 
raſchend und bezeichnet den darin enthaltenen Gedanken als eine 
große und kühne Idee. Auf diefe paßt auch Göthe's Urtheil 
über die Xenien überhaupt, der die feinigen unſchuldig und ge: 
ringe, die Schiller'ſchen dagegen „Iharf und ſchlagend“ 
nennt. So bat auch das vorliegende Schlußdiftichon eine viel 
umfaflendere Bedeutung, ald die bloße Anwendung auf den vor- 
liegenden Fall glauben läßt. Wer mit den Naturwiſſenſchaften 
genauer vertraut tft, wird hundert Mal die Erfahrung gemacht 
haben, daß die Geſetze unfered vernünftigen Denkens mit den 
Geſetzen, nad) welchen die Natur wirkt und fchafft, in über: 
rafchender Weiſe zufammenftimmen; und nicht jelten wird ber 
Forſcher auf dem Gebiete der Natur diefe oder jene Form, eine 
oder die andere Erfcheinung mit innerer Nothwendigfeit con: 
ftruiren, und nachher die Freude haben, dad in der Natur ver: 
wirklicht zu fehen, was feinen @eifte ald nothwendig eriftirend 
bereitö vorgefchwebt hat. 

Comitat (Wft. T. V, 2), von bem Iat. comitäri, beglei- 
ten, die Begleitung, dad Gefolge. 

Committee (M. St. I, 7), die engliihe Form für das 
franz. comite, von dem lat. committere, beauftragen; ein Aus— 
ſchuß berathſchlagender Perſonen, Unterſuchungsausſchuß. 

Compendienmenſchen (R. Vorr.), von dem lat. compen- 
dium, d. 1. Abkürzung, kurzer Inbegriff; alſo ein in Die aller: 
nothwendigften Züge zujammengebrängtes Bild von den zu zeich- 
nenden Berfonen. 

Eoncept, von dem lat. concipere, entwerfen, auffepen 
(M. St. I, 1), der erfte fchriftliche Entwurf einer Arbeit; „das 
Concept verderben” (R. II, 3) od. „aus dem Concepte bringen” 


Concurrenz — Convenienz. 159 


(Par. UI, 4), die Ordnung der Gedanken ſtoͤren, Jemanden ver: 
wirren. 

Concurrenz (Gſtſ. 10, 201), die Mitbewerbung; auch ale 
Anfpielung auf die aftrologifhen Anſchauungen (Wfl. X. I, 5), 
das Zufammentreffen der Umftände, ähnlich einem Zufammen: 
treffen der Geftirne (vergl. Conjunction). 


eonfißciren (Wft. 2. 11 — R. Borr.), mit Beichlag be: 
legen; fcherzhaft, wie (%. Perſ.⸗Verz.) „ein conficirter Mohren: 
kopf” od. (K. u. & 1, 2) „ein confidcirter Kerl”, d. h. von ver: 
tächtigem Anfehen. 


Sonfunction, in der Aftronomie dad Zufammentreffen 
zweier Planeten in dem nämlihen Himmeldzeihen; (Wit. T. 
I, 5) eine Bereinigung von Truppencorps; Conjunctur (R. 
Borr.), dad Zufammentreffen von Umftänden. 


Eonnetable, eigentl. latein. comes stabuli, der Voriteher 
bed Marftalles, eine Hofwürde ber fränkifchen Könige, fpäter der 
Titel des Kronfeldherrn in Frankreich von der Zeit Pipind von 
Herftall bis unter Ludwig XIII., der diefe Würde i. J. 1627 
durch ein Edict aufhob. Der Sonnetable (J. v. O. 1, 1) 
oder Kronfeldherr (ebendaf. I, 10) war de Richmond aus 
der Bretagne. 


Eonftabler, von dem mittl. lat. constabularius, eig. Stall- 
od. Lagergenoſſe, ehemals Zeltbruder, überh. (Wit. L. Perj.:Berz.) 
jeder Soldat. 


Eonte Ambaffador (Picc. II, 2), tal. (wo e3 freilih 
aınbasciadöre [scia, fpr. „scha“] beißt), der Graf: Gejandte. 


Eonterfei (R. Borr. u. V,1), verd. aus dem fr3j. Contrefait, 
Das Abbild, die Nachbildung. 


Eonvenienz, von dem lat. convenire, übereinfommen ; 
1) Uebereinlommen, wie (Oſtſ. 10, 167) „elterlihe Gonvenienz“ ; 





160 coram «— Correctheit. 


2) Schicklichkeit, herfömmliche Sitte, wie (8. u. &, I, 3): „mit 
Sonvenienzen zerfallen fein.“ 


eoram, lat., vor Augen od. in Gegenwart; coram neh— 
men (8. u. % I, 1) in der Studentenfprade ſ. v. w. zur Rebe 
ftellen, außichelten. 

Cordon, frzſ. die Schnur; 1) (Sp.d. Sch.) die Hutſchnur; 
2) (R. II, 3) eine Linie von Truppen. 


Cornariſcher Palaſt (Gſtſ. 10, 233), Palazzo Cornara, 
einer der ſchönſten Paläfte Venedigs, ein Meifterwerl von 
Palladio. 

Cornet (Picc. V, 2), ein Fähnrich od. Standartenträger 
bei der Reiterei. 


Eoromandel, die Oftküfte von Borderindien; „auf falfchen 
Brettern von Coromandel” (F. J, 12), auf nad Oftindien jegeln: 
den Schiffen. 

Corporal (R. I, 2), frzl. caporal, Unterofficier; die Stelle 
(Bft. L. 7): 

„Und wer’d zum Gorporal erft hat gebracht, 

Der fteht auf der Leiter zur höchften Macht.” 
Mlingt in dem Munde des Wachtmeiſters wie eine Prophezeihung, 
bie an die feinem Stande durch Napoleon widerfahrene Ehre 
erinnert. 


Sorreetheit (Bed.), ein Epigramm aus dem Jahre 1796. 
So wie die Natur ihre Geſetze hat, nach denen fte verfährt, fo 
giebt ed auch Geſetze für alles fünftleriihe Schaffen und Wirken, 
welche die Kunftrichter an den bereitö vorhandenen Runftwerfen 
erfannt und nun als Norm für weitere Tünftleriiche Leiftungen 
aufgeftellt haben. Wer vor dem Tadel der Kunſtrichter ficher 
fein will, der wird ſich num natürlich den beftehenden Geſetzen 
fügen, und jeine Schöpfungen werben, wenn fie correct find, eine 
gewifle academijche Strenge verrathen. Das Gente aber, das 
ſich mit Freiheit bewegt, wird dreift über jene Geſetze hinausgehen 


Corrofiv — Ereatur. 161 


und die Kunftrichter zwingen, die Größe defielben anzuerfennen 
und ihre Theorie den Anforderungen der fortichreitenden Kunft 
gemäß zu modificiren. 

Corrofiv, von dem lat. corrodere, zernagen; ein Aetz⸗ od. 
Auflöfungdmittel; daher „eorrofinifhes Gift“ (R. I, 1), 
ein ſcharfes, freſſendes Gift; bildl. (Gftſ. 10, 204), ein zerftören: 
des Mittel. 

Eorfar (Br. v. M. 5, 393 — Mlth. — Gfti. 10, 168), 
ein umherkreuzender Seeräuber, bef. die der ehemaligen Raub: 
ftanten Tripolis, Tunis und Algier, welche dad mittelländilche 
Meer unficher machten. 

Corte (D. C. IV, 23), der aud dem Könige und ben 
Ständen in Spanien beftehende höchfte Gerichtähof (cortes, fo: 
viel wie „Höfe“). Seit dem Verfall der mauriſchen Herrichaft 
in Spanien, wo die chriftlihen Fürſten ein Gebiet nad dem 
andern eroberten, hatten fi überall ftändiiche Körperfchaften 
gebildet, welche dig königliche Gewalt befchränkten. In Gaftilien 
und Aragon, den beiden Hauptftaaten Spaniens, beftanden die: 
jelben aus der Geiftlichkeit, dem Adel und den Städten. Die 
Abhängigkeit ded König von den Cortes war eine jehr bebeu- 

' tende; erft Ferdinand und Sjabella gelang ed, fich unabhängiger 
| von denjelben zu machen, wie denn auch Philipp II. i. 3. 1591 
Ä ihre Borrechte bedeutend einfchräntte. 
| @reatur, von dem lat. crestüra; 1) ein Gefchöpf (R. V, 1), 
| wie (Menjchenf. 1): „Die unvernünftige Greatur”; 2) ein abhän: 
giged Wefen, dad einem Andern fein Glüd zu verdanken hat 
(D. C. II, 9 — Sp.d. Sch. — GEftſ. 10, 187), daher bei. ein 
Sinftling (D.&. 11,8 u. V, 9; bildl. um die Ergebenheit gegen 
eine Perſon zu bezeichnen, wie (D. &. II, 4): 
„Die Luft, 
Das Licht um und tft Philipp's Creatur.“ 


oder auch die Ergebenheit gegen eine überlegene Macht, wie 
(R. V, 2): „Creaturen des Abgrunds“; 3) ein unfittliches 
Frauenzimmer, wie (V. a. v. E.): „verworfene Creatur“. 

J. 11 





162 eredenzen — Cybele. 


erebenzen, wohl von dem ital. credenza, d.t. Glaube; wörtl. 
beglaubigen, dann auch vorkoften, nach der ehemals an den Höfen 
beftehenden Sitte, Speifen und Getränfe zu koften, ehe man fie 
einem Andern zum Genufie darreichte; in ironiſcher Ausdrucks⸗ 
weife (M. St. I, 6) ſ. v. w. vergiften. — Credenztiſch 
(Bicc. IV, 1), Anrichtetiſch. 

Ereditor (Pic , 1 — V. a. v. E.), ein Gläubiger, der 
Geld ausgeliehen und zu fordern hat. — Creditiv (Wfl. T. 
I, 5), Beglaubigungsjchreiben, fchriftliche Vollmacht; auch bildl. 
„das Grebitiv eined Wunderthäterd” (Gftſ. 10, 196), d. i. die 
Beglaubigung, welche ihm die leichtgläubige Menge ertheilt. 

Crequi (3. v. O. V, 10), gew. Crécy, ein Städtchen in 
der Picardie, bei welchem Eduard III. von England i. $. 1346 
über Philipp VI. von Valois einen Sieg erfodht, der den Fran: 
zofen über 30,000 Streiter Toftete, ihm felbft aber den Beſitz 
von Calais verſchaffte. 

Criminalprozeß (K. u. L. II, 6), ein Gerichtsverfahren, 
bei dem es ſich um Leib und Leben handelt; daher (K. u. L. 
III, 1) „peinliche Anklage“. 

Cumberland (Meb. I, 8), eine engliſche Grafſchaft an der 
Iriſchen See auf dem Weftabhange des Peakgebirges. 

Eupido, |. Eros. 

euruliſch (Ged. Pompeji u. Hereulanum); ber curulifche 
Stuhl, d. i. Rollfeffel (sella ourulis), der Ehrenftg oder Thren 
der Könige des alten Roms, jpäter der Conſuln, Prätoren und 
Aebtlen. 

Eyane (Geb. D. Eleuſiſche Yeft), die Kornblume, tn der 
wiffenfchaftliden Sprache der Botanif Centaur&a Cyänus ge: 
nannt. — Cyane tft auch (Geb. D. Götter Griechenlands, Str. 4) 
eine Yreundin der Projerpina. 

Eybele (Myth.) war urfprünglihd eine phrygiſche Gott- 
beit. Der Sage nah war fle die Tochter des phrygiſchen 


Cyclopenftadt. 14163 


Koͤnigs Mäon und der Dindyma. Der Vater hatte ſich einen 
‚Sohn gewünſcht; da ihm aber ſtatt deſſen eine Tochter geboren 
ward, jo wurde er unmuthig, trug diefelbe nach dem Berge 
Sybelns in der Mitte von Kleinaften und überließ fie dort der 
Einſamkeit. Indeſſen nahmen ſich Löwen und Panther bes 
Kindes an und ſäugten e8, und Hirtenfrauen beforgten fehre 
Erziehung. So wuchs dad Mädchen, nach dem Berge, anf dem 
man fie gefunden, Cybele genannt, beran und verrieth bald 
durch Berftand und Schönheit ihre vornehme Herkunft. Sie 
entdedite mancherlei Heilmittel, woher fie den Namen „die gute 
Mutter vom Gebirge” erhielt, und lehrte die Menſchen Ackerbau 
und Künfte. Urfprünglich war ihr wichtigfter Sig die phrygtiche 
Hanbelsftadt Peſſinus, wo ihr ein prädhtiger Tempel erbaut war, 
bald aber verbreitete ji) ihr Dienft über ganz VBorderafien und 
von da nad Griechenland, wo fie beſonders ald Allernährerin 
und als Sinnbilb der fruchtbaren Erde betrachtet ward. Die 
bildende Kunft Hat ihr die Löwen ald Attribute gegeben und 
ftellt fie biöweilen auf einem Wagen ſitzend dar, der non -zwei 
Löwen gezogen wird; daher (Geb. Der Spaziergang): 
„Mutter Cybele ſpannt an bed Wagens Deichfel bie Lömen, 
In das gaftlidde Thor zieht fie als Bürgerin ein.” 

Nicht felten wird fie auch ald Matrone mit einer Mauerkrone 
auf dem Haupte abgebildet, um auf bie durch den Aderbau ent 
flandene Gründung der Städte hinzudeuten; daher (Geb. Des 
Eleufiſche Bei): 

„Und der Thore weite Ylügel 

Sepet mit erfahrner Hand 

Cybele und fügt bie Riegel 

Und der Schlöffer feftes Band.” 


Eyclopenftadt (Iph. IL, 4; V, 6). Die Eyflopen (d. i. jo: 
viel wie Rundauge) werden von ben Alten verſchieden aufgefaßt. 
Einmal find e8 die riefenhaften, einäugigen Söhne des Uranos 
(Himmel) und der ®&a (Erbe), welche dem Zeus den Blig 
ſchmieden. Homer ftellt fie ald ein im fernen Weften, worunter 

11* 


164 Cyllenius — Cypreſſe. 


man fpäter Sicilien verſtand, wohnendes menſchenfreſſendes 
Rieſenvolk dar (Od. 9, 106 ff.). Noch andere Cyklopen, aus 
Aften abgeleitet, wurden als die Erbauer der Riejfenmauern an: 
geſehen, die ſich aus uralter Zeit her an vielen Stellen Griechen⸗ 
Iand3 fanden und Die man daher cyklopiſche nannte. Dies gilt 
befonderd von Argos, von dem an unferen Stellen die Rede tft 
(. d. u. Perſeus). 

Eyllenius, |. Hermes. 

Eymbale (H. d. 8.) od. Cymbel, von dem lat. cymbälum, 
eine Kleine, mit Schellen verſehene Pauke. Bei den Alten war 
e& ein Snftrument von Erz, dad aus zwei hohlen Beden beitand, 
die beim Zufammenfchlagen einen been Ton gaben, wie bie 
Meifingbeden unferer Militairmuſik. 


Eynthus (Ged. Semele 2 — 4.2. d. Xen. 27), ein Berg. 
auf der Inſel Delod, an deflen Fuße dem Apollo ein Tempel 
erbaut war. i 


Cypreſſe, in ber botaniſchen Sprache Cupressus semper- 
virens, ein mäßig großer, fchlanfer, immergrüner Baum mit 
Tenfrecht eniporftrebenden Aeften und pyramidenförmiger Krone, 
ähnlich der unjerer Alleepappeln. Cr wählt am Mittelmeer 
und im Orient, wo er ſchon fett alter Zeit den Göttern geheiligt 
war und feiner büfteren Färbung wegen ald Sinnbild der Trauer 
auf die Grabftätten gepflanzt wurde; Daher (Ged. 2.2. d. 
Aen. 120): 

„Daneben ein Cyprefſen baum, feit lange 
Mit Andacht von den Vätern angeblidt.“ 
ferner (Geb. 4. DB. d. Aen. 92): wo ed von dem Holaftoß, den 
die Königin Dido für fi errichten läßt, heißt: 
„Ihn ſchmückt die Königin, wohl wifſſend, was fie thut, 
Mit einem Kranz und ber Cypreſſe traurgen Ueften." 
und (Dr. v. M. 5, 466): 


„Diefe Cyprefſe laßt und zerfchlagen 
Mit ter moͤrdriſchen Schneide der Urt, 


CHpria — Dagobert. 165 


Eine Bahre zu flechten and ihren Zweigen, 
Nimmer foll fie Lebenbiged zeugen, 

Die die töbtlihe Frucht getragen, 

Rimmer in fröhlichem Wuchs fih erheben, 
Keinem Bandrer mehr Schatten geben; 

Die fi genährt auf des Mordes Boben, 
Sof verfludgt fein zum Dienft ber Zodten!” 

CHpria, |. Aphrodite. 

Eyprier (F. 1,7 u. III, 5), ein fihwerer und beraufchenter 
Wein von der Infel Eypern, (%. I, 4) „enpriicher Nektar” ge: 
nannt. 

Cyther (Iph. IV. 3m.:9.), richtiger Cither (f. d.) 

Cythere 

Eytheren \ 

Czaar (Dem. TI), ein vermuthlich aus Caesar gebildetes 
ruffifches Wort, tft der Titel der Beherrfcher des rufflichen 
Reiches; davon abgeleitet: Czaaritza (Dem. I), die Gemahlin 
des Czaar; ferner czaariſch (ebenbaf. I), j. v. w. kaiſerlich; 
und Czaarowitſch (ebendai. I), des Czaaren Sohn. 


ſ. Aphrodite. 


D. 


Da Capo (R. II, 3), ital. vom Anfange, von vorn, um 
die Wiederholung einer geſungenen Strophe anzudeuten; „das 
Da Capo” (R. Borr.), die Wiederholung. 


Dagobert (3. v. D. Prol.), Beherrſcher von Auftrafien, 
d. h. dem öftlichften Theile des alten Frankenreiches, war der 
legte König von einiger Bedeutung aud dem Stamme Chlodwigs. 
Nah dem Tode jeined Vaters fielen ihm auch Neufirien und 
Burgund zu, fo daß er fortan (+ 638) über dad ganze Franken⸗ 
. reich regierte. Er wurde zu St. Denis (f. d.), dad er 632 
gegründet hatte, beigefept. 


166 Damaft — Dämon. 


Damaft (K. u. L. II, 3), nad der Stabt Damascus benann- 
tes, geblümted Zeug. 


Dämon. Unter den Dämonen dachte man fih im Alter: 
thum Mittelmejen zwifchen der Gottheit und den Menjchen, wie 
3.2. Perſeus (f.d.), der (Br. v. M. 5, 425) ein Dämon genannt 
wird; und zwar wurden fie tbeild als gute, theils als böfe 
Geifter angefehen. Die erfteren, unter denen man fich biöwellen 
auch die Götter felbjt dachte, wurden bei Betheuerungen ange- 
rufen, wie (Geb. 2.3. d. Xen. 24): 


‚Und nun bei allen himmliſchen Dämonen, 
Die in des Herzens tieffte Falten jehn, 

Wenn Treu und Glaube noch auf Erben wohnen, 
Zap fo viel Leiden Dir zu Herzen gehn.” 


Der böfen Geifter oder Racegätter dagegen, welche (Iph. IT, 4 
— Meb. V, 12) den Menſchen nur Unheil brachten, wurde bei 
Verwünſchungen gedacht. So jagt Dido im Beziehung auf dem 
Aeneas (Ged. 4.3. d. Yen. 120): 
„3 fehe der Barbar vom hohen Dcean 
Mit feinen Augen diefe Flammen fteigen, 
Und nehme meined Todes Zeugen 
Zum Blagebämon mit auf feiner Wogenbahn.” 
beögl. Thejeus (Ph. IV, 3) zu Hippolyt: 
— — — ‚Dir folgt 
Ein Rahebämon, bem Du nicht entrinnft." 
Sehr häufig braucht Sch. den Auddrud Dämon im fymbolifchen 
Sinme. So heißt es (Iph. II, 2) von Menelaus: 
Sag' an, was für ein Damon fpridt aus Deinen 
Entflammten Aug?" 
feruer (Bed. Die Künftler) von der Wahrheit, „der furchtbar 
herrlichen Urania“, daß fie 


„Nur angefchayt von reineren Dämonen 
Verzehrend über Sternen geht." 


⸗ 


Dämon. 167 


Und von dem Manne, der in feinem kühnen Streben ſich über 
feine eigene Natur erheben möchte, beißt ed (Ged. Würde der 
Frauen): 
„Seiner Menichlichkeit vergefien, 
Wagt ded Narmmes eitler Bahn 
Mi Dämonen fid zu meſſen, 
Deuen nie Begierben nah.” 
Seit dad Chriftenthum unter den Griechen ımd den Römern 
die herrſchende Religion wurde, galten den hriftlichen Religtons- 
lehrern alle früheren Gottheiten als böfe Geifter, fo daß fle dann 
Dämon auch vorzugsweiſe in diefem Sinne nahmen, in welchem 
es noch bis auf die neuefte Zeit allgemein gebraucht wird. So 
jagt Don Carlos zur Eboli (D. &. II, 8), ald er bemerkt, bag 
fie feine Geheimmiſſe eripäht: 
„Brinzeffin — Rein, das geht zu weit — Ich bin 
Berrotien. Sie betrügt man nit — Sie find 
Mit Geifſern, mit Dämonen einverfianden.” 
Ehen jo jagt Don Manuel (Br. v. M. 5, 411) in Beziehung 
auf das Gluͤck: 
— — — — — — — — „des Dämons Neid 
BVirb keine Macht mehr haben über mid.” 
desgleichen Don Ceſar (ebendaf. 429): 
And daß ich feft fogleich den Zufall faffe 
Und mich verwahre vor bed Dämons Neide.“ 
eben fo der Chor (ebendaf. 423): 
„Denn die Rahegätter fhaffen im Stillen. 
und endlich Iſabella (ebenda. 475): 


„D, muß ein neid'ſcher Dämon mir bie Wonne 

Des Heiß erfichten Hugenblid$ verbittern 
Schließlich bezeichnet Dämon den Zuſtand eines verbitterten 
Gemüthes, wie (Br. v. M. 5, 402): 


Gehorcht 
Dem Dämon, ber euch fimlos wüthend treibt." 





168 Danade — Daphne. 


oder ſ. v. w. Trübfinn (Wfl. T. III, 4); in demfelden Stimme 
nennt auch Wallenftein (Wit. T. III, 4) den Buttler „feiner 
böjen Dämon.“ 


Dänae (Bed. Semele 2), Myth., die Tochter ded Acriſius 
und der Eurödice, wurde von ihrem Bater aud Bejorgniß vor 
einem Drafelfpruche, welcher ihm verfündet hatte, daß ihm von 
feinen Nachkommen der Tod drohe, in einem Thurme oder einem 
ebernen Gemache verwahrt, damit Niemand zu ihr gelangen 
fönne. Nichtsdeftomeniger wurde fie von Zupiter in der Ge⸗ 
ftalt eined goldenen Regens befucht, in Folge deflen fle der 
Perſeus (f. d.) gebar; daher (Br. v. M. 5, 425): 

„Ein dringt der Bott auch zn verjchläffnen Thoren, 
Zu Perſeus Thurm bat er den Weg gefunden.“ 

Danaer (Ged. 2. B. d. Xen. 23 — Sph. I, 1) ift bei 

Homer häufig der Name für die Griechen. 


Danaiden (Myth.) find die funfzig Töchter des aus Aegypten 
ftammenden Danaod, des Gründerd von Argos. Auf Befehl 
ihred Vaters ermordeten fie (mit Ausnahme ber Hypermneſtra) 
ihre Männer in der Brautnacht. Zur Strafe für diefe That 
mußten fie in dem Tartarus beftändig Wafjer in ein Faß gießen, 
defſen Boden durchlöchert war. Dad Zah der Danaiden tft 
baber für vergebliche Arbeiten zum Sprüchwort geworden. So 
fagt Dunotd (3.0. O. 1,4) von der Agnes Sorel, die dem faft 
verarmten König ihren ganzen Reichthum zum Opfer bringt: 

„Sie ſchöpft ind lecke Faß der Danaiden.“ 
daher auch bildlich (F. IL, 1): „Thränen, bie im durchlöcherten 
Siebe ber Ewigkeit ausrinnen“ Das Epigramm: Die Da- 
natden (Ged.) bezieht fih nach Viehoff auf das Werk: „Neue 
Bibliothek der ſchönen Wiſſenſchaften“, begründet von Nicolat, 
fortgefegt von Felix Weiße und Gottfried Dyk. Sch. nannte 
ed „die Leipziger Geſchmacksherberge“. 

Daphne (Myth.), eine Nymphe, die Tochter des Flußgottes 
Penéus und der Gäa (d. h. der Erde), wurde von Apollo 


Darbanellen — David. 169 


geltebt. Als er fie einft verfolgte und fast erreicht hatte, flehte 
fie Supiter um Hülfe an (Geb. Die Götter Griechenlands, 
Str. 4), der fie in einen Korbeerbaum verwandelte. 


Dardanellen (Ged. Hero und Leander), der ehemallge 
Hellefpont (vergl. Helle), eine etwa 10 Meilen lange Meer- 
enge, weldye die europäiiche Türkei von Kleinafien trennt und 
das ÄAgätiche Meer mit dem Marmora: Meere verbindet. 


Dardanien 
Dardanier 


Dardanus (Geb. 2.2. d. Aen. 132), ein Sohn ded Supiter 
und der Elektra, hatte and Betrübniß über den Tod feines 
Bruders Safton, welchen der eiferfüchtige Jupiter mit dem Blitz 
erſchlagen, ſein Geburtöland Arcadien verlafien und fich in 
Kleinaften angefledelt, wo er Teucerd Tochter, Batela, zur Ge⸗ 
mahlin bein und fo der Stammpater ber Trojaner ward (Ged. 
4.3.2. Aen. 67). Nach ihm wurden daher die Trojaner häufig 
auch die Dardanier (Bed. 2.32. d. Yen. 7) genannt; eben fo 
hieß die Landihaft in Kleinafien, in welcher er die nach ihm 
benannte Stadt erbaute, Dardania oder Dardanten (Geb. 
2. B. d. Aen. 109), ein Name, der auch oft poetifch für Troja 
gebraucht wird. 


Därfena, Die (F. II, 15), der innere Theil bed Hafens von 
Genua, der durch Vorgebirge und zwei herrliche alte Hafen: 
dämme geſchuͤtzt ift. 

Daffelbigkeit (Dem. 1), ſ. v. w. ewiged Einerlei. 


Daupbin war von 1349 bis zur franzöfiichen Revolution 
der Zitel des Kronprinzen von Frankreich. Johanna Fredet 
(3.0. O. I, 10) den König fo an, deögleichen nennt ihn Talbot 
(ebendaf. II, 1) fo, weil er noch nicht gekrönt ift. 


David, der Sohn Iſais (J. v. D. Prol. 4), war nad 
(1. Sam. 16, 1—13) von Gott zum Sönig ber Juden aus⸗ 


ſ. Dardanus. 


170 Dechant — Delphi. 


erwählt worden. Wie er den Goltath Wit. L. 8) erſchlug, wird 
1. Sam. 17 erzählt. 


Dechant (M. St. I, 2), aud dem Int. decanus (eig. ein 
Vorgeſetzter über Zehn) entftanden; der Borfteher eines Stift, 
der Obergetftliche. 

dechiffriren, |. Chiffern. 

deelamiren, eig. mit Empfindung vortragen; ſcherzh. (R. 
IV, 5) prahleriſch reden. 

Degen (3. v. D. Prol. 3), bildl. für Held. 

Deiphobus (Ged. 2.3. d. Aen. 55), ein Sohn des Pria: 
mus und der Hekuba, einer der tapferften Trojaner. Bei der 
Eroberung Troja's wurde zuerft feine Burg von Odyſſeus und 
Menelaus geftürmt und in Brand geftedt. 

Delia, |. Artemis. 

beltcat, von dem lat. delicatus; 1) fein (F. IL, 3), 2) amt 
(Bar. I, 5), 3) ſchonend (%. II, 9), 4) empfindlich (F. II, 8). — 
Delicateffe: 1) Zartheit, feine Schonung, Zartgefühl (Par. 
1,3 — Wrb. — OEſtſ. 10, 170, 206, 228); 2) vorfichtige Zurüd: 
haltung (K. u. L. IH, 1); 3) zärtlide Schmeichelei (F. I, 4). — 
delicids (R. II, 3): Töftlich. 


Delinquent, ein in Berhaft genommener Verbrecher; „auf 
Delinquentenmeife” (D. C. IV, 9), wie eine Miflethäterin. 


Delos (Geb. 4. B. d. Aen. 27), die mittelfte Inſel von 
ben im ägäiſchen Meere liegenden Cyeladen, der Geburtöort ded - 
Apollo und der Diana. 


Delphi war tm Alterthum eine eine, aber überaus wich: 
tige Stadt in Phocis. Es war der Gig bed berühmteften 
Orakels der Griechen und batte feinen Namen von Delphos, 
einem Sohne be3 Apollo, erhalten. Daher jenden die Griechen 
(2. B. d. Aen. 19) „nad Delphi zu Latonend Sohne“, näm: 
lich zu Apollo. Hier, in dem „delphiſchen Heiligthum“ 


Delphin — Demeter. 111 


(Br. v. M. 5, 468) erhielt Dreftes die Mittheilung, daß er in 
Athen gefühnt werden jolle, wo die Erinnyen ihn nicht antaften 
tonnten. Der Ausdrud „delphiſches Entzüden“, befien 
ji$ Juno, die vermeintlihe Beroe (Ged. Semele 1), verglei: 
chungsweiſe bedient, bezeichnet Die prophetiiche Begeifterung, in 
weldhe die Priefterin des Apollo verjept wurde, wenn fie bie 
Drafel verfündete. 


Delphin, ein dem Wallfiſch verwandtes Säugethier, deffen 
Arten in verfchiedenen Meeren leben. Die bildende Kunft ftellte 
den Delphin (Gftſ. 10, 249) ſchon im Alterthum dar, jedoch in 
einer fabelhaften Geſtalt. Auch jept noch findet man ihn in 
dieſer Yorm häufig zu Yontainen benupt, in denen er Waffer: 
ftrahlen aus jeinen Naſenlöchern emporſpritzt. 

Demant, |. Diamant. 


Demeter (Myth.), bei den Römern Geres, eine Tochter 
des Saturnud und der Rhen, war die Schwefter des Jupiter 
und des Pluto. Ste wurde allgemein als die Göttin des Ader: 
baues und der Yeldfrüchte verehrt, welche die Erbe fegnet und 
eine gedeihliche Ernte verleiht; deshalb jagt Zeus (Bed. Semele 2) 
zu Mercur: 

—— — Erhebe deinen Flug 

Zu Ceres, meiner Schweſte — — — — — — ⸗ 

Zehntaufendfach ſoll ſie auf funfzig Jahr 

Den Urgiern die Halmen wiebergeben.” 
Die Art ihres Wirkens und ihres Verkehrs mit den Menſchen 
Ihildert in lebendiger Weiſe „das eleufiiche Feſt“ (Ged.), und 
jelbft in modernen Darftellungen führt Sch. fie ald ſymboliſche 
Geſtalt ein. So heißt es (Ged. Der Spaziergang): 

„Jene Linien, fieh! die des Landmanns Eigenthum ſcheiden, 

Su den Teppich der Flur hat fie Demeter gewirkt." 
Ebendaſelbſt läßt Sch. fie „des Pfluges Gefchen?” herbeibringen. 
Herner erjcheint fie als die Alles ernährende Mutter, die ben 
Menfchen Speije giebt, darum heißt ed (Geb. Die Gunſt des 
Augenblid3) von dem gededten Tiſch: 


172 Demetrius, 


„Denn was frenımt ed, daß mit Leben 
Ceres den Altar gefhmüdt.” 
Sa, in der Braut von Meifina (5, 394) wird fie geradezu gleich- 
bedeutend mit der reifenden Saat eingeführt: 
„Nicht wo bie goldene Ceres lacht 
Unb ber frieblihe Ban, der Flurenbehüter; 
Wo das Eiſen wächſt in der Berge Schacht, 
Da entfpringen der Erde @ekieter.” 
Daß der Aderbau als der Anfang aller Cultur zu betrachten 
fei, hatte auch ben Alten fchon eingeleuchtet, und fo wurde Ceres 
zugleich ald die Stifterin der bürgerlichen Gefellichaft verehrt. 
Sie erjcheint daher als die Bertheilerin des Grundbeſitzes und 
ald Gründerin der Städte, in welcher Eigenfchaft ihr auch Opfer 
dargebracht werden, wie (Geb. 4. B. d. Aen. 11): 
„Dir, ftädtegründende Demeter, quillt 
Zweijähr'ger Rinder Blut." — — — — — 
Im innigften Zufammenbange mit diefer Anſchauung fand die 
Sage von dem Raub ber Perfephone (ſ. d.), welde fie dem 
Jupiter gebar. Ihrer Klage um die verlorene Tochter gedenkt 
Sch. (Ged. Die Götter Griechenlands, Str. 4) mit den Worten: 
„Jener Bach empfing Demeters Zähre, 
Die fie um Perfephonen geweint.” 
Und in ber rührendften Weile ift dieſe Klage von ihm zum 
Gegenſtande eines bejonderen Gedichts gemacht worben (vergl. 
Ged. Klage der Ceres). 


Demetrius. Unter den Dramen, zu welchen ſich in dem 
Nachlaß Sch.'s Entwürfe finden, erregt der Demetriud, da von 
diefem mehrere ziemlich vollendete Scenen vorliegen, natürlich 
bad meifte Intereſſe. Bereit im J. 1803 hatte Sch., durch 
Körner angeregt, den Plan zu diefem Stüde gefaßt; aber erft 
am 10. März 1804, bald nachdem er den Tell beendet, entſchloß 
er fih zur Bearbeitung befielben, da er lange zwifchen ben 
Kindern des Haufed, dem Warbeck und dem Demetriud ge: 
ſchwankt. Die rüftigen Vorarbeiten, welche die erften Monate 


- 


Ä 


Demetriuß. 173 


des Frũhjahrs in Anſpruch nahmen, wurden zunächft von feiner 
Reife nah Berlin unterbrohen. Dann legte er die Arbeit bei 
Seite, um den Warbed vorzunehmen; Krankheit hielt ihn in- 
Defien auch Hiervon ab. Erft nachdem er bei Gelegenheit der 
Bermählung des Erbprinzgen von Weimar mit der ruſſiſchen 
Kaiſertochter durch feine „Huldigung der Künfte“ dem Hofe, 
an welchen er innerlich gefefjelt war, einen Tribut der Dank— 
barkeit dargebracht, fühlte er fich auf's neue angeregt, an den 
Demetriud zu gehen, welcher der Bühne von Weimar Gelegen- 
beit gegeben hätte, der rufflihen Yürftin die mannigfachiten 
Bilder ihrer Heimath vorzuführen. In diejer Beziehung kam 
Sch. ver Aufenthalt jeined Schwagerd Wolzogen an dem kaiſer⸗ 
lien Hofe in Peterdburg zu Statten. Er zog bei ihm Er: 
fundigungen über die Quellen für fein neued Trauerſpiel ein 
und begann die mannigfaltigften und umfangreichften Borftubdien, 
um Land, Klima, Bolt und Sitten zur lebendigjten Anſchauung 
zu bringen. Da er aber wiederum vielfadh von Schmerzen ge⸗ 
foltert wurde, fo nahm er zunächſt die Bearbeitung der Phädra 
von Racine vor, In Beziehung auf diefe fchreibt er an Goethe 
(14. Sanuar 1805): „Sch bin recht frob, dab ich den Entihluß 
gefaßt und ausgeführt habe, mid, mit einer Meberfegung zu be: 
Ädyäftigen. So ift doch aus dieſen Tagen des Elends wenigftend 
etwas entiprungen, und ich babe indeflen doch gelebt und ge- 
handelt. Run werde ich die nächften acht Tage daran wagen, 
ob ich mid zu meinem Demetriud in die gehörige Stimmung 
jegen Tann, woran ich freilich zweifle. Gelingt ed nicht, jo werde 
ich eine neue, balbmechanifche Arbeit hervorſuchen müflen.” Dies 
war glüdlicherweife nicht nöthig. Da der Plan zu dem Demetrius 
fertig war, jo kehrte er jest ernftli zu demfelden zurüd und 
begann die Bearbeitung der einzelnen Scenen. Wie lebhaft ihn 
die Arbeit beichäftigte, geht daraus hervor, daß er felbft im jet: 
nem Familienkreiſe oft darüber ſprach. So fagte er eines 
Abends: „Ich Hätte eine ſehr pafſende Gelegenheit, in ber 
Perfon des jungen Romanow, der eine eble Rolle jpielt, der 





174 Demetrius. 


Kaiferfamilte viel Schöne zu jagen“. Indeffen ſetzte er anı 
andern Tage, wo er dad Geipräch wieder aufnahm, Hinzu: 
„Rein, ich thue es nicht; die Dichtung muß ganz rein bleiben“. 
Leider aber nahm jein Zörperlicher Zuftand einen immer bebent: 
liheren Charakter an, fo daß eben nur Bruchſtücke von dieſer 
böchft intereffanten Arbeit zu Stande gekommen find. Die 
Unterbrechung derjelben jchmerzte ihn während feiner Krankheit 
am melften, in der er viel aud dem Demetriuß recitirte. Den 
Monolog der Marfa fand Herr v. Wolzogen nah Sch.'s Tode 
auf defſen Schreibtiſche; wahrfcheinlich waren e8 die letzten Zeilen, 
die er gefchrteben. 

Ueber die dem Demetriud zu Grunde liegenden biftorifchen 
Thatfachen finden ſich ſehr ausführlide und gründliche Dar: 
ftelungen in: Heeren und Ukert, Geſchichte der europäfjchen 
Staaten, Hamburg bei Fr. Perthes 1846, Bd. 8, ©. 450-481; 
beögl. in Prosper Mérimée, Episode de l’Histoire de Russie. 
Les faux Demötrius. Paris, Michel Lévy, 1853. Hiernach tft 
bie geſchichtliche Grundlage folgende: 

Czaar Iwan IV. (nach einer anderen Zählung II.), feiner 
Rohheit und Graufamkeit wegen „der Schreckliche“ genannt, 
übrigend aber ein energifcher Herrfcher, unter welchem die Ruflen 
zuerſt Gelegenheit erhielten, ihre Kräfte kennen zu lernen, hatte 
von 1533 bis 1584 regiert. Er hinterließ zwei Söhne, Feodor 
und Demetriud. Der damals 22jährige Feodor war von außer: 
ordentlich ſchwächlicher Geſundheit, fo daß fein erft zwei Sabre 
alter Bruder bereits als muthmaßlicher Thronerbe betrachtet 
wurde. Yeodor I, welcher zunächft den Thron beftieg und 
wohl einfah, daß er dad von feinem Bater Ermorbene nur müh: 
ſam würde zufammenhalten Tönnen, überließ die Zügel des 
Regiments feinem Schwager Boris Godunow, einem ein: 
fihtsuollen und Eräftigen, übrigend aber ruchloſen Manne, der 
vor feinem Verbrechen zurüdbebte, und daher ungeachtet alles 
&uten, das er dem Bolfe that, dennoc, gefürchtet und gehaßt 
wurde. Da er übrigend mit Glüd regierte, fo erhielt er, als 


Demetrins. 175 


Feodor 1598 kinderlos ftarb, die Stimme aller Großen zur 
Nachfolge, denn der junge Demetriud hatte jeht erft fein 
jechzehntes Lebensjahr erreiht. Da ed Boris aber darauf an- 
kam, fih des Throned für feine Perjon zu bemächtigen, fo wer: 
bannte er die Czaarin-Wittwe, Marla Feodorowna mit ihrem 
Sohne Demetrius nach Uglitih, einer Stadt, die dem lepteren 
durch ein Zeftament Iwans als Leibgedinge bezeichnet worden 
war. Bald darauf indeß ließ er ben jungen Demetrius heimlich 
ermorden, mit welchen auf diefe Welle der achtehalbhundert: 
jährige Rurikſche Mannzitamm erlofh. Die Czaarin⸗-Wittwe 
aber zwang er, unter dem Namen Marfa ben Schleier zu 
nehmen und fich nach dem troizkiſchen Klofter am See Belofero 
(j. d.) im nördlichen Rußland zurückzuziehen. Indeſſen brachte 
ihm die Schandtbat Feine Frucht. Unter der Maske des ermor: 
deten Prinzen ſtanden kurz hintereinander fünf Betrüger auf, 
von denen der erfte und zugleich der bebeutendfte ihm den Lohn 
geben jollte. Es war Griſchka Otrepiew (nach anderen Lesarten 
Griska Utropeja) von einer armen adeligen Familie zu Jaroslaw, 
der feine Sugendzeit als Mönd) in einem Klofter (j. Tſchudow) 
zugebracht und von feinem Bruder bewogen worden war, als 
Demetrius V. aufzutreten. Inter dem Borgeben, daß er durch 
Hülfe eines treuen Dienerd aud der Gewalt ded Borid befreit 
werden, eine Zeit lang in Mönchskleidern umhergeirrt jei und 
endlich die Litthauiſche Grenze erreicht habe, trat er in Polen 
auf. Einige Aehnlichkeit mit dem umgelommenen Prinzen unter: 
flügte ben Betrug; überdies wied er ein ruſſiſches Siegel auf, 
welches Wappen und Namen des Gzaarewitich trug, jo wie ein 
werthvolles goldened, mit Ehdelfteinen geſchmücktes Kreuz, dad er 
als Pathengefchent erhalten haben wollte So wurde er von 
den vornehmften Herren der polnifchen Republik anerkannt, Die 
fi bereit erflärten, ihn bei der Zurüdforberung feines Erbes 
zu unterffügen. 

Boris, welder bald von diejen Borgängen Kenninig er: 
hielt, betrachtete den Demetriuß anfangs ald einen niebrigen 


176 Demetrius. 


Intriganten; als ſich jedoch die doniſchen Koſacken für ihn er: 
hoben, ſah er wohl ein, daß er es mit einem Feinde zu thun 
habe, den er nicht verachten dürfe. Er ſuchte ſich daher des 
Demetrius zu bemächtigen und bot den beiden Prinzen Wisz— 
niowiedi Geld und Ländereien an, wenn fie ihm den Betrüger 
außlieferten. Dieſes Anerbieten wurde jedoch audgeichlagen, und 
einer ber beiden Palatine brachte den vermeintlichen Demetrius 
zu feinem Schwiegervater Georg Mniszek, dem Fürften von 
Sendomir, welcher ihn ald König aufnahm. Hter lernte Deme— 
trius Marina, die jüngfte Tochter Mniszeks, kennen, welche 
durch ihre Schönheit und Anmuth einen tiefen Eindrud auf ihn 
machte. Der Bater begünftigte dad Verhältniß, und jo wurde 
am 25. Mai 1604 ein Heirathöverfprechen unterzeichnet, zufolge 
deflen Demetriud der Marina Mniszek die Städte Pſkow und 
Nowgorod (bei Sch. „die Fürftenthümer Pleskow und Grop: 
Neugard“), feinem Schwiegervater aber eine Million polnifcher 
Gulden bei feiner Thronbefteigung zu ſchenken hatte. Dieſes 
Heirathöverfprechen follte erjt zu Moskau gültig fein und nur 
auf ein Jahr verbindliche Kraft haben, wenn nicht nady Ablauf 
defielden Martina und ihr Bater ed erneuerten. Nunmehr wurde 
Demetriud von den polniſchen Großen Fräftig unterftügt und 
betrat den ruffifhen Boden. Da alsbald viele Bojaren und eine 
große Menge Voll zu ihm übergingen, jo gelang es ihm, das 
Hauptheer des Boris zu fchlagen. Diefer, überrafcht, gab die 
Hoffnung zu früh auf, vergiftete fih (1605) und überließ den 
Thron feinem Sohne Yeodor. Inzwiſchen war Demetriud in 
Moskau eingezogen, wo er den Yeobor verhaften und erdrofleln 
ließ. Jetzt beitieg er felbft den Thron und vermählte fih am 
8. Mai 1606 mit Marina. Da er aber, eben fo wie feine junge 
Sattin, fih an die ruffifhe Sitte und befonder8 an die reli: 
gtöfen Ceremonien nicht binden wollte, jo entitand im Volke 
ein allgemeined Murren, das, durch die reihen und mächtigen 
Schuiski's genährt, fchnell in eine offene Empörung aus— 
brach. Neun Tage nach der Bermählung brady der Sturm los; 


Demetriuß. „77 


wütbhende Bolldmaffen drangen in die Gemächer des Czaaren 
ein, ber fi durd einen Sprung aud dem enfter zu reiten 
fuhte, aber durch brutale Pöbelmuth ein ſchmachvolles Ende 
fand. Seht wählten die ruſſiſchen Großen den Yürften Waiftit 
Schuskoi, der fi aber gleihfalls nicht behaupten konnte, denn 
die Könige von Polen und Schweden milchten fih in die Händel, 
um Prinzen ihred Stammes auf den Czaarenthron zu feßen. 
So dauerten die Sahrungen fort, bid fi endlich die Rufen 
ermannten und im Sabre 1612 die Fremden aus dem Lande 
ſchlugen. Sm folgenden Jahre wurde dann Michael Yeodoro: 
witih Romanow, welcher mütterlicherfeitd aus dem Rurik ſchen 
Haufe ftammte, und deſſen Rachlommen in weiblicher Linie noch 
heut das ruffiihe Scepter führen, auf den Thron erhoben und 
jomit die Ruhe wieder hergeftellt. 

Bon diejer hiſtoriſchen Darftellung weicht Sch.’8 Demeirtuß 
darin ab, daß er fein Betrüger, jondern „ein Betrogener" 
iR; er ift über ih felbft im Irrthum und fomit zum drama 
tiſchen Helden mehr geeignet als der geſchichtliche Demetriuß. 
Unferm Drama zufolge erhält nämlid der Mörder des echten 
Demetrius nicht den verfproddenen Lohn, fondern wird vielmehr 
von Boris mit dem Tode bedroht. Aus Rache greift er einen 
Knaben auf, der mit dem ermordeten Prinzen Aehnlichkeit hat, 
bringt ihn einem @eiftlichen, ben er für feinen Plan gewonnen, 
hängt ihm ein goldened Kreuz um, dad er dem ungläditchen 
Czaarenſohn abgenommen, und fo wächft der falſche Demetriuß, 
ſich felbft unbekannt, als Mönch auf. Da ihm aber daß Kloſter⸗ 
leben anfängt Iäftig zu werden, fo flieht er, verläßt Rußland 
und findet in dem Haufe ded Woiwoden von Sendomir in Polen 
Aufnahme. Hier geräth er in Streit mit dem Gaftellen von 
Lemberg, den er verwundet. Für dies Verbrechen zum Tode 
verurtheilt, ſoll er hingerichtet werben, wobei er an bem be- 
kannten Kleinode ald Sohn bed Czaaren Iwan erlannt wird. 
So fteigt er unmittelbar von dem DBlutgerüfle auf einmal zu 
hoben Ehren und verlobt fi fogar mit bed Woiwoden Tochter 

L 12 








178 Demetrius. 


Marina, die ihn antreibt, ſein Reich wieder zu erobern. Von 
den Polen unterſtützt und vom Glück begünſtigt, dringt er ſieg⸗ 
reich vor. Da entdeckt ihm in Tula der Mörder des echten 
Demetrius den wahren Hergang der Sache, und plötzlich iſt er 
wie umgewandelt. Vorher edel, würdig und ritterlich, erfaßt 
ihn jetzt Wuth und Verzweiflung, ſo daß er nach einem Meſſer 
greift und den Mörder niederſtößt. Nun kommt ihm Alles 
darauf an, ſich als Czaar zu behaupten; aber ftatt feines offenen, 
unbefangenen Charakters erfcheint jept eine finftere, mißtrauifche 
und graufame Natur. Am meiften tft ihm daran gelegen, von 
der Mutter ded echten Demetriud ald Sohn anerfannt zu wer- 
den; die Zufammentunft mit der Czaarin Marfa findet ftatt, 
aber fein Zug bed Herzens treibt jie ihm entgegen. Nur durch 
Weberrebung gelingt e8 ihm, fie zu veranlaflen, daß fie über 
ihren Unglauben ſchweigt. So findet denn der Einzug in Moskau 
ftatt; aber unheimliche Anzeichen begleiten denjelben. Dazu 
tommt, daß Demetriud von leidenfcaftlidher Liebe für Axinia, 
die Tochter des an Gift geftorbenen Boris, entbrennt. Diefe 
aber verabjcheut ihn, da er bereit? an Marina gefefielt tft, 
welche ihm nach der Bermählung kalt erflärt, daß fie ibn nie 
für den echten Demetrius gehalten habe. So fühlt er ſich bei 
der hochſten Gewalt dennoch unglüdlih in dem Gefühl innerer 
Leere. Dazu kommt das Mißvergnügen bei dem Bolle; eine 
Verſchwörung bricht aus, die Rebellen ftürzen in jein Zimmer 
und fordern von der Marfa, fie joll dad Kreuz darauf Füflen, 
daß Demetriuß ihr Sohn jet. Sie ſchweigt — und von Schwer: 
tern durhbohrt, ftürzt er zu ihren Füßen nieder. — Auf diefe 
Weiſe geht der Held des Stüde innerlich an fich felbft zu 
Grunde, fo daß neben dem DBerlauf der äußeren Handlung dad 
wahrhaft Tragiiche in dem Entwidelungsprozeß der Seele des 
Helden zu fuchen tft, der fih zulegt jelbft nicht wieder erkennt. 
Dem Demetriud zur Seite ſteht Marina, die ftolge, hoch⸗ 
firebende Woimodentochter, ein junges, anmuthiges, - zugleid; 
aber Fluged und jchlau berechnendes Mäpchen, bei ber auch die 


Demetrius. 179 


Geſchichte ed zweifelhaft läßt, ob ihre Leidenſchaft für Demetrius 
eine wahre oder eine erfünftelte geweien fe. Sie fühlt ſich zur 
Herrſcherin geboren; ſie durchſchaut den König Sigismund ebenfo 
wie den Demetrius und beherrſcht ihren Vater, ſo daß dieſer 
um ihretwillen Alles auf's Spiel ſetzt. Entſchloſſen und muthig, 
verſteht ſie ed, die Truppen für ſich zu begeiſtern und wird bier: 
durch die Seele der polniihen Unternehmung. Mit kluger Be: 
rechnung veranlaßt fie fogar den Heerführer Odowalsky, Die 
Truppen nicht nur dem Demetrius, fondern zugleich ihr Treuc 
Shwören zu laſſen. Auch ihre weiblihe Eiferfucht entipringt 
aus berechnender Borficht, indem fie, ohne Beranlaffung dazu 
zu haben, den Odowaldfy mit der Bewachung ded Demetrius 
beauftragt. Als fie fpäter aber wirklichen Grund zur Eiferfucht 
befommt und von der Leidenfchaft ihres Verlobten für Arinia 
bört, da bebt ihre Herrichbegierde auch vor einem Verbrechen 
nicht zurüd, und fie läßt der vermeintlichen Nebenbuhlerin den 
Giftbecher reihen. So erjcheint fie als eine höchft dramatiſche 
Natur, deren Charakterzeihming in Sch.’3 Händen gewiß eine 
Meifterarbeit geworden wäre. Ueber ihren Ausgang berichtet 
die Geſchichte, daß dad Boll zunächſt an ihrer Krönung, die 
bis dahin Feiner früheren Ezaarin zu Theil geworden, deshalb 
beſonders Anftog nahm, weil fie die ruſſiſche Taufe nicht erhalten 
hatte. Die Krönungäfeier wurde gerabezu ald gottlofe Ceremonie 
betrachtet. Yerner trug ihre leichtfinnige Verachtung der ruffifchen 
Sitte, befonderd in Betreff ded Anzuges und ber Speijen, 
weſentlich mit zu dem fchnellen Ausbruch der Verſchwörung bei, 
Die ihrem Gatten das Leben Toftete. Sie mußte nad dem Tode 
defielben alle Koftbarkeiten herauögeben, und erft, nachdem ihr 
Bater mit Mühe eine Summe von 80,000 Thalern Entſchaͤdi⸗ 
gungstoften zufammengebracdht, durfte fie zu demſelben zurüd- 
kehren. 

Den beiden tragiſchen Geſtalten, um welche ſich die Hand⸗ 
lung .concentrirt, ſtehen die beiden reinen Seelen des jungen 
Aomanom und der Arinia gegenüber. Diefe, die Tochter 

12* 





180 Demetrius. 


0 

des Boris, in der Geſchichte Kenia genannt, trinkt lieber ben 
Giftbecher, als daß fie dem Demetrius zum Altare folgt; und 
Romanow ald ein geweihtes Haupt, dad von der Vorſehung zum 
Throne berufen ift, lehnt es ab, an der Verſchwörung Theil zu 
nehmen. Durch ihn eröffnet fih am Schluß der Hanblung, die 
einen bebeutungsvollen Wendepunft in der ruſſiſchen Geſchichte 
bezeichnet, zugleich eine erhebende Ausſicht in die Zukunft. 

Einzig endlich fteht Marfa da, bie leidende und audhar: 
rende Heldin. Die Trauer um ihren Sohn, der nicht zu ſtillende 
Sram über den unerjeglihen Berluft; der echt möütterliche Aus⸗ 
bruch der Freude bei der Nachricht, daß er noch lebe; ber wahr: 
Haft majeftätiiche Monolog im zweiten Alt — das Alles erjcheint 
fo wahr und jo lebendig, daß man mit Begierbe der Kataftrophe 
entgegen ſieht, wo das Unglüd der bitteren Täuſchung Über fie 
hereinbrechen muß. 

Außer diefen fünf Hauptgeftalten find noch der König 
Sigismund, der Wotwode Muiſchek, der Yürft Leo Sapieha, 
der Erzbiſchof Hiob und der Kofalen- Heiman Korela als bifto- 
riſche Perſonen zu betrachten, über weldhe das Nöthige in den 
fie betreffenden Artikeln nachzuſehen iſt. Die übrigen Perſonen 
find Erfindungen ded Dichters. | 

Der Plan ded Demetrius, wie er vor und liegt, ift ein 
anferorbentlih reicher. Obwohl die Haupthandlung an fidh 
einfach ift und in mächtigem Strome den Hauptcharatter fich 
zum Helden entwideln und wieder zu Grunde gehen läßt: fo 
find doch zugleich jo viel Nebenhandlungen in dad Ganze ver- 
knũpft, daß Sch. während der Arbeit gewiß Bieled mehrfach 
modificirt haben würde. Daß er fjelbft von feinem Plane in 
hohem Grabe begetftert, war, geht aus einem Briefe an Körner 
hervor, in welchem er feinen Demetrius in gewifjen Sinne als 
ein Gegenftüd zur Jungfrau von Orleans bezeichnet. Er bat 
mit diefer die feurige Bejeelung und den bejtimmten Entſchluß 
zu Träftigem Handeln gemein; aber in der entjcheidenden Stunde, 
wo der Mörder bed echten Demetriud ich ihm entdedt, verläßt 


Demokrit. 181 


in der Glaube an ſich felbft, und num nimmt er nicht, wie bie 
Jungfrau, ein großes Leiden auf ſich, ſondern geht wilden Schrit- 
te8 über Berbrechen und Leichen dem Czaarenthrone zu und ſei⸗ 
wem Untergange entgegen. 

Unter den vollendeten Scenen wetteifert die erfte, welche 
und den Reichdtag zu Kralau vorführt, an Großartigfeit des 
Stild mit der Apfelichußfcene im Wilhelm Tell, während bie 
Kiofterfcene einen dad Gemüth tief ergreifenden Eindrud macht. 
Die Trauerflage über Sch.'s Tob mußte natürlich zufammen- 
Mingen mit dem Schmerz über die unvollendete Arbeit. Beſon⸗ 
berö war dies bei Goethe der Fall, dem Sch. nach feiner Ge⸗ 
wohnbeit den ganzen Plan mitgetheilt und von dem er vielfachen 
Rath entgegen genommen hatte. Da ihm das ganze Stüd leben- 
Dig vorfchwebte, jo beichloß er, die Arbeit feines Freundes zu 
vollenden, indem er defien Anſchauungen und Abfichten „dem 
Zode zum Trotz bewahren und ein herkömmliches Zufammen- 
arbeiten bei der Rebaction eigener und fremder Stüde” bier zum 
legten Male auf dem höchften Gipfel zeigen wollte. Aber „eigen- 
finnig umd übereilt”, wie er fagt, gab er den Borjab auf; oder 
richtiger: feine Natur war für die Löfung einer ſolchen Aufgabe 
nicht geihaffen. Nah Sch.'s Tode haben andere Dichter, wie 
Hermann Grimm, Friedrich Bodenftedt und Friedrich Hebbel 
jelbftändige Demetrinstragödien zu liefern verjucht, während 
Yranz v. Maltiz, Guſtav Kühne und D. %. Gruppe fi 
mit mehr oder weniger Glüd an eine Vollendung ded Sch.'ſchen 
Fragments gewagt haben. 

Demokrit (R. Vorr.), einer ber bedeutendften Naturphilo: 
ſophen Griechenlands, wurde gegen 470 v. Chr. zu Abdera ge: 
boren, von wo er fpäter nad) Aegypten und Aflen reifte, um 
feine Studien in der Geometrie und den Raturwifienichaften zu 
erweitern. Er kam zwar arm, aber an Schägen des Wiſſens 
bereichert nach feiner Vaterftabt zurüd. Obwohl er, wie bie 
Sage berichtet, beftändig über die Thorheiten feiner Mitbärger 
gelacht haben fol, fo warb er von bemfelben doch für bie 


182 St. Denis — Dedna. 


Borlefung feines berühmten Werkes von der Naturordnung hoch 
geehrt und reichlich belohnt. In ben vielen Schriften, welche er 
binterlafien, Hat er hauptſächlich die atomiſtiſche Anficht ausge⸗ 
bildet, welcher noch gegenwärtig die meiſten Phyſiker huldigen, 
und der zufolge alle Körper aus Keinen Theilchen oder Atomen 
(f. d.) beitehen, die über und neben einander liegen. 


&t. Denis, ein Städtchen, zwei Kleine Stunden von Paris 

entfernt; daher (3.0. O. J, 5): 

„Es war gerad’ bad Feſt ber Königskrönung, 

Als ich zu Saint Denis eintrat. Geſchmückt 

Wie zum Triumphe waren die Pariſer.“ 
Das an ſich unbedeutende Städtchen iſt berühmt durch eine 
Benedictiner-Abtet, die denjelben Namen führt und dem heiligen 
Dionyfius geweiht ift. Als Karl der Kahle fich fpäter dieſes 
Klofterd bemächtigte, fügte er jeinen Titeln auch den eines Abts 
von St. Denis bei. Der h. Dionvfiud wurde ald der Schub: 
patron Frankreichs angefehen, daher jagt König Karl (3.0.0. 
IV, 10) von Johanna: 

„Ihr Rame fol dem heiligen Dents 

Gleich fein, ber diefe® Lande Schützer fl.” 
Zu St. Denis befanden ſich ehemald die Gräber faft ſämmtlicher 
Könige von Frankreich, wurden jedoch während der Revolution 
zerftört. 


Des Cartes od. Carteſius (Ged. Die Weltwetfen), be: 
rühmter franzöſiſcher Philoſoph und Mathematifer; geb. 1596, 
+ 1650. 


Dedna (Dem. II, 2), ein Nebenfluß des Dniepr auf deflen 
Yinfer Seite. Ste entipringt auf der Düna:Dontichen Landhöhe, 
fließt nah S.“W. und geht bei Kiew in den Oniepr. Nördlich 
von Kiew liegt Tſchernigow (Dem. II, 1 u. II, 2), welched zur 
Zeit des Pjeudo-Demetriuß noch zu Polen gehörte und erft 1667 
an Rußland abgetreten ward. Norböftlih von Tſchernigow, 


Deipot — Deulälion. 188 


ebenfalls am ber Dedna, Tiegt Sewerifh Novogrod (in 
Heeren’3 Gefchichte: Nowgorod-Sſewerski). 


Deſpot (3.1,12 — D. C. III, 9), ein unumfchränfter Herr: 
ſcher, dem nicht dad Geſetz, jondern feine Willkür die Richtſchnur 
jeined Handelns ift; Defpotenfurdt (Dem. D alfo: die Furcht 
vor folder Herriherwillfür oder ſolchem Deſpotismus (R. 
IN, 2); bildlich ift von religiöſem Deſpotismus die Rede (vergl. 
Ged. Refignation, Str. 9) und von Deipotidmud auf dem &e- 
biete der dramatischen Poefle (vergl. Ged. An Goethe, Str. 3); 
defpotifh (D. C. II, 10), f. v. w. gebieterifch. 


Deſſau (Bicc. I, 1), am Einfluß der Mulde in die Elbe, 
SHauptftadt des Herzogthums Anhalt: Defiau, welches feit 1603 
als eine jelbftändige Linie beftand. 


Deukaͤlion (Myth.), ein Sohn bed Prometheus, wird als 
der erſte König von Thefialien genannt. Er war mit feiner 
Gemahlin Pyrrha aus einer großen Waflerfluth gerettet wor- 
den, durch welche Jupiter befchlofien hatte, das ganze Menſchen⸗ 
geſchlecht von der Erde zu vertilgen. Als er mit feinem Schiff 
auf dem Parnaß gelandet war, flieg er aus und opferte dem 
Jupiter, weldher den Mercur zu ihm fandte, der ihm den Rath 
gab, in Gemeinſchaft mit feiner Gemahlin Steine hinter ich zu 
werfen. Died geſchah, wobei aus den von ihm gemorfenen 
Steinen Männer, aud benen der Pyrrha Frauen erwuchſen 
(Bergl. Ged. Der Triumph der Liebe, Str. 2). Auf diefe Weiſe 
bevöfterte fih die Erde von neuem, woher die Menfchen oft als 
Kinder Deufaliond und der Pyrrha bezeichnet werden; jo heißt 
e3 von ben Sterblihen (Ged. Semele 1): „Liebereiz mag auch 
Brometheus und Deufalion verliehen haben” — ferner (Ged. 
Die Götter Griechenlands, Str. 5): 

„Zu Deufalions Geſchlechte fliegen 
Damals noch die Himmlifchen herab; 

Pyrrha's fhöne Töchter zu beflegen, 
Nahm ber Leto Sohn den Hirtenftab.” 


184 Deut — Diammt. 


und (Ged. Klage der Ceres): 


„Mütter, die au Pyrrha's Stamme 

Sterbliche geboren find, 

Dürfen durch bed Grabes Flamme 

Folgen dem geliebten Kind.“ 
In (Der Spaziergang unter den Linden; 10, 58) heißt es von 
der Natur: „Eben dieſen grünen wallenden Schlepp trug ſie 
ſchon vor Deukalion“, d. h. vor uralter Zeit. 


Deut (Picc. II, 7), eine bollänbifche Heine Münze tm Werthe 
von 20 Kreuzern. 


Deutſchland und feine Fürften (Ged.), ein prophetifches 
Epigramm and dem Jahre 1795. Wenn in früheren Zeiten die 
Größe des deutjchen Volkes fich vorzugsweiſe in der Kraft feiner 
Herrſcher und in dem treuen Gehorfam der Nnterthanen fund 
gab: jo muß, wie die Gegenwart es lehrt, bei fteigender Geiftes- 
eultur dad Herrfchen allerdings fchwerer werden. Dafür können 
aber die FYürften mit einem Wolke, welched von ſelber nach dem 
Rechten und Guten ftrebt, freier und menfchlicher verkehren. 
Und alled Große, was unter ſolchen Umftänden geſchieht, tft 
dann weniger ben Thronen ald dem kräftig wirkenden Volks⸗ 
geifte jelbft zu verdanfen. War ehemald ein Fürft der Stolz 
“feines Volkes, jo fol fortan dad Volt der Stolz feine Yür- 
ften fein. 


Diadem, eine Tönigliche Kopf: od. Stirnbinde, dichteriſch 
5.119 -2E.I, 1 — N. St. II,9 — Ph. IM,D für 
Krone oder Herrichaft. 


Disk (Dem. I), Abk. von Diakoͤn, d. i. ein Unter: oder Hülfs⸗ 
geiftlicher. Heeren nennt den von Demetrius bezeichneten Diaken 
„Schtſchelkalow“. 

Diamant, von dem gr. adamas, d. i. unbezwinglich; auch 
Demant (D. C. IV, 9), der härtefte, durchſichtigſte und glaͤn⸗ 
zendfte Edelftein; finnbildfich für etwas äußerft Koptbared, wie 
(D. &. II, 8): 


Diana — Dictator. 185 


„Die Liebe ift der Liebe Breit. Sie ift 
Der nufhäpbare Diamant, ben id 
Verſchenken ober, ewig ungenoflen, 
Verſcharren muß.“ — — — — — 
deögl. (Br. v. M. 5, 499): e 


„Der Zob hat eine reınigenbe Kraft, . 

Su feinem unvergänglichen Balafte 

Zu echter Tugend reinem Diamant 

Das Sterblidhe zu Täutern." 
Eben fo (F. J, 1), wo bie „Ihöne Welt“ einem Demanten und 
(Sp.u.d.2.) wo die Natur einer abgelebten Matrone verglichen 
wird, die „geerbte Demanten” in ihrem Haar trägt. 

Diane, f. Artemis, 

Diehter, An den (Ged.), ein Epigramm aus dem Jahre 
1796. Es fordert, daß die Sprache des Dichterd nichts An: 
dered fei, ald ber unmittelbare organifche Ausdrud feines ge: 
fammten inneren Weſens, damit die durch Worte bezeichneten 
tobten Begriffe von lebendiger Empfindung durchdrungen er: 
feinen. Bergl. das Epigramm „Spradye”; ferner die „Bor: 
erinnerung“ zu ben „metrifchen Weberfepungen” (Bd. 1, S. 115) 
und die Worte der Poefle in der „Huldigung der Künſte“. 

Dichter, der moralifhe (Ged.), ein Xenion, welches von 
Viehoff auf eine feltiame Schrift Lavaters bezogen wird: 
„Pontiud Pilatus, oder der Menſch in allen Geftalten, ober 
Höhe und Tiefe der Menfchheit, oder die Bibel im Kleinen und 
der Menſch im Großen, oder ein Univerfal Ecce Homo, oder 
Alles in Einem.” Züri 1782—85. Sch. verlangt, daß der 
Dichter, der ed wefentlich mit dem Wahren, Guten und Schönen 
zu thun bat, den Menjchen in feiner Würde, nicht aber in feiner 
Sämmerlickeit zeige. „Aermlihe Wichte“ haben in ber Poefie 
nur da einen Werth, wo fie im Sontrafte mit erhabenen &e- 
ftalten auftreten. Bergl. Der erhabene Stoff. 


"Dietator wurde feit 497 v. Chr. ein Gebieter genannt, wel- 
chen die Patricier des alten Roms in Zeiten dringender Gefahr 


186 Diderot — Dido. 


erwählten, und dem fie auf einige Monate unumfchräntte Ge- 
walt verliehen, um Einheit in die zu ergreifenden Maßregeln zu 
bringen; vergleichungdweife wird Wallenftein (Wft. T. IV, 2) ſo 
genannt. 


Diderot (Ged. Die Flüffe [Les fleuves indiscrets]), geb. 
1713, + 1784, ein franzöfifcher Schriftjteller, welcher außer fei- 
nen Romanen und Auftipielen bejonderd durch eine Anzahl 
philofophifch - Afthetifcher Werke ſich einen bedeutenden Ruf er: 
warb. 


Dido (4. B. d. Aen.), auch Eliſa (4. B. d. Yen. 31) ober 
Eliſſa, war die Tochter des Belus und Schweſter des Pyg⸗ 
malion, welcher nad) dem Tode feined Vaters über Tyrus 
herrſchte. Nach Virgil's Annahme war Dido eine Zeitgenoffin 
ded Nenend. Ihre Schidfale gaben ihm den Stoff zu bem 
vierten Buch der Aeneide, dad natürlich rein erdichtet ift, da 
zwilchen beiden Perfonen ein Zeitraum von mehr ald 200 Fahren 
Viegt. Dido war von ihrem Vater an Sihäuß, einen der 
reichften Phönicier, verheirathet worden, der zugleich Priefter 
des Herkules war. Sie liebte ihren Gatten zärtlih (4.8. d. 
Aen. 3); um fo mehr erichredte und kränkte fie der gewaltſame 
Tod defielben. Ihr Bruder Pygmalion, welcher nach feinen 
Schägen lüftern war, hatte ihn am Altare ermordet, worauf ihr 
der Geiſt des Berftorbenen erfchien, ihr das begangene Verbrechen 
entdedte, ihr mittheilte, wo die von Pygmalion begehrten Schäße 
verborgen feien und ihr gebot, zu fliehen. Mit achtzig Tung- 
frauen, bie fle in Cypern geraubt, ging fie zu Schiffe nach Afrika, 
wo fie in der Nähe von Utica, einer tyriſchen Pflanzftadt, Ian: 
dete. Ste wurde von den Bewohnern auf's freundlichite empfan- 
gen, und ba fie die außerordentlih günftige Lage des Platzes 
fogleih erkannte, jo bat fleudiefelben um ein Stüd Land, wel: 
ches jo groß wäre, daß man ed mit einer Ochjenhaut umſpannen 
könne. Ald man ihr diefe Bitte gewährte, ließ fie eine folche 
Haut in viele Tauſend Riemchen zerjehneiden, beftete dieſelben 


Dikte — Dilettant. 187 


aneinander und umjpannte Damit eine Strede Land, auf welcher 


fie zuerft die Yeftung Byrja und fpäter (880 v. Chr.) Karthago 
erbte. Ein benachbarter Fürft, Sarbas (f. d.), bot ihr feine 
Hand an, die fie jedoch ausfchlug; da fie aber feinen dringenden 
Anträgen nicht ausweichen konnte, jo endete fie ihr Leben frei- 
willig auf dem Scheiterhaufen. Birgil nimmt in feiner Aeneide 
die Untreue ded Aeneas ald Urſache ihred Todes an; daher (R. 
V, 2): „So lehre mih Dido fterben.” — Dad Schidfal der 
Dido ift mehrfach ald Sujet für die Oper benupt worden; be: 
fonderd find von Hafle Didone, Partitur in London geftochen, 
1740 und Didone abbandonata, in Dresden aufgeführt, 1742 zu 
nennen, baber (8. u. 8. III, 2) „große Opera Dido”. Es ift 
ein feiner Zug, daß Sch. gerade dieſe Oper wählt; fie paßte 
ganz zu der Seelenitimmung einer Milford. Denn wie Dido 
den Aeneas an fi} zu fefleln juchte, jo fehnte fie fich nach einer 
Berbindung mit Ferdinand, der ihr eben jo wenig zu Theil 
ward, wie der griechiiche Fürſt jener phöniciihen Königin. 
Mit dem „fuperbeiten Feuerwerk“ tft die Schlußjcene ber 
Dper gemeint, in welcher fi Dido auf dem Scheiterhaufen 
verbrennt. 

Dikte (Myth.), eine Nymphe, welche von dem Könige Minos 
von Ereta geliebt wurde, feine Liebe aber nicht erwiederte. Um 
feinen wmabläffigen Berfolgungen zu entgehen, ftürzte fie ſich 
in’8 Meer, wurde jedoch von Yilchernegen aufgehalten und ge: 
rettet. Jetzt ftand Minod von ihr ab und gebot, das nahe 
gelegene Gebirge (4.3. d. Yen. 13) nad) ihr zu benennen. — 
Die Octavausgabe hat Statt Dikte — Diktys. 

Dilettant (Geb.), ein Epigramm aud dem Jahre 1796. 
Durch die Sprache, wie wir fie durd bad lebendige Wort oder 
durch die Schrift in und aufgenommen, find und eine Menge 
von Ausdrudsformen und Gedanken, wie von Bildern und 
Figuren geläufig geworben, die der Dilettant (Kunftliebhaber) 
nur neu zu combiniren braucht, ohne fich darum als jelbitihöpfe: 
riſches Genie betrachten zu dürfen. 


188 Diligence — Diomedes. 


Diligence (Ged. Die berühmte Frau), frzſ., wörtl. bie 
Emſigkeit, Eilfertigkeit; in früheren Zeiten die Bezeichnung für 
Schnellpoft oder Eilwagen. 

Dimitri (Dem. I), ſ. Demetrtuß. 


Diogenes (R. II, 3) von Sinope, ein berühmter Philofoph 
aus der Secte der Cyniker, geb. 414, + 324 v. Chr., war ein 
Schüler des Antifthened zu Athen. Cr trieb den Grundſatz: 
„Wer am wenigften bedarf, der fommt der Gottheit am nächſten“ 
auf's Aeußerfte, jo dab er Kunft und Wiſſenſchaft, jo wie alle 
Annehmlichkeiten des Lebens gänzlich veracdhtete. In Athen war 
er bekannt als freimüthiger Sittenprediger, der gegen die Thor: 
beiten feiner Zeit mit derbem Wit und bitterer Tronie zu Felde 
309; in feiner Lebensweiſe war er ein Sonderling, der z. B. am 
hellen Mittag mit der Katerne ausging, und auf die Frage, was 
er fuche, zur Antwort gab: „Sch ſuche Menjchen“. 


Diomedes, abge. Divmed (Myth.), der Sohn des Ty- 
deus (f.d.), war nach Adraftus Tode König in Argos, und in 
dem Kampfe gegen Troja einer der Zapferften in dem Heere 
der Griechen. Beſonders zeichnete er fich Durch feinen verwegenen 
Muth aus, daher (2.B.d. Aen. 28): „Diomed, der Freche“. Er 
raubte in Gemeinſchaft mit Ulyſſes, indem fie durch einen unter: 
irdifhen Gang in die Burg von Troja eindrangen, dad Palla⸗ 
dium (dad Bild ber Minerva), nachdem Hellenius den Griechen 
verratben hatte, Troja könne nicht erobert werden, jo lange je- 
ned Bild in deffen Mauern ſei. In der Ilias wird er außer: 
dem ald ein edel denkender Mann gepriefen; deshalb erihallt 
(Ged. Das Siegesfeſt, Str. 10) aus feinem Munde dad Lob 
Heftor3, feines Feinded. — Ein anderer Diomedes (Iph. I, 
Zwiſchenhandl.), der Sohn des Ared und der Kyrene, war ein 
barbariiher König der Biftonen in Thracien, der feine vier Rofle 
mit den Leibern der fein Fand betretenden Fremden fütterte. 
Herkules, von Euryſtheus zu ihm geſchickt, töbtete ihn, warf ihn 
bieranf feinen eigenen Roflen vor und entführte dieſelben. 


Didne — Diodchren, 189 


Diöne, |. Aphrodite. 

Dioscuͤren (Myth.), die Zwillingsbrüder Kaftor und 
Bollur. Sie werden gewöhnlich ald Söhne der Leda bezeidh- 
net, und zwar Pollux ald Sohn des Jupiter, Kaftor ald Sohn 
des ſpartaniſchen Königs Tyndareus; dieſer ift daher ſterblich, 
jener dagegen unſterblich. Als Kaftor einft im Kampfe blieb, 
rächte Pollur feinen Tod, war jedod über den Berluft feines 
Bruders untröftli, jo daß Supiter ihm erlaubte, feine Unfterb- 
lichkeit mit demjelben zu theilen. Beide bringen baher die eine 
Hälfte ihrer Tage im Grabe, die andere im Olymp zu Mit 
Rüdfiht auf diefe innige Liebe wurden die beiden Brüber im: 
mer vereint dargeftellt, und zwar meift mit einem Sterne ober 
einem Zlämmchen über dem Haupte, dad man ihnen ald Schup- 
göttern der Seefahrer beilegte.e Daher (Ged. Die Götter Grie⸗ 
chenlands, Str. 11): 

„Dur die Bluten leuchtet dem Piloten 
F Vom Olymp das Zwillingspaar.“ 

und (Dr. v. M. 5, 500): 

„Unb wie des Himmels Zwillinge, dem Schiffer 

Gin leuchtend Sternbild ic." 
Einem anderen Mythus zufolge mußten die beiden Brüder ge 
tremmt von einander abwechlelnd den einen Tag im Himmel, den 
andern in ber linterwelt zubringen. Hierauf bezieht fich eine 
Darftellımg, bei der die Köpfe beider aneinander gelehnt find, 
aber der einge nach oben, der andere nach unten gerichtet ift; 
daher (Geb. Die Künftler): 

„Di zeigte ih mit umgeftürgtem Lichte, 

Un Kaſtor angelehnt, ein blühen Polluxbild, 

Der Schatten in bed Monbes Aingefichte, 

Eh' ſich ber fchöne Silberkreis erfülkt.” 
wo bie zwei legten Verſe als Gleichniß zu den beiben erften 
anzujeben find, indem der Mond zur Zeit des erflen (oder letz⸗ 
ten) Bierteld aus einem chtbilde und einem eben fo geftalteten, 
aber umgelehrten Schattenbilbe zu beftehen ſcheint. 








190 Diplomdtit — Dißpofition. 


Diplomatif, eig. die Urkundenlehre; (Bar. II, 1): Staats⸗ 
geihäftsfunde; danon: Diplomatifer, Urkundentenner; (Bar. 
I, 2), ein in Staatögefchäften erfahrener Mann. 

Dirce (Myth.), die Gemahlin des Königs Lycus, bed Vater: 
bruderd der Antiope, marterte die legtere, nachdem fie dem Zupiter 
zwei Söhne, Amphion und Zethus (die erften Gründer Thebens), 
geboren hatte, zwanzig Sahre lang auf alle erbenkliche Weife. 
Endlih entflohb die graufam Gequälte, wurde aber von ber 
Dirce verfolgt. Da kamen zum Glück die beiden Söhne ber 
Antiope hinzu, ergriffen die Dirce und banden fie an bie 
Hörner eined wilden Stierd, durch weldhen fie zu Tode ge: 
fchleift wurde. Die Darjtellung dieſer Scene ift unter dem 
Namen ded farnefifhen Stierd, als eind der ausgezeich— 
netften Denkmäler der alten Kunft, weit berühmt und wird in 
dem Palafte Farneſe zu Rom aufbewahrt. Cine Nachbildung 
derjelben befindet fih in dem Berliner Mufeum. Die um’s 
Leben gelommene Dirce ward in einen Quell, norbmweftlih yon 
heben in Böotien verwandelt, daher (Phön.): „der Dirce 
Duell”. 

dirigiren (Gſtſ. 10, 159), von dem lat. dirigere, richten, 
Ienfen; bier: „Die Zauberlaterne dirigiren”, d. b. ihr Die verlangte 
Richtung geben, um dad in derfelben befindlihe Bild an einer 
beftimmten Stelle erjcheinen zu laſſen. 

Discus (Iph. I, Zw.⸗H.), die Wurffcheibe, eine fteinerne 
oder metallene Scheibe, deren bie Alten ſich bei den Kampf: 
fpielen bebienten, um fi im Werfen nad einem beftimmter 
Ziele zu üben.’ 

bisgufchthüren, verb. aus disguſtiren, eig. mißfallen, zu- 
widermaden od. (K.u. 2. I, 1) vor den Kopf ftoßen. 

Dispofition von dem lat. disponere, anordnen; (Gftf. 10 
198) Gemüthöverfafiung oder Gemäthäftimmung, wofür Sch. am 
anderen Stellen (&.200, 245) dad wenig üblihe „ Gemüths— 
lage” gebraudt. 


Diflonanz — Drieper. 197 


Diffonanz, eig. Mißklang; bild. Uneinigfeit, geftörte Ueber⸗ 
einfiimmung, wie (R. II, 1): „Diffonanz mechaniſcher Schwin- 
gungen”; ferner Schilderungen übertriebener, unnatürlicher Bos⸗ 
beit, wie (R. Borr.): „moraliſche Diſſonanzen“. 


Diſtichon, Dad (Ged.), ein Epigramm aus dem Zahre 
17%. Es ſchildert den muſikaliſchen Zauber des elegifchen Vers⸗ 
maßes, welches aus einem mächtig aufichäumenden Hexameter 
(.d.) und einem fanft beruhigenben Pentameter (f. d. befteht. 


Ditbyrambe (Ged.) od. Dithyrämbud, eig. ein Beiname 
des Bacchus, wegen feiner Doppelgeburt (vergl. Semele); dem- 
näͤchſt ein begeifterter, braufender Lobgefang auf ihn; endlich 
jedes Begeifterung athmende Lied. — Dad Gedicht ſtammt aus 
dem Jahre 1796 und führte früher den Titel: „Der Befuch“. 
Es ift als der frifche Erguß einer begeifterungsvollen Stunde 
anzuſehen. Angeregt durch dem edlen Saft der Trauben, er: 
waden in dem Dichter das Gefühl der Liebe unb ber Sinn für 
alles Edle und Schöne; die Götter fteigen zu ihm hernieder, 
dem Staubgeborenen, ber ihnen nichtd zu geben, fonbern nur 
von ihnen zu erbitten vermag, was denn Zeus auch gnädig 
gewährt. 

Divan (Zur. I, 1), perf. der önigliche Hof; in ber Türke 
die geheime Rathönerfammlung des Sultans; bier von Sch. auf 
China übertragen: die öffentliche Berfammlung der Näthe, in. 
welcher der Kaiſer ſelbſt den Vorſitz führt. 


Dmitri (Dem. I), ſ. Demetrius. 


Dnieper, richtiger Dnjepr, ein bedeutender rufftfcher Fluß, 
welcher auf dem füdlihen Abhange der Waldai-Höhe entipringt, 
bis zu 50° Br. jüdli geht, dann in einer ftarf öftlichen Ab- 
Ientung die Karpathiſch-Uraliſche Landhöhe durchbricht, worauf 
er fih abermald weftli wendet und nad einem Laufe von 
137 Meilen in die Bucht von’ Obefla mündet. Zur Zeit bes 
Pſendo⸗Demetrius bildete er die Grenze zwiichen dem polnijchen. 





192 Document — Dolmeticer. 


und dem ruffiichen Reiche; daher fragt Demetriud (Dem. II, 2) 
einen jeiner Officiere: 


„St das der Onieper, der- den flillen Strom 
Dur diefe Auen gießtt! — — — — — — 


‚und Marina jagt (Dem. I) zu ihrem Vater: 


Zenſeits des Dutepers wirb mein Loos geworfen.“ 


Document (Gſtſ. 10, 190), von dem lat. docere, lehren, 
eig. was zur Belehrung dient, gew. (R. I, 2) eine Urkunde; 
fo beißt ed vom Demetrius (Dem. D: 

„Die Documente jeined Rechtsanſpruches 
Sind eingejehen und bewährt gefunden.“ 
ferner auch (R. II, 1 — Wit. T. I, 2) eine Beweisſchrift, 
ein Beleg. So antwortet Maria Stuart dem Lorb Burleigh 
(M. St. I, 7), der fie anflagt, aus ihrem Kerker die Verſchwö— 
rung planvoll gelenkt zu haben: 
„Bann hätt' ich das gethan? Man zeige mir 
Die Documente auf.” 

Döffingen (Ger. Graf Eberharb der Greiner), ein im 
Nedarkreiie Würtembergd, weſtlich von Stuttgart gelegenes 
Dorf, das jetzt nicht mehr eriftirt. 

Doge (F. Berj.:Berz.), ital. von dem lat. dux, der An- 
führer; Titel ded ehemaligen Oberhauptes der Regierung zu 
Genua und Benedig, dad aus dem Adel, welcher die Regierung 
in Händen hatte, gewählt wurde; daher (%. II, 14): „Doge: 
wahl“ Sn ®enua befleibete der Doge feine Würde zwei Jahr, 
in Venedig lebenslänglich. 

Dogge (R. I, 2 — Menihenf. 5 — Geb. D. Kampf m. 
d. Drachen), von dem engl. dog, Hund; ein großer englifcher 
Hund, bei. ein Hetzhund. 

Dolmetfcher (vermuthlich aus einem ſlaviſchen Worte ges 
bilbet), derjenige, welcher einem Anderen das in einer fremden 
Sprache Geſprochene in feine Mutterfprache oder wenigftend in 


- eine ihm bekannte Sprache überfegt. — Davon: ver dol metſchen 


Doldpen — Dominicus. 193 


(R.1,1 — %.111,7), überfegen oder ausführlicher erklären. — 
Mit den fiebzig Dolmetſchern (Zur. II, 3) find die 72 ge: 
lehrten Zuden gemeint, weldye einer auch von Sojephus berich⸗ 
teten Sage zufolge auf Befehl des Agyptifchen Königs Ptolemäus 
Philadelphus eine griechifche Neberfegung des Alten Teftaments 
verfaßten, die unter dem lateiniſchen Namen Septuaginta, d. h. 
70 befannt iſt. Sie arbeiteten auf der Inſel Pharos, nahe bei 
Aegypten, abgefondert von einander, und dennoch follen ihre 
Arbeiten in Folge göttlicher Sufptration wörtlich miteinander über: 
eingeftimmt haben. Diefe etwa 200 Jahre vor Chr. Geb. ver: 
faßte Neberfegung ift auch unter dem Namen der alerandrinijchen 
Berfion befannt. 


Dolöpen (Ger. 2. B. d. Xen. 73), ein theſſaliſcher Volks— 
ftamm, der im trojanifchen Kriege von Pyrrhus oder Neoptole: 
mus, dem Sohne des Achill, geführt wurde. 


Domberren (Gftf. 10, 137 u. 140) oder Stiftöherren nennt 
man in der Tatholiichen Kirche gemifje Mitglieder einer mit mil: 
den Bermächtnifien und geiftlichen Rechten ausgestatteten Anftalt, 
bie urfpränglich zu kirchlichen oder religiöfen Zweden beftimmt 
md einer geiftlichen Körperfchaft anvertraut war. Sie ftehen 
dem Biichofe berathend zur Seite, wie die Gardinäle dem Papfte, 
und find meift reiche Leute, indem fie nach und nad in den 
Befig eines beftimmten Antheild der zu ihrer Kirche gehörenden 
Güter gelangt find. 

Dominicaner, |. Domintcud. 


Dominicus de Guzman wurde im Jahre 1170 zu Calarvejo 
in Alt:Saftilien geboren. Talentvoll und von Liebe zu den Wiflen- 
ſchaften erfüllt, widmete er ſich dem geiftlihen Stande. Da er 
demfelben mit vollem Eifer diente, fo wurde er von dem Papite 
Innocenz III. beauftragt, die Keper in Frankreich, beſonders bie 
Albigenfer, zu belehren oder audzurotten, zu welchem Zwed er 
das fogenannte Inquifitiondgeriht begründete. Er ftarb im 
Sabre 1221 zu Bologna und wurde 1233 von Gregor IX. unter 

T. 18 





194 Dom Remi — Don Carlos. 


die Heiligen verjegt; daher wird er (O. C. III, 4) der heilige 
Dominicud genannt. Der von ihm im Sabre 1215 zu Tonloufe 
geftiftete Predigermönchdorden, deſſen lieber fih nah ihm 
Dominicaner (F. V, 5 — D. C. I, 10 — Wſt. T. V,2 — 
Gſtſ. 10, 257) nannten, Hatte die Beſtimmung, ſich durch Pre- 
bigten gegen die Keper immer weiter audzubreiten und allmälig 
fefter zu begründen. — Dominiecuskirche (R. II, 3), eine dem 
h. Dominicus geweihte Kirche. 
Dom Nemt, |. Baucouleur2. 


Don (Dem. I), ein ruffifher Fluß, weldher an der Oftfeite 
der Düna: Donifchen Landhöhe entipringt, erft jüdöftlih, dann 
ſüdweſtlich fließt und fich in den nördlichiten Bufen des Aſow— 
ihen Meeres ergießt. Die in feiner Umgegend wohnenden 
Koſaken, der wörtlichen Bedeutung nad nichts Andered als 
berumftreichende, leicht bewaffnete Soldaten, find ein kriegeri⸗ 
ſcher Volksſtamm, der fi) bis zu dem füdöftlihen Theile Polens 
ausbreitet und ſich in zwei Hauptftänme, die Heinrujfiichen und 
die donifchen Koſaken (Dem. II, 1) theilt, von denen die lehteren 
Die gebildeteren find. 

Donauwörth (Picc. I, 1), baierſches Städtchen an der 
Donau, bid 1607 freie Reichsſtadt. 


Don Earlod. Nachdem Sch. im Februar 1783 Kabale 
und Liebe vollendet hatte, ſchwankte er zunächſt zwiſchen Maria 
- Stuart und anderen tragifhen Stoffen, entichieb ſich indeflen 
bald für D. C., wozu er den Stoff in St. Real's hiftorifcher 
Novelle”) fand, auf welche ihn Dalberg in Manheim aufmert: 
fam gemacht hatte. Einen erjten Entwurf batte er bereits in 
Bauerbad) begonnen, dann aber den Gegenftand Tiefen lafſen, 
bis fi im Juni 1784 Dalberg abermald günftig über das Sujet 
ausſprach. Sept nahm er die Arbeit in Manheim mit voller 


*) Saint-R&al, Don Carlos, Nouvelle historique. 2&me &dition. Paris, 
1565. Preis 24 Sgr. 





ee m 


Don Carlos, 195 


Kraft wieder auf, ftudirte die Gefchichte Philipp’3 I. und Eonnte 
bald den erften Act (einzelne durch profatiche Erzählung unter: 
brochene Scenen) in der Rheiniſchen Thalia veröffentlichen. Zu 
Anfang bed Jahres 1785 hatte er in Darmftadt Gelegenheit, 
den vollendeten erften Act in Gegenwart des Herzogs Carl 
Auguft von Weimar vorzulefen, was ihm den Titel eines her: 
zoglich weimariſchen Raths einbrachte; bald darauf ging er non 
Manheim nach Leipzig, wo er in.dem Dorfe Gohlis an dem 
zweiten Act arbeitete, aus welchem einzelne Scenen gleichfalld 
in der Thalia erfchienen. Durch feinen Umgang mit ben Schau: 
Iplelern des Leipziger Stadttheaters, welche das Stüd für die 
Bühne zu haben wünſchten, wurde er zu einer profaifchen Be: 
arbeitung deffelben veranlaßt, deren gelungene Darftellung von 
jo glänzendem Erfolge begleitet war, daß ſich auch die Hof: 
bühnen von Dresden und Berlin das Manufeript zu verfchaffen 
fuchten, um da3 Stüd danach aufzuführen. Sch. felbit Hatte 
von diefer Arbeit den Bortheil, daß er ſich bed umfangreichen 
Materiald mehr bemeifterte, denn für eine fcenifche Darftellung, 
auf die er um der Sache willen bereit verzichtet hatte, war die 
Arbeit viel zu weitläuftig angelegt. Im Herbfte des Zahres 1785 
folgte Sch. feinen in Leipzig gewonnenen Freunden Huber und 
Körner nad Dresden, wo ihm bei dem freundlichen Dorfe Loſch⸗ 
wip ein Gartenfaal eingeräumt wurde. In diefer anmuthigen 
Gegend, frei von jeder drüdenden Sorge, gab er feinem D. ©. 
eine ganz neue Geftalt; im Spätherbft 1786 war dad Gtüd 
vollendet, 1787 wurde ed zum erften Mal volljtändig heraus: 
gegeben. Bon den erften Auögaben war viel geftrichen worden, 
was auch in ber Leipziger Auögabe von 1801 zum zweiten Mal 
gefhah. Die legte von Sch.'s Hand verbefierte Ausgabe erſchien 
fur; vor feinem Tode bei Cotta. 

Wie Sch. dad Glück, jo hat die Gefchichte dad Unglüd, 
Daß die hiſtoriſchen Perfonen der Dramen unfered Dichterd in 
dem Bewußtjein ded großen Publicumd weit mehr in ihrer 
poetiſchen Geftalt aͤls in ihrem jtreng gefchichtlihen Charakter 

18 * 


196 Don Carlos. 


fortieben. Um beiben volftändig gerecht zu werden, erwädhit 
daher dem Erflärer die Aufgabe, dem Leſer der Schiller'ichen 
Dramen dte wirklich hiftoriſche Grundlage berjelben vorzuführen. 

Die am 19. Sanuar 1568 erfolgte Verhaftung des Infanten 
Don Carlod und fein am 24. Zuli im Gefängni erfolgter Tod 
erregten in ganz Europa ein ungeheure Aufjehen, und bie ver: 
fhiedenartigen Gerüchte über die Urſachen des tragifchen Endes 
diefed Prinzen febten über ein Jahrhundert lang die Federn der 
Geihichtsfchreiber in Bewegung. Was Suan Lopez, Giam: 
battifta Adriani, die Sranzojen de Thou und PB. Mathieu über 
diefen Gegenftand gejchrieben, wirb von Warnktönig *) ald wenig 
zuverläffig bezeichnet, jo wie aud die Mittheilungen ded Herrn 
von DBrantöme, welche 1666 erjchlenen und die bem Abbe St. 
Neal ald Duelle für feine biftorifche Novelle dienten, das 
Prädicat unbedingter Glaubwürdigkeit nicht für fih in An- 
ſpruch nehmen können. Erft Leopold von Ranke ift dad 
Berdienft zuzufchreiben, in einer „Abhandlung zur Ge: 
Ihiäte ded Don Carlos“ **) diefen Gegenftand gründlich 
unterjucht und wahrheitsgetreu bargeftellt zu haben, wobei ihm 
bejonderd die glaubwürdigen Berichte bed Freiberrn von Die: 
tricpftein, welcher Hofmeifter der Söhne Marimiliand II. und 
kaiſerlich öftreichiſcher Geſandter an Philipp's Hofe war, die 
erjprießlichften Dienjte leifteten. Den eben genannten Unter: 
ſuchungen zufolge ift die Geſchichte des Don Carlos kurz fol: 
gende: 

Don Carlos wurde am 8. Mai 1545 zu Ballabolid, der 
damaligen Hauptſtadt Spaniend, geboren. Bier Tage nach der 
Eutbindung ftarb feine erft 18 Jahr alte Mutter Maria, welche 
eine Tochter Johann's III. von Portugal und Katharina's von 
Deftreih war. Die erfte Sorge für die Erziehung des jungen 


) Barnfönig. Don Carlos. Leben, Verhaftung und Tod dieſes Prinzen. 
Stuttgart, U. Kröner, 1864. 


°*) Jahrbücher der Literatur, Bd. 46, ©. 237. Wien 1829. 





Don Carlos. 197 


Prinzen übertrug Philipp der Donna Leonor de Madcarenas, 
einer portugiſiſchen Dame von hoher Geburt, und ald er zwei. 
Jahre Später von feinem Bater nach Deutichland berufen ward, 
emer Tante des jungen Prinzen, Donna Juana, welche dieſer 
Aufgabe aber in feiner Weile gewachſen war. Dad Kind -hatte*) 
einen ſchwächlichen Körper, war früppelbaft gebildet, ‘mit un- 
gleihen Füßen und gebogenem Rüdgrat, und zeigte Zaunen- 
haftigkeit, Starrfinn und Neigung zum Zom. Statt dieſen 
üblen Eigenfchaften mit Entichiedenhett zu begegnen, duldete fie 
feine Unarten, und jo wurden weber feine Fähigkeiten noch fein 
Charakter in angemefjener Weiſe gebildet. Vom fiebenten Jahre 
an befam der Knabe einen männlichen Erzieher in Don Antonio 
de Rojas, und ald Kehrer Honorato Juan, einen der gelehrteften 
Männer des Landes; aber auch unter diefer Leitung zeigte ſich 
ber Prinz ungeftüm und Iaunenhaft, e8 fehlte ihm an aller Aus⸗ 
Dauer zum Lernen, er blieb in geiftiger und fittlicher Beziehung 
zurüd und ließ feiner Leidenfchaftlichkeit bald volljtändig ben 
Zügel fhießen. Das Einzige, was man an ihm loben Tonnte, 
war feine Wahrheitäliebe und feine entfchiedene Abneigung gegen 
friehende Schmeichler; auch zeigte er Luft zu anftrengenten 
koͤrperlichen Uebungen, befonterd zum Reiten und Fechten. 
Fünf Jahre lang war Philipp von Spanien abwejend ge- 
weien. Nachdem er die niederländiichen Angelegenheiten geordnet 
und jeine Schwefter Margarethe v. Parma als Statthalterin 
eingefept, kehrte er zurüd und fand feinen Sohn an einem 
Wechſelfieber leidend. Auch in den nädjftfolgenden fieben Zah: 
ren, bie er theild in Ylandern, theild in England und Frankreich 
zubracdhte, konnte von einer unmittelbaren Einwirkung des Vaters 
auf den Infanten feine Rede fein. So kam dad Zahr 1559 
heran, wo Philipp mit Frankreich den Frieden zu Chäteau-Cambre- 
sis ſchloß, in welchem Klifabeth, die fchöne und liebenswürdige 


) Rad Br. Knapp, D. Carlos, eine biographiſche Skizze, nach den ſpani⸗ 
fchen Quellen bed Jofje Quevedo ausgearbeitet. Erlangen 1862. 


198 Don Carlos. 


Tochter Heinrich's IL. und der Katharina von Medici, dem 
- Snfanten D. ©. zur Braut beftimmt wurde. Wenn jomit dies 
in Audficht geftellte Bündniß für den damals erft vierzehn: 
jährigen Prinzen auch feine Herzendjache fein Eonnte, fo mußte 
der frühere Anfprud auf die Hand der Prinzeifin doch bald 
darauf feinem Ehrgeize fchmeicheln, und ed mußte ihn tief ver- 
legen und beleidigen, daß fein Vater im Jahre 1560 Elifabeth 
ſelbſt heirathete. Ob der Prinz bei der Trauung zugegen ge: 
wefen, darüber find die Biographen nicht einig; foviel aber jteht 
feft, Daß Philipp bald nach der Vermählung, wohl um die Ge- 
danfen feine Sohnes von diefem Ereigniß abzulenken, demjelben. 
von den verjammelten Cortes und den Großen ded Reiche zu 
Baladolid den Eid der Treue fehwören Tieß, eine Geremonie, 
die mit großem Gepränge vollzogen wurde und bei welcher auch 
Alerander Yarnefe (f. d.), Sohn der Statthalterin Margarethe 
v. Parma, zugegen war. 

Sm Jahre 1561 ſchickte Philipp feinen Sohn auf die Hoch— 
ſchule von Alkala de Henares, begleitet von A. Yarnefe und feinem 
Dbeim Don Juan d’Auftria (einem natürlihen Sohne Kailer 
Carl's V.), der mit ihn von gleihem Alter war. Der neuc 
Aufenthalt befam dem Prinzen anfangs vortrefflid; indeſſen 
fonnte bei feiner angeborenen Törperlihen Schwäche, wie bei 
dem Ungejtüm ſeines Gemüthd und feiner unmäßigen Lebens: 
weije eine wirkliche Kräftigung nicht erzielt werden. Dazu kam, 
daß er einft bei der lüfternen Verfolgung eined Mädchens von 
einer Treppe berabftürzte und jich eine Gehirnerjchütterung zu 
30g, welche ihn dem Tode nahe brachte. Hierdurch und in Folge 
wiederholter Krankheiten wurden feine Körper: und Geifteöfräfte 
fo zerrüttet, daß feine immer büfterer werdende Stimmung ſich 
bald in Anfälle von Wahnſinn ummandelte*). Bis dahin waren 


*) BerglL Brunnemann, der Hiftorffhe Don Carlos. Archiv für bad 
Studium ber neueren Spraden, Bd. 35, S. 145. Bine Abhandlung über bie 
Berichte des franz. Befandten Herm v. Forquevaulx an Katharina von Mebici. 


Don Carlos. 199 


die Beziehungen zu feinem Vater durchaus freundlich geweſen; 
bald aber trat das höchſt tadelnswürdige Benehmen des Sohnes 
zu dem ernften und ftrengen Charakter bed Königs in einen fo 
ſchroffen Eontraft, dab das Verhältniß zwifchen beiden ein im: 
mer feindfeligered wurde, 

Was die blühende jechzehnjährige Königin betrifft, jo be: 
nahm fie fich ihrem nur zwei Sabre jüngeren Stiefjohn gegen- 
über, der auch nach Dietrichftein’d Beichreibung einen nichts 
weniger als vortheilhaften Eindrud machte, wie eine fchwefter: 
lihe Freundin; Carlos dagegen fühlte fi mit inniger Der: 
ehrung zu ihr Hingezogen, während das Halte, herzloſe Wefen 
feines Vaters ihn entjchieden abſtieß. Bon einem Liebeöver- 
bältnig zwiſchen Mutter und Sohn tft in der Gejchichte nir- 
gend die Rede. Webrigend lagen nach Sitte der damaligen Zeit, 
wo bie Heirathen der Könige und ihrer Erbprinzen zu den wid; 
figften Staatsangelegenheiten gehörten, für eine baldige Ber: 
mäblung des Infanten verfchiedene Pläne vor. Eliſabeth felbft. 
dachte an ihre 1553 geborene Schwefter Margarethe; die Oheime 
der Maria Stuart (f. Lotbringifche Brüder) reflectirten für die 
damals achtzehnjährige junge Wittwe auf den zwei Zahre jün- 
geren Don Carlos; und Kaifer Ferdinand in Wien wünfchte 
ihm feine Nichte, die Erzherzogin Anna, Tochter Martmilians, 
zur Gemahlin zu geben. Sa felbit des Don Carlos Tante, 
Donna Juana, obwohl bereit? 28 Zahr alt, wäre durch ihn 
gern Königin von Spanien geworden. König Philipp begün: 
ftigte den Plan einer Bermählung mit Maria ſowohl aus relt: 
giöfen, wie aus politiichen Rüdfichten, während Don Carlos 
jelbft Feine andere als feine Eoufine Anna von Dejtreich nehmen 
wollte Diefen legten Plan bintertrieb Philipp; auch iſt be: 
kannt, daß er Anna zwei Jahr nad dem am 3. Drtober 1568 
erfolgten Tode Eliſabeths felbjt heirathete. 

Wurde auf diefe Weiſe dem Infanten auch fein Lieblings- 
wunſch vereitelt, jo gab ihm der König doch andererjeitd einen 
Beweis feined VBertrauend, indem er ihn 1564 zum Mitgliede 


198 Don Carlos. 


Tochter Heinrich’ IL. und der Katharina von Medicid, dem 
- Snfanten D. ©. zur Braut beftimmt wurde. Wenn fomit dies 
in Ausficht geftellte Bündnig für den damals erft vierzehn: 
jährigen Prinzen auch feine Herzensfacdhe fein Eonnte, fo mußte 
der frühere Anſpruch auf die Hand der Prinzeſſin doch bald 
Darauf feinem Ehrgeize ſchmeicheln, und ed mußte ihn tief ver: 
legen und beleidigen, daß fein Vater im Zahre 1560 Clifabeth 
ſelbſt heirathete. Ob der Prinz bei der Trauung zugegen ge- 
weſen, darüber find die Biographen nicht einig; ſoviel aber fteht 
feft, dag Philipp bald nach der Vermählung, wohl um die Ge: 
danfen ſeines Sohnes von diefem Ereigniß abzulenken, demſelben 
von den verjammelten Cortes und den Großen des Reiches zu 
Valladolid den Eid der Treue jchwören ließ, eine Geremonie, 
die mit großem Gepraͤnge vollzogen wurde und bei welcher auch 
Alerander Yarnefe (f. d.), Sohn der Statthalterin Margarethe 
v. Parma, zugegen war. 

Im Jahre 1561 ſchickte Philipp feinen Sohn auf die Hody: 
Thule von Alkala de Henares, begleitet von A. Farneſe und feinem 
Dheim Don Zuan H’Auftrin (einem natürlihen Sohne Kaiſer 
Carl's V.), der mit ihn von gleihem Alter war. Der neue 
Aufenthalt befam dem Prinzen anfangs vortrefflid; indeflen 
fonnte bei feiner angeborenen körperlichen Schwäche, wie bei 
dem Ungejtüm ſeines Gemüths und feiner unmäßigen Lebens- 
weije eine wirkliche Kräftigung nicht erzielt werden. Dazu kam, 
daß er einft bei der lüfternen Verfolgung eines Mädchens von 
einer Treppe berabftürzte und jich eine Gehirnerfchütterung zu: 
309, weldhe ihn dem Tode nahe brachte. Hierdurch und in Folge 
wiederholter Krankheiten wurden feine Körper: und Geiſteskräfte 
jo zerrüttet, daß feine immer büfterer werdende Stimmung ſich 
bald in Anfälle von Wahnfinn umwandelte*). Bis dahin waren 


*) Vergl. Brunnemann, der Hiftorifhe Don Carlos. Archiv für das 
-Studlum der neueren Sprachen, Bd. 35, S. 145. ine Abhandlung über bie 
Berichte des franz. Befandten Herrn v. Forquevaulx an Katharina von Mebici. 


Don Carlos. 199 


die Beziehungen zu feinem Bater durchaus freundlich geweſen; 
bald aber trat dad höchft tadelndwürdige Benehmen ded Sohnes 
zu dem ernften und firengen Charakter ded Königs in einen fo 
ſchroffen Contraft, daß dad Berhältniß zwiſchen beiden ein im: 
mer feindfeligereö wurde, 

Was die blühende jechzehnjährige Königin betrifft, jo be: 
nahm fie fih ihrem nur zwei Sabre jüngeren Stiefſohn gegen: 
über, der auch nad) Dietrichftein’d Beichreibung einen nichts 
weniger als vortheilhaften Eindrud machte, wie eine fchwejter: 
liche Freundin; Garlod dagegen fühlte fich mit inniger Ver: 
edrung zu ihr bingezogen, während das Talte, berzlofe Wefen 
feined Vaters ihn entſchieden abſtieß. Bon einem Liebeöver: 
hältniß zwiſchen Mutter und Sohn ift in der Gefchichte nir- 
gend die Rede. Uebrigens lagen nad Sitte der damaligen Zeit, 
wo die Heirathen der Könige und ihrer Erbprinzen zu den wid: 
tigſten Staatsangelegenheiten gehörten, für eine baldige Ber: 
mählung des Snfanten verfchiedene Pläne vor. Clijabeth felbft. 
dachte an ihre 1553 geborene Schwefter Margarethe; die Oheime 
der Maria Stuart (f. Lothringiſche Brüder) reflectirten für die 
damals achtzehnjährige junge Wittwe auf den zwei Fahre jün: 
geren Don Carlos; und Kaifer Ferdinand in Wien wünjchte 
ihm jeine Nichte, die Erzherzogin Anna, Tochter Marimiltans, 
zur Gemahlin zu geben. 3a jelbit ded Don Garlod Tante, 
Donna Suana, obwohl bereit? 28 Zahr alt, wäre dur ihn 
gern Königin von Spanien geworden. König Philipp begün- 
ftigte den Plan einer Bermählung mit Maria ſowohl auß reli: 
giöfen, wie aus politiihen Rüdfichten, während Don Carlos 
ſelbſt Feine andere als feine Soufine Anna von Deftreih nehmen 
wollte. Diejen legten Plan hintertrieb Philipp; auch iſt be: 
kannt, daß er Anna zwei Jahr nach dem am 3. Detober 1568 
erfelgten Tode Eliſabeths jelbjt heirathete. 

Wurde auf diefe Weile dem Infanten auch fein Lieblings: 

wunfch vereitelt, fo gab ihm der König doch andererſeits einen 
Beweis jeined Bertrauend, indem er ihn 1564 zum Mitgliede 


200 Don Carlos. 


des Staatsrathes ernannte; aber freilich war dies nichts weiter 
als eine leere Förmlichkeit, denn Niemand nahm auf ſeine Mei— 
nungen Rückſicht, und überdies wurden wichtige Angelegenheiten 
nicht im Staatsrath, ſondern mit den vertrauten Miniſtern in 
dem Cabinet des Königs berathen. In demſelben Jahre war 
die Königin Eliſabeth in Folge einer vorzeitigen Entbindung 
lebensgefährlich erkrankt, indefien glüdlich gerettet worden. Nach 
ihrer Geneſung reifte fie nach Bayonne, um dort mit ihrer 
Mutter zufammen zu treffen; Don Carlos und mehrere andere 
Prinzen begleiteten fie. Die große Aufmerkſamkeit, welche ber 
Snfant auf diefer Reife der Königin bewies, mochte bei einigen 
Begleitern die Meinung von einem Liebesverhältniß erweden. 
Inzwiſchen war die Gefundheit de Prinzen bis zum Jahre 
1565 faft vollitändig wieder bergeftellt. Bei feinem ungejtümen 
Charakter jehnte er fich jegt nach Thätigkeit, zu der ſich auch 
ein willkommener Anlaß bot. Bereits in feiner Kindheit war er 
zum Statthalter der Niederlande ernannt worden, deren Ange: 
legenheiten gerade jegt in Madrid Gegenftand eingehendfter 
Berathung waren. Bei feirier unerjättlichen Neigung zum Herr: 
ihen drang er nunmehr darauf, daß die ehemald erfolgte Er- 
nennung zur Wahrheit werde; aber Philipp's Abfichten mit den 
Niederlanden erheiſchten einen Mann von feitem, ja eijernem 
Villen wie Alba und nicht einen ſtürmifchen, leidenſchaftlichen 
Charakter, wie der feined Sohnes war. Alba wurde daher mit 
unumfchräntter Gewalt und einer bedeutenden Heeresmacht ver: 
jehen, um die Ruhe in Flandern wieder berzuftellen. Don Carlos 
fühlte fich hierdurch gefräntt und beklagte fich bitter; er tabelte 
alle Schritte feined Vaters und gab ihn fogar dem öffentlichen 
Spotte preis; feine Wuth gegen Alba dagegen ging jo weit, daß 
er einmal jelbft den Dolch gegen ihn züdte. Dazu kam die Ber: 
zögerung feiner Vermählung mit der Erzherzogin Anna, die er 
innig liebte, und die Erbitterung gegen die Priefter, welche fei- 
nen bigotten Vater faft vollftändig beherrſchten. So fteigerte 
ſich das feindjelige Verhältnig zwiſchen Bater und Sohn immer 


Don Carlos. 201 


mehr; gezwungen unter feinen Augen und unter feiner Zucht in 
Madrid zu bleiben, kannte des Prinzen Haß bald keine Grenzen mehr. 

Unter fo bewandten Umftänden faßte er den Entſchluß, aus 
Spanien zu entfliehen. Es war im Sabre 1567, wo fein Vater 
nad dem Escurial reifte, um fich dajelbft frommen Andacht3: 
übungen zu widmen. Auf diefe Abmwejenheit hatte Don Carlos 
gerechnet; fein Oheim Don Zuan, unter deifen Befehl eine Ylotte 
in Carthagena ausgerüftet wurde, follte ihm ein Schiff zur Ber: 
fügung ftellen, und mit diefem wollte er zunächft nad Stalien 
gehen. Don Suan aber ließ fich nicht überreden, fordern reifte 
dem Könige nach und machte ihm perfönlich von dem Vorhaben 
des Infanten Anzeige. Natürlich hatte Philipp nichts Etligered 
zu thun, als den Plan feined Sohnes zu vereiteln; er erflärte 
ihn für einen Gefangenen und ließ ihn unter Aufficht des Herzogs 
von Feria (j. d.) einfperren. Der FZürft von Eboli (f. d.) und 
der Graf von Lerma wurden mit ber fpeciellen Bewachung des 
Prinzen betraut. 

Ald Urfahe der Verhaftung kann weder ein Anfchlag auf 
das Leben feines Baterd, noch eine hochverrättjerifche Verbindung 
mit dem ntederländifchen Gejandten, noch eine Hinneigung zum 
Proteſtantismus angejehen werden. Don Carlos wollte nur den 
Hänven jeined Baterd entrinnen; welchen Ausgang jein Plan 
haben konnte, wenn er etwa nach den Niederlanden entkam, ſah 
er ſelbſt fchwerlich voraus. Philipp bemühte ſich, feinen außer: 
ordentlihen Staatdact ſowohl bei den auswärtigen Höfen, wie 
bei den Granden feined Reiches und bet den Biſchöfen ded Landes 
zu rechtfertigen. Er wollte den Snfanten von der Thronfolge 
ausſchließen, weil er ihn für unfähig zum Regieren hielt, und 
fuchte ihn für einen wahnfinntgen Menfchen auözugeben. Im 
Gefängniß durfte Niemand den Prinzen befuchen, jelbft jein 
Freund Don Rodrigo *) de Mendoza nicht, dem er ſich erft vor 


*) Bon diefem hat Sch.s Marquis Poſa den Bornamen Rodrigo oder (1,2) 
Roderid. i 


202 Don Carlos. 


Kurzem angejchloffen hatte. In jeiner Verzweiflung wollte er 
ſich dad Leben nehmen; da man aber alle Waffen entfernt hatte, 
jo faßte er den Entſchluß, zu verhungern. Indeß trug die Yor: 
derung der Natur den Sieg davon, eine geordnete Lebensweiſe 
befierte feinen Geſundheitszuſtand, und die Ermahnungen feines 
Beichtvaterd hatten einen wohlthuenden Einfluß auf feinen Eha- 
rafter. So wäre eine Audgleichung möglich gewejen, aber Philipp 
blieb unverjöhnlid. Da fing er feine unvernünftige Lebensweiſe 
wieder an, aß unreifed Obſt, heiße Pafteten und Eis in über: 
mäßiger Menge und erkrankte in Yolge defien an der Brechruhr. 
Bor feinem Ende’ wollte er feinen Vater noch einmal fehen, aber 
biefer war graufam genug, es ihm abzufchlagen. Er ftarb reu: 
müthig und mit verfühntem Herzen am 24. Zuli 1568. Uebrigens 
ift Durch alle biöher geführten Unterfuchungen der über das Ge— 
heimniß ſeines Todes audgebreitete Schleier immer noch nicht 
vollftändig gelüftet, da Andere behaupten, Philipp habe ihn heim- 
lich im Gefängniß hinrichten laſſen. 

Vergleicht man mit diefen Thatfachen die zur Rechtfertigung 
der Königin Elifabeth gefchriebene Novelle von St. Real, fo 
weicht diefelbe zunächft darin ab, daß ſie die Nachricht von 
Philipp's Verlobung mit Elifabeth ald einen Donnerſchlag für 
Don Carlos bezeichnet und deflen Trübfinn feinen vereitelten 
Hoffnungen zufchreibt. Der fernere Inhalt der Novelle ift kurz 
folgender: Die Prinzefſin Elijabeth verzögert ihre Reife nady 
Spanien jo lange wie möglih; Don Carlos, begleitet von fei- 
nem Grzieber, dem Fürften von Eboli und feinem Vetter 
Alerander Yarnefe, reift ihr entgegen. Als fie hört, der Prinz. 
werde mit ihr zufammentreffen, fällt fie in Ohnmacht, kommt 
aber wieder zu fich, ald er wirklich ericheint. Don Carlos fühlt 
bald, was er verloren hat; beide machen Die Reife in demſelben 
Wagen, wo die gegenfeitige Liebe ihre erften Keime treibt. Bei 
der Zufammentunft mit Philipp flieht fie dieſen betroffen an, 
worauf er die Frage an fle richtet, ob fie etwa bemerte, daß er 
graue Haare habe. Der König begegnet ihr zwar mit Achtung 


Don Carlos. 203 ° 


und empfindet auch Liebe für fie, aber dennoch fühlt fie feine 
Befriedigung, weil fie fih mit einem ernten und firengen Gat⸗ 
ten begnügen joll, während ihr jugendliche Herz nach einem 
fenrigen Liebhaber verlangt. 

Don Carlos, begierig zu wiflen, wie es in Elifabeth’8 Seele 
ausſehen möge, benupt die Abwejenheit feined Vaters, der, um 
ben Ueberreften Carl's V. die legte Ehre zu erweifen, nad St. 
Juſt gereift ift; es gelingt ihm, Elifabeth allein zu ſprechen, er 
geſteht ihr feine Liebe und wird auch von ihrer Gegenliebe über: 
zeugt, um jo mehr als fie feine Erflärung geheim hält. Diefem 
Verhaͤltniß gegenüber entfpinmt fi nun eine verwidelte Intrigue. 
Die Prinzeffin von Ebolt, neidiſch auf die Schönheit der Königin, 
bat das Herz des Königs für ſich zu gewinnen gefucht, aber ver- 
geblich; jegt fucht fie ein Berhältnig mit dem Infanten anzu: 
tnüpfen, finder aber feine Erwiederung. Gleichzeitig fommt Don 
Juan von Deftreih an dem Hof, verliebt fih in die Königin 
und ahnt bald, daß Don Garlos fein Nebenbubler ſei; er jucht 
deſſen Bertrauen zu gewinnen, kann aber nichts entdeden. Da 
er merkt, daß er auch auf die Prinzeſſin Eboli Eindrud ge: 
madıt, jo befchließt er, diefe für feine Abſichten zu benugen; er 
ſpricht mit ihr von Don Sarlod Neigung zur Königin, was fie 
mit Begierde aufnimmt, ohne feinen eigentlichen Zwed zu ahnen. 

Unterdefien wird Don Carlos durd einen Zwildhenfall von 
dem Hofe entfernt. Die Inquiſition bat in dem Teftamente 
Carl's V. ketzeriſche Aeußerungen entdedt, was fie veranlaßt, den 
Beichtvater des verftorbenen Kaiſers dem Scheiterhaufen zu über: 
liefern. Dafjelbe jol mit dem Teſtamente geſchehen, was Don 
Carlos hart und bitter tabelt und nur mit Mühe verhindert. 
Der König findet es daher gerathen, ihn nach Alcala auf die 
hohe Schule zu ſchicken. Hier befteigt er einft ein wildes Pferd, 
ftürzt und bleibt für todt Liegen. Als er wieder zu ſich kommt 
und die Aerzte an feinem Auflommen zweifeln, ſchickt er den 
Marquis Pofa, jeinen Jugendfreund, an die Königin, um ihr 
feine Abfchiedögrüße zu bringen. So wie die Prinzeſſin Eboli 


204 Don Carlos. 


dies erfährt, begtebt fie fih zur Königin, um zu beobachten, wie 
die Schreckensnachricht auf fie wirken werde. Clifabeth vermag 
fich nicht jo zu beherrſchen wie fonft; ihr ftummer Schmerz jagt 
mehr als die beredteften Klagen. Sie fchreibt dem Infanten 
einen rührenden Brief, den fie durch den Marquid überreichen 
läßt. Don Carlos, hierdurch wunderbar geftärkt, erfreut jich 
einer baldigen Genefung und wird nad Madrid zurüdberufen. 
Hier bittet ihn die Königin um NRüdgabe ihres Briefes, der 
Prinz kann fi) aber nicht entfchließen, ihn herauszugeben. 

Nunmehr jpielt au Marquis Pofa feine Rolle. Von jcharfer 
Urtheiläfraft und großer Selbftbeherrihung, bemerkt er bei Don 
Carlos Sinn für große Unternehmungen, eine Neigung, Die er 
im Sntereffe der flandriichen Provinzen zu benupen gedenft. Es 
wird ein inmiger Freundſchaftsbund zwiſchen ihm und dem Prin⸗ 
zen geſchloſſen, woraud aber beide dem Hofe ein Geheimniß 
machen. Leider wird Died ſchöne Verhältnig bald zerriffen. Bei 
einem Turnier erjcheint der Marquis mit den Farben der Köni⸗ 
gin geihmüdt, und trägt gleich bei den erften Rennen mehrere 
Dale den Preid davon. Diefer Erfolg und die Galanterie, mit 
welcher er fich gegen die Königin benimmt, erweden Philipp's 
Eiferfucht, welcher ihn in der Nacht auf der Straße heimlich 
erdolchen läßt. Bald ahnen die Königin und der Prinz, wer 
der Urheber diefer That fei, ohne den wahren Grund zu ver: 
mutben; fie glauben vielmehr, ihr eigenes Geheimniß fei ver: 
rathen, und nur der Bertraute befielben beftraft, während fie 
jelbft der Rache ded Königs nicht entgehen würden. Sie finnen 
alfo auf Rettung. 

Da findet Don Carlos eined Tages unter feinem Teller 
einen Zettel, der ihn zu muthigem Handeln auffordert: Er be: 
ſchließt fich zu entfernen und bittet den König, ihn nad lan: 
bern zu ſchicken; dieſer aber fchlägt ed ihn ab unter dem Bor: 
wande, daß er daß Leben des Infanten jo großen Gefahren nicht 
ausſetzen dürfe. Seht hält fih Carlos für verloren; er denkt 
auf feine Sicherheit und will fliehen, was von dem Poftmeifter 


Don Carlos. 205 


Raymond v. Tarid verratben wird. Der König läßt ihn ge: 
fangen nehmen und geftattet ihm, ſich die Todesart zu wählen. 
Der Prinz öffnet fid im Bade die Adern an Händen und Yühen, 
während der Königin eine vergiftete Arzenei gereicht wird, an 
der fie ftirbt. Nach ihrem Tode wird die Prinzeifin Eboli die 
Geliebte des Königs. 

Man fieht, daß diefer Novelle wenig biftorifche Treue inne: 
wohnt; aber einem Dramatiker wie Sch. mußte ein joldyer Stoff 
willkommen fein, wie er denn jelbft in feinen Briefen an Dal: 
berg und Reinwald den NReihthum an „rührenden Situationen“ 
rühmt und darf hindeutet, wie die Charaktere des feurigen 
Don Carlos, der unglüdlihen Königin, des eiferjüchtigen Dion: 
archen, des graufamen Inquifitors und des barbarifchen Herzogs 
Alba ihm „Gelegenheit zu ftarfen Zeichnungen“ geben würden. 
Er durfte ſich alfo eine bedeutende theatraliihe und tragiſche 
Wirkung von feiner Arbeit verfprechen. Außerdem aber mußte 
die Zeit, in welcher das Stüd fptelt, dad Ende des ſechzehnten 
Sabrhunderts, eine Zeit weitgreifender Bewegungen, in welcher 
die Kräfte des menſchlichen Geiſtes auf die mannigfaltigfte Weiſe 
angeregt, und die auf religiöjem, wie auf politiichem Gebiete 
wacdhgerufenen Gegenjäpe zum wechjeljeitigen Kampfe heraus: 
gefordert wurden, einen Dichter, wie Sch., zu einer dramatiſchen 
Darftellung mächtig reizen. Denn überall, wo leidenſchaftliche 
Erregung mit der Uebermacht beftehender Verhältniffe in Con⸗ 
flict geräth, da findet fich ein geeigneter Boden für Die Tragödie; 
ed waren alfo alle Bedingungen vorhanden, um dem Publicum 
ein geichichtlihed Drama in großartigem Stile vorzuführen. 

Faſſen wir nun, geftübt auf die werthuollen Erläuterungen 
von Hoffmeifter, &. Schwab, Palleske, Goedeke“), Joſ. Bayer **) 
und Rönnefahrt**), die Dichtung felbft in's Auge, fo haben 


) R. Goedeke, Goethe und Schiller. Hannover bei Ehlermann. 1839. 
”) S. Braut von Meffina. ©. 134. 
”...% ©. Rönnefahrt, Schillers dramatiſches Gedicht Don Carlos. Diün- 
en bei Chr. Kaiſer. 1865. 


206 Den Carlos, 


wir zunächft daran zu erinnern, daß dad Werk auf der Grenze 
zweier Bildungsepochen ded Dichterd entftand. In feinem vier- 
undzwanzigften Xebendjahre begonnen und im achtundzwanzigften 
vollendet, mußte es die Spuren der feurigen Entwidelung bes 
eben zum Manne reifenden Sünglings an fich tragen, bei dem 
bie mit einander ringenden Gewalten feiner Seele ſich noch nicht. 
in Gleichgewicht gefebt Hatten. Es darf und daher nicht wun- 
dern, wenn der um zehn Jahr ältere Goethe jagt, daß die Er- 
iheinung des Don Carlos nicht geeignet gewejen jei, ihn dem 
Dichter näher zu führen. Wenn Sch. in feinen brei Sugenb: 
dramen, wo eben nur die naturwüchlige Kraft feine Yeder führt, 
mit genialer Unbefangenheit niederreißt und wegräumt, was 
jenen Sdealen ftörend in den Weg tritt, jo entwirft er in feinem 
Don Carlos den Plan zu dem Aufbau eined neuen Gebäudes 
für das menſchliche Dafein. Die inneren Kämpfe feine reno- 
Iuttonären Strebend gelangen jept zum Durchbruch, jo baß der 
Don Carlos ald die Frucht eines in feiner Seele vorgegangenen 
Laͤuterungsprozeſſes zu betrachten tft. Nicht der Zorn gegen 
erdrüdende Gewalten, jondern erhabene Ideale follen fortan die 
Triebfedern des Handelns feiner Helden fein. Als er die Arbeit 
begann, hatte er Feine andere Abſicht ald ein Yamiliengemälde 
in einem königlichen Haufe zu geben; was Kabale und Liebe 
auf bem Gebiete des focialen Lebens, das etwa follte Don Carlos 
auf dem des Hoflebend werden. Aber wie ber Dichter während 
der Arbeit jelbit ein anderer wurde, jo befam aud fein Wert 
bald eine mehr ideale Grundlage, e8 wurde, wie Palleske tref- 
fend fagt, zu einem Tendenzftüd, einer Principtentragödie. Mare 
quis Pofa, Don Carlos und die Königin wurden die Repräfen- 
tanten feiner fittlichen Ideale, König Philipp, Herzog Alba und 
Domingo, die beflagenswerthen Kinder ihrer Zeit, die Vertreter 
jener erftarrten mittelalterlihen Formen, mit welchen die Macht 
neugeftaltender Gedanken in Conflict geriet. Aber freilih hat 
der Dichter bier einen gewagten Sprung gethan; denn wenn 


Don Carlos. 207 


auch Philipp der Hepräfentant des ſechzehnten Jahrhunderts 
iſt, ſo it Sch.s Marquis Poſa doch keinesweges ein Proburt 
jeiner Zeit, ſondern ed verkörpert ſich in ihm vielmehr der Geiſt 
des achtzehnten Jahrhunderts. Niht „Gedankenfreiheit“ 
war die Deviſe der reformatoriſchen Beſtrebungen jener Zeit; 
ſondern „das Wort ſie ſollen laſſen ſtahn“, das war der 
Kern: und Angelpunkt, um welchen die geiftigen Kaämpfe damals 
NH drehten. Somit fehlt zwiichen Poſa und feinem Zeitalter 
die nothwendige biftorifche Vermittelung, wie er denn jelbit 
(II, 10) ſehr bezeichnend jagt: „dad Jahrhundert tft meinem 
Ideal nicht reif. Sch lebe, ein Bürger derer, welche kommen 
werben“. Es tft tn feinen Ideen gewiflermaßen eine Borahnung 
der nachmals eingetretenen Revolutionen ausgeſprochen. 

Einen wefentlihen Schritt in der Yortentwidelung unferes 
Dichters bildet auch die äußere Form feines Werkes. Er ver: 
1äßt mit demjelben bie proſaiſche Sprache und wählt auf Wie: 
land's Ausſpruch, daß ein vollkommenes Drama tn Berjen ge: 
Ichrieben fein müfle, den fünffüßigen Jambus, um, wie er jelbft 
jagt, dem Stück mehr Würde und Glanz zu verleihen. Und in 
ber That, wie ein Edelſtein erft durch das Schleifen die Yähig: 
feit erlangt, das in ihm wohnende Yeuer in reinem Glanze aus- 
zuftrahlen, fo iſt auch Sch.'s glühende Begetfterung durch ben 
Zwang, welchen er fih mit dem Metrum anlegte, in den wohl: 
thuendſten Yormen zum Ausdrud gelangt. Ueberwiegt in feinen 
Sugenddramen noch die ſcharfe Zeihnumg der Charaktere unter 
dem gewaltigen Ringen mit einer Sprache, die fich feiner Leiden: 
ſchaftlichkeit nicht fügen will, fo biidt in dem Don Carlos überall 


feine Freude an dem glänzenden Colorit hindurch, jo daß die 


Charakterzeichnung faſt darunter leidet. 

Wenn Leſſing in ſeiner Dramaturgie, wo er von dem Rechte 
der Dichtung gegenüber einem hiſtoriſchen Stoffe ſpricht, dem 
Dichter eine Umſtellung und Veränderung der geſchichtlichen 


Thatſachen nur geftattet, infoweit Dadurch Die Charaktere der 


208 Don Carlos. 


hiſtoriſchen Perſonen nicht umgeftaltet werden *): fo hat Sch. 
von dieſem Mechte gerade den umgefehrten Gebrauch gemacht. 
Sein Don Sarlos ift nichtd weniger ald die oben dargeftellte 
geſchichtliche Perſon; ed ift eine untergefchobene ideale Geftalt, 
die wir ald den Helden des Stüdes erbliden. - In feinen Süng- 
lingsjahren von dem hochfliegenden Plane erfüllt, „ver Schöpfer 
einer neuen Zeit zu werden”, bat er fih durch Die unſelige Lei- 
denichaft für feine Stiefmutter innerlich vollftändig umgewandelt; 
dad Streben nach der Befriedigung feiner perjönlihen Wünjche 
nimmt feine Seele jo in Anſpruch, daß jedes edlere und höhere 
Sntereffe dadurch in den Hintergrund gedrängt wird. Die Sache 
ift um jo fehlimmer, als feine Liebe einen unfittliden Charakter 
bat; es ift ein krankhafter Zuftand melandholiicher Zerftreutbeit, 
in dem er alle möglihen Thorheiten begeht. Er liebt Die Kö— 
nigin und ift gleichzeitig im Stande, in einem Augenblid ber 
Aufwallung der Prinzejfin von Eboli eine Liebederflärung zu 
machen. Ald ibm der Page (II, 4) den Brief bringt, welchen 
er von der Königin gefenbet glaubt, hat er noch nichts von ihrer 
Hand gelejen, und doch bat er (IV, 5) den in Alkala erhaltenen 
in feiner Brieftafhe. Mit dem Briefe, welchen er von der Eboli 
in Händen hat, dem königlichen Hanbfchreiben an diefe, will er 
feine Mutter mit Abſcheu vor der Untreue ihred Gatten erfüllen, 
und eben dadurch fie jelbft zur Untreue verleiten. So ein fittlich 
Kranker ift nicht geeignet, die Krankheit jeined Jahrhunderts zu 
beilen; und wenn ed dem Marquid Poſa auch gelingt, fein feu⸗ 
riged Streben für dad Wohl der flandriihen Provinzen zu ge- 
winnen, jo bringt ihn feine leibenfchaftliche Erregtheit doch in 


- Conflict mit allen beftehenden Berhältnifien. Unfähig, die große 


Aufgabe, weldhe fein Freund ihm geftellt, mit klarem, feitem 
Dil in's Auge zu faflen, tft die Hellung von feiner Leidenſchaft 
auch nicht viel mehr als ein Werk der Webereilung, und jomit 


— — — 


*) Vergl. Hamburgiſche Dramaturgie XXIII am Schluß. 





Don Carlos. 209 


verfällt er feinem Schidfal, egotftiiche und ideale Interefien gleich: 
zeitig verfolgt und weder dad Eine noch dad Andere erreicht zu 
haben. 

Sit auf diefe Weiſe Carlos num auch der Held bes Stückes 
und dafielbe mit vollem Rechte nach ihm benannt, jo ſpricht fich, 
wie Joſ. Bayer richtig bemerkt, doch „ber über die Handlung 
hinauswachſende Geiſt des Stüdes mehr rhetoriich ald dramatifch 
in den Belenntniffen und Tendenzen des Marquis Pofa au“, 
der alſo, wenn auch nicht der eigentliche Held, fo Doch die hervor: 
ragendfte Perfönlichkeit in demielben iſt. Die Geichichte*) be: 
richtet von einem Marquid Pofa, einem Herrn vom erften Adel, 
welcher einer zum Proteſtantismus geneigten Geſellſchaft ange: 
hörte und dem Inquiſitionsgericht verfiel. Das Urtheil wurbe 
an ihm und dreizehn anderen Perfonen am 21. Mat 1559 zu 
Balladolid vollftredt, wobei Don Carlo zugegen war. Sch.'s 
Marquis Poſa wird von dem Infanten als der rettende Engel 
betrachtet, den die Vorſehung ihm gefandt, um fein krankes Herz 
zu heilen; der Marquis jelbft dagegen kündigt fi ihm zunächft 
ala den Gefandten eines unterbrüdten Heldenvoltes, ja noch mehr, 
ald einen Abgeordneten der ganzen Menjchheit an Schwärme: 
rich, kühn, ſtolz und ruhmbegierig, hat er ſchon auf der hohen 
Schule zu Alcala feine Seele mit idealen Anſchauungen erfüllt, 
und benjelben fpäter auf feinen Reifen durch Länder, in denen 
die reformatorifhen Ideen in voller Blüthe ftanden, erneute 
Nahrung gegeben. So ericheint er als Repräfentant der Ideen, 
welche geeignet find, eine neue Zeit herauf zu führen; für fie 
will er den FZürftenfohn, den Erben reicher Kronen, gewinnen; 
im Bunde mit ihm will er, unter Benupung ber aufgeregten 
Stimmung in den Niederlanden, die fhönen Träume feiner Fu: 
gend jest verwirflihen. Aber wie alle Enthuſiaften ift er über 
fich felbft nicht zu voller Klarheit gefommen; wenigftend ſchauen 








) Warnkõonig. ©. 22. 
1. 14 





210 Don Carlos, 


wie nicht von vorn herein, und eben ſo wenig vollftändig klar 
in fein Geheimniß. Leidenfchaftlich erregt, voll ftolzen Selbft- 
gefühls, verfolgt er kühn Die übereilt gefaßten Pläne, ohne auf 
die realen Lebensbedingungen in angemefiener Weiſe Rüdficht 
zu nehmen, und da er bejonder8 dem Könige gegenüber ſich nicht 
volllommen wahr erweilt, jo verfällt auch er dem tragiichen Ge— 
ſchick dad nur Gerechtigkeit, doch feine Gnade kennt. 

Diefen beiden ideal gehaltenen Perfonen gefellt ſich die Kö— 
nigin Eliſabeth zu, die gleichfalls höheren Snterefien zugewandt, 
aber doch von ruhigem und ficherem Charakter tjt, jo daß fie 
den Prinzen ftet3 in den Schranken hält, bie fi für fie als 
Philipp's Gattin geziemen. Ste ift das jchöne Ideal der natür- 
Kchen und freien Tugend, wie fie Sc. in feinem Gedicht „Würde: 
der Frauen“ fo trefflich fchildert. Aber daß fie ihr Loos nicht 
mit voller Ergebung trägt, daß fie ihrem Gatten gegenüber ein 
bedenkliche Geheimniß hat, ja daß fie fich nicht fern hält von 
ben ftantögefährlichen Plänen, welche der Marquis ihr anver- 
traut — daß ift ihre Schuld, und darum trifft auch ſie Die aller- 
dings harte Strafe, jelbft da zu leiben, wo fie nichts verfchuldet. 

Den eben geichtlderten drei Perjonen, welche vor Allem 
unjer Mitleid in Anfpruch nehmen, ftehen drei andere gegenüber, 
welche und zunächſt mit Furcht erfüllen, es find der König, 
Herzog Alba und Domingo. 

König Philipp, in deffen Charakterzeichnung die hiſtoriſche 
Treue noch am meiften gewahrt erfcheint, ift ein Despot in jel- 
nem Haufe wie im Staate, dabei aber ein Sklave der Hof: 
etitette, ein SHave ſeiner Eiferſucht, ein Sklave feiner fana- 
tiichen Briefter. Diefe in feiner Brujt vereinigten Gegenfäße, 
der Wiederhall des durch die ganze Tragödie ſich hinziehenden 
Eontraftes, fie bilden die Grundlage feines Fühlens und Wolleng, 
erflären bie meift ercentrijhen Schritte feiner Handlungsweiſe. 
In einem Punkte aber ift er inconjequent. Wohl fühlend, daß 
es ihm an dem inneren Gleichgewichte fehlt, dad allein des Men⸗ 
fhen Glück begründen fann, gelüjtet e8 ihn plöglich nach einem 


Don Carlos. 211 


Menſchen; und er, der jonft nichts Anderes als demüthige Unter⸗ 
tfanen und unbedingten Gehorfam kennt, vertraut fi einem 
Manne, welder den Muth bat, von Gedankenfreiheit zu ihm 
zu reden. In dieſer Inconſequenz liegt fein tragiſches Schichſal, 
das ihn am bemitleidenswäürdigften am Schluß erjcheinen läßt, 
wo der Großinquifitor e8 wagen darf, ihm eine jo derbe Lection 
zu erteilen. 

Dem Könige zur Seite fleht Herzog Alba, fein Staats: 
minifter und fein erfter Yeldherr, ein Mann von Falten Stolz 
und eifernem Charakter, der im Rathe nichts Anderes Tennt als 
Härte und Gewalt und in der Ausführung nichts Anderes als 
die unerbittlichfte Strenge. Obwohl zuverläffig in feinem Eifer 
für den Dienft des Königs, verjchmäht er es doch nicht, daneben 
jetne egoiftiichen Zwede zu verfolgen, denn, von Carlos veradhtet, 
brütet er Rache gegen diefen, und deshalb giebt er fih zu dem 
&omplot her, das gegen den Snfanten und die Königin ge: 
ſchmiedet wird. 

Der dritte im Bunde ift der Vertreter der zu jener Zeit in 
dem Katholicismus zu Tage tretenden unfittlichen Elemente. Er 
ift der ſchlaue, räntenolle Priefter, der „Gebaärdenſpäher und 
Geichichtenträger”, der es verfteht, die Leute zu fondiren und 
feinen Fürften zu umjftriden, fo daß diejer endlich beftürzt feinem 
Zeldherrn zurufen muß: „Toledo! Ihr feid ein Mann. Schüst 
mid vor diefem Priefter!” Aber leider ift der König in ben 
Händen eined Mannes, der, obwohl fein Beichtwater, es nicht 
verſchmäht, in den Dienft feiner niedrigften' Leidenfchaften zu 
treten, ja fi fogar bemüht, diejelben mit dem Dedmantel der 
Religion zu verhüllen. Sein Charakter gipfelt in der im Hinter- 
grumde ftehenden Schredgeftalt des Großinquifitord, dem Reprä- 
jentanten des ſcheußlichen Syſtems, das fich nicht befjer ald durch 
Sch.'s eigene Worte harakterifiren läßt: „Außerdem will ich es 
mir zur Pflicht machen, in Darftellung der Inquiſition Die profti- 
tuirte Menfchheit zu rächen, und ihre Schandfleden fürchterlich 
an den Pranger zu ftellen. Sch will — und follte mein Carlos 

14 * 


212 Don Carlos. 


auch für dad Theater verloren gehen — einer Menjchenart, 
welche der Dolch der Tragödie biöher nur geftreift bat, auf die 
Seele ftoßen.“ 

Zwiſchen den drei bemitleidendwerthen und den drei fürchter⸗ 
lihen Geftalten fteht Die Prinzeſſin Eboli, die unweibliche In- 
trigantin, die es mit beiden Parteten hält, anfangd die eigen: 
nügige Tugend zur Schau trägt, bald aber ed nicht verfcehmäht, 
da ihr die Erlangung eined Diademd verfagt ift, ſich dem Prin⸗ 
zen zur Maitreffe anzubieten, ja die endlich, bloß um ihre Rache 
zu befriedigen, ihre weiblide Ehre in einer Weiſe preiägiebt, 
welche die fürftliche Gebteterin in ihren heiligften Rechten krän⸗ 
ten muß. Sie tft die Nepräfentantin der Zuchtlofigfeit des 
damaligen Hoflebend und verfällt fomit ihrem wohlverdienten 
Schickſal, von der Königin verftoßen zu werden und jchlteßlich 
allein dazufteben. 

Ihr Segenbild findet fie in dem Grafen Lerma. Wie fie 
die weibliche Lafterhaftigkeit, jo ftellt er die männliche Tugend 
dar. Ernft und würdig in feiner Erfcheinung, in feinen Reden 
frei von allem rhetoriſchen Prunk, ift er der treue, redliche Die- 
ner feined Herrn, der Mann „der Lügen nie gelernt bat“, der 
ed zwar auch mit beiden Parteien hält, aber nur um Frieden 
zu ftiften und, fo weit an ihm ift, die ftreitenden Elemente zu 
verfühnen; er ift Daher auch der einzige, der fchlieglich von dem 
tragiſchen Geſchick verfchont bleibt. 

Werfen wir zum Schluß noch einen Blid auf dad Drama 
al8 Ganzes, fo ift der in demſelben zur Anſchauung gebrachte 
äußere Conflict ein doppelter, naͤmlich einmal die fträfliche Nei- 
gung bed Prinzen zu feiner Stiefmutter, dann aber fein ver: 
rätherifche8 Trachten nach ber Statthalterfchaft in den Nieder: 
landen. Durch die Beides kreuzt er einerſeits die häuslichen, 
andererſeits die Staatöinterefjen feines Vaters. Durch bie Aen⸗ 
derung der Grundidee jedoch, hervorgegangen and jenem Ent- 
widelungäprozeß, in welchen der Dichter und ber Denker nody 
im Kampf mit einander lagen, kam ein neued Moment, der 


Don Carlos. 213 


Streit einer idealen Weltanſchauung gegen erftarrte Staats- 
marimen binzu, weshalb W. v. Humboldt die kosmopolitiſche 
Fee mit Recht für die wahre Idee ded Stüdes hält. Dennoch 
bat Sch. mit feinem Don Carlos viel Roth gehabt, da die Kımft- 
richter troß des großartigen Beifalld, den dad Drama gefunden 
und immer noch findet, ſich gerechter Zweifel über die Mufter: 
gültigteit der ganzen Sompofition nicht erwehren konnten. Sch. 
ließ deshalb im Jahre 1788 in dem deutichen Merkur feine 
„Briefe über Don Carlos“ (Bd. 10) ericheinen, welche Palledfe 
„eine Sonceffion an die flache Kritit und an die ftofflihen Sym⸗ 
pathien der Zeit“ nennt. Indeſſen find diefelben auch nicht im 
Stande gewefen, die Bedenken einer gründlicheren Kritif, welche 
dem Stüde mit mehr idealen Sympathien entgegen fam, voll: 
ftändig zu heben. Alle Unterſuchungen über die innere Deco- 
nomie des Dramas haben bi8 jept fein andered Refultat gehabt, 
ald das faft einmüthige Bekenntniß, daß es der Handlung an 
Marem und ftetigem Yortichritt gebriht, und daß fi) Rätbfel 
in dem Stüde finden, welche bisher ungelöft geblieben find. 

Was die erfte diejer beiden Ausftellungen betrifft, jo erwädhft 
und den Dichter gegenüber die Pflicht, den Gang der Handlung 
durch die einzelnen Acte zu verfolgen, wobei wir und nur von 
ihm jelbft leiten lafjen: 

I. Domingo, welder die Neigung ded Prinzen zu feiner . 
Stiefmutter bereit3 errathen, fucht denfelben zu ergründen, wird 
aber mißtrauendvoll zurüdgewiefen. Seht eriheint Marquis 
Pofa, dem Carlos jein Innerfte öffnet, und der, jedenfalld won 
dem Gedanken audgehend, daß die Sehnſucht nach einem ent- 
behrten Gute und immer unrubiger findet ald der Beſitz deſſelben, 
fih erbietet, eine Zuſammenkunft mit der Königin zu vermitteln, 
Diefe, von ihren Hofdamen umgeben, empfängt den Marquis, 
welcher die Gelegenheit benukt, um fie in einer erjonnenen Ge⸗ 
fchichte, die er ald „der Freundſchaft heiliges Legat“ bezeichnet, 
auf Don Carlos Wünſche aufmerkſam zu machen. Gleich darauf 
erſcheint dieſer, gefteht der Königin feine Liebe, wird aber ftatt 


214 Don Barlos. 


der gehofften Erwiederung auf die erhabene Aufgabe hingewieſen, 
dte feiner, als des zukünftigen Herrfcherd, wartet. Das unmit⸗ 
telbar hierauf folgende Auftreten des Königs macht und mit 
deſſen eiferfüchtiger Laune bekannt, während Carlos dem Dar: 
quis erklärt, daß er bereit jei, Ylandern zu retten und deshalb 
jeinen Bater um die Statthalterjchaft bitten wolle. Zugleich 
erneuern beide den Bund inniger Yreundichaft, deren Hauptzwed 
Darin befteht, Poſa's Ideale einft zu verwirklichen. 

U. Sn einer Privat- Audienz, die Sarlos von feinem Vater 
erlangt, wagt er feine fühne Bitte, wirb aber kalt zurüdgewieien, 
während Alba dad gewünfchte Amt erhält. Nunmehr beginnt 
die Intrigue. Ein von der Fürftin Eboli gejendeter Page bringt 
deut Prinzen einen Brief, den diefer für eine Einladung von der 
Hand der Königin hält. Er folgt dem Winke und nad) einem 
heftigen, aber rafch beigelegten Streite mit Alba kommt er gur 
Yürftin Eboli, die ihm ihre Zuneigung verräth, indefien Teine 
Ermwiederung findet. Der Brief, aus welchem Carlos erfehen 
fol, daß man ihrer Unſchuld nachſtellt, der Brief nom König, 
bleibt in feinen Händen. Zept ahnt die Prinzeifin, daß bie 
Königin ihre Nebenbuhlerin fet, und da auch der beleidigte Alba 
und der bei Seite gejhobene Domingo erbittert auf den Prinzen 
find, fo ſchmieden diefe drei ein Complot, dad den geheimen 
Liebesbund zerftören fol. Bon Eiferfucht geblendet, laͤßt ſich 
bie Eboli zu einem Schatullendiebftahl bei ber Königin verleiten, 
umd giebt, bloß um ihre Rache zu Fühlen, den geheimen Wün: 
ſchen ded Königs nad. Im Gegenſat hierzu will Carlos, wie 
in einer Wahlverwandſchaftsintrigue, den Brief des Königd an 
die Prinzeifin Eboli benugen, um feiner Mutter Herz für fd 
gemeigt zu machen, ein unfittlicher Plan, den der Marquis durch 
Zerreißen biejed Briefes vereitelt. Aber eine neue Zuſammen⸗ 
kunft gu vermitteln, dazu tft er beveit, denn fie ſoll feinen Plänen 
nũtzlich werben. 

IH. Nunmehr beginnt fi) der Knoten zu fchürzen. Bei 
dem Könige, obwohl er ſelbſt feiner Gemahlin die Treue gebrochen, 


Don Carlos. 215 


tt die Eiferfucht durch die Raͤnke der Eboli zur höchſten Gluth 
angefacht, um jo mehr, ald auch Alba und Domingo gegen bie 
Königin auftreten. Philipp, noch zweifelhaft, jehnt ſich jept nach 
einem Menſchen, der ihm Wahrheit fündet. Ein Zufall erinnert 
ihn an Marquis Bofa, der, da er feinem Throne fern geblieben, 
ihm jest am beften wird dienen können. Ihn läßt er rufen 
und hört Wahrheiten, an.die er nie gedacht, die ihn aber mächtig 
ergreifen. Dies beftimmt ihn, den Blid des neu gewonnenen 
Freundes auf feine häuslichen Verhältniffe zu lenken, ihm trägt 
er auf, daB Herz der Königin zu erforfchen. 

IV. Inzwiſchen hat das Complot den häuslichen Frieden 
an Philipp's Hofe jo vollftändig untergraben, daß die tragiſchen 
Wirkungen der geheimen Machinationen in mächtigen Schlägen 
zam Ausbruch kommen. Zunächft macht die Königin bei der 
Entdedung des an ihrer Schatulle begangenen Diebftahld Die 
betrübende Beobadytung, daß fie von feindlihen Spähern um: 
geben fein muß, findet dagegen andererfeit3 eine freundliche Stüße 
an dem Marquis, der nur den einen Fehler macht, jebem ber 
drei fürftlihen Familienmitglieder heimlich dienen zu wollen, um 
nachher wie ein Halbgott von Allen angeftaunt zu werben. Dem 
König will er die Ruhe des Gemuͤths zurüdgeben, an dem Hanpte 
der Königin die drohende Wetterwolke ſtill vorüberführen umd 
bei dem Prinzen die Kraft Ieivenfchaftlicher Errregtheit im In: 
terefle feiner höheren Ziele verwerthen; aber Niemand darf ihm 
in die Karten ſehen, ſelbſt fein Freund Carlos nicht, defien Brief: 
taſche als Zeuge feiner Unfchuld dem Könige in die Hände ge: 
fpielt werden fol. Doch noch ehe der Verdacht des leßteren in 
die von Pofa erjonnene Yährte gelenkt ift, bricht dad Unwetter 
los. Eliſabeth beflagt fih bei dem König über die Entwendung 
der ihr werthen Gegenftände und macht die niederjchmetternde 
Erfahrung, daß ihr Gemahl jelbft der Urheber des Diebitahls 
iſt. Diefer erhält nunmehr bed Prinzen Brieftafde mit dem 
Billet der Eboli an ben Infanten, fo daß er ſich von der Für: 
ftin betrogen glauben muß. So gelingt ed dem Marquid, des 





216 Don Carlos. 


Königs Eiferfucht in politiſche Bejorgniß umzuwandeln, die durch 
ben erbetenen geheimen Berhaftsbefehl aber jogleich wieter be- 
ſchwichtigt wird. Soweit ift Alles gut angelegt, aber leider 
werben Pofa’3 geheime Pläne, eben weil er fie geheim hält, 
hinter feinem Rüden gefreuzt. Der Prinz, von Lerma gewarnt, 
glaubt feinen Freund verloren zu haben; dagegen jtraft die Kö- 
nigin die heuchleriſche Warnung, mit welcher Alba und Domingo 
den Marquis and dem Yelde zu fchlagen ſuchen, mit gebühren- 
der Beradhtung. Carlos, voll Mißtrauen gegen jeinen Yreund, 
aber vol Vertrauen zur Fürftin Eboli, geht jept zu diefer, Damit 
fie eine Zuſammenkunft mit jeiner Mutter veranlafle. Der Mar: 
quis kommt dazu, fürdtet, Carlos fei im Begriff, feinen ſchönen 
geheimen Plan dur dad Geftändnig feiner unglüdjeligen Lei- 
denſchaft zu kreuzen, will died verhindern und nimmt ihn ge: 
fangen. Wie foll er jest feinen Plan retten? Die Ermorbung 
der Eboli kann ihm mur in der erften Aufregung als ein geeig- 
netes Mittel erfcheinen, denn ald Minifter darf er ſich durch eine 
ſolche That nit compromittiren, als Menſch fih nicht damit 
befleden. Nur ein Mittel bleibt ihm, er muß fich jelber opfern. 
Inzwiſchen hat die Prinzeilin Eboli, die des Prinzen Gefangen- 
nehmung ald Folge ihrer Anfchwärzung betrachtet, der Königin 
ein offenes Geſtaͤndniß abgelegt, weldher auch der Marquis nun⸗ 
mehr feinen ganzen Plan, freilich mehr in Rätbjeln als in Haren 
Ausdrüden enthüllt. Da er von dem Geftändniß der Eboli nichts 
weiß, audy durch die Königin nichts erfährt, ald daß fie glaubt, 
ihn reiten zu können, jo ift er verloren. Diefe Ahnung wird 
zur Gewißheit durch den verhängnißvollen Brief an Wilhem 
von Oranien, welchen der Oberpoftmeifter dem Könige überbringt, 
fo daß der Zuſchauer voll Spannung der Loͤſung bed Knotens 
entgegen flieht. 

V. Carlos wird im Gefängnig von dem Marquis beiucht, 
der ihn jept mit dem Grunde feiner Verhaftung bekannt macht 
und ihm über alles Vorgefallene Aufjchluß giebt, auch darüber, 
wie er dad Complot regiert, daB dem Prinzen den Untergang 


Don Carlos. 217 


bereiten follte, und wie er jhließlih die ganze Schuld auf ſich 
gewälzt, um den zum Mißtrauen geneigten König irre zu führen 
und feinen Freund zu retten. Ehe er diejen auf die ihm ob- 
liegenden heiligen Pflichten hinweiſen kann, fällt der verhängniß- 
volle Schuß, und der Sterbende kann ihm nur noch fagen, daß 
er von feiner Mutter dad Weitere hören werde. Sept erjcheint 
der König, welchem der Prinz offen erklärt, daß Poſa für ihn 
geftorben, fo daß der Monarch von dem begeifterten Berthei: 
diger ded Gemordeten moraliih vernichtet wird. Dazu kommt 
der Aufruhr in Madrid, dad den Infanten befreien will, und 
ber Getft des verftorbenen Kaiferd, in welchem die legte Nach— 
wirfung von Poſa's geheimen Leitungen zur Eridheinung kommt. 
Der König, innerlich verftört, wird erft durch Alba, die fefte 
Stütze ſeines Thrond, wieder an die Wirklichkeit erinnert, indem 
ber Herzog ihm die Papiere übergiebt, die Poſa's Hinterlaffen- 
ihaft an den Prinzen enthalten. Sept läßt er die zweite Stüße 
feines Throns, den Großinquifitor, rufen und legt fein Richter: 
amt in defien Hände. Inzwiſchen ift der innerlich umgewandelte, 
von feiner unglüdlichen Leidenſchaft gebeilte Prinz in bebenf: 
liher Berfappung zur Königin geeilt, um feines Freundes leßten 
Willen aus ihrem Munde zu vernehmen; bier aber überrafcht 
ihn der König und übergiebt ihn der Inquiſition. 

Neberbliden wir aufmerkſam die eben gegebene reconftruirende 
Analyfe, jo werben wir finden, daß ed dem Stüde doch nicht 
fo jehr an „klarem und ftetigem Fortſchritt“ fehlt, wie mehrere 
Commentatoren died behaupten. Wer Sch.'s vorwiegende Rei: 
gung zur überrafchenden Zırfammenftellung von Gegenjägen kennt, 
wird dieſes höchft werthuolle Kunftmittel auch in dem Scenen: 
wechſel angewendet finden, wo ja fortdauernd zwei Handlungen, 
bie Sntrigue und die Befämpfung derfelben, neben einander ber: 
laufen müffen. Gelingt e8 dem Leſer, diefe Gegenſätze im Sinne 
des Dichterd zu beberrichen und in feinem Bewußtſein zu einer 
höheren idealen Einheit zu verfnüpfen, fo dürfte die ftetige Yort: 
entwidelung der Handlung nicht fo leicht vermißt werben. 





218 Don Barlos. 


Zu den Räthfeln des Stückes gehören freilich dad Vertrauen 
des eiferfüchtigen Königs zu dem jugendlichen Marquis, dem 
er, der jtrengen Hoflitte zum Trotz, freien Zutritt zu feiner Ge⸗ 
mahlin geftattet; ferner die Perſon des Marquis jelbjt, der nad 
Sof. Bayer ein „berechnender Enthufiaft” ift und als folder an 
einem inneren Widerfpruche leidet, da ſich Ideale niemald auf 
Schleihwegen realijiren laffen. Endlich tft weber die Gefangen: 
nehmung ded Prinzen, noch die Aufopferung Poſa's jo auß- 
reichend begründet, daß dem Zuhörer gar fein Zweifel übrig 
bliebe. Wie der Marquis die Verhaftung des Prinzen dem 
Könige gegenüber hätte rechtfertigen wollen, tft fchwer zu fagen; 
und daß Die Aufopferung Pofa’ einer näheren Motivirung be: 
durfte, hat Sch. felbft gefühlt und deshalb fpäter den von Pal: 
leöfe (IT, 46) mitgetheilten Monolog nad) Act IV, 18 einge- 
ſchoben. 

Die Hauptſchönheit des Stückes wird immer in den begei— 
ſternden Ideen und in der edlen und prächtigen Sprache zu 
ſuchen fein; daher Die Erſcheinung, daß Die vorzugsweiſe in Träu- 
men ſich wiegende Jugend jederzeit für dad Drama ſchwärmt, 
während der reifere, an confequented Denten gewöhnte Mann ' 
ungeachtet aller Yreude an den einzelnen Scenen dermod nicht 
mit voller Befriedigung von dem Ganzen fcheidet; es tft eben 
eine Sugendarbeit, die allerdings ihres Gleichen jucht, aber fein 
vollendeted Meifterwert der dramatiichen Kunft. Der eben ge: 
rügte Mangel trifft aber keinesweges den majeftätiihen Schluß 
des Stüdes jelbjt; denn der von den Bertretern der abjoluten 
Kirhen- und Stantögemalt errungene Sieg, ift ein unnatür- 
licher, fo daß der Zufchauer ihnen zurufen möchte: „Roch ein 
folder Sieg, und ihr feid verloren”. Mögen aud die Reprä- 
jentanten der großartigen Eoömopolitifhen Ideen vor unferen 
Augen zu Grunde geben; dieſe Ideen ſelbſt Fingen als das ewig 
Bleibende und Wahre bei und nach und ſchreiten triumphirend 
über die zeitigen Sieger dahin. 


Donnerer — Doppelberrichaft. 219 


Donnerer 
Donnerteile 


Don Quixote (R. Borr.), der Hauptheld des befannten 
Romans des fpaniichen Dichterd Servanted aus dem Anfange des 
17. Sahrhunderts. Der Verfaſſer hatte die Abjicht, mit diefem 
Werke der damaligen Geſchmacksſrichtung feiner Landsleute, wie 
fle befonderd in den abenteuerlichen Ritterromanen zu Tage trat, 
den Todesſtoß zu verfegen. Beltimmt, die Unmahrheit einer 
ganzen Zeitrihhtung zu vernichten, ift der Don Quixote jelbft 
voller Leben und Wahrheit, und indem er mit der Geißel der 
Satire gegen eine falfhe Romantik zu Felde zieht, ift er durch 
und durch romantiſch, fo daß er ber lächerlihften Thorheit zu 
einem treuen Spiegel der Wahrheit wurde. Geit dem Erſchei— 
nen dieſes Werkes verfteht man unter Don Quirote einen när- 
rifhen Abenteurer, der durch dad Streben, feine phantaftiichen 
Ideen zu verwirklichen, überall mit den beftehenden Lebendver⸗ 
bältniffen in Zwieſpalt geräth. 

Doppelberrfhaft, Die fpanifhe. Der Sohn des habs: 
burgifchen Kaiſers Maximilian's J. Philipp der Schöne, hatte 
fid wit der Tochter Ferdinand's des Katholiihen, Johanna, 
welche jpäter den Beinamen „die Wahnfinnige“ erhielt, ver: 
mählt, aus welder Ehe Karl IL von Spanien (ald Kaijer von, 
Deutichland Karl V.) hervorging. Als diejer 1556 feinen ſaͤmmt⸗ 
lichen Thronen (Deftreih, Spanien, den Niederlanden, Neapel 
und den ameritanifchen Beflgungen) entjagte, gab er ſeine deut: 
ſchen Länder nebft der Katjerwürbe feinem Bruder Ferdinand I. 
11556 — 64) und Spanien nebjt den übrigen Reichen feinem 
Sohne Philipp II. (1556—98), wodurch aud) Spanien das Erbe 
eines habsburgiſchen Regentenftammes wurde. Die Worte Wal: 
Ienftein’d (Bft. T. IV, 3): 

„Die fpanifhe Doppelherrfhaft neiget fi 
Zu ihrem nbe, eine neue Orbnung 
Ber Dinge führt ih ein.” 


ſ. Zeuß. 


220 Doppelmadfe — Draperie. 


beziehen fich auf die beiden Linien Habsburg: Deftreich (damals 
Ferdinand II.) und Habsburg- Spanien (damals Philipp IV.). 
Der Tod des legten Königs diefer zweiten Linie, Karl's II., ver 
anlaßte im Jahre 1700 den Ausbruch des fpantichen Erbfolge: 
krieges. 


Doppelmaske, ſ. Masken. 

Doppelſchein, ſ. Aſtrolog. 

Dorf (W. T. IV, 1). Es iſt das Dorf Siſſingen zwiſchen 
Fluelen und Brunnen gemeint. 


Drachen, fabelhafte Ungeheuer des Alterthums, die den 
Menſchen nach dem Leben trachteten, daher vergleichungsweiſe 
(R. J, 3): „Drachenſeelen“. — Die Stelle (Wſt. T. I, 7): 

„Nicht hoffe, wer bed Drachen Zähne ſä't, 

Erfreuliches zu ernten.” 
ift eine Anfpielung auf die fagenhafte Mittheilung in dem Ar: 
gonautenzuge, wo der barbariiche König Aëtes dem Jaſon die 
Aufgabe ftellt, ein Feld mit einem feuerfchnaubenden Stiere zu 
pflügen, Drachenzähne in die Furchen zu ſäen und gegen die 
daraus hervorwachſenden geharntichten Männer zu kaͤmpfen. 

Dragoner (Wit. L. Perf. Berz.), eine zur leichten Reiterei 
gehörige Truppengattung, vermuthlih nah dem Drachen (fraf. 
dragon) ald ehemaligem Yeldzeichen benannt. 

Drama (8.d.9.), gr. ſ. v. w. That, Handlung (bef. auf der 
Bühne); ein Schaufpiel. — Dramaturg (Ged. Shakeſpeare's 
Schatten) od. Dramaturgift (%. Borr.), ein Schaufpiellehrer, 
befien Geſchaͤft es ift, die Regeln und Geſetze des Schaufpiels 
zu entwideln und ihre Anwendung zu lehren. — Dramaturgie 
(ebendaj.) die Schaufpiellehre, Theorie der Schaufpiel:Dichtkunft 
od. (Br. v. M. Einl. 5, 378) dramatifchen Poeſie. — Dramatiſch 
(R. Vorr.), in Form eines Schauſpiels behandelt; undramatifch 
(F. Vorr.), für ein Schauſpiel nicht geeignet. 


Draperie (Br. v. M. Einl. 5, 381), die Bekleidung der 
Figuren, beſ. der Faltenwurf der Gewänder. 


Drathmaſchinen — Dreikonig. 221 


Drathmaſchinen, |. Marionette. 


Dreibagenplag (8. u. L. V, 5), der billigfte Plap im Theater, 
der mit drei Baten bezahlt wurde. Der früher in Süd:Deutich: 
land übliche Bapen galt 4 Kreuzer oder 14 Sgr.; der Dreibagen: 
plag wurde alfo etwa mit 4 Sgr. bezahlt. 


Dreibeiniges Thier (R. I, 2), Spipbubenausdrud für 
Galgen, der gewöhnlich aus drei aufgerichteten Pfeilern beftand. 


Dreifahe Krone oder Tiara heißt die hohe Müpe, welche 
das Zeichen der päpftlihen Würde ift. Sie ift von drei über: 
einanderftehbenden goldenen Kronen umzogen, die mit Edelfteinen 
veſetzt find, und trägt auf ihrer Spike eine goldene Kugel mit 
einem Kreuz. Die Stelle (%. IV, 14): „Zwei meiner Ahnherren 
trugen die dreifahe Krone” bezieht ſich auf Innocenz IV. (1243 
bis 1254), welcher ald Cardinal Sinibald Fiesco hieß, und auf 
Hadrian V., der als Carbinal den Namen Ottobonus Yiescht 
führte. Beide waren aus Genua; der legtere wurde 1276 nad 
Snnocenz V. gewählt, ftarb aber bereit? 39 Tage nad) feiner 
Erhebung, ohne geweiht und gefrönt worden zu fein. 


Dreifaltigkeit, ein von Luther gemißbilligter, in der katho⸗ 
liſchen Kirche aber häufig gebrauchter Ausbrud für Dreieinig: 
Teit, mit welchem letzteren Ausdruck in der chriftlichen Glaubens: 
lehre diejenige Eigenſchaft des göttlichen Weſens bezeichnet wird, 
nach welcher ed zwar ein einheitliches Weſen fein fol, das ſich 
jedoch in drei verjchiedenen Perfonen offenbart. Sn der Stelle 
(M. St. I, 6) ift die bildlihe Darftellung diefer drei Perfonen 
gemeint. 

Dreilönig (8. u. L. V, 5). Die Weifen aus dem Morgen: 
Iande oder die fogenannten heiligen drei Könige, weldye bei der 
Geburt Chrifti zu Herobes famen, wurden in früheren Zeiten 
öfter bildlich dargeftellt, und folhe Abbildungen auch wohl be: 
nıugt, um diefe oder jene Sorte Tabak mit einem Iodenden Auf: 
Ichriftözettel zu verfehen. 


222 Dreizad — Eberhard, 


Dreisad, |. Pofeidon. 

Druidenbaum (3. v. D. Prol. 2), die im Anfange bes 
Prologd genannte Eiche. Die Druiden, die Priefter der alten 
- &elten in Gallien, hielten die Eiche für heilig und pflegten in 
ihrem Schatten den Göttern die Opfer darzubringen. Als jpäter 
bad Chriſtenthum Eingang fand, wurden ſolche Bäume oft mit 
Heiligenbildern geſchmückt, oder in ihrer Nähe Kapellen mit jol- 
hen Bildern errichtet, um die heidnifchen Erinnerungen auszu⸗ 
löfchen, oder die alte abergläubtiche Gewohnheit auf den neuen 
Slauben zu übertragen. 

Drya8 od. Drydde, pl. Drydden, |. Nymphen. 

Dryoͤpen (Bed. 4.3. d. Aen. 27), ein pelasgiſcher Volks⸗ 
ftamm in Epirus. 

Duc von Anfou (M. St. II, 6), ſ. Anjou. 

Duett, aus dem ital. duetto, ein Zweigefang; ſpoͤttiſch 
(8. u. 8. V,7), eine Unterhaltung zwifchen zwei Perfonen. 

Duncan (Mech. I, 5), f. Macbeth. 

Dunſinan, ſ. Macbeth u. Scone. 

Durchlöchertes Sieb der Ewigkeit, |. Danaiden. 

düffeln, verw. mit dufeln, f. v. w. bämmern od. (R. I, 2), 
tuſcheln, leife verhandeln. 

Dymas (Ged. 2.3. d. Xen. 61), einer der letzten Trojaner, 
welcher noch während der Erftürmung ber Stadt fi unter ber 
Anführung des Aeneas auf's tapferfte vertheidigte. 


Eberhard, Graf, der Greiner. (Bed. aud d. 3. 1781.) 
Eberhard IV. von Würtemberg, welcher von 1344—1392 zur 
Zeit Kaiſer Karl's IV. und feiner ohnmächtigen Nachfolger Wenzel 
und Ruprecht regierte, war einer der tapferjten Kriegeshelden 


Eberhard. 223 


jener Zeit. Aus gegenfeitiger Eiſerſucht der Fürſten, des Adels 


und der Städte waren allerlei Heibungen und Kämpfe hervor: 
gegangen. Auf der einen Seite hatten fidh die Ritter, auf der 
andern die Städte zu verfchiedenen Bündnifien vereinigt, die 
fi unterſtützten oder befehdeten, je nachdem e3 der Bortheil 
oder die eigene Sicherheit erheiſchten. So hatte fi auch der 
damalige Erzbiſchof von Salzburg (vergl. Becker's Weltgeich. 
Bd. 6) aus Furdt vor feinen Feinden in ben. Ichwäbiichen 
Städtebund begeben, wurde jedoch 1337 von dem Herzog Friedrich 
von Baiern verrätheriicher Weile gefangen genommen. Als fidh 
nun die Städte vereinigten, um ihn zu befreien, fchloß ſich der 
Kel an die Fürften an, mit deren Hülfe er den Stolz ber 
Bürger zu brechen gedachte. Auf diefe Weiſe entbrannte ein 
wilder Krieg, in welchem Graf Eberhard der Greiner (d. i. der 
Zankiſche) den Hauptſchlag ausführte. In der Schlacht bei 
Döffingen (23. Auguſt 1388) errangen die Fürften und der Adel 
einen glänzenden Sieg, welcher eine engere Verbindung der 
ſchwäbiſchen Städte, etwa nad Art der ſchweizeriſchen Eid⸗ 
genofienfchaft, verhinderte. Eine außerordentlich Flare und auß- 
führlihe Darftellung dieſer Vorgänge findet fih in Schloffer's 
Beltgejhichte, Bd. 8, S. 513 —536. — Das durchweg kernig 
gehaltene, lebhaft an Gleim erinnernde Kriegdlied bat Sch. den 
Mannen Eberhard’3 in den Mund gelegt. Str. 1, B.1: „Ihr 
dort außen in der Welt” ift die Ausdrucksweiſe des FTleinen 
ſchwaͤbiſchen, in ſich abgejchloffen Tebenden Volksſtammes. DB. 2: 
„Die Nafen eingejpannt“, d. h. tragt die Nafen nicht zu hoch. — 
Str.2: Wer mit den Namen Karl, Ludwig, Eduard gemeint 
fein mag, tft ſchwer zu fagen; Kaifer Karl war bereitö 1378 
geitorben; die Döffinger Schlacht fand unter Wenzel flatt; nur 
Friedrich ift mit Sicherheit als der bereit3 erwähnte Herzog von 
Baiern zu deuten; bie übrigen find vermuthlich willfärlich ge- 
wählte Namen für Helden aud anderen deutichen Volksſtaͤmmen. 
— Str. 3: Bub’ fteht fir Sohn, da Ulrich damals ſchon ein 
Mann in reifen Jahren war. — Str.4: Ulrich hatte jchon 1377 


224 Eboli — Edelknecht. 


Reutlingen belagert, während der alte Eberhard vor Ulm lag. — 
Str. 5: gepanſcht, ein ſüddeutſcher Provincialismus, ſ. v. w. 
geſchlagen. V. 3: ein falſch (d. h. ein zorniges Geſicht). V. 4: 
„Der junge Kriegsmann floh das Licht“, d. h. Ulrich ließ ſich 
vor ſeinem Vater nicht ſehen. — Str. 6: „Bei des Vaters Bart“ 
erinnert an Eberhard's Beinamen: der Rauſchebart. — Str. 7: 
„Und heller gingd dem Junker auf”, d.h. ihm (Ulrich) wurde 
wieder wohl zu Muth, die Nacht feined Kummer lichtete fich. 
Str. 10: „Der Helden Trieb”, eine elliptiiche Ausdruckſsweiſe 
für: Raſch trieb e3 die andern Helden zu feiner Hülfe herbei. — 
Graf Eberhard der Raufhebart und fein Sohn Ulrich find im 
Chor der Stiftskirche zu Stuttgart beigefett. Vergl. die vier 
trefflihen Gedichte Uhland’8, welche diefen Helden gewidmet 
find. 

Eboli, |. Ruy Gomez. 

Edinaden (Iph. I, Zw.:9.), eine Feine Snjelgruppe der 
griechiſchen Landſchaft Afarnanien. Sie lagen urjprünglic zit: 
ſchen den beiden Ausflüffen des ind ioniſche Meer mündenden 
Acheloud; jept find einige derjelben durch Anſchwemmung mit 
dem Feitlande verbunden. Die Bewohner derjelben waren roh 
und wurden von den übrigen Griechen ald Barbaren bezeichnet. 

Ede (Ged. Das verjchleierte Bild zu Said — Meb. V, 5), 
gr. der Wiederhall; bildl. (R. I, 3) übereinftimmendbes Wefen. 


Epelfräulein, ehemald die Bezeichnung für ein unver: 
heiratheted Yrauenzimmer von vornehmer Gebint, (M. St. II, 2) 
für Hofdamen. 


Edelhof, ſ. Attinghaufen. 


Edelknecht (Ged. Der Taucher), ſ. v. w. Knappe. Nach 
dem gewöhnlichen Gange der Ritterbildung waren die Söhne 
der Abdeligen zuerft Buben oder Pagen, die am Hofe eines 
anderen Witterd in den Anfängen ritterliher Tugenden fich 
übten. Im 14. Lebensjahre wurden fie Knappen, als welde 


Eden — Esoiſt. 225 


fie der Pferde und Waffen ihred Meifters zu warten, dieſen 
jelbft aber zu Pferde zu begleiten Hatten. 


Eden, das in ber Bibel (I. Mofe 2, 10) genamnte irdiſche 
Baradied; (Ged. E. Leichenphantajte) dad himmliſche oder der 
Aufenthalt der Seligen nad dem Tode. 


Edinburg (M. St. I, 4), Hauptitabt von Schottland, ehe: 
mals Refidenz der ſchottiſchen Könige. 


Eduard IV. (Wrb.), König von England (1461—1483), 
vergl. Warbed. 


Eduard v. Elarence (Wrb.), vergl. Warbed. 


Eger (Wſt. L. 11 — Wſt. T. 1,5), böhmiſche Stadt un: 
weit der baierſchen Grenze. 

Egeus, der franzöftfchen Schreibweife (Egde) nachgebilbet, 
wie öfter, wo Sch. franzöfifche Ueberſetzungen als Quellen be: 
nußt; |. Aegeus. 

Egmont (D.E. III, 5u.1V,3). Graf Lamoral v. Egmont, 
geb. 1522, aus einer vornehmen niederländiichen Familie, widmete 
fih dem Kriegödienft und erntete unter Karl V., dem er 1544 
nah Afrika folgte, wie unter Philipp II. wohlverdiente Lorbeern 
ein. Als Philipp fich jedoch bemühte, die Inquiſition in den 
Niederlanden einzuführen, nahm er an den gegen Died Verfahren 
gerichteten Bolföbewegungen Antheil und wurde hierdurch, be: 
fonderd aber durch jeine Verbindung mit dem Prinzen von 
Dranten, dem jpanifchen Hofe verdächtig. Herzog Alba ließ ihn 
daher gefangen nehmen und auf Befehl ded Königs Philipp im 
Sabre 1563 hinrichten. Vergl. „Prozeß und Hinrichtung der 
Grafen Egmont und Horn”, Bd. 8. 

Egotft (Geb. D. philoſophiſche E.), von dem lat. ego, id; 
ein Menſch, der nur für fich felbft lebt und auf feinen eigenen 
Augen fieht, alled Andere dagegen gering jchäpt. 

Egoiſt, Der philofophifhe (Ged.), ein Epigramm aus 
dem Jahre 1795. Sch. genoß damals feit zwei Jahren des 

I. 15 


226 Ehewirth — Eibenzweige. 


eriten Glückes der väterlichen Freuden, indem er feinen älteften 
Sohn Karl fih fröhlich entwideln fah. Daß er auch foldhen 
rein natürlihen Empfindungen eine höhere Richtung zu geben 
geneigt war, zeigt dies Epigramm. Es iſt nach Viehoff's tref: 
fender Bemerkung gegen eine Lehre der Kantiſchen Pbhilofophie 
gerichtet, welche den finnlichen Trieben, die fie als innere Yeinde 
der Moralität betrachtete, Feinen Einfluß auf den Willen gejtatten 
wollte, da derjelbe unter fittlichen Geſetzen ſtehe. In Folge 
diejer Lehre wurden ſelbſt unfchuldige natürliche Neigungen von 
Dielen als ſträflich betrachtet, fo daß fie durch Bekämpfung 
derjelben die innere Zufriedenheit zu erringen juchten, während 
doc Die Ausföhnung der fittlihen mit der finnlihen Natur das 
Ziel ihred Strebens hätte fein follen. Dieſen philoſophiſchen 
Egoiſten, welde die Forderungen der Natur mitteljt der For: 
derungen ihrer Prineipien zu unterdrüden fuchten, zeichnet er 
das Bild einer fich ſelbſt aufopfernden und in diejer Thätigfeit 
glüdlihen Mutter, damit ſie von demjelben lernen mögen. 


Ehewirth, ſ. Virthin. 


Ehni (W. T. III, 1), ſchweizeriſch von Ahn, |.v.w. Großvater. 
Es iſt Walter Fürſt, der Vater der Hedwig, damit gemeint; 
vergl. III, 3, ©. 100, wo er von Tell's Sohn Großvater genannt 
wird; deögl. IV, 2, ©. 122, wo Hedwig ihn Vater nennt, und 
©. 124, wo er Tell's Knaben ald feinen Entel bezeichnet. 


Ehrwürdige, Das (Ged.), ein Epigramm aus dem Sabre 
1796. In der Erziehung wie im Staatöleben kann es ſich allein 
darum handeln, dad Wohl ded Ganzen im Auge zu haben, da 
aud dad Individuum feine Rechte Hat; freilich nicht alle die- 
jenigen, die den großen Haufen bilden (vergl. Majeſtas populi), 
wohl aber die Einzelnen, die um ihres inneren Werthes willen 
ald Repräjentanten des Ganzen zu betrachten find, 


Eibenzweige (Mcb. IV, 3), die Zweige des zu den Nabel: 
bölgern gehörenden Eiben- oder Taxusbaums (Taxus baccata), 


OT Tr u —— —— — 


Eid — Eidgenofien. 227 


deiien Blätter und Früchte auf Menſchen und Bieh giftig 
wirken. 

Eid (W. T. II, 2), der Eid auf die Gefege und die Ber: 
faflung, welchen die jungen Bürger abzulegen hatten. Bergl. 
Erinnyen u. Styr. 


Eidam (Iph. II, 4 — Wit. T. U, 4 — Dem. ]), ſ. v.w. 
Eheſohn, Tochtermann, Schwiegerfohn. 


Eibeöhelfer (Dem. I), Iatein. juratores, d. i. Schwörer. 
Nah altem germantjchen Rechte konnte ein Angellagter feinen 
Eid durch Zeugen in der Weife unterftügen, daß biefelben feine 
Glaubwürdigkeit bejhworen. Solche Zeugen zu ftellen, wurde 
natürlich bejonderd Bornehmen leicht, doch war ed wohl fein 
Vorrecht derjelben. „Es gehörte zu den Rechten und den Pflichten 
ber Familie, durch den Eid ihrer Mitglieder für den Angehörigen, 
der angeflagt war, ſchützend aufzutreten. Aber ed wurde nur in 
bejonderen Fällen dein Einzelnen anheimgegeben, mit foldem 
Eide fein Recht oder feine Ausfage zu vertreten. Dann 3. B. 
wenn er darthun wollte, daß fein Vermögen nicht audreiche, um 
eine Schuld zu zahlen.” Wie leicht hiermit von Mächtigen 
Mißbrauch getrieben werden Fonnte, liegt auf der Hand. Alle 
ſolche altgermanifchen Rechtsgewohnheiten, bejonderd injoweit fie 
in der Sprache noch heut ihren Wiederhall finden (3.3. „den 
Stab über Jemand brechen“, hat Jakob Grimm in feinen 
„Deutihen Rechtsalterthümern“ zujammengeftellt. (©. 859.) 
Hier hat Sch. freilich dieſe altgermaniſche Einrichtung auf das 
jlavifche Polen übertragen. Grimm erwähnt fie nicht als bei 
den Slaven vorhanden. 


Eidgenofien (W. T. II, 2). Sch. läßt den Reding bier 
dad Wort Eidgenofien ausjprechen, woher der Ausdrud: Eid: 
genoſſenſchaft, mit welchem die Schweizer Cantone Schwyz, 
Urt und Untermwalden ihr auf dem Rütli geſchloſſenes Bündniß 


zu bezeichnen pflegten. Diejed Bündniß wurde bei verfchiedenen 
15 * 


228 Eigne Leute — Elegie. 


Gelegenheiten, 3.3. nad) Kaifer Rudolf Tode (1297) erneuert; 
daher (W. T. I, 4): 


„Der Schwyger wird die alten Bünde ehren.“ 
Eigne Leute, |. Leibeigene. 


Eingeweide, die Organe der inneren Empfindung; daher 
(WB. T. 1, 3): 
„Habt ihr denn gur fein Eingeweid.“ 
d. h. thut euch das Herz im Leibe nicht weh? 


Einheiten, die drei, des Ariftoteles (Gftf. 10, 187), 
ſ. Ariftoteles,. " 


Einfiedeln (W. T. II, 2), ein Bergfleden in dem anmuthigen 
Alpbachthale, 1570 Fuß über dem Vierwaldftätter See, mit einer 
weltberühmten Wallfahrtöfirche und einem wunderthätigen Ma— 
tienbilde (vergl. Meinrads Zell), das feit 1000 Sahren Pilger 
aus allen deutichen Ländern anlodt. Im Jahre 1274 erhob 
Rudolf v. Haböburg den Abt von infiedeln zum Reichs— 
fürften. Seit einem Jahrhundert ift die Wallfahrtöfirche mit 
einer prachtvoll gebauten Benedictinerabtei verbunden, die unter 
dem Namen des Klojterd Maria Einfiedeln einen wett verbret- 
teten Ruf bat. 


Eifenftufe (Ged. Der Gang nah dem Eijenhammer), 
Eifenerz, das in ganzen Stufen, ald fogenanntes Stuferz, vor- 
fommt. Die auögefucht beiten Stüde pflegt man auögeftuftes 
Erz zu nennen. 


Eiöpol (Dem. ID, der Nordpol, die nordiichen Gegenden; 
ferner (3. v. O. I, 3): „Die vom Außerften Weitfriedland, die 
nah dem Eispol ſchaun“, d.h. nad) Norden, weil das deutjche 
Ländergebiet dort zu Ende ift und an die Nordfee grenzt. 


@legie, gr. eig. ein Trauer: oder Klagegefang; im weiteren 
Sinne jedes Gedicht von befchaulichem Charakter, dad von einer 
wehmüthigen Stimmung burchwebt ift. 


Elegie auf den Tod eined Jünglings — Eleuſis. 229 


Elegie auf den Tod eines Jünglings (Ged.). Dies 
Gedicht ftammt aus dem Sahre 1781; Veranlaſſung zu dem: 
jelben war der Tod eined jungen Manned: Joh. Chriftiar 
Weckherlin, vermuthlih ein Nachkomme Rudolf Wedherlin’s, 
jened Dichterd, der (vor Opitz) den Alerandriner nach Deutſch— 
land verpflanzte. Str. 8, V. 5—8: Nebenfähe, zu denen eine 
Ergänzung hinzugedadht werden muß, etwa: Schauft du ſchon? 
Weißt du jebt? Oder man muß fie ald von „Räthfel” abhängig 
betrachten. B. 10: Gräber Treifen, d. h. gebären wollen. — 
In Beziehung auf die mancherlei Mängel dieſes jugendlichen 
Product? erſcheint des Dichterd Selbſtkritik intereffant. Er 
ichreibt an feinen Freund Hoven über dieſe Elegie: „Das Heine 
Ding hat mich in der Gegend herum berüchtigter gemacht, als 
zwanzig Sahre Prarid. Aber es ift ein Name wie bedjenigen, 
ter den Tempel zu Ephefus verbrannte. Gott ſei mir Sünder 
gnädig." Vergl. das Gedicht: Leichenphantafie. 


Elektriſirmaſchine (Gſtſ. 10, 151), ein bekanntes phyſikali⸗ 
ſches Inſtrument, an dem eine Glasjcheibe gerieben wird, um 
eleftriiche Wirkungen herworzurufen, die vorzugsweije in der 
Anziehung oder Abftogung leichter Körper beftehen. 


Element, von dem lat. elementum, der Urftoff, Grund: 
beftandtheil; daher 1) der Stoff od. dad Elementariſche (Br. v. 
M. Eint. 5, 380); 2) |. v. w. Natur, wie (Br.v.M. 5,440), wo 
es von ber allmächtigen Liebe heißt: 

„Sir untermirft fich jedes Element.” 
3) Lebenöftoff od. Lebensbedingung, wie (R. II, 3) „in feinem 
Elemente fein”; 4) ald Fluhwort, wie (R. II, 1) „Wetter 


“Element!” 


Elennshaut (Wit. L. 6), die Haut des Elennthiered, die ein 
jehr dauerhaftes Leder giebt. 


Eleufis, eine Stadt nordweftlich von Athen, war berühmt 
durch einen prächtigen Tempel der Gere und ber Proferpina. 


230 Eleuſiſche Feſt. 


Hier wurden jährlich neun Tage hintereinander die großen eleuſi— 
niſchen Myſterien gefeiert, neben welchen man auch die kleinen 
unterſchied, in denen gewiſſen auserwählten Perſonen die Bor: 
weihe ertheilt ward. Die höhere Weihe wurde bei den großen 
Myſterien vollzogen. Weber den Urſprung dieſer Feſte, jo wie 
über den Inhalt der geheimen Lehren, welche den Eingeweiheten 
bei diefen Feierlichfeiten mitgetheilt wurden, iſt nichts Sicheres 
befannt; indeflen vermuthet man, daß die Lehren fich befonders 
auf die Einheit des göttlichen Weſens und auf Die Unſterblichkeit 
der Geele bezogen, und daß fie nur darum geheim gehalten 
wurden, weil fie mit dem Bolldglauben im Widerfpruch ftanden. 

Eleufifhe Feſt, Das (Ged.), ein Lobgeſang zu Ehren der 
Göttin des Aderbaues, erfchten im Zahre 1799 unter dem Titel: 
Bürgerlied. Es ift allerdings ein religiöjer Preisgefang, als 
deflen Gegenftand die Entjtehung der bürgerlihen Gejellichaft 
anzuſehen ift; indefjen macht das fremde Koftüm, in welches der 
Inhalt eingekleidet ift, e8 nur demjenigen volljtändig genießbar, 
der mit der griechifchen Anſchauungsweiſe innig vertraut if. 
Das mag der Grund fein, warum Sc. den Titel: Bürgerlied 
\päter nicht angemeflen fand und ihn in den gegenwärtigen um- 
änderte. Das Eleuſiſche Feſt gehört, wie „die Götter Griechen: 
lands“ und „die Künftler“ zu den culturgefchichtlihen Gedichten. 
Es ſteht feit, daß Sch. ſich ſchon früher mit einer Lieblingsidee 
trug, nämlich mit der Bildung ded rohen Naturmenfchen durd) 
die Kunft, ein Gedanke, dem er in mehreren feiner Gedichte 
einen Ausdrud gegeben. ben fo war ihm der Uebergang des 
Menſchen von dem Zäger: und Nomadenleben zu dem Aderbau 
von Intereſſe, ein Vorgang, in dem ihm etwas göttlich Erheben— 
des Ian, deshalb tritt in dem Gedichte Ceres al3 die Hauptperfon - 
auf, in deren Bruft göttliche mit menfchlichen Gefühlen gepaart 
erſcheinen. 

Der Mythus, welcher dem Gedichte zu Grunde liegt, iſt 
folgender: Als Gered auf der Erbe umher trrte, um die Spur 
der geliebten Tochter Proferpina aufzufuchen, kam fie zu Keleus, 





Eleuſiſche Felt. 231 


dem Beherrfcher von Eleufis (f. d.), der fie gajtfrei aufnahm 
und ihr feinen Sohn Demophon zur Pflege übergab. Mit 
mütterlicher Sorgfalt behandelte fie den Knaben, gab ihm indeß 
feine irdiſche Speije, ſondern falbte ihn bei Tage mit Ambrojia 
und läuterte ihn des Nachts in der Ylamme, um ihm das 
Sterblihe zu nehmen. Als ded Knaben Mutter fie hierbei be: 
lauſchte, ſtieß Diejelbe einen Schrei ded Entſetzens aus. Da 
erihien ihr Ceres in göttlichem Glanze, ſchalt fie wegen ihres 
tbörihten Miftrauend und befahl, dag man ihr auf einem Berge 
bei der Stadt einen Tempel errichte, den fie fortan als Priefterin, 
wie ald Lehrerin des Aderbaued und anderer heiliger Gebräuche 
bewohnte. Diefer letzte Punkt bildet den Hauptinhalt des vor: 
liegenden Gebichtes; es ift jomit ald eine Feſthymne für die 
großen Eleufinien zu betrachten. Was die Äußere Eintheilung 
betrifft, fo beiteht e8 aus 27 Strophen, von denen die erfte, Die 
mitteljte (die vierzehnte) und die lepte, in daktyliſchem Versmaß 
einen lyriſchen, die übrigen 24 Strophen, in trochäiſchem Vers: 
maß, einen epifchen Charakter haben. Jene muß man fich Dem: 
nach von einem Chor, dieje von einer oder verfchiedenen einzel: 
nen Stimmen vorgetragen denfen. Die drei Iyriichen Strophen 
ihließen auf diefe Weife zwei Abtheilungen ein, deren jede aus 
12 Strophen beiteht. Die erſte Abtheilung jchiltert die Grün: 
Dung des Aderbaues und jomit den Webergang von dem Jagd— 
und Nomadenleben zu feiten Wohnfigen; In der zweiten Abthei- 
fung wird und die Entwidelung des &ewerbfleißes, fo wie. die 
Entftehung von Kunſt und Wiſſenſchaft ald Grundlage aller 
edleren Gejittung vorgeführt. 

Str.2, B.7u.8 erinnern an die Sage, daß die an Die 
tauriſche Küfte verfchlagenen Yremdlinge, der Artemis zum Opfer 
gebradht wurden. — Str. 7, B.5—8, f. Sphärenharmonie. — 
Str. 8: Die Götter pflegten ſich, wenn fie den Menjchen erjcheinen 
wollten, zunädhft in einen Nebel zu hüllen. — Str. 11: Das, 
was die Natur im Kreiölauf eines Sahres hervorbringt, wird 
bier von der Göttin in wenigen Augenbliden dur ein Wunder 


282 Eleufifhe Zeit. 


volführt. — Str. 12: Zeuß ift der Bruder der Ceres; bier 
aber redet fte ihn im Namen der Sterblihen als Bater an. — 
Str. 13: Ein Blitz aus heiterem Himmel, der fchon den Alten 
bedeutungsvoll war, ift auch und überrafchend und zum Sprüdh: 
wort geworden. Der gleich darauf erjcheinende Adler (ber Jupi⸗ 
tersvogel) joU die Aufmerffamkeit auf Zeus hinlenken. — Str. 15: 
Mit dem Auftreten des Aderbaued erfchien auch dad Recht bes 
Grundbeſitzes ald die erfte Grundlage der gejellfehaftlihen Orb: 
nung, daher dad Erjcheinen der Themis. — „Des Stur verbor: 
gene Mächte” find die Götter der Unterwelt. — Str. 16: „Der 
Sott der Eſſe“ ift Vulkan (f. Hephäftos). — Str. 18: „Der 
Grenzgott ift Terminus, ein altitalifcher Yeldgott, welcher 
nad Ovid den Völkern und Gtadtgebieten ihre Grenzen z0g, 
und ohne deſſen Mitwirkung jeder Ackerbezirk ftreitig war. — 
Str.20: „Der jchilfbefränzte Gott“ ift Nereus, eine alte 
Meergottheit, Er war mit Doris, einer Tochter des Oceanus 
vermählt und erzeugte mit ihr funfzig Töchter, die Nereiden. — - 
„Die leichtgeſchürzten Stunden” find die Horen (f. d.). — Str. 
21: Der Meergott ift Pofeidon (f.d.). Nicht nur einer alten 
Sage zufolge, fondern aud nach den Unterfuhungen unſerer 
Genlogen find die auf den Diluvialflächen zeritreuten Granit: 
maffen, die fogenannten erratiihen Blöde, als Bruchftüde ferner 
Gebirge anzufehen, die vom Meere Iosgerifien, auf großen Eis⸗ 
maflen fortgeſchwemmt und an anderen Küften abgelagert worden 
find. — Str. 22, B.7u.8 erinnern an den griedhifcdhen Sänger 
Amphion (f. d.). — Str. 23: Cybele (f. d.) trägt ald Attribut 
eine Mauerkrone, fo dab fie nicht nur ald Bild der Alles 
erhaltenden Natur, fondern auch ald Städteerbauerin gilt. — 
Str. 24: Die Götterföntgin tft Here (ſ. d.), die zugleich als 
Stifterin der Ehen verehrt wurde. — Str. 26: Die Freiheit 
bes Thiered der Wüſte ift nichts Anderes ald Zügelloſigkeit; Die 
Freiheit der Götter iſt darin zu fuchen, daß fie feinen Streit 
der Bernunft gegen die finnlichen Regungen fernen; der Menſch 


Eleufifhe Haus — Elifabeth. 233 


allein ift der fittlichen Freiheit fähig, Die indeß nur eine geiftige 
Errungenſchaft fein Tann. 

Eleuſiſche Haus, Das (Ged. Einem jungen Freunde), der 
Tempel der Ceres zu Eleuſis (f. d.). 


Elfen (Geb. Der Tanz) find in der nordifhen Mythologie 
gewiffe Naturgottheiten, die man ſich meift ald Berg-, Walb: 
und Seegöttinnen vorftelltee Sie find bald fihtbar, bald un: 
fihtbar und fchweifen befonderd Nacht? umher. Der Sage zu: 
folge find fie zu einem Staate vereinigt, deffen König in Nor: 
wegen rejidirt und in Island einen Statthalter hat. Gewöhnlich 
werden zwei Arten von Elfen unterjchieden: belle oder ſchöne 
Elfen, die dem Himmel entitammen, Nachts auf Wiefen tanzen 
und freundlich mit Menfchen verkehren; außerdem aber ſchwarze 
oder häßliche Elfen, die „falſchen Mächte, die unterm Tage 
Ihlimm geartet haufen“ (MWft. T. II, 2), die Hüter ber unter: 
irdiſchen Schäße, die ben Menſchen neden und zu denen auch 
der fogenannte Alp gehört. 

Eliefer (R. V, 1), Abrahams Ältefter Knecht, der wegen 
feiner Treue (vergl. I. Mofe, 24) ſprüchwörtlich geworden ift. 

Elis (Iph. 1, Zw.:9. — Ph. 1,1) oder Eleia, die weft: 
lichſte Küſtenlandſchaft des Peloponned, die fruchtbarfte und 
bevölfertfte von allen. 

Eliſa, |. Dido. 

Elifabeth, Königin von England (1558— 1603), die Tochter 
Heinrich’8 VII. und der Anna v. Boleyn (M. St. I, 6 u. III, 4), 
mit welcher der König zunächſt heimlich vermählt war, die er’ 
34 Monate vor Elifabeth3 Geburt öffentlih für feine Gemahlin 
erflärte, jpäter aber enthaupten Heß, um fich mit einer anderen 
zu vermählen. — Elifabeth war Proteftantin und nahm ſowohl 
Die Hugenotten aus Frankreich ald die vor der fpanijchen In: 
quifition Fliehenden (D. C. III, 10) mit größter Bereitwillig: 
feit auf. 


234 St. Elmo — Elyfium. 


St. Elmo (Mith.), eind der beiden Forts, welche den 
Kriegshafen von La Baletta, dem Hauptorte der Inſel Malta, 
vertheidigen. Es liegt an ber öftlichen Seite der Inſel, dem 
Fort La Bittoriofa gegenüber. Ein fchmaler Eingang zwilchen 
beiden führt zu dem Außerjt geräumigen und jomit vollftändig 
geſchützten Hafen. 

Elſaß (N. a. DO. I 3), eine Provinz im öftlichen Frank: 
reih, welche bi8 zum weftphäliichen Frieden zu Deutichland 
gehörte; der Rhein trennt fie von Baden. 


Elsbeth (W. T. V, 1) oder Elifabeth, die Wittwe bed 
ermordeten Könige Albrecht I., die ihn zwanzig Kinder geboren 
und ihm in zärtliher Gattenliebe eben jo wie in Beziehung auf 
feine Abjichten mit der Schweiz völlig ähnlich war; fie ftarb 
1313. 

Elyfium (ſ. Homer Od. 4, 563) war bei den Griechen und 
Römern ein mit ewigem Yrühling gefegnetes Gefilde an dem 
Weſtrande der damals bekannten Erde, nahe dem Oceanus, oder 
in dieſem leßteren eine Gruppe von Inſeln mit der Burg des 
Kronos. Hier wohnten die Lieblinge der Götter oder die Gell: 
gen, um mit ihrem Körper in ewigen Wohlbefinden fortzuleben. 
Daher fpriht Sch. (W. T. III,2) von der „jel'gen Inſel“, (Sp. 
u. d. L.) von der „glüdlichen Inſel“, (Picc. III, 4) von „einer 
Inſel in des Aether Höhen”; läßt Hektor (R. II, 2) zu ſeiner 
Gattin jagen: „Wir fehn und wieder in Elyſium“; nennt die 
Freude (Ged. An die Freude) eine „Tochter aus Elyſium“; 
fagt von ber Zeit, wo die Liebe noch nicht in die Welt gefom- 
men (Ged. Triumph der Liebe): „Traurig flüchteten die Lenze 
nad) Elyſium“ und ebendafelbft von der Liebe: fte „zeigte Dir 
Elyfium”. Bildlih wird (R.IV, 1) die Heimath und (%. IV, 14) 
ein Phantafiegebilde Elyfium genannt; ferner bezeichnet er (Geb. 
Leichenphantafie) das fanfte und zugleich muntere Wejen eined 
Sünglings ale „mild, wie umweht von Elyfiumslüften”; und Karl 
Moor (R. III, 2) bricht in der Erinnerung an die paradiejifche 


- 2 0 


Smaille — Cinma. 235 


Unſchuld jeiner Knabenjahre in die Worte aus: „DO all ihr 
Elyfiumsfcenen meiner Kindheit!” Der Ausdruck Elyfium findet 
jih mur in Sch.'s Qugendarbeiten, wie auch das fo betitelte 
Gedicht feiner erften Periode angehört. Erſt jpäter hat er daſſelbe 
mit der Gruppe aus dem Tartarıd zujammengeftellt, wobei ihm 
jedenfall3 eine Grinnerung an dad jechite Buch der Neneibe 
Virgil's vorgefchwebt bat, welches die Wanderung des Aeneas 
dur den Tartarud und das Elyſium darftellt. Ihrer Anlage 
und Form nach waren die beiden Gedichte urſprünglich wohl 
nicht zu Gegenbildern beftimmt. Der Geſammtinhalt des Ge— 
dichtes ift eine poetische Schilderung der oben bezeichneten antiken 
Anſchauungsweiſe. — Str.5, B.3: „Berge bebten unter deffen 
Donnergang” ift eine kühne Inverſion für: unter deffen Donner: 
gang Berge bebten. V. 4 u. 5 zeichnen fih durch anmuthige 
Aflonanz aus. 


Emaille (Gſtſ. 10, 144), oder Email, von dem deutſchen 
Schmelzen jtammend, ein Kunftproduct, deſſen Grundlage 
unjer gewöhnfiches aus Kiejelerde, kohlenſaurem Kali und Blei— 
oryd beftehendes Glas iſt. Dur Zuſatz von Zinnoryd wird 
die durchſichtige, leichtflüſſige Glasmaſſe weit und undurchſichtig 
und heißt nun Email. Andere Metalloxyde geben andere Far: 
ben. Bei der Emailmalerei werden Mineralfarben mit glafigen 
Zufammenjegungen gemengt, dies Gemenge mit Del eingerieben, 
Dann mit dem pinſel aufgetragen und hierauf eingebrunnt. 


Emma, An (Ged.). Died Gedicht aus den Jahre 1798 
führte früher den Titel: Elegie an Emma. Bermuthlich handelt 
es fih bier, wie bei dem Gedichte „An Minna” (f. d.) nicht 
um eine wirkliche Perjönfichfeit. Ein Vergleich beiter Gedichte 
iſt nicht ohne Intereſſe. In dem letzteren ift der Verlujt eine 
Folge von Treuloſigkeit, in dem vorliegenden hat der Tod das 
Verhältniß gelöſt; dort bricht ein herber Schmerz in Worte 
imerer Entrüſtung aus, hier ergießt er ſich in ſanfte Klagen, 
deren milde Klänge einer verſöhnenden Erinnerung geweiht ſind. 


236 Empfindniß — Eos. 


Empfindniß (R. II, 1), S. v. w. empfindliche Gefühle- 
erregung. 


Endymion, ſ. Selene. 


Engelberg (W. T. II, 2), ein Dorf im Engelberger Thal 
zwiſchen Stanz und Altorf, 3200 Fuß über der Meeresfläche, 
mit einem berühmten, im Sahre 1121 gegründeten Benedictiner: 
kloſter. 


Engelspforte (Ged. An die Freunde), der Eingang zur 
Engelsburg, einer kleinen Feſtung am rechten Tiberufer in Rom. 
Die Engelöburg war urſprünglich das Grabmal, welches Kaifer 
Hadrian fi) erbauen ließ; im Mittelalter hat e8 oft ald Feſtung 
gedient; jeßt tft ed durch einen bedeckten Gang mit dem Batican 
verbunden. Auf der Spige des Thurms fteht ein eherner Engel. 
Hier wird jährlich zwei Mal, am Krönungdtage des Papftes und 
am erften Dftertage ein prächtiged Feuerwerk abgebrannt, deſſen 
Schluß, die aus mehr ald 4000 Raketen beftehende Girändola, 
weltberühmt iſt. 

Enter (Iph. I, Zw.-H.), richtiger Aenianen, eine thefja- 
liche Völkerſchaft. 

entlarven, |. Larve. 

entftehen (W. 7.1,4 — Dem.T), ald Gegenſatz von: zur 
Seite fteben; alfo |. v. w. fehlen, außbleiben. 


Eos, bei den Römern Aurora, bie Tochter ded Titanen 
Hyperion und der Thia, die Schweiter ded Heliod und der Se: 
lene, war mit Ajträus vermählt, welhem fie die Winde Zephy— 
rus, Boread und Notud, jowie den Hesperus (f. d.) und Die 
GSeftirne gebar. Nach Homer, der eine Reihe der ſchönſten Bei— 
wörter für fie hat — Eos auf goldenem Thron, im Safran: 
gewande, die rojenfingrige SI. 11, 1. 19, 1. 23, 226. Od. 4, 188. 
5, 121. 12, 3. 22, 197. 23, 246 — führt fie einen Wagen, be: 
ſpannt mit zwei göttlichen Roffen, aus des Dceand Tiefen ber: 
auf; daher heißt e8 (Ged. 4.3. d. Xen. 24): 


Eos. 237 


„Indeß war Eos leuchtendes Geſpann 
Aus blauer Wogen Schooß geſtiegen“. 
ferner (Ged. Hero und Leander): 
„Sell an Himmels Rande ſteigen 
Eos Pferde in bie Höh'.“ 
und (Ged. Triumph der Kiebe) von jener Zeit, wo die göttliche 
Liebe noch nicht in des Menſchen Bruſt eingezogen war: 
„Ungegrüßet jtieg Aurora 
Aus dem Schooß bed Meeres.” 
Ihr ſchönes Amt war, dem Heliod voranzueilen und den Sterb: 
lihen den fommenden Tag zu verkünden. Umflofjen von einem 
gelben Schleier, öffnete fie mit ihren Rofenfingern die Pforten 
bes Himmeld. Da fie, ald Morgenrötbe gedacht, befannten Er: 
fahrungen zufolge, Regen verkündet, fo wurde fle auch ald Mutter 
des Regen? angejehen; daher (Ged. 4.B. d. Xen. 2): 


„Kaum 305 Aurorend Hand bie feuchte Schattenhülle 
Bom Horizont Hinweg” — — — 


Oft erfcheint fie als Perfonification der Morgenröthe; jo (Geb. 
Der Flüchtling): 
&8 „begrüßen ermachende Lerchen die Sonne, 
Die fhon in lachender Wonne 
Sugenblich jhön in Aurora's Umarmungen glüht". 
oder auch ald Morgenröthe jelbft, wie (Geb. Klage der Cereß), 
wo Gered auf ihre Tochter warten muß, 
„Bis des dunflen Stromes Welle 
"Bon Aurorend Farben glüht.“ 
ir 03 als Göttin den von ihr bevorzugten Zünglingen Sugend 
und Schönheit verleiht, fo heißt es (Ged. Semele 1) von Zeus: 
„Er kam, ein jchöner Süngling, reizenber, 
als feiner Aurora's Schooß entflofien.” 


ımd (Geb. Eine Leichenphantafie) erfheint der blühende Füngling 
„Wie aus Aurora's Umarmung gefchlüpft.“ 


Endlich ‚führt fie der Dichter biäweilen bildlich ein, wie (Bed. 
Phantafle an Laura): 


238 | Speer — Epikür. 


„Eine fhönere Aurora rötbet, 
Laura, dann aud unſrer Liebe ſich.“ 
und (Br. v. M. 5, 396): 
„Aber der Füriten 
Einſame Hiupter 
Glänzen erhellt, 
Und Aurora berührt ſie 
Mit den ewigen Strahlen, 
Als die ragenden Gipfel ber Welt.” 

Epeer (Iph. I. Zwifchenhandlung), die älteften Bewohner 
von Elis im Peloponnes, einer der zum Zuge gegen Troja ver: 
bündeten griechiſchen Stämme. 

Epeus (Ged. 2. Bd. d. Aen. 45) unter den Griechen vor 
Zroja derjenige, welchen Minerva lehrte, das hölzerne Roß zu 
zimmern, vermitteljt deſſen die Stadt erobert ward; f. Od. 8, 493. 


Epidaurus (Ged. Semele 1 u. 2), eine der angejehenften 
Städte des alten Griechenlande. Es war ein bedeutender, Han- 
delsplatz an der Oſtküſte des Peloponnes, und beſonders berühmt 
durch dein prachtvollen Tempel des Ajflepios (Aeskulap) mit der 
Inſchrift: „Nur reinen Seelen fteht der Zutritt offen“. 

Epidemie (N. a. D. II, 4), von dem gr. epidemios, ein- 
heimifch; eine tn einer Gegend herrichende Krankheit. 

Epigramın (Ged. Wefer), wörtl. (von dem gr. epigräphein, 
darauf fchreiben) eine Auf- oder Inſchrift; ferner ein Sinn: 
gedicht, d. 5. ein in ſinnvoller Kürze und poetifcher Form dar: 
gejtellter werthuoller Gedanke; auch ein Tleined, witziges oder 
Spottgedicht, Daher: epigrammatifch (Ged. Seremiade), |. v. w. 
ftechend, witzig. Vergl. Botivtafeln und Xenten. 

Epikür, ein berühmter Philojoph zu Athen im 4. Jahrh. 
v. Chr. Er betradhtete ald höchſtes Gut das geijtige Wohljein 
des Menichen, infofern es in dem Freifein der Seele von Un- 
ruhe und Schmerz beiteht. Schon im Alterthbume aber wurden 
feine Grundjäge gemißbraucht und feine angeblichen Schüler 
(Epikure [%. III, 2] oder Epikuräer [%. I, 6]) jtellten als Ziel 





Epirus — Epode. 239 


des menjchlichen Lebens umd ald höchſtes Glück den finnlichen 
Genuß bin; Epifuräer daher f. v. w. Lüſtling, Schwelger. 


Epirus (Ph. II, 6), die weitliche Kandichaft des nördlichen 
Griechenlands, welche durch die zum ionifchen Meere abfallenden 
Terrafien des Pindusgebirges gebildet wird. 


epifch (Ged. D. epilche Herameter), heldengedichtlich, das 
Heldengedicht betreffend. 

Epiftel (Ged. D. berühmte Frau). Das Wort ift urſprüng⸗ 
ih griechiſch, die Sache, d. h. die mit diefem Worte bezeichnete 
Dihtungsgattung knüpft wohl an die uns überlieferten „Briefe 
in poetifcher Yorm oder Epifteln“ des römifchen Dichterd Horaz 
zur Zeit des Auguftus an. Der Dichter behandelt in einem Ge: 
dichte, welches er gewifjermaßen brieflich an eine fingirte oder 
wirkliche Perjon richtet, in leichter, geiftreich feiner Yyorm und 
im Ausdrud der höheren Geſellſchaft Gegenftände der Literatur 
oder des Lebens. Beſonders die Yranzojen liebten und pflegten 
dieſe und alle anderen leichteren Tichtungsgattungen, welche man 
„Geſellſchaftspoeſie“ nennen Tönnte, und die mehr Geift (esprit) 
ald Gemüth verlangen. So haben wir von Boileau (+ 1711) 
zwölf Epitres. Aehnliche Spiele des Wiged waren auch Die be: 
fonderd von Ovid fein behandelten „Heroiden“, d. h. fingirte . 
Briefe zwifchen Lebenden und Todten oder lange ©etrennten, 
wie 3. B. zwifchen Ulyſſes und Penelope, die ebenfalld in der 
deutſchen Literatur Nachahmung gefunden haben. 

Epoche (V. a. v. E. — Bitj. 10, 129 u. 207), eig. Anhalt, 
Haltpuntt, bejonderd ein wichtiger Zeitpunft, von welchem an 
man eine Reihe Jahre zu zählen pflegt, dann auch wohl ein 
Zeitabichnitt jelbft, wie (Ged. D. Zeitpunkt): 

„Eine große Epoche hat das Sahrhundert geboren.” 

Epöde (Iph. I, Zw.:9.), der Nachgeſang, der in ben alt: 
griechiſchen Chorgejängen auf Strophe und Antiftrophe (f. d.) 
folgende Schlußgejang. 


240 Epyt — Erechtheus. 


Epyt (Ged. 2. Bd. d. Aen. 60), ein Trojaner aus dem 
Gefolge des Aeneas. 


Erbprinzen, Dem, von Weimar (Ged.), ein Abſchiedslied, 
welched für den Abend des 22. Februar 1802 beftimmt war, 
wo der Erbprinz Karl Friedrich zum legten Male in dem Kränz- 
hen von Freunden erſchien, das er beſonders gern beſuchte. Es 
ift der Melodie des Lieded von Claudius: „Bekränzt mit Laub 
den lieben vollen Becher” untergelegt. Goethe hatte für den: 
ſelben Abend fein: „Mich ergreift ich weiß nicht wie” ac. mit: 
gebracht. Eine Bergleihung beider Gedichte dürfte für eine 
Beurtheilung des Charakterd beider Dichter von befonderem In: 
tereffe fein. — Str. 3 bezieht fi) auf den am 9. Yebruar 1801 
mit Frankreich geichloffenen Yrieden zu Lüneville. — Str. 6 be: 
zieht fich auf den Herzog Bernhard von Weimar (}. d.), deſſen 
im dreißigjäßrigen Kriege mehrfach erwähnt wird, beſonders als 
Eroberer der Feſtung Breiſach. 

Erdenkugel (3. v. O. I, 10). Die Jungfrau Marta wird 
oft mit dem Jeſusknaben über einer „Erdenkugel” ſchwebend 
dargestellt, zum Zeichen, daß das Chriftenthbum Die Aufgabe habe, 
fich die ganze Welt untertbänig zu machen. 

Erdenmale (Ged. Das Ideal und da8 Leben), Unvoll- 
fommenbeiten, welde von unferm leiblichen Dafein unzertrenn- 


ich find. 


Erderſchütterer Roms (Sp. u. d. L.). Es find wohl Octa⸗ 
vianus, Antonius und Lepidus, möglicherweiſe auch ihre Vor—⸗ 
gänger Julius Cäſar, Pompejus und Craſſus gemeint, welche 
den römiſchen Erdkreis unter ſich theilten. 

Erebus, ſ. Tärtarus. 

Erechtheus (Ph. II, 2) oder Erichthonius, ein atheniſcher 
Heros und mythiſcher König von Athen. Er war ein Sohn der 
Erde und als folder war er halb Schlange, ein Symbol, Durch 
welched von den Alten ächt einheimifcher Urfprung erwiejen, 
fremder, 3. B. durch Einwanderung, abgewiejen wurde (31.2, 547). 








Erich — Erinnyen. 241 
Erich (Wrb.), |. Barbed. 


Erinnyen (Myth.) oder Eumeniden, bei den Römern 
Furien, waren urjprünglich die als Perjonen gedachten Flüche 
und Berwünjchungen, wie fte ald Begleiter des Zorns erfcheinen, 
der fih über einen Verbrecher in Worten Luft macht, ſ. SI. 9 
454, 571. 15, 204. 19, 87, 260, 418. Od. 2, 135. 11, 280, 
15, 204. 20, 75. Ste wurden ald Töchter der Nacht angefehen 
und bewohnten einen eifernen Palaft in dem Tartarus, wo man 
fie fi$ ald ruhend dachte, bis fie, Durch irgend eine Berwün- 
ſchung aufgerufen, emporfttegen, um den begangenen Yrevel, be- 
jonderd Mord, Meineid u. dgl. zu beftrafen. Euripides nennt 
ihrer drei: Tiſiphone (die Rächerin des Mordes), Alekto (die nie 
Raftende) und Megära (die Feindliche) |. d. Zunächſt ericheinen 
fie ald Rachegöttinnen, die den Reinen verichonen; baber 
(Ged. Die Kraniche ded Ibykus) ihr Gejang: 

„Wohl dem, der frei von Schuld und Fehle 
" Bemwahrt bie findlich reine Seele! 


Ihm dürfen wir nicht rächend nahn, 
Er wandelt frei des Lebend Bahn.” 


Dagegen verfolgen fie den Verbrecher während jeined Lebens 
und Strafen ihn nach dem Tode. Ihr Anblid ift entfeglich (vergl. 
Die Kraniche ded Ibykus, Str. 13—15), ihr Gelang ein grau: 
fenerregended Klagelied (ebenda. Str. 16 u. 17). Bei den Athe- 
nern war die Scheu vor ihnen fo groß, dag man fie nur „bie 
Ehrwürdigen” nannte und ihren Namen nicht audzufprechen wagte. 
Man bezeichnet fie daher lieber mit dem milderen Ausdrud „Eu: 
meniden”, db. h. „die Wohlgefinnten“, die durch die Stimme 
des Gewiſſens vor Yrevelthaten warnen. Der Berbrecher ver: 
mochte ihnen nicht zu entfliehen, daher (Geb. D. Kraniche ded 
Ibykus): 

— — — — — — — Gebet Acht, 

Das ift der Cumeniden Madıt”. 
Diefe Macht übten fie befonderd durch ihren ſchaurigen Geſang; 
deshalb heißt ed (Ged. D. Künftler): 

J. 16 


242 Erinnyen. 


„Vom Eumenidencdor gefchredet, 
Zieht fi) ber Mord, auch nie entbedet, 
Das 8008 des Zoded aud dem Lieb.” 


Wie fie aber den Frevler verfolgen, fo beichirmen fie zugleich 
bie fürftlichen Hallen, denen da8 Verbrechen nicht zu nahen wagt; 
daher (Br. v. M. 5, 390): 

„Denn des gaftlichen Haufes 

Unverleglihe Schwelle 


Hütet der Eid, der Erinnyen Sohn (vergl Styp), 
Der furdtbarfte unter den Göttern der Hölle!“ 


und ebendaf.: 
„Aber mich fchredt die Cumenide, 


Die Beihirmerin dieſes Orts." 
Da Berwünfchungen fie heraufbeſchwören können, ſo ſagt Max 
(Wft. T. III, 23) zu den Küraſſieren: 
„Der Rachegöttin meih’ ich eure Seelen.“ 


Schon dem Alterthbum lag der Gedanke nahe, daß fie nicht 
immer perfönlich zu erſcheinen brauchten, fondern daß ihre ge: 
heimnißvolle Macht ſich auch irdiiher Werkzeuge zur Ausübung 
ihres firafenden Amtes bedienen könnte; umjomehr erfcheint dieſe 
Auffaflung in neueren Darftellungen gerechtfertigt. Daher (Wft. 
T. III, 21): 

„Denn wenn die Kugel los iſt aus dem Lauf, 

Zft fie fein todtes Werkzeug mehr, fie lebt, 

Ein Geiſt fährt in fie, die Grinnyen 

Grgreifen fie, des Frevels Rächerinnen, 

Und führen tückiſch fie den ärgſten Weg.“ 
Wo Frevelthaten geübt werden, da eilen ſie natürlich herbei 
und erſcheinen ſomit ſymboliſch als die perſonificirten Folgen 
der begangenen Verbrechen. So ſagt König Karl (J. v. O. 1, 5) 
von der Königin Sfabeau: 


— — — — „ber Rutter 2afterthaten führten 
Die Furien berein in dieſes Haus.” 


und Marla (M. St. IU, 4) zu Elifabeth: 





Erinnyen. 243 


„Das tft das Sluchgefchid der Könige, 

Das fie, entzweit, die Welt in Haß zerreißen 

Und jeder Zwietraht Surten entfefjeln.“ 
In demjelben Sinne ift (Wft. &. 8) von der „Kriegsfurie“ 
die Rede und (Wft. T. III, 20% heißt ed von den Krieger- 


ſchaaren: 
„Die losgebundenen Furien ber Wuth 


Ruft keines Herrſchers Stinme mehr zurüd.” 
Eben jo (F. J, 12): „Das erſte Paar, das die Furien einſegnen“ 
und (K. u. L. —, 4): „Du weißt nicht, daß deine Hoffnungen mein 
Herz wie Furien anfallen.” Neben ihrem Amte als Rache: 
göttinnen erfcheinen fie auh als Schickſalsgöttinnen, welche 
die Sterblichen zu unglüdjeligen Thaten verleiten; daher fagt 
Aenead (Ged. 2.32. d. Yen. 60): 
„Bon dieſen Reden feurig aufgefordert, ꝛc. 
Slieg’ ich dahin, ..., wohin die Gurten mich reißen.“ 
und Marquis Pofa (O. C. V, 3) in Beziehung auf die Prin- 
zejftn Ebolt: 
——— — „Verzweiflung 
Macht mich zur Zurte, zum Thier — ich fege 
Den Dolch auf eined Weibes Bruſt.“ 
Da das Schidjal aber ald neidiſch betrachtet wird, fo legt Sch. 
Diefe Eigenſchaft aud den Erinnyen bei, welchen Polyfrates 
bereit ift, ein Opfer darzubringen, um fie zu verjöhnen; baber 
(Ged. D. Ring d. Polykrates): 
„Bon Allem, was die JInſel beget, 
Sft die,er Ring mein höchftes Gut, 
Shn will ih den Erinnen weiben, 
Ob fie mein Süd mir dann verzeihen.“ 
Daß fie ſich auch zur Milde ftimmen ließen, beweift Orpheus, 
von dem ed (Ged. D. Götter Griechenlands Str. 9) heißt: 
— ‚Dei Thrakers jeelenvolle Klage 
Rührte Sie Erinnyen® 
Da natürlich auch menſchliche Weſen das Schidfal Anderer in 
ihrer Hand halten, fo wird der Name diefer Göttinnen nicht 
16 * 


244 Erinnyen. 


felten auf jene übertragen. So wird (Geb. 2.3. d. Xen. 99) 
Helena, die Tochter Tyndar's, „der Griechen Furie“ genannt; 
von der Iſabeau (J. v. O. II, 2) beißt es: 
„Blu zu dem Frieden, den die Furie ftiftet! “ 

von Turandot (Zur. I, 1): 

„Hört, was die Gurte verlangte.” 
und (M. St. IV, 10) jagt Elifabeth von Marla Stuart: 

„Sie tft die Furie meines Lebens.“ 
Auch die Häplichkeit ihrer äußeren Erfcheinung wird dem Dichter 
Veranlaſſung, menſchliche Wefen mit ihrem Namen zu belegen. 
So heißt ed (Ged. 4.3. d. Xen. 116) von der Dido: 

„Sie felbit, zur Furie entitellt.“ 
und von den Dienerinnen (Ged. D. berühmte Frau): 


„Und an ber Stelle holder Amorinen 
Sieht man Erinnyen den Lockenbau bedienen.” 


Bildlih gebraucht, bedeuten fie zunächſt Schredgeftalten, bie 
den Menjhen verfolgen. So fagt Franz Moor (R.II, 1) in. 
Beziehung auf feinen Vater: „Sp fall’ ih Streich auf Streich, 
Sturm auf Sturm, dieſes zerbrechlihe Leben an, bi8 den 
Zurientrupp zuletzt fchließt — die Verzweiflung!“ — ferner 
zu Amalia: „Dieſe ewige Grille von Karl fol dir mein Anblid 
gleich einer feuerhaarigen Yurie aus dem Kopfe geißeln”; — 
und endlich Carlos (D. @. 1, 2): 
R „Die die Fur ien bed Abgrunds folgen mir 

Die Shauerliäften Träume.“ 
Außerdem aber bedeuten die Erinnyen f. v. w. Reue ober quä- 
Iender Borwurf; daher (R. II, 1): „Du Reue, hoͤlliſche Eume: 
nide, grabende Schlange, die ihren Fraß wiederfäut”; ferner 
(Ged. Phantaſie an Laura): 

„um die Sünde flechten Schlangenmwirbel 

Scham und Reu', dad Cumenidenpaar.“ 
Eben fo bezeichnet Louiſe (Geb. D. Kindesmörderin) die Küffe 
ihres Kinded als „Eumenidenruthen”; unb von benen, bie 





Eris. 245 


ſich in des Ideales Reich geflüchtet (Ged. D. Ideal u. d. Leben) 
ſpricht der Dichter den Wunſch aus: 


„Selbft bie rächende Erinne ſchlafe 
Friedlich in des Sünders Bruft.” 


Eris (Myth.), eine Tochter der Nacht, war die Göttin der 
Zwietracht, welche bei der Hochzeit des Peleus (ſ. d.) mit der 
Thetis einen goldenen Apfel mit der Aufſchrift: „der Schön— 
ſten“ unter die Gäſte warf. Juno, Minerva und Venus 
machten Anſprüche darauf. Dem Paris, welchen Zeus mit der 
Entſcheidung beauftragte, oder durch Hermes (Iph. V, 4) beauf⸗ 
tragen ließ, verſprach Venus das ſchönſte Weib Griechenlands 
(Iph. 1, 1); ihr ward daher der Apfel zu Theil. Hierauf an- 
jpielend, jagt Leonore (F. I, 1) vom Fiedco, der den luftwan: 
delnden Mädchen begegnet: „Seine Blide fielen unter und wie 
ber Soldapfel ded Zanks.“ Als Urheberin des Streites und 
des Kampfes fchleicht die Erid erſt Fein won Geftalt einher, 
bald aber erhebt fie ihr Haupt hoch bis zum Himmel empor; 
daher fagt Zuno (Geb. Semele 1) von der Semele: 

„Soll fie mich ungeftraft ſchmähen? 
Ungeitraft unter die ewigen Wötter 
Werfen den Etreit, und bie Erid rufen 
Sn ben fröhlichen Himmlifchen Saal?" 


Natürlich ift Eris nun auch die Mutter der Schlachten. Als 
Schwefter und Freundin ded Ared ftürzt fie mit ihm in das 
Setümmel des Kampfes, freut fi) des Krieged und weilt blut: 
gierig bei dem Gefecht, ſelbſt wenn alle anderen Götter fich ent: 
fernen. Sie wurde dargeſtellt als ein häßliches Weib, nicht 
jelten mit Schlangen ftatt der Haare, den Zankapfel in der 
Hand; daher heißt ed (Bed. Kaflandra) bei Troja's Unter: 
gang: 

„Eris ſchüttelt ihre Schlangen, 

Alle Götter fliehn davon, 

Und des Donners Wolken bangen 

Schwer herab auf Ilion.“ 


246 Erler — Eros. 


ferner bildl. (Br. v. M. 5, 390): 
„Dor den Thoren gefeffelt 
Liege bed Streit ſchlangenhaariges Scheufal” 
und (Wft. T. III, 20): 
„Soll diefe Stadt zum Sclachtgefilde werden, 
Und brüderlide Zwietracht, feueraugig, 
Durch ihre Straßen Iodgelaffen toben?" 
Sn weiterer Bedeutung wurde Erid überhaupt ald die Mutter 
‚de Widerſpruchs angeſehen; daher jagt der Dichter (Ged. Würde 
der Frauen) in Beziehung auf die Streitiuft der Männer: 
„83 befehben fih im Grimme 
Die Begierben wild und roh, 
Und der Ertd raude Stimme 
Waltet, wo die Charis floh.“ 
deögl. Maria Stuart (M. St. III, 3), um die Stärke ihres Haffes 
zu bezeichnen: 
‚Die Schlangenbaare fhüttelnd 
Umftehen mich die finftern Höllengeiſter.“ 

Erker (W. T. II, 2), von dem lat. arca, der Kaften, ein 
Borfprung an einem Haufe, der von dem Zimmer aus als ein 
kleines Gemach erj&heint; da8 Zimmer jelbft heißt Erferftube 
(Picc. II, 1). 


Eros (Myth.), bei den Römern Amor, war urjprünglich 
nichts andered ald die in Liebe vereinigende Kraft der Natur. 
Homer fennt ihn noch nit; Heflod dagegen nennt ihn den 
älteften der Götter. Er jagt: „Zuerft war dad Chaos, dann 
bie Erde, der Tartarıd und Eros, der ſchönſte der Götter, der 
Sliederlöfende, der bei Göttern und Menſchen den Stun und 
den Fugen Rath bewältigte.” So tft Eros nad Hefiod alfe 
ein Sohn des Chaos, anderen Dichtern zufolge ein Sohn des 
Uranus und der GAa (ded Himmeld und der Erde), oder des 
Zeuß, ober des Mard und der Venus. Als ſolchen (Ged. Poefie 
des Lebens) betrachten ihn bejonderd die Iyrijchen Dichter, denen 
er Stoff zu mannigfaltigem Wie und zu allerlei poetifchen 


; Eros. 247 


Spielereien wird. Sie ſchildern ihn als einen anmuthig geftal- 
teten, ſchalkhaften Knaben (vergl. K. u. L. V, 1) voller Lift und 
Laune, mit einer Yadel in der Hand und zugleich mit Bogen 
und Pfeilen (Iph. II, Zw.:9.) bewaffnet, mit denen er die Herzen 
der Götter und der Menſchen verwundet, um fie zur Liebe zu 
entflnnmen. Daher beißt e8 (Geb. Hero u. Leander) von 
Neptun: 

„Denn auch dich, den Bott der Wogen 

Rührte Eros mächt'ger Yogen.” 
und (ebendaf.): 


„Hero's und Leander's Herzen 
Rührte mit dem Pfeil der Schmerzen 
Amor’8 heil'ge Böttermadt.” 


deögl. jagt Hippolyt (PH. II, 2): 
„Sechs Monde trag’ ich ſchon, gequäft, zerriffen 
Von Scham und Schmerz, den Pfeil in meinen Herzen.“ 
und (Pb. II, 2) fagt Phäpdre: 
„Betroffen Haben alle deine Pfeile.” 


Seine Macht erftredte fich fogar auf Die Unterwelt, denn (Geb. 
Triumph ber Liebe): 

„Amor's füßer Zaubermacht 

SR (auch) der Orkus unterthänig." 


Er war e8 auch, ber die Götter mit Liebe zu den Sterblichen 
entflammte; daher (Ged. Die Götter Griechenlands): 


Zwiſchen Menden, Göttern und Heroen 
Knüpfte Amor einen ſchönen Bund.” 


Sndeffen gab es auch manche, bie fich feiner Macht zu entziehen 
verftanden, wie Artemis, Pallas und Themid; beögleichen auch 
Einzelne unter den Sterölicen, wie Htppolyt, von dem Aricia 
{Ph. IL, 1) ſagt: 

„Den edlen Stolz ber großen Seele lieb‘ id), 

Der miter Amor's Macht fidh nie yebeugt." 


248 Eros. 


Zu Begleitern des Eros gehören die Chäritinnen (Grazien), Hymen 
(der Eheſtiftende) und Dionyſus oder Bacchus (der Freuden⸗ 
bringer); daher (Ged. Dithyrambe): 


„Kaum daß ich Bacchus, den Luſtigen, habe, 
Kommt auch ſchon Amor, der lächelnde Knabe.“ 


Bor Allem aber erſcheinen in feiner Geſellſchaft als eine Er— 
findung ſpäterer Dichter die Amoretten, eine Schaar munterer 
Brüder, die als Söhne und Begleiter der Aphrodite oder der 
Nymphen angeſehen werden; daher heißt es (Ged. Triumph der 
Liebe) von jener Zeit, wo die Liebe noch nicht in die Welt ge: 
fommen war: 

„No mit fanften Rofenketten 

Banden junge Amoretten 

Shre Seelen nie.” 


Bisweilen führt Eros aud) den Namen Eupido, d. h. der Gott 
des liebenden Verlangens, der mehr als eine poetiſche Vorftellung, 
denn ald eine mythologiiche Perfon zu betrachten ift, dennoch 
aber von den Dichtern oft für Amor geſetzt wird; fo (Geb. Der 
Abend), wo Phöbus zur Thetis herabiteigt: 

„Schnell vom Wagen berab in ihre Arme 

Springt der Führer, den Zaum ergreift Cupido.“ 


Das eine folhe Perfönlichkeit oft ſymboliſch für „Liebe“ ge: 
braucht wird, Tiegt nahe. So fagt Sch. (Geb. Der Triumph 
ber Liebe), wo er dad ganze Menfchengeichlecht als eine Frucht 
der Liebe darftellt: 

„Slüdjeliger Pygmalion! 

Es ſchmilzt, ed glüht dein Marmor fon! 


Gott Amor, Ueberwinder, 
Umarme beine Rinder!" 


und (Br. v. M. 5, 420), wo ed von der Liebe heißt, daß fie daB 
Leben bewegt: 


„Stehen niht Amor's Tempel offen? 
Mallet nicht zu ben Schönen die Belt?” 





Eriheimmg — Erwartung. 249 


Daſſelbe gilt dann natürlich auch von den Begleitern des Amor; 
daher ruft der Dichter (Geb. Die Entzüdung an Laura) in dem 
jeligen Entzüden eines liebetrunfenen Herzens: 


„Ampvretten ſeh' ich Flügel fchringen.” 


Bleihbedeutend mit den Amoretten find die Amorinen, ein 
Ausdrud, den Sch. (Ged. Die berühmte Frau) geradezu auf an: 
muthige Mädchengeftalten überträgt: 

„Leon ihrem Pugtifch find die Gragien entflobn, 

Und an der Stelle holder Amorinen 

Sieht man Erinnyen den Lodenbau bebienen.” 


Erfheinung, Die fhönfte (Ged.), ein Epigramm aus dem 
Jahre 1796. Ein Geficht, defien Schönheit nur in der äußeren 
Form beiteht, wird Durch das Leiden gar leicht entftellt werden; 
und eben jo kann ein Gefiht, dad an fich feine angenehmen 
Formen bat, durch die Freude allein noch feinen jchönen Aus: 
drud befommen. Nur wo die Schönheit der Seele, und dieſe 
meint der Dichter bier, aus einem Antlib uns entgegen ftrahlt, 
da werden Freude wie Leid demjelben einen Auddrud höherer 
Berflärung verleihen; denn nur edle Naturen verftehen ed, fich 
and im Affect zu beberrichen. 

Erwartung, Die (Ged.). Aus dem Jahre 1799; ein 
Gegenftüd zu dem Gedichte: „Das Geheimniß“ (ſ. d.). Wäh: 
rend in dem „Geheimniß“ die Reflerion noch vorherricht, fo daß 
das Gedicht einen mehr ruhig betrachtenden Charakter hat, ohne 
jedoch gerade kalt zu fein, erfcheint die „Erwartung“ ganz voll 
lebendiger und warmer Empfindung, die den Leſer unwillfürlich 
mit fortreißt. Dabei ift da8 Ganze von einem Wohlklange der 
Sprade, ber in der That feined Gleichen fucht; eine Menge von 
anmuthigen Aflonanzen und Alliterationen erinnern an die Natur⸗ 
laute, bie ein laufchendes Ohr in der Dämmerung jo leicht täu- 
fchen können; und eine reiche Fülle von liebliden Bildern und 
glüdlihen Perfonificationen machen eine böchft maleriſche Wir- 
fung. Das leßtere gilt vor Allem auch von dem bedeutungsvollen 


250 Erwartung und Erfüllung — Erz. 


Strophenwechſel. Die innere Aufregung ded harrenden Lieb: 
haberd, der in jedem Geräufch dad Nahen der Erfüllung feines 
jehnlichiten Wunfches zu vernehmen glaubt, wird höchſt glüdlich 
durch den lebhaft hüpfenden Daktylus (2) dargeftellt, deſſen 
Bewegung dem unrubigen Pochen des Herzens jo nahe verwandt 
ift; während die gleich darauf folgende Enttäufchung in den 
langjamer einherfchreitenden Trochäen (2) wie eine jchwer: 
muthsvolle Klage erklingt. Aus der hierauf folgenden momen⸗ 
tanen Beruhigung quellen dann jedeömal in einer achtzeiligen 
Stanze (f. d.) die ſehnſüchtigen Wünſche hervor, in denen Die 
barmonijche Webereinftimnrung der umgebenden Natur mit den 
Empfindungen eines Tiebenden Herzens fih ausſpricht. So geht 
diefer Strophenwechſel in fortfchreitender Steigerung des Gefühle 
wie der Phantafle Durch das ganze Gedicht, indem mit richtiger 
Veberlegung anfangs nur das Ohr, fpäter, bei tieferer Duntel: 
heit, auch das Auge des Lauſchenden getäuſcht wird, bis am 
Schluß, der die Erfüllung bringt, die freudige Stimmung in 
vier daktyliſchen Verſen mit jambifhem Vorſchlag ſich Luft 
macht. 


Erwartung und Erfüllung (Ged.), ein Epigramm aus 
dem Jahre 1796. Dem hoffnungsreichen Streben des Jüng⸗ 
lings iſt hier das vom Greiſe erreichte Ziel gegenüber geſtellt, 
der nach vielen geſcheiterten Hoffnungen zufrieden iſt, wenn er 
in den Stürmen des Lebens nicht zu Grunde gegangen iſt. 
Vergl. „Das Kind in der Wiege“ und „Menſchliches Wirken“. 


Erz, ſiebenfaches (J. v. D. IV, 2). Die Zahl Sieben 
wurde von jeher als eine heilige Zahl betrachtet. Die Woche 
bat fieben Tage; im Tempel zu Serufalem ftand ein ſieben⸗ 
armiger Leuchter; alle Heft: und Trauerzeiten in Israel währten 
leben Tage. Dedgleichen erinnern wir an die ſieben Bitten des 
Baterunferd, an die fieben Worte Chrifti am Kreuze, an das 
geheimnißvolle Buch mit fieben Siegeln. So wünſcht die ſchuld⸗ 
bewußte Zungfrau fidy flebenfaches Erz zum Schuß gegen alle 


Erzamt — Efienz. 251 


irbifhen Empfindungen, die mit ihrem göttlihen Beruf in Wider: 
ſpruch ftehen. 

Erzamt (Geb. Der Graf von Habsburg). Erzämter waren 
die höchſten Reichsämter, welche die Rurfürften bei der Kaifer: 
frönung verwalteten. Sie find eine Eigenthümlichkeit der ger: 
maniſchen Berfafjung und bejtanden in perjönlihen Dienftleiftun: 
gen, die der Heerführer ald Auszeichnung den Angejehenften 
jeiner Getreuen zu übertragen pflegte. Hieraus entitanden feit 
Dtto I. die vier großen Hof: und Kronämter: das ded inneren 
Haudwejend, der Küche, ded Keller und ded Marftalle. Später: 
bin wurden diefe Aemter erblich. 


Eſchenbach (W. T. V, 1). Walther von Eſchenbach, Conrad 
von Tegerfeld, Rudolf von Wart und Rudolf von Balm (bei 
Sch. Palm) waren angeſehene Adelige aus dem Aargau, die, 
der ſtrengen Herrſchaft Albrechts überdrüſſig, die Regierung 
eines jungen Fürſten mit Ungeduld erwarteten. Mit ihnen ver— 
band ſich der neunzehnjährige Johann, der Sohn von Albrecht's 
Bruder Rudolf, welcher 1289 geſtorben war, um ſich an dem 
Könige zu rächen. 

Escurial (D. C. 1, 5) oder San Lorenzo, ein Gebäude, halb 
Schloß, halb Kloſter, etwa 10 Stunden nordweſtlich von Madrid 
gelegen, von düſterem Charakter, mit rauher, finſterer Umgebung. 
Es iſt dem Maͤrtyrer St. Lorenz geweiht, welcher der Sage 
nach auf einem Roſte verbrannt wurde, weshalb auch der Grund— 
riß des Ganzen die Geftalt eined Roſtes hat. Der Hauptein: 
gang zur Kirche öffnet fih nur für die Könige von Spanien, 
und zwar für jeden mm zwei mal, zuerft wenn er zur Taufe 
getragen wirb, und dann, wenn die Gruft feinen Leichnam auf: 
nehmen fol. 

Efſenz (M. St. II, 1), von dem lat. essentia, dad Weſen, 
eine Flüſſigkeit, beren wejentlichfter Beftandtheil der geiftige 
Auszug von Kräutern oder Yrüchten tft, wie 3. B. Rofenwafler 
oder Pomeranzeneſſenz. 





252 Eiträde — Eubda. 


Efträde (Dem. TI), aus dem fpätlat. estrada, ein erhöheter 
Pla in einem Zimmer, der Auftritt vor einem Throne. - 


Eſtrich (Ged. Pompeji und Herculanım), ein mit Gnps, 
Kalk oder edlerer Maſſe überzogener Steinboden in einem Haufe, 
wie man fie bejonderd in füdlichen Gegenden hat; daher fagt 
auch (D. C. II, 6) ber im Audienzjaal befindlide Medina 


Sidonia: 
„Im Feuer 
Des engliſchen Geſchũtzes war mir's leichter, 
Als hier auf dieſem Pflaſter.“ 


Eteokles (Phön.), Sohn des Oedipus und der Zofafte. 


Etikette, frzſ. Hoflitte, höfifcher Zwang; daher fagt Carlos 
(D. @. 1,2) von der Königin Eliſabeth von Valois: 
„Bon Etikette ringsum eingeichloffen, 
Wie konnt' ich ohne Zeugen mich ihr nah?“ 
und von dem Prinzen (Gſtſ. 10, 200) heißt es: „Etikette, bie er 
feinem Range fchuldig war.” 


etrurifch (Ged. Pompeji und Herculanum). In der Stadt 
Aretium, die in Etrurien, einer Landſchaft Mittelitaliend, auf 
der MWeftfeite der Apenninen lag, wurden im Altertbum irdene 
Gefäße gefertigt, die in Antifenfammlungen noch gegenwärtig 
unter dem Namen etrurifhe (auch „arretinifche”) Vaſen be- 
fannt find. 


Etſch (Rice I, 2), Fluß im nördliden Stalien, der auf 
den Rhätifchen Alpen entipringt und in der Nähe bed Po- 
Delta's in's Adriatilche Meer gebt. 

Eubda, jetzt Negroponte, die größte Inſel in dem nörb- 
lihen Theile des ägäiſchen Meered; fie zieht fih 20 Meilen 
lang und 3 bis 4 Meilen breit, längd der böotiſchen und attt- 
ſchen Küfte bin, von jener durch den Opuntiichen Meerbufen, 
von dieſer durch die ſchmale Meerenge Euripus (Iph. I, 1) ge- 
trennt. An dem letteren, aber auf dem eftlande, lag der Hafen: 
ort Aulis (ſ. d.) „Euböas Buſen“ (Iph. J, 1). 


Eumeniden — Euripides. 253 


Eumeniden, |. Erinnyen. 

Eurtpides aus Salamis, geb. 480, geft. 405 v. Chr., war 
ein Zuhörer der Bhilojophen Prödikus und Anardgoras, vor allem 
aber durdy vertraute Freundſchaft mit Sofrated verbunden, der 
feine Dichtungen ſehr ſchätzte. Später lebte er an dem Hofe 
des macedoniichen Königs Archelaud. Wenngleidy er als Tra— 
giter keinesweges jo body zu jchägen iſt, wie Aeſchylus und 
Sophofles, fo bat doch gerade feine Behandlung der Tragödie 
einen eigenthiimlichen Neiz, der auch Sch. jedenfalld beſonders 
zufagte. (Vergl. den Aufſatz über naive und jentimentaliiche Dich- 
tung; Bd. 12, ©. 182.) Euripides wich zunächſt injofern von 
feinen Vorgängern ab, ald er den Chor ald Nebenjacdhe behan— 
delte, ihn wenigſtens nicht eng mit ber dramatifchen Handlung 
verband. Sein höchſter Zwed war, zu gefallen, bejonderd Mit: 
leid zu erregen und zu rühren, wedhalb er denn häufig bie 
Einheit der Handlung opfert und dafür einen Prolog einführt, 
um die Zuhörer mit dem, was bei dem Gegenjtande feiner Dar: 
ftellung voraudgefegt werden muß, befannt zu maden. Die 
Sprade in jeinen Tragödien ift oft philoſophiſch und verräth 
eine tiefe Kenntniß des menfchlichen, bejonderd des weiblichen 
Herzend. Er war der Erjte, welcher feinen Zuhörern die Welt 
des Gemüthes erſchloß und durch das Spiel der Leidenichaften 
zu feſſeln verftand, jo daß man ihn als den tragiichften unter 
den Tragilern zu bezeichnen pflegt. Seine Sprade tft reih an 
rhetoriſchen Schönheiten und moraliichen Sentenzen, worauß der 
Einfluß feiner früheren Studien unverkennbar hervorleuchtet. 
Hierin, wie auch in feinen lang audgefponnenen Erzählungen 
ift eine innere Verwandtſchaft mit dem Schiller’fhen Dichter: 
genius nicht zu verfennen. Seine Trauerfpiele wurden mit denen 
des Sophofles zu gleicher Zeit aufgeführt und hatten ſich eines 
ungemeinen Beijalld zu erfreuen. Man jchreibt ihm etwa 75 Tra: 
gödien zu, von welchen ſich jedoch nur 13 erhalten haben, unter 
benen übrigens einige zweifelhaft find. Sch. hat von ihm 
Sphigenie in Aulis und Scenen aus den Phönicierinnen überjept. 


254 Euripylus8 — Ertrem. 


Euripylus, ſ. Eurypylus. 

Euripus, ſ. Euböa. 

Euroͤtas (Iph. I, Zw.:9.), einer der bedeutendſten Flüſſe 
des Peloponnes; er entſpringt auf der Taygeteskette und Niebt 
nah Süden in’ den Lakoniſchen Meerbufen. 

Eurÿpylus (Ged. 2.8. d. Aen. 19), ein thefſaliſcher An- 
führer vor Troja. 

Eurytus (Iph. I, Zw.:H.), ein Neffe des Augiad, Königs der 
Epeer, deſſen Ställe Herkuled reinigen ſollte. Homer erwähnt 
nicht ihn, fondern feinen Sohn unter denen, Die nach Troja 
zogen (f. 31.2, 620). 

Evde (Ged. D. Götter Griechenlands), der ZSubelruf der 
Bachantinnen. 

Excellenz (8. u. 8& I, 1 — Bar. II, 3) od. Ercellenza 
(Gſftſ. 10, 244), ital. (eig. Eccellenza), von dem lat. excellere, 
übertreffen, ein befannter Ehrentitel für Minifter und andere 
ihnen im Range gleichitehende Perſonen; deögl. Ercellenzen 
(Zur. II, 1). 

erequiren, eig. ausführen, vollziehen (K. u. 2. II, 1), hin: 
treiben, mit Gewalt zwingen. 

Erereitium, von dem lat. exercere, üben, einüben; gem. 
Uebungsarbeit, wie in fcherzhafter Weife (%. I, 9): „fein Exer⸗ 
citium aus dem GStegreif machen“; pl. Erercitien (Par. III, 2), 
ironiſch für ſchriftliche Arbeiten. 

erponiren (K. d. H.), außeinanderlegen, fich entwideln; auch 
(R. I, 2) überjegen, erläutern; Erpojition (Wrb. IID, Aus: 
einanderjegung, Entwidelung. 

Ertrem, lat. extremum, dad äußerfte Ende; Ertreme 
(KR. d. H.), einander entgegengejeßte Dinge; als Eigenjchafts- 
wort: außerordentlih, wie (Wit. T. II, 1) „ertreme Schritte”; 
Ertremität (Sftf. 10, 221), dad Aeußerfte, äußerfte Verlegen: 
‚heit, Noth, Zuflucht; im pl. (R. 1,2), außergewöhnliche Naturen. 


fahen — Faͤma. 255 


F. 
fachen (R. II, 3), ſ. v. w. abtheilen, klaſſificiren. 


Fackel, ſ. Hymen. 
Faden des Lebens (Ged. Die Macht des Geſanges), ſ. 
Parzen. 
Fähnlein (J. v. O. I, 9), eine unter einer Fahne ſtehende 
Heeresabtheilung. 
Faͤma (Myth.), eig. das Gerücht, tft eine allegoriſche Gott⸗ 
beit; daher (Ged. 4. B. d. Aen. 33): 
Alobald macht dad Gerücht ſich auf, 
Die große Poſt durch Libyen zu tragen.” 
und (4. B. d. Xen. 121): 
„— — — — Isgleih macht ded Gerüchtes Mund 


Die grauenvolle That mit taufendftimm’gen Heulen 
Dem anfgebonnerten Karthage fund.” 


Die Stelle (Geb. A. Bd. d. Aen. 34): 
„Die jüngjte Schweiter ter Bigantenbrut.” 

ift ein Zuſatz Schiller's. Virgil's Schilderung zufolge ift fie 
geflügelt, ihr ganzer Leib mit Zungen bedeckt und unter jeder 
derfelben ein Auge; daher (ed. Semele 1): 

„Ha! tft ed wahr, was taufendzüngiges Gerücht 

Vom Yda bis zum Hämus bat geplaudert?* 
In det Hand führt fie eine Pojaune. Sie fpriht Wahrheit 
und Züge durcheinander, verläumdet gern, und tft ftet3 bemüht, 
Neues zu verbreiten; daher (Bed. Semele 1): 

„Und auf Fama's taufendfach rauſchenden Flügeln 

Wird's von Meeren jchallen und braufen von Hügeln.” 

und bildl. (D. ©. II, 2), wo Carlos fagt: 


„Mich ruft bie Weltgeichichte, Ahnenruhm 
Und des Gerüchte donnernde PBofaune.“ 





256 Famaguüͤſta — Faſtnacht. 


desgl. (Meb. I, 14): 
„Daß wider dieſe ſchauderhafte That 
Sich ſeine Tugenden wie Cherubim 
Erheben werden mit Bofaunenzungen.“ 
und ebendaſ. II, 9: 
„Was giebt's, daß ſolche gräßlide Trompete 
Die Schläfer dieſes Haufe weckt!“ 

Samagüfta (Gſtſ. 10, 163) ober Fama Augufta, ein ehe: 
mald berühmter Hafenort an der Südoſtküſte der Inſel Cypern. 
Sept tft derjelbe in Verfall und befteht nur noch aus ärmlichen 
Hütten mitten unter Ruinen von Kirhen und Paläften. 


Famulus, Iat. ein Diener, Aufwärter; befonderd der Ge— 
bülfe eines Univerfitätöprofefford; ob. (Wft. &. 7) der eines 
Studenten. 


Färbers Gaul (Wit. L. 7). Die Färber laffen das Farbe: 
material auf einer Art Roßmühle zerreiben, wobei dad Pferd, 
welche8 an einem Schwengel oder Hebel zieht, in einem Kreife 
berumgehen muß. 

Farce (Wrb. I — Sp. u. d. L. 10, 60 — GEſtſ. 10, 249), 
frzſ. ein Poffenfpiel, lächerlicher Streich. 

Farnefe, Alerander (D. C. III, 6), Sohn der Statthal: 
terin Margarethe von Barma und Gardinal von Eaftilien, führte 
dem Herzog von Alba ein Hülfscorps nad) den Niederlanden 
zu, und wurde bier fpäter deflen Nachfolger. Er war ein eben 
jo gewandter Diplomat ald audgezeichneter Yeldherr und brachte 
die jüdlichen Provinzen der Niederlande unter die ſpaniſche Herr: 
ſchaft zurüd; + 1592. 

Farren (Geb. Der Flüchtling), veralteter, nur noch in der 
höheren Schreibart gebräuchlicher Ausdrud für Zuchtochſen oder 
Stiere. 


Faſching, |. Faſmacht. 


Faſtnacht, in manchen Ausgaben Fasnacht od. Faß: 
nacht, der Tag vor dem Beginn der Faſtenzeit, an welchem 


Fatalität — Faun. 257 


man ſich gewöhnlich noch einmal gütlich that. Aus dieſer Ge⸗ 
wohnheit bildete ſich der Carneval (Ged. An einen Moraliften 
— Gſtſ. 10, 127) oder Faſching (mie er im ſüdlichen Deutich- 
land genannt wird), bei dem ed an mandhen Orten, bejonderd 
in den jüdlihen Ländern oft ausgelaſſen Iuftig hergeht. In 
unjern nördlichen Gegenden befchräntt fi die Sitte meiſt auf 
Masferaden oder Nedouten, die bisweilen mit pofjenhaften Auf: 
zügen verbunden jind. Wer eine Charaktermaske trägt, über: 
nimmt damit die Verpflichtung, feine Rolle burchzuführen; daher 
(D. C. I, 9): „So lange der Faſching währt, vwerehren wir 
die Lüge.” — Bildlih braucht Sch. Faſtnacht auch für Schmaus, 
wie (Wfl. T. IV, 7), wo Terzky jagt: „Wir wollen eine Iuft’ge 
Faſtnacht halten.” Wallenftein wurde nämlich am Sonnabend 
ben 25. Yebruar 1634, alfo wohl um die Yaftnachtözeit, jedoch 
nicht am Faſftnachtsabend ermordet. Deögleichen nennt Sc. 
einen fomifchen Aufzug einen Faſtnachtsaufzug, wie (W. T. 1, 3), 
wo der Meifter Steinmep jagt: „Was für ein Faſtnachts— 


‚aufzug, und waß joll der Hut?” 


Satalität, ſ. Fatum. 


Fatum, Tat. dad Schilfal, Verhängniß, die Beftimmung; 
Daher (R. 1,2): „Fürchtet euch nicht vor Tod und Gefahr, denn 
über und waltet ein unbeugjames Satum!” — Eben fo heißt 
Fatalität jo viel wie Verhängniß oder unvermeidliches Schid: 
ſal, aber auch Widerwärtigkeit und Unglüd; daher jagt ber 
Säger (Wſt. 2. 6) von Tilly: 

„Aber das Gläck blieb ihm nicht ftät — 

Seit der Leipziger Fatalität 

Wollt' e8 eben nirgends mehr fleden.“ 
Guſtav Adolph, von dem Kurfürften Johann Georg von Sachen 
zu Hülfe gerufen, hatte Tilly am 7. September 1634 bei Leipzig 
und Breitenfeld gejchlagen, worauf er Franken und Baiern er: ' 
oberte. 


Faun (Myth.). Die Faunen find Feld: oder Waldgötter 


mit Hömern, Bodäfüßen und Schwanz. Sie erjcheinen befonderd 
I. 17 


258 Favénz — Federſee. 


bei den Bacchusfeſten; daher heißt ed (Ged. Die Götter Grie⸗ 
chenlands) vom Bacchus: 
„Faun und Satyr taumeln ihm vorm!" 
Es ſind lüfterne Weſen, deren niedere Sinnlichkeit bei dieſen 
Feften beſonders hervortrat; daher heißt es (Geb. Pompeji 
und Herculanum) mit Beziehung auf die ſchlummernd ruhende 
Bachantin: 
„Und der laufende Faun Hat fich nicht fatt noch geſehn.“ 
Wo die edlere Gefittung nnjerer gegenwärtigen Cultur Plaß 
gegriffen, da haben ſolche Geſtalten natürlich Feine Berechtigung 
mehr; darum fagt ber Dichter (Ged. Der Spaziergang) mit Be- 
ziehung auf das ftädtifche Leben: 
„In die Wildniß Hinaus find des Walded Saunen verftoßen.” 


& Favenz (W. T. II, 1), Faventia od. Yaenza, eine Stadt 
am Lemone, der fi ſüdlich vom Po in das adriatiſche Meer 
ergießt. Im Jahre 1240 wurde die Stadt von Kaiſer Friedrich II. 
belagert, wobei ihn die Waldſtädte unterjtügten. 


Favorit, von dem ital. favorito, ein Günftling, der von 
einer Perſon oder (Ged. Das Glück und die Weiöheit) von dem 
ald Perfon gedachten Glück Begünftigte; Favoritin (K. u. 8, 
“II, 1), die Geliebte; Favoritſchaft (Sp. d. Sch. 10, 117), ſ v. w. 
liebevolle Zuneigung. 


Feder (Ged. Die Weltweifen). Heinr. Yeber, geb. 1740, 
+ 1821, ift durch jeine Schriften über praktiſche Philojophie be: 
fannt geworden. — (W. T. IV, 2.) Um zu willen, ob Semand 
wirflih todt it, pflegt man ihm wohl eine Feder auf bie 
Lippen zu legen, aus deren Bewegung fichtlich ift, daß er noch 
athmet. 

Federſee (Wft. L. 11), ein Heiner See in dem Donaufreije 
bed jeßigen Königreich! Würtemberg, da3 zur Zeit des bdreißig- 
jährigen Krieged eine Grafſchaft des ehemaligen Herzogthums 
Schwaben war. 


Federtrieb — Yelonie. 259 


Sedertrieb (Ged. Phantafie an Laura), bie treibende, ber 
Wirkung einer Springfeder ähnliche Kraft. 


Fedor, |. Feodor. 


Feen (aus dem Lateiniſchen flammend), eine Art Schid: 
falögöttinnen, die theild als fchöngebildete, theild als mißgeftal- 
tete und böje weibliche Geifter (vergl. Meb. IV, 4) erfcheinen, 
fich befonderd bei der Wiege des Menfchen, jo wie in entichei: 
denden Momenten jeined Lebens einfinden und fein Schidfal 
theild beftimmen, theild wenden. Beſonders ftehen Liebenbe 
unter ihrem Einfluß; daher (Picc. II, 4): 

„Die Sabel ift der Liebe Heimatwelt, 

* Gern wohnt fie unter Seen, Talismanen, 
Glaubt gern an Götter, weil fie göttlich tft.“ 
Da die Spur der fchönen Welt aber, welche die Götter einft 
regierten, jet verſchwunden tft, jo Hagt der Dichter (Geb. Die 
Götter Griechenlands, Str. 12): 


„Ad nur in dem Seenland der Rieder 
Lebt noch deine fabelhafte Spur.” 


Fehde, ſ. v. w. Streit, Kampf; daher jagt Eltfabeth (M. 
St. II, 4) zur Maria: 
„Nichts Feindliches war zwiſchen uns geichehn, 
Da kündigte mir euer Ohm ... die Fehde an.” 
und von dem Streite Don Manuel und Don Ceſars heißt ed 
(Br. v. M. 5, 387): 
„Meifina theilte fich, die Bruderfehde 
Löft alle heiligen Bande der Natur.“ 
Feldbinde (Wit. T. V, 4), ſ. v. w. Schärpe, Ehren: od. 
Dienftgürtel. 


Felonie, fraf. felonie, ein Lehnsfrevel, die Verlegung der 
Lehnöpflicht eines Bafallen gegen jeinen Lehnsherrn; dann über: 
haupt (Wft. T. I, 5) Treubruch gegen den Oberherrn. 

17* 





260 Feodor — Yeuerfignale. 


Feodor (Dem). Es find zwei Yeodor zu unterfcheiden: 
1) der Sohn Iwans des Schredllihen (S. 241), |. Demetriuß; 
und 2) der Sohn des Borid Godunow (©. 292). 


Feria, Graf von (D. C. ILL, 6), eins der hervorragendſten 
Mitglieder in dem Staatsrathe König Philipp's II., gehörte zur 
Friedendpartei, genoß auch bei den Niederländern Vertrauen 
und wäre geeignet gewejen, die Ordnung wieder herzuftellen. 
Der Fürft von Eboli (ſ. Ruy Gomez) hatte den König für diefe 
Idee zu gewinnen geſucht, aber vergeblihb. Im Sabre 1567 
wurde Feria zum Herzog erhoben, er war Befehlshaber der 
königlichen Garden, nahm auf Befehl ded Könige den Prinzen 
gefangen und wurde mit der Bewachung bdefielben, betraut. 


feſt (Wit. L. 6), dur Zambermittel unverwunbbar ge- 
macht. 

Feſt des Herrn (W. T. Il, 2), das Weihnachtsfeft; vergl. 
W. T.IV,2: „Es wird gehandelt werben, eh’ noch das Jahr 
den neuen Kreis beginnt“ und IV, 2: „das Chriſtfeſt abzuwarten 
ſchwuren wir“. Nach Tſchudi's Chronik, Joh. v. Müller u. 
Anderen war dad Neujahrsfeſt beftimmt worden. 

Feſte, |. Veſte. 

Feſton (J. v. O. IV), ein als Feſtſchmuck dienendes Laub⸗ 
oder Blumengehänge, in welches ſich bisweilen auch Früchte 
eingemiſcht finden; daher (Ged. Pompeji und Herculanum): 

„Schwellender Früchte voll und lieblich geordneter Blumen 
Safſet der muntre Feſton reizende Bildungen ein.“ 


Feuereſſe des Pluto, ſ. Tartarus. 
Feuerkrone (Ged. Die Künſtler), ſ. Muſen (Urania). 
Feuerfignale, Feuer, die man ehemals auf hohen Punkten 
anzuzünden pflegte, um die wehrhaften Mäuner zum Kampfe 
zuſammen zu berufen; daher (W. T. II, 2): 


„Sp geben wir von einem Berg zum andern 
Das Zeichen mit dem Rauch!“ 


Fiesſco. 261 


ferner (W. T. IV, 2): 
„Indeß bewaffnet und zum Werk bereit, 
Erwartet ihr der Berge Feuerzeichen.“ 
Eben fo benugte man fie, um fih Siegesnachrichttn mitzuthei- 
len, wie (W. T. V,1): 
„IMs nicht genug an Meien flammenden ®oten, 
Die rings auf allen Bergen leuchten?” 

Fießeo, die Verfhwörung des, zu Genua. Die Ent: 
ftehung diejed Dramas fällt in die bewegtefte Zeit ded Lebens 
unfered Dichters, in diejenige Zeit, in welcher die gewaltige Kata- 
ſtrophe ſich vorbereitete, die den Schwingen ſeines Genius neue 
Flugkraft verleihen jollte.. Bon Manheim zurüdgelehrt, wo er 
der Aufführung feiner Räuber beigewohnt, jchreibt er (17. San. 
1782) an Dalberg: „Beobachtet habe ich fehr vieles, fehr vieles 
gelernt, und ich glaube, wenn Deutſchland einft einen drama: 
tiſchen Dichter in mir findet, muß ich die Epoche von der vori⸗ 
gen Woche an zählen.“ Mit diefem ftolgen Selbjtgefühl zog er 
in Stuttgart ein, wo ein zürnender Fürft feiner wartete, der in 
dem Sünftling der Muſen nichts Anderes ald den widerfpenftigen 
Regimentömedicus ſah. in vierzehntägiger Arreft jollte den 
Vermeſſenen zur Befinnung bringen und ihn eindringlich an bie 
Pflichten feiner Stellung mahnen, wurde aber zu nichtd Anderem 
als zum eifrigen Arbeiten an feinem Fiesco benupt. Auf den 
Stoff zu dieſem Drama war er bereit3 in der Karlöfchule durch 
tie Dort unerlaubte Lecture Rouffeau’8 hingewiefen worden, der 
den Charakter des Fiedco ald einen ber merfwürdigften in der 
Geſchichte bezeichnet. Nicht konnte befler zu Sch.'s augenblid: 
licher Gemüthöftimmung paflen. Hatte er nicht wie fein Held 
gegen erdrüdende Berbältniffe zu kämpfen? Hatte ihm nicht 
jein Fürſt jede Veröffentlichung von Dichtungen bei Feſtungs— 
ftrafe unterfagt? Mußte er nicht auch zur Lift feine Zuflucht 
nehmen und die Gluth feines feurigen Streben? unter der Maske 
einer ftraffen Uniform verbergen? Nachdem dad Drama im Ge— 
fängniß bereits tüchtig vorgerüdt war, verfchaffte er fich aus der 


262 Fiesco. 


Stuttgarter Bibliothek die zur Fortſetzung ſeiner Arbeit nöthigen 
Bücher, belehrte ſich beſonders über Italien im Allgemeinen und 
nahm ſich den in Shakeſpeare's Julius Cäſar befolgten Plan 
zum Muſter. Er durfte hoffen, zu Ende des Jahres 1782 fertig 
zu werden. Aber dem Lazarethdienft obliegen und gleichzeitig 
den Forderungen der Muſen gehorchen, das wollte fich nicht 
mit einander vertragen; er floh deöhalb aus Stuttgart, um bem 
Lieblingskinde feines ſchöpferiſchen Genius die unentbehrliche Frei- 
heit zu gewähren, um feinen Fiesco in Manheim zu vollenden 
und ihm vor Allem den nothwendigen tragiihen Schluß zu 
geben. 

Zunächſt handelte e8 fich in Manheim darum, über den be- 
reits vollendeten Theil von bewährten Kennern ein Urtheil zu 
vernehmen. Er las daber bei dem Theaterregiffieur Meier in 
Gegenwart der bedeutendften Schaufpieler der Manheimer Bühne 
die beiden erften Acte vor, mußte aber zu feinem Schmerze jehen, 
daß der erwartete Effect ausblieb. Auch das günftigere Urtheil, 
das ihm am folgenden Tage von feinem Yreunde Streicher mit: 
getheilt wurde, vermochte die Arbeit nicht fogleich zu fördern, 
denn die Möglichfeit, daß der Herzog jeine Auslieferung ver: 
langer könne, nöthigte den Dichter zu einer weiteren Ylucht, er 
ging über Darmjtadt nah Frankfurt. Hier beendete er fein 
Stüd und fchidte ed an Dalberg, erhielt jedoch die troftlofe Ant- 
wort, daß ed auch in der vorliegenden Form nicht brauchbar, 
jondern eine vollftändige Umarbeitung nöthig fei, und dab der 
gewünfchte Vorſchuß nicht geleiftet werden fünne. Zu der drüden: 
den Äußeren Noth kam auch die Noth mit dem Stüde felbft, 
zu weldem Sc. lange feinen paflenden Schluß finden konnte. 
Seinen Helden wie den gefchichtlichen Fiesco durch einen Zufall 
um's Leben kommen laflen wäre undramatifch, ihn aber am 
Leben erhalten wäre un hiſtoriſch geweſen. Fiesco mußte Durch: 
and untergehen, zu dem Ende aber aud ald jchuldig erfunden 
werden. Ohne eine nollfländige Umarbeitung des ganzen Stüds 
war dies ſchlechterdings unmöglih. Sch. ging deöhalb, zumächft 





Fiesco. 263 


freilich um billiger leben zu können, über Mainz und Worms 
nach Oggersheim, von dem feſten Borjag erfüllt, fein Stück ent: 
weder auf dad Theater zu bringen, oder an einen Buchhändler 
zu verfaufen. Endlich fand fih auch ein Schluß, der dem ge: 
ſchichtlichen Ende feined Helden möglihft nahe fam. Im No: 
vember 1782 war die Arbeit fertig und wurde alsbald an Dal: 
berg geſchickt, der jedoch auch dieſe neue Bearbeitung nicht brauch: 
bar fand. Nunmehr bot Sc. fein Stüd dem Buchhändler 
Schwan in Manheim an, wo e8 mit einer Dedication an feinen 
theuren Lehrer Abel im Jahre 1783 erichien. Die elf Louisd'or, 
welche er dafür erhielt, reichten eben bin, um feine Wirthshaus⸗ 
ſchulden in Oggersheim zu tilgen und die bereit projectirte Reife 
zu Frau von Wolzogen zu machen, die ihren Wohnfik in Bauer: 
bad, einem thüringiſchen Dörfchen, hatte. Hier erfreute er fich 
einer wohlthuenden Ruhe und eines forgenfreien Lebend und 
konnte nun auch an eine Theaterbearbeitung für die Dianheimer 
Bühne denfen. Während die bei Schwan erfchienene Ausgabe 
in die gefammelten Werfe bed Dichterd übergegangen ift und 
dad Stüd in diejer Geftalt auch jept bei und aufgeführt wird, 
ift jene bübnengemäße Umgeftaltung ein faft ganz neued Wert 
und erft in neuerer Zeit nach einer Handfchrift der Manheimer 
Theaterbibliothef von Hoffmeifter und Boas veröffentlicht worden. 
In diefer Bearbeitung, deren Dispofition Eckardt“) (S. 166 bi8 
172) mittheilt, trägt Fiesco's republicantihe Tugend über feinen 
herrichfüchtigen Ehrgeiz den Sieg davon. Der Held fchließt mit 
den Worten: „Steht auf Genuejer! Den Monarchen hab’ ich 
euch geſchenkt, umarmt euren glüdlichiten Bürger!" Die erfte 
Aufführung diefer TIheaterbearbeitung fand zu Manheim am 
17. Januar 1784 ftatt, ſprach aber nicht fo an wie die Räuber, 
da ed dem Stoffe jept an ber erwarteten tragiſchen Gewalt 
fehlte; dagegen hatte Plümide in Berlin eine Bearbeitung über: 
nommen, welche dem tragijhen Schluß wit etwas veränderter 


) Sch.s Fiesco, erläutert von Dr. Eckardt. Jena, Hochhaufen, 1857. 


EN a a — Be a 


264 Fiesco. 


Geſtalt beſtehen ließ und deren Aufführung ſich außerordentlichen 
Beifall errang. 

Unter den Werfen, welche Sch. in der Vorrede zu feinem 
Fiesco ald Quellen für feine Arbeit nennt, ift die Conjuration 
du Comte Jean Louis de Fiesque, ecrite par Jean Francois 
Paul de Gondy, Cardinal de Retz vom größten Einfluß ge- 
wejen. Der nachfolgende, im Audzuge nad) Eckardt's Darftellung 
gegebene Ueberblid dürfte für dad Verftändnig der Dichtung 
von Bedeutung fein. 

Genua, welches gegen Ende des elften Jahrhunderts das 
Joch der Markgrafen abgeworfen hatte, die es im Namen der 
römischen Kaifer beberrichten, begann alöbald eine Seemacht zu 
begründen, durch die e8 nicht nur feine Nebenbuhler Piſa und 
Venedig überflügelte, fondern auch die Handelöwelt Europa's 
faft ganz von fih abhängig machte. Aber in jeinem Innern 
lebte ein Yeind, indem nicht nur dad Volk voll Neid auf die 
Bornehmen blidte, jondern auch verjchiedene Adelsgeſchlechter, 
vor Allem die der Doria und der Fieschi einander befämpften. 
Da auf diefe Weije die beiten Kräfte des Staates in Hausfehden 
vergeutet wurden, jo erhob ſich 1339 da8 Volk, verbannte die 
vornehmen Störer der Hffentlihen Ruhe und ernannte einen 
Mann aus dem Volke zum Dogen. Bald indeffen Tehrten die 
Vertriebenen wieder, um entweder die Dogenwürde an fich zu 
reißen, oder Doch wenigſtens Einfluß auf die Wahl zu gewignen. 
So kam es zu neuen Fehden, welche die Macht ded aufblühen- 
den Staated ſchwächten, der fich .theild unter dad Joch von 
Mailand, theild unter dad von Yranfreich (vergl. II, 4) beugen 
mußte. Endlich ftand zu Anfang des zwölften Jahrhunderts 
ein Mann aud dem Geſchlechte der Doria auf, welcher Genuas 
Unabhängigkeit feit begründete und ihm eine Berfaflung gab, 
die fich einer längeren Dauer zu erfreuen hatte. 

Sm fechzehnten.. Jahrhundert jpielte Andreas Doria als 
Seeheld eine hervorragende Rolle; er verjagte die Franzoien 
aus Genua und befiegte fie (II, 13) zur See, jo daß ihre 





Fiesco. 265 


Uebermacht auf die Dauer gebrochen wurde; leider aber ver: 
anlagten ihn Wühlereien der Fieschi, die Schußherrichaft Frank⸗ 
reichs anzurufen und den Titel eines königlichen Statthalters 
anzunehmen, was wiederum bald zur Yolge hatte, daß König 
Yranz I. die Rechte des Freiſtaats verlegte Nunmehr trat 
Andread mit Katler Carl V. in Uinterbandlung, unterftügte ihn 
mit zwölf Galeeren und erhielt dafür die Zuficherung feined 
Schubes; die ihm angetragene Herzogswürde aber lehnte er ab, 
wofür ihn das Volk mit dem Titel „Vater des Vaterlandes und 
Wiederherfteller ter Freiheit“ beehrte. Dept erhob fih Genua 
zu neuer Blüthe; Doria’d Flotte, die nicht Staats-, fondern fein 
Privateigentbum war, zeigte fih vor Allem wirkſam gegen die 
Zürfen und Gorfaren und war bald die erfte in Europa. Da 
Doria kinderlos war und bereit3 in hohem Alter ftand, fo hatte 
er fh in feinem Neffen Gianettino, dem Sohne eined armen 
Berwandten, einen Stellvertreter für das Ylottencommando beran- 
gebildet. Die Bildung Gianettino's war zwar gering“), aber 
er war ein tapferer Krieger und als jolcher wenigftend geeignet, 
das Anjehen der Republik nach außen aufrecht zu erhalten. So 
war er zum Erben und Nachfolger Doriad nur nach einer Rich: 
tung hin geeignet, denn da e8 ihm an Befonnenheit und Selbit- 
beberrichung f:hlte, fo verlegte er die verfafjungsmäßigen Rechte 
ded Senated in jo auffallender Weile, daß fi) der Geiſt des 
Unmuths bei dem Bolfe und der ded Aufruhr auch bald bei 
dem Abel regte. inter den Mitgliedern des leßteren war es 
vor allen Johann Ludwig Fiesco, Graf von Lavagna, ein drei: 
undzwanzigjähriger Dann, der fich durch feine echt adelige Ge- 
finnung, wie durch fein jugendliche Feuer und durch feine aller 
Herzen gewinnende Beredſamkeit der Elemente des Umſturzes zu 
bemeiftern wußte. Um aber fiher zum Ziele zu gelangen, ver: 
fuhr er mit Lift und Schlaubeit. Dem Haufe Doria näherte 


Sch. nennt fie in dem Perfonenverzeihniß „zerrifien“, d. 5. ein ſeltſames 
Gemiſch ven angeborener Rohheit und vornehmen Manieren. 


266 Fiesco. 


er ſich, indem er Gianettino's Schweſter mit dem Bruder ſeiner 
Gemahlin verlobte; dem Andreas bewies er ergebensvolle Auf⸗ 
merkſamkeit, während er Gianettino durch einen anſcheinend 
lockeren Lebenswandel in Sicherheit wiegte; die Vornehmen ſuchte 
er durch glanzvolle Feſte, das Volk durch reiche Geldſpenden zu 
gewinnen. So kam es, daß man bald allgemein auf ihn als 
den künftigen Retter des Vaterlandes hoffte; auch war ſein von 
der Stadt entfernt gelegener Palaſt zu vorbereitenden Verſamm⸗ 
lungen für eine Verſchwörung ganz beſonders geeignet. Daß 
ein Umſturz nothwendig ſei, darüber waren Alle einig, in Betreff 
der Neugeſtaltung aber gingen die Meinungen ſehr auseinander. 
Fiesco ſah. ſich daher im Geheimen nach fremder Hülfe um und 
wandte ſich an König Franz, der ihm Unterſtützung verſprach 
und ihn, wenn dad Unternehmen gelänge, als Herzog anerkennen 
wollte. Sn Genua jelbft entdedte er fi nur einigen wenigen 
Bertrauten, wie Sacco, Salcagno, Scipio Burgognino, Aflereto, 
bejonder8 aber Berrina, einem Zodfeinde des hohen Adels. 
Dem urfprünglichen Plane zufolge wollte man am Andreas: 
tage, wo die Familie Doria und der gefammte Abel in der 
Kathedrale zu erfcheinen pflegten, die Opfer der Verſchwörung 
überfallen, aber Fiesco ſchauderte vor einer Entweihung des 
Heiligthbumd, und fo gab man auf jeinen Rath dem offenen 
Aufruhr den Borzug. Bald wäre derſelbe vereitelt worden, 
denn der Statthalter von Mailand, durch geheime Gerüchte auf: 
merkſam gemacht, ließ den Andread warnen; imdefien benahın 
fih Yiedco, der gerade bei ihm eintrat, mit jo liebendwürdiger 
Unbefangenbeit, daß jeder Argwohn vollitändig befettigt wurde. 
Sept handelte ed ſich um fchnelle Ausführung des gefabten 
Dlaned. Am 2. Januar 1547 lieh Fiedco feine zunerläffigiten 
Anhänger zu ſich berufen, verjahb fie mit Waffen und forderte 
fie zum Sturze Gianettino's auf. Ob dieſer dem Fiesco nad) 
. dem Leben getrachtet, iſt geichichtlich richt feftgejtellt, den Ver— 
ſchworenen gegenüber aber wurde ed behauptet. Noch wurde 
der Graf durch feine Gemahlin Eleonore, ober, wie Andere 


— Säle EEE 


Fiesco. 267 


behaupten, durch deren Lehrer Paolo Panſa gewarnt, der un: 
beitändigen Menge zu trauen, die nur zu geneigt ift, demfelben 
Führer, dem fle heute zugejauchzt, fchon morgen zu wider: 
ftreben; wenigftend möge er des alten Andreas fchonen, aber e8 
war zu fpät, Berrina’d Kanone donnerte vom Hafen her; das 
Zeihen zum Aufruhr war gegeben. Es war eine ſchöne, mond⸗ 
helle Nacht, als drei bewaffnete Schaaren Fiesco's Palaft ver: 
ließen und fi mit überrajdhender Schnelligkeit ded Thomas: 
thored, der Burg und des Hafen? bemädhtigten. Gianettino, 
welcher einen Aufitand der Galeerenfträflinge vermuthete, eilte, 
von einem einzigen Bagen begleitet, dem Thore zu, wo ‘er unter 
den Streichen der Berjchworenen zufammenftürzte. Der neun: 
undfiebzigjährige Andread lag krank auf feinem Zimmer und 
woüte dort das Eiſen des Mörderd erwarten, ließ ſich indeflen 
doch bereden, die Flucht zu ergreifen, die ihm auch glücklich ge- 
lang. Inzwiſchen war es den Galeerenfträflingen gelungen, fich 
ihrer Feſſeln zu entledigen; e3 galt, den Aufruhr ſchnell zu be: 
ſchwichtigen. Fiesco eilt nach dem Hafen, betritt ein unficheres 
Brett, dad zu einer der Galeeren führt, ftürzt in’d Meer und 
findet während der Dunkelheit in dem tiefen Schlamm feinen 
Untergang. Erft nach vier Tagen gelang es, feinen Leichnam 
berporzuziehen. Mit ihm ſank auch den Berjchworenen der Muth; 
ber Bewegung fehlte jet ber Führer. Der errungene Gieg 
wurde nicht benust, Andreas Tehrte unter den Yreudenbezei- 
gungen der Einwohner zurüd, und das ganze Unternehmen war 
gefcheitert. * 

Wenden wir uns nun zu dem Drama ſelbft, ſo haben wir 
zunächſt darauf hinzuweiſen, daß Sch. mit feinem Fiesco dem 
deutfchen Trauerfpiel eine neue Bahn eröffnete, indem er dem: 
felben eine hiftorifche Grundlage gab. Daß er dieſen Schritt 
nicht ohne einige Befangenheit that, gebt aus der Vorrede her: 
vor, in welcher er ſich für verpflichtet Hält, feine Arbeit gegen 
zwei leicht zu erhebende Bedenken zu vertheidigen. Zunädft 
entjehuldigt er ſich wegen der Freiheiten, die er ſich mit den 





E 


265 Fiesco. 


Begebenheiten herausgenommen; und mit welcher Kühnheit ſein 
dichteriſcher Genius auch in dieſer Beziehung beengende Feſſeln 
zu durchbrechen wagte, erſehen wir aus einem Briefe, in dem er 
ſagt: „Mit der Hiftorie getraue ich mir bald fertig zu werden, 
denn ich bin Fiesco's Gefchichtfchreiber, und eine einzige große 
Aufwallung, die ich durch die gewagte Erdichtung in der Bruft 
meiner Zufchauer bewirfe, wiegt bei mir die ftrengjte Hiftoriiche 
Genauigkeit auf — der Genueſer Fiesco follte zu meinem Fiesco 
nicht8 al den Namen und die Maske hergeben — Dad Uebrige 
mochte er behalten. Mein Fiesco iſt allerdingd nur unter: 
gefhoben, Doch was kümmert mid) das, wenn er nur größer ift 
alö der wahre?“ Go fühlte Sch. ſich aljo berechtigt, die Facta 
zu ändern, wenn feine Umgeftaltungen nur vor dem Yorum ber 
Poeſie ſich vertheidigen ließen und ihrem äftbetiichen Werthe 
nad den Hiftorifchen Thatfachen die Wage zu halten vermoch— 
ten”). Er war alſo wie Göthe der Anficht, daß die Kunft ihre 
Geſetze in fich felbft trage, und daß der Dichter nur den An- 
forderungen der Schönheit zu genügen habe. Die Hauptſache 
war ihm feine fittlihe Welt; die hiſtoriſchen Perfonen bemußte 
er nur ald Träger für feine Ideen. MWebrigend ift die Ber- 
ihwörung bes Fiesco an und für fich fein Stoff von weltge- 
Ihichtliher Bedeutung, dagegen gewährt die Perſon deijelben 
ein pſychologiſches Intereſſe, denn er ift ein vornehmer Ver— 
brecher, der in einer |pannenden Handlung einem zweifelhaften 
Ziele entgegeneilt, ſomit alfo ein dramatiſcher Held, wie er un- 
jerm Dichter willflommen fein mußte. 

Was die zweite Beforgniß betrifft, „dad unglüdliche Project 
des Fiesco könne, fo merkwürdig es fid) auch in der Gefchichte 
gemacht, doch auf dem Schauplaß dieſe Wirkung verfehlen”, fo 


macht Palleste (1, S. 304) mit richtigem Scharfblid darauf auf, 


merkſam, daß der Stoff wohl geeignet war „zu einem Spiegel: 


bilde der deutſchen Zuftände, Kar genug, um Sympathien zu 


*) Vergl. Don Garlos, ©. 208. 


Fiesco. 269 


* erweden.“ Gr betrachtet deshalb mit Recht die Geſtalt des 
Andreas Doria als Repräjentanten ſolcher Männer wie Frie— 
drich II. und Joſeph II., welche für die Unveräußerlichkeit der 
Volksrechte in die Schranken traten, während, ihm Gianettino 

Doria ein getreued Abbild vieler Fleinen deutſchen Fürſten ift, 
in deren Willkürherrſchaft die Keime zu einer nahe bevorjtehen: 
ben Revolution bereit8 gegeben waren, Auch waren Die Zuftände, 
wie fie Leſſing bereitd zehn Jahre zuvor in feiner Emilia Galotti 
an dem Hofe eines italieniihen Fürſten zu warnender An- 
Ihauung gebracht, und wie jie Sch. bald darauf mit größerer 
Kühnheit in Kabale und Liebe an einem heimiſchen Fürjtenhofe 
fi grauenerregend wiederholen ließ, Beweis genug, daB ed in 
Deutichland nicht an gährenden Elementen fehlte, die nur eined 
energiihen Anſtoßes von außen bedurften, um zu einem ent: 
Ichiedenen Ausbruch zu gelangen. So gewährte der jugendliche 
Dichter, zum Theil noch fich ſelber unbewußt, feinem Volke ein 
CSharaktergemälde, an dem es feine eigenen Zuftände ſich deut: 
lid vergegenmärtigen und fich zu entjchloffenem Handeln innerlid) 
begeiftern fonnte. Berfehlte er auch in Manheim zunächſt jeinen 
Zwed, jo wurde er bafür in Berlin, wie wir oben gejehen haben, 
defto befier verjtanden. 

Indem wir nun dazu fchreiten, die handelnden Perjonen ° 
des Dramas an unjern Bliden vorübergehen zu laflen, muß es 
uns zunädhft auffallen, daß Sch. es für nöthig hielt, die Cha- 
raktere derjelben in dem Perjonenverzeichniß zu jfizziren. eben: 
falls fühlte er, daß fie in dem Drama jelbft nicht ausreichend 
durchgeführt jeien und zu ihrem vollen Verftändni noch feiner 
befonderen Bermittelung bedurfte. Wir ſehen darin nichts 
Anderes als das vorfichtige Auftreten aller angehenden Schrift: 
fteller, die, um ben Beifall des Publicumd bejergt, bereits in 
ihren Borreden dafſſelbe für fich zu gewinnen juchen. Und aller: 
dings hatte Sch. damald alle Urſache, nach dem Beifall der 
Menge zu ringen, wollte er doch feine ganze künftige Erijtenz 
auf denfelben gründen. 





270 Fiesco. 


An der Spike des Freiſtaates erbliden wir Andreas Do⸗ 
ria, dem Sch. im Widerſpruch mit der Gefchichte dad Dogen- 
amt verleiht, um feinen bedeutenden Einfluß zur Anſchauung zu 
bringen. Obmphl von würdiger Denkweiſe, denn er ehrt die 
Geſetze, ift er Doch ſchwach gemug, feinen unwürdigen Neffen zu 
Ihonen. Denn wenn er ihm’audy (II, 13) wegen ſeines bru- 
talen Benehmens die bitterjten Vorwürfe macht, fo bleibt doch 
ber Wunfch in ihm rege, die Dogenwürde einft auf ihn über: 
geben zu jehen. Somit verlegt er die freie Berfaflung und zeigt 
ein monarchijches Streben. Neben ihm fteht Gtanertino, wel- 
hen der Dichter abfichtlid, ſchwärzer gezeichnet als fein gefchicht: 
liche8 Urbild. Durch die Güte ſeines Oheims aus der Duntel- 
heit einer niederen Sphäre hervorgezogen, blickt die frühere Rob: 
beit unter der Hülle des Edelmannes in widriger Weife hervor. 
Stolz darauf, daß jein Wohlthäter ihn zum Herzog erzogen habe, 
zeigt er (II, 12) einen an Tollheit grenzenden Trotz, jo daß 
Leonore mit Recht von feinem „frechen, hochmüthigen Herzen“ 
\priht und feine eigene Schwefter ihn einen „tolldretften Affen“ 
nennt. Obwohl er e3 für nöthig hält, jetne jchändlichen Pläne, 
wie den Anjchlag auf Fiesco's Leben, unter der Maske erheu- 
heiter Yrömmigfeit zu verbergen, ift er doch Fed genug, Staats: 
jtellen an elende Wichte wie einen Lomellino zu vergeben und 
bei der Procuratorwahl in der übermütbigften Weije öffentlich 
aufzutreten; ja felbft in das Heiligthum des Haufed dringt er 
in blinder Leidenichaft ein und wagt ed, der Tochter eine der 
angefeheniten Männer ihre weibliche Ehre zu rauben. 

Iſt ſomit der Unwille gegen den zeitigen, wie der Zorn 
gegen den Tünftigen Machthaber gerechtfertigt, jo handelt es ſich 
nun Darum, dem mächtigen Drange nach Befreiung eine wirf: 
ſame Waffe zu fchmieden. Aber um ein Stantögebäude zu ftür- 
zen, bedarf ed eines einheitlichen Planes, der nur in dem Kopfe 
eined Helden entipringen Tann, und diefer Held tft Fiedco. Bon 
der Natur mit Förperlichen wie mit geiftigen Borzügen verſchwen⸗ 
berifch audgeftattet, auf der Grenze zwilchen bem Zünglings- und 





Fiesco. 271 


dem Mannesalter ftehend, mit ſtolzen Entwürfen der Zukunft 
zugewentet, jchwebt ihm das Ideal eined mit MWeltflugbeit 
ausgerüfteten Yreiheitähelden vor. Den will er fpielen, um den 
Sieg über die beſtehenden Verhältnifſe zu erringen, und fo wird 
er ein feiner, fchlau berechnender Intrigant. Lift iſt der erfte 
Zug in feinem Charakter. Darum heuchelt er der Familie Do: 
ria freundfchaftliche Ergebenheit, einer Julia ſchwärmeriſche Liebe 
und weiß felbft vor dem fcharfblidenden Berrina feine wahren 
Abfichten zu verbergen; nur dem ihm ebenbürtigen Bourgogning, 
dem er ald Edelmann eine Erklärung nicht abſchlagen darf, er: 
öffnet er fih in fo weit, alö er fein Benehmen ald „da® Gewebe 
eined Meiſters“ bezeichnet; jonft aber macht es ihm Vergnügen, 
jeiner ganzen Umgebung ein Räthfel zu fein, um fchließlich Alle 
hinter das Licht zu führen. Diefem Vergnügen giebt er fich mit 
jugendlihem Leichtfinn Hin, daher fein frivoled Benehmen an 
Zuliad Pustifch, daher auch Die wunderliche Laune, den Mohren 
unmittelbar nad dem verfehlten Mordverſuch in feine Dienite 
zu nehmen. Aber Yiedco bat ein beftimmtes Ziel im Auge, das 
fih nur auf praktiſchem Wege erreichen läßt. Er ſucht daher 
Me Seidenhändler, die bei dem Pobel von Genua den Ausfchlag 
geben, für fich zu gewinnen, und ald feine Operationen zu 
wirken beginnen, erzählt er, ein zweiter Menenius Agrippa, den 
aufgeregten Handwerkern eine Yabel, um fie auf die Nothwendig— 
feit eined Monarchen hinzuweijen. Daß er zu einem folchen alle 
Anlage bat, beweijt fein ftolzges Benehmen dem Maler Romano, 
ja jelbft den Berfchworenen gegenüber, jo daß der edle Bour— 
gognino (II, 18) unwillig ausruft: „Bin ich denn gar nichts 
mehr?” Fiesco betrachtet ih nun einmal ald den größten Mann 
in Genua, und da er nad Art aller jugendlichen Braufelöpfe 
fein Ziel möglichft ſchnell erreichen will, jo bebt feine unmäßige 
Herrichbegierde auch vor unfttlihen Mitteln nicht zurüd; erflärt 
er doch dem Mohren, „dem hartgejottenen Sünder“ (II, 15) 
geradezu: „Nichts kann zu ehrmwürdig fein, dad du nicht in biefen 
Moraſft untertauchen follft, bis du den feiten Boden fühlft”. 


272. Fiesco. 


Aber Fiesco will nicht bloß ſchließlich bewundert werden, er 
möchte fich auch fortwährend bewundert jehen; er will nicht bloß 
eine Rolle auf der Lebensbühne fpielen, er will auch Acteur auf 
der Schaubühne fein. Darum das Gaufeljpiel mit dem Mohren, 
der ihm den Arm aufrigen muß, darum die fchaufpieleriiche De- 
mütbigung der Julia, darum der Theatercoup, zu dem er felbft 
den Berjchworenen gegenüber die Nachricht Calcagno's benutzt, 
daß der Mohr Audienz bei dem Herzog gehabt habe. Ja, wenn 
wir die beiden Monologe II, 19 und III, 2 mit einander ver: 
gleichen, die nur durch eine Spanne Zeit von einander getrennt 
find, müfjen wir nicht geftehen, daß er mit fich jelbft Komödie 
ipielt, und ift nicht die Art, wie er dem Andreas feinen Unter: 
gang ankuͤndigt und felbft fein Benehmen an der Leiche feiner 
Gemahlin mit einem gewiſſen Raffinement auf die Bewunderung 
feiner Zufchauer berechnet? Wer jo mit den heiligften Empfin- 
dungen ein Poflenfpiel treiben kann, der iſt zu einem fiegreichen 
Helden nicht geeignet. Nicht nur die Untreue gegen fein urfprüng: 
liche Ideal, jondern aud die unfittlichen Mittel, mit denen er 
fein Ziel verfolgt, machen dad Weſen feiner Schuld aud und 
bereiten ihm fchließlich den Untergang. 

Neben Yiedco, oder vielleicht mehr noch ihm gegenüber ſteht 
Derrina, der Graukopf mit ftürmenden Jugendideen, eine echt 
marfige Geſtalt aus den legten Zeiten der römiſchen Republik, 
wie fie dem Dichter aus feinem Plutarch vorſchweben mochte. 
Areilich nimmt fich dieſe antike Yigur in dem Genua des fech: 
‘zehnten Jahrhunderts wie ein feltiamer Anachronismus aus, aber 
was verjchlägt das dem jugendlichen Dichter, hatte doch bereits 
ein Lejjing in feiner Emilia Galotti mit dem alten Odoardo die 
Geftalt des Birginius heraufbeſchworen und konnte er doch durch 
Verrina ſeiner Tragödie einen idealen Gehalt geben. Verrina 
iſt ein ſtarrköpfiger Republikaner. Als der letzte ſeines Geſchlechts 
frei von jeder Veranlaſſung zu eigennützigen Beſtrebungen, hat 
er nichts als das Wohl ſeines Vaterlandes im Auge. Die Be: 
freiung deffelben ift fein Ziel, das er, wie Fiesco, in feiner Bruft 


Fiesco. 273 


verſchließt, aber nicht durch Liſt, ſondern durch einen entſchei⸗ 
denden Schlag zu erreichen wünſcht. Sein Knie mag er vor 
Niemand beugen, aber den offenen Aufruhr, der die beiden Doria 
ſtürzen ſoll, hält er für eine ehrenwerthe That. Stimmt er als 
republicaniſcher Theoretiker auch nicht mit dem’ mehr praktiſchen 
Fiesco überein, ſo hat er doch wie dieſer eine den Italienern 
eigenthümliche Vorliebe für theatraliſche Efferte. Darum trägt 
er ſeinen Schmerz über die in den letzten Zügen liegende Republik 
in einem Trauerflor zur Schau; darum der Fluch über ſeine 
Bertha, der die Verſchworenen zu muthigem Handeln antreiben 
ſoll; darum dad Gemälde mit der That des Appius Claudius, 
durch deſſen Anblick er den Fiesco für ſeinen Plan begeiſtern 
will; darum die Wahl des ſchauerlichen Orts, wo er dem 
Bourgognino eröffnet, daß Fiesco durch feine Hand ſterben 
müſſe. Auch Verrina hält fi (III, 1) für ben „einzigen großen 
Mann“ im Genua, denn er bleibt feiner Freiheitsidee treu, uud 
darum glaubt er fich berechtigt, dem Fiesco untren zu werden 
und mit defien Sturz dad Vaterland zu retten. 

Den beiden Haupthelden der Verſchwörung zur Seite fteht 
zunähft Scipio Bourgognino, ein Süngling von zwanzig 
Sahren, der für die Ehre der einft von ihm geliebten Leonore 
entihlofien in die Schranken tritt, und befien gegenwärtige Liebe 
zu Berrina’d Tochter mit feinem Yreiheitsideal innig verwandt 
ift. Die Ehre feiner entweihten Bertha zu rächen ift dad Ber: 
langen, welches ihn in die Reihe der Berjchworenen treibt, unter 
denen ſich freilich auch ſolche Seftalten zeigen, deren unlautere 
Beweggründe der guten Sache eher ſchaden ald nützen können. 
Dem Sacco, der Berjchwender, ift ein niedriger Charakter, 
der vie weibliche Tugend einen „abgejchmadten Tert” nennen 
fann und der fi Fein Gewiflen daraus madıt, Gaftfreundihaft 
durch Gift und Doldy zu entweihen. Und Calcagno ijt bad 
treue Bild eines welichen Roué's, ein pafjended Seitenftüd zur 
Julia Smpertalt, defien Benehmen gegen Eleonore beweift, Daß 
für ihn Nichts Heiliged mehr eriftirt, und deſſen Vorſchlag, die 

I. 18 


274 Fiesco. 


Doria in der Kirche zu tödten, ſelbſt bei dem Leichtfertigſten den 
Reſt von ſittlichem Gefühl empören⸗muß. 

Der eigentliche Intrigant des Stückes iſt Muley Haſſan, 
der „confiscirte Mohrenkopf“, urſprünglich ein Werkzeug Gia— 
nettino's, der ihin zu ſeinem eigenen Verderben vertraut. Ein 
reines Weltkind, dem das Gold ſein Gott und der friſche Genuß 
des Augenblicks das erſte und letzte Lebensziel iſt, tritt er ohne 
alles Bedenken in Fiesco's Dienſt, für deſſen liſtiges Gewebe 
ſeine Verſchlagenheit wie geſchaffen iſt. Iffland bezeichnet die 
Geſtalt des Mohren als einen Meiſterwurf der Charakteriſtik. 
Und in der That iſt er in ſeiner munteren Laune, mit ſeiner 
barocken Ausdrucksweiſe und ſeinem draftiihen Witz eine fo 
originell komiſche Geſtalt, daß er nicht nur ſeinem geiſtigen 
Urheber alle Ehre macht, ſondern auch von jeher eine Lieblings⸗ 
rolle für Künftler erften Ranged gewejen if. Vollkommen ge: 
eignet, alles das auszuführen, was einem Edelmann zwar will- 
fommen fein, ihn felber aber entehren würde, leiftet er feinem 
Herren durch feine Schurkereien die wichtigften Dienfte, und er 
thut es mit Luſt; denn wie follte ed ihn, der fchon durch feine ' 
Farbe aus der Geſellſchaft der ehrlichen Leute ausgeſtoßen ift, 
nicht kitzeln, plößlich eine Rolle in derjelben zu jpielen. Daber 
ift er auch prablerifh nach Art aller uneblen Naturen, und fo 
wie er ſich unentbehrlich glaubt, wird er übermüthig und nimmt 
fi feinem Gebieter gegenüber die ärgften Yreiheiten heraus. 
Um fo mehr muß es jeinen Stolz verlegen, als diejer ihn nicht 
änger in Genua aufhalten wil. Schon die Worte”): „Der 
Mohr bat feine Arbeit gethan, der Mohr kann gehen“ lafien 
eine bedenkliche Kataftrophe ahnen, und noch bedenklicher Klingt 
ed, wie er (III, 7) mit fich jelbft zu Rathe gebt. Darf ed uns 
wundern, daß er bei feinen bequemen Heidenthbum in’3 feind: 
liche Lager übergeht und fich eine Audienz bei dem Herzog erwirft, 


*) Sie find zu einem geflügelten Rorte geworden, dad gewöhnlich fo 
eitirt wird: D. M. h. ſ. Schul digkeit g., d. M. Lg. 


Fiesco. 275 


noch ehe die Verſchwörung zum Ausbruch kommt? Zu ſeinem 
Aerger wird ihm gerade da, wo er ehrlich iſt, kein Glauben 
geſchenkt, auch nicht einmal die verdiente Strafe erhält er für 
jeinen Berrath; wie follte die Großmuth ihn jeßt noch befiern 
fönnen? Treu feinem böjen Princip, zu deffen Perfonification 
er fih einmal berufen wähnt, wird er jetzt Morbbrenner und 
kennt jchlieglich keinen höheren Genuß, als wenigſtens mit draſti— 
ſchem Witze ſeine originelle Laufbahn zu ſchließen. 

Indem wir uns jetzt den drei weiblichen Charakteren zu⸗ 
wenden, müflen wir zunächſt daran erinnern, daß der Bildungs- 
gang, welchen der jugendliche Dichter durchgemacht, ihn mit der 
Natur des weiblichen Herzens in völliger Unbekanntſchaft gelafjen 
hatte; am wenigiten fonnte er eine Ahnung davon haben, wie 
Die den böberen Lebenskreiſen angehörenden Frauen zu reden 
und zu handeln pflegen. &8 ift daher erflärlih, daß nicht nur 
die Zulia, fondern auch Leonore und Bertha manches Unnatür: 
liche und viel Theatralifched haben. 

Leonore, welde die Geſchichte ald ein echt weibliches 
Weſen von fein gebildetem Geiſte fchildert, der im Dienfte der 
Poefie manche ſchaͤtzbaren Blüthen getrieben, iſt bei Sch. eine 
vorwiegend fentimentale Geftalt, ergeben genug, ihren eigenen 
Stolz anzuflagen, der fie ihre Blicke zu dem gentalen Fiesco 
erheben ließ. Zum Dulden und Gehorchen außderjehen, fühlt fie, 
daß fle ein Opfer der Politit ihres Gatten ift, für defien Ber- 
ftelungstünfte fie aber fein Berftändniß hat. Denn fie jelbft 
ift ja wahrheitsliebend, fo daß fie lieber von der Tafel aufbricht, 
als ihren Unwillen über Fiedco’8 alanterien gegen Zulia zu 


ı verbergen ſucht. Und doch befigt fie Seelengröße genug, der 


leßteren gegenüber ihren wohlberechtigten Zorn zurüdzuhalten; 

ja fie Iäßt es jogar an Ausdrüden des Mitleidend nicht fehlen, 

als diefelbe in ihrer Gegenwart ſchwer gedemüthigt wird. Ein 

liebendes Herz, das ift der Grundzug ihres Wefend, darum tjt 

ed ihr auch unmöglich, zwei jo gewaltige Mächte wie Liebe und 

Herrſchſucht in ihrer Bruft zu bergen, Mit dem Diadem, das 
18* 


276 Fiesco. 


Fiesco ihr verſpricht, fürchtet ſie ſeine Liebe zu verlieren, ja ſie 
ahnt, daß es um ihn ſelbft geſchehen ſei. Und als ſie keine 
Rettung mehr ſieht, verwandelt ſich die zarte Genueſerin plötz⸗ 
lih in eine beldenmüthige Römerin und ftürzt fih in das 
Kampfgewüähl, wo fie einem unglüdfeligen Verhängniß zum 
Opfer fällt. 

Sulia ift die Vertreterin der gefchichtlichen Perreta, der 
Schweiter Gianettino’8, welche Fiedco mit dem Bruder feiner 
Gemahlin verlobt. Sch., dem ein ſolches Verwandtſchaftsver⸗ 
hältnig für die Entwidelung jeined Dramas ftörend gewefen 
wäre, führt ſie und ald Wittwe vor, die für den Berluft, der 
fie betroffen, einen mehr genußreichen ald edlen Erſatz judht. 
Leonore bezeichnet fie daher ald eine „ſtadtkundige Kokette“ und 
ihr eigener Bruder nennt fie „ein Stüd Weiberfleiich in einen 
großen Adelsbrief gewidelt”, denn fie ift eine Meifterin in der 
Kunft, die vornehmften Männer in ihr Neb zu Ioden; nur bei 
Fiesco ahnt fie nicht, daß feine Lift die ihrige noch übertrifft. 
Daß ihre Charakterzeihnung ar Webertreibung leidet, daß fie 
gewiflermaßen eine barode Vorſtudie zur Prinzeffin Ebolt im 
Don Carlos ift, das läßt ſich nicht leugnen. Sit fie Do 
(IT, 2) im Geſpräch mit der Gräfin, die fie in der empörend— 
ften Weiſe beleidigt, die perjonificttte Frechheit, und Fämpft fie 
doh (IV, 12) in der Unterhaltung mit Fiesco unverhohlen 
zwilchen Rüfternbeit und Beſorgniß, bis fie endlich, alle weib- 
lihe Scham bei Seite fegend, ihm ihre Leidenschaft gefteht, 
um — ſchmachvoll verhöhnt zu werden. Mit andern Männern 
bat fle gejpielt, das ift ihre Schuld; jet jpielt Fiedco mit ihr, 
und das ift ihre Strafe. 

Das jungfräulihe Element, gewifiermaßen dad Symbol des 
noch ungeſchädigten Freiſtaates, ift Bertha; aber wie Diejer 
ihon einen gefährlihen Stoß erlitten, jo hat auch fte bereits 
bei ihrem erften Auftreten ein unglüdliches Verhängniß hart 
betroffen. Ihr Schickſal jol und an die Birginia des Alter: 
thums und an Leſſing's Emilia Galotti erinnern; aber beide 


Fiesco. 277 


fallen, um einer unvertilgbaren Schmach entzogen zu werden, 
während ſie, eine zweite Lucretia, uns als ein beklagenswerthes 
Opfer zügellojer Leidenfchaft vorgeführt wird. So tit ihre 
Situation gleih peinlih für die Daritellerin, wie, für die Zu: 
Ihauer, und daß „Genua durch fie erlöft werben fol”, kann 
und eben jo wenig ald vollgültiger Erjag für die Verlegung ber 
weiblichen Ehre erjcheinen, wie ihr Ruf dadurch, daß fie mit 
Bourgognino dad Vaterland verläßt, im Sinne ber ftrengften 
Moral wieder hergeftellt wird. 

Somit ift der Eindrud, welchen die weiblichen Charaktere 
maden, weder fittlich befriedigend, noch äſthetiſch wohlthuend, 
eine Anficht, zu welder fih Sch. in einem Briefe an Dalberg 
(29. Sept. 1783) felbft mit folgenden Worten befennt: „Die 
Anmerkungen über meinen Yiedco finde ih im Ganzen fehr 
wahr, vorzüglich ftimme ich dem Tadel meiner Yrauencharaktere 
bei. Ich muß befennen, dag ich an den zwei erjten Scenen bes 
zweiten Acted (d. b. Sc. 2 u. 3) mit einer Art von Wiberwillen 
gearbeitet habe, der nun dem feineren Leſer nur zu fihtbar ge: 
worden ift.“ Aber noch etwas Anderes wird dem aufmerkfamen 
Leſer ihtbar, die zum Theil unnatürlich verzerrte Diction in 
dem Drama. Der zweiundzwanzigjährige Dichter war wie alle 
jugendlichen Anfänger zu Uebertreibungen geneigt. Wie er beim 
mündlichen Bortrage Alles pathetiich zu fprechen pflegte und be- 
jonderd hierdurch in jener Borlefung jeined Fiedco bei dem 
Theaterregiſſeur Meier den gehofften Eindrud verfehlte, fo ift 
aud feine ganze Ausdrucksweiſe pathetiich, auf Effect hinarbei: 
tend. Zum Theil erklärt jih Died durch die Noth um die 
Eriftenz des Flüchtlings; dad Stüd follte durchaus Eindrud 
machen wie die Räuber, daher jo manches abfichtlich Forcirte, 
daher dieſe auf's Höchſte geipannte Kraft feines Tchöpferifchen 
Genius. Aber gerade die ungezähmte Kraft, Died gewaltige 
Ringen mit Gedanken, Empfindungen und Bildern, die wie 
Weſen einer anderen Welt auf ihn einftürmen, fie erregt unſere 
Bewunderung, und fo bleibt dad Stüd trog aller wohlberechtigten 


278 Fiesco. 


Ausftellungen doc immer ein Denkmal eines gewiflen Stadium 
in der Entwidelung ded jugendlichen Dichters. 

Und warum hätte er fich auf feinen Fiesco nicht etwas 
zu Gute thun, von einer Aufführung defielben ſich nicht eine 
bedeutende Wirkung veriprehen follen? Mußte ihm, der mit 
feinen Räubern jo eben die böhmiſchen Wälder verlaffen, nicht 
ſchon in dem neuen Schauplag allein eine vollftändig neue Welt 
erftehen? Das ftolze Genua mit feinen Marmorpaläften, die 
Darfena mit ihren prächtigen Schiffen, das bunte Gewühl eines 
bandeltreibenden Volkes, auf welched Damals die Augen von ganz 
"Europa gerichtet waren, dahinter dad blaue Meer mit der ſüd— 
lihen Gluth eines ewig klaren Himmeld, dazu die prächtigen 
Maskenfeſte mit ihrer bacchantiſchen Luft, und endlich die durch 
Eonipirationen angeftacdhelte Leidenjchaft eined an ſich ſchon 
leicht erregbaren Volkes — wenn auf einem ſolchen Hinter: 
grunde die Geftalten des bereit3 mit Beifall gefrönten Dichters 
vorübergeführt_ wurden, eine meifterhaft angelegte Intrigue in 
einer fpannenden Handlung vor den Augen ded Publicumd fich 
entwidelte, konnte died ohne Wirkung bleiben? 

Sehen wir und, ehe wir von der legteren reden, den Gang 
der Handlung an: 

I. Auf einem Maskenballe führt und der Dichter in ein 
Seitengemach, wo eine Reihe von neun verfchiedenartigen Scenen 
ſich abjpinnt, Die und mit ben Hauptperfonen wie mit den vor: 
liegenden Berhältnifien befannt madt. Leonore kündigt uns 
Fiesſsco ald den Helden an, auf welchen Genua jeine Hoffnung 
jest, während ſie ihn für fich ſelbſt als verloren betrachtet. Wir 
thun einen Bli in die bedenklichen politiichen Zuftände, indem 
wir Gianettino's Anſchlag auf Yiedco’8 Leben entitehen und bald 
darauf fcheitern jehen. Die Hauptzüge in dem Charakter des 
Helden lernen wir in jeinem Zufammentreffen mit’dem Mobren, 
mit Julia und mit dem Prinzen kennen. In Calcagno's und 
Sacco's Unterhaltung werben wir die erften Keime des Aufftandes 


Sieden. 279 


gewahr, der und in der der Bertha Verrina angethanen Schmad) 
als ein unaudbleiblicher erjcheint. 

U. Die angelnüpften Fäden fangen jegt an ſich zu ver: 
wideln.. Durch Julia's und Leonoren's Zufammentreffen wirb 
und freilich nur die Verfchiedenheit der Charaktere Beider zur 
Anſchauung gebracht, und aud) die Art, wie Calcagno abgefertigt 
wird, zeigt und nur, daß wir um bad Verhältniß zwiichen Fiesco 
und feiner Gemahlin unbeforgt fein können. Dagegen machen 
nnd die Mittheilungen- des Mohren an den Grafen mit der in 
Genua berrihenden Stimmung, die der mißvergnügten Edel—⸗ 
leute mit Gianettino’3 deutlicher hervortretenden Planen bekannt. 
Hierdurch, wie durch das Auftreten der Handwerker wird die 
Handlung gefördert, und wir ahnen, was wir von Fiesco zu 
erwarten haben. Sept läßt fich diejer von dem Mohren den 
Arm rigen, dad Manöver fchlägt ein, und aus den Unterredungen 
zwilchen Andreas, feinem Neffen und Lomellino erjehen wir, 
weile Gefahren dem Haufe Doria drohen. Noch deutlicher 
geht Died aud den Mittheilungen bes Mohren hervor, der und 
mit Fiesco's geheimen Borbereitungen befannt macht, "welcher 
ſich fchlielich mit Verrina vereinigt. Gleichzeitig aber thun 
wir auch einen Blid in die Seele diefed ſtarren Republicaners, 
jo daß wir vor dem in Ausſicht ftehenden Siege zittern müſſen, 
während wir Fiesco in dem Schlußmonologe noch mit fich jelbft 
kaämpfen jehen. 

II. Die Schürzung ded Knoten? beginnt damit, Daß 
Berrina dem Bourgognino eröffnet, Fiesco müſſe jterben, da: 
mit dem Freiftaate nicht ein zweiter Tyrann erftehe. Wie notb- 
wendig Verrina's Entichluß tft, zeigt und Fiesco's Monolog, 
um jo mehr ald auch Leonore fich vergeblih bemüht, ihren 
Gemahl in jeinem gefährlihen Streben wankend zu machen. 
Dies ift auch nicht mehr möglih, da die Bewegung durch des 
Mohren Thätigkeit mächtig gefördert worden if. Nunmehr 
treten die Berjchworenen zufammen, um über die Art der 


280 Fiesco. 


Ausführung ihres Planes zu berathen, wobei Fiesco ſich offen 
als Souverain der Verſchwörung bezeichnet. Inzwiſchen ift ihm 
feine Creatur, der Mohr, nachgerade laͤftig geworden, und da 
er feiner Sache jebt gewiß zu fein glaubt, jo entledigt er ſich 
des unbequemen Gejellen. Diefer, über die Undanfbarfeit er: 
bittert, gebt jet mit jich jelbft zu Rathe, und frent ſich, dab es 
in feiner Macht fteht, den Aufruhr entjtehen zu laſſen oder ihn 
zu verhindern. Fiesco muß eine böje Ahnung haben, denn er 
begiebt ji in Gianettino's Haus, wo er feiner Berftellungahumft 
die Krone aufjept, und der Zufchauer gewahr wird, wie Seder 
von beiden der Meinung ift, den Andern überliftet zu haben. 
Noch alfo wanket des Geſchickes Wage. 

IV. In fünf kurzen, äußerſt wirkungsvollen Scenen, die 
eines Shakeſpeare würdig find, erſcheinen Fiesco's Gäfte. Zu 
einer Komödie find fie eingeladen, während das Stück felbit 
feine volle tragifche Gewalt zu entwideln beginnt. Fiesco er: 
ſcheint unter feinen beftürzten Gäften, hält ihnen eine begeifterte 
Anrede und fordert. ſie auf, die Waffen zu ergreifen Der Auf: 
ftand iſt im Begriff Iodzubrechen, ala plötzlich Calcagno auftritt 
und den Verrath des Mohren meldet. Das ganze Unternehmen 
iſt in Gefahr zu jcheitern, denn Andreas, der dem Fiesco nichts 
Unedles zutrauen kann, ſchickt ihm den Mohren gebunden zurüd. 
Fiesco, von des Dogen Großmuth ergriffen, will jetzt zurüd: 
treten; aber Verrina, der nur die Sache des Vaterlandes im 
Auge hat, rettet die Ausführung des Unternehmens. Jetzt muß 
Fiesco, obwohl ihm die Erreichung ſeines eigenen Zieles zweifel- 
baft erjcheint, bleiben; aber durch Großmuth beichämt, fpielt er 
raſch jelber eine Großmuthöfceene und läßt den Mohren ent: 
wilchen, weil er „das VBerdienft hat, eine große That zu 
veranlaffen.” Die Vorbereitungen zum Aufftand find jet 
getrofien; aber noch bleibt dem Grafen übrig, eine Angelegen- 
beit ſeines Hauſes zu ordnen. Auch Sulia ift zur Komödie ge: 
Inden; und fie, welche feine Gattin in dieſem Haufe einft fo 
bitter gefränft, wird an berjelben Stelle ſchwer gedemüthigt. 


Fiesco. 281 


Leonore bat jetzt ihren Gatten wieder gewonnen, doch fürchtet 
fie, ihn in dem Herzog auf's neue zu verlieren, deshalb ſucht 
fie feine Herrſchſucht durch ihre Liebe zu befämpfen. Aber es ift 
zu jpät; die Berjchworenen rufen ihn zum Handeln ab. 

V. €8 empfängt und unheimliche mitternächtlihe Stille 
die bald dem Getöje ded Kampfes Pla machen fol. Immer 
noch mit dem Gefühl der Großmuth im Herzen erjcheint Yiedco, 
um Andread zu warnen; aber vergeblih. Nunmehr geht das 
Berderben feinen Gang. Gianettino, der ſchuldige Urheber des 
Aufruhrs, fallt zuerft von Bourgognino's Hand, defien Bertha 
ſomit gerädht ift. Sept begreift Andreas, daß er verrathen ift; 
er ericheint, um zu fliehen und knickt an der Leiche feines Neffen 
zufammen. Nachdem man ihn halb bewußlos fortgeführt, tritt 
bie völlig umgewandelte Leonore in Männertraht auf, um an 
ber Seite Fiesco's am Kampfe theilzunehmen; im Gegenſatz zu 
ihr erfcheint auch Bertha in männlicher Kleidung, aber unbe: 
waffnet, eine Scene, die Sch. für dad Leipziger Stadttheater 
fpäter durch eine pafiendere erjegt hat. Inzwiſchen hat ber 
Mohr auf feine eigene Hand an dem Tumulte ald Yeind der 
Menſchheit Theil genommen und findet fein vurleskes Ende. 
Sept bricht die fürchterlichfte Kataftrophe herein. Leonore, Die 
wir in ihren theatraliihen Pathos der vorigen Scene kaum 
wieder erfannt haben, tritt auf und fällt durch Fiesco's Hand. 
Derjelbe Herzogsmantel, vor bem ihr fo lange gegraut, fie hat 
ihr jelber umgehängt, um fih unbewußt in's DVerderben zu 
ftürzen. Fiesco glaubt feinen Todfeind getroffen zu haben und 
kann jegt triumphiren, denn aud die übrigen Verſchworenen 
baben den Sieg errungen, und Calcagno ruft ihn zum Herzog 
aud. Da macht er die fürdhterlihe Entdedung, daß er jelbft 
fein Weib ermordet, er erfährt „dad große gigantiſche Schiejal, 
welches den Menjchen zermalmt“, aber mit dem feften Entichluß, 
fich zu einem Sdeal von Zürftengröße zu erheben‘). Allein es 


*) Vergl. das Gedicht: Shakeſpeare's Schatten. 


282 Fiesco. 


iſt zu ſpaͤt, der Würfel tft bereits gefallen. Andreas Doria iſt 
wieder zu ſich gekommen, und halb Genua erinnert ſich jeineß 
Wohlthäters; wie ſollte Verrina jetzt vergeſſen, daß dad Vater: 
land ſeines Armes bedarf. Noch gilt es einen letzten Verſuch, 
ob er Genua retten und ſich zugleich den Freund erhalten kann; 
Fiesco weiſt feine Bitte zurüd, und mit dem Herzogsmantel ver⸗ 
ſinkt auch der Held des Stüdes in die Yluthen. 

Fragen wir nun am Schluß: Was beabfidhtigte Sch. mit 
feinem Fiesco? — jo dürfen wir wicht vergefien, daß ihm die 
Schaubühne weniger Bergnügungsinftitut, als vielmehr eine mo: 
raliſche Bildungsanftalt war. Der Augenblid, wo Hunderte 
feinen Worten Iaufchten, war ibm nach feinen eigenen Worten 
„heilig und feierlich” und er betrachtete ed ald einen „Hochverrath 
an der Menſchheit, diefen glüdlihen Augenblid zu verfäumen“. 
Wie die Gefchichte ihm jelbft eine Lehrmeifterin war, vor deren 
Größe er fich in tiefer Verehrung beugte, jo wollte er fie auch 
im Intereſſe der Menfchheit verwerthen, es follte die Gegenwart 
fih an den Tugenden der Borwelt begeiftern. Wie im römtichen 
Altertum der republicantiche Geift des Einzelnen als die erfte 
und heiligfte aller Pflichten angefehen wurde, jo wollte er in 
"feinem Fiedco die Liebe zum Baterlande und die uneigennüßige 
Hingebung an daflelbe verherrlihen. Wandte er fich doch jelbft 
mit den bedeutungsvollen Worten an feine Zuichauer: „Wenn 
Seder von und zum Beften des Vaterlandes diejenige Krone 
binwerfen lernt, die er zu erringen fähig ift, fo tft die Moral 
bed Fiesco die größte des Lebens.” Um fo mehr mußte ed ihn 
Ichmerzen, daß fein Stüd in Manheim nit jo aufgenommen 
wurde, wie er es erwartet; er jchreibt hierüber (5. Mat 1784) 
an Reinwald: „Den Fiesco verftand dad Publicum nicht. 
Republicaniiche Freiheit ift bier zu Land ein Schall ohne Be- 
deutung, ein Icerer Name. In den Adern der Pfälzer fließt 
fein römiſches Blut.” Dagegen gefiel er in Frankfurt deſto 
befier, und in Berlin wurde er in drei Wochen vierzehn mal 
gefordert und gefpielt. Der Grund dieſer Erſcheinung war 


Fife — Firmament. 288 


wohl in der höheren wifienfchaftlihen und äfthetiichen Bildung 
des Publicums zu juchen, das fich mit feiner Phantafie leichter 
auf jenen ſüdlichen Schauplag, mit feiner Reflerion leichter in 
ben Geift jener Zeit zu verjegen befähigt war. Denn bie Ge— 
walt, mit welcher der Dichter eine jpannende Handlung beherricht, 
mit Harem Bewußtjein verfolgen; den tiefen Blicken, welche er 
uns in dad menjchliche Herz thun Tat, ein höheres pinchologt: 
ſches Intereſſe abgewinnen; in dem Ausgange der politiichen 
Bewegung, wie der und vorgeführten Seelenfämpfe die Geſetze 
einer höheren Weltorbnung erbliden und dabei alle die Einzel: 
heiten vergejlen, an denen eine Heinliche Kritik jo gern mälelt — 
das ift eine Forderung, die nur da fidh erfüllt, wo der Dichter 
ein Publicum findet, deffen Herzen ihm Iebhaft und feurig ent- 
gegen ſchlagen und das felbjt genug Adel der Geſinnung beſitzt, 
um feinen erhabenen Sntentionen zu folgen. 

Fife [ipr. feif] (Mich. I, 3), eine der 19 Grafichaften Süd: 


ſchottlands, und zwar die Halbinfel zwijchen der Forth-Bai und 


der nördlich davon gelegenen Tay: Bucht. 


Figur (N. a. O. I, 1), von dem lat. figura, die Geſtalt; 
im Original fteht als fcherzhafter Ausdrud: individu, d. h. eig. 
Einzelmefen; ferner (Br. v. M. Ein. 5, 379) eine Bühnen: 
geftalt; Figurant (Wſt. T. I, 7), eine ftumme Berfon. 
Firmament (R.II, 3), von dem lat. firmus, feſt; die Fefte 
des Himmeld, dad jcheinbare Himmelögemölbe; jo (Ged. Die 
Weltweiſen): 
„Die Sonne ſcheint am Firmament.“ 
und (Ged. 2. B. d. Yen. 55, Anm.): 
„Dom flammenrothen Widerfcheine bremmt 
Ded Meeres Spiegel und das Firmament.“ 
ferner der gejammte Weltraum, wie (Ged. Die Größe ber 
Belt): 


“ „Steme ſah' ich bereits jugendlich anferftehn, 
Zaufenbjährigen Gange durch's Firmament zu gehn.” 


284 Firn — Flor. 
desgl. (Ged. An die Freude): 


„Blumen lockt fie aus den Keimen, 
Sonnen auß dem Firmament.“ 
und (3. v. ©. DI, 4): 
„Krei, wie dad Firmament die Welt umfpannt, 
So muß bie Gnade Freund und Feind umichliehen.“ 

Firn (W. T. 1,1) oder Ferner nennt man in den Alpen 
das vorige oder frühere Eis, überhaupt das alte Ei, welches 
die Gletſcher (j. d.) bildet. 

Firnewein, von firn oder fernd (vergl. Firm), heißt in 
Süddeutfchland und der Schweiz fo viel ald vorjähriger Wein, 
in weiterer Bedeutung aber alter Wein, im Gegenjaß zu dem 
neuen oder diedjährigen. Da der Wein befanntlich durch Alter 
gewinnt, fo heißt e8 (Ged. Die Theilung der Erde): 

„Der Abt wählt ſich ben edlen Firnewein.“ 

firiren (8. u. L. III, 2), befeftigen, od. (Wfl. T. IV, 3 — 
Gſtſ. 10, 191) mit Beftiinmtheit auf etwad binrichten. 

Flamänder (D. C. III, 10), gew. Zläminger, ein Bewohner 
von Ylandern. 

Flandern (D. €. II, 2), eine Grafihaft des ehemaligen 
burgundifchen Kreijed, die jept theild zu Frankreich, theild zu 
Belgien, theild zu dem Königreich der Niederlande gehört. Es 
zerfällt in Oft- und Weftflandern; daher (D. C. I, 2) im wei- 
teren Sinne für „die Niederlande”: „Es find die flandriſchen 
Brovinzen, die an ihrem Halje weinen.” Die „Tlandriiche 
Grenze“ (Gſtſ. 10, 144) tft Die gegen Frankreich. 

Flanke, von dem franz. le flanc (Wft. T. IV, 10), die Seite; 
(W. T. I, 3) mächtige Wände. 

flennen (R. I, 2), weinen, flagen. - 

fleuves (Les) indiserets, |. die Ylüffe. 

Flor, von dem lat. los, die Blume, 1) Die Blüthezeit, 
wie (R. II, 1) „Ylor des Lebens”, (%. IV, 14) „Ylor des 


Flora — Flotte. 285 


Baterlandd* 2) Der Wohlftand, wie (Picc. IV, 5) „Sept wird 
ter Flor erft angehen”; 3) leichtes Gewebe od. (%. I, 12) 
Schleier, wie (M. St. II, 5) „Ylor der Nacht“. 


Flora (Myth.), die Göttin der Blumen, von dem lat. flos, 
die Blume, eigentlich nichts Anderes ald eine poetiſche Perſoni⸗ 
fication, war nad Ovid mit Zephyrus, einem Sohne Aurora’s, 
vermäblt, der ihr dad Reich der Blumen zum Brautgeichent 
brachte. Sie liebt und pflegt Diefelben; daher (Ged. Die 
Blumen): 

‚Schön das Kleid mit Richt geftidet, 

Schön but Flora euch geihmüdet.“ 
Bon einem Sohne Flora's (Ged. Eine Leichenphantaſie) berichtet 
die Mythologie nichts. 


Florentiner (Gftſ. 10, 232), ein Bewohner von Florenz; 
florentiniſch, aus Ylorenz. 


Flotte, Die unüberwinblide (Ger). Als bie Königin 
Maria Stuart hingerichtet worden war, hatte Elifabeth ihren 
Blick über die Grenzen Englands hinaus erweitert. Befonders 
unterftügte fie die Niederländer gegen den König von Spanien, 
Philipp II., und engliſche Seefahrer verfuchten ihr Glück auf 
dem Weltmeere, um den Spaniern in ihren Colonieen Abbruch 
zu thun. Sept beihloß Philipp, an England Rache zu nehmen 
und rüftete feine unüberwindliche Flotte, die berühmte Armada 
(D. &. IN, 7) auß, welche unter dem Befehl des Herzogs von 
Medina-Sidonia (f.d.) ftand. Ein Hundert und funfzig Schiffe 
mit 50,000 Mann andungstruppen follten England mit einem 
Schlage vernichten; aber die Gewalt der Stürme und bie größere 
Gewandtheit, weldhe die Engländer und Niederländer zur See 
befagen, vereitelten da8 Unternehmen. — Str. 2, B.11: „Daß 
große Blatt 2c.” ift die berühmte Magna charta libertatum, der 
große Freihettäbrief, welchen Johann ohne Land im Jahre 1215 
unterzeichnen mußte, und durch welchen die von Heinrich I. ge 
währten, den Unterthanen aber fpäter wiedes vorenthaltenen 


286 Flüchtling — Flüſſe. 


Rechte denſelben auf's neue eingeräumt und feſter beſtimmt 
wurden. Ein Hauptpunkt in dieſem Geſetze war, daß keine 
Steuern ohne Zuftimmung der Stände auferlegt werden durften. 


Flüchtling, Der (Ged.). Das Gedicht ift ſchon vor Sch.’8 
Flucht aus Stuttgart entjtanden, fo daß die Annahme, in dem 
Flüchtling fei der Dichter felber gemeint, nur infofern berechtigt 
erſcheint, als berjelbe in dem Gedanken an die Möglichkeit einer 
folden Flucht feinen Empfindungen einen Ausdrud gegeben. — 
Str. 4, B. 2 ift ftrampfen (nicht wie in der Octapausgabe 
ftampfen) zu lefen. So auch in „der Schlacht“: „Hordy! was 
ftrampft im Galopp vorbei?” Vergl. auch Hiob 39, 21, wo 
ftrampfen jo viel bedeutet ald Icharren. 

Flüe (W. T. II, 2), eig. Fluh (W. T. IV, 1), welches 
f. v. w. Felswand bedeutet und auch in dem mineralogtichen 
Ausdrud: Nagelflue, einem aud Gejchieben von Kalkftein, Sand: 
ftein, Granit und Porphyr beftehenden Geſteinsgemiſch fich 
wiederfindet. 

Fluelen od. Flüelen (W. T. I, 4 u. IV, 1), ein reizend 
gelegened Städtchen am Bierwaldftätter See, beim Eingange in 
das Reußthal; es ift der Hafen von Altorf. 

Flügelbote, j. Hermes. 

Fluͤgelroß, |. Pegaſus. 

Fluh, ſ. Flüe. 

Flurgott, ſ. Pan. 

Flurſchütz (W. T. Perſ.-Verz.), ſ. v. w. Feldhüter. 

Fluͤſſe, Die (Ged.), eine Reihe von Xenien aus dem Jahre 
1796, die (nach Viehoff) ſpäter unter dieſem Titel vereinigt 
wurden. Rhein. Die Schweizer, die häufig ald Leibwachen 
an fremden Höfen, bejonderd an dem franzöftfchen, dienten, 
waren wegen ihrer Treue berühmt. Rhein und Moſel. Die 
Rheingegenden bis zur Mofelmündung haben manchen Dichter 
erzeugt; unterhalb berfelben ift fein @ebtet für die Poefie 





Fohi. 287 


unfruchtbar geblieben. Donau in ** (Batern und Defterreich).- 
Die Bewohner beider Länder werden mit den aus Homer’d 
Odyfſee (Gef. 6, 7) bekannten Phaeaken verglichen, die fich unter 
ihrem Könige Altinoos einen üppigen und behaglichen Leben 
überließfen. Main; auf die Patricierfamilien in Frankfurt zu 
beziehen, denen auch Goethe verwandt war. Saale; eine Hul: 
digung, die den thüringifchen Herzögen dargebracdht wird. Sm, 
ein Nebenfluß der Saale, in weldem Weimar liegt, wo damals 
Deutſchlands größte Dichter vereinigt waren. Pleiße, ein 
Nebenflüßchen der zur Saale gehenden Weißen Elfter, an dem 
befanntlich Leipzig liegt, deſſen Poeten und Proſaiker vor Sch. 
wenig Gnade fanden. Elbe; ein Hieb auf Adelung, der nur 
den Meißner Dialect ald den einzig echt deutſchen gelten laſſen 
wollte. Spree, erinnert an Ramler in Berlin, ber in feinen 
Oden auf Friedrich den Großen ein deutſcher Horaz zu fein 
jtrebte, ohne jedoch fein Muſter zu erreihen. Gefundbrunnen 
zu "" Carlöbad in Böhmen, wohin Sc. einer Cur wegen ge: 
reilt war. Pegnig, ein Duellfluß der in den Main fließenden 
Regnitz. Sie fließt bei Nürnberg vorbei, das jeit Hand Sachs 
(1494 — 1576) keinen Dichter wieder hervorgebradt. Die *” 
(geiftli)/ hen Flüſſe, d. h. in geiftlicher Herren Ländern, wo 
ihnen (einem Bibelipruche gemäß) feine großen Laften aufge: 
bürdet werben, indem bie fetten Pfründen die Gebieter doch 
ernähren. Salzach, ein Nebenfluß des Im, der bei Salzburg, 
der damaligen Hauptftabt des gleichnamigen Erzbiöthumd vor: 
überfließt, daS bei ben Alten Juvavia hieß. Das Salz, an dem 
es Baiern gebricht, ift das attiiche Salz, db. b. der Witz. Der 
anonyme Fluß ift-die Zulda, der Hauptfluß ded ehemaligen 
Bisſsthums Fulda. Les fleuves indiscrets, d. h. die zu: 
dringlichen Flüfſe, eine Anfpielung auf einen unfauberen Roman 
Diderot's: „Les bijonx indiscrets.*“ &. über denjelben das 
Bud) des Königäberger Philofophen K. Roſenkranz über Diderot. 

Fohi (Zur. I, 5), der fagenbafte Gründer des, chinefljchen 
Reichs, welcher etwa 3000 Zahr v. Chr. lebte. Er war der 


288 Föhn — Fortüna. 


erite Geſetzgeber jeined Volkes und wurde ald hoher Beſchützer 
ter Sternkunde verehrt. 


Föhn (W. T. I, I u. 3), von dem lat. favonius, Weft: 
od. Regenwind, der über die Alpen fommende Scirocco, der im 
Frühjahr den Schnee ſchmilzt und beſonders der Schifffahrt auf 
den Seen gefährlich ift; perfonificirt gedacht, nennt Sch. ihn 
(W. T. I, 13 den „grauen Thalvogt“, wegen der grauen 
Nebel und Wolken, die er dad Thal heraufjagt. 


Folie (Sftj. 10, 189), ein glänzendes Metallblatt, wie die 
Unterlage unter gefaßten Edelſteinen; bildlih (K. u. L. IV, 7 — 
Sftf. 10, 189) Grundlage, Hintergrund. 


Folio⸗Stammbuch eines Kunftfreundes, In das (Ged.). 
Das Heine Gedicht (vermuthlich aud dem Sahre 1804) enthält 
eine Satyre auf die in Almanachen behandelten wiflenichaftlichen 
Gegenftände, die dort allerdingd biöweilen als eine außerordent- 
lich leichte Waare erfcheinen. 


Forſcher, Die (Ged.), ein Epigramm aus dem Jahre 1796. 
Es ift gegen die bejchränkten Köpfe gerichtet, die, jeder urſprüng⸗ 
lichen ®eifteöfriiche entbehrend, dennoch viel Aufhebend von ihren 
mit vielem gelehrten Apparat andgeftatteten Unterjuchungen 
machen, wobei ihnen aber die Wahrheit‘ oft unter den Händen 
entſchlüpft. 

Fortüna (Myth.), bei den Griechen Tyche, d. h. Glück, 
alſo die Göttin des Zufalls und als ſolche auch die Schweſter 
der Parzen. Im Gegenſatz zu dem Schickſale, welches die Dinge 
nach einer feſten Beſtimmung beherrſcht, erſcheint Fortuna als 
ein launenhaftes Weſen, das giebt oder nimmt, Schmerz oder 
Freude bereitet, wie es ihr gerade in den Sinn kommt; daher 
nennt ſich Kalaf (Zur. IV, 10): einen „Ball der Schickſals— 
mächte“ und (Br.v. M.5, 411) heißt e8: 

„Beflügelt ift das Glück und ſchwer zu binden.“ 
Uebrigend war fie eigentlich nur eine perjonificirte Vorftellung 
oder eine allegoriihe Gottheit, an bie ſich deshalb auch Feine 


Forum. 289 
weitere Mythe fnüpft. Auf ihre Unbeftändigkeit beziehen fidh 
die Stellent(Geb. Elegie a. d. Tod eines Juͤnglings): 

„Ueber dir mag auch Fortuna gaufeln.” 
und (ed. Das Glüd und die Weidheit): 


Entzweit mit einem Favoriten, 
Flog einft Fortun' der Weisheit zu.” 


. In lesterer Stelle fteht in einigen Audgaben für Yortun’ „das 


Glül”, jedenfalls aus Rüdfichten des Wohlklanges. Wie bie 
Dichter dad Glück perjonificiren, jo hat auch die bildende Kunft 
die Fortuna Häufig bargeftellt, und zwar als eine jugendliche 
weibliche Seftalt mit Attributen, welche fich theils auf ihre Ylüch: 
tigkeit, theils anf die Zülle ihrer Gaben, theild auf ihre lenkende 
Gewalt beziehen. Häufig erjcheint fie mit dem Füllhorn ber 
Amalthea (vergl. d.) oder auch mit dem Glücksrade; daher (Geb. 
Dad Siegeäfeft): 

„Beil dad Glück aus feiner Tonnen 

Die Geſchicke blind verftreut.“ 


unb bildl. (Wſt. T. IV, D: 
Bedenkt, wie ſchnell des Glückes Rab ſich dreht.” 


Dft auch findet man fie mit einer Erdkugel dargeſtellt, auf 
welche fie ein Ruder ftügt; daher (Wit. L. 7): 

„Uuf der Sortuna ihrem Schiff 

SR er zu fegeln im Begriff." 
und (Wit. T. II, 3), wo ed von ben Heerjchaaren heißt: Ste Hund 

„Su deines Blüdes Schiff mit dir geftiegen.” 

Häufig 1,12 — Wſt. L. 11 — Bft. T. V, 2) fteht Fortuna 
für Glüd. 

Forum, lat. jeder offene Platz, dann auch der Markt: und 
Berfammlungsplag. In Rom war dad Forum magnum ein 
großer prächtiger Pla, der zum Spaziergange diente. Auf 
folgen Pläßen wurden die Triumphzũge abgehalten; daher (Ged. 
Ponpefi und Heraulanum): 

„Wohin führt der Bogen des Eieg6? Griennt ihr das Gorumt“ 

19 


2% Yorum bed Weibes — Franke. 


Auch pflegten ſich hier die Richter zu verjammeln, um die ſtrei— 
tigen Sachen zu enticheiden und Recht zu ſprechen, woher forum 
in ber Gerichtsſprache fo viel bedeutet als Gerichtshof oder rich: 
terlihe Behörde; daher: 

Forum des Weibes (Ged.), ein Epigramm aus dem Jahre 
1796. Bei der Beurtheilung einzelner Thaten find vor Allem 
die Beweggründe in’d Auge zu fallen, wenn das Urtheil ein ge: 
rechteö werden fol. in ſolches«Urtheilen ift natürlidh eine 
Thätigfeit des ftreng abwägenden Verftanded; Frauen dagegen 
laffen fich bei ihrem Urtheil weientlih von ihrem richtigen &e- 
fühle leiten und dürfen daher mit Recht die harmoniſche Stim- 
mung, welde fie fi treu bewahrt haben, zum Maßftabe der 
Beurtbeilung de Mannes überhaupt machen. Dergl. „Weib- 
liches Urtheil.“ 


Foͤtheringhay (M. St. J, 1), Dorf in der Nähe von Peter: 
borougb in der engliihen Grafihaft Nortyampton Des alten 
Königreichd Mercia. Bon dem Schlofje bet Yötheringhay, wel: - 
ches Maria Stuart's Sohn, Jakob I., zerftörte, find noch Ruinen 
vorhanden; Maria's Leichnam tft in der Kirche zu Peterborough 
beigejegt. 

Franciscaner (Gſtſ. 10, 178) oder Minoriten (daher Gſftſ. 
155, Minoritenklofter) find die Glieder eined im 13ten Jahrhun⸗ 
bert von dem heil. Franz von Alfifi zu Neapel geftifteten Ordens. 
Shre Ordendregel ijt: Aeußerſte Armuth, Entbehrung aller 
Sinnengenäfje und Fleiß in der GSeelforge unter Vermeidung 
ber Gelehrſamkeit und prunfenden Geifteöbildung. 


Franke (3. v. DO. II, 1), urfpr. der Name einer deutfchen, 
zwilchen dem Niederrhein und der Weſer wohnenden Voͤlkerſchaft, 
beren zuerft 238 n. Chr. erwähnt wird. Seit dem vierten Sahr: 
hundert drangen fie in Gallien ein und gründeten bier das frän- 
kiſche Reich, demnächſt ift Franke einer der zahlreichen Namen, 
bie man in Deutfchland den Überrheintichen Nachbarn mehr oder 
weniger mit einem feindfeligen oder jpöttiihen Beigeſchmacke 


Franken — Franzöſiſches. 291 


giebt: „Franzoſe, Zranzod’, Franzmann (M. St. I, 1), Franze, 
Franke (Ged. Die Antiken zu Parts), Gallier“. Klopftod fang. 
einmal, als die Revolution ausbrach, „Name der Brüber tft der. 
edle Name”. Sn dem Gedichte „An Goethe” verwendet ed 
Sch. zweimal, deögl. (3.0. O. IV, 1) im edlen Sinne. 

Franken (R. I, 1) ober fränkiſcher Kreis, einer der zehn 
Kreife ded ehemaligen deutjchen Reichs, welcher dad nördliche 
Baiern, einige Theile von Würtemberg, Baden, beide Heflen 
und die ſächfiſchen Herzogthümer umfaßte. 

Franfrei (3.18). Während der Kriege zwiſchen Franz. 
von Frankreich und Katfer Carl V. unterlag die Republit Genua 
bald dem Einen, bald dem Andern; bejonderd hatte fie unter 
der Herrihaft der Yranzojen viel zu leiden. Hierauf beziehen 
fih Fiesco's Worte: „gegen die ganze Macht Frankreichs“ 
bin ich bereit mich zu ſchlagen. 

Franz v. Lauenburg (Wit. T. III, 4). Herzog Yranz 
Albert von Lauenburg, ber Begleiter des Schwedenkönigs 
Guftav Adolph nnd Zeuge feined Todes in der Schlacht bei 
Lügen, ging unmittelbar nah der Schlacht zu ben Sachſen 
über. 

Franzmann (M. St. 1,1), f. Franke. 

Sranzöftfches: 

a merveille (%. I, 5), zum Verwundern. 

a propos! eig. zur gelegenen Zeit; gew. (F. O, 15) für: ehe 
ich’8 vergefle. 

Causes célèbres (K. d. H.), berühmte Rechtsfaͤlle. 

c’est l'amour qui a fait gal (X. I, 1) das hat bie Liebe 
gethan! 

cielt (K. u. L. IV, 9 Himmel! 

Conjuration du Comte Jean Louis de Fiesque (F. 


Vorr.), Verſchwörung des Grafen Sohann Ludwig von Fiedco; 
19 ® 


292 Fratze — Frau, Die berühmte. » 


ebendaf. Histoire des Conjurations, Gejchichte der Ver⸗ 
ſchwörungen; Histoire de Gönes, Geſchichte von Genua. 
Cour d’amour ($.». O.), Liebeshof. 


eau de mille fleurs, eig. Waſſer von taujend Blumen (8. 
u. 2. III, 1), eine Art wohlriechendes Wafler. 


en passant (8. u. 2. III, 2), im Vorbeigehen. 

la bourse ou la vie! (8. I, 2) die Börje oder das Leben! 

mon Dieu (K. u. L. III, 2), mein Gott. 

Mort de ma viel wörtl. Tod meines Lebens! als Schwur 
gebraucht: Sch will des Todes jein! oder (R.L2— K. u. L. 
II, 2): Hol mich der Henter! 

par terre, zu ebener Erde, (K. u. L. I, 1) unten. 

Prince d’amour (J. v. O. 1, 2), Mebesfürft. 

Prince philosophe (Gftſ. 10, 209), der philofophifche Fürft. 


Rendez-vous, wörtl. begebet euch Bin, (8. u. L. III, 2) ein 
Stelldichein. 


Fratze, 1) (5.19) Zertgeficht; 2) (Picc. IV, 7) Narrens⸗ 
poflen. 


Frau, Die berühmte (Ged.). Dies Gedicht ſtammt aus 
dem Sabre 1788, einer Zeit, wo Sch. mit Heirathsgedanken 
umging, und wo ihm nach Viehoff's Unterfuchungen durch feine 
Freunde einzelne Partien angeboten wurden, von denen er aber 
nichts wiffen wollte Bon einer „Mamfel S.“ aud Weimar 
fagte er, ihre Gefühle ftänden unter dem eifernen Scepter der 
Bernunft. Cr felbft verfebrte damals viel in dem Haufe der 
Familie v. Lengefeld zu Rudolftadt, wo er feine nachmalige 
Gattin Charlotte und deren Schwefter Caroline kennen lernte. 
Vermuthlich tft died Gedicht entitanden, indem er die Erwählte 
feined Herzend mit einer von den Vorgefchlagenen, einer Dich» 
terin, verglih. In launiger Weile Heidet der Dichter feine Ideen 
in bie Form einer Klage eined Ehemannes, der dad Unglüd Bat, 


Yrau, Die große — Freigeiſt. 298 


eine berühmte Yrau zu befigen. — Str. 2: „wird fie in allen 
Buden feil geboten“, d.h. in ihren jchriftftelleriichen Arbeiten. — 
Schmus’ger Ariftarch (f. d.), ein gemeiner Recenſent. — Str. 3: 
Ninon ald Bezeihnung für eine berühmte Yrau, als deren 
Repräjentantin dem Dichter Ninon de Lenclos, eine durch Ga⸗ 
Ianterie und Wig berühmte, vornehme Courtifane zur Zeit Lud⸗ 
wig’8 XII. von Frankreich, gilt. — Abſchn. 4: „blau und gelbe 
Röcke“, Poftboten, Briefträger”. — Abſchn.6: „der 3°" Wun- 
dermann” ift wahrfcheinlih der Züricher Wundermann, nämlich 
Lavater, dem Goethe und Schiller manchen Hieb verjeht haben. — 
Abſchn. 10: „Ein Starker Geiſt“, bei den Frangofen „un esprit 
fort“, bezeichnet oft den Charakter emancipirter Yrauenzimmer. — 
„Cytherea's goldened Buch.” Bergl. die Anm. Der Dichter 
jcheint anzunehmen, daß Cytherea ein Verzeichniß edler weib- 
licher Charaktere befige, gleich dem goldenen Buche (%. II, 5) ber 
ttalienifchen Republiken. 

Frau, Die große (W. T. II, 2), ſ. Zürich. 

Srauenberg (Pic V, 2 — Bft. T. II, 3) oder Marien: 
berg, eine am linfen Ufer bed Mains gelegene Yeftung, nahe bei 
Würzburg in Baiern. 


Sreibrief, ein Bevorrechtigungsſchreiben (Patent), in wel: 
chem Semandem gewifle Vortheile, Borzlige oder Vorrechte zu- 
gefichert werden; daher (M. St. I, 7) bildlich: 

„Und denkt ihr, daß ber königliche Name 
Zum $reikrief dienen könne, blut'ge Zwietracht 
Sn fremdem Lande ftraflod auszufien?” 


Freiburg (W. T. IV, 2), die Hauptftabt in dem ſchweizeri⸗ 
fhen Canton gl. N. Ste Hiegt hoch auf fteil abgefchnittenen 
kahlen Sandfteinfelfen und ift von Thürmen und Ringmauern 
umgeben, jo daß fie einer Yeftung gleicht. 

Freigeiſt nennt man denjenigen, der bie Lehren ber ge: 
offenbarten Religion verwirft und bloß die der natürlichen an- 
ertennt. So beißt es (Gftſ. 10, 202) von dem Prinzen: „Er 
hatte fi in diefed Labyrinth begeben ald ein glaubendreicdher 


294 Freiheit — Freimäurer. 


Schwärmer, und er verließ es al3 Zweifler, und zulegt ald ein 
audgemachter Freigeift.“ Ein folder betrachtet den Glauben 
der Bölter ald Aberglauben und erfennt nur feine Vernunft al 
oberften Richter über feine Glaubensanſichten an; daher ſagt 
Marquis Poſa (D. C. III, 10) von Gott: 
Beſcheiden 

Verhüllt er ſich in ewige Geſetze! 

Die fieht der Freigeiſt, doch nicht ihn. Wozu 

Ein Bott? fagt er: Die Welt tft fi genug! 

Und feines Ghriften Andacht hat ibn mehr 

8 diefes Freigeiſt's Läfterung geprieien.” 

Freiheit, Die idealifhe (Ged.; nur in der Octavaudgabe 
unter den Botivtafeln), ein Epigramm aus dem Sabre 1795. 
Es weift und darauf bin, daß die Erhebung zum Sdealen uns 
in ein Reich der Freiheit verjegt, das jenfeit der irdiſchen Schran- 
fen zu juchen tft. Wer in dieſem Reiche der Freiheit lebt, den 
kann der Tod nicht fchreden. 


Freiheitsbriefe (W. T. III, 3). Ihnen zufolge durfte kein 
Gefangener außer Landes geführt werden. 

Freimäurer (Gſtſ. 10, 129), gem. Freimaurer (in ber 
Dctav: Ausgabe Mason), eine Geſellſchaft von Männern, welche 
ben verfchiedenften Ständen und Religionen angehören und in 
abgejonderten Berjammlungen, Logen (Gſtſ. 10, 171) genannt, 
eine geheime Kunst üben, die fie bildlich Yreimaurerei nennen. 
Ihr Urfprung, den Manche aus dem grauen Altertbum glaubten 
herleiten zu müflen, ift in Baucorporationen des Mittelalter zu 
ſuchen, die unter Meiftern von hervorragender Bildung ftanden 
und, durch yreiheitäbriefe der weltlichen wie der geiftlicden 
Macht geihügt, fich für jeden großen Bau eine bejondere Ber: 
faflung gaben. Ihnen verdanken wir die Entftehung der herrlichen 
gothiſchen Bauwerke, die ſich vorherrſchend in Deutichland und 
ben anftoßenden Ländern finden. Gegenwärtig bat fich ber 
Freimaurerorben über die ganze Erbe ausgebreitet, jo weit 
europätihe Bildung reiht. Neben geheim gehaltenen Erlen 


Fremdlinge — Fremdwörter. 295 


sıungdzeichen und Gebräuchen ift die höhere geiftige und fittliche 
Ausbilpung der Menſchheit der eigentliche Zweck dieſer Geſell⸗ 
ſchaft, den fie durch fittlihen Wandel, religidje Duldung und 
Uebung von Wohltbaten zu verwirklichen ftrebt. 


Fremdlinge (W. T. II, 1), die fremden Ritter, die fih an 
den Höfen der Landvögte aufhielten. 


Fremdwoͤrter. Es giebt, wie feinen Menſchen und kein 
Bott, jo auch feine Sprache, die fich felbft genügte, und fo be: 
Halten demm die meiften Sprachen für Begriffe, die ihnen aus 
der Fremde zugelommen find, größtentheild auch die fremde Bes 
zeiämung bei. Der Einführung folder Säfte find aber auch 
andere weniger natürliche Umftände günftig, jo 3. B. das Streben 
der höheren Stände, durch derartige Beimifchung ihrer Ausdrucks⸗ 
weije ein vornehmered Audjehen zu geben (j. Franzöfiſch und in 
Kabale und Liebe den Präfidenten und den Herrn von Kalb). 
Auch kann es geichehen, daß ein Volk von wenig vorgejchrittener 
getftiger oder auch nur gejellichaftlicher Bildung zahlreiche fremde 
Bezeihnungen von einem begünftigteren Nachbarvolke annimmt. 
Endlich kann auch einer Nation der eigenthümliche Trieb ein» 
wohnen, felbft zum Schaden bed eigenen Gutes, dem fremden 
anter fich eine Stätte zu bereiten. Alle biefe Gründe haben 
darauf gewirkt, Die deutſche Sprahe — abgefehen von der 
wifienfchaftlihen Terminologie, die allen gebildeteren Völkern 
Europa's gemeinſam ift — mit zahllofen Sremdwörtern in ber 
That zu verunftalten. Unfer Feind tft bejonders das Franzö⸗ 
fiiche geweien, welches jchon im 17ten Sahrhundert anfing, in 
Deutichland ſehr in Aufnahme zu kommen, im 18ten aber die 
Sprache der Diplomatie, der Höfe, des Adels und felbft viel- 
facher Schriftftellerei wurde, jo Daß es neben der franzöftichen 
teratur in Frankreich beinahe eine foldhe in unferem Baterlande 
gab. Leibnig, Friedrich der Große und Alerander von Humboldt 
könnten auch unter den franzöſiſchen Klaſſikern aufgezählt 
werden. Den König ſpricht dabei das überwältigende Beifpiel 


296 Aremdwörter. 


der ganzen gebildeten Welt von jedem Borwurfe frei. 
wifien, wie Leſſing alle jolde Tendenzen bekämpft bat, 
gerade ein Did in feine Werke zeigt, wie tief bie fr. Lit im 
Blut umd Leben bed beutfchen Bofleß eingedrungen war. Erſt 
klaffiſche Schriftfteller in der eigenen Sprache komten und ber 
Befreiung entgegenführen. Es jei erwähnt, daß die „gute alte 
Zeit” des Mittelalters in dieſer Beziehung durchaus keinen Borzug 
hatte. Theilweiſe hat 3. Grimm den Gegenftand in feiner Schrift 
„Neber das Pedantiſche in ber deutihen Spradhe” (Kleine Schrif- 
ten I, p. 327) behandelt. Weiteres Hehe in dem anziehenden Pro⸗ 
grammen: „Zufammenftelung der Fremdwörter ded Alt- mb 
Mittelhochdeutihen von W. Wendler, Zwidau 1865." „Die 
franzöfiihen Aremdwörter in unſerm heutigen Verkehr von Lau⸗ 
bert, Danzig 1866.” „Ueber ben Kampf der deutihen Sprache 
gegen fremde Elemente von 8. Schacht, Elberfeld 1866.” 

Sch. hat, wie das nachſtehende Verzeichni zeigt, niht mer 
eine bedeutende Anzahl fremder Wörter, fondern es finden fi 
bei ihm auch (}. Sprache) eine nicht unbedeutende Anzahl fran- 
zöftfcher fontaktiiher Wendungen. Seine Proja ift die Mare, 
durchfichtige ded ganzen 18ten Jahrhunderts, von der man wohl 
fagen Tann, daß fie ſich nach der franzöflichen gebildet hat. Man 
beobachte in dieſer Beziehung beſonders den „Geifterfeher“. Auch 
Sch. hatte anfangs dad auch in umferer Zeit fo ſtark, jelbft 
barod, dann aber mit vernünftiger Maͤßigung aufgetretene, ſehr 
empfehlendwerthe Streben, die Sprache wieder zu reinigen. So 
jagt er (Sp. d. Sch.): „Aufkömmling“ für parvenu, ebendafelbft 
„Ring ded Vergnügens“ für gefellige Zirkel, (V. a. v. E.) 
„Leicheneröffnung des Laſters“ für Section, im Geifterjeher 
„Gemüthslage“ für Dispofition (f. d.), „fachen“ (R. II, 3) für 
claffificiren. Später jedoch hat er fi allein von bem guten 
Geſchmack leiten laſſen und in diefer Beziehung Goethe's An- 
fiht gehuldigt, welcher gelegentlich fagt: „Ich habe im Leben 
und Umgang mehr ald einmal die Erfahrung gemacht, daß es 
eigentlich geiftlofe Menſchen find, welche auf die Sprachreinigung 


Br 
aber 


Sremdwörter (abonniren — Barake). 297 


mit zu großem Eifer dringen.“ — Bir laffen nachftehend die bei 
Sc. vorkommenden Fremdwörter in alphabetiicher Reihe”) folgen: 

abonniren (voraudbezahlen), abortiren (zur Anzeit ge: 
bären), abfolut (unbedingt), abfolviren (freifprechen), Accife 
(Steueramt), accompagniren (begleiten), Act (That, Aufzug 
in einem Scauipiel), Acten (Scriftftüde der Behörden), 
Actenr (Schaufpieler), Action‘ (Gefecht, Treffen), Adagio 
(ein gefühlvolles, fanft zu jpielendes Tonftül), Adjutant (Hülfs⸗ 
officter), Admiral (Befehlähaber zur See), Advocat (Sad: 
Walter), Aeonen (unermeßliche Zeiträume, Ewigfeiten), Yequi« 
valent (vollgültiger Erſatz), Aera (Zeitrechnung von einem 
Punkte an), Affaire (Gefecht, Schlacht), Agent (Gefchäfts- 
beforger), Aka demie (Hochſchule), Alarm (Unruhe, Beftür: 
zung), Allianz (Bündniß), Altan (Ausbau, Söller), Am: 
bafjadeur (Gefandte), Ambition (Ehrbegierde), Amouren 
(Liebeshändel), analog iſch (nach der Achnlichkeit), Anathem 
(Bannfluch), Anatomie (Zergliederungshauß), Anekdote (neue 
od. kurze Geſchichte) anonym (namenlos, unbenamnt), Ante: 
ceffor (Vorgänger), Apologie (Bertheidigung, Schueichrift), 
apoplektiſch (Ichlagartig), Apoplerie (Schlagfluß), Apoftafie 
(Slaubendabfall), appelliren (fih auf etwas berufen), appor: 
tiren (bringen, holen), Arie (Lied), Arrangement (Anord: 
nung), Arjenal (Waffenhalle), Artitel (Glied, Theil, Ab» 
Tchnitt), Aſſemblee (vornehme Geſellſchaft), Aſyl (Hreiftatt, 
Zufluchtsort), Atheiſt (Gottesleugner), Atmoſphaͤre (Ounſt⸗ 
kreis) Attachement (Zuneigung), Attake (Angriff), Audienz 
(Gehörgebung), Avantgarde (Vortrab, Vorhut), Aventurier 
(Abenteurer, Glüdäritter). 

Bagage (Feldgepäl), balſamiſch (wohlrtechend, wohl. 
thuend), Bankett (Gaftmahl, Schmaus), Barake (elendes 


) Srembwörter, welche man in biefer Reihe vermißt, find in der allgemeinen 
alpbabetifchen Reihenfolge aufzufuchen, da De neben ber Verbeutfchung noch ander⸗ 
weitiger @rläuterung bebürfen. 


298 Fremdwörter (Baffin — Commandant). 


Haud), Baffin (ein Fünftlich angelegtes Wafferbeden), Baftei 
(Bollwerk einer Yeftung), Bataille (Schlacht), Batterie 
(Geſchũtzſtand), becomplimentiren (begrüßen), Belletrift 
(Schönichriftfteller), beftialifch (roh, viehifh), Beftte (wildes 
Thier, gemeiner, nidhtöwürdiger Menfch), bigott (frömmelnd, 
feine Andacht zur Schau tragend), Billet dour (Xiebeöbrief: 
hen), Biscuit (füßer Zwiebad), bizarr (ſeltſam, fonderbar), 
Bizarrerie (Sonderbarkeit, Wunberlichkeit), blamiren (be- 
ſchimpfen, vermehren), Blaſphemie (Gottedläfterung, Läſter⸗ 
rede), blaſphemiren (Gottesläſterungen ausſtoßen), bravv 
(vortrefflih), Bravour (Tapferkeit, Muth, Unerſchrockenheit), 
braviſſimo (ſehr gut), brutal (ungefchliffen, grob), burlest 
(iherzhaft, lächerlich). 

Sabale (geheimed Cinverftändnig, geheime Berbindung), 
Calcul (Berechnung), caleuliren (berechnen) campiren (zu 
Felde liegen), Canaille (niedriger Böbel, Lumpenhund), San: 
didat (Amtöbewerber),. cantonniren (in den Städten und 
Dörfern einer Gegend beifammen ftehen), Caper (Raubichiffer, 
Seeräuber), Capitain (Hauptmann, Rittmeifter), Capitel 
(Abfchnitt, befonderer Theil), frzſ. Chapitre (R.I,2, der rechte 
Punkt), Sarcer (Univerjitätögefängniß), Careſſe (Liebkoſung), 
carejfiren (lieblojen), Sarmen, pl. Carmina (Gelegenheit: 
gebicht, Keichengedicht), Carnation (Hleifchmalerei), Carriere 
(der volle Lauf, dad Sagen), Carriole (leichte, zweirädriges 
Fuhrwerk), Sarroffe (prächtige Kutiche, Staatöwagen), Caſus 
(Zal), Caution (Bürgichaft, Sicherheit), Selebritäten (be- 
rühmte Männer), Chapeau:ba3 (Armhut), Charade (Silben- 
räthjel), Chef (Oberhaupt, Vorgeſetzter), chemiſch (ftofflich), 
Chicane (verfänglihe Spitfindigfeit und Rechtöverdrehung), 
Clavier (Saiteninftrument mit Zaften), Slientin (Schuß: 
befohlene), Cloak (Düngergrube), Eollecte (Geldfammlung), 
eollectiv (zufammenfafjend, gemeinfhaftlih), Colonie (Pflanz: 
ftaat), Colorit (Färbung), Combination (Berfnüpfung, 
Vereinigung), Comitat (Begleitung, Gefolge) Commandant 


Fremdwörter (Gommandeur — disputiren). 299 


(Oberbefehlshaber), Sommandeur (Anführer einer Truppen: 
abtheilung), Commentation (Erklärung, Erläuterung), Com: 
merz (Handel, Verkehr), Commiſſar (Geichäftsbetrauter, Be 
vollmädhtigter), Commiſſion (Auftrag, Bollmadt), Commu— 
nication (Verbindung), Compagnie (Geſellſchaft) Complot 
(geheime Verbindung, Verfhwörnng), Compoſition (Zufam- 
menftellung), Eoncilium (berathende Berfammlung), Con: 
cordia (Eintracht, Einigkeit), Concubine (Kebsweib), Con⸗ 
natffance (Bekanntſchaft), conſecriren (weihen, einſegnen), 
Conſens (Einwilligung), conten tiren (gufriedenftellen), Conto 
(Rechnung), Contract (Bertrag), Contrebaß (große Baßgeige), 
Contraſt (Gegenſatz, Widerſtreit), contraftiren (einen Gegen: 
ſatz bilden, gegen einander abftehen), Convention Meberein⸗ 
kommen), conventionell(berfümmlidh), Convulſion (Zudung), 
Copie (Abſchrift, Nahahmung), copiren (abfchreiben), cordial 
(herzlich, vertraut), Corps od. Corpus (Heerhaufen), Cor: 
reſpondent (Briefwechöler, Gefchäftsfreund), Correfpondenz 
(Briefwedjel), corrigiren (verbejiern, berichtigen), Couplet 
(Strophe, Berd), Courage (Muth), Courir (reitender Bote), 
Gracifir (die Darftellung Chrifti am Kreuze), curios (fonder: 
bar, feltfam). 

Declariren (erflären, kund thun), Decoct (abgelochter 
Trank, Kräutertrand), Decoriren (verzieren, fhmüden), demo: 
kratiſch (volksherrſchaftlich), dem onſtriren (bemeifen), De: 
nunciation (Angabe eines Verbrechens bei der Obrigkeit), 
Depeſche (Eilbotihaft), deponiren (niederlegen, in Verwah⸗ 
rung geben), deputiren (Abgeordnete ſenden), deſperat ver⸗ 
zweifelt, hoffnungslos), Deſperation (Verzweiflung), Deſſert 
GMachtiſch), Deſſin (Zeichnung, Muſter), devot (ergeben), 
Devotion (Ehrfurcht), diaboliſch (teuflifh), Diction (die 
Sprache od. Schreibart eines Schriftſtellers), Discant (Ober- 
ftimme), Disſsciplin (Mannszucht), didcret (verſchwiegen, zu⸗ 
rüdhaltend), Discretion (kluge Zurüdhaltung, Verſchwiegen⸗ 
heit), Disgrace (Ungnade), disponiren (verfügen), disputiren 


300 Fremdwörter (Diftinetion — formiren). 


(fireiten, ftreitig machen), Diftinction (Auszeihnung), DIi- 
ftraction (Zerftreuung), diftrait (gerftreut), Diftrict (Bezirk, 
Gebiet), dociren (lehren!, Doctor (Lehrer, Arzt), Domino 
(Madfenanzug), Doſis (Gabe, Maß). 

Echauffiren (erhigen, aufbringen), Edict (landeöherrlicher 
Befehl), Eleganz (Zierlichkeit, Anmuth), empiriſch (erfab: 
rungsmäßig), enthufiaſtiſch (begeiftert, ſchwaäͤrmeriſch), Entree 
(Eintritt), Enveloppe (Frauenmantel), Edcorte (Bededung, 
- Begleitung), edcortiren (unter ficherer Bedeckung geleiten), 
Etabliffement (Stellung, Verjorgung), Etat Gerzeichniß, 
Anſchlag), Etui (Zuttera), Craltation (Begeifterung, Ueber⸗ 
ſpannung, Berzüdtheit), eraminiren (außfragen, verhören), 
Exceß (Ausfchweifung, Oewalttbätigkeit), excuſiren (entichul: 
digen), Execution (Hinrihtung), Erempel (Beifpiel, Mufter, 
Aufgabe), eremplarifch (mufterhaft, beifpielgebend, abſchreckend), 
ererciren (üben), Eril (Verbannung, Verweiſung), Eriftenz 
(Dafein, Leben, Lebensweiſe, Wejenheit), erpediren (abſenden, 
befördern), Erpertiment (Verſuch), Erplojion (Ausbruch, 
Hervorbrechen), Erpreffer (befonderer Bote), ertemporiren 
(etwad aus dem Stegreif verrihten), Ertrafall (außerordent: 
licher Fall), Ertrapoft (außerordentliche Sendung). | 

Fabel (erdichtete Erzählung), Façon (Art, Geftalt, Form), 
Faction (Partei, politiſche Meinungs-Genoſſenſchaft), Factum, 
pl. Facta (Thatſache, Handlung, Begebenheit), familiariſiren 
(ſich bekannt od. vertraut machen), Fanatismus (Glaubens: 
ſchwärmerei), fanatiſch (ſchwärmeriſch), Farce Poſſenſpiel, 
laͤcherlicher Streich), Fat (Geck, laͤppiſcher Menſch), Felouque 
(kleines Ruderſchiff), Filet (netzförmige Arbeit), Finanzrath 
(Schatzrath), fingiren (vorgeben, thun als ob ...), Finte 
(Berftelung, Lift, Schlauheit), Flambeau (Fackeh, Flatterie 
(Schmeichelei, Liebkoſung), floriren (blühen, gedeihen), Fond 
(Hintergrund der Bühne), Fontaine (Duelle, Springbrum⸗ 
nen), forciren (zwingen, nötbigen), formiren (bilden, 





Fremdwörter (Fortune — Zuftts). 301 


zufammenbringen), Yortune (Glüch, frugal (einfach, mäßtg, 
Iparlih), YZundament (Grund, Grundlage). 

Gage (Löhnung, Sold), Sala (Hoffeftlidfkeit), Galan 
(Liebhaber), Galeere (Ruderfhiff), Galerie (bebediter Gang), 
Garniſon (Bejagungdmannihaft), Gaudium (Bergnügen, 
Ergösung), Seneraliffimud (oberfter Yeldherr), geome: 
triſch (raumlich), gefticuliren (Handbewegungen oder Ge: 
berden machen), Geſtus (Bewegung, Geberde), Gondolier 
(Sondelfahrer, Gondelſchiffer), Gouverneur (ber Borgefepte 
einer Feftung ob. Befehlöhaber einer Provinz), Gouverne: 
ment (Regierung), gratis (unentgeltlih, umfonft). 

Hemifphäre (Halbkugel, Hälfte der ErdlugeD, heroiſch 
(heidenmäßig, beldenmüthig), Heroismus (Heldenmuth, Hochs 
berzigteit), hofiren (den Hof maden, jchmeidheln), Hotel (vor: 
nehmes Gaſthaus). 

Idee (Anſchauung, Vorſtellung, Entwurf), identificiren 
(zu ebendemſelben od. gleich machen), Idol (Trugbild), Illu— 
ſion (Täuſchung, falſche Einbildung), Imagination (Einbil- 
dungskraft), impertinent (unverſchäͤmt, frech), Impertinenz 
(Ungebührlichkeit, Ungezogenheit) imponiren (Eindruck machen), 
Importance (Wichtigkeit), Impromptu (ſinrreicher Einfall), 
imputabel (zurechnungsfähig), incommodiren (beläftigen), 
Independenz (Unabhängigkeit, Selbftändigkeit), Indiffe— 
renzpunkt (Scheidepunkt), indifcret (zudringlich, unbeſcheiden), 
Individuum GEinzelweſen), Individualität (Befonderheit, 
Eigenthümlichkeit), infam (ehrlos, geihändet), infernaliſch 
böltich), inquiriren (peinlich verhören), Inſtitut (Anftalt, 
beſ. in Beziehung auf ihre Einrichtung), Inſtruction (Ber: 
haltungsbefehl, ſchriftliche Dienſtanweiſung), Intereſſe (An— 
theilnehmung, Betheiligung, Verlangen). 

Jabot (Hemdkrauſe), jovialiſch (fröhlich, heiter), Jovia⸗ 
litaͤt Euſtigkeit, Frohſinn), jubiliren (jubeln, frohlocken), Ju⸗ 
rament (Eid, Eidſchwur), Juſtiz (richtende Obrigkeit, Rechts⸗ 
handhabung). 


302 Fremdwörter (Katheder — parfümiren). 


Katheder (Lehr: od. Rednerſtuhl), komiſch (ſpaßhaft, be: 
luftigend), Krife od. Kriſis (entfcheidende Wendung einer Sache). 

Laie (Nichtgeiftlicher, Weltliher), Lamento (Wehklage, 
Klagegeſchrei), Lection (Xehre, Belehrung, Unterricht, Verweis), 
Lecture (das Leſen, Belehrung aus Büchern), Legitimation 
(Beglaubigung), liberal (freifinnig, vorurtheilsfrei), Logis 
(Wohnung), Lotterie (Glädsfpiel), Louisd'or od. Louis 
(ein Goldſtück im Werthe von etwa über 5 Thaler), Iugubre 
(traurig, düfter). 

Makrone (Zudergebäd von Manvdelteig), Malice (Bo8: 
heit, Heimtüde), Mamjell, verd. für Mademoifele (Fräulein, 
Zungen), Manifest (öffentlihe Machterflärung, landesherr⸗ 
lihe Belanntmahung), Manjchette (Handkraufe, Handärmel), 
Manufeript (Handicrift), Mariage (Heirath), maſſiv (feft, 
gebiegen), Maritime (Grundſatz, Berhbaltungsmaßregel), Medicin 
(Arzeneiwiſſenſchaft, Heiltunde), Medium (das Bermittelnde, 
Hülfsmittel) Melancholie (Schwermuth, Trübfinn), Memoire 
Genkſchrift)y, Meuble (Hausgeräth), Mime (Schaufpieler), 
Monarch Alleinherrſcher, Fürſt), montiren (ausſtatten, mit 
Dienftkleidung verſehen), moquant (ſpöttiſch, höhniſch), Muß: 
kete (Soldatenflinte). 

Naiv (natürlich, unbefangen), Naivetät (natürliche Offen: 
heit, liebenswürdige Einfalt), Nation (Bolt, Völlkerſchaft), 
Naturell (natürlide Gemüthäbeichaffenheit), Neglige (Haus: 
gewand, Morgenanzug), Notiz (Bemerkung, Mittheilung). 

. Objectiv (gegenftändlih), obligiren (verbinden, ver- 
pflichten), Obligation (Verpflichtung), Obfervanz (herfümm- 
liher Gebraudy), obferviren (beobachten), Detan (Achtelform 
eined Bogend), Officier (Befehlähaber), Omen (Borbedeutung, 
Borzeihen), Dper od. Opera (Singiehaufpiel, muſikaliſches 
Drama), Opernarie (Gefangftüd einer Oper), opernhaft 
(fingfpielartig), Ordre (Befehl). 

Padet (Bündel), Padetboot (Roftihiff), Page (dienft- 
thuender Edelfnabe), parat (bereit), parfümiren (wohlriehend 


Fremdwörter (Barterre — Rene). 303 


nahen), Parterre (der untere Raum), PBarticulier (Privat 
mann), Pafſagier (Reijender, Yahrgaft), Paſſion (Keidenfchaft), 
paffiren (vorbeigehen, begegnen, hingehen, gelten, gehalten 
werden), Paftor (Seelenhirt, Pfarrer), Batient (Reidender, 
Kranker), Pauſe (Ruhepunkt, Stilftand, Schweigen), Benfton 
(Gnadengehalt, Dienftbelohnung),, Bertode (Zeitraum), Phä- 
nomen (Erſcheinung), Phlegma (Gleichgültigkeit, Trägheit), 
phyfiſch (natürlich, körperlich), Pike (Lanze, Spieß), Pilot 
(Steuermann, Rootje), Pique (Groll, Hab), Plantage (An: 
pflanzung), Pöbel (dad niedere Boll, der gemeine Haufe), 
Pocal (Becher, Kelh, Humpen), populär (gemeinverftändlic, 
leihtfaglich), Porte: Epee (Degenquafte), Bortefeuille (Brief: 
taſche, Notizbüchelchen), Portion (Antheil), Poſitives (Be: 
ſtimmtes, Zuverläffiged), Poſſeſſion (Beſitz, Belisftand), 
pouſſiren (emporbringen, befördern), Prämie (Preis, Beloh⸗ 
nung), präpariren (orbereiten), Präſent (Geſchenk), Pre— 
mierminiſter (oberſter Staatsdiener), privilegiren (ein 
Vorrecht ertheilen), Product (Erzeugniß), prognoſticiren 
(vorherſagen, vorandeuten), Promenade (Spaziergang), pro: 
meniren (fpazieren gehen), Proteſt (Widerſpruch, Zurüd: 
weilung), Proviant (Mundvporrath, Lebensmittel), pur (rein, 
unvermiſcht) Purganz (Abführungsmitteh. 

Rapport (Bericht), rar (felten, koftbar), Recept (Arzenei: 
verjchreibung), recommandiren (empfehlen), Recompend 
(Belohnung), Recrut (neugeworbener Soldat), Redoute 
(Maskenball), reformiren (umgeftalten, verbefiern), Region 
(Bezirk, Gebiet), rejiciren (verwerfen, verftoßen), Rendezvous 
(Zufammentunft, Stelldichein), Renommee (der Ruf), Repraͤ—⸗ 
fentant (Stellvertreter), repräfjentiren (vergegenwärtigen, 
Darftellen), Reputation (guter Ruf), Reſidenz (Wohnfig 
eines Fürften), refidiren (wohnen, Hof halten), Reſſort (die 
Feder), Reſſource (Hülfsquelld), Refultat (Ergebniß, Folge), 
retiriren (zurüdziehen), retour (zuräd), Revandye (Genug: 
thuung, Bergeltung, Rache), Revier (Bezirk, Umkreis), Revue 


304 Freude. 


(Heerihau, Mufterung), Rivalität (Wettftreit, Wetteifer), 
robuft (ſtark, kräftig). 

Salutiren (militärifch begrüßen), balsiven (ſich ficher 
ftellen), Scholaren (Schüler), Secretair (Geheimjchreiber), 
Sergeant (Polizeidiener), ſerviren (auftragen), Sottife 
(Grobheit, Beleidigung), Souper (Abendefien), Spton (Späher, 
Kundihafter), Spital (Krankenhaus), Statue (Bildfäule), 
Statur (Reibesgeftalt, Wuchs), Suada (Beredjamfeit, Rede- 
fiuß), Subaltern (Unterbeamter, Unterbefehlöhaber), Succeß 
(Srfolg, Slüd), Succurs (Hülfs- od. Verſtaͤrkungsmannſchaften), 
fuperb (prächtig), Supplicant (Bittfteller), Supplicantin 
(die Bittende). 

Tabatiere (Schnupftabalsdofe), Tableau (Gemälde, 
Bild), Tabouret (Seffel ohne Lehne), Tare (feftgefebter Preis), 
Termin (beftimmter Zeitpunkt), Terzerol (Taſchenpiſtole), 
Teſtimonium (Zeugniß), Transport (Sendung), Treifen 
(geflochtene Borten), Trupp (der Haufe, die Schaan), Tubus 
Gernrohr). 

Uhlan Canzenreiter), unfrankirt (nicht frei gemacht), 
Uniform Gienſtkleidung der Soldaten). 

Vacant (erledigt, unbeſetzt), Viſite Geſuch), viſitiren 
(unterſuchen, befichtigen), Vivat (es lebe, das Lebehoch). 


Freude, An die (Ged.). Nachdem Sch. ein Jahr lang 
von Iyriihen Schöpfungen gerubt, trat er im Jahre 1785 mit 
dieſem begetfterten  Hymmud hervor. Der Anlaß dazu mag in 
dem anregenden und belebenden Umgange zu fjuchen fein, den 
er in Leipzig mit Körmer (dem Vater des bekannten Dichters) 
und andern befreundeten Perjonen fand. Mit diefem weltbes 
kannten Gedichte beginnt Sch.'s zweite Periode; und wenn ed 
auch bier noch oft genug jugendlich überjprudelt, fo iſt doch 
eine größere Befonnenheit und maßvollere Haltung nicht zu 
verkennen. Durch die äußere Einrichtung, zufolge welcher 
nad) jeder achtzeiligen Strophe der Chor mit einer vierzeiltgen 


u 


Freude — Freunde. 305 


einfällt, hat ed den Charakter eined Geſellſchaftsliedes erhalten 
and ift als ſolches in fröhlich-ernften Kreiſen oft gefungen wor: 
ten. Der Chor jelbit übt eine ähnliche Wirkung aus wie ber 
in der antifen Tragödie, indem er die Empfindungen der vor: 
angegangenen Strophe in gefteigertem Maße wiederholt und bie 
Geſellſchaft auf den Fittigen ded Gefanges zu dem höchften 
Weſen emporträgt. Die befannteften Compofltionen diefed Lie: 
des find die von Zelter und Zumfteeg. 


Freude, Gott der (Picc. III, 9). Vielleicht dachte Sch. 
an Me berühmte Scene, in der Alerander der Große und feine 
Freunde nach einem wilden Trinfgelage Perfepolid in Brand 
geitedt haben follen. 

Sreudebringer, |. Bacchus. 


Freund und Feind (Ged.), ein Epigramm aus bem Sabre 
1796. Der Freund macht und auf das aufmerffam, was wir 
leiften, und kann und durch ein anerkennendes Wort zum Weiter⸗ 
ftreben ermuthigen; der Yeind dagegen, bejonderd der ald Recen- 
jent auftretende, zeigt und das Ideal, nad dem wir hätten 
ftreben jollen. 


Freunde, Einem jungen, ald er ſich der Weltweisheit 
widmete. (Ged.) Ein Gelegenheitägedicht aus dem Jahre 1795. 
Wie bei den Eleuſiniſchen Myſterien (vergl. Eleufis) den Ein- 
zuweihenden furdhtbare Schredbilder ded Tartarus vorgeführt 
wurden, ehe fie bie entzlidenden Bilder zu fchauen bekamen, 
deren Inhalt fie nie enthüllen durften: eben jo bezeichnet der 
Dichter den Weg durch die philojophiihen Studien ald eine 
dornenvolle Bahn, während „der Führer im eigenen Buſen“ 
und leichter und ficherer zu leiten im Stande fei. 


Freunde, Einem, ind Stammbuch (Ged.), ein Epigramm 
aus dem Sahre 1805; es foll dad Iepte kleinere Gedicht fein, 
welches Sch. geſchrieben. Verwandte Gedanken finden fi in 
dem Gedichte: „Die Künftler” und am Schluß ded „Spaster- 
ganges“. 

I. 20 


294 Freiheit — Freimäurer. 


Schwärmer, und er verließ es als Zweifler, und zulept als ein 
ausgemachter Freigeiſt.“ Ein ſolcher betrachtet den Glauben 
der Völker als Aberglauben und erkennt nur ſeine Vernunft als 
oberſten Richter über ſeine Glaubensanſichten an; daher ſagt 
Marquis Poſa (D. C. III, 10) von Gott: 
Beſcheiden 

Verhüllt er fich in ewige Geſetze! 

Die fieht der Freigeiſt, doch nicht ihn. Wozu 

Ein Gott? ſagt er: Die Welt iſt ſich genug! 

Und keines Chriften Andacht bat ihn mehr 

Als dieſes Freigeiſt's Läſterung gepriejen." 

Freiheit, Die idealiſche (Ged.; nur in der Octavausgabe 
unter den Votivtafeln), ein Epigramm aus dem Jahre 1795. 
Es weiſt uns darauf hin, daß die Erhebung zum Idealen uns 
in ein Reich der Freiheit verſetzt, das jenſeit der irdiſchen Schran⸗ 
ken zu ſuchen iſt. Wer in dieſem Reiche der Freiheit lebt, den 
kann der Tod nicht ſchrecken. 


Freiheitsbriefe (W. T. III, 3). Ihnen zufolge durfte kein 
Gefangener außer Landes geführt werden. 

Freimäurer (Gſtſ. 10, 129), gem. Freimaurer (in ber 
Dctavs Ausgabe Mason), eine Geſellſchaft von Männern, welche 
den verſchiedenſten Ständen und Religionen angehören und in 
abgejonderten Berfammlungen, Logen (Gſtſ. 10, 171) genamnt, 
eine geheime Kunft üben, die fie bildlich Yyreimaurerei nennen. 
Ihr Uriprung, den Manche aus dem grauen Alterthum glaubten 
herleiten zu müffen, ift in Baucorporationen des Mittelalterd zu 
ſuchen, bie unter Meiftern von hervorragender Bildung ftanden 
und, durch Syreiheitäbriefe der weltlichen wie der geiftlichen 
Macht geſchützt, fich für jeden großen Bau eine befondere Ver⸗ 
faflung gaben. Ihnen verdanken wir die Entftehung ber herrlichen 
gothiichen Bauwerke, die fi) vorherrſchend in Deutjchland und 
den anftoßenden Ländern finden. Gegenwärtig bat ſich der 
Srelmaurerorden über die ganze Erde audgebreitet, jo weit 
europäiſche Bildung reiht. Neben geheim gehaltenen Erken⸗ 





Fremdlinge — Fremdwörter. 295 


nungszeichen und Gebräuchen ift die höhere geiftige und fittliche 
Ausbilpung der Menjchheit der eigentliche Zweck dieſer Geſell⸗ 
haft, den fie durch fittlihen Wandel, religiöje Duldung und 
Mebung von Wohlthaten zu verwirklichen ftrebt. 


Fremdlinge (W. T. II, 1), die fremden Ritter, die fih an 
den Höfen der Landvõgte aufbielten. 


Fremdwörter. Es giebt, wie feinen Menſchen und kein 
Bolt, jo auch Feine Sprache, die fich jelbit genügte, und fo be: 
Halten denn die meiften Sprachen für Begriffe, die ihnen aus 
der Fremde zugelommen find, größtentheild auch die fremde Be: 
zeichnung bei. Der Einführung folder Säfte find aber aud 
andere weniger natürliche Umftände günftig, fo z. B. das Streben 
der höheren Stände, durch derartige Beimifchung ihrer Ausdrucks⸗ 
weife ein vornehmered Ausſehen zu geben (ſ. Franzöfiſch und in 
Kabale und Liebe den Präfidenten und den Herrn von Kalb). 
Auch kann es gefchehen, daß ein Boll von wenig vorgejchrittener 
geiftiger ober auch nur gejellichaftliher Bildung zahlreiche fremde 
Bezeihnungen von einem begünftigteren Nachbarvolke annimmt. 
Endlih Tann auch einer Nation der eigenthümliche Trieb ein- 
wohnen, felbft zum Schaden des eigenen Gutes, dem fremden 
anter fi eine Stätte zu bereiten. Alle dieſe Gründe haben 
darauf gewirkt, Die deutſche Sprade — abgejehen von der 
wiffenjchaftlichen Terminologie, die allen gebildeteren Böllern 
Europa's gemeinſam ift — mit zahllofen Fremdwörtern in der 
That zu verunftalten. Unſer Feind iſt beſonders das Franzö— 
fiſche geweſen, welches ſchon im 17ten Jahrhundert anfing, in 
Deutſchland ſehr in Aufnahme zu kommen, im 18ten aber bie 
Sprache der Diplomatie, der Höfe, des Abeld und jelbft viel: 
facher Schriftftellerei wurde, jo daß es neben der franzöfifchen 
Literatur in Frankreich beinahe eine joldhe in unferem Vaterlande 
gab. Leibnitz, Friedrich der Große und Alerander von Humboldt 
Fönnten andy unter den franzöſiſchen Klaffilern aufgezählt 
werden. Den König ſpricht dabei das überwältigende Beifpiel 


296 Yrembwörter. 


der ganzen gebildeten Welt von jedem Borwurfe frei. Bir 
wifien, wie Leifing alle ſolche Tendenzen befämpft bat, aber 
gerade ein Blid in feine Werke zeigt, wie tief die fr. Lit. in 
Blut und Leben des beutfchen Volles eingedrungen war. Erſt 
klaſſiſche Schriftfteller in der eigenen Sprache konnten und der 
Befreiung entgegenführen. Es fei erwähnt, daß die „gute alte 
Zeit” des Mittelalters in dieſer Beziehung durchaus feinen Vorzug 
hatte. Theilweiſe bat 3. Grimm den Gegenstand in feiner Schrift 
„Ueber da8 Pedantifche in der deutihen Sprache” (Kleine Schrif⸗ 
ten I, p. 327) behandelt. Weiteres fiehe in den anziehenden Pro: 
grammen: „BZujammenftellung der Fremdwörter ded Alt: umd 
Mittelhochdeutichen von W. Wendler, Zwidau 1865." „Die 
franzöftihen Yremdwörter in unferm heutigen Berlehr von Lau⸗ 
bert, Danzig 1866.” „Ueber ben Kampf der deutſchen Sprache 
gegen fremde Elemente von 2. Schacht, Elberfeld 1866.” 

Sch. bat, wie dad nachftehende Verzeichniß zeigt, nicht nur 
eine bedeutende Anzahl fremder Wörter, fondern es finden ſich 
bei ihm aud) (j. Sprache) eine nicht unbedeutende Anzahl fran- 
zöſiſcher Ipntaktifcher Wendungen. Seine Profa ift die Klare, 
Durchfichtige de ganzen 18ten Jahrhunderts, von der man wohl 
jagen kann, daß fie fich nach der franzöftichen gebildet hat. Man 
beobashte in diejer Beziehung befonderd den , Geiſterſeher“. Auch 
SH. hatte anfangs dad auch in unferer Zeit jo ftart, felbft 
barod, dann aber mit vernünftiger Mäßigung aufgetretene, jehr' 
empfehlenswerthe Streben, die Sprache wieder zu reinigen. So 
fagt er (Sp. d. Sch.): „Auflümmling“ für parvenu, ebenbafelbft 
„Ring des Vergnügens“ für gefellige Zirkel, (V. a. v. E.) 
„Leicheneröffnung des Laſters“ für Section, im Geifterfeher 
„Gemüthslage“ für Dispofitton (f. d.), „fachen” (R. II, 8) für 
clajfifieiren. Später jedoch bat er fi allein von dem guten 
Geihmad leiten laſſen und in dieſer Beziehung Goethe's An⸗ 
fiht gehuldigt, welcher gelegentlich jagt: „Ich habe im Leben 
und Umgang mehr ald einmal die Erfahrung gemacht, daß es 
eigentlich geiftlofe Menſchen find, welche auf Die Spracdreinigung 


y ann 


Sremdwörter (abonniren — Barafe). 297 


mit zu großem Eifer dringen.” — Wir lafſſen nachftehend bie bei 
Sch. vorfommenden Fremdwörter in alphabetifcher Reihe”) folgen: 

abonniren (voraudbezahlen), abortiren (zur Unzeit ge- 
bären), abſo lut (unbedingt), abfolviren (freiipredhen), Acciſe 
(Steueramt), aeccompagniren (begleiten), Act (That, Aufzug 
in einem Scaufpiel), Acten (Scriftftüde der Behörden), 
Acteur (Schaufpieler), Action’ (Gefecht, Treffen), Adagio 
(ein gefühlvolles, fanft zu ſpielendes Tonftäd), Adjutant (Hälfe- 
officter), Admiral (Befehlähaber zur See), Advocat (Sad: 
Walter), Aeonen (unermeßliche Zeiträume, Ewigfeiten), Aequi:» 
valent (vollgültiger Erſatz), Aera (Zeitrechnung von einem 
Punkte an), Affaire (Gefeht, Schladt), Agent (Geſchäfts⸗ 
beforger), Akademie (Hochſchule), Alarm (Unruhe, Beftür: 
zung), Allianz (Bündniß), Altan (Ausbau, Söller), Am- 
bafjadenr (Geſandte), Ambitton (Ehrbegierde), Amouren 
(Liebeöhändel), analogijch (nach der Achnlichkeit), Anathem 
(Bannflub), Anatomie (Zergliederungshaus), Anekdote (neue 
od. Kurze Geſchichte) anonym (namenlos, unbenamnt), Ante⸗ 
ceffor (Borgänger), Apologie (Vertheidigung, Schutzſchrift), 
apoplektiſch (ſchlagartig) Apoplerie (Schlagfluß), Apoftajie 
(Slaubensabfall), appelliren (ſich auf etwas berufen), appor: 
tiren (bringen, holen), Arte (Lied), Arrangement (Anord: ' 
nung), Arfenal (Waffenhalle), Artikel (Glied, Theil, Ab» 
ſchnitt), Affemblee (vornehme Geſellſchaft), Aſyl (Hreiftatt, 
Zufludtsort), Atheift (Gottesleugner), Atmofphäre (Dunft- 
kreis), Attahement (Zuneigung), Attake (Angriff), Audienz 
(Sehörgebung), Avantgarde (Vortrab, Vorhut), Aventurier 
(Abenteurer, Glüdßritter). 

Bagage (Feldgepäd), balſamiſch (wohlriechend, wohle 
timend), Bankett (Gaftmahl, Schmaus), Baruke (elendes 


) Srembwörter, melde man in biefer Reihe vermißt, find in der allgemeinen 
alphabettihen Reihenfolge aufzuſuchen, da re neben der Verdeutſchung noch anber- 
mweitiger Erläuterung bebürfen. 


298 Fremdwörter (Baffin — Gommandant). 


Haus), Baſſin (ein künſtlich angelegted MWafferbeden), Baftei 
(Bollwerk einer Feftung), Bataille (Schlacht), Batterie 
(Geihüsftand), becomplimentiren (begrüßen), Belletrifl 
(Schönfchriftfteller), beftialifch (roh, viehtfh), Beftie (wildes 
hier, gemeiner, nichtöwürdiger Menfch), bigott (frömmelnd, 
feine Andacht zur Schau tragend), Billet doux (Liebeöbrief: 
hen), Biscuit (jüßer Zwiebad), bizarr (feltfam, fonderbar), 
Bizarrerie (Sonderbarleit, Wunberlichkeit), blamiren (be- 
ſchimpfen, verunehren), Blaſphemie (Gottesläfterung, Läfter: 
rede), blajphemiren (Gottedläfterungen ausftoßen), bravv 
(vortrefflih), Bravour (Tapferkeit, Muth, Unerjchrodenheit), 
braviſſimo (ſehr gut), brutal (ungeichliffen, grob), burlest 
ſcherzhaft, lächerlich). 

Cabale (geheimed Einverftändnig, geheime Verbindung), 
Calecul (Berechnung), caleuliren (berechnen) campiren (zu 
Felde liegen), Canaille (niedriger Pobel, Lumpenhund), Gan- 
didat (Amtäbewerber),. cantonniren (in den Städten und 
Dörfern einer Gegend beijammen ftehen), Caper (Raubichiffer, 
Seeräuber), Bapitain (Hauptmann, NRittmeifter), Sapitel 
(Abfchnitt, befonderer Theil), frzſ. Chapitre (R.I,2, der rechte 
Punkt), Sarcer (Univerjitätögefängniß), Careſſe (Lieblofung), 
careffiren (liebkoſen), Carmen, pl. Carmina (Gelegenheit: 
gedicht, Leichengedicht), Carnation (Yleifchmalerei), Carriere 
(der volle Lauf, dad Sagen), Sarriole (leichtes, zweirädriges 
Fuhrwerk), Carroſſe (prächtige Kutiche, Staatöwagen), Caſus 
(Fall), Caution (Bürgichaft, Sicherheit), Celebritäten (be- 
rühmte Männer), Chapeau:bad (Armhut), Charade (Silben- 
räthjel), Chef (Oberhaupt, Vorgeſetzter), chemiſch (ftofflich), 
Chicane (verfänglihe Spiefindigfeit und Rechtsverdrehung), 
Clavier (Saiteninftrument mit Taften), Elientin (Schup- 
befohlene), Cloak (Düngergrube), Sollecte (Geldſammlung), 
eollectiv (zufammenfaffend, gemeinfchaftlich), Colonie (Pflanz- 
ftaat), Colorit (Yarbung), Sombination GVerknũpfung, 
Bereinigung), Comitat (Begleitung, Gefolge), Commandant 


Fremdwörter (Commandeur — biöputiren). 299 


(Oberbefehlshaber), Sommandeur (Anführer einer Truppen: 
abtheilung), Commentation (Erklärung, Erläuterung), Com: 
merz (Handel, Verkehr), Commiſſar (Gejchäftöbetrauter, Be- 
volmädhtigter), Commiſſion (Auftrag, Vollmacht) Sommu: 
nication (Verbindung), Compagnie (Gejellichaft), Complot 
(geheime Verbindung, Verſchwörnng), Compoſition (Zufam- 
menftellung), Concilium (berathende Berfammlung), Eon: 
cordia (Eintradht, Einigkeit), Soncubine (Kebsweib), Son: 
natjfance (Belanntihaft), confecriren (weihen, einfegnen), 
Conſens (Einwilligung), conten tir en (zufriedenftellen), Conto 
(Rechnung), Contract (Vertrag), Contrebaß (große Baßgeige), 
Eontraft (Gegenſatz, Widerſtreit), contraftiren (einen Gegen— 
ſatz bilden, gegen einander abſtechen), Convention (Aeberein⸗ 
kommen), conventionell (herköõmmlich), Convulſion (Zudung), 
Copie (Abſchrift, Nachahmung), copiren (abſchreiben), cordial 
(herzlich, vertraut), Corps od. Corpus (Heerhaufen), Cor⸗ 
reſpondent (Briefwechsler, Geſchäftsfreund), Correſpondenz 
Briefwechſel), corrigiren (verbeſſern, berichtigen), Couplet 
(Strophe, Vers) Courage (Muth), Courir (reitender Bote), 
Erncifir (die Darftelung Ehrifti am Kreuze), curiod (jonder: 
bar, jeltfam). 

Declariren (erflären, kund thun), Decoct (abgelochter 
Trank, Kräutertrand), dec oriren (verzieren, ſchmuͤcken), demo: 
kratiſch (volfäherrfchaftlih), Demonftriren (beweifen), De: 
nunciation (Angabe eined Verbrechens bei der Obrigkeit), 
Depeſche (Eilbotihaft), Deponiren (nieberlegen, in Berwah: 
rung geben), deputiren (Abgeorbnete jenden), deſperat (ver: 
zweifelt, hoffnungslos), Deiperation (Verzweiflung), Deſſert 
Naht), Deffin (Zeichnung, Mujter), devot (ergeben), 
Devotton (Ehrfurcht), diabolifch (teuffiih), Diction (die 
Sprade od. Schreibart eines Schriftftellerd), Discant (Ober: 
ftimme), Disciplin (Mannszucht), dis cret (verjchwiegen, zu- 
rüdhaltend), Didcretion (Muge Zurüdhaltung, Verſchwiegen⸗ 
heit), Disgrace (Ungnade), disponiren (verfügen), disputiren 


302 Aremdwörter (Katheder — parfümiren). 


Katheder (Lehr: od. Rednerftuhl), komiſch (ſpaßhaft, be 
Iuftigend), Krije od. Krifis (entjcheidende Wendung einer Sache). 

Laie (Nichtgeiftlicher, Weltliher), Lamento (Wehklage, 
Klagegeichrei), Lection (Lehre, Belehrung, Unterricht, Verweis), 
Lecture (dad Leſen, Belehrung aus Büchern), Yegitimation 
(Beglaubigung), liberal (freifinnig, vorurtbeiläfret), Logis 
(Wohnung), Lotterie (Glädsfpiel), Louisd'or od. Louis 
(ein Goldftüd im Werthe von etwas über 5 Thaler), Iugubre 
(traurig, düfter). 

Makrone (Zudergebäd von Mandelteig), Malice (Bo8- 
heit, Heimtüde), Mamfell, verd. für Mademoifelle (Fräulein, 
Jungfer), Manifest (öffentlihe Machterflärung, landesherr: 
liche Bekanntmachung), Manſchette (Handkraufe, Handärmel), 
Manuſcript (andſchrift), Mariage (Heirath), maſſiv (feſt, 
gediegen), Maxime (Grundſatz, Verhaltungsmaßregel), Medicin 
(Arzeneiwiſſenſchaft, Heilkunde), Medium (dad Vermittelnde, 
Hülfsmittel) Melancholie (Schwermuth, Trübſinn), Memoire 
*(Dentichrift), Meuble (Hausgeräth), Mime (Schaufpieler), 
Monarch (Mleinherrfcher, Fürft), montiren (ausftatten, mit 
Dienftkleidung verſehen) moquant (ſpöttiſch, höhniſch) Mus— 
kete (Soldatenflinte). 

Naiv (natürlich, unbefangen), Naivetät (natürliche Offen— 
beit, liebenswürdige Einfall), Nation (Bolt, Völkerſchaft), 
Naturell (natürlide Gemüthöbeichaffenheit), Neglige (Haus: 
gewand, Morgenanzug), Notiz (Bemerkung, Mittheilung). 

.Obiectiv (gegenftändiih), obligiren (verbinden, ver: 
pflichten) Obligation (Verpflichtung), Obfervanz (herfümm- 
licher Gebrauch), obſerviren (beobachten) Octav (Achtelform 
eines Bogens), Officier (Befehlshaber), Omen (VBorbedentung, 
Vorzeichen), Oper od. Opera (Singichaufpiel, muſikaliſches 
Drama), Opernarie (Geſangſtück einer Oper), opernhaft 
(fingfpielartig), Ordre Gefehl). 

Packet (Bündel, Packetboot GPoſtſchiff), Page (dienft: 
thuender Edelknabe), parat (bereit), parfümiren (wohlriechend 


Fremdwörter (PBarterre — Revne). 303 


nahen), Parterre (der untere Raum), PBarticulier (Privat 
mann), Batjagier (Reifender, Yahrgaft), Paſſion (Reidenfchaft), 
paſſiren (vorbeigehen, begegnen, hingehen, gelten, gehalten 
| werden), Paſtor (Seelenhirt, Pfarrer), Batient (Leidender, 
Kranker), Pauſe (Ruhepuntt, Stilftand, Schweigen), Benfion 
(Gnadengehalt, Dienftbelobnung), Periode (Zeitraum), Ph&: 
nomen (Erfcheinung), Phlegma (Gleihgültigfeit, Trägheit), 
phyſiſch (natürlich, Törperlih), Pike (Lanze, Spieß), Pilot 
(Steuermann, Lootſe), Pique (Groll, Hab), Plantage (Ans 
pflanzung), Pöbel (daB niedere Boll, der gemeine Haufe), 
Vocal (Becher, Kelch, Humpen), populär (gemeinverftändlich, 
leihtfaplih), Porte: Epee (Degenquafte), Portefeutlle (Brief: 
taſche, Notizbüchelchen), Portion (Antheil), Pofitives (Be: 
ſtimmtes, Zuverläffiged), Poſſeſſion (Beſitz, Beligftand), 
pouffiren (emporbringen, befördern), Prämie (Preis, Beloh— 
nung), präpariren (vorbereiten), Präſent (Geſchenk), Pre: 
mierminifter (oberfter Staatödiener), privilegiren (ein 
Borredyt ertheilen), Product (Erzeugniß), prognofticiren 
(vorherſagen, vorandeuten), Promenade (Spaziergang), pro: 
meniren (jpazieren gehen), Proteſt (Widerſpruch, Zuräd: 
wetfung), Proviant (Mundvorrath, Lebendmittel), pur (rein, 
unvermiſcht) Burganz (Abführungsmittel). 
| Rapport (Beridt), rar (jelten, koftbar), Necept (Arzenei: 
verſchreibung), recommanbdiren (empfehlen), Recompens 
ı (Belohnung), Recrut (neugeworbener Soldat), Redoute 
(Maskenball), reformiren (umgeftalten, verbefiern), Region 
(Bezirk, Gebiet), rejiciren (verwerfen, verftoßen), Rendezvous 
(Zuſammenkunft, Stelldiein), Renommee (der Ruf), Reprä- 
fentant (Stellvertreter), repräfentiren (vergegenwärtigen, 
Darftellen), Reputation (guter Ruf), Reſidenz (MWohnfig 
eined Fürften), refidiren (wohnen, Hof halten), Reſſort (die 
Feder), Rejjource (Hülfäquelle), Reſultat (Ergebniß, Yolge), 
retiriren (zurüdziehen), retour (zurüch), Revanche (Genug: 
thuung, Bergeltung, Race), Revier (Bezirk, Umkreis), Revue 


304 : Freude. 


(Heerihan, Mufterung), Rivalität (Wettftreit, Wetteifer), 
robuft (ſtark, Eräftig). 

Salutiren (militärifch begrüßen), — (ſich ſicher 
ftellen), Scholaren (Schüler), Secretair (Geheimſchreiber) 
Sergeant (Bolizeidiener), ſerviren (auftragen), Sottife 
(Grobheit, Beleidigung), Souper (Abendefien), Spion (Späber, 
Kundſchafter), Spital (Krankenhaus), Statue (Bildfäule), 
Statur (Reibesgeftalt, Wuchs), Suada (Beredjamfeit, Rede: 
fiuß), Subaltern (Unterbeamter, Unterbefehlähaber), Succeß 
(Srfolg, Slüd), Succurs (Hülfs- od. Verſtaͤrkungsmannſchaften), 
fuperb (prächtig), Supplicant (Bittfteller), Supplicantin 
(die Bittende). 

Tabattere (Schnupftabaldofe), Tableau (Gemälde, 
Bild), Tab ouret (Seffel ohne Lehne), Tare (feſtgeſetzter Preis), 
Termin (beſtimmter Zeitpunkt), Terzerol (Taſchenpiſtole), 
Teſtimonium (Zeugniß), Transport (Sendung), Treſſen 
(geflochtene Borten) Trupp (der Haufe, die Schaar), Tubus 
(Fernrohr). 

Uhlan (Lanzenreiter), unfrantirt (nicht frei gemacht), 
Untform (Dienftkleidung der Soldaten). 

Bacant (erledigt, unbeſetzt), Btfite Geſuch), vijttiren 
(unterfuchen, befichtigen), Bivat (ed lebe, dad Lebehodh). 


Freude, An die (Ged.). Nachdem Sch. ein Jahr lang 
von Inriihen Schöpfungen gerubt, trat er im Sahre 1785 mit 
diefem begeifterten  Hymnmus hervor. Der Anla dazu mag in 
dem anregenden und belebenden Umgange zu fuchen fein, den 
er in Leipzig mit Körner (dem Vater des befannten Dichters) 
und andern befreundeten Berjonen fand. Mit diefem weltbes 
tannten Gedichte beginnt Sch.'s zweite Periode; und wenn es 
auch bier noch oft genug jugendlich überfprubelt, jo tft doch 
eine größere Befonnenheit und maßvollere Haltung nicht zu 
verkennen. Durch die Außere Einrichtung, zufolge welcher 
nach jeber achtzeiligen Strophe der Chor mit eimer vierzeiligen 


Freude — Freunde. 305 


einfällt, bat es den Charakter eines Geſellſchaftsliedes erhalten 
und iſt als ſolches in fröhlich:ernften Kreifen oft gefungen wor: 
ben. Der Chor jelbit übt eine ähnliche Wirkung aus wie der 
in ber antifen Zragödie, indem er die Empfindungen ber vor: 
angegangenen Strophe in gefteigertem Maße wieberholt und bie 
Geſellſchaft auf den Fittigen des Gefanges zu dem höchften 
Weſen emporträgt. Die befannteften Gompofitionen diefed Lie: 
des find Die von Zelter und Zumfteeg. 


Freude, Gott der (Picc. III, 9. Vielleicht dachte Sch. 
an Die berühmte Scene, in der Alerander der Große und feine 
Freunde nad) einem wilden Trinfgelage Perfepolid in Brand 
geftedt haben jollen. 

Sreudebringer, |. Bacchus. 

Freund und Feind (Ged.), ein Epigramm aus dem Jahre 
1796. Der Freund macht und auf das aufmerffam, was wir 
leiften, und kann und durch ein anerkennendes Wort zum Weiter: 
ftreben ermuthigen; der Yeind dagegen, beſonders der ald Necen: 
jent auftretende, zeigt und das Ideal, nad) dem wir hätten 
ftreben follen. 

Freunde, Einem jungen, als er fih der Weltweisheit 
widmete. (Ged.) Ein Gelegenbeitögedicht aus dem Jahre 1795. 
Wie bei den Eleufinifhen Myfterien (vergl. Eleuſis) den Ein: 
zuweihenden furchtbare Schredbilder ded Xartarud vorgeführt 
wurden, ehe fie bie entzüdenden Bilder zu fchauen bekamen, 
deren Snhalt fie nie enthüllen durften: eben fo bezeichnet der 
Dichter den Weg durch die philojophiichen Studien als eine 
bornenvolle Bahn, während „der Führer im eigenen Buſen“ 
und leichter und ficherer zu leiten im Stande fet. 

Freunde, Einem, ins Stammbuch (Bed.), ein Epigramm 
aus dem Jahre 1805; es fol das letzte Meinere Gedicht fein, 
welches Sch. geichrieben. Verwandte Gedanken finden fi in 
dem Gedichte: „Die Künftler” und am Schluß ded „Spazier⸗ 
ganges“. 

J. 20 


306 Freunde — Freundſchaft. 


Freunde, An die (Ged.). Ein Gedicht aus dem Anfange 
des Jahres 1802, welches zugleich mit den „vier Weltaltern” 
an Körner gefandt wurde, um von bemfelben componirt zu 
werden. Es ftellt dad Leben zu Weimar mit den großen Welt: 
verbältnifien, mit andern Zeiten, andern Gegenden zuſammen, 
legt aber zugleich den Maßſtab des Spealen an daflelbe, der auf 
das hinbeutet, was einen bleibenden Werth hat. Sn den ſechs 
erften Berjen jeder Strophe tritt die Anerkennung und Bewun- 
derung bed Fremden und Yernliegenden in ben Vordergrund, 
während in den vier eingerüdten Schlußverfen ſich die behag⸗ 
liche Zufriedenheit mit dem befchiebenen Looſe außipricht. 


Freundin, Einer jungen, ind Stammbuch (Geb.). Nach 
Hoffmeiſter's Anficht jollen diefe Strophen an Sch.'s nachmalige 
Gattin, Charlotte von Lengefeld, gerichtet worden fein, als fie 
nach einem Aufenthalte an dem Hofe zu Weimar nad Rudol: 
ftabt zurüdfehrte.e Hieraus erflärt fih Manches, was man 
unter anderen Berhältniffen einem jungen Mädchen wohl nicht 
leicht in’d Stammbuch jchreiben würde. In einem Billet von 
Sch., dad ohne Zweifel an Ch. v. 8. gerichtet war, fpridht er 
ganz verwandte Anfichten aus. Vergl. Viehoff, Sch.'s Gedichte 
I, ©. 368. — ©. Schwab (Sch. Leben, ©. 295) Tann fidh der 
zweiten Strophe wegen, die auf die janfte Charlotte keinesweges 
paßt, der Anficht Hoffmeifter’3 nicht anjchließen. 


Freundſchaft, Die (Geb.). Der Zufab, welcher der Weber: 
fchrift beigefügt tft, macht den Lefer damit befannt, daß Sc. 
die Abficht hatte, einen Roman zu ſchreiben. Derſelbe follte 
„anf gewiſſe Perioden der erwachenden und fortfchreitenden Ber: 
nunft aufmerffam machen, gewifie Wahrheiten und Irrthümer 
berichtigen, welde fih an die Moralität anfchließen und eine 
Quelle von Slüdfeligleit und Elend fein können.” Bon den 
Briefen, welche den Roman bilden follten, tft nur der Anfang 
befannt geworden. In einem Abjchnitt, Liebe betitelt, finden 
fih Strophe 3—7, in dem andern, Gott überjchrieben, die 


Friaul — Friedland. - 307 


higenden Strophen des vorliegenden Gedichte. — Str. 1: Die 
Seinmeifterifchen Denker mögen ſich jhämen, daß fie für jebe 
Eriheimmg nad einem Geſetze ſuchen, während doch ein ein- 
heitliches Geſetz dad ganze Weltall regiert. — Str. 1, 3.6 bezieht 
ih auf Körperweltgewühle, da Newton (ſ. d.) ein allgemeines 
Geſetz über die Bewegung der Hinmeldlörper aufftellte, nämlich 
das Gravitationsgeſetz. — Str. 2: Das Herz des großen Welten: 
raunmeß ift die von Sch. geahnte, von den Aftronomen der Gegen: 
wart in der Alcyone der Plejaden vermuthete Centralſonne. — 
Str.9, B.2: Mongolen heißt fo viel ald Barbaren, wie auch in 
den Briefen felbft fteht. 

Friaul. Die ehemalige Mark Friaul im norböftlichen 
Stalien gehört jegt theild dem Gubernium Trieſt, theils jeit 
1866 dem Königreiche Italien an. „Der Krieg von Yriaul“ 
(Bft. T. V,4) fand unter der Regierung des Kaiſers Matthias 
(1612—1619) tm Sabre 1617 ftatt. Es war ein Streit zwifchen 
dem Erzherzoge Ferdinand (nachmals Kaifer Ferdinand II, 1619 
bis 1637) von Steiermark und der Republif Venedig mudgebro: 
chen, der zu ernften Kämpfen führte, wobei Wallenftein dem 
Herzoge 200 Heiter zuführte, die er ſechs Monate lang auf 
eigene Koften unterhielt. Nah Wien zurüdgefehrt, erhob ihn 
Matthias in den Grafenftand, machte ihn zum NReiteroberften 
und zum Kämmerer und legte fo ben Grund zu feiner jpäteren 
Laufbahn. 

Friede (Wſt. L. Prolog). Der weitphältiche Friede, wel: 
cher im Jahre 1648 bie Verhältnifie Europa's nach dreißig 
fchweren Krlegsjahren ordnete, hatte im Großen und Ganzen 
bis zur franzöfiihen Revolution Beftand, in deren Gefolge die 
alten Formen zufammenftürzten. „Wallenftein’d Lager“ und 
„Die Biccolomini” erfchienen gerade 150 Jahr nad bdiefem 
Frieden (1798). 

Friedland (Picc. IU, 4), böhmtiche Stadt unmeit ber: ſäch⸗ 
ſiſchen und fchlefiichen Grenze; Wallenftein führte davon den 
Herzogstitel. 

20* 


308 Friedrich, Kaiſer — Friedrich V. 


Friedrich, Kaiſer (W. T. II, 2). Das Helvetiiche Land, 
welches 1097 von Kaifer Heinrich IV. dem Herzoge Bertholb 
von Zähringen verliehen worden war, kam beim Erlöfchen die 
ſes Haufe (1218) unmittelbar unter dad Reich; ed war zum 
Zeit Kaiſer Friedrih’8 IL. (1215 —1250), des geiſtvollſten und 
hochherzigften unter den Hohenftaufen. In dem von ihm 1240 
vor Faenza (ſ. Favenz) ausgeftellten Brief heißt ed: „Freiwillig 
. babt ihr Unfere und des Reiches Oberherrſchaft erwählt.” 


Friedrich V., Kurfürft von der Pfalz und König von 
Böhmen (Wfl. Bd. 4). AB ver Finderlofe Kaiſer Matthias 
1619 geftorben war, handelte es ſich für feinen bereits beſtimm⸗ 
ten Nachfolger Ferdinand II. um die Kaiſerwahl. Er reifte des- 
halb nach Frankfurt, wohin er die Kurfürften beſchieden hatte. 
Mehrere der proteftantiihen Fürften, welche der Union ange: 
hörten, fuchten die Wahl unter der Hand zu bintertreiben; da 
aber Niemand es wagte, Deftreich offen entgegen zu treten, fo 
ſchmiegte fih zulegt Alles nad Ferdinand's Willen. Nur. die 
böhmifchen Gejandten hatten .erflärt, daß fie geradezu proteftiren 
wollten; fie wurden deöhalb gar nicht vorgelaffen und kehrten 
fchnell zurüd, noch ehe die Wahl vollzogen wurde. Die Böhmen 
erflärten mın Yerdinand, als einen Erbfeind der Gewiſſensfreiheit, 
der Krone ihred Landes für verluftig und wählten den Kurfürften 
Friedrich V. von der Pfalz, den Schwiegerjohn Jakob's I. von 
England. Daß bei der durd Stimmenmehrheit erfolgten Wahl 
angejehene Familien einen mächtigen Einfluß geübt haben muß: 
ten, liegt nahe; mit Beziehung hierauf jagt daher die Gräfin 
Terzky (Wit. T. J, 7): 

„Ih gab den Böhmen einen König ſchon.“ 
worauf ihr Wallenftein erwiedert: 
„Er war darnach.“ 
Und allerdings fehlte es Friedrich V. bei feiner Sorglofigkeit und 
feinem Hange zum Wohlleben zunächſt an der nötbigen Klug⸗ 
heit, um die verjchiedenen Häupter der Böhmen um fih zu 


Friedrich V. 309 


vereinigen und fie für fich zu gewinnen, anbererfeitd aber much 
an Yeldherrengaben und an aller Kenntniß feines Gegners. Er 
wurde zwar mit aller Pracht am 25. October 1619 zu Prag ge: 
frönt; daher die Worte des Kellermeifters (Picc. IV, 5), der von 
dem großen Keldhe jagt: 

„Der auf bed Friedrich's feine Königskrönung 

Vom Meifter Wilbelm ift verfertigt worden, 

Das ſchöne Prachtſtück aus der Prager Beute.“ 
indefien fchrieb ihm Ferdinand ſogleich, er folle der böhmtichen 
Krone entjagen. Hierzu war er natürlich nicht geneigt, fondern 
ſuchte fih in feiner Stellung zu behaupten; indefien waren die 
Semüther der Böhmen ihm abwendig geworden, und ba es fei: 
nen Truppen, die feinen Sold befamen, an aller Mannszucht 
fehlte, jo Hatten feine Gegner leichtes Spiel. Kurfürft Maxi—⸗ 
milian von Baiern, da8 Haupt der Ligue, griff ihn mit Ent: 
Ichlofienheit an und ſchlug ihn am 8. November 1620 in der 
berühmten Schlacht am weißen Berge bei Prag, die in einer 
Stunde gewonnen ward. Run war ed natürlich mit den Ned: 
ten und Freiheiten der Proteftanten in Böhmen vorbei, denn 
Ferdinand’ Ketzerhaß kannte feine Schonung, daher (Picc. IV, 5): 

„Do feit der Gräser (j. d.) uber und regiert, 

Hat das ein End’, und nach der Prager Schlacht, 


Ro Pfalzgraf Friedrich Kron’ und Neich verloren, 
St unſer Glaub’ um Kanzel und Altar.” 


Friedrich floh zunächft nach Breslau und ging dann über Berlin 
nad Holland, wo er auf Koften feines Schwiegervater lebte. 
Ungeachtet der Kaifer ihn in die Acht erflärt hatte, kam er 1631 
als ein Bittender zu Guſtav Adolph nach Frankfurt; doch Tonnte 
ihm dieſer feine Hoffnung auf Wiedereinfegung in feine Staaten 
machen. Auf dieſes traurige Loos beziehen fi die Worte der 
Gräfin Terzky (Wit. T. IH, 11). 
„Benn wir 


Bon Land zu Lande wie ter Pfalzgraf müßten manderı, 
Ein ihmählih Denkmal der gefall'nen Größe —." 


310 Fries — Yührer ded Lebens. 


Friedrich V. ftarb 1632 zu Mainz, elf Tage nach ded großen 
Schwedenkönigs Tode. 

Fries (Meb. I, 12), von dem fr3f. friser, fräufeln; ein Theil 
des Hauptgeflimfes, fo benannt nach feiner krauſen Verzierung. 


Frießhardt u. Leuthold (W. T. Perſ.Verz.), zwei Namen, 
die der Dichter wohl abjichtlih gewählt hat, da der erfte von 
bem althd. freisa, Schreden, herfommt, wozu die Bedeutung des 
zweiten einen Gegenſat bildet. 


Frivolität (Metrifche Ueberjegungen, Vorerinnerung), neu: 
lat. Leichtfinn, Ylatterhaftigkeit, Sinn für nidhtige, geringfügige 
Dinge. 

Frohn, Die (Wfl. L. 6), von dem veralteten „froh n* 
(j. v. w. herrſchaftlich), ein Dienft, welcher der Gutsherrſchaft 
pflihtmäßtg geleiftet werben muß; davon: frohnen (Sp. u. d. 
2); der Fröhner (Wit. 8. 11), ſ. v. w. Frohnarbeiter; Frohn- 
dienſt (W. T. 1,3); Frohnvogt (W. T. J, 3), Aufſeher über 
die Frohnarbeiter. 


Front (Ged. Die Schlacht), von dem lat. frons, die Stirn, 
in der militairiſchen Sprache: die Vorderſeite, Bruſtlinie. 


Fuͤchſe, Goldene (Wſt. L. 5), ſcherzhaft ſ. v. w. Golb- 
ſtücke. 


Führer des Lebens, Die (Ged.), ein Epigramm aus dem 
Jahre 1795, das früher die Ueberſchrift „Schön und Er— 
haben“ führte. Mit der jetzigen Ueberſchrift hat es, wie 
Viehoff bemerkt, den Charakter eines Näthjels, dad indeß durch 
jene erfte fogleich gelöft wird. Einen intereffanten Vergleich 
gewährt eine Stelle aus Sch.'s Abhandlung „Ueber dad Er: 
babene“, im zwölften Bande der ſämmtlichen Werte. Sie fteht 
nicht weit vom Anfange (S. 285) und beginnt mit den Worten: 
„Zwei Genien find es ꝛc.“ Diefer Stelle zufolge ift der Sinn 
folgender: Der Gentus des Schönen, defien Gebiet die Sinnen- 
welt tft, macht uns das Leben angenehm und führt und bi zur 


Füllhorn — Fürft. 311 


Erkenntniß der Wahrheit und der Ausübung unferer Pflicht. 
Hier ftehen wir an einer „Kluft“ (V. 5), mit der nicht etwa, 
wie man leicht vermuthen fönnte, dad Grab gemeint tft, jondern 
der Moment, wo und ftatt der einzelnen Erfcheinungen, die und 
erfreuten, plöglih die gefammte Größe unferer Beftimmung 
gegenüber tritt, die unfere ernfte Geiftesthätigfeit herausfordert. 
Das tft der Augenblid, in welchem und der Genius ded Er- 
habenen empfängt. Beide aber follen unſere Führer durch das 
ganze Leben fein, denn ohne den Genuß ded Schönen würden 
wir in beftändigem Streit zwiichen den Forderungen unjerer 
finnlihen Natur und denen ber Vernunft leben. Wollten wir 
den letzteren allein genügen, jo würden wir darüber umjer irdi⸗ 
ſches Glück verfäumen; wollten wir dagegen und bloß dem Ge— 
nufje des Schönen bingeben und das Erhabene bet Seite lafien, 
fo würde unfere Würde verloren geben und eine Eräftige Cha— 
rafterentwidelung unmöglich jein. 


Füllhorn (D. ©. IT, 10), bildlich anfptelend auf das Horn 
der Fortuna (ſ. d.; vergl. auch Amalthen). 

Funfzig Schweftern (Iph. IV, 3w.:9.), ſ. Nereiden u. 
Thetis. 


fürbaß (J. v. O. Prolog 2), veraltet für: befſſer fort, weiter, 
vorüber. 


Furien, ſ. Erinnyen. 


Fürſt, Der ſchwarze, der Schatten (Ged. Das Lied von 
der Glocke), ſ. Aides. 


Fürſt, Walther (W. T. Perſ.-Verz.), ein reicher Land⸗ 
mann, der aber nicht, wie bei Sch. in Altorf, ſondern in 
Attinghauſen feinen Wohnſitz hatte; er war Tell's Schwieger⸗ 
vater. 


312 G. G. — Galiote. 


G. G. (Ged.), ein Zenion, welches „gelehrte Geſellſchaften“ 
charakteriſirt, in denen jeder Einzelne ein ganz ſchaätzenswerthes 
Wifſſen befigen Tann, während die Verhandlungen und Beſchlüſſe 
folder Geſellſchaften der Sntelligenz ihrer Mitglieder oft nur 
wenig entfprehen. Das Epigramm erinnert .ın eine Stelle im 
Demetrius (T): . 

„as ift Die Mehrheit? Mebrbeit ift der Unfinn; 
Verſtand ift tet? bei Wen'gen nur gewefen.” 

Gabalis, Graf von (Gftſ. 10, 172), der Held einer Schrift 
des Abbe de Montfaucon de Billard (geb. 1635, ermordet 1673). 
Diejelbe erſchien 1670 unter dem Titel: „Entretiens du Comte 
de Gabalis“, hatte die damals vielbeſprochenen geheimen Wifien: 
Ihaften, wie Magie, Roſenkreuzerei 2c. zum Gegenftande und 
wollte eigentlih nur die Einfältigen und Leichtgläubigen zum 
Beften haben, während fie von Bielen ernfthaft aufgenommen 
wurde. 


gähſtotzig (W. T. IV, 1), richtiger jähjtogig, von dem fb. 
Stop, Abfap, jäher Hügel; fteil, abſchüffig. 

galant (Par. I, 3), frzi., eigentl. wader, ritterlich; 1) ge⸗ 
ſchmackvoll gefleidet, wie (Wfl. L. 6): „Man follt’s euch nicht 
anſehen, ihr feid galant“. 2) artig, gefällig und won feinem Be: 
nehmen, bejonderd gegen dad weibliche Geſchlecht, wie (N. a. O. 
I, 4) „ein galanter Mann’; (3.0.8.1, 1) „der Sorel galante 
Teite gebend”; (M. St. II, 2) „galanter Eifer”. 3) verliebt, 
wie (N. a. DO. 1, 2) „galantes Abenteuer”. — Oalanterie: 
1) Putz- od. Schmudjache, wie (%. III, 3): „einige Galanterien 
auf ein Tiſchchen legen“; 2) Artigfeit, Höflichkeit, wie (%. I, 1 
— K. u. L. V, 7 — J. v. O. 1,); 3) verliebte Weſen 
(D. C. II, 8). 

Galiote (ital. galeotta), ein einmaſtiges Fahrzeug, das theils 
durch Segel, theils dur) Ruder bewegt wird; Die letztere Art 


Gallier — Gang nad dem Eifenhammer. 313 


ber Bedienung wurde in früheren Zeiten durch Sträflinge, jo: 
genannte Galeerenfllaven (Wſt. L. 6 — Gſtſ. 10, 150), beſorgt; 
Daher (B. a. v. E.) „dreijähriger Saliotenbienft” und (R. I, 2) 
„Galiotenparadied“, |. v. w. Freuden eined Galeerenfflaven. 


Ballier (Geb. Die Klüffe), Bewohner von Gallien, wie 
Frankreich in früheren Zeiten hieß; Daher: gallifch (Ged. Deut- 
ſcher Genius) |.v.w. franzöſiſch; und Gallomanie (Geb. Griech— 
beit) ſ. v. w. Franzoſenſucht, d. 5. übertriebene Liebe für alles 
Sranzöfilche. 


Gallione (Ged. D. unüberwindliche Flotte — D. C. III, 6) 
od. Galione (ſpan. galeon), zunächft ein Silberſchiff, d. h. ein 
Schiff, welches bejtimmt war, Silber aud Amerika zu holen; 
dann aber auch ein großes Kauffahrtei: und Kriegsſchiff. 


galliſch 
Gallomanie 


Gang, Der, nach dem Eiſenhammer, (Ged.). Dieſer 
Ballade, welche im September 1797 gedichtet wurde, liegt (nach 
Viehoff's Unterſuchungen) eine wandernde Sage zu Grunde, die 
fi) an mehreren Orten in verſchiedenen Geftaltungen wieder 
findet. In Franfreih war fie ſchon früh in Verfen bearbeitet 
vorhanden, und zufolge .einer vermuthlich hiernach verfaßten pro- 
fatichen Erzählung von le Grand jpielt die Geſchichte in Aegypten 
an tem Hofe des Königs zwiſchen einem Mundichenfen, dem 
Sohne ded Königd und dem Hofmeifter der beiden legteren. In 
ähnlicher Yorm tritt Die Sage in einer ttalientfchen Novelle auf, 
mur' |pielt fie dort an dem Hofe eines türkifchen Sultand. Die 
meifte Aehnlichkeit mit Sch.'s Darftellung bat eine neugriechiiche 
Legende; indeflen iſt e8 mehr als wahrjdheinlich, daß er den Stoff 
aus einer franzöfiichen Duelle gefchöpft hat, beſonders da er den 
Schauplap der Begebenheit nad) dem Elfaß verlegt, wo fi ein 
Ort Ramend Savern (Zabern), norbweftlid von Straßburg, be: 
findet. — Abweichend von den meiften übrigen Balladen verſetzt 


ſ. Gallier. 


314 Ganganelli. 


uns der Dichter hier nicht gleich in den Mittelpunkt der 
Begebenheit hinein; auch ift die Darſtellung hier weniger ge- 
drängt, fondern bewegt ſich mehr in ber behaglichen Breite pre- 
ſaiſcher Erzählungen. Der Grund dafür ift wohl barin zu 
ſuchen, daß ber Held hier nicht ein kämpfender, ſondern ein lei— 
dender ift, für den ein kräftig concentrirtes Bild fi) weniger 
geeignet haben würde. Der Grundgedanke, dad Walten der 
göttlichen Borfehung über die in Gefahr ſchwebende Unfhuld; 
wie auch die Yyrömmigkeit und Pflichttreue Fridolin's, zwei dem 
deutſchen Volksſinne innig verwandte Vorftellungen, haben diefer 
Ballade einen weiten Kreid von Freunden erworben, fle zu einer 
echt volksthümlichen Dichtung gemacht. — Str. 1: Fridolin ift 
eine fchweizeriihe Dimunifivform für Fried oder Gottfried. — 
Str. 4, V. 5: „raſch zur That“ ift als abgefürzter Nebenfag zu 
„Grafen“ zu betrachten. — Str. 9, V. 8 richtiger: „an ihren 
Stuhl gefeflelt”, wie auch in Älteren Ausgaben fteht. — Str. 11 
u. 12 iſt auf die höchſt malerifhe Wirkung der Alliteration 
und Afjonanz zu achten. — Str. 22: Mit dem „Gott, den 
gegenwärtigen” tft die Monftranz mit der Hoftie (I. d.) 
gemeint. 

Ganganelli (Gftj. 10, 143). Giovanni Vincenzo Antonio 
Öanganellt, geb. 1705, hatte Philofophte und Theologie ftudirt 
und wurde von dem Papft Clemens XIII, der ihn feiner Freie 
ſinnigkeit wegen jchäßte, mit dem Garbinalähute beehrt. Da er 
fi aber fortgefept dahin erklärte, Daß der römiſche Hof, wen 
er nit einft von feiner Höhe herabftürzen wolle, mit den Für: 
ften ſich ausjöhnen und ihnen ihr Recht widerfahren laſſen müffe, 
jo fand er nach dem Tode des Papftes in dem Conclave ‘viele 
Gegner; dennoch gelang ed ber Beredſamkeit eines feiner Ber: 
ehrer, feine Wahl zum Papfte durchzuſetzen, und jo beftieg er 
1769 als &lemend XIV. unter den fchwierigften äußeren Ber: 
hältniffen den päpftlihen Stuhl. Sm Jahre 1773 erließ er 
eine Bulle, durch welche er den Jeſuitenorden aufhob; von da 
an aber führte er ein forgenvolled, geängftigted Leben und ftarb 


Sanged — Gaul. 315 


1774, feiner eigenen Bermuthung nad an Gift, was feine Aerzte 
indeß zu widerlegen juchten. 


Ganges (R. III, 2), einer der mädtigften Ströme Aftens, 
der auf dem Himalaya entipringt und fich in den Meerbufen 
von Bengalen ergießt. 


Ganymedes (Myth.), der Sohn des Königd Tros von 
Troja wurde feinev Schönheit wegen unter die Götter verjept 
und dem Zeus als Mundſchenk beigegeben; daher (Iph. IV, 
3W.:9.): . 
„Unter den Freuden bes feitlichen Mahls 


Schöpfte des Nektard himmlische Gabe 
Jovis Liebling, der phrygiſche Knabe.” 


Garamantis (Geb. 4. B. d. Aen. 37), ein von Virgil nad) 
dem afrikanifchen Volle der Garamanten erfundener Name einer 
Nymphe. 

Garderobe. 1) Anzug, wie (K. u. L. III, 1) „eine blen- 
dende Garderobe”; 2) jämmtlihe Kleider, wie (8. u. 2. IV, 7) 
„meine Garderobe“, od. (R. II,3) „die Garderobe ded Moloch; 
3) an Höfen das Bedtentenzimmer, wie (8. u. L. V, 6) „in der 
Garderobe”; 4) die Dienerfhaft, wie (8. u. 8. IV, 9) „meine 
ganze Garderobe zufammen rufen”. 

Garrick (Gſtſ. 10, 192), geb. 1716 in England, war wohl 
ber größte Schpufpieler, der je gelebt hat. Er machte fidh be- 
fonder8 um eine würbige Darftellung der Shafefpenreihen Stüde- 
verbient, fo Daß bie englifche Bühne zu jeiner Zeit ae glän⸗ 
zendfte Epoche feierte. Er ſtarb 1779. 

Gaſſe, Die hohle, |. Kuͤßnacht. 

Gaſt, Steinerne (Picc. IV, 6), eiue Anſpielung auf die be— 
kannte, aus Spanien ſtammende, Sage von Don Juan, die 
ſchon lange vor Mozart's Compoſition belannt war (j. Moliere's 
Stüd „le Festin de Pierre‘). 


Saul (Bft... 7), |. Faͤrber. 


316 Gebreften — Gedichte. 


Gebreſten (W. T. I, 2), von dem veralteten breiten (b. i. 
berften), etwas Geborjtened, Gebrochenes; daher: 
„Auf deinem Herzen drüdt ein ftill Gebreſten.“ 


d.h. dir ift das Herz innerlich gebrochen; in Tſchudi's Chronik: 
„Run bat St gern gewußt, wad Im doch gebreft.” 


Gedichte. Sch.'s Gedichte find in ber zuerft von Koͤrner 
bejorgten Ausgabe feiner ſaͤmmtlichen Werke und fpäter in allen 
nachfolgenden in drei Abtheilungen getheilt. Die der erften 
oder der Sturm: und Drangperiode gehören der Zeit von 
1775—85 an, wo fih neben dem Vorherrſchen der Anſchauungen 
des poſitiven Chriftentbums befonderd der Einfluß Klopftock's 
und Bürger’8 bemerklih madt. Dad Erzwungene in Gedanken 
und Bildern, die ſchwärmeriſche Weije, in welder die Empfin- 
dung ded Dichterd zum Ausdrud gelangt, dad gewaltige Ringen 
mit den Formen der Sprache, die ſich dem Streben feined ſchöpfe⸗ 
riſchen Genius noch nicht beugen will, beweilen, daß er der ®e- 
brechen feiner Zeit noch nicht Herr geworden war. Doch findet 
fh daneben auch Manches von finniger Einfachheit, wie die 
Gedichte „Die Blumen”, „An den Frühling” und „An Minna”, 
die einen durchaus wohlthuenden Eindrud machen. — Die 
Gedichte der zweiten Periode ftammen aus der Zeit von 
173835 — 95, wo die allgemeine Ausbreitung der philoſophiſchen 
Studien der Beichäftigung mit der Poefie jo manches Talent 
entzog. Auch Sch. beichäftigte fich, befonders durch Kant an- 
gezogen, in diefen zehn Jahren vorzugsweiſe mit philoſophiſchen 
und hiftorijchen Arbeiten, denen wir bie fünf legten Bände jeiner 
Werke verdanken. Indeſſen befipen wir als Frucht feines gleich: 
zeitigen Studiums des Haffifchen Alterthums Gedichte, wie „Die 
Götter Griechenlands”, „Die Künftler”, und die metrifchen Ueber: 
jegungen aus Virgil's Agneide, welche beweiſen, daß fein Dichter: 
gentus in dieſer Zeit nicht vollftändig ſchlummerte. — Die 
Gedichte der dritten Periode find Die Frucht feines lebten 
Decenniumd, der Zeit von 1795 — 1805, wo er vereint mit 


Gefährliche Nachfolge — Geiſterſeher. 317 


Goethe beftrebt war, unfer deutſches Geifted: und Gemüthsleben 
in den Yormen Haffiiher Schönheit zum Audtrud zu bringen; 
fie find ed, welche in dem Herzen unfered Bolles Wurzel ge: 
Ichlagen und ihm neben jeiner unfterblihen Größe ald Drama: 
tiler auch den Ruhm eines lyriſchen Dichterd begründet haben. 


Gefährlihe Nachfolge (Ged.), eine allgemein bekannte 
Erfahrung, die alle großen Männer gemacht, wie 3. B. Luther, 
defien Freund Karlitadt zur Förderung ded Reformationswerfes 
ſelbft tumultwarifche Ausbrüche, wie Zerftörung der Heiligen: 
bilder und Altäre nicht ſchente, und eben fo Leffing, deſſen in 
jenem Nathan dargelegte Tendenz vielfach zu feindlichem Auf: 
treten gegen das pofitive Chriftenthum Veranlafſung gegeben. 


Geffügelte Göttin, vergl. Victoria und Zeus. 


geheim (W. T. 1, 2), eig. zur Heimath gehörig und daher 
innig vertraut; in Tſchudi's Chronik: „ich kenn allda fürnemme 
Herren:Lüt, die mir injunderd geheim, denen ich wol vertrumen 
darff.* 

Geheimniß, Das (Ged.). Ein Gediht aus dem Jahre 
1798, das erft ſpäter mit dem gleich darauf folgenden: „Die 
Erwartung” (ſ. d.) zufammengeftellt worden iſt. Beide find 
allerdingd als Gegenftüde zu betrachten, da ſie ähnliche Situa— 
tionen behandeln, und Inden deshalb zur Vergleichung ein. 


geilen (F. J, 9), gierig ſtreben. 


Geifterfeher *). Das 18te Jahrhundert, die Zeit der Auf: 
Härung, der wir in unſerer Borftellung oft zugleich einen Zopf 
anhängen, war durch einen natürlichen Gegenſatz zugleich das 
Zeitalter des ärgften Aberglaubend, über den, wie die Periode 
des Tifchrüdend beweift, auch ein noch aufgeflärtered Sahrhun- 
dert nicht ganz hinweggekommen tft. Vielleicht liegt es daran, 


*) Wir citiren nad ter mit Anmerkungen u Einleitung verfehenen ſogenann⸗ 
ten Schulausgabe Cotta's. 


318 Geifterſeher. 


daß der Menſch aus Denken und Empfindung gemiſcht iſt, und 
daß die trübenden Mächte des perſönlichen Gefühles oder gar 
der Leidenſchaft die vollftändige Klarheit des erſteren in der 
Maffe der Menfchheit nie vollftändig werden durchbrechen laffen. 
Der Menſch ift ferner ein Einzelwejen und ſich felbft ein Ge: 
beimniß; aber die Feſſeln der Endlichkeit, welche auch der höchfte 
Gedanke — zu dem fo wenige berufen find — nie ganz löfen 
wird, find ihm vollfommen unerträglid und er fehnt fi, das 
Unendliche, defjen jenfeitige Wirflichfeit er voraudfegt, von An: 
geficht zu Angeficht zu ſchauen. Auch wird ben Fragen, die 
das Leben und den Tod überbrüden möchten, kaum irgend Se- 
mand ganz ausweichen, am wenigften vielleicht derjenige, ber 
ihre Berechtigung am heftigften verneint. Es gehört endlich zum 
Adel des menfhlihen Gemüthes, daß ed im Sinnlichen und im 
Unvolliommenen umbefriedigt bleibt. Se weniger nun Kraft des 
Charakters und ftetd geübte fittlihe Herrichaft über die ſinn⸗ 
lichen Triebe einem Menſchen eigen ift, je mehr in Yolge der 
Ziellofigfeit des geiftigen Lebend und der Unreinheit, die tn 
machtlofer Reue erftidt, das Herz trübe und der Sinn umdun: 
felt wird („reine Herzen ſchauen Gott”), defto mehr wird eine 
von unferm Dichter jo meifterhaft gejchilderte Unruhe verzehrend 
in ihm auftreten. Der Wunſch, dur irgend ein materiell ge- 
wiſſes Schauen ewiger Mächte zur vergebend erjagten inneren 
Befreiung zu kommen, dem inneren blutfaugenden Damon zu 
entrinnen, wird zulebt jo mächtig werden, daß entweder, je nach 
der Erregbarkeit des Leidenden, Hallucinationen, für ben Augen: 
blick wohlthätig Töfend, fich einftellen werden, oder der blinde 
Glaube dem Betrüger in die Arme fallen wird, der da ver: 
fihert, den Schlüffel zur jemfeitigen Welt der Geheimniſſe zu 
befitzen. 

Der oft dürren Nüchternheit des Jahrhunderts ſtellte ſich, mit 
brennendem Durſte, der Wunſch nach Ausfüllung des Gemüthes 
gegenüber und fand natürlich auch bald, was er ſuchte. Eine 
Reihe von Abenteurern trat auf, die ſich für Geiſterbanner und 


&etfterjeher. 319 


Goldmacher audgaben. Sole hat es feit den älteften Zeiten 
gegeben; Sch. erwähnt die Geheimniſſe der jüdiſchen Kabbala 
(p. 38), den Apollonius von Thana (p. 37), den Gabalis (p. 43) 
(f. d.). Denn mit der Geiſterwelt in Berbindung zu ftehen, war 
„ehedem Lie Lieblingäfhmwärmerei” auch des Helden unſeres 
Romanes geweſen (p. 14), wenn ihm die Möglichkeit des Wun⸗ 
ders bewieſen wird, „ſo will er alle ſeine fuͤrſtlichen Hoffnungen 
für eine Mönchskutte abtreten” (p. 5). Der berühmteſte jener 
Abentelirer ded 18. Jahrhunderts ift der Sieilianer Joſeph Bal: 
ſamo, genannt Saglioftro, der in Paris eine Zeit lang eine be- 
deutende Rolle ſpielte (j. über ihn Goethe's Italieniſche Reife), 
ein Menich, der aber jedenfalls mehr war als Sch.’8 Sicilianer 
und dem eine höchſt eigenthümliche, dämoniſch wirkende Perjön: 
jönlichkeit zu Gebote geftanden haben muß”). Ein anderer war 
der jogenannte Graf von St.-&ermain, befien Leben E. M. 
Dettinger romanhaft und in toller Laune, doch mit genauer 
Kenntniß ded Gegenftandes zufammengeftellt hat. Ihm gehört 
befonders die freche Behauptung materieller Unfterblichkeit, ein 
Zug, den aud Sc. (p. 35) dem Armenier leiht und der viel- 
leicht aus pythagoräiſchen Träumen des Alterthumes herüber 
gekommen iſt. Mit mehr Tiefe traten ähnliche Tendenzen im 
Magnetismus und der Phrenologie auf, die, von Medmer und 
Gall vertreten, ebenfall3 in Parid ungeheure Aufnahme fanden 
und noch heute nicht verflungen find. Auch Träume einer voll: 
ftändigen religiöä-politifchen Ummwälzung traten damit in Ber: 
bindung, wie fie ih an Weißhaupt und feinen Illuminatenorden 








°*) Die einfachfte und darum mwirkfanfte Beftätigung dafür wirb ber Lefer in 
den außerordentlich anziehenden (franzöfifch geichriebenen) Memoiren ber elſäffi⸗ 
{hen Proteftantin Grau von Oberfirch finden, die vom tiefften Abſcheu gegen bas 
unflttlide und gotteßläfterliche Treiben der vornehmen Parifer Welt erfüllt, fich 
doch niemals dem Einbrud diefer Perfönlichkeit entziehen fonnte. Sehr interefiante 
Mittgeilungen bietet Greunden diefer dunkeln Seiten des Lebend der Aufſatz: „Un 
Prince Allemand du XVIIL.sitcle.“ Revue des deux Mondes 1866, 15 fevrier, 
p. 891. 





320 ©eifterfeher. 


knüpfen. &8 iſt bekannt, daß ſolche geifterfehenden Beftrebungen, 
als Grundlage für alle möglichen Intriguen, fi) auch an große 
deutfche Höfe gefahrbringend gedrängt hatten. Palleöfe hat alſo 
Recht, wenn er II, 40 fagt: „Der Stoff lag in ber Luft.“ 

Der religiöfen Nüchternbeit trat dann eine doppelte praftifche 
Tendenz gegenüber, erftend im dem von Varnhagen von Enſe, in 
feinem Leben ded Grafen Zingendorf, jo meilterhaft gefchilderten 
proteftantifchen Pietismus und zweitend in dem Zurüdjehnen 
nah ber Einheit und Unwandelbarkeit der katholiſchen Kirche, 
der fich bejonderd die Fürften und mit ihnen die höheren Stände 
zuwandten. Sultan Schmidt bat, in feinem Werfe über die gei- 
jtige Entwicklungsgeſchichte unſeres Volkes von Leibnitz bis Leſſing, 
dieſe Richtungen der Zeit zu einem höchft anziehenden Gemälde 
vereinigt. Died Alled wollte auch Sch. in jeinem Geiſterſeher 
darftellen, wenn er in demfelben auch zuerft vielleicht muır darauf 
ausging, auf einem ihm ungewohnten Gebiete feine alljeitige 
Meifterfchaft zu zeigen, den Leſer durch eine fein gejponnene 
Sntrigue zu fefleln und dann zu zeigen, daß die geheimniß- 
vollen Künfte der Magier auf die roheften und frechſten Gau—⸗ 
feleien hinausliefen. Er wollte „einen Beitrag zur Geſchichte 
des Betruged und der Verirrungen des menjchlichen Geiftes 
liefern“. 

Zu Dresden 1786 begann Sch. den Geifterjeber in der 
Thalia herauszugeben, fühlte jevoh bald Ermüdung — es 
fehlte ihm, meint Palleske, die Schreibfeligkeit, die zum Abfaflen 
eined Romaned unentbehrlich ift — und ließ die Fortſetzung ſich 
lange hinziehen. Die erfte Ausgabe des unvollendeten Wertes 
erihien 1789. Die Neugier nad einem Abjchluffe befriedigte 
%.9. 3., Leipzig 1796, d. h, nach Goedeke, der ald Hofgerichte: 
rath zu Sufterburg 1809 verftorbene Schriftiteller Yollenius. 

Ob Sc. beitimmte PVerfönlichkeiten vorgeſchwebt haben, ift 
faum der Mühe werth zu erörtern; Einige geben den würtem: 
bergiſchen Fürften Karl Alerander (1733—37) an, Zul. Schmidt 
nennt einen hannöverſchen Prinzen, worauf vielleicht der „Bremer“ 


Geiſterſeher. 321 


hinweiſt, der (p. 27) als Jäger unſeres Helden erwähnt wird. 
Auch wird (p. 40) von einem allgemein vorhandenen „ungün- 
ftigen Borurtheil” gegen dad Vaterland ded Prinzen geiprochen, 
wobei man an andere deutjche Ränder denken könnte. Zu be: 
merfen iſt noch, daß man fich denjelben im fiebenjährigen Kriege 
tn ber Schlacht bei Haftenbed offenbar auf Seiten der Franzoſen 
zu denken bat. 

Ein jüngerer Prinz eined deutſchen Yürftenhaufes zieht, 
nachdem er Kriegddienfte gethban und fich vielfach in ber Welt 
umgejeben hat (er ſah Garrid in London), nach Venedig, wo- 
Hin damals der vornehme und der niedrige Abſchaum Europa’d 
zufammenftrömte, hält fich aber theils aus Charakter, theild aus 
äußeren Gründen ganz von der Welt zurüdgezogen, bis plöß- 
liche merkwürdige Erlebniffe, in denen Die Perjon eined geheim- 
nißvollen, dem Anjcheine nad) mit übernatürlichen Kräften aus- 
Statteten Armenierd die Hauptrolle jpielt, ihn in einen Kreis 
bineinziehen, den er nicht wieder verlajien fol. In wunderbarer 
Weile meldet man ihm, in dem Augenblid, wo er im fernen 
Deutſchland erfolgt, in Benedig den Tod eines fürjtlihen Ber: 
wandten, welcher ihm Ausfiht auf den Thron eröffnet. Den 
mit allen fich wideriprechenden Neigungen jeined Jahrhunderts 
andgerüfteten Geift ded Prinzen ergreift eine Aufregung, welche 
aus allen den Schwächen, die dem Menfchen und dem Yürften 
anhaften können, Nahrung zieht und gerade durch die guten und 
edlen Eigenjchaften eines ſchwärmeriſchen Gemüthes in verderb⸗ 
licher Weiſe erhöht wird, jo daß er fi bald in ein Ne der 
wunderjamften Greigniffe verftridt fiebt, aus dem er feine Ret— 
tung mehr findet und finden will, 

Der Leſer beachte wohl, daß gleidy im Anfange der 
Dichter jelbft von der Schlinge fpricht, die eine „unerhörte 
Zeufelei” ihm legte, und daß derjelbe ſpäter auf den „Betrüger“ 
hinmeift, der dad ganze Gewebe anzettelte, ald deſſen Ziel bie 
Belehrung bed Prinzen zum Katholicismus und die Erfteigung 
des Throned, in deſſen Befitze er natürlih nur ein Werkzeug 

I. 21 


822 Geiſterſeher. 


der Hierarchie werden ſoll, ſelbſt durch ein Verbrechen, dargeſtellt 
wird. Mit diaboliicher Geſchicklichkeit und tiefer piychologifcher 
Berechnung ift Alled angelegt und der Lejer bat aljo von vom 
herein die Fäden einer umfaflenden Sntrigue zu ſammeln und 
zu verfolgen, in der Nichts dem Zufall überlafjen und jede Wir: 
tung, auch die ſcheinbar ganz entgegengeſetzten, berechnet tft. 
Der Prinz wird von Stufe zu Stufe äußerer Iſolirung und 
innerer Verzweiflung entgegengeführt, um endlich vollftändig 
willenlos zu werden. 

Die geheimnißvolle und eintreffende Prophezeiung (wir ſetzen 
eine erfte Lectüre des Buches vorauß), der heraufgerufene und 
erichienene Geiſt eined Yreundes, der ihn auffordert, „an ſich 
jelbft zu denfen und in Rom ſich darüber Rath zu erholen”, — 
wo der Prinz die Abfiht hätte merken und fich verftimmen Iaffen 
‚ tollen, — der betrügertfche und untergeordnete Sicilianer, welcher 
aber den Armenier in da8 wunderbarfte Licht jebt, find die 
erften Stufen, auf denen der Prinz in die Geifteriphäre hinauf: 
zufteigen vermeint. Pſychologiſch jehr fein Hat e8 der Dichter 
angelegt, daß gerabe die Entlarvung des Sicilianers einerſeits 
den Prinzen mit Selbfibewußtjein auf feinen unbetrüglichen 
Scharfjinn erfüllt, andererfeit3 feinem Gemüthe aber doch ein 
Stadel bleibt, jo daß er nun verfucht, fich durch Nachdenken 
und eine 2ectüre, bei deren Audwahl eine „ſchlimme Hand“ 
(p. 70) wieder mit im Spiele tft, über die brennenden Fragen 
des geiftigen Lebens Aufflärung zu verihaffen. Dem berrichen- 
ben Geiſte der Zeit gemäß wird er zum vollendeten Zweifler. 

Mit dem Hinſchwinden des ſchwaͤrmeriſchen, die Einfamteit 
und Reinheit des äußeren Lebend wahrenden Gemüthslebens 
wachen nun aber auch manche bis dahin zurüdgetretene Seiten 
bed Charalterd auf. Der Prinz tritt dem wüſten Treiben der 
veneziantichen Geſellſchaft näher; er beginnt, innerlich leer, un: 
beichäftigt und deshalb begierig nach raftlofer Zerftreuung, durch 
feinen Rang und durch Aufwand, auch durch Geift glänzen zu 
wollen und fieht fi jo bald in eine geheime „Bucentauro“ 





Geifterſeher. 323 


(1. d.) genannte Geſellſchaft hineingezogen, wie fie in Frankreich 
am Ende der Regierung des bigott und tugendhaft geworbenen 
Ludwigs XIV. entitanden, in denen Gittenlofigfeit, Unglaube 
und vornehme Berachtung alles Reinen ſich in bie Formen ber 
Auferften Eleganz Mleideten, um ihre Theilnehmer rettungslos 
dem abfoluten Berderben entgegenzuführen. Wer nicht wiſſen 
follte, dag Alles ſchon einmal dageweſen, Iefe bei Livius (Buch 39) 
die ſchaudervolle Schilderung der geheimen Backhanalien nad, 
deren Entdedung, noch in ben befieren Zeiten der Republik, 
Rom mit Entfeben erfüllte. 

Das Leben ded Prinzen wird nun „ein fortbanernder Zu: 
fand von Trunkenheit, von fchwebendem QTaumel... Man 
hatte jetne Blößen durchſchaut und die Leidenfchaft gut berech- 
net, die man in ihm entzündet hatte.” Die Schmeichelei ver- 
giftet ſein Herz, die letzten felbftftändigen Kräfte ſchwinden. 
Nachdem fein. deuticher Diener, der fein ganzed Vertrauen hatte, 
plöglich und wahrfcheinfich auch durch Beranftaltung (p. 27) ver: 
ſchwunden ift, wirb ein neuer Diener, ein gewandter italientjcher 
Zaufendfünftler, Biondello, in fein Haus eingefchmuggelt und 
diefer weiß fih, indem er nach unb nach allerlei Talente ber: 
vortreten Täßt, dem Prinzen anztehend, ja ımentbehrlich zu machen, 
fo daß auch er bald mehr Bertrauter als Diener tft. Endlich 
macht der Prinz auf romantiſche, wohl auch Tünftlich berbeige- 
führte Weiſe, die Bekanntſchaft eines eben jo hinreißend liebens⸗ 
würdigen als unbändigen jungen Wüftlings, eines Marchefe 
Givitella, defien Ontel, ſcheinbar den würdigften aller Kardinäle 
ber Römifchen Kirche, der Prinz ſchon aud dem Bucentauro 
Yannte. Auf die feinfte Weiſe, indem er fi ihm innig an- 
ſchließt und in ihm einen Yührer zur Befferung zu finden jcheint, 
weiß der Marquis das Herz des Prinzen zu gewinnen. Onkel 
und Neffe find die eigentlichen Leiter der ganzen Sntrigue, welche 
nun eine etwas niedrigere Phyſionomie annimmt, dadurch aber 
mur um fo wirffamer wird, indem ber Prinz, der einen andern 
deutſchen Fürften, einen Rivalen an Rang und Geift, durch 

21* 


326 Geldmäller — Gemjenhorn. 


Recht beſonders aufmerffam gemacht haben, jo 3.8. in der Zu- 
fanmenftelung der Geſellſchaft, welche. der Beſchwörungsſcent 
beiwohnt — der kalt beformene Engländer, der windige und 
prableriihe Abbe, der, wie -und düntt, mit auberordentlicher 
Feinheit gefchilderte Rufle. 

Da der Charakter des Prinzen den Mittelpunft des Ganzen 
bildet, jo könnte man fragen, wie alt berfelbe gewefen fei, wenn 
man es bei dieſer Arbeit mit folden Dingen, die an und für 
fih jedoch durchaus keine Kleinigkeiten find, genau nehmen darf. 
Da Papft Sanganelli ald todt erwähnt wird, welcher 1774 den 
22. September ftarb, der Prinz ferner jene Anwejenheit in der 
Schlacht bei Haftenbed 1757 erwähnt und hierbei zugleich einen 
franzöfiichen Brigadier, einen älteren Mann, der in berfelben 
fällt, feinen vertrauteiten Yreund nennt, jo gelangt man, wenn 
man, wad offenbar zu wenig ift, annimmt, daß er bei Haften- 
bet 20 Sahre alt war, zu einem Alter von mindeftend 38 Sahren, 
nach denen er in der Entwidlung ded Ganzen allerdings nicht 
audfieht. Doch kann man darüber vielleicht wohl verfchiedener 
Anſicht fein. Schließlich könnte man noch die anfcheinend barode 
Frage thun, wer denn eigentlich der Geifterfeher tft? Eine 
englijche Ueberſetzung löſt diefed Problem, indem fie fich betitelt: 
„Der Armenier ober der Geifterfeher.” — 

Geldmäller (N. a. O. J, 11), Gefchäftvermittler in Gelb: 
angelegenbeiten. 

Geleit, friedlihes (W. T. II, 2), d. h. eine Begleitung 
von Bewaffneten, wie fie bejonderd zur Zeit der inneren Befeh⸗ 
dungen in Deutjchland gegen Entrichtung einer Abgabe an ben 
betreffenden Kriegäherrn, Kaufleuten oder anderen Retjenden 
mitgegeben wurde, damit fie gegen die Anfälle der Raubritter 
oder atıderer Verfolger geſchützt wären. 

Gemeinen, Baus der (M. St. 1, 6), ſ. Parlament. 

Gemfenborn (W. T. II, 1). In der Schweiz findet man 
die Wanderftäbe häufig ftatt der Krüde mit einem Gemfenhorn 
verſehen. 


Gendarmen — Genie. 327 


Gendarmen (J. v. O. V, 11), gens d’armes war in Frank⸗ 
reich die Benennung für die jchwere, aus Edelleuten beitehende 
Keiterei, welche mit Helmen, Kürafien und Piftolen bewaffnet 
war und die Hauptftärfe des Heeres ausmachte. 

Generalfeldzengmetfter (Picc. IV, 6), Titel eines comman⸗ 
direnden &enerald in dem öftreichifchen Heere. 


Generation (Gſtſ. 10, 225), von dem lat. generäre, erzeu: 
gen; das Geſchlecht, Menſchengeſchlecht, ein Menjchenalter, naͤm⸗ 
lich durchfchnittlich eine Zeit von 30 Sahren, nach welchen ftets 
ein anderes Gefchlecht die Hauptrolle zu ſpielen pflegt. 


Generation, Zegige (Ged.), ein Epigramm aus dem Jahre 
179%. Es erinnert an eine Erſcheinung, die in ber fortſchrei⸗ 
tenden Enltur, bejonderd in der immer weiter in’8 Einzelne 
gehenden Ausbildung der Wiſſenſchaften ihren GOrund bat, wobei 
dureh die Fülle des Stoffe die natürliche Friſche des Geiſtes 
berabgedrüdt wird und die Poefle des Lebend verloren geht. 
Natürlich muß auf dieſe Weiſe jede nachfolgende Generation 
immer mehr von dem jugendlichen Charakter verlieren, der fich 
bei dem ihr vorangehenden Gejchlechte etwa noch findet. 


genial (Geb. Die Sonntagskinder), von ſtarkem Geifte, von 
Ihöpferiicher Kraft; vergl. Genius. 


Genialität (Geb.), ein Epigramm aus dem Sabre 1796. 
Der Sentus offenbart ſich durch urjprüngliche Kraft, die fich mit 
Freiheit bewegt, und die aljo dem innerhalb der herfümmlichen 
Schranken fi bewegenden Berftande ein ewiges Geheimniß 
bleiben muß. Bergl. Genius. 


Genie (R. Borr. — Gſtſ. 10, 233), fraf. le gönie, von bem 
lat. genius, der Geiſt (vergl. Genius), die natürliche Geiftes⸗ 
faͤhigkeit eined Menfchen, nad Goethe: „diejenige Kraft des 
Menſchen, welche durch Handeln und Thun Gefebe ımb Regeln 
giebt”; alfo vor Allem eine hervorragende natürliche Begabung; 
Daber (Par. I, 1) „Dein Vater ift dad größte Gente”; bedgl. 


328 Genien — Genius. 


(Melancholie an Laura) „der Iohe Aetherftrahl Genie“; ferner 
(Sp.d. Sch.) „die Keime feines glüdlichen Genies“; und (Geb. 
Die Weltweifen) „doch hat Genie und Herz vollbradt“. — Da 
dad Genie der herfümmlichen Geſetze und Regeln micht achtet, 
fo kann es leicht die Geſetze des herrichenden Geſchmacks ver: 
legen; daher (Geb. Die fchwere Verbindung): „Warum will fid 
Geſchmack und Genie fo felten vereinen?“ „Geſchmack“ fteht 
hier in dem Sinne des franzöflichen goüt, d. i. eine gewifle 
abgeglättete Feinheit des Ausdruded und des Gefühles, wie 
man fie den franzöfiihen Dichtern des 18ten Jahrhunderts zu: 
ſchrieb. 


Genien, ſ. Genius. 


Genius, lat. der Geiſt, die geiſtige Eigenthümlichkeit einer 
Sache (vergl. die Gedichte: „Deutiher Genius“ und „Der grie— 
hiihe Genius“); davon: genial, Sentalität (fchöpfertfche 
Kraft, Geiſteskraft im Erfinden) und Genie (vergl. diefe). 
Ferner bedeutet Genius fo viel wie Schupgeift oder Schutz⸗ 
engel. Der Glaube an foldhe unfihtbaren Schupgeifter oder 
Genien, welde für Wohl und Weh der einzelnen Menfchen 
forgen, findet fi) bet ſehr vielen Völkern, war aber bei ben 
Römern ein Gegenftand bed bejonderen Cultus. Sn diefem 
Sinne heißt ed (Ged. Die Yührer des Lebens): 


„Zweierlei Benien find's, bie dich durch's Reben geleiten, 
Wohl dir, wenn fie vereint helfend zur Seite bir ſtehn!“ 


ferner (Ged. Refignation): 


„Mit gleicher Liebe lieb' ich meine Kinder! 
Rief unfihtbar ein Genius.” 
eben fo ift (GOftſ. 10, 197) die Rede von einem „Ichwarzen An 
ſchlag, vor defien Annäherung ihn (den Prinzen) fein guter 
Genius warnte”; und (Br. v. M. 5, 471) jagt Siabella: 


„Daß mir der böfe Bentnd nit ſchlummert, 
° Grimmert warnend mich der Tochter Flucht. 


Genius. 329 


Vergl. auch dad Gedicht „Der Genius“. — Die ſchönen Künſte 
fafſen die Genien als geiſtige Weſen auf und ſtellen ſie in der 
Geftalt geflügelter Kinder dar. Da der römiſche Cultus 
jeder bedeutenderen Thaätigkeit, fo wie jeder wichtigen Lebens⸗ 
erſcheinung einen befonderen Genius widmete, fo erjcheinen dieſe 
Geftalten in der Darftellung in der entiprechenden Thätigkeit 
begriffen, wie (Ged. Pompeji und Herculamım): 
„Emfige Genien bort feltern den purpumen Wein.” 

oder mit ihren Attributen verjehen, wie der Genius ded Todes 
(vergl. Geb. Der Genius mit der umgekehrten Yadel), von dem 
ed (Ged. Die Götter Griechenlands) heißt: „Seine Fackel ſenkt 
ein Genius“ Bildl. nennt daher auch Louiſe (K. u. L. V, 1) 
den Tod „einen ftillen, dienjtbaren Genius”, (Ged. Refigna- 
tion) „der ftile Gott” genannt. ben fo heißt ed von der 
ZTodtenfeier (Br. v. M. 5, 442) des Baterd Don Ceſar's: 


„Mit ſchwarzem Flor behangen war das Schiff 
Der Kirche, zwanzıg Benten umftanben 
| Mit Hadeln in den Händen ben Altar.“ 


In bildlicher Bedeutung ift dem Dichter der Genius vor Allem 
die Fünftlerifhe ſchaffende Kraft, „der Schöpferge: 
nius“ (Wſt. L. Prol.), der wie ein Schußgeift über ihm waltet. 
Sn diefer Bedeutung führt er ihn in der Huldigung der Künfte, 
wo-er zugleich perjonificirt erjcheint, mit den Worten ein: 

Ich bin der ſchaffende Genius bes Schönen, 

Und bie mir folget, ift her Künſte Schaar." 
Eben fo heißt ed (Geb. Dad Ideal und das Leben): 


„Benn das Todte bilbenb zu befeelen, 
Mit dem Stoff ih zu vermählen, 
Zhatenpoll der Genius entbremnt, 
Da, ba fpanne fi des Fleißes Rerve, 
Und bebarrlich ringend unterwerfe 
Der Gedanke fih dad Element.“ 


ferner (Ged. Der Genius): 
„Du mr, Bentus, mehrfi in der Ratur bie Natur.” 


328 Genien — Genius. 


(Melancholie an Laura) „der lohe Aetherftrahl Genie”; ferner 
(Sp. d. Sch.) „die Keime feines glüdlichen Genies“; und (Ged. 
Die Weltweifen) „doch hat Genie und Herz vollbradt”. — Da 
dad Genie der herkömmlichen Geſetze und Regeln mit achtet, 
jo kann e8 leicht die Geſetze bed herrſchenden Geſchmacks ver- 
legen; daher (Ged. Die ſchwere Verbindung): „Warum will ſich 
Geſchmack und Genie fo felten vereinen?" „Geſchmack“ fteht 
bier in dem Sinne des franzöfifchen goüt, d. i. eine gewifle 
abgeglättete Yeinheit ded Ausdruded und des Gefühle, wie 
man fie den franzöflichen Dichtern des 18ten Jahrhunderts zu: 
ſchrieb. 


Genien, ſ. Genius. 


Genius, lat. der Geiſt, die geiſtige Cigenthämlichkeit einer 
Sade (vergl. die Gedichte: „Deutfcher Genius“ und „Der grie 
chiſche Gentus”); davon: genial, Senialität (jchöpfertiche 
Kraft, Geiſteskraft im Erfinden) und Gente (vergl. dieſe). 
Ferner bedeutet Genius fo viel wie Schuggeift oder Schup: 
engel. Der Glaube an ſolche unſichtbaren Schubgeiiter oder 
Genien, welche für Wohl und Web der einzelnen Menfchen 
jorgen, findet fih bei jehr vielen Völkern, war aber bei den 
Römern ein Gegenftand des bejonderen Cultus. In diefem 
Sinne heißt ed (Geb. Die Yührer ded Lebens): 


„Bweierlet Benten ſind's, bie bich durch's Leben geleiten, 
Wohl dir, wenn fie vereint helfend zur Geite dir ſtehn!“ 


ferner (Geb. Refignation): 


„Mit gleicher Liebe Lieb’ ich meine Kinder! 
Rief unfichtbar ein Genius.“ 


eben fo ift (Gftſ. 10, 197) die Rede von einem „Ichwarzen Ans 
Ihlag, vor defien Annäherung ihn (den Prinzen) fein guter 
Genius warnte"; und (Br.v. M. 5, 471) fagt Iſabella: 


„Daß mir der böfe Genins nicht ſchlummert, 
* Erinnert warnend mich ber Tochter Flucht. 


Genius. 829 


Bergl. au) dad Gedicht „Der Genius”. — Die ſchönen Künfte 
faflen die Genien als geiftige Weſen auf und ftellen fie in der - 
Seftalt geflügelter Kinder dar. Da der römiſche Cultus 
jeder bedeutenderen Thätigkeit, jo wie jeder wichtigen Lebens⸗ 
ericheinung einen befonderen Gentud widmete, fo erjcheinen biefe 
Geitalten in der Darftellung in der entiprechenden Thätigkeit 
begriffen, wie (Ged. Bompeji und Hereulanım): 
Emſige Benten dort feltern den purpumen Wein.” 


sder mit ihren Attributen verfehen, wie der Genius ded Todes 
(vergl. Ged. Der Genius mit der umgelfehrten Yadel), von dem 
es (Ged. Die Götter Griechenlands) heißt: „Seine Yadel ſenkt 
ein Genius”. Bildl. nennt daher auch Louiſe (K. u. L. V, 1) 
den Tod „einen flillen, bienftbaren Genius”, (Geb. Refigna: 
tion) „der ftile Gott” genannt. Eben fo heißt ed von ber 
Zodtenfeier (Br. v. M. 5, 442) des Vaters Don Cefar’d: 
„Mit ſchwarzem Blor behangen war bad Schiff 


Der Rirche, zwanzıg Genten umftanben 
Mit Fackeln in den Händen ben Yltar.” 


Sn bildlicher Bedeutung ift dem Dichter der Genius vor Allem 
die Fünftlerifhe ſchaffende Kraft, „der Schöpferge: 
nius“ (Wft.2. Prol.), der wie ein Schußgeift fiber ihm waltet. 
Sn diejer Bedeutung führt er ihn in der Huldigung der Künfte, 
wo.er zugleich perjonificirt erjcheint, mit den Worten ein: 

„SH bin der [haftende Genius bed Schönen, 

Und die mir folget, ift der Künfte Schaar." 
Eben jo heißt e8 (Ged. Dad Ideal und das Lehen): 


„Wenn das Todte bildend zu befeelen, 
Mit dem Stoff fi zu vermählen, 
Thatenvoll der Genius entbremnt, 
Da, da fpanne fi) des Fleißes Nerve, 
Und beharrlich ringend unterwerfe 
Der Bedankte fi dad Element.” 


ferner (Geb. Der Geniuß): 
„Du mar, Genius, mehrft in der Natur bie Natur.” 


und (Geb. Die Sänger der Borwelt): 
„Wie man die Götter empfängt, jo begrüßte Jeder mit Andacht, 
Bas ber Genius ihm, redend und bilbenb erfchuf.”. 

Endlich iſt unferm Dichter der Genius auch des Menſchen 
beſſeres Selbſt, dad tn höherem, idealem Sinne als ſein 
Schutzgeift angeſehen werben kann. Daher heißt ed (Gſtſ. 10, 
165): „Der allgemeine Glaube ift, daß er in biejer geheimniß- 
vollen Stunde Unterredungen mit feinem Genius halte”, und 
O. C. 1,9) fagt Don Carlos zu dem Marquis Pofa: 

— — — — — — — — willſt du 

Ein ſchreckenloſer Hüter meiner Tugend, 

Mich kräftig faffen, meinen Genius 

Bel feinem großen Namen rufen?" 
Sm Gegenfaß hierzu nennt Dorfigny (N. a. O. III, 8) den Val⸗ 
cour, der ihn Unheil bringt, „feinen böfen Genius”. 


Genius, Der (Geb.), ein philojophiiches Gedicht aus dem 
Sabre 1795, dad urfprünglich den Titel: „Natur und Schule“ 
führte, auf welchem Gegenſatz die Betrachtung allerdings ruht. 
Sch. war damals mit feinem Auflage „über naive und fentt- 
mentalifehe Dichtung” (Bd. 12) beichäftigt, wobei ſich ihm der 
Iharfe Gegenſatz zwiſchen dem in natürlicher Einfalt lebenden 
und dem Cultur⸗Menſchen nothwendig aufdrängen mußte. Diefer 
Gegenjag ift in dem Gedichte vom moraliſchen Standpunkte aus 
beleuchtet. Es beginnt (DB. 1—14) mit einer Reihe von Fragen, 
wie fie ſich jeder ſelbſtdenkende Menſch bei jeinem Ringen nad) 
Wahrheit und innerem Seelenfrieden vorlegen kann, und wie ber 
Dichter fie bier von einem Jünger der Weisheit an fich felbft 
richten laßt. Sc. Hatte fich in jener Zeit fo eben mit ber 
Kantifchen Philofophie gründlich heichäftigt, die, nach der ba- 
mals herrichenden Meinung allein im Stande fein follte, den 
Menſchen zur Klarheit über ſich felbft und fomit zu innerem 
Zrieden zu führen. „Aus dem modrigen Grab“ einer fchmwer 
verftänblichen Ausdrucksweiſe hatte Sch. fein in urfprünglicher 
Friſche empfindendes Herz gerettet; die ftarren, aller Anichaulichteit 





Genius. 331 


mibehrenden Formen batte er ald lebloſe Mumien binter fich 
gelafien. Er durfte ſich alfo berechtigt glauben, eine Frage, wie 
die geftellte, zu beantworten. Sn feiner Antwort weift er zu- 
nächſt (B.15—28) auf die auch in Goethe's Tafſo (Akt II, Sc. 1) 
ſo ſchön charakterifirte goldene Zeit bin, wo es noch feinen Con⸗ 
fliet in der menſchlichen Bruft gab, wo jeber feinem reinen, 
Beiligen Gefühl unbedingt vertrauen durfte. bet das Sitten- 
gejeß, dad einft in der eigenen Bruft lebendig war, das wird 
nicht mehr empfunden (DB. 29-36). Durch die Verirrung von 
dem Wege der Natur ift der innere Friede geftört, und nur in 
jtilleren, geweiheten Stunden fteigt die Stimme ber Wahrheit 
wie eine Abnung herauf. Wer den Genius (DB. 37—54), „den 
Ihügenden Engel” nie verloren, wer jo glüdlich ift, noch unbe: 
wußt den rechten Pfad zu wandeln, der lebt noch in der gol- 
denen Zeit und fie in ihm. — Die Löfung der Frage alfo, ob 
der Menih auf dem Wege der Wifjenfchaft zum Geelenfrieden 
geführt werben könne, ift dem Dichter zufolge nicht durch den 
Berftand, fondern nur durch das Herz zu geben, welches, jobald 
ed ihm nicht gelingt, den urjprünglichen Yrieden zu bewahren, 
nur durch das Stadium des Zwieipaltes einer fich allmälig ent: 
widelnden Cultur zur Herrfchaft über ſich ſelbft gelangen Tann. 


Genius, Der (Ged.), ein Epigramm aus dem Sahre 1796. 
Durch feine Verftandesthätigkeit jchafft der Menſch Gebilde, 
welche denen der Natur nachgeahmt, aber nicht als Kunftwerte, 
nicht ald Schöpfungen bed Genius zu betrachten find. Die Ver⸗ 
nunft gebt nun allerding3 über diefe Sphäre hinaus, aber ihre 
Gebilde find nichts Anderes ald Combinationen geiftiger Vor⸗ 
ftelungen, denen noch die entſprechende Hülle fehlt. Dieje zu 
ſchaffen ift die Aufgabe des Genius, der in feinen künſtleriſchen 
Productionen die Wahrheit der Natur zu neuer Erſcheinung 
bringt. 

- Genius, Der, mit der umgekehrten Fackel (Ged.), ein 
Epigramm aus dem Sabre 1796. Es bezieht fih auf Leifing 


332 Genius — Gent. 


und Herder, die beide eine Abhandlung gejchrieben haben, welche 
ben Zitel führt: „Wie die Alten den Tod gebildet.” Der An 
ficht beider Dichter pflichtet Sch. in feinen Göttern Griechen 
lands (Str. 9) felbft bei; indeflen ift ed dort die elegiiche Stim- 
mung, welche an ber antiken Darftellung Geſchmack findet, 
während bier die Wirklichkeit ſelbſt in’3 Auge gefaßt wird. 

"Genius, Deutfher (Ged.), ein Epigramm aus dem Zahre 
1796. Wenn die deutjchen Dichter ſich die Römer und Griechen 
zum Borbilde genommen, fo war’ das ein glüdliher Griff; zur 
Nachahmung der FYranzofen aber fehlt dem Deutichen die Leich⸗ 
tigfeit und Gewandtheit. DBielleicht find manche der dichteriſchen 
Verſuche Wieland's gemeint. 


Genius, Der griechiſche, an Meyer in Italien (Ged.), 
ein Epigramm aus dem Jahre 1796. Joh. Heinr. Meyer 
(nicht Mayer, wie in mehreren Ausgaben ſteht) war mit Goethe 
innig vertraut und als Alterthumsforſcher und Kunſtkenner von 
Bedeutung. Vergl. „Die Antike an den nordiſchen Wanderer“ 
und „Die Antifen zu Paris“. 

Genoßſame (WB. T. IL, 2), ſ. v. w. Genofienfhaft. Die 
Urcantone waren ehemald in Genoflenfchaften eingetheilt, wie 
Uri noch gegenwärtig. 

Gent, zur Zeit ded Mittelalterd die Reſidenz der Herzöge 
von Burgund, war damals eine reiche und blühende Stadt; da: 
her ſpricht Bertrand (3.2. O. I, 3), wo er die Kriegsvölker des 
mächtigen Herzogs von Burgund aufzählt, von ben „Äppigen 
Gentern, die in Sammt und Setde ftolziren”. Nach Katfer 
Carl's V. Tode fam Burgund durch deffen Verfügung 1556 an 
Spanien; daher die Worte feined Enkels (D. €. V, 11), die der: 
jelbe an feine Mutter richtet: „Aus Gent empfangen Sie ben 
erften Brief.” Als in Yolge ded Aufftandes der Niederländer 
(1565) die nördlichen Provinzen fich losgeriſſen, ſah fi Phi⸗ 
lipp III. von Spanten genöthigt, die Freiheit dieſes Staates der 
vereinigten Niederlande durch einen auf 12 Zahre gefchlofienen 


Gem — Gerücht. 833 


Waffenftillftand anzuerfennen. Aber nach Ablauf defielben (1621) 
lag Spanien wieder mit den Niederländern im Kampfe; daher 
(Wfl. L. 5) die Worte der Marfetenderin: 

„Und mit einem ſpaniſchen Regiment 

Hab’ ich einen Ubftecher gemadt nad Bent.” 

Genua (%. Peri.: Berz.), ital. Stadt an dem nörblichften 
Punkte ded liguriſchen Deere, war von dem Berfall der Faro: 
lingiſchen Herrichaft bis 1815 eine Republik (daher F. J, 1 „das 
durchlauchtige G.“) und gehört jetzt zu dem Königreich Italien. 


&t. Georg, Infel, |. Siudecca. 


Gerichtsſtab (J. v. O. IV, 6), ein weißer Stab, ber al 
Zeichen der peinlichen Gerichtsbarkeit diente. 


©&t.:®ermain (en Laye), eine Heine Stabt im Geine: 
Departement, einige Meilen von Parid, mit einem von Franz J. 
erbauten königlichen Schloffe; daher ſpricht die Königin Eliſa— 
beth (M. St. 11,2) von der „Herrlichkeit des Hofd von Saint- 
Germain” und Elifabetb von Valois (D. @. IV, 9) von den 
„Briefen, die Don Carlos ihr nah Saint: Germain ge: 
fchrieben.” 

Germanien hieß bei den Römern das ganze nörblich der 
Donau gelegene, tın Weiten von dem Rhein, im DOften von der 
Weichſel begrenzte Land. Später tft ed (mie Boruffia für 
Preußen, Britannia für England) ber feierliche Ehrenname 
für Deutihland geworden; wie (Geb. Deutfche Treue), wo 
Ludwig der Baier und Friedrich der Schöne von Deftreih „um 
ben Scepter Germaniens“ ftreiten, und (Geb. Die Ylüffe), 
wo der Rhein „Sermaniend Grenze bewadht”. 


Gerfau (W.T.I,2) im Canton Schwyz an ber Norbjette 
bed Biermwalbdftätter Sees, am Fuße ded Nigi. 


Gertrud (W. T. Perj.:Berz.), |. Iberg. 
Gerücht, ſ. Fama. 


334 Geſchenk — Geſtirn. 


Geſchenk, Das (Ged.), ein Epigramm aus dem Jahre 1796. 
Es enthält eine Erwiederung auf ein Geſchenk des Freiherrn 
von Dalberg, dem Coadjutor des Kurfürften von Mainz. Des 
felbe war ein großer Freund der Poefle, der mit Sch. in innt 
gem Verhältnifſe lebte. 


Geſſchlechter, Die (Ged.). in köſtliches dichteriſches Er- 
zeugniß des Jahres 1796. Der Inhalt des Gedichtes erinnert 
mehrfach an den erſten Hauptabſchnitt, der in der Glocke auf: 
tretenden Betrachtungen. ine Menge herrlicher, der Natur 
treu abgelaufchter Züge erjcheinen uns bier in einem edlen Haf: 
fiihen Gewande wie Gebilde einer fremden und doch immer 
wieder vor unfern Augen ſich neu geftaltenden Welt. — Vers 11 
„ihr Horn“ erinnert an die munteren Sagdgenoffinnen, welche 
das Gefolge „der jchnellen Artemis“ bilden. Bergl. „Das eleu- 
fiihe Feſt“, Str. 19. 


Geſchwader, gew. eine Reiterfhaar, (R.IV, 5) eine Ab: 
theilung der Räuberbande. 


Geſellſchaft Zefu, ſ. Jeſuiten. 

Geſetzgeber, An die (Ged.), ein Epigramm aus dem Sabre 
1796. Der menfhlihen Natur wohnt zwar der Sinn für das. 
Rechte inne, fobald e8 aber auf3 Handeln ankommt; Jiegen die 
finnlichen Triebe oft über die Stimme der Vernunft. eöhalb 


darf das Geſetz als ſolches auf den fittlihen Charakter der Unter: 
thanen fic nicht verlafien. \ 


Gefpenft, raheforderndes, f. Manen. N 


Geftien. Dem Glauben der Aftrologen (f. d.) zufolge 
hatten die Geftirne Einfluß auf dad Schiefal und felbft auf die 
Entſchließungen der Menfchen; daher fagt König Karl (J. v. 
II, 3) zu dem reuig zurüdtehrenden Herzoge von Burgund: 


„Bergebt ed! Alles tft verziehen. Alles 
Zilgt diefer einz’ge Mugenblid. Ed war 
Ein Schidfal, ein unglückliches Geftirn!” 


Geßler — Giganten. 335 


Geßler, |. Wilhelm Tell. 


Getuler (Bed. 4. B. d. Aen. 8), richtiger Gätuler, ein 
Volksftamm am Nordfaume der großen Wüfte in Afrika; er 
erſtreckte ſich theilweiſe bis zur Küfte zwiichen ben beiden 
Spyrten. 

Geviert, ſ. Aftrolog. 


gewähren (W. T. 1, 4), ſ. v. w. Gewähr leiſten, bürgen, 
einfteben. 

Gphibellinen und Guelfen (D. C. 1,4), zwei Parteinamen 
für die Hohenftaufen und Welfen, welche im 12ten Sabr: 
bundert in Deutjchland faft fortdauernd in Streit mit einander 
lagen. Der Name Ghibellinen wird als eine italienifche Ver: 
flümmelung von Waiblingen, dem Stammſchlofſe der Hohen: 
ftaufen in Schwaben, angejehen; der Name Welfen oder Buelfen 
ift der eine berühmten Yürftenhaufes, das, urſprünglich echt 
deutſch, im. 11. Zahrhundert wieder aus Stalten ngch Deutſchland 
verpflanzt, eine Zeit lang Über verfchiedene deutſche Provinzen 
herrſchte und in Braunfchweig noch fortbeftebt. Wir haben bie 
italieniſchen Namen angenommen, weil in Stalien diefe Kämpfe 
fo zu jagen ihren Hafflichen Ausdrud fanden, in den furdhtbaren 
Zerwürfnifien, die alle Städte und Staaten bed Landes innerlich 
Ipalteten. Die Ghibellinen find bier die Partei der deutichen 
Kaifer, die Guelfen die der Päpfte. 


Gichter (%.1,7), felten im pl., Gliederreißen, krampfhaftes 
Inden; daher auch (%. I, 12) „gichteriiched MWälzen”. 


Giganten (Myth.) waren die riefenhaft gebildeten Kinder 
der Gaͤa, oder ber Erde, welche durch dad Blut ded von Kronos 
verwundeten Uranus befruchtet war. Da Uranus, ber älteſte herr: 
Ichende Gott die ihm zu mächtig werdenden Titanen (d. h. die Ur: 
fräfte der Natur) in den Tartarus eingefchloffen hatte, fo reizte 
Gin die Giganten zur Empörung. Sie ftürzten aud der Erbe 
hervor, fchleuderten Zeljen und zufammengebundene Baumftänmte 


1 


336 Giganten. 


gen Himmel und thürmten Berge auf einander, um den Olymp 
zu erſteigen. Einem Orakelſpruche zufolge konnten die Götter 
dieſe Feinde nur mit Hülfe eines Sterblichen vernichten, wes— 
halb Zeuß durch Athene den Herkules dazu auffordern ließ, mit 
deſſen Hülfe er auch den Sieg errang; daher jagt Zuno (Geb. 
Semele 1) von Zeus: „Giganten mocht' er ſtehn.“ Nach der 
Beflegung der Giganten gebar Gäa die Fama (f. d.), um fid 
an den Göttern durch Verbreitung ihrer Ärgerlichen Handlungen 
zu rächen; daher wird da8 Gerücht (Bed. 4. B. d. Xen. 34) „bie 
jüngfte Schweiter der Sigantenbrut” genannt (f. jedoch Fama).. 
Da man fi die Giganten als Riejen dachte, fo werden mäch— 
tige Erſcheinungen oft mit ihnen verglichen. So jagt Antigone 
(Phön.) von dem Fürften Hippomedon: 

„Wie trogig und wie ſchreckhaft anzufehn! 

Den erbgeborenen Giganten gleich, 

Richt wie ein Sterblicher tritt er einher.” 


Aus demjelben Grunde wird auch dad Riefenhafte gigantiſch 
genannt. So heißt es (Ged. 2.3. d. Xen. 97) von dem Leichnam 
des Priamuß: 


„Set ein gigant'ſcher Rumpf, am Meeresftrand entdeckt, 
Es fehlt das Haupt und Niemand kann ihn nennen." 


und (Ged. Die Bürgichaft) malt die Sonne: 


- — — — — — „auf den glänzenden Matten 
Der Bäume gigantifche Schatten." 


Natürlich werden die Ausdrüde Gigant und gigantiſch häufig 
auch bildlich gebraudht. So fagt Yranz Moor (R. U, U) vom 
Schred: „Was kann Vernunft, Religion wider diefed Gigan—⸗ 
ten eiöfalte Umarınung? " Eben jo Mortimer (M. St. 1,6) zu 
Maria: 

„Aufftehen würbe Englands ganze Sugend ıc. 

Und die Empörung mit gigant'ſchem Haupt 

Durch diefe Inſel fchreiten.” . 
Beſonders erjheint dem Dichter dad Schiefal ald eine riefige 
Macht, So heißt ed (Ged. Die Macht des Gelanged): 





Gitſchin — Glatz. 337 


„Wie wenn auf einmal in die Kreiſe 
Der Zreute, mit Giganten fchritt, 
Geheimnißvoll nach Geifterweiſe 
Ein ungeheures Schifal tritt x. 
und (Ged. Shakeſpeare's Schatten) wird bie Frage an die Dra- 
maturgen gerichtet: 
„Woher nehmt ihr benm das große gigantiſche Schiefal, 
Welches ven Dienichen erhebt, wenn ed ben Menſchen zermalmt?“ 
Und eben beöhalb heißt es auch (Geb. Die Yührer ded Lebens) 
von dem Genius ded Erhabenen: 
„Er trägt mit gigantifchem Arm über bie Tiefe dich Bin.” 


Gitſchin, der Hauptort des gleichnamigen Kreifes im König: 
reih Böhmen, am Fuße des KRiefengebirged. Es gehörte zu 
Wallenſtein's Gütern und war fein Lieblings⸗Aufenthalt; daher 
beißt es (Picc. III, 4): „Ex bat zu Gitſchin einen ſchönen Sig.“ 
Dort rubte (Wit. T. V, 12) feine erite Gemahlin, und auch er 
wollte (Wft. T. V, 3) einft dafelbft begraben jein. 


Giudecen [ipr. Dſchudecca)], eine der vielen Heinen Inſeln, 
auf welchen Venedig in den Lagunen am Audfluffe der Brenta 
liegt. Der breitefte Canal, welcher fich zwiſchen denfelben hin- 
durchzieht ift der della Giudecca; öftlich davon liegen die beiden 
Inſeln S. Giorgio maggiore od. St. Georg (Oftſ. 10, 227 u. 255) 
und Giudecca (ebenda. ©. 155 u. 227). 

Glamis, j. Scone. 

Glarner Land (W. T. IV, 3), der Canton Glarus, öſtlich 
vom Bierwaldftätter See, beftehend aus einem S—9 Stunden 
langen, von der Linth bewäſſerten Alpenthale und mehreren klei⸗ 
nen Seitenthälern. Daß Gebiet ift faft überall von furchtbar 
jteil abfallenden Hochgebirgen eingefaßt, unter denen der 9000 Fuß 
hobe, faft nie vom Eile frei werdende Glärnijch zu den bebeu- 
tendjten gehört. 

Glas und Sagan (Pic. V, 1). Die Grafſchaft Glatz 


und das Fürſtenthum Sagan, een in Ober-, leptered in 
1. 22 


338 Glaube — Gleticher. 


Niederſchleſien, gehörten früher zur Krone Böhmen; Kaiſer 
Yerdinand II. fchenkte fie Wallenftein; 1742 wurden fie an 
Preußen abgetreten. 


Glaube, Mein (Ged.), ein Epigramm aud bem Jahre 
1796. Die verjchiedenen Religionen find dem Dichter alle nur 
mangelhafte Ausdrudöformen für Die eine wahre Religion, welche 
jedem ernften und aufrichtigen Menſchen das Ziel ſeines Stre⸗ 
bens ſein ſoll. 


Gletſcher (vergl. Firn), von dem lat. glacies, d. i. Eis 
(frzſ. glacier), eine der merkwürdigſten Erſcheinungen in den 
Alpen. Solder Gletſcher oder Yerner, wie fie in Tirol 
genannt werden, zählt die Schweiz über 600. Gie find aus 
ungeheuren, beitändigen Eismaſſen gebildet, welche fich von ber - 
Region des ewigen Schneeß in die Thäler herabziehen. Durd 
das ftete Herabwehen des Schnees in die Gebirgdeinfattelungen, 
durch den häufigen Wechfel von Aufthauen und Gefrieren, fo 
wie durch eindringende Wafler bildet fih an den Gebirgsab— 
hängen ein Weberzug, der fefter tft als der gewöhnliche Schnee 
und aus lauter Meinen zufammengefrorenen Schneeförnern be: 
fteht. Auf diefe Weije bildet fi) eine zufammenhangende Ei8- 
maſſe, deren Structur einen körnigen Bruch zeigt und welche 
durch die in den hohen Regionen nur ſchwach wirkenden Son: 
nenftrahlen nicht zum Schmelzen gelangt. In Folge eigenthüm⸗ 
licher Geſetze, welche die neuere Phyſik unter dem Namen der 
mechaniſchen Wärmetheorie zufammenfaßt, befindet fi das 
Gletſchereis in einer beftändigen, herabgleitenden Bewegung, 
ähnlich einem Strome von zähflülfiger Subſtanz. Da dieſes 
Hortrüden, das jährlih im Durchichnitt 400 Fuß beträgt, im 
der Mitte fchneller vor fih geht ald am Rande, fo muß natürs 
lih ein Verſchieben der Eistheilchen ftattfinden, was ſich nicht 
jelten durch ein dumpfes Getöſe Fund giebt; daher (W. T. J, 1): 
„Dumpf brüllt der Firn.“ Da, wo bie Bergabhänge weniger 
jteil werden, erjcheinen Die Gletſcher ald große” Eisfelder, bie 


“ 


Gletſcher. 339 


ſich oft in faft horizontaler Richtung weiter erſtrecken, meift aber 
fi etwas neigen bis zu der Stelle, wo ihr unterer Rand ab: 
ſchmilzt und den Gebirgsbächen ihr Wafler liefert. Bis in diefe 
Gegend pflegt der Menfch emporzudringen, um fi anzubauen; 
daber jagt Melchthal (W. T. II, 2): 

„Bis an der Sletfcher eidbededten Buß 

Ermwartet ich und fand bewohnte Hütten.“ 


Weiter hinab firömt dad Gletſcherwaſſer in den von den zu: 
fanffnenftoßenden Zeldwänden gebildeter Rinnen oder Runfen, 
oft von zerriebenen Quarztheilen milchweiß fhäumend, ber all: 
mälig fich bildenden Thaljohle zu; daher jagt Melchthal (W. T. 
1, 2): „Ich gelangte zu der Alpentrift ꝛc.“ 


„Den Durft mir ftillene mit der Gletſcher Milch, 
Die in den Runfen jhäumend niederquillt.“ 


Da, wo die Eismafien der Gletſcher in horizontaler Richtung 
fih auöbreiten, Tann man fie mit fundigen Yührern befteigen, 
Doch find ſolche Verjuche bisweilen mit Lebendgefahr verbunden, 
da ih in den Eismaſſen oft Spalten und Löcher befinden, von 
deren Borhandenfein die brüdenartig übergelagerte lodere Eis: 
dede nichts ahnen läßt; daher die Bejorgniß ber Hedwig 
(W. T. IT, D): 
„Sch jehe dich im wilden Eisgebirg, 
Wie unter dir der triigertfche Firn 
Einbricht, und du binabfinfft, ein lebendig 
Begrakener, in die fchauerlihe Gruft.” 
In den oberen Regionen erfcheinen die Felfenfpigen faft beftändig 
mit Schnee: und Eismaſſen überzogen und bilden fo bie ftatt: 
lichen Eispyramiden, welche alle anderen Berggipfel überragen; 
daher fragt Tell (W. T. III, 3) feinen Sohn: 
„Stebft du die Firnen dort, die weißen Hömer, 
Die hoch bis in den Himmel fidh verlieren?” 
worauf diefer ihm antwortet: 


„Das find die Gletſcher, die des Nachts fo bonnern 
Und und die Schlaglawinen nieberfenden.” 
22” 


340 Glockee. 


Dieſe Eispyramiden find auch gemeint, wenn Tel (W. T. II, 8) 
tagt: x „Sa, wohl iſt's beſſer, Kind, die Gletſcherberge 

Sm Rüden haben, ald bie böfen Menſchen.“ 

Bei Sonnenaufgang, wenn noch tiefe Nacht die Thäler deckt, 
erſcheinen bie Eisgebirge häufig in glänzend rother Beleuchtung, 
eine Erſcheinung, die unter dem Namen Alpglühen befannt ift; 
daher (W. T. II, 2) Reding’d Worte: 

„Doc feht. indeß wir nächtlich Bier noch tagen, ® 

Stellt auf den höchſten Bergen ſchon ber Morgen 

Die glüh'nbe Hochwacht auß.” 

Noch prächtiger aber ericheinen fie ded Abends nach Sonnen: 
untergang; baber (W. X. I, 4): 

„Die rothen Firnen kann er nicht mehr ſchauen.“ 
Ausführliches über die Gletfcher findet man in „Roßmäßler. 
Das Wafler. Leipzig bei Brandftetter 1860, S. 141—178" und 
in „Helmbolg, populäre wiffenfchaftlihe Borträge, 1. Heft. 
Braunfchweig bei Vieweg u. Sohn, 1865, ©. 95— 134.” 


Glocke, Das Lied von der (Ged.). Diejed Lied der Lieder, 
diefed unübertroffene Meifterwerf der deutihen Lyrik, ift eine 
Production, wie fie fein andered Volk aufzumeifen hat. Sch. 
bat fih beinahe zehn Jahre mit dem Gedanken getragen, bie 
Glocke zu einem Gegenftande feiner Poefie zu machen. Schon 
im Sabre 1788, bei jeinem erjten Aufenthalte in Rubdolftadt, 
befuchte er häufig eine außerhalb der Stadt gelegene Glocken⸗ 
gießerei, um fich eine Borftellung von diefem Gewerbe zu ver: 
Ihaffen; aber andere wichtige Arbeiten zogen ihn wieder von 
feinem Vorhaben ab. Im Jahre 1797 erfaßte er den Gedanken 
auf’8 neue und ſuchte die bereit gewonnenen Anjchauungen 
durch das Studium techniſcher Werke zu erweitern und zu be 
rihtigen. Daß ed ihm diesmal Ernft war, gebt aus einem 
Briefe an Goethe hervor, in dem er jagt, daß ihm fein Glocken⸗ 
gießerlied jehr am Herzen liege. Aber wiederum trat ihm ein 
Hinderniß in den Weg, indem er durch Krankheit geftört wurde 


Glocke. 341 


Endlich gab ein neuer Aufenthalt in Rudolſtadt im Jahre 1799 
Beranlaffung, die erften Erinnerungen der dort gewonnenen Ein- 
| brüde wieder anfzufriichen, und fo entftandb dieſes herrliche, echt 
vollsthümliche Gedicht, welches mit dem Anfange bed neuen 
Sahrhundertd der Deffentlichleit übergeben wurbe. j 
Dad Motto: Vivos voeo. Mortuos plango. Fulgura frango 
— befindet fich als Umſchrift auf der Glocke bes Münfterd zu 
Schaffhaufen. Es bedeutet: „Ich rufe den Lebenden; ich be: 
Hage die Todten; ich breche die Blitze.“ Der letzte Theil bezieht 
fih auf eine früher weit verbreitete Meinung, daß das Läuten 
der Gloden vor dem Einichlagen bed Blitzes bewahren jolle. 
Wie der Dichter fich vor der Anfertigung jeiner Arbeit mit 
den techniichen Berrichtungen des betreffenden Handwerks befannt 
gemacht, fo ift dies auch von Seiten feines Leſers nothwenbig, 
wenn berjelbe das Gedicht vollftändig verftehen will. Zunädit 
wird eine Grube von entiprechender Tiefe gegraben, die foge: 
nannte Dammgrube, welche beftimmt ift, die Slodenform auf- 
zunehmen. Dieſe jelbft befteht aus drei Theilen, dem Kern, der 
fogenannten Dide und dem Mantel. 1) Der Kern wird aus 
Badfteinen gebaut und mit einer Lehmbelleidung überzogen, 
worauf man dem Ganzen vermittelft einer Schablone, d. 5. eines 
an einer Seite halbglodenförmig zugeichnittenen Bretted, die 
Form giebt, welde dem inneren Glodenraume entipridt. An 
der oberen Seite des gemauerten Kerned befindet ſich eine Deff- 
nung, die in eine Höhlung führt. Dieje wird mit glühenden 
Kohlen audgefült, um da8 Audtrofnen ded Innern zu beför: 
dern. Das Trodnen der äußeren Seite, die auf ihrer Ober: 
fläche mit gefiebter Aſche beftreut wird, bejorgt bie Luft. 2) Die 
Die ift eine zweite Lehmhülle. Sie ftellt die Metallitärke bar, 
welche die Slodenwand haben foll, und befommt ihre Geftalt 
Durch eine zweite Schablone. Tiefe über ben Kern geformte 
Lehmglode wird an ihrer Außenjeite mit geichmolzenem Talg 
überzogen und In ähnlicher Weife wie bie erfte getrodnet. 3) Der 
Mantel endlich ift eine dritte Lehmhülle, deren Mafle durch 





342 ' Glocke. 


Eiſenringe und Schienen feſt zuſammengehalten wird und ſich 
von der darin eingeſchloſſenen Form abheben läßt. Iſt dies 
legtere bebutjan gefchehen, was beſonders durch das Talg er: 
leichtert wird, dann wird die Dide forgfältig von dem Kern 
beruntergefhnitten. Hierauf läßt man den Mantel eben jo 
nieder, wie man ihn vorher abgehoben hat, und erhält auf diefe 
Weile zwiichen dem Kern und dem Dtantel einen hohlen Raum, 
der zur Aufnahme des flüffigen Metalls beſtimmt ift. 

Die fo eben gefchilderten Arbeiten jegt der Dichter als be: 
reits vollendet voraus; die weiteren Thätigkeiten führt uns das 
Gedicht felbft vor, und zwar in den zehn Arbeitsſprüchen 
des Meifters, die durch eingerüdten Drud befonderd hervor: 
gehoben find. Es find achtzeilige Strophen in vierfüßigen 
Trochäen; die vier eriten Verſe haben gefreuzte, die vier legten 
parallele Reime. Der fünfte und jechite Vers, nur aus zwei 
und einem halben Trochäud beitehend, machen burch ihre größere 
Kürze, jo wie durch den kräftig abichließenden männlichen Reim 
den beabfichtigten Eindrud ſcharf beitimmter Sommandowörter, 
während die beiden Schlußverje mit ihren milderen weiblichen 
Reimen zu den Betrachtungen überleiten, die ſich an jeben ber 
Arbeitöfprüche anſchließen. Bon diefen Sprüchen des Meifters 
beziehen fich die fünf erften auf die Vorarbeiten bis zu 
dem Beginne des Guſſes, die fünf legten führen uns die 
Thätigkeit ber Arbeitöleute nach erfolgtem Guß vor, bis 
Ichlieglich die Glocke in ihrer Vollendung erjcheint. 

Derfolgen wir zunächft die zehn Arbeitsſprüche für fie. 
Der erfte (1) deutet auf die gemachten Borarbeiten Hin, denen 
jeßt der Hauptact folgen fol, bei welchem der Meifter in echt 
deutſchem Ernft und frommer Einfachheit theild die Arbeit leitet, 
theils durch feinen Zuſpruch ermuntert und anregt. Dicht neben 
der Grube (2) haben wir und ben Gießofen ˖ zu denken, auf deffen 
Heerde das Metall, und zwar zunächft nur das Kupfer, aufge 
Ihichtet liegt. Durch eine Deffnung, den „Schwalch“ fteht 
der Ofen mit dem Schorniteine in Verbindung, in weldem das 


Ze 


Glocke. 343 


Feuer brennt, und zwar ſo, daß die Flamme nur durch den 
Schwalch in den Ofen gelangen und jo das Metall zum Schmel: 
zen bringen kann. Sobald das Kupfer flüffig geworden, wird 
das leichter ſchmelzbare Zinn binzugefeßt. Dad Mifchungsver: 
haͤltniß ift verfchieden; gemöhnfih nimmt man auf drei Theile 
Kupfer einen Theil Zinn. Iſt die Miſchung (3), die fogenannte 
Olodenipetfe, in Fluß, damı pflegt fi auf der Oberfläche 
ein weißliher Schaum zu bilden, in weldem fich unreine 
Beinifchungen abjondern. Durch einen Zufag von Pottafche 
(Aſchenſalz“) wird diefe Schaumbildung befördert und fomit 
eine beflere Verbindung der Metalle erzielt. Mehrmaliges Ab: 
Ihäumen ift daher nothwendig, um bad Metall möglichft rein 
zu erhalten. Nunmehr ift die Aufmerkſamkeit auf den Ofen 
zu lenfen (4), an welchem fich die fogenannten Windpfeifen 
(„Bfeifen*), d. h. ſechs Zuglöcher, befinden, die fich öffnen 
und verjchließen laſſen. Hat das Metall zwölf Stunden in dem 
Dfen gelegen, jo werden die Pfeifen gelb, und es tft Zeit, zum 
Guſſe zu fchreiten. Zuvor aber wird ein Stäbchen in das flüffige 
Metall getaucht. Erſcheint dafjelbe wie mit Glaſur überzogen, 
fo tft dieß ein Zeichen, dab das fpröbere Kupfer fih mit dem 
weicheren Zinn gleichförmig vereinigt hat. Bor dem Beginn des 
Guffes pflegt man dann noch eine Probe zu machen. &8 wird 
eine eine Quantität Metall in die Höhlung eined warmen 
Steind gegoffen und, nachdem ed erfaltet ift, durchgebrochen. 
Bon ber Größe der Zaden, welche die Bruchflädhe zeigt, hängt 
es ab, ob der Schmelzungdprozeß als beenbigt angejehen werben 
fanı. Sind die Zaden zu ein, jo muß noch Kupfer, find bie 
Zaden zu groß, noch Zinn hinzugefeßt werden. Um dad Metall 
in die Form zu laffen, wird nun der Zapfen audgeftoßen, der 
ſich in dem Ofen dem Schornftein gegenüber befindet; oder ftreng 
genommen wird er eigentlich eingeftoßen, denn er tft fegelförmig 
geftaltet und mit ber breiten Seite nach innen gerichtet. Da er 
aus Stein befteht, aljo leichter ald das Metall tft, fo fteigt er 
nach dem Ginftoßen in der flüffigen Maſſe empor und ſchwimmt 


844 Glocke. 


auf der Oberfläche derſelben. Aus dem Zapfenloch ftrömt das 
Metall zunächſt in eine henkel förmig gebogene Rinne und 
von biefer in dad in der Erde befindliche Gehäufe oder „Haus“, 
wie der Dichter die Glockenform bezeichnet, 
Mit diefem Hauptact der Arbeit tritt ein Wendepunft ein. 

Die Form (6) tft gefüllt; jept gilt ed, abzuwarten, ob die Arbeit 
gelungen fein wird. Die Ausdrücke der Bejorgniß: 

„Wenn der Buß mißlang ? 

Wenn die Form zerjprang 3” 


dürften wohl paflender mit einem Ausrufungszeichen veriehen . 


werden. Nach ber jchweren Arbeit tritt (7) natürlich die Ruhe 
ein, die die Arbeiter auch wirklich als folche genießen können, 
während der Meifter auch Diele Zeit mit vorbereitenden Arbeiten 
für die weiteren Berrihtungen ausfüllen muß. Nach erfolgter 
Abkühlung (8) beginnt die Ablöfung bes früher „Haus“, jept 
„Bebäude” genannten Manteld, fo dab die Glocke (9) nad 
und nad zum Vorſchein kommt, vor den Augen der Zufchauer 
erfteht, welche nun die Zierratben an ihrer Außenfläche bewun: 
bern können. So gleihfam aud der Gruft (10) emporgeitiegen, 
wird fie num in die Luft, „das Reich ded Klanges“, empor: 
gezogen, um bem Zwede ihrer eigentlichen Beitimmung zu 
dienen. - 

Die von dem Metfter an die einzelnen techniihen Verrich⸗ 
tungen angelnüipften Betrachtungen, „die guten Reben”, welche 
die Arbeit begleiten, zerfallen In neun Hauptabichnitte, welche 


zwiſchen die zehn Urbeitöfprüche eingefügt find. Jede berfelben _ 


ſchließt fich nicht nur an den vorangegangenen Spruch, jonbern 
auch an bie vorige Betrachtung an, fo wie fie auch auf Das 
jpäter Yolgende vorausdeutend hinweift. 

Die erfte Betrachtung ift ald Einleitung anzufehen. Sie 
deutet den Plan des Gedichte an, deſſen Abſicht ed ift, den 
porgeführten Arbeiten der menfchlihden Hand durch die anges 
knüpften Betradhtungen eine höhere Weihe zu ertheilen. Die 
Diction hält fih, nach Viehoff's treffender Bemerkung, bier 


Glocke. 345 


abſichtlich in faft mittelalterlicher Einfachheit, um erſt ſpaͤter 
einen allmälig höheren Schwung anzunehmen. — Die zweite 
Betrachtung bildet den Uebergang, indem ſie das Thema des 
Ganzen näher bezeichnet, auf bie Beſtimmung und Bedeutung 
der Slode aufmerffam macht. Wir haben zu erwarten, daß bie 
wictigften Erſcheinungen des menfchlichen Lebend an und vor: 
überziehen werden; bie &lode -joll uns verkünden, was dem 
Menihen auf Erden begegnet. — Der Dichter beginnt (3) mit 
der Schilderung der Kindheit, und zwar, da Alles an die Klänge 
der Glocke angelnüpft werben fol, mit dem Tauftage, worauf 
er, an dem Knaben: und Mäbchenalter rajch vorübereilend, mit 
bejonderer Waͤrme bei dem Aufleimen ber erften Liebe, als ber 
Grundlage des Yamiltenlebend, verweilt, welchem die erfte Hälfte 
bed Gedichted gewidmet if. — Demnaächſt ladet die Glocke (4) 
zur Hochzeitfeier ein, mit welcher bie poetifche Stimmung des 
erften Liebesglüdes abſchließt, um den concreteren Ericheinungen 
des Yamilienlebend Platz zu machen. Der Mann bat nun den 
Kampf mit den oft feindlichen Lebendverhältniffen aufzunehmen, 
währent die Hausfrau in ſtets ſich fteigernder Geſchaͤftigkeit das 
von dem Manne Erworbene zu erhalten bemüht ift. Aber das 
Glück ift unbeftändig und wird uns da oft am leichteften untreu, 
wo wir ihm am meiften vertrauen. — Kin umvorhergeſehenes 
Schickſal, eine Yenerdbrunft, (5) raubt dem auf feine Arbeit 
ſtolzen Manne die ganze Habe, und das Vieberzählen ber Seinen 
läßt jogar noch Schlinnmered ahnen. Denn die Glocke bat auch 
eine feierlich ernfte Beftimmung (6), fie giebt auch Dem Abge: 
fhiedenen dad legte Geleit. Mit dem Tode der Gattin find Die 
Bande des Familienlebens gelöft, und wie bei bem jechften Ar: 
beitöfpruche ein Wendepunkt in den Außeren Berrichtungen ein: 
trat, jo wendet ſich der Dichter jet (7) der gefelligen Gemein⸗ 
ſchaft zu, wie fie fi immerhalb des Staatöverbandes geitaltet. 
Gerade in ber Ruhe des Feierabends ftellen fih und die Segnun: 
gen, die wir dem gefellihaftlicden Zuftande zu verbanken haben, 
am jhönften dar. Durch eine „heilige Ordnung“ ſind Sprach und 


346 Glocke. 


Stammgenoffen auf'8 innigſte an einander gebunden, und ber 
lebendige Wechſelverkehr zwilchen den verjchtedenften Kräften ift 
im Stande, die allgemeine Wohlfahrt mächtig zu fördern. — 
Über auch dieſes gejellige Glück (3) ruht nicht auf unerjchütter- 
lichen Stüben. Unzufriedenheit auf der einen und ftolge Ueber: 
hebung auf der andern Seite können auch dieje Bande |prengen, 
der Aufruhr die Städte verwüften, die Revolution einen Staat 
un den Rand bed Abgrundes führen. Gottedfurcht allein tft im 
Stande, die Eintracht zu fihhern. In diefer erhöhten Gemüths⸗ 
ftimmung wird die Schlußbetrachtung bed Meifters (9) zur An: 
rede, welcher feine Umgebung jept, wie beim Eingange feiner 
Betrachtungen, an einer Taufhandlung Theil nehmen läht. Mit 
bem Namen Concordia wird die regelmäßige und bleibende Be- 
ftimmung der Glotke bezeichnet. In der gemeinfamen Andacht 
erheben wir und über Die wanbelbaren Berhältnifie alles Irdi⸗ 
Ihen zu dem, was allein einen unvergänglichen Werth hat. 
Eine vollftändige Darlegung des ganzen Reichthums von 
Schönheiten, welchen dieſes herrliche Gedicht darbietet, würde 
eine umfangreiche Arbeit geben. Wir erinnern nur an ben 
wundervollen Wechjel von Ausdrüden, mit welchen der Dichter 
bad verjchtebenartige Ertönen der Glocke bezeichnet, an die ob- 
jective Haltung in der Darftellung aller einzelnen Ericheinungen, 
an die Zufammenftellung überrajchender Sontrafte, an den höchft 
wirfungsvollen Wechjel des Versmaßes und der einzelnen Vers⸗ 
längen, an die malerifche Wirkung, welche er einerfettö durch 
Aliteration und Affonanz, andererfeit3 durch treffli gewählte 
Kraftwörter, und an noch anderen Stellen durch die lebendig 
dahinftrömende polyſyndetiſche Sapverbindung zu erreichen ver: 
ſteht — und überlaffen ed dem Leſer, alle diefe Schönheiten zum 
Gegenftande feines Rachfinnend oder feines tieferen Studiums 
zu machen, das jedenfalls dazu dienen wird, dad Ganze mit noch 
wohltäuenderer Sefammtempfindung zu umfaflen. Die Sprache 
tit Hier jo zur Muſik geworden, daß die verfchtedenen Stimmungen, 


Glocke. 347 


in welche und bad Gedicht verfegt, unmittelbar in die ſprachliche 
Hülle überfließen. 

Endlich dürften noch einige Einzelheiten eine Erläuterung 
nötbig haben: 1) „Den es in Schlafed: Arm beginnt." Das 
Bindezeihen in mehreren Ausgaben hat hier eben jo wenig Sinn, 
wie ſpaͤter in „nach ber lieben Heimat: Hütte“. Der Dichter 
dürfte diefe Zeichen ſchwerlich gefeßt haben. In Schlafed Arın 
heißt: fill rubend in dem unbeweglich fchwebenden Arme; und dad 
andere ift eine poetifche Inverfion mit Wegfall des Artikels für: 
nach (der) Hütte der lieben Heimat. — 2) „Mit dem Gürtel, mit 
dem Schleier” erinnert zunächft an den Schleier, in welchen 
verhält die Braut im Altertfum dem Bräutigam zugeführt 
wurde; ferner an den Schleier, mit welchem die jungfräuliche 
Braut auch bei und gefhmüdt zu werden pflegt. Endlich find 
dem Dichter Gürtel (ſ. d.) und Schleier wohl nichts Anderes 
als ſymboliſche Ausprüde für eine Sitte, welcher zufolge in 
manchen Gegenden die verbeiratheten Yrauen durch gewille Ab- 
zeichen in der Kleidung von den Sungfrauen fi) unterjcheiden. — 
3) „Web denen, die den Ewigblinden des Lichtes Himmelsfackel 
leihn.“ Des Dichter Weheruf gilt denjenigen, bie in Zeiten 
politifcher Aufgeregtheit die Macht des Wortes mißbrauchen und 
dem gedanfenlojen Pöbel ein Licht anzünden, für welches deffen 
blöde Augen nicht geichaffen find. Wir erinnern dabei an die 
Zigur des Vanſen in Göthe's Egmont. — 4) „Und führen 
das befränzte Jahr” erinnert an eine antite Vorftellung, indem 
- die Griechen ben Horen (f. d.) Kränze von Palmblättern ala 
Attribute gaben. 

Schließlich erinnern wir daran, daß diefed echt volt3thüm. 
li gewordene Gedicht auch andere künſtleriſche Kräfte in Be⸗ 
wegung gefept hat. Die Umriffe zu Sch.’3 Lied von der Glocke 
nebft Andeutungen von Morip Retzſch (Stuttgart und Augs: 
burg bei Cotta) führen dem Bl eine Reihe von 43 trefflichen 
Federzeichnungen vor, welche die geiftigen Conceptionen bes 


348 Slogau — Blorie. 


Dichters in würbdiger Weiſe verfinnlichen. Auch die von Andreas 
Romberg gelieferte Compofition für Geſang mit Orcheſter⸗ 
begleitung hat, wenngleich von den Muſikern wenig geſchaͤtzt, 
doch nicht felten den Hörern einen — Genuß be 
reitet. 


Glogau (Wit. T. IV, 3), eine Karte Feſtung an ber 
Oder, im Negierungdbezirt Liegnig, der wie ganz Schlefien 
feit dem 14. Sahrhundert unter dem Schug der Könige won 
Böhmen ftand. 


Glorie, aus dem lat. gloria, der Ruhm, die Herrlichkeit; 
der Strahlenglanz um das Haupt eined Heiligen; daher heißt es 
vergleichungdweile (GOftſ. 10, 232) von dem Antlig einer weib⸗ 
lichen Geſtalt: „Die Abendfonne jpielte darauf, umd ihr Iuftiges 
Gold fchien es mit einer künftlihen Glorie zu umgeben“, bie 
(S.252) wieder „verſchwindet“. Meift braucht Sch. 'ed bildlich, 
und zwar zunächſt von Perjonen. So heißt es (Menjchenf. 8) 
von der trefflich erzogenen Angelica, die fi dem näheren Um⸗ 
gange mit Menſchen entziehen fol: „Sept fliehe in deine Glorie 
hinauf.” — Berner (D. C. II, 15) von der Tugend ber Königin 
Eliſabeth von Valois im Vergleich zur Prinzeffin Ebolt: 

„In angebetet ftiller Glorie 


—— ——— wandelt ſie 
Die ſchmale Mittelbahn bed Schidlichen.” 


desgl. fagt (D. @. IV, 19) die Fürftin Eboli jelbft: 
Ich bin nicht würbig, ben entweißten Blid 
Zu ihrer Blorie emporzurichten.“ 


und eben fo fagt Lord Leicefter (M. St. Il, 9) zur Königin Elt- 
ſabeth von der Marla Stuart: 


— — — — — — Wenn fie deine Schoͤnheit 
Erblickt, durch Ehrbarkeit bewacht, in Glorie 
Geftellt durch einen unbefleckten Zugenbruf ꝛc. 
— — — — — — — — — — — Dann hat 
Die Stunde der Vernichtung ihr geſchlagen.“ 


— — 


gloften — Glück. 349 


Außerdem aber braucht er es auch von künſtleriſchen Schoͤpfun⸗ 
gen und felbft von abftraeten Borftelungen. So heißt e8 (ed. 
Die Künftler) von dem Ideal des menfchlihen Wejend, das bie 
Kunſt ſich geihaffen: 
Des Weifen Weifefted, der Milden Milde, 
Der Starken Kraft, ber Edlen Grazie 
Vermähltet ihr in einem Bilde 
Und ftelltet ed in eine Glorie.“ 
jerner (Geb. Die Künftler) von der Wahrheit: 
„Die eine Glorie von Drionen 
um's Angefiht, in hehrer Majeftät, 
Nur angeihant von reineren Dämonek 
Verzehrend über Sternen geht.” 
und enblih (Ged. Dad Mädchen von Orleans) von der Dicht: 
kunſt in Beziehung anf bie Jungfrau: 
„Mit einer Glorie hat fie dich umgeben: 
Di fchuf das Herz, du wirft unfterblich leben.“ 
Spöttifh Heißt ed (R.II,3) von dem Pfeudo:Spiegelberg, daß 
„er in feiner Glorie paradire”. Schließlich wird ed auch rein 
feiner Wortbedeutung gemäß für Ruhm gebraudt; wie (Iph. 
V, 6), wo Iphigenie zu ihrer Mutter jagt: 
„Du haft mich nicht verloren. — Deine Tochter 
Wird eben und mit Glorie dich Erönen.” 
oder auch für Glanz der Unfchuld, wie (R. V, 2): „Die Engel 
ded Himmel werden ſich fonnen in deiner Glorie.“ 


gloften (R. II, 1), gew. glofen, fd. |. v. w. glühen, funkeln. 
Glück | 
Glückes Schiff \ 
Glück, Das (Ged.), eine Art Hymnus in dem Gewande 
einer Betrachtung, entftand im Sahre 1798. — Der Gedanken⸗ 
gang tft folgender: Dad Glück (VB. 1—8) ift ald ein freieß 
Geſchenk der Götter zu betrachten, dad nicht dem Verdienſte, 
fondern den Begünftigten zu Theil wird, denen ihr Dafein an 


f. Fortuna. 


850 Glück. 


fich ſchon als Verdienft gerechnet wird. Durch ſittliche Kraft 
(9—16) kann der Mann fi zwar Würde geben und in ge— 
wiffen Sinne jelbft fein Leben verlängern, aber das Glück, d. h. 
geiftige Anlagen, Talent für Kunft und Wiffenfchaft, tft eine 
höhere Gabe, die fih dem Himmel nicht abzwingen läßt. Die 
Götter (17—20) laſſen fich bei der Verleihung ihrer Gaben 
nicht Durch das Gefühl der Gerechtigkeit leiten; fie handeln nach 
Neigung. Nicht „ver Sehende”, d. b. der nach klarer Einficht 
Strebende, hat fich ihrer Gunft zu erfreuen, im Gegentheil „ber 
Blinde”, der weder forfcht noch grübelt, fondern in kindlicher 
Einfalt deften wartet, wa3 ihm zu Theil werben wird. Denn 
da8 Genie (21 —26) ericheint nicht jelten gerade in niederen 
Ständen und wird aus dem Staube erhoben, wie ein Ganymed 
(f- d.) durch den Adler deö Zeus zum Olymp emporgetragen 
ward, um den Göttern dafelbft den Nektar zu reihen. Ebenſo 
werden (27—30) Siegedruhm und Herrichergewalt oft ohne alles 
Berdienft verliehen. So begünftigte Phöbus (31) feine Lieblinge 
bei den pythiſchen Spielen; und Amor (32) erfreute fie mit dem 
Glück der Liebe. So vertraute Caäſar (33 — 34) dem Pofeidon, 
als er einft bei ftürmifchem Weiter über die Straße von Otranto 
fuhr und dem muthlojen Schiffer zurief: „Zage nicht, du fährft 
den Cäfar und fein Glück.“ So bezwang Orpheus (35 — 36) 
die wilden Thiere durch die Macht feiner Töne, und dem Arion 
bot ein Delphin fih dar, um ihn wohlbehalten an das fichere 
Geftade zu tragen. So übt alles Edle und Schöne (37— 38) 
eine Herrihaft aus, die als eine freie Gabe ber ®ötter er: 
fcheint. 

Aber nicht Neid und Unwillen (39) fol und ergreifen, wenn 
wir fehen, wie die Götter ihre Lieblinge bevorzugen. Wenn einft 
Aphrodite (40-42) ihren Liebling, den Parid rettete, ald er im 
Kampfe mit Menelauß dem ficheren Tode nahe war; wenn bie 
Götter (43—43) dem Achilles hold waren und felbft „fein Zür— 
nen”, feinen Zwift mit Agamemnon, ebrten, der ihn lange vom 
Kampfe entfernt hielt, jo daß eine Menge der edelften Griechen, 


Glück — Gnadenbild. 358 


Hellas' beſtes Geſchlecht“ dem Feinde zum Opfer fiel: fo ſoll 
and diefe Gunſt nicht mit Unwillen erfüllen; ſondern (49 —56) 
glüdlich follen wir und preijen, daß wir und ihres herrlichen. 
Looſes erfreuen dürfen, daß wir dad begeifterte Lied bes Saͤn⸗ 
gerd vernehmen dürfen, der und jo Großes verkündet. In dem 
geichäftigen Leben (57—60) ſoll die Gerechtigkeit herrſchen; in 
dem Glück aber mögen wir bie göttliche Allmacht verehren, 
Alles, was menſchlicher Kraft (61— 68) fein Dafein verdankt, 
das muß fich allmälig entwideln; dad Schöne aber ift ba, ed 
befteht in urfprünglicher Kraft, wie einft Venus entftand, dad 
Bild vollendeter Schönheit, wie einft Minerva erfchlen, bie 
Weisheit aud Jupiters Haupt. 


Glück, Das, und die Weisheit (Geb). Str. 1, 8.2 
lautete in der früheren Ledart: „Ylog einft Fortun' der Weisheit 
zu“, wo der Außdrud „Schweitern” (Str. 3) für Kortuna und 
Sophia allerdings befier paßte. Das Ganze ift eine einfach: 
erzählende Allegorie, deren Grundgedanke lebhaft an „die Thei⸗ 
Kung der Erde“ erinnert. Ein interefianter Parallelismud zeigt- 
fh in den beiden Schlußverfen von Str. 1u.4, die in ihrem 
gegenfeitigen Berhältnig von Aufforderung und abweijender Ant: 
wort bem Gedichte eine angenehme Abrundung geben. 


Glückspilz (Par. I, 1), ein Menfch, der durch Glück ſchnell 
emporfommt, gleich den jchnell wachſenden Pilzen. 


Glücksſtern (Br. v. M. 5, 470), ſ. Aftrolog. 


Glückſtadt (Wit. 2. 5), ein Städtchen an ber Elbe in ber- 
Landſchaft Stormarn des Herzogtums Holftein. 


Gnabdenbild (Geb. Der Kampf mit dem Drachen) ober. 
Gottesbild (M. St. I, 6), ein wunderthätiged Bild oder ein 
Wallfahrtsbild, d.h. ein Kreuz (J. v. O. Prol.3) oder das Bil. 
der Maria, oder eined Heiligen, wie man fie in Tatholifchen 
Ländern oft an Wegen aufgeftellt findet; daher (Br. v. 

5, 498): 


352 Snefen — Goldapfel. 


„Reich ift bie Ehriftenheit an Gnadenbildern, 
Zu denen wallend ein gequältes Herz 
Kann Rube finden.” 
Gnefen (Dem. I), im Regierungsbezirk Bromberg, die ehe: 
malige Krönungsftabt der polnifchen Könige. 


Godunow (Dem. ID), |. Demetriuß. 


Goethe, An, als er den Mahomet von Voltaire auf 
pie Bühne bradte. (Ged.) Diejer in dem Versmaß der 
achtzeiligen Stanze gebichtete Prolog war von Sch. dazu be: 
ftimmt, im Jahre 1800 auf dem Weimar’fhen Theater ge- 
fproden zu werben, wo Goethe's Bearbeitung von Voltaire's 
Mahomet zum erften Mal über die Bühne ging. Diefer Prolog 
Sollte dad Publicum, welches dem fteifen Prunf der finzöftichen 
Dramen damals bereits abhold war, mit dem Plane der beiden 
Dichter vertraut machen, welchem zufolge fie den Sinn für edlere 
Erzeugniffe der dramatiſchen Poeſie wieder weden wollten. (Bgl. 
Phädra u. Macheth,) Str. 1. Mit dem falichen Regelzwange 
find die von den Frangofen nad dem mißverftandenen Artfto- 
teles (j. d.) aufgeftellten und von Leffing in feiner Dramaturgie 
befämpften Kunftgefeße gemeint. Die Bergleihung Goethe's 
mit dem jugendlichen Hercules (f. d.) erinnert an des Erfteren 
frühe dramatifche Verjuche, beſonders an Götz von Berlichin: 
gen. — Str. 2, V. 8 vergl. „Sriechheit”. — Str.3, V. 4. Lud⸗ 
wig XIV. (j. d.), unter dem die Kunft zwar blühte, jedoch 
durchweg dad Gepräge bed Abſichtlichen, des Gemachten an fich 
trug. — Str. 5, B.1. Die Feileln des franzöſiſchen Klafficis: 
mus find gefprengt. — Sfr. 6, vergl. „Shakeſpeare's Schatten.“ 
— Str. 10. Die Aufführung de Mahomet follte nad) beider 
Dichter Anfiht den Sinn für Edled und Gediegenes wieder 
anregen, wozu das Stüd allerdings für fie jelbit, jchwerlich aber 
für das Publicum geeignet war, weshalb ſich denn auch gewidh: 
tige Stimmen gegen den gemachten Berfudy erhoben. 


Goldapfel des Zanks (5.1, 1), |. Eris. 


Goldenes Alter. 353 


Goldenes Alter. Die Idee eined goldenen Welt: oder 
Zeitalterdö, und die damit verbundene der Weltalter überhaupt 
war bei den Griechen jchon frühzeitig audgebildet, da es nahe 
lag, das Leben der Menjchheit mit dem ded Einzelnen zu ver: 
gleichen, wobei denn bie der Kindheit entiprechende frühefte Zeit 
des Menſchengeſchlechts natürlich ala die Schönfte betrachtet wurde. 
Hefiod nimmt fünf folder Weltalter an: 1) das goldene ober 
Saturnifhe unter der glüdlihen Regierung des Kronos; 2) das 
filberne, von üppigem und gottlofem Charafter; 3) Das eherne, 
in dem ein gewaltiamer und Triegerifcher Geiſt herrſchte; 4) das 
heroiſche, mit einem Aufihwunge zum Befleren; 5) dad eiferne, 
in dem Gerechtigkeit und Treue der Erde entwichen waren. In 
diefem legteren glaubte Hefiod zu leben. Bon dem goldenen Zeit: 
alter jagt er, daß keine Sorge die Menſchen belaftet, ſondern daß 
ihr Leben gleich dem der Götter voll Heiterleit und Genuß ge: 
wejen jei, indem die Erbe, ohne bebaut zu werden, Alles im 
Ueberfluß gejpendet habe. Die Laft der Jahre hätten die Men: 
fen nicht gefühlt, in blühender Geſundheit fei ihr Leben dahin 
gegangen, und gleih dem Sclafe habe ein jüßer Tod fle über: 
raſcht. Auf ſolche glüdliche Zeit anfpielend jagt Don Carlos 
(D. C. 1, 2) von fich jelbft: 


‚Den du bier fiehft, das ift ber Carl nicht mehr, 
Der fi vermaß in füßer Trunkenheit, 

Der Schöpfer eined neuen goldnen Alters 

In Spanien zu werben.” 


Als eine pafiende Antwort auf biefen Zugendtraum erſcheinen 
die beberzigenswerthen Worte der Prinzejjin in Goethe's Tor: 


quato Taſſo (II, 1): 


„Die goldne Zeit, womit der Dichter uns 
Zu ſchmeicheln pflegt, bie fchöne Zeit, fie war, 
So ſcheint ed mir, jo wenig als fie tft; 
Und war fie je, fo war fie nur gewiß 
Wie fie und immer wieber werben Tann." 
1. 23 


354 Goldenes Buch — Gothen. 


Goldenes Bud (%. II, 5) wird nad Sch.s Anmerkung 
zu dem Gedichte „Die berühmte Frau“ in einigen italientjchen 
Republiten bad Berzeichniß der adeligen Yamilien genannt. 


Goldener Schlüffel, |. Kammerherr. 


Goldener Zirkel (Pice. V, 1), die Krone von Böhmen, 
nach welcher Wallenftein ftrebte, was bie Gräfin Terzky (Wit. 
T. V, 12) noch vor ihrem Ende deutlich außfpricht: 

„Wir fühlten und nicht zu gering, die Hand 
Nach einer Königsfrone zu erheben. — 
&8 follte nicht fein.” — Bergl. Reif. 

Goliath, |. David. 

Goller (W. T. IN, 3), ſ. Koller. 

Gomorrha, j. Loth. 


Gordiſcher Knoten. Als Alerander der Große bei feinem 
Zuge durch Kleinafien nad) Gordium fam, wurde ihm auf der 
Burg eined ehemaligen phrygiichen Königs ein Wagen gezeigt, 
an deſſen Deichjel fich ein höchſt merfwürbiger Knoten befand. 
Bon diefem Knoten ging die Sage, daß wer ihn auflöfe, ganz 
Afien erobern würde. Alerander machte einen Verſuch, da ber: 
felbe aber nicht gelang, fo zerbieb er den Knoten mit dem. 
Schwerte. Auf diefe Begebenheit anjpielend, jagt Wallenftein 
(Wſt. T. III, 15) von den Kriegäwirren feiner Zeit: 

— — — — — — — „Alles ift Partei und nirgends 

Kein Richter! Sagt, wo foll bad enden? Wer 

Den Knäul entwirren, ber fich endlos felbft 

Bermebrend wähft. — Er muß gerhanen werden. 

Ich fühle, daß ich ber Mann bed Schidfals Bin, 

Und hoff's mit eurer Hülfe zu vollführen.“ 
Desgl. (R. IV, 5): „Der verworrene Knäuel unſeres Schickſals 
ift aufgelöft.“ 

Sorge, vergl. Aegis u. Meduſa. 


Gothen, einer der zur Zeit ber Völkerwanderung in Deutſch⸗ 
land eingedrungenen germaniſchen Stämme, welder, in Oft: und 


gothiſch — Gott der Eſſe. 355 


Weſtgothen getheilt, in Italien und Spanien große Reiche grün: 
dete. Der Name , Gothen“ haftet noch an Frovinzen und Städten 
Schwebend, obwohl damit nicht gefagt ift, daß dieſe Namen 
mit den alten deutfhen Gothen zufammenhängen. Wallenftein 
bezeichnet damit die Schweden und ftellt fie (Picc. IT, 5) den 
früher in Deutfchland allein lebenden Teutonen gegenüber. 
gothiſch (W. T. UI, 1). „Ein gothifher Saal.” Die 
Baufunft als Kunftthätigkeit war den Deutichen bis zu Karl 
dem Großen unbelannt geblieben. Der Bauftil, welchen er aus 
Stalien mit nad) Deutihland bradyte, war der, auf welchen 
fpäter die arabifhe Kunft Einfluß gewann. Hieraus entwidelte 
Eh, geftügt und getragen durch den romantifchen Geift de 
Mittelalters, ein Bauftil, den man eine Zeitlang ſchimpfweiſe 
den gothifhen nannte, weil man der Anfiht war, nur robe 
Barbaren wie die Gothen hätten ſolche Bauwerke hervorbringen 
törmen. Später aber ift diefer Name wieder zu Ehren gekom⸗ 
men, außer ihm bedient man ſich auch der Benenmungen „dent: 
fcher, germanifcher oder Spiebogenftil“. Der wejentliche Cha- 
rakter diefed Bauftild, wie er ſich befonderd in den prächtigen 
Münſtern verfchiedener Städte Deutſchlands und der Nachbar: 
laͤnder ausbildete, befteht in ſchlanken Säulenbüfcheln, deren ſich 
immer mehrere aneinander fchmiegen, wie die Stämme eines 
Hains, in deſſen Schatten die alten Teutonen ihre Altäre zu 
errichten pflegten. Auf diefe Weije zeigt die gotbilche Baufunft 
weniger jelbftändige Schönheit ald ſymboliſche Beredfamteit, fo 
wie Erhabenheit und Würde — Ausführliches über dieſen 
Gegenftand findet ih in W. Kühle, Grundriß der Kunftge- 
Ichichte, Stuttgart, Ebner u. Seubert. 1364. ©. 373—456. 
Gothland (Wrb. I), eine ſchwediſche Inſel, ziemlich in der 
Mitte der eigentlichen Oſtſee; fie bildet gegenwärtig eine bejon- 
dere Provinz des Göthareichd oder bed jüdlihen Schwedens. 
Gott, Der bläulide (Geb. Der Spaziergang), |. Nereud, 
Gott der Eſſe (Ger. Das eleufiiche Zeit), |. Hephäftos. 
23 * 


356 Gott der Freude — Götter. 


Gott der Freude (Picc. III, 9), ſ. Bacchus. 
Gott, Der gegenwärtige, |. Hoſtie u. Monftranz. 
Gott, Pythiſcher (Geb. Kaffandra), ſ. Apollon. 


Gott, Der fchilfbekranzte (Ged. Das eleuſiſche Yeit), 
j. Nereus. » 


Gott der Schlachten (Iph. III, 3w.:9.), |. Ares. 


Gott, Der ftille (Geb. Refignation), |. Genius (des 
Tode). - 


Gott, Strahlender (Ged. D. Abend), |. Apollon. 


Götter, Die verjchiedenen Zeiten des Alterthums brachten 
auch verfchiedene Vorftelungen über die Entftehung der Welt 
und über dad Wejen der Götter hervor. Auf dieſe Weije ent- 
ftanden eine Menge von Schöpfungsgefchichten und Götterlehren, 
in denen ſich eine Uebereinjtimmung aber nicht entdeden läßt. 
Nah dem Zeugniffe Herodotd empfing Griechenland feine Reli- 
giondgebräude und die meiften feiner Tempelgötter aus Aegypten, 
theild wohl aud aus Libyen und Phönicien; was indefjen in 
Aegypten nur Symbol war, geftaltete fich bei den riechen zur 
Mythe und mußte fich ber Gewalt de bildenden Geiftes fügen, 
an befien Entwidelung rei begabte Dichter unverfennbaren 
Antheil Hatten. In der griehifhen Mythologie iſt bejonderd 
eine alte und eine neue Götterordnung zu unterjcheiden. Heſiod, 
obwohl ein fpäterer Dichter, fcheint mehr den alten Urmythen 
gefolgt zu fein, in denen Baia, Uränos, Krönod, Rhea, 
Océanus, Hyperion, Heliod, Seledne und mehrere andere 
als Hauptgeftalten erfcheinen, von denen die gefperrt gebrudten 
bei Sch. vorfommen. Homer, der ältere Dichter, erfcheint Da: 
gegen al8 Anhänger der neuen Götterordnung, in welcher bie 
zwölf fogenannten großen Götter: 1) Zeus, 2) Pofetdon, 3) Here, 
4) Demöter, 5) Heftia, 6) Apollon, 7) Hephäftos, 8) Are, 
9) Hermes, 10) Artömis, 11) Pallas, 12) Aphrodite die Haupt: 
tolle jpielen. 


Bötter Griechenlands. 357 


Sötter, Die, Griechenlands. Dies Gedicht ſtammt aus 
dem Frühjahr 1788. Sch. fagt darüber felbft in einem Briefe 
an Körner: „Ich habe die Entdedung gemacht, daß, ungeachtet 
ber biöherigen Bernacdhläffigung (er hatte fich nämlich mit hiſtori⸗ 
ſchen Arbeiten beichäftigt), meine Mufe noch nicht mit mir 
ſchmollt“ — und weiter: „es tft ziemlich dad befte Gedicht, das 
ich neuerdingd hervorgebracht habe.” Das Gedicht ift eine Elegie, 
in welcher die Götterwelt der Griechen ald ein verloren gegan- 
gened Ideal betrauert wird, eine Empfindung, die ſich als der 
Ausflug von Sch.'s damaliger Weltanfchauung erflären, wenn 
auch nicht vertheidigen läßt. Webrigens ift die Annahme, daß 
Sch. gegen die Verehrung eined Gottes habe zu Felde ziehen 
und bie religiöfe Anfchauung der Hellenen im Ernft zurüdrufen 
wollen, jedenfalld eine voreilige, wenn nicht gar eine bödwillige. 
Sch. beflagt wohl nur bie vorberrfchende Verftandesrihtung auf 
dem Gebiete der Religion wie auf dem der Natur, und jehnt 
fi) danach, dem realen Xeben wiederum den Schmud der Poefie 
zu verleihen. — Str. 2, B.4: „wa nie empfinden wird”, d. h. 
die unorganifche, die leblofe Schöpfung. — Str. 4: Der Lorbeer 
ift Die verwandelte Daphne (f. d). B.5: Der Bach, welder 
Demeterd Zähre empfing, ift die in eine Quelle verwandelte 
Eyane, die Freundin der Proſerpina. Die beiden letzteren 
hatten einft Blumen gepflüdt, wobei Projerpina von Pluto 
geraubt ward. V. 8: Cytherens fchöner Freund ift Adonis 
(j. d.). — Str. 5, 8.4: Der Sohn der Leto ift Apoll, welcher 
die Heerden ded Admet weidete. — — Anmerkung Str.1: Die 
Priefterin war ſich bewußt, gerade durch ihre jungfräulihe Schön- 
beit jelbft den Gott des Donners zu beberrichen, und dieſes 
Bewußtſein hatte für fie einen ſolchen Reiz, daß fie Priefterin 
und Sungfrau blieb. — Str. 2, B.4: Die befferen Wefen, die 
edleren Geftalten find die aus religiöfer Begeifterung bervor- 
gegangenen Werfe der Bildhauerkunft, in denen die Götter ſich 
felbft wiederfanden. — Str. 3: Der Hirtengott ift Pan (f. d.). 
— — Str. 8, B.2: Der Wagen des Dionyſos oder Bachus 


358 Götter Griechenlands. 


wurde von Tigern, Leoparden ober Panthern gezogen. — Str. 9: 
Ein Stelet mit der Hippe und dem Stundenglas, dad Bild des 
Toded, wie die dürre Kunft des Mittelalterd es fich gefchaffen, 
wäre dem äfthetiihen Sinne des helleniichen Volkes zumider 
geweien. Die Griechen dachten fi den Tod ald einen Gentus 
(j. d.) mit einer umgekehrten, erlöfchenden Fackel. Zugleich pflegte 
"man ihm einen Schmetterling oder eine Pſyche mit Schmetter: 
Yingsflügeln ald Symbol der dem Körper entjchwebenden Seele 
beizugeben. 8.7: Der Thrafer od. Thracier ift Orpheus (f. b.). 
— Str. 11, B.4: „Der Wiederforderer der Todten“ ift Hercu⸗ 
led; „der Götter ftille Schaar“ find die Götter der Unterwelt, 
die fih ihm willfährig zeigen (vergl. Alcefte). 3. 8: „Das 
Zwillingspaar“ ind Kaftor und Pollux (f. Dioscuren). — 
Str. 13, B.2: Des Nordend fehauerliched (früher: winter: 
liches) Wehen ift ald die kalte Berftandeöbetrachtung der ger: 
mantjchen Völker gegenüber der phantaflereichen Lebendanfchauung 
der hellenifchen zu betrachten. V. 8: „Die Wälder wieberhallen 
leer”, d. 5. ftatt der empfindjamen Echo, ftatt der Dreaden, 
Dryaden und Najaden haben wir höchftend eine einfache akuftiſche 
Erfheimung. — Str. 14, B. 7: Die Gefebe der Schwere oder 
Gravitation, von denen die Bewegung ber Weltförper abhängig 
ift, wurden zuerft von 3. Newton (f. d.) aufgeftellt. — Str. 15, 
B.3: Die Affonanz: Spindel winden ift eine maleriſche Dar: 
ftellung der einförmigen Bewegung des Planetenlaufed. B.4: 
Die Monde, ſ. v. w. Planeten od. Weltlörper überhaupt. — 
Sch.'s Götter Griechenlands, die noch jetzt vielen Chriften an- 
ftößig erjcheinen, erregten gleich bei ihrer erften Veröffentlihung 
ben Schreden orthodorer Eiferer ; befonber3 trat Fr. L. Graf zu 
Stolberg ala Stimmführer derjelben in einem Sournalartitel des 
deutſchen Muſeums von 1788 gegen dies Gedicht in äußerſt 
heftiger Weife auf. Sch., in deſſen Natur ed durchaus nicht 
lag, dad, was Anderen heilig erfcheint, auf Hämifche Welle an- 
zugreifen, und ber fich auch fünf Jahre fpäter bei feinem Auf: 
enthalte in Ludwigsburg veranlaßt ſah, die ſchlimmſten Stellen 


Götter Griechenlands — Gotiesbild. 359 


bed Gedichtes auszumerzen und andere wejentlich umzugeftalten *), 
äußert fih über feine Götter Griechenlands in einem Briefe an 
Kömer folgendermaßen: „Der Künftler und vorzüglich der Dichter 
behandelt niemals das Wirkliche, jondern immer nur das 
Sdealifche, oder dad amd einem wirklichen Gegenftanbe kunſt⸗ 
mäßig Audgewählte; z. B. behandelt er nie die Moral, die Keli- 
gion, fondern nur diejenigen Eigenſchaften von einer jeden, die 
er fih zufammen denten will — er vergeht fi aljo auch gegen 
eine von Beiden, er Tann fi) nur gegen die äfthetijche Anorb: 
mmg ober den Geichmad vergeben. Wenn ich aus ben ®e- 
brechen der Religion oder der Moral ein ſchönes übereinftim: 
mended Ganze zufammenftelle, jo ijt mein Kunftwerk gut; und 
es ift auch nicht unmoraliſch oder gottlos, eben weil ich beibe 
Gegenftände nicht nahm, wie fie find, fondern erft, wie fle nach 
einer gewaltfamen Operation, d. b. nach Abjonderung und neuer 
Zujammenfügung, wurden. Der Gott, den ich in den Göttern 
Griechenlands in den Schatten ftelle, ift nicht der Gott ber 
Philoſophen oder auch nur dad wohlthätige Traumbild des großen 
Haufens, ſondern es ift eine aus vielen gebrechlihen, ſchiefen 
Borftellungdarten zufammengeflofiene Mißgeburt. Die Götter 
Griechenlands, bie ich in's Licht ftelle, find nur die lieblichen 
Eigenfchaften der griechiſchen Mythologie in eine Borftellungdart 
zufammengefaßt. Kurz, ich bin überzeugt, daß jeded Kunftwerk 
nur ſich felbft, d. 5. feiner eigenen Schönheitsregel Rechenſchaft 
geben darf, und Teiner anderen Forderung unterworfen ift.“ 


Bötter meines Daches (M. St. I, 8), ſ. Penaten. 
GBötterbote, |. Hermes. 

Götterkönigin, |. Here. 

Gottesbild (M. St. I, 6), ſ. Gnadenbild. 


*) In ber Gefammtansgabe von 18360 iſt dad Gedicht zweimal, erft in feiner 
fpäteren und dann in feiner früheren Faffung abgebrudt. 


360 Gottesfriede — Gotthardt. 


Gottesfriede, in der Eirchlichen Sprache bed Mittelalters 
Treuga Dei (von dem deutſchen Treue) nannte man eine vor 
der Kirche angeordnete Beichränkung der Fehden, wodurch ben 
leidenfchaftlichen Ausbrüchen roher Gewalt ein Damm entgegen: 
gefeßt werden jollte. Diefer Anordnung begegnet man 'zuerft in 
Aquitanien, dem fübweitlihen Frankreich, feit dem Sabre 1038, 
wo ein Biſchof den Befehl dazu vom Himmel erhalten haben 
wollte; jpäter wurde fie auch auf andere Länder ausgedehnt. 
Die Tage, an welchen die Waffen ruhen mußten, waren zunächft 
bie heiligen Tage jeder Woche, vom Donnerdtag Abend bis 
Sonntag Abend, ferner die Abvents-, ſowie die Yaftenzeit, und 
endlich die volle Woche nach jedem der drei hoben Feſte. In 
Beziehung auf diefe Anordnung jagt (Br. v. M. 5, 391) der 
Chor: 


„Aber mich jchredt die Eumenide, 
Die Bejchirmerin diejes Orte, 
Und ter waltende Gottesfriede.“ 


Gottesurthel, |. Urthel. 


Gotthardt (W. T.). Der St. Gotthard tft ein Gebirge: 
ftod, weldyer den Hauptfern ber Schweizer Alpen bildet. Er 
beſteht aus einer großartigen Gruppe von fchneebededten Hör- 
nern und Spiten, welde nad Weften die Ballifer: und Berner: 
Alpen, nad) Dften die Lepontiihen und die Slarner-Alpen aus: 
fendet und bildet zugleich dad Quellgebiet für den Rhone (nady 
W.), den Teffin (nach ©.), den Rhein (nad) O.) und die Reuß 
(nad N.). Die leptere mündet in den Vierwaldtftätter See, auf 
welchem Tell dem Fahrzeug ded Geßler entiprang; daher heißt 
es (W. T. IV, 1): 

— — — — — — „Da verhängt es Bott, 

Daß fold ein graufam mördriſch Ungemitter 

Zählings herfürbrach aus des Gotthardts Schlünben.” 
Das Thal der Reuß hinauf führt der Weg, welchen Tell dem 
Johannes Parricida beſchreibt (vergl. die, Brücke, welche ftäubet“) 
und wo es (W. T. V, 2) heißt: 


‘ 


Gotzendienft — Grab. 361 


„So immer fleigend kommt ihr auf bie Höhen 
Des Gotthardté, wo bie ew'gen Seen find.” 
Ueber die Mittellette der Gruppe des St. Gottharbt führt ber 
Paß 6650 Fuß Über der Meeredfläche nad Stalien; daher 
fagt Rudenz (W. T. II, 1) zu feinem Obeim in Bezug auf den 
Kaiſer: 
„Die Kaufmanndftraßen, und das Saumroß felbit, 
Das auf den Botthardt ziehet, muB ihm zoflen.” 
denn Albrecht gab feinem Haufe die Vogtei im Urjerenthal mit 
einem Zoll, der etwa 900 FI. eintrug. 
Bögendienft, Der römifhe. Lord Burleigh, der Puri- 
taner (ſ. d.), jagt (M. St. II, 3): 
„Roh viele heimliche Verehrer zählt 
Der röm'ſche Gotzendienſt auf diefer Injel.” 
und bezeichnet damit den katholiſchen Gottesdienſt, deſſen Pracht 
Mortimer (M. St. 1,6) mit glühender Begetfterung jchildert. 
Gozzi (Zur). Graf Carlo Gozzi, geb. 1718 zu Venedig, 
ein italienifcher Luftipieldichter, begann feine Itterartiche Laufbahn 
mit ſcherzhaften Gedichten und zog demnächſt gegen den ſchlech— 
ten Geſchmack, wie er fih in den bramatifchen Arbeiten vieler 
feiner Zeitgenofien offenbarte, zu Yelde. In Yolge ber dadurch 
heroorgerufenen Streitigkeiten begab er ſich ſelbſt auf das Gebiet 
des Drama’3 und ſchuf eine ganz neue Gattung von Luftipielen, 
in denen, weil fie ihm eben nur Spiel fein jollten, Scherz und 
Ernſt willtürlih mit einander wechſelten, um ſich gegenfeltig 
außzugleihen. Den Stoff zu diefen Arbeiten jchöpfte er aus 
den Feenmährchen, die feiner doppelten Neigung zum Phantaſti⸗ 
ſchen und Satiriihen ein willlommened Feld boten. Geine 
Stüde find led in der Anlage, vor Allem auf den Effect be: 
rechnet und dem damals herrſchenden Geſchmack jeiner Lande: 
leute angepaßt. Da fie aber eben nur leicht bingeworfen 
waren, fo tft ihr Eindrud auch ein fchnell vorübergehender 
geweien. 
Grab, Das heilige. Als die Zuben unter Sofun dag 
gelobte Land eroberten, war Jeruſalem im Beſitz der Zebufiter; 


362 Grab, Das heilige. 


erft David vertrieb fie gänzlich aus der Stadt und legte feine 
Burg auf dem Berge Sion an. Seitdem blieb Jeruſalem (d. h. 
Wohnung ded Friedens) der Mittelpunkt des jüdiſchen Reiches. 
Nachdem ed unter den Königen zu wiederholten Malen erobert, 
geplündert und wieder aufgebaut worden, ward es 40 Jahr nach 
Ehrifti Tode von dem Kaifer Titud gänzlich zerftört und dem 
Erdboden gleich gemacht. Unter Hadrian wurde (118) an der: 
felben Stelle eine neue Stadt Aelia Capitolina gegründet, in 
der aber Feine Suden wohnen durften. Als indeß Conjtantin 
ber Große (306— 337) fi dem Chriſtenthum geneigt zeigte, 
ließen er und feine Mutter Helena die heibnifchen Tempel zer: 
ftören und mehrere, noch jebt vorhandene chriſtliche Kirchen, 
unter anderen auch die zum heiligen ®rabe, bauen; zugleich er: 
hielt die Stadt ihren früheren Namen wieder. Sm fiebenten 
Jahrhundert fiel Serufalem in die Hände der Muhamedaner, 
gegen welche jpäter Die Kreuzzüge unternommen wurben; daher 
beißt e8 (Geb. Ritter Toggenburg) von den Mannen bed 
Ritters: 
„Nah dem heil'gen Grab fie wallen, 
Auf der Bruft bad Kreuz.” 
Sm Sabre 1099 eroberten die Kreuzfahrer Serufalem und be- 
bielten es bis 1188, worauf es wieder in die Hände der Muba: 
medaner fiel, die es noch gegenwärtig beiten. Dad jetzige 
Serufalem ift mit Thürmen und feften Mauern umgeben, bie 
ein Werk des Sultans Soltman (1534) find. Ziemlich in der 
Mitte der Stadt Tiegt die einft fo berühmte Kirche zum heiligen 
Grabe mjt einer Heinen Kapelle, in welcher ein Sarkophag aus 
Marmor die (allerdings ſehr zweifelhafte) Stätte bezeichnet, wo 
der Leichnam Jeſu gelegen haben fol. Der Eingang zu ber 
Kapelle wird von Türken bewacht, die von den befuchenben 
Pilgern einen bedeutenden Zoll erheben. Seit der Zeit ver 
Kreuzzüge hat die katholiſche Kirche denen, die das heilige Grab 
befuchen, ftet3 volle Abfolutton zugefagt; Daher (Br. v. M. 5, 498): 
„Und fegensvofle Himmelskraft ummeht 
Das heil'ge Brad, bad alle Welt entfündigt. 


Gräcomanie — Graf von Habsburg. 363 
Gracomanie (Ged.), ſ. Griechheit. 
Graf, Großer (W. T. IL, 2), f. bannen. 


Graf, Der, von Habsburg (Ged.). Diefe legte unter 
Sch.s Balladen entftand im Sabre 1803, ald er mit den Bor: 
ftudien zum Zell befchäftigt war. Als feine Duelle führt er 
jelbft in einer Anmerkung Tſchudi an, welcher die Begebenheit 
in feinem Chronicon helveticum unter dem Jahre 1266 mittheilt, 
wo Rudolf von Haböburg mit dem Abt Berchtold von St. Gallen 
um einiger Lehngüter willen in Streit lag. Ald nämlich der Graf 
fih auf der Jagd befand, traf er einen Priefter, der zu einem 
Kranken gehen wollte, um ihm das Sacrament zu reihen. Da 
der Bach aber angeichwollen und der Steg fortgerifien worden 
war, jo überließ Rudolf ihm fein Pferd, welches der Briefter 
am nächften Morgen zurüdbrachte, wo er ed von dem Grafen 
zum Geſchenk erhielt. Mit frommen Segendwünfchen verließ 
ihn der Priefter, die auch am nächften Tage von einer Klofter: 
frau wiederholt wurden, welcher ber Graf zufällig begegnete. 
Der Briefter wurde fpäter Kaplan bei dem Erzbiſchof von Mainz, 
dem er den Borfall mittheilte. Eben jo erfuhren ihn mehrere 
andere vornehme Herren, fo dab bie Sache bald allgemein be- 
kannt wurde. Auch weiß man, dab der Erzbiihof von Mainz 
bei der Katferwahl feinen ganzen Einfluß geltend machte, um 
die Aufmerkſamkeit der Fürſten auf Rudolf von Haböburg zu 
lenken. — Diefer Duelle tft der Dichter im Ganzen treu ge: 
blieben; nur find die Scenen bei dem Kaijermahl zu Aachen, fo 
wie die Uebereinftimmung des dafelbft auftretenden Sängers mit 
‚jenem Priefter als feine Erfindung zu betrachten. Durch Diele 
Einfleivung gelang es ihm, die urfprüngliche Prophezeihung und 
die nachmalige Erfüllung berjelben in ein wohl abgerundetes 
Bild zufammenzubrängen. Die dem Gedichte zu Grunde lie: 
gende Idee ift die chriftliche Demuth, welche fih in der Ehr- 
furdt vor dem Heiligen offenbart und durch das Walten ber 
göttlichen Borjehung mit irdiſchem Glücke belohnt wird, eine 


364 Graf von Habsburg. 


Vorſtellung, welche der chriſtlichen Denkweiſe des deutſchen Volkes 
durchaus entſpricht und unſerer Ballade einen weiten Kreis von 
Verehrern erworben hat. 

Str. 1. Das Krönungsmahl fand im Jahre 1273 am Aller⸗ 
heiligenabend zu Aachen ftatt, welches bis zu Maximilian LI. 
(1564 — 76) Krönungsftadt blieb. Die fieben Kırfürften, von 
denen Jeder ein Hofamt bei der Krönung befleidete, waren: 
1) der Erzbiſchof von Mainz als Erzkanzler; 2) der Erzbiſchof 
von Trier ald Kanzler von Burgund; 3) der Erzbiihof von Köln 
als Kanzler von Stalien; 4) der Pfalzgraf am Khein al Trudh: 
jeß; 5) der Herzog von Sachjen- Wittenberg ald Marſchall; 6) der 
Markgraf von Brandenburg als Kämmerer; 7) der König von 
Böhmen ald Mundſchenk. — In Beziehung auf den lekteren 
weit Sch. in der dem Gedichte beigefügten: Anmerkung darauf 
bin, daß derjelbe bei der Krönung nicht zugegen war. Ottokar 
von Böhmen hatte die Wahl Rudolf's nicht gebilligt und blieb 
ihm auch ferner feindlich gejinnt, bis er 1278 in ber Schlacht 
auf vem Marchfelde fiel. — Was die fieben Planeten betrifft, 
fo kannte man zu Sch.'s Zeiten nur: Merkur, Venus, Erbe, 
Mars, Jupiter, Saturn und Uranus. Die Afteroiden und Neptun 
find erft im Laufe unfered Jahrhunderts entdedt worden. — 
Str. 2. „Die Taiferlofe, die jchredliche Zeit“ iſt das Interregnum, 
welches mit dem Tode Konrab’8 IV. 1254 begann. Die Au 
länder: Wilhelm von Holland, Alphond von aftilien und 
Richard von England, weldhe während diefer Zeit auf den deut⸗ 
Ihen Kaiferthron berufen wurden, haben ſich wenig oder gar 
nit um Deutſchland befümmert, — Str. 11. Die ſechs Töchter 
Rudolf's wurden nahmald alle an Fürſten vermählt: 1) Med: 
tild mit Ludwig, Pfalzgrafen bed Rheind und Herzog von 
Baiern; 2) Agnes mit Albrecht, Herzog von Sachſen; 3) Heb- 
wig mit Otto, Markgrafen von Brandenburg; 4) Katharina 
mit Otto, Herzog von Baiern, fpäter König von Ungarn; 5) 
Gutta mit Wenzel, König von Böhmen, dem Sohne Ottokar's; 


Grandda — Grat. 365 


6) Slementia mit Karl Martell, Erbprinzen von Sicilien, 
fpäter König von Ungarn. 

Granada, nit Grenada, wie in allen Ausgaben ftebt, die 
Ihönfte Provinz des ſüdlichen Spaniens, in der man noch am 
deutlihften die Spuren ehemaliger großer Betriebſamkeit be- 
merkt; daher (D. C. IE, 10): 

— — — — ‚Berlaften von dem Fleiß 
Der neuen Shriften, liegt Granada übe.” 

Stande (D. ©. I, 6), von dem lat. grandis, groß; die 
Hochadeligen in Spanien, „die Großen des Hofes” (S. 179). 
Sie führen den Titel Ercellenz und dürfen bei gemifien feier: 
Kichen Gelegenheiten vor dem Könige mit bededtem Haupte er- 
Icheinen. 

Grandezza (Wrb. II), Hoheit, Würde, Stolz; a (D.®. 
I, 6) die verfammelten ſpaniſchen Granden. 

Grandifon (gr. 9. a. d. n. Geſch. 10, 64), ein — 
Roman: The history of Sir Charles Grandison. London 1753 
(deutſch Leipzig 1780; 7 Theile) von Samuel Richardſon, geb. 
in Derbyfhire. 

Stans od. Granſe heißt im ſüddeutſchen Dialect |. v. w. 
Krahn oder Spike eines Schiffes; man unterfcheidet Vorder⸗ 
grand und Hintergrans; daher (W. T. IV, 1): 

Ich drüde, 
Mit allen Kräften angeſtemmt, 
Den hintern Branfen an die Felswand hin.“ 

graß (gr. H. a. d. n. Geſch. 10, 97), ſ. v. w. gräßlich, grauen: 
erregend. 

Grat, ſ. v. w. ſcharfe Kante, beſonders ein ſcharfkantiger 
Felsrücken; daher (Ged. Der Alpenjäger): 

„Jetzo auf den ſchroffen Zinken 

Hängt fie, auf dem höchſten Grat.“ 
nämlich die Gemſe, „ein armſelig Gratthier“ (W. T. IV, 3), 
im Gegenſatz zu den Waldthieren, welche die Thäler bewohnen. 


366 Gräber — Gray, Lady. 


Graͤtzer (Picc. IV, 5). Es tft Kaiſer Ferdinand II. (1619 
bi8 1637) gemeint. Noch ehe der Einderlofe Kater Matthias 
ftarb, hatten fidh die fammtlichen Prinzen des öftreichifchen Haufes 
vereinigt und den Erzherzog Ferdinand von der Steierſchen Linte, 
„den Grätzer“ (rap tft der Hauptort des Herzogthums Gteier- 
mar), zum Nachfolger beftimmt. Die älteren Brüder thaten zu 
feinen Gunften Verzicht auf ihr wirkliche oder vermeintliches 
Vorrecht, und fo ward Yerdinand noch bei Matthias’ Lebzeiten 
al8 defignirter König von Böhmen (1617) und Ungarn (1618) 
gefrönt. — Vergl. Yriedrich V. 


Gravität, von dem lat. gravitas, die Schwere. 1) (Geb. 
Metr. Veberf. Borer. — Picc. II, 1) feierlicher Ernft; 2) (Wrb. II) 
angenommene Würde; gravitätiich (R. II,3 — Wſt. L. 7), ge: 
wichtig, fi ein Anſehen gebend. 


Gray, Lady (M. St.I,6). Johanna Gray, die Urentelin 
König Heinrich's VII. und die ältefte Tochter de8 Marquis von 
Dorfet, wurde 1537 geboren und war 10 Jahr alt, als Hein- 
rich VIII. ftarb. Da fein Sohn Eduard VI. noch minderjährig 
war, fo wurde defien Obeim Eduard Seymour, Herzog von 
Sommerfet, zum Reichöverwefer ernannt. Der Bruder bed lep- 
teren, Thomas von Sommerfjet, war bierüber unzufrieden, und 
jo entitand ein Zwieſpalt zwilchen beiden Brüdern, den Joh. 
Dudley, Biscount von Lisle, zu nähren juchte, in der Hoffnung, 
beide Brüder zu ftürzen und fich felbft den Weg zur Reichsver⸗ 
wejerftelle zu bahnen. Nachdem er mit Hülfe des nur allzu 
feigen Parlaments erft den einen und dann auch den anderen 
Bruder auf dad Schaffot gebracht, ließ er fich jelbft zum Herzog 
von Northumberland ernennen. Seht ftand ihm nur noch die 
Kränflichfeit de jungen Königs im Wege, nach deffen Abfterben, 
einem Teftamente Heinrich's VIII. zufolge, deſſen Töchter Marie 
und Elifabethb auf den Thron gelangen follten, unter deren 
Regierung er feinen Einfluß zu verlieren fürchtete. Gr ſuchte 
daher Eduard VI. zu bewegen, jeine Schweftern von der Erbfolge 


Grazie — Greif. 367 


auszuſchließen und bie fchöne und liebendwürdige Sohanna 
Gray, die bereitö mit einem jüngeren Sohne Rortbumberland’s, 
dem Lord Builford, vermählt war, zu feiner Nachfolgerin zu 
beſtimmen. Das Parlament mußte dem ehrgeizigen Machthaber 
wiederum gehorcdhen, und als Eduard VI. (1553) ftarb, wurbe 
Sohanna, ein fanfted nachgiebiges Wefen, die übrigens keines⸗ 
weges nach der Krone ftrebte, faft mit Gewalt aud ihrer Zurück⸗ 
gezogenheit bernorgeholt und auf den Thron erhoben. Nun aber 
ermannten fi) Bolt und Abel, die den ebrgeizigen Plänen Nor: 
tbumberland’8 längft abgeneigt waren; fie wirkten auf das Par- 
lament ein, und jo ward Heinrich's VIII. ältefte Tochter Maria, 
nachdem fi auch die Hauptftadt für fie erklärt, ala Königin 
audgerufen. Northumberland fuchte fi zwar durch fchnelle 
Unterwerfung zu retten, aber jept war ed zu fpät. Er wurde 
in den Tower gejegt und hingerichtet, Johanna Gray mit ihrem 
Gemahl dagegen, obwohl durch dad Parlament zum Tode ver- 
urtheilt, zunähft nur in- ftrenger Haft gehalten. Als aber bald 
nach Maria's ZThronbefteigung dad im Volke herrichende Mip- 
vergnügen fi in offene Empörung gegen fie verwandelte, wurde 
fie von Haß und als bigotte Katholikin zugleich von religtöjem 
Fanatismus ergriffen und befahl, das noch in Kraft beftehende 
Todesurtheil zu vollitreden. In Folge deflen mußte Sohanna 
Gray, nachdem fie ihren Gemahl hatte zum Tode führen Be 
am 12. Yebruar 1554 das Schaffot befteigen. 


Grazie, pl. Grazien, |. Charts. 


Greif, ein fabelhaftes Thier des Drients, welches der Sage 
nach Körper, Füße und Krallen eined Löwen, Kopf und Ylügel 
eines Adlerdö, Ohren eined Pferdes und ftatt der Mähne einen 
Kamm von Filhflofien hatte. Man dachte e8 fi) als den 
Wächter des in der Erde befindlichen Golded. Die bildende 
Kunft der Alten, wie die der Gegenwart hat den Greif oft zum 
Gegenftande ihrer Darftellung gemacht. In diefem Sinne heißt 
es (Picc. III, 4) von dem aftrologifchen Thurm: 


368 Grenada — Griechiſche Kirche. 


„Bon Beiftern wirb ber Weg dazu beſchützt, 

Zwei Breife Halten Wade an ber Pforte.” 
Sn dem Gedichte „Pegajus im Joche“ fteht Greif für Pegafus 
(. d.). 


Grenada, j. Granada. 


Griechheit (Ged.), ein Epigramm, welches (nad) BViehoff) 
aus drei früheren Xenien zufammengeftellt wurde, deren Weber: 
fchriften „Die zwei Fieber“, „Griechheit” und „Warnung“ lau—⸗ 
teten. Die Gallomanie, dad heißt die Schwärmerei für fran- 
zöfiihe Sitte, hatte auch in der Literatur vor Klopftod und 
Leſſing geherrſcht. Die poetifchen Producte jener Zeit bewegten 
fich in den ftarren Formen des franzöftfchen Klaſſicismus, die 
der Dichter mit dem „Talten Yieber“ bezeichnet. Nach dem Bor: 
gange Bodmer's, Breitinger’d, Klopſtock's und Leſſing's brach 
nun die Gräcomanie, d. h. die Begeifterung für die griecdhiiche 
PVoefie, aus, die der Dichter zwar nicht tadelt, aber mit Beſon— 
nenheit gehandhabt wiſſen will. 


Griechiſche Kirche (Sftj. 10, 241). Die im 3. und 4. Jahr⸗ 
hundert durch öftere allgemeine Kirchenverfammlungen herbei: 
geführte Uebereinſtimmung ber verfchiedenen riftlichen Gemein: 
den konnte bei der weiteren Ausbreitung derfelben von dem 
morgenländiichen nach dem abendländifchen Reiche um fo weni: 
ger von Dauer fein, ald die Anfchauungd- und Denkweiſe der 
betreffenden Bölfer nothwendig jehr verjchieden fein mußte. Als 
nun bei der im Sabre 395 erfolgten politifchen Trennung des 
römiſchen Kaiſerthums in das lateiniſche und griechifche der 
Bilchof von Conftantinopel zum zweiten VBatriarchen der Chriften- 
heit erhoben wurde, erwachte bei der anwachjenden Macht defiel- 
ben die Eiferfucht des römiſchen Dberhauptd der Kirche. Und 
ald nun gar von Rom aud der Bannfluch erfolgte, jo war zwi: 
ſchen den Glaubensgenoſſen beider Reiche bald alle Gemeinſchaft 
aufgehoben. Verſchiedene Verſuche, diefelbe wiederherzuftellen, 
hatten feinen dauernden Erfolg, und unter dem Papite Leo IX. 


Grimafie — Größe der Welt. 369 


(10493—54) wurde die Trennung beider Kirchen vollftändig aus- 
gefprohen. Alle fpäteren Berfuche zu einer Wiedervereinigung 
blieben fruchtlos; nur ald nach der Eroberung Conftantinopels 
durch die Türken (1453) viele Griechen nad) Stalien geflohen 
waren, gelang ed dem Papfte, einzelne Gemeinden derjelben 
unter dem Namen unirte Griechen unter feine Hoheit zu bringen. 


Grimaſſe, von dem frzſ. grimace, Runzel. 1) Geſichtsver⸗ 
zerrung (8.u.2.1,7); 2) Berftellung (K. u. 8%. IV, 2). 


Großeomthur (D. ©. II, 7), auch Commenthur, im mittl. 
lat. commendärius, franz. commandeur, der Oberbefehlähaber 
einer Abtheilung eined unter einem Hochmeiſter ftehenden Ritter: 
ordend. 


Groß: Inquifitor (D. C. V, 6), |. Snauifitor. 
Großkhan (Tur. 1,1), ſ. Khan. 


Groß⸗Mogul, der Titel der mongoliſchen Beherricher von 
Hindoftan, deren Dynaſtie 1525 durch den Yürften Babur (d.h. 
der Tiger), einen Abkömmling Timur's, gejtiftet wurde. Diele 
diefer Moguls, die abwechſelnd zu Delhi und Agra refidirten, 
übten eine fo graufame Herrichaft, daß im 18. Sahrhundert von 
zwölf NRegenten nur drei eines natürlichen Todes ftarben. Im 
Sahre 1774 machten die Engländer ihrer Herrichaft ein Ende. 
Mit Beziehung auf ihre Graufamfeit und Zyrannei nennt der 
Pater (R. II, 3) Karl Moor den „Groß: Mogul („Groß⸗ 
mogol”) aller Schelme unter der Sonne.” 


Groß-Neugard (Dem. I) od. Welifi:Nöwgorod am 
Ilmenſee (ſüdlich von Peteröburg), die uralte Stadt, wo Rurik 
(862) feine Herrihaft gründete und mit derfelben der Stifter 
des ruffifchen Reiches wurde. Die Stadt mar ehemals fehr reich, . 
befonderd durch ihre Verbindung mit der Hanfa. 

Größe, Die, der Welt (Ged.). Aus dem Jahre 1780. 
Der Dichter, in dem Streben begriffen, die Unendlichfeit bes 
Weltraums zu erfaflen, bat in Uebereinftimmung mit feinem 

I. 24 


370 Großing u. Compagnie — Gruß ded Engelß. 


erhabenen ®egenftande ein antikes Versmaß mit dem modernen 
Elemente ded Reims verknüpft. — Str. 1, B.1. Eine fühne 
Snverfion; der Adjectivfag: „Die der ſchwebende Geift ꝛc.“ hängt 
von dem nachfolgenden „Welt“ ab. — Str. 2, B.4 Die 
„lodenden Ziele” find die Centralpunkte, um weldye die Sterne 
kreiſen. — Str. 4, B. 1. Der „Pilger” tft ein Geifteöver: 
wandter bed Dichterd, der von einem andern Ausgangspunkte 
dafielbe Ziel verfolgt. — Str.5, V. 4. „Adlergedant’* ift 
das oben bezeichnete Streben. 

Großing u. Compagnie (Geb. Die berühmte Frau, Str. 6), 
wohl nichts andered als eine willfürlich gewählte Yirma. 


Großmüthige Handlung, Eine, aus ber neueften Ge⸗ 
ſchichte. (Bd. 10.) Sm Sabre 1782 hatte fih Sch. mit feinem 
Lehrer Prof. Abel und feinem Freunde Peterfen zur Heraus: 
gabe einer Bierteljahrsfchrift vereinigt, welche den Titel „ Wür: 
tembergijche8 Repertorium der Literatur“ führte, von der inbeflen 
nur drei Stüde erſchienen. ind derjelben enthält die oben 
genannte Novelle, deren Helden die Brüder der Yrau von enge: 
feld find, welche nachmals Sch.’8 Schwiegermutter wurde. Ber: 
muthlich war ihm die Begebenheit von feinem Yreunde Wilh. 
v. Wolzogen mitgetheilt worden. 


Gruppe aus dem Tartarus (Ged.). Der Dichter denkt 
ih in den Tartarus (ſ. d.) verfeßt, wo er eine Gruppe von 
Schatten (j. d.) beobadıtet. — Str. 1, 3.2: „weint” bezieht 
ih auf den Kocytuß (ſ. d.) — Str. 2, V. 2: „Ihr“ ift dem 
Sinne nad auf die Schatten zu beziehen. — Str. 2, V. 3: 
„fluchend“ ift adjectiwifch zu nehmen: fluchende Rachen. — 
Str. 3, B.3 u.4. Sobald Saturns (f. d.) Senſe entzwei bricht, 
hört die Zeit auf, um durch die Ewigkeit erjeßt zu werden. 

Gruß des Engels (M. St. 1,6), eine bildlihe Darftellung 
der Erzählung (Luc. 1, 26— 838), in welcher der Engel Gabriel 
zu Nazareth der Jungfrau Maria die Geburt des Herrn ver 
kündet. 


Buinee — Gunſt der Mufen. 371 


Guinee (Gfti. 10, 142), eine engliſche Goldmünze im Werthe 
von 64 Thlrn. Der Name ftamınt von Öuinea, einem goldreichen 
Kunde im weftlichen Afrika; aus dem von dort nad England 
gelieferten Golde wurden unter der Regierung Karl's II. (1649 
bis 1685) die erften Guineen geprägt. 


Buifen (M. St. II, 3), der Name einer berühmten herzog- 
lien Familie in Frankreich, eined Nebenzweiged des Iothringis 
ſchen Haufed. Claude von Guiſe, der Sohn des Herzogs Renatus 
von Lothringen hatte fi) zu Anfang ded 16. Jahrhunderts in 
Frankreich niedergelafien. Da er fi durch Tapferkeit ausge: 
zeichnet, jo wurde er der Gründer eines der erften Häuſer in 
Frankreich und die Grafihaft Guiſe ihm zu Ehren zum Herzog- 
thum erhoben. inter feinen Söhnen waren befonderd Franz 
v. Guiſe und Karl v. Guiſe (vergl. lothringifche Brüder) aus: 
gezeichnet. Die Ehrſucht und die Macht diefer beiden Männer, 
die als eifrige Katholiten und ald Oheime der Maria Stuart 
nicht geneigt waren, die proteftantiihe Elifabeth als Königin 
anzuerfennen, mußte die lestere natürlich mit Beſorgniß er- 
füllen. 

Buneus (ph. I, 3w.:$.), ein nom Dichter verwendeter, 
fagenbafter Name, König der Aenianen, die um Dodona in 
Epirud wohnten. 

Gunſt, Die, des Augenblids (Geb.), ein Geſellſchaftslied 
aus dem Jahre 1802. Es war dazu beftimmt, bei einem Ab— 
ſchiedsmahle vorgetragen zu werden, welches zu Ehren bed Erb- 
prinzen von Weimar ftattfand, ehe derjelbe feine Reiſe nach Paris 
antrat. — Str. 3. Der mit Speiſen befegte Tiſch wird dem 
Dichter zu einem von Ceres Hand geihmüdten Altar. — Str. 4, 
Berd 2 muß nad) „febt“ ein Kolon (ftatt ded Komma in meh: 
reren Ausgaben) ftehen, damit der Nachſatz deutlich als folcher 
hervortritt. 

Gunſt, Die, der Mufen (Ged.), ein Epigramm aus dem 
Sabre 1796. Mnemoſyne, d. h. die Erinnerung oder dad 

24° 


372 Bürtel. 


Gedächtniß, ift in der Mythologie die Göttin des Gedächtnifſes, 
die Mutter der neun Muſen (ſ. d.). — Philifter (ſ. d.) nennt 
der Dichter den, welcher für künſtleriſche Schöpfungen weder 
Sinn noch Geſchick hat. — Nur wen die Mujen hold find, der 
kann auf Nachruhm rechnen. 


Gürtel, Der (Ged.), ein Epigramm aus dem Jahre 1800, 
in weldem der Dichter dad Wejen eines feiner Liebling3bilder 
charakteriſirt. Der Gürtel, dad Hauptattribut der Aphrodite 
(1. d.), in weldem fie jo viele Reize vereint, und der nichts 
Anderes bebeutet ald die holde Scham, ift dad, wodurd fie die 
Herzen der Götter und Menſchen „bindet“ oder feſſelt. Darum 
muß Suno, ald fie Zeus einjchläfern will, ſich von ihr den Gürtel 
erbitten, wie (Ged. Triumph der Liebe): 

„Und von ihren folgen Höhen 
Muß die Bötterfönigin 


Um des Meized Gürtel fleben 
Bei der Herzensfeßlerin.“ 


In demfelben Sinne heißt ed auch (Ged. Die Götter Briechen- 
lands) von der jungfräulichen Priefterin, die felbjt den Göttern 
Ehrfurcht einflößt: 

„Hoher Stolz, auch droben zu gebieten, 

Lehrte fie den göttergleihen Rang 

Und des Reizes heil'gen Gürtel hüten, 

Der den Donn'rer felbit bezwang.“ 


Aus diefem Grunde ift Sch. der Gürtel auch ein bedeutungs- 
voller Theil der weiblichen, beſonders der jungfräulichen Kleidung. 
Sp heißt ed (Geb. Die Gefchlechter): 


Reizende Fülle ſchwellt der Jungfrau blühende lieber, 
Aber der Stolz bewacht ftreng, wie ber Gürtel, den Reiz.” 


Mit dem Augenblid, wo dad Weib dem jungfräuliden Stande 


Lebewohl jagt, läßt er fie Gürtel und Schleier ablegen, wie 
(Sed. Die Glocke): 


Gürtel. 373 


„uch des Lebens fchönfte Zeiler 
Endigt aud den Lebendmai, 

Mit dem Gürtel, mit dem Schleier 
Reißt der Ihöne Wahn entzwei.” 


Und wo fi) dem Liebenden die Ausficht auf eine nahe Schäfer: 
ftunde eröffnet, da heißt e8 (Bed. Die Erwartung): 


„Der Gürtel tft von jedem Netz gelöft, 
Und alles Schöne zeigt ſich mir entblößt.” 


Aber mit dem Aufgeben des jungfräulichen Standes follen An- 
muth und holde Scham dad Weib nicht verlaffen; daher fagt 
Robert (Ged. Der Gang nah dem Eifenhammer) zu dem 
Grafen: 

„Denn ihr befigt ein edles Weib, 

Es gürtet Scham ben keuſchen Leib. 

Die fromme Zreue zu berüden 

Wird nimmer dem Verſucher glüden.” 


unb in demfelben Sinne ſpricht (Br. v. M. 5, 431) der Chor: 


Nimmer entweicht 

Die Krone der Schönheit ’ 
Ans diefem Geſchlechte; 

Sheibend reicht 

Eine Fürftin der andern 

Den Sürtel der Anmutb 

Und den Schleter der züchtigen Scham.” 


Endlih braucht Sch. ihn vollftändig bildlich. So heißt e8 (Geb. 
Die Künftler, Str. 5) von der Wahrheit, die in dem Gewande 
ber Poeſie ericheint: 

„Die furchtbar berrlihe Urania — 

Mit adgelegter Feuerfrone 

Steht fit — als Schönheit vor ım8 da. 

Der Anmut Gürtel umgerwunden, 

Wird fie zum Kind, daß Kinder fie verftehn." 


und (ebendaſ. Str. 21) von dem Menſchen, deflen Lebendan- 
Ichauung durch die Kunft verflärt wird: 





374 Guſtav, der Schwede — Haberrohr. 


„In Allem, was ihn jetzt umlebet 

Spricht ihn das holde Gleichmaß an. 

Der Schönheit goldner Gürtel webet 

Sich mild in feine Lebensbahn.” 
Schließlich wird dem Dichter der Gürtel zum Symbol der Liebe, 
wie (Ged. Die vier Weltalter), wo ed heißt: 


„Drum ſoll auch ein ewiges, zarte® Band 

Die Grauen, die Sänger umflechten, 
Sie wirfen und weben Hand m Hand, 

Den Bürtel ded Schönen und Rechten. 
Geſang und Liebe im Ichönen Verein 

Sie erhalten dem Leben den Jugendſchein“ 


Buftav, der Schwede (Wſt. L. 6), König Guſtav Adolph. 


Güte und Größe (Ged.), ein Eyigramm aus dem Sahre 
1796. Die Güte offenbart fich in der wohlwollenden Gefinnung 
gegen ben Nächften, die Größe in der Bethätigung hervor: 
ragender Geifteöfräfte. Jene ohne dieſe bat nur einen unter: 
geordneten Werth und kann auch ſchwachen Charakteren eigen 
fein; die letztere ohne die erftere wird ſich zwar in energifchen 
Thaten Außern, aber auch leicht die Rechte Anderer kränken. 
Die Bereinigung beider gehört zu den Seltenbeiten und bleibt, 
wie bier, meift ein frommer Wunſch. 


9. 


Haberrohr [Haber in einigen Mundarten für Hafer] oder 
Haferrohr, d.t. die Hirtenflöte. Die Hirten pflegten fih aus 
dem Rohr ded Haferd (vergl. Pan), der fih in ſüdlichen Ge— 
genden viel Eräftiger als bet und entwidelt, eine Slöte zu fchnei- 
den; daher (Ged. Die Künftler): 

„Des Walbes Melodie floß aus dem Haberrohr.“ 
Eben jo heißt es von Paris (Iph. II, Zw.-9.): 


„Und bublteft auf dem phryg'ſchen Kiele 
Kit dem Olymp im Ylötenfpiele.“ 


Habsburg — Hades. 375 


und (3pb. IV, 3m.:9.) fingt der Chor: 


„Die lieblich erflang 

Der Hochzeitgejang, 

Deu zu der Cyther tanziufligen Tönen, 

Zu der Schalmei und dem libyfhen Rohr 
Sang der Kımenen 

Berfanmelter Chor.” 


Habsburg, das alte Stammſchloß des öftreichiichen Hauſes 
auf dem 1820 Fuß hohen Willibaldäberge, nicht weit von Brugg 
im Canton Aargau. Dad Schloß, von welchem außer den 
Mauern eined 70 Fuß hoben Thurmed nur noch wenige Weber: 
refte vorhanden find, wurde im Jahre 1020 von dem Grafen 
Radbod von Altenburg erbaut, defjen Nachfolger das Befigthum 
theils durch Heirathen, theild Durch kaiſerliche Schenkungen be: 
deutend erweiterten, ſo daß fie ald Beichüger der benachbarten 
Cantone bald einen mächtigen Einfluß auf die öffentlichen An- 
gelegenheiten gewannen. Als nad dem Snterregnum Rudolf 
v. Haböburg (vergl. Der Graf von H.) zum deutfchen Katjer 
erwählt wurde, ward er zugleich der Stifter des noch jegt regie- 
renden öftreichiichen Haufed; daher beißt ed (MW. 2. V, 1) von 
dem Kaiſer Albredt: 

„Der König ritt herab vom Stein zu Baben ꝛc. 


Die alte Veſte Haboburg im Beficht, 
Bo feined Stammes Hoheit ausgegangen.“ 


Diefed Urjprunged wegen wird das öſtreichiſche Kaiſerhaus aud) 
das Haud Habsburg genannt; daher fagt Rudenz (W. T. II, 1) 
zu feinem Obeim: 


— — — — — — „Nicht ertrag ich's, 
Indeß Me edle Jugend rings uniher 

Sich Ehre ſammelt unter Habsburgs Gahnen, 
Auf meinem Erb' Hier müßig ſtill zu liegen.“ 


Hackmeſſer (W. T. IV, 1), ſ. Buggisgrat. 
Hades (Iph. II, 4), |. Aides. 


376 Halten — Hamlet. 


Halten (W. T. I, 1), eimer der weftlihden Ausläufer der 
Glarner Alpen zwifchen Einfiebeln und Schwyg, nörblih vom 
Lowerzer See. 


Salberftadt, eine der bedeutendften Städte in Regierungs: 
bezirt Magdeburg der preußiihen Provinz Sachſen, war zur 
Zeit des dreißigjährigen Krieged der Hauptort des Fürften: 
thums Halberftadt. — Convent zu Halberftadt (bPicc. IL, 5), 
j. Orenftierna. — Der Halberftädter (Picc. IV, 4) iſt Herzog 
Chriftian von Braunfchweig, |. unter Mansfeld. 


Salbgott, ſ. Heros. 


Halsproceß (K. u. L. III, 1), Verdeutſchung für Criminal: 
proceß, peinliche Rechtäjache. 


Hamburgiſche, Der, Dramaturgift ift Leſſing, welder 
1767 von Berlin aud dem Rufe der Direction der Hamburger 
Nationalbühne gefolgt war, um die Leiftungen berjelben mit 
feiner Kritit zu überwadhen. Seine in den Sahren 1767 und 
1768 in einer Theaterzeitung erfchienenen geiſtvollen Beurthei- 
Yungen find unter dem Titel „Dramaturgie“ zu einem klaſſiſchen 
Werke geworden, welches die Grundgejege der bdramatifchen 
Dichtkunſt bejonderd nach der Poetif des Ariftoteled und nach 
dem Muſter Shafefpeare’8 erläutert, vor Allem aber Nachahmung 
der Natur verlangt. Sm Hinblid auf Leſſing's fcharfe Feder 
fagt Sch. (%. Borr.): „Freiheiten, welche ih mir mit den Be: 
gebenheiten herausnahn, wird der Hamburgiſche Drama: 
turgift entichuldigen.“ 


Hamen (R. II, 3), ein beutelfürmiged Nep. 


Hamlet (Oſtſ. 10, 132), ein bekanntes Trauerſpiel Shafe- 
ſpeare's. Die citirten Worte, welche Hamlet (At 1, Sc. 5) 
feinem Yreunde Horatio fagt, lauten in der Weberfegung von 
Schlegel und Tied: 


„Es giebt mehr Ding’ im Himmel und auf Erben 
Als eure Schulweisheit fich träumt.” 


Hammer — Handſchuh. 377 


Hammer (Ged. Der Taucher) oder Hammerfifh, ein zur 
Zamilie der Haifiiche geböriger 10—12 Fuß langer Fiſch, deflen 
Kopf fih in zwei unförmliche Aefte verlängert, wodurd das 
Thier ein bammerartiged Anjehen erhält. 

Damus (Geb. Semele 1), der alte Name des Balkange— 
birgeö in der Türkei. 


Sandbube, |. Senne. 


Sandelöbilance (Bar. II, 1), in der Kaufmannsſprache, 
Die Bergleihung der Einnahme und Ausgabe, der Rechnungs- 
abichluß. 
handlich, leicht zu handhaben, zu regieren; bei Sch. f. v. w. 
rübrig Hülfe leiftend; daher (W. T. IV, 1): 
„Und, wie ich eine® Felſenriffs gewahre, 
Das abgeplattet vorirrang in den See — 
Schrie ich den Knechten, handlich zuzugehn, 
Bis dab wir vor die Feljenplatte kämen.“ 
in Tſchudi's Chronik: „Er ſchry den Knechten zu, daß fie hant⸗ 
lich zugind.” 
handlos, ein von Sch. gebildetes Wort, der Gegenſatz von 
handlich (f. d.); alfo: nicht zu handhaben, nicht anzufaflen, bei 
Sch. ſ. v. w. feine Hülfe gewährend; daher (W. T. IV, 1): 
„Handlo® und fchreff anfteigend ftarren ihm 
Die Felſen, die unwirthlichen, entgegen.“ 


Hanbdſchuh (W. T. II, 3), f. Ritter, 


Handſchuh, Der (Geb.), eine poetifche Erzählung aus dem 
Sabre 1797. Die Duelle für diefelbe tft nach Viehoff's Angabe 
eine Anekdote, welche ©. Foix in feinem „Essay sur Paris“ aus 
der Zeit Königs Franz I. mittheilt, der ein großer Liebhaber von 
Thierfämpfen war. Der Inhalt der Anekdote ift mit dem Ber: 
lauf der Handlung, wie dad Gedicht ihn darbietet, vollftändig 
übereinftimmenb. Webrigens tft das Factum ſelbſt wohl weniger 
als ein hiftorifches, jondern eher als eine wandernde Sage zu 
betrachten, da man auch bei mehreren ſpaniſchen Schriftftellern 


3783 Hannibal — Härened Gewand. 


Anfpielungen auf einen gewifien Don Manuel Ponce de Leon 
antrifft, dem etwad Aehnliched begegnet fein fol. Sc. jelbft 
nennt das Gedicht „ein Nahftüd zum Taucher”, während Goethe 
ed al8 ein „Gegenſtück“ bezeichnet, und in der That tft ein auf- 
merkſamer Vergleich der beiden Yürften, jo wie beider Helden 
und beider Geliebten von bejonderem- Snterefie. Da dem Ge: 
dichte eine regelmäßige Strophenabtheilung fehlt, und mehr noch, 
da e8 ſich bier nicht um die Veranſchaulichung einer Idee ban- 
delt, fo hat Sch. es nicht ald Ballade, fondern einfach ald Er: 
zählung bezeichnet, der aber gerade durch diefe größere Freiheit, 
die fih befonderd auch auf dad Versmaß erjtredit, eine außer: 
ordentlich effectuolle Darftelung zu Theil geworden ift. — Die 
in der Anmerkung beigefügte Lesart ded Muſenalmanachs, eine 
Aenderung ded Schluffed, wie ihn die Anekdote giebt, „le jette 
au nez de la Dame“ hatte der Dichter aus Höflichkeitsrückſichten 
gewählt; jpäter jedoch veranlaßte ihn feine richtige pſychologiſche 
Reflerion, durch die jegige Lesart Die Webereinftimmung mit dem 
Driginal wieder herzuftellen. 

Hannibal (R. 1, 2), der Sohn Hamilcar’3 und Yeldherr der 
Karthager, der unverjöhnlichfte Yelnd der Römer, wurde den 
leßteren befonderd im zweiten punifchen Kriege gefährlid. Er 
jtarb 183 v. Chr. 

Hans, Herzog (W.T. V, 1), im Ace. Hanfen (W. X. II, 2), 
j. Johann von Schwaben. 

Sans auf der Mauer (W. T. Perl.:Berz.), ein Name, 
der, wie die drei folgenden (Joörg im Hofe, Ulrich der Schmid, 
Soft von Weiler) alten Urkunden entlehnt ift. 

Harem (Zur. III, 7), arab.;. zunädhft etwas Berboteneß, 
Heilige3; ferner befonders die Zrauenwohnung der Muhamedaner. 
Bergl. Serail. 

Härenes Gewand (Ged. Ritter Toggenburg), eine aus 
grobem Haartuch beftehende Kutte, wie fie bie une und 
andere Mönche zu tragen pflegen. 


Harlekin — Harmonie. 379 


Harlekin (%.1,7), ital. arlecchino, fr. arlequin, von ſchwer 
zu beftimmendem Urfprumge. Seht heißt Harlefin ſ. v. w. Poffen- 
reißer, Handwurft, eine bekannte Perſönlichkeit, die ehemals in 
Luftſpielen nicht fehlen durfte und die ſchon durch ihren aus 
bunten Fliden zufammengenähten Anzug, „Harlekinsmaske“ 
Gildl. Sp. u. d. L.), noch mehr aber durch ihre albernen Sprünge 
(aber R.II,3 „Harlefinsiprung”) Lachen erregte. Solder 
Lächerlichteit halber nennt auch Fiesco feinen Roman mit Zulta 
(%. IV, 13) eine Harlekinsleidenſchaft. 


Sarmönia (Myth.), eine Tochter ded Mard und der Venus, 
war mit dem Könige Kadmud vermählt und wurde bei ihrer 
Hochzeit ihrer ungemeinen Schönheit und Lieblichkeit wegen von 
allen Göttern bejucht und beſchenkt. Bon ihren Kindern nennt 
Sch. den Bolydor und die Semele. Bon Kadmus heißt es 
(Phön.): — 

„Dem Könige gebar der Venus Tochter 
Harmonta den Polydor.” 


Sn (Ged. Semele 1), wo Sch. die Harmonta irrthümlich Her- 
mione (vergl. d.) nennt, jagt Juno: 

„Rebe, deinen Stolz zu beugen, 

Mußte Bennd aus dem Schaume fteigen! 

@ötter bethörte, 

Menichen und Götter ihr zaubrifher Bid! 

Wehe, deinen Sram zu mehren 

Mußt' Hermione (richtig: Harmonia) gebären, 

Und vernichtet iſt bein Glũck!“ 


Harmonie, aus dem gr., fo viel wie Webereinftimmung, 
Zufammenflang, wie (Ged. D. Triumph d. Liebe) „Saiten: 
harmonie“, bedeutet in der Muſik die angenehme Wirkung, 
welche durch zueinander paflende Klänge von verfchiebener Ton: 
höhe bei ihrer Bereinigung zu einem Ganzen hervorgebracht 
wird; daher fagt die perfonificirte Mufif (9. d. K): 

„Ein holder Zauber jpielt um beine Sinnen, 
Ergieß' ich meinen Strom von Harmonien.“ 


380 Hartichier. 


Zunächft braucht Sch. ed vergleihend. So erjcheineri der Amalia 
(Ged. Amalia) die Küffe ihre Sünglings, ald ob 
„Harfentöne in einander jpielen 
3u der himmelvollen Harmonie.” 
Deögleihen heißt ed (Ged. Die Erwartung) von angenehm Flin- 
genden Naturlauten: 
„Mein Obr umtönt ein Harmonienfluß, 
Der Springquell fällt mit angenehmem Raufchen.“ 
Meift aber braucht er ed in bildlihem Sinne, wie (Geb. Die 
Künftler), wo ed von dem veredelnden Einfluß beißt, den die 
Kunft felbft unter betrübenden Verhältnifſen ausübt: 
„Ro taufend Schreden auf ihn zielen, 
Solgt ihm ein Harmonienbad.” 

Deögleihen jagt er (ebenbaf.) von den Menſchen, welche die 
Erſcheinungen der Natur zu Eünftlerifchen Gebilden vereinigen: 
„Ihr lerntet in harmon'ſchem Band 

Geſellig fie zufammengatten,” 

Eben jo ift (Sp. d. Sch.) von einer. Harmonie der „Neigungen 
und Charaktere“, (D. C. II, 8) von dem „entzüdenden Zuſam— 
menklang ber Seelen”, (R. I, 1) von der „Harmonie ber 
Geifter”, (R. IV, 5) von der göttlichen Harmonie in der feelen: 
loſen Natur die Rede; und (©. C. 111,3) fagt Herzog Alba von 
der Königin und dem Prinzen, fie ſeien 

— — — — — Verſchwiftert 

Durch Harmonie ber Meinung und ber Jahre.“ 
Endlich heißt es (Menfchenf. 7) ald Anforderung an den Men: 
ihen, den Frieden in feinem Herzen herzuftellen: „Sei volltom: 
men! Zahlloſe Harmonien fhlummern in dir, auf dein Geheiß 
zu erwachen.” 


Hartſchier, gem. Hatfchier (verderbt aus dem franz. archer, 
vom lat. arcus, der Bogen), ein Bogenjchüge; gegenwärtig noch 
der Name für des öſftreichiſchen Kaiſers (Wfl. T. V,2) Leibgarde 
zu Fuß. 


bafleliren — Hebe. 381 


bafjeliren (R. II, 3), richtiger hafeliren, d. i. Poflen 
treiben, toben. ' 

Saftinbed, richtiger Haftenbed, ein Dorf unweit Hameln 
in Hannover. Die „Bataille bei Haſtinbeck“ (Gſtſ. 10, 143) fand 
am 26. Suli 1757 ftatt, wo der Herzog von Gumberland, Sohn 
des Königs Georg II. von England, von den Franzofen unter 
General Chevert gedrängt, dad Schlachtfeld übereilt verließ und 
Dadurch den Bortheil, der ſich ſchon auf feine Seite neigte, ver: 
Ioren gab. Bergl. Archenholz, Geſch. d. ſiebenj. Krieges, S. 80. 


Haus, Das enge (R. V, 2), mildernder (eupbemiftifcher) 
Ausdrud für Sarg. 
Hausgott (Br. v. M. 5, 402), ſ. Penaten. 


Haushofmeiſter (Menſchenf. 5), ein Wirthichaftöverwalter; 
(Mcb. I, 13), f.v. w. Diener. Schlegel u. Tier Überfegen hier: 
„Wir meinten ihn anzumelden.“ 


Hausrecht (W.T. I, 1), ein Recht, welches dem beleidigten 
Ehemanne nach römischen und deutichen Geſetzen zuftand. 


Say oder Haifiſch, ein in allen Meeren vorlommender 
20—30 Fuß langer Fiſch, mit ungeheurem Rachen und 6 Reihen 
dreiediger Zähne. Er wird auch Menfchenfrefler genannt; da: 
ber bezeichnet ihn Sch..(Ged. Der Taucher) ald „des Meeres 
Hyäne”. 

Haymarket (ed. Pegajus im Joche), ein Marktfleden in 
England. Einem uralten Rechte zufolge dürfen Ehefrauen, die 
fih der Untreue gegen ihren Gatten fehuldig gemacht, dafelbft, 
an einem Strid geführt, zu Markte gebracht und öffentlich feil 
geboten werden. 


Hebe (Myth.), eine Tochter des Zeus und der Here, bie 
Göttin der Anmuth und jugendlichen Schönheit, wird von Sc. 
als Sinnbild diefer Eigenfchaften gebraucht; daher (Ged. Hero 


und Leander): 
„Hero, Ihon wie Hebe blühenb.” 


382 Hedwig — Heinrich IV. 


und (Br.v.M. 5,431) begrüßt der Chor die jugendliche Beatrice 
mit den Worten: 
„Un ter Schwelle empfangen 
Wirb dich bie immer blühende Hebe.“ 
d.h. eine Schaar junger Mädchen. — Die bildende Kunft ftellt 
die Hebe gewöhnlich mit einem rojengeijhmüdten Kleide und mit 
einer Schale dar, da fie im Olymp dad Amt hatte, den Göt— 
tern den Nektar zu reichen; deshalb heißt ed auch von dem den 
Göttern fih verwandt fühlenden Dichter (Ged. Dithyrambe): 
„Rei ihm die Schale! fchenfe dem Dichter 
Hebe nur ein!” 

Hedwig, Tell's Gattin (W. T. Perj.-Berz.), eine gefchicht- 
liche Perfönlichkeit. 

Heerd, zunächit die Yeuerftelle, dann auch in höherer Be- 
deutung der Altar, wie (ed. Hektor's Abichied): 

„Kämpfend für den heil’gen Heerb ber Götter.“ 

Heidelberg (Picc. IV, 1), Stadt im Unterrbeintreije des 
Großherzogthums Baden, zur Zeit des breifigjährigen Krieges 
Hauptftadt der Rheinpfalz, iſt befannt durch feine reizgende Um: 
gebung, ſowie durch eine großartige Schloßruine, in deren Keller 
ein mächtiges, 250 Fuder haltendes Faß gezeigt wird. 

Heiden (3.0. D. Prol. 3), |. Serufalem. 


Heiduck (K. u. 8. IV, 6 — Sftf. 10, 210) oder richtiger 
Haidud, von dem ungar. haidu, d. i. ein leichtbewaffneter Fuß⸗ 
foldat; gew. ein großer, fräftiger Diener in ungarifcher Tracht, 
beſonders zum Tragen der Sänften. 


Heinrich IV. (Wit. T. V, 3), König von Franfreih und 
Navarra (1589 — 1610), mit welchem dad Haus Bourbon auf 
den Thron kam, befannte ſich von feiner Jugend her zum Pro- 
teftantiämus, hatte ſechs Jahre mit der Ligue zu kämpfen, fiegte 
zwar (1590) bei Sury, wurde aber erft, nachdem er zum Katho- 
licismus übergetreten, allgemein anerkannt. Dur das Edict 
von Nantes (1598), welched den Proteftanten freie Religiondäbung 


Heinrich — Heinrich VII. 388 


und Zutritt zu den Staatsämtern verhieß, zog er fi dad Miß- 
trauen ber Katholiken, bejonderö aber den Haß der Sefuiten zu. 
Als er Frankreich innerlich beruhigt und Handel und Gewerbe 
wieder aufblühen ſah, ging er mit dem Plane um, das Hab: 
burgifche Regentenhaus zu ſchwächen, ganz Europa in eine be: 
ftimmte Anzahl glei mächtiger Staaten zu theilen und fo ber 
Welt die Ausfiht auf einen dauernden Frieden zu gewähren. 
Der befte Anlaß zu dieſem Plan ſchien ihm der Jülich-Cleviſche 
Erbfolgeftreit, in den er fich zu miſchen beabfichtigte. Borläufig 
Thidte er den deutichen proteftantiihen Fürſten Hülfsgelder und 
beichäftigte jich mit den Zurüftungen zu einem Heereszuge nad 
Deutihland. Indeſſen verlangte feine Gemahlin, daß er fie für 
den Fall feines etwaigen Ablebend vorher krönen lafſen ſolle. 
Nah wiederholten Ablehnen dieſer Forderung willigte er endlich 
ein, fagte aber zu jeinem treuen Minifter Sully: „Ach, mein 
Freund, wie jehr mißfält mir diefe Krönung! Ich weiß nicht, 
was es ift, aber mein Herz propbezeiht mir Unglüd. Bei Gott! 
id werde in diefer Stadt fterben, ich werde nie hinausfommen! 
Sie werden mich umbringen, denn ich ſehe wohl, daß fie fein 
andered Mittel haben ald meinen Tod.” Die Krönung der 
Königin ward am 13. Mai 1610 vollzogen. Als Heinrih am 
folgenden Zage durch die Straßen von Paris fuhr, um fich die 
feſtlichen Zurüftungen anzufehen, mit denen die Bürger für den 
feierlichen Einzug der Neugefrönten beichäftigt waren, wurde er 
in einer engen Gafle, durch welche jein Wagen bed Gebränges 
wegen nicht hindurch konnte, von Yranz Ravaillac, vermuth: 
lich einem Werkzeuge der Zefuiten, ermordet. 


Heinrich (3.0. O. II, 1). Es ift Heinrih V. von England 
(1413 — 1422) gemeint, weldyer durch den Bertrag von Troyes 
auch König von Yrankreich wurde. 


Heinri VII. (Wrb. I), Sohn der Margarethe von Kancafter, 
mit dem das Haus Tudor auf den englifchen Thron kam, regierte 
von 1485—1509; |. Warbed. 


334 Heinrih VIII. 


Seinrid VII. (M. St.1,7), der Sohn Heinrich's VII. aus 
dem Haufe Tudor, regierte von 1509—1547. Seine Schwefter 
Margarethe war an König Jakob IV. von Schottland vermäßlt, 
defien Sohn, Jakob V., Maria Stuart’d Vater war. Daber 
nennt diefe Heinrich VIII ihren „SÖroßohbm” Heinrich VII. 
war eine leidenfchaftliche, deſpotiſche Natur, gegen deren eiſernen 
Willen dad Parlament fi völlig unfelbftändig und machtlos 
verbielt; daber jagt M. St. zu Lord Burleigh: 

„Ich ſehe diejen hohen Abel Englands, 

Des Reiches majeſtätiſchen Senat, 

Gleich Scelaren det Seraild den Sultanslaunen 

Heinrich's ded Achten, meined Großohms, jchmeicheln.“ 
Als eifriger Katholik fchrieb Heinrich gegen Luther eine latei- 
niſche Streitfchrift zur Vertheidigung des Ablafled und der fieben 
Sacramente; da der Papft ihn aber von feiner Gemahlin Katha⸗ 
ring, der Tochter des Königs Yerdinand von Aragonien, nicht 
ſcheiden wollte, jo fagte er fich von ihm los und ließ mit Zu- 
jtimmung des Parlaments feine Ehe durch den Erzbiſchof Gran: 
mer trennen, worauf er fid) mit Anna von Boleyn (M. St. III, 4 
A. v. Boulen) vermählte. In Beziehung auf die Firhlichen An- 
gelegenheiten verfuhr er durchaus felbftändig; er Tieß fi von 
allen. Geiftlihen den von ihm eingeführten Supremateid leiften, 
wodurch er ſich für das Oberhaupt der engliichen Kirche erklärte; 
die Klöfter wurden eingezogen und Katholifen wie Proteftanten 
hingerichtet, wenn fie die von dem Biſchof Gardiner mit Zu: 
ftimmung des Parlamentd aufgejtelten ſechs Glaubensartikel 
nicht beſchwören wollten. Gleich gewaltſam und willfürlich ver- 
fuhr er in Beziehung auf feine eigenen Yamilienangelegenheiten. 
Bon feinen ſechs Gemahlinnen ließ er zwei, Anna Boleyn und 
Katharina Howard enthaupten, von den drei übrigen ſich fchei- 
ben; eben fo erflärte er jeine Töchter Maria aud der erften und 
Eliſabeth aus der zweiten Che für unfähig zu regieren; und zu 
dem Allen hatte dad Parlament feine Zuftimmung zu geben, da» 
ber fagt Maria’ Stuart (ebendaf.): 


Heinride — Heinrich's Hof. 385 


„IH fehe dieſes edle Oberhand, 

Gleich feil mit den erfäuflichen Gemeinen, 
Gefepe prägen und verrufen, Chen ” 
Auflöfen, binden, wie der Mächtige 
Gebietet, Englomds Kürftentöchter heute 
Enterben, mit dem Baſtarduamen ichänden 
Und morgen fie zu Königinnen krönen.“ 


Auf Heinrich VIII. folgte fein Sohn Eduard VI. (1547—1553) 
au feiner dritten Ehe mit Sohanna Seymour, obwohl Heinrich 
den Beihluß der Regierungdunfähigkeit feiner beiden Töchter 
zurüdgenommen hatte. Nachdem unter Eduard VI. der Erz: 
biſchof Cranmer die Reformation geleitet, beftieg Heinrich's VIIL 
Altefte Tochter Maria (1553 — 1558) den Thron, welde die 
katholiſche Kirche wieder herftellte und Cranmer und viele an- 
dere Proteftanten verbrennen ließ. Ihr folgte Heinrich’3 zweite 
Tochter Elifabeth (1558— 1603), die fich gleich nach ihrer Thron: 
befteigung den Supremateid leiften ließ und jomit die Begrün- 
derin der bifchöflichen oder Hodfirdhe in England wurde Mit 
Beziehung auf diefen jchnellen Wechjel der Regierungen jagt 
M. St. (ebenbaj.): 


„Ich Sehe dieſe würd'gen Peers mit fchnell 
Bertaufchter Neberzeugung unter vier 
Regierungen den Glauben vier mal ändern.“ 


Heinriche, Große (Sp. u. d. L.); der Dichter denft an bie 
deutſchen Kaifer, welche diefen Namen führten. Dan zählt deren 
fieben, zwilchen 918 und 1313. 


Heinrih’8 Hof (D.E.I,2). König Heinrich II. von Frank: 
reich (1547—1559) hatte weder Geſchick noch Luft zu regieren 
und war froh, daß feine Geliebte Diana v. Poitierd, die ihn 
vollftändig beherridhte, die Lenkung der Staatsangelegenheiten 
in die Hand nahm. Seine Gejchichte ift Daher weniger eine 
Geſchichte feiner Regierung ald die der Hofparteien, daber 
fagt auh Marquid Poſa von Heinrich's Tochter, Elifabeth 
v. Balois, der Gemahlin König Philipp’s: 

I. 25 





386 Hekate. 


‚Sf fie in Spanien dieſelbe noch, 
Die fie vordem an Heinrich's Hof geweſen, 
So And’ ich Offenherzigkeit.“ 

Hekate (Myth.), eine ber dunkeln, myſtiſchen Geftalten ber 
antifen Sötterlehre (ſ. Götter). Homer nennt fie nicht. Site war 
theild eine Göttin des Glückes und des Gedeihens, theild eine 
Mond: und Nachtgöttin. Bei Späteren tft fe eine unterirdiſche 
Göttin und eine unheimliche, Dunkeln Mächten gebietende Zau- 
berin. Sie wird daher auch bei Zauberelen und Beihwörungen 
angerufen. Weil fie eine Mondgöttin war, wird fie auch mit 
Artemid zufammengeworfen, bie ihrerjeitß auch Hekate genannt 
wird, jo erfläst ſich, daß Sch. (Phön. im griech. Terte des Eurip. 
v., 109) die Antigone auörufen läßt: „Ha Tochter der Latonat 
Ehrwürdge Hekate!“ — Hekate Itand dem Zeus in dem Gigan⸗ 
tenfriege bei, ſie warb baher nicht, wie die anderen Titanen, in 
den Tartarus geftürzt, ſondern ald ein Liebling des Zeus mit 
großer Macht im Himmel, auf der Erbe, über da8 Meer und 
felbft über die Unterwelt begabt. Vergl. Mcb. IV, 2; Bd. 6, 265. 
Da ihr Thun und Wirken nähtli ift, fo kann fle einfach als 
Göttin der Nacht bezeichnet werden und ift bet Sch. meift nichts 
Anderes als die Perjonification der Nacht. So jagt Juno (Geb. 


Semele 1) zu Semele: 
„D Schande! Schande! die ben keuſchen Tag 
Zurüd in Hekate's Nmarmung fchleubert.“ 
eben fo heißt e8 (Geb. 4.3. d. Xen. 35): 
„Winkt Hekate der lauten Welt zur Ruß.“ 


ferner (Meb. IL, 3): 
„Die Zauberei begimt 


Den furdtbarn Dienft der bleihen Hekate.“ 
und (Meb. III, 5): 

— — — — — Eh' noch tie Fledermaus 
Den ungejell’gen Flug beginnt, eh’ auf 
Der bleiben Hekate der Käfer, 
Im hohlen Baum erzeugt, die mübe Nacht 
Mit jeinem fchläfrigen Gefums einläutet, 
Eoll eine That von furchtbarer Natur 
Vollzogen fein.” 


Helatombe — Sektor. 887 


In Beziehung auf ihre Macht über dad Meer heißt es (Geb. 
Hero und Leander) von den Iuftigen Delphinenichaaren: 
„Sie, die Einzigen, bezeugten 
Den verftohlnen Liebesbund; 
Aber ihnen ſchloß auf ewig 
Hefate den ftummen Rund.” 
Mit Rüdfiht auf ihre Macht über die Unterwelt heißt e8 (Geb. 
4. B. d. Xen. 127) von dem Ende ber Dido: 
sDdenn ba fein Schickſal, fein Verbrechen, 
Verzweiflung nur fie abrief vor ber Zeit, 
So hatte Hefate ben unterird'ſchen Bächen 
Das abgeſchnittne Haar noch nicht geweiht.” 
Nach Birgil ift e8 Iris, welche das Haar abſchneidet, zum Zei: 
chen, daß die Sterbende der Unterwelt geweiht je. Auch die 
binterbliebenen Trauernden pflegten fih das Haar abzufchneiden; 
daher fagt Sphigenie zu ihrer Mutter (Iph. V, 6): 
„Beripri mir, 
Dein Haar nicht abzufchneiden, auch fein ſchwarzes 
Gewand um bich zu fchlagen.” 


Helatömbe (Ph. I, 3), von dem gr. hekaton, hundert; ein 
Dpfer (ſ. d.) von 100 (oder wenigftend vielen) Thieren, befon- 
derd Rindern, welches bei großen Syeierlichkeiten den Göttern 
Dargebracht wurde. 


Hektor, der Sohn bed Priamud und der Hekuba, ber Yührer 
der trojaniſchen Schaaren, war mit Andrömache (vergl. Ged. 
Hektor's Abfchied), der Tochter des Königs Ektion von Theben, 
vermählt. Ald Achilles feinen Yreund Patroklus im Kampfe 
verloren, beſchloß er, an den Trojanern furchtbare Rache zu 
nehmen und mordete fchonungslod, was ihm nur ftrgend be- 
gegnete; daher jagt Andromache (ebendaj.) bei dem Abichiebe 
von ihrem Gatten: 


„Wil ih Hektor ewig von mir wenden, 
Wo Ahill mit den unnahbarn Händen 
Dem Batroflud ſchrecklich Opfer bringt?“ 

25* 


388 Hektor's Abſchied. 


Nachdem Achilles die Trojaner, die unter Hektor's Anführung 
einen Ausfall gemacht, zurückgeſchlagen und Alles bereits hinter 
den Mauern wieder Schutz gefunden, war Hektor noch allein 
zurückgeblieben, wo Achilles ihm begegnete. Es entſpann ſich 
ein Kampf, in welchem Hektor fiel, der der Schutz und Schirm 
von Troja geweſen war und an deſſen Leben das Geſchick der 
Stadt hing. Die Liebe zu ſeinem Vaterlande begleitete ihn 
ſelbft bis in den Tartarus; denn als der letzte Kampf begann, 
der Troja's Untergang herbeiführte, da erzählt Aeneas (Ged. 
2. B. d. Aen. 46): 
„Da ſah ih Hektor's Schattenbild 
Im Traumgefichte mir erſcheinen, 
Sn tiefe Trauer eingehüllt, 
Ergofſen in ein lautes Weinen.” 
Und als die rachedürftenden griechiſchen Schaaren endlich der 
Königsburg ſich nahen, da ruft Hekuba (Geb. 2. B. d. Xen. 91) 
ihrem Gemahl zu: 
„Und wäre felbſt mein Hektor noch zugegen, 
Sept Helfen Schwert und Lanzen und nicht mebr.” 


Hektor's Abſchied (Ged.), ein Lieb, welches zuerft in ben 
Räubern (II, 2) erfhien, wo es von Amalia gefungen wird. 
Erft fpäter erhielt ed die jetzige Geſtalt, in der ed eine ruhigere 
Haltung und eine größere Vollendung der Form zeigt. Sch.'s 
Borbild ift hier Homer, welcher in der Iliade (VI, 395 2.) diefe 
Abſchiedsſcene auf die rührendite Weile fchildert. Indeſſen ift 
Sch.'s Heltor keinesweges der Homer’3, bei dem die Abichiebe- 
worte aljo lauten: 

„Auf, zum Gemache hingehend, beſorge du beine Geſchäfte, 

Spindel und Webeftuhl, und gebeut den dienenden Weibern, 

Fleißig am Werke zu fein. Der Krieg gebühret den Männern 

Allen und mir am meiften, die Ilios Veſte bewohnen.“ 
Bei Sch.’ Hektor, der die Geliebte ermahnt, nicht zu trauern, 
muß alfo an das ſchwärmeriſche Paar, an Karl Moor und Amalia, 
gedacht werden. 





Hekuba — Helena. 339 


Hekuba (griech. Hekabe), die Tochter ded Königs Dymas, 
die zweite Gemahlin des Königs Priamus von Troja. Sie gebar 
dem Priamud 19 Söhne (SI. 24, 495), unter denen Heftor der 
ältefte war. Außerdem hatte fie eine große Anzahl von Töchtern. 
Aeneas jagt (Ged. 2.2. d. Yen. 88): 

„Sch ſah auch Hekuba und ihre Hundert Töchter.” 
wortlich bei Virgil „centum nurus*, d. 5. mit dichteriſch abge: 
runbeter Zahl „zahlreihen Schwiegertächter”. Unter ihren Kin⸗ 
dern kommen bei Sch. an verfchiedenen Stellen vor: Deiphobuß, 
Paris, Polydörus, Kaffandra, Kreufa und Polyrena. In dem 
Kampfe vor Troja hatte Hekuba das Unglüd, ihre fämmtlichen 
Söhne, und bei dem lintergange der Stabt endlich auch ihren 
Gemahl fallen zu ſehen. Als die Griechen ſich hierauf in bie 
Beute theilten, fiel fie dem Odyſſeus al3 Sclavin zu. Sc. 
zeigt le von den Siegern ehrenvoll behandelt (Bed. Dad Sie: 


gesfeſt): 


„Reftor jetzt, ber alte Zecher, 

Der drei Menjchenalter jab, 

Reicht den laubumkränzten Becher 

Der betbränten Hekuba.“ 
Ihr Ende, wie überhaupt ihre Geſchicke nad dem Falle Troja's 
werden verjchieden erzählt. Don Euripided haben wir ein Stüd, 
welches ihren Namen trägt. 


Helena, die Tochter der Leba (f. d.) und bed Zeus, oder 
ber Leda und ihres Gatten, des ſpartaniſchen Königs Tyndareus 
(Sph. I, 1), die Schweiter ber Phöbe und der Kiptämmeftra, 
zeichnete fich durch ihre außerorbentlihe Schönheit aud, weshalb 
fie ſchon ald zehnjähriges Mädchen von Theſeus (Ph.1,1), dem 
Könige von Attifa, geraubt ward, bem fte die Sphigenia gebar. 
Während Theſeus fih in die Unterwelt begab, um bie Profer 
pina aus berjelben zu entführen, wurde Helena von ihren Bru⸗ 
bern (Sph. III, Zw.⸗H.) Kaftor und Pollur (f. Diodcuren) zus 
rüdgeholt, worauf fie die Gattin des Menelaus wurde. Als 
fie dieſem jpäter durch Paris (f. d.), den Sohn bed trojantichen 


3% Helikon — Helioß. 


Königs Priamus (ph. I, Zw.:9.), entführt wurde, entftand - 
ihrefwegen der trojanifche Krieg. Bei dem Untergange Trojas 
wollte Aeneas (Geb. 2.3. d. Aen. 101), der fie als die allein 
Schuldige betrachtete, Rache an ihr nehmen, als Venus jelbft 
(ebendaf. 103) für fie eintrat und fie einem ſchmachvollen Tode 
enizog. Die Schönheit der Helena ift fprüchwörtli geworden, 
befonder8 für ſolche Frauen, die durch ihre Schönheit Unheil 
anrichten; daher jagt Paulet (M. St. 1,1) von Marta Stuart: 

„O, Fluch dem Tag, ba dieſes Landes Küjte 

Gaftfreunbli diefe Helena empfing!” 

Hélikon (Geb. Semele 2), ein Berg in Böotien, der Sitz 
des Apollo und der Mufen; daher fagt Juno (ebendaf.) in ſym⸗ 
bolifcher Ausdrucksweiſe zu Semele: 

„Ha, meine Zochter! — die Begeifterung 
Erhebt dein Herz zum helikon'ſchen Schwung.” e 

Helios (Myth.), der Sohn des Titanen Hyperion und ber 
Thia (oder gr. Theis), wurde, obwohl er in Griechenland wie 
in Rom feine Tempel hatte, doch als eine fremde, aflatifche 
Gottheit betrachtet, jpäter aber häufig mit Apollo (f. d.), ver: 
wechſelt. Selene (Luna) und Eos (Aurora) find feine Schweftern. _ 
Des Morgens erfchien zuerft Eos in der Oftgegend bed Him- 
meld; dann aber folgte Helios, der, wie Homer fingt, den Un: ' 
fterbliden, wie ben Sterblichen leuchte. Aus dem goldenen 
Helme ſchaut des Jünglings ſchönes Auge jchredend hervor, 
glühende Strahlen umbligen ihn, und glänzende Xoden um: 
wallen fein leuchtendes Antlitz. Ein lichte® Gewand, gewebt 
von der Winde Odem, umfchimmert ihn, und den Himmel hinab 
Ihnäuben unter ihm De muthigen Rofje. Daher heißt ed (Geb. 
Die Götter Griechenlands, Str. 8): 

„Bo jegt nur, wie unfre Weiſen fagen, 

Seelenloß ein Feuerball fich breit, 

Lenkte damals feinen goldnen Wagen 

Helios in ftiller Majeftät.” 
Wenn er am Abend bie Bahn bed Himmel! durchlaufen Hatte, 
fo fenfte er fih im Weiten in den Ocean, wandte fih dann in 


Hellad — Helle. 891 


einem geflügelten Schiffe nach Norden und kehrte am folgenden 
Tage nah Oſten zurück. Wie er Alles beicheint, fo zieht er 
auch Alles an's Licht; daher (Geb. Die Kraniche des Ibykus) 
die Antwort auf die Yrage nad den Mürdern: 
„Nur Helios vermag’3 zu fagen, 
Der alles Irdiſche beſcheint.“ } 
Häufig (Geb. 2. 3. d. Yen. 73 u. 133. — 4.2. d. Xen. 21) 
wird er auch Titan genannt, wie (Geb. Klage d. Gere): 
„Titan, deine Strahlen alle 
Sandt' ich nach der Theuren Spur.“ 

Hellas, der mittlere Theil Griechenlands, im Norden bed 
Zorinthifchen Meerbujend; ed war der Name, ben die Griechen 
(dieſes ift die Inteiniiche Bezeichnung des Volkes) ihrem Lande 
gaben, wie (Ged. Das Glück, B.46), wo ed aber nit „ Hella’8 
befted Geſchlecht“, jondern Hellas’ b. Geſchl. heißen müßte. 
&ben jo nannten ih die Griechen felbft Hellenen, wie (Geb. 
Kafſandra), wo e3 in Beziehung auf Achilles heißt: 

„Denn den beiten der Hellenen 
Hofft fie Bräutli zu umfahn.“ 

Delle, die Tochter des Athämas, Königs von Böotien, und 
Schweiter des Phrixus. Athämas, welcher Ino (vergl. Leufothen), 
des Kadmus Tochter, liebte, hatte feine rechtmäßige Gemahlin 
Nephele verftoßen. Als Stiefmutter des Phrixus und der Helle 
fann Ino auf Ränfe, um die beiden Kinder aud dem Wege zu 
räumen. Sie ließ nämlih Mißwachs entftehen und beftach das 
von Athämas befragte Orakel, welches die Kinder der Nepbele 
als Götterverächter bezeichnete und verlangte, daß biefelben ge- 
opfert würden. Dieſes Opfer follte Athämas als Priefter jelber 
vollziehen; aber Nephele flieg vom Olymp herab und brachte 
den Kindern Rettung, indem fie ihnen einen Widder mit gol- 


denem Felle zuführte, auf welchem die beiden unglüdlichen 


Schlachtopfer flohen; daher (Geb. Hero und 2eander): „Helle 
mit dem Bruder fliehend“, Auf diefer Flucht hatte Helle das 
Unglüd, in das Meer zu ftürzen, welche nach ihr den Namen 


392 Hellebarde — Hemera. 


Hellefpontos8 (Ged. Das Stegedfeft) od. Hellefpont (Geb. 
Hero u. Leander), d. i. die Darbanellen, erhielt. Phrixus kam 
glücklich nach Kolchis, opferte den Widder und hing defien Vließ 
(Zell) im Haine ded Ares auf, wo es ber durch jeine Grau⸗ 
ſamkeit berüchtigte König Aëtes durch einen feuerfchnaubenden 
Drachen bewachen ließ. Diefer Schag wurde um 1250 v. Chr. 
von Safon, dem Anführer ded berühmten Argonautenzuges, 
unter vielen Schwierigfeiten wieder zurüdgeholt, eine That⸗ 
ſache, auf welche König Sigismund (Dem. I) mit den Worten 


anfpielt: 
„Manches ift noch übrig, 
Eh’ ihr das golbne Widderfell erobert.” 


d.h. ehe ihr das erjehnte Ziel erreichet. 


Hellebarde (%. V, 12), aus bem deutfhen Helmbarte 
entftanden, von Helm (Stiel) und Barte (Beil), d. h. ein 
Spieß mit einer Barte oder Art (W. T. I, 2), daher auch 
Streitart (W. T. 1,4), fo daß mit demfelben ſowohl gehauen 
als geftochen werden kann; woher auch die bekannte Redendart: 
„das ift weder gehauen, noch geſtochen“. — Hellebardiere 
(Wſt. T. V, 7 — J. v. O. IV, 6), Soldaten, welde eine Helle: 
barde tragen. 

Hellenen (Bed. Kaflandra), ſ. Hellas. 

Hellefpontos od. Bellefpont, |. Helle u. Dardanellen. 

Heloiſe (Gftf. 10, 233), die Nichte des Kanonikus Fulbert 
zu Parid, bekannt durch ihre Schönheit und ihre Liebe zu ihrem 
Lehrer Abälard. Gewaltſam von demjelben getrennt, nahm fie 
den Schleier und erbat fih nad Abälard's Tode (1142) deſſen 
Leichnam. Beide ruhen feit 1828 in einem eigens erbauten Grab⸗ 
male auf dem Kirchhofe des Päre Lachaise zu Pariß. 


Hemera (Mytb.), gr. „Zag“ und dann die Tochter des 
Erebus und der Nacht, und die Tagedgöttin. Sie wohnt in 
der Unterwelt, fteigt aber jeden Morgen herauf, um ber Ober: 
welt das Licht zu ſpenden. Sie wird oft mit Eos (|. d.) gleich⸗ 


Hennegauer — Hephäftos. 393 


bedeutend genommen, wie (Geb. Die Götter Griechenlands; 


Anm. Str. 3): 
„Prangender erſchien die Morgenröthe 
Sn Hemerend rofigtem Gewand.” 


Sn ber Octavausgabe fteht irrthümlich Hymere. 


Sennegauer (3.0. D. Prol. 3), Bewohner des Hermegan 
(frzſ. Hainaut), welcher ehemald zu dem Herzogthum Burgund 
gehörte, jebt aber eine Provinz des Königreichs Belgien bildet. 


Sepbaftos (Myth.), bei den Römern VBulcan, war ber 
Sohn ded Zeud und der Here, oder einer anderen Annahme zu: 
folge der Here allein, die ihn unabhängig von Zeus erfchaffen 
hatte, um fi für die Entftehung der Athene aus dem Haupte 
des letzteren Genugthuung zu verichaffen. Da dad Kind häß: 
lich und mißgeftalfet war, fo wurde ed von feiner Mutter aus 
dem Olymp auf die Erde herabgeworfen und in Folge defien 
binfend (SI. 18, 394; 1, 590). Indeſſen wurde ihm ein Erſatz 
durch die ihm verliehene Geſchicklichkeit. Er war nämlich der 
Gott ded Yeuerd und der Metallarbeiter, weshalb er auch 
den Iateiniihen Beinamen Mülciber, d. b. der Erweicher, 
führte. MS folder ericheint er (Geb. Das Eleuſiſche Feſt; 
Gtr. 16): | 
„Und es fommt ber Bott der Eife, 
Zeus erfindungsreicher Sohn, 

Bildner künftlicher Gefäße, 
Hochgelehrt in Erz und Thon.“ 


Beſonders ſchmiedete er dem Achilles (Iph. IV, Zw.⸗H.) die 
goldene Rüſtung und (Ged. Das Glück, V. 44) den herrlichen 
Schild, welchen Homer im 18ten Gefange der Zliad genau 
beichreibt, und von dem ed (ed. Die vier Weltalter, Str. 4) 
beißt, daß 

— — — „ber erfindende Sohn des Zeus 

Auf des Schilded einfachem Runde 

Die Erbe, bad Meer und ven Sternenkreis 

Gebildet mit- göttliche Kunde.“ 





394 Herakles. 


Da Vulcan der Gott des Feuers ift, jo braucht Sc. feinen 
Namen fogar für das letztere felbft, wie (Geb. 2.3. d. Yen. 55): 
„Schon Liegt, beftegt vom prafjelnden Bulcan, 

Deiphobus erhabne Burg im Staube.“ 
Auch fpielt er bei der Beobachtung der Schmiede (Geb. Der 
Spaziergang, Str. 107) auf ihn an: 
„Mulcibers Amboß tönt von dem Tact geſchwungener Hämmer, 
Unter ber nervigten Kauft ſpritzen die Funken bed Strahls.“ 
und (R.I,2) werden bie Ketten der Galeerenſclaven hyperboliſch 
als dad „Eifenmagazin Vulcans“ bezeichnet. 


Herakles (Miyth.), bei den Römern Hercules, ald Enkel 
des Alkaͤos auch Alkides, abge. Alcid (Ged. Das Ideal und 
das Leben — Ph. II, 2), genannt, war der Sohn ded Zeus 
und der Alfmene, der Gemahlin des Amphitryon, defien Geftalt 
Zend annahın, um bad jugendliche Weib zu überliften. Als die 
Zeit der Geburt kam, ſchwur Zeus den Göttern, daß der Knabe, 
der heut aus dem Geſchlechte des Perſeus (aus welchem Am: 
phitryon ftammte) werde geboren werden, biefed ganze Geſchlecht 
beherrichen folle. Juno aber, des Zend Gemahlin, fuchte dieſen 
zu überliften, indem fte die Entbindung der Alkmene verzögerte 
(vergl. Here, Lucina). Zugleich eilte fie nach Argos, wo fie die 
Entbindung der Nifippe um zwei Monat verfrühte, jo daß ber 
Ihwädlihe Euryſtheus (gleichfalld aus dem Geſchlechte des 
Perſeus) nun früher ald Hercules geboren wurde. — Inbeffen 
mußte der Schwur des Zeus doch erfüllt werben, und der ftarfe 
Herculed wurde (Ged. Das Ideal und das Leben) 


Tief erniebrigt zu des Zeigen Knechte“, 


d.h. wurde der Knecht bes ſchwachen Eurpftheus, der ihm unter 
andern Arbeiten auch die Töbtung des nemeifchen Löwen und der 
lernätichen Hydra (f. d.) auftrug. Der Befreiung der Alcefte, 
ber Gemahlin Admets (f. d.), unterzog er fich freiwillig, indem 
er den Kahn des Charon beftieg und fie aus der Unterwelt 


Herakles. 395 


herauf holte; daher heißt es (Ged. Die Wötter Griechenlands, 


Str. 11): 
„Vor dem Wiederforderer der Todten 


RNeigte ſich der Götter ſtille Schaar.“ 
Außerdem that Hereuled noch viele andere gewaltige Thaten und 
behnte, nach der Sage, feine Züge bis an dad bamalige Ende 
der Erbe, die Meerenge von Gibraltar aus, wo er auf den 
Bergen Calpe und Abyla zwei Säulen ald Grenzfteine feiner 
Wanderungen errichtet haben fol. Diefe Meerenge wurde ba- 
ber im Alterthum oft die Säulen des Herculed genannt, wie 
denn auch (Ph. IV, 2) Theſeus zu Hippolyt jagt: 
‚Und gingft du weiter als bis Herculs Säulen.” 


Hercules bewarb fich um die fchöne Deianira, die Tochter des 
Oeneus, die ihm auch zu Theil ward. Als er aber einft auf 
einem feiner Züge über den Fluß Evenus mußte, lieb er zu: 
nächſt feine Gattin durch den Gentauren Neſſus überfeßen. 
. Mitten auf dem Yluffe wollte derfelbe ihr fchimpfliche Gewalt 
anthun. Da griff Hercules nad feinem Geſchoß und tödtete 
dad Ungeheuer mit einem vergifteten Pfeile. Der fterbende 
Centaur riet; der Deianira, fie möge etwas von feinem Blute 
auffangen, dad werde ein Mittel fein, ihr die Liebe ihred Gatten 
zu bewahren. Ald nun Herculed bald darauf bei einem Sieges— 
zuge ein Feſtkleid brauchte, fandte er zu feiner Gattin, die ihm 
ein Gewand fchidte, welches fie mit dem Blute des Gentauren 
beftrichen hatte. Kaum hatte Hereuled es angelegt, jo fing das 
Gift an zu wirken und verurfachte ihm fo heftige Schmerzen, 
daß er rajend wurde. Alle Mittel, fih von dem unheilvollen 
Gewande zu befreien, waren vergebene; er riß ınit demjelber 
fein eigenes Yleifh in Stüden herunter. Da ließ er fih auf 
dem Gipfel des Deta einen Scheiterhaufen errichten, auf dem 
er fich jelbft verbrannte. Bon hier nahm ihn eine Wolle auf 
und führte ihn unter mächtigem Donner gen Himmel, wo die 
zürnende Here ſich mit ihm verfühnte und zugleich feine Ber: 
mäblung mit der jugendlichen Hebe vollzogen ward. Vergl. die 


396 Hercules — herculiſch. 


beiden letzten Strophen des Gedichtes: Das Ideal und das 
Leben. — Der Name Hercules umfaßte mehrere nicht bloß 
griechiſche, ſondern auch phöniciſche Göttergeſtalten; mit den 
Phöniciern wanderte er überall hin, wo dieſelben Colonien an: 
legten, und fo wurde auch eine Stadt im jüdlichen Stalien nad 
ihm benannt; daher (Ged. Pompeji und Hereulanum): „Hercules 
Stadt”. Daß ein folhes Mufter eine8 Helden fchon im Alter: 
thum zum Sprühwort werden mußte, Tiegt nahe; daher beißt 
ed denn auch (Ph. I, D in Beziehung auf Theſeus: 

„Wenn du den kühnen Helben mir beichriebft, 

Wie er der Welt ven Hercules erfebte.” 


und (Ph. I, DD): 
— — — — — „Kann man 
Sid auf der Bahn des Hercules verirrent" 


Daftelbe gilt natürlich auch noch für die Gegenwart. So nennt 
‚Schweizer (R. III, 2) den jungen Kofindty einen Hercules, 
und (Sp. d. Sch.) bezeichnet Sch. die Geftalt eines Fürften als 
„dad volle Bild blühender Gefundheit und herculifcher 
Stärke”. Bildlih wirb endlid der englifche Dramatiker Sha- 
fefpeare (Ged. Shakeſpeare's Schatten) mit dem Namen des 
großen Helden bezeichnet: ° 


„Eydlich erblidt’ ih auch die hohe Kraft bed Herakles.“ 


Daß die bildende Kunft Scenen aus dem Leben bed Hercules 
häufig darftellt, ift befannt. "Daher fagt (%. II, 17) der Maler 
Romano: „Zu Ylorenz fteht mein fterbenber Hercules.” Als 
Attribut pflegen die Künftler ihm die Keule beizugeben. Auch 
diefe wird Sch. zum Symbol, indem er von ſchwachen Gei—⸗ 
ftern, welche Die Handlungen großer Helden bekritteln (R. I, 2), 
fagt: „Da frabbeln fie nun, wie die Ratten auf der Keule des 
Hercule3.” 


Sercules 


herenliſch ſ. Herakles. 


Here. 397 


Here (Myth.) od. Hera, war die Tochter bed Kronos 
(Saturnus) und der Rhea. Nach ihrem Vater hieß fie auch 
Saturnia (Iph. V, 4), wie fie fih (Geb. Semele 1) felbft 
nennt; die Römer nannten fie Juno. Arkadien, Argos und 
Samos ftritten ih um die Ehre, ihre Geburtäländer zu fein; 
nad Homer wurde fie von Dfeanos und der Thetis auf ber 
Inſel Euböa erzogen, von welder fie Zeud, ihr Bruder, der fie 
zur Gemahlin begehrte, nach dem Cithäron (f. d.) entführte, wo 
ih ihnen eine Höhle zum Brautlager darbot. Diejer Sage 
zufolge wurde der genannte Berg oft ald Juno's Wohnfitz be- 
trachtet, wie (Phön.), wo von „Juno's Au“ die Rebe ift, „die 
den Gipfel Cithärond Shmüdt". Nach einer anderen Gage 
feierte Zeud feine Vermählung mit Here auf der Inſel Kreta. 
Ale Götter nahmen am diefer Yeitlichkeit Theil, bei welcher 
Gelegenheit Zuno die Erde mit dem Baume bejchenfte, welcher 
die von den Hefperiden (j. d.) bemachten goldenen Aepfel trug. 
Dad eigenthümlihe Wejen der Here tft die Falte Würde und 
Züchtigkeit einer Gemahlin und Matrone, das Bild einer grie- 
Hilden Hausfrau, die fi die Untreue gegen ihren Gatten als 
Verbrechen anrechnen würde. Dagegen bricht ihr Zeus (vergl. 
Semele u. Latona) jehr oft die Treue, woher ihre Eiferfudht und 
vielfacher ehelicher Zwiſt entipringt, der fich fogar bis zur Ber: 
folgung der Söhne des Zeus (vergl. Bacchus u. Herakles) ftei: 
gert. Here wurde durch ganz Griechenland ald „der Götter 
hohe Mutter“ (2. B. d. Yen. 132) verehrt; auch war fie ber 
bejondere Schußgeift der Griechen vor Troja. Und obgleich 
Zeus jämmtlihen Göttern die Theilnahme am Kampfe unter: 
Tagt hatte, jo erfchien fie doc, bei dem Untergange Iliums 
ald die erflärte Yeindin der Trojaner; daher (Bed. 2.2. d. 
Yen. 105): 

„Am Stäertbor ftebft bu Saturnia, 
j Die Unbarmberzige, in rauhem Eiſen blinken.“ 
Zu Athen verehrte man fie befonderd ald die Stifterin ber 
Chen; daher (Ged. D. Eleufiihe Felt, Str. 24): 


400 Hermes. 


Sogleich iſt er bereit zu gehorchen, denn (ebendaſ. Str. 45) 
ſchnell 


— — — „knupft er an den Fuß die goldnen Flügelſohlen, 
Die reißend mit des Sturmes Wehn 
Ihn Hoch wegführen über Meer und Laub.” 


Bald erblidt ihn auch Aenend, welcher (ebendaſ. Str. 48) 


ählt: 
erz h .So kam jetzt zwiſchen Meer und Land 
Durch Libyens gethürmten Sanb 
Dom mütterliden Ahn Mercurius geflogen, 
Und brach mit fehnellem Flug der Winde Widerftand." 


Als Aeneas feinem Auftrage nicht fogleich Folge leiſtet, erjcheint 
er zum zweiten Male; daher (ebendaf. Str. 66): 

„Und jeßt gebeut der Götterbote mir 

Das Nämliche, vom Herm ded Himmels ſelbſt gefenbet." 

Und ald auch dieſe Aufforderung fruchtlod bleibt, da Heißt es 
(ebendaf. Str. 101): | 

- — — — — — „Ihm zeigte ſich in Träumen 

Dafſelbe Bild, das jüngft mit Schrecken ihn ergriff, 

Und bringt denjelben Auftrag wieber, 

Dem Slügelboten gleih an Stimme, an Geftalt, 

Dafielbe blonde Haar, das Majen’d Sohn ummwallt, 

Derfelbe ſchlanke Bau ber jugendlichen Glieder." 
Außer diejer Eigenfchaft eines Götterboten hatte Hermes noch 
eine andere Bedeutung. Schon früh erblidte man in ihm den 
liſtigen, erfindungdreichen, beredten und Tauſchhandel begün- 
ftigenden Gott. Zu den Attributen bed Gottes ald Herold der 
Dlympier gehören die beflügelten Sandalen und ein golbener 
Stab. Diefem wurde ein Knoten mit zwiefacher Schleife hin 
zugefügt; jpäter verwandelte bie bildende Kunft jene Schleifen 
in ein paar fih umwidelnde Schlangen, während die Zweige 
ded Stabed fih in Ylügel verwandelten, und jo entitand der 
Mercuriusftab oder Kadüceud; daher (Bed. Pompeji umd 
Herculanum) : 

„Den Caduceus fchwingt ber zierlich gefchentelte Hermes.“ 


Hermes. 401 


Sein lateiniſcher Name Mercurius (mit „mercari, Handel treiben“ 
verwandt) weiſt darauf hin, daß er bei den Römern zumeiſt als 
ein Gott des Handel3 und der Kaufleute angejehen wurbe, die 
ihm zu Ehren jährlih am 15. Mai ein Zeit feierten. Daher 
„bringt (Ged. D. Spaziergang, V. 82) Hermed den Anfer ber: 
bei“; und (Geb. D. Kaufmann) heißt ed: „Such, ihr Götter, 
gehört der Kaufmann." — Indeſſen liegt Dem Stabe des Hermes 
außer diefer praftifch- realiftiichen Bedeutung auch noch eine 
tiefere und mehr ideale Anfhauung zum Grunde, die ih an 
eine intereffante Mythe knüpft. Der übermüthige und Iiftige 
Hermes hatte einft dem Apollo die heiligen Heerden weggetrieben, 
die derfelbe für die Götter zu beauffichtigen hatte; daher fingen 
Die Räuber (R. IV, 5): 
„Mercurius tit unfer Mann, 
Der's Prafticiren trefflih Tann.“ 

Durch feine Sehergabe hatte Apoll den Räuber bald entdedt 
und führte ihn vor Zeus. Indeſſen benahm derſelbe fich hier 
jo ſchlau und gewandt, daß felbft der Sonnengott fchwur, ihm 
feine Lift nie zu vergelten. Beide verfühnten fi; Hermes 
ſchenkte ihm die von ihm erfundenen muſikaliſchen Snftrumente, 
die Leier und bie Flöte, wogegen Apollo dem Hermed die mit 
dreierlei Laub ummundene Ruthe ded Glücks und des Unglüds, 
fowie des Reichthums verlieh. Mit Diefer breizadigen Zauber: 
ruthe berührt nun Hermes die Wachenden, daß fie entichlafen, 
und die Lebenden, daß file zum Tode erblaffen. Er führt alfo 
die Seelen der Abgeſchiedenen in die Unterwelt; aber er erwedt 
fie auch wieder zu neuem Leben. Daher heißt e8 von ihn (Geb. 
4. B. d. Yen. 45): 

„Faßt dam ben Stab, der einwiegt und erwecket, 

Der die Verſtorbnen führt zu Lethe's ſtillem Strand, 

Zurüdbringt und das Aug’ mit Todesnacht bebedet.“ 
ebenſo (Ged. D. Macht des Gefanges) gleichnigweife von dem 
Dichter: 

I: 26 





408 Hermione — Hermon. 


„Die mit dem Stab bed Bötterboten 

Beherricht er das bewegte Herz, 

Er taucht ed in bad Reich ber Todten, 

Er Hebt es ftaunenb himmelwärts.“ 
und für den Realiften (Geb. Poefle des Lebens), der „verwer- 
fend blickt, auf Alles, was nur ſcheint“, zerbricht nicht nur Apoll 
die goldne Feier, jondern au „Hermeß jeinen Wunderftab“. — 
Die bildende Kunft hatte dem Hermes zu Athen eine eigenthüm- 
liche Art von Denfmälern geſetzt. Es waren vieredig zugehauene, 
nad unten zu verjüngte Säulen, die oben in den Kopf bes 
Mercur endeten, und die man Hermen (Ged. Die Künftler) 
nannte. Später wurden auch andere Köpfe gewählt, und die 
Bildwerfe dann nach den betreffenden Gottheiten, etwa Her- 
maͤres, Hermapöllon zc. genannt. In Rom pflegte man der: 
gleihen Säulen vor den Thüren aufzuftellen; und da Mercur 
bafelbft die Aufjicht über die Thüren und die Straßen hatte, in 
Athen fogar eine ganze Straße nach ſolchen Säulen benannt 
war, jo wurde Hermed auch wohl in eine gewifje Beziehung zur 
Baukunft gebracht, weshalb ed (Ged. D. Eleuflihe Feft, Str. 21) 
von Poſeidon heißt: 

‚Und mit Hermes, dem Behenden, 
Thürmet er ber Mauern Wall.” 


‚ Sermione (Sph. V, 3), die Tochter des Menelaud und ber 
Helena, blieb, nachdem Paris ihre Mutter entführt und bes» 
wegen der trojanijche Krieg auögebrochen war, bei ihrem Groß: 
vater Tyndareus, der fie dem Oreſtes vermählte. — Hermione 
(Sed. Semele 1) fteht irrthüͤmlich für Harmonia (f. d.). 


Sermon, der 8000 Fuß hohe, mit ewigem Schnee bedeckte 
Gipfel des Antilibanon im N. von Paldftina. Die (R. V, 2) 
angeführte Bibelftelle fteht Pf. 133, V. 1 u. 3 und lautet ba= 
jelbft: „Siehe, wie fein und Tieblich iſt's, daß Brüder einträchtig 
bei einander wohnen ...., wie ber Thau, der vom Hermon 
herabfällt auf die Berge Zion.“ 


Hero und Leander. 403 


Hero und Leander (Ged.). Den Stoff zu diejer Ballade, 
welche im Jahre 1801 gedichtet wurde, hat Sch. nah Viehoff's 
Angabe vermuthlich zunächft Ovid zu verdanken, welder biefen 
Gegenſtand in zwei fogenannten Heroiden (f. Epiftel) behandelt, 
die die beiden Liebenden aneinander fchreiben. Außerbem kann 
ihm auch ein Gedicht des griehiichen Grammatikers Muſäos 
befannt gewefen fein, in welchem derfelbe Gegenftand fehr aus⸗ 
führlich behandelt tft. Diefem Gedichte zufolge war Hero eine 
Priefterin der Aphrodite. Bet einem Feſte, welches zu Ehren 
dieſer Göttin gefetert wurde, waren Tünglinge und Mädchen 
von nah und fern herbeigeftrömt. Unter den erfteren befand ſich 
auch ein Züngling aus Abydos mit Namen Leander, deſſen Blide 
vor Allem durch die erhabene und anmuthige Geftalt der Prie⸗ 
fterin gefeilelt wurden. Lange kämpften Scheu und Liebe in 
feiner Bruft, bi8 er endlich bemerkte, daß auch Hero, durch feine 
feurigen Blide verwirrt, in einen heftigen Kampf gerieth und 
ihr Antlitz zu verbergen ſuchte. Schnell reifte des Jünglings 
Liebe zu kühnem Entſchluß. Als Heſper mit feinem janften 
Strable dad Dunkel des Abends durchleuchtete, fchlich er zum 
Tempel und 309 bad nur ſchwach fich fträubende Mädchen in 
deſſen dunklere Hallen. Hier gewann er ihr Herz, nannte ihr 
feinen Namen und verfprach ihr, die Wogen des Helleipont3 zu 
durchſchwimmen, wenn fie ihn mit ihrer Liebe belohnen wolle. 
Sie gewährte ihm feine Bitte und verfprach, auf dem Thurme 
des Schloffed von Seſtos eine Yadel anzuzünden, die ihm als 
Leuchte dienen ſollte. So ſchwamm er von Abydoß oft zu feiner 
Geliebten hinfiber, bis in einer Nacht die herbftlihen Stürme 
loßbrachen, fo daß Hero’3 Leuchte erlofh. Leander verjant in 
bie Fluthen, und ald am nädjften Morgen fein zerichmetterter 
Leichnam an da8 Ufer geſpült ward, ba ftlrzte fich auch Hero 
zu ihm hinab, und ber Tod vereinte die beiden Liebenden. — 
Bon vorſtehender Erzählung tft der Dichter infofern .abgewichen, 
u8 er über Hero's Stand ald Priefterin vollftändig jchweigt, 
weil er fonft den Tod der beiden Liebenden als eine von Aphrobtte 

26 * 


404 Heroded der Große. 


verhängte Strafe für die begangene Untrene hätte barftellen 
müflen. In unferer Ballade ift die Grundidee in dem Gegen: 
fate zwiſchen der Gewalt der Liebe und der fchredensvollen 
Macht ded blinden Elementes zu ſuchen, zweien Erfcheinungen, 
bet deren Schilderung der Dichter mit bejonderer Liebe ver: 
weil. — Str. 1. Die beiden alten Darbanellenfchlöfier liegen 
an dem jchmalften Theile der Meerenge, wo diefe etwa 7 Stadien 
(2500 Fuß) breit fit. Sie wurden nach ber Eroberung Eon: 
ftantinopeld von Muhamed II. angelegt, um die Straße zu 
ſchützen. — Str. 4 erinnert an befannte Züge von hülfreichem 
Entgegenkommen, wie fle ſich in der Liebe Ariadne's zu Theſeus, 
in der Zuneigung Medea's zu Safon offenbaren; deögleihen an 
Orpheus, welchen die Liebe jelbft zum Orkus hinab trieb, um 
feine Gattin Euridice zurüdgubolen. — Str. 9. Zur Zeit ber 
Herbit- Tag: und Nachtgleiche tritt die Sonne in dad Sternbild 
ber Wage. V. 5. Die Alten glaubten, daß die Sonnenroffe 
gegen Abend, wo fte nad) dem Dcean bin, und zwar am Hims 
melögewölbe fich jenfend, zur Ruhe gingen, gleich ben irdijchen 
Roſſen mit größerer Eile davon jagten. — Str. 10 iſt nit an 
Ihetis, die Fluhßnymphe, jondern an Tẽthys (ſ. d.), die Meer⸗ 
göttin zu denken. Sie werden mitunter verwechlelt. — Str. 11. 
Mit der Anrede: „Schöner Gott“ ift Pofeidon und zugleich das 
Meer ſelbſt gemeint. — Str. 17. Die elliptifhen Bedingungs⸗ 
füge: „Wenn die Götter 2c. fordern den Leſer zur Hinzufügung 
einer Ergänzung auf, etwa: DO, wie jchrediich für mich! Aehn⸗ 
lihe3 in der Glode: „Wenn der Buß mißlang ꝛc.“ — Str. 21. 
Venus, die Schaumgeborene, hatte auch eine gewifle Gewalt 
über dad Meer; Seereifende pflegten fie daher in Zeiten ber 
Roth um Rettung anzuflehen. 

Herodes der Große (33 v.Chr. — 2 n. Ehr.), ein Sohn 
des Edomiters Antipater, war, nachdem das ſyriſche Reich fett 
64 v. Chr. römische Provinz geworben, durch Betrug und Grau⸗ 
ſamkeit zur Regierung über Judäa gelangt und führte den Titel 
Tetrarch oder Bierfürft (R. 1, 2), d. h. Beherricher des vierten 


Heroen — Heros. 405 


Theil der aſiatiſch-römiſchen Provinz. Herodes wußte fich ben 
Schein der Frömmigkeit zu geben, während er im Herzen mehr 
heidniſch, der jüdiſchen Prieſterſchaft wenigftend feindlich gefinnt 
war; er fuchte fi Dadurch auf dem Throne zu behaupten, daß 
er fich ftet3 dem Willen der fiegenden Partei rechtzeitig unter 
warf; daher nennt der Kapuziner (Wit. 2. 8) Wallenftein (nach 
Lucas 13, 32) einen „liftigen Fuchs Herodes“. 


Heroen, |. Heroß. 


Serold (3.0.08. 1,10 u. IV, 6 — Ph. Il, 6 — Mlth.), 
ein mit dem Charalter der Unverleglichfeit befleideter Bote, der 
in Kriegdzeiten der feindlichen Partei Vorfchläge zu Unterhand⸗ 
lungen überbringt oder (Mech. I, 6) überhaupt Aufträge feines 
Gebieters auszurichten hat; daher audy bildl. (Mich. V, 5): 

„Dann wollt’ ich deiner Thaten Herold fein.” 
Bergl. Wappen. 


Heros, pl. Heroen, au Halbgötter hießen die ver: 
götterten Helden des Alterthbumd, wie Hercules, Theſeus, Kaftor 
und Pollux ꝛe. Dem Bollöglauben nach waren fle aus ber Ber: 
einigung eines göttlihen mit einem menjchlihen Wefen hervor: 
gegangen; daher (Geb. D. Götter Griechenlands, Str. 5): 

Zwiſchen Menfchen, Göttern und Heroen 

Knüpfte Anor einen ſchönen Bund.” 
Sie zeichneten fi vor Allem durch Muth und Tapferkeit aus, 
deöhalb kommt (Iph. I, 3w.:9.) der Chor, um 

„Der Griechen herrlide Schaaren zu feben, 

Und die Schiffe am lebendigen Strand, 

Die fo rafch und gelehrig ſich breben 

Unter biejer Halbgötter Hand.” 
Beionderd aber werden auch ſolche Männer Heroen genannt, 
die durch hervorragende Yähigkeiten und überwiegende Geifted- 
fraft fi) auszeichneten; daher heißt ed (Geb. Die Künftler) von 
dem Ideal, dad fi der Menſch von feinem eigenen Wefen ge: 
bildet: 


406 Herrenbank — Hefperiden. 


„Der Menſch erbebte vor bem Unbekannten, 

Er liebte feinen Wiederfchein; 

Und herrliche Herogn brannten, 

Dem großen Weſen gleich zu fein.” 
Ganz in demjelben Sinne wirb auch Shafefpeare (Geb. Shafe: 
ſpeare's Schatten) ein Heros genannt. 


Herrenbank (W. T. II, 1). Sm anderen Rändern hatten 
Ritter und Bauern bei Gerichtöfigungen und Berathungen von 
Sandedangelegenheiten verjchiedene Site, während fte in ber 
Schweiz denjelben Sitz und gleiche Stimme hatten. 


Herrenburg (W. T. II, 1). Bei Tſchudi Heißt ed: „Geßler 
ſatzt fih zu Uri in den Thurn zu Altdorf, jo der Meiern von 
Altdorff geweſen.“ 


Serrenleute (W. T. I, 2), in der früheren Volkoſprache 
ſ. v. w. Grundbeſitzer, die auch jetzt noch auf dem Lande häufig 
mit dem Ausdruck „die Herrſchaft“ bezeichnet werden. 


Herrlichkeit (M. St. IV, 2), der Titel, mit weldem in 
England die Lords angeredet werben. 


Derricherfiegel (Ged. Würde der Frauen), eine von Sc. 
. gebildete Zufammenfegung, |. v. a. Gepräge. 

Sefper, |. Heſperus. 

Sefperiden (Geb. 4. B. d. Aen. 88), die Töchter ded Atlas 
und der Heſperis, oder die Töchter der Nacht. Bei der Ber: 
mählungsfeier ded Zeus und der Here (vergl. b.) hatte die Erde 
aus ihrem Schoofe einen Baum mit goldenen Xepfeln hervor: 
Iprießen laffen und denfelber dem himmliſchen Paare zum Ges 
ſchenk gemacht. Here ließ diefen Baum von den Heiperiden 
bewachen, deren Gärten im Altertfum bald nach Libyen, bald 
nach dem weitlihen Dcean, oder gar nach einer Inſel in dem 
legteren verjegt wurden. Als bie Mädchen fi aber nicht ald 
forgfältige und treue Wächterinnen erwieſen, ſandte die Göttin 
ben nie fchlafenden, bundertlöpfigen Draden Ladon zu dem 
Baume, um die Früchte zu ſchuͤtzen. 


Heiperien — Hetman. 407 


Heſperien (Geb. D. Kimftler — 2.2. d. Aen. 131), dad 
Abendland, bei. Stalien. 


Sefperus, (Myth.), der Sohn bed Afträud und ber Eos 

(. d.), der Bruder des Atla8 und ber Vater der Heſperis, zu- 
gleich die Perfonification des Abendfterned (ſ. Heiperiden). Die 
alten Dichter fingen von ihm, er gehe vom Deta auf, und lafſen 
feiner bei dem feierlichen Zurufe an Braut umd Bräutigam ge: 
denen; baher wirb er als der verjchwiegene Zeuge ber Liebenden 
angejehen, wie (Ged. D. Erwartung): 

„Der Liebe Wonne flieht bed Laufchers Ohr, 

Sie flieht bed Strahles unbeſcheidnen Zeugen; 

Nur Heiper, der Berfäwiegene, allein 

Darf, ſtill Hinblidend, ihr Vertrauter fein.” 
Nachdem Hefperus verfhwunden, verehrte man ihn göttlich und 
benannte nah ihm den Planeten Venus, den Abenditern, der 
fih befanntli durch feinen jchönen, milden Glanz auszeichnet. 
Diefer Glanz wird Sch. öfter zum Symbol, wie (Geb. Eine 
Leihenphantafle), wo ed von dem abgefchiedenen Zünglinge 
beißt: 


— — — — — — — das Leben 
Floh ihm vorüber in Heſperus Glanz.” 
ober (Bed. Semele 1), wo Semele von Zeus fagt: 
— — — — — — Er kam, 
Ein ſchoͤner Jüngling, paradieſiſch reiner 
Als Heſperud, wenn er balſamiſch haucht.“ 
Da der Abendſtern zugleich auch Morgenſtern iſt, je nachdem 
er am weſtlichen oder oͤſtlichen Himmel erſcheint, ſo tritt er 
natürlich auch zu Eos, ſeiner Mutter, in nahe Beziehung, ein 
Verhältniß, das Sch. gleichfalls zum Symbol für unſer Leben 
wird, von dem es (Sp.u.d.%.) heißt: „Der Abend ift Dämmerig 
wie der Morgen, in der nämlichen Nacht umarmen ſich Aurora 
und Heſperus.“ 


Setman (Dem.T) od. Ataman, der Oberſt oder Anführer 
einer Kofakenhorde. 


408 Herameter — Herenmumien.. 


Derämeter, Der deutſche (Meter. Ueberf. Vorer. — Ged. 

D. Diftihon) oder ſechsfüßige Daktylus: 

Zw | iu bin 2 2m 128 

ein aus ſechs Metern (Maßen) oder Füßen beftebender Vers. Er 
läßt in jedem der vier erjten Versfüße einen Spondeus (.._) ſtatt 
des Daktylus zu; biömweilen findet man auch wohl Trodhäen (2) 
dafür, die im Deutſchen allerdings fchwer zu vermeiden find. 
Die CAfur (Einfchnitt) FAN meift in den dritten Fuß, und zwar 
entweder gleich nach der Hebung, wo man fie männlidye, oder 
gleich nach der erften Kürze, wo man fie weibliche CAfur nennt. 
Der Herameter heißt auch wohl der heroiſche Verd, weil man 
ihn von Alterd her bejonders für ſolche Gedichte wählte, in denen 
die Thaten von Helden erzählt wurden. Homer’ und Virgil's 
epiſche Gedichte find in Herametern gejchrieben ımd auch in 
biefer Beziehung den fpäteren Dichtern Borbilder geworben. 
Sn Deutfchland ift er durch Klopftod’8 Meſſias und durch die 
Voſſiſche Homerüberjegung wieder in Aufnahme gefommen und 
als der Träger bedeutender bichterticher Leiftungen anzufehen. 
„Hermann und Dorothea” tft ohne ihn nicht denkbar. Sr 
Sch.'s Gedichten der erfter Periode findet er fich nicht, unter 
denen der zweiten zuerit in „Sm Oktober 1785” mit einem 
fürzeren Verſe von ebenfalld daktyliſchem Rhythmus gemilcht 
LH. Mit dem Pentameter (|. d.) gemticht, verwendet ihn 
Sch. in dem bejchreibenden und reflectirenden „Spaziergange”, 
ferner in feinen zahlreihen Epigrammen und philoſophiſchen 
Gedichten, wie „Das Glück“, „Der Genuß" w.a.m. Allein 
bat er ihn nicht gebraudht. 

Serämeter, Der epifhe (Ged.), ein Epigramm aus dem 
Jahre 1796. Es charakteriſirt das heroifche Versmaß der Alten, 
indem es bie ruhig-großartige Bewegung deſſelben mit Dem 
majeſtatiſchen Eindruck vergleicht, welchen das vom Himmel 
überwölbte ‘Meer hervorbringt. 

Serenmumien, |. Mumie. 


u 


Hererei — Hiob. 409 


Hexerei (R.1,1), ſ. v. w. Zauber in uneblem Sinne. 


Heyne, Chriftian Gottlob (Ged. Die Homeriden), geb. 
1729, ein gründlicher Kenner des klaſſiſchen Altertyums, ber 
daſſelbe mit poetiſchem Geiſte erfaßte und den Kreifen der Ge: 
bildeten zugänglich zu machen verftand, F 1812. 

Sibernien (Wft. L. 11), der poetiſch feierliche Name (f. Ger⸗ 
mania) für die Inſel Srland, welde Schon den Phöniciern be- 
kannt war und bei den Griechen Serne, bei den Römern Hiber⸗ 
nia hieß. 

biedannen (W. T. IV, 1), ſ. v. w. von dieſer Stelle. 


Hieronymiter (O. C. V, 9), Mönche, die ſich nach dem 
heiligen Hieronymus nennen, der 331 in Dalmatien geboren, in 
Rom für das Chriſtenthum gewonnen, vier Jahre in Syrien 
als Einfiedler lebte und fpäter in Rom als begeifterter Lehrer 
des rechtgläubigen Syftemd der Kirche auftrat, + 420. 


Hierophänt (Ged. D. verfchleierte Bild zu Said), ein Aus: 
feger oder Lehrer gotteödienftlicher Gebräuche; bei den Griechen 
bejonderd der Oberpriefter ber Gere und ber Vorſteher ber 
eleufiniihen Myſterien. 

Hifthorn (M. St. IU, 1 — Br. v. M.), im gemeinen 
Leben für Hiefborn, von einem alten Stamme Hief, eine 
Nachahmung ded Tones, ber bei einem Stoß in's Jagdhorn 
erſchallt. 

Simmel (D. ©. I, 9), ſ. Phantaſie. 

Himmelskönigin, |. Marta, Zungfrau. 

Simmelwagen, |. Wagen. 

binausvotiren, |. Votum. 

Hiob, der Held eine der Lehrbücher des alten Teftaments, 
der ſich befanntlich durch feine große Geduld im Ertragen von 
Leiden auszeichnete; daher (N. a. O. II, 8) die Anſpielung: 
„geduldig wie Hiob“. 


410 Hiob — Hippomedon. 


Hiob (Dem. ID, bei Sch. ald Erzbiſchof und bereitwilliger 
Diener ded Boris Godunow auftretend, tft in der Geſchichte 
(Heeren; vergl. Demetrius) ein Patriarch, der den Griſchka 
Dtrepiem zum Diakonen geweiht und ald Schreiber gebraudt 
hatte. Da er ihn oft mit auf den Kreml nahm, wo ihm ©e- 
legenheit ward, die Pracht des Czaarenhofes zu fehen und man: 
her geheimen Unterredung über dad Schidfal ded Dmitri bei: 
zuwohnen, fo hatte er felbft die erfte Veranlaffung zu feinem 
nachmaligen Auftreten gegeben. Bet dem Tode des Boris fuchte 
Hiob die Aufrührer zu beifchwichtigen und für deffen Sohn Yeodor 
zu gewinnen; ja, er hatte jogar feinen ehemaligen Schreiber in 
den Bann getban. Als fi aber das Glück für Demetrius ent- 
fhied, war er Heinmüthig geworden und hatte ihm gehuldigt. 
Nichtsdeſtoweniger ließ ihn der neue Herricher in der Kathedrale . 
zu Mariä Himmelfahrt öffentlich feines patriarchaliihen Ge: 
wanbes entfleiden und ſchmachvoll nah Starika abführen. 


Sippodrömos, das Pferderennen; auch abgek. Hippodroͤm 
(Ged. D. Ideal u. d. Leben), die Rennbahn, auf welcher die 
Wettrennen der Roffe und die Wettfahrten der Wagenlenter 
Stattfanden. 

Hippogrupb (Geb. Pegajus im Joche), der wörtlichen Be: 
Deutung nach ſ. v. w. Roßgreif, ein fabelhaftes Thier, halb Pferd, 
halb Greif (f.d.), dad mit gewaltiger Schnelle die Luft durch» 
fliegt. Vermuthlich ift ed eine Erfindung des italienifchen Dichters 
Bojardo; die neueren Dichter (z. B. Wieland in jeinem Oberon) 
gebrauchen den Namen oft für dad griechiihe Muſenroß (ſ. 
Pegaſus). 

Hippokrates, der berühmteſte Arzt der Griechen (+ 370 
v. Ehr.), von dem noch mehrere Schriften vorhanden find; bisw. 
(R. Vorr) bildl. für Arzt überhaupt. 


Hippolyt, |. Phädra. 
Hippomedon (Phön.), einer der Fürſten, mit denen ſich 
Adraftus, König von Argos, verband, um dem Polyniced gegen 


Hirtenbrief — Hochflug. 411 


Eteokles Recht zu verfchaffen; alfo einer ber fieben berühmten 
Helden, die (1225 v. Chr.) gegen Theben zogen. 


Hirtenbrief (Sp. d. Sch.), ein Außfchreiben bed Papftes 
oder eined Bifchofd an die ihm untergebenen Geiftlihen, das 
fih auf kirchliche Gegenftände bezieht. 


Sirtengstt, |. Pan. 


Hiſpanier (aud dem lat. Hispania, Spanten) oder Spanter; 
fie wurden ehemals, wie alle Nicht Deutfchen, Wälſche (ſ. d.) 
genannt; daher jagt der Kellermeifter (Picc. IV, 5): 
„8 iſt nichts mit den Hifpaniern, ſag' ich euch: 
Die Wälſchen alle taugen nichts.“ 
Spanien, welches ſich unter Philipp IV. (1621—1665) an dem 
breipigjährigen Kriege betheiligte, bejaß ſeit 1503 auch dad König: 
reih Neapel (ital. Napoli); wonah (Wit. L. 11) die Worte des 
Küraffierd zu verftehen find: 
gab’ der hiſpaniſchen Monardie 
Gedient und der Republif Venedig (f. d.) 
Und bem Königreich Napoli.” 
Der hiſpaniſche rothe Hut (ebendaf.), |. Hut. 


Hiſtorie, Geſchichte, auch bisw. (K. u. L. 1,7) im verädt- 
lichen Sinne. ’ 

Hobbe (F. V, 11 — J. v. O. IV, 1), von dem frzf. hautbois, 
ein ſcharftönendes hölzernes Blaſeinſtrument; Hoboiſt, eig. ein 
Muſiker, der ein ſolches Inſtrument bläſt, im weiteren Sinne 
(J. v. O. IV, 6) ein Mitglied des Militairmuſikcorps über: 
haupt. 

Hochamt, ſ. Meſſe. 

Hochflug und Hochgewilde (W. T. II, 1). In der Jäger⸗ 
ſprache unterſcheidet man hohes und niederes Wild, und dem: 
gemäß hohe und niedere Jagd. Zum „Hochflug“ rechnet 
man Adler, Auer: und Birkwildpret, Faſanen, Trappen, Reiher, 

raniche und wilde Schwäne; zum Hochwild od. bei Sch. 


412 Hochgebenedeiete — Hochwacht. 


„Hochgewilde“ Roth-, Damm:, Reh: und Schwarzwild, jo 
wie Schweine, Bären, Wölfe und Luchſe; alle Uebrige wird 
zur niederen Jagd gerechnet. 

Hochgebenedeiete, |. Maria, Zungfrau. 

Hochgericht (Sp.d. Sch.), urfprünglich da8 höhere Gericht, 
welches über die ſchweren Verbredyen zu enticheiden hatte; ſpäter 
der Drt, an welchem die Hinrichtungen vollzogen wurden, alfo 
der Galgen mit dem Rabenftein und den auf Pfähle geftedten 
Rädern. 

Hochland, das ſchottiſche; der nördliche, Highland ge- 
nannte Theil Schottland, zwiſchen dem an feiner Südgrenze 
liegenden Grampian- und dem im Außerften Norden zum Meere 
abfallenden Kaledonifhen Gebirge. Es hat einen ganz norbi- 
chen Charakter und ift meift mit Kiefernwälbdern und Heidekrau 
bedet, wozwijchen Granit: und Porphyrflippen oft nadt zu Tage 
ftehen; daher jagt Maria (M. St. III, D von der Stimme bes 
Hifthorns: „Oft vernahm ſie mein Ohr mit Freuden 
Auf des Hochlands bergigten Heiden, 

Wenn bie tobende Jagd erſcholl.“ 

Höchſte, Das (Ged.), ein Epigramm aus dem Sabre 1795. 
Die Pflanze ift dem Dichter ein Sinnbild innerer Zufriedenheit, 
eined Weſens, das mit fich ſelbſt im Einklange if. Sie ftellt 
und jomit dar, was wir in dem eriten Naturzuftande waren 
und was wir durch die Vernunft wieder werden follen. Bergl. 
Menſchenf. 7. 

Hochwacht, ein auf einer Höhe aufgeftellter Wachtpoften, 
der fein Augenmerf auf die umliegende Gegend zu richten, oder 
auch die Mannfchaften derjelben durch Signale zufammen zu 
rufen hat (WB. X. IV, 2 u. V, 1); auch im bildlichen Sinne, 
wie (W. T. II, 2), wo Reding in Beziehung auf dad Alpen: 
glüben fagt: 

„Do feht, indeß wir nächtlich bier noch tagen, 
Stellt auf ben höchſten Bergen jchon ber Morgen ® 
Die glähnde Hochwacht aus.“ 


Hochwürdiges — Holoferned. 413 


Hochwürdiges, |. Hoftie u. Monftranz. 
Hochzeiter (R. V, 1), ſ. v. w. Hochzeitbitter. 


Hochzeitsfackel, |. Hymen. 

Hofamt (D. €. 1,6). Hofämter find theils die alten Erb⸗ 
od. Erzämter ff. d.), theil3 bie neueren, welche zum Theil auf 
jene früheren gegründet find. Ste beftehen in perjönlichen 
Dienftleiftungen und Obliegenheiten, welche mit dem fürftlichen 
Hausweſen in Verbindung ftehen. 


Hoffnung (Ged.), das erfte in der Reihe bidaktiicher Ge- 
Dichte qus dem Sahre 1797, in welden Sc. fi vorwiegend 
des daktylijchen, biöweilen mit Trochäen gemijchten Versmaßes 
bediente. Das Gedicht ftellt und die Hoffnung, unfere beftän- 
Dige Begleiterin durch das Leben, ald eine durchaus natürliche 
und beredtigte Empfindung dar, die jedenfalld einen tieferen 
Srund hat, ald die oft täufchenden Erfahrungen. 


Soflager (3.0.8. III, 1) od. Hofftatt (W. T. V, 1), die 
Refidenz, der Ort, wo der Hof fih zur Zeit aufhält. 

Soffhranzen, |. Schranzen. 

Sofftaat, ſ. v. w. Hofhaltung, Pracht am Hofe; außerdem 
auch die Gefammtheit aller Hofleute; daher (3.02. O. 1, 4) bie 
Worte der Sorel: 

Verwandle beinen Hofſtaat in Soldaten.“ 


Hofftatt, ſ. Hoflager. 

Holk, ein Heerführer Wallenjteind, der in der Schlacht bei 
Lügen den Schweden durch Heranftürmen mit feinen Cüraffieren 
den erjten gewonnenen Bortheil wieder entriß. Holkiſche 
Jäger (Wit. %. Perj.-Berz.). 


Solofernes, abgek. Holofern (MWft. &. 8), der in dem 
apokryphiſchen Buche Judith genannte, übrigend erdichtete Name 
eined afiyriichen Yeldhauptmanned des Königs Nebuladnezar. 
Er fol in das jüdiſche Land gelommen fein und eine Stadt 


414 LHombre — Homer. 


Bethulia belagert haben, aber durch die Lift der Judith getödtet 
worden jein. 


LHombre (K. u. L. II, 1 — Na O. J, 2), franz, eins 
der intereſſanteſten Kartenſpiele, bei dem die mit 8, 9 u. 10 
bezeichneten Karten weggelaſſen werden; ed wird gewöhnlich 
zwiſchen drei Perjonen gefpielt. 


Homer (Ged. D. Spaziergang, B.200), Abk. von Homeros, 
lat. Homérus, ber berühmtefte und ältejte griechiſche Dichter, 
war der Sage nad) ein Sohn ded Mäon und wurde daher auch 
der Mäonide genannt, wie (Ged. D. Künftler): 

„Dee Mäoniden Harfe ftinnmt voran.” 

Er fol um’8 Jahr 1000 v. Ehr. in Kleinafien oder auf einer 
nahe gelegenen SInfel gelebt haben. Nah Fr. A. Wolf's und 
Fr. Schlegel’ 3 Anfichten fol Homer bloß der gemeinfame Name 
für eine ionifhe Sängerfchule (vergl. Die Homeriden) gewefen 
fein, eine Anſicht, die kritiſch vielleicht richtig (vergl. Ilias) ift, 
für den Dichter aber wenig Wohlthuended hat. Sch. nennt ihn 
deshalb doch (Geb. D. Homeruskopf 2c.) „Treuer alter Homer“ 
und fagt (Ged. Die Weltmeifen): „Homerus fingt fein Hoc): 
gebicht.” Die Ilias und die Odyſſee, die beiden bebeutendften 
Gedichte, die, ald von ihm herrührend, fich erhalten haben, zeich- 
nen fich dur Naturmwahrheit und Lebendigkeit der Darftellung 
aus, fo daß fie den, Dichtern aller Zeiten eind der trefflichften 
Vorbilder gewejen find. 

Wenn ein Dichter ded alten Griechenlands jagen zu müſſen 
glaubte, daß er und die Späteren überhaupt nur von ben 
Broſamen Iebten, bie von dem reichbejegten Tiſche Homer's 
fielen, jo iſt dieſes Wort heut allerdings nicht mehr jo wahr, 
wie vielleicht dDamald; dennoch aber tft der Einfluß bes Sängers 
von Chios auf die Poeſie gerade Deutſchlands ein jo bedeutender 
im Ganzen wie im Einzelnen, daß fich ein Buch darüber ſchreiben 
ließe, wie ed, alle Beziehungen des Alterthumes zu unferer 
Dichtung erörternd, von dem trefflihen Königäberger Gelehrten 


Homer. 415 


Cholevius „über die antiken Elemente in der Deutſchen Literatur” 
geichehen if. Der Gedanke, daß der Dramatiter Sch., ab⸗ 
gejeben von dem allgemeinen Einflufje, den eine fo einzige Ver⸗ 
ſchmelzung von Wirklichkeit und Kunſtideal auf ihn ausüben 
mußte, von Homer nicht viel herüber nehmen konnte, würbe ſich 
als irrthümlich erweifen. Zwar bat Sch. nicht, wig er fo oft‘ 
wollte, Zeit und Inſpiration gefunden, in einer größeren epifchen 
Schöpfung („Guſtav Adolph”, „Friedrich der Große”) dem deut: 
fchen Heldengedichte einen höheren homerifhen Aufſchwung zu 
geben, oder es wenigftend zu verjuchen,; dennoch hatte das 
Studium Homer’ in ihm fo ftarfe Eindrüde binterlaflen, daß 
fih die Spuren davon faft in allen feinen Gebichten und Dramen 
wiederfinden, zumal ba fi in den großen Biftoriichen Dramen 
unſeres Dichterd ein oft bemerkter epiicher Zug geltend macht, 
der ihn zum Homer zurüdführen mußte. Wer tönnte dieſe 
Elemente verfennen, die in Zeiten wie die des hundertjährigen 
Kampfes zwifchen England und Frankreich im 14. und 15. Jahr⸗ 
hundert und im dreißigjährigen Kriege hervortreten umd in ben 
entjprecyenden Dichtungen Sch.’8 ericheinen? In anderen Werfen 
war ed ein ihrem Gegenſtande zukommender Geift der Natürlichkeit 
und Einfachheit, welcher Sch. hier und da bomerifche Formen 
der Darftellung wählen ließ, wie im W. Tell. Weiterhin ift es 
endlich oft auch nım die Lebendigkeit und Yülle der Remintfcenz, 
welche den Dichter bewegt, Farben einzumifchen, die Neuere 
vielleicht durch andere „Iofalere” erſetzen würden, bie aber ber 
Geiſt der damaligen Zeit, der, von der Antike erweckt, mädtig 
zu ihr Hinftrebte, vollfommen rechtfertigte, und die wir ihrer 
Schönheit wegen nit als eine Dieharmonie bemerken. Hier 
und da tft auch der Gegenftand jelbft, ald dem antifen Leben 
oder gar dem Homer unmittelbar entnommen, die Beranlaflung 
geworben. 

1788 jchreibt Sch. (f. das zur Br. v. M. angeführte Wert: 
chen v. Gerlinger p. 93 ff.): „In den nädjften 2 Jahren, hab’ 
ih mir vorgenommen, leſe ich feine modernen Schriftiteller 


416 Homer. 


mehr” ..... „Sch leſe jest faft nichts ald den Homer. * 


Sch babe mir Voſſen's Weberjegung der Odyſſee (1781 erfchienen) 
fommen laffen, die in der That ganz vortrefflich tft...“ 1798: 
„Ich leſe in diefen Tagen den Homer mit einem ganz neuen 
Vergnügen, wozu die Winfe, die Goethe mir gegeben, nicht 
wenig beitragen. Man ſchwimmt ordentlich in einem poetifchen 
Meere; au? diefer Stimmung fällt man auch in feinem Punkte 
und alles ijt ideal bei der ſinnlichſten Wahrheit.“ 
1799: „Sch babe in diejen Tagen den Homer vorgeholt und 
den Beſuch der Thetid beim Bulfan mit unendlichen Vergnügen 
gelejen. In der anmuthigen Schilderung eines Hausbeſuches, 
wie man ihn alle Tage erfahren Fann, in der Beichreibung eines 
bandwertömäßigen Geſchäftes, ift ein Unendliches in Stoff und 
Form enthalten.” Mit Bezug auf die Scene zwiſchen Mont: 
gommery und Jeanne d’Arc, die nach SL 21, 64—120, X, 378 ff. 
gedichtet ift, jchreibt Sch. 1801: „Wer jeinen Homer kennt, 
der weiß wohl, was mir dabei vorſchwebt.“ 

Alfo werden und audy unfere Leſer dankbar fein, wenn wir 
ihnen einige weitere Nachweije geben, Die von ihnen jelbit vielfach 
vermehrt und vervollftändigt werden können. 

Eine anziehende Vergleihung bietet Hektor's Abſchied, wenn 
der Leſer diejelbe Scene, eine der ſchönſten und künſtleriſch 
vollendetiten der Ilias, bei Homer vergleichen will (f. Andro: 
mache, Heltor). Das darin ſich findende Epitheton (b. h. dichterifch 
ſchmückende Beiwort) die „unnahbaren" Hände des Achill ift 
homeriſch, |. SI. 7,309. 8,450. Od. 11,502. Im „Triumph der 
Liebe” ſchmückt Juno ihr „ambrofiih Haar“ ZI. 1, 529, eim 
Beiwort (f. d.), welches Homer aud auf Kleider SI. 5, 338 oder. 
Sandalen Ob. 1,97 der Götter, dann aber auch auf die Schön- 
heit ſelbſt Od. 18, 193 anwendet. Auch die „Nacht“ nennt Sch. 
im „Spaziergange”“ nah 31.2,57 „ambroſiſch“. Auch der 
„thränenvolle” Streit in Kaflandra (Str. 1) ift homeriſch SL 
5, 737. 13, 765, bei Voß heißt ed gewöhnlich „die thränen» 
erregende Feldſchlacht“. Die „schweren, ehernen Hände“ der 


Homer. 417 


Natur, die Stelle in der Br.v.M. „und Tein Gebet durchbohrt 
den ehernen Himmel”, „die eherne Umarmung des theban’schen 
Paares”, was Iſabella vom „ehernen Harnifch der Bruft” ihrer 
Söhne fagt (auch „die felfigte Bruſt“ Od. 17,463. SI. 16, 35), 
das „ftählerne Herz” der 3.0. O. — Alles findet Vorbilder 
und Anklänge in Homer SI. 2, 490. 5, 737. 13, 765. 17, 425. 
Od. 15, 329. Ebenſo die „löwenherzige Sungfrau” SI. 5, 639. 
Od. 4, 724. Die „heerbenmellenden Holländer” ebendafelbft find 
im homeriſchen ©eifte benannt und felbft die „prächtig ſtrömende 
Loire” erinnert an klaſſiſche Flüſſe und Quellen Od. 10, 107. 
31.2,752. Talbot befommt jein Beimort „bunderthändig” nach 
dem Riefen, welchen Thetid zur Rettung ded Zeus in den Olymp 
binaufruft 31. 1, 402. Der Rinder „breitgeftimmte, glatte” 
Schaaren in der „Slode“ find direft aus dem Homer ZI. 10, 
2392 u. öfter. Die „bHimmelumwandelnde” Sonne in der Br.v. M. 
iſt der homeriſche Helios Hyperion (j. auch SI. 8, 68). Auch 
die „unzerbrechliche“ Kraft daſelbſt iſt, wenn auch nicht homeriſch, 
doch wenigflend griechiſch. „Des Todes bittere Pfeile” in der 
„Kindesmörderin”" und der „bittere Pfeil ded Wortes” in ber 
Br. v. M. ift in feiner eigentlihen Bedeutung jehr Häufig bei 
Homer 31. 4, 113. 22, 206 u. d. Im Geifte des alten Dichters 
‘ heißt ebendajelbft die Stadt „die völferwimmelnde”. Auch die 
„bodhmohnenden”, „alles jchauenden” Götter erinnern an home: 
riſche Beiwörter 31. 5, 265. 

Die Beiwörter Sch.'s verdienten wohl eine bejondere Studie; 
das für unjere Zwede Wichtigfte werden wir unter „Sprache“ 
geben. 

Auch andere Erinnerungen an homertiche Vorftellungen oder 
Scenen finden ſich. So erfennt mar im „Triumph der Liebe“, 
Str. 13: „Thronend auf erhabnem Si — Schwingt Kronion 
feinen Blitz; — Der Olympus ſchwankt erfchroden — Wallen 
zürnend feine Locken“ — die berühmte Stelle SI. 1,529 wieder, 
nach ber Phidias den olympiſchen Zeus gebildet haben fol. 

I. 27 


418 Homer. 


„Der janfte Bogen ber Nothwendigkeit“ (dem Laien wohl kaum 
verftändlih) in den „Künftlern” erinnert daran, daß Homer 
einen plößlichen und dabei janften Tod durch die „fanften Ge⸗ 
Ihofle” des Apollon und der Artemis erfolgen läßt SI. 24, 759. 
Die Ausdrüde „König Rudolph's heilige Macht” umd, in ber 
Br. v. M. „geſandt hab’ ich alsbald des rafchen Boten jugend: 
liche Kraft“, deren erſterer beſonders dem Nichtkenner des Grie⸗ 
chiſchen ſehr auffallen muß, ſind auf jeder Seite im Homer zu 
finden. Sie umſchreiben einfach den Begriff der Perſönlichkeit, 
wie in ber Odyſſee „bie heilige Kraft des Alkinoos“. Selbſt 
der allgemein verftändlihe Ausdruck in „Sdeal und Leben”, 
Str. 4: „Wenn im Leben noch ded Kampfes Wage ſchwankt“, 
mag an die Wage erinnern, auf der Zeus die Geſchicke der 
Menfchen, jo 3.3. das des mit Achill Fämpfenden Hektor, ab- 
wägt. SI. 19, 223. 16, 658. 8,69. Wir wollen entfernt nicht be: 
baupten, Daß die „Ichwarzen und die heitern Looſe“ der „Glocke“ 
aus dem Homer ftammen, aber ed zieht manchen Leſer vielleicht 
an, bie wunderliche Gejchichte von den beiden Schidjaldfäflern 
SI. 24,527 nachzulejen. Auch im Wit. Tod I,4 heißt ed: „Nicht 
ohne Schauber greift des Menſchen Hand — Sn ded Geſchicks 
gebeimnißvolle Urne”. Das Opfer eined „Stiered mit goldenem. 
Horne”, der in „Hero und Leander” den Winden geweiht wird, 
bewege ben Leſer, ſich die ſchöne Stelle Od. 8,425 ff., we 
Telemach bei Neftor weilt, in dad Gedächtniß zurüdzurufen. 
Die bomeriihen Helden, wenn fie von ihrer Herkunft fprechen, 
„rühmen ih" der Sohn von dem und dem zu fein, fo fagt im 
W.T.1,2 Gertrud, am Anfang einer Schilderung ihred Jugend⸗ 
lebens, die ganz homeriſchen Charakter trägt: „Des edlen Iberg's 
Tochter rühm ih mid — Des viel erfahrenen Mannes“. 
Weiterhin heißt fie: „Des weiſen Iberg body verftändige 
Tochter.” Dat (Br.v.M.) die Erbe feft ruht „auf den ewigen, 
alten Säulen“ erinnert an bie vom Atlas gehaltenen hohen 
Säulen Od. 1,53, die Himmel und Erbe auseinander halten 
und die ebendafelbft dann noch ausdrüdlih erwähnt werben 


Homeriden — Honni soit qui mal y pense! 419 


(j. Atlas). Die Schilderung des englifchermHeeres in ber 3. Scene 
des Prologd zur 3.0.0. tft ganz epiſch⸗homeriſch und erinnert 
mit ihren Bildern von den Bienen und Heufchreden lebhaft an 
SL II, 460 ff. 

Wir glauben im Borftehenden dem Leſer hinreichende An- 
regung zu weiterer Vergleichung gegeben zu haben. 


Homeriden, Die (Ged.), drei Zenien, welche nach Viehoff 
früher die Ueberſchriften: „Rhapſoden“; „Viele Stimmen“; 
„Rechnungsfehler“ führten und ſpäter zu dem jetzigen Epigramm 
vereinigt wurden. Chr. Gottl. Heyne (ſ. d.), der ſich mit einer 
großen, unvollendeten Ausgabe ded Homer beſchäftigte, war mit 
der Anfiht, daß die Sliad und die Odyſſee von biefem allein 
herrührten, gegen eine Schrift ded Philologen Fr. A. Wolf 
(ſ. Ilias) in die Schranken getreten. 

Homerustopf, Der, ald Siegel (Geb.), ein Epigramm 
aus dem Sahre 1796. Da die Poefie der Liebe bejonderd Hold 
tft (vergl. Ged. Dad Mädchen aus der Fremde), fo joll die 
Liebe wiederum auch ihr vor Allem vertrauen. 

bonnet, fra. honnöte, d. h. ehrlich, rechtichaffen; ferner auch 
anftändig, wie (B. a. v. E.) „honnet zu ftehlen”, d.-b. nicht 
wie die gemeinen Spipbuben, jondern auf eine feine Weiſe; desgl. 
(R.1,2): „honnete Gewerbe”. 


Honni seit qui mal y pense! Die franzöflich gefprochenen 
Worte der Elitabeth (M. St. II, 2) find die Aufichrift des von 
dem Könige Eduard II. in England 1350 geftifteten Ordens 
vom blauen Hofenbande. Sie bedeuten: „Hohn od. Trog 
demjenigen, welcher Arges dabei denkt“, diefelben Worte, die er 
einft ſprach, ald er einer ſchönen Tänzerin, der Gräfin Salisbury, 
Das ihr entfallene Strumpfband aufgehoben hatte, und welde 
die Beranlafjung zur Stiftung des Ordens wurden. Der Orden 
beftebt aus einem Kniebande von bunfelblauen Sammet mit 
goldener Einfafjung und den oben genannten Worten ald In⸗ 
Ichrift. Eben diefelbe befindet fi auch auf dem zu dem Orden 


27 


420 bonoriren — Horen. 


gehörenden breiten blauen Bande, welches um die Schulter ge: 
tragen wird, und welches bier die Königin dem Grafen Keicefter 
abnimmt, um e8 dem Grafen Bellievre umzuhängen. 

bonoriren, eig. hochſchaͤtzen, in Ehren halten; in der Tauf: 
maͤnniſchen Sprache (Picc. IV, 6) |. v. w. annehmen und darauf 
zahlen. 

Sora, lat. Die Stunde; in Klöftern befonderd die Stunden, 
‚ bie zum Gebete auffordern; daher (Br.v. M. 5, 413) „der Ruf 
zur Hora” und (D. C. II, 14) „Die Glocke zur Hora läutet. Sch 
muß beten gehen.“ 

Horeb (3. v. D. Prol 4), der 8000 Fuß hohe Gipfel des 
Plateau der zwilchen dem rotben Meere und dem Meerbufen 
von Afkba gelegenen peträifchen Halbinfel, weftlih vom Sinai. 
Weber die Erſcheinung ded Herrn berichtet 2. Moſe 3, I—5. 

Horen (Myth.), die Stunden: oder Zeitgöttinnen, waren 
Töchter des Zeus und der Themid. Bei Homer (SI. 5, 749; 
Od. 24, 344) erſcheinen fie ald Luftgöttinnen und Dienerinnen 
bes Zeus, welche Wolfen fammeln und zerjtreuen; zugleich aber 
wurden fie als Göttinnen der Jahreszeiten betrachtet; Zahl und 
Namen werden verjchieden angegeben. Die jpätere Zeit vermehrte 
ihre Zahl, zunächſt, um die vier Jahreszeiten, dann aber auch, 
um die verjchtedenen Tagedftunden zu bezeichnen. Die bildende 
Kunft ftellt die Horen als reizende Zungfrauen dar, welche die 
verjchiedenen Erzeugniffe der Sahreszeiten als Attribute in den 
Händen tragen; oder auch, wie fie, leicht gejchürzt und einander 
die Hände reichend, einen Girkeltanz ausführen. Daher (Geb. 
Klage d. Cered): 

„Hührt ber gieiche Tanz ber Horen 

Sreubig nım den Lenz zurüd.” 
Die Griechen gaben ihnen Kronen von Palmblättern und Kränze; 
daher heißt es von der Stimme der Glocke (Geb. D. Glode), 
daß fie die Stunden verfünden ſoll: 

„Und führen bad befränzte Jahr.” 





Horizont — Hornberg. 421 


Außer dem regelmäßigen Zeitenwechfel und den davon abhän- 
genden irdifchen Gaben der Natur gewähren bie Horen zugleid) 
Gejeglichkeit und begründen durch Arbeit und Thätigkeit bie 
Wohlfahrt der Menjhen. Deshalb find fie dem Dichter zunächſt 
ein Borbild deöjenigen, der die Zeit zu nüben bemüht ift, wie 
(Ged. D. Eleuſiſche Feſt): 
„Und bie leichtgeſchürzten Stunden 
Fliegen an's Geſchäft gewandt.” 
desgleichen ein Symbol desjenigen, unter deſſen Händen ſich ein 
Wert ruhig und allmälig vollendet, wie (Ged. D. Gunft bed 
Augenblidö): 
„Langfam in dem Lauf der Horen 
güget ih der Stein zum Stein.” 
Da fie dem Dichter liebe und treue Begleiterinnen find, fo be 
Hagt er (Geb. Poeſie ded Lebens) natürlich den trodenen Rea⸗ 
Itften, denn diefem „ruhn der Horen Tänze“; während fie 
feiner eigenen Perjon nur dad Bild der Ylüchtigfeit der Zeit 
vorführen, weßhalb er (Bed. Sängerd Abſchied) von feinen 
Liedern Sagt: 
„Des Uugenblides Lufl hat fie geboren, 
Sie fliehen fort im leihten Tanz der Horen." 
Mit dem Namen Horen (Ged. D. Antike an den nordilchen 
Wanderer. Anm.) bezeichnete Sch. auch eine Zeitjchrift, die er 
feit dem Fahre 1794 herausgab, in Yolge deren er in nähere 
Berbindung mit Goethe trat und zugleich eine neue Epoche feines 
Leben? und feiner Poefie vorbereitete. 

Horizont (Geb. 4. B. d. Yen. 2), von dem gr. horizein, 
begrenzen; ber Gefichtöfreis, die Kinie, in welcher da8 Himmels⸗ 
gewölbe und die Erdoberfläche fich zu berühren fcheinen; bis 
weilen aud, wie (Sp. u. d. 2.) f. v. w. dad Himmelögewölbe 
jelbft. 

Hornberg, Stadt an der Gutach im badiſchen Oberrhein- 
freije; die Stelle (R.1,2) bezeichnet Edarbt ald Anjpielung auf 
eine Lalenburger Geſchichte. 


422 Hörner — Hoftte. 


Börner (W. T. III, 3) nennt man die jcharffantigen, oft 
ſeltſam geftalteten Granitipigen der Hochalpen; vergl. Gletjcher. 


Hornung (Gſftſ. 10, 136), der deutſche Name für den Monat 
Februar, welcher die Zeit der Hornung tft, wo die Hirſche ihre 
Hörner abwerfen. 


Horoftöp, ſ. Aftrolog. 

Sort (Ged. D. Graf v. Habsburg), ſ. v. w. Hurd od. Hürde; 
d. 5. Schuß, Zuflucht, 

Hoſtie, von dem lat. hostia, eig. Opferthier ob. Schlacht⸗ 
opfer; das bei dem Abendmahl gebrauchte Brod, in der Tatholi: 
fhen Kirche auch das Hochwürdige (M. St. I, 4) genannt. 
Da nach Annahme der römijch-katholiichen Kirche dad von dem 
Meßprieſter dargebrachte Brot fi in den Leib Chrifti verwan: 
delt, jo wird bafjelbe als ein unblutiged Opfer angefehben. In 
den älteren Zeiten nahm man gewöhnliches Brot, feit Dem 
12. Jahrhundert wurde es Sitte, fich Heiner runder, aus Wei- 
zenmehl gebadener Scheiben zu bedienen, die mit dem Bilde des 
gefreuzigten Heilandes verfehen find und Oblaten oder Hojtien 
genannt werden. Da fie nach der katholiſchen Transſubſtantia⸗ 
tiondlehre (vgl. M. St. V, 7) ald ein heiliger Gegenftand be- 
trachtet werden, fo dienen fie zugleich als Unterpfand eidlicher 
Gelöbnifje; daher jagt Chatillon (3.0. O. III, 2) zu König Karl 
in Beziehung auf den Herzog von Burgund: 

— — — — — „Und der Erzbiſchof 


Soll eine Hoftie theilen zwifchen bir und ihm 
Zum Pfand und Stegel endlicher Berföhnung.” 


Eben jo jagt Mortimer (M. St. III, 6) zu Maria: 


„Und müßt ich auch bie Königin durchbohren, 
Ich hab’ ed auf die Hoftie geſchworen.“ 


desgl. Domingo (D. ©. II, 10) zu Herzog Alba: 


a u ae — „Ich wollte, was ich jage, 
Auf eine Hoftie beſchwoͤren.“ 


Houri — Hulbigung. "423 


und Marquis Poſa (D. ©. IV, 21) zur Königin: 
— — — — — — „Sagen Sie 
Dem Prinzen, daß er benfen joll des Eides, 
Den wir in jenen ſchwärmeriſchen Tagen 
Auf die getheilte Hoftie geſchworen.“ 
Hottentotten (R.I, 1), ein ſüdafrikaniſcher Volksſtamm von 
höchſt widrigen Gefichtäzügen. 


Houri ſſpr. bu:], arab. Benennung für die ſchönen Weiber 


oder ewig jungen Genoffinnen der Seligen in Muhamed's Para- 


dieje; daher (Gſtſ. 10, 251): „ein Mädchen, reizend wie eine 
Houri.“ 

Howard ſſpr. Hauärd). Katharina Howard, die fünfte 
Gemahlin König Heinrich’8 VIIT. (f. d.), war ohne Grund des 
Ehebruchs beſchuldigt und 1542 hingerichtet worden. Einer 
ihrer Berwandten, Henry Howard (M. St. I, 7), Graf von 
Surrey, geb. 1516, an Heinrich’3 Hofe erzogen, war 1544 alß 
Zeldmarihall an der Spite der englifchen Armee nach Frank: 
reich gegangen. Da der König ihm mißtraute, fo fand ſich bald 
ein Grund, ihn des Hochverraths zu bejchuldigen, und fo wurde 
auch er 1547 enthauptet. Daher jagt Mortimer (M. St. II, 8) 
zu Lord Leiceſter: 

„Der Howard und ber Percy edle Häufer, 

Ob ihre Häupter gleich geitürzt, find noch 

An Helden reich.” 
was fih auf den Admiral Lord Charled Howard bezieht, der 
1588 durch feinen kühnen Angriff auf die Armada unter den 
Schiffen derfelben große Verwirrung anrichtete. — Der Howard, 
welcher R.I, 1 genannt wird, tft, wie aud der Zufammenftellung 
mit Sartouche zu erjehen, irgend ein und unbelannter, damals 
berüchtigter englifher Räuber. 


Huldgöttinnen, |. Charis. 


Huldigung, das feierliche Gelöbniß, dem Oberhaupte des 
Landes treu und gehorfam zu fein; daher jagt Graf Bellievre 


424° Huldigung der Künfte. 


(M. St. II, 2) als .er den Berlobungdring für {eisen Fürften 
empfängt, zur Königin Eliſabeth: 

„In feinem Namen, große Königin, 

Empfang’ ich knieend dies Geſchenk, und brüde 

Den Kuß der Huldigung auf meiner Gürftin Hand.“ 

Yuldigung, Die, der Künfte (Br. 6) Al Sch. im 

Frühjahr 1804 eine Reife nady Berlin gemacht, Tonnte er län» 
gere Zeit hindurch zu feiner ernften Arbeit kommen. Dazu kam 
die nahe beworftehende Entbindung feiner Gattin, welche ſich 
Niemand ald dem Arzt Starke in Jena anvertrauen mochte. 
Died veranlaßte Sch., mit feiner Familie dorthin zu geben. 
Leiber aber zog er fich bei einer Spagierfahrt eine Erkältung 
zu, deren Folgen fich auch, nachdem er mit feiner von einem 
Töchterchen glüdlich entbunbenen Frau nah Weimar zurüd- 
gekehrt war, immer noch nicht recht befeitigen laffen wollten. 
Kaum ging ed ihn etwas bejier, ed war etwa um die Mitte 
des October, jo rüdte auch die Zeit immer näher, in der man 
in Weimar die Ankunft der jungen Erbprinzeſſin Maria Pau: 
Iowna, der Großfürſtin von Rußland, erwartete. Die ganze 
Stadt war In freudiger Aufregung und bereitete fich zum feft- 
lihen Empfange der jugendlichen Fürftin vor. Nur von Seiten 
des Theaterd war noch nichts gejchehen; und Goethe, deſſen 
nächite Pflicht e8 geweſen wäre, bei diefer Gelegenheit mit einer 
poetifchen Production hervorzutreten, fühlte fich nicht geneigt 
dazu. Er erſuchte daher Sch., zum Empfange der Prinzeffin 
im Theater ein Borfpiel zu dichten. Sch., obgleih auch Fein 
Freund von Gelegenheitspoeſieen, gab den dringenden Bitten 
feined Freundes nad, und fo entftand in der kurzen Zeit vom 
4. bis 8. November unſeres Dichterd letztes Driginalwert: „Die 
Huldigung der Künſte“, welches am 12. November als 
Borfpiel zum Mithridates aufgeführt wurde. Der allgemeine 
Beifall, welcher dem Dichter bei diefer Gelegenheit gezolit 
ward, war ein wahrhaft erhebender, indem bei ben orten bes 
Genius: 


Huldigung der Künfte. 425 


„Schnell Inüpfen fi der Liebe zarte Bande, 

Wo du begludt, bift bu im Baterlande.” 
ih die edelfte Rührung aller Anwefenden und auch der jungen 
Fürftin bemädhtigte. 

Sch. ber fidh fo oft, theils in Poeſie, theils in Proſa über 
das eigentliche Weſen der Kunſt ausgeſprochen, hat dies in dem 
vorliegenden Werke in der edelſten und würdigſten Weiſe zum 
legten Mal gethan und und, um mit Hoffmeiſter's treffendem 
Ausdrude zu reden, darin fein Afthetifches Teftament hinter: 
laſſen. Der Hauptgedanfe, welcher auch in feinen culturhiftori- 
ſchen Gedichten häufig wiederfehrt, daß ber Menſch durch die 
Kunft von dem einfachen Naturzuftande zu höherer Gefittung 
emporgeführt werde, ift bier in einem lyriſch-dramatiſchen Ge⸗ 
mälde zu unmittelbarer Anſchauung gebracht. Zugleich aber tft 
dad Ganze in eine zarte und finnige Beziehung zu der Fürſtin 
gefegt, welcher bier von Seiten der Kunft eine Huldigung dar⸗ 
zubringen war. . 

Die Erbprinzeffin Maria Paulowna war bie Tochter des 
im Sabre 1801 ermordeten Kaiſers von Rußland, Paul's I. und 
feiner zweiten Gemahlin Maria Feodorowna, der früheren Prin- 
zeifin Dorothea Augufta Sophia von Würtemberg. Ste ver: 
mählte fi mit dem Erbpringen Karl Friedrich und war die 
Mutter der jebigen Königin Augufta von Preußen. Ihre Brüder, 
auf weldhe dad Gedicht hinweift, hießen Alerander, Gonftantin, 
Nikolaus und Michael; ihre Schweftern Alerandra, Helena, 
Katharina und Anna. — Der „große Ahnherr“, auf den bie 
Architektur hindeutet, ift Peter I. oder der Große (1682—1725), 
welcher, nachdem er auf einer Reiſe durch Deutichland, Holland 
und England europätfche Bildung Tennen gelernt, biefelbe mit 
entſchiedener Eonfequenz in Rußland zu verbreiten fuchte, im 
Sabre 1703 Peteräburg gründete und Rußland eine Seemadt 
ſchuf. Seine Reiterftatue, von Yalconet gegofien, wurbe 1782 
aufgeftellt; fie fteht unfern der Newa auf einem mit großer 
Mühe dorthin geichafften Sranitfelfen (S. 182) und bildet einen 


426 Humor. 


prächtigen Schmud des Petersplatzes in dem fogenannten Admi⸗ 
ralitätöquartier, dem Mittelpunfte der Stadt. — Der „hohe 
Bruder”, deflen die Sculptur (©. 182) erwähnt, ift Alexander I., 
geb. 1777; er beitieg den Thron am 24. März 1801, und ob: 
wohl mit deipotiiher Gewalt audgerüftet, bemühte er fich 
doch, Menichenfreundlichkeit zu üben und vor Allem die weit: 


greifenden Entwürfe Peter's des Großen zur Ausführung zu 


bringen. 

Die der „Huldigung der Künfte” zu Grunde Tiegende Idee 
bat zunächſt einen jombolifchen Charakter. Einfache Landleute 
pflanzen einen edlen Baum in ihren heimathlichen Boden und 
betrachten denjelben ald ein Sinnbild der edlen Fürftin, die, 
aus einem fernen Lande gekommen, in ihrer Mitte heimiſch 
werben jol. Da fie aber allein nicht im Stande find, die hohe 
Gebieterin an fich zu fefleln, jo kommt ihnen der der Fürftin 
bereitö wohlbefannte Chor der Künfte zu Hülfe, um das Bank 
der aufgegebenen Heimath mit dem der neuerwählten in. finniger 
Weiſe zu verfnüpfen. Der Genius des Schönen führt der Ge: 
feterten die einzelnen Künſte entgegen, worauf jede derſelben 
mit zarter Beziehung auf die Yürftin ſich jelbft charakteriftrt, 
alle aber fich bereit erflären, ihr zu dienen und zur Berfchöne- 
rung des neubetretenen Lebenspfades beizutragen. Daß unter 
allen die Poeſie fih am ſchwungvollſten ausſpricht, erfcheint 
wohl natürlich; ihre Worte find gewiffermaßen der Schwanen» 
gejang des von dem irdiſchen Leibe fich Todringenden Dichters, 
dem ed von da ab nur noch wenige Monden vergönnt war, auf 
Erden zu wallen. 

Humör, von dem lat. humor, eig. die Feuchtigkeit. Da bie 
Aerzte der alten Zeit aus der Miſchung des feuchten und trodes 
nen Elements im Körper die Befchaffenheit feined Wohlſeins 
ableiteten, fo erhielt das Wort humor die Bedeutung von Stiur 
mung, d. b. guter oder übler Laune; daher (Ged. Shakeſpeare's 
Schatten — %.1,5) „ber beitere Humor” und (N. a. O. II, 8) 
„der Ipaßhafte Humor”. 


Hunn — Hut, 427 


Hunn, Konrad (VW. T. Perj.:Verz.), ein Landmann, der 
fich um Schwytz verdient gemacht und dafür 1282 vom Lande 
eine Anerfennung erbielt. 


Hufar (Sp. d. Sch.), von dem ungar. husz, zwanzig, weil 
unter König Matthias I., welhem Katjer Rudolf II. dad Köntg- 
reich Ungarn 1608 abgetreten hatte, von zwanzig Häufern ein 
Mann ald Reiter geftellt werden mußte. Hufaren find alfo 
eigentlich ungarijche Reiter, daher auch ihre der ungarifchen 
Tracht Ähnliche Uniform. 


Huſſitenkrieg (Picc. IV, 5). Als der Böhme Sohann Huß, 
der gegen die Mibbräuche in der Hierarchie und dem Mönchs— 
wejen öffentlich aufgetreten war, auf dem Concilium zu Eoftnig 
nicht widerrufen wollte, wurde er 1415 als Keßer öffentlich ver: 
brannt. Sn Yolge diefer Gewaltthat erregten feine auf'8 höchſte 
erbitterten Anhänger bei dem Tode Kaiſer Wenzel's die Huffi- 
tenfriege (1419 — 1434), in benen fie unter Ziska und den 
beiden Procopen gegen die Faiferlichen Heere fo fiegreich focdh- 
ten, daß die Baſeler Kirchenverfammlung ſich genöthigt ſah, 
Unterhandlungen mit ihnen anzufnüpfen und ihnen den Gebraud) 
des Kelchs beim Abendmahle zu geitatten. Weitere Erfolge 
gingen ihnen nur dadurch verloren, daß fie ſich jelbft unter 
einander entzweiten. 


Hut. Der Hut wird in ber Heralbit oder Wappenkunde 
bisweilen ftatt der Krone und bed Helmß, nicht felten auch mit 
denfelben gebraucht. Man unterjcheidet geiftlihe und weltliche 
MWappenhüte. Unter den lebteren find die Yürften: und Kurbüte 
zunächft nicht? Anderes als rothe Mügen mit breiter Hermelin- 
einfaffung und einem Hermelinfchwänzchen auf der Mitte des 
Dedeld. Statt bed lebteren findet man fie aber Häufig auch 
mit dem Reichsapfel und dem Kreuze geſchmückt und nad Art 
der Kronen mit Reifen und Bogen verfeben. Der „Hut von 
Oeſtreich“ (WB. T. L, 3) trug zwölf goldene Perlen auf den 
Reifen und oben die Weltkugel; er hing „über dem Thron“ 


428 Hüter — Hydra. 


auf dem Stein zu Baben, wo Katjer Albrecht wohnte, wenn er 
die Schweiz bejuchte. Die Worte ded Trompeterd (Wfl. 2. 11): 
; „Dem Kaiſer verfauften wir unjer Blut 
Und nit dem hiſpaniſchen rothen Hut.” 
bedeuten f.v.a. der ſpaniſchen Krone, wohl mit Erinnerung 
daran, daß die fpanifche Nationalfarbe (Cocarde) roth ift. Vergl. 
a. Picc. IV, 5. 


Hüter, Der wilde, ſ. Cerberus. > 


Byäne, ein bekanntes Raubthier, defien Erfcheinung einen 
unbeimlichen und widerwärtigen Eindrud macht; daher (Geb. 
D. Taucher): 

„Der entfeblihe Hay, bed Meeres Hyäne” 
Eben fo widerlich und Grauen erwedend tft fein Gelüften nach 
menſchlichen Leichnamen; daher (Ged. Die Glode): 


„Da werben Weiber zu Hyänen 
Und treiben mit Entjeben Scherz.” 


Eben jo nennt Moor (R.I,2) die boshaften Menſchen „Hyänen- 
gezücht“. 

Hydra (Myth.) od. Hyder, ein fabelhaftes Ungeheuer, 
welches fich in dem Sumpfe Lerna aufhielt und daher auch die 
lernäifche Hydra genannt wurde. Es hatte einen Schlangenleib 
und war mit neun oder gar mit hundert Köpfen verfehen. Unter 
den fchwierigen Arbeiten, welche Euryſtheus dem Hercules 
(f. Herafled) auftrug, war die Bekämpfung dieſes Ungeheuers 
eine der fchwierigften. Da ftatt eined abgefchlagenen Kopfes 
immer zwei neue hervorwuchſen, jo brannte Hercules jedesmal 
die Stelle aus, wo ein Kopf heruntergefchlagen war. Außer der 
Stelle (Ged. D. Ideal u. d. Leben): 


‚Rang mit Hydern und umarmt ben Leuen.“ 


braucht Sch. den Ausdrud zunächſt nad bibliſcher Anſchauungs⸗ 
weiſe (wie Häufig in feinen Sugendarbeiten) im Vergleich mit 
der Schlange des Parabdiejed (Geb. Die Kindeömärderin): 


Hymen. 429 


— — — — — „bier umſtrickte mich die Hyber 
Und vollendet war der Mord.” 


ferner in mythologiſcher Bedeutung vergleihend (Geb. Würde 
d. Frauen) von dem feindlichen Streben ded Mannes: 

Was er fchuf, zerftört er wieder, 

Nimmer ruht der Wünſche Streit, 

Nimmer, wie ba8 Haupt der Hyder 

Emig fallt und ſich ernent.“ 


endlich aber bildlich, um einen Feind zu bezeichnen, der immer 
mädtiger wird, je mehr man ihn zu befämpfen jucht, wie (Ged. 
Einem jungen Freunde): 
„Fühlſt du dir Stärke genug, der Kämpfe fchwerften zu kämpfen, 
Denn fih Verſtand und Herz, Sinn und Gedanken entzwein? 


Muth genug, mit des Zweifeld unfterbliher Hydra zu ringen 
Und dem Feind in bir felbjt männlich entgegen zu gehn?” 


und (%. I, 13): „Zyrannet, die mächtige Hyder“. 


Hymen od. Hymenäos (Myth.) wird von Einigen als 
der Sohn des Apollo und der Mufe Kalliope, von Andern als 
der bed Bachud und der Venus genannt. Der berühmteften 
Sage zufolge, welche über ihn berichtet, war er ein armer, aber 
ſchöner Jüngling zu Athen und zugleich ein lieblicher, Tunft- 
geübter Sänger. Da er die Tochter eined reichen und vorneh— 
men Mannes liebte, indefien feine Hoffnung hatte, fie zur Ehe 
zu befommen, fo hüllte er fi in Mädchenkleider, um fich feiner 
Seliebten umgeftört nahen zu können. Als nun diefe mit ihren 
Geſpielinnen am Meeredufer das Yeft der Eleufintihen Myſterien 
beging, wurden plößlic die fämmtlidhen jungen Mädchen von 
Seeräubern überfallen und nach einer Inſel des Archipelagus 
entführt. Boll Freude über die gemachte Beute überließen fich 
Die Barbaren dem Trunfe und wurden bald fo beraufcht, daß 
fie in tiefen Schlaf ſanken. Jetzt beredete Hymen feine Gefähr: 
tinnen, den Räubern die Waffen wegzunehmen und auf ein 
gegebened Zeichen ſie alle zu erfchlagen. Dies gefchah, und nun 
eilte der Jüngling zurüd nad) Athen und verſprach den Dort 


430 Hymen. 


trauernden Eltern, ihnen ihre Töchter wieder zu bringen, wenn 
man ihm diejenige zur Gattin gäbe, welche er liebe. Geine 
Bitte ward ihm gewährt, die Zungfrauen kehrten zurüd, und 
die Bermählung ward unter allgemeiner freudiger Theilnahme 
vollzogen. Hymen's Ehe war fo glüdlih, Daß man bei allen 
Hochzeitsfeſten feiner gedachte und ihn bald allgemein ald Gott 
der Ehe bezeichnete. In diefem Sinne fagt z.B. Dido (Geb. 
4. B. d. Yen. 3): j 
„Und wäre mein Entfchluß, mein Abſcheu zu beflegen 
An Hymens Banden’ — — — — — — — 
desgleichen der Chor (Iph. II, Zw.:9.): 
„Selig, ſelig jet mir geprieſen, 
Dem an Hymens ſchamhafter Bruft 
In gemäßigter Luft 
Sanft die Tage verfliehen.® 
Denjelben Ausdruck braucht Sch. von einer Ehe der Gegenwart 
in der Epiftel (Geb. D. berühmte Yrau) eines Chemannd an 
einen andern: 
„Bellagen ſoll ih dich? Mit Thränen bittrer Reue 
Wird Hymend Band von dir verfluht?” 
Biöweilen ſteht Hymen auch ftatt des Ausdruckes Hochzeitäfeit, 


wie (Iph. II, 3): 
„Was für ein Hymen, fragt man bert und bier, 
Was für ein andres Feſt wird bier bereitet?” 
oder ftatt ded Ausdruded Che ſelbſt, wie (Iph. I, Zw.:9.), wo 
ed von Agamemnon beißt, der feinem Bruder Menelaus die von 
Paris geraubte Helena wieber erringen helfen will: 
„Treu und dienftlich feined Freundes Harme 
Solgt aud) er der Briehen Heldenzug 
Heimzubolen, die in Räuberd Arme 
Des geflohnen Hymens Freuden trug.” 
eben fo wieberum in einer modernen Darftelung (Geb. An 
Demoiſelle Slevoigt): 
Zieh holde Braut, mit unſerm Segen, 
Zieh hin auf Hymens Blumenwegen.“ 


Hymere — Hymne. 431 


Die Dichter dachten ihn ſich als einen fchönen, mit Majoran 
befränzten Süngling, der in der einen Hand einen Schleier unb 
in der andern eine Yadel trug. Dieſe leptere erjcheint daher 
befonderd als fein Attribut. Bet den VBermählungäfeiern ber 
Alten war ed nämlich Sitte, daß die Mutter ded Bräutigams 
demfelben eine Yadel anzündete; daher jagt Jokaſta (Phön.) zu 
ihrem Sohne Polyniced: 

„Ih hatte dir bie Hochzeitfadel ja 

Richt angezündet, wie ed fittlich iſt 

Und recht, und wie's beglüdten Müttern ziemt.* 
und Klytämneftra fragt (Iph. III, 4) ihren Gemahl, der fie vor 
der Hochzeit Iphigenien's nach Argos zurüdjenden will: 

‚Und wer wird dann bie Hochzeitfackel tragen?” 

Sp jagt au Hippolyt (PH. I, 1) in Beziehung auf Aricia: 
‚Und nie fol ihr die Fackel Hymens Iobern.” 
und fpäter (Ph. V, 2) zu bderjelben: 

„Die Fackeln find's nicht, die fen Hymen weihen.” 
Dedgleichen ruft Kaſſandra's Prophetenftimme (Ged. Kaffandra) 
im doppelten Hinblid auf die bevorftehende Bermählungsfeier 
ihrer Schweiter Polyrena und den Untergang Troja's: 

„Eine Fackel ſeh ich glühen, 
Aber nicht in Hymens Hand.” 
und felbft in einer modernen Darftellung läßt Sch. bie Königin 
Elifabetb, indem fie den ihr gemachten Hetrathäantrag ablehnt, 
(M. St. II, 2) zu dem Grafen Bellievre fagen: 
Nicht Zeit iſt's jeßt, ich wiederhol' ed euch, 
Die freud'ge Hoch zeit fackel anzuzünden.” 

Hymere, in der Octavausgabe irrthümlich für Hemere 
(. d.). 

Hymne od. Hymnus iſt ein Hochgeſang oder Yeitlied, 
wie es beſonders zu Ehren ber Götter und Heroen bei Opfern 
und andern feierlichen Gelegenheiten mit Muſikbegleitung ge⸗ 
hıngen wurde; ferner jeded Loblied, in dem ein erhabener 


% 


432 Hypanis — hypochondriſch. 


Gegenſtand (wie Ged. Triumph der Liebe) in begeiſterter Weiſe 
beſungen wird. So find auch viele Pſalmen der Hebräer als 
Hymnen zu bezeichnen; daher (Geb. An die Srende), wo ed von 
Gott heißt: 
. „Den der Sterne Wirbel loben, 

Den des Serapho Hymne preift.” 
Die griechiſchen Hymnen waren anfangs ganz epiſch, wie die des 
Homer, welche die Mythen der Götter erzählten; die ſpäteren, 
beſonders die des Dichterd Pindar, nahmen einen mehr Iyrijchen 
Charakter an, daher (Ged. D. Götter Griechenlands): 

Himmliſch und unfterblih war dad Feudr, 
Das in Pindars ftolgen Hymnen floß." 

In weiterer Bedeutung nennt Sch. felbjt den Geſang ded Chors 
der Erinnyen einen Hymnus, wie (Ged. Die Kraniche des 
Ibykus): 

„Und ſchauerlich gedreht im Kreiſe 

Beginnen fie des Hymmud Weiſe.“ 
Endlich heißt ed bildlich (Sp. u. d. 8.) felbft von den Klängen 
ber Natur: „Mag jeder Laut der Sterbegejang einer Geligfeit 
fein — er ift auch die Hymne ber allgegenwärtigen Liebe.“ 

Hÿpanis (Ged. 2. B. d. Xen. 61), ein Trojaner; vergl. 

Dymas. 


Hyperion (Myth.), einer ber Titanen, ein Sohn des Uranus 
und der Gaͤa (d. t. des Himmeld und ber Erde), ift nach Heſiod 
Bater des Helios (Sonne), der Selene (Mond) und ver Eoß 
(Morgenröthe), daher fpricht Semele (Bed. Sem. 1) von „feinem 
Lichtgewande”. Nach einer Meberlieferung war er mit feiner 
Schweſter Tethys (Geb. Semele 1) vermählt. Bei Homer tft 
„Hyperion“ ein Beiname des Helioß oder bezeichnet Helios ohne 
Weiteres felbit. 


hypochondriſch (Geb. ©. Flüffe: Pegnik), von dem gr. 
hypochondria, pl. der Unterleib; eig. unterleiböfranf, auch milz⸗ 
jüchtig, ſchwermüthig. 


Iberg — Ida. 433 


J. 


Iberg (W. T. 1,2), ein im oberen Sihlthale bed Cantons 
Schwytz gelegenes Dorf, wo ein gewiſſer Konrad ab Iberg 
1312 Landmann war. Derfelbe war übrigens nit Stauf: 
facher's Schwiegervater, jo wie deflen Gattin auch nicht Ger⸗ 
trud, fondern Margaretha Herlobig hieß, ein Name, den Sch. 
bier alfo umgeändert hat. 


Ibykus (Ged. D. Kraniche d. J.), ein griechiicher Dichter 
aus NRhegium in Unteritalien. Er war ein Zeitgenoffe des 
Andhreon und ging um bie Mitte des 6. Jahrh. v. Chr. nad 
Samos, wo damald Polyfrates herrſchte. Man nennt ihn als 
den Erfinder eined muſikaliſchen Inſtruments, der jogen. Sam: 
buca. Bon feinen vielen Iyrifchen Gedichten find nur wenige 
Fragmente auf die Nachwelt gelommen. 


Ida ift zumächft der Name eined heiligen Berged auf der 
Snfel Kreta. Seine beiden Felsgipfel find ftetd mit Eis und 
Schnee bebedt, und reihe Quellen befruchten die umliegenden 
Hügel. Er wurde ald Zupiter'8 Geburtort angefehen, während 
derjelbe Ipäter auf dem Olymp feinen Sit hatte; daher (Geb. 
Semele I) „vom Ida bid zum Hämus“, ſ. v. w. durch ganz 
Sriehenland. — Ein anderer Berg dieſes Namend liegt in ber 
Landſchaft Troad in Kleinafin. Er ift der Schauplag vieler 
griehifher Mythen; daher (Geb. Die Homertden) „ich fang, 
was auf dem Ida gefchah”. Hier warb Parts (Iph. V, 4) als 
Hirt erzogen; hier entſchied er (ebendaf.) den Streit der brei 
Söttinnen (ſ. Erid); und eben hierher flüchtete er auch (Iph. J, 1) 
mit der geraubten Helena. An dem Fuße des Ida lag Troja, 
und von feinem Abbange bis zum Meere breitete ſich die Ebene 
aus, auf welcher die Belagerung vorging, an ber fidh alle 

I. 28 


% 


432 Hypanis — hypochondriſch. 


Gegenſtand (wie Ged. Triumph der Lebe) in begeifterter Weiſe 
bejungen wird. So find auch viele Plalmen der Hebräer als 
Hymnen zu bezeichnen; daher (Geb. An die Freude), wo ed von 
Gott heißt: 
» „Den der Sterne Wirbel Loben, 

Den des Seraphs Hymne preift.” 
Die griehifhen Hymnen waren anfangs ganz epiſch, wie die de 
Homer, welche die Mythen ber Götter erzählten; die fpäteren, 
beſonders die des Dichterd Pindar, nahmen einen mehr Iyrilchen 
Charakter an, daher (Ged. D. Götter Griechenlands): 

Himmliſch und unfterblih war das Feudr, 
Das in Pindars ftolgen Hymnen floß." 

Sn weiterer Bedeutung nennt Sch. felbft den Gejang des Chord 
der Erinnyen einen Hymnud, wie (Ged. Die Kraniche des 
Ibykus): 

And ſchauerlich gedreht im Kreiſe 

Beginnen fie des Hymnus Weiſe.“ 
Endlich heißt es bildlih (Sp. u. d. 2.) felbit von den Klängen 
ber Natur: „Mag jeder Laut der Sterbegefang einer Seligfeit 
fein — er tjt auch die Hyınne der allgegenwärtigen Liebe.“ 

Hppanis (Bed. 2. B. d. Yen. 61), ein Trojaner; vergl 

Dymas. 


Hyperion (Myth.), einer der Titanen, ein Sohn bed Uranus 
und der Gäa (d.t. des Himmeld und der Erde), ift nach Hefiod 
Bater des Helios (Sonne), der Selene (Mond) und der Eos 
(Morgenröthe), daher fpricht Semele (Ged. Sem. 1) von „feinem 
Lichtgewande”. Nach einer Meberlieferung war er mit feiner 
Schweiter Tethys (Geb. Semele 1) vermählt. Bei Homer ift 
„Hyperion“ ein Beiname bed Helios oder bezeichnet Helios ohne 
Weiteres felbit. 


hypochondriſch (Geb. D. Flüffe: Pegnit), von dem gr. 
hypochondria, pl. ber Unterleib; eig. unterleiböfranf, auch milz- 
ſüchtig, ſchwermüthig. 


Iberg — Ida. 433 


J. 


Iberg (W. T. —1,2), ein im oberen Sihlthale des Cantons 
Schwytz gelegenes Dorf, wo ein gewiſſer Konrad ab Iberg 
1312 Landmann war. Derfelbe war übrigens nicht Stauf: 
facher's Schwiegervater, jo wie deſſen Gattin auch nicht Ger⸗ 
trud, fondern Margaretha Herlobig hieß, ein Name, den Sc.. 
bier alſo umgeändert hat. 


Ibykus (Ged. D. Kraniche d. 3.), ein griechifcher Dichter 
aus Rhegium in Unteritalien. Er war ein Zeitgenoffe bes 
Andkreon und ging um bie Mitte deö 6. Jahrh. v. Chr. nach 
Samos, wo damald Polhykrates herrſchte. Man nennt ihn als 
den Erfinder eined muſikaliſchen Inftruments, der fogen. Sam: 
buca. Bon feinen vielen Iyrifhen Gedichten find nur wenige 
Fragmente auf die Nachwelt gelommen. 


Ida ift zunächft der Name eined heiligen Berges auf der 
Snfel Kreta. Seine beiden Felögtpfel find ftetd mit Eis und 
Schnee bebedt, und reihe Quellen befruchten die umliegenden 
Hügel. Er wurde ald Zupiter’3 Geburtdort angeſehen, während 
derjelbe jpäter auf dem Olymp feinen Sit hatte; daher (Ged. 
Semele 1) „vom Ida bid zum Hämus“, ſ. v. w. durch ganz 
Griechenland. — Ein anderer Berg dieſes Namens liegt in ber 
Landſchaft Troad in Kleinafien. Er ift der Schauplag vieler 
griehiicher Mythen; daher (Geb. Die Homeriden) „ich fang, 
was auf dem Ida geihah”. Hier ward Parts (Iph. V, 4) als 
Hirt erzogen; bier entichied er (ebendaſ.) den Streit ber drei 
Göttinnen (ſ. Erid); und eben hierher flüchtete er auch (Iph. I, 1) 
mit der geraubten Helena. An dem Fuße bed Ida lag Troja, 
und von feinem Abhange bis zum Deere breitete fih die Ebene 
aus, auf welcher die Belagerung vorging, an ber fi alle 

I. 28 


434 Idaͤlia — Ideal. 


Götter betheiligten. Daher ſagt Venus (Ged. 2. B. d. Yen. 105) 
zu ihrem Sohne Aeneas: 

„Du fiehſt — o ſliehe, fliehe, theurer Sohn! — 

Des Himmels König ſelbſt auf Ida's düſtrem Thron 

Den Feinden Kräfte leihn, die Himmliſchen erhigen.” 


Idaͤlia, ſ. Aphrodite. 

Ideal (Menihenf. 8 — K. d. H.), neulat. ein Gedanken⸗ 
weſen, Gedankenbild; beſ. ein Gegenſtand, den wir uns in ſeiner 
Vollkommenheit vorſtellen, und zwar in Ideen denken und durch 
die Einbildungskraft veranſchaulichen, alſo ein Ur: oder Mufter: 
bild. Da Sch. bejonderd dem Idealen zugewendet war, fo 
weiſet er auch oft darauf, als auf etwas Erftrebendwerthed Hin. 
So heißt ed (Geb. Ausgang aus dem Leben): 

„Aus dem Leben heraus find der Wege zwei bir geöffnet, 
Zum Speale führt einer, ber andre zum Tod.“ 
Das deal, dad dem Manne vor Augen ftehen fol, ift ihm 
eine Frucht inneren Kämpfend und Ringend, wie (Ged. Würde 


der Frauen): 
„Aus ber Unſchuld Schooß gerifien, 
Klimmt zum Ideal der Mann 
Dur ein ewig ftreitend Wiflen, 
Mo fein Herz nicht ruhen kann.“ 


Das Ideal des Weibes Dagegen iſt ihm ein ummittelbar Gege- 
bened; deöhalb jagt Marquis Pola (D. €. II, 15) von der Tugend 
der Prinzeifin Ebolt: 
„Diefe Tugend, 

Ich fürdte fehr, ich Tenne fie — wie wenig 

Reicht fie empor zu jenem Ideale, 

Das aus der Seele mütterlihem Boden, 

Sn ftolzer, ſchöner Grazie empfangen, 

’ Freiwillig fproßt.” 

Wie Sch.'s ganze Lebensrichtung eine ideale war, fo huldigte er 
thr auch beſonders ald dramatifcher Dichter; daher heißt e8 (Geb. 
An Goethe): 

„Denn auf dem bretternen Berüft der Scene 

Wird eine Idealwelt aufgethan.” 


Ideal — Soeale. 435 


Demnadı ift idealifch (R. Borr.) od. ideal (Br.v. M. Einl 
5, 377), auch ideell (ebendaf.) im Gegenfage zu reell Alles, 
was fich über die gemeine Wirklichkeit erhebt; auf Afthetifchem 
Gebiete aber dad, was einer Idee gemäß gebildet tft, wie (D. C. 
U, D: „Die Prinzeffin in einem idealiſchen Gefchmad, fchön, 
aber einfach gefleidet." Bergl. auch die vier folgenden Artikel. 


Ideal, Dad eigene (Ged.), ein Epigramm aus dem Sabre 
1796. Unfere Gedanken können wir Anderen mittheilen und fie 
fo zu deren Eigenthum machen; die Borftellung von dem höch⸗ 
ſten Weſen dagegen tft Fein Berftandedproduct, fie gehört dem 
Herzen an. Wer da glaubt, Gott begreifen und ihn Anderen 
auf feine Weiſe begreiflih machen zu können, dem fehlt es eben 
an der Religion des Herzen. 

Ideal, Das weiblide (Ged.), ein Epigramm aus bem 
Sabre 1796. Der Zufag „An Amanda” deutet auf Wieland's 
Dberon, wo die Geliebte (Amanda) bereit tft, eher den Feuer: 
tod zu erleiden, ald fi durch Untreue gegen Hyon einen Thron 
zu erwerben. Das Höchfte in dem Weibe ift hier, wie in meh: 
teren verwandten Epigrammen (vergl. die vier vorhergehenden) 
die innere harmoniſche Stimmung, bie, infofern fie ganz in Liebe 
aufgeht, auch zu jedem Opfer für dieſe Liebe bereit tft. 


Ideale, Die (Ged.), ein Gedicht aus dem Jahre 1795. 
Es iſt nad) Sch.’3 eigenem Ausdruck ald die Befriedigung eines 
inneren Bebürfnifies anzufehen, ald die Erleichterung von einer 
Saft, die ihn drüdte. Der feurige Drang ſeines erften dichteri- 
ſchen Aufihwunges, dad warme Gefühl, die lebhafte Phantafle, 
mit welder er die Erfcheinungen der Natur und des Leben 
aufgefaßt, waren ihm entſchwunden; bie rauhe Wirklichkeit hatte 
Vieles anders geftaltet, ald er es fich geträumt. So blieben 
ihm nur noch die Hoffnung, die Freundſchaft und die Beſchäf— 
tigung, mit denen dad Gedicht allerdings etwas matt ſchließt, 
aber gerade dadurch, nach Sch.'s eigener Kritik, ein treued Bild 
Des menſchlichen Lebens darbietet. — Str. 5 erinnert an des 

28 * 


436 Speal und dad Leben. 


Dichters Sturm: und Drangperiobe, in welcher feine poetifchen 
Schöpfungen ſich noch in ungeregelten Bahnen bewegten. Die 
in der Anmerkung aufgeführte, an ſich fehr fchöne Strophe: 
„Wie aus ded Berges ftillen Quellen 2.” tft jpäter mit Recht 
geftrichen worden, da der lebendige Aufihwung, in welchem fie 
fi) bewegt, zu der wehmüthigen Stimmung, die dad Ganze 
burchweht, nicht wohl paflen will. — Der Schlußgedante ift 
‚ der: Die Zeit ſchenkt und Minuten, Tage, Jahre, wir ftehen 

alfo in ihrer Schuld, die wir nur durch Arbeit und Thätigkeit 
abtragen können. Was wir der Vergangenheit verbanfen, Das 
haben wir an die Nachwelt zu entrichten. 

Seal, Dad, und das Leben (Ged.). Died didaftijch: 
lyriſche Gedicht erjchien im Sabre 1795, nachdem Sch. fich bei- 
nahe ſechs Sahre lang von der Poefte zurüdgezogen, zuerft unter 
dem Titel: „Dad Reich der Formen“; Tpäter unter dem: „Das 
Reich der Schatten”. Da diefer letztere Titel aber leicht Falfch 
gedeutet werden konnte, fo verwandelte er ihn ſchließlich in den 
gegenwärtigen. Sch. hatte damals fo eben feine Briefe über die 
Aftbetifche Erziehung des Menſchen (Bd. 12, ©. 1) beendigt, und 
im Rüdblid auf dieſe Borjtudien legte er dem vorliegenden 
Gedichte einen ganz befonderen Werth bet, da er die Beitimmt- 
beit der Begriffe ald unendlich vortheilhaft für das Geſchäft der 
Einbildungskraft anfah. Bezeichnend bleibt e8 ferner, daß er 
aus feinem „Eritiichen Kleeblatte”, nämlich Goethe, W. v. Hum- 
boldt und Körner, zunächſt Humboldt, den Philoſophen, aus 
wählte, um von diefem ein Urtheil zu hören. Humboldt ſprach 
Ah außerordentlich günftig darüber aus und lobte beſonders bie 
Tiefe der Ideen, die zugleich im Stande feien, neue Fdeen an- 
zuregen. Und allerdings tft dad Gedicht nur für ſolche Leſer 
berechnet, welche eine ernſte Anftrengung beim Denken nicht 
ſcheuen, wenngleich der an fich abftracte Gegenftand mit vieler 
Lebendigkeit und großer Anjchaulichkeit behandelt erfcheint. Das 
Gedicht ift hervorgegangen aus dem Beftreben, eins der großen 
Räthſel des Kebend zu löfen, nämlich den Weg zu zeigen, auf 


Ideal und das leben. 487 


welchem der ftrebjame, in ernftem Ringen begriffene Menſch zu 
einem gewifjen Grade von Innerem Frieden gelangen kann. Zu 
diefem Zweck ift dad Gebiet des Idealen dem wirkliden Leben 
gegenübergeftellt, und der Gegenfaß zwiichen beiden an einer 
Reihe von Ericheinungsformen durchgeführt. Der Gedanten- 
gang ift folgender: Dad Leben der Götter (Str. 1) erfcheint ala 
ein leichte und freied, da fie feinen Conflict zwifchen der finn- 
lihen Neigung und den ftrengen Pflichten eines Sittengejepes . 
tennen. „Frei im Aether herricht der Gott“ (vergl Das eleu⸗ 
fiſche Feſt, Str. 26); die Götter find alfo die Ideale, die der 
Menſch ald Vorbild feined Strebens zu betrachten bat, um den 
Durch die Doppelnatur ſeines Weſens bedingten Streit in eine 
harmoniſche Stimmung umzugeftalten. Das Verlangen nadh die 
ſem inneren Frieden (1. Anın. Eine fpäter geftrichene Strophe) 
liegt in jeder Menjchenbruft; aber nur wer feine finnlichen Nei⸗ 
gungen zu befämpfen verfteht, vermag fi von ben Yefleln zu 
befreien, denen jedes zeitliche Dafein unterworfen if. Der 
Menſch ſoll fih alfo (Str. 2) von den Banden der Natur un- 
abhängig machen, indem er feine doch allmälig ftumpf werdende 
finnlide Natur unterbrüdt und fi mit dem äfthetiichen, dafür 
aber bleibenden Senufje begnügt. Denn felbft der Orcus würde 
der Perfephone (ſ. d.) geftattet haben, zum Olymp zurüdzulehren, 
hätte fie ihre Hand nicht nach einer Frucht deffelben audgeftredt. 
Nur unfer Körper (Str. 3) ift der Gewalt der Parzen (|. d.) 
unterworfen; „die Geſtalt“ dagegen, d. h. die durch die Phan⸗ 
tafte gebildeten idealen Formen, tragen und mit leichtem Flügel: 
fchlag zu höheren Regionen empor. Wir brauchen keinesweges 
zu fürchten (2. Anm. Str. 1), daß, wenn wir dem Umgange mit 
„den fürchterlichen Schaaren“, d.h. den lodenden Erſcheinungen 
der Sinnenwelt entfagen, und dadurch die Heimath, d. h. der 
eigentlihe Kern unfered menſchlichen Weſens, verloren gehen 
werde. Der Sinnengenuß, den das Reben darbietet, führt eben 
nur zum Grabe, während die denfende Betradhtung, welcher die 
Degierde zum Opfer gebradht wird, und in eine „Yreiftatt” 


438 Sdeal und das Reben. 


(2. Anm. Str. 2), zu einem Frieden führt, wo felbft die Erin- 
nerung ihr Schmerzliched verliert. Die Höhe der Betrachtung 
ift ein Gebiet, in welches die Leidenfchaft nicht hinübergreift, 
denn felbft die eigene Schuld wird hier zu einem Gegenftande 
ruhiger Reflerion. Sft auf dieſe Weije (Str. 4) dad Göttliche 
in dem Menſchen heraudgebildet, dann ift zugleich eine über 
allen Kampf erhabene Ruhe eingetreten, wie fie nur auf dem 
Gebiete des Idealen erjcheinen Tann. Diefe Ruhe, „die Un: 
fterblihe”, ftammt aus himmlichen Gefilden, wo fte vor ihrem 
Hernieberfteigen zu dem irdtjchen Leibe, „dem traur’gen 
Sartophage”, in reinftem Glanz erihien, während in dem 
wirklichen Leben ein ſtetes Schwanken zwijhen der Vernunft 
und der finnlihen Neigung ftattfinde. Der Gieg indeſſen 
(Str. 5), deflen Kranz und in dem Reich der Ideale winkt, 
fol und feineöweged von dem irdiſchen Kampfe entbinden; nur 
ermutbigen joll er und, wenn wir in dem nun einmal unver: 
meidlichen Kampfe etwa erlahmen möchten. Die zum Sdealen, 
„zu der Schönheit Hügel” ſich emporjchwingende Seele ſoll ſich 
ftärfen an einem Bilde der Phantafie, dad an keinen Stoff ge 
bunden ift. 

Nach diefem Eingange folgen acht antithetiiche Strophen, 
die abwechjelnd mit „wenn“ und „aber“ beginnen, und von 
benen bie erfte von je zweien und auf eine beſtimmte Erſchei⸗ 
nung des wirklichen Lebens hinweiſt, während die zweite uns 
in dad entiprechende Gebiet des Idealen verjept. 

Sn dem Leben (Str. 6), wir mögen nach Herrſchaft oder 
nah Sicherung des Errungenen ſtreben, herrſcht ein fteter 
Kampf, in dem Kraft gegen Kraft in die Schranken tritt, wie 
auf der „beftäubten” Rennbahn im Alterthum; in dem Reiche 
des Ideales dagegen (Str. 7) herrſcht Ruhe und Friede; hier 
rinnt ber vormals von Klippen eingeſchloſſene, wild dahin brau« 
jende Strom des Lebens fanft und eben zwifchen den Schatten 
oder ben reinen Formen (vergl. Str. 13) dahin, welde von 
Aurora und Heſperus beftrahlt erfcheinen, Den Symbolen muthiger 


Ideal und das Leben. 489 


Sugendlraft und befonnener Mannedllarheit. — Sn ähnlicher 
Weile (Str. 8) geht ed dem Künftler wie dem Yorfcher; jener 
kaͤmpft mit dem irdiichen Stoffe, diejer mit den Formen der 
Natur, welche ald Trägerinnen der Ideen erfcheinen. Jener 
fucht dem, was ald Sdeal in feinem Innern lebt, Geftalt zu 
geben; diejer dad, was er ald ideale Ausbeute gewonnen hat, 
in Worte zu kleiden. Beiden ift ed um nichts Anderes ald um 
die Wahrheit zu thun, die aber nur (Str. 9) in dem Reiche bed 
Idealen ohne den belaftenden Stoff, d. 5 in voller Reinheit 
erſcheint. Und follte auch bisweilen ein Zweifel ſich erheben, 
das Ideal in der Seele des Künftlerd oder Forſchers fich ver: 
Dunkeln, und Mangel an Bertrauen zu ihren Leiftungen auf 
Augenblide fie niederdrüden: der Blid in jene höheren Sphären 
wird fie wieder begeiftern und ihre Seele mit Siegeögewißheit 
erfüllen. — Eben fo bietet das Leben (Str. 10) auf dem fitt- 
lichen Gebiete überall den fcharfen Gegenſatz zwiihen der Er: 
babenheit des Geſetzes und der Beſchränktheit der menfchlichen 
Kraft dar. Der Bergleich unferer Leiftungen mit der Würbe 
and Heiligfeit unferer Verpflichtungen ruft ftet3 ein drüdendes 
Gefühl hervor; im Neiche ded Ideales dagegen (Str. 11) ift 
jener Gegenſatz erlofhen. Die äfthetiiche Ausbildung, zumal 
wenn fie unfern Willen mit erfaßt, muß uns in eine harmo—⸗ 
niſche Stimmung verfeben, in welcher alled Göttliche und näher 
tritt und fein Unerreidhbares verliert. — Auch auf dem Gebiete 
bes Leidend (Str. 12), wie ed und im feiner fürdhterlichiten 
Größe an dem Beifpiel ded Laokoon (vergl. 2. B. d. Xen. 
36 —38) erfcheint, fühlen wir unfere ganze Ohnmacht, die ſich 
böchftend zum Mitgefühl erheben kann, unferm Geifte aber, dem 
„Unfterbliden in und” keine ruhige Reflexion geftattet. 
Dieje ericheint nur möglich (Str. 13) bei der Betrachtung bes 
Kunftwerles, der befannten Gruppe bed Laokoon. Hier fchweigt 
das beflemmende Gefühl des Mitleidens, und die Reflerion ver- 
weilt allein bei „ber tapferen Gegenwehr“, dem idealen Inhalte 
des Kunftwerfed. Wie der Frieden verfündende Regenbogen auf 


440 deal und das Leben. 


dem dunklen Hintergrunde einer davonziehenden Wetterwolle, 
fo weilt die Afthetifch-ruhige Betrachtung auf den Bildern des 
Schreckens. — 

Sn den beiden Schlußftrophen wiederholt ſich der durch bie 
früheren Bilder gewonnene Eindrud in mächtiger Steigerung, 
indem ber Kampf des Menſchen (Str. 14) mit den Arbeiten des 
Alcid, ded Herakles (ſ. d.) verglichen wird, der, als „Knecht des 
Feigen”, ded Euryſtheus, feine fchweren Arbeiten verrichten 
mußte, bis er endlich (Str. 15), um den Qualen zu entgehen, 
welche ihm dad von feiner Gattin Dejanira gejendete Gewand 
bereitete, ſich ſelbſt auf einem Scheiterhaufen verbrannte. Wie 
einft Herkules nach überftandenen jchweren Kämpfen zum Olymp 
emporftieg, wo er mit Hebe, der Göttin der Tugend, vermählt 
ward, jo erlöft den Menfchen die Erhebung zu dem Idealen 
von ben irdiſchen Feſſeln, bis er fchlieglich felbit in dad Reich 
des Ideals verjeßt wird, dad ja vor Allem ein Reich ber 
Jugend tft. 

Daß diejes philofophiiche Gedicht, gleich „dem Kampf, der 
Refignation und ben Göttern Griechenlands“ (vergl. d.) vor 
dem Yorum der chriftlihen Anfchauungsweife nicht beftehen 
kann, ift leicht begreiflih; auch dürfte ſchwerlich Jemand be- 
haupten, daß das oben angedeutete große NRäthfel hier gelöft 
ſei. Wer aber von dem lyriſchen Dichter nicht den erhebenden 
Zuſpruch eines geiftlichen Seeljorgerd, fondern nur ein ehrliches 
Belenntniß feined Innern nah Maßgabe feine errungenen 
Standpunkte erwartet, der wird dem bier Dargebotenen ſeine 
Anerkennung nicht verfagen können. Der Dichter ift bier eben 
noch in der Entwidelung begriffen, und nur „ben Fertigen ift 
nicht8 recht zu machen; ein Werdender wird immer dankbar 
jein“. Webrigend bat die Poeſie nur die Aufgabe, und die Er: 
ſcheinungen des Lebens in verflärter Geſtalt entyegenzubringen. 
Die Anforderungen, welche wir an die Kanzel ſtellen, hat fie 
nicht zu erfüllen. 


® 


Idol — Illaͤs. 441 


Idol, gr. ſo viel wie Bild (Ged. An Goethe), ein Trugbild, 
Gsotzenbild. 


Idris (Metr. Neberf. Vorer.), ein romantiſches Epos tn 
dem Versmaß der achtzeiligen Stanze von Wieland, worin der⸗ 
ſelbe ſeine Anſichten von der Liebe niedergelegt hat. 


idylliſch bezeichnet einen Zuſtand ober ein Leben, wie es 
in einer Idylle gefchildert wird; (Idylle ift im Gr. eigentlich ein 
Bildchen, dann ein Meines, zierliched Gedicht, meift das einfache 
Hirtenleben behandelnd), daher dann auch (K. d. H.) einfach, 
unſchuldig. 

ZHärus (Myth.), der Sohn bed Dädalus, wurde mit ſei⸗ 
nem Bater von Minod (ſ. d.) gefangen gejegt, als derfelbe erfuhr, 
Dädalus habe der Ariadne den Rath gegeben, den Thefeus mit 
dem befannten Fadenknäuel (j. Labyrinth) zu verſehen. Dädalus, 
ber ältefte Meijter in der Bildhauerkunft, verfertigte nun für 
fi) und feinen Sohn Flügel aud Federn, die er mit Wachs in 
hölzerne Gerippe einjepte. Vermittelſt dieſer Flügel entwichen 
beide durch die Luft, um fich fo jeder Verfolgung zu entziehen. 
Ikarus indefien flog in jugendlichem Uebermuthe zu hoch, wobei 
er der Sonne zu nahe kam. Dieſe ſchmolz das Wachs, und er 
ftürzte in's Meer, welches nach ihm (Ph. I, 1) das ikariſche 
Meer genannt wurde. Dafjelbe liegt nordöftlih von Kreta 
zwifchen den Sporaden unb der Küfte von Kleinaften. 


Ilias od. Iliade, Homer's Heldengedicht von dem trofja- 
niſchen Kriege. — Das „JIlias“ betitelte Epigramm (Ged.) 
aus dem Jahre 1795 untericheidet fi) von den übrigen ®e- 
bichten dieſer Gattung zunächft durch feine metriſche Form, tn: 
dem bier ftatt des Diftichond (j. d.) der Herameter (f. d.) in 
Berbindung mit einem abgefürzten vierfüßigen Daktylus ge: 
wählt if. Was den Anhalt betrifft, fo bezieht fich derſelbe 
. nach Biehoff auf eine Schrift des Philofophen Fr. A. Wolf, in 
welcher derjelbe die jchon im Alterthum aufgeftellte Behauptung 


443 Illion — ineognito. 


wiſſenſchaftlich zu begründen ſuchte, daß Homer nicht als der 
alleinige Verfaſſer der beiden Heldengedichte (der Ilias und ber 
Odyſſee) anzufehen fei, fondern daß dieſe Gedichte aus ber Ver: 
einigung mehrerer Gejänge entitanden feien, wie fle von um⸗ 
herwandernden griechifchen Volksſängern (Rhapjoden) vorgetragen 
wurden. Wie aljo mehrere Städte: Smyrna, Rhodos, Kölophon, 
Sälamis, Chios, Argos und Athen ſich darum ftritten, den Homer 
geboren zu baben, fo follten auch mehrere Berfafler an den 
beiden genannten Werfen Theil haben. Wenngleih Sch. der 
Iharffinnigen Außeinanderfegung Wolf's feine Anerkennung nicht 
verjagen Tonnte, fo that ed ihm doch innerlich weh, „den Kranz 
des Homer” auf diefe Weiſe zerriffen zu ſehen. Vergl. Geb. 
D. Homeriden. — Ald Repräfentantin der Dichtkunſt überhaupt 
erſcheint die Ilias (Ged. D. Künftler) in den Worten: 

„Lang’, eh’ bie Weiſen ihren Ausſpruch wagen, 

Löft eine Jlias des Schickſals NRäthfelfragen 

Der jugendlichen Vorwelt auf.” 

Ilion od. Ilium, |. Troja. 


Imifee (W. T. IV, 3), ſchweizeriſch für Immenſee, ein 
kleiner Ort am Zugerſee, nördlich von Küßnacht, eine Viertel⸗ 
ſtunde von der Hohlen Gaſſe. 


Snadiden, von Inächus, einem Sohne des Oceanus und 
der Tethys, welcher ver Sage nach als der Stammvater des 
älteften Koͤnigsgeſchlechtes von Argos angeſehen wird. Daher 
nennt der Chor (Iph. IV, Zw.⸗H.) den Achilles „ven Tapferften 
der Inachiden“, d. h. der Griechen überhaupt. Uebrigens war 
Inachus, mit Beziehung auf feine Herkunft, vielleicht nur eine 
dichterifche Perjonification des gleichnamigen Fluſſes bei Argos, 
von dem Solafta (Phön.) ſpricht, indem fie den Polynices fragt: 
„Mit welcher Aufihrift (willft du) die gemachte Beute am 
Inachus aufitellen? “ 

tneognito, eine Bildung aus dem Lateintfchen, fo viel wie 
(F. II, 14) unerfannt, heimlich; von Yürften, wie (Gftf. 10, 128) 





Sndien — Infant. 443 


„unter dem ftrengften Incognito“ ſ. v. w. unter Verheim⸗ 
Tihung des Namen? und Standes, und dann gew. unter frem: 
dem Namen. 


Indien (D. C. V, 9). König Philipp, der von fi fagen 
konnte: „Die Sonne geht in meinem Staat nit unter“ (I, 6), 
war auch Beherrſcher von Weft- Indien; daher fagt er in Be: 
ziehung auf den getödteten Marquis Poſa: „Ich gäb’ ein Indien 
Dafür.” — „Zwei Indien” (K. u. L. II, 1), Oft: und Weft: 
Sndien. 

Individualität, Schöne (Ged.), ein Epigramm aus dem 
Jahre 1796. Es behandelt dad Verhältniß des äfthetifch ge: 
bildeten Individuums zu dem Ganzen, dem Staate. Diefer hat 
nicht die Aufgabe, die Sndividualität aufzuheben, er joll fie nur 
zum Wohle ded Ganzen benupen. In der Bernunft ded Men: 
ſchen offenbart fich feine Individualität, in feinem Herzen die 
angeborene Anhänglichkeitt an das Ganze. Wiederum iſt aber 
auch die Vernunft ded Einzelnen nicht? Anderes, ald was fich 
in dem Ganzen als vernünftig barftellt, wie denn auch bie 
Stimme des Herzend al3 eine rein individuelle Eigenthümlichkeit 
zu betrachten ift. Nur wo diefe beiden Bedürfnifie: Bewahrung 
der Individualität und Uebereinftimmung mit dem Ganzen ohne 
Conflict neben einander beftehen, da Tann die Sndivibualität 
als eine ſchöne, der Menſch als ein Afthetilch gebildeter betrachtet 
werden, der denn natürlih auch in den moralifhen Bau ber 
menſchlichen Geſellſchaft, d.h. in den Staat hineinpaflen wird. — 
Bergl. Sch.'s Abhandlung: „Weber die Afthetiiche Erziehung bed 
Menſchen.“ Bd. 12, ©. 1. 


Infant (D. ©. I, 6), ſpan. infänte, von dem lat. infans, 
Das Kind; ein Königsfohn, Fönigficher Prinz; eben daher In: 
fantin (O. €. I, 3), eine Königstochter, königliche Prinzeffin. — 
Meber den Infanten (Wit. &. 11), „den aus Mailand”, „dem 
Pfaffen“ |. Sch.'s Dr. 8. in der Schilderung der Schlacht bei 
Nördlingen 1634. 


444 Sngolftadt — Inſect. 


Ingolſtadt (Bft. T. V,2), baierſche Zeitung an der Donau. 


Inneres und Aeußeres (Ged.), ein Epigramm aus bem 
Sabre 1796. Es enthält eine Mahnung an die Scheinheiligen, 
die fi) bei dem Mangel fittliher Kraft gern auf ihr perſönliches 
Berhältnig zu dem göttlichen Weſen berufen und dieſes al einen 
Dedmantel für die moralifhe Unvollkommenheit ihrer Handlungen 
benußen. 

Snauifition (R. II, 3), von dem lat. inquirere, nachforſchen 
od. peinlich verhören;, dad ehemald in mehreren Ländern Süb- 
Europas beftehente Glaubens- oder Kepergeriht. Die Beran- 
laffung zur Gründung diefer Gerichte gaben die blutigen Ber- 
folgungen der Albigenfer im 12. und 13. Sabrhundert, indem 
Papft Innocenz III., welcher 1198 den römiſchen Stuhl beftieg, 
Die abtrünnigen Glieder der Kirche vollftändig auszurotten be- 
ſchloß. Angeberei und Verläumdung reichten aus, um Remanden 
vor dieſe entjeglichen Gerichte zu ftellen, deren Endurtheil ge- 
wöhnlich die Strafe feierlicher Verbrennung war (vergl. Auto⸗da⸗ 
FE). In Spanien wurde die Inquifition zu Ende des 15. Sahr: 
hunderts eingeführt und ftand unter Philipp II. in voller Blüthe; 
daher fagt der König (D. C. III, 10) zu dem Marquis Boja: 
„Sieht meine Snquifition!” Der Chef diefed Gerichtes hieß 
(D. &. V, 10) Großinquifitor; e8 war der Erzbiſchof Valdes, 
und nad defien Abtreten der Kardinal Eſspinoſa (daher D. €. 
V, 9: „Snquifitor Gardinal”), weldher bald des Königs höchfte 
Bunft erreichte. — Bildlih braucht Sch. den Ausdruck, Inqui⸗ 
fitiongeriht* (M. St. IV, 3) von einem peinlidhen Gerichtsver⸗ 
fahren überhaupt. 


Anfect, wörtl. Kerbthier, die wiljenjchaftlide Benennung 
für eine große Abtheilung der Gliederthiere. Sc. braudt den 
Ausdruck zunächft bildlich von niedrig denkenden Menſchen, bie 
er (K. u. 8. II, 5) „Inſectenſeelen“ nennt; ferner von foldden 
Weſen, denen die Yreuden Anderer Leiden bereiten, wie (Sp. u. 
d. L.): „Hier an der Stelle, wo der Menſch jauchzte, krümmten 


Inſel — Infignien. 445 


ſich tauſend fterbende Inſecten“. Außerdem werden ihm dieſe 
Thiere mit ihrer bekannten Neigung, die lieblichften Pflanzen: 
gebilde zu benagen und zu zerftören, zum Symbol geiftiger Er: 
fcheinungen, wie (D. C. IV, 21), wo Marquid Poſa der Königin 
in Beziehung auf den Prinzen ben Rath ertheilt: 

— — — — ‚Sagen Sie 

Ihm, daß er für die Träume feiner Jugend 

Soll Achtung tragen, werm er Mann jein wirb, 

Richt öffnen fol dem tödtenden Infecte 

Gerũhmter befferer Vernunft dad Herz 

Der zarten Götterblume — daß er nicht 

Sol trre werben, wenn bed Staubed Weisheit 

Begeifterung, die Himmelstochter, Täjtert.” 


wo „bed Staubed Weisheit“ den Falten, berechnenden Berftand 
Gezeichnet, der oft ein entfchiedener Feind ber friſchen Begei- 
fterung ift. 

Inſel, die glüdlihe, die felge, ſ. Elyfium. Bertha’s 
Worte (DB. T. II, 2): 

„Bo wär’ die fel'ge Inſel aufzufinden, 

Wenn fie nicht bier ift, in ber Unfchuld Land?" 
weijen darauf bin, daß Dichter und Philofophen ſchon im Alter: 
thume den erträumten Zuftand des fog. goldenen Zeitalter gern 
auf eine Inſel verlegten, wie 3. B. die von Platon gejchilberte 
Atlantis war. Ein griechtiched Gedicht auf die Sünglinge, welche 
den Zyrannen Athen’8 Hipparchus 514 ermordeten, fpricht von 
ben „Snjeln der Seligen“. Bor Allen gehört dahin die Phäaken⸗ 
infel Scheria (Od. 5, 34. 280. Im Mittelalter ift daraus das 
Sclaraffenland geworden. 

Infeln (8. d. H.), die zu den franzöſiſchen Colonien ge- 
hörigen Snieln, wohin verbächtige Perjonen oder Verbrecher 
häufig gefchidt wurden, um fie für die Heimath unſchädlich zu 
machen. 

Inſignien, lat. insignia, d. h. Zeichen, Abzeichen; beſ. 
(3.0. O. IV, 2) die Zeichen der königlichen Macht und Würde, 
wie: Wappen, Scepter, Krone ꝛc. 


446 Snftint — Inverneß. 


Inftinet, zunächit der natürliche Anreiz, -bewußtloje Natur⸗ 

trieb, wie (Ged. D. Künftler): 
„Der Pflihten und Inſtincte Zwang.” 
außerdem tft es Sch. aud das Gittengefeß, dad dem noch im 
unbefangenen Raturzuftonde befindlichen Menſchen in ber eigenen 
Bruft lebendig tft, wie (R. IV, 2): „bin ih darum gegen alle 
Snftincte der Menſchen rebelliih worden“ und (Geb. D. 
Genius): 
„Haſt du, Gläcklicher, nie den ſchützenden Engel verloren, 
Nie des frommen Inftinctd Iiebende Warnung verwirkt? 

Inftrument, zunähft ein Mittel zur Snftandfeßung einer 
Sade; bei. 1) (K. u. L. V, 4) ein Tonwerkzeug, um Klänge 
hervorzubringen. In dem letteren Sinne bezeichnet der Prinz 
(Sftf. 10, 189) bildlich fich felbft al ein Snftrument, das der 
Sicilianer vermittelft feined „gröberen Gaukelſpiels anzufptelen” 
ſuchte; desgl. nennt Sch. (Metr. Ueberf. Borer.) die achtzeilige 
Stanze, die er für die Meberfegung der Aeneide gewählt, ein 
Snftrument. 2) Eine Urfunde oder Beweisfchrift, wie (J. v. O. 
III, 2): „Die andern Punkte nennt Died Snftrument.” 


Interregnum, Iat. dad Zwiſchenreich, die Erledigung des 
Throne, Reichsverweſung; befonderd bezeichnet man in der 
Geſchichte jo „Die Fatferlofe, die jchredliche Zeit”, weldhe vom 
Sturz der Hohenftaufen 1254 bis zur Wahl Rudolf’8 von Habs» 
burg 1273 verfloß. (ed. D. Graf v. Haböburg; Anm.) 

Intrigue, von dem lat. intricare, verwideln, verwirren; 
gew. Berftridung, Berwidelung, wie (%. Borr.): „erfinderiſche 
Intrigue; bei. ein liftiger Streih, Kniff, wie (Par. I, 2): „eine 
Sntrigue jpielen”, od. dad Ränkeſchmieden (Par. I, 1), biöw. a. 
Liebeshandel, geheimed Liebeöverfländnig, wie (Gſtſ. 10, 129): 
„Ste haben doch Feine Sntrigue hier gehabt? Die Ehemänner 
in Venedig find gefährlich.” Desgl. ebenda. ©. 215. 

Inverneß (Meb. I, 8), eine anjehnliche Stadt der Grafjchaft 
gl. N. im nördl. Schottland am Murray: Bufen; nahe dabei liegen 


Sonten — Iphigenie in Aulis. 447 


die Ruinen des Schloffes, in welhem König Duncan um bie 
Mitte ded 11. Sahrhundertd ermordet wurbe. 


Jonien, gewöhnlich der mittlere Theil der Küfte von Klein⸗ 
aften, wo die ionifchen Colonien lagen; biöw. a. ber frühere 
Name für die Küftenlandihaft Achaja im Peloponnes; bei Sch. 
bad kunſtſinnige Griechenland überhaupt. So heißt e8 (Geb. 
D. Künftler) in Beziehung auf die nach der Eroberung Gon- 
ftantinopels fliehenden Griechen, die manderlei Kunftwerle mit 
nad Stalien brachten: 

‚Da ftieg der fhöne Grüßling aus dem Often, 
Der junge Tag, im Weſten neu empor, 
Und auf Hefperiensd Gefilden fproßten 
Berjüngte Blüthen Joniens hervor.” 
Eben jo redet (Ged. D. Antike an den nord. Wanderer) bie 
griechiſche Antike den nordiichen Wanderer an: 

Ewig umfonft umftrahlt di in mir Sontend Some, 

Den verbüfterten Sinn bindet der norbifche Fluch.“ 

Sonifhe Säulen, ſ. Säulenorbnung. 


Sphigente in Aulis (Bd. 3), nach dem Griechiſchen des 
Euripided, Sm Herbite ded Jahres 1787 war Sch. von 
Bauerbach, dem Wohnorte feiner verheiratheten Schweiter, nach 
Rubolftadt gegangen, wo ihn fein Jugendfreund Wilh. v. Woll⸗ 
zogen bei der Yamilie von Lengefeld einführt. Dort fühlte er 
fi jo wohl und behaglich, daß er im Mai des nädhftfolgenden 
Jahres nad Volkfkädt zog, einem Dorfe, dad von Rubolftadt 
nur eine halbe Stunde entfernt liegt. Hier konnte er ruhig 
arbeiten und zugleich des Umganges mit der Lengefeld’fchen 
Familie genießen. Die Unterhaltung in diefem Kreiſe beftand 
häufig in gemeinfamer Lectüre, für welche man unter andern 
das Theätre grec von Brumoy, eine franzöfifche Neberjeßung 
griechifcher Schaufpiele, benutzte. Sch. fühlte fich bejonderd 
durch die Stüde des Euripides (f. d.) angezogen und ging daher 
gern auf die Bitte der beiden Schweftern v. Lengefeld ein, einige 
diefer Stüde zu überſetzen, damit ihnen der volle Genuß dieſer 


\ 


448 Iphigenie in Aulis. 


dramatiſchen Werke zu Theil werden moͤge. Als er im Jahre 
1789 nach Weimar zurückgekehrt war, las er die Alten fleißiger, 
in denen ihm eine ganz neue Welt aufging, da feine Jugend⸗ 
bildung ihn mit denfelben nicht bekannt gemacht hatte. Zudem 
war damald Goethe's Sphigenie erfchienen, und Sch. fühlte ſich 
bald von der harmoniſchen und maßvollen Haltung des reinen 
antiken G@eiftes jo wohlthuend angeweht, daß er die erbetene 
Arbeit mit innigem Bergnügen unternahm. In feinen Briefen 
äußert er fich jelbft darüber, „daß ihm der Euripides ein hohes 
Bergnügen gewähre, daß es ihn befonbers interejfire, den Men⸗ 
chen fich ewig gleich zu finden, „Ddiefelben Leidenschaften, dieſelben 
Sollifionen der Leidenſchaften, dieſelbe Sprache der Leidenſchaften; 
und bei der unendlichen Mannigfaltigfeit doch dieſe Aehnlichkeit, 
diefe Einheit derfelben Menfchenform.” Da Sch.'s Kenntniß 
bes Griechiſchen nicht ausreichte, um den Euripides in der Ur- 
ſprache zu leſen, jo benußte er eine wörtliche Iateinifche Weber: 
ſetzung und zugleich die franzöfiihe von Brumoy und Prevöt. 
Bei der Beurtheilung feiner Ueberſetzung barf man nicht außer 
Acht laſſen, daß fie zunächſt für feine jungen Yreundinnen ge: 
ſchrieben war, in deren Sntereffe er den antiken Inhalt der 
modernen Auffaſſungs- nnd Empfindungsweife möglichft zu 
nähern und ihm zugleih das Gepräge feined Geiſtes zu geben 
ſuchte. Es ift ſomit der Inhalt zwar durchaus der ded Drigi- 
nals, die Wirkung jedoch eine ganz andere. Die Ueberſetzung 
erihien zuerft in dem 6. und 7. Hefte ber Zeitfchrift Thalia 
(1789). 

Was den Inhalt des Stüdes betrifft, fo ift derfelbe nichts 
Anderes ald eine dramatifche Bearbeitung einer Eptjode des 
teojanifhen Krieges (j. Troja). Als nämlich eine Flotte von 
1200 Schiffen im Hafen von Aulis verfammelt war, Tonnte 
diefelbe eines widrigen Windes wegen lange nicht außlaufen. 
Da verkündete der Seher Kalchas, daß der Grund diefed Hin- 
dernified in dem Mißfallen der Götter läge, die nicht anders 
zu verföhnen jeien, ald wenn Agamemnon, der Anführer des 


SIphät — Iris. 449 


griechiſchen Heered, feine Tochter Sphigenia, der Göttin Artemis, 
der Schüßerin von Aulis, zum Opfer brächte. Nach längerem 
Widerſtreben von Seiten der Angehörigen Sphigenien’3 erflärte 
diefe fich endlich felbft bereit, für ihr Vaterland zu fterben, wurde 
indefjen der Sage nah, als das Opfer ftattfinden follte, durch 
Artemis in einer Wolfe entrüdt. 


Iphut (2.2. d. Yen. 76), Abk, für Sphitus, ein Trojaner 
aus dem Gefolge des Aeneas. 


Iris (Myth.), die Tochter des Meergottes Thaumas und 
der Oceanide Elektra, war zunaͤchſt die Göttin des Regens, bie 
and Seen und Flüffen Wafjer emporzog, um die Erde damit 
zu befeuchten. Bei ihrem Gmporfteigen ließ die geflügelte Göttin 
einen Bogen hinter ſich, als defien Sinnbild fie nun betrachtet 
wurde; daher (Geb. D. Götter Griechenlands): 


„Unter Iris fchönem Bogen blühte 
Reizender die perlenvolle Flur.“ 


und (Ged. D. Gunſt des Augenblid3): 
„Wie auf ihrer bunten Brüde 
Zrtid dur den Himmel ſchwebt.“ 
Die ſchnelle Entftehung des Regenbogend warb dann Veran: 
Taflung, die jungfräuliche Göttin gleih dem gewandten Hermes 
als Geſandtin der Götter, in der nachhomerijchen Zeit als die 
Botin der Juno allein zu betrachten. In diefer Eigenſchaft 
erſcheint fie (Geb. 4. B. d. Yen. 127 u. 128) bei bem Tode der 
Dido, um berjelben das Haar abzufchneiden, womit fie auf Be: 
fehl der Gottheit dem Tartarus geweiht wird. Bisweilen ift 
Ari dem Dichter der Regenbogen felbft, befien anmutbige 
Wölbung ihm ein willlommener Gegenftand der Bergleihung 
wird, wie (Ged. D. Spaziergang, B. 127): 
„Leicht wie ber Iris Sprumg durch bie Luft, wie ber Pfeil von der Senne, 
Hüpfet der Brüde Joch über den braufenden Strom.” 
Häufiger noch ift fie ihm das Symbol des Lichts und der Farbe, 
wie (Bed. Klage der Ceres, Str. 11), wo e8 von ben Blumen heißt: 
1. 29 


:450 Steländer — Sronie. 


„Zanchen will ich end in Strahlen, 
Mit der Iris fhönften Licht 
»_ Bill ich eure Blätter malen, 
Gleich Aurorens Angeftcht.” 
In ähnlicher Weiſe iſt fie der klagenden Göttin auch ein Bild 
der Hoffnung, indem fie (ebendaf. Str. 6) auf das Wieberjehen 
ihrer geliebten Tochter wartet, 
„Bis bed dunklen Stromes Welle 
Bon Aurorend Farben gläßt, 
JIris mitten durch die Hölle 
Shren fhönen Bogen zieht.” 
Auch in dem Gebiete der Afthetifchen Betrachtung, die felbft bet 
den Bildern des Schredend mit einer gewifien erhabenen Ruhe 
verweilen kann, tft fie dem Dichter ein treffendes Bild, wie 
.(Ged. D. Ideal u. d. Leben): 
„Liebli$, wie ber Iris Farbenfener 
Auf der Donnerwolke duft'gem Thau, 
Schimmert burch ber Vehmuth büftern Schleier 
Hier der Ruhe heitres Blau.” 
Schließlich werben ihm die fieben Yarben des Regenbogens tn 
ihrer harmoniſchen Verſchmelzung, die ihm auch (Ged. D. ver: 
ſchleierte Bild zu Sat) ald eine untheilbare Einheit erfcheint, 
ein Bild für das vereinte Streben ber fchönen Künfte, wie 


(9. d. K.): 


„Und wie ber Iris ſchönes Farbenbild 
Sich glänzend aufbaut aus ber Senne Strahlen, 

So wollen wir mit ſchön vereintem Streben, 

Der hoben Schoͤnheit fieben heilge Zahlen, 

Dir, Herrliche, den Lebensteppich weben!“ 

Selander (Wft. 2. 11), ſ. Hibernien. 

Ironie, zunächft eine verftellte od. Schein-Unwiffenheit, mit 
der man Jemand neden oder verhöhnen will; dann auch ver: 
ftedter Spott, indem man das Gegentheil von dem fagt, waß 
man meint; (D. ©. II, 5) „nicht mit Ironie“, d.h. mit bittrem 
Ernſt geiprohen. Davon: ironiſch (D. C. II, 8), ſpbttifch, 


ſchalkhaft. 


Iſai — Italien. öl 


Mat, ber Vater David’. Mit Begiehbung aufıl Sam: ık6, 

1—13 fagt Sohanna (3. v. DO. Prol. 4) von Watt: 
„Der einft den feemmen Knaben Zjat’s, 
Den Hirten, ih zum Streiter auderfehen — 
Er ſprach zu mir and dieſes Baumes Zweigen.” 

Iſchariot (R. II, 3), der Sünger Judas Iſcharioth, 
weldyer (Matth. 26, 47—56 u. Luc. 22, 47—58) den Herrn um 
30 Silberlinge verrieth. 

Iſis (Ged. D. verſchleierte Bild zu Sat), eine Göttergeftalt 
des alten Aegyptens, welche in unzertrennlicher Verbindung mit 
ihrem Gatten Ofirtd gedacht werden muß. Sf ift wefentlich 
nichts Anderes als bie Perjonification der fruchtbaren Erbe des 
Agyptiichen Landes; Ofirtd, bie der Erbe durch Vermittelung 
des Nil eimverleibte Leben wedende Kraft der Sonne. Der 
religiöfe Gedankenkreis, der ſich an die Iſis Inüipfte, erweiterte 
fih mehr und mehr. Aus einer Landes: und Mondgöttin (Ofiris 
als Sormengott) wurde fie Königin der Unterwelt und Richterin 
der Zodten, dann Schügerin aller fittlihen Grundeinrichtungen 
des menfchlichen Lebens, Stifterin von wichtigen Myfferien. 
„Spätere Philoſophen erflärten fie für die eine göttliche Macht, 
welche allen Einzelerjheinungen in der Natur, im Menſchen⸗ und 
Götterleben zu Grunde Liegt.“ 


Iſmen, abgekürzt aus Zömenos (Phön.), ein bei Theben 
in Böotien vorbeifließender Bach, welcher in den ſüdlich vym 
Kopaisſee liegenden Hylike:See münbet. 

Almene (Phön.), ſ. Antigone. Eine andere Iſmene (Ph. 
II, ı) ift eine erdichtete Perſon. 

Iſthmus (Ged. D. Bötter Griechenlands — Ph. 1,1), d. h. 
Landenge, nämlih die von Korinth, wo alle fünf Sabre die 
feierlichen Kampfübungen, die fogenannten iſthmiſchen “Spiele, 
abgehalten wurden. 

Ktalien ift von Alters her für hie Bemahner, bed, Nordens 
ein Land der Sehnſucht geweſen, beſonders megen ſeines heiteren, 

29 * 


J — — — 


452 Staltenifhe Meile — Iwaͤn. 


milden Kliına’3 und feiner vielen Kunftihäge; daher jagt (M. 
&t. 1,6) Mortimer zu Maria: 
Ich lieh 
Der Burttaner dumpfe Prebigtfiuben; 
Die Helmath Hinter mir, in fchnellem Lauf 
Durchzog ih Frankreich, das gepriefene 
Stalien mit heißem Wunſche fuchend.“ 
Außerdem aber wurde aud Rom (j. d.) als Stk bes Papites 
vielfach von Solchen befucht, die, um fih von Gewiſſensqualen 
zu befreien, eine Wallfahrt unternehmen wollten; daher ertheilt 
Zel (W. T. V, 2) dem Sohanned Parricida den Rath: 
„Hört, was mir Gott ind Herz giebt. — Ihr müßt fort 
Ind Land Italien, nad Sanct Peterd Stabt; 
Dort werft ihr euch dem Papft zu Füßen, beichtet 
Ihm eure Schuld und Löfet eure Seele.” 
So vieled Angenehme nun aber auch bad Land bieten mag, fo 
wird doch der Charakter feiner Bewohner nicht felten ald heim: 
tückiſch und rachgierig bezeichnet; daher fagt der Baron v. F. 
(Gftſ. 10, 254) in einem Schreiben.an ben ®rafen v. ©. von 
Biondello: „Ich gebe Ihnen alle Staliener Preis, aber biefer 
ift ehrlich”; desgl. (Picc. IV, 5): „die Wälichen (f. d.) alle 
taugen nichts". 
Italieniſche Meile (Sftf. 10, 136), der vierte Theil einer 


geographiichen Meile, da 60 ital. Meilen auf einen Grad des 
Hequatord geben. 


Ithaka (Ged. Odyſſeus — Iph. I, 3w.:$.), eine der ioni⸗ 
ſchen Snfeln, jept Thiaki. Sie war das Baterland und das 
Keich des Odyfſeus oder Ulyſſes, der nad ihr (Geb. 2.8. d. 
Ken. 17) aud der Sthafer genannt wird. 


Itzeho (MWft.L.5), Städtchen im Herzogthum Holftein. 


JIwaͤn (Dem. I) IL, der Schredlide, auh Swan Waft: 
Vowitfch, ob. MWaffiliewitfh, b. 1. Bei 8 Sohn (ebenda 
©. 241), |. Demetrius. 


JIwaͤnowitſch — Santculus. 453 


Iwaͤnowitſch (Dem. I), ſ. v. w. Iwan's (bed Schredlichen) 
Sohn, ſ. Demetrius. 

Ixion (Myth.), König der Lapithen in Theflalien, warb 
von Zupiter mit jo großer Freundſchaft beehrt, daß berfelbe ihn 
an der Tafel der Götter jpeifen ließ. Als aber Ixion die Liebe 
der ftreng züchtigen Suno begehrte und, obwohl zurüdgewiefen, 
doch mit empfangenen Gunſtbezeugungen prablte, ward er von 
Supiter in den Tartarus Hinabgeftürzt, dafelbft an ein ewig 
rollendes Rab geheftet und den wüthenden Furien überliefert. 
Daber fagt Semele (Ged. Sem. 1) von Jupiter's unaudgejep- 


ten Qualen: 
„Das muß Iriond Rab im Himmel fein." 


od. 


Jaik (Zur. I), jetzt Uralft, am Flufſe Safl od. Ural, der 
bier aus feiner weftlichen Richtung in die füdliche übergeht. Es 
liegt in dem Königreih Aftrahan und iſt der Hauptort der 
Uraliſchen Koſaken. 


Jakob (R. II, 2), der dritte unter den Patriarchen ober 
Erzpätern des jüdiſchen Volkes. Seine Geſchichte und die feines 
Sohnes Joſeph (ebendaſ. u. Wſt. L. 8) wird im 1. B. Mofe, 
Cap. 25 —50 erzählt. 

Sanhagel (B. a. v. E.), von dem hol. Namen Jan (für 
Johann), der gleich dem engl. Sohn Bull (d.i. Hand Bulle od. 
Ochs) zur fcherzhaften Bezeihnung des gemeinen Volkes ge 
braucht wird. 

Janiculus (Geb. 4.B.d. Aen. 51), ein Berg auf der Weit 
fette des Tiber, einer von den fleben Hügeln, auf welchen das 
alte Rom erbaut war. Der Sage nah fol Albalonga, die 
Mutterftadt Roms, durch Ascaniud, den Sohn ded Aenend, bald 


SH Shamer — Jehm 


nach· dem trojanffchen: Kllege gegründet: worben fein. Diele 
Sage erwähnen die von Mercur an Aeneas gerichteten Werte: 
„Barum fofl detx aufblũ heder Nefın 
Der Größe, die ihm winti, entlagen? 
Barum dad Scepter ſich entriffen ſehn, 
Das ihn beichieben ift auf bed Janicule Hchn?” 

Sanner (F. V, 14), gem. für Samuar: 

Janus, eine uxalte Gottheit der Römer, welche gewöhnlich 
mit zwei Gefichtern bargeftellt wurde, jo daß das erftere vor- 
wärts, das legtere rüdwärts ſchaut. Man betrachtete dies als 
Symbol der Weisheit, die, unbeirrt durch die lodende Gegen: 
wart, vor Allen Bergangenheit und Zukunft zu Rathe zieht; 
oder man bezog ed auf die Wiederkehr des Jahres, die gleich: 
falls zu einem Blid auf Bergangenheit und Zukunft auffordert. 
Mit Rüdficht auf die bildlihe Darftellung nennt die Schauſpiel⸗ 
kunſt (H. d. 8.) ihre Doppelmaste (j. Maske) ein „Sanıd« 
bild“. 

Jarbas (4.3. d. Aen. 7), der Sohn bed Jupiter Ammon 
(. d.) und der Nymphe Garamantis (f. d.), König ber Libyer. 
Der Sage nad gründete Dido zu feiner Zeit und in feinem. 
Reihe Karthago. 

Jaspis (4.2. d. Aen. 49), ein aus Kiefelerde und Eifen- 
oryd beftehender Stein, ber in den mannigfachften Farben und. 
beſonders ſchoͤn in Aegypten vorkommt. Er wurde frühes 
Häufig als Schmudftein, jegt wird er meift nur zu Giegels 
ringen verwendet. 

Jaunerparole, |. Parole. 

Jehobah (Geb. Elegie auf d. Tod eines Sünglingd), d. i. 
der Ewige, Unwandelbare, mit welchem Namen Moſes bei feiner 
Gefeggebung den Gott Iſraels bezeichnete; denn Jehovah bes 
deutet im Hebraͤiſchen Den, der da ift, war und fein wird. 


Jehu (Wfl. 2. 8), deſſen Geſchichte 2.3. d. Kön. Cap. 9 
#10 erzählt wird, war der zehnte König im Reiche Iſrael. Er 


Senni — Jeremiade. 455 


wandelte anfangs in den Wegen bed Herrn und‘ verfolgte auf 
Befehl des Propheten Eliſa das gottloje Haus Ahabs. Zunächſt 
tödtets- er: Joram, den König von Juda, ber mit Athalja, der 
Tochter Ahabs und Iſebels, die in Iſrael geherricht hatten, ver: 
mählt war. Hierauf ließ er bie Sfebel zum Zenfter binaus- 
ftürzen und den 70 Söhnen Ahabs die Köpfe abfchlagen. End: 
lich tödtete er alle Verwandten aus dem Haufe Ahabd unk 
brachte alle Diener Baald um. Dennoch aber ließ er nicht von 
den Sünden Jerobeams (f. d.) umd farb nach einer 28jährigen 
Regierung. 
Jenni (W. T. Perſ.Verz.), ſchweizer. Abk. für Johann. 


Jerem (R. IV, 3). In allen Sprachen pflegt in Flüchen, 
wenn diejelben bei irgend einem heiligen oder gefürchteten Wefen 
ausgeſprochen werden, der Name befielben aus einer gewifien 
Scheu durch Berbrehung verftedt zu werben, 3.3. in dem aufs 
fallenden Ausdrud „Pop Tauſend“, der vielleicht als „Gottes 
Donner“ zu deuten iſt, fo „Deichfel” für „Zeufel”, im Sr. 
„palsambleu“ für „par le sang de Dieu“, „sapristi“ für „sang 
du Christ“, Aehnlich mag bier Jerem aus Jeſus oder gar 
Jeremias verdreht fein. 


Jeremiade (Ged.), d. h. ein Kingelieb (jo genannt nach den. 
Klageliedern des Jeremias). Unter biefer Ueberſchrift hat Sch. 
zehn XRenien zufauuınengeftellt, welche nach Viehoff's Angabe früher 
folgende Titel führten: 1) Seremiaden aus dem Reichs⸗ 
anzetger (d.h. in deſſen Sinme geiehrieben); 2) Böfe Zeiten 
(wohl auf Ricolat’8 Lobreden auf dem gefunden Menſchewerſtand 
zu: beziehen); 3) Scandal (Kant und feine Anhänger, welche 
die. Tugend ald ein Product des freien Willens betrachteten, bes 
bandelten diefelbe außerhalb der Aefthetik); 4) Das Publicum 
im Gedränge; 5) Das goldene Alter (In den Luftipielen 
von Gellert, Weiße ꝛc. pflegten Leipziger Stubenmädchen eine 
barmlofe Rolle zu fpielen); 6) Komödie („Siegmund” tn 
Gellert's „zärtlicden Schweſtern“; „Maslkarill“ in Leſſing's 


456 Serobeam — Serufalem. 


„Schatz“); 7) Alte deutſche Tragödie (die nach den ftarren 
Formen des franzöflihen Klaſſicismus gearbeiteten, in dem 
„ Menuettichritt * jchwerfälliger Alerandriner ſich bewegenden 
Dramen von Cronegk und Elias Schlegel; 8) Roman (auf 
die rein verftändig zuredhtgedrechjelten Producte eines Dufch, 
Haller, Feßler, Bonterwed zu beziehen; 9) Deutliche 
Profa (vergl. dad Epigramm: „Der Meifter”); 10) Chorus 
(Einftimmung in die Klagen der beiden Reniendichter, bie ſich 
berufen fühlten, über die literariſchen Producte ihrer Eleinlichen 
Kritiker mit heiligem Eifer die Geißel zu jchwingen). 


Jerobeam (Wit. 2. 8), der erfte König des Reiches 
Sirael, defien Geſchichte 1.2. d. Kön. Cap. 12, 25 — Cap. 14 
erzählt wird, machte, um dem neu entjtandenen Reiche ein ſelb⸗ 
ftändigeß Leben zu geben, Sichem zu deſſen Hauptſtadt, huldigte 
aber auch dem Götendienfte, indem er zu Bethel und Dan gol: 
dene Kälber errichten ließ und ihnen Tempel baute. 


Serufalem (3.0. O. Prol. 3), die Hauptſtadt von Paläftina, 
war, bald nachdem Muhamen im 3. 622 feine neue Lehre ge: 
ftiftet, in bie Hände der Araber gefallen, welche gleich darauf 
dad ganze nördliche Afrika flegreih durchzogen und 711 unter 
Tarik über die Meerenge von Gibraltar gingen. Die fpaniiche 
Halbinfel ward hierauf bald eine Beute der Araber, bie mm: 
mehr auch die Pyrenäen überfchritten und das jüdliche Frankreich 
verwüſteten. Hier aber trat ihnen Karl Martell entgegen, ſchlug 
fie 732 in ber Ebene zwiſchen Pottierd und Tourd und trieb fie 
aus Frankreich heraus; daher fagt Johanna: „Hier ſcheiterte der 
Heiden Macht”. Man Tönnte damit auch eine Erinnerung an 
ben Hunnenkönig Attila verbinden, der 451 bei Chalons-für- 
Marne gefchlagen wurde. — Mit den folgenden Worten: „Hier 
war das erfte Kreuz, dad Gnadenbild erhöht” tft die von dem 
Biſchof Euſebius berichtete Xegende über die wunderbare Er⸗ 
iheinung gemeint, welche dem Kaifer Conftantin d. Gr. im 
3. 312 zu Theil wurde, als er fi zu einem Zuge gegen 





Sefabel. 457 


Marentiud rüftete.e Che er ven Gallien aus über die Alpen 
ging, fol ihm in der Mittagsftunde unterhalb der Sonne ein 
flammended Kreuz mit der Inſchrift erfchtenen fein: „In hoc 
signo vinces“ (In biefem Zeichen wirft Du fiegen). In der 
folgenden Nacht, berichtet die Legende weiter, erſchien ihm 
Chriftus im Traume und befahl ihm, fortan ein Panier in der 
Seftalt des erjchienenen Kreuzes zu führen. Died geſchah, und 
fein Gegner wurde bald darauf befiegt. In Folge deſſen foll 
ſich Sonftantin dem Chriftenthum zugewandt haben, unter deſſen 
Bekennern Viele von jener Zeit an Wallfahrten nach Serufalem 
unternahmen, bi3 daſſelbe i. 3. 1076 von ben Seldfchuden er- 
obert wurde. Zwanzig Sabre jpäter wurde in Yolge der Predigt 
des Peter von Amiend der erfte Kreuzzug zur Befreiung des heili⸗ 
gen Grabes unternommen. Solche Kreuzzüge, deren die Gefchichte 
zwiſchen 5 und 7 zählt, bildeten zwei Sahrhunderte (von 1096 an) 
hindurch die Idee, welche alle Gemüther beherrihte, jo daß fle 
jener Zeit gewifiermaßen den Stempel aufdrüdten. Die lebten 
bedeutenden Unternehmungen zur Befreiung Jeruſalems waren die 
eined franzöflihen Königs, nämlich Ludwig's IX., des Heiligen 
(1226—70), der tn Folge eine Gelübdes, das er gethan, im 
Sabre 1248 audzog und Damiette in Aegypten eroberte. Er 
felbft that Wunder der Tapferkeit, gerieth indefien in Gefangen: 
ſchaft und Tehrte erft 1254 nad Frankreich zurüd. Im Sabre 
1270 endlich unternahm er einen abermaligen, den legten Kreuz- 
ig. Er ging nad Afrika, belagerte Tunis, wurde aber hier das 
Opfer einer anftedlenden Krankheit, die zugleich den größten Theil 
ſeines Heeres hinraffte. Sein Leichnam wurbe nad) Frankreich 
zurüdgeführt, er ſelbſt aber 1297 vor Bontfaz VIII. heilig ge- 
ſprochen; daher Johanna's Worte: „Hier ruht der Staub bes 
heil'gen Ludwig“. 

Sefabel (3. v. O. Prol. 3), die franzöfiihe Benennung 
für Iſebel, die Gemahlin des Könige Ahab von Sfrael, über 
deren Frevelthaten 1. B. d. Kön. Cap. 21 und über beren 
Ende (vergl. Jehu) 2. B. d. Kön. Cap. 9 das Ausführlichere 


458 Sefuiten — Sohann von Schwaben. 


berihtet. Ihr Name ift als Anfpielung auf Iſabeau ges 
wählt. 


Jeſuiten (Wit. T. IV, 3) oder Gejelihaft Jeſu (M. St. 
I, 6), ein im J. 1540 von Ignaz v. Loyola geftifteter geift- 
licher Orden. Derfelbe hatte eine vollfommen monarchiſche Ver: 
faffung; alle Mitglieder waren einem in Rom reftdirenden General 
untergeordnet, und jedes einzelne feinen Oberen zu blindem Ge⸗ 
horſam verpflichtet. Um die Zwecke ded Ordens, Die weitefte 
Berbreitung der Tatholiihen SKirchenlehre, nad Möglichkeit zu 
erreihen, war man bemüht, die Neigungen und Yähigfetten 
jebes Einzelnen genau zu erforfhen. Die Gewandteften fanbte 
man an die Höfe, wo fie fich befonderd als Beichtväter und 
Prinzenerzieher Einfluß zu verfchaffen wußten; bie Kenntniß: 
reichſten wurden al8 Sugendlehrer verwendet, um den Gemüthern 
ihrer Zöglinge vor Allem entichiedene Abneigung gegen den 
Proteftantismus einzupflanzen, daher (M. St. II, 4): - 

„Man gab euch Schuld, daß ihr zu Rheims die Schulen 
Beſucht und euren Glauben abgejchworen.” 

Die Begeiftertften wurden ald Miſſionare audgefendet, um ben 
Katholicismus auch in die fernften Weltgegenden zu verbreiten. Ir 
bem Grundſatz: „der Zwed heiligt die Mittel” fanden fie eine 
willfommene Beihönigung für die abicheulichften Handlungen, 
und Lift und Schlaubelt (F. II, 4) ericheiten daher als ein 
charakteriſtiſches Merkmal ihrer Mitglieder, weshalb der Küraſſier 
(Wit. L. 11) den Jeſutter dem jchlichten Handwerksmann gegem 
über ftellt. 

Jeſuiterdom (F. V, 10), die Kirche S. Ambrogto am Markte 
it ©enma. 


Joachimsthal (Wit. T. IV, 3), Stadt am. Fuße bed Erz 
gebirges, norböftli von Eger. 


Johann von Schwaben, der Sohn Rudolfs, ded jüngeren 
Bruders Albrecht? I., alſo der Neffe des letzteren und Enkel 


Sohanne?. 459 


(W. T. V, 2) Rudolfs v. Habsburg, auch Herzog Hans (©. 155) 
od. Herzog Johann (S. 156), gewöhnlich (S. 165) Johannes 
Parricida (d. i. ber Vater: oder Verwandtenmörder) genannt, 
hatte von feinem Oheim Schwaben ald Erbe zu fordern. Der 
unerfättliche Albrecht aber hielt e8 für angemeflener, ihm fein 
Lehen vorzuenthalten und fügte feiner Ungerechtigkeit noch Hohn 
und Spott hinzu, indem er ihm einen Blumenfranz mit den 
Worten reichte: „Died gebührt Deinem Alter; die Sorge ber 
Regierung überlag mir”. Daher fagt Konrad Hunn (W. T. 
2): — ‚Und als ich traurig durch bie Gäle ging 
Der Königäburg, dba fah ich Herzog Hanfen 
Sm einem Erker weinenb ftehn.” 

Sobann, der von fanfter und frieblicher Gemüthsſsart war, würbe 
die Ungerechtigkeit vielleicht ohne Rache ertragen haben, wenn 
nicht die Feinde des Kaiſers (vergl. Eſchenbach) feinen Zorn zu 
lihter Flamme angefacht hätten. Mit ihnen verband fi Johann, 
um ben Kaiſer zu ermorden (vergl. Baden). Daher jagt Stauf: 
faher (W. T. V, 1) von diefer Mordthat: 

„Sie wirb noch grauenvoller buch ben Thäter. 

Es war fein Neffe, ſeines Bruders Kind, 

Herzog Johann von Schwaben, ber’d vollbrachte.“ 
Nachdem er die That verübt, entfloh er in Mönchstracht nad 
Stalien, wo er zu Piſa in einem Auguftinerflofter geftorben fein 
fol. Nach Anderen fol er als Mönch, aber unerfamnt, auf dem 
Stammgute Eigen gelebt unb.erft bei feinem Tode (1368) ſich 
al8 Herzog Sohann von Schwaben zu erfennen gegeben haben. 


Sohannes, der Evangelift, der Zünger, welchen Jeſus lieb 
hatte, hat befanntlich ein jehr hohes Alter, mehr als 90 Jahre 
erreicht. Als Chriftu nach feiner Auferftehung fih den Züns 
gern am See Tiberiad offenbarte (Ev. Joh. 21, I—24), ver 
kündete er dem Petrus fein Ende. Als biefer ihn hierauf be- 
fragte, was Johannes zu erwarten habe, erhielt er zur Antwort: 
So ih will, daß er bleibe, bis ich komme, was gehet es dich 


460 Johannes — Zohanniter. 


an! — woher die Rebe unter den Apofteln ging: Diefer Jünger 
ftirbt nicht, oder (Gftſ. 10, 165) „er wird bleiben bi8 zum legten 
Gericht.” 

Johannes der Täufer, der Vorläufer Chriftt, welcher den 
Suden Buße predigte (daher Wit. & 8: „der Prediger in 
der Wüften”) und fie aufforderte, fi taufen zu laſſen, 
wurbe, obwohl er für fich jelbft Teinen weiteren Ruhm in 
Anſpruch nahm, doch fpäter in der chriftlihen Kirche hoch 
geehrt. So legten Kaufleute aus Amalfi in Neapel im Jahre 
1048 zu Serufalem eine Kirche an und ftifteten daſelbſt ein 
Mönchöflofter, welches fie Sohanned dem Täufer widmeten. Die 
Mönche wurden Johanniter (f. d.) oder Hofpitalbrüder genannt 
und hatten die Aufgabe, Arme und Kranfe zu pflegen. Da ber 
Orden nad und nad) zu großen Beflbungen gelangte, fo nahm 
zu Anfange des 12. Sahrhundertd der Drdendmeifter Raymunb 
du Puy Beranlafiung, denjelben mit Beibehaltung der Mönchs⸗ 
regel in einen WRitterorden umzuwandeln. Dur Tapferkeit 
wußten fih die Sohanniter Tange Zeit gegen die Waffen der 
Saracenen und Türken zu behaupten, bi8 fie 1191 aus Paläftina 
vertrieben wurden. Nachdem Jie hierauf Cypern erobert, fpäter 
aber auch dieſes verloren hatten, ſetzten fie jih im Sahre 1309 
auf der Inſel Rhodus feft, wo ein neued Kloſter mit einem 
Spital (vergl. Ged. D. Kampf mit d. Drachen) gegrünbet wurbe. 
Vergl. Malthejer. 

Sohanniter, Die (Ged.), ein eulturhiftoriiched Epigramm 
aus dem Jahre 1795, welches an Sch.'s Beichäftigung mit ge- 
ſchichtlichen Studien, befonderd an feine Vorrede zu einer Ge- 
ſchichte des Maltheferordend nach Vertot, Bd. 11, ©. 301 (vergl. 
D. Kampf mit d. Drachen), erinnert. In diefer Vorrede fpricht 
er von ber innigen Rührung, die Seden ergreifen muß, wenn er 
bie Ritter, nachdem fie vom blutigen Kampfe ermattet zurüd: 
gekehrt, in dem Spital als Kranfenwärter erblidt. Auch bier 
handelt e8 fih, wie in dem Kampf mit dem Draden, um die 
Bereinigung von ritterliher Tapferkeit mit chriftlicher Demuth. 


Jokafta — Joſua. 461 
Jokaſta, ſ. Antigone. 
jolen (R. II, 3), ſ. v. w. gellen. 


Joppe (Geb. Ritter Toggenburg), jetzt Jaffa, der ältefte 
und bis unter Herodes I. der einzige Hafenort von Paläftina in 
dem Gebiete ded Stammes Dan, war der gewöhnliche Landung» 
und Abfahrtdort der Kreusfahrer. 


Jordan (R. II, 3), der Hauptfluß Paldftinad, an den 
Spiegelberg, der fich biöweilen in bibliſchen Ausdrücken bewegt, 
hier jcherzweije erinnert. 


Sofeph, ſ. Jakob. 

Joſephus. Als Kaiſer Claudius im J. 44 n. Chr. Paläftina 
zur römiſchen Provinz gemacht, ließ er das Land von Procura⸗ 
toren regieren, welche einen furdhtbaren Drud auf das Volk aud- ' 
übten. Die anfangs im Stillen ih entwidelnde Gaͤhrung brach 
bald in offene Empörung aus, jo daß fein Nachfolger Nero den Feld⸗ 
berrn Veſpaſian und feinen Sohn Titus nach Zudäa fchidte, um 
die Ordnung wieder herzuftellen. Diejen traten die Juden umter 
Flavius Joſephus (geb. 37 n. Ehr.), einem aus dem SPriefter: 
ftande hervorgegangenen Befehlöhaber, entgegen, mußten fi 
indeflen nach bartnädiger Gegenwehr unterwerfen. Joſephus 
felbjt jollte dem Kaiſer Nero überliefert werden, wußte fich in- 
det Veſpaſian's Gunft zu erwerben und ging |päter mit Titus 
nah Rom, wo 'er die Gejchichte ded jüdifchen Krieges in fieben 
Büchern beichrieb. Seine furdtbare Beichreibung von der Ber: 
ftörung Serufalems, welche die Phantafie eined Spiegelberg be: 
raufcht haben mag, ift die Beranlaflung, daß dieſer (R. I, 2) 
den wunderlichen Einfall hat, dad jüdiiche Reich wiederherzu- 
ftellen und daß er Karl Moor den Rath ertheilt, den Joſephus 
zu lejen. 

Zofun (ft. 2.8), der Vertraute Mofls, der fi) nach dem 
Tode des lepteren auf Gottes Befehl an die Spipe des jüdiſchen 
Volkes ftellte, dafielbe nach Canaan führte, die heidniichen Völker 


452 Stalieniihe Meile — Twin. 


milden Klima’d und feiner vielen Kunftihäge; daher jagt (M. 
St. J, 6) Mortimer zu Maria: 
Zch ließ 
Der Purttaner dumpfe Predigtſtuben; 
Die Heimath hinter mir, in fehnellem Lauf 
Durchzog ich Frankreich, bad gepriefene 
Stalten mit heißem Wunſche ſuchend.“ 
Außerdem aber wurde auch Rom (f. d.) als Sitz des Papftes 
vielfach von Solchen beſucht, die, um ſich von Gewiſſensqualen 
zu befreien, eine Wallfahrt unternehmen wollten; daher ertheilt 
Tell (W. T. V, 2) dem Johannes Parricida den Rath: 
„Hört, was mir Gott ins Herz giebt. — Ihr müßt fort 
Ins Land Italien, nah Sanct Peters Stadt; 
Dort werft ihr euch dem Papft zu Füßen, beichtet 
Ihm eure Schuld ımb Löfet eure Seele.’ 
So vieled Angenehme nun aber auch das Land bieten mag, fo 
wird doch der Charakter feiner Bewohner nicht jelten ald heim⸗ 
tückiſch und rachgierig bezeichnet; daher fagt der Baron v. %. 
(Gftſ. 10, 254) in einem Schreiben an den Grafen v. ©. von 
Biondello: „Ich gebe Shnen alle Staliener Preis, aber diefer 
tft ehrlich“; desgl. (Picc. IV, 5): „die Wälfchen (f. d.) alle 
taugen nichts“. 
Stalienifhe Meile (Gftf. 10, 136), der vierte Theil einer 


geographifhen Meile, da 60 ital. ‘Meilen auf einen Grad des 
Aequators gehen. 


Ithata (Bed. Odyſſeus — Iph. I, 3w.:9.), eine der toni- 
ſchen Inſeln, jept Thiaki. Sie war dag Vaterland und das 
Reich des Odyfſſeus oder Ulyfjed, der nach ihr (Geb. 2.2. d. 
Aen. 17) auch der Sthafer genannt wird. 


Itzeho (Wt.2.5), Städtchen im Herzogthum Holftein. 


Swan (Dem.I) II, der Schredliche, auh Iwan Waſi— 
Kowitich, od. Waſſillewiiſch, d. t. Waffllii'8 Sohn (ebenda. 
©. 241), |. Demetrius. 


0 


Ä 


Iwaͤnowitſch — Janiculus. 453 


Iwaͤnowitſch (Dem. D, ſ. v. w. Iwan's (des Schrecklichen) 
Sohn, ſ. Demetrius. 

Ixion (Myth.), König der Lapithen in Theflalien, warb 
von Zupiter mit jo großer Freundichaft beebrt, daß derjelbe ihn 
am der Tafel der Götter ſpeiſen ließ. Als aber Srion die Liebe 
der ftreng züchtigen Suno begehrte und, obwohl zurüdgewiejen, 
Doch mit empfangenen Gunftbezeugungen prablte, ward er von 
Supiter in den Tartarud binabgeftürzt, dafelbft an ein ewig 
rollendes Rab geheftet und den wüthenden Yurlen überliefert. 
Daher fagt Semele (Ged. Sem. 1) von Jupiter's unausgeſetz⸗ 


ten Qualen: 
„Das muß ISriond Rad im Himmel fein.” 


od. 


Jaik (Zur. I), jetzt Uralft, am Flufie Jalk od. Ural, der 
bier aus feiner weftlichen Richtung in die ſüdliche übergeht. Es 
liegt in dem Königreich Aftrachan und iſt der Hauptort der 
Uralifchen Koſaken. 

Jakob (R. II, 2), der dritte unter den Patriarchen oder 
Erzpätern des jüdifchen Volkes. Seine Geſchichte und bie feines 
Sohnes Joſeph (ebendaf. u. Wfl. L. 8) wird im 1. B. Mofe, 
Gap. 25—50 erzählt. 

Janhagel (B. a. v. E.), von dem ball. Namen San (für 
Sohann), der glei dem engl. John Bull (d. i. Hand Bulle od. 
Ochs) zur fcherzhaften Bezeichnung ded gemeinen Volles ges 
braucht wird. 

Janiculus (Ged. 4. B. d. Aen. 51), ein Berg auf der Weft 
fette bed Tiber, einer von den fteben Hügeln, auf welchen das 
alte Rom erbaut war. Der Sage nah fol Albalonga, bie 
Mutterftadt Roms, durch Ascanius, den Sohn des Aeneas, bald 


4 Ferner — Jehu. 


nach· dem trojaulſchen: Kliege gegründet: worden fein. Dieſe 
Sage erwähnen die von Mercur an Aeneas gerichteten Worte: 
„Barum foll dein aufblũhender Askan 
Der Große, die ihm winkt, entfagen ? 
Barum dad Scepter ſich entrifſen ſehn, 
Das-ihin beſchieden iſt auf des Janicule Höhn?” 

Jaͤnner (F. V, 19, gem. für Januar. 

Janus, eine uralte Gottheit der Römer, welche gewöhnlich. 
mit zwei Gefichtern bargeftellt wurde, fo daß das erftere vor: 
wärt8, bad letztere rüdwärtd ſchaut. Dan betrachtete die ale 
Symbol der Weidheit, die, unbeirrt durch die lockende Gegen- 
wart, vor Allem Dergangenheit und Zuhmft zu Rathe zieht; 
oder man bezog ed auf die Wiederkehr des Jahres, bie gleich: 
falls zu einem Blick auf Vergangenheit und Zukunft auffordert. 
Mit Rüdficht auf die bildliche Darftelung nennt die Schaufpiel- 
kunſt (9. d. 8.) ihre Doppelmasfe (f. Maske) ein „Sanuıde 
bild“. 

Jarbas (4:3. d. Aen. 7), ber. Sohn bed Zupiter Ammon 
G . d.) umd der Nymphe Garamantis (ſ. d.), König der Libyer. 
Der Sage nach gründete Dibo zu feiner Zeit und in feinem: 
Reiche Karthago. 

Jaspis (4.2. d. Aen. 49), ein aus Kiefelerde und Eifen- 
oxyd beftehender Stein, der in den mannigfachiten Farben und. 
beſonders jhön in Aegypten vorfommt. Er wurde frühen 
Häufig als Schmudftein, jetzt wird er meiſt nur zu Giegel- 
tingen verwendet. 

Sounerparole, |. Parole. 

Jehovah (Ged. Elegie auf d Tod eines Junglings), db. t. 
der Ewige, Unmwanbelbare, mit welchem Namen Moſes bei feiner- 
Geſetzgebung den Gott Ifraels bezeichnete; denn Jehovah bes 
heutet im Hebrätfchen Den, ber ba ift, war und fein wird. 


Jehu (Wfl. 2. 8), deſſen Geſchichte 2.3. d. Kön. Cap. 9 
#. 10 erzählt wirb, war ber zehnte König im Reiche Sirael. Er 


Jenni — Jeremiade. 455 


wandelte anfangs in den Wegen des Herrn und verfolgte auf 
Befehl bed Bropheten Eliſa dad gottloje Haus Ahabs. Zunächft 
töbtete- er Joram, den König von Juda, der mit Athalja, der 
Tochter Ahabs und Iſebels, die in Iſrael geherricht hatten, ver: 
mählt wor. Hierauf Tieß er bie Sfebel zum Fenfter binaus- 
ſtürzen und den 70 Söhnen Ahabs die Köpfe abſchlagen. Enb- 
lich tödtete er alle Verwandten aus dem Haufe Ahabs und 
brachte alle Diener Baald um. Dennody aber ließ er nicht von 
den Sünden Jerobeams (ſ. d.) und ftarb nach einer 28jährigen 
Regierung. 
Jenni (W. T. Perſ.Verz.), ſchweizer. Abt. für Johann. 


Jerem (R. IV, 3). In allen Sprachen pflegt in Flüchen, 
wenn dieſelben bei irgend einem heiligen oder gefürchteten Weſen 
ausgeiprochen werden, der Name deflelben aus einer gewifien 
Scheu durch Berdrehung verftedt zu werben, 3.3. in dem aufs 
fallenden Ausdruck „Pop Tauſend“, der vielleicht ala „Gottes 
Donner” zu deuten ift, fo „Deichjel“ für „Zeufel”, im Fr. 
„palsambleu* für „par le sang de Dieu“, „sapristi“ für „sang 
du Christ“, Aehnlich mag hier Zerem aus Jeſus oder gar 
Jeremias verbreht fein. 


Jeremiade (Ged.), d. 5. ein Klagelied (fo genannt nach den. 
Klageltedern des Jeremias). Unter diefer Ueberjchrift hat Sch. 
zehn Zenten zufannmengeftellt, welche nach Viehoff's Angabe früher 
folgende Zitel führten: 1) Seremiaden aus dem Reichs— 
anzetger (d. h. in deſſen Sinme gefchrieben); 2) Böfe Zeiten 
(mol auf Ricolai's Lobreden auf den gefunden Menſchenverftand 
zu beziehen); 3) Scandal (Kant und feine Anhänger, welche 
die. Tugend als ein Product des freien Willens betrachteten, bes 
bandelten dieſelbe außerhalb der Aefthetil); 4) Das Publicum 
im Gedränge; 5) Das goldene Alter (Sn den Luftipielen 
von Gellert, Weiße ꝛc. pflegten Leipziger Stubenmäbchen eine 
harmloſe Rolle zu fplelen); 6) Komödie („Siegmund” in 
Gellert's „zärtlihen Schweſtern“; „Maslarill“ in Leifing’d 


456 Serobeam — Jeruſalem. 


„Schatz“); 7) Alte deutſche Tragödie (die nach den ftarren 
Formen ded franzöfifhen Klaſſicismus gearbeiteten, in dem 
„ Menuettichritt * fchwerfälliger Alerandriner ſich bewegenden 
Dramen von Cronegt und Eltad Schlegel); 8) Roman (auf 
die rein verftändig zurechtgedrechfelten Probucte eined Duſch, 
Haller, Feßler, Bouterwed zu beziehen; 9) Deutlide 
Proja (vergl. dad Cpigramm: „Der Meifter"); 10) Chorus 
(Einſtimmung in die Klagen ber beiden Zenienbichter, die ſich 
berufen fühlten, über die literariihen Producte ihrer kleinlichen 
Kritiker mit heiligem Eifer die Geißel zu jchwingen). 


Serobeam (Wit. 8. 8), der erfte König des Reiches 
Sirael, deſſen Geſchichte 1.3. d. Kön. Cap. 12, 25 — Gap. 14 
erzäblt wird, machte, um dem neu entjtandenen Reiche ein jelb- 
ftändigeS Leben zu geben, Sichem zu befien Hauptftabt, buldigte 
aber auch dem Götzendienſte, indem er zu Bethel und Dan gol- 
dene Kälber errichten Iieß und ihnen Tempel baute. 


Serufalem (3.9. D. Prol. 3), die Hauptftabt von Paläftina, 
war, bald nachdem Muhamed im 3. 622 feine neue Lehre ge- 
ftiftet, in bie Hände der Araber gefallen, welche gleich darauf 
das ganze nörblihe Afrika flegreich durchzogen und 711 unter 
Tarik über die Meerenge von Gibraltar gingen. Die ſpaniſche 
Halbinfel warb Hierauf bald eine Beute der Araber, die mım: 
mehr auch die Byrenden überjchritten und das fübliche Frankreich 
verwäfteten. Hier aber trat ihnen Karl Martell entgegen, ſchlug 
fie 732 in der Ebene zwiſchen Poitiers und Tourd und trieb fie 
and Frankreich heraus; daher jagt Johanna: „Hier jcheiterte der 
Helden Macht”. Dean könnte damit auch eine Erinnerung an 
den Hunnenkönig Attila verbinden, ber 451 bei Chalond-für- 
Marne geſchlagen wurde. — Mit den folgenden Worten: „Hier 
war das erfte Kreuz, da8 Gnabenbild erhöht“ ift die von dem 
Biſchof Euſebius berichtete Legende über die wunderbare Er- 
Iheinung gemeint, welche dem Kaiſer Conftantin d. Gr. im 
3. 312 zu Theil wurde, als er ſich zu einem Zuge gegen 





Jeſabel. 457 


Maxentius rüſtete. Ehe er ven Gallien aus über die Alpen 
ging, fol ihm in der Mittagdftunde unterhalb der Sonne ein 
flammended Kreuz mit der Inſchrift erſchienen fein: „In hoc 
signo vinces“ (In diefem Zeichen wirft Du fiegen). In der 
folgenden Nacht, berichtet die Legende weiter, erſchien ihm 
Chriftus im Traume und befahl ihm, fortan ein Panter in der 
Geftalt des erfchienenen Kreuzed zu führen. Died geſchah, und 
fein Gegner wurde bald darauf befiegt. In Folge defien foll 
fich Sonftantin dem Chriftenthum zugewandt haben, unter befien 
Belennern Biele von jener Zeit an Wallfahrten nach Serufalem 
unternahmen, bis daſſelbe 1. 3. 1076 von den Seldſchucken er: 
obert wurde. Zwanzig Jahre jpäter wurde in Yolge der Predigt 
des Peter von Amtend der erfte Kreuzzug zur Befreiung des heilt: 
gen Grabes unternommen. Solche Kreuzzüge, deren die Geſchichte 
zwiſchen 5 und 7 zählt, bildeten zwei Jahrhunderte (von 1096 an) 
hindurch die Idee, welche alle Gemüther beherrichte, jo daß fie 
jener Zeit gewifjermaßen den Stempel aufdrüdten. Die legten 
bedeutenden Unternehmungen zur Befreiung Serufalemd waren die 
eines franzöfifchen Königs, nämlich Ludwig's IX., bed Heiligen 
(1226— 70), der in Folge eined Gelübdes, das er gethan, im 
Sabre 1248 auszog und Damtette in Aegypten eroberte. Er 
feibft that Wunder der Tapferkeit, gerieth indeflen in Gefangen: 
haft und Tehrte exit 1254 nah Frankreich zurüd. Sm Sahre 
1270 endlich unternahm er einen abermaligen, den lebten Kreuz: 
zug. Er ging nach Afrika, belagerte Tuntd, wurbe aber bier das 
Opfer einer anftedenden Krankheit, die zugleich den größten Theil 
jeine8 Heeres hinraffte. Sein Leichnam wurde nach Frankreich 
zurüdgeführt, er jelbft aber 1297 von Bonifaz VIII. heilig ges 
ſprochen; daher Sohanna’3 Worte: „Hier ruht ber Staub des 
heil’gen Ludwig”. 

Jeſabel (3. v. O. Prol. 3), die franzöfliche Benennung 
für Sjebel, die Gemahlin des Könige Ahab von Sirael, über 
deren Frevelthaten 1. B. d. Kön. Cap. 21 und über deren 
Ende (vergl. Jehu) 2. B. d. Kön. Cap. 9 das Ausführlichere 


458 Jeſuiten — Sohann von Schwaben. 


berichtet. Ihr Name tft ald Anfptelung auf Iſabeau ge- 
wählt. . 


Sefuiten (Wit. T. IV, 3) oder Geſellſchaft Jeſu (M. St. 
I, 6), ein im J. 1540 von Ignaz v. Loyola geftifteter geift- 
Iiher Orden. Derjelbe hatte eine volllommen monarchiſche Ver: 
fafjung; alle Mitglieder waren einem in Rom reſidirenden General 
untergeorbnet, und jedes einzelne feinen Oberen zu blindem Ge- 
horfam verpflichtet. Um die Zwede des Ordens, bie weitefte 
Verbreitung ber katholiſchen SKirchenlehre, nah Möglichkeit zu 
erreihen, war man bemüht, die Neigungen und Fähigkeiten 
jedes Einzelnen genau zu erforfhen. Die Gewandteften fanbte 
man an bie Höfe, wo fte fich bejonderd als Beichtväter und 
Prinzenerzieher Einfluß zu verichaffen wußten; die Kenntnip- 
reichiten wurden als Jugendlehrer verwendet, um den Gemüthern 
threr Zöglinge vor Allem entichiedene Abneigung gegen ben 
Proteſtantismus einzupflanzen, daher (M. St. II, 4): - 

„Man gab euh Schuld, daß ihr zu Rheims die Schulen 
Beſucht und euren Glauben abgefchworen.” 

Die Begeiftertiten wurden als Miffionare audgejendet, um ben 
Katholicismus auch in die fernften Weltgegenden zu verbreiten. In 
dem Grundſatz: „der Zweck beiligt die Mittel” fanden ſie eime 
willfommene Beichönigung für die abfcheulichften Handlungen, 
und ft und Schlauheit (%. II, 4) ericheinen daher ald ein 
charakteriſtiſches Merkmal ihrer Mitglieder, weshalb der Küraſſier 
(Wit. 8. 11) den Jeſuiter dem jchlichten Handwerksmann gegen: 
über ftellt. 

Jeſuiterdom (F. V, 10), die Kirche S. Ambrogio am Markte 
int Genna. 

Joachimsthal (Wſt. X. IV, 3), Stadt am Fuße bes Er 
gebirges, nordöſtlich von Eger. 


Johann von Schwaben, der Sohn Rudolfs, des jüngeren 
Bruders Albrechts J., alſo der Neffe des letzteren und Enkel 


Sohannes. 459 


(W. T. V, 2) Rudolfs v. Haböburg, auch Herzog Hans (S. 155) 
od. Herzog Johann (S. 156), gewöhnlih (S. 165) Johannes 
Parricida (. i. der Vater: oder Verwandtenmörder) genannt, 
hatte von feinem Oheim Schwaben ald Erbe zu fordern. Der 
unerjättlidhe Albrecht aber hielt e8 für angemeflener, ihm fein 
Lehen vorzuenthalten und fügte feiner Ungerechtigtett noch Hohn 
und Spott hinzu, indem er ihm einen Blumenkranz mit den 
Worten reichte: „Died gebührt Deinem Alter; die Sorge ber 
Regierung überlaß mir”. Daher jagt Konrad Hum (W. T. 
22): — „Und als ich traurig durch die Säle ging 
Der Königdburg, da ſah ih Herzog Hanfen 
Sn einem Erker weinend ftehn.” 

Sobann, der von fanfter und frieblicher Gemüthdart war, würde. 
die Ungerechtigkeit vwielleicht ohne Rache ertragen haben, wenn 
nicht bie Yeinde des Kaiſers (vergl. Eſchenbach) feinen Zorn zu 
lichter Flamme angefacht hätten. Mit ihnen verband fi Johann, 
um den Katfer zu ermorden (vergl. Baden). Daher fagt Stauf: 
facher (W. T. V, 1) von dieſer Mordthat: 

„Ste wird noch grauenvoller durch ben Thäter. 

Es war fein Neffe, feines Bruders Kind, 

Herzog Johann von Schwaben, der's vollbrachte.” 
Nachdem er die That verübt, entfloh er in Mönchstracht nad) 
Stalien, wo er zu Piſa in einem Auguftinerflofter geftorben jein 
fol. Nach Anderen fol er als Mönch, aber unerlannt, auf dem 
Stammgute Eigen gelebt und.erft bei feinem Tode (1368) ſich 
als Herzog Johann von Schwaben zu erfennen gegeben haben. 


Sohannes, der Evangelift, der Jünger, welchen Jeſus lieh 
hatte, bat befanntlich ein ſehr hohes Aiter, mehr als 90 Jahre 
erreiht. Als Chriftus nach feiner Auferftehung fi den Zün- 
gern am See Tiberiad offenbarte (Ev. Joh. 21, 1—24), ver 
fimbdete er dem Petrus fein Ende. Als diefer ihn hierauf be» 
fragte, was Johannes zu erwarten habe, erhielt er zur Antwort: 
So id will, daß er bleibe, bis ich komme, was gehet es Dich 


460 Johannes — Sohanniter. 


an! — woher bie Rebe unter den Apofteln ging: Diejer Jünger 
ftirbt nicht, ober (Gſtſ. 10, 165) „er wird bleiben bis zum legten 
Gericht.“ 

Johannes der Täufer, der Vorläufer Chrifti, welcher ben 
Suden Buße predigte (daher Wit. % 8: „der Prediger in 
der Wüften”) und fie aufforderte, fi taufen zu laflen, 
wurde, obwohl er für fich jelbjt Feinen weiteren Ruhm in 
Anſpruch nahm, doch fpäter in der chriſtlichen Kirche hoch 
geehrt. So legten Kaufleute aus Amalfi in Neapel im Jahre 
1048 zu SZerufalem eine Kirche an und flifteten daſelbſt ein 
Mönchäklofter, welches fie Johannes dem Täufer widmeten. Die 
Mönche wurden Sohanntter (f. d.) oder Hofpitalbrüder genannt 
und hatten die Aufgabe, Arme und Kranke zu pflegen. Da ber 
Orden nad) und nad) zu großen Beflbungen gelangte, fo nahm 
zu Anfange des 12. Sahrhundertd der Ordendmeifter Raymunb 
du Puy Beranlafjung, denfelben mit Beibehaltung der Mönch. 
regel in einen Nitterorden umzuwandeln. Durch Tapferkeit 
wußten fih die Sohanniter lange Zeit gegen die Waffen der 
Sararenen und Türken zu behaupten, bis fie 1191 aus Paläftina 
vertrieben wurden. Nachdem die hierauf Cypern erobert, ſpäter 
aber auch dieſes verloren hatten, fehten fie fich im Sabre 1309 
auf der Inſel Rhodus feit, wo ein neued Klofter mit einem 
Spital (vergl. Ged. D. Kampf mit d. Drachen) gegründet wurde, 
Vergl. Malthefer. 

Sohanniter, Die (Geb.), ein culturbiftorifches Epigramm 
aud dem Jahre 1795, welches an Sch.'s Beichäftigung mit ge- 
fchichtlichen Studien, befonderd an feine Vorrede zu einer Ge⸗ 
ſchichte des Maltheferorbens nad) Vertot, Bd. 11, ©. 301 (vergl. 
D. Kampf mit d. Drachen), erinnert. In diefer Vorrede ſpricht 
er von der innigen Rührung, die Seden ergreifen muß, wenn er 
die Ritter, nachdem fie vom blutigen Kampfe ermattet zurüd: 
gefehrt, in dem Spital als Krankenwärter erblidt. Auch bier 
handelt es fi, wie in dem Kampf mit dem Drachen, um bie 
Bereinigung von ritterliher Tapferkeit mit chriftlicher Demuth. 


Solafta — Joſua. 461 


Jokaſta, ſ. Antigone. 
jolen (R. II, 3), ſ. v. w. gellen. 


Joppe (Geb. Ritter Toggenburg), jetzt Jaffa, der ältefte 
und bis unter Herodes I. der einzige Hafenort von Paläftina in 
dem Gebiete des Stammed Dan, war der gewöhnliche Landung» 
und Abfahrtdort der Kreuzfahrer. 


Jordan (R. II, 3), der Hauptfluß Paldftinas, an ben 
Spiegelberg, ber ſich biöweilen in biblifchen Ausbrüden bewegt, 
hier ſcherzweiſe erinnert. 


Sofepp, |. Jakob. 

Joſephus. Als Kaifer Claudius im 3.44 n. Chr. Palästina 
zur römiſchen Provinz gemacht, ließ er da3 Land von Procura⸗ 
toren regieren, welche einen furchtbaren Drud auf das Boll aus- 
übten. Die anfangs im Stillen fi) entwidelnde Bährung brach 
bald in offene Empörung aus, fo daß fein Nachfolger Nero den Feld⸗ 
bern Befpaftan und feinen Sohn Titus nah Judäa jchidte, um 
die Ordnung wieder herzuftellen. Diefen traten die Juden ımter 
Flavius Joſephus (geb. 37 n. Chr.), einem aus dem Priefters 
ftande hervorgegangenen Befehlähaber, entgegen, mußten fi 
indefien nach bartnädiger Gegenwehr unterwerfen. Joſephus 
jelbft follte dem Kaifer Nero überliefert werden, wußte ſich in- 
dep Veſpaſian's Gunst zu erwerben und ging fpäter mit Titus 
nah Rom, wo er die Geſchichte des jüdiſchen Krieges in fieben 
Büchern beſchrieb. Seine furchtbare Beichreibung von der Zer⸗ 
ftörung Serufalemd, weldhe die Phantafie eined Spiegelberg be: 
raufcht haben mag, ift die Beranlafiung, daß diefer (R. I, 2) 
den wunderlihen Einfall bat, das jüdtiche Reich wiederherzu⸗ 
ftelen und daß er Karl Moor den Rath ertheilt, den Sofephus 
zu lejen. 

Joſua (Wfl. 2.8), der Vertraute Moſis, der ſich nad dem 
Tode des letzteren auf Gottes Befehl an die Spite des jüdiſchen 
Volkes ftellte, daffelbe nach Canaan führte, die heidniſchen Völker 


462 jovisliihd — Jungfrau. 


dieſes Lande überwand und bis an fein Ende das geſchätzte 
Oberhaupt Israels blieb. 


jovialiſch (K. d. H. Bd. 7, ©. 348), von dem fraf. jovial, 
fröhlich, heiter, urjprünglich aber von dem Namen ded Gottes 
Jupiter, Jovis. 

Sovialität (Sp. d. Sch. Bd. 10, ©. 112), Luftigkeit, 
Srohfinn. 

Sota, dad griechifche i, d. h. der Fleinfte Buchitabe, daher 
(%. ID, 4): „auf ein Zota” |. v. w. auf dad Genaueſte, jo daß 
nicht dad ©eringfte daran fehlt. 


Jovis, Sen. v. Zupiter 
Joviskinder 


Judas, der Jünger, welcher Jeſum verrieth; daher (Picc. 
IV, 7) ſ. v. w. Verräther, und „Judas' Lohn” (Wit. T. I, 5), 
ſ. v. w. geringe Vergeltung, ſ. auch Iſcharioth. 


Judenleber. Da die Juden im Mittelalter vielfach gehaßt 
und verfolgt wurden, ſo wird (Meb. IV, 3) Judenleber, die auf 
dem Gebiete des Aberglaubens wohl eine bedeutungsvolle Rolle 
ſpielte, von der Hexe mit in den Keſſel gethan. 


Judicium (R. II, 3), lat. Urtheilskraft. 
Sulius”Eafer, ſ. Caͤſar. 
Julus, |. Allan. 


Aungfrau (3. v. DO. Prol. 3), |. Maria. — „Und eine 
Sungfrau fiel am Deliend Altar” (2. B. d. Yen. 20), |. Iphi⸗ 
genie. — Ein 12,870 Fuß hoher Gipfel der Berner Alpen, 
weftlih vom St. Gotthardt gelegen. Er iſt der fchönfte unter 
allen Schneebergen der Schweiz und gewährt, bejonderd vom 
Lauterbrunner Thal aus gejehen, den Anblid einer gigantifchen 
weiblichen, in einen Schneemantel gehüllten Gejtalt. Daher jagt 
Melchthal (W. T. I, 4) von dem Landvogt Randenberg: 


ſ. Zeus. 


Sungfrau von Orleans, 463 


„Und wohnt er droben auf dem Cidpalaft 

Des Schredhorns oder höher, wo bie Sungfrau 
Seit Ewigkeit verfchleiert figt — ich made 

Mir Bahn zu ihm.” 


Jungfrau, Die, von Orleans. Im Frühjahr des Jahres 
1800, wo Sd. feine Maria Stuart vollendet hatte, war er 
ernftlich erfranft; dennoch fehen wir ihn, nachdem er fi in 
jeinem dichteriſchen Schaffen nur eine vierwöchentliche Pauſe 
gegönnt, bereit mit einem neuen Stoffe befchäftigt, ed war 
„dad Mädchen von Orleans“. Schon im Zuli war dad Schema 
fertig, mit dem er Goethe bei defien Rückkehr aus Jena über: 
raſchen wollte. Er fagt darüber: „Mein Stud führt mid in 
die Zeiten der Troubadours, und ih muß, um in ben rechten 
Zon zu kommen, auch mit den Minnejängern mich befannter 
machen. Es iſt an dem Plan der Tragödie noch gewaltig viel 
zu thun, aber ich habe große Freude daran und hoffe, wenn ich 
mich bei dem Schema länger verweile, in ber Ausführung al3- 
dann defto freier fortichreiten zu können.“ 

Die Beranlafiung zu dem Stüd gab ihm eine Sammlung 
von 28 Handichriften über den Proceß der Jeanne d'Arc und 
defien Widerlegung, welche De FAverdy, Mitglied der franzöft: 
fchen Academie der Snfchriften, im Auszuge bekannt gemacht hatte. 
Leider war die große Hitze des Sommers von 1800 für ben immer 
noch kränkelnden Dichter in hohem Grade beläftigend, jo daß 
Die Arbeit bei der Mühe, welche ihn Die Bewältigung bed 
Stoffed verurfachte, nur langfam fortrüden konnte. Mit dem 
September aber griff er das Stüd energifcher an; zu Anfang 
des Jahres 1801 waren bereitd drei Acte fertig und wurden am 
11. Februar nad Goethe's Genefung von einer gefährlichen 
Krankheit bei diefem gelefen. Im März trennte fih Sch. von 
feiner Familie und ging nach Sena, um dort mit größerer Ruhe 
weiter arbeiten zu Zönnen; aber körperliche Leiden wirkten ſtoͤrend 
auf bie Production ein, fo daß er felbft jagt: „id bepe und 


464 Sungfrau von Orleand. 


ängftige mi, und ed will nicht recht damit fort“. Dennoch 
brachte er zu Anfang April den vierten Act fertig nad) Weimar 
mit, wo er in vierzehn Tagen ben lebten hinzufügte. Am 
15. April, wo Goethe nad) Weimar fam, konnte er diefen mit 
dem in faum neun Monaten vollendeten Stüde eine freundfchaft: 
lihe Aufmerkſamkeit erweifen und erhielt daſſelbe am 20. mit 
ben kurzen aber herzlich anerfennenden Worten zurüd: „Nehmen 
Sie mit Dank das Stück wieder. Es ift fo brav, gut und 
ſchön, dag ich ihm nichts zu vergleichen weiß." Sekt fandte er 
ed bem Herzoge von Weimar zu, auf den ed einen außerorbent:- 
hen Eindruck machte, der aber doch ber Meimung war, ed 
würde fih zu einer Aufführung nicht eignen. Hierauf kam 
es Sch. zunähft auch nicht an; hatte er doch fein Stüd an 
Unger in Berlin gut verfauft, und war dad Einüben mit ben 
Schauſpielern und das Leiten der Proben ihm Doch bereits eine 
läftige Arbeit geworden. 

Außerdem ftellten fich abermald Törperliche Leiden ein, ein 
beftiged Katarrhfieber hielt ihn von nach außen gerichteter Thä- 
tigkeit zurüd, und ald die Krankheit überftanden war, ging er 
mit feiner Yamilie nad Dresden zu Körner, wo ihm bie er: 
fehnte Erholung zu Theil warb. Aber im Herbft jollte ihm die 
Freude werben, feine Sungfrau über die Bretter gehen zu ſehen. 
Das Leipziger Theater hatte eine Aufführung vorbereitet, welche 
in Sch.'s Gegenwart bei überfülltem Haufe ftattfand. Schon 
nad) bem erften Act wurde ihm unter Paukenwirbel und Trom- 
petenfchall ein taufendftinnniges Lebehoch gebracht, und als er 
nad Beendigung der in ben widhtigften Rollen höchft gelungenen 
Darftellung dad Haus verließ, entblößte Alles ehrerbietig das 
Haupt, um dem gefeierten Günftling der Mufen noch einmal 
feine Huldigung darzubringen. Bon Leipzig ging Sch. nad 
Weimar zurüd, wo die Jungfrau erft im April 1803 zur Auf- 
führung fam. Inzwiſchen hatte auch die Hofbühne zu Berlin 
mit der Einſtudirung bed Stückes begonnen, welches hier am 


Sungfrau von Orleand, 465 


23. November 1801° zum erften Mal gegeben wurde. Zffland 
batte alle Kraft daran gejebt, um das neue Meifterwert feines 
Sugendfreundes dem Publicum in würdiger Darftellung vorzu⸗ 
führen. Zelter jchreibt darüber an Goethe: „Wenn Schiller 
jeine Zungfrau von Orleans jept jehen will, jo muß er nad 
Berlin kommen. Die Pracht und der Aufwand unferer Dar: 
ſtellung dieſes Stüdes ift mehr als Taiferlih; der vierte Act 
deſſelben ift bier mit mehr denn achthundert Perjonen bejegt, 
und, Muſik und alle Andere mit inbegriffen, von fo eclatanter 
Wirkung, daß das Haus jebeömal in Ertafe darüber geräth.” 
Sch. konnte fich mit diefem großen Aufwand an Pracht nit 
einverftanden erklären; er fürdhtete, die Aufmerkſamkeit des Publi⸗ 
cumd würde dadurd von der Hauptfache abgelenkt, und Die 
Wirkung ded fünften Acted müfje darunter leiden. Jetzt find 
wir an dergleichen Feſtzüge bis zur Weberjättigung gewöhnt, 
und dennoch findet die Sungfrau ftet3 ein volled Haus. 

Fafſen wir die gejchichtlichen TIhatfachen in's Auge, welche 
der Jungfrau von Orleans zu Grunde liegen, jo haben wir zu- 
nähft daran zu erinnern, daß im Jahre 1328 mit Karl IV. die 
gerade Linie ber Gapetinger ausgeftorben war. Als hierauf 
Philipp VI. und mit ihm dad Haus Valois den Thron beftieg, 
machte Eduard II. von England, als Entel Philipp's IV., An- 
ſprüche auf Frankreich. Hierdurch wurden Kämpfe hervorgerufen, 
welche die beiden durch den Canal getrennten Völker länger als 
ein Sahrhundert mit einander in Berührung bradten. Das 
Kriegsglück ſchwankte Iange hin und ber; wurden die Franzoſen 
durch Eduard's Sohn, den ſchwarzen Prinzen, bei Erecy (1346) 
und Poitiers (1356) gefchlagen, fo gelang e8 Dagegen dem tapferen 
Karl V. (1364— 80), die Engländer aud dem größten Theile 
Frankreichs zu vertreiben. Ald aber fein Nachfolger Karl VI 
(1380— 1422) in Bahnfinn verfiel, brach dad Unglüd von neuem 
berein. Des Königs Bruder, Ludwig von Orleans, und Johann 
ber Unerjchrodene von Burgund ftritten fih um die Vormund⸗ 


jchaft, und bald war nit nur der Hof, fondern auch ganz. 
L. 


80 


466 Sungfrau von Orleans, 


Frankreich in eine orleaniftiihe und eine burgundiſche Partei 
gejpalten. Unter ſolchen Umftänden lag ed nahe, Daß Heinrich V. 
von England den Krieg erneuerte. Nachdem er in der. Schlacht 
bei Azincourt (f. d.) gegen ſtark überlegene Heerfchaaren gefämpft 
und einen glänzenden Sieg errungen, fehrte er zwar nach England 
zurüd, aber nur, um mit noch größerer Truppenmacht wieber- 
zukommen. Sebt erinnerte ji Johann von Burgund, der fidh 
bei Azincourt vom Kampfe zurüdgehalten, der Pflichten gegen 
fein Vaterland. Er wollte mit dem Dauphin zufammentommen, 
um den Zwijt der Parteien beizulegen, damit biefelben mit ver: 
einter Kraft dem Feinde des Landes entgegentreten könnten. Auf 
der Brüde zu Montereau (f. d.) erjchienen die beiden Fürften, 
jeder von zehn Nittern begleitet; aber kaum hatte die Unter: 
redung begonnen, jo wurde der Herzog Sohann, fei e8 mit vor: 
bedachter Abfiht, oder um den an dem Herzoge Ludwig von 
Drleand auf Beranlaffung ded Burgunder? verübten Mord zu 
rächen, von Begleitern”) des Dauphin niedergeftoßen. Nun 
war ed nicht nur mit der Verſöhnung vorbei, fondern die Span: 
nung zwifchen beiden Parteien brach jept auch in offene Feind: 
feligteit aus. Philipp ber Gute (Prol. 3 „der mächtige Bur- 
gund“), der Sohn und Nachfolger des Ermordeten, ſah ben 
Dauphin ald den Anftifter des jchändlichen Verrath8 an, und 
da der legtere zugleich feine Mutter Sjabella von Baiern (bei 
Sch. Prol. 3 „die ftolze Sfabeau, die Baierfürftin”) von dem 
Hofe verwielen hatte, fo ging er mit diejer zu dem Feinde über. 
Am 21. Mat 1420 ſchloſſen Heinrih V., Iſabella im Namen 
ihres Tranfen Gemahls und Philipp von Burgund zu Troyes 
einen Bertrag, zufolge deflen Heinrih die Tochter Karl’3 VL, 
Katharina, heirathen, anftatt des Daupbind einft den Thron. 

Frankreichs befteigen und bis bahin die Verwaltung der 


® 

2) Die Geſchichte nennt den Namen des eigentlichen Mörberd nicht, da es 
eben mehrere waren; Sc. legt ihm ben durch die Gefchichte ſpaͤter gebrandmarkten 
Namen eines Joh. Chatel, eines Schüler8 ber Sefuiten bei, weicher einen Angriff 
auf Heinrich's IV. Leben machte. 


Sungfrau von Orleans. 467 


Staatögefhäfte übernehmen follte Heinrich hielt in Paris 
einen glänzenden Einzug, der Dauphin wurde von bem Par: 
Inmente ald Mörder bezeichnet, aller Anrechte auf den Thron 
für verluftig erflärt und zur Serbamtung aus dem Reiche vers 
urtheilt. 

Bald darauf brach ber Krieg von neuem los, denn es galt, 
dem Dauphin die Provinzen zu entreißen, die er noch inne hatte; 
auch dauerte ed nicht lange, fo war faft alled Land im Norden 
ber Loire in ben Händen des Feindes. Aber am 31. Auguft 
1422 jtarb König Heinrich) V., wodurch der Dauphin von feinem 
furchtbarften Yeinde befreit wurde; und ba dm 22. October 
defielben Jahres auch Karl VI. feinem Leiden erlag, jo konnte 
er, von der orleaniftiihen Partei ausreichend unterjtügt und von 
einem großen Theile des franzöftichen Volles anerkannt, ohne 
weitered den Thron feiner Väter beiteigen. Hierzu ließen es 
die Engländer jedoch nicht kommen, denn dem verftorbenen Könige 
Heinrich war von feiner Gemahlin Katharina bereit? ein Sohn 
geboren worden. Diefer, ein Kind von neun Monaten, wurde 
unter dem Namen Heinrich VI. (bei Sch. I, 5 der „junge 
Harry Rancafter”) zum rechtmäßigen Könige von England 
und Frankreich erhoben und in der Wiege gefrönt, und feine 


Oheime, Die Herzöge von Bedford und Glocefter (1, 5) verwal:. 


teten in feinem Namen, jener (II, 1 „der Reichsverweſer“) das 
franzöfiiche, diefer das englifhe Neich, beide mit Kraft und 
Weisheit. Da Bedford fi zugleich auf eine energijche Krieg: 
führung verftand, fo trug er über Karl VIL. mehrere Siege das 
von. Ded Königs Lage wurde hierdurch immer verzweifelter; 
ja, er wäre. ohne weitere nad) der Provence entflohen, wenn 
feine Gemahlin ihn nicht daran gehindert hätte. Glüdlicherweile 
tonnte Bedford die errungenen Siege nicht jo benupen, wie er 
ed gehofft, woran fein Bruder, der Herzog von Ölocefter, ſchuld 


war. Diefer hatte nämlich durch die Entführung der Gemahlin - 


eined Vetters Philipp's bed Guten den Zorn bed lepteren auf 
fih geladen, welcher, um den feiner Familie angethanen Schimpf 
30* 


4 


468 Jungfrau von Orleand, 


zu rächen, zugleich aber auch, um bie Feſtſetzung der Engländer 
im Hennegau zu hindern, mit Glocefter in Kampf geriet. Auf 
diefe Weife konnte der Krieg nur matt fortgefegt werden. In⸗ 
beflen führte der Sraf von Salisbury (Prof. 3) 1. 3. 1428 
friihe Truppen aus England herbei und begann die Belagerung 
von Drleand, dem Schlüffel zu dem, was König Karl noch be- 
jaß. Ging dies verloren, jo mußte er fein Reich meiden. In 
Drleand commandirte Graf Dunots, ein nathrlicher Sohn (ba: 
ber Prol. 3 „ber heldenmüthige Baftard”, |. d.) bed ermordeten 
Herzogd Ludwig von Orleans, und leiftete dem Yeinde kräftigen 
Widerſtand, fo daß jelbit Saltsbury das Leben verlor; indeflen 
fchien die Stadt ſchwer zu reiten, da Karl felbjt an dem Aus- 
gange verzweifelte und alle feine Hülfsmittel erfchöpft waren. 
Nur ein Wunder konnte jept noch Rettung bringen. 

Und diefed Wunder erfchien. Seanne D’Arc, geb. den 
6. Januar 1411, die Tochter eined Landmannd in dem Dorfe 
Dom Remy bei Baucouleurs (f. d.), war in der frommen Einfalt 
einer gläubigen Seele aufgewachfen, die in jeder Noth geneigt 
ift, die Hülfe unmittelbar vom Himmel zu erwarten. Da Dom 
Remy ſich ftetd zur Partei der Orleand gehalten, jo lag es 
nabe, daß dem Mädchen dad Unglüd bed Königs zu Herzen 
ging. Bol Inbrunſt flehte fie zur Mutter Gottes um Rettung, 
und da fie neben ihrer kindlichen Frömmigkeit auch eine lebhafte 
Phantafle, verbunden mit Muth und DBegeifterung bejaß, ſo 
glaubte fie bald einen göttlichen Ruf zu vernehmen. Es er: 
ichtenen ihr die Geftalten des Erzengeld Michael, der heiligen 
Margaretha und der heiligen Katharina und forderten fte auf, 
ihr Vaterland zu retten. Zumäcdhft wollte fie ihr Vorhaben ihren 
Eltern mittheilen, da fie aber fürchtete, dieſelben würden ihr 
nit Glauben ſchenken, fo machte fie ihren Oheim mit dem 
Wunſche befannt, den König jelbft zu ſprechen. Der Obeim 
wanbte fi) (1428) an den Ritter Baudricour (Frol.3), den 
Befehlähaber von Baucouleurd, von dem fie anfangs hart zurüd: 
gewtefen, endlich aber doch unterftügt wurde. In männlicher 


Jungfrau von Orleand, 469 


Kleidung, von zwei Rittern begleitet, trat fie die Reife über Fier⸗ 
bois (I, 10) nad Chinon an, wo fie zu Ende Februar 1429 eintraf. 
Erft nad) Ueberwindung vieler Schwierigkeiten wurde fie am Hofe 
vorgelaften. Hier erklärte fie dem König, Gott habe fle gejendet; 
er möge ihr Mannfchaften zur Verfügung ftellen, dann wolle 
fie die Belagerung von Orleans aufheben, ihn jelbft zur Krönung 
nah Rheims führen und die Engländer verjagen. 

Obwohl ihre Sendung ſchon dadurch glaubwürdig erfcheinen 
mußte, daß fie den König aus jeiner glänzenden Umgebung heraus: 
. fand und daß fie ihm ein Geheimniß offenbarte, dad nur ihm 
allein befannt fein Tonnte, fo hielt man es doch für ängeıeffen, 
ihre Ausfagen näher zu prüfen. Man fandte fie nach Poitiers, 
wo ihr in einer aus Gotted: und Rechtögelehrten beftebenden 
Berfammlung auerlei verfängliche Yragen vorgelegt wurden, die 
fie aber durchaus unbefangen und verjtändig beantwortete; der _ 
Kömy entſchloß ſich daher, ihr zunächit einen Transport von 
Lebensmitteln anzuvertrauen, den er feiner bedrängten Stabt 
Orleans ſchicken wollte. Nunmehr ließ fih Johanna zu Blois 
eine weiße Fahne anfertigen, auf welcher der Heiland, einen 
Erdball in der Hand haltend, dargeftellt war. Zwei Engel Inteten 
ihm zur Seite, über deren Häuptern die Namen Jeſus und Maria 
zu lejen waren, und ein Kranz von Lilien ſchloß die Gruppe ein. 
Als Waffe gebrauchte fie ein Schwert, dad, wie die Sage be- 
richtet, an fünf Kreuzen in der Nähe des Griffes Fenntlich war 
und auf ihr Geheiß hinter dem Altar ber Kirche der heiligen 
Katharina zu Fierbois geſucht und auch wirklich gefunden wurde; 
fie brauchte ed aber nie, um Jemand damit zu tödten, jondern 
nur, um die Feinde abzuwehren. Der ihr geworderie Auftrag 
ward glüdlih vollführt. Da fie im Heere auf ftrenge Zucht und 
Sittlichkeit hielt, fo drang man überall faft ohne Widerftand 
vor. So erreichte fie Drleand, wo man fie mit Zubel empfing. 
Nachdem fie in der Kirche ihr Danfgebet verrichtet, ließ fie Die 
Engländer durch einen abgejandten Boten auffordern, fich zurück⸗ 
zuziehen. Died wurde nicht nur abgelehnt, jondern der Bote 


470. Jungfrau von Orleans. 


auch ſchmachvoll behandelt. Aber neben dem Uebermuthe hatte 
auch bereit8 die Furcht ihren Sig im englifchen Lager aufge- 
Ihlagen; man war der Anfiht, daß dad Mädchen durch Zauberei 
und ZTeufeldfünfte fliege. Bel den Yranzojen dagegen wirkte die 
göttliche Begeifterung bed einfachen aber feltenen Mädchend wie 
mit einem eleftriihen Schlage. Der glüdliche Erfolg, von dem 
“ alle ihre Anordnungen begleitet waren, ermuthigte das Heer. 
Man griff mit Kühnbeit an; ed entbrannte ein heftiger Kampf 
bei dem Thurme Led Tourelled, der die Brüde beherrſchte, und 
obwohl Johanna jelbft verwundet wurde, fo trieb fie boch zu 
neuem Angriff an. Died wirkte; dad Schloß ward erftürmt, 
und Orleand war gerettet. Am 8. Mai hoben die Engländer 
die Belagerung auf. 

Somit hatte Johanna ihr erjted Verſprechen gelöft. Ste 
verließ jept Orleans, ſchlug die unter Talbot (ſ. d.) fimpfenden 
Engländer bei Patay (18. Juni 1429) und ging nun daran, ihre 
zweite Zufage zu erfüllen, die Krönung Karl's zu Rheimd. Sie . 
erihien deöhalb abermals vor dem Könige und drang gegen den 
Rath der Feldherrn, welche zunächft bie Eroberung ber Nor: 
mandie verlangten, mit Entſchiedenheit darauf, Direct nach NRheimd 
zu ziehen. Died ſchien in der That unmöglich, denn alle auf 
diefem Wege befindlichen Plätze waren theild in den Händen der 
Engländer, theild in denen der Burgunder. Aber Sohanna Tick 
fi Durch nichts einfchüchtern; im Gegentheil, fie trieb zur Eile 
und überwand durch ihre Alles mit fich fortreißende Begeifterung 
jede Schwierigkeit. Endlih unterwarf ſich auch Rheims am 
16. Zult 1429;. gleich in der Nacht wurden bie Vorbereitungen 
zu der lang erſehnten eterlichfeit getroffen, und am 17. Juli, 
einem Sonntage, die Krömumg und Salbung vollzogen. Johanna's 
Sendung war fomit vollendet. Wie Einige behaupten, wollte fie 
jet -in ihre Heimath zurüdtehren; aber wie hätte man das 
"Mädchen, das fo mächtig auf Dad Heer gewirkt, entlafjen können. 
Sie blieb alfo, ohne Indeffen auf die Berathbung der Heerführer 
irgend welchen Einfluß auszuüben. Im Kampfe aber z0g fie 


Sungfrau von Orleans. 471 


den Truppen ſtets voran. Leider jedoch wagte ſie ſich bei einem 
Angriffe auf Paris zu weit vor, wobei fie abermals verwundet 
wurde; und auch hierdurch nody nicht vorfichtiger gemacht, febte 
fie fi) bei Compitgne, dad von den Englänbern befreit werben 
follte, den drohendſten Gefahren aus, bis fie burgundifchen 
Schügen in die Hände fiel. Diefe lieferten fie an Die Engländer 
aus, welche fie aber nicht als Kriezdgefangene behandelten, fon- 
dern ſich berechtigt bielten, gegen fie als Zauberin und Teufels» 
bannerin zu verfahren. Man ftellte fie daher vor ein getftliches 
Gericht, welches dad von König Karl gebotene Röfegeld entfchieden 
zurüd wieß, fie zu Rouen in einen feften Thurm einfperren und 
bajelbft mit ſchweren Eiſenketten belaften ließ. Der Bifchof von 
Beauvais war graufam genug, ed zu dulden, daß fie von ihren 
Richtern, wie von ihren Wächtern bie härtefte und unmwürbigfte 
Behandlung erfuhr. Schlieglih wurde alles, was fie gethan, 
für Zeufelöwert erflärt, die Strafe des Feuertodes über fie ver- 
hängt und am 30. Mai 1431 vollzogen; und um jede Verehrung 
ihrer irdifchen Meberrefte unmöglich zu machen, wurde ihre Aſche 
in die Seine geworfen. Yünfundzwanzig Jahre fpäter ließ Papft 
Calixtus III., um ihre Ehre wieder herzuftellen, das gegen fie 
geübte gerichtliche Verfahren unterluhen. Es wurde als rechts⸗ 
widrig befunden, und die Erflärung ihrer Unfchuld öffentlich 
befannt gemacht. Außerdem wurde auf dem Plabe, wo ſie ver; 
brannt. worden, eine feierliche Proceffion gehalten und fpäter ein 
Denkmal errichtet; dad ſchönſte Denkmal aber hat ihr Schiller 
durch jein Drama in den Herzen aller Derjenigen gejegt, welche 
fih jo viel kindliche Unbefangenheit des Sinnes erhalten haben, 
als nöthig ift, um die Triebfedern ded Handelns einer Johanna 
begreifen und die Schönheit der ihr gewidmeten Dichtung wür⸗ 
digen zu können. 

Indem wir und nunmehr diejer Dichtung felbjt zuwenden, 
bemerken wir zunädjt, daß fie in mandyer Beziehung von Sch.’8 
übrigen Dramen abweidt. Wenn die Kunft ihrem innerften 
Wejen nach nicht? Anderes tft, als die Darftellung eines geiftigen 


u 


472 Sungfrau von Orleans. 


Gehalts in finnlich‘ fchöner Form, jo mußte es unjerm Dichter 
bald Har werden, daß, wie jeder Stoff, fo beſonders der vor: 
liegende, feine eigenthümliche Behandlung verlangt. Die Form 
fand er bier in der gefchichtlihen Grundlage, in dem Kampfe 
zweier Völker, dem er durch Aufnahme weit auseinander Tiegen ' 
ber hiſtoriſcher Momente,‘ daher in einem mannigfachen Wechſel 
von Ort und Zeit, eine verhältnigmäßig breite Bafis geben 
mußte"). Den geiftigen Gehalt aber fand er vor Allem in der 
Heldin ſeines Stückes, in beren naturgemäßer Charakterent: 
widelung die dem Drama nothwendige innere Einheit zur Ans 
ſchauung zu bringen war. 

SH. hat dem Titel feined Stückes den Zuſatz „Eine roman: 
tiſche Tragödie” beigefügt. Wenn der Ausdrud „romantifch“ 
zunächſt an die Umgeftaltung erinnert, weldhe das römifche, im 
weiteren Sinne das klaſſiſche Alterthum bei feiner Auflöfung in 
die chriſtlich⸗germaniſche Anſchauungsweiſe erfahren hat, fo hat 
er auf dem Gebiete der Kunft noch feine bejondere Bedeutung 
für das Verhältnig, in welchem Inhalt und Form zu einander 
ftehen. Sehen wir in den Werken der Alten die Form dem 
Inhalte jederzeit vollkommen entiprechen, jo bat dagegen ver 
chriftlich-germaniſche Geift e8 begriffen, daß die Form das End- 
liche, ber geiftige Gehalt aber das Unendliche ift, der letztere 
daher über die Schranfen hinausgehen darf, welche die Natur 
des zu behandelnden Stoffes ihm anlegt. „Weberichreitet alfo 
der Inhalt feine Yorm, fo wird die Kunft (nach Hegel’ Aus: 
drud) zur romantifchen, die Schönheit zur Erhabenbeit geſtei⸗ 
gert.“ Und das tft Sch. in der Geftalt feiner Jungfrau in 
emitnentem Maße gelungen. Ste ift eine jo hervorragende Per: 
fönlichkeit, daß der ganze Gang der Handlung des Stücks durch 
den in ihrer Seele vorgehenden Entwidelungsprozeß bedingt ift. 


*) In einem Briefe an Goethe (26. Juli 1800) Flagt er, daß dad Material 
„feh nicht, wie er wünfche, in wenig große Mafien fügen wolle, und daß cr e8 
in Abficht auf Zeit und Ort in zu viele Theile zerftüdeln müſſe.“ 


Jungfrau von Drleand. : 473 


Shr gegenüber erjcheinen die anderen Geftalten in der Unver— 
änderlichfeit ihre Charakterd fo entichieden ald Nebenperjonen, 
daß der Ausleger ded Dramas nichtd Beſſeres thun kann, als 
unter Berüdfichtigung der ſich allmälig umgeftaltenven Seelen: 
ftimmung ber Heldin dem Verlaufe der Handlung treu zu- 
folgen. 

Der Prolog. Wie Sch. feinem Wallenftein das Lager 
vorausgeſchickt, um und in die Welt des dreißigjährigen Krieges 
einzuführen, jo verjegt er und hier nad) dem ruhigen Dorfe Dom 
Remy, von welchem aus wir mit den einfachen und friedlichen 
Landleuten einen Blid auf bie Triegerifch bewegte Welt thun, 
deren leidenjchaftlich erregte Streben fie mit banger Beforgniß 
erfüllt. Bater Thibaut beeilt ſich deshalb, feine herangemadh-. 
jenen Töchter mit Männern zu verlorgen; aber jein füngftes 
Kind, die etwa achtzehnjährige Johanna, weift den ihr gewor: 
denen Antrag zurüd. Sie ift ein Weſen eigenthümlicher Art, 
das jelbit ihrem Freier Raimond mehr Verehrung ald Liebe ab: 
“ nöthigt; fie ſcheint ihm etwas Höheres zu bedeuten, fcheint einer 
fernen Borzeit zu entjtammen. 

Und was ift e8, dad ihre Seele beihäftigt? Es ift Frank. 
reichs 2008 und ihre innere Welt. Bon liebendwürdiger An- 
hänglichkeit an ihren König erfüllt, in welchem fie den fichtbaren 
Repräjentanten ded Staated verehrt, iſt ihr kindlich frommer 
Sinn ganz von dem Gedanken eingenommen, wie ihm wohl zu 
beifen fe. Da gedenkt fie, die einfache Hirtin, der Wunder: 
thaten jener Hirtenvölfer, von denen ihr das Alte Zeftament 
berichtet. In brünftigem Gebet für ihren Föniglichen Herrn vor 
dem Altare knieend, ſchauen die Geftalten jener fernen Zeiten 
von dem Gewölbe der Kirche auf fie hernieder, der Kirche ihres 
Dorf, bei dem „ein uralt Muttergottedbild fich findet, zu dem 
ber frommen Pilgerfahrten viel geſchahen“. So thut ihre 
ahnungsvolle Seele einen Blid in eine andere Welt, die Glorie 
des Himmels fteigt zu ihr nieder. Der Wunſch bed Herzens, 
bem König Hülfe und ihrem Baterlande Rettung zu bringen, 





474 Jungfrau von Orleans. 


fteigert fih zu dem Glauben, welcher im Stande ift, Berge zu 
verjeben, der Ruf ded höchfterr Gottes ergeht an ihre Seele. 

Aber fie hat einen Vater, welcher feltfam mit ihr contraftirt. 
Er ift ein biederer, männlicher Charakter von fchlichter Froͤm⸗ 
migfeit und für dad Wohl feiner Kinder beforgt; fein Patriotis- 
mus geht indeflen nicht jo weit, daß er geneigt wäre, feinem 
Könige ein perfünliche Opfer zu bringen. Er will die Ent: 
fheidung der Schlachten abwarten und den Audgang ala den 
Willen Gotted anerkennen. Dabei ift er ein grübelnded und 
melancholiſches Kind feiner Zeit, welche die Capellen neben die 
alten Druidenbäume zu feßen pflegte und dadurch dem dhrift: 
lihen Myſticismus die Unterlage des heidniſchen Aberglaubens 
gab. Ihm ſteht die Welt unter der Macht dämonijher Ge 
walten, und wo ihm ejne außerordentliche Erfcheinung entgegen 
tritt, ift er weit mehr geneigt, an den Einfluß böfer, als an 
dad Wirken und Walten guter Geiſter zu glauben. Wir dürfen 
und daher nicht wundern, wenn er felbft Geipenfter fieht, die 
aus dem Nebel ihn ihre dürre Hand entgegen ftreden, wenn er 
Träume und ängftlihe Gefichte bat, und feine Tochter warnt, 
‚ bei Nacht den Kreuzweg zu betreten, nad Wurzeln zu graben 
und Zeichen in den Sand zu ſchreiben. Vielleicht macht er ihr 
hiermit einen vollftändig ungerechten Vorwurf; hat er doch jelbft 
durch feine Erziehung Dazu beigetragen, daß ed auch ihr in ben 
Zweigen der heiligen Eiche geraufht und mande heidniſche 
Erinnerung in ihre. hriftlichen Anfchauungen ſich gemiſcht hat, 
fo daß fie anfangs fich felber ein Geheimnig und threr ganzen 
Umgebung ein Räthſel tft. Aber die Liebe zu feiner Tochter ift 
doch mächtiger ald fein Zürnen, und wenn er ihre Berichloffen: 
heit auch für eine fchwere Srrung der Natur Hält und kein 
Organ für die hohen Dffenbanungen hat, die ihr zu Theil ge: 
worden, fo tft die ängſtliche Beſorgniß, mit der er fie vor böjen 
Geiftern warnt, doch immer der Ausdruck eined warmfühlenden 
Baterherzend. 


Sungfrau von Orleans. 475 


Bi jebt hat Johanna zu allen Vorwürfen gefchiwiegen; 
aber ald Bertrand mit tem abenteuerlich erftandenen Helm er: 
fcheint, wird fie Triegerifch erregt und bebedt ihr Haupt mit dem⸗ 
jelben, jo daB Raimond den betroffenen Bater an ihren Muth 
erinnern muß, ben fie ald Htrtin ſchon bewieſen. Aufmerkſam 
hört fie der Erzählung Bertrand’3 zu. Die Schilderung, welche 
er von ben zufammenftrömenden Kriegerjchanren entwirft und 
welche lebhaft an die große Heerfchau (31.2) erinnert; der Be: 
richt von dem neuen Kriegedunglüd in zwei großen Schlachten, 
mit denen die Einnahme von Harfleur und der Tag von Azincourt 
(1415) gemeint find; die Belagerung von Orleans und das 
Schidjal des dem Untergange geweihten Vaterlandes, ald deffen 
legter Rettungdanfer der dem König zu Hülfe eilende Nitter 
Baudricour erfcheint — das Alles wirkt mächtig auf Johanna 
ein, fie erfennt, daß die Stunde zum Handeln geſchlagen hat. 
Was laͤngſt in ihrer Bruft gefchlummert, bridt nun in beget: 
iterten, prophetiſchen Worten hervor; fie kündigt fich felbit als 
die Retterin des Vaterlandes an. 

„Allein zurückgeblieben, nimmt fie nun Abſchied von ihren 
Bergen. &8 tft ein rührender Monolog, deſſen Iyrifher Schwung 
in dem Momente, wo die weicheren Empfindungen bernorbrechen, 
in dem gefangreichen Berdmaß der adhtzeiligen Stanze zum Aus: 
druck gelangt. Der Glaube an ihre göttliche Sendung; das Ber: 
trauen zu dem Gelingen derjelben, wenn fie bie irdiſch-menſch⸗ 
lichen Neigungen des Herzens ihrem Ideale zum Opfer bringe; 
ber Muth, weichen ihr ber vom Himmel gejanbte Helm ein 
flöht — das find die erhabenen Empfindungen, welche ihre 
Seele durchziehen; ſie fühlt ſich ein Werkzeug in.der Hand des 
Höchſten. 

Der erfte Aufzug, welcher dem Herkommen gemäß bie 
Erpofitton des Stüdes zu liefern hat, macht und mit den vor: 
liegenden Berhältniffen bekannt, indem er und auf den Grund 
und Boden verſetzt, auf welchem die Helden des Dramas vor 


476 Sungfrau von Orleans. 


unfern Augen handeln werben. Der nörbliche Theil Frankreichs 
befindet ftch in den Händen der Engländer, ber öflliche tft dem 
Herzog Philipp von Burgund unterworfen, und König Karl VII. 
tft nahe daran, auf die Länder im Süden ver Loire beichränft 


- zu werden. Wir lernen diefen König Tennen durch Dunois' 


Schilderung und aus feinen eigenen Reden. Er ift eine roman: 
tifehe Natur, den jchönen Künften zugewendet, ein Freund der 
Salanterie und der Viebe, die ihn aber leider fo in Anſpruch 
nimmt, daß er feine Löniglichen Pflichten darüber verjäumt, 
Zwar fehlt ed ihm nicht an perjönlihdem Muth, denn er bat 
fih zum Zweikampf mit dem Herzog von Burgund erboten, um 
demjelben für die Kinterliftige Ermordung feined Vaters Ge- 
nugthuung zu geben; aber andererfeitd hat-er ein zu fanftes 
und liebevolled Herz, ald daß er von feinen Unterthanen ver: 
langen follte, ihr Leben für ihn in die Schanze zu jchlagen, er 
ift daher unfähig, den Krieg mit Nachdruck zu führen. Außer: 
dem aber ift er unglüdiih. Die Erinnerung an feinen wahn: 
finntgen Bater, das treuloſe Verhalten feiner unnatürlichen 
Mutter, ber Abfall jeiner Völker und feiner beften Sreunbe, Das 
alles hat ihn muthlos gemacht; und ohnmächtig, jelbft etwas 
Entſcheidendes zu thun, beruhigt er fi bei dem Glauben an 
die Prophezeihung einer Nonne, daß ihm ein Weib zum Stege 
verhelfen werde. Was hilft einem ſolchen Könige gegenüber der 
Muth des tapferen und friegerifhen Dunois, ja, was bilft 
jelbft deſſen Erbitterung? 

Aber die Noth ded Königs fol und zu unmittelbarer An: 
ihauung gebracht werden. Die Rathöherren von Otleand er- 
iheinen und bitten um Hülfe für ihre bedrängte Stadt; doch 
Karl ift felber hülflos und kann ihnen feine Unterftüßung ge- 
währen. Da kommt Agnes Sorel, die und ungeachtet ihrer 
zweifelhaften Stellung doch interefiant und liebendwerth er: 
Tcheint, denn, der engen Sphäre ihrer Weiblichkeit in feiner 
Weiſe entrüdt, ift fie nur dem einen Gefühl bingegeben, aus 
Liebe zu ihrem fürftlichen Gebieter alles zu opfern, um ihm 


Jungfrau von Orleans. 477 


Rettung zu bringen und ihn mit neuem Muthe zu erfüllen. 
Aber auch diefer lebte Hoffnungsftrahl ſoll erbleihen, denn La 
Hire bringt die Botichaft, daß der Herzog von Burgund nichts 
von Berjöhnung wiflen wolle, daß das Parlament den recht: 
mäßigen Nachfolger Karl's VI. des Thrones für verluftig erklärt 
und den Knaben Harry Lancaſter zum König gefrönt babe. 
Nunmehr verzweifelt Karl an ſich felbit und will die ‚Stadt 
Orleans ihres Eides entlafien. Da verläßt ihn auch Dunois, 
um wenigſtens feine eigene Ehre zu retten, follte er auch unter 
den Mauern feiner Baterftadt begraben werden. Sebt bleibt 
dem König nur nod Du Chatel, der fich bereit erflärt, fich 
felbft für ihn zu opfern, indem er fich der Rache ded Burgunderd 
außdliefern wolle, doch Karl lehnt diejes Opfer ab. Eben im 
Begriff, dad legte Gebiet, dad er im Norden der Loire noch 
befigt, dem Feind zu überlafien, kommt eine Siegesnachricht. 
Als Raoul die Einzelheiten mitgetheilt, erjcheint die Jungfrau 
jelbft, nicht wie die gefchichtliche, um Hülfe zu veriprechen, fon: 
dern als eine, die bereitö geholfen hat. Durch die kindliche 
Unbefangenheit, mit der fie ihre Rede beginnt, wie durch bie 
würdevolle Hoheit, mit der fie ſie vollendet, bekundet fie fich als 
eine Gottgeſandte; die Kirche nimmt daher (wiederum von ber 
Geſchichte abweichend) feinen Anftand, ihr durch Die Hand des 
Biſchofs den Segen zu ertheilen*). Aber an die bereitd geübte 
Wohlthat jollen ſich noch neue und größere anjchließen; fte ver: 
Ipricht, Orleans zu retten und ihren Herm zur Krönung nad 
Rheimd zu führen. Dies erfüllt den König und ſeine ganze 
Umgebung mit neuem Muth. Mit der Zungfrau an der Spipe 
des Heered erſcheint jegt jeder Erfolg gefichert; ift doch Johanna 
felbft voll erhabener Siegeögewißheit, fo daß fie den engliichen 

*) Ton eigenthümlihem Snterefie ift eine BVergleihung Liefer Scene mit 
Shakefpeares Heinrich VI. Erſter Theil, Act I, Sc.2, eine Darftellung, die auf 
Schiller's Behandlung dieſes Geſprächs unverkennbar eingewirkt; aber wie ge⸗ 
waltig ſticht Shufejpeare'8 derb realiftiiche Bucelle von beim erhabenen — der 
Schiller ſchen Jungfrau ab! 





478, Zungfrau von Orleans, 


Herold in's feindliche Lager zurüdendet, um ihr Nahen zu ver: 
fünden und zugleich den Ausgang ded Kriege zu prophezeihen. 
Der zweite Aufzug madt und genauer mit der Situation 
bekannt, welche die einzelnen Helden ded Dramas zu den beftim: 
menden Elementen der Handlung einnehmen. Die Sungfrau hat 
den erjten Theil ihres Verſprechens erfüllt, Orleans ift entjegt, 
wir lernen nunmehr die hervorragenden Perjönlichkeiten im 
englifhen Lager kennen. Die Hauptrolle fpielt der eiferne, 
unbeugjame Talbot, deſſen energifche Natur ſich in einer ge: 
waltigen Kraft ded Ausdrucks offenbart. Er ift der Repräjen- 
tant des Unglaubend in einer Zeit, wo die Welt ausſchließlich 
unter der Herrichaft des Glaubend und des Aberglaubens ſtand, 
und fomit dem Shakeſpeare'ſchen Talbot gegenüber, der an die 
Einwirkungen dämoniſcher Drächte glaubt, eine ideale Geftalt, 
die allerdings aus ihrem Zeitalter heraustritt. Zornig über die 
abergläubifche Furcht ſeines Heered, vermag er die Sungfrau 
weder ald eine Öottgejendete, noch ald eine Zauberin zu be= 
trachten; ihm iſt fle nichts anderes als eine gemeine Gauflerin, 
und von einer foldhen betrogen zu fein, das empört ihn eben fo 
wie den edlen und tapferen Lionel, der ihm zur Seite fteht. 
Auch diejer will nur mit guten Waffen fiegen, denn die Ehre 
feine Baterlanded liegt ihm am Herzen; daher gefällt ihm 
freted, fjelbftändiged Handeln beffer als jeded Bündniß, und 
ſchnell entichlofien, denkt er, ohne zu ahnen, was feinem Herzen 
bevoritebt, die Jungfrau lebendig zu fangen und fie auf feinen 
Armen in's englifche Lager berüberzutragen. Der dritte Yeld- 
herr auf diejer Seite ift Philipp der Gute, der Herzog von 
Burgund. Um feines Vaters blutigen Mord zu räden, hat 
er die Fahnen feines Königs verlaffen, den Engländern ben 
Weg in’d Land gebahnt und den Namen eined Berrätherd auf 
fih geladen. So finden fich zwei ftreitende Elemente in feinem 
Innern, die fromme Sohnespflicht, die feine Waffen beiligt, und 
ber Ruf des Vaterlandes, das feinen Arm begehrt. Diefen 
inneren Zwift audzugleichen, da8 bleibt der Zungfrau-vorbebalten; 


Zungfrau von Orleans, 479 


aber zunächtt ift ed noch ein Außerer Zwift, die Uneintgfeit zwi⸗ 
fhen ihm und den englijchen Heerführern, der einer Beilegung 
bedarf. Hierzu erbietet fih Iſabeau, die ed gleichfalld mit den 
Feinden Frankreichs Hält, weil ihr Sohn, der Dauphin, fich zum 
Richter ihrer Sitten aufgeworfen und fie vom Hofe verbannt 
bat. Und allerdings hat ihr fittlicher Charakter einen jo gefähr: 
fihen Schiffbruch erlitten, daß Seder, der noch einige Scham: 
gefühl im Bufen trägt, vor ihr erfchreden muß. Iſt fie doch 
ſchamlos gemig, den zur Berathung vereinigten Feldherrn gegen: 
über offen zu befennen, daß fie Leidenſchaften und heißes Blut 
babe, daß fie um eined wahnfinnigen Gatten willen der Freude 
nicht habe abfterben wollen; ja, ihre innere Entartung fteigert 
fih bi8 zur Yrechheit des Auswurfs ihres Geſchlechts, indem fie 
dem jugendlich-ſchönen Lionel ohne alle Scheu die Gluth ihres 
finnlihen Begehrend zu erkennen giebt, ungeachtet derfelbe fie 
erft vor wenigen Augenbliden als eine Yurie bezeichnet hat. 
Und dieje Iſabeau, welcher der niedrigfte Haß die Waffen in 
die Hände giebt; fte wagt ed, der Zungfrau gleich, den Panzer 
anzulegen und erbietet fich, dem englijchen Heere eine Anführerin 
zu fein, während fie in Wahrheit nicht anderes ift als eine 
widerwärtige Parodie jener hehren Geftalt, von dem Dichter 
abjichtliy in abjchredenden Zügen gezeichnet, um den Glanz der 
Heldin jeined Stüded in um jo reinerem Lichte ftrablen zu 
laſſen. 

Daß die Feldherren den Worten einer ſolchen Yriebenzitif: 
terin feine weitere Bedeutung beilegen können, liegt auf ber 
Hand; fie fordern ſie daher einfach auf, ſich zurüdzuziehen, und 
treten zu neuer Berathung zujammen. Nicht ohne Widerftreben 
willigt der Herzog von Burgund in Lionel’d und Talbot's Plan, 
den Franzojen noch einmal eine Schlacht anzubieten; aber Die 
Sungfrau kommt ihnen zuvor. Ehe fie es vermuthen, erjcheint 
- fie im englifhen Xager, wo fie Berwirrung und Entjeßen an- 
richtet. Während das Lager in Flammen aufgeht, wüthet der 
mörderiſche Kampf außerhalb defielben, und bald erbliden wir 


480 Jungfrau von Orleand. 


Johanna ſelbſt in der vielbeſprothenen Scene mit Montgomery, 
in defjen unmännlichem Zagen die Furcht ded ganzen Heeres 
der Engländer repräjentirt erſcheint. Wenn mehrere Kritiker, 
wie Schlegel und Hegel, dieſe Scene ihred epiichen Charakters 
wegen getadelt haben, jo müſſen wir Daran erinnern, daß fich 
- Sc. befien wohl bewußt war (ſ. Homer). Und ferner, was ben 
Gebrauch des antiken Jambus betrifft, warum hätte er in einer 
Tragödie, die fich nicht in allen Scenen im fünffüßigen Sambus 
bewegt, nicht auch einmal den mehr gedehnten, feierlicher einher: 
ſchreitenden Trimeter wählen jollen; mußte doch die Jungfrau, bie 
bier im Gegenſatz zu der hiſtoriſchen als eine kaͤmpfende, blutver: 
gießende erjcheint, diefe bejondere Art ihres Auftretens in ent: 
ſprechender Weile motiviren. Iſt fie einmal dem ftrengen Geifter- 
reich, dem unverleglichen, verpflichtet, jo braucht fie ſich aud in 
threr Ausdrucksweiſe nicht durchweg an die Formen zu binden, in 
welchen fich Die Rede der übrigen handelnden Berfonen bewegt, die 
eine ſolche Verpflihtung nicht kennen. Aehnliche Scenen finden 
fich in Homer (31.6, 37; 11,221; 21, 64); beſonders Dürfte an Die 
legtere zu erinnern fein, wo fi der Sohn des Priamus vor 
Achilles niederwirft und diefen um fein Xeben bittet, während 
Achilles feinen eigenen Tod vorausfieht und denfelben ald Beweg⸗ 
grund für feine Unerbittlichfeit anführt. In gleicher Weile be: 
zeichnet fich hier die Sungfrau ald ein Gejpenft des Schredend, 
daB dazu beftimmt fei, den Tod zu verbreiten, um fchließlich fein 
Opfer zu fein. Berleugnet fie nun auch in diefem blutigen 
Geſchäft ihre zartere weiblihe Natur, jo tft doch andererfeits 
nicht zu verfennen, daß durch die Ruhe und Bejonnenheit, mit 
welcher fie den Montgomery ermahnt, ſich in dad Unvermeidliche 
zu fügen, dad Abftoßende ihrer That glücklich gemildert wird. 
Sa, ungeachtet fie nicht davor zurückſchreckt, ihren kriegeriſchen 
Beruf auf's ftrengfte zu erfüllen, empfinden wir bald mit ihr, 
daß fie deshalb nicht aufgehört hat, Weib zu fein; benn neben 
dem blanfen Schwerte, das die heiligſten Bande zertrennt, ift 
auh dad Wort auf ihrer Zunge eine wirffame Waffe, um 


Sungfrau von Orleans, 481 


flarrfinnige Gemüther zu befiegen und bereit3 gelöfte Bande 
auf’8 neue zu verknüpfen. Als Burgund beranftärnt, ihr Leben 
zu bedrohen, und Dunoid und La Hire herbeieilen, ihr Haupt 
zu [hüßen, da hemmt fie den Kampf der eblen Söhne ihres 
Baterlandes, mahnt den Herzog an bie Pflichten gegen feine 
Stammedgensfin und wird im Gegenfab zur haßerfüllten 
Iſabeau eine Friedenzftifterin, deren kindlich frommer Sinn im 
Stande ift, einen zürnenden Helden zu überwinden. Wie tief 
empfunden und wie bewunderungswürdig dieſe Scene audgeführt 
tft, bemerkt man erft, wenn man fie mit Shakeſpeare's Heinrich VL 
Erfter Theil, Act III, Scene 3 vergleicht, wo Alengon’8 Worte: 
„Pucelle hat ihre Rolle brav gefpielt“ faft wie bittere Ironie 
klingen. 

Wenn es die Aufgabe des dritten Aufzuges iſt, uns 
den Conflict der einander feindlichen Gewalten vorzuführen, To 
genügt der Dichter diefer Forderung hier, indem er feine Heldin 
in Colliſion mit ſich jelbft Tommen läßt. Ihre Irdiich: menfch- 
liche Natur und die hoben Pflichten ihred idealen Berufes, das 
find die Mächte, die in ihrer Seele miteinander ringen und ben 
bedenklichen Knoten ſchürzen, auf beflen Löfung wir geſpannt 
werden jollen. 

Wir befinden und in dem Hoflager ded Königd zu Chalons, 
wo bie Feldherren Dunois und La Hire mit einem Geſpräch 
beginnen, das und von vorn herein bedenklich machen muß. 
Beide lieben die Zungfrau, diefelbe, an welche der ihnen wohl- 
befannte Ruf ergangen iſt: 

— — — — — „Eine reine Jungfrau 
Vollbringt jedwedes Herrliche auf Erben, 
Wenn fie ber irdſchen Liebe wiberfteht." 
Seht ſoll diefe Liebe in ihrem Herzen erwedt werben; wird fie, 
die einen Raimond ausgeſchlagen, ſich durch die Bewerbungen 
fo bochgeftellter Männer nicht gejchmeichelt fühlen, um jo mehr, 
als man ihr die Entſcheidung zu überlaffen gedenkt? 
I. 81 


482 Sungfrau von Orleans. 


Doch noch ehe fle erfährt, daß zwei edle Feldherren um fie 
Ttreiten, fol fie da8 am Schluß des vorigen Actes jo ſchön be- 
gonnene Werk vollenden, zwei fürjtliche Häupter mit einander 
zu vereinigen. Die gejchichtliche Thatjache der Verbindung des 
Herzogs von Burgund mit feinem Töniglihen Herrn, die erft 
nach dem Tode der Zungfrau ftattfand *), wird hier von dem 
Dichter zu einer ſchönen BVBerfühnungsfcene benutzt, Die, wie 
Palleske richtig bemerkt, „aus dem tiefiten Zeitbebürfnifie ber: 
audgefchrieben war.” Sc. hielt damit den deutjchen Yürften 
einen Spiegel vor, er zeigte ihnen, was ſie für Deutfchlanda 
Wohl zu thun hatten. Die jchönen Worte ded Erzbiſchofs: 

„Mein Meifter rufe, wann er will; dies Herz 

Sft frendenſatt und ich kann fröhlich ſcheiden, 

Da meine Augen biefen Tag geſehn!“ 
welche an den Audruf ded alten Stmeon (Luc. 2, 29) erinnern; 
deögleichen die begetjterte Prophezeihung: 

„Shr feid vereinigt, Fürſten! Frankreich fteigt, 

Ein neu verjüngter Phönix, aus der Aſche; 

Uns lächelt eine ſchöne Zukunft an.” 
fie waren eine Mahnung, dem franzöflichen Ufurpator gegenüber 
dafjelbe zu thun, was hier Frankreichs Fürften dem englifchen 
Unterdbrüder gegenüber thaten, eine Mahnung, die aber leider 
weniger an die Herzen der Fürſten ald an die der Völker drang, 
welche erſt nach mehr als einem Decennium fich gewaltig erhoben, 
am fih von einem unwürdigen Joche zu befreien. 

Den verjöhnten Fürften gegenüber erjcheint mın Sohanna 
als Friedendengel mit einem Kranze gejhmüdt, um ihrem Werk 
bie Krone aufzufepen, indem fie auh Du Chatel mit Burgund 
ausjöhnt. Gleichzeitig fpricht fie zwei bebeutungsvolle Prophe- 
zeihfungen aus, die dem mit Frankreichs Geſchichte Vertrauten 
leicht verftändlich find. Karl's VII. Sohn, Ludwig XI., vereinigte 
Burgund mit der Krone, und ald defien Nachfolger, Karl VIIL, 
fih mit der Erbin von Bretagne vermählte, fiel ihr auch das 


*) Im Grieben zu Arras 1435. 


Sungfrau von Orleans. 483 


legte große Lehen zu, jo daß gegen Ende des funfzehnten Jahr: 
hundert3 ganz Frankreich zu einem Reiche vereinigt war. Weniger 
günftig lautet die Prophezeihung, die dem Herzog von Burgund 
zu Theil wird. Die „Hand von oben, bie feinem Wachſthum 
fchleunig Halt gebietet“ deutet auf den Tod jeined Sohnes, 
Karl's des Kühnen, welher 1477 in der Schladht bei Nancy 
gegen die von ihm befämpften Schweizer fiel; und „Die ung: 
frau, in welcher fen Haus glänzend fortlebt”, tft Karl’d des 
Kühnen Tochter Maria, welche fich mit Maximilian von Oeſtreich 
vermählte. Beider Sohn, Philipp der Schöne, heirathete Jo⸗ 
hanna, die Tochter Yerdinand’8 und Sfabella’3 von Caſtilien, 
aus welder Ehe Kaijer Karl V. entiproß, in deſſen Reich die 
Sonne nicht unterging. Johanna verkündet fomit das Fort- 
blühen der burgundiihen Dynaftie in dem Haufe Haböburg und 
die Herrichaft des legteren über die Länder jenjeitd des atlanti: 
ſchen Dceans, 

Diefen hohen Offenbarungen gegenüber tft nunmehr das 
Herz des Könige von inniger Dankbarkeit bewegt; er zieht jein 
Schwert und erhebt Johanna in den Adelſtand“). Wenig ver: 
traut mit der vollen Bedeutung dieſes Acted, nimmt fie das 
Geſchenk der Standederhöhung ruhig entgegen; ala jedoch Dunois 
und 2a Hire mit ihrer Bewerbung hervortreten, weift fie dieſe 
Anträge entjchieden zurüd. Indeſſen thut fie ed mit einer ge- 
wiffen Heftigfeit, die ihren inneren Kampf verräth; man fieht, 
fie ift erzürnt, dab es ihr nicht bat gelingen wollen, die Ans 
weſenden von der Göttlichfeit ihrer Sendung zu überzeugen. 
Außerdem ift ihr Charakter nicht frei von Ueberhebung. Schon 
dem Montgomery gegenüber bat te fich mit jenen „törperlojen 
Geiftern, die nicht frein“ verglichen, und auch jetzt tft fie un: 
willig, daß man in ihr nichts als ein Weib erblidt. Mit Recht 


2) Es geihah im December 1429. Sie erhielt ben Namen Dalis, morauß 
fpäter Dulis und Du Lys geworken iſt. Ihr Wappen beftand in einem zwifchen 
awei Lilien emporgerichteten Schwerte, das auf feiner Spige eine Krone trug. 

81 * 


484 Zungfrau von Orleans. 


fangen wir daher an, für fie zu fürchten; denn, „wenn der Geift, 
deffen gebeiligted Gefäß fie tft, nur einen Augenblid von ihr 
weicht, dann wird auch dad Weib erwacdhen und die beleibigte 
Natur furchtbar an ihr rächen” *). Auch fie jelbft fürchtet für 
fih und ihre Sendung, denn noch bat fie ihr Werk nicht ganz 
vollendet; fie ſehnt fich daher nach dem Getöſe ded Kampfes, 
nad Erfüllung ihre Schidfals. 

Ihr Wunſch wird ihr erfüllt, der Feind bat fich geſammelt, 
bei Patay find neue Lorbeeren zu erwerben. Talbot (j.d.) wirb 
verwundet und ftirbt, wie er gelebt, als Atheift, von dem nichts 
weiter übrig bleibt ald eine Hand voll leichten Staubs. Die 
Franzoſen dringen flegreidy vor, aber die Jungfrau fehlt. Wo 
ift fie? Wir finden fie in einer vom Schladhtfelde abgelegenen 
Gegend, ein Feind bat durch verftellte Flucht fie liſtig bis hier 
her gelodt. Wer ift diejer Yeind? Aus dem Prolog ballen die 
warnenden Worte des alten Thibaut herüber: 


„Bleib nicht allein, denn in der Wüſte trat 
Der Satandengel felbft zum Herrn bed Himmels.” 


Sept ift ſie allein, die treuen Freunde ftehn ihr nicht zur Seite, 
und fiehe da, der Verfucher naht fih ihr. Und warum follte 
er nicht die Geftalt eines Ritterd annehmen, betrachtet fie fidh 
doch jelbft als eine unüberwindliche SKeriegerin; unb warum 
nicht die eined Schwarzen Ritterß, fchien doch in dem National: 
feinde die Schredigeftalt bes Schwarzen Prinzen immer noch 
wie ein böjer Dämon im Hintergrunde zu lauern und tn jedem 
einzelnen Feinde fi) auf’3 neue zu verkörpern. Wenn A. W. 
Schlegel die Erſcheinung des fchwarzen Ritters tabelt und Sch.’3 
Abficht dabei eine zweideutige nennt, jo überftebt er, daß bie 
Sungfrau gleich zu Anfang deutlich genug fagt: 
-_- vatr ich 


Den kriegeriſchen Talbot in der Schlacht 
Nicht fallen ſehn, fo ſagt' ich, bu wärft Talbot.“ 


*) Joſ. Bayer. 


Sungfrau von Orleans, 485 


Sie Tann ihn alfo unmöglich für Talbot, oder auch nur für 
defien Geift halten, um jo mehr, ald fie nad dem Ber- 
fhwinden der Ericheinung, von ihrer Verwirrung befreit, eben 
ſo deutlich jagt: 

Es war nichts Lebendes. Ein trüglich Bild 

Der Hölle war's, ein widerfpenſt'ger Geiſt, 

Heraufgeſtiegen aus dem Feuerpfuhl, 

Mein edles Herz tm Buſen zu erſchüttern.“ 
Die Stelle aus Sch.'s außderlefenen Briefen von H. Döring, 
deren G. Schwab erwähnt, und zufolge welcher Sc. jelbft be 
hauptet haben foll, daß er unter dem fchwarzen Ritter nichts 
Anderes ald Talbot's Geift gemeint habe, erflärt Palleske, eben 
fo wie die gleichlautenden Mittheilungen Böttiger’3, für unter: 
gehoben. Hoffmeifter ift ihnen gefolgt, G. Schwab und 8. 
Goedeke jcheinen ihnen beizuftimmen, Sof. Bayer übergeht bie 
Erſcheinung ganz. Wir ftimmen Palleöfe bei und halten ben 
ſchwarzen Ritter, welcher der Zungfrau anfangs als ein uner: 
Härliches Phantom erjcheint und ihre Sinne verwirrt, für den 
Fürſten der Finſterniß, oder, um ohne Bild zu reden, für die 
Perfonificirung des in ihrer Seele vorgehenden Zwieipalts. Die 
Erſcheinung ift auf dieſe Weiſe allerdings nicht dramatifch, wohl 
aber piuchologiich bedingt, was bei einer Heldin, welcher himm⸗ 
liſche Erſcheinungen zu Theil geworden, durchaus nicht auffallen 
fann und in einer romantifhen Tragödie volllommen gerecht: 
fertigt ericheint. Die Nothwendigkeit dieſes burch einen Monolog 
ſchwer zu erjegenden Borganged erhellt aus der nachfolgenden 
Scene, wo dad Weib in feinen rein menfchlihen Empfindungen 
mit der von idealem Streben begeifterten Heldin in Conflict 
gerätb. Denn unmittelbar nachdem fie die Warnung erhalten, 
die fie ihrem Gelũbde untren machen fol, trifft fie mit Lionel 
zufammen. 

Nach kurzem Kampfe macht fie ihn wehrlos, indem fie ihm 

das Schwert aus der Hand fchlägf; hierauf ringt fie mit ihm 
und reißt ihm den Helm vom Haupte. Sept handelt ed fidh 


486 Sungfrau von Orleans. 


darum, ihn zu tödten; aber in demſelben Augenblid, wo fie das 
Unmenfchliche volldringen, und ben wehrlojen Feind erichlagen 
will, da erwacht in ihr die Menfchlichkeit und fteigert ſich zur 
Empfindung perfönlicher Zuneigung, fo wie fie ihm in's Antlitz 
ſchaut. Das ftolzge Wort, dad fie noch vor wenig Augenbliden, 
wo der Verſucher fih ihr nahte, in dem Gefühle der Steged- 
gewißheit geſprochen: 

„Nict aus den Händen leg’ ich dieſes Schwert, 

als bis das ftolze England nieberliegt.” 
das Wort, mit dem fie weit über ihre Berufung binaudgegangen, 
da doch Rheims das Ziel ihres Handelns fein follte, es ftraft 
fih jegt in ihrem Fall. Wir fühlen e3 mit ihr, die Hölle hat 
geflegt, die göttliche Kraft ift von ihr gewichen; ja felbft das 
Schwert, das ihr die Mutter Gottes einft bezeichnet, fie läßt 
es in bed Yeinded Hand zurück. So tft fie, die erhabene Heldin, 
durch ihre eigene Schwäche überwunden und zwar in demjelben 
Augenblid, wo Dunoid und La Hire fi nahen, um ihr den 
Steg des Heered zu verkünden, wo Rheims dem König feine 
Thore öffnet. 

Der vierte Aufzug führt nun die Kriſis ober Entichei- 
dung herbei; ed fragt fih: Wird bie irdiſch-menſchliche Natur 
in unferer Heldin flegen, oder wird fie ſich von ihrem Yall 
erheben, um ihrem hohen Ideale treu zu bleiben? Sie tft zu 
Rheims, Die Vorbereitungen zur Krönung find getroffen, Aller 
Herzen find voll Freude; nur fie allein ift unglüdlich, denn es 
drüdt fie ein fchwered Schuldbemußtfein. Die edeliten Söhne 
ihred Vaterlandes hat fie verfhmäht, und nun fühlt ſich ihr 
Herz zu einem Feinde hingezogen. Muß fie fich jept nicht als 
Verrätherin an der Sache erfcheinen, der fie biöher jo treu ge: 
dient, muß fie nicht vor fich jelbft erjchreden? 

Sn einem rührenden Monologe, deſſen elegifcher Ausdruck 
durch die melodramatifche Behandlung zu wunderbarem Effecte 
fich fteigert, macht fie uns mit ihrer Seelenſtimmung bekannt. 
Während die weicheren Empfindungen der Wehmuth in dem 


Sungfrau von Orleans. 487 


muſikaliſchen Versmaß der achtzeiligen Stange und an da8 Herz 
dringen, bricht bei der Selbſtanklage die Heftigfeit ihrer inneren 
Erregung in lebhafter bewegten Samben hervor, worauf die Tiefe 
ihre Schmerzed in feierlich ernft und fchwer einherjchreitenden 
Trochäen zu tief ergreifendem Ausdrud gelangt. Es tft eine 
ftrenge Selbftprüfung, der fie fi) unterzieht; mit inniger Be- 
wegung folgen wir den Gedanken, die ſich unter einander ver: 
Hagen und entjchuldigen; wir fühlen es mit ihr, wie jelten unfere 
Kraft ausreicht, den erhabenen Forderungen zu genügen, welche 
die Erreichung einer idealen Lebendaufgabe an uns ftellt; wir 
erinnern und der Stimmung einer Kaflandra, welde in dem 
Gefühl ihrer Unmürdigkeit in den Schmerzendruf ausbricht: 
„Schredlid tft ed, deiner Wahrheit fterblidhed Ge— 
fäß zu fein.“ 

Ihr Seelenzuftand tft um jo ergreifender, al3 fie nun auch 
in Conflict mit der Außenwelt geräthy. Am Ziele ihres Strebens, 
wo Alles bereit ift, ihr zu buldigen, möchte fie felbft der Welt 
entfliehen. Und doch tft fie gerade jet am wenigjten zu ent» 
behren, denn fie, „die aM’ Died Herrliche vollendet“, fie ſoll dem 
Feſte die Krone aufſetzen. Da trifft fie zunächſt Agnes Sorel, 
die fi) in dem Gefühle ihres Nichtö vor ihr, der Schuldbela> 
denen, nieberwirft. Wie ſchwer muß fie den Gegenſatz empfin» 
den zwilchen dem, was fie ift, und dem, wad Andere von ibr 
halten. Iſt e8 zu verwundern, wenn fie jet Die Sorel, die nie 
etwas Höberes hat fein wollen al ein liebend Weib, weit über 
fih erhebt? Und ald nun gar ded Königs Ritter fommen, um 
fie zum Krönungszuge abzuholen, Tann fie jept die ihr barge- 
botene Yahne freudig ergreifen, der Himmeldfönigin in's Antlig 
Ihauen? Nein, fie erjchridt vor ihr und fept durch ihre räthfel- 
bafte Selbftanklage auch ihre Bewunberer in Schreden. So 
betheiligt fie fi mit fchwerem Herzen an dem SKrönungd: 
zuge, unb während Alles ihr zujauchzt und fie glüdlich preift, 
ſchreitet fie felbft ald eine Tiefgedemüthigte unter ihrer Fahne 
einher. 


488 Jungfrau von Orleans. 


Im tiefſten Herzen erſchuttert, werden wir — in die 
einfachften Berbältniffe der realen Welt verſetzt. Johanna's 
Berwandte, die fhon nor dem Krönungdzuge auf einige Augen- 
blide die Scene betreten, vor allen bie heitere und glüdliche 
Margot, jo wie die ernfte und bejorgte Loutjon, nehmen unjere 
Aufmerkjamfeit in Anſpruch. Die Schweiter ift der Gegenftanb 
threr Unterhaltung, in die fi bange Beſorgniß mijcht, befon- 
ders bei den Vater, der, um ihre Seele zu retten, fie von ihrer 
Höhe herabftürzen will. Und bat er nicht in gewiflem Sinne 
Recht? Stürzt doch in demfelben Augenblid Johanna, im tief: 
ften Inneren geängftigt, aus der Kirche, befennt fie doch ihren 
Schweftern, daß fie fich eitel über fie erhoben, und mödhte fie 
doch am liebften mit ihnen ſich wieder in bie ftile Einſamkeit 
zurüdziehen. Aber noch tft ihr eine ſchwere Prüfung vorbehalten. 
Der König tritt jept auf, dem Volke feinen Dank zu jagen, vor 
Allem aber ihr, die ihm fo wunderbar geholfen. Mit Volkes» 
jubel und fchmetternden Fanfaren auf's neue begrüßt, richtet 
ber König jept die Frage an fie, ob fie von irdiſcher Abkunft 
oder eine Heilige jet. Dad muß dem Bater, der jie ald eine 
vom Zeufel Berführte betrachtet, wie eine Läfterung erjcheinen; 
er tritt hervor und erhebt die jchwerften Anlagen wiber fie. 
Die Zragen, die er an bie Tochter richtet, find in verjchiedenem 
Sinne zu deuten; die Umftehenden müſſen fie ganz anders auf: 
faflen als Johanna jelbft, von deren Seelenzuftand nur ber 
Zuſchauer eine Ahnung hat. Sie fhweigt aus weiblicher Schen, 
ba fie ſich öffentlich nicht zu vertheidigen wagt; wie follte fie 
auch dem Bater wiberjprechen, beffen Anklage ihr ſelbſt noch 
unverftändlich iſt. Da fie ſich innerlich nicht rechtfertigen Tann, 
fo läßt fie Alles ruhig über fich ergehen und nimmt freiwillig 
ein fchwered Leiden auf fih, um eine Heine Schuld zu büßen. 
Sept naht ber Biſchof mit dem Kreuz; eine einfache Berührung 
befielben würbe hinreichen, fie zu reinigen, aber fie wagt es 
nicht. Sept wendet fi Alles von ihr bis auf ben tapferen 
Dunois, der allen Zeichen zum Trop an ihre Unſchuld glaubt. 


Sungfran von Orleans, 489 


Aber auch ihm mag fte fich nicht vertrauen, und fo bat fie mit 
allem trdiichen Glanze gebrohen. Und da der König felbit ihr 
fagen läßt, fle möge den Thoren Rheims ben Rüden wenden, 
fo ergreift fie willig die Hand des treuen Raimonb und begiebt 
Ah auf die Flucht. 

Sn dem fünften Aufzuge, welder und bie Kataftrophe 
oder den Audgang bringt, werben wir von dem prächtigen Plag 
vor der Kathedrale, mitten au8 dem Glanz ded Krönungszuges 
in eine Wildniß verjept. Vor einer einfam gelegenen Köhler: 
hütte erfahren wir von Leuten, bie ſtets in ſtiller Abgejchieden- 
beit gelebt, daß der Völkerfampf von neuem begonnen und für 
das frangöfliche Heer eine jchlimme Wendung zu nehmen droht. 
Da erſcheint Raimond mit ber erfchöpften Sohanna, die hier 
ihre lette ſchwere Prüfung zu beftehen bat. in einfältiger 
Köhlerbube bezeichnet fie als die Here von Orleans und reißt 
ihr den Labetrunk vom Munde. 

Bon jept an fehen wir in der Heldin des Stüdes nicht 
mehr die Hochbegnadigte, fondern nur noch Die Arme und Hülfs⸗ 
bedürftige. Die in der Yeldichlacht ſtets geftegt, fie mußte in 
dem Kampfe mit fich felbft erliegen, um erft durch bittere Er: 
fahrungen geläutert und dann durch Neue und Buße wieder 
aufgerichtet zu werden. Ihre Unterredung mit Ratmond ift 
eine Scene voll tiefer pfychologifcher Wahrheit, die und mit hei⸗ 
liger Ehrfurcht vor der fittlihen Hoheit des Dichterd erfüllt, 
eine Scene, die in der ganzen Literatur vergeblich ihres Gleichen 
ſucht. Voll Schmerz, von Ratmond ſich verfannt zu fehen, dem 
Einzigen, der ihr treu geblieben, erklärt ſie ſich des Verbrechens 
der Zauberei für unfchuldig. Ueber ihre wahre Schuld giebt fie 
ihm nur letfe und zarte Andeutungen, denn er, „der nur das 
Natürliche der Dinge fieht”, würde fie doch nicht zu faflen ver: 
mögen; aber Leiden, Verbannung, Mangel und Flucht haben 
fie jeßt innerlich geläutert, fo daß fie bereit ift, ihr ganzes 
Selbft mit voller Ergebung zum Opfer zu bringen. Und 
dieſes Opfer, e3 läßt nicht lange auf fih warten, denn Iſabeau 


490 Sungfrau von Orleans. 


eriheint mit den engliihen Soldaten und führt fie als Ge- 
fangene hinweg. 

Aber in dem franzöftfchen Lager hat fie noch einen Freund, 
es tft Graf Dunoid, welcher fie gegen Du Chatel und den Erz- 
bifhof in Schug nimmt, defien Worte: 

„Wir haben und mit höll'ſchen Zauberwaffen 
Vertheibigt, ober eine Hellige verbannt.” 

die religtöje Anſchauung feiner Zeit in kurzen Zügen, aber tref- 
fend zeichnen. Hierher bringt Raimond die Nachricht, daß 
Sohanna gefangen tft, zu deren Befreiung Dunois mit begei- 
fterten Worten auffordert. Sie ſelbſt erbliden wir hierauf im 
engliſchen Lager. Ein Wartthurm wird von franzöflihen Trup⸗ 
pen, die Zungfrau von zwei noch fchlimmeren fendlichen Mäch⸗ 
ten bejtürmt, denn Sjabeau verlangt ihren Tod, während Lionel 
um ihre Hand wirbt. Aber ihr Herz fchlägt mur noch für ihr 
Baterland, und ald fie nunmehr jede irdiſche Schwähe voll- 
ftändig beftegt, Tehrt mit dem tinbrünftigen Gebet zugleich die 
frühere Wunderfraft zurüd. Mit mächtiger Hand zerfprengt fie 
ihre Ketten, ftellt fih noch einmal an die Spike des Heeres, 
befreit den König aus drohender Gefahr und hilft den Ihrigen 
den Sieg erringen. Doc mit dem Siege tit auch ihr Geſchick 
erfüllt, mit der töbtlihen Verwundung die begangene Schuld 
gefühnt. Noch einmal erhebt fie ſich, fordert ihre Fahne, Ichaut 
die Königin des Himmels in ihrer Glorie und geht verflärt zu 
ben Regionen des ewigen Frieden ein. 

Wer ed nicht verjhmäht hat, der eben gegebenen Darjtellung 
mit ruhiger Hingebung zu folgen, der wird ed kaum begreifen 
können, daß außer vielen anderen Kritifern felbft Männer wie 
Hoffmeifter, G. Schwab, Schlegel, Tied, Hegel und Joſ. Bayer 
fo mandyen herben Tadel über dad Stüd ausgeſprochen haben”). 
Daß der eine den Prolog jonderbar, ein anderer die Verknüpfung 
bes Stückes loſe, ein dritter den Talbot mißglüdt fand, dag man 


) Bergl. Das Mädchen von Drleand. 





Sungfrau von Orleans. 491 


den epifchen Charakter der Scene mit Montgomery in einem 
Drama als unftatthaft bezeichnete, In dem Auftreten bes ſchwarzen 
Nitter8 etwas Angekünfteltes erblidte, Johanna's jchnelle Liebe 
zu Lionel, deögleichen ihr Schweigen auf bie Beſchuldigungen 
ihres Vaters ſich nicht erflären konnte, ja daß man felbft in 
bem von der Gefchichte abweichenden Schluß des Stüdes eine 
Unfähigteit entdeden wollte, dad Drama Gottes zu begreifen — 
das alles find die Folgen vorgefaßter Meinungen, die, den theo⸗ 
retifchen Geſetzen fünftleriicher Darftellung entnommen, mit dem 
Mapftabe nüchterner Reflerion an ein Werft berantraten, dem 
wir vor Allen unfere liebende Theilnahme entgegen bringen 
jollten. Goethe fagt in diejer Beziehung mit vollem Rechte”): 
„Was die großen Anforderungen betrifft, die man jept an den 
Dichter macht, jo glaube ih, daß fle nicht leicht einen Dichter 
hervorbringen werden. Die Dichtlunft verlangt in dem Subject, 
dad fie ausüben fol, eine gewiſſe gutmütbige, in's Reale ver- 
liebte Beichränttheit, hinter welcher dad Abfolute verborgen liegt.” 
Und mit derfelben Gutmüthigkeit, fügen wir hinzu, müflen wir 
auch dem Dichter entgegen kommen, wenn wir und den Genuß 
an feinem Werke nicht verfümmern wollen, um ſo mehr alö die 
etwa berechtigten Audftellungen durch einen großen Reichthum 
von erhabenen Schönheiten vollftändig aufgemwogen werden. 
Wem dad Organ für die Erfcheinungen, weldhe der Glaube an 
eine überfinnliche Welt hervorzubringen vermag, verjagt iſt, der 
hat Feine Borftellung von dem Handeln einer Johanna; und 
wer bei dem Streben nad) einem hohen Ideale nie mit Kummer 
über die Unzulänglichkeit feiner irbifchen Kräfte erfüllt worden 
ift, der bat feinen Sinn für ihren Schmerz. Wir können baber 
G. Schwab keinesweges beiftimmen, wenn er jagt: „Schiller wollte 
phantaftifch, wollte romantifch werden, wie die Gebrüder Schlegel. 
Dad mußte ihm mißlingen, weil feine Natur auf’8 Heldenmäßige, 


*) Sn einem Briefe an Schiller vem 6. März 1800, den G. Schwab (Schiller's 
hen, ©. 676) als früheftend vom 80. März 1801 datirt jehen möchte. 





492 Süngling am Bache — Juſti. 


rein Menfchliche angelegt war; für das Phantaftifche und Geifter: 
bafte, für diefen Fremdling aus der andern Welt fehlte ihın das 
Drgan.” Wir find dagegen ber Anficht, daß Sch.'s Sungfrau 
auf einer tiefen Kenntniß des menfchlichen Herzens beruht, und 
weil ſie allen edleren Raturen ein Bild ihres eigenen inneren Lebens 
entgegen bringt, auch wiederum mächtig zu Herzen gebt. Das 
Stüd bat fi daher einerfeitd durch feine pipchologiihe Tiefe, 
fo wie andererjeitd durch die Aftbetifche Mannigfaltigkeit feiner 
Form ein weitered Feld erobert als das reine Drama; und wenn 
ed der Darftellerin der Zungfrau gelingt, neben dem dramati⸗ 
ſchen auch ein pathetiſch⸗-declamatoriſches Talent zu entfalten, 
wie die Rolle e8 durchaus verlangt, fo wird die von dem Dichter 
benbfichtigte Wirfung gewiß nicht außbleiben. 


Züngling, Der, am Bade (Geb.), ein Lieb aus dem 
Sahre 1803, welches in bem „Parafiten” (IV,4) von Charlotte 
gefungen wird und ftatt einiger in dem franzöftihen Tert vor: 
fommenden, verwandte Empfindungen athmenden Couplets ein- 
gelegt iſt. Es iſt Indeffen Original und bildet eine intereffante 
Parallele zu „des Mäpchens Klage” (ſ. d.). Eben fo ladet es 
zu einer Vergleihung mit den beiden Gedichten: „Die Sehn⸗ 
ſucht“ und „Der Pilgrim“ ein, indem das unerreihbare Ideal, 
weldhed fie befingen, bier in einer Geliebten verkörpert er: 
fcheint. 


Junker (K. u. L. 1, 1), ein junger Herr von niederem Adel. 

uno, |. Here. 

Jupiter, |. Zeus. — Picc. II, 6, ein Planet unfered Sonnen: 
ipftems, ſ. Aftrolog. 

Zuftt (D. C. V, 9), das i. 3. 1410 geftiftete Klofter San 
Seronimo (Hieronymus) de Juſte, nach welchem fi Kaifer 
Karl V., der Bater Philipp's II., 1556 zurüdgezogen, unb wo 


er 1558 ftarb. Es liegt 5 Meilen öftlih von Plaſencia in ber 
ſpaniſchen Landſchaft Eftremabura. 





Inwel — Kabale und Liebe, 498 


Juwel (R. I, 3 — Meb. I, 3), ein geſchliffener Edelſtein; 
bildl. „mein unſterbliches Juwel“, d. h. mein Töftlichftes 
Kleinod. — Juwelier (R.a.D.I 11), ein Geſchmeidehandler. 


8. 
(Artifel, welde man hier vermißt, find unter @ aufzufuchen.) 


Kabale und Liebe. Der Plan zu Sch.’3 drittem Sugenb- 
drama entftand nad Frau von Wolzogen im Juli 1782 in bem 
Arrefte zu Stuttgart (vergl. Fiesco), wo auch ber Gedanke zu 
ber im September befielben Jahres audgeführten Flucht feine 
erfte Nahrung erhielt. Was den Stoff betrifft, jo erwähnt 
Freitag”) eined Zeitungdinferate: „Stuttgart vom 11. ‚Am 
geftrigen Tage fand man in der Wohnung des Muſieus Krig 
befien ältefte Tochter Louiſe und den herzoglichen Dragoner- 
Major Blaftud von Böller todt auf dem Boden liegen. Der 
aufgenommene Thatbeſtand und die ärztliche Obbuction ergaben, 
daß beide durch getrunfened Gift vom Leben gefommen waren. 
Man jpriht von einem Liebesverhaͤltniß, welches der Vater des 
Majord, der bekannte Präfident von Böller, zu befeitigen ver, 
fucht habe. Dad Schickſal des wegen feiner Sittfamfeit allge: 
mein geachteten Mädchens erregt die Theilnahme aller fühlenden 
Seelen.” Dagegen hält Edarbt**) es für möglid, dab Sch. 
die erjte Anregung durch Roufſeau's Schrift: „Sur l’origine et 
les fondements de l'inégalité parmi les hommes* erhalten habe, 
in welcher derfelbe die Idee, daß die Gleichheit der Menſchen 
ein Naturrecht ſei, zum erften Male Hffentlih ausſprach und 
wiffenfchaftlich zu begründen fudhte. Webrigend gaben dem Dichter 


9 G. Beettag. Die Technik des Dramas. Leipzig, &. Hirzel 1863. ©. 8. 
» ©. deffen @rläuterung zu Kabale und Liebe. Jena bei Hochhauſen. 
1859. ©. 43. 


494 Kabale und Liebe. 


auch die Verbältniffe und Perfönlichkeiten ded Stuttgarter Hofes 
hinlaͤngliches Material für die Darftelung eined Conflicts, in 
welchen er, der Bürgerfohn, ja bereitö jelbft gerathen war. Die 
Idee, ein bürgerlided Trauerſpiel unter dem Titel „Louife 
Millerin” zu fchreiben, beichäftigte ihn, wie Streicher berichtet, 
auch auf feiner Ylucht, bejonderd auf dem Wege von Manheim 
nah Frankfurt dergeftalt, daß feine Blide daburd von der 
Außenwelt völlig abgezogen wurden. Es war der Zorn gegen 
die Standeövorurtheile und gegen bie erbrüdenden Gewalten, 
unter denen auch dad Bürgerthum feufzte, dem er in feiner 
neuen Arbeit Luft machen wollte Schon in den erften vierzehn 
Tagen jener Zeit, die er im September und October in Sad: 
fenhaujen bei Frankfurt zubrachte, wurde ein bedeutender Theil 
ded Dramas niebergejchrieben; und auch als er jeinen Aufent- 
halt in Oggersheim genommen, wo ihm eigentlich die Umarbei- 
tung feine? Fiedco am melften hätte am Herzen liegen follen, 
fefielte ihn fein neued Trauerſpiel jo mächtig, daß er volle acht 
Zage hindurch faft gar nicht auß dem Zimmer fam. Die han- 
delnden Perfonen hatten in feiner Seele jegt nicht nur beitimmte 
Geſtalt angenommen, fondern fie wurden zugleidh auf beftimmte 
Schaujpieler der Manheimer Bühne berechnet. Aber in Oggerd- 
heim konnte Sch. nicht bleiben; die Yurdht, verfolgt und feinem 
befpotifchen Herzog auägeliefert zu werden, trieb ihn nach Bauer: 
bad, wo er auf dem Gute der Frau von Wolzogen eine Frei: 
ftatt fand, und no dazu eine einfame Yyreiftatt, denn feine 
Wohlthaͤterin felbft erfchien erft im Januar 1783 und zwar nur 
auf kurze Zeit. Diefe Ruhe, in der fein nachmaliger Schwager, 
der Bibliothefar Reinwald zu Meiningen, ihm faft den einzigen 
freundichaftlihen Umgang gewährte, war der Dichtung günſtig, 
deren erjter Entwurf vom November bi8 Ende Yebruar vollen: 
bet wurde. Bald darauf erhielt Sch. von Dalberg, defien 
Freunde dur Streicher auf „Louiſe Millerin” aufmerffam ge: 
macht worden waren, einen Brief, in welchem derjelbe anfragte 
ob fi fein neues Stud nicht für die Mannheimer Bühne eignen 


Kabale und Liebe. 495 


möchte. Sch. zögerte anfangd mit der Antwort, die, als fie 
endlich erfolgte, mehr ausweichend ald entgegen fommend Flang. 
Dennoch entſchloß er fih, im Juli nah Manheim zu gehen, 
wo das neue Trauerfpiel unter Dalberg's Vorfip (im Auguft) 
gelefen und für theaterfähig erflärt wurde; nur jollte der Auf: 
führung wegen manches Schroffe gemildert und zugleich diefe 
und jene Abkürzung vorgenommen werden. Leider aber ver: 
zögerte fich diefe Umtarbeitung, da der Dichter in Folge der an- 
haltenden Sommerbige gefährlich erkrankte und auch den ganzen 
Winter über an wiederholten Yieberanfällen zu leiden hatte. 
Erft im Yebruar ded folgenden Jahres (1784) konnte er feine 
Tragödie wieder vornehmen, um ihr die lebte Welle zu geben. 
Sffland hatte damald ein Stüd gejchrieben, welhem Sch. den 
Titel „Berbreden aus Ehrſucht“ gab; dafür taufte jener 
„Louiſe Millerin” in „Rabale und Liebe“ um, ein Titel, der um 
fo treffender war, als Rouife in der That nicht ald die eigent- 
lihe Trägerin des Stüdes angefeben werden kann. Als daflelbe 
im Frühjahr 1784 in Manbeim zur Aufführung Tan, fonnte 
Sch. vollkommen befriedigt fein, denn er erntete. einen enthufla- 
ftiichen Beifall ein. Auch andere Bühnen nahmen Dad Zrauer: 
Ipiel mit großer Bereitwilligfeit an, und felbft in Stuttgart kam 
ed zur Aufführung; da fi aber hier der Adel bei dem Herzog 
beijchwerte, jo wurde eine beubfichtigte Wiederholung verboten. 
Bald darauf erſchien dad Stück gedrudt bet Schwan und erlebte 
bis zu Sch.'s Tode neun Auflagen. 

Fragen wir, woher Sch. nächſt der erften Anregung ben 
eigentlichen Stoff zu feinem Trauerjpiele nahm, fo tft die Ant: 
wort nicht ſchwer zu erratben. Er lag einfach, in der Luft; es 
waren die &ebrechen feiner Zeit, welche dem Dichter bie Feder 
in die Hand gaben. Belanntlid war ed im vorigen Zahrhun: 
dert Sitte, daß die Fürftenföhne der meisten kleineren deutſchen 
Höfe ihre Bildung aus Paris holten (vergl. das Gedicht „Dem 
Erbprinzen von Weimar“), worauf fie bei ihrer Rückkehr die 
Pracht von Verſailles in ihren Refidenzen nachzuahmen fuchten. 


496 Kabale und Liebe. 


Der Luxus, die Bergnügungen, die Etikette und leider auch Die 
Sittenlofigkeit ded franzöfiihen Hofed waren dad Borbild, das 
fie in ihrer Heimath mit beſchränkten Mitteln nicht erreichen 
tonnten; deshalb wurde das Volk nicht jelten auf die unbarm⸗ 
berzigfte Weije gebrüdt, dad Mark des Landed audgefogen und 
der Schweiß ber Untertbanen auf das fchändlichfte verpraßt. 
Der Charakter des deutihen Volles kam den Fürften bierbet 
ſehr zu Statten; denn einmal daran gewöhnt, in dem ange: 
ſtammten Herren die von Gott eingejepte Obrigkeit zu erkennen, 
war der Bürger wie der Landmann gutmüthig genug, fein 
Schickſal mit ftiler Ergebung zu tragen, ſich mit Thränen und 
Seufzern zu begnügen, und böchftend, wenn ed zu arg wurde, 
die Fauft in ber Tafche zu machen. So war ed benn nichts 
Seltenes, dab mit der Gutmüthigleit ded Volkes ein ſchnöder 
Mißbrauch getrieben wurde, um jo mehr ald man der Ehrlich: 
feit und Treue beflelben gewiß war. Über neben der empören- 
den Minifter- und Maitrefienwirtbichaft, weldhe ungeheure 
Summen verfhlang, waren es auch die höheren Klafjen der 
Geſellſchaft, beſonders der nach franzoͤſiſchem Zufchnitt erzogene 
Adel und der Beamtenftand, deren Drud den Bürger auf das 
empfindlichfte traf. Fehlte ed doch durchaus an einem geficher- 
ten Rechtözuftande, und waren in den Cabinetten, wie in ben 
Bureaur Beitehungen und Gewaltthätigfeiten doch vollftänbig 
an der Tagedordnung. Wie wäre ed unter foldhen Verbältnifien 
dem Arm der Gerechtigkeit möglich geweien, den Schuldigen 
ſtets ficher zu erreichen? 

Daß died Alles jchwer gefühlt wurbe, hatte bereits Leſſing 
zwölf Sahre vor unferm Dichter in jeiner „Emilia Salotti” zur 
Anfhauung gebradht, nur daß er, mit größerer Vorſicht zu 
Werke gehend, fein Drama auf italientihem Boden fpielen ließ, 
Freilich merkte man deutlich genug, daß er es dabei weniger auf 
Buaftalla als auf Braunfchweig abgejehen hatte; denn in ber 
Gräfin Orſina erfannte man fogleih die Ichöne Benetianerin, 
die Marquife Branconi, die Geliebte bed Herzogd. Aber diejer 


Kabale und Liebe. 497 


drüdte ein Auge zu und legte der Aufführung des Stüdes fein 
Hinderniß in ben Weg. Kühner dagegen trat Sch. auf, in: 
dem er fein Stüd auf deutſchen Boden verpflanzte, wad um jo 
leichter möglich war, als man in dem füdweftlihen Deutichland 
in Betreff der Theatercenfur durchaus Feine einheitliche Praxis 
beobachtete. War ein Stüd in dem einen Gebiete verboten, fo 
£onnte es nicht felten wenige Meilen davon ungehindert gegeben 
werden, jo baß die Zerriffenheit unſeres Vaterlandes dem 
Aufblühen der dramatifchen Literatur eher förderlich als nad): 
theilig war. 

Sit fomit Sch.'s Kabale und Liebe unmittelbar aud dem 
Leben gegriffen, fo ift e8 ihm noch mehr unmittelbar aus ber 
Seele geſchrieben. War ihm doch gleich bei feinem Eintritt in 
die Sarldacademie der Unterſchied zwiſchen „Eavalierd” und 
„Eleven“ zur Anſchauung gebracht worden, und konnte ed doch 
nicht fehlen, daß mancherlei weit verbreitete Gerüchte von Hof: 
kabalen, von Conflicten zwiſchen Adeligen und Bürgerlichen, von 
geheimen Machinationen höherer Beamten dem Zögling zu Ohren 
drangen und bald darauf dem Hegimentömedicuß die Augen 
öffneten. Wir müfjen daher Hoffmeifter'8 Anficht beiftinmen, 
wenn er die Tendenz bed Stüdes eine polemifche nennt, und 
fi dabei auf ein Schreiben Sch.'s an Dalberg ftüst, in wel: 
chem verjelbe jagt, er babe ſich eine „vielleicht allzufreie Satyre 
und Berfpottung einer vornehmen Schurken: und Narrenwelt 
erlaubt.” Wenn Palleöte (I, 316) von einer ſolchen Tendenz 
nichts willen will, jo erinnern wir nur daran, daß dem Dichter 
das Theater eine Bildungsanftalt war. Seine Abhandlung 
„Die Schaubühne als eine moralifche Anftalt betrachtet” (Bd. 10, 
©. 68), welche er in demjelben Sabre, wo „Kabale und Liebe“ 
erſchien, bei einer äffentlihen Sigung ber Eurfürftlichen beut- 
ſchen Geſellſchaft zu Manheim las, beweift deutlich genug, mit 
welchen Gedanken er fi damals trug. Wir cifiren mır zwei 
Stellen: „Eine merkwürdige Klaffe von Menjchen hat Urfache, 
dankbarer als alle übrigen gegen bie Bühne zu fein. Hier nur 

I. 82 


498 Kabale und Liebe. 


hören die Großen der Welt, was fie nie oder jelten hören — 
Wahrheit; was fie nie oder felten jehen, jeher fie bier — ben 
Meniden...." „Die Gerichtöbarkeit der Bühne fängt an, wo 
das Gebiet der weltlichen Geſetze ſich endigt. Wenn bie Ge- 
rechtigfeit für Gold verblindet und im Solde ber Lafter jchwelgt, 
wenn die Frevel der Mächtigen ihrer Ohnmacht fpotten und 
Menihenfurdht den Arm der Obrigkeit bindet, übernimmt die 
Schaubühne Schwert und Wage und reißt die Lafter vor einen 
ſchrecklichen Nichterftuhl ...." Die ganze Abhandlung bildet 
einen trefflihden Gommentar zu den Tendenzen, welche ben 
Dichter bei feiner Production geleitet haben; er wollte „die 
Scene zum Tribunal” machen. Und was er wollte, ging in 
Erfüllung; fein ſociales Drama deutete prophetifh auf den 
Kampf bin, der ein Decenntum fpäter zum Ausbruch fam, wo 
diefelben Stände, bie er bier in Conflict mit einander gerathen 
läßt, in Frankreich aufeinander ftießen und eine Revolution her⸗ 
beiführten, welche zugleih für Deutſchlands Verhältniſſe ver: 
haͤngnißvoll werden follte. 

Wenn dem Dichter bei der Schöpfung eines Dramas bie 
Idee und mit ihr die Tendenz anfangs nur in großen Zügen 
vorſchwebt, jo muß er bei der Nealifirung derjelben zunädft an 
die Perfonen denken, in denen er feine Idee zur Anfchauung 
bringen will; erft jpäter, wenn ihm bie einzelnen Momente des 
darzuftellenden Gonflictd in größerer Klarheit vor die Seele 
treten, Tann er fi ein Schema für den Verlauf feiner Hand⸗ 
lung entwerfen. WilE man fi daher auf ein eingehendes Stu- 
dium eined Dramas einlaffen, fo Tann man auch nichts Beſſeres 
thun, ald von dem Einzelnen und Beionderen zu dem Ganzen 
und Allgemeinen vorzufchreiten. Wir laſſen Daher dem Gange 
ber Handlung bie Charakteriftil ber einzelnen Perjönlichkeiten 
vorangehen. 

Sn der Hofiphäre erbliden wir ben Präſidenten, den Hofs 
marfhall, die Lady Milford und Wurm, lebteren nebft dem 
Kammerbiener und Sophie ald bienftleiftenbe Perjonen zu diefem 


Kabale und Liebe. . 499 


Kreife emporgehoben. Auf Seite des Bürgerthums haben wir 
nur die aud dem Muſicus Miller, feiner Yrau und Tochter 
beftehende Familie, nebft Ferdinand, welcher bereit ift, fich zu 
biefem befcheidenen Kreife herabzulafſen. Zu Miller und deſſen 
Battin Tonnte Sch. die Vorbilder in Stuttgarter Perfönlich- 
keiten gefunden haben; bei der Lady Milforb ſchwebte ihm viel: 
leicht die Geliebte feines Yürften, Franziska von Hohenheim, 
por, die ihm zu feinem Bilde allerdings nur die Züge der Milde 
und Güte lieferte, während feine Heldin zugleich die Fähigkeit 
zu einem beroifhen Entſchluß befigen mußte. Yerdinand trägt 
entfchieden die Züge des Dichter an fi, fein Selbitgefühl, 
feinen Freiheitädrang, feine hochherzige Geſinnung, ja felbft die 
eigenthümliche Natur feiner damaligen religtöjen Anſchauung, 
wogegen Louiſe feine noch mangelhafte Kenntniß des weiblichen 
Charakter verräth und ald eine durchaus ideale Geftalt er- 
fheint. In dem Präfidenten, dem Hofmarihall und Wurm 
jehen wir die Richtungen und Gefinnungen verkörpert, welde 
ber Dichter befämpfen will, fie find daher mehr mit dem Griffel 
des Satirikers ald mit dem des Dramatikers gezeichnet; und im 
Miller und Kalb tritt gleichzeitig Sch.’8 bedeutendes Talent 
für dad Komiſche zu Tage, jo daß feine ehemaligen Kameraden 
aus der Karlsſchule fih freuen mußten, hierin ihren witzigen 
Gefährten wieder zu erkennen. Daß wir übrigens in dem 
Anelftande auch eine edele Natur, wie Yerdinand, und in dem 
Bürgeeftande einen gemeinen Schurfen, wie Wurm, finden, ift 
ein Beweis für Sch.'s Gerechtigfeitsfiebe; die Beſchwerde bes 
Stuttgarter Adeld war Daher keinesweges gerechtfertigt. Gehen 
wir nun zur Charakteriftit der einzelnen Perjönlichkeiten über. 
Wir beginnen mit dem Präftdenten. Er bat in feiner 
Jugend ſtudirt, aller Wahrfchetnlichkeit nach Staatswiſſenſchaften 
und etwas Rechtskunde; aber über dem Leſen der Pandelten ift 
er verfnöchert, eine ideale Ausbeute bat er von der Hochſchule 
nicht mitgebracht... Was ihm an feiner Bildung noch fehlte, der 
äußere Schliff und die feine Politur, dad bat er fih in Paris 
j 82 * 


500 Kabale und Liebe. 


erworben; wir merken ed an feiner Ausdrucksweiſe. So ift der 
in den Funfzigern ftehende Staatöminifter ein vollendeter Hof: 
mann geworden. Stolz auf feinen Adel, blidt er mit Verachtung 
auf den Bürgerftand, und diefer Charalterzug bildet zugleich die 
Grundlage für feine Politik. Als die rechte Hand feines Fürften, 
ber im Gegenja zu Leſſing's Emilia Galotti im Hintergrunde 
bleibt, erjcheint er auch ald der Repräfentant der Yürftenmadht, 
wie des Adels feines Zeitalterd. Wie er zu diefer Höhe empor: 
geftiegen, darüber tft ein Schleier auögebreitet; wir erfahren 
nur, daß er feinen Vorgänger aus dem Wege geräumt hat”) 
und dadurch mit dem Himmel und jeinem Gewiſſen zerfallen ift. 
Natürlich muß er nun „um den Thron herumkriechen“; dafür 
ift er aber dem Volle gegenüber ein Tyrann, denn, wenn er 
„auftritt, zittert ein Herzogthum“. Oleichzeitig wird durch ihn 
dad Treiben in dem herzoglihen Cabinet repräfentirt, denn er 
tft entzückt, daß Wurm „einen jo herrlichen Anjag zum Schelmen 
bat’. Mißbrauch der in feine Hände gelegten Gewalt, das tft 
feine Regierungstunft. So hat er die höchſte Ehre zwar errun- 
gen, dafür aber auch feine innere Ruhe eingebüßt. Ein foldyer 
Zuftand tft fchwer zu ertragen, wenn man nicht gewohnt ift, 
die ebelften Dinge mit Leichtfertigleit zu behandeln. Das ver: 
fteht er aber auch, denn wir ſehen, wie er bie Unrube jeines 
Innern mit den frivolften Ausdrüden binwegzufcherzen fucht. 
Sein Gewiflen ift längft verftummt; bat er doch kaum eine 
Ahnung davon, daß es Leute giebt, für welde ein Eid noch 
eine bindende Kraft bat. Unſittlich, wie er jelbft ift, dient er 
auch der Unfittlichkeit feines fürftlichen Gebieterd und ſpricht es 
offen aus, daß er fein ganzed Anjehen auf den Einfluß ber 
Maitreſſe deffelben flüge. Vermuthlich hat er in feiner Jugend 
ein wilbed Leben geführt, was ihn noch in reiferem Alter Fipelt, 


*, Eckardt verweiſt in biefer Beziehung auf den Roman „Schiller’8 Ingend⸗ 
jahre” von Hermann Kurz, in ben man einen Gommentar zu ber Befchichte findet, 
„wie mm Bräfident wird”. 


Kabale und Liebe, 501 


denn er weiß nicht nur genau Beſcheid, wie die Mariagen in 
feinem Stande gefchloffen werden, fondern er ift auch erfreut, 
daß fein Sohn „der Bürgercanaille den Hof madt”. In fol 
chem Punkte flößt ihm der Standedunterfchieb Tein Bedenken 
ein; aber daß es Ferdinand mit feiner Liebe Ernft ift, das 
empört ihn, was jollte in diefem Falle aus den Afpecten jeined 
Stammbaumesd werden? Mag fein Sohn lieben, wo und wie 
viel er will; was fragt er nach dem Mann von unbejcholtenen 
Sitten, wenn er fi in ihm nur einen Mann von Einfluß er: 
zieht. Sich dieſen lepteren zu erhalten, darum foll Yerbinand 
die Milford beirathen, und tft erft fein Stammbaum gefichert, 
dann macht ihn das Weitere Feine Sorge. So tft der Mintfter: 
präfident ein durch und durch verächtlicher Charakter, defien 
unumſchränkte Gewalt und von vorn herein Furcht einflößt. 
Einer ganz anderen Klaffe ded Adels gehört ber Hof: 
marſchall von Kalb an, befien Name ſchon verräth, was 
wir von ihm zu erwarten haben. Er hat nicht ſtudirt. Vielleicht 
ift er aus Tertia eines Gymnaſiums abgegangen, fo daß bie 
Hochſchule ihm ihre Pforten verſchloſſen hat; dafür bat denn 
die Schule bed Parifer Lebens das Shrige gethan. So ift er, 
obwohl hoch in den Dreihigern, ein alberner Ged geblieben; 
es tft eigentlich ein Mann, den der Schneider gemacht hat und 
noch tägli macht, denn er tft unglüdlich, wenn derjelbe ihn im 
Stich läßt. Da er feiner mangelhaften Bildung wegen nicht 
Staatödiener fein kann wie der Präfident, fo begnügt er fidh 
dagit, Hofdiener zu fein und entjchädigt feine Nmgebung durch 
das vollendete Bild franzäfifcher Etikette und Tournüre. Als 
Seremontenmeifter nur mit Neußerlichkeiten befchäftigt, find ihm 
die unbebeutenditen Dinge von ber größten Wichtigkeit. Der 
Erfte in der Antichambre zu fein und feiner Hoheit dad Wetter 
zu verkünden, da3 kann ihn unendlich glüdlich machen; an einem 
Tage ſechzehn Viſiten abftatten, die alle von der Außerften Im⸗ 
portance find, das tft Die drüdende Arbeit, die auf feinen 
Schultern laftet; und ſich nach einundzwanzig Jahren noch bed 


502 Kabale und Liebe. 


verlorenen Strumpfbandes der Prinzeifin Amalia und mit dem: 
felben eines Todfeindes eriunern, das tft ein Eremplar der koſt- 
baren Früchte, die fein mühenolled Leben zur Reife gebracht Hat. 
Daß ibm, der nichts durch fich ſelbſt ift, der Hof Alles fein 
muß, das begreifen wir; ift er doc Alles durdy den Hof. Des: 
halb muß er fih ihm aber auch nüglich machen; er erſcheint 
daher überall als ber ſüßliche Schmeichler, vor allem aber als 
ber Neuigkeitstraͤger, und es ift ihm nicht8 lieber, ald wenn er 
hierzu benugt wird. Und die Form, in der er fich feiner Auf: 
träge entledigt, iſt die poffirlichfte von der Welt, er ift der 
moderne Abklatſch der ehemaligen Hofnarren, weshalb fich auch 
Altes über ihn Iuftig macht. Und warum follte er fi das 
nicht gefallen laſſen, ift er doch fogar genöthigt, Alled zu wagen, 
um fich bei Hofe zu erhalten. Aber Beſcheidenheit bat er des⸗ 
wegen nicht gelernt, denn er bleibt immer noch ſtolz auf feinen 
Adel, das Einzige, wad er hat. Deshalb kann er auch mit 
Bravour prahlen, wenn er Yerbinand, „den Nafeweid, ben 
Appetit nach feinen Amouren verleiden“ will. Daß er fi 
dafür jpäter höchſt jämmerlich benehmen und fih von bem 
Major die empörendften Beleidigungen gefallen laflen wird, das 
freilich fällt ihm dabet nicht ein; nur als die Milford ihm den 
Zettel einhändigt, welcher dem Fürften ihre Entfernung anzeigt, 
da fühlt er, daß er feine Rolle ausgeſpielt hat. Und dieſe Rolle, 
fo wenig wir ihn um biejelbe beneiben, tft doch für den Komiker 
eine außerordentlich bankbare, umjomehr ald fie in bie düſtere 
Schwere, welche auf dem ganzen Stüde laftet, einen lichten ig 
humoriſtiſcher Laune bringt, welche fhon um bed angenehmen 
Contraſtes willen einen höchſt wohlthuenden Eindrud macht. 
„Es muß auch folde Käuze geben.” 

Der Dritte im Bunde tft Wurm, der Repräfentant bed 
„dintenkleckſenden Säculumd“, vor dem Sch. bereit in den 
Räubern ekelt. Er ift nad) Miller'3 Beichreibung ein conſiscir⸗ 
ter, wibriger Kerl mit Fleinen tückiſchen Mausaugen, rothem 
Haar und heraudgequollenem Kinn, der nicht nur ihm in der 


Kabale und Liebe, 503 


Seele zuwiber ift, jondern vor dem auch Louiſe ein Grauen hat. 
Was Marinelli feinem Yürften, dad etwa will Wurm dein Prä- 
fiventen fein. Schon fein Name kennzeichnet ihn, denn er iſt 
nicht nur ein Herrendiener, fondern auch ein Schleicher und 
Zwiſchenträger. Bon Anderen poufjirt werden, das tft fein 
eigentliched Lebensziel, zu deifen Erreichung er ſich der unlau⸗ 
terften Mittel, der abſcheulichſten Ränke bedient. Darım ift er 
ein Intrigant, der ſchaͤndliche Rathgeber jeined Herren, ein 
Menſch, der falſche Handjchriften macht und ih eben jo auf 
ſchlaue Ueberredungsfunft (III, 1) und den krummen ang der 
Kabale verfteht, wte auf die biegſame Hofkunft, welche die Leute 
emporbringen und ftürzen kann. Er iſt der Repräfentant der herz. 
loſen Beamten fo mandyer Kleinftaaten des vorigen Jahrhunderts, 
der, ſtolz auf die geheime Macht ded Syftemd der Büreaufratte, 
überall feine Hand bietet, um den unerträglichen Drud außzuüben, 
unter dem das Bolt feufzt. Daß er bei dem allen mit Angſt und 
Zagbaftigkeit erfüllt ift, darf und nicht wundern; fie begleitet ihn 
auf Weg und Steg, ja felbft in feiner Liebe. Er liebt wohl über: 
haupt nicht, er möchte mır eine Frau haben. Aber einem Mäb: 
hen einen Antrag zu machen, dazu fehlt ihm der Muth, Deshalb 
möchte er feine Liebederlärung durch den Vater Louiſen's vor: 
bringen lafjen. Und da er weiß, daß er einen gefährlichen Neben: 
bubler bat, fo muß derfelbe durch eine nichtöwürdige Intrigue 
befeitigt werden. Ob dad Mädchen dabei um ihren guten Ruf 
gebracht wird, da3 tft ihm völlig gleichgültig; fie kann ja nach» 
her gleich ihm, der jo gern bei der Gnade Anderer betteln gebt, 
«3 ald ein gnädiges Geſchick preifen, wenn er ihr feine Hand 
noch anbietet, mag died dann auch bie Kiebederflärung einer ganz 
gemeinen Seele fein. Natürli finden wir bei ihm auch nicht 
eine Spur von Religion. Seine faljhen Handichriften würde er 
ruhig mit einem Meineid (III, 1 u. 6) ableugnen, jelbit auf bie 
Gefahr hin, den Präftdenten zu compromittiren; zieht er doch 
dieſen, als Alles für ihn verloren tft, unter Hohnlachen mit in 
fein Berderben. Somit tft er ein vollendeter Böfewicht, der 


504 Kabale und Liebe. 


und nur durch die „Sonfequenz in der Anordnung feiner Ma⸗ 
ihinen” ein Intereſſe abgewinnen kann, „obgleich Anftalten und 
Zweck unferm moraliihen Gefühl widerftreiten” *). 

Die vierte Perfon in der Hofipbäre iſt Lady Milford, 
welche und das Nöthigfte über ihre Lebensſchickſſale (II, 3) jelbft 
mittheilt. Sie ift fürjtlichen Geblüts, denn fie ftammt aus dem 
Haufe Norfolk (ſ. d.); aber unglüdlihe Familienſchickſale haben 
fle von ihrer Höhe herabgeftürzt. Da ihre ganze Bildung fick 
anf etwas Franzöſiſch, ein wenig Filet und Muſik beichränfte, 
während fie fi auf dad Anhören von Schmeicheleien und das 
Sommandiren ihrer Untergebenen viel befjer verftand, jo tft fie 
ein Opfer ber Verhältnifie geworden. Wie die Gräfin Orſina 
in Leſſing's „Emilia Galotti” bat fie ihre weiblide Ehre dem, 
Yürften verkauft, dem fie die Schuld ihres Yalles zumälzt. Da 
fie nicht nur ſchön und fentimental, fondern auch geiftreich tft, 
jo ſpielt fie bei Hofe eine glanzvolle Rolle, Jeder achtet auf 
ihren Wink, alle Vergnügungen, alle Zuftbarkeiten hängen von 
ihrer Laune ab, ja fie beberricht den Fürften jelbft und bat 
jomit einen bedeutenden Einfluß auf Die Staatöverwaltung. Aber 
bei alledem ift fie unglüdlich, felbit Die audgefuchteften Genüfle 
gewähren ihr Feine innere Befriedigung, und die raufchendfter 
Zerftreuungen find nicht im Stande, ihr drüdendes Schuldbes 
wußtjein zu übertäuben. Nur ihr Ehrgeiz hat feine Rechnung 
gefunden; das Höchſte, wonach ein weibliches Herz ſich fehnt, 
dad Glück der Liebe, das muß fie entbehren. Wenn es nod 
möglich wäre, in diefen erjehnten Hafen einzulaufen, dann wäre 
fie gerettet. Da lernt fie Ferdinand kennen, für ſie am Hofe 
ber einzige fittliche Charakter, aber zugleich ber erfte Mann, der 
ihr Schreden einflößt. An feiner Tugend fi) emporzurichten, 
das könnte fie wieder glüdlich machen, könnte ihr die innere Ruhe 
wiedergeben; beöhalb beredet fie ſich, daß fie ihr Herz frei 


*) Dan vergleihe Schiller's Abhandlung über den Grund bed Bergnügen® 
an tragifchen Gegenftänden. Bd. 11, S. 429, 


Kabale und Liebe. 505 


behalten, daß fie im Stande fet, mit einer Louiſe harmoniſch zu 
fühlen. Aber der fchimpfliche Flecken, der an ihrer Ehre haftet, 
wie ſoll fie ihn auslöfhen? Sept ſucht fie alle guten Seiten 
an fi} hervor; fie berebet ſich, daß fie ſich dem Fürften aufge: 
opfert, um dad Land zu beglüden, daß fie Thränen getrodnet 
und Kerker geiprengt habe; fie, welche Die Haupturfache der finn- 
Iofen Verſchwendung des Staatövermögens gewelen ift, ſpielt 
jept eine Großmuthsſcene und fchidt die Foftbaren Diamanten, 
weldhe der Fürft ihr gefchenkt, in die Landſchaft. Warum follte 
fe, die fo lange eine Scheinherrichaft geübt, ſich jegt nicht auch 
mit dem Schein der Tugend fchmüden? Kann fie do ihrem 
Kammermädchen einreden, daß die erftrebte Verbindung mit 
sFyerbinand dad Werk ihrer Liebe fei, und bemüht fie fidh doch, 
diefem zu beweifen, daß es ihr an Adel der Gefinnung durchaus 
nicht fehle. Wie bequem, wenn fie auf diefem Wege in bie 
Arme der Tugend zurüdtehren kann! Aber Ferdinand liebt 
bereits, und aufrichtig. Wer ift ihre Nebenbuhlerin? Sie muß 
Ne kennen lernen; auch das gelingt ihr. Aber jebt lernen wir 
jte in ihrer wahren Geftalt kennen. Fühlt fie mit Louiſe wirt: 
lih harmoniſch? Hat ihre Leidenſchaft für Ferdinand nicht viel- 
mehr etwas unnatürlich Forcirtes? Und Tönnen wir in ben 
Drohungen, welde fie gegen dad arme Bürgermäbcdhen aus— 
ſpricht, Die hochherzige Brittin erfennen, für die Yerbinand ſie 
einen Augenblid gehalten? Nein, Alles ift Schein und Berech— 
nung, denn jelbft da fie ihr Spiel verloren geben muß, ſucht fie 
fih wenigftend noch das Anfehen einer Heldin zu geben, indem 
fie den Hof mit einer gewiflen Oftentation verläßt. Man wird 
von Ihrer Wallfahrt nach Loretto erzählen, man wird Die 
bügende Magdalena bemitleiven, das ganze Land wird über 
ihre That in Aufregung gerathen; das ift aber auch Alles, 
zurüdverlangen wird fie niemand, teoftlofe Einſamkeit wird ihr 
2003 fein. 

Der Lady zur Seite fteht Sophie, bie Kammerzofe, ein 
Mädchen aud dem Bürgerftanbe, auf welche die Hofluft bereits 


506 Kabale und Liebe. 


ihren verderblichen Einfluß geübt. Sie hat Augen für Eoftbared 
Gefchmeide, aber auch Augen für die Schwächen ihrer Gebieterin, 
denen fie zu fchmeicheln weiß; eben jo verfteht fie fich auf das 
Sntriguiren und weiß der Lady vor dem Empfange Ferdinand's, 
wie nachher bei dem Empfange Louiſen's allerlei Rathichläge zu 
erteilen, die einem jungen Mädchen nicht gerade zur Ehre ge: 
reichen. 

Ein ganz anderer Charakter ift dagegen der Kammer: 
biener. Obwohl an einem fittenlojen Hofe bejchäftigt, tft er 
doch aufrichtig und redlih geblieben, denn er nimmt feinen An- 
ftand, die Verhältniſſe wahrheitsgemäß zu fchildern. Da er 
aber nicht zu fchmeicheln verfteht, fo Hat er auch feinen Gönner; 
mie follte es ihm ſonſt nicht möglich gewefen fen, feine Söhne. 
vor dem ſchmachvollen Looſe (vergl. Amerika) zu bewahren, das 
fo viele andere junge Leute trifft. Wie er mit dem audgefogenen 
Volke, fo follen auch fie mit ihren unglüdlihen Kameraden leiben; 
Darum wirft er der Lady ihre Börfe zurüd, weil er fein Gewifien 
nit mit einer ungerechten Bevorzugung belaiten will. Lieber 
begnügt er fich, feinen Troft in der Religion zu ſuchen; die gött⸗ 
lihe Gerechtigkeit wird ja nicht ewig ſchlummern. 

Mit dem Kammerdiener treten wir in die bürgerlichen Ber: 
bältnifje ein, wo wir das am Hofe vermißte Familienleben wie: 
derfinden. Der Hausherr ift der Muſicus Miller, eine friſch 
aus dem Leben gegriffene Geftalt, wie mit dem Griffel eines 
Shakeſpeare gezeichnet, das echte Portrait eines deutſchen Bür- 
gerd, wie ed fich in beicheldenen Berbältnifien zu allen Zeiten 
wiederfindet. Miller ift ein Mann von echt deutihem Schrot 
und Korn, deflen finnlid:anfhauliche Kraftausdrüde fogleich ben 
„Plumpen, geraden, deutfchen Kerl” verrathen, ald ben er fid 
felber bezeichnet. Wie innig er mit dem Volke verwachſen ift, 
davon zeugt der vielfache Gebrauch echt deuticher Sprichwörter, 
neben denen die aus den Kreilen der Vornehmen herübergenom⸗ 
menen franzöfiichen Broden einen feltiamen Contraft bilden, zu: 
gleich aber auch die unglüdlich corrumpirte Sprache des vorigen 


Kabale und Liebe. 507 


Jahrhunderts zur Anſchauung bringen. Wie aufmerffam Sc. 
bier beobachtet hat, geht ſchon daraus hervor, baf die Darftellung 
dieſes Charakters bei den Zuſchauern nie ihres Eifbrudd ver: 
fehlt; dad Volk erkennt in Miller einen Gefinnungsverwandten. 
Sein Lieblingsinftrument ift dad Bioloncell, dem fein tiefes Ge⸗ 
müth in einem ſchmelzenden Adagio bie feelenvollften Töne zu 
entloden weiß. So fteht feine Kunft in der innigften Harmonie 
mit der Liebe zu feiner Tochter. Als’ aufrichtiger und ehrlicher 
Mann meint er ed gut mit ihr; gleich feinen bieberen Vorfahren 
hält er auf bürgerliche Zucht und Ehre; darum haft er bie 
Bücher feined Zeitalter, bejonderd bie fentimentalen Romane 
und die flachen rationaliftifchen Andachtöbücher, zu beren Höhe 
ih fein einfaches, fchlichtes Chriftentyum nicht erheben Tann. 
Was er achten und lieben foll, dad muß ihm zum Herzen reben, 
darum liebt er feine Kunft, die ſich frei über allen unnatürlichen 
Zwang erhebt. In diefem Unabhängigkeitägefühl ift er daher 
auch eingenommen gegen den Adel, die Beamten und Tinten: 
Hedjer, die er in feiner Stellung als Muſiklehrer wohl vielfach 
kennen gelernt, und von denen er gewiß nicht jelten mit Ge⸗ 
ringſchätzung behandelt worden iſt. Wir dürfen und daher nicht 
wundern, wenn fich eine gewifle Bitterkeit jeined Gemüthes be- 
mädhtigt hat. Mit diefem Gefühl im Herzen duldet und trägt 
er, wie der deutſche Bürgerdömann es nicht anders gewohnt ift; 
ja er ift jelbft devot gegen die Vornehmen, nur in feinem Haufe 
mögen fie ihn verfchonen, vor Allem aber fern von feiner Tochter 
bleiben. Erſt als er fich zwiſchen jeinen vier Wänden bedroht 
fieht, und fein Herz in ber Befchimpfung feiner Tochter tödtlich 
getroffen fühlt, ba fteigert fich audy einem Präfidenten gegenüber 
die Leidenjchaftlichkeit feines Charakters zum höchſten Zorn, und 
es iſt ihm eine Genugthuung, unmittelbar vor dem Hereinbrechen 
des Außerften Unglücks feinem Feinde noch eine derbe Wahrheit 
in's Angeficht fchleudern zu Tönnen. 

So offen und ehrlih Miller der Welt gegenüber erjcheint, 
jo unvorfichtig ift er in der Wahl feiner Gattin geweien; auch 


508 Kabale und Liebe. 


ift es ja nicht Seltenes, daß Männer, deren Beihhäftigung eine 
vorwiegend ideale ift, bejonderd Künftler, geiftig befchränfte 
Frauen haben. Früher vermuthlich ein hübſches Kind mit run: 
den Wangen, ift fie nun, nachdem: ber Zauber der Tugend ſchnell 
verflogen, eine gutnrüthige Alte geworden, welche ſich die Sorgen 
um ihre Häußlichkeit durch nichts Anderes ald die Kaffeetafle und 
die Schnupftabalädofe zu verfügen weiß. Wurm nennt fie die 
Dummheit felbft, denn, obwohl gewandt genug mit dem Munde, 
ift fie doch höchft unbeholfen in der Wahl ihrer Ausdrüde, neben 
welchen die vielen unterwürfigen Redensarten, jo wie bie bis zur 
Lächerlichleit verbrehten franzöfiihden Broden einen wahrbaft 
komiſchen Eindrud machen. Daß fie fih in ber ihrer Tochter 
erwiejenen Ehre gejehmeichelt fühlt, wollen wir ihr weiter nicht 
verdenken; aber für fie ift e8 vor Allem die glänzende Außen- 
jeite, welche fie befticht, die Uniform, die niedlichen Geſchenke, 
bie allerliebjten Billetter und die prächtig eingebundenen Bücher. 
‚Darum hat fie daß Liebeöverhältnig begünſtigt, ja ſie iſt gewiſſer⸗ 
maßen in Ferdinand ſelbſt verliebt; und bedenken wir nun die 
ſchöne Ausſicht für Die Tochter, eine gute Partie zu machen, darf 
es und Da wundern, wenn die Alte ihr Glüd überall ausſchwatzt? 
Die einzige Wohlthat für Miller befteht darin, daß fie feine 
Keiferin, jondern das perfonificirte Phlegma ift und neben ihrem 
Manne eine höchſt untergeordnete Rolle fpielt; ed ift daher 
natürlich, daß Louife weniger Vertrauen zu ihr als zu ihrem 
Pater bat. 

Wir kommen nun zu den Helden ded Dramas; ed find 
Ferdinand und Louiſe, welde die Schranken der Stände, 
denen fie angehören, durchbrechen wollen: Durch Stolz und 
Hochmuth auf der einen Seite, wie durch Enechtifchen Sinn und 
Unterwürfigfeit auf der andern hat fich die tiefe Kluft gebildet, 
die jept ausgefüllt werden ſoll. Dies tft mur möglich, wenn auf 
jener Seite an die Stelle ded Adelsſtolzes der Adel der Geſin⸗ 
nung, auf diefer Seite an die Stelle der Selbſtunterſchätzung 
das Bewußtjein inneren Werthes tritt. Aber diefer Iangjame 


Kabale und Liebe. 509 


Weg culturgefchichtliher Entwidelung ift nicht geeignet für ein 
Drama; der Dichter wählt daher ein ſchneller wirkendes Mittel, 
bie Liebe, die nicht dad ihre jucht und zugleich alles überwindet. 
Wird es ihr gelingen, die beftehenden Schranken fiegreich zu 
durchbrechen? Wenn die kämpfenden Perſonen nur auf bie 
Stimme ihred Herzend achten, ohne auf die proſaiſchen Lebens: 
bedingungen in ihrer Umgebung Rüdfiht zu nehmen, fo find 
Colliſionen unvermeidlich; Ferdinand flieht dies auch voraus, 
denn er jagt: „Wir wollen jehen, ob die Diode oder die Menſch— 
heit auf dem Plage bleiben wird?” 

Yerbinand, ein junger Mann in den erften Zwanzigern, 
ift jedenfalld eine ftattlihe Erſcheinung, die auf weibliche Ge— 
müther Eindrud macht, denn er wird von Louiſe warn und innig, 
von ber Milford mit feuriger Leidenichaft geliebt und von Sophie 
bewundert. Er bat, wie fein Vater, ftudirt, aber ihm ift die 
Wiſſenſchaft (f.d.) nicht „Die tüchtige Kuh gewefen, die ihn mit 
Butter verforgt, jondern die hohe, die himmlische Göttin“, die 
feinen Geiſt mit erhabenen Idealen erfült bat. Der Bater 
nennt ihn deshalb einen Romankopf, und Wurm findet bie 
Grundfäße, die er aud Academien mitgebracht, die phantaftifchen 
Träumereien von Seelengröße und perjönlihem Adel höchft un— 
praktiſch. Ferdinand weiß, daß er ein Edelmann tft, aber er 
bat darüber nicht vergefien, daß er Menſch ift; er iſt zugleich 
ein beutjcher Süngling, der fih fchon in jeiner Sprache vor- 
theihaft von feiner Umgebung unterfcheibet, indem er fich aller 
franzöfiihen Floskeln forgfältig enthält; außerbem befikt er 
Ehrgeiz, denn nur was groß und abenteuerlich tft, vermag ihn 
zu reizen. Dazu aber bietet ihm feine Stellung feine Gelegen- 
heit mehr, hat er doch ſchon im zwanzigften Jahr die Charge 
eined Majord erreicht. Meberdied bat die militärifche Sarriere 
feinen Reiz für ihn. Bei feinen Begriffen von natürlichem Recht, 
bei feinem Drange nach yerfönlicher Freiheit kann ed ihm feine 
Befriedigung gewähren, einfach der Ordre zu pariren; er möchte 
fih nicht gehemmt fehen, nicht ein Opfer feines Standed werben. 


510 Kabale und Liebe. 


Sein Bater iſt bereit, in diefem Punkte nachzugeben, er fol die 
Uniform ausziehen und in’3 Mintfterium treten. Aber fol er 
fih bier in Acten begraben? Auch das fagt ihm nicht zu, um 
jo mehr als er die ganze Büreaufratenwirthichaft Tennt. Der 
Bater felbft hat ihn in bie Geheimniſſe feines Regierungsſyſtems 
eingeweiht, deſſen krumme Wege ihm ein Greuel find; ja noch 
mehr, er bat ihn zum Mitwiffer feiner Scyandthaten gemacht, 
die ihn gleich einem Mitjchuldigen drüden und die er ald Sohn 
doch verjchweigen muß. So ift ein Zwielpalt in feinem Gemüthe 
entftanden, nach deſſen Ausgleichung er fich fehnt. Da er feiner 
Umgebung nicht entfliehen Tann, jo fucht er ſich wenigſtens einen 
Zufluchtsort für feine ftillen Stunden. Er will Mufif treiben, 
um ben ebleren Empfindungen jeined Herzend zu genügen, und 
zwar wählt er die Flöte, deren weiche Klänge feinem melancho⸗ 
lichen Temperament am meiften zufagen. Auf diefe Weije kommt 
er in Miller's Haus, und bier, wo er Ruhe gejucht, findet er . 
Louiſe. Es kann nicht außbleiben, daß fie ihm auf dem Yorte- 
piano accompagnirt, und die Harmonie ber Töne führt auch ald- 
bald Die Herzen zufammen. Sept ift es natürlich vollends um 
feine Ruhe gejchehen, denn was hilft dem das Glück der Liebe, 
der fich ihr nicht mit voller Seele hingeben kann. Er kennt die 
Sefahren, die feiner Verbindung mit einem Bürgermädchen 
droben, aber ftatt feiner Umgebung zu entfliehen, mit den ihm 
im Wege ftehbenden Berhältniffen zu brechen, den Iodenden Aus- 
fihten auf Beförderung zu entjagen, betrachtet er fich vielmehr 
als einen Tugendhelden, der das Recht bat, der ganzen verberbten 
Melt Trop zu bieten. Wie wäre er auch im Stande, befonnen 
zu handeln, da er in feiner Liebe jelbft überjpannt und phan- 
tafttich if. Mag er immerhin verlangen, daß feine Geltebte in 
ihm die ganze Welt jehe; aber daß fie auch ihm Die ganze Welt 
ift, beweift, daß feine Berufäpflichten ihm nicht bedeutungsvoll 
genug find, Daß er der Forderungen, die dad Vaterland an ihn 
zu ftellen hat, wentgftens für jet vergeſſen kann. Bei Raturen, 
die jo leidenfchaftlich lieben, ift die Eiferfucht Yeicht zu weden, 


Kabale und Liebe. 511 


das weiß der Vater ſehr wohl, barum gelingt ihm auch fein 
Anſchlag auf ded Sohnes blinde Leidenjchaft, der in feiner 
exaltirten Stimmung gar nicht daran denkt, daß ein Menfch 
wie der Hofmarſchall fich feiner Louiſe gegenüber unmöglich, zum 
Nebenbuhler eignet. Leider findet Ferdinand auch in der Religion 
nicht den nöthigen fittlihen Halt. Der alte Miller hat ganz 
recht, wenn er fürchtet, „die überhimmliſchen Alfanzereien aus 
der hölliichen Peftilenztüche der Belletriften” würden bei feiner 
Tochter „die Handvoll Chriſtenthum vollends audeinanderwerfen“. 
Das Wichtigſte, wad Ferdinand fehlt, iſt Ergebung und Selbit- 
verleugnung. Bon ber Anficht auögehend, daß Gott (V,3) felt- 
jam mit dem Menjchen ſpiele, ift er bemüht, fih fein Unglüd 
fo ſchwarz wie möglich auszumalen; ja er geht fogar jo weit, 
den Himmel unmittelbar berauszuforbern, indem er feinen Vater 
tödten und ihn ſelbſt vor den Richterftuhl Gottes führen möchte. 
Wer fo geneigt tft, der göttlichen Gerechtigkeit in den Arm zu 
greifen, der ftellt ſich auch bald über fie und iſt im Stande 
(IV, 4) mit dem Himmel zu rechten. Verlegung der Sohnes- 
pflicht, ungerechtfertigtes Mißtrauen gegen die Geliebte, Pochen 
auf feine Tugend und tropiged Widerftreben gegen bie Wege 
des Schickſals — das tft feine Schuld, und darum ftürzt er 
fchlieglich nicht nur fi, fondern auch Andere in's Verderben. 
Louiſe, welche nah Sch.s urfprünglicher Abficht ber 
Dichtung den Namen geben follte, ift eine fchlanfe, interefjante 
Blondine, die fo eben ihr fechzehnted Jahr zurückgelegt bat- 
Wie Ferdinand auf die Frauen, jo madt fie Eindrud auf die 
Maͤnner. Wurm fühlt fih zu der ſchönen Geſtalt hingezogen, 
Ferdinand liebt fie um ihrer ſchönen Seele willen, ja fogar der 
alte Miller kann felbft im Zorn die rührend-komiſche Bemerkung 
nicht unterbrüden, daß er in ihre blauen Bergißmeinnichtaugen 
vernarrt if. Obwohl eine arme Geigerötochter, bat fie doch 
eine Bildung erhalten, die über ihren Stand hinaudgeht und 
ihr eine gewiffe Berechtigung zu einer höheren Lebendftellung 
giebt. Sie tft befähigt, Bücher edleren Inhalts zu verftehen, 


512 Kabale und Liebe. 


fpielt Clavier, felbft Schach, und hat Ideen in fih aufgenommen, 
die fih unter Ferdinand's Leitung auögebildet und zu beftimmten 
Lebensanſchauungen entwidelt haben. Aber es ift eine philoſo— 
phiſche Richtung, der ein fo jugendliched Weſen nicht die aus⸗ 
reichende Kraft des Geiftes entgegenbringt; bejonderd haben 
Ferdinand's rationaliftiiche Religiondbegriffe zwar Licht in ihren 
Berftand gebracht, aber feineöweged dem Herzen die wohlthuende 
Märme gejpendet, deren ein weibliche Gemüth nicht entbehren 
kann. Wir erbliden daher in Louiſe nicht das naive Mädchen, 
das wir ihrem Stande, wie ihrem Alter nad) erwarten jollten. 
Lectüre und liebende Hingebung haben fie früh reif gemacht, jo 
daß fie neben ihrer fentimentalen Schwärmerei fehr wohl weiß, 
was weibliche Ehre zu bedeuten hat, und eben jo ftolz auf ihre 
Tugend tft wie Yyerdinand auf die jeinige. Crblidt doch die 
Milford in ihren fchlagenden und treffenden Antworten ſogleich 
den Lehrer, dem fie ihre Klugheit zu verdanken bat, und wird 
ed doch auch und nicht ſchwer, zu entdeden, wie der Dichter feine 
Heldin benugt, um durd ihren Mund die ernfteften fittlichen 
Wahrheiten zu verfünden. Sonft aber tft fie ein reined Gemüth, 
dad vor jedem Frevel zurüdbebt; Frömmigkeit und Liebe find 
die einzigen Empfindungen, die ihr Herz erfüllen, nur leider 
nicht in ſchöner Eintracht, denn „der Himmel und Ferdinand 
reißen an ihrer Seele”. Wie ihre Frömmigkeit bie kindliche 
Unbefangenheit eingebüßt, jo hat fie auch mit ihrer Xiebe die 
Ruhe der Seele verloren; denn es tft eine Liebe, die nicht be: 
glüdt, fondern mit banger Beſorgniß für die Zukunft erfüllt. 
So erſcheint fie gleich bei ihrem erften Auftreten nicht als die 
hanbelnde, jondern ald die duldende Heldin, die in fteter Angft 
lebt und ed wohl fühlt, daß fie dazu beitimmt ift, ein Opfer 
feindlicher Mächte zu werben. Die einzige fichere Stüße findet 
fie in der Pietät gegen ihren Vater, und gerade dieſe wird ihr 
Berderben; denn ihm zu Liebe will fie fi erhalten und Allem 
entjagen, und vergißt dabei, daß die Offenbarung der Wahrheit 
eine böbere Pflicht jet als die Geheimhaltung eined ergwungenen 


Kabale und Wiebe. 513 


Eides. Das ift ihre Schuld, die wir ihr fo gern verzeihen 
möchten, der fie aber. dennoch unter den gegebenen Berhält: 
nifſen zum Opfer fallen muß. 

Berfolgen wir nun, wie der Dichter die feinem Drama zu 
Grunde liegende Idee in dem Berlaufe der Handlung 
durchführt. Der erfte Act zerfällt in zwei Haupttheile, indem 
die vier erften Scenen in dem Miller’fhen Haufe, die drei legten 
in dem des Präfidenten fpielen. Gleich zu Anfang kündigt fich 
‚der tragiiche Charakter ded Stüded an, indem wir einer draftt: 
ſchen Eheſtandsſcene beizumohnen haben. Miller’8 Frau hat die 
Liebſchaft zwifchen Ferdinand und Louiſe begünftigt; der tiefer 
und weiter blidende Bater will dem ganzen Handel ein Ende 
machen. Da erfcheint Wurm, der auch ein Auge auf dad Mäd— 
hen bat, um zunächft dad Terrain zu fondiren; aber die Mutter 
laäͤßt ihn merken, daß fich für die Tochter bereits günftigere Aus: 
fihten eröffnet haben, und ber Bater giebt ihm deutlich zu ver - 
ftehen, daß er ihm ald Schwiegerfjohn wenig behage. So zieht 
fih Wurm, gewiß wenig erbaut von ber heftigen Scene, der er 
beigewohnt, zurüd, und Miller, der Menſchenkenner, prophezeiht 
jogleih die Kabale, die der Schleicher ſchmieden wird. Sekt 
fommt die Tochter aus der Meile; ihre erjte Frage ift nach dem 
Major, der, nahdem Bater und Mutter fie verlafien, ſelbſt er: 
icheint. Die beiden Liebenden, bie ſonſt in traulidem Geſpräch 
jo glüdlich geweien, ſtehen jet einander in nicht erfreulicher 
Weile gegenüber. Louife ift von trüben Ahnungen erfüllt; ihr 
Bater hat ihr bereit3 gejagt, daß er ihr den Major nicht geben 
fann, und fie fürdtet, der Präfident wird ihn ihr nicht geben 
wollen. Aber Ferdinand erklärt fich bereit, den Kampf mit 
den Standeövorurtheilen aufzunehmen. Leider nur will er nicht 
mit ihr vereint den Sturm erwarten, ſondern er will fid 
„zwilchen fie und dad Schidfal werfen”; jo muß fie an dem 
Erfolge zweifeln, und wir ahnen bereitd, daß der Ausgang fein 
glüdlicher fein wird. 

I. 383 


514 Kabale' und Liebe, 


Unterbefien zieht fi Das Ungewitter in dem Haufe des 
Präfidenten zufammen. "Wie Miller voraudgefagt, hat Wurm 
mitgetheilt, was er von dem Xiebeöverhältnig erfahren. Obwohl 
ber Präfident die Sahe anfangs nicht ernft nehmen will, jo 
verdrießt ed ihn doch, feine Plane gefreuzt zu ſehen; er beeilt 
fih daher, feinem Haußfecretair mitzuteilen, daß Yerdinand die 
Milford heirathen fol. Und da er ſich berechtigt glaubt, feinen 
Willen ald Vater eben fo durchäufegen wie ald Staatsmann, fo 
veranlapt er den Hofmarfhall, die Verlobung als feftftehende 
Thatjache befannt zu machen, damit Yerdinand gezwungen et, 
ben getroffenen Anordnungen Yolge zu leiften. Jetzt erjcheint 
fein Sohn, erfährt von dem Bater, auf welche Art derfelbe fein 
künftiges Lebensglück begründen, zugleich aber auch, daß er ihn 
vermäblen will. Einer Milforb feine Hand zu reichen bezeichnet 
er als eine ſchmachvolle Zumuthung; aber auch einer Gräfin von 
. Oſtheim (1.d.) kann er feinen Antrag machen, da er bereits in- 
nerlich gebunden tft. Dies legtere feinem Bater zu geitehen, bat 
er leider nicht den Muth, wodurch der Präftdent in feinen Ver⸗ 
mutbungen, dad Verhältniß zu Louiſen ſei fein ernſtes, beftärkt 
wird. So muß er fi denn entfchließen, dem Willen feines 
Vaters vorläufig nachzugeben, indem er hofft, die Milford werde 
ed nicht wagen, feine Hand zu erzwingen. 

Der zweite Act zerfällt gleichfalld in zwei Abſchnitte; 
denn die brei erften Scenen gehen bei ber Lady Milford, bie 
vier legten in dem Haufe des Muſicus vor. Die Lady fchüttet 
ihr Herz, da ſie ja Niemand weiter hat, ihrer Kammerjungfer 
aus; fie möchte den niederen Sinnengenuß mit wahrer Liebe 
vertaufhen und dann den Hof verlafien. Doc diefem Traum 
bes Glücks joll ein bittered Erwachen folgen. Zwar bringt ihr 
ein Kammerdiener bed Fürften ein koſtbares Brautgeſchenk, aber 
er öffnet ihr zugleich die Augen über ven ſchändlichen Menſchen⸗ 
handel, welchen der Yürft mit feinen Landeskindern treibt und 
giebt ihr fürdterlide Wahrheiten zu hören. Natürlich wird fie 
bierdur in eine Stimmung verfept, die wenig geeignet tft, den 


Kabale und Liebe, 515 


Major zu empjangen, der noch dazu in ber Abficht erſcheint, fie 
tief zu demüthigen. Indeſſen gelingt e8 ihr doch, den erften 
Angriff abzujhlagen, um jo mehr ald Ferdinand wohl fühlt, 
daß er in der Form feiner Beleidigung die Schranken ber Con⸗ 
venienz allzu Fühn überfchritten. Ja noch mehr, ihre weibliche 
Beredſamkeit verfteht es meifterhaft, fein Inneres zu ergreifen, 
fo daß er die anfangs Berachtete bald in jugendlich ercentrijcher 
Weiſe bemimdert. Aber als fie ihm gefteht, daß fie durch ihn 
gerettet zu werden wünjche, da muß er ihr fein Verhältnig zu 
Louiſe entdeden, fie auf die Verpflichtungen hinweiſen, bie ex 
bereitö eingegangen tft. Doc fie, fchon an das Herrfchen ge 
wöhnt, will auch dieſes Hinderniß befämpfen, denn ihre ur 
erfordert ed, daß ſie auf die Verbindung dringt. 

Mir betreten nunmehr Miller's Haus, um einer’ mächtig 
erjhütternden Scene beizuwohnen. Der Alte tobt noch ärger 
als im erften Act, denn ein Bote des Mintfterd, der nach ihm 
fragen läͤßt, weiffagt nicht Gutes; Miller’3 Frau tft völlig 
rathlos, und Louiſe wird von banger Ahnung ergriffen. Da 
tritt Ferdinand ein, um fich gegen Louiſe Giber die mit ber 
Milford zu vollziehende Vermählung audzufprechen, zugleich aber 
um fein Recht zu behaupten und den Kampf zwifchen Liebe und 
Sohnespfliht zu beftehen. Denn in dem Augenblid, wo er 
wieder fort will, erfcheint fein Vater. Obgleich Ferdinand fidh 
jest offen und feierlich zu Louiſen als feiner Braut befennt, und 
mit männlider Entichiedenheit für ihre Ehre eintritt, jo wird 
fie Doch von dem Präftdenten auf die rohefte und empörenbfte 
Weiſe beihimpft. Das verjegt den alten Miller in Wuth; in 
der gerechten Entrüftung feines tief verlegten Ehrgefühls ver. 
gißt er ſich, beletbigt den Präfidenten, den Hof und droht jogar, 
von jeinem Hausrechte Gebrauch zu machen. Dafür muß fi) 
der Präfident Genugthuung verichaffen, und joll die ganze 
Familie darüber zu Grunde gehen. Er läßt Gerichtöbiener 
eintreten, um feine Befehle zu vollziehen, Tochter und Mutter 
an den Pranger und ben Bater in's Zuchthaus zu führen. 

35 * 


516 Kabale und Liebe. 


Ferdinand ſetzt fich mit Entichiedenheit zur Wehr, aber nur durch 
die Drohung, dad Aeußerfte zu thun, die geheimen Verbrechen 
bes Baterd an das Licht zu bringen, gelingt es ihm, den Angriff 
abzufchlagen. Somit tft ber Verſuch, ‚die Liebenden von einander 
zu trennen, gefcheitert; weder die Lady, noch der Präfident haben 
thren Zwed erreicht. 

Der dritte Act ſpielt in den drei erften Scenen bei dem 
Präfidenten, in ben brei legten in Miller's Haufe. Zunächft 
unterhalten fih der Präfident und Wurm über den mißglüdten 
Berjuch, Ferdinand zum Zurüdtreten von feinem Verhältniß zu 
bewegen. Da-ber erfterd rathlos ift und dennoch gern feinen 
Zwed erreichen möchte, jo wendet er ſich fragend an Wurm, ber 
auch fogleich mit ſchlauer Berechnung die Kabale ſchmiedet, welche 
die Herzen ber Liebenden auseinander reißen fol. Er jelbit fit 
unfähig, Louiſen's Herz für fich zu gewinnen; feinen Nebenbuhler 
audftechen zu wollen, wäre ein ganz vergebliched Bemühen; und 
daß er weber von dem Vater noch von der Mutter etwas zu 
hoffen bat, ift ihm klar geworden. Sept müfjen Lift und Gewalt 
angewendet, ed muß ein Zwiefpalt zwiſchen den Liebenden jelbit 
erzeugt, ihr gegenfeitiged Vertrauen erjchüttert werden. Warum 
follte ji der Major durd einen aufgefangenen Brief nicht eifer⸗ 
füchtig machen lafjen? Und Louiſe von ihren Eltern zu trennen, 
tft auch nicht ſchwer; find doch Miller’ beleidigende Reden Ber: 
anlafjung genug, ihn und, der Sicherheit wegen, vorläufig auch 
die Mutter verhaften zu laſſen; dann iſt das Mäbchen in feiner 
Gewalt und ihm wie dem Herm Minifter geholfen. Der Prä- 
fident erfennt dies an und nennt ben Plan ein fatanifches Ge- 
webe, mit deſſen Ausführung aud feinen Augenblid gezögert 
wird. Der Hofmarjchall muß feinen Namen zu einem Rendezvous 
hergeben, Wurm jept einen in Louiſen's Namen gejchriebenen 
Brief auf, die Eltern ded Mädchens werden in der Stille ver: 
haftet. So ift Alles zweckmäßig eingeleitet, und ed handelt fich 
nur noch darım, die Mine fpringen zu laffen. 


Kabale und Liebe, 517 


Wie fieht ed jetzt in Miller's Haufe aus? Louiſe ift allein, 
ohne noch zu ahnen, was bereit mit ihren Eltern gefchehen ift; 
aber Ferdinand beſucht fie. Es ift ein trauriges Beifammenfein, 
denn dad Band, dad ihre Herzen verknüpfte, iſt bereits gelodert. 
Sie läßt alle Hoffnungen ſinken, während die feinigen fteigen, 
ba e3 jetzt Gefahren zu beftehen giebt. Louiſe bat fich klar ge- 
macht, daß der Unterſchied der Stände für ihre Liebe eine un- 
überwindlihe Schrante ift, daß fie zu hoch hinausgewollt hat. 
Außerdem ift fie von dem Präfidenten auf die ſchmachvollſte 
Weiſe beleidigt worden; als Mädchen von Ehre muß fie jept 
zurüdtreten. Auf dieſe Weiſe wird Ferdinand ſeinen Berbält- 
nifien zurüdgegeben,, fie ihrem Bater erhalten. Ferdinand Da 
gegen will die Schranfen mit Gewalt durchbrechen und verlangt, 
daß fie, von ihrem Vater begleitet, mit ihn fliehe. Das aber 
kann fie nicht; eine Liebe, auf weldher der Fluch eined Schwieger- 
vaterd ruht, iſt ein’ Frevel, an dem fte fich nicht zu betheiligen 
vermag. Ferdinand betrachtet dieſen Entichluß als Mangel an 
feuriger Liebe und ſchöpft Verdacht. Einmal in eraltirter Stim⸗ 
mung, verwandelt fich fein Mißtrauen in grundloje Eiferfucht, 
bie aber bald eine gefährlihe Nahrung erhalten joll. — Louiſe 
bleibt jetzt allein und fehnt fich vergeblich nach der Rüdkkehr ihrer 
Eltern; aber bald follen ihre bangen Ahnungen zu Ichredlicher 
Gewißheit werden, denn kaum ber Charybdis entronnen, nahen 
ihr jetzt die gefährlichen Klippen der Scylla. Wurm, ihr heim- 
liher Bewerber erjcheint, um fein Opfer auf die Folterbank zu 
fpannen; fie hört, daß ihre Eltern gefänglich eingezogen find, 
bag dem Bater ein Eriminalprozeß droht, daß Ferdinand's Loos 
Fluch und Enterbung ift, wenn er bie Milford ausſchlägt; fie 
fühlt, daß fie Died Alles, wenn auch nicht verjchulbet, jo Doch. 
zum Theil herbeigeführt; man fagt ihr, es jei der Wunſch des 
Baterd, daß fie den Mafor frei mache; und nun wird ihr der 
Ihändliche Brief in die Feder dietirt, gegen dem fich ihr ganzes 
fittliche8 Gefühl empören muß, der Brief, durch welchen fie 


518 Kabale und Liebe. 


gendthigt wird, ihrer Liebe den Todesſtoß zu verſetzen. Hatte 
fie bis jegt nur auf Ferdinand’8 Hand verzichtet, fo Hat fie nun 
- auch ihr Herz von ihm Ioögerifien. Und tn bemfelben Augen: 
blick, wo fie ihn wirflich verloren, tft Wurm im Stande, ihr 
den Heirathöantrag zu machen. Es ift der Muth des feigen 
Sntriganten. 

Der vierte Act zerfällt wiederum in zwei Haupttheile, 
indem die fünf erften Scenen in dem Haufe des Präfidenten, 
die vier legten bei ber Milford ſpielen. Yyerbinand, ber bereits 
an Rouifen irre geworden, bat den Brief des Hofmarſchalls 
gefunden. Obwohl er fich fagen muß, dag nur blinde Eiferſucht 
ihn foltert, traut er doch feinen Augen mehr ald feinem Herzen 
und flieht alle Mebederwiederungen ald Tünftlihe Berechnung, 
als abfichtlihe Täufchung an. Nun kommt der Marfchall, den 
er bat rufen laſſen, er zeigt ihm den Brief, fordert ihn auf 
Piftolen, und findet ftatt eined Edelmannes einen erbärmlichen 
Haſenfuß. Militairiſcher Stolz und eiferfüchtige Leidenſchaft ver: 
fegen ihn jeßt in jolcde Aufregung, daß er das offene Belennt- 
niß feines vermeintlichen Nebenbuhlers vollftändig mißdeutet, ja 
kaum anhört und ihn ald einen elenden Yelgling entfliehen läßt. 
Blind und taub für Alles, was fhn umgiebt, raft er jept gegen 
ſich jelbft, wie gegen die Geliebte feines Herzend und faßt den 
Beſchluß, fie und fich zu tödten. Was Hilft es ihm jept, daß 
fein Vater ſich nachgiebig zeigt, daß er ihm jept bad Mädchen 
geben will, das fich feiner fo wenig werth bewieſen; dieſe &fte 
tft nur geeignet, ihn völlig toll zu machen, denn von Wurm's 
geheimer Machinatton, ber durch diefen Schritt bed Präfidenten 
den Berbacht einer möglicden Kabale von ſich ablenken will, bat 
er Teine Ahnung. 

Bas wird nun unter ben obwaltenden Umftänden aus ber 
Milford werden? Wir finden fie im Geſpräch mit ihrer Kammer: 
jungfer, die fie zu Louiſen gefchidt hat, denn fie möchte ihre 
Nebenbuhlerin kennen lernen, fle demütbigen, erniedrigen und, 
wenn noch irgend möglih, aus dem Felde fchlagen. Aber fie 


Kabale und Liebe. 519 


findet eine ganz andere Gegnerin ald Ferdinand in feinem ver: 
meintlihen NRebenbuhler. Der Verführten, der Gefallenen fteht 
hier die Repräjentantin der Unſchuld und Tugend gegenüber, 
die ihr die ernfteiten Wahrheiten jagt und fie einen tiefen Blid 
in ihr eigened Innere thun läßt. Es iſt, ald ob ein Beichtoater 
zu einer ſchweren Sünderin rede. Aber obwohl bie Lady fühlt, 
daß die Spitze des Pfeild, den fie abdrücken wollte, fih umkehrt 
and ihr eigenes Herz trifft, ift fie Doch nicht im Stande, fi zu 
demũthigen. Nur bie Zerriffenhett ihres Gemüthes trägt fie zur 
Schau, indem fie zuerft in heftig aufloderndem Zorn die fürd: 
terlihften Drohungen ausjtößt und unmittelbar darauf in ſchmei⸗ 
chelnd entgegentommender Weiſe Louiſe bittet, fie möge ihr 
Ferdinand abtreten. Das war befchloffen, ehe fie es ahnte; 
aber aus weldeen Händen ſoll fie den Major empfangen? Aus 
den Händen einer Selbftmörderin. Jetzt erft fühlt ſie die ganze 
Tiefe ihrer Schmach, begreift fie die volle Größe ihred Unglücks; 
jest erft gewinnt fie Kraft, ihre Schwäche zu beflegen. Schnell 
entichloffen, zerreißt fie Die Bande, welche fie an ben Herzog 
Mnüpfen und verzichtet fortan auf das ftolge Bewußtjein einer 
Herrfchenden wie auf das Glück ber Liebe. Des erjteren ift fie 
überdrüffig, das letztere hat fie verfcherzt; jetzt muß fle beibes 
entbebren, dad ift ihre Strafe. 

Der fünfte Act erinnert und an den Anfang des Stüds, 
indem er und in bdafjelbe Zimmer führt, wo wir die Yamtlie 
Miller's Tennen gelernt. Louiſe tft jetzt allein, ein mattes 
Dämmerliht umhüllt ihre Geftalt, Gedanken bed Selbfimorbes 
ziehen Durch ihre Seele. Aber fie möchte nicht allein fterben, 
Das ſchwache Weib bedarf auch im Tode eines Anhalts, ihr 


“ Ferdinand wird fie in biefer fchweren Stunde nicht verlafien. 


Sept kommt ihr Vater; er ahnt, es ſei ein Ungläd gejcheben, 
während ihn ein jchlimmeres noch erwartet. Xoutje ſpielt auf 
den Tod an, den Brief an Ferdinand Hat fie ſchon ‚geichrieben, 
der Bater foll ihn ihr beſorgen. Es ift eine jchwere Aufgabe, 
noch dazu heut, an feinem jechzigiten Geburtötage. Er will ben 


520 Kabale und Liebe. 


Inhalt ded Briefed wiſſen, erbricht ihn und erfährt das Ent 
ſetzlichfte, was ein Baterherz treffen kann. Er mahnt fie an 
“ihre Kindesliebe, an das göttliche Gericht, nennt ihren Tod einen 
Stih in fein Herz und beihwört fie, das Hell ibrer unfterb- 
lichen Seele zu bedenken. Ste lämpft einen furdhtbaren inneren 
Kampf, endlich zerreißt fie ben Brief und wii mit ihrem Vater 
fliehen. Aber es ift zu fpät, Yerbinand tritt herein, und Louiſe 
fühlt, daß fie verloren tft. Miller bittet ihn, er möge fliehen, 
aber er hat ja Wichtiges zu berichten. Louiſe muß willen, daß 
die Milford geflohen, daß der Präfident in die Wahl ſeineß 
Sohnes willigt, daß jetzt alle Hindernifle, Die der Verbindung 
von feiner Seite ber im Wege ftanden, befeitigt find. Sekt ift 
nur noch die Frage, ob von Louiſen's Sette nichts geſchehen tft, 
was den Bund der Herzen trennt. Er wirft ihr .den Brief an 
den Marſchall zu und fragt, ob fie ihn gefchrieben. Nach ſchwe⸗ 
rem inneren Kampfe bejaht fie ed und bittet ihn, fie zu verlafien. 
Sept hat fich Ferdinand's Eiferfucht in Haß verwandelt und der 
fürdhterlihe Entſchluß ift gefaßt; er bittet um bie verbängniß« 
volle Limonade. Die beiden Männer bleiben jetzt allein, es tft 
eine rührende Scene, der Erinnrung an glüdliche Zeiten geweiht; 
wir bebürfen ihrer, ehe wir ben entfcheidenden Streich fallen 
ſehen. Nach einem kurzen Monologe, in welchem Yerbinanb 
mit fih zu Rathe gebt, ob er auch ein Recht habe, dem Vater 
feine einzige Tochter zu rauben, entledigt er fich feiner legten 
Pflihten gegen denfelben und bittet ihn, ihm ein Billet an ben 
Präfidenten zu beforgen. In dem Augenblid, wo Koutfe ihrem 
Vater binausleuchtet, ſchüttet er dad Gift in die Limonade. 
Louiſe kommt zurüd; ed erfolgt eine peinlihe Scene. Fer⸗ 
dinand ſteht ftumm in ſich gekehrt. Mäbrend ihm fonft jeder 
Blid feiner Louiſe eine Seligkeit war, beachtet er jebt keins ihrer 
Worte, beantwortet keine ihrer Fragen, bis er fih in allerlei 
bämifchen Aeußerungen Luft madt. Nun läßt er fie von ber 
Limonade trinken, ed fommt zu neuen Grörterungen, bei ihr 
bricht bad volle Liebeögefühl wieder hervor, er ergeht fi in 


Kabale und Liebe. 521 


frevelhaften Aeußerungen fiber das fchlechte Herz, an bad er 
gerathen; Loniſe wird auf eine fürdhterlihe Probe geſetzt. Enb: 
lich richtet er die wiederholte Frage an fie, ob fie ben Marfchall 
-geliebt; aber erft als er ihr den Tod ankündigt, fagt fie ihm, 
daß fie unfchuldig fterbe, daß der Brief ein ergzwungener gewefen 
fel. Mit dem Gebete, Gott möge ihm und feinem Vater ver: 
geben, ftirbt fie; daß er eine Unfjchuldige getöbtet, das tft feine 
härtefte Strafe. Die letzte Scene führt den Präfidenten an 
Louiſen's Leihe, um ihm die Frucht jeiner Kabale zu zeigen. 
Schaudernd an bad göttliche Gericht gemahnt, wälzt er jept bie 
ganze Schuld auf Wurm, doch diefer von Ingrimm über das 
Miplingen ſeines Plans erfüllt, will nicht das alleinige Opfer 
gemeinfamer Schuld fein, fondern zieht ihn mit in den Abgrund. 
Nur von dem fterbenden Ferdinand erlangt er noch ein Zeichen 
der Bergebung, während der unglüdliche Miller voll Verzweiflung 
and dem Zimmer flürzt. 

“ &o endet daß Stüd mit einer furchtbaren Diffonanz, denn 
wenn auch bie Liebe ihre Macht über bie Kabale mit dem Tode 
beftegelt, jo kommt es doch nicht dazu, daß. die Väter der un- 
glüädlichen Liebenden fi wie in Shakeipeare'8 „Romeo und 
Sulia* Ye Hände reihen. Die Berfühnung der einanber feind» 
lihen Stände follte einer fpäteren Zeit vorbehalten bleiben, wo 
die künftlich gezogenen Schranken zufammenftürzten, wo die Natur 
wieder in ihre Rechte trat und die Menſchenliebe als folche ben 
Steg errang. Bekanntlich ift Sch.'s „Kabale und Liebe” von 
Gervinus, Hoffmeifter, Schlegel, Schwab, Vilmar und Anderen 
ziemlich herbe, von Hildebrand, Hinrich und Röticher milder, 
am richtigften wohl von Palleste und Eckardt beurtheilt worden. 
Der Leptere fagt: „Es darf und nicht befremben, wenn auch 
biefe Dichtung weit mehr mit menfchlicher Keidenfchaft und Er- 
bigung als mit künſtleriſcher Mäßigung geichrieben tft; fie tft 
ein Borbote jener großen Bewegung, die ganz Europa erſchüt⸗ 
terte, und die kommende Sonne Tündigt fih bekanntlich mit 
Sturmeöwehen an." Und wer möchte leugnen, daß das Stück 


522 Kabbala — Kalchas. 


im Bunde mit der geſchichtlichen Entwickelung ber Völlker eine 

mächtige Wirkung geübt; dürfen wir doch mit Stolz darauf 
binweifen, dab wir jebt auf Europas Thronen faft überall das 
wohlthuende Bild des Yamilienlebend erbliden, daß e3 die Yürften- 
für eine Ehre halten, wenn man fie ald Vater des Vaterlandes 
bezeichnet, daß e8 unter den Mintftern weder an wahrhaften 
Patrioten, noch unter den Staatsbeamten an Männern von 
erprobter Sewiffenhaftigkeit fehlt. Auch Adel und Bürgerftand 
find einander vielfach nähe getreten, fo daß die Gegenwart eines 
Stüdes wie daß vorliegende als Zeitfptegel nicht mehr bedarf. 


Kabbala (Gftſ. 10, 166), von dem hebr. Kabal, arab. Kabala, 
an: od. aufnehmen; die mündlich fortgepflanzte Lehre der Juden 
im Berein mit den nicht: mofaifchen heiligen Büchern derfelben, 
eine Geheimlehre der Juden, bie fich zu einer eigenen Schule 
und Literatur ausgebildet hat und weientlih in einer muftifchen 
Religiondphilofophie befteht. Gaufler und Bolföverführer haben 
ih ihrer oft zu uneblen Zweden bedient. Ebendaher Cabale 
(R.IV,2 — $. Vorr.), fraf. ein heimliches Verftändniß, geheime 
Berbindung zu einer böfen Abit, wie Hof:-Cabale (K. u. 
L. II, 1). 2: ; 
Kadmus (Myth.), der Sohn bed phöniciihen Königs 
Agenor, kam, feine von Jupiter entführte Schwefter Europa 
fudend, 1550 v. Chr. nach Böotien, wo er die Stadt Theben 
(Phön.) gründete, die daher (ebendaf.) „Kadmus Stadt“ ge: 
nannt wird. Er vermählte fi mit Harmonia (ſ. d.), welde 
ihm die Semele gebar, die Juno daher (Geb. Semele 1) „bie 
Tochter Kadmus“ nennt. 

Kaffeeſatz (Tur. III, 2), der nach der Bereitung bed Kaffees 
in dem Kochgefäß zurüdbleibende Grund, aus deflen Beichaffen- 
heit die Zigeuner und alte einfältige Weiber zu prophezeihen 
pflegen. 

Kalchas (Ged. 2. B. d. Yen. 17 — D. Siegedfeft — 
Iph. I, 1) der berühmtefte Priefter und Seher, weldyer während 


Kalender — Kampf. 523 


des trojaniſchen Kriege den Griechenfürften den Willen der 
Sötter Fund that (ZI. 1). 

Kalender, von dem lat. calendae (d. i. der erfte Tag jedes 
Monats), ein Verzeichniß fammtliher Tage des Sahret. Man 
pflegt daſſelbe wohl zu benußen, um bejonderd wichtige (freudtge 
oder traurige) Ereignifje zu notiren; daher (Mcb. IV, 4): 

. — — — — ‚Berfluht auf ewig ſtehe 
Die Unglädsftunde im Kalender." 

Kalydon, eine Stadt in Aetolien, einer Landſchaft des 
alten Hellas. Mit Beziehung: auf die Tapferkeit feiner Be: 
wohner heißt es (Phön.) von Tydeus: 

„Dem fchlägt der kalydon' ſche Mars im Baſen: 
vergl. Ares. 


Kaminiec ſſpr. c — 3) (Dem. D am Onjeſtr, die Hauptftadt 
des ruſſiſchen Gouvernements Podolien, welches ehemals zu 
Litthauen gehörte. 

Kämmerer, gew. der Vorgeſetzte einer Kammer, beſ. der, 
welcher die Einkünfte einer Stadt oder Gemeinde verwaltet; die 
Kämmerer (Meb. II, 10) od. Kämmerlinge (Meb. II, 4), 
j. v. w. Kammerdiener. 


Kammerberr, der aufwartende Edelmann bei einem Fürften, 
der ald Zeichen feiner Würde hinten am Rod ein goldenes 
Schlüſſelchen (Wft. T. I, 7), den Kammerherrnſchlüſſel 
(8. u. L. 1, 6), trägt; daher fagt (Pice. II, 7) Buttler zu 
Queſtenberg: | 

— — — — — Schwerlich möchte Sie 
Der goldne Schlüffel vor Mißhandlung ſchützen.“ 
Kamönen od. Kamenen, ſ. Muſen. 


Kampf, Der (Ged.), ein Gedicht, das vor dem Richterftuhl 
der Moral auf den erften Anblid durchaus verwerflich erjcheint. 
Es erfhien im Jahre 1786 in der Thalia unter dem Titel: 
„Sreigeifterei der Reibenfchaft” mit dem Zuſatze: „AB Laura 


524 Kampf mit dem Draden. 


vermählt war“ und bezieht ſich vermuthlich anf die Auflöfung 
des DVerhältniffes, in welchem Sch. zu Margarethe Schwan, der 
Tochter feines Manheimer Buchhändlerd, geftanden. In einer 
Anmerkung fucht er den Berbadht, ala babe er in dem Gedicht 
feine eigene Anficht audgefprochen, von fi abzuwälzen. Er 
jagt: „Ich habe um fo weniger Anftand genommen, bie zwei 
folgenden Gedichte (nämlich den Kampf und die Refignation) 
bier aufzunehmen, da ich von jedem Leſer erwarten Tann, er 
werde jo billig fein, eine Aufwallung der Leidenjchaft nicht für 
ein philoſophiſches Syſtem, und. die Verzweiflung eines erdich⸗ 
teten Liebhabers nieht für dad Glaubensbekenntniß des Dichters 
anzufehen. Widrigenfalld möchte ed übel um den dramatifchen 
Dichter audfehen, deſſen Sntrigue jelten ohne einen Boͤſewicht 
fortgeführt werden kann.“ Uebrigens tft dad Gedicht gegen früher 
ſehr abgekürzt, fo dah ber innere Zuſammenhang Dadurch verloren 
gegangen iſt; ed macht baher feinen erfreulichen @indrud, um: 
ſomehr als der innere Zwielpalt, um den ed fi hier handelt, 
ungelöft bleibt. Aus dem letzteren Grunde fühlte fih Sch. aud) 
veranlaßt, die fpäter gedichtete Refignation (ſ. d.) mit demſelben 
zufammenzuftellen. 

Kampf, Der, mit dem Draden (Ged.). Diejed Gedicht 
ftammt aus dem Sabre 1798. Obwohl die längfte unter den 
Balladen, tft fie doch in dem kurzen Zeitraum von acht "Tagen 
entftanden. Den Stoff lieferte dem Dichter Niethammer's Ueber⸗ 
ſetzung von Vertot's Gefchichte des Johanniterordens, eine Arbeit, 
die Sch. mit einer Vorrede begleitete. Es wird darin eine Be: 
gebenheit erzählt, die fich zur Zeit des Papftes Glemend VI. 
unter dem Grofmeifter Helion de Villeneuve zugetragen haben 
fol, der von 1323 —1346 Oberhaupt des Ordens war. Auf 
Rhodos, einer der unter den Sporaden befannten, an der Küfte 
von Kleinafien gelegenen Snfeln, befand fich zu jener Zeit ein 
fürchterliches Amphibium (ein Krokodil oder eine Schlange), wel: 
ches mannigfache Verheerungen unter den Biehheerden der Ein» 
wohner anrichtete. Als ſelbſt mehrere Menfchen verfchlungen 


| 


Kampf mit dem Draden. 525 


worden waren, hatten fich verjchiedene Ritter aufgemacht, um 
das Ungeheuer zu erlegen, aber alle waren ein Opfer ihres 
Muthed geworden. Da gebot der Großmeifter bei Verluft bes 
Ordenskleides, dem Kampfe zu entſagen. Nüdfichten der Men: 
Ichenliebe und der Klugheit hatten den Befehl gegeben, dem auch 
willig Folge geleiftet ward. Nur einer ber Ritter Dieudonne 
(Deodat) von Gozon, ein Provenzale, Hatte feine Ruhe. Er 
bat um Urlaub und ging nach feiner Heimath, wo er auf 
einem Schlofie Gozon, das noch jetzt fich dort findet, die in 
dem Gedichte gejchilderten Vorbereitungen traf. Hierauf Tehrte 
er 1345 nach Rhodas zurüd, ließ in aller Stille feine Waffen 
nad). einer Kirche auf dem Berge St. Stephan bringen und unter: 
nahm den Kampf, aus welchem er als Sieger hervorging. Bon 
den Einwphnern im Jubel eingeholt, begleitete man ihn nad 
dem Balafte des Großmeiſters. Diejer jedoch, verpflichtet, Die 
ftrenge Ordenszucht aufrecht zu erhalten, fchidte den Ritter in's 
Gefängnig. Indeſſen juchte er, nachdem dem Geſetze Genüge 
geichehen, die Sache jo zu lenken, daß die übrigen Ordensritter 
als Yürbitter auftraten, worauf Gozon wieder in den Orden 
aufgenommen und von ihm mit Wohlthaten überhäuft wurde. 
Sa, nad des Meiſters Tode ward er fogar zum Oberhaupt des 
Ordens ernannt, dem er bid zu feinem Tode (1358) vorftand. 
Auf feinen: Grabfteine lad man jpäter die Inſchrift: „Draconis 
exstinctor* (ded Drachen Vertilger). — Ein anderer mit bem 
Inhalte der Schiller'ſchen Ballade überraſchend ähnlicher Bericht 
dieſer Begebenheit findet ſich in: „E.G.Happelii, Gröfte Dend: 
würdigkeiten der Welt oder fjogenannte- Relationes curiosae. 
Hamburg gedrudt und verlegt durch Thomas von Wiering im 
güldenen A, B, C bey der Börſe, im Jahr 1683; Vol.I, ©. 39 
unter dem Titel: Die greuliche Drachen-Gefchichte*, von ber es 
heißt: „Diefe Hiftoria ift genommen aus Bofio, und zwar 
aus dem andern Buche feiner Hiitoria, die er geichrieben 
von der Meligion der Sohanniter Orbend Ritter von — 
ſalem.“ 


526 Kampf mit dem Draden. 


Sch. hat dies Gedicht mit dem Zuſatz „Romanze“ bezeich⸗ 
“net, wohl dedhalb, weil die romantische Weltanfhauung des 
chriſtlichen Ritterthums, wie fie fich im Mittelalter ausgebildet, 
auf den Charakter defielben beftimmend eingewirtt hat. Im 
Ganzen hat fih der Dichter an die gefchichtliche Ueberlie— 
ferung gehalten. &8 ift nichts Hinzu erfunden worden; nur bat 
fih die Begebenheit unter feinen Händen künſtleriſch geftaltet, 
indem er und fogleich mitten in einen Hauptakt derfelben hinein- 
verjept und die weit außeinanderliegenden Einzelheiten zu einem 
leicht überjchaulichen Bilde vereinigt. Als Grundidee ift ber 
ritterlide Muth in feiner bejcheidenen Unterwerfung unter bie 
ftrenge Ordenszucht zu betrachten, und das ächt hriftliche Motiv 
ber edlen GSelbjtverleugnung tft ein beſonders erhebenber Zug, 
ben der Dichter feinem Gemälde hinzugefügt bat. 

Dad Gedicht hat, wie e& der Ballade geziemt, einen durch⸗ 
weg epiſchen Charakter, indem der Verlauf der Handlungen in 
einfachen jambifchen, jedoch ernften und feierlichen Klängen an 
dem Obre bed Hörers vorüberzieht. Bei dem bedeutenden Um: 
fange des Gedichts erjcheint die intheilung in zwölfzeilige 
Strophen ein glüdlicher Griff, umfomehr als bie Länge der- 
jelben durch die kurzen Verszeilen angemefjen gemildert wird. 
Auf diefe Weife bildet fait jede Strophe einen befonderen Abs 
fchnitt, was auch wegen der Ausmalung vieler Einzelheiten nöthig 
war. Sn lesterer Beziehung tft Die Sprache oft höchſt maleriich 
wirffam, und viele Stellen haben eine merkwürdige Kraft, fo 
dab man zu einem gründlichen Studium ber einzelnen Schön- 
beiten mächtig angereist wird. — Str. 2, 8. 9—12, |. Johannes 
der Täufer. — Str. 12, B.7. In Arabien ſteht die Pferdezucht 
in fo hohem Anfehen, daß die edleren Thiere Stammbäume 
haben, aud denen ihre Abkunft zu erfehen tft. — Str. 25 ftellt 
die oben angedeutete, von dem Dichter erfundene Grundidee 
dar, welcher zufolge ihm die chriftliche Selbftverleugnung höher 
fteht als der ritterliche Heldenmuth. Mit der Darftellung dieſes 
Grundgedankens fchließt die Handlung raſch ab und regt den 


Kampfipiel — Kant. 527 


Hörer fomit zu weiterem Nachfinnen an. Es ift dem Dichter 
nit bloß darum zu thun, und einen Genuß zu bereiten, fondern 
feine Arbeit ftrebt eine nachhaltige Wirkung an. 


Kampffpiel (Ged. D. Handſchuh). Bet den alten Griechen 
und Römern, wie auch noch während ber Nitterzeit war es ein 
Hauptvergnügen der Großen und Bornehmen, Menſchen mit 
wilden Thieren, oder auch biefe gegen einander Tämpfen zu 
laffen. 


Kannibalen (Geb. An die Freude — R. IV, 5), zunädft 
die Ureinwohner der Meinen Antillen oder caratbiichen Inſeln, 
welche Menjchenfrefier waren; dann bildl. wilde und graufame 
Menſchen; kannibaliſch (%. 1, 12), graufam. 


Kanon, gr. zunächft f. v. w. Regel od. Richtſchnur; dann 
das Kirchengeſetz, beſonders dad Verzeichniß der heiligen Schrif 
ten, die bei Feſtſetzung der Glaubendlehren als Richtſchnur 
dienen follten; daher beißt ed (Gftſ. 10, 172) von dem Mar: 
chefe: „er hätte auf einen Artikel ded Kanond gejchworen“. 


kanoniſch, den Kirchengefegen gemäß; daher (Geb. D. bes 
rühmte Braun): 
„Dein Weib — Dank den kanoniſchen Geſetzen! — 
Weiß Deiner Gattin Zitel doch zu ſchätzen.“ 
womit die Kirchengeſetze über die Heiligkeit der Ehe gemeint 
find. 


- Kant (Immanuel), geb. zu Königdberg, 22. April 1724 
+ ald Prof. der Logik und Metaphyſik an der dortigen Univer: 
fität, 1804, bat auf dem Gebiete des philoſophiſchen Wiflens 
eine vollftändig nene Bahn gebrochen, indem er darauf drang, 
nicht über die Grenzen ber möglichen Erkenntniß hinauszu⸗ 
gehen, wenn man ber Wahrheit nicht verluftig geben wollte. 
Da Biele ihn nicht vollftändig verftanden, fo heißt es (Ged. 
Die Philofophen; David Hume): „Der Kant bat fie alle ver- 
wirret.“ 





528 Kant und feine Audleger — Käpaneud, 


Kant und feine Ausleger (Ged.), ein Xenion, welches 
einen Sieb auf Dad große Heer der Kantianer enthält, die fich 
in Ermangelung eigener Ideen mit denen des großen Meiſters 
brüfteten. 


Kanzelei, von dem lat. cancelli, Gitter, Schranken; ein 
Amtözimmer mit einem durch Schranken abgefchloffenen Raume, 
in dem fich die Mitglieder eined Gerichts verjammeln, um die 
Ausfertigung richterliher Angelegenheiten zu bejorgen. 1) Die 
Behörde jelbft, wie (Bft. &. 11): „Da jchreiben fie und in ber 
Wiener Kanzlei”; 2) (Wfl. T. V, 11) die Geſammtheit von 
Schriftſtücken. 

Kanzler, mittl. lat. Cancellarius, eig. ber Oberfte od. Vor⸗ 
geſetzte einer Kanzelei; ferner in früheren Zeiten einer der ober: 
jten Hof- und Staatsbeamten, dem bie Ausfertigung der öffent: 
lichen Schriftftüde oblag. Bet der geringen Verbreitung jelbit 
der Slementarkenntniffe legte man diefem Amte, das fich ge 
wöhnlich in den Händen der Geiftlichkeit befand, eine große 
Bedeutung bei, daher auch die ehrenden Titelzufäge, wie (Dein. I) 
Krongroßfanzler. In England ift der Großkanzler der Prä- 
fident und Sprecher ded Oberhauſes (vergl. Parlament); daher 
(M. St. IL, 1): 

„Bon dem Wall antwortete der Kanzler.” 
Der Kanzler (Wfl. T. J, 5) od. der ſchwediſche Kanzler 
(Bice. II, 5), f. Orenftierna. 


Kapaneus, einer der fieben Helden, melde 1225 v. Chr. 
gegen Theben zogen, und der bei dem vergeblihen Sturm auf 
die Stadt von einer Reiter, die er (Phön.) an die Mauer gelegt, 
von Jupiters Blipftrahl getroffen, herabſtürzte. Mit Käpaneus 
Sohn (ph. I, Zw.-H.) ift Sthenelod, Tat. Sthenelus (Geb. 
2.2. d. Yen. 45) gemeint, der an dem Zuge der jogenannten 
Epigonen (Nachkommen ber erften Angreifer) gegen Theben, wie 
auch als Heerführer der Argiver an dem trojaniſchen Kriege 
(SL 2, 564; 9, 48) Theil nahm. 





Kapuziner — Kärnthen. 529 


Kapuziner (Wfl. 2.8 — Picc. I,2 u. V, 2), von Kapuze, 
d.i. ein Mönchskleid mit einer Kappe (daher R. II, 3 Kapuziners⸗ 
kutte); eine zu den Francidfanern (j. d.) gehörige Brüderfchaft, 
welche 1528 von Matthäus v. Baſſi geftiftet worden und fi 
äußerlich durch eine lange, ſpitzige Kapuze und oft durch einen 
langen Bart audzeichnet. 

Kapys (Geb. 2.3. d. Aen. 6), ein Trojaner, Gefährte des 
Aeneas. 


Karavanſerai (Tur. I, 1) ſ. v. w. Karavanenhaus, nennt 
man im Morgenlande öffentliche Gebäude, bie theils in Staͤdten, 
theils in menfchenleeren Gegenden an der Landftraße erbaut find, 
um Reiſenden ein Obdach zu gewähren. 


Karazanen (Zur. I, 1 u. IV, 10), ſ. Keikobad. 


Karbatſche (%. I, 9), von bem ruf]. korbatsch, eine aus 
ledernen Riemen geflochtene Peitfche. 


Karl (F. II, 14 — 2. €. 1,2), Karl V, ter Bruder Ferdi: 
nand's I., defien Nachfolger bid 1740 ftetd Söhne oder nahe 
Verwandte ihrer Borgänger waren; baber fagt Terzky (Mit. 
T. 1, 6) von ihm: 

2 „Der Ohm und Ahnherr diejed Kaiſerhauſes.“ 
- Bergl. Bourbon. 


Karlöbad (ed. D. berühmte Frau), der berühmtefte Bade: 
ort Böhmend an dem zur Eger fliegenden Bache Tepl, mit fünf 
beißen Quellen, unter denen der Sprudel mit einer Temperatur 
von 50° R. weltberühmt ift. Sch. befuchte ihn felbft im Jahre 
1791. 

Karmeliter (K. u. L. V, ı — GEſtſ. 10, 252), Mönche von 
dem Orden unſerer lieben Frauen, der im 12. Jahrhundert unter 
der Leitung Berthold's von Calabrien von Pilgern auf dem Berge 
Karmel in Paläftina geftiftet wurde. 

Kärnthen (Pic. I, 1 — Bft. X. II, 4 u. V, 5), eine 
Provinz der Öftreihiihen Monarchie, welde von ber Drau 

I. 84 


530 Kartätiche — Karthago. 


durchftrömt wird und füblih von dem Erzherzogthum Deftreich 
und dem Herzogthum Steiermark Hegt. 

Kartätſche (Geb. D. Schlacht), von dem ital. cartaccia 
(fra. cartouche), d.t. Papierhülfe od. Patrone; eine mit Kleinen 
Kugeln gefüllte Patrone od. Büchſe von Blech, welche in Die 
Kanone geladen wird, und deren Inhalt beim Abfeuern furcht- 
bare Berwüftungen anrichtet. 

Karte, „die Karte verrathen” (N. a. O. II, 15), bildl. 
ſ. v. w. daß, was man geheim halten follte (mie feine eigene 
Karte bein Spiel), einem Andern, bejonder8 feinem Gegner, 


mittbeilen. 2 
. Kartenhaus (Ged. D. berühmte Frau), ſ. v. w. euftihloß. 


Karthago (4.B.d. Aen. 9), eine phoͤniciſche Eolonte in der 
Gegend des heutigen Zunid an der Kleinen Syrte, wurde 888 
v. Chr. von Dido (f. d.) gegründet, blühte dur See- und 
Karavanenhandel mächtig empor und unterwarf fih außer dem 
benachbarten afrikaniſchen Gebiete die Snfeln Corfica, Sardinten, 
den weitliden Theil von Sicilien und viele Kleinere Inſeln des 
Mittelmeered. Dieſe ſtets wachjende Macht rief den Reid der 
Römer wach und veranlaßte die drei Puniſchen Kriege (264—146 
v. Chr.), deren letter mit dem Untergange der Stabt endete. 
P. Cornelius Scipio, „der Mann mit dem vernichtenden Blick“ 
(R. IV, 2) eroberte ed, nachdem es länger ald ein halbes Jahr⸗ 
taufend das Meer beberricht hatte. Als die Stadt vor ihm in 
Aſche ſank, ſprach er, mit ahnendem Blid auf dad einftige 
Schickſal Roms, zu feinem Begleiter Polybius die Homeriſchen 
Verſe (31. IV, 164): - 

„Einft wird kommen der Tag, ba bie heilige Jlios hinfinkt, 

Priamos feldft, und das Volk bes Ianzentundigen Königs!" 
Sn dem Epigramm Karthago (Ged.) aud dem Sabre 1795 
ift „die beſſere menſchliche Mutter“ die Stadt Tyrus (ſ. d.), von 
wo aus bie Pflanzftadt Karthago gegründet wurde. — V. 4. 
Wenn ber Torier ald Kaufmann auch auf feinen Bortheil 





Karthbaufe — Kaffantra. ' 581 


bedacht war, fo ftiftete er doch Nutzen, indem er Kenntniffe ver- 
breitete. „Die audgeartete Tochter” konnte ſich deſſen nicht 
rühmen; Karthago Tannte nur das Streben nad Reichthum, 
höhere Zwecke waren ihm fremd. 


Karthaufe (Mit. T. V, 12), ein Karthäuferflofter (D. €. 
II, 14) von der‘ Gegend, welche noch heut la grande Chartreuse 
beißt, unmwelt Grenoble im ſüdl. Yranfreih, wo das Haupt: 
Pofter des Karthäuferordens im Jahre 1084 von dem heiligen 
Bruno geftiftet wurde. 


Karvanſerai, ſ. Karavanferat. 


Kaflandra od. Alexandra war eine Tochter bed Königs 
Priamus und der Hecuba. Shre audgezeichnete Schönheit lenkte 
die Blicke des Apollo auf fte, der ihr verſprach, er wolle fie in 
die Zukunft bliden lehren, wenn fie ihn mit ihrer Gegenliebe 
belohne. Kaffandra nahm das Geſchenk des Gottes an; daher 
(Ged. 2. 2. d. Yen. 42): 


— — — — — Apoll's Orakel ſpricht 
Weifſagend aud Kafſandrens Munde.“ 


Da ſie jedoch ſich weigerte, ihm Wort zu halten, ſo fügte er 
dem Geſchenke, das er nicht wieder zurüdnehmeh konnte, den 
Fluch Hinzu, daß Niemand ihren Welffagungen Glauben ſchenken 
möge. Diefer Fluch ging ſchrecklich in Erfüllung. Man hielt 
fie für wahnftnnig (vergl. Spb III, Zw.:$.), und fle wurde das 
Geſpött der Leute. — Die aud dem Jahre 1802 ſtammende 
Ballade (Geb.), in welcher der an fi Dramatifche Stoff in ein 
Iprifche8 Gewand voll ſchwunghafter Diction eingefleidet erſcheint, 
giebt dem mitgetheilten Mythus einen höheren Charakter. Der 
Blick in die Zukunft macht die Priefterin unglüdli und erfüllt 
fie mit einem Schmerz, dem ihre Seele erliegt. So wird fie in 
der Borftelung des Dichterd ein warnendes Beifptel für alle 
diejenigen, welche mit allzugroßem Ernſt in die Tiefen des Lebens 
hineinſchauen und fi dadurch den Genuß der Gegenwart ver- 
bittern. Zugleich aber erjcheint fie und als ein treued Abbild 
34* 


332 Kaffiopein — Kaftor. 


bed Dichters ſelbſt. Dean fühlt ed dem Gedichte an, Daß es 
aus feiner innerften Seele herausgeſchrieben ift. Ein beionderes 
Snterefie dürfte ein Vergleih mit dem Monslog (J. v. O. IV, 1) 
Darbieten, welchem eine ähnliche Geelenftimmung zu Grunde 
‚liegt; eben fo ift ein Bergleih mit dem Gedichte (D. Glück), 
bei. 8. 19 u. 20, zu empfehlen. — Str. 1. „Priamd ſchöne 
Tochter“, deren Namen wir erft in Str. 12 erfahren, ift Polyrena. 
Achilles, „der herrliche Pelide“ (f. d.), hatte dem Priamus ver- 
iproden, er wolle den Frieden mit den Griechen vermitteln, 
wenn er fie ihn zur Sattin gäbe. Nach der Eroberung Troja's 
verlangte Achilles’ Schatten Antheil an der Beute, und die um: 
glüdliche Polyrena ward an feinem Grabe geopfert. — Str. 5. 
Bei Hochzeitszügen pflegte die Mutter der Braut eine Fackel 
voranzutragen (vergl. Hymen). — B.1—4 beziehen fih auf den 
Brand Troja’; mit dem Gotte (B.7) ift Ares oder Mars, der 
Bruder der Eris (vergl. die Schlußftrophe), gemeint. — Str. 6, 
B.8 ſ. Pytho. — Str. 9, B.6u.7. Es ift der Gem an der 
Gegenwart gemeint. — Str. 12. „Der Beſte der Hellenen“ tft 
Achill. — Str. 13. Kaflandra’8 Geliebter war nach) Homer 
Othryoneus (31. 13, 363), nah Virgil Choröbus (Geb. 
2. B. d. Aen 61). — Str. 14. „Die bleichen Larven” find 
die erftarrten Gefichter der Todten, der nächſten Verwandten 
Kaffandra's, die fie im Geifte fchon in Proferpina’d Reiche er- 
blickt. — Str. 15. -Die Priefterin fieht ihr eigened Loos voraus. 
Als die gefangenen Trojanerinnen den Siegern ald Beute ver: 
theilt wurden, ward ſie dem Agamemnon (ſ. d.) zu Theil. Sie 
prophezeihete demjelben jein Schickſal, ohne jedoh Glauben zu 
finden und ftarb mit ihm unter Mörderhänden. — Str. 16. Der 
Sohn der Thetis ift Achilled. — Die ganze Strophe bildet einen 
ergreifenden Gegenjag zu der eriten. 


Kaffiopeia (Wſt. T. V, 3), ein Sternbild in ber Form 
eined W in der Milchſtraße am nördlichen Himmel. 


Kaftor, |. Dioscuren. 


Kataf alk — Kathedrale. 533 


Katafalk (Br. v. M. 5,494), angeblid) aus dem Arab. falak, 
Erhöhung; ein Trauergerüft, die ftufenartige Erhöhmg, auf 
welche der Sarg eined Todten geftellt wird, ſammt ber dazu 
gehörigen Kerzenbeleuchtung und anderen zur Ausſchmückung 
dienenden Gegenftänden. 


Kataftrophe (R. Vorr. u. II, I — Sp. ud. %), gr. 
die Umkehr, der Wende: od. Entſcheidunge puntt einer Be⸗ 
gebenheit. 

Katechismus, gr., ein in Fragen und Antworten abgefaßtes 
Büchlein, das zum Unterricht der Jugend, beſonders zu dem in 
der chriſtlichen Religion eingerichtet tft und jämmtliche Heils⸗ 
wahrbeiten, zu denen ſich ‚die Ehriften bekennen, enthält. 1) 
(Piece. I, 7) |. v. w. — 2) (R. 1, 2) ſ. v. w. 
Richtſchnur für das Leben. 


Katharina (M. St. II,2) von Medici, Gemahlin König 
Heinrich's II. v. Frankreich, die Zeitgenoffin der Königin Eltfa- 
beth, führte die Regentſchaft für ihren minderjährigen Sohn 
Karl IX. (1560 —1574). Neben einem lebhaften Sinn für die 
Ihönen Künfte und einer unmäßigen Berjchwendungdfudht, welche 
. auf bie Sittenverberbniß ihrer Zeit von bebeutendem Einfluß 
war, befaß fie eine unbezwingliche Neigung zu allerlei Gabalen, 
fowie zu einer ränkefüchtigen Politil. Der Luft zu herrſchen 
opferte fie Frankreich und ihre eigenen Kinder; auch die Bar- 
tholomäudnacht (vergl. Barthelemi) war: ihr Werl. Sie ftarb 
1589. — Katharina iſt auch der Name mehrerer Heiligen in 
der Tatholifchen Kirche; daher (MWft. T. IV, 10) „St. Kathrinen- 
ſtift“ und (3.2.0.1, 10) „St. Kathrinen’3 Kirchhof“. 

Kathedrale (3. v. O. III, 9 n. IV, 2), von Katheder (ſ. d.), 
beißt in Beziehung auf den Biſchofsſitz jede biſchöfliche Haupt 
fire. Die Kathedrale zu Rheims mit zwei vollendeten Thürmen 
tft die fchönfte in ganz Frankreich. In ihr wurden fonft die 
Könige von Frankreich von dem Erzbiichofe von Rheims gejalbt 
und gekrönt. 


534 j Kaufmann — Keicobad. 


Kaufmann, Der (Ged.), ein Epigramm aus dem Jahre 
1796. Die Eulturgefchichte ift häufig ein Gegenſtand des Nach: 
finnend unſeres Dichterd gewefen; bier erinnert er an das ältefte 
Handelsvolk, die Phönicier, ſidoniſche Männer” (j. Sidon), um 
auf die höhere Bedeutung des Handeld (vergl. dad Epigramm 
Karthago) hinzuweiſen. 


Kaukaſus (Ged. Semele 2), ein im N. des armeniſchen 
Hochlandes ſich hinziehendes mächtiged Gebirge, welches ſich 
150 Meilen lang und 30 —40 Meilen breit von dem Schwarzen 
Meere bis zu ben Geftaben bes Caspi⸗Sees erftredt. Es macht 
dur jeine zahlreihen Gebirgäfetten, Gipfel, Thäler umd 
Schluchten einen hoͤchft großartigen Eindruck und wurde früher 
meift von wilden Horden (Zur. I, 1) bewohnt. Mit Beziehung 
auf feinen wilden Felſencharakter ſagt Dido (Geb. 4. B. >. 
Aen. 67) zu Aeneas in bildlicher Ausdrucksweiſe: 

— — — — — „Sn grauenvoller Wüſte 


Schuf Kaukaſus aus rauhen Felſen dich 
Und Tigermütter reichten bir die Brüſte.“ 


.Keitobad (Tur. I, 1). Die Geſchichte und Geographie in 
Turandot tft, wie dad Stüd felbft, mährchenhaft. Doc findet 
fih in den islamitiſchen Dynaftteen Kleinaflend der Name Kei: 
kobad mehreremal, befien Träger mit Hülfe chowaresmiſcher 
Söldner (woraus Karazanen vielleicht verſtümmelt ift) um die 
Mitte des 13. Jahrhunderts gegen die Mongolen fämpften und 
das Rei von Chowaresmien gründeten, das fi vom Tigris 
bis zum Indus erftredte. In diefem Gebiete liegt Die perfiiche 
Provinz Khorafan, ein Name, der unverkennbar an Karazanen 
erinnert. — Wenn der Kaifer von China Altoum als Gegner 
des Keikobad gedacht wird, fo beftieg allerdings 1210 ein Altun- 
Chan als fiebenter Herricher der fogenannten goldenen Dynaftie 
den Thron des Nordchineſiſchen Reiches. Derfelbe erjcheint aber 
in der Geſchichte ald der Gegner ded großen Mongolenreiches, 
welches fih von China bis Kleinafien ausdehnte. 


Kelle — Keeper. 535 


Kelle (Bed. Semele 2), |. Zeus. 

Kelch, ſ. Utramuift. 

Kerbholz (Wit. L. 11), ein Stück Holz, deſſen ſich ehemals 
die Verkäufer bedienten, um durch die auf demſelben gemachten 
Einſchnitte die Größe ihrer Schuldforderungen im Gedächtniß 
zu behalten. 

Kerkyon (Myth.), ein übermäßig ftarker Räuber, welcher 
bei Elis haufete, wo er jeden Wanderer zwang, mit ihm zu 
ringen. Da er, ald ber Stärkere, jedesmal Sieger blieb, fo 
richtete er die Meberwundenen bin, bis ihm von Theſeus (Dh. 
I, 3) ein Gleiches widerfuhr. 


Kernen (Mcb. 1,2). Nach Delius: Sommentar zu Shafefpeare 
am diefer Stelle find die Kernen und Galloglafien (Kernes- 
Gallowglasses) leicht: und fchwerbewaffnete, beuteluftige und 
kaum Ddifciplinirte Mannſchaften aus Srland, die auch fonft bet 
dem Dichter vorlommen. Sie find celtifchen Stammes (d.h. 


Iren), nicht in Irland geborene Engländer (d. h. Srländer). 


Kernd (W. T. I, 4), Hauptort ded Cantond Unterwalden, 
zwiihen Stanz und Sarnen, an ber zum Biermwalbftätter See 
fließenden Aa. 


Kernwald, ſ. Unterwalden. 

Kerze, die geweihte, |. Waſſer, geweihtes. 

Kettenhund, der hölliſche (F. V, 6), ſ. Cerberus. 

Kettenkugeln (Bft. T. III, 19), durch eine Kette verbundene 
Kanonenktugeln, die beim Abfeuern audeinanderweichen ‚und jomtt 


eine verheerende Wirkung ausüben... Die Anwendung berjelben 
im Kriege ift wider dad Völkerrecht. 


Ketzer werben von ber katholiſchen Kirche, die fich für bie 
allein rechtgläubige hält, alle Andersmeinenden genannt; daher 
fagt der Großinquifitor (D. €. V, 10) zu dem Könige in Be 
Ziehung auf Marquis Pofa: 


536 Keule — Kind. 


„Sie kannten ihn! Gin Blid entlarute Ihnen | 

Den Ketzer.“ i 
Da bigotte Katholiken ſolche Menfchen ald von Gott Berworfene 
betrachten, fo fagt die Marguifin von Mondecar (ebendaf. I, 8) 
von einem Auto da %E ganz gelaffen: 

„&8 find ja Keper, bie man brennen flieht.” 
und die Prinzeifin Eboli (D. C. II, 8): 

„Da fing Don Bhilipp’8 heldenmüth'ger Sobn, 

Gleich einem ar vor dem heil’gen Amte, 

Zu zittern an.” 
Die Abweihung von dem geltenden Lehrbegriffe oder dem üblichen 
Gottesdienfte wird Ketzerei genannt, wie (D. €. I, 6), wo ber 


Kö agt: 
nig jag ER 
Der Keperet ftedt meine Voölker an.” 


Der letziere Ausdrud wird von Sch. auch bildlich gebraucht, wie 
(3. v. O. IU, 3), wo Burgund, welchen der König tabelt, daß 
er die Treue, ber Frauen jhhönfte Tugend, ſchmähe, von fi . 


ſelbſt jagt: 
DDie Ke tz er ei firaft fi am ſchwerſten ſelbſt. 

Keule, Jupiter's (R. II, 3), ſ. Zeus. 

Khan (Zur. J, 1), tartar. u. türk, ein Fürſt od. Oberhaupt 
der Tartaren; Großkhan (ebendaf.) für Kaifer, da dem Kaiſer 
von China viele Khand tributpflichtig find. 

Kidebarri (K. u. L. V,5), verd. aus bem frzf. cul de Paris, 
eig. Pariſer Steiß, ein unterhalb der Hüften umgelegted Politer, 
um bie Taille vortheilhafter hervortreten zu lafſen. 

Kiel, der phrygiiche; ſ. Haberrohr. 

Kind. Die Stelle (Picc. I, 2): 

„Das Kind, ich weiß, hat man ihm fchon gefunben” 
bezieht fi auf Katfer Ferdinand's IL.'Sohn, von dem ed (Pice. 
U, 5) beißt: 
. „Der Ungarn König iſt's, der Ferdinand, 
Des Kaiſers Söhnlein, der iſt jegt ihr Heiland.“ 


Kind in der Wiege — Kinder des Haufeß. 587 


Derfelbe übernahm nah MWallenftein’8 Ermordung, mit dem. 
Grafen Gallas zur Seite, dad Commando und regierte |päter 
als Ferdinand II. von 1687—1657. 


Kind, Das, in der Wiege (Ged.), ein Epigramm auß, 
dem Sabre 1795. Es wird das mit der Anlage zu Allem aus: 
geftattete und dabei innerlich zufriedene Kind dem fich ſelbſt 
beftimmenden, aber fich wenig genügenden Manne gegenüber: 
geftellt. Vergl. „Erwartung und Erfüllung“. 


Kinder, Die, des Baufes (Bd. 7), ein von Körner mit- 
getheilter Entwurf zu einem dramatifchen Gemälde ber Wirt- 
ſamkeit der Bartfer Polizei unter Ludwig XIV. (ſ. d.). Es find 
zwei Plane, von denen der erfte (S.347—349) im Sabre 1808 
entworfen wurde. Es follte ein großer Reichthum von Hand⸗ 
Iungen, Borfällen, Perjonen und Anlichten zu einem Ganzen ver: 
webt, und in Verbindung damit follten die Zuftände und Gebrechen 
dargeftellt werben, wie fie in Parts fich zeigten, dem Gentral- 
punkte, aud welchem die damalige vornehme Welt ihre Bildung 
zu holen pflegte. Gin leitender Faden follte durch das Ganze 
bindurchgehen, den die Alles überwachende Partfer Polizei in 
den Händen hielt. Dieſe jollte dann zugleich die Rolle der 
Nemeſis übernehmen, dad geheimnißvoll verfchlungene Gewebe 
entwirren und durdy eine überraſchende Kataftrophe die enbliche 
Entwidelung herbeiführen. Das dramatifhe Culturgemälde, 
welches auf diefe Weiſe entitanden wäre, bot eine jo überwäl— 
tigende Mafle des Stoffes dar, dag Sch. vermuthlich jelbit 
daran zweifelte, ed in den engen Rahmen eined Dramas ein- 
ichließen zu können. Deshalb verfaßte er im Januar 1805 den 
zweiten Plan (S. 349-356), welcher ald ein kleinerer, von dem 
eriten umfchlofjener Kreis zu betrachten tft, dem Charakter eines 
Perſonenſtücks näher kommt und die Möglichkeit der Ausführung 
leichter in Ausficht ftellt. Indeſſen ift auch Diejer Plan mehr 
eine flüchtige Skizze als ein klar burchgearbeiteter Entwinf. Er 
wurde des Demetriud wegen vorläufig zurüdgelegt. Sp weit 


538 Kindeömörderin. 


ih die leitende Idee durchſchauen läßt, ift Narbonne, der Helb 
des Stüded, ein einflußreicher und eben darum ficherer Böſe⸗ 
wicht, der fich nicht fchent, die rächende Nemeſis kühn heraus⸗ 
zufordern, bis er den Gang der von ihm eingeleiteten Unter⸗ 
fuchungen nicht mehr hemmen Tann und fchlieglih felbft ihr 
Opfer wird. Auf diefe Weije ift das Schidfal innig mit der 
Handlung verknüpft, deren geheimnigvolle Elemente Schritt für 
Schritt zu Tage treten, wodurch der Zufchauer jedenfalld in der 
lebhafteften Spannung erhalten worden wäre. Ob Sch., wie 
G. Schwab meint, mit einem ſolchen Drama einen Rüdjchritt 
gemacht hätte, möchte ſchwer zu beweilen fein; vielleicht hätte 
es den Dichter von Kabale und Liebe auf dem Gipfel höherer 
Bollendung gezeigt. 


Kindesmörberin, Die (Ged.), dad erfte unter den Jugend⸗ 
gedichten, welches eine maßvollere Haltung und größere Vollen 
dung in der Form zeigt. Str. 1. Die Welt wird Herzver: 
gifterin genannt wegen der beraufchenden Freuden, welche fie 
fpendet. Str. 3. Die Geopferte ver Hölle jtatt die der Hölle 
Geopferte ift eine gewagte Conftruction. Str. 4. Empfindung 
fol mein Richtſchwert fein, d. h. meine an fih nicht ftrafbare 
Empfindung bringt mir dieſen ſchmachvollen Tod. Str.7. Zu 
ben 4 erften Verſen ift zu ergänzen: vermochten dich zu fefleln, 
in meine Arme zurüdzuführen. Str. 10. Die Yreudenquelle ift 
dad Kind felbft, das unter andern Umftänden für die Mutter 
ein Quell der Yreude fein könnte. Str. 11. Seine Eide don⸗ 
nern aus dem Grabe wieder, d. h. nicht aus feinem (des ja noch 
Lebenden) Grabe, jondern aus der Vergangenheit, die ihr jetzt 
wie mit Grabesunacht umhüllt ericheint. — Die Hyber (f.d.) ift 
der Wahnfinn der Verzweifelung. Str. 15. Henker, kannſt du 
feine Lilie knicken. Da fie ihrem Verführer verziehen und ihren 
Groll der Erde geweiht bat, jo erfcheint fie fich jebt gereinigt, 
daher der Auddrud Lilie, der fonft mit „ber Geopferten der 
Hölle“ in Widerfpruch ftehen würde. 


Kidm — Klage der Cered. 589 


Kisw (Dem. I), gew. Kiew, im mittleren Rußland, an " 
tem Einflufie der Deina in den Onjepr, war unter Rurik's 
Nachfolgern (880—1157) die Haupt: und Refidenzitadt bes ruffi: 
ſchen Reiches. — Sn ber Nähe von Kiew vereinigten fi 
Dimitri'd Truppen mit 2000 Mann doniſcher Koſaken und an- 
deren Freiſchaaren. 

Kirchenſtrafen (M. St. V, 7). Da die Kirche, infofern ſie 
es mit der Seelſorge zu thun hat, auf Erhaltung eines reinen 
ſittlichen Lebenswandels bei ihren Anhängern dringen muß, fo 
bat ſie von jeher den Srrenden Zurechtweiſungen zu Theil wer: 
den laflen, den Fehlenden aber Büßungen auferlegt. Beſonders 
geſchah dies für folhe Vergehen, weldye von dem weltlichen 
Richter ungeahndet bleiben. Die non der Tatholifhen Kirche 
auferlegten Strafen beſtehen in ®ebeten, Faſten, Almoſen, Gelb: 
fpenden zu milden Stiftungen, Enthaltungen von erlaubten Ge⸗ 
nüſſen, Kaftetungen, Wallfahrten nad) heiligen Orten; enblid) 
bet entſchiedener Widerjeplichkeit in der Strafe der Excommuni⸗ 
eation, d. b. der Ausichliegung vom Gotteödienfte und ben 
Sacramenten. 


Klage der Ceres (Ged.). Dies Gedicht entftand im Jahre 
1796, vermuthlih auf Anregung Goethe's. Der Mythus, wel- 
her ihm zu Grunde liegt, ift der Raub der Proferpina, der 
auch ſchon von mehreren Dichtern ded Alterthums bejungen 
worden iſt. Proferpina war bie Tochter des Zeus unb ber 
Gered. Als fie herangewachfen war, tanzte fie einft in den 
Reihen der non Pallas und Artemis angeführten Nymphen. 
Aber angelodt durch liebliche Blumen, die dem Boden ent: 
ſprofſen, entfernte fie ſich mit einigen Gejpielimmen, und zuleht 
auch von diefen. Da erbebte plöglih die Erde; aus den fin- 
fteren Klüften erhob ſich Pinto (vergl. Aĩdes) mit feinem von 
vier ſchwarzen Rofien gezogenen Wagen, ergriff die Proferpina 
und entführte fie in die Unterwelt. — Was die Form des Ge⸗ 
dichtes betrifft, fo deuten nah Körner's feinfinniger Bemerkung 


540 Klaus — Heinmeifterif ch. 


die langgedehnten Strophen auf die einer Gottheit inwohnende 
ausdauernde Kraft, die andererſeits durch die kurzen Verszeilen 
glücklich gemildert und einem weiblichen Weſen wohl angepaßt 
erſcheint. Ueberdies ift das trochätiche Versmaß als Ausdruck 
ſchwermuthsvoller Klage durchaus treffend gewählt. — Die ſym⸗ 
boliſchen Deutungen, welche verſchiedene Erklaͤrer dem Gedichte 
zu geben verſucht haben, erſcheinen mehr oder weniger gezwungen. 
Sch. hat wohl nur den Mythus felbft dabei im Auge gehabt. 
Höchſtens dürfte der frühzeitige Tod feiner geliebten Schwefter 
Nannette, der in diefem Jahre erfolgte, die zu dem Gedichte 
nothwendige Stimmung herbeigeführt haben. — Str. 1. „Der 
unbewölkte Zeus“ (ſ. d.) ift der heitere blaue Himmel. — 
Str. 4 „Des Grabes Flammen” erinnert an die Sitte der 
Alten, ihre Todten zu verbrennen. — Str. 6. „Des Tages 
fiherer Wagen“ ift das Gefpann ded Sonnengotted (vergl. 
Apollon u. Helioß). 

Klaus von der Flüe (W. T. Perf.:Verz.), eig. Niklas 
von der Fluh (f. Ylüe), gehört einer fpäteren Zeit an, die ihn 
als Einfiedler und Friedenzjtifter auf der Tagſatzung in Stanz 
(1481) nennt. Seine Gebeine ruhen in ber Flühlitapelle, 3 Stunde 
von Sarnen. 


Klausner, von dem lat. claudere, fchließen; eig. eiggMenich, 
der in einer Klaufe ein abgefchlofiened Leben führt, aljo ein 
Mönch; ferner ein Eremit od. Einfiebler, der in freiwilliger 
Armuth ein beichauliches Leben führt; daher (Br. v. M. 
5, 471) „ein frommer Klaudner”; und (Meb. I, 18) „arme 
Klausner“. 

Kleinigkeiten (Ged.). Unter dieſem Titel wurden eine 
Anzahl von Diſtichen vereinigt, die, ganz ſpecielle Gegenſtände 
betreffend, den übrigen Epigrammen von allgemeinerem Inhalt 
nicht wohl ebenbürtig gewejen wären. 


Fleinmeifterifch (Geb. D. Freundſchaft), ein von Sch. ge 
bildeted Eigenſchaftswort für pedantifch, d.h. fteif und ängſtlich 


Kleopätra — Klopftod. 541 


an gewifien beſchraäͤnkten Formen od. Anfichten bängend, Feine 
freie Bewegung des Geifted zulafiend. 


Kleopätra, eine Königin von Aegypten, welche ed verftand, 
den großen Cäſar für fich zu gewinnen und durch ihre Schön: 
heit eine Zeit lang an ihren Hof zu fefleln. Daflelbe gelang 
ihr jpäter mit Antonius, der längere Zeit an ihrem Hofe ein 
ſchwelgeriſches Leben führte, bis Octavian, nachdem er den 
Antonius (31 v. Chr.) in der Seeſchlacht bei Actium befiegt, 
fich ihrer bemächtigte. Aus Furcht, von dem Falten und ftrengen 
Sieger zu Rom im Triumphe aufgeführt zu werden, juchte fie 
dieſer Schmach zu ‚entgehen, indem fie ſich eine giftige Natter 
an den Arın feste, deren Bi fie in wenigen Minuten tödtete. 
Die Darftellung diefer Scene iſt mit der „Kleopatra zu 
Venedig“ (%. 11, 17) gemeint. 


Klima, gr., eig. die Neigung, bei. die der Erdaxe gegen 
die Erdbahn; dann der Himmelsſtrich, die Beichaffenheit der 
Atmoſphäre eines Landes; auch in weiterer, bej. bilblicher Be- 
deutung (R. II, 3) der geijtige und jittliche Zuftand der Bewohner 
eined Landes; daher verlangt Spiegelberg (ebendaj.) „ein gewiſſes 
Spitzbubenklima“. 


Klippenfiſch od. Klippfiſch (Ged. D. Taucher), eine 
Gattung unförmlich gejtalteter Fiſche, Die meist höher ald lang 
find, deren Arten aber alle in den tropiichen Meeren vorkommen, 
von Sch. aljo irrthümlich in die Straße von Meſſina verfept 
worden find. 

Klodnthus, abgek. Kloaͤnth (Ged. 4 B. d. Xen. 54), 
einer der willfürlich gewählten Namen, mit denen Birgil die 
" Begleiter des Aeneas bezeichnet. 


Klopftod, Frieder. Gottlieb (Metr. Ueberſ. Vorer. — 
R. Borr.), geb. 2. Juli 1724, + 1803, einer der größten deut: 
ihen Dichter, befonderd bekannt durch fein epifches, in Hexame⸗ 
tern abgefaßted Gediht „Der Meſſias“, an weldhem er 1745 
bi3 1773 arbeitete. 





542 Kloftermeiet — Kochtus. 


Kloftermeier, ſ. Meier. 

Klytämneſtra (Muth.), die zweite Tochter bed ſpartaniſchen 
Königs Tyndareus (Iph. I, 1 u. V, 3) und der fhönen Leda 
(ebendaf. I, 1), die Schwefter der Dioscuren (f. d.) Kaſtor und 
Pollur, war zuerft mit Tantalus, dem Sohne des Thyeſtes, 
fpäter mit Agamemnon (Iph. II, 2) vermäblt, dem fie breit 
Töchter und einen Sohn, den Dreftes gebar. Während Aga- 
memnon in Troja war, ließ fte ſich von Aegiſthus, dem Better 
beffelben, zur Untreue verleiten und willtgte endlich jogar in die 
. Ermordung ihres rechtmäßigen Gatten, was fie (Iph. V, 3) 
prophezeibend andeutet. Ald ihr Sohn Oreſtes herangewachſen 
war, rächte diefer ded Baterd Tod, indem er fie nebft Aegifthus 
erſchlug. 

Knabe, der phrygiſche (Iph. IV, Zw.⸗H.), ſ. Gany⸗ 
medes. 

Knabe, der ſpielende (Ged.), ein Epigramm (1795), in 
welchem Sch. die ſorgloſe, von der Mutterliebe bewachte Kind⸗ 
heit, die in dem unſchuldigen Spiel keinen anderen Zweck hat 
als die Bethätigung der friſch ſich regenden Kraft, mit der 
ernften und mühevollen Arbeit des Mannes zuſammenſtellt, 
deſſen Aufgabe es ift, im Dienſte einer beſtimmten Pflicht zu 
wirken. 

Knäs (Dem. I) od. Knees iſt in Rußland der Titel für 
Perfonen von altem Adel. Man unterjcheidet 18 folder Fami⸗ 
lien, die zum Theil von alten NRegentenfamilien einzelner Pro- 
vinzen des ruſſiſchen Reiche abftammen. 


Knäul (Wſt. T. III, 15), ſ. Gordiſcher Knoten. 


Kobold, ein Berg: oder Poltergeift, weldher die Leute in 
Schreden jet; bilbl. nennt Wurm (K. u. 8. III, 1) den „Schatten 
ber Majeftät” einen „zufammengeflidten Kobold“. 


Kochtuß, abge. Kocht, von dem gr. ko-kuein, weinen; 
der Thränenftrom, ein Fluß der Unterwelt, der fi in den 


Köder — Koloß. 543 


Acheron (f. d.) ergießt, wird bei den griechiſchen Dichtern ber 
ſchwarze, von Klagen wiedertönende Fluß genannt, weil feine 
Ihwarzen Wellen den. Tartarus (f. d.) narfollen; daher (Geb. 
Hektor's Abſchied): 
„Der Kocytud durch bie Wüſten weinet.? 
ferner (Geb. Laura am Clavier): 
„Thränenwellen ber Koeytus fchletft.” 
deögl. (Bed. Gruppe aus dem Tartarus): 
„Wie durch hohler Felſen Beden meint ein Bad.” 
und (ebendaf.), wo e8 von den Schatten der Unterwelt heißt: 
„Spähen bang nach bed Kocytus Brüde.” 
Endlich fteht Kocyt bisweilen auch für die Unterwelt jelbft, wie 
(Ged. Klage der Ceres), wo biejelbe von den Blumen fagt: 
„Ad, fie find mir theure Boten, 
Süße Stimmen vom Kocyt." 

Köder (Tur. I, 1), eine Lodfpeife zum Fangen der Thiere; 
vergl. Popanz. 

Kokette (R. I, 1 — F. Perj.:Berz.), von bem frz. coq, 
Hahn; eine Gefallfüchtige, davon kokettiren, gefallfüchtig fein, 
oder wie (R.I,1) „Künftler, die fich in ihrem Werte kokettiren“, 
d.h. in ihr eigenes Werk verliebt find. 

Kolet, ſ. Koller. 

Koller od. Soller, wie in einigen Audgaben fteht, von 
bem lat. collam, der Hald; zunächft eine Haldbefleidung; dann 
der Theil eines Kleidungsſtückes, welcher den Hals umſchließt; 
endlich ein Befleidungsftüd, das vom Halfe heruntergeht, wie 
(W. T. III, 3): ein lederner Harniſch ohne Aermel, — 2.11) 
auch Kolet genannt. 

Koloß, zunächſt eine Bildfäule von riefiger Groͤße dann 
in weiterer Bedeutung riefige Werke der Baukunſt. So wird 
das hölzerne Roß (Geb. 2.2. d. Aen. 31), welches die riechen 
für die Zerftörung von Troja erbauten, ein Koloß genannt; 


544 Kolofieum — Komödie. 


eben fo werden bie Kriegdichiffe der Armada (Ged. D. unüber: 
windl. Ylotte) ald „feuerwerfende Koloſſe“ bezeichnet. Auch 
bildlich braucht ed Sch, vom Menſchen, wie (R. I, 2): „Das 
Geſetz bat noch Feinen großen Mann gebildet, aber die Freiheit 
brütet Koloffe und Ertremitäten aus“; deögl. nennt er (%. II, 5) 
dad gemeine Bolt einen „blinden, unbebolfenen Koloß“; 
koloſſaliſch, gem. toloffal, |. v. w. übergroß, ungeheuer. So - 
ſpricht Sch. (R. Borr.) von der „koloſſaliſchen Größe” des 
Lafterd. 

Koloffeum (vergl. Koloß), das riefenhafte Amphitheater, 
welches Kaifer Beipafian (69 —79 v. Ehr.) erbauen lief. Es 
batte ſich bis in's 13. Sahrhundert ziemlich unverjehrt erhalten 
und war häufig ald Feſtung benugt worden; da viele Päpfte - 
indeß aus feinen Steinen, prächtige Paläfte haben aufführen 
lafien, fo ift e8 nur noch eine Ruine. Aber auch als foldhe 
macht der 581 Fuß lange und 481 Fuß breite innere Raum, der 
an 80000 Zufchauern Plab gewährte, mit feiner auf der nörd- 
lihen Seite ziemlich erhaltenen Umfaſſungsmauer einen impo- 
janten Eindrud; daher (M. St. I, 6): „Ded Kolofjeumd 
Herrlichkeit“. 

Komet, von dem gr. köme, Haar; ein Haar: ob. Bartftern, 
ein Schweifftern, ein Himmelöförper, welchen der Aberglaube 
früherer Zeiten eine unbeilvolle Borbedeutung zufchrieb; daher 
(R. II, 2): „ein drobender Komet”, der (Wft. 2. 5) einer Ruthe 
verglichen wird. 

Komma, der Einjchnitt od. Abfchnitt eined Saped. „Wohl: 
gemerkt, ohne Komma” (R. 1, 2), ſ. v. w. ohne weitered Be: 
ſinnen. 

Kommendant (Wſt. L. 2) im Munde des Wachtmeiſters für 
Commandant (ſ. d.). 


kommlich (W. T. IV, 1), ſ. v. w. angenehm, behaglich. 
Komödie, ein Schauſpiel, beſ. ein Lufſtſpiel; ſcherzweiſe 
wird (R. II, 3) von Schufterle die Hinrichtungdceremonie, 


König — Korela. 545 


vergleichungsweiſe (%. II, 9) das „Pofienipiel”, welches Fiesco 
dem Mohren vorſchlaͤgt und (Gftf. 10, 130) die Reihe ſeltſamer 
Borgänge Komödie genannt; Komdpdienrolle (NR. IV, 3), das 
Concept eined Schaufpielerd, der Theil des Stüdes, welchen er 
darzuſtellen hat. 

König (Wſt. T. 1,7), ſ. Friedrich V. 

König, der nie ſtirbt (J. v. O. Prol. 3). Sn Frankreich 
war es ehemals Sitte, daß bei dem Tode des Koͤnigs ein Herold 
öffentlich ausrief: „Le roi est mort, vive le roi“, woher bie 
Rebendart: Le roi ne meurt pas. . 


König von Ungarn (Picc. V, 1 — Bft. %.1,7), der Sohn 
erbinand’3 II., vergl. Kind. 


Königin von Böhmen (D. ©. 1,2), Maria, Tochter, Kaiſer 
Carſ's V., geb. 1528, jeit 1548 Gemahlin Martmiltan’s II, wel: 
der 1562 König von Böhmen wurbe; fie ftarb 1603. 


Königin von Ungarn (Picc. II, 2), Marta Anna, Tochter 
König Philipp'3 III. von Spanien, geb. 1606, fett 1631 Gemahlin 
Ferdinand's, welcher damald König von Ungarn war und fpäter 
als deutſcher Katfer Yerdinand III. hieß. Sie ftarb 1646. 


Königingräg (Wfl. T. II, 10), eig. Königgräg, Zeitung 
im öftliden Böhmen. 

Korah (R. II, 3), der Sohn Jezehard, empörte ſich 
(4. Moſe 16) wider Moſe, indem er gleich den Kindern Levi 
an dem Prieſterthum Theil haben wollte, wurde aber auf Moſes 
Gebet (4. Mofe 16, 30—33) zur Strafe für feinen Hochmuth 
famımt feines Rotte von der Erde verfchlungen und durch Yeuer 
vertilgt. 

Korallen (Ged. D. Taucher), eine Abtbeilung der wirbel: 
loſen Thiere, deren zadige, meift baumartige Kalkftämme die 
Klippen bed Meeresbodens bededen. 


Korela (Dem. I). Andrei Korela und Michail Nieſchokoſch, 


ne Kojalen:Hetmane, hielten ih (nach Herrmann's Gefchichte), 
85 


546 Korinthus — Krahn. 


ald fie fahen, wie König Sigismund den Dimitri ehrte, von 
deſſen Echtheit überzeugt, ließen die Ukraine aufwiegeln und 
führten ihm Kofaleni wärme zu. 

Korinthus (Ged. D. Kraniche d. Ibykus), gew. Korinth, 
eine der mädhtigften und blühenbften Städte Griechenlands, lag 
dicht an ber Landenge, welche den Peloponned (Morea) mit 
Hellas (dem mittleren Griechenland) verband; Akrokorinth 
(ebendaf.) hieß die dicht bei der Stadt gelegene Burg. 

Kofat (Dem. I), ein mit einer Lanze bewaffneter Soldat; 
Koſaken, die Völkerſtämme, welche die Melle und öftlichen 
Gegenden Rußlands bewohnen. 

Kothurn, von dem gr. köthornos, eine Art hoher Schuhe, 
deren fich die Schaufpieler ber Alten bedienten, um dadurch ihre 
Körpergeftalt größer erjcheinen zu laſſen; daher (Ged. D. Kra= 
niche d. Ibykus): 

Es ſteigt daB Riefenmaß ber Leiber 

Hoch über Menihliches hinaus.“ . 
Im bildlihen Sinne, wie (ed. Shakeſpeare's Schatten) „Der 
alte Kothurn“: Die Ausdrucksweiſe des Trauerſpiels; od. „jeine 
Figuren auf den Kothurn itellen * (Br. v. M. Einl. 5, 381), 
ihnen ein erhabenes Gepräge geben; in ironiſchem Sime, wie 
(Ged. Jeremiade) der „geborgte Kothurn“: eine hochtrabende, 
ſchwülftige Schreibweiſe. 

Kraft, Die moraliſche (Ged.), ein Epigramm aus dem 
Jahre 1796. Wem die harmoniſche Stimmung nicht vergönnt 
iſt, in welcher von Kampf zwiſchen Pflicht und Neigung keine 
Rede iſt, der kann doch wenigſtens ein moraliſcher Menſch ſein, 
der ſich bemüht, im Hinblick auf die Pflicht ſeiner Neigung 
Gewalt anzuthun. Vergl. Knabe, der ſpielende. 

Krahn (Ged. D. Spaziergang), eine nach dem Vogel Kranich 
benannte Maſchine, mit dem fie in der Geſtalt einige Aehnlich⸗ 
feit bat. Der Krahn beſteht aus einem jenfrechten und einem 
Querbalten mit einer Rolle, über welche ein Zugſeil Täuft, das 


N 


Krakau — Kraniche des Ibykus. 547 


durch eine Zufammenftellung von Rädern mittelft einer Kurbel 
auf: und abgewunden werden kann. In Handelsftäbten findet 
man Krahne oft am Ylußufer errichtet, um Laften aus ben 
Schiffen zu heben, worauf diefelben durch Drehung bes Krahns 
an's Land gebracht werden. 


Krakau (Dem. I), an der Weichſel, aus welchem mit fet- 
nem Gebiete im Wiener Congreß (1815) ein Freiftaat, der ein- 
äige Ueberreit der ehemaligen Republik Polen, gebildet wurde, 
ift jeit dem Aufftandöverfuhe der Polen im Jahre 1846 dem 
Öftreichifchen Staate einverleibt worden. (Vergl. Reichstag zu 
Krakau.) 


Kranide, Die, des Ibykus (Ged.). Dieſe Ballade wurde 
im Sabre 1797 vollendet, nachdem Schiller und Goethe ſich beide 
mit dem Stoff befchäftigt und beide den Plan gefaßt hatten, ihn 
al8 Ballade zu bearbeiten. Goethe hatte fie ald Gegenſtück zu 
dem Ring des Polykrates liefern wollen, da er aber damals nach 
dem Süden reifte, jo gab er die Idee auf, machte jedoch nad, 
Empfang der erften Bearbeitung Sch. mehrere Aenderungdvor: 
ſchläge, bie berfelbe auch größtentheild benupt hat. — ‚Der Stoff 
zu dem Gedichte ift und aus dem griechiichen Altertum über: 
liefert und erinnert an eine chriftliche Xegende von den Raben 
bed heifigen Menrad (vergl. Meinrad's Zell), die in einem all- 
befannten Gedichte von Chr. Schmid bearbeitet ift. — Str. 1. 
Die iſthmiſchen Spiele, welche auf ber Landenge von Korinth 
(f. d.) gefeiert wurden, beftanden im Wettlauf, Ringen, Wagen: 
rennen n. |. w., denen ſich biöwellen auch Wettfämpfe in ber 
Dichtkunft, dem Gefange und der Muſik binzugefellten. — 
Str. 2. Dem Pofeidon (f. d.) war ein Fichtenhain geweiht, in 
defien Nähe die Kampfſpiele ftattfanden. — Str. 4, B. 3: 
gedrang wird im Oberbeutfchen für eng gebraudt. — Str. 5, 
B..7 erinnert an die Denkweiſe der Alten, welche die Blutrache 
forderte. — Str.7, V. 8 tft auf den Gaftfreund zu beziehen. — 
Str. 10 führt den Leſer auf die Schaubühne, den Boden, auf 
85* 


5483 Krater — Kremel. 


welchem Sch. ſich vorzugsweiſe heimisch fühlte, was ſich auch 
fogleich durch die ſchwungvollere Sprade verräth. — Str. 11 
dürfte nah V. 4 ein Punkt zu ſetzen fein, wodurd eine befiere 
ſymmetriſche Eintheilung der Strophe entfteht. Dieje Strophe 
ſchildert das Theater der Alten, welches gewöhnlich am Abbange 
eined Berges mit der Ausficht auf dad. Meer angelegt war. 
Der Zuſchauerraum bildete einen Halbkreis an der Berglehne, 
welche zugleich die amphitheatralijch emporfteigenden Site barbot 
und die Bühne mit ihren beiden hoben Seitenwänden umfchloß. 
Zwiſchen diefen beiden Theilen lag die jogenannte Orcheſtra 
etwad vertieft mit einer Art Altar. Der ganze Raum war 
unbebedt, und da man bei hellem Tage fpielte, jo lieferte die 
umliegende Landſchaft zugleich Die nöthige Decoration. — Str. 12. 
Thefeud (in ber neueren Resart: Cekrops) Stadt ift Athen. 8.5. 
Der Ehor der griedhifchen Tragödie hatte Die Aufgabe, der durch 
die dramatiiche Handlung in den Zufchauerraum berporgerufenen 
Stimmung den entiprechenden Auddrud zu geben. — Str. 13, 
3.7, f. Kothurn. — Str. 15—17 erinnert lebhaft an einen 
Chor in den Eumeniden bes griechtichen Dichters Aeſchylus, der 
Sch. bei feiner Darftellung zum Mufter gedient hat. — Str. 19, 
B.3 die furchtbare Macht tft die Nemefls (|. d.), die Göttin der 
vergeltenden Gerechtigkeit, welche auf geheimnißvolle Weife bie 
Strafe des Berbrecherd vorbereitet, von dem e8 (Geb. D. Künitler) 
gleihfam prophetijch heißt: 

„Dom Qumenidendor gefchredet, 

Zieht Fi der Morb, auch nie entdedet, 

Dad Loos bed Todes aus dem Lieb.” 

‚ SKtater. Die obere Deffnung der feuerjpeienden Berge, in 
welche man bis zu einer gewifien Tiefe binabfteigen kann, wenn 
die Zeit eined Lavaausbruchs vorüber if. Mit Beziehung auf 
bie Greuel der franzöſiſchen Revolution wird Frankreich (Geb. 
D. Erbprinzen v. Weimar) ein Krater genannt. 


Kremel (Dem. I) oder Kreml, die alte Feftung im Innern 
der Stadt Moskau, am Zufammenfluß ber Moskwa und der 


Kreon — Kreuz. 549 


Reglina. Sie liegt auf einem anfehnlichen Hügel von mehr als 
einer Stunde Umfang und ift von 60 Fuß hohen Mauern ein- 
geihhloffen und mit Eräben umzogen. Der Kreml enthält eine 
große Menge von Gebäuden, unter denen ber tm Sabre 1867 
erbaute Palaft der Ezaaren, die ihn bi zu Peter dem Großen 
bewohnten, das bebeutendite iſt. 

Kreon (Phön.), |. Antigone. 

frepiren, von dem lat. crepäre, fradhen; 1) verlegen 
wie (R. I, 2): „und wollt‘ halb krepiren vor Lachen“; 2) um: 
fommen, wie (R. IV, 2): „and daran frepirt ein Menſch“. 


Kreta (Bed. 4.8. d. Aen. 13 — Pb. 1,1) ob. Kandia, 
eine 33 Meilen lange und 3—11 Meilen breite Infel, welche ben 
griechiſchen Archipelagus im ©. begrenzt, war ſchon 1250 v. Chr. 
durch die Gefepgebung und die Seeherrichaft des Minos berühmt. 
Shre Bewohner find die Kreter (Ger. 4. B. d. Aen. 27 — 
Ged. D. Ring d. Polykrates). 

Kreufa (Geb. 2. B. d. Aen. 103), die Tochter bed Königs 
Priamus von Troja und der Heluba, war mit Aeneas, einem 
ber edelſten Heerführer der Trojaner vermählt. Als bei der 
Eroberung von Iroja die Stadt bereit in Flammen ftand, 
wollte fie. mit ihrem Gemahl entfliehen, verlor ihn jedoch im 
Gedränge. Erfchroden Tehrte diefer zurück, um fie zu fuchen, 
fand fie aber mit. Da erſchien ihm ein luftiges Schattenbild, 
daB fich ihm als feine Gattin zu erkennen gab, von ihm (Geb. 
2. DB. d. Yen. 180—132) Abſchied nahm, und ihm fagte, daß 
die Mutter der Götter fie lebend in ben Diymp aufgenommen 
babe. 

Kreuz, dad Symbol des Ehriftenthums, weldhes Sch. (Ged. 
D. Sohanniter) „Religion ded Kreuzes“ nennt, ift befonders in 
der katholiſchen Kirche zu einem heiligen Zeichen erhoben worden. 
Man muß das lateiniſche Kreuz (+) der abendländifchen Kirche, 
bei dem der Querbalken weit über der Mitte bes ent: 

rechten Pfahl angebracht ift, von dem griechiſchen Kreuz (+) 


550 Kriegsgott — Kronion. 


unterfcheiden, welches vier gleich lange Arme hat. Außerdem 
wird bei dem Schlagen des griehifchen Kreuzes (Dem. II) 
nach ber jenfrechten Linie die Querlinie von rechts nach links 
gemacht, während die römiſch-katholiſche dieſelbe von links nach 
rechts ziehen läßt. 

Kriegsgott (Br. v. M. 5, 421), f. Are. 


Kriegdgöttin (Wit.!.7 — J. v. O. I, Y. Die Jungfrau 
wird einer Kriegesgoͤttin verglichen, womit Athene (ſ. d.) oder 
Belldna, die Kriegeögättin der Römer, gemeint fein Tann, die 
zu den altitaltichen Gottheiten gehörte, und ben Dichtern zufolge 
als Gefährtin des Mars im Seegegelammel mit Spieß und 
Geißel erjchien. 

Krippenreiter (Tur. II, 1), ein armer Sunfer, ber zu 
fremden Krippen reitet, um bort fein Pferd zu füttern. 

Kroaten (Wit. 2. 1), ein flavifcher Volksſtamm im fübweft: 
lihen Ungarn. | 

Krokodil, Plinius (röm. Naturforſcher 79 n. Chr.) erzählt, 
daB das Krokodil bei dem Anblid eined Menfchen Thränen ver: 
gieße und ihn dann fogleich auffreffe; daher (R. I, 2) „faliche, 
heuchleriſche Krokodilbrut“. 

Kronbeamte (Dem. I), Würdenträger des Hofes, die zu- 
gleich ein Staatsamt bekleideten, das in beſonderen Familien 
erblich war. 

Kronbediente (3. v. O. Perſ. ‚Ben, ), Berfonen, welche 
bei den Kroͤnungsfeierlichkeiten Die edee Dienſte zu verrich⸗ 
ten haben. 

Kronfeldherr (3.0. O. J, 10), |. Connetable. 

Krongroßkanzler, ſ. Kanzler u. Kronbeamte. 

Krongroßmarſchall, ſ. Marſchall u. Kronbeamte. 

Kronide 

Kronion ne 


Kroͤnos — Krummftab. 551 


Kroͤnos, bei den Römern Satürnus (vergl. b.), war nad) 
Hefiod ein Sohn des Uranus und der GAa (d. i. ded Himmels 
und der Erde) und wurde ald ber Bater des alten Götter: 
geſchlechtes betrachtet. Unter feiner Herrichaft wurde dad Men: 
ſchengeſchlecht von keiner Sorge belaftet; daher (Ged. D. vier 
Beltalter): 

„Grit regierte Saturnnd fchlicht und gerecht.“ 

Zu jeinen Kindern gehörten vor Allem Zeud und Here, welche 
Bed. Semele) von ſich jagt: 
„Kronos Blut in ben unfterblichen Adern, 
Königlich) ſchwillet mein göttliched Herz." 
Als Kronos fpäter durch Zeud vom Throne geftoßen wurde, 
hörte das goldene Zeitalter auf. — In Stalien war Saturnus 
der Gott des Feldbaues, als welchem ihm bie Sichel ald Attribut 
beigegeben war; zugleich wurde er aber auch ald Bild der wal: 
tenden, fi immer neu aufrollenden Zeit betrachtet; daher (ed. 
Phantaſie an Laura): 
„Lange ſucht der fliehende Saturnuds 
Seine Braut — bie Ewigkeit. 
und (Geb. Öruppe aus d. Tartarud): 


„Ewigkeit ſchwingt über ihnen Kreiſe, 
Bricht die Senſe bed Saturns entzmwei.” 

Krummftab, urfprünglic ein hölzerner Hirtenjtab, welchen 
die Biichöfe bei der Inveſtitur oder Belehnung ald Zeichen ihres 
Berufes empfingen, ba fie als bie Hirten der Gläubigen an: 
gejehen werden follten. Später verwandelte ſich derſelbe in 
- einen hohen, oben gefrümmten Stab, der mit filbernem ober 
goldenem Laubſchmuck verziert wurde. Bei Amtöverrichtungen 
laſſen die Biſchöfe und Aebte ihn als Zeichen ihrer Würde 
neben fich bertragen; nur bei Ertheilung des Segend nehmen 
fie ihn felbft in die Hand. Der Krummftab und die Bifchofs: 
müpen (f. d.), welche (Picc. IV, 5) auf dem Kelch dargeftellt 
find, bezeichnen ſymboliſch die katholiſche Kirche. 





552 | Kryftall — Kuhreihen. 


Kryſtall (Menſchenf. 7), von bem gr. kryställos, welches 
eigentlih Eis bedeutet, nennt man in der Naturgefchichte jedes 
regelmäßige, nad) mathematiſchen Geſetzen gebildete Mineral. 
Im gemeinen Leben meint man damit vor Allem den zum 
Gefchlecht des Quarzes gehörenden Bergkryſtall, der in ſechs⸗ 
fettigen Säulen mit aufgefepter fech3feitiger Pyramide vorkommt 
und rüdfichtlich feiner Klarheit und Durdfichtigkeit dem Eiſe 
oft auffallend Ahnlih if. Sch. braucht den Ausdruck bäuflg 
vom Wafler, wie (Ged. D. Abend): „Des Meers Eryftallene 
Woge“; ferner (Ged. D. Künftler): 

„Betällig ftrablte der Kryſtall der Wogen 
Die hüpfende Geftalt zurüd.” 
und (Br. v. M. 5, 421), wo ed von dem Meere beißt: 


„Ber das grüne Pryftallene Selb 
Pflügt mit des Schiffes eilendem Kiele.” 
Auch von dem Himmeldgewölbe, dad der Dichter (Geb. Para- 
bein u. Räthfel 4) einem großen geräumigen Haufe vergleicht, 
heißt es: 
„ES Hat ein Dach kryſtallenrein.“ 
und eben jo (Ged. Parabeln u. Räthfel, 6) von dem Auge: 


‚und faunft Du den Kryſtall mir nennen?“ 


Enblid braucht er ihn fogar bildlih auf dem geiſtigen Gebiete, 
wie (Ged. Würde db. Yrauen): 

„Klar und getreu in dem fanfteren Weibe 

Zeigt fi der Geele kryſtallene Scheibe.” 
womit der fanfte Blid des Weibes dem „verbüfterten Blid des 
Mannes” gegenübergeftellt ifi. 


Kuhreihen od. Kuhreigen (W. ©. I, 1) iſt eine alte 
Bollömelodie, welche die Alpenbirten in ber Schweiz beim Aus: 
treiben ihrer Heerben urſprünglich wohl zu pfeifen oder zu fingen 
pflegten, die aber jetzt allgemein auf dem Alpenhorne geblafen 
wird. Da bie Melodie aus wenigen einfachen, mit einander gut 


Kulm — Küntfte. 558 


harmonirenden Intervallen befteht, fo macht fie in den wieder: 
bhallenden Bergen eine mächtige Wirkung. 


Kulm, von dem lat. culmen, der Gipfel, tft no in man⸗ 
hen Gegenden Deutichlands für Berggipfel felbft als Eigen 
name gebräudhlid, wie der Kulm bei Heringödorf, wenn er 
nicht etwa ſlawiſch fo benannt wird; desgl. (W. X. IV, 1) „die 
hoben Kulmen“ der Eiögebirge. 


Kulm (Den. I), eine kleine Stabt in dem Regierungsbezirk 
Marienwerder ber jegigen Provinz Preußen, die bis 1618 zu 
Polen gehörte und bis zum Frieden von Oliva (1660) von dem⸗ 
felben abhängig war. 


Kumpan (Bft. 8. 7), verd. aus Compagnon, Gefährte, 
Kamerad. 


Kunkel (R. IV, 5), der Spinnrocken. 


Künſte, Bildende und redende. Der Menſch, als das 
höchſte und vollkommenſte Weſen der Natur, iſt nicht darauf 
angewieſen, in Abhängigkeit von der letzteren mit ihr allein zu 
verkehren, ſondern er kann fidh ihr auch gegenüberſtellen. Und 
zwar thut er dies durch eine von feinem Geifte ausgehende Fer: 
tigkeit, welche bejtrebt ift, etwad Selbſtaͤndiges hervorzubringen 
und für Andere darzuftellen. Den Stoff zu ſolchen Darftellungen 
empfängt er von der Natur und Geſchichte und bildet ihn aller: 
ding3 nach Naturgefegen um; indeflen tft die Kunft ihrem Wefen 
nad als Darftelung des Inneren zu betrachten, dad nur an 
einem bereit3 gegebenen Stoffe zur Erſcheinung gebradht wird. 
Die einzelnen Künfte find nun theils mechaniſche, die einem 
beftimmten, außerhalb ber jchaffenden Thätigkeit liegenden Zwede 
dienen; theild freie, die in ihrer Aeußerung felbft ihren Zweck 
md zugleih wahren Genuß finden. Die Werke der Tepteren 
find als Erzeugnifle .eined begeifterten Gemüths zu betrachten 
und müÜflen durch fich ſelbſt gefallen. Entiprungen aus dem 
Bedürfniß des Menichen, die Ideale feiner Phantafte in würdigen 


554 Kunftgriff — Künftler. 


Formen darzuftellen, ift ihr böchfter Zwed die Schönheit, die 
alſo in nichts Anderem befteht, ald in der Bereinigung bed 
Sinnlichen mit dem Idealen. Somit ift die jhöne Kunft nichts 
Anbered ald freie Darftellung des Schönen in jelbftändigen, 
anfhaubaren Werfen.” Die Darftellungdmittel der ſchönen Künfte, 
mit denen es Sch. (H. d. 8.) allein zu thun Hat, gründen ſich - 
natürlih auf die Empfindungen der ebleren oder ber Schoͤnheits⸗ 
finne, vermittelft deren wir äußere Kormen mit Vergnügen wahr: 
nehmen. &8 find dies Gefiht und Gehör, weshalb man bie 
ſchönen Künfte gewöhnlich in. bildende und tönenbe eintheilt, 
ober wie Sch. in „bie drei bildenden” (Ardhitectur, Sculptur 
und Malerei) und „die vier redenden und muſikaliſchen“ 
(Boefte, Mufit, Tanz und Schaufpiellunft). In Betreff der 
Poefie ift zu bemerken, daß man fie, weil fie fih der Sprache 
bedient, früher fäljchlich zu den ſchönen Wiſſenſchaften rechnete, - 
die es aber nicht mit der Darftellung als foldyer, fondern nur 
mit dem Bewußtfein über die Geſetze derjelben zu thun haben; 
Sch. weift ihr daher hier die richtige Stelle an. In Betreff 
des Tanzes tft daran zu erinnern, daß die höhere Tanzkunſt, 
wie fie von der Bühne gepflegt wird, es wejentlih mit ber 
Mimik oder Geberdenſprache zu thun bat. 


Kunftgriff, Der (Ged.), ein Xenton, welches ſich auf 
Werke ſchlüpfrigen Inhalts bezieht, die das Unheil, das fie bei 
unbefangenen Xejern nothwendig anrichten müſſen, durch trodene 
moralifhe Phrafen wieder abzuwenden fuchen. Nach Viehoff's 
Angabe zielt es auf einen moralifchen Roman von 3. T. Hermeß, 
Probft zu Breslau: „Yür Töchter edler Herkunft, eine Geſchichte“, 
Leipzig 1787. 


Künftler, Die (Ged.). Als Sch. fih im Mai 1783 nad 
dem einfamen Volkftädt zurüdgezogen hatte, jchrieb Wieland am 
2. Juni an ihn: „Ste find alfo in Ihrem felbftgewählten Patmos 
glüdlich angelangt, mein liebfter Schiller! und gefallen fih da? 
Quod felix faustumque sit! (d. 5. „Möge ed Ihnen Glüd und 


Küuftler. 555 


Heil bringen!“ eine alte lateiniſche Segendformel) und mögen 
Ihnen auch, wie dem heiligen Johannes Theblogus, — wur 
nicht ganz in feiner Manier — hohe Offenbarungen dafelbft zu 
Theil werben.” Als eine folde Offenbarung ift dies lyriſch⸗ 
didaktiſche Gedicht zu betradhten, das im Herbft 1788 in Voll: 
ftädt begonnen, im Yebruar 1789 zu Weimar vollendet wurde, 
und in dem Leben bed eben zum Manne gereiften Dichterd als 
ein Epoche machended angejehen werden muß. Durch feinen 
gediegenen Inhalt, Durch feinen Reichthum an Gedanken, fowie 
durch Schönheit der Form und eine edle, zum Theil glanzvolle 
Spradye übertrifft ed Alles, was Sch. bis dahin gebichtet. Die 
wilden Wogen feines Zünglingdfeuerd haben ſich beruhigt, eine 
maßvolle Haltung in den Bildern und ein feiner Gejhmad in 
der Ausdrudsweiſe machen einen wohlthuenden Eindrud. Zu: 
gleich ift dad Ganze von einem erhabenen Ernft durchweht, ber 
deutlich befundet, daß ed dem Dichter darauf ankam, etwas 
wirklich Bollendetes zu liefern. Welch eine unermüdliche Sorg⸗ 
falt er darauf verwendet, geht aud feinem Briefwechſel an 
Körner bervor, zugleih aber auch, daß ed dem Gedichte nicht 
an dunklen Stellen fehlt, und daß Sch. in [päteren Fahren 
jelbft wenig damit zufrieden war. 

Sch. bezeichnet jelbjt ald die Hauptidee ded Ganzen: „bie 
Berhüllung der Wahrheit und Sittlichkeit in die Schönheit” 
db. h. geftügt auf die Refultate, bie er felbft durch feine Götter 
Griechenlands gewonnen, fpricht er hier feine Anficht von der 
Erziehung des Menfchen durch die Kunft aud. Der Gebanlen: 
gang ift folgender: 

Zunächſt (Str. 1) ftellt der Dichter den Menfchen als 
Sieger über die Barbarei dar. Als folder fol er nicht der 
Kunft (2) vergeflen, die ihn zu feiner gegenwärtigen Höhe 
emporgehoben hat; nicht den mechanifchen Beichäftigungen („den 
fremden Armen“, denen bie Kunft ihn übergeben hat) zu 
hohen Werth beilegen, fondern ſich wieder der wahren Kunft 
zuwenden, bie einer feiner jchönften Vorzüge ift. Demnädft (8) 


556 Künftler. 


wird die Kunft ald Vorläuferin der Wiſſenſchaft dargeftellt, in- 
dem fie durch die Schönheit zur Wahrheit führt, welche vor 
ihrem felbftändigen Auftreten noch an die finnlihe Hülle ge- 
bunden erfhien. Eben fo ift die Kunft (4) auch die Vorläu— 
ferin der Moral, indem fie das veranfchaulicht, was erft ſpäter 
intellectuell gefaßt werden kann. Sie tft genöthigt, Symbole 
ftatt der Begriffe zu geben; denn die fo ſchwer zu erringende 
Wahrheit, die rein göttliche (5) kann dem Menfchen ald einem 
finnlich vernünftigen Wejen während jeined irdiſchen Daſeins 
nur unter‘ der Hülle der Schönhett dargeboten, nur in biefer 
Form genießbar gemacht werden. Da er von dem Schöpfer 
(6) dazu beftimmt ift, den fchweren Kampf mit feiner finnlichen 
Natur durchzukämpfen, fo fol die Kunft ihn ein Mittel wer: 
den, um fih an ihr wieder aufzurichten und zur Freiheit zu 
gelangen. Died war von jeher (7) um fo leichter, ald die Kunft 
feine Scheiterhaufen brauchte, um die Menfchen zu fchreden und 
fie auf dem Wege der Pflicht zu erhalten. Sm Gegentbeil: fie 
führte fte in freierer Weife an liebender Hand, indem fie den 
Sinn für dad Schöne und Edle zu weden fuchte. Die Künftler 
(8) mögen fi alfo glüdlih ſchätzen; es iſt ihnen eine hohe 
Würde verliehen, da fie allein im Geiſte jchauen, was Andern 
nur aus einer Törperlichen Hülle entgegen ftrahlt. 

Ehe die Kunft (9) auf Erden erſchien, hatte der Menſch 
fein VBerftändniß von der Natur; fie erichten ihm roh und wild, 
wie er ſelbſt. Zunächft Teiteten ihn (10) die Schattenbilder der 
Naturgegenftände auf die Nachahmung ihrer Geftalten. Hierzu 
gejellte fih fpäter (11) die Reflerion und der Empfindungs: 
und Bildungdtrieb, und fo entftanden felbftändige künſtleriſche 
Schöpfungen. Diefe wurden nun (12) zu einem Ganzen ver: 
Mmüpft, fo daß das Einzelne feine „Krone“ der Vollendung ein- 
büßte, infofern es ald Theil einem größeren Ganzen unter: 
gecrbnet erichien. Auf dieje Weife (13) üben alle gebildeten 
Bölfer vermittelft der Kunſt einen Einfluß auf die rohen Nach— 
barvölfer aud. Der menſchliche Geiſt (14) wirb frei von 


Künftler. 557 


beengenden Feſſeln; er fängt an zu benfen, und edlere Gefühle 
beginnen fi in ihm zu regen. Selbft die finnliche Zuneigung 
(15) der Geſchlechter veredelt fih und wird zu einem Bande 
der Geifter und der Herzen. So ſchafft ji der Menſch allmälig 
ein deal (16) feined eigenen Weſens; er erhebt fich zur Bor: 
ftelung von der Gottheit, die ibm Borbild und Ziel feines 
Strebend wird. . 

Bor Allem ift es die Kunft des Gefanged (17), die Didt: 
Zunft, welche, jorgfältig prüfend, weit von einander Entfernted 
zu einer höheren Drdnung verfnüpft und zu einem gedrängten 
Bilde vereinigt. Epos und Drama wirlen mit unwiderſtehlicher 
Gewalt auf die Menge ein (vergl. Geb. D. Kraniche d. Ibykus, 
Str. 16 u. 20) und ſuchen die Räthfel des Schidjald zu löfen. 
Und wo fid) diefe Rätbjel (18) nicht löſen lafien, da führt und 
der Dichter über das zeitliche Leben hinaus in eine jenjeitige 
Welt; die mit dem irdiichen Leben in Beziehung fteht. So er: 
hebt fi die Kunft (19) zu höheren Sphären; fie begnügt ſich 
nicht mehr mit der Darftellung ſchöner Formen, fondern fie tritt 
in den Dienft des Geiſtes, fie wird Ausdruck einer Idee. Als 
Borläuferin der Wiffenfchaft (20) empfängt fie von biejer eine 
anregende und wohlthuende Rüdwirkung, jo daß auch der reflecti⸗ 
rende Beritand durch den Bau eined Kunftwerkes befriedigt 
werden kann. Ueberhaupt wird die ganze Lebensanſchauung (21) 
durch die Kunft verflärt, Freude und Leid empfangen eine höhere 
Weihe, felbjt die Schreden des Todes erfcheinen in milderem 
Lichte. Sp find und alfo die Künftler (22) von ber Vorfehung 
zur Berebelung unfered Dafeind gegeben; deshalb jollen wir fie 
ehren und hochſchaͤtzen; denn fie jind (23) dem Schöpfer ähnlich, 
der feine Werke gleichfalls mit holdem Reiz geſchmückt, dem 
Nothwendigen bie Anmuth der Erjcheinung hinzugefügt hat. 

Die Kunft des alten Hellas (24) war der Welt entfloben; 
im Mittelalter herrſchte Rohheit und Verwilderung; in der 
Neuzeit ift fie im Abendlande wieder erblüht, zuerft in Ztalien 
unter den Mediceern, bald darauf in Deutfchland und den 


558 Künftler. 


benachbarten Ländern. Die Trümmer (25) ber Kunft, welde 
nach der Eroberung Conftantinopeld dur die Türken von flüch⸗ 
figen Griechen nad) Italien gebracht wurde, erblühten im Abenb- 
lande auf neue und fchöner. Bildhauerkunſt, Malerei und 
Poeſie errangen fich frifche Lorbeeren. Wenn etwa die Märmer 
ber Wiſſenſchaft (26) bemüht fein follten, der Kunft den erften 
Rang ftreitig zu machen, fo mögen die Künftler in dem Be- 
wußtjein ihres eigenen Werthes und in der Erinnerung an das 
höhere Alter der Kunft ihre Befriedigung finden und ficher fein, 
daß die Kunft als ſolche ftetd ihren Werth behalten wird. Dies 
wird um fo mehr der Fall fein, da (27) die Refultate ber 
Wiſſenſchaft erft dann Freude machen, erft dann eine. den gan- 
zen Menjchen befriedigende Wirkung hervorbringen, wenn fie in 
ſchöner Form auftreten; denn „nur der Gefhmad genießt, was 
bie Gelehrſamkeit pflanzt.“ So wird fidher (28) „die Cypria 
(vergl. Aphrodite) zur Urania“, d. h. die Schönheit zur Wahr: 
heit. Der Denker, der eine ftreng logiſche Schlußfolge Tiebt, 
wird anfangs die Schönheit fliehen, fpäter aber, wenn er bie 
Wahrheit in der Schönheit erkannt, gern in bie Arme der letz⸗ 
feren zurüdfehren. Darım folgt nun (29) eine Mahnung an 
die Dichter, ded hohen Werthes und der erhabenen Beitimmung 
der Poeſie ftetd eingeden? zu fein; und ferner (30) eine Auffor: 
derung an die Wahrheit, da, wo fie etwa verftoßen werden 
möchte, fih in die Arme der Poefte zu flüchten, um aus biefer 
in neuer Kraft bervorzugehen. Die Tyrannei kann zwar (31) 
die Gedanken in Feſſeln ſchlagen; die Künftler aber find „der 
freiften Mutter freifte Söhne“, ihr Bilden und Schaffen dient 
nur den erhabenften Zweden. Und wenn die Wahrheit auch 
nicht das unmittelbare Ziel der Kunft ift, jo wird fie Doch von 
diefer eingeholt werden, da eben beide Schweitern und Töchter 
der „höchſten Schöne” find. Deshalb ergeht zum Schluß an 
beide, an Künftler, wie an Forſcher, Die Mahnung, einträchtig 
mit einander zu wirken, um fo ficherer und angenehmer das 
Ziel der Vollkommenheit zu erreichen. 


Kunftihwäger — Kurland. 559 


Anm. In Str. 8 kann in den beiden letzten Verſen: 


In die erhab'ne Geifterwelt 
Bar't ihr der Menſchheit erſte Stufe!” 


der Accuſativ, die“ auffallen. Derſelbe hängt nicht von dem 
Zeitworte, fondbern von dem Hauptworte „Stufe“ ab. Wie 
man allenfalld fagen kann: Das tft eine Stufe zur Hölle, eine 
Stufe ins Htmmelreih, jo Hat der Dichter hier in feiner 
jugenblich - führen, elliptiichen Ausdrucksweiſe nichts Anderes 
gemeint ald: Ihr war’t ber Menſchheit erfte, in bie erbabene 
Geifterwelt führende Stufe. 


Kunſtſchwätzer, Die (Ged.), ein Epigramm aus dem. 
Sabre 1796. Es ft gegen biejenigen gerichtet, die fich ein 
Urtheil über künftlerifche Gegenftände anmaßen, ohne ben rech- 
ten Sinn für dad Streben einer genialen Kraft zu haben. Dieſe 
wird ſtets originell fein und einen fortwährenden Krieg gegen 
die herkömmlichen Kunftgefege führen. 


Kuoni (W. T. Perj.:Berz.), ſchweizeriſche Abk. für Konrad 
(althd. chuonrat). 


Kuppel (Geb. D. Spaziergang), von dem aus bem beut- 
[hen Kuppe gebildeten fra]. coupole, ein rundes, helmartig ge- 
woͤlbtes Dach, wie es fich befonderd bei Thürmen findet. 


kuppeln, von koppeln, eng und nahe verbinden, bei. (%. II, 2 
u. II, 16) im uneblen Sinne. — Kuppler (R.IL,2— Ku. 
1,6 — Par. I, 2), ein Menſch, der zu folden Verbindungen 


Gelegenheit verfchafft. 


Kurfürft (Geb. D. Graf von Habsburg; Anm.), von dem. 
altd. füren, od. wählen; ein Wahlfürft, zur Katferwahl berech⸗ 
tigter Yürft. 

Kurl (M. St. I, 8), engl. Eurle, |. Nau. 


Kurland (Gſtſ. 10, 127), eine der fogen. deutichen Pro- 
vinzen Rußlands, welche bis 1795 eigene Herzöge behielt, wo 


560 Küßnacht — Kutteln. 


die Stände, da der letzte Herzog keine männlichen Nachkommen 
batte, fih dem ruſſiſchen Scepter unterwarfen. Es liegt ſüdlich 
vom Rigaiſchen Meerbujen. 


Küßnacht (W. T. 1,2), ein Städtchen im Canton Schwyz, 
am Bierwaldftätterfee und dem Yuße des Rigi. Nabe dabei, 
auf der Straße nah Immenſee (ſ. Imiſee) Tiegen noch jept 
Refte von Geßler's zerftörter Burg. Dicht dabei war ein 
Hohlweg, „die hohle Gafſſe“ (W. T. IV, 3), an deren Ende 
die Telld: Kapelle fteht, während die. Gaſſe jelbft durch einen 
neuen Straßenbau faft gänzlich verſchwunden ift. 


Kutteln (R. II, 3), fb. für Kaldaune od. Eingeweide. 


A.D. Gqhade's Buhbruderei (2. Schade) in Berlin, Stallſchrelberſtr. 47. 





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Sciller-Serikon. 


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Erläuterndes Wörterbuch 


zu 


Schiller's Dihterwerfen 


Unter Mitwirtung 
von 


Karl Goldbeck 
bearbeitet 


Zudwig Rudolph. 


VII IVITWINITITNTNDU 


Zweiter Band 
258 8. 





Berlin 


Tele Aigle re 
&ffert und 2. Linbiner) 


1869. 


| Vorwort. 


np 


Indem wir den zweiten Band unſeres Schiller⸗Lexikons 
der Deffentlichkeit übergeben, nehmen wir Beranlaflung, 
auch dem Publicum gegemüber unjer beiderjeitiged Cigen- 
thumsrecht an die Arbeit auseinanderzuſetzen. Bon dem 
auf dem Titel zuerft genannten Berfafler (G.) rühren die 
Artikel „Lyriiche Poeſie, Sprache, Ueberſetzungen, Um⸗ 
ſchreibung“ nebft einigen Tleineren ber, während alles 
Uebrige von dem zweiten (R.) bearbeitet worden ift. 
Gleichzeitig fühlen wir und verpflichtet, allen unjeren lite 
rariſchen Yreumden, die und theild mit werthuollen Hülfs- 
mitteln, theild mit treffenden Bemerkungen und NRath- 
Ichlägen unterftüßt und hierdurch zur Förderung des Gan- 
zen beigetragen haben, unfern aufrichtigen Dank zu jagen. 
Eben jo find wir den vielen freundlich anerfennenden 
Recenfionen, die dem erften Bande bereitö zu Theil ge- 
worden, zu lebhaften Danke verpflichtet; möge nun aud) 
diefer zweite Band fich einer gleich nachfichtigen Beurthei- 
lung zu erfreuen haben. 


Berlin, den 10. Rovember 1869. 
Zudwig Rudolph. Karl Goldbed, 


2 Lacedämon — Lämmergeier. 


eben jo (Ged. Hero u. Leander), wo es von der Liebe heißt: 

„Aus bed Labyrinthes Pfaden 

Leitet fie mit fiherm Baden.” 
und (R. Borr.), wo er von den „nächtlichen Labyrinthen des 
Laſters“ ſpricht. — Endlich bezeichnet er damit auch eine ſchwer 
zu löſende Verwirrung von Begriffen, wie (GEſtſ. 10, 198 u. 202) 
und (O. ©. 1,2), wo Don Carlos ſagt: 

„Duch labyrinthiſche Sophismen kriecht 
Mein unglũckſeliger Scharffinn.” 
Lacedämon, |. Sparta. 


Lady, ſ. v. w. Dame, ift in England der Titel der Frauen 
und Fräulein vornehmen Standes, wenn man von ihnen ſpricht; 
daher (M. St. I, 1): „die Geheimniſſe der Lady“; ferner (eben- 
daſ. I, 6): „kady Gray“. Zn der Anrede ſagt man Mylady 
(ebenbaf. I, 6). 

Raertes, |. Odyſſeus. 

Rager (W. T. II, 1), ſ. v. w. Hoflager, Stk eines Firſten. 


Lagunag (Gſtſ. 10,246), Benennung für Meine Seen an ber 
Küfte des adriatifchen Meeres. 

Lajus (Phön.), (griech. Kai), ſ. Labdakus u. Antigone. 

Lakai (Par. II, A — Sp. d. Sch.), frzſ. Jaquais, ein Aus: 
Iäufer, Diener, Aufwärter. Miethlakai (Geb. D. berühmte 
Frau), ein auf kurze Zeit od. für befondere Zwede Bemiagenet 
Diener. 

Rama, der Name der Oberpriefter in Tübet; Dalai Lama, 
der Beherrfcher von Tübet, da8 Oberhaupt der geiftlichen wie 
der weltlichen Macht, dem dort göttliche Verehrung gezollt wird; 
daher (Zur. I, 1): „beim großen Lama”. 

Ramento (R.II, 3), ital. die Wehflage, dad Klagegeſchrei. 


Lämmergeier (W. T. II, 2) od. Geieradler, der größte Raub- 
vogel der Alpenwelt, der felbft Gemfen und Steinböde angreift, 


Lamormain — Landſturm. 3 


größere Thiere in den Abgrund ſtößt und auf dieſe Weiſe fogar 
dem Menſchen bisweilen gefährlich wird. 

Lamormain (Picc. II, 2), gew. Pater 8. (ebenbaf. II, 7), 
eig. „Lämmermann“, ein Ordendgenoffe der Jeſuiten und Beidht- 
vater des Kaiſers Yerdinand IT, das Hauptwerfzeug, Durch wel- 
ches Wallenftein geftürzt wurde. 


Land, Das gelobte (W. T. V,2), eine Anfpielung auf das 


‚ dem jüdifchen Volke verheißene Canaan, welches von demfelben 


1450 v. Chr. unter Joſua erobert wurde. 
Landamman, |. Amman. 
Landboten (Dem. D), |. Reihötag zu Krakau. 


Rande, Die drei (W. X. V, D), die Schweizer Cantone 
Schwytz, Uri und Unterwalden (ebendaf. I, 4); vergl. ib: 
genoffen. 


Randenberger (W. T. I, 2). DBeringer von Landenberg, 
ein von Katjer Albrecht für den Canton Unterwalden (W. T. 
I, 4) ernannter Reichsvogt, der 1315 in der Schlacht bei Mor: 
garten fiel. 

Landmart (W.T.1,4 u. 11,2), zunächft Die Grenze zwiſchen 
zwei Ländergebieten, dann auch diefe Gebiete ſelbft. Mitt dem 
Zufammengrenzen der Landmarken (W. T. I, 4) find dad Nütlt, 
Treib und der Seliäberg gemeint, die ſich auf dem Urner Gebiet, 
aber dicht an der Grenze von Unterwalden befinden. 


Randdgemeine (W. T. I, 4 u. II, 2), tn Süddeutſchland 
die Berfammlung der fogen. Activbürger, d. 5. derjenigen, die 
dad Wohl ihres Bezirks zu berathen und darüber zu bejchließen 
haben. 

Randsmannfchaft (M. St. I, 6), ein Verein von Lande: 
fetten, die die Abficht haben, ſich in einem fremden Lande inniger 
ameinander zu jchließen. 


Landſturm (WB. T. II, 2), das Aufgebot ſaͤmmtlicher waffen: 
fühlger Mannſchaften. 
1” 


4 Landvogt — Laokoon. 


Landvogt (W. T. I, 1). Vogt, aus dem lat. advocatus 
(d. i. der Herzu- od. zu Hülfe Gerufene) mit Abſtoßung der 
Vorſilbe gebildet; davon Landvogt, der zum Statthalter für 
die reichſsunmittelbaren Schweizer Waldftätte Berufene; deshalb 
auch Reichsvogt (W. T. Perj.-Berz.). 


Landwehr, die zur Vertheidigung eined Landes geſetzlich 
aufgebotenen Mannſchaften; vergleichungsweiſe wird (W. T. 
III, 3) der Bannwald (vergl. bannen) ſo genannt. 


Labkoon (Myth.), ein Priefter des Apollo in Troja. Als 
die Griechen Troja zum Schein verlaſſen und der Prieſter des 
Neptun umgelommen war, traf die Reihe den Laofoon, dem Gott 
des Meered zu opfern; daher wird er Ged. 2. B. d. Xen. 7) 
der Prieſter ded Neptun genannt. Er batte fich heftig dagegen 
erflärt, daß man dad von den Griechen zurückgelaſſene hölzerne 
Pferd als ein der Pallas geweihtes Heiltgthum anfehen wollte; 
er bielt e8 für einen Betrug der Griechen und hatte fogar im 
Eifer jeined Zorn den Speer (Geb. 2. B. d. Xen. 9) gegen 
bafjelbe gejchleudert. Als er nun mit feinen beiden Söhnen am 
Nfer des Meered beichäftigt war, da8 bereit erwähnte Opfer 
zu vollziehen, Tamen von der Snjel Zenedod (Ged. 2.2. d. 
Aen. 34—39) zwei ungeheure Schlangen gejchwonmen, wälzten 
ih gegen den Opferaltar, umfchlangen ibn und feine Söhne, 
die nach langem vergeblihen Kampfe erftidt wurden, krochen 
dann zu dem Tempel der Pallad, Iegten fich zu ihren Füßen 
nieder und verftedten fi unter ihrem Schilde. Hierauf fpielt 
Sch. (Wfl. T. III, 18) an, indem Mar von fi und Thella fagt: 
„Wem bradden wir bie Treue! Warum muß 


Der Väter Doppelfhulb und Frevelthat 
Uns gräßlich wie ein Schlangenpaar ummwinbent " 


Diefem Ereigniß verdanken wir ein plaftiiches Kunſtwerk des 
Altertyumd, die berühmte, vielfach nachgebildete Gruppe bes 
Laokoon, weldhe vermuthlich aus der blühenden, Zeit der rhodi⸗ 
Then Kunſtſchule (147 v. Chr.) herrührt. Sie wurde 1. 3. 1506 


Laomedontier — Larve. 5 


zu Rom aufgefunden und vom Papfte Julius IL. im Belvedere 
aufgeftellt. Eine weitere Frucht dieſes Kunftwerks iſt Leſſing's 
, berühmte Schrift: „Laofoon, oder über die Grenzen ber Malerei 
und Poefie“; Berl. 1763; in dem 2ten Bande feiner ſaͤmmtlichen 
Schriften. 

Raomedontier (4. B. d. Aen. 99), ſ. v. w. Trojaner, nad 
Labmedon, dem vorlepten Könige von Troja, unter welchem 
die Stadt zum erften Mal erobert wurde. 


Lappländer (R. I, 1), Bewohner von un im nörd: 
fihen Rußland. 


Karen, |. Penaten. 


Larve, von dem Iat. larva, nennt man in den bilbenben 
Künften ein gemalted oder geformted menſchliches Geficht, wel: 
ches von dem übrigen Körper abgejondert iſt. Vergl. Maske. 
Sch. braucht es zunächit bildlich für Geficht, wie (MR. IV, 2), 
wo Franz von Daniel jagt: „Wart, Alter, ich will Dich fangen! 
in's Auge will ih Dich fafien, fo flarr, daß Dein getroffened 
Gewiflen dur die Larve erblafien fol!" Dedgl. (M. St. 
un „Und iſt's denn wirklich wahr, daß fie fo ſchön iſt 

So oft mußt’ ih Die Larve rühmen Hören.” 

Eben jo (Bft. L. 5): 

„Was haben die Herren vom Megiment 

Sih um das nieblide Lärvchen geriffen.“ 
und (Zur. I, 3): „Man fleht die. fürdhterliche Larve eines Nach- 
richters fidh Über dem Stabtthor erheben.“ Für ſolche Schred: 
geftalten erfcheint der Ausbrud ihm paſſend, auch wenn es 
fühllofe Thiere find, wie (Geb. D. Taucher): 

„Unter Larven die einzige fühlende Bruft.” 
Da das lat. larva auch Geſpenſt bedeutet, fo dient es Sch. 
auch zur Bezeichnung der Schatten, die die Unterwelt bewohnen; 
daher (ed. Kaffandra): 


6 Laſtkaris. 


„Shre bleichen Larven alle 
% Sendet mir PBroferpina, 

Bo id wantre, wo ih walle, 

Stehen mir die Beifter ba.” 


Urfprünglich ift eine Larve ein falſches Geſicht, daher bedeutet 
ed dann auch jo viel wie Berftellung. So a (M. St. 
III, 4): 
— — — „Ieht zeigt ihr euer wahres 
Geſicht, Bid jetzt war's nur bie Larve.“ 
eben jo (R. J, 1; II, 2; IV, 2; VL — K. u. L. V, 7 — 
Wſt. T. V, 4 — Meb. I, 15 u. III, 5); desgleichen (D. €. 
II, 8), wo die Prinzeſſin von Don Carlos ſagt: 
„Doch wie? — Wär's ungehenrer Männerftolz, 
Der nur, ſich deſio ſüßer zu ergötzen, 
Die Bloͤdigkeit als Larve brauchter" 


ferner (M. St. I, 6) in dem Geſpräch zwiſchen Maria und 


Mortimer: 
— — — — — Verzeihung 
Für die verhaßte Larve, Königin.“ 


ebenſo (Menſchenf. 2): „werft eure gleißneriſchen Larven ab”; 
endlich (Ged. D. Macht d. Geſanges): 


„Des Jubels nichtiges Getöſe 
Verſtummt und jede Larve fällt.” 


Daher auch entlarven (Par. II, 4): einen Heuchler in ſeiner 
wahren Geftalt zeigen. 


Laſkaris (Mlth.), der Name eines griechiſchen Yürften, ber 
zur Zeit der fürchterlichſften Zerrüttung des byzantiniſchen oder 
oftrömiſchen Reiches von 1204 — 1222 die afiatiſchen Provinzen 
deſſelben an ſich riß und zu Nicaͤa den Kaiſertitel führte, wäh: 
rend Balduin von Flandern an der Spibe der mit den Bene: 
tianern verbündeten franzöfifchen Kreuzritter 1204 Eonftantino> 
pel eroberte und hier das fogenannte lateinische Kaiſerthum 
gründete. 


Lateiniſches. 7 
Lateiniſches: 

Afflavit Deus et dissipati sunt (Ged. D. unüberwindliche 
Flotte; Anm.), Gott blies und ſie wurden zerſtreut. 

Apparent rari nantes in gurgite vasto, aus Virgil. Aen. 
I, 118 (Sp. u. d. L.), nur wenige Schwimmer erfcheinen auf 
dem weiten Wirbel. 

Aut Caesar, aut nihil (R. Theateraudgabe I, 4), entweder 
&äfar oder gar nichtd, ein geflügelted Wort, von dem ©. Büd;: 
mann”) fagt, daß ed fih aud Sueton, „Zulius Cäſar“, 29 
nur erflären, nicht aber belegen laſſe. 

Cogito, ergo sum (Ged. D. Philofophen), ich denke, alſo 
bin ich. 

Contenti estote (Wit. X. 8), ihr ſollt zufrieden fein. 

Deus ex machina! (R. II, 1) wörtl. ein Gott auß der 
Maſchine, d.h. aus dem Mafchinenwert des Theaters; eine 
Redendart, deren man fich bei dem unerwarteten, plößlichen 
Eintreten einer Perjon bedient, durch weldhe fchwierigen Ber: 
widelungen eine glüdlide Wendung gegeben wird. 

Diem perdidi (R. II, 3), ich habe einen Tag verloren, ein 
Wort bed Kaiferd Titus (Sueton. Titus C. 8), ald er an einem 
Tage Niemand eine Wohlthat erwiejen hatte. 

Et ait illis (Wft. 8. 8), und er fagt ihnen. 

In cadente domo (Bit. 2. I, 1), in dem fallenden Haufe; 
vergl. Aftrolog. 

Incidenter (R. II, 3), beiläufig. 

In corpöre (®ed. G. G.), von corpus, der Körper; insgeſammt, 
zufammen. 


Angratis servire nefas (Picc. IV, 1), den Undanfbaren dienen 
ift ein Unrecht. > 


*) Siehe defien „Beflügelte Worte”. Berlin, 5. Weidling. 


8 Lateiniſches. 


In pleno (Geb. D. Philofophen), von plenus; voll; in voller 
Berjammlung, vollzählig. 


Memento mori (#. II, 3), gedenke des Todes. 


Ne custodias gregem meam (Wſt. L. 8), du follft meine 
Heerde nicht weiden. 


Neminem concutiatis (Wſt. L. 8), ängftiget niemanden. 

Neque calumniam faciatis (Wit. L. 8), und machet feine 
falſche Anklage. 

Optime! (Zur. II, 4) am beften, jehr gut! 

Pro memoria, als Ueberſchrift an hohe Perfonen und Be— 
börden (8. u. 8. II, 6 — Wit. &, 11); eine Eingabe, ein 
Geſuch. 

Quae cura fuit vivis, eadem sequitur telluro —— 
(Sp. u. d. L.), dieſelbe Sorge, welche die Lebenden haben, 
folgt ihnen, wenn ſie in die Erde gebettet ſind. 

Quae medicamenta non sanant, ferrum sanat, quae 
ferrum non sanat, ignis sanat (R. Motto des Titels). 
Was Arzeneien nicht heilen, bad heilt dad Eiſen; was das 
Eiſen nicht heilt, das heilt das Feuer. 

Quid faciemus nos? (Bft. L. 8) was werden wir tbun? 

Quid hie statis ostiosi? (Wſt. L. 8) was ftehet ihr Hier 
müßig? 

Quid sit id, quod tantum perituri vident (Öftf. 10, 
225), was daß jei, was nur Sterbende ſehen. 

Quiproquo (R.a.D.I,2), eig. quid pro quo od. qui-pro-quo, 
neulat. Was: für: wa, |. v. w. Perfonenverwechfelung. 

Russiae Regina (Dem. D, Rußlands Königin. 


Si omnes consentiunt, ego non dissentio (R. I, 2) 
wenn Alle einftimmen, jo habe ich nichtd Dagegen. 


Stipendiis vestris (Wfl. 2. 9), mit eurem Solde. 


Laterne — Lauenburg. 9 


Ubi erit vietoriae spes, si offenditur Deus (Bft.2. 9), 
wie jol man auf Sieg hoffen, wen man Gott beleidigt. 

Vivos voco. Mortuos plango. Fulgura frango (Geb, 
D. Glocke), den Lebenden rufe ich; die Todten beflage ich; 
Die Blibe breche ich. 


Laterne, Magiſche (Gſtſ. 10, 151), gew. Laterna magica 
od. (Gftſ. 10, 158) Zauberlaterne genannt, ein phyſikaliſcher 
Apparat, der aus einen vieredigen Kaften befteht, in deſſen 
Innern eine Rampe brennt. An der inneren Seite der Rück— 
wand befindet fi) ein Hohlipiegel, um das Licht der Lampe zu 
verjtärten; dem Spiegel gegenüber iſt eine Oeffnung mit einer - 
Nöhre, in weldher fi ein oder mehrere Linjengläfer befinden. 
Auf diefe Weiſe wird von transparent gemalten Bildern, die ſich 
umgekehrt zwifchen der Flamme und den Linfen einfchieben laſſen, 
auf einem Vorhange ein vergrößerted aufrechtes Bild entworfen, 
ba8 von den in einem dunklen Raume befindlihen Zuſchauern 
betrachtet werden Tann. 


Ratium (Gerd. 4. B. d. Aen. 80), der Küftenftrih an der 
Weftfeite von Mittelitalten, welcher zwilhen dem Tiber und 
dem Liris lag; im Ganzen übereinftimmend mit der jebigen 
Campagna di Roma. 


Käto, |. Leto. 


Zauenburg oder Sachjen:tauenburg, ein im W. von Meflen- 
burg zwiſchen Kübel und der Elbe gelegened Herzogthum, kam 
1815 an Dänemark und ift nach dem lebten däniſchen Kriege 
(1865) an Preußen abgetreten worden. Der Herzog Franz 
Albert von Lauenburg (Wit. T. III, 4), der nächte Begleiter 
Guftav Adolph's in der Schlacht bei Küben, der den verwun⸗ 
beten König vergebend aus dem Schlachtgetümmel zu führen 
verfuchte, ftandb kurz vor Wallenftein’d Tode ald Befehlähaber 
eined aus Sachen, Brandenburgern und Schweden beftehender 
Heeres in Schlefien. Im Jahre 1642 focht er wieder gegen die 
Schweden, wo er bei Schwetdnig verwundet wurde und ftarb. 





10 Laufpaß — Lauralieder. 


Laufpaß (Zur. V, 2), gem. ſ. v. w. Abſchied, Entlafſung. 

Lauralieder (Ged.). Meber die Perſon, an welche die Laura⸗ 
lieder gerichtet find, herrſchen verſchiedene Anſichten. Nach Hoff- 
meiſter's Unterfuchungen war es eine Wittwe Viſcher zu Stuttgart, 
die übrigend weder hübfch noch geiftreih, wohl aber gutmüthig 
war und dabei doch in ihrem Weſen etwad Anziehended hatte. 
Auf den erften Blick zeigt fih auch in diefen Sugenbliedern, die 
daB erjte Erwachen der Liebe ſchildern, Sch's Neigung zur 
reflectirenden Poeſie, die jchnell von dem Befonderen zum All: 
gemeinen fortichreitet. In einer Selbitrecenfion fagt er: „Ueber: 
ſpannt find fie alle und verrathen eine allzuunbändige Imagi⸗ 
nation.” — 1) Phantafte an Laura. Str. 2. Bunte Zirkel, 
f. v. w. mannigfach verjchlungene Bahnen. Str. 5. Newtone 
(1. d.) ſ. y. w. Aftronomen. Str. 6. Die Göttin iſt die Liebe, 
Str. 8. In fpäteren Ausgaben fteht ftatt Sennen das gebräud)- 
Tichere Sehnen. Str. 11. Die goldenen Kinder find die Thränen. 
Str.16. Einer heiligen Sage zufolge wird fich die Zeit mit der 
Ewigkeit vermählen, d. h. die Zeit in die Ewigkeit hinüberfließen, 
wobei der Brand, welcher dad Univerfum zerftört, als Hochzeite: 
fadel leuchten wird. — 2) Laura am Glavier. Str. 1. 
Philadelphia, ein Taufendfünftler jener Zeit, erregte allgemeines 
Staunen. — 3) Die Entzüdung an %aura, eine Ode, 
welche früher: „Die jeligen Augenblide an Laura“ überjchrieben 
war und die Sch. um fünf Strophen verfürzt bat, daher der 
unverfennbare Eindrud des Abgerifjenen. — 4) Das Ge: 
heimniß ber Reminiscenz. Diefem Gedichte Liegt bie 
Platoniſche Anſchauung zu Grunde, daß die menſchliche Seele 
ſchon vor ihrer Verbindung ‚mit dem Leibe ein freied, geiftiges 
Dafein geführt habe, fo daß unfere irdifchen Vorftellungen und 
Gedanken nur ald Erinnerungen (Reminidcenzen) früherer Zus 
Stände zu betrachten feien. Der Dichter erklärt ſich aljo das 
Geheimniß feiner Liebe daraus, daß er in unvordenklichen Zeiten 
mit dem Gegenftande derfelben zu einem göttlihen Weſen ver: 
bunden gewefen fei. Str. 8, nimmer bat hier (wie oft in ber 


Laute — Lava. 11 


Poeſie) die urfprünglihe Bedeutung: nicht mehr; nicht etwa 
die jeßt gangbare: niemals. — 5) Melancholie an Laura. 
Melancholie, Ahnung eines frühzeitigen Todes, bildete einen 
Grundzug in dem ganzen Weſen Schiller’. — Str. 6. Kreaturen 
ded Tyrannen find die jugendlich hüpfenden Pulfe, deren rafche 
Bewegung auch rafch die Lebenskraft verzehrt. Str. 7, wie aus 
feinem (d.h. ded Toded) Keime. Str.9, der im Meere Yelfen 
thürmt u. ſ. w. bezieht fih auf: mein Getft. Str. 11.' Der 
Süngling mit der Trauermiene ift der Genius bed Todes. — 
6) Die Blumen (f. d.). Died Gedicht tft auch mit zu den 
Lauraliedern zu rechnen, da Str.3, B.1 in der erften Bearbei: 
tung ftatt Nanny, Laura Stand. — Außer den bier zuſammen⸗ 
geftellten find noch zwei Gedichte der zweiten Periode bierber 
zu rechnen: „Der Kampf" und „Refignation” (|. d.). 

Raute (R. II, 2 — D. C. II, 7), ein der Zither ähnliches 
Saiteninjtrument. j 


Lava (Geb. Pompeji und Herculanum), der Name für ver: 
jchiedenartige Gefteine, welche bei vulcaniſchen Ausbrüchen im 
geſchmolzenen Zuftande als ein zähflüffiger Strom zu Tage 
kommen; daher (Br. v. M. 5, 422): 

„Auf der Lava, die ber Berg gejchieden”, 
d. h. audgejchieden, abgejondert. Im Vergleich mit der frampf- 
haften Anftrengung der Natur, welder diefe Erfcheinung ihr 
Dafein verdankt, jagt Sjabella (Br. v. M. 5, 400) von dem Ur- 
fprunge de unfeligen Streit3 ihrer Söhne: 
„Wer möchte noch das alte Bette finden, 
. Des Schwefelftroms, der glühend fi ergoß? 
Des unterird’ichen Feuers ſchreckliche 
Geburt ift afled, eine Lavarinde 
Liegt aufgefchichtet über bem Gefunden, 
Und jeder Fußtritt wandelt auf Zerftörung.” 
und bildlich heißt e8 (Ged. Dem Erbprinzen von Weimar) von 
„den Schreden der franzöfiihen Revolution: 
‚Und in den Krater darf man nieberftetgen, 
Aus dem bie Lava flieg.” 


12 La Valette — Leda. 


La Valette, |. Malta. 


Lawinen (W. T. III, 3) nennt man in den Alpen die großen 
Schneemaſſen, welche von den hohen Bergen herabftürzen und 
oft furdtbare Verheerungen anrichten. Man unterfcheidet ver- 
fehiedene Arten. Die Windlawinen (W. T. III, 1) entftehen, 
wenn frifch gefallener Schnee vom Winde losgeriſſen und ftäu- 
bend in die Tiefe geführt wird. Durch die Gefchwinbigfeit, mit 
welcher fle erjcheinen, haben ſie allerdings etwas Unheimliches 
und Schredenerregended; da fie inbeflen loder find, fo fan 
man fi) aus ihnen leicht wieder empor arbeiten. Biel gefähr- 
Vier find die Schlaglawinen (W. T. III, 3). Sie beftehen 
aus großen Schneemaffen, welde durch ihre eigene Schwere 
herabrollen oder herabgleiten und den ganzen Grund, auf dem 
fie Itegen, fammt Bäumen und Felsſtücken donnernd mit fid 
fortreißen, fo daß Berg und Thal erzittern. Durch fie werben 
Reiſende, ja bisweilen ganze Ortichaften verfchüttet. 

Lebendgott, eine von Sch. gebildete, fonft nicht übliche 
Zufammenfegung. Der Ausdrud: „RLebendgott der Freuden” 
(M. St. III, 6) erinnert an den „großen Freudebringer“ (Ged. 
D. Götter Griechenlands, Str. 8); vergl. Bacchus. 

Lebkuchen (R.I, 2), ſ. v. w. Honig: od. Pfefferkuchen. 

Red, ein von den Alpen kommender Nebenfluß der Donau; 
hier ward Tilly am 5. April 1632 (Picc. I, 2) geſchlagen und 
jelbft ſchwer verwundet, worauf er am 20. April (Wſt. T. III, 13) 
ftarb. 


Leda (Myth.), die Tochter des Theftius und die Gemahlin 
des fpartanifchen Königs Tyndaͤreus, dem fte den Kaftor (I. 
Diodcuren) und die Klytämneftra gebar; baher fchreibt Age 
memnon (Iph. I, 1) an feine Gemahlin: „Geborene ber Leda“. 
Sie war von ſo großer Schönheit, daß ſich Supiter- in einen 
Schwan verwandelte, um ſich ihr zu nahen (Geb. Triumph d. 
Liebe — Ged. Semele 2). So ward fie zugleich bie Mutter 
des Pollux, griechiſch Polydeukes (j. Dioscuren, und der Helene; 


Legat — Leibeigene. 13 


daher (Iph. III, 3w.:9.): „Helene, die ber vochgehalete — 
gezeuget.“ 

Legat. 1) Ein paäͤpfſtlicher Botſchafter (M. St IV, 9; 
2) ein Vermächtniß (D. C. I, 4 — Gill. 10, 211). 

Legende, von dem latein. Worte legere, d. t. lejen, eine 
Erzählung von dem Wunderwerfe eined Heiligen; daher (Gftf. 
10, 218) vergleichungsweiſe: „Der Prinz verdiene eine Legende, 
wenn ihm dieſes Riefenwerf gelänge.“ 

Region, zunächſt die altrömifchen Kriegerſchaaren von etwa 
6000 Mann; dann eine große Schaar überhaupt, ein Heer, 
wie (R. II, 3): „taufend Legionen fehuldlofer Engel”; od. 
(3.0.8. U, 5): 

‚Als 06 die Hölle ihre Legionen 
Verdammter Geifter audgeipieen u. f. w. 

Lehen, dad Geliehene oder Verliehene; bei. Güter, welde 
ein Zürft feinen Vaſallen oder Lehnöträgern übergiebt. Daher 
fagt Stauffaher (W. T. I, 2) in beſcheidener und demüthiger 
Weiſe zu dem Landvogt: 

„Died Haus, Herr Bogt, ift meines Herrn des Kaiſers 
Und eure8 und mein Leben.” 
dedgl. (Ged. D. Graf v. Haböburg): 
„Don dem ih Ehre und irdiſches Gut 
Zu Lehen trage u. f. w.” 
. Dagegen Attinghaufen (WB. T. II, 1) in dem Gefühl eines freien 
unabhängigen Manned zu Rudenz: 
„Seh Hin, verkaufe beine freie Seele, 
Rimm Land zu Lehen, werd’ ein Fürſtenknecht.“ 
Davon die leichtverſtaͤndlichen Bufammenfepungen: Lehenhof 
(DB. T. U, 1); Lehensherr (W. T. IV, 2); Lehendleute 
(Dem. D; Leheneid (D. C. V, 4); Lehenspfliät (Med. 
I, 8). 

Reibeigene, Leute, die ihrem Gutsherrn zu Dienften, Zinfen 

ober andern Dbliegenheiten verpflichtet find und zwar fo, daß 


14 Leihenöffnung — Lednidas. 


ſolche Berbindlichkeiten. auch auf die Nachkommenſchaft fort: 
erben; daher (Menfchenf. 6) „das Joch der Leibeigenfchaft“ und 
(W. T. II, 2): 

— — — —, Es preiſe ſich, wer Keinem 

Mit feinem Leibe pflichtig iſt auf Erden.“ 
Sn dieſer Bebeutung nennt Melchthal zwei Landleute (W. 2. 
II, 2) „eigene Leute“. Bildlich bezeichnet Spiegelberg (R. 
IV, 5) die Räuber als Leibeigene ihres Hauptmannes. 


Reichenöffnung (Berbr. a. v. E. 10, 86), Verdeutſchung für 
Section od. Zergliebernng. 

Leihenphantafie, Eine (Ged.), ein Gedicht auß Dem Jahre 
1780, dad manche Aehnlichkeit mit der „Elegie auf den Tod eines - 
Jünglings“ bat. — Schwierige Stellen: Str. 2 conftruire: 
Mer ſchwankt zitternd an der Krüde u. f.w. — „Floß es 
Bater von ded Sünglingd Lippe?“ d. h. war der erfte Leid⸗ 
tragende der Vater des zu Beftattenden? — Str.9. „Dumpfig 
ſchollert's über'm Sarg zum Hügel“, d. 5. mit dumpfer und 
dumpfer werdendem Schalle häufen ſich Erdſchollen über dem 
Sarge zum Grabeshügel auf. 

Leipzig (N. I, 1), bedeutende Handeldjtadt im Königreich 
Sachſen. — Leipziger Fatalität (Wit. L. 6), die Schlacht 
bei Leipzig und Breitenfeld, in welder Tilly (f. d.), am 
7. September 1631 von Guſtav Adolph geichlagen wurde. 

| 2. (Iph. I, Zw.⸗H.), Anführer der Böotier vor Troja; 
St. I, 

2 (Dem. I), Kreisftabt an dem zum Bug gehenden 
Bache Peltew in dem jeßigen zu Deftreich gehörigen Königreich 
Galizien, welches anfangs mit Rußland verbunden war, aber 
1100 von den Ungarn und 1390 von den Polen erobert wurbe, 
bis Maria Therefia als Königin von Ungarn es bei der erften 
Theilung Polens (1772) erhielt. 

Reonidas (Mith.). Als Xerxes, König von Perſien (480 
v. Chr.) ein Heer von 14 Millionen Menſchen nad) Griechenland 





N Leopold — Lethe. 15 


führte und bereit3 Thracien, Macedonten und Theffalien erobert 
hatte, ftellte ih ihm in dem Engpaß von Thermöpyplä Leonidas 
mit 300 außerlejenen Spartanern entgegen, welche diefen wich: 
tigen Poften mehrere Tage lang mit Erfolg vertheidigten. Durch 
die Berrätherei des Ephialtes jedoch, der die Perſer während 
ber Nacht über eimen Fußſteig des Gebirge den heldenmüthigen 
Spartanern in den Rüden geführt hatte, kamen fie fämmtlich 
nach" hartnädigem Kampfe um's Leben. Der freiwillige Opfertob 
diejer edlen Kämpfer warb den Griechen ein neuer Sporn, bie 
nun unter Themiftofle8 bei Saͤlamis die Perjer zur See und 
unter Paufaniad und Ariftides bei Platäd zu Lande fchlugen, 
fo daß die ganze ungeheure Kriegsmacht theild vernichtet wurde, 
theils die Flucht ergreifen mußte. 


Leopold, Fürſt (W. T. V, 1), der Herzog Leopold von 
Deftreih, der Sohn Kaiſer Albrecht's I., daher (W. T. V, 2) 
der Better des Johannes Parricida, wurde 1315 bei Morgarten 
von den tapferen Eidgenofien befiegt und rettete mit Mühe jein 
Leben. 


Lerna, eine Stadt in Ärgolis, ber ftlichften Halbinfel des 
Peloponnes; nahe dabei Liegt ein See (Phön.) „Lerna's Teich“, 
wo Hercules die Hydra (f. d.) tödtete. 


Leßley, Biſchof von Roße (M. St. 1,6), bekannt durch eine 
Geſchichte der Maria Stuart, in welcher er biejelbe in möglichft 
vortheilhaften Lichte zu fchildern jucht. 


Lethe (Myth.), d.i. Vergeffen, ein Fluß in ber Unterwelt, 
deſſen Wafler von den Seelen der Berftorbenen getrunken wurde, 
damit fie alles auf ber Erde erlittene Ungemach vergäßen. Vom 
Lethe trinken beißt daher (Geb. Semele 1) ſ. v. w. fterben. Da 
die Leibe (Sch. braucht den Ausdruck männlich) der Strom der 
Bergefienheit ift, fo wird fein Name vft bildlich für dieſe ge- 
braucht, wie (Ged. Hektor's Abſchied — R. I, 2): 

Hektor's Liebe ftirbt im Lethe nicht.” 


16 Leto — Leukoͤthea. 


ferner (Ged. D. Siegeßfeft): 
„Denn fo lang’ bie Lebensquelle 
An der Lippen Rande fchäumt, 
Sf der Sammer weggeträumt, 
Fortgeſpült in Lethe's Welle." 
und (J. v. O. III, 2), wo König Karl zu dem von dem reuigen 
Herzoge von Burgund abgefandten Chatillon jagt: 
— — — ‚Verfentt im Lethe jei 
Auf ewig dad Vergangne. Bir wollen 
Nur der Zukunft heitre Tage ſehn.“ 
Leto, in einigen Ausgaben fälfhlih Läto (Myth.), bei 
den Römern Latoͤna (Ged. D. Götter Griechenlands — 2.2. 
d. Aen. 19), eine Titanide, die Tochter des Coõus und ber 
Phöbe, gebar auf der Inſel Delod dem Jupiter den Apollo 
und die Diana. Sie wird (Phön.) die Mutter der Helate (f. b.) 
genannt. 


Rettern (Sp. u. d. 8.), die gegofienen, an einem Ende mit 
Schriftzeichen verjehenen SION Metallbuchitaben, deren man 
fih zum Drude bedient. 


Leu (Ged. D. Kampf m. d. Drachen — D. Handſchuh), 
der bichterifche Ausdrud für Löwe. 


Leukoͤthea (Myth.), hieß früher Ino, die zweite Gattin des 
Königs Athämas. ALS ihr Anſchlag auf Phrieus und Helle 
(f. d.) vereitelt worden war, hatte Juno den Athämas rajend 
gemacht, welcher nun die Ino verfolgte, jo daß fie fich von einem 
Felſen in's Meer ftürzte. Hier nahm fie Neptun ald Leukoͤthea 
(d.h. die weiße Söttin) unter die Meereögottbeiten auf. Bel 
ben Dichtern erjcheint fie biöweilen als Retterin der Seefahrer 
in Sturmesnöthen; daher (Geb. Hero u. Leander): 

« „Höre meinen Ruf erjchallen, 
Steig’ aus beinen grünen Hallen, 
Selige Leutothen! 

Die der Schiffer in dem üben 
Wellenreich, in Sturmesnöthen 
Nettend oft erfcheinen fah." 


Leumund — Libertinage. 17 


Leumund (Pic. V,3 — 3.0. O. III, 3), von einem alten 
Stamme liuman, ſchallen, tönen; der Ruf, bei. dad allgemeine 
Urtheil über Jemandes moraliihe Beichaffenheit. 


Levante (3. III, 4), ital. Often, Morgen; dad Morgenland, 
dei. die aftatiiche Türkei; daher levantifch (F. II, 5), aus dem 
Morgenlande. 


Lever, frz. dad Aufftehen (K. u. L. 1,6), der Morgenbeſuch 
bei fürftlichen Perſonen. 


Beyer (9. d. 8.), ſ. Lyra. 


Libanon (R.I,2), der höchſte Theil des fyrifchen Gebirge: 
landes, deſſen Gipfel eine Höhe von beinahe 9000 Fuß erreichen. 
Er zieht fih im N. von Paläftina von D. nach W. zum Mittel- 
ländifchen Meere und ift das DQuellgebiet des Jordan. Bergl. 
Bedern. 


Libertinage, von dem frzſ. libertin, leichtfertig, Ioder, aus⸗ 
gelafien; „Libertinage des Geifted und der Sitten” (Gſtſ. 10, 203), 
f.v. w. Ungebundenbeit und Zügellofigfeit im Denfen und Han: 
deln; verwandt hiermit ift der Ausdrud Libertiner (R. Perſ.⸗ 
Berz.), wie Sch. die Banditen vor ihrem Webergange zum 
Näuberleben nennt, eine Bezeichnung, die er flatt des frzſ. 
„libertin* gewählt. Allerdingd aber leidet dieje Bezeichnung am 
einer gewiffen Unflarheit, denn eine zweite Stelle, in welcher 
Sc. Libertiner etwa gleichbedeutend mit „Wüftlinge“ gebraucht, 
ift nicht nachzuweiſen, und in einem Perjonenverzeichnig follte 
man doch nur ganz allgemein befannte und Jedem fogleich deut- 
liche Ausdrüde erwarten. Gerade diefe kurze Benennung in dem 
Berfonenverzeihniß in Verbindung mit der Yorm des Wortes 
(befonderd ber Endung „er”) führt darauf, dag Sch. mög: 
licherweiſe mit demjelben eine beftimmte Menjchenklafje ihrem 
Stande oder ihrer Stellung nad, etwa Klofterjchüler oder Scho: 
laren, bezeichnen wollte. Wir können darüber Feine Auskunft 
geben; auch jagt Edarbt nichts darüber. 

1. 3 


18 Libyen — Lichtgeftalt. 


Libyen (Bed. 4. B. d. Xen. 19), ber von Aegypten weit: 
lich gelegene Theil Nordafrila’8. Die Griechen verftanden unter 
diefer Benennung oft ganz Afrika (Geb. 4. B. d. Aen. 33); 
davon Libyer (Ged. 4. DB. d. en. 7), die wilden Bewohner 
der libyſchen Wüfte; desgl. libyſch, wie (Sph. IV, Zw.-H.) 
„bad libyſche Rohr” (j. Haberrohr), und „der libſche Tiger” 
(Meb. III, 8); ſ. v. w. Panther. 

Licenz, von dem lat. licet, es iſt erlaubt; eig. Bewilligung, 
Freiheit; dann Ungebundenbeit, wie (Gftf. 10, 202) „Licenz. 
der Meinungen wie der Sitten”, d. h. Audgelafienheit, Zügel: 
Iofigfeit. 

Licht und Farbe (Ged.), ein Epigramm aus dem Sabre 
1796. Dad reine Licht können wir eben jo wenig ertragen, wie 
auch die ganze, volle Wahrheit und unzugänglich bleibt; aber 
die Farben, in welche das Licht fich zerlegt, haben für unfer 
Auge etwas Wohlthuended, jo wie auch die einzelnen Wahr: 
heiten und erfreuen, durch deren Vermittelung wir zur ewigen 
Wahrheit emporftreben jollen. 

Licht und Wärme (Ged.), ein didaktiſches Gedicht aus 
dem Sabre 1797. Es weift darauf bin, daß edlere Naturen in 
jugendlicher Begeifterung ftet8 der Hoffnung leben, ed werde 
ihnen gelingen, ihre Ideale zu verwirklichen, und ed werde ihnen 
an Zuftimmung und Anerkennung nicht fehlen. In der Welt 
fieht ed dagegen anderd aus; fie wird oft won Meinlichen Rüd: 
fihten regiert, und Hinderniffe mancher Art treten dem beften 
Streben entgegen. Darum follen wir einer Wahrheit, deren 
Licht nur blendet, ohne zu erwärmen, nicht vertrauen. Ohne 
Liebe, ohne Umgang mit Andern giebt ed fein Glüd. Nur wer 
das ideale Streben mit einer praftiichen Richtung in Einklang 
zu bringen verfteht, wird mit feinem Arbeiten und Wirken zu: 
frieden fein können. 


Lichtgeftalt (Br. v. M. 5, 385), dad deutſche Wort für den 
wifienihaftlihen (gr.) Ausdrud Phaſe, womit die Ajtronomen 


Lictor — Leder. 19 


die verjchiebenen Geftalten der Kichtfläche bezeichnen, welche der 
Mond und bei jeiner Achjendrehung nad) und nach zufehrt. 


Lietor (Ged. Pompeji u. Herculanum) , Gerichtöbiener des 
alten Roms. Sie trugen ald Zeichen der peinlichen Gerichts⸗ 
barkeit den höheren Magiftratöperfonen ein Bündel Stäbe voran, 
aus denen ein Beil hernorragte. 


Liebe und Begierde (Ged.), ein Epigramın aus dem Jahre 
17%. Es bezieht fi nad Viehoff's Angabe auf einen Aus—⸗ 
ſpruch Schlofſer's, der, ein Sugendfreund Goethe's, jpäter deſſen 
Schwager wurde, und bedeutet: Die Xiebe kann nur aus einem 
reichen, mittheilungsfähigen Gemüthe seunnelen während die 
Begierde jelbftfüchtig tft. 


Liebesbiffen (Ged. 4. B. d. Aen. 94). Der Dichter um: 
jchreibt jo dad Wort „Hippomanes“, d. h. Roßwuth, womit man 
einen fleifchigen Auswuchs auf der Stirn des neugeborenen 
Fohlens bezeichnete, den die Mutter nad dem Bolläglauben 
bald nach der Geburt des Fohlens abfrefien ſollte. Dieſes zu 
Liebeötränten benubte Hippomanes fol aljo früher abgeriffen 
werben, ald e8 die Mutter verfchlingen kann. (So Ladewig zu 
ber Stelle Virgil's.) 


Liebesgott, |. Eros. 


Liebeshof (3. v. D. I, 2). Die cours d’amour oder Liebes- 
höfe waren eine aud den bichteriſhen Spielen der Troubadours 
hervorgegangene Einrichtung, die beſonders zur Zeit der Kreuz- 
züge in der Provence verbreitet war. Sie beftand darin, daß 
Damen Situngen hielten, in denen Fragen über ftreitige Fälle _ 
auf dem Gebiete der Liebe entſchieden wurden, und daß zugleich 
mit Ernft und Strenge über die gute Sitte im Umgang beider 
Geſchlechter gewacht wurde. 


Lieder (W. T. II, 2). Dem ſog. Offfrieſenliede zufolge 
wanderten 6000 Menſchen aus Spealand (Schweden) und 1200 
2 L 


20 Liguiſten — Lindwurm. 


aud dem Lande der Friefen unter ihren Anführern Schwizerus, 
Remus und Wadislaus den Alpenländern zu. 

Kiguiften. Als unter Katfer Rudolf II. mehrere proteftan- 
tiſche Fürſten i. 3. 1608 ein Schutz- und Trupbündniß, Die 
fogenannte Union, geſchloſſen, vereinigten fih auch die katholi— 
fhen Fürften unter dem klugen und tapferen Maximilian von 
Baiern zu einem Öegenbunde, ber die Ligue genannt wurde, 
defien Anhänger alfo Liguiften hießen; (Wft. 8. 6) |. v. w. 
Katholiken. 

Lilie, die weiße, das Sinnbild der Unſchuld, iſt zu- 
gleich dad Attribut der Engel, von denen Johanna = v. O. 


Il, 10) ſagt: 
„Sie alle find mit Lilien gefhmüdt.* 

Außerdem ftehen die weißen Lilien in dem Banner, Wappen und 
Siegel der franzöflihen Könige; daher ſpricht Johanna (J. v. D. 
Prol. 2) allgemeiner von einem Scepter, „aus dem drei weiße 
lien entiprangen”; daher (M. St. I, 1) „die Lilien von Fran: 
reich“; (Picc. I, 2) „unter den Lilien fechten“; und (J. v. O. 
III, 4), wo der König zu Johanna fagt: 

— — — ‚Im Grabe ab’ ich deine Bäter — 

Du foüft die Lilie im Wappen tragen.” — 


In ſchönem Doppelfinn gebraucht Sch. dad Bi (D. ©. II, 10) 
in Beziehung auf Elifabeth, die er als „Lilie von Valois“ be: 
zeichnet. 

Lindwurm (Bed. D. Kampf m. d. Drachen), ein fabelhaftes 
Ungeheuer, das, ald eine große vierfüßige mit Flügeln verfehene 
und von einem fchuppigen Panzer bededte Schlange vorgeftellt 
wurde. In den alten Rittergefchichten fpielt ber Lindwurm efne 
“ wichtige Rolle und foll einer morgenländiihen Sage zufolge, 
welche die Kreuzfahrer nah Europa brachten, von dem Ritter 
St. Georg getödtet worden fein. — Eine plaftiſche Darftellung 
diefer Scene von Ki, deren tieferer Sinn ber Sieg des Chriften- 
thums über den Muhamedantämus tft, ftebt auf dem Hofe be 
königlichen Schloſſes zu Berlin. 


Linien — Lionel. 21 


Linien der Staatskunſt, ein ungewöhnlicher, wohl nur 
von Sch. gebrauchter Ausdruck für die Richtſchnur, nach wel: 
her die Staatskunſt verführt. Die Worte, welche Domingo 
(O. C. II, 10) an Alba richtet, indem er von Don Carlos fagt: 

— — — — — „Der kühne Rieſengeiſt 

Wird unfrer Staatskunft Linien durchreißen.“ 
deuten auf dad Syſtem hin, nach welchem Philipp's Staats⸗ 
männer verfuhren, dad nämlich in Erdrüdung der Kraft des 
freien Denkens, Beichräntung der ſtaatsbürgerlichen Freiheit, 
des Handeld und der Gewerbe, fo wie Einengung auf allen 
Gebieten menfchlicher Thätigkeit beftand, und mit jo furchtbarer 
Gewalt audgeführt wurde, daß jede freie Entwidelung des 
Nationalgefühls eine Unmöglichkeit bleiben mußte. 


Linnäus (B.a.v. E.), der nad der Gewohnheit der Refor- 
mationdzeit Tatinifirte Name Karl's v. Linne (geb. 1707, + 1778), 
eined ſchwediſchen Naturforfcherd, der durch Aufftellung eines 
mehr naturgemäßen Syſtems für alle drei Naturreiche, be- 
fonder8 aber auf dem Gebiete der Pflanzenkunde, eine neue 
Epoche begründet hat. 

Linus (Myth.), ein Sohn ded Apollo und der Urania, war 
der Lehrer des Herculed im Saitenfpiel und Geſang; daher 
(Ged. D. Götter Griechenlands, Str. 10): 

„Linus Spiel tönt bie gemohnten Lieber.” 
Apoll foll ihn getödtet haben, weil er fich in einen Wettkampf 
mit ihm einließ. | 


Linz (Picc. V,2), an bem fübl. Ufer der Donau, im Lande 
ob der End, nah Wien eine der anfehnlichften Städte des Erz- 
herzogthums Deftreich. 

Lionel (3.0. O. Prof. 3), der illegitime Sohn eined Herrn 
von Vendoͤme, nahm Zeanne dD’Arc 1430 bei der Belagerung 
von Gompitgne gefangen und übergab fie dem Grafen von Ligny, 
Sohann von Yurembourg. 


22 Litthauen — Lofrier. 


Litthauen (Dem. D, ſ. Reichſtag zu Krakau. 


Livorno (Oftſ. 10, 137), Handelsſtadt am Mittelmeer, in 
bem ehemaligen Großherzogthum Todcana. 


Livree (Bar. IL, 4) od. Kivrei, auch Kiveret, von dem frzf. 
livrer, liefern; eig. gelieferte Kleidung, Dienftfleivung, Bedien- 
tentracht; bildl. (R. II, 2): „Bläffe der Armuth und ſtlaviſchen 
Furcht find meine Leibfarbe; in dieſe Livrei will ich euch Mei: 
den!” Desgl. nennt Fiesco die „hbeimlihe Flucht feiner Gedan⸗ 
ten“ (F. II, 19) „Die Xiverei des ewigen Lügners.“ 


Lode, John (Ged. D. Weltweiien), einer der jcharf- 
finnigften rationaliftiihen Philoſophen Englands, geb. 1632, 
+ 1704. 


Rode (4. DB. d. Aen. 128). „Die Sterbenden werben als 
Dpfer für die unterirdifhen Mächte betrachtet, denen fie als 
ſolche durch eine abgejchnittene Xode geweiht werden, wie man 
auch den Opferthieren erft einige Haare auf der Stirn abjchnitt. 
Weil aber Dido eines freiwilligen Todes ftirbt, jo verrichtet bie 
Weihung nicht Proferpina, die jonft die Todten abfordert, fon- 
bern Iris (vergl. d.) auf Befehl der Juno, als Schußpatronin 
der Dido.” (So Ladewig zu Birgil IV, 698.) Bergl. a. M. 
&t. III, 6. 


Kogen, f. Freimäurer. 


Logik (Ged. Jeremiade — D. Weltweifen), die Wiſſenſchaft, 
welche ſich mit den Geſetzen bed Denkens beichäftigt. 


Loire (3. v. O. Prol. 3), ein Fluß, der im füblihen Frank: 
reich auf den Sevennen entipringt, nordweſtlich bis Orleand und 
dann weftlich bis Nantes geht, wo er fih in das aquitantfche 
Meer ergießt. 

Lokrier (Iph. I, 3w.:9.), die Bewohner von Lokris, einer 


ber acht Landſchaften von Hellas, welche auf den wilden Berg: 
höhen des weftliden Pindus lag. 


Lombard — Loretto. 23 


Lombard (Wit. & 11). Im Mittelalter waren die Be: 
wohner der Lombardei ald Yinanzmänner und Geldwechsler 
ebenfo berühmt als berüchtigt, daher jagt König Karl (3.0.0. 
L, 2) zu Du Chatel in der Außerften Roth: 

„VBerpfänte meine Pöniglichen Zölle 
Und laß Dir Geld barleihn von den Lombarben.* 

Rorbeer. Ein grünender Korbeerzweig, oder ein Lorbeer: 
kranz ift feit dem Altertbum eine Gabe für den Sieger; daher 
jagt Karl Moor (R. III, 2) zu dem ehrgeizigen Koſinsky, ber 
tn die Geſellſchaft der Räuber eintreten will: „Yür Mordbrenner 
grünet kein Lorbeer“; und Mar (Picc. III, 4) von Wallen- 
ftein: „Er wird den Oelzweig in ben Lorbeer fledhten.” — 
„SZener Lorbeer wand fi einft um Hülfe“ (Ged. D. Götter 
Griechenlands, Str. 4), |. Daphne. 


Lord (M. St. 1,7), ſ. v. w. Herr; in der Amede Mylord 
(M. St. I, 1), f. v. w. gnädiger Herr; ein Chrentitel des 
boden Adels in England. Bergl. Parlament. — Lordmarſchall, 
f. Marſchall. 


Korenzofiche (F. I, 5 u. III, 4), die Kathedrale von 
Genua. 


Loretto, ein Städtchen tim Kirchenftaate, am adriattichen 
Meere gelegen, ein Biſchofsſitz und berühmter Wallfahrtsort; 
daher (%. II, 15): „inige werden als ein Trupp Pilgrime 
fommen, die nad Loretto wallfahrten gehen." Sn der Dom: 
kirche befindet ſich ein Tleiner abgejonderter Bau: „La casa 
santa“, dad heilige Haus. Es wird für baffelbe audgegeben, 
in weldem die Mutter Sefu in Nazareth gewohnt haben fol. 
Einer Legende zufolge ift es von Engeln zunähft nad Dal: 
matien und dann nad) Stalien gebracht worden. Da ber Wall: 
fahrt nach diefem Haufe ganz bejondere Wirkungen zugefchrieben 
‘werben, jo beißt es (Br. v. M. 5, 498): 


— — — — — Manch ſchwere Bürde 
Ward abgeworfen in Lorettos Haus.“ 





24 Löſeſchlüſſel — Lothringen. 


Auch Lady Milford läßt Sch. (K. u. 8. IV, 9) den Entſchluß 
fafjen, nach Loretto zu gehen. 


Loͤſeſchlüſſel. Cö (en im Gegenſatz zu binden — bannen) 
beißt in der Bibelſprache ſ. v. w. ein Geſetz aufheben, und im 
Sinne der katholiſchen Kirche |.v.w. von einer Strafe ober felbft 
von einer Schuld befreien. — Der Schlüffel, das Attribut 
des Apofteld Petruß, welchen Jeſus feined Glaubend wegen 
(Matth. 16, 18—19) Kephas (gr. Petros, d. h. Feld) nannte, 
wird von ber Tatholifchen Kirche ald Sinnbild einer Obergewalt 
angejehen, welche demjelben über die übrigen Apoftel verliehen 
worden fei. Da einer Sage zufolge Petrus i. J. 67 nah Rom 
gefommen und dort gefreuzigt worden fein foll, jo betrachtet fi 
der Papft (nad Ev. Joh. 20, 23) ald den Erben diefer ver- 
meintlihen Gewalt, und führt deshalb den Schlüffel in feinen 
Mappen, um dadurch zu erkennen zu geben, daß die römiſch⸗ 
Tatholifche Kirche die Kraft habe, zu Idfen und zu — daher 
(M. St. I, M: 

„Die Kirche, die den Löſeſchlüſſel hat 
Für ale Schul.” 
und (M. St. III, 4): 


„Mit weldem Schloß verwahr' ich eure Zreue, 
Dad nit St. Peterd Schlüffel öffnen faun?t”" 


Loth. Als (nad 1. Moſe 18 u. 19) die Städte Sodom 
(KR. u. L. II, 4) und Gomorra von der Erde vertilgt wurden, 
flüchtete Loth mit feinen Angehörigen, wobei fih jein Weib 
umfah und (R. II, 3) verfteinert ftehen blieb, oder (1. Moſe 
19, 26) zur Salzjäule ward. 


Kothringen (D. ©. II, 5 — M. St. I, 6) od. lothrin⸗ 
giſches Land (3. v. D. IV, 4), eine franzöfiiche, von der 
Maas und Mofel durdftrömte Provinz, die ein eigened Her: 
zogthum mit der Hauptftadt Nancy bildete, war urjprünglid 
ein deutſches Reichsland, kam fpäter tbeilmeife an Burgund; 
daher (3.0. O. Perf.-Berz.): „ein Iothringifcher Ritter”; fpäter 


Lothringiſche Brüder — Lowerz. 25 


fiel e&8 an Spanien und endli an Ludwig XV. von Frankreich. 
Mit Rüdficht auf die franzöfiiche Nachbarſchaft heißt ed (Mit. 
el) „Der Lothringer geht mit der großen Fluth, 

Wo der leichte Sinn iſt und luftiger Muth.” 
Eben jo wird auh (Wfl. T. II, 7) ein Regiment von Octavio 
mit dem Namen Lothringen bezeichnet. 


Kothringifhe Brüder (M. St. II, 3) od. „dad Geſchlecht 
ber Lothringer“ find die Söhne bed Herzogs Anton von Lothrin- 
gen und Oheime der Maria. Der ältere, Franz v. Guiſe 
(M. St. I, 6) hatte ein bedeutendes Feldherrntalent; der jüngere, 
Karl, Erzbiihof von Rheims und Sardinal (M. St. II, 3), gew. 
der Gardinal von Lothringen (M. St. I, 6) und (M. St. 
III, 4) „euer Ohm, der ſtolze, herrſchwuͤth'ge Priefter” genannt, 
war ein audgezeichneter Staatsmann. Beide haben durch ihren 
Ehrgeiz und ihre Herrſchſucht auf die Gejchichte Frankreichs 
einen bedeutenden Einfluß geübt. 

Lotto od. Xottofpiel, urſpr. dad Loos; ein bekanntes 
Glücksſpiel. Sch. braucht den Ausdruck bildlih vom Leben, 
das er (Bed. Elegie a. d. T. eined Juͤnglings) ein „pofienhaftes 
Lottoſpiel“ nennt. Eben fo (R. III, 2) „dieſes bunte Lotto des 
Lebens” und (Sp. u. d. L.), wo ed von dem Leben rückſichtlich 
feiner Yreuden heißt: „Es ift ein betrügliches Lotto.“ 


Louvre (D. C. 1,4 — Bit. T. V, 3), dad alte Refidenz- 
Ihloß der Könige von Frankreich; (Gſtſ. 10, 129) |. v. w. 
Schloß. 

Löwe. Das Bild deſſelben findet ſich im ſpaniſchen Wappen, 
daher (Ged. D. unüberwindliche Ylotte) „Köwenflaggen“ und 
(Picc. I, 2) „unterm Löwen fechten“. | 

Lowerz, ein Heiner Ort am fübweftlichen Ufer des Lowerzer⸗ 
feed, der nörblid von bem zum Bierwaldftätterfee gehörenden 
Urnerfee liegt, an befien äftlihem Ufer fich die Tells-Platte be- 
findet. „Die offene Straße, welche fih über Steinen zieht” 


26 Lublin — Ludwig XIV. 


(W. T. IV, 1), führt von Schwytz aus, nördlid vom Lowerzer⸗ 
fee über Steinen und Goldau nad Arth, während der „Lürzere 
und heimlichere Weg“ vom Ufer des Urnerfeed über die Frohnalp 
und den Ermiberg am ſüdlichen Ufer bed Sees entlang nad 
Lowerz führt. 

Lublin (Dem. D an ber Biſtrizza, einem Geitenfluffe des 
zur Weichjel gehenden Wieprz, war öfters Reſidenz der polni- 
ſchen Könige. 


Rucca (%. V, 9), blühende Handelsftadt im weftliden 
Stalien. 


Rueina, |. Here. 


Rudwig IX., der Heilige (3. v. DO. Prol. 3) od. Sanct 
Ludwig (J. v. O. J, 5), König v. Frantreih (1226 —70), vergl. 
Serufalem. 


Ludwig XIV., König von Frankreich (1643 —1715), war 
bei dem Tode feined Vaters, Ludwig's XIII. erſt 5 Jahr alt. 
Während feiner Minderjährigkeit führte der Cardinal Mazarin, 
Richelieu's Zögling und Nachfolger, die Leitung der Staats: 
geihäfte, biö der König 1. J. 1661 die Regierung jelbft über: 
nahm. Er war ein glanz: und genußliebender Monarch, der 
zugleich dur Kriege gegen benachbarte Staaten feine Ruhm: 
fucht zu befriedigen ſuchte. Für feinen eigenen Staat aber 
brachte er den von ihm aufgeftellten Grundſatz: „L’etat c'est 
moi“ zu voller Geltung. Außer feiner Perfon erfannte er feine 
andere Macht an, fo daß während feiner 72:jährigen Regierung 
weder ein Reichötag, noch eine Berfammlung der Notabeln ge: 
Halten wurde. So war er auch der Schöpfer einer neuen 
Behörde, der Pariſer Polizei (vergl. K. d. 9.), welche für die 
Ruhe und Ordnung, die bis dahin Sache der Ortöbehörben 
gewejen war, fo wie für die Wohlfahrt ded Staates im Allge- 
meinen zu jorgen hatte. Obwohl die Bildung ded Königs in 
der Jugend vernadhläffigt worden war, jo befaß er doch Ber: 
ftand und Scharffinn genug, um Kunft und Wiſſenſchaft auf 


Iugen — Luremburg. 27 


jede Wetje zu fördern, jo baß feine Regierung als die goldene 
Zeit der franzöfifchen Literatur bezeithnet worden tft. Die fran- 
zöſiſchen Gejchichtäjchreiber Haben Ludwig XIV. auch wohl ben 
Großen genannt, indefien vermochte Sch.'s Freiheitögefühl einer 
ſolchen Größe keine Huldigung darzubringen; daher (Ged. An 
Goethe): 

„Denn dort, wo Sklaven knien, Deſpoten walten, 

Wo ſich die eitle Aftergröße bläht, 

Da kann die Kunſt das Edle nicht geſtalten, 

Don feinem Ludwig wird es aunsgeſät.“ 


lugen, veraltet für ſpäͤhen, nachſehen, wie (W. T. I, 1): 
„Lug, Seppi, ob das Vieh fich nicht verlaufen?” 


2umina, pl. von dem lat. lumen, bad Licht; daher fagt 
Sent (Wfl. T. I, 1) von den beiden Himmelslichtern Zupiter und 
Venus: „beide große Lumina”. 

Luna, |. Selene. 


Zuftfpiel, Deutfched (Ged.), ein Epigramm, deſſen Wahr: 
beit durch die jämmerlihen Polen, welche alljährlich über unfere 
Bühnen gehen, leider auch in ber Gegenwart beftätigt wird. 


Lütticher (3. v. O. Prol. 3), die Bewohner von Lüttich, 
einer Provinz bed jetzigen Königreich Belgien, welches im 
15. Jahrhundert zu dem mächtigen Herzogthum Burgund ge- 
hörte. 

Kügen, ein Städtchen zwiſchen Merjeburg und Leipzig. 
Hier fand i. 3. 1632 die bekannte Schlaht (Wit. X. II, 3) „bie 
Lügner Action” ftatt, in welgger der Schwedenkönig Buftav 
Adolph (Picc. II, 7) „fein Leben lieh“. 

Suremburg, gegenwärtig ein zwifchen der preußiichen Rhein: 
provinz und dem franzöfiihen Mojel: Departement gelegened 
Großherzogthum, deſſen Hauptftadt bis 1867 zu den deutichen 
Bundesfeftungen gehörte, war zur Zeit Albrecht's I. eine Graf: 
ſchaft. Als nach der Ermordung diejed Kaiferd fi den Par: 
teiungen in Deutihland ein neues Feld eröffnete, und ed dem 


28 Luzern — Lydien. 


Papfte Clemens V. darauf ankam, die deutſchen Ktrfürften ſchnell 
zu einer Cinigung zu bewegen, jo ſchlug derſelbe ihnen den 
Grafen Heinrih von Luxemburg vor; daher heißt es (W. T. 
V, 1) in Beziehung auf das deutſche Reich, dad jeine Wahl- 
freiheit zu behaupten jucht: 
— — — — — „Der Graf von Luxemburg 
Sf von den mehrſten Stimmen ſchon bezeichnet.” 

Heinrich VII., ein tapferer, edler Fürft, regierte nun von 1308 
bis 1313, wo er auf einem Zuge nach Neapel ftarb. Nach fei- 
nem Tode brady in Deutichland abermald eine heftige Zwietracht 
aus (vergl. Ged. Deutfche Treue), indem Friedrich ter Schöne 
von Deftreich und Ludwig von Baiern ald Gegenkaifer einander 
befämpften. Den letzten ſchützte Johann von Böhmen, Kaifer 
Heinrich's VII. Sohn (Ged. Deutſche Treue, Anm. „Luremburg’8 
Macht”), weldher dur Begünftigung Friedrich's ded Schönen 
das von feinem Vater Heinrich erhaltene Böhmen zu verlieren 
fürdıtete. — Sn der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts wurde 
die Grafſchaft Luremburg von Kaiſer Karl IV. zu einem Herzog: 
thume erhoben, welches Philipp der Gute (+ 1467) durch Kauf 
mit feinem (ſ. Kütticher) Herzogthum Burgund vereinigte; daher 
werden (3. v. DO. Prol. 3) auch die Luremburger unter bed 
Herzogs Streitkräften aufgeführt. 


Luzern (W. T. Perf.:Berz. u. I, 2), eine anſehnliche Stadt 
im Canton gleiche8 Namend, am Bierwaldftätter See gelegen; 
fie hatte mehrere Sahrhunderte einem Klofter im Elſaß gehört, 
war aber 1291 dur Kauf an HPeſtreich gekommen. 


Lycee, lat. Iyceum, urfpr. „eine aus Gärten beftehende 
Anlage beim Tempel des Apollon Lykios zu Athen,. wo Arifto- 
teles (f. d.) lehrte”, daher eine Gelehrtenſchule; (Par. I,4): „bei 
dem Lycee abonniren”, f. v. w. eine Einlaßkarte zu wiſſenſchaft⸗ 
lihen Vorträgen verjchaffen. 

Lydien, ein Meines Land in Kleinaften, welches im Weften 
von Phrygien bi8 an das Aegeiſche Meer reichte. Mit Beziehung 


Lykurgus — Ryra. 29 


auf dieſe Nachbarſchaft beider Gebiete heißt es (Iph. III, Zw.:$.) 
von ben gefangenen Trojgnerinnen: 

„Wie wird die reiche Lydierin 

Den Buſen jammernd fchlagen, 

Und wird's ber ftolgen Phrygerin 

Am Bebeftuble lagen!” 
Da Lydien der Sage nad) das Stammland für Etrurien tft, jo 
erſcheint Iydifch in dichteriſcher Bedeutung auch für etruriſch, wie 
(Ged. 2.3. d. Aen. 131) „der lyd'ſche Tiberſtrom“. — Die 
„lydiſche oder phrygiihe Mütze“ (4. B. d. Yen. 41) ift eine 
nach oben enger werdende Kopfbededung mit vorn über gebo- 
gener Spike, wie fie antike Darftellungen den Lydiern zu geben 
pflegen. 


Lykurgus (Sp. u. d. L.), der berühmte Geſetzgeber ber 
Spartaner, welder um 888 v. Chr. durch eine ÄAußerft ftrenge 
Erziehung der Bürger dafür forgte, daß fich diefelben mit Gut 
und Blut dem Staate weihten. Als die Spartaner feine Ge— 
feßgebung angenommen hatten, trat er eine Reife nach Delphi 
an, um bad dortige Orakel über die Bervolllommnung feiner 
Geſetze zu befragen; zuvor aber verpflichtete er feine Landsleute, 
bis zu feiner Wiederkehr nichts an denjelben zu ändern. Hierauf 
ging er nad Kreta, wo er fein Leben beſchloß. Bor feinem 
Ende befahl er, feinen Leichnam zu verbrennen und die Aſche 
in da8 Meer zu werfen, damit die Bürger, wenn feine &ebeine 
nad Sparta zurüdgebradht würden, nicht etwa glauben möchten, 
munmehr ihres Eides entbunden zu jein. 


Kyon (K. d. H.), eine der erften Städte Frankreichs, am 
BZufammenflufie der Saone mit dem Rhone. 


Lyra, die Leier der Alten, dad ältefte Saiteninftrument bet 
den Griechen. Sie wird häufig als ein Sinnbild der Dichtkunft 
mgejehen, wie (Ged. D. Sänger d. Borwelt): „mur fehlen die 
Thaten, die Lyra freudig zu weden“, d. h. zur Dichtlunft zu 
begeiftern. Auch die Klänge der Lyra waren im Sinne ber 


30 Lyriſche Poeſie. 


Alten im Stande, außerordentliche Wirkungen hervorzubringen 
(vergl. Amphion). Lyriſch iſt das, was auf der Leier geſpielt, 
oder mit derſelben begleitet werden kann, im weiteren Sinne 
eine Dichtung, welche den Charakter eines Liedes hat; daher 
nennt Sch. feine Huldigung der Künfte „ein lyriſches Spiel“; 
eben fo fpricht er (Br. v. M. Einl. 5, 378) von „Iyriſchen 
Berfuhen auf der Bühne“ und nennt die ſchwungvolle Sprache 
des Dramas (ebenda. ©. 380) "ein Iyrifches Prachtgewebe”. 
Lyriſche Poeſie. Man darf annehmen, daß die Kunft, in 
welcher ein Bolt Werfe hervorgebracht hat, die alle diejenigen 
anderer Völker in derjelben Kunft überragen, den Charafter 
biejed Volkes am tiefften offenbart; bei den Deutſchen, obwohl 
fie in allen Künften Erhabenes geleiftet haben, möchte die die 
Muſik fein. Denn wenn in den Künſten des Baumeifterd und 
bed Bildhauerd die Griechen, in der Malerei die Staliener und 
ben Preid entreißen, in der Dichtkunft die Griechen ihn mit 
Shateipeare theilen, fo ftehen S. Bach, Mozart, Beethoven und 
5. Schubert einzig da. Es fcheint eigenthümlich damit zuſam⸗ 
menzuftimmen, dab wenn man baflelbe Verfahren auf die ein- 
zelnen Fünfte und zwar auf die Arten derjelben anwendet, in 
ber Poeſie dad Epos den Griechen unbeftritten bleibt (abgeſehen 
freilih von der alten volksthümlichen Heldendichtung der Deut- 
[hen oder beffer Germanen), im Drama Sophokles und Shake⸗ 
fpeare fi den Lorbeer ftreitig machen dürfen, in der Lyrik 
dagegen die Deutſchen unter den neueren Völkern unübertroffen 
find. Die Lyrik aber ift in der Poefle, was die Muſik unter 
den Künjten überhaupt ift und verbindet fich deshalb auch am 
innigften mit ihr. In beiden haucht und lebt fi dad Gemüth 
aus, in beiden ringt dad Unfagbare nad) einem Auddrud. „Ed 
zittert, um den Heros der Aeſthetik %. Th. Viſcher reden zu 
laffen, ein Unausfprehliched zwiſchen jenen Zeilen: das reine, 
wortlofe Schwingungsleben des Gefühls. Der lyriſche Dichter 
nennt und zeichnet und Dinge, Gedanken, aber in ihnen immer 
nur fich, fein Herz, wie fie auf es wirken, aus ihm hervorſteigen 


Lyriſche Poefie. 31 


und wie fein Ausdruck ihm genügt.” Dem oben aufgeftellten 
Grundſatze gemäß müßte nun aber auch der größte Dichter ber 
Deutichen ein Lyriker fein, man wollte denn jagen, dad deutſche 
Volksgemüth felbjt jet dieſer größte Dichter, was vielleicht nicht 
jo unwahr wäre. Doch auch für jene ſchärfere Schlußfolgerung 
ließe fi) wohl Rath finden. Zuerft freilich ſcheint e3 befrem- 
dend, etwa Sc. feiner Iprifchen Poefle wegen den „Dichter“ im 
eminenten Sinne nennen zu wollen, denn wir find gewohnt, dem 
großen Dramatiker in ihm zu verehren. 

Wenn Bifcher der Lyrik eine Dreitheilung giebt 1) als Lyrik 
bed Auffchwunges, worunter er alles Hymniſche begreift, 2) das 
Liedesartige, in dem er die reine Mitte der Lyrik ficht (Lied, 
Ballade, Romanze), 3) Lyrik der Betrachtung, jo möchten wir zwei 
große Grundzüge der modernen Lyrik annehmen: Stimmung8: 
lyrik und Betrachtungslyrik, die Heineren erzählenden Ges 
dichte aber, die einen thatfächlichen, beſonders gefchicdhtlichen oder 
fagenhaften Stoff poetiſch darftellen, dem Epos zuweilen. Nennt 
man nun denjenigen den größten Vertreter einer Dichtungsart, 
ber die Geſetze diefer Art am vollften und reinften erfüllt Hat, 
fo möchte Goethe 3. B. died in Bezug auf die Lyrif in höherem 
Grade gethan haben ald in Bezug auf Epos und Drama. Bei 
Sch. freilich ſcheint die Einftimmigfeit aller Gebildeten die dra⸗ 
matiſchen Schöpfungen hoch über die lyriſchen zu ftellen, zumal 
wenn man fi) bei den lepteren noch an die goethejchen erinnert. 
Wenn man fi aber nur losſagt von der Vorftellung bed Ly⸗ 
rifhen, wie man ed eiwa von den Minnejängern charakterifiren 
könnte („wir fingen von Lenz und Liebe”), wenn man eine Stätte 
im Reiche der Poefle fucht, wo die ganze Tiefe des ahnenden 
Menſchengemuthes ſich ausfpricht, das ganze Wunder des natür- 
lihen und geiftigen Weltalld im Mikrokosmus deſſelben ſich 
jpiegelt, wo der Dichter felbft feine Prophetenftimme ald Her: 
zensfündiger von Menjch zu Menſch hören lafſen will und muß — 
dann wird man vielleicht auh im Yauft, obwohl ihn Goethe 
als eine Tragödie, alſo ald Drama bezeichnet, den Lyrifer nicht 


32 | Lyriſche Poeſie. 


vergebens ſuchen. Unter Viſcher's Schutze wollen wir darauf 
hinweiſen, „daß Goethe's Dramen bei aller übrigen Vollendung 
an einem Mangel gegenüber dem Spezifiſchen der Dichtart 
leiden, daß ſie zu ſeeliſch ſind und zu wenig Handlung haben“ 
und „daß Goethe doch auch als Epiker keinen ſtraff männlichen, 
ſondern lauter rein menſchliche, weiblich ſeeliſche Stoffe behandelt 
hat“. Und bis in jenes gewaltige Dichterwerk hinein wird man 
fühlen, daß in der Verklärung einer univerſellen Anſchauung 
aus den Tiefen des Gemüthes und des Gedankens die Lyrik weſent⸗ 
lich Stimmungslyrik iſt. Gretchens ganze Geſtalt, Fauſt's 
Jugenderinnerung am Oſtermorgen, ſein Spaziergang mit der 
Prachtftelle „Betrachte wie in Abendſonnengluth“, im humo— 
riſtiſchen Sinne die Kellerſcene deuten darauf hin. Sn dieſem 
Sinne möchten wir, Sophofled gegenüber, Goethe einen Lyriker 
nennen. Der Bertreter der Betrachtungslyrik (der höheren 
Reflexions⸗ oder Gedankenpoeſie) ift und Sch. Hingebende Empfin: 
dung an den Augenblid, Verſenkung des Geiſtes in die An: 
ſchauung, ber fich aber die tiefen idealen und ſchöpferiſchen Grund: 
linien alle8 Seienden offenbaren, lag nicht in feinem Weſen. 
Sn dem Artifel über die Br. v. M. haben wir darauf Hin: 
gewiejen, wie jehr in ihm der Dichter mit dem Denker tbeilen 
mußte. Er felbjt war fich defien bewußt und bat ed ausgeſpro⸗ 
hen; Tweften, Tomaſchek und K. Fiſcher haben daß tiefer 
begründet. Im Mebrigen tft auf ihn bejonderd Goethe’! Wort 
anwendbar: „Diejer ift ein Menſch geweſen und das heißt ein 
Kämpfer jein. Sch. rang in ſich, im Leben und in der Kunſt 
na der Darjtellung bed Gittlih: Schönen. Sp entwidelt 
er denn in jeinen Iyriihen Gedichten Gedankenreihen, wie fie 
an den bedeutendjten derjelben in Diefem Werke dargelegt worden 
find, oft fo ftreng, daß die poetifche Form faſt nebenjächlich 
wird, wie andererjeitd aus feinen proſaiſchen Schriften Stellen 
in fhwungvolle Gedankenpoeſie umgejeßt werden können, wozu 
Bieboff in feinem audgezeichneten, zu wenig gekannten Werte 
über die Deutjche Verskunſt glänzende Beiſpiele liefert. Es find 


Lyriſche Poefie. 33 


Gedantenverbindungen, die den Dichter angeregt haben und 
auch da, wo er fich zuerft der Anſchauung 3.3. der Natur jcheinbar 
ganz hingiebt, entfteht in ihm, wie im „Spaziergange”, bald 
eine logiſch-geſchichtlich ſich entwickelnde Gedankenreihe. Dazu 
kommt, daß die blühende Leichtigkeit und Unbefangenheit, die 
Imnigkeit, welche der Stimmungslyrik eigen tft, bei ihm durch 
die ftete Verwendung der gedankenreihen Symbolik der griechi— 
ihen Mythologie beeinträchtigt wird. Indem Viſcher die Schwie: 
rigfeit, dad „Lied“ und die ihm zufommende Form zu definiren, 
erörtert und auf den „Ton“ hinweift, aus dem bier die Sat: 
tung erfannt werden müfle, verſucht er dad Weſen des Liedes 
an der Abgrenzung vom Hymniſchen zu erflären. „Will man, 
fährt er dann fort, den Unterſchied von diefem recht deutlich 
wahrnehmen, jo halte man Sch.'s Hymne an die Freude und 
Goethe's Tiſchlied: „Mich ergreift, ich weiß nicht wie”, zufam: 
men: jener fingt die Freude an, bewegt fih um fie und zählt 
ihre Wirkungen auf (ob gut oder nicht gut, geht und hier nicht 
an,) aus diejem fingt, ganz Stimmung, ganz Gegenwart 
und Augenblid, die Freude heraud. Es bedarf feined Be- 
weile mehr, dag in diefem Gebiete allein, die Iyrifche Poefie 
ganz fie ſelbſt ft und daß auf ihm der Dichter feinen Beruf zu 
ihr bemäbren muß. Sch. hat fein einziges reines Xied, und 
im Lyriſchen Tann wirflih nit die Frage fein, wer ſpezifiſch 
mehr Dichter jet, er oder Goethe”. Ganz vertreten wir jedoch 
dieſen Schluß nicht. Auch die lyriſche Poeſie, die dem eigentlich 
fo genannten Gedanken ſich zu vermählen ftfebt, hat ihre hohe 
Berechtigung und ftellt eine Seite de3 menjchlichen Weſens dar, 
offenbart die Tiefen einer Reihe von Charakteren, wie eben Sch. 
fie vertritt. Und dann tft eben auh Sch. Lyriker nicht nur in 
feinen Liedern. Diefed Element des arbeitenden und nach inne: 
rem Zuſammenhang und Abſchluß ftrebenden perfönlichen Ge— 
dankens, der aber, weil er zugleich die heilige Sache des Ge: 
müthes ift, durch die poetifche Yorm auch wieder zum Gemüthe 
1. 8 


34 Lnriiche Poeſie. 


binftrebt, dringt auch in das Drama ein. Der begeifterte Dichter: 
Prophet legt die fittliche und geiftige Welt feinem Hörer aus. 
Sened Element macht fi Luft in zahllojen philofophiich tiefen 
und bier auch mit allem Zauber der poetiihen Sprade um: 
gebenen Ausſprüchen, ruft aber auch ganze Gedankenreihen 
bervor, ftellt Gefühläkreife in ihrem ganzen Umfange, in ihrer 
ganzen Tiefe dar. DBielleiht hat man diefe Seite jeiner Dramen, 
weldhe der Erklärung für die Jugend und der volksthümlichen, 
ſittlichen Verwerthung des Dichterd die reichften Quellen öffnet, 
noch nicht genug gewürdigt und gepflegt. Wir machen 3.8. 
aufmerffam auf Sch.'s Darftellung des Weſens der 
Freundſchaft. In den lyriſchen Gedichten findet fih „Die 
Freundſchaft“ — die enthuflaftiihe Darftellung des Dranges 
durch die irdiſche Hülle getrennter Geifter, vereint in den Schooß 
des Göttlichen zurüdzuftürmen. Aber mit welcher pfpchologifchen 
Teinheit und Tiefe und zugleich mit welchem Iyrifchen Aufihwunge 
wird dieſes VBerhältnig in der erften Begegnung zwiſchen Don 
Carlos und Pofa gezeichnet; und die Stelle, in der Wallenftein 
den Berluft Mayr Piccolomini's beffagt, möchten wir das fchönfte 
Gedicht nennen, welches über die Freundſchaft gedacht und ges 
Ichrieben tft. Ebenſo eindringend tft dad innere Verhältniß 
Marend zu jeinem Yeldherrn dargeftellt. Der Freund Goethe's 
war würdig mit Aristoteles Ethik als Dichter zu wetteifern. So 
zieht fih auch faft durch alle Dramen der Begriff des Schid- 
jald und der „ernjten Nothwendigkeit“ ald ein Grundthema 
erhabener Iyrifcher Accorde hindurch. 
Endlih aber jchafft der Lyriker in Sch. ganze Reihen ber 
Sharaftere feiner Dramen, wie die Liebeäpaare und ed gehört 
bierber, daß auch eigentliche Iyrifche Gefühlsergüfle faft in allen 
dramatiihen Dichtungen Sch.'s fih finden wie in der J. v. O., 
in M. St., im Wallenftein, im Tell der Anfang und in ber 
Br. v. M. Zn diefem Sinne möchten wir, Shakeſpeare gegen- 
über, auh Sch. einen Lyriker nennen. Wer nun durchaus der 
Stimmungälyrif bedarf und ohne fie feinen Dichter kennt, ber 


Lyriſche Poeſie. 35 


thut wohl, ſie bei Sch. nicht zu ſuchen, denn er wird ſie bei ihm 
nicht finden. Aber ſo einfach dieſe Mahnung ſcheint, ſo wichtig 
tft es, ſie immer von Neuem zu geben, beſonders da Sch. mehr 
als andere Dichter von ſolchen Anſprüchen der Leſer und Kritiker 
zu leiden gehabt hat, zumal auf Grund des Vorwurfes: „Es tft 
doch nicht Göthe!“ — Warum tft er nicht Göthe? Beil er eben 
Schiller war. 

Soldye, die den Dichter tiefer Tennen lernen wollen, werden 
wohl thun, fich auch von der Gewaltiamfeit des Ringens in &e- 
fühl und Sprade, wie fie in den Gedichten der ſogenannten er- 
ften Periode auftritt, nicht zurüdftoßen zu lafien. In dem „Ge: 
heimniß der Remintfcenz“ in der „Sreundichaft“ eröffnen ſich una 
jeltene Tiefen des Gedankens; aus der lebten Strophe des zwei: 
ten Gedichte bildete Hegel den wundervollen Schluß feiner 
Phänomenologie. Gedichte freilich wie „Die Kindedmörderin“, 
„Die Schlacht”, „Elegie auf den Tod eined Jünglings“ würde 
Söthe kaum gefchrieben haben; aber wer in den Räubern die Ur: 
fraft nicht verfennt, der wird fie auch hier gewahr werden. Der 
„Triumph der Liebe” ftarrt von Mythologie. Auch die Ber: 
bildung in den meiften diejer Gedichte iſt ohne Fluß, künftlich 
und fchwerfällig zu gleicher Zeit, Doch in der „Reminiſcenz“ und 
„der Größe der Welt“, befonderd in dem leßteren Gedichte nicht 
ohne großartigen, dem Gegenftande entiprechenden Schwung. 

Unter den Gedichten der jogenannten zweiten Periode, die 
mit dem Liede „an die Freude“ 1795 anfangen, ragen die „Götter 
Griechenlands” hervor, die in gedämpfteren Tönen ausſprechen, 
was den Grundton der Gedichte der erjten Periode, vielleicht den 
Grundton der fchillerichen lyriſchen Poeſie überhaupt ausmacht, 
die dualiftifche und eigentlich unverjöhnt gebliebene Gegenüber: 
ftelung be3 Ideals, hier in der beftimmten Form der griechiichen 
Kunftwelt und des Lebend (ſ. Br.v. M. Bd. I, S. 113). Die Künft: 
ler” 1789 find das erſte Beiſpiel ſchillerſcher Gedankenpoeſie im gro⸗ 
hen Style. In der dritten Periode, ſeit etwa 1795, wo hier und 
da auch Verſuche zu eigentlichen Liedern, wie die beiden doch 

3* 


36 Lyriſche Poeſie. 


wohl nicht oft geſungenen Punſchlieder ſich finden, tritt uns, 
nächft den Gedichten, in denen die Grundſtimmung ber erften 
Periode und in weihevoll melandholifcher Ergebung („Ideal und 
Leben“) wiederflingt, eine ganze Reihe von Schöpfungen entge- 
gen, bie mit am meiften zur Volksthümlichkeit Sch.’8 beigetragen 
haben, wir meinen die erzählenden Gedichte. 

Wir müßten bier den Unterfchied zwiſchen der Romanze und 
der Ballade erörtern. Indem wir für diefe wie für andere äfthe- 
tiiche Beftimmungen auf Rud. Gottſchall's geiftuolle Poetik 
verweilen, möchten wir doch ausſprechen, daß fich dieſer jo viel- 
beſprochene Unterſchied nach unferer Anficht nie rein wird geben 
lafien, weil er erſtens ein biftorifch-conventioneller ift und zwei— 
ten, weil die Bezeichnung eined Gedichte? durch den Dichter eben 
durch feine theoretiiche Anficht beftimmt tft, fo daß ſich aus Bei- 
iptelen bier gar nichts erweilen läßt. Wenn die Ballade von den 
nordiichen, beſonders ſchottiſchen und altdäntfchen Dichtungen ber 
„Nachtftücke“ zu behandeln liebt, tragiiche Vorgänge, wild leiden- 
Ihaftlide Gemüthöftimmungen zu Lieblingögegenftänden macht, 
ja die Getjterwelt zum Leben ruft und dabei einen lebendigeren, 
Ihmungvolleren Takt anſchlägt — fo fteht dazu jchon im felt: 
famften Gegenſatz der rein comventionelle, dem. Süden entlehnte 
Name (f. d.) Die Romanze mag ihren Namen von den herr: 
lihen Dichtungen bergenommen haben, in denen die Spanier 
ihre Nationalhelden feiern; mit den feinen Beftimmungen, an 
denen man fie tm Unterſchied von der Ballade erfennen fol, 
fönnen wir und nicht befreundben und werden, nad) einem Aus: 
drude Viſcher's bei diefer Gelegenheit, „diefen Knoten dem Leer 
zur Auflöfung überlafien“, überzeugt, daß derfelbe Taum anders 
al8 nach Aleranderd Methode damit fertig werden wird. Einen 
helleren und glüdlicheren Inhalt und Audgang z.B. zum Kenn: 
zeichen derjelben zu machen, würde weder dem Namen nody dem 
Snhalte der Vorbilder entiprehen. Bei Göthe trifft die oben an⸗ 
gedeutete Charakteriftif der Ballade (denn dieſen Namen giebt er 
allen feinen erzählenden lyriſchen Dichtungen) allerdings häufig 


Lyriſche Poeſie. 37 


zu, aber wir erfahren damit eben nur, was er ſich unter einer 
ſolchen dachte; Schiller nennt ſeine derartigen, doch vielfach ſo 
entſchieden anders gearteten Dichtungen ebenfalls Balladen und 
nur den „Kampf mit dem Drachen“ Romanze — wir wollen 
einfach geftehen, daß wir die Motive dazu nicht kennen.) Indem 
wir für die einzelnen Gedichte auf die befonberen Artikel ver: 
weifen, erinnern wir nur noch, einen wie bedeutenden Antheil 
auch Hier noch das griechifche Altertbum in Anſpruch nimmt im 
„Siegesfeft“, „Klage der Ceres“, „Eleuſiſche Feſt“, „Kafjandra”, 
die Sch. der Art nach unbezeichnet gelaſſen bat, ferner im „Ring 
des Polykrated”, „Kraniche ded Ibykus“, „Hero und Leander”, 
„Die Bürgſchaft“, an deren Spige der Name Ballade allerdings 
ſeltſam außfieht. Die Wirkung aller diefer und der bazu gehö- 
rigen Gedichte beruht — wir verweilen im Allgemeinen auf die 
betreffenden Artikel, bejonderd über die Glode — vornehmlich) 
auch auf der gewaltigen Durcharbeitung, auf dem folgerichtigen 
Gange, in dem dad Ganze fich entwidelt, Eigenfchaften, bie an 


) Der Lejer möge beachten, daß in ben ältern Cotta'ſchen Ausgaben bie Ge⸗ 
dichte als „Balladen” u. |. m. bezeichnet find und daß biefe Bezeihnumg in ber 
Dfktivaudgabe von 1860, die fonft manches Neue enthält und eine revidirende Hanb 
perrätb, weggefallen find. So etwas follte doch nicht ohne Angabe der Gründe 
geiheben. Bifcher bafirt feine Unterfuchungen auf jene Bezeichnungen. Wir ftehen 
in diefem Augenblid mitten in ber Bewegung, die neuen Ausgaben brängen fich, 
ohne daß irgend eine auch nur mäßigen Anforderungen genügte, wobei wir von 
ber gelehrten Geſammtausgabe freilich abſehen. Es muß durdaus eine Ausgabe 
geihaffen werden, worin a) die Verje gezählt find, was für den Schulgebrauch 
unentbehrlich tft — und Schillers Stellung in ter Schule ift vielleicht feine höchite 
Würde, b) eine chronologiſche Bezeichnung der einzelnen Gedichte und Werfe über- 
haupt, womöglich eine kurze Notiz gegeben wird, bie die Entſtehungsgeſchichte, 
den Ort ber Abfafſung und vielleicht einige Hanptftellen and ben Korrefpondenzen 
bietet. Es ift nicht fhmeichelhuft, daß I. Srimm in feiner Rebe auf Sch. p. 34, 
wo er von einer nothwendigen Regelung aller folden Dinge fpricht, die durchaus 
nicht bloß Aeußerlichkeiten find, binzufegt: „Die neulich erjchienene franzöfiiche 
Ueberjegung Sch.'s, geleitet und ausgeführt von Regnier, einem gründlichen Kenner 
nicht nur umferer beutigen deutſchen, jondern auch der altdeutſchen Sprache, geht 
in manchem mufterbaft voran.” 


38 Macbeth. 


der kunſtvollen Metrik der forgfältig, befonderd der Reihenzahl 
nach, gewählten Strophen einen äußern Halt und eine glänzende 
Symbolik finden. So weit unfere Andeutungen. 


M. 


Macbeth (Bd. 6). Gegen Ende des Jahres 1799 faßte 
Sch. den Plan, der deutihen Bühne neben den dramatifchen 
Producten, weldhe die Gegenwart darbot, auch die Leiftungen 
früherer Zeiten zugänglich zu machen. Zu diefem Zwede follten 
bebdeutentere Stüde audländifcher Dichter nicht etwa bloß über: 
fegt, fondern vor Allem in eine Form gegoffen werden, wie fie 
dem Charakter unjerer Bühnen zufagte und dem Sinn und Geift 
der Gegenwart angemefjen wäre. &8 handelte ſich demnadh um 
die Herausgabe eined deutichen Theaterd, da8 den Schaufpiel: 
directoren eine reiche Auswahl gediegener Stüde entgegenbrachte, 
aus denen fie nad) Maßgabe ber Leiftungsfähigfeit ihrer Bühnen 
auswählen konnten. Da Sch. im Verein mit Göthe damald an 
der Spite des Weimarer Theaterd ftand, jo fühlte er fich be: 
rufen, auch nad) diefer Richtung bin für das deutjche Volk thätig 
zu fein, um dem Geſchmack deſſelben eine würdige Richtung zu 
geben. In diefem Streben traf er mit den Wünfchen feines 
funftfinnigen Herzog3 zuſammen; nur daß diefer augenjcheinlich 
die höfifche Richtung der franzöfiichen Dramatiker in Schug nahm, 
eine Neigung, welcher Göthe durch Ueberſetzung des Mahomet 
von Boltaire vielleicht allzu willfährig gehuldigt hatte. Wie we: 
nig Sch. hiermit innerlidy einverftanden war, geht ſchon daraus 
hervor, daß er die Aufführung dieſes Stüdes in einem befonde- 
ren Prolog (vgl. Ged. an Göthe) glaubte entichuldigen zu müflen. 
Als Gegengewicht gegen den fteifen Regelzwang der franzöftichen 
Richtung wollte er nun den volföthümlichen englifchen Dramen 
Eingang verfchaften und machte deshalb im San. 1300 mit Shal: 
ipeared Macbeth den Anfang. Er brachte damit einen bereits 
früher (1784) gefaßten Vorſatz zur Ausführung, indem er ſich 


Macbeth. 39 


ſchon während ber Bearbeitung feined Wallenftein an dem Stu- 
Dium ded Macbeth ermuthigt hatte, der ſich zugleich durch bie 
Einfachheit und Abgefchloffenheit der ihm zu Grunde liegenden 
Sage empfahl. Ein Stüd, das fo bühnengerecht ift, wie kaum 
ein andered des englijchen Dichters; das bei der Durchfichtigkeit 
feines Plane einen jo unwiderſtehlich fefielnden Yortichritt der 
Handlung darbietet, mußte Sch. für feinen Zwed in hohem Grade 
willtommen fein, um fo mehr als die markige Kraft der Sprache 
und der außerordentlidhe Reichthum poetifcher Färbung mit der 
Richtung feines eigenen Genius aufs innigfte zufammentraf. 

Sch. arbeitete anfänglih, ba er bed Englifchen nicht aus: 
reihend mächtig war, nad) Wagnerd Ueberjeßung, neben welcher 
er die von Efchenburg und Wieland benupte. Später erbielt er 
dur Frau von Stein auch dad Original, defjen völlige Ver: 
ftändnig ihm durch Göthes Beihilfe vermittelt wurde. Auf diefe 
Weiſe fchritt die Arbeit rüftig fort, fo daß ungeachtet eines ſchwe⸗ 
ren Krankfheitdanfalles, der im Februar ftörend dazwilchen trat, 
die erſte Vorftellung des Stüdes fchon am 14. Mat ftattfinden 
konnte. 

Was die dem Macbeth zu Grunde liegende Fabel betrifft 
jo gehört dieſelbe der altſchottiſchen Sage an, welche die Hand: 
lung in dad Jahr 1046 n. Chr. verfeßt. Nah %. Kreyßig's 
Angabe (vergl. defien Borlefungen über Shakſpeare; Berlin, Ni: 
colat’iche Berlagdhandl. Bd. 2, ©. 358 u. 389) hat Shafipeare 
zunächſt ud Holinſched geichöpft, der den Stoff wiederum aus 
Bellenden's Jateinifcher Ueberſetzung der lateiniſchen Chronik 
des Hector Boethius (1541) entlehnte. 

Diefer Sage zufolge kämpfte Macbeth unter dem Scoten: 
fönig Donald VII. (bei Shaffpeare Duncan) fiegreich gegen bie 
Dänen, worauf ihm drei übermenfchliche Weiber erjchienen, die 
ihn ald Than von Glamis und von Cawdor, ja jogar alß 
König von Schottland begrüßten. Hierdurch wurde fein Ehrgeiz 
angeftachelt; er ermordete den König, deſſen Söhne ſchnell ent: 
flohen, und regierte nun zehn Sabre lang gerecht und einſichtsvoll 


40 Macbeth. 


Plöglich aber fing er an ein Tyrann zu werden. Seinem Grimm 
fel zuerft Banquo zum Opfer, der an dem Königsmorde 
Theil genommen hatte. Bald wurden auch andere Große unter 
erdichteten Borwänden theild durch Einziehung ihres Vermögens, 
theils zugleich mit dem Tode beftraft. Zu feiner eigenen Sicher: 
heit aber baute er auf dem Berge Dunfinan ein feſtes Schloß, 
wozu die einzelnen Thand ihm Arbeitäleute fchiden mußten. Sept 
ging Machuff, einer der muthigften Thans von Yife nach Eng- 
land, forderte Walcolm, den Sohn Donalds, zur Rache auf, 
und mit Unterftügung ded Königs Eduard von England gelang 
ed, Macbeth zu ftürzen, der im Kampfe feinen Tod fand. Nach 
ihm beftieg Malcolın III. den Thron, mit deſſen Regierung zuerft 
einiged Licht in die Sagengeſchichte Schottlands kommt. — Ein 
Vergleich mit diejen Quellen ergiebt, daß fat ſämmtlichen in dem 
Trauerjplele aufgeführten Thatjadyen gejchichtlihe Motive zu 
Grunde liegen, die der Dichter mit großer Freiheit benust und 
in dramatiihen Zufammenhang gebradht hat. 

Da die Einfachheit der engliihen Bühnen zu Shaffpeares 
Zeit*) mit der Pracht unjerer Hoftheater in zu auffallendem 
Sontraft ftand, jo jah ſich Sch. zunächſt zu einzelnen Außeren 
Umgeftaltungen veranlaßt. So wurden die 25 Ortöveränderun: 
gen, mit denen man die Zujchauer ehemals ald Erfag für die 
Decorationen durch ein ſchwarzes Brett mit dem betreffenten 
Namen bekannt machte, auf 15 reducirt. Manches, was moderne 
Nerven zu heftig erfhüttern konnte, wie die Scene der Ermor: 
dung von Machuffd Gattin und deren Sohne, wurde in einen 
Bericht über die grauenvolle That umgeftaltet oder in anderer 
Weiſe gemildert. Eben jo ſuchte Sch., dem eine höhere Denk: 
art und eine edlere Sprache längſt zur zweiten Natur geworden 
war, alle niedrigen und trivialen Ausdrüde zu befeitigen. Die 
häßlichen, widerwärtigen Heren, die ſchon bei Holinfhed mehr im 
antik⸗mythologiſchen Sinne gezeichnet erjcheinen, wurden in gi: 


) Man vergl. Kreyßigs Vorleſungen; Bb. 1, ©. 45—48. 


Macedonier. 41 


gantiſche, eumenidenartige Geſtalten verwandelt. Die den jambi⸗ 
ſchen Vers an mehreren Stellen unterbrechende Proſa wurde 
gleichfalls ind Metriſche umgeſetzt, und dem Pförtner legte er 
ftatt der draftifchen Poflenreden in der fünften Scene des zweis 
ten Aft3 ein frommed Morgenlied in den Mund. 

Bergleiht man die Schillerſche Bearbeitung mit dem Ort: 
ginal oder mit der treuen Ueberjegung von Schlegel und Tied, 
fo findet man, daß er den fremden Genius in fo weit rejpectirt 
bat, als er fich meift nur Auslaſſungen und Zufammenziehungen, 
weit weniger aber Zuſätze und Erweiterungen erlaubte. Was 
feine Sprache betrifft, jo tft fie allgemeiner und philojophifcher, 
zugleich. aber auch wohlklingender und dem deutſchen Ohre we: 
niger fremdartig. Nichtödeftoweniger behält das Stüd ald Drama 
den Borzug. Denn wenn au die Schillerjche Bearbeitung, als 
Bühnenftüd betrachtet, ganz anerkenmenswerthe Eigenſchaften bat, 
jo ift doch manches Charakteriftifch-Lebendige verloren gegangen, 
und dad Ganze macht der genialen Kraft ded Originals gegen» 
über unverkennbar einen etwas matten Eindrud. Ja Sch. ſelbſt 
jagt in einem Briefe an Körner (16. Zuli 1804) von feinem 
Macbeth: „Freilich macht er gegen das engliihe Original eine 
ſchlechte Figur, aber das ift wenigſtens nicht meine Schuld, ſon⸗ 
dern die der Sprache und der vielen Einſchränkungen, welche das 
Theater nothwendig machte.” Hat- nun auch die Bühnenkritik 
fih zum Nachtheil der Schillerihen Bearbeitung für dad unver: 
fäljchte Original entſcheiden müflen, jo fteht doch wenigftend fo 
viel feit, dab Schillerd Macbeth außerordentlich viel zur Ein- 
führung Shaffpeare’8 in Deutſchland beigetragen hat. Das Stüd 
wurde im Sahre 1800 bei Gotta verlegt und erlebte no in 
demfelben Jahre eine zweite Auflage. 

Macedonier (KR. IV, 1), die Bewohner von Macedonien, 
einem Hochlande, welches ben Stern der Balkanhalbinſel bildete, 
im Süden an Epirud, Thefialien und das ägätiche Meer, im 
Dften an Thracien grenzte, im Weiten und Norden aber ſehr 
unbeftimmte Grenzen hatte. 


44 Mädchen von Orleans — Mädchens Klage. 


feiner Bildung gemäß ift; vor Allem aber ift die Liebe von jeher 
ein Lieblingsgegenſtand ihrer Darjtellung gewejen. Dies tft die 
Reihe der abftracten Gedanken, welche fi durch dad Raͤthſel 
bindurchziehen. 


Mädchen, Das, von Orleans (Ged.), ein Gedicht au8 dem 
Sahre 1801, früher unter dem Titel: „Voltaire's Pucelle und 
Die Zungfrau von Orleans.“ Boltaire'8 im Jahre 1730 ver- 
faßte8 Gedicht: „La Pucelle d’Orleans. Londres MDCCLXXIV“ 
tft ein allerdings böchft unfauberes, mehr aber bitter fatirifches 
Product, deſſen Inhalt auf den Geiſt eined Verfaſſers Tchließen 
läßt, der für die findlich.naiven Anfchauungen des Zeitalterd, das 
eine Johanna bervorbradhte, feinen Sinn haben fonnte. Gegen 
diefen „poetiſchen Wechſelbalg“, wie Mercier in feiner Vorrede 
zu einer franzöfiihen Bearbeitung der Schillerfhen Zungfrau 
das Boltairefche Product nennt, ift die erfte Strophe gerichtet, 
während die beiden andern ala eine ernft mabnende Stimme an 
das Publicum zu betradhten find. Sch.'s Zungfrau, obwohl er 
ch durch den Titel „romantische Tragödie“ gegen ungerechtfer: 
tigte Erwartungen, jo wie gegen unbillige Mißdeutungen zu 
fihern gejucht, hatte Doch dad Schickſal gehabt, in höchft unge: 
rechter Weiſe befrittelt und zum Theil bitter getadelt zu werden. 
Sa der Dichter mußte es jogar erleben, diejed Lieblingskind ſei⸗ 
ner Muſe nicht zuerft in Weimar, für deſſen Bühne er e3 ge- 
fchrieben, jondern in Berlin und Leipzig aufgeführt zu fehen. 
Somit ift da8 ganze Gedicht ald der Ausflug gerechter Entrüftung 
und als der Ausdrud eined edlen Zorned zu betrachten, der mit 
prophetifcher Stimme verfündet, was die Nachwelt bereit3 mit 
voller Liebe gethan. Die Aufführungen der Sungfrau von Or- 
leans finden jederzeit ein volled Haus und ein recht danfbares 
Bublicum. 

Mädchens, Des, Klage (Ged.) Die beiden erften Stro- 
phen dieſes Gedichtes aus dem I. 1788 bilden das Lied, welches 
Thella in ben Piccolomini (III, 7) zur Guitarre fingt. Dies 


Madonna — Magie. 45 


rechtfertigt auch das daktyliſche (eigentlich heitere) Versmaß, Dad 
fonft für einen Klagegefang befremdend erjheinen müßte. Aber 
Theflas Schmerz ift ein ſchwärmeriſcher, für fte ein ſüßer Schmerz, 
an dem fie fih labt. Die übrigen Strophen find vermuthlidh 
fpäter hinzugefügt worden, um das Ganze als felbftändiges Ge: 
dicht abdruden zu lafien und dem nachfolgenden „Der Süngling 
am Bade” ald Seitenſtück hinzufügen zu können. 


Madonna, ital. wörtl. meine Herrin, wie Fiedco (%. III, 3) 
feine Gemahlin anrebet; dann auch in Tchmeichlertjcher Weiſe: 
meine Gebieterin, Geliebte, wie er (%. I, 4) die Gräfin Zulia 
anrebet; außerdem: Unfere liebe Yrau, d. b. die Jungfrau Ma: 
ria, wie (Gſtſ. 137), wo der Mönd, fagt: „Sieb der Madonna 
von deinem Reichthum, du wirft ihr Gebet brauchen“; ober 
(Sitf. 232) ein Bild derjejben. 


Madrid (D. ©. I, 3 u. III, 7), die Haupt: und Refidenz: 
ftadt von Spanien, am Manzanared (D. C. II, 14) gelegen, 
einem unbebeutenden Bache, der fich bei Aranjuez in den Tajo 
ergießt. 

Mädrigab, ital. eig. ein Schäfergedicht, gew. (M. St. II, 1) 
ein kurzes, finnreiched und zugleich zärtliched Gedicht. 


Magdeburg (Wit. 2. 6), Feſtung an der Elbe, wurde 1631 
von Tilly zeritört. 


Magie, von dem Worte „Magus, Magier”, womit bie 
Priefter der perfifchen Religion bezeichnet wurden, fpäterhin für 
Zauberer. Magie beit demnach Zauberkunft, oder Zauber: 
fraft, wie (Geb. d. Künftler) „der Dichtung heilige Magie”: 
(D. ©. I, 8) „der Schönheit hohe, himmliſche Magie”; (Gftf. 
10, 248) „die Magie der Beleuchtung“. Magier (Gftj. 10, 141), 
ein Zauberfünftler, wie (Br. v. M. 5, 483), mo der Bater 
„einen Bogeljhauer und ſchwarzen Magier” befragt. Bergl. 
Arabter. Magiſch (R.I,1) iſt ſ. v. w. zauberiſch; daher ſpricht 
Sch. (Metr. Ueberſ. Vorer.) von der „ganz eigenen magiſchen 


46 Magifter — Mahomet. 


Gewalt, wodurd der virgiliche Vers und hinreißt“; und von 
ben wunderbaren Berjchlingungen, welche die Tänzer darftellen, 
beißt e8 (Geb. d. Tanz): 

„Wie durch magiiche Hand öffnet und fchließt fi ter Weg.“ 
Magiſche Laterne, |. Laterne. 

Magifter (R. II, 3), lat. ein Meifter, bei. Lehrmeifter, ehe: 
mals Lehrer der freien Künfte. 

Magiftrat (R. I, 2). lat. die Stadtobrigfeit, davon Magi: 
ftratöperfon (I. v. O. IV, 6), ein Mitglied derjelben, ein 
Rathsherr. 

Magnet, zunächft ein Eifenerz, welches kleinere Eiſentheil— 
chen anzieht; dann künftlich bereitete Stahlſtäbe, bei denen die 
Naturkraft der Anziehung verftärkt werden kann. Alle Magnete 
haben zwei Pole, von denen der eine nah N., der andere nach 
©. zeigt, weshalb man den erjten den magnetischen Norbpol, den 
andern den Südpol nennt. Bei der gegenfeitigen Annäherung 
zweier Magnete, bejonderd eined Stabes an eine freiichwebende 
Magnetnadel ziehen Nordpol und Südpol fih an, während die 
gleichnamigen Pole einander abftoßen; daher (Ged. d. Spazier: 
gang): 

— — — — — — Der Weiſe 
Prüft der Stoffe Gewalt, der Magnete Hafſen und Lieben“ 
und (%. IL, 5): „wenn der Nordpol dem Südpol nachſpringt.“ 
Bildlih gebraucht jagt der Kapuziner (Wit. L. 8): 
„Denn die Sünd’ ift der Mügnetenftein, 
Der dad Eijen ziehet in’3 Land herein.“ 
Dedgl. Spiegelberg (R. II, 3): „Ich weiß nicht, ich muß was 
Magnetiſches an mir haben, dad dir alled Kumpengefindel auf 
Gottes Erdboden anzieht.” Ebenſo jagt Gianettino (%. I, 2) 
von Fiesco: „dieſer Menſch ift ein Magnet. Alle unrubigen 
Köpfe fliegen gegen jeine Pole.” 

Mahomet (Ged. An Goethe), die franzöfifche Benenmmg 

für Mubamed, den Stifter ded Slam, den Helden eined ber 


Mähre — Majeftät. 47 


beſten Trauerſpiele Voltaire's, das derſelbe ſogar Benedict XIV. 
widmen durfte. 


Mähre (Menſchenf. 5), althd. marah, ein Pferd; jetzt gew. 
ein ſchlechtes Pferd; als Schimpfwort (K. u. L. II, 6) ein ver: 
worfened Geichöpf. 

Maienthau od. Zrühlingsthau, der Name eines Schönheits- 
mitteld; Daher heißt ed (W. T. V, 1) von ber Königin Agnes, 
fie babe geichworen: 

„Sn Blut fih, wie in Maienthau zu baden.” 
Tſchudi erzählt, daß fie nad) der Eroberung von Yürwangen, 
einer Burg Rudolf von Palm, 63 Kriegsleute enthaupten ließ, 
worauf fie in deren Blut herumfpaziert fei und gejagt babe, fie 
bade in Maienthau. | 

Mailand (D. ©. II, 5 — Picc. II, 5), ital. Milano, bie 
Hauptitabt bed ehemaligen Herzogthums Mailand, welches 1395 
mit Genehmigung des Katferd Wenzel von Galeazzo Bifconti 
errichtet worden, unter Kaiſer Karl V. aber (1540) an Philipp II. 
von Spanien verliehen wurde. Im J. 1714 kam ed an Deft: 
reich, jeit welcher Zeit Mailand die Hauptitadt des Lombardiſch⸗ 
venetianifchen Königreich war, bis 1859 in dem Frieden von 
Billafranca die Lombardei an Frankreich abgetreten wurde, worauf 
fie mit dem gegenwärtigen Königreih Italien vereinigt ward. 

Maitreffe, frzſ. eig. Herrin, Gebieterin; gew. (R. II, 1 — 
K. u. L. 1,2) Keböweib. 

Maja, ſ. Hermes. 

Majeſtas populi, lat. wörtlich Würde oder Hoheit des 
Volkes (Ged.), ein Epigramm aus dem Jahre 1796. Der Dichter 
denkt hier an diejenigen, die er in der Glocke „die ewig Blinden“ 
nennt, und will nicht, daß denjenigen, die ſich ſelbſt nicht beherr⸗ 
ſchen können, das Recht einer Herrſcherwürde zuerkannt werde. 

Majeſtät, von dem lat. majestas, Hoheit, Würde, wie (F. 
Berf.:Berz.): „freundlich und mit Majeſtät“; ein Titel, welder 


48 maleln — Dtalta. 


gefrönten Häuptern (Tur. II, 2) beigelegt zu werden pflegt; da: 
ber nennt der Pater den Karl Moor (R. IL, 3) ſpöttiſch: „Euer 
Majeftät”. In bildlihdem Sinne (Ph. IV, 2) ſpricht Sch. (Metr. 
Ueber. Borer.) von der „Majeftät der Sprache”; (R. V, 2) von 
der „unverletzbaren Majeſtät“ der Staatdordnung; mit Bezug 
auf die göttliche Macht (R. IV, 5) von dem Arm „höherer Ma: 
jeftäten“; uud (Br. v. M. 5, 429) beißt es in Bezug auf die 
Kirche: 

— — — ein kühneres Geſtändniß 

Werbot bed Drted ernfte Majeftät.” 


Der „böhmiihe Majeſtätsbrief“ (Picc. IV, 5) ift die Urkunde, 
durch welde Kaifer Rudolf i. 3. 1609 den Böhmen Religions: 
freiheit zugefihert hatte. — Majeftätöverbreden ift ein 
Berbrehen gegen die Perfon des Landesherrn oder die höchfte 
Obrigkeit, ſ. v. w. Staatöverbredhen oder Hochverrath; in ironijch- 
ihmeichelnder Weife nennt Yiedco feine Rüdfichtälofigfeit gegen 
die Gräfin Julia (%. IV, 12) „dad Majeitätöverbrechen gegen 
ihre Liebenswürdigfeit.“ 

maleln (8. u. 2. II, 4) ſ. v. w. ein Gefchäft machen; 
Mäkler: 1) (R. II, 3), Unterhändler; 2) (Picc. V, 1), Vermittler; 
3) Mällerin (Sp. u.d. L.), Zwijchenträgerin. 


Malandrinen (Tur. I, 1), ital. Straßenräuber. 
Malcolm, j. Macbeth. 
Maleficus, adj. von dem lat. male, böfe, übel und fac&re, 
machen, thun; wie (Picc. II, 6): 
„— — — — Der Maleficus, 
Der einz'ge, ber dir ſchadet iſt der Zweifel.“ 
und (Bft. T. I, 1), wo Seni von Jupiter und Venus jagt: 
„Und beide große Rumina, ven feinem 
Malefico beleidigt." 
Malta (Mitd. — Gitf. 10, 168), eine ſüdlich von Sicilien 
unter 36° Br, gelegene Inſel, welche mit den nördlich davon lie⸗ 
genden kleineren Inſeln Gozzo und Comino eine Gruppe bildet, 


» 


Malteſer. 49 


die gegenwärtig den Engländern gehört. In der Mitte der 
Snfel liegt die alte, jebt fehr verfallene Hauptftabt Eivita vecchia, 
ah Malta oder Melite genannt; der jepige Hauptort La Ba: 
letta (D. ©. III, 7), nad dem Sroßmeifter Sean de Lavalette 
(+ 1568) benannt, tft eine ber ftärfften Yeftungen ber Welt. 
La Balette liegt auf der Südoftküſte der Infel auf einem Bor: 
gebirge zwifchen zwei geräumigen Häfen. Der füdliche größere 
tft für Kriegs- und Handelsfchiffe beftimmt; der nördliche, faft 
eben jo ſchoͤne wird nur zur Fiſcherei und ald Ouarantaine-An- 
ftalt benußt. Durch die Forts St. Elmo, St. Ange, St. Michael 
und SI Borgo werden die Häfen vertheidigt. 


Maltefer (D. ©. III, 7) wurden die Sohanniterritter (f. d.) 
genannt, jeitdem ihnen nach ihrer Vertreibung von Rhodus durch 
Kaifer Karl V. die Inſel Malta als Wohnfig angewiejen wurde, 
Bergl. Die Maltejer. 


Maltefer, Die, (Bd. 7). Die erjte Anregung zu diefem 
in Sch.'s Nachlaß vorgefundenen Fragment reicht in das Jahr 
1792 zurüd, wo er die „Vorrede (Bd. 11) zu der Geſchichte des 
Maltejerordend nad Bertot von M. NR. (Niethammer) bearbei: 
tet“ ſchrieb. Es war in demſelben Zahre, wo die Franzoſen 
ihren Einfall in Deutfchland gemacht, dur welchen Mainz und 
Worms verloren gingen, worauf die Deftreicher auch die Nieder: 
lande räumen mußten. Daß einige Abfchnitte des Bertst’ichen 
Werkes in Sch.'s Seele ſich fogleich poettich geftalteten, geht aus 
der genannten Vorrede hervor, welche theild an fein Gedicht 
„Die Zohanniter” (f. d.), theild an den Entwurf zu den Mal: 
tejern lebhaft erinnert. Indeſſen ift von der Vertheidigung von 
Malta, als einem neuen dramatifchen Sujet, doch erft im Jahre 
1795 die Rede, wo Sch., in Zweifel, einerjeitö ob feine Natur 
fi) mehr für dad Epos oder dad Drama eigne, andererjeitd, ob 
er ih zum Wallenftein oder zu den Maltefern wenden folle, bei 
W. v. Humboldt um Rath angefragt hatte. Humboldt, welcher 
über Sch.'s Beruf zum dramatifchen Dichter feinen nt 

II. 


50 Malteſer. 


in Zweifel war, wies in ſeiner Antwort nur darauf hin, daß Sch. 
geneigt ſei, ſeine dramatiſchen Charaktere mehr aus dem Ideal 
als aus der unmittelbaren Natur zu ſchöpfen und entſchied ſich 
für eine dramatiſche Bearbeitung der Malteſer. Da Sch. da⸗ 
mals aber mit weitläuftigen Redactiondgefchäften für die Heraus: 
gabe der Horen Überhäuft war, jo mußten feine Dramatiichen 
Entwürfe vorläufig zurüdtreten; und als er im Frühjahr 1796 
wieder Zeit zu eigenen poetifchen Productionen gewann, entichieb 
er fih doch für den mehr realiftiichen Wallenftein, während die 
Malteſer mehr eine lyriſche Stimmung und eine vorherrichend 
ideelle Behandlung verlangt haben würden. Erft im J. 1799, 
ald er feinen Wallenftein vollendet und der Herzog von Weimar 
jeinen Plan zu der Maltefer- Tragödie zu ſehen wünjchte, arbet: 
tete das Schema ind Reine und lieferte jo vermuthlich ben Ent: 
wurf, wie er jetzt in feinen Werfen ſteht. 
Zum Verſtändniß diefed Entwurfes ift ein kurzer Bli auf 
ben betreffenden Abſchnitt der Gefchichte nothwendig. Im Fahre 
1453 hatte Muhamed II. Conftantinopel erobert und dem grie- 
chiſchen Kaiſerthume ein Ende gemacht, von welcher Zeit an die 
Osmaniſchen Türken über ein Jahrhundert lang die Chriftenheit 
hart bedrängten und als Eroberer eine glänzende Rolle fpielten. 
Ihre höchſte Macht erreichten fie unter Selm I. (1512—1520) 
und unter deſſen einzigem Sohne Soliman IL. (1519—1566), 
welcher fi unter vielfachen anderen Unternehmungen auch gegen 
Rhodus, den damaligen Sitz ded Tohanniterordend (vergl. So: 
hannes der Täufer) wendete. Ungeachtet der Großmeister Phi: 
lipp Billierd de l'Isle ſich lange heldenmütbig vertheidigte, mußte 
er fi) endlich doch ergeben, erlangte indefien (1522) die ebren- 
volle Bedingung eined freien Abzuged. Einige Jahre fpäter 
(1530) wied Kaiſer Karl V. den Sohanniterrittern die Inſel 
Malta ald Wohnfig an unter der Bedingung, baß fie zunächft 
einen beftändigen Krieg gegen die Ungläubigen und gegen bie 
Seeräuber führen, jpäter aber, falls es ihnen gelänge, Rhodus 
wieder zu erobern,‘ die Inſel Malta an Neapel zurüdgeben follten. 


Maltefer. 51 


Inzwiſchen hatte Sultan Soliman längd, der ganzen Norbküfte 
von Afrika Raubftaaten errichtet und ben Beherricher von Algier 
zum Großadmiral der türkiſchen Flotte ernannt, vermittelfi deren 
derfelbe Tunid eroberte und nun auch die Inſel Malta bebrohte. 
Da nummehr die ganze Chriftenbeit aut einen neuen Kreuzzug 
forderte, jo unternahm Karl V. denjelben, die glänzendfte That 
feined Lebende. Auf der Inſel Sardinien ſammelte er feine 
Schaaren, und von Cägliari aus ging 1535 eine Ylotte von 500 
Schiffen mit 30,000 Kriegern unter Segel. Die Feſtung ©o- 
letta, der Schlüffel von Tunis, wurde mit Sturm genommen 
und gegen 20,000 Chriftenſclaven in Freiheit gefegt. Somit 
war auch Malta auf eine Zeit lang gerettet. Der löwenmuthige 
Solimau kannte indeflen feine Ruhe; ald ein beinahe 7Ojähriger 
Greis griff er 1565 (D. €. V, 8) die Inſel von neuem an, be: 
ren Beſaßung fich unter Lavalette aufs tapferite vertheidigte, fo 
daß er fih mit großem Verluſte zurüdziehen mußte. Bon da 
an behaupteten fich die Ritter ehrenvoll bis zum Jahre 1790, 
ohne daß irgend welche fremde Bermittelung nöthig gewejen 
wäre. 

Merfen wir nun einen Blid auf Sch.’3 poetiſche Geftaltung 
des an jich eng begrenzten hiſtoriſchen Materials, jo werden wir 
nah Malta geführt. Soliman, der dem Orden ben Untergang 
gejhworen, bat feine ganze Macht vor der Inſel vereinigt. Die 
türfiiche Ylotte hält beide Seehäfen gefperrt und das Yort St. 
Elmo ift bereit? zu Lande angegriffen. Es handelt fich darum, 
bafjelbe zu halten, da die Vertheidigungämittel ausreichend find, 
zugleich aber auch auf Entſatz von Sicilten zu rechnen ift. Phi- 
lipp II., König von Spanien und gleichzeitig Befiter ded König 
reichs beider Sicilien, hat angeſichts der jeinen Staaten drohenden 
Gefahr Hülfe zugefagt, ift jedoch zu Eräftigem Handeln nicht zu 
bewegen. So wächſt die Gefahr und mit ihr die bangen Sor— 
gen des Grofmeifterd. Bei der entfchiedenen Uebermacht bed 
Teindes kann nur jener urfprüngliche Geiſt, der den Orben ind 
Dafein gerufen, zu treuem Ausharren ermuthigen und jchlieplich 

4* 


52 Maltejer. 


zum Siege führen. Diejer Geiſt aber tft entflohen; die Ritter 
haben es verlernt, ihre perjönlichen Neigungen den Drdendgefepen 
zum Opfer zu bringen; fie murren über die ihnen auferlegten 
Zaften und verlangen, daß dad Yort aufgegeben werde. Sekt 
wird ed dem Großmelfter Far, dat ein neuer Geift über den 
Orden fommen müfje; aber er jelbit hat die Geſetze befielben 
üßertreten, denn er bat einen Sohn, St. Brieft, der fih unter 
ven Bertheidigern von St. Elmo befindet. Ihn möchte er gern - 
erhalten, daher feine ſchwankenden Mapregeln. Erft al eine 
wirklide Empörung unter den Rittern audbricht, wird er zu 
einem beftimmten Entichluffe getrieben. Sein eigenes erhebenbes 
Beifpiel fol den Nittern neuen Muth einflößen, dad Vertrauen 
auf ihre Kraft wiederherftellen; er ſucht ſich die Tüchtigften und 
Edelften aud, um an ihrer Spipe die Vertheidigung des Forts 
zu übernehmen. Da naht ſich fein Sohn. Ohne zu wiſſen, daß 
der Großmeifter fein Bater ift, erflärt er, daß er an der Em: 
pörung feinen Theil babe und treu mit ihm ausharren wolle. 
Bon Rührung übermannt, giebt ſich Kavalette ibm als Bater zu 
erfennen und beide wollen nun vereint die Vertheidigung fort 
feten. Diejed Beifpiel ift von wunderbarer Wirkung. Bon tiefer 
Reue ergriffen, kehren die Ritter zum Gehorjam zurüd; die nen- 
geſchaffene Eintracht fteigert fi) zu glühender Begeiſterung; ja, 
man bittet den Großmeiſter inftändigft, vom perjönlihen Kampfe 
abzuftehen, um fich jelbft dem Orden zu erhalten. Widerftrebend 
willigt er ein, während ©t. Prieft mit den übrigen Rittern nach 
St. Elmo zurüdfehrt. Dad Fort wird zwar von den Türfen 
erftürmt, der Sieg aber tft für fie zugleich eine moralifche Nie: 
derlage. St. Prieft ift im Kampfe gefallen und wird von Allen 
tief betrauert. Seht offenbart Lavalette feine ganze Seelengröße, 
indem er das 2008 feined verflärten Sohnes preift. Er betrachtet 
fortan alle Ritter als feine Söhne und den Sieg des Ordens 
über den Yeind wie über ſich jelbft als entichieden. Die Kraft 
ſeines urfprünglichen Geiſtes iſt gerettet. 


Mamelnt. 53 


Daß die Ausführung eines jo einfachen und durchfichtigen 
Planes unterblieb, tft allerdings zu bedauern. Sch. hätte e8 bier 
mit der Darftellung einer erhabenen Idee zu thun gehabt, wie 
er fie liebtes und da dad Stück lauter männliche Charaktere ent- 
hielt, fo wäre es vermuthlich ein treffliche8 Seitenftüd zu feiner 
Jungfrau von Orleand geworden. Die dee jelbit tft in der 
Herftellung des geiftlichen Sinned aud der Verweltlihung, ber 
Einigung aus der Zwietracht zu juchen. Die Träger biejer Idee 
find der Großmeiſter und St. Prieft, die ſich in begetitertem 
Heldenmuthe dem Tode weihen. Ihnen gegenüber wird das 
Schidfal durch die furdtbare Türkenmacht repräfentirt, welche 
die Meine Heldenſchaar zu erbrüden droht. Was die Ausführung 
betrifft, jo mußten zwei Handlungen parallel neben einander her: 
gehen, eine auf der Scene, die fid) vor den Augen bes Zufchauerd 
entwidelte und eine zweite hinter derjelben, von der er nur zu 
hören befam. Domeben jolite der Chor, ald Vertreter de guten 
Geiſtes in dem Orden, eine bedeutungsvolle Rolle Ipielen, wo: 
durch dem Dichter reiche Selegenheit geboten war, feiner dama⸗ 
ligen lyriſchen Stimmung einen Audbrud zu geben. Wenn Sc. 
gleichwohl mit der Ausführung dieſes Planes zögerte, jo Hatte 
dies vielleiht darin feinen Grund, daß ed demielben an Reich: 
tum der Handlung fehlte, während er jelbft fih umfangreiche: 
ren dramatiſchen Aufgaben gewachſen fühlte. 


Mameluf, arab. eig. ein Beherrſchter, ein Sclave; gem. 
ein hriftlicden Eltern geraubter, in der muhamedaniichen Reli: 
gion erzogener Sclave. Die ägyptiſchen Sultane pflegten jeit 
dem 13. Sahrhundert befonderd die aud dem Kaukaſus ftammen: 
den Sclaven ihres anögezeichneten Muthes wegen zu Leibwäd): 
tern andzumwählen; daher (Ged. D. Kampf mit d. Drachen): 


„Muth zetget auch der Mameluf.“ 
Bald Ihwangen fih die Mamelufen zu hohen Staatsämtern 


empor, bi3 fie endlich einen Sultan vom Throne ftteßen und 
beinahe drei Jahrhunderte Iang Aegypten beberrichten. Erit 


54 Mammon — Manen. 


im Sabre 1517 machte Sultan Selm I. ihrer Herrichaft ein 
Ende. ' 

Mammon, ein bibliiher (Ev. Mutth. 6, 24) Ausdruck, der 
f. v. w. Geld, Reichthum (Menichenf.) bebentet; daher (Mech. 
I, 4) die Worte der Here: 

„Und ber falſche Mammon, er floh davon, 

und (R. II, 3): „Rein, bet allen Schägen ded Mammons!“ 

Mänaden, pl. von Mänas, ſ. Bacchus. 


Mandat, von dem Iat. mandäre, verorbnen, befehlen; 1) ein 
Iandeöberrliher Befehl (W. X. IL, 3 — Zur. IL, 2), 2) eine 
obrigfeitliche Verordnung (B. a. v. E.), 3) ein Militairbefehl 
(Bft. 8. 10). 

Maren (Ph. V, 7) nannte man bei den Römern die ab: 
geichtedenen Seelen, die Schatten der Berftorbenen, deren Ueber: 
refte man im Haufe beizufegen pflegte, von deren Seelen aber 
man glaubte, daß fie mit der Oberwelt noch in gewifler Berbin- 
dung ftänden. Die Manen wurden von den binterbliebenen An: 
gehörigen mit fheuer Furcht verehrt; daher fagt Hiob (Dem. 
II, 1) zur Marfa: 

„Du ehrft die Manen beines Sohnes, bu wirft 
Nicht dulden, daß ein frecher Abenteurer 
Ihm aus dem Grabe feinen Namen ftiehlt." 

Als Zeichen der Verehrung pflegte man ihnen an beſonders ge: 
weibeten Stätten Altäre zu errichten, wie (Geb. 4.2. d. Aen. 84): 
„Auch ftand, den Manen bed Gemahls geweiht, 

Im Haufe eine marmorne Capelle“ 
War der Abgeſchiedene eined gewaltſamen Todes geftorben, jo 
hatten bie Hinterbliebenen die Pfliht, an den Mördern Rache 
au nehmen; daher (M. St. I, 4): 

„Des Gatten rabheforberndes Geipenft.* 
und (Geb. D. Kraniche d. Ibykus), wo ed von dem Volle heißt: 


— — — — ,8 forbert feine Wuth, 
Zu rächen bed Erſchlagenen Manen.“ 


Manier — Mandfeld. 55 


ferner (3. v. ©. III, 4): 
„Shr Todesgötter, rechnet mir’ nicht zu, 
Daß ih mein ſchrecklich Rachgelübde breche. 
und (Br. v. M. 5, 491), wo Don Ceſar in Beziehung auf 
feinen von ihm getödteten Bruder fagt: 
„Nicht freudig, wie ich gerne will, Tann ich 
Das legte Opfer feinen Manen bringen.“ 
Manier, von dem fraf. manidre, eig. die Handhabung; die 
Art und Weife ded Benehmend, wie (%. Perf. -Berz.) „ang umb 
Manieren“; (Par. III, 11) „füßlide Manieren* und (Zur. II, 2) 
„prinzlihe Manieren”; oder: die Art und Weife, in einer Sache 
zu verfahren, wie (R. IH, 2 — K. u. 8. IH, I) und (DB. a. v. 
E.) „diefe Manier tft eine Ufurpation des Schriftftellerd”. 
Mann Gottes (Dich. V, 13), ein bibliſcher Ausdrud (vergl. 
V. Mofe, 33, 1; I. Sam. 9, 6; I. Kön. 13, 14 md 17, 24; 
Ser. 35, 4), mit weldem die Propheten bezeichnet Werben, deren 
Leben dem Dienfte des Herrn geweiht war. 


Mannihfaltigkeit, Die (Geb-), ein Epigramm aud dem 
Sahre 1796. Sch. fagt in den „zerjtreuten Betrachtungen über 
verfchiedene äfthettfche Gegenſtände“ (Bd. 11, ©.461): „das 
Gute wird gedacht, dad Schöne betrachtet; jened gefällt im Be- 
griff, Diejed in der Anfchauung“. Da nun die Guten und Ber: 
ftändigen unter der Herrſchaft des Begriffd ftehen, jo find fie 
einer einzigen Form unterworfen, auf die fie alle Xebenderjchei- 
nungen zurüdführen. Auf dem Gebiete der Schönheit aber, . 
nach welcher die lebendige Empfindung ein nicht abzumetjended 
Berlangen trägt, herrſcht die Mannichfaltigkeit der Yormen, die 
allein dem Tiebenden Herzen wohlthut. 

Manfanares, richtiger Manzanares, |. Mabrid. 

Mansfeld. Als Friedrich V. (ſ. d.) von der Pfalz auf 
dem weißen Berge bei Prag gefchlagen und jein Land von baier⸗ 
fhen und ſpaniſchen Truppen erobert worden, eilten zwei tapfere 
Männer, Graf Ernft von Mansfeld und Herzog Chriftian 





54 Mammon — Manen. 


im Sabre 1517 machte Sultan Selim 1. ihrer Herrſchaft ein 
Ende. 


Mammon, ein bibliiher (Ev. Matth. 6, 24) Ausdrud, der 
ſ. v. w. Geld, Reichtum (Menfchenf.) bedeutet; daher (Meb. 
I, 4) die Worte der Here: 
„Und ber falfche Mammon, er floh davon, 
und (R. II, 3): „Rein, bei allen Schätzen des Mammons!“ 
Mänaden, pl. von Mänas, ſ. Bacchus. 


Mandat, von dem lat. mandare, verorbnen, befehlen; 1) ein 
landeöberrlicher Befehl (W. 3. IL, 3 — Tur. II, 2), 2) eine 
obrigkeitlide Berordnung (B. a. v. E.), 3) ein Militairbefebl 
(Wit. L. 10). 

Manen (Ph. V, 7) nannte man bei ben Römern die ab: 
gefchiedenen Seelen, die Schatten der Berftorbenen, deren Ueber: 
refte man im Haufe beizufegen pflegte, von deren Seelen aber 
man glaubte, daß fie mit der Oberwelt nody in gewifler Verbin⸗ 
dung ftänden. Die Manen wurden von den binterbliebenen An- 
gehörigen mit fcheuer Furcht verehrt; daher jagt Hiob (Dem. 
1I, 1) zur Marfa: 

„Du edrft die Manen beine Schnes, du wirft 
Nicht dulden, daß ein frecher Abenteurer 
Ihm aud dem Grabe feinen Namen jtieblt.” 

Als Zeichen der Verehrung pflegte man ihnen an bejonders ge- 
weiheten Stätten Altäre zu errichten, wie (Ged. 4. B. d. Yen. 84): 
„Auch ftand, den Manen bed Gemahls geweiht, 

Im Haufe eine marmorme Capelle“ 
War der Abgefchiebene eined gewaltſamen Todes geftorben, fo 
hatten die Hinterbliebenen die Pfliht, an den Mörbern Rache 
zu nehmen; daher (M. St. I, 4): 
„Des Batten rahefordernded Geſpenſt.“ 
und (Ged. D. Kraniche d. Ibykus), wo es von dem Bolfe u 


— — — — ,e fordert feine Wuth, 
Zu rächen bed Grichlagenen Manen.“ 


Manter — Mandfeld. 55 


ferner (3. v. O. III, 4): 
„Ihr Todesgötter, rechnet mirs nicht zu, 
Das ich mein ſchrecklich Rachgelübde breche 
und (Br. v. M. 5, 491), wo Don Befar in Beziehung auf 
feinen von ihm getödteten Bruber jagt: 
„Richt freudig, wie ich gerne will, kann ich 
Das letzte Dpfer ſeinen Manen bringen.“ 
Manier, von dem frzſ. manidre, eig. die Handhabung; die 
Art und Weile ded Benehmens, wie (%. Perf. :Berz.) „Gang und 
Manieren”; (Par. III, i1) „ſüßliche Manieren“ und (Zur. II, 2) 
„prinzlihde Manieren”; oder: die Art und Weije, in einer Sache 
zu verfahren, wie (R. II, 2 — K. u. 8% II, 1) und (B.a.v. 
€.) „diefe Manier ift eine Ufurpation des Schriftftellers“. 
Mann Gottes (Meb. V, 13), ein biblifcher Ausdrud (vergl. 
V. Moſe, 33, 1; I. Sam. 9, 6; I. Kön. 13, 14 und 17, 24; 
Ser. 35, 4), mit welchem die Propheten bezeichnet erden, deren 
Leben dem Dienfte ded Herrn geweiht war. 
Mannicfaltigkeit, Die (Ged-), ein Epigramm aus dem 
Sabre 1796. Sch. fagt in den „zeritreuten Betrachtungen über 
verſchiedene Afthetifche Gegenftände” (Bd. 11, ©. 461): „das 
Gute wird gedacht, dad Schöne betrachtet; jened gefällt im Be- 
ariff, diejed in der Anſchauung“. Da nun die Guten und Ber: 
ftändigen unter der Herrſchaft bed Begriffe ftehen, jo find fie 
einer einzigen Yorm unterworfen, auf die fie alle Lebenderjchei- 
nungen zurüdführen. Auf dem Gebiete der Schönheit aber, . 
nach welcher die lebendige Empfindung ein nicht abzumwetjendes 
Verlangen trägt, herrſcht die Mannichfaltigkeit der Yormen, Die 
allein dem liebenden Herzen wohlthut. 
Manfanares, richtiger Manzanares, |. Madrid. 
Mansfeld. Als Friedrich V. (j.d.) von der Pfalz auf 
dem weißen Berge bei Prag geſchlagen und fein Land von baier: 
ſchen und ſpaniſchen Truppen erobert worden, eilten zwei tapfere 
Männer, Graf Ernft von Mansfeld und Herzog Chriftian 


56 Mantua. 


von Braunſchweig den Proteflanten zu Hülfe. Nachdem der 
erjtere Hülfötruppen für die Böhmen geworben, plünderte er die 
katholiſchen Stifter am Rhein, warb dann mit englifhem Gelbe 
ein Heer, um in bie öftreihiichen Erbftaaten einzubringen, wurde 
aber (25. April 1626) von Wallenftein bei Defiau gefchlagen; 
daher jagt Iſolani (Pice. I, 1): 
„Ss find jett gehen Jahr, 
“ls wir bei Deffau mit dem Mansfeld fehlugen.* 
Sieranf fepte er, von Wallenftein verfolgt, feinen Marſch bis 
Ungarn fort, worauf fi die Worte der Marketenderin (Wft. 
8. 5) beziehen: 
„Bin hinauf Bid nad Temeswar 
Gelommen mit den Bagagemagen, 
Als wir thäten ven Mansfelder jagen" 
In Ungarn wollte er fi mit dem Fürften Bethlen Gabor ver: 
einigen, entli®& aber feine Truppen, als diefer feine Gefinnung 
änderte. Hierauf beabfichtigte er, über Venedig nah England 
zu gehen, warb aber unterweges frank und ftarb (1626). — Sein 
Gefinnungdgenoffie Chriftian von Braunſchweig, Admini- 
ftrator ded Bisthums Halberftadt und Bruder des regierenden 
Herzogd von Braunjchweig, war 1622 von Tilly aus der Pfalz 
vertrieben und 1623 bei Stadtloo im Münfter’ihen geſchlagen 
worden; er jtarb in demjelben Sabre; daher (Picc. IV, 4) Butt: 
ler's Worte: 
„Dem Mandfeld fehlte nur, dem Halberftädter 
Ein längered Leben, mit dem Ritterfchwert 
Landeigenthum fi} tapfer zu erfechten.” 

Mantua, eine ftarfe Feftung am Mincio in der Lombar- 
bei. — Als Herzog Bincenz von Mantua und Montferrat ohne 
Kinder geftorben war, hatte fein nächfter Anvermandter, Karl, 
Herzog v. Nevers von dieſer Erbſchaft Beftg genommen. (Bergl. 
Sch.s Geſchichte des breigigjährigen Krieges; Bd. 9, ©. 158), 
Hiermit aber waren weder die Spanter, Die Beſitzer von Mat: 
land, noch Kaiſer Zerdinand zufrieden. Der Iebtere ſchickte Daher 


Mäonide — Maria. 57 


eine Armee über die Aiyen, welche Mantua mit Sturm eroberte 
(1630); daher (Wit. €. 5) die Worte der Marketenderin: 
„3og mit dem Succurd vor Mantua“ 
Mäonide, f. Homer. 


Mare Anton, Abt. für Marcud Antonius, der nad) Caͤſars 
Tode mit Octavianus und Lepidus zu dem zweiten Triumvirat 
verbunden war (f. auch Kleopatra). Marcus Antoniud war 
68 v. Chr. geboren und mit Cäfar verwandt. Cr unterftüste 
befien Partei und ward von ihm bei dem Ausbrucdhe des Krieged 
gegen Pompejus zum Oberbefehlähaber von Stalien ernannt, 
fpäter aber, da er ein jchwelgerifched Leben führte, mit Kälte 
behandelt. — Anjpielend auf dieſes Verhältniß jagt Macbeth 
(Meb. II, 3) von Banquo: 

„— — — — Ihn allein, ſonſt feinen fürcht' ich. 
Ihm gegenüber wird mein Geiſt gezüchtigt, 
Wie Marc Antond vor Cäfars Genius.“ 


Marceellus, vergl. Archimedes. 

Marcheſe ſſprach — k)], ital. f. v. w. Marquis, |. d. 

Marcusplatz (Gftj. 10, 129), ein herrlicher, von prächtigen 
Gebäuden mit Bogengängen umgebener Plab in Venedig, auf 
dem man ſich gegen Abend zu verjammeln pflegt, um fpazieren 
zu gehen und fich zu erfrifchen. 

Maria, die Mutter Jeſu, wegen ber hohen Gnade, die ihr 
zu Theil geworden, „die Hochgebenedeiete" (D. ©. I, 2) 
genannt (vom lat. bene dicere, d. i. felig preifen), heißt in ber 
Sprache der Tatholifhen Kirche häufig auch die Heilige Jung: 
frau oder die „Mutter Gottes” (3. v. O. I, 10), bei Sch. 
(M. St. 1,6) auch „die heilige Mutter”. Neben den wenigen 
Zügen, welche die heilige Schrift aus ihrer Lebensgeſchichte be: 
richtet, hat die Legende ihren Tod mit der Himmelfahrt aus⸗ 
geſchmückt, woher die katholiſche Bezeichnung „Himmelsköni— 
gin“ (3.0. O. IV, 1 u. IV, 3). Bekanntlich findet man ihr 
Bid in katholiſchen Ländern Häufig öffentlich aufgeftellt; daher 


58 Maria, Die ſchottiſche — Maria Stuart. 


(3.0. O. I, 10) „ein uralt Muttergottesbild" und (Geb. 
D. Kampf m. d. Drachen): 
„Die Mutter mit dem Sefustnaben“ 
Sn frommer Begeifterung vergleiht Johanma von Orleans, auf 
da8 Symbol des heiligen Geiſtes, „Die weiße Taube” bindeu- 
tend (3. v. O. Prol. 3) ſich jelbft mit der heiligen Jungfrau: 
„Der Here wird mit ihr fein, der Schlachten Gott. 
Sein zitterndes Geihöpf wird er erwählen, 
Dur eine zarte Jungfrau wird er fi 
Derberrlichen, benn er tft der Allmächtige!* 
und (J. v. O. J, 9): 
„Bott und bie heilige Jungfrau führt auch an!“ 
„Bom Sohne der Marta” (3.0.8. I, 11), f. v. w. vom Herrn. 
Maria, Die fhottifhe (K. u. L. II, 3), ſ. Marta Stuart. 


Maria, Die ſpaniſche (M. St. IV, 10). Marta, die ältefte 
Tochter Heinrich VIII. (vergl. d.) und Katharina’ von Aragon, 
war die Vorgängern der Königin Eliſabeth und regierte von 
1553—1558. Ste bejaß, wie ihre Mutter, eine entichledene Ab— 
neigung gegen den Proteftantismud, während fie von ihrem Bater- 
den finfteren, blutdürftigen Charakter geerbt hatte Während 
ihrer kurzen Negierung brachte fie nicht weniger ald 800 Men: 
jhen um ded Glaubens willen auf dad Blutgerüft. Auch ihre 
Vermählung mit Philipp II. von Spanien, die übrigend nur 
ein Zahr von Beitand war, hatte Feinesweged die Sympathien 
der Nation; ebenfo verloren die Engländer unter ihrer Regie: 
rung Calais und damit Alled, was ihnen von ihren alten Er— 
oberungen in Frankreich geblieben war; daher jagt Paulet (M. 
Gt. I, 1) von Maria Stuart: 

Verſchworen fam fie gegen Englands Glück, 
Der ſpaniſchen Maria bint'ge Zeiten 
Zurüd zu bringen, Engellaub katholiſch 

Zu machen, an ben Franzmann zu verratben.” 

Maria Stuart. Die urjprüngliche Idee zu diefem Trauer: 
ipiele faßte Sch. im Sabre 1783, wo er fih in Bauerbach, 


Maria Stuart. 59 


unmittelbar nach Vollendung von Kabale und Liebe mit dem Stoffe 
beichäftigte und muthmaßlich ſchon das Schema zu dem erften 
Act entwarf. Aber andere Studien und Entwürfe, vor Allem 
fein Don Carlos und der Wallenftein, drängten den neuen Plan 
auf lange Zeit in den Hintergrund. Erft 16 Sahre fpäter, als 
Schiller von Weimar, wo er feine Pircolomint und Wallenftein’d 
Zod zum erften Male hatte aufführen ſehen, nach Jena zurüd: 
fehrte, nahm er gleich am folgenden Zage, den 26. April 1799, 
bie Geſchichte der Maria Stuart vor, ftudirte ihren Prozeß, die 
Regierungdgefchichte der Königin Elijabetb und machte fich mit 
dem englifchen Berfaffungdleben, fowie mit den damaligen refor- 
matoriſchen Beftrebungen auf kirchlichem Gebiete genauer be- 
kannt. Anfangd war er noch zweifelhaft, ob er feine dichterifche 
Thätigkeit der Maria Stuart oder den Malteſern (]. d.) zuwen⸗ 
den follte; aber nach der langen Beichäftigung mit dem Wallen> 
ftein war er der Soldaten, Helden und Herricher vorläufig herz- 
lich jatt und freute ih, fchon um des Contraſtes willen, daß 


die Geichichte ihm hier zwei Yrauen darbot, deren leidenſchaftlich 


“ erregte Gemüthäftimmung ein rein menſchliches Intereſſe ge: 
währte, und deren tragifchen Conflict er feiner Individualität 
gemäß geftalten konnte. Obwohl er noch nicht über alle Punkte 
mit fi) einig, und dad Schema für das ganze Stüd noch nicht 
entworfen war, jo finden wir ihn doch bereit3 im Juni mit dem 
lebhafteften Intereſſe bei dem erften Acte bejchäftigt, welcher zu 
Ende Zuli beentigt wurde. . Im Auguft folgte der zweite Act, 
worauf eine längere Pauje eintrat; denn theild hielten ihn bie 
Entbindung feiner Frau und eigene jchwere Krankheit vom Ar: 
beiten zurüd, theils verlangte die Herausgabe jeined Mufen: 
almanachs, daß er fih auf einige Zeit in eine lyriſche Stim⸗ 
mung verjeßte. Aber im Winter rüdte die Arbeit rüftig vor. 
wärts, um fo mehr, ald er feinen Lieblingswunſch, Die Ueber: 
fiedelung nad Weimar, zu Anfang ded December erfüllt jah. 
Am legten Abend ded Sahres konnte er noch „einen feiner Hel: 
ben“, den Mortimer, „unter die Erbe bringen”; dad Stüd war 


60 Marta’ Stuart. 


alfo bei der vierten Scene des vierten Actes angelangt. Die 
Bollendung bed lebteren verzögerte fih bi8 zum Mai 1800, wo 
wir von einer Abendvorlefung hören, in welcher der größte Theil 
der Maria Stuart mitgetheilt wurde. Um bem fünften Ace 
feine Dichteriiche Geftaltung zu geben, ging Schiller nad) Etters⸗ 
burg, dem Auftichloffe ſeines Herzogd. Der öfter geäußerte 
Wunſch, ein Potentat möge ihm einmal Gefährliched zutrauen 
und ihn auf einige Zeit in einer Bergfefte mit ſchöner Ausficht 
gefangen halten, wo er indeß die Freiheit haben müßte, auf den 
Wällen jpazieren zu geben, wurde ihm bier zur befleren Hälfte 
erfüllt, um jo mehr ald der Zufaß, er würde dann „Werte fo 
recht aus einem Guſſe“ fchaffen können, fich gleichzeitig verwirk⸗ 
lichte. Nunmehr folgte die Einrichtung des Stüdes für das 
Theater, jo daß die erfte Aufführung am 14. Juni vor fi) gehen 
fonnte. Das Publicum war leider nicht ganz befriedigt, da die 
Darfteller nicht Durchweg genügten ; al8 aber ſpäter in Lauchſtädt, 
nachdem Manches geändert und gekürzt worben, eine Wieberho: 
lung ftattfand, war das Verlangen nah dem Stüd ein fo gewal: 
tiged, Daß dem Caſſirer alle Billets aud feiner Wohnung abge: 
bolt wurden, und am Abend die Mufiler des Orchefterö auf der 
Bühne placirt werden mußten, um Raum für die Zufchauer zu 
gewinnen. Am 8. Januar 1801 wurde Maria Stuart zum er 
ten Male in Berlin gegeben und tft jeit jener Zeit ein Lieblings- 
ſtück des Publicums geblieben. 

Yür diejenigen, welche von einem Drama außer den poetischen 
Schönheiten au ein möglichft hohes Maß biftorifcher Treue 
verlangen, tft e8 wichtig, fich mit der gefchichtlichen Grundlage 
unſeres Stüdes befannt zu machen.) Maria Stuart, Die 
Tochter Jacobs V. von Schottland und der Maria von Lothringen, 


») In ber nachfolgenden Darjtellung find wir im Ganzen ber in Bederd 
Weltgeſchichte Bd. 8 gegebenen Erzählung gefolgt, welde mit den von Sch. höchft 
wahrjcheinlih benugten Quellen: Robertſen's Geſchichte von Schottland, Hume’s 
bistory of England und Rapin de Thoiras, histoire d’Angleterre (vgl. Palleste 
I, ©. 304) durchweg übereinftimmt. 


Maria Stuart. 61 


einer Schwefter der Guiſen, wurde 1542 geboren. Schon acht 


Tage nach ihrer Geburt ftarb ihr Vater, defien einzige Erbin fie 
war. Alsbald faßte Heinrich VIII. (ſ. d.) den Plan, die junge 
ſchottiſche Thronerbin mit feinem um fünf Jahre älteren Sohne 
(nachmals Eduarb VL) zu vermählen, um auf diefe Weije beide 
Reiche mit einander zu vereinigen; aber Marias Mutter, eine 
eifrige Katholitin und Freundin des franzöfiichen Throned, wies 
den Antrag zurüd. Sie ſchickte vielmehr ihre Tochter ſchon in 
dem zarten Alter von fünf Jahren nad Frankreich, ließ fie dort 
in einem Klofter erziehen und vermählte fie 1558 mit dem Dau: 
phin, der bereit3 ein Jahr darauf als Yranz II. zur Regierung 
kam. Durch Schönheit und Bildung audgezeichnet, von ihrem 
Gemahl innig geliebt, war Marla Stuart an dem franzöftichen 
Hofe bald der Gegenftand allgemeiner Verehrung und Bewun⸗ 
derung, was für das jugendliche Herz um fo bedenklicher wurde, 
ald Vergnügungungsſucht, Leichtfinn und Unfittlichkeit die cha⸗ 
rakteriftiſchen Züge des damaligen Hoflebend waren. So wurde 
der Grund zu Maria Stuarts fpäterem Unglüd gelegt. 

In England hatte um diefe Zeit (1558) Elifabeth (f. d.) 
den Thron beitiegen. Nach dem Tode threr unglüdlihen Mutter 
Anna von Boleyn war fie theild durch ihre Stiefmutter (vergl. 
Heinrich VIII), theils durch ihre Schwefter (j. Maria, die ſpa⸗ 
niſche) unter ftrengem Drud gehalten worden. Beichäftigung 
mit Wifjenfchaften, jelbft mit den alten Sprachen war ihre haupt: 
ſächlichſte Thätigkeit, Mufik und weibliche Handarbeiten ihre 
einzige Erholung gewejen. So kam Clifabeth im Alter von 
25 Jahren fast gleichzeitig mit ihrer Nebenbuhlerin zur Regie: 
rung, aber von einem ganz anderen Geifte bejeelt. Sn ber 
Schule bes Unglüds hatte fie ſich Selbitbeberrihung und männ: 
liche Entſchloſſenheit angeeignet, Eigenſchaften, die fie zur Re: 
gentin vollftändig befähigten. Außer Philipp II. von Spanten 
hatten fih mehrere Königsſöhne um ihre Hand beworben, ja 
mancher engliihe Pair ſchmeichelte ſich, durch eine Verbindung 
mit ihr einen bedeutungdvollen Einfluß auf die Regierung des 


62 Maria Stuart. 


Landed zu erhalten. Eliſabeth aber wies alle Anträge zurüd 
und erwiederte dem um bie Thronfolge beforgten Parlamente, 
England ſei ihr Gemahl, und fie begebre nicht? Anderes, als 
daß man einft auf ihrem Grabſtein Iefen möge: „Hier rubt Eli- 
fabeth, die als jungfräuliche Königin lebte und ſtarb.“ Nichte: 
beftoweniger ſah fie e3 nicht ungern, wenn man ihrer Schönhett 
buldigte und ihren Reizen jchmeichelte. Gleich nach ihrer Thron» 
befteigung zog fie vor Allem die verworrenen Religiondverhält- 
niffe Englands in forgfältige Erwägung. Da fie nad) römiſcher 
Anſchauung ald unehelich geboren betrachtet wurde, und überdies 
dad übermüthige Benehmen Papft Paul's IV. fie gröblich ver: 
legte, jo war es nicht zu vermundern, wenn fie, Die proteftantijch 
Erzogene, der katholiſchen Kirche um ihrer Ehre wie um ihres 
Thrones willen innerlich abhold war. Sie ließ ſich daher von 
neuem den Supremateid (|. Heinrich VIIL) leiften und folgte 
rückſichtlich der Wiederberftellung der reinen Lehre den VBorjchlä- 
gen William Cecils, nachmaligen Lord von Burletgh, 
welcher einer ihrer vertrauteften NRathgeber war. Gleichwohl 
ging fie in ihren reformatorischen. Umgeftaltungen behutfam vor: 
wärtd und bewahrte von den Tatholifchen Geremonien fo viel, 
als jih nur irgend mit der neuen Lehre vertragen wollte. Auf 
diefe Weile entitand die engliiche Epiſcopalkirche. Da dieſer 
gegenüber die Puritaner (ſ. d.) alle Geremonielle möglichft be 
feitigt haben wollten, jo war es erflärlih, daß weder le, noch 
die Katholiken mit Eliſabeths Einrichtungen zufrieden waren. 
Die römiſch Fatholiiche Partei in England war ihr auch darum 
gefährlich, weil dieſelbe Heinrich’8 VIII. Ehe mit Anna v. Boleyn 
ala eine kirchlich ungültige betrachtete und fie jomit nicht als 
rechtmäßige Thronerbin anerkennen konnte; died war um jo be: 
denfliher, ald Maria Stuart, ald Enkelin Margaretha'd, der 
älteften Schweiter Heinrich's VIII. nady ihr den nächften An- 
ipruch auf den englifchen Thron hatte. Sa, wad noch mehr tft, 
Maria's Oheime (|. Lothringiſche Brüder) hatten bereitd das 
junge Herrfcherpaar, Franz II. und feine Gemahlin berebet, den 


Maria Stnart. 63 


Titel eined Königs und einer Königin von England anzunehmen, 
wodurch bei Elifabeth Haß und Eiferjucht erwedt wurden, da 
der Ruf von Marla Stuartd Schönhett ihr en Dom im 
Auge war. 

In Schottland hatte nach dem Tode Sacob’5 V. deſſen 
Bittwe unter höchft fchwierigen Verhältniffen die Regierung ge: 
führt, denn der Abel lag mit dem Königthum in ftetem Kämpfe, 


der noch dazu mit Grauſamkeit und Barbarei geführt wurde. 


Was dad gemeine Volt betrifft, jo war ed in Unwifjenheit, Roh⸗ 
heit und Aberglauben verjunten und ließ ſich von einem unfitt- 
fichen Clerus ruhig Fnechten, während Sohann Knox (geb. 1505) 
mit feinen reformatorifchen Beftrebungen und durch die hinreißende 
Kraft feines Rebnertalents bei Dem denkenden Theile eine außer: 
ordentliche Begeifterung hervorrief, die fi bald in Erbitterung 
verwandelte, al8 jchwere Verfolgungen über den Apoftel der re: 
ligiöſen Freiheit hereinbrachen. So ftand 1559 Alles in voller 
Gaͤhrung. Noch ſchlimmer wurden die Berhältniffe dadurch, daß 
Maria Stuart'3 Oheime mit dem Plane hervortraten, die Ans 
ſprüche der jungen Königin auf den englifhen Thron durch 
Frankreich unterftügen zu laſſen. Sollte dies gelingen, jo mußte 
die franzöfifche Partei in Schottland geftärft, die reformirte da⸗ 
gegen wo möglidy geftürzt werden. Obwohl Maria, die regie- 
rende Königin: Witwe, die Gefährlichkeit diejed Unternehmens 
einfah, fo gab fie doch dem franzöſiſchen Einflufje nach, was eine 
Empörung ihrer reformirten Unterthanen zur Folge hatte. Zwar 
gelang ed ihr, durch franzöftiche Hülfstruppen den Aufftand zu 
unterdrüden, aber jegt wandten fi die Reformirten um Hülfe 
nach England, die ihnen auch ohne Berzug gewährt wurde. 
Eine engliihe Flotte erſchien an den fchottiihen Küften und 
zwang bie Franzoſen zu capitufiren; dazu fam, daß Maria jelber 
ftarb, und nun wurde von englifcher Seite mit den jchottiichen 
Ständen ein Bertrag zu Edinburg (I, 1) geichlofien, zufolge 
deſſen Franz II und Maria Stuart Titel und Wappen von 
England und Srland ablegen, die franzöjifchen. Truppen aber 


64 | Maria Stuart. 


abziehen jollten. Natürlich wurde diefer Vertrag auch der Marta 
Stuart zur Unterjchrift vorgelegt (1560); aber, von ben Guiſen 
gehegt, zögerte fie mit der Beftätigung beffelben. Kurz darauf 
ftarb ihr Gemahl, welchem in Frankreih Karl IX. unter Bor: 
mundſchaft der Kathartna von Medici folgte Somit war ſie 
nur noch Königin von Schottland, wohin fie jet zurückkehrte, 
indem fie auf der Reife ihr Geſicht traurig dem geliebten Jugend: 
lande zuwendete. 

So fam die neungehnjährige Maria Stuart, vermwittwet und 
verwaiſt im Sabre 1561 nach Schottland, um ihren Regenten: 
pflichten zu genügen. Aber wie war bie zu erwarten in einem 
Lande, dad unter den Wirren politifcher und religiöfer Parteiun- 
gen ſeufzte, bei einem Volke, deſſen finfterer Ernſt nur zu ge: 
neigt war, der jungen Königin ihre heitere Lebensanſchauung als 
Sünde, ihren fatholiihen Glauben ald Verbrechen anzurechnen. 
Die Religion war der nächte Anlap zum Mißvergnügen. Durch 
einen Parlamentsbeſchluß war dem Papfte alle Macht und Ge: 
richtöbarfeit aberfannt worden; mit Maria Stuart fah man den 
römiſchen Götzendienſt, wie man die Meſſe nannte, zurüdfehren. 
Maria fah wohl ein, daß fie, wenn fie fih auf dem Throne 
halten wollte, vor Allem mit der Königin von England in Frieden 
leben müfje; ſie fchidte deshalb den Sir Jacob Melvil ald Bot: 
ſchafter zu ihr, der durch fein einfchmeichelndes Weſen manche Dif- 
ferenzen auszugleichen wußte, dennoch aber fich veranlaßt ſah, feine 
Königin vor Elifabeth zu warnen. Inzwiſchen war Maria Stuart 
von ihren Unterthanen gedrängt worden, ſich aufs neue zu ver: 
mählen; auch Lord Burleigh jchien Died zu wünjchen, da ihm die 
Freundſchaft der beiden Königinnen keinesweges angenehm war. 
Er hatte ihr als Gemahl den Günitling der Elijabeth, Robert 
Dudley, Graf von Leiceſter, vorſchlagen lafien; fie aber 
wählte (1565) den jungen Grafen Heinrich) Darnley, der, wie 
fie, von Heinrih8 VIIL Schweiter Margarethe abjtammte, aljo 
ihr Better war. Died konnte Elifabetb unmöglich, gleichgültig 
fein, denn durch Marias Verbindung mit einem Sprößling aus 


Maria Stuart. 65 


dem Töniglihen Haufe wurde deren Anrecht auf den englifchen 
Thron nur geftärft. Indeſſen war die Ehe mit Darnley Feine 
glüdliche, denn Maria, an die feine franzöflfche Umgangsſitte ge: 
wöhnt, fand in ihm einen rohen Dtenjchen, von dem fie ſich un: 
würdig behandelt ſah. Es trat daher bald eine gegenfeitige Ab: 
neigung ein, die fich von Maria’8 Seite in Haß verwandelte, als 
Darnley den von der Königin begünftigten Geheimfchreiber 
Rizzio (I, 4) zu deren Füßen ermorden ließ. Wenige Donate 
nad diejer That ward Maria von einem Sohne entbunden, ber 
nachmals ald Sacob VI. ihr und Eliſabeths Nachfolger ward. An 
Rizzio's Stelle trat der Graf von Bothwell, einer der mäd): 
tigſten fchottifchen Edelleute, welcher, wie man behauptete, ihr 
das Verſprechen gegeben hatte, fie von Darnley zu befreien. 
Wenigſtens erfolgte dieſe Befreiung bald, indem Darnley in einem 
Sandhaufe bei Edinburg durch eine Pulvermine in die Luft ges 
fprengt wurde. Ob Maria an diefer That‘ (I, 4) irgend welchen 
Antheil Hatte, ift gefchichtlich nicht feitgejtellt; fo viel aber ift 
richtig, daß fie fih allen Abmahnungen zum Troß (1567) wit 
dem allgemein für den Mörder gehaltenen Bothwell (II, 3) ver: 
mäblte, der zu diefem Zwed von feiner Gemahlin gejchieden 
werden mußte. 

Unter ſolchen Umftänden war es fein Wunder, daß ſich 
Maria den Abſcheu ihred Volkes zuzog. Von einer Anzahl mäch— 
tiger Edelleute überfallen, mußte Bothwell entfliehen und ent: 
fam nad) Dänemarl, wo er nach zehnjähriger Gefangenſchaft im 
Kerker an Wahnſinn ſtarb. Maria felbft wurde nad Edinburg 
zurüdgeführt und auf dad Schloß Loch Leven gebracht, wo bie 
Stände fie nöthigten, die Regierung niederzulegen und die Krone 
an ihren unmündigen Sohn Jacob unter der Regentſchaft des 
Grafen Murray abzutreten. Sebt (1568) entfloh Maria nad) 
England zur Königin Elifabeth, die fi ſchon früher ald Ver: 
mittlerin in dem Streit zwifchen der ſchottiſchen Königin und 
ihren Unterthanen angeboten hatte. Im englifhen Staatörath 
entitand nun die Frage, was der Hülfefuchenden zu gewähren 

II. 5 


66 Marta Stuart. 


jei. Lord Burleigh fand e8 eben fo bedenklich, Maria gegen ben 
Willen ihrer Unterthanen auf den Thron zu feßen, als ihr zu 
gejtatten, daß fie fich an Frankreich wende, um deſſen Hülfe in 
Anſpruch zu nehmen. Aber auch te in England auf freiem 
Fuß zu laſſen, war eine höchſt mißlide Sache: man kam daher 
auf den in feiner Weife zu rechtfertigenden Ausweg, fie jo lange 
gefangen zu halten, bis der Streit mit ihren Unterthanen ent- 
ſchieden ſei. Zu ihrem eigenen Nachtheil ging Maria auf ben 
Vorſchlag ein, Bevollmäcdhtigte zu ernennen, die ihre Sache vor 
einem engliihen Gerichte vertheidigen follten, welches fie der 
Mitihuld an Darnleyd Tode anklagte. Da ein ficherer Beweis 
nicht zu führen war, jo wurde die Unterfuchung abgebrochen. 
Nichtsdeſtoweniger beharrte Elifabeth bei ihrem früheren Ent- 
ſchluſſe, Maria Stuart nicht eher zu fehen, als bis fie fi von 
dem Verdachte ded Gattenwordes vollſtändig gereinigt habe. 

Inzwiſchen hatte ich in einer Partei der engliſchen Großen 
ein Plan zu Maria’8 Befreiung entfponnen. Der Herzog von 
Norfolk (I, 1), einer der vornehmſten Edelleute ded Reiches 
und dad Haupt der Commiſſion, welde mit Maria's Angelegen: 
heit betraut worden worden war, wollte derjelben feine Hand 
reihen. Zu diefem Zwede fuchte er die Häupter bed englifchen 
Adels zu gewinnen, welche Elifabeth nöthigenfalls mit Gewalt”) 
zwingen follten, ihre Zuftimmung zu der beabfichtigten Bermäb- 
lung zu geben. Indeſſen ging Norfoll dabei jo unvorfichtig zu 
Werke, daß die ganze Verſchwörung vereitelt wurde, und auch 
der Plan, Maria zu entführen, jcheiterte. Seht wurde dieje noch 
ftrenger bewacht, er felber aber in den Tower geworfen. Als 
er, nachdem er aus der Haft entlafjen war, jeinen. erften Verſuch 
wiederholte, ſchlug das Unternehmen abermald fehl, und nun 
mußte er feine VBerwegenhett mit dem Leben büßen. 


*) Ein Plan, welcher dem Dichter ald Motiv zu Mortimerd Borjchlägen (II, 8) 
gebiet hat. 


Marta Stuart. 67 


Unterdeffen hatten fi die Unterhandlungen mit den fchot: 
tiſchen Ständen hingezogen, weldhe die Sache mit Widerwillen 
betrieben, während e8 Elijabeth wohl eben jo wenig rechter Ernft 
war. So waren bereit3 funfzehn Sabre vergangen. Die tief 
gebeugte Maria verzichtete jept auf jeden Wunſch, der fie an ben 
Glanz einer Königskrone erinnerte; fie war bereit, zu Gunften 
ihred Sohnes abzudanken und bat nur um Milderung ihrer Haft. 
Eliſabeth aber glaubte, ihren Verſprechungen nicht trauen zu 
dürfen; blieb ihrer Gegnerin doch immer dad nächite Anrecht auf 
den Thron. Dazu kam, daß die katholiſche Partei verfchiedene 
Berfuhe machte, fanatifhe Menfchen zu Dingen, welche die Kö» 
nigin von England ermorden follten, waß freilich ſtets fehlgejchla- 
gen war. Endlid) aber wurde (1586) ein Plan von Ballard und 
Babington (I, 7) entworfen, bei welchem fogar ein geheimer 
Briefwechfel in Chifferjchrift mit Maria gepflogen ward. Die 
Wachſamkeit des engliihen Mintfters Walfingham (bei Sc. 
II, 4 englifcher Geſandter in Spanien) entdedte die Verſchwö—⸗ 
rung, und nun verlangten die Stimmen im Staatsrath, daß eine 


.- gerichtliche Unterfuchung gegen Maria Stuart eingeleitet würde, 


um fo mehr, ald auf einer muthmaßlihen Thronerbin ein fo 
ſchwerer Verdacht nicht Iaften dürfe. Maria wurde jetzt nad) 
tem Schloffe Yotheringhay (ſ. d.) gebracht und ein Gericht von 
fünf Oberrichtern und vierzig Edelleuten, meiſt Yeinden ber 
Maria, eingejegt, um ihr den Prozeß zu machen. Es war ein 
durchaus unbefugtes Gericht, bei welchem noch dazu ein höchſt 
unregelmäßiged Berfahren (I, 8) ftattfand. Die königliche Ge: 
fangene hatte fi) anfangs geweigert, ſich dem Urtheile des Ge— 
richts zu unterwerfen; ald man ihr aber fagte, fie würde dadurch 
nur ihrem Rufe ſchaden, hatte fie fich gefügt. Ihre Verbindung . 
mit ben fremden Höfen leugnete fie nicht, wohl aber ihre Theil: 
nahme an dem hochverrätheriichen Plane Babingtond. Daß fie 
von dem Lehteren Briefe empfangen und ihren Schreiben Nau 
und Curle (V, 13) Befehl gegeben, biefelben zu beantworten, 
hatten diefe beichworen; indeflen erklärte fie dies Zeugniß für 
5* 


68 Maria Stuart. 


falſch und verlangte, mit ihren Belaftungdzeugen confrontirt zu 
werben, was in dem Nechtöverfahren jener Zeit jedoch nicht üb- 
lih war. Der Schluß der Unterfudhung ergab das Todedurtbeil, 
welched die Pflicht der Selbiterhaltung zu gebieten ſchien, da 
einerjeitö dad Leben der Königin, andererjeitd die Zufunft des 
Staates auf dem Spiele ftand. 

War dad Urtheil nun auch gefällt, jo mußte ed Doch voll- 
zogen und zu dieſem Zwed von der Königin unterzeichnet wer: 
den. Glifabeth fühlte wohl, welch eine jchwere Berantwortung 
ſie hiermit übernahm, und fuchte nad einem Ausweg, um eine 
öffentlihe Hinrichtung zu vermeiden. Maria’d Hüter Amias 
Paulet erhielt daher einen verjtedten Wint (I, S), der Boll: 
ftre£ung des Urtheild durch Gift zuvorzufommen, eine Zumuthung, 
die diejer mit fittlicher Entrüftung zurückwies. Sept ließ Elifa- 
beth ihren Staatdjecretair Davifon rufen und beauftragte ihn, 
den Befehl zur Vollftredung bereit zu halten und ihn ihr zur 
Unterjchrift vorzulegen. Es war ein fchwerer Kampf, den fie zu 
beitehen hatte; aber Maria Stuart war die Prätendentin ihres 
Thrones, fie war anderer Religion, fie war ſchöner ald Elifabeth 
— dad Alles fiel mächtig ind Gewicht, und fo wurde dad Ur: 
theil unterzeichnet. Daviſon erhielt ed jebt zurüd, um von dem 
Kanzler dad Siegel darunter drüden zu laffen; am folgenden 
Tage ließ fie ihm jagen, er möge damit noch warten, aber es 
war fchon gejchehen. Als fie ihn nunmehr wegen feiner Eilfertig- 
feit tadelte und ihn in Ungewißheit Tieß, was er zu thun habe, 
fragte er bei den Staatsräthen au, welche erklärten, die Voll⸗ 
jtredung müſſe ungeſäumt gefchehen, und fie jelber würden den 
Zorn der Monardin auf fi) nehmen. So übergab er denn den 
Blutbefehl den mit der Vollitredung beauftragten Grafen ‚von 
Shrewsbury, Kent, Derby und Sumberland, welche fich fogleich 
nad) Fotheringhay begaben und der Maria Stuart anfündigten, 
fie möge fih für den Morgen ded 8. Yebruar 1587 um acht 
Uhr bereit halten. In Betreff des tragifchen Abfchluffes dieſes 
hiſtoriſchen Dramas ift Sch. in feiner Dichtung der Geſchichte 


Marta Stuart. 69 


treu gefolgt; nur in Beziehung auf die Abendmahldfcene tft zu 
bemerken, daß Maria eine von dem Papft Pius V. geweihte 
Hoftie genoß, welche fie zu diefem Zwecke jeit langer Zeit auf: 
bewahrt hatte. Bor der Thür traf fie ihren alten Hofmeifter 
Andreas Melvil (V, 7), defien rührende Theilnahme fie faft 
aus der Faſſung gebradht hätte. Indeſſen ermannte fie jich und 
beitieg feften Schritte da8 Blutgerüft, Noch im Angeficht des 
Henferblod3 verſuchte Dr. Fletcher, der proteftantiihe Dechant 
von Peterborough, fie zum Uebertritt zur anglicaniichen Kirche 
zu bewegen, aber fie wollte ald Katholikin fterben. Erſt auf den 
zweiten Hieb fiel ihr Haupt. So ftarb Maria Stuart nad) bei- 
nahe neunzehnjähriger Gefangenſchaft in einem Alter von 45 
Jahren. Sie hatte früh gealtert, ihr Haar war ergraut, bie 
Spuren ehemaliger Schönheit waren längft verſchwunden. 

Als Elifabeth die Nachricht von dem Tode ihrer Gegnerin 
erhielt, zeigte fie fih im höchſten Grade beftürzt, vermünfchte 
den Dienfteifer ihrer Leute und ließ eine fcharfe Unterſuchung 
gegen ihre Räthe anftellen. Daviſon wurde ind Gefängniß ge: 
worfen und mußte eine Geldbuße von 10,000 Pfd. Sterling er- 
legen. Sie ſelbſt ſchrieb in den theilnehmenditen Ausbrüden an 
Marias Sohn Jacob VI. und rief den höchſten Richter zum 
Zeugen an, daß fie am dem Tode feiner Mutter unfchuldig ei; 
im Herzen aber war fie froh, der fteten Beſorgniſſe vor * 
Planen ihrer Feindin endlich überhoben zu ſein. 

Wenden wir uns nun dem Drama unſeres Dichters ſelbſt 
zu, ſo müſſen wir zunächſt auf die Vorwürfe hinweiſen, welche 
dem Stücke wegen ſeines Verhältniſſes zur Geſchichte gemacht 
worden find. Hoffmeifter, welcher dieſe Vorwürfe (IV, 248 ıc.) 
zufammenftellt, ift der Meinung, Sch. habe bier „fo viel Hifto- 
riſches verrüdt und übergangen und jo Vieles hinzugedichtet, daß 
diefe Tragödie von der Gejchichte beinahe eben jo ſehr abweiche, 
wie Don Carlos.” Wer unfjern eben gegebenen gejchichtlichen 
Abriß gelejen, oder wer ſich die Mühe nicht verdrießen lafſen 
will, die betreffenden Abfchnitte in Schlofjerd Weltgejchichte 


70 Maria Stuart. 


(Bd. XIII, ©. 140—165 u. 246—254) nachzufehen, oder auch 
F. A. Mignet’3 Gefchichte der Königin Maria Stuart (1851) 
und Genz Regierungsgeſchichte der Elifabeth und deflen Leben 
der Marta Stuart zu vergleichen, der wird dieſem Urtheil jchwer: 
lich beiftimmen. Wir müflen nur erwägen, daß ber Dichter und 
in feinem Drama nicht die Xebendgefchichte beider Königinnen, 
jondern nur die legten Lebenstage ber bereitö verurtheilten 
Marta Stuart vorführen will. Das ganze Stüd dreht fih um 
die Bollftredung oder Verhinderung des blutigen Actes, dem wir 
gleih von Anfang an entgegen fehen, ſowie um die letvenjchaft: 
lide Erregung der hierbei betheiligten Perjonen. Allerdings er: 
ſcheint Schillerd Maria Stuart. im Gegenſatz zu der hiftorifchen 
auch nod) in ihren legten Lebendtagen in blühender Geftalt, fo 
daß fie nicht nur den abwejenden Leicefter, fondern auch ven 
jugendlihen Mortimer, der fie fieht und jpricht, mit Liebesgluth 
entzünden kann; eben jo mag und Maria's Schuld, dadurch 
daß der Dichter fie in die Ferne rüdt, in milderem Lichte er- 
jcheinen, während die Macdhinationen ihrer Yeinde, die ſich vor 
unjern Augen vollziehen, das Gepräge planvollen Haſſes an ſich 
tragen. Das aber find poetifche- Freiheiten, die der Dichter fich 
wohl erlauben durfte; fonft find wejentlich biftorifch -unrichtige 
Thatfachen in dem Drama nicht vorhanden, wir ftimmen daher 
mit Palledfe, wie mit Rönnefahrt*) darin überein, daß Sch. mit 
feiner Maria Stuart „dem gefchichtlihen Boden und den daraus 
entipringenden Schranfen weder entflohen ift, noch „die gefchicht- 
lihen Thatjachen, welche die Hinrichtung der M. St. beglei⸗ 
teten, irgend wie veruntreut” babe. Wir dürfen Died um fo 
dreifter behaupten, ald Sch. gerade um diefe Zeit ) ſich ernſtlich 
mit Leſſings Dramaturgie bejchäftigte und fich ber Yorderungen, 
welche die Gefchichte an ein Drama zu machen berechtigt iſt, 
‘wohl bewußt war. Da der Dichter von feinen LXejern oder Zu: 


*) Berg. defien Erflärung der Maria Stuart; Leipzig bei Dyf. 
**) Vergl. Palleske IL, 304 und unjere Bemerkung Bd. I, S. 207. 


Maria Stuart. 71 


ſchauern die Kenntniß der betreffenden Geſchichte nicht immer 
vorausſetzen darf, ſo muß er dieſelben im Verlauf der Handlung 
mit den nothwendigen Thatſachen bekannt machen; wir erfahren 
daher auch in unſerem Drama das, was zum Verſtändniß des 
Ganzen unentbehrlich iſt, aus Maria's, Burleigh's, Paulet's und 
Hanna's Munde. Auf dem hierdurch gewonnenen hiſtoriſchen 
Hintergrunde erblicken wir die einzelnen Charaktere in ihrer lei⸗ 
denfchaftlihen Erregung; wir erbliden Elifabeth, weldhe über die 
Königin das Weib vergißt, wir erbliden Maria Stuart, welche 
über ihre weiblichen Sntereflen die Würde ihrer Stellung ver: 
nachlaͤſſigt. Beide bilden einen entjchiedenen Gegenfaß, jene ift 
die bandelnde, dieſe die duldende Heldin; aber Maria ift der 
Mittelpuntt, um welchen die Handlung fich drebt, aus deren 
Hintergrunde wir zwei flreitende Völker und zwei einander ent: 
gegenarbeitende religidje Principien hervorbliden fehen. Die Be- 
rechtigung der individuellen Sntereflen im leidenfchftlichen Sampfe 
gegen verjährte oder unrehtmäßige Gewalten, einen Kampfe, der 
aber nicht durchweg mit würdigen Waffen geführt wird, fondern 
in dem bei den meiften betheiligten Perfonen die Heuchelei da8 
eigentlihe Triebwerk ihres Thuns und Handelns ift, dad ift die 
Idee des Stüded, welches und neben dem Untergange einer un: 
glüdlichen Yürftin zugleich einen treuen Spiegel ihrer Zeit vor- 
führt. Somit find wir bereditigt, Marta Stuart als ein durd: 
aus hiſtoriſches Stüd zu betrachten. 

Gehen wir nunmehr zu einer näheren Betrachtung ber 
einzelnen Perjonen über. Wir beginnen mit der Königin Eli— 
Tabeth. Wenn e8 die Aufgabe des Gefchichtöjchreibers tft, ung 
in thr die Regentin mit bejonderer Beziehung auf ihre Wirkffam- 
fett Darzuftellen, jo bat es der Dichter vor Allem mit dem Mens 
ſchen und deſſen Sefinnungen zu thun. Daß Clifabeth als Kö⸗ 
nigin große Eigenschaften hatte, ift befannt, auch verleugnet Sch. 
biejelben keinesweges; aber eben fo bekannt tft es, daß die hifto- 
riſche Eliſabeth eine Meiftertn in der Verftellung war und fich 
beionderd bei der Hinopferung der Maria Stuart als eine Heuch⸗ 


72 Maria Stuart. 


lerin erwied. Der Gegenſtand ded Stüded verlangte ed daher, 
daß dieſe Seite ihres Charakterd in den Bordergrund geftellt 
wurde. Bon ihrem. eigenen Vater anfänglich verworfen, jpäter 
aber zu feiner Nachfolgerin beftimmt, hat fie den Thron beſtie⸗ 
gen, den ihr auch Niemand im Ernfte ftreitig gemadht; aber da 
fie ſelbſt an der abjoluten Legitimität ihres Erbes zweifelt, fo 
muß fie danach ftreben, fi ihrer Gegnerin gegenüber zu be- 
haupten. Durch ein Parlament beichräntt, befien Aufgabe es ift, 
den Willen des Volkes zur Geltung zu bringen, fühlt ſie fich in 
ihren abjolutiftifchen Herrichergelüften gebunden; dennoch gelingt 
ed ihr, ein Gefeb bdurchzubringen, das (I, 7) ausdrücklich auf 
Maria Stuart gemacht ift, und einen Gerichtöhof einzufegen, 
dem dieje ſich unmöglich unterwerfen kann. Aber man fol nichts 
von diefen Machinattionen merken, denn obwohl fie die Sklaverei 
des Volksdienſtes (IV, 10) innerlich verwünfcht und frei auf ib: 
rem Throne ftehen möchte, jo verfteht fie e8 doch, gegen den 
franzöſiſchen Sejandten wie Maria Stuart gegenüber mit der 
Liebe ihres Volkes zu prablen, und ftellt ſich fo, als ob fie in 
Betreff der Unterzeichnung des Urtheild nur dem Bollöwillen 
weiche. Wie in politifcher Beziehung, jo heuchelt fie auch in 
Betreff der kirchlichen Angelegenheiten. Obwohl dem Katholi: 
cismus innerlich nicht abhold, da er dem Abſolutismus eine der 
kraͤftigſten Stügen gewährt, bemüht fie fich doch, den Proteftantid- 
mus im Snterefje ded Staates zu ſchützen, alfo, wie aud bie 
Geſchichte berichtet, mehr aus Politif ald aus Weberzeugung. 
Der eigentliche Unterfchied der Confeſſionen ift für fie von ge 
ringer Bedeutung, aber infofern ein „herrſchwüthiger Priefter* 
(III, 4) ihre königlichen Rechte gefährden Kann, tft fie im Stande, 
ihren vollen Haß gegen bie Fatholifche Kirche auszufchütten. Die 
Religion ift ihr überhaupt nicht Herzensſache, fondern nur ein 
Mittel zum Zwed; denn wenn fie aud im Staatörath (II, 8) 
von dem Belftand Gottes fpricht, der die Könige erleuchtet, fo 
kann fie doch unmittelbar darauf (II, 5) den Mortimer loben, 
daß er fo früh der Täuſchung ſchwere Kunft erlernt. Nicht befier 


Maria Stuart. 13 


fieht es mit ihrer fogenannten Sungfräulichfeit aus. Wenn nur 
die Nachwelt fie als jungfräuliche Königin preift, fo tft fie ſchon 
zufrieden. Ihr Hauptftreben befteht eigentlich darin, unvermählt 
zu bleiben, jo daß die mit dem franzöſiſchen Dauphin vollzogene 
Berlobungdfcene nur ein Pofjenfpiel ift, durch welches Frankreich 
gehindert werden foll, energiih für Marla Stuart einzutreten. 
Wozu follte fie ſich auch vermählen, bat fie doch ihren treuen 
Leicefter, der ihr felbft im Staatsrathe jagen darf, wie nahe er ihr 
ftebt, dem fie (II, 9) Hagen kann, daß fie nicht wie Maria 
Stuart leben dürfe, die ſich jeglicheß erlaubt, und das unmittel- 
bar, nachdem fie (II, 5) Mortimer auf „die engften und zarteften 
Bande" Hoffnung gemacht, die dad Geheimniß ftiften jol. So 
fehen wir in Elifabeth eine Königin, die zwar regiert zu haben 
meint, wie ein Mann, der unfer Dichter deshalb auch mit rich: 
tigem Takte fein einzige8 weibliched Weſen an die Seite ftellt, 
Die aber doch nicht frei iſt von Gefallſucht und Eitelkeit. Ob⸗ 
wohl fie ihre Schwäche offenkundig zur Schau trägt, will fie doch 
in ihrem Beifein nichts von des Meibes Schwäche hören; gleich- 
wohl ift fie neidiſch und eiferfüchtig auf die Schönheit ihrer 
Gegnerin, fo daß fie dem Shrewsbury, ald er (II, 3) derjelben 
erwähnt, einen erniten Verweis ertheilen fann. Aber Leicejters 
Schmeicheleien und Aubefpine’3 galante Redensarten Tann fie mit 
Wohlgefallen anhören. Einem jo jcehwanfenden Charakter zu 
dienen tft eine fchwere Aufgabe; das empfindet Burleigh, indem 
er (I, 8) von dem „Zweifelmuth“ der Königin fpricht; das be: 
ftätigt fich, indem die, welche (II, 3) die Weisheit haft, die Blut 
befiehlt, unmittelbar darauf dem zur Milde ermahnenden Talbot 
fagen fann, fie ziehe die Räthe vor, die ihre Wohlfahrt lieben. 
Launenhaft, wie fie tft, tft ihr der Rath charaktervoller Männer 
unbequem, und wir begreifen ed wohl, daß fie in einem Augenblid, 
wo ernfte Herrjcherpflichten an fie herantreten, des Herrichens 
müde fein kann. Selbſt eine Heudhlerin, vertraut fie am lieb⸗ 
ſten Naturen, die ihr ähnlich find, wie Leicefter und Mortimer, 
wird dafür aber auch von beiden bintergangen; das tft ihr 


74 Maria Stuart. 


Schickſal. Und als ſie endlich ihre wahren Freunde verbannt 
und von ihren falſchen Freunden verlaffen wird, muß fie mit 
ihrem böfen Gewiſſen allein ftehen; das iſt ihre Strafe. 

Der Königin zur Seite fteht Robert Dudley, Graf von Lei— 
cefter fipr. Leiter”), nad Schlofler'8 Weltgeſchichte der begün- 
ftigte Liebhaber der Eliſabeth. Der biftorifche Leicefter wird als 
vornehm, eitel und hochmüthig und zu jedem ernften Gejchäfte 
untauglich gejchildert; er beherrichte die Königin, die ihn nicht 
‚entbehren Tonnte, mußte dafür aber ihre Launen erfragen; er 
ftand mit Maria's Bertrauten in Briefmechjel und gab auch 
fchließlih den Vergiftungsrath. Sch. hat den Charakter nicht 
geändert, wohl aber tbealifirt; Xeicefter ift bei ihm der Reprä- 
fentant der vornehmen Paird, die fih um Eliſabeths Hand be- 
warben, und zugleich der Hofmann, in defien Hand, die Intrigue 
des Stüded ruht. Er ift ein ganz paflendes Seitenſtück zu jet- 
ner Königin, eine eben fo heuchlerifche, eine eben fo ſchwankende 
Natur. Cr kann im Staatörath (II, 3) anders fprechen ald im 
Gericht und weiß died auch fchlau genug zu motiviren; von einer 
jelbftändigen Meinung aber ift bei ihm nicht die Rede, er richtet 
fih nah den Umftänden und nach den Launen der Königin. 
Natürlich muß er nun einem energiichen Charakter gegenüber 
vorfihtig auftreten, darum tft er in Sorgen, daß Burleigh ihn 
durchſchaue und vielleicht gar anklage. Aber einem Mortimer 
öffnet er fein Inneres; deſſen Religiondwechiel hat fein Ber: 
trauen erwedt, der wird es ihn ſchon glauben, daß ihn „der 
Zwang der Zeiten“ zu Maria’8 Gegner gemacht und daß er fie 
jest an ber Pforte des Todes aufſuche, daß er fie vor der Welt 
verfolgen, tm Stillen aber lieben könne. Dieje Liebe zu Maria 
Stunt ift die weſentlichſte dichteriſche Zuthat zu dem gefchicht- 
lichen Charakter des Leicefter, Durch fle erjcheinen die beiden Ko: 
niginnen als Nebenbuhlerinnen, durch fie wird die Intrigue des 


*) Des Rhythmus wegen ſchreibt Sch. im Text burchweg Lefter, während er 
ed in den Ueberſchriften an die englifche Orthographie hält. 


Marin Stuart. 75 


Stüdes bedingt. Daß Leicefter Maria wirklich liebt, zeigt fein 
Benehmen bei dem Empfange ihres Bildes, fo wie feine Ber: 
zweiflung am Schluß des Stüdes; aber fein Ehrgeiz iſt mächtiger 
als feine Liebe, er möchte fih ald Königin: Gemahl auf einem 
Throne fehen. Deshalb wirbt er im Stillen um zwei Königin: 
nen, Tann den „Sultandlaunen” feiner Gebieterin jchmeicheln 
und daneben den Weg zu Maria's Rettung im Auge behalten. 
Erft als Elijabeth fich verlobt, gewinnt die Liebe zu Maria die 
Dberhand; aber etwas zu ihrer Rettung zu wagen, dazu ift er 
zu feige. Rur in dem Augenblid, wo er jelbjt in Gefahr ift, 
feine einflußreiche Stellung zu verlieren, da giebt die Roth ihm 
den Muth (IV, 4), den Mortimer preid zu geben und ſich mit 
ber feinften Schlauheit zu rechtfertigen. Und als fich ihm end- 
lich jeder Ausweg verjchließt, da opfert er lieber die Geliebte 
auf., al8 daß er feinen Ehrgeiz beflegte. Erft am Schluß, wo 
er Zeuge der entjeglichen Folgen jeined unwürdigen Intriguirend 
fein ſoll, da erwacht fein beſſeres Selbſt und treibt ihn in frei- 
willige Berbannung. 

Die zweite Perjon in Eliſabeths Staatörath iſt William 
Cecil, nachmals Lord von Burleigh, der Geſchichte zufolge 
einer der vertrauteſten Rathgeber der Königin, ein Mann von 
großer Einſicht, aber von weitem Gewiſſen, für welchen mora— 
liſche Grundſätze auf dem Gebiete der Politik keine beſondere 
Bedeutung hatten. Der zu erreichende Zweck war ihm ſtets die 
Hauptſache, die Mittel machten ihm weiter keine Sorgen. In 
Betreff der reformatoriſchen Beſtrebungen ſprach er ſich mit 
Entſchiedenheit für die Losreißung vom Papfle aus, hatte dabei 
aber weniger die Religion ald die Kirche im Auge, die er ald 
eine Art politifcher Anftalt betrachtete. — Der dramattiche Bur⸗ 
leigh ift Großſchatzmeifter, der über die Sicherheit des Staates 
wacht und auf deflen Vortheil bedacht tft; als Vorfigender des 
Parlaments und des Gerichts tritt er für die Chrenhaftigfeit 
der Mitglieder ded lebteren ein; als eifriger Proteftant vertritt 
er auch dad Recht feiner Glaubensgenoſſen und arbeitet dem 


76 Maria Stuart. 


römiſchen Götzendienſt, wie er den Katholiciömus nennt, ener- 
giſch entgegen. Aber Burleigh ift fein ftreng fittlicher Charatter; 
er begnügt fi nicht nur mit dem Schein des Recht; fondern 
ift auch fähig, ich den geheimen Wünſchen feiner Gebieterin 
dienftfertig zu beweifen, ja jogar dem ehrlihen Amias Paulet 
die ruchlofe Handlung einer geheimen Mordthat zuzumuthen. 
Ebenfo tft er nicht frei von ungeredhtfertigter Leidenſchaftlichkeit, 
die ihm als Staatsmann und richterlihem Beamten durchaus 
fremd fein folltee Weberall fühlt man durch, daß er Maria 
Stuart haft, weil fie den Staatöinterefjen im Wege fteht und 
weil fie Katholikin tft. Sie nennt ihn deshalb einen Späher 
und will nicht, daß ihr Brief an Elifabeth in feine ungetreue 
Hand gerathe; ja fie jagt es ihm gradezu, daß er dem Gerichte 
den Geift geliehen, das auf fie gemachte Geſetz veranlaßt habe 
und ſich nun auch beeile, perfönlich ihr den Richterſpruch zu ver: 
fünden. Und allerdingd bat er fein gutes Gewiſſen, denn ob- 
wohl ein fchlauer Diplomat, kann er feine Gründe für die Hin 
richtung der Föniglichen Gefangenen nur jchlecht rechtfertigen und 
giebt auf die wohlbegründeten Cinwürfe derjelben jo auswei⸗ 
chende Antworten, daß dieje ihn zu wiederholten Malen auffor: 
dern muß, bei der Sache zu bleiben. Auch im Staatörathe er 
ſcheint er keineswegs ald bejonnener und unparteiticher Rathgeber, 
ſondern durchweg als Teidenjchaftlicher Verfolger feiner Gegnerin, 
der jede Regung der Milde in Elifabetbd Seele zu befämpfen, 
jeden Schritt zur Bejeitigung eined tragiſchen Abjchlufie der 
Berhandlungen zu hindern ſucht. Nah dem unglüdlichen 
Mordverfuch auf Elifabeth dringt er mit übermäßiger Eile auf 
bie Ausfertigung des Todesurtheils, und jo wie es unterjchrieben 
ift, entreißt er e8 dem Davifon, um die Vollſtreckung jo jchnell 
wie möglich zu veranlafien. Diejer übertriebene Dienfteifer aber 
führt fchlieglich feinen Sturz herbei; Elifabeth verbannt ihn von 
ihrem Angeficht. 

Neben Leicefter und Burleigb ift Georg Talbot, Graf von 
Shrewsbury, bie wicdhtigfte Perfon im GStaatörathe. Der 


Maria Stuart. 77 


biltoriiche Shrewsbury war der frühere Hüter der Maria, wel: 
cher fich durch die Milde gegen feine königliche Gefangene Vor: 
wurf und üble Nachrede zugog; fpäter gehörte er zu denen, welche 
mit der Vollftredung des Urtheild beauftragt wurden. Sc. hat 
ihm die Würde ded Großfiegelbewahrerd zuertheilt und feinen 
Charakter in jchönfter Weife idealifirt. Talbot iſt hochbetagt, 
Proteſtant, aber fein blinder Eiferer, fondern ein wahrhafter und 
aufrichtiger Charakter, deſſen ftrenges Gerechtigfeitögefühl mit 
milden Sinn gepaart ift, der nicht will, daß die Barmherzigkeit 
im Staatsrath ſchweige. Er erinnert lebhaft an den Grafen 
Lerma im Don Sarlod. Ein würdiger Vertreter ded Humani: 
tät3principß, erfcheint er ald Fürſprecher der Marta Stuart, der 
fi nicht fürchtet, fi dem Zorn feiner Eöniglihen Monarchin 
audzufegen, um die unglüdliche Gefangene zu retten. Aber er 
wendet nur edle und würdige Mittel an, um dieſes Ziel zu er: 
reihen. So ſucht er Maria wor der Zufammenkunft beider Kö— 
niginnen zu fprechen, um fie vorzubereiten; und nach dem von 
ihm felber abgewehrten Mordanfall auf Elifabeth bemüht er fich, 
diefe mit gewichtigen Gründen von dem Unredht ihred Borhabend 
zu überzeugen, indem er, auf den Frieden ihrer Seele bedacht, 
fie auf deffen Folgen aufmerkſam macht. Aber leider bleibt feine 
Auffaffung der Verhältniſſe eine individuelle; er vermag nicht 
Durdygudringen, die Perjonen, wie der Geiſt feiner Zeit find feinem 
Speal nicht reif, und jo zieht er fich ſchließlich auf fich felbit 
zurüd. 

Als Nebenperfonen an Elifabeth’3 Hofe find Davifon und 
der Graf von Kent zu erwähnen. Erſterer tft Staatöjecretair, 
ein Neuling in feinem Amte, das ihm feine Zeit läßt, an Hof: 
feftlichkeiten theilgunehmen und das ihn ungeachtet feined Eifers 
dennoch in eine höchft bedenkliche Tage bringt; legterer ſcheint 
eine Art Geremonienmeifter zu fein, denn die Art, wie er (II, 1) 
von den Hoffeftlichkeiten fpricht, beweift, Daß er Tebendigen Sinn 
und Geſchick für ſolche Dinge hat. 


18 Maria Stuart. 


Als Frende an dem füniglichen Hofe erfcheinen die Grafen 
Aubeipine und Bellievre. Aubefpine, der franzöfiiche &e- 
fandte, ift ein Hofmann, der nach der Sitte jeined Landes zu 
Thmeicheln und ſich in galanten Außdrüden zu bewegen verfteht; 
im Grunde aber fpielt er eine zweideutige Rolle. Denn obwohl 
er ſich darauf bejchränft, in der Empfangsſcene (II, 2) ein freund: 
liches Wort für Maria einzulegen, weiß er nach Mortimer’8 Ge- 
ftändniß (I, 6) um den Bund, weldhen die zwölf Zünglinge zu 
deren Befreiung gefchloffen, und begünftigt jomit die Verſchwö— 
rung gegen dad Leben der Königin. Als er daher nad dem 
fehlgefchlagenen Mordanfall Tommt, um fi in heuchlerifcher 
Weiſe nach dem Befinden der Monarchin zu erkundigen, muß er 
es fich gefallen Iafien, daß Burleigh ihn des Landes verweist. — 
Belliepre wird in der Geſchichte als Botichafter König Hein: 
rich’8 III. *) genannt. Die von ihm in Betreff der Verurthei⸗ 
lung Maria Stuart's abgegebene Erklärung, „fein König werde 
th für eine foldhe, allen Königen indgefammt und ihm inöbe- 
ſondere zugefügte Beſchimpfung rächen” bat Sch. dem Grafen 
Aubeipine in den Mund gelegt, während Bellievre nur als Ber- 
mittler des Heirathsantrages erfcheint. 

Wir fommen nun zu Maria Stuart, der Heldin des 
Stücks. Da fie ihren Gatten hat ermorden lafjen, eine That, 
zu der fie fich (V, 7) ſelbſt befennt, jo bat fie daS Recht der 
Könige verwirkt, um fo mehr ald Darnley mitregierender König 
war, alfo das doppelte Verbrechen eined Gatten- und Könige- 
morded auf ihr laſtet. Das ſchottiſche Volk Hat fie dafür zunächft 
mit Entthronung beftraft, der verdienten Todesſtrafe aber hat 
fie fi durch die Flucht entzogen. Al Ylüchtige und zugleich 
als Gefangene der englifhen Königin lernen wir fie in bem 


*) Auf Franz II, ben Gemahl ver Maria Stuart, der mır ein Sahr regierte, 
war der zehnjährige Karl IX. (1560—1574) unter der Megentfchaft feiner Mutter, 
Katharina von Medieis gefolgt; nad ihm keftieg Heinrich II. (1574 — 1589) 
den franzöfiichen Thron. 


Maria Stuart. 79 


Kerker von Fotheringhay kennen. Sch. läßt fie in noch jugenb- 
licher Schönheit erfcheinen, Liebe erwedend und Liebe begehrend, 
fo daß felbft der alte Shrewsbury ihr ein lebhaftes Snterefle 
zuwendet und Paulet ihr (I, 3) dreift jagen darf, an Mortimer 
werde ihre Kunst verloren fein. Gleichzeitig erfahren wir (III, 2) 
von ihm, daß fte ihn durch ihre „geichwinde Zunge” wohl häufig 
unangenehm beläftigt hat, und ſehen fie in frifcher Lebhaftigfeit 
ih (I, 6) für die Pracht des Tatholiichen Gotteödienfted wie 
(III, 1) für die Schönheiten der Natur intereffiren. So ift die 
jugendliche.Kraft noch nicht gebrochen, ungeachtet fie klagen darf, 
daß man ihr hart begegnet, was Paulet's Benehmen gegen fie 
hinlänglich beftätigt. Hat man ihr doch fogar einen SPriefter 
ihrer Kirche verjagt und es nicht an Bekehrungsverſuchen fehlen 
lafien, und muß fie doch in fteter Furcht leben, es könne ein 
Verſuch gemacht werden, fie heimlich aus dem Wege zu räumen. 
So ift fie allerdings gebeugt, aber keinesweges gefnidt, dad Be- 
wußtjein ihrer königlichen Würde ift ihr geblieben. Da fie nur 
noch eine Vergangenheit bat, fo Iebt fie vorzugsweiſe in dieſer; 
Zage grauennoller Erinnerung, wie den Tod ihre Gatten Darm: 
ley, feiert fie (I, 4) mit Buße und Faften; fie ift auch gern 
bereit, für ihre Vergehungen zu leiden, fo daß fie jelbft die An- 
fündigung ihred Todes mit edler Fafſung vernimmt. Aber gute 
und ſchlimme Eigenfchaften find in ihr gemifcht; aus ihrer leiden- 
Ihaftlihen Erregbarkeit und ihrem unbefonnenen Handeln fehen 
wir, daß fie eigentlich ein Kind des Augenblidd, und, wie in 
früheren Jahren, ein fchneller Wechjel der Stimmungen bei ihr 
möglich ift. So erſcheint fie (I, 2) mit dem Crucifix, während 
fie den Liebesbrief an Leicefter (I, 6) bereitd im Bufen trägt; 
jo kann fie raſch von ruhiger Refignation zu freudigen Lebens: 
hoffnungen übergehen. Aber in allen Leidensproben bewährt fie 
fih als Königin, die fich einer ſchmachvollen Behandlung nicht 
ohne weitered unterwerfen, ihrer Würde nicht? vergeben mag; 
ja felbft ihrer Gegnerin gegenüber kann fe ſich nicht erniedrigen, 


so Maria Stuart. 


fondern tritt, nachdem fie ſich vergeblich gebemüthigt, mit der 
triumphirenden Hoheit ihres Selbitgefühls auf. Dad leßtere 
darf fie mit gutem Gewifjen thun, denn an einem Mordpları 
gegen Elifabeth ift fie unfchuldig; aber für die längft gebüßte 
Blutſchuld früherer Sahre ift fie bereit, die Strafe zu erleiden, 
die man über fie verhängt. Obwohl fie für das an Darnley 
begangene Verbrechen die Abjolution ſchon längſt empfangen, 
fo fühlt fie fich deshalb doch nicht frei von Schuld; fie erfennt 
vielmehr in ihrem harten Schidjal einen Act der göttlichen Ge- 
techtigfeit und erwirbt fi) dadurch unfere Theilnahme- und unfer 
Mitleiden. Auf dieſe Weiſe innerlich geläutert, jtirbt fie als 
eine unrechtmäßig verurtheilte Königin in königlichem Schmud, 
als eine ihren Yeinden verzeihbende, mit ihrem Gott verfühnte 
Chriftin und hat ſich fomit fchlieglich zu einem Charakter ent: 
widelt, der und mit voller Hochachtung erfüllt. 

Das einzige weibliche Weſen, dad der unglüdlichen Königin 
in ihrem Kerfer zur Seite fteht, ift Hanna Kennedy, ihre 
Amme, die, von Anhänglichkeit und inniger Theilnahme für ſie 
erfüllt, auf jede Kleinigkeit achtet, ſtets für fie beforgt ift, fie 
zu beruhigen, zu tröften und gegen ungerechte Angriffe zu ver: 
theidigen ſucht. In religiöfer Beziehung ift fie nicht frei von 
Aberglauben, denn fie weiß die Verirrungen ihrer Gebieterin 
nicht nur mit deren jugendlichem Leichtfinn zu entjchuldigen, ſon⸗ 
dern jpricht auch von dem Einfluß böſer Geifter, ja jelbft von 
Höllenfünften und Zaubertränfen, die auf fie eingewirft. Eben 
fo findet fie im Gegenfa zu Maria Stuart dad Wejen bes 
Sottesdienftes in den äußeren Gebräudhen, und ift der Meinung, 
dag wenn man dem Prieſter gebeichtet, auch der Himmel ver: 
geben habe; ſonſt aber rührt jie und durch ihre aufrichtigen und 
ächt weibliden Empfindungen, vor Allem aber dadurch, daß fie, 
die ihrer Königin in den eriten Tagen der Kindheit eine treue 
Pflegerin war, ihr auch den lebten Liebesdienſt erweilen darf. 

Mit der Bewachung der Maria Stuart iſt der Ritter Amias 
Baulet beauftragt, ein Mann ven fcharfer Aufmerkſamkeit und 


Maria Stuart. 8 


forgfältiger Wachſamkeit, der feine Pflicht jo ftreng gewifſenhaft 
erfüllt, daß die Tönigliche Gefangene fich nicht mit Unrecht über 
jeine Härte beklagt. Allerdings hat er die fchwere Aufgabe, eine 
Liftige zu hüten, aber er überfchreitet fein Amt infofern, als er 
fih aus einem Hüter zu einem Erzieher feiner Gefangenen macht. 
Nicht nur, daß er ihre Fragen höchſt kurz und einfilbig beant: 
wortet, jondern er macht ihr auch Vorwürfe, zu denen er eigent- 
lich gar nicht berechtigt tft. Paulet ift Proteftant, und zwar 
ein Puritaner; es ärgert ihn, dab Maria Stuart mit der 
Abfiht umgegangen fei, England katholiſch zu machen; ja er 
geht in feinem Eifer jogar jo weit, ſich ihr als eine Art Seel- 
forger aufzubrängen, der fie zu feiner Confeffion berüber ziehen 
möchte, jonjt aber ift er gerecht, jo daß Maria felber ihm dad 
Zeugniß geben muß: „Ich hab’ euch ftetd ald Biedermann er: 
funden”. Paulet ift auch ein guter Patriot, denn es freut ihn, 
dag Mortimer fein treu altenglifch Herz zurüdbringt; deshalb 
giebt er ihm väterliche Ermahnungen, damit ed durch die Hof: 
Inft nicht verdorben werde. Aber eben weil ihm Englands Ehre 
heilig ijt, jo fürchtet er auch die gehäfligen Gerüchte über den 
Hodverrathöprozeß, mit defien Führung er fih nicht völlig ein- 
verftanden erklären kann; und wie fehr er Recht bat, beweift 
Burleigh's Mordantrag, eine Zummthung, die ihn innerlich em- 
pört, und die er um bed Gewiſſens willen entjchieden zurüd- 
weit. So ift Paulet, obwohl von peinlicher Treue in feinem 
Dienft, doc eigentlich ein freier Mann und neben Shrewsbury 
ein würdiger Vertreter des ungebeugten Rechte. Wie er es 
(I, 8) verlangt, fo geichieht ed; mit reinem Gewiflen wohnt er 
der Hinrichtung feiner Gefangenen bei, die ihm wegen des Todes 
feined Neffen ihr aufrichtiges Beileid bezeigt, und der er als 
legten Dienft die Gunft erwirkt, ihre treue Hanna die Augen- 
zeugin ihres Todes fein zu laflen. 

Paulet’3 Neffe, Mortimer, ift eine erdichtete Perfönlichkeit, 
in welcher fi das Streben aller derjenigen concentrirt, welche 
die ſchottiſche Königin aus ihtem Kerker befreien, Elijabeth 

II. 6 


82 Marta Stuart. 


befeitigen, den Proteftantismus außrotten und den Katholicismus 
in England wieder einführen wollten; gleichzeitig erinnert er 
aber auch an diejenigen, welche von den englifchen Deiniftern 
abſichtlich audgefchidt wurden, für Maria Stuart Complotte ans 

zuzetteln, um der Verurtheilung derjelben einen Schein des Rechts 
zu geben. Somit tft er, obwohl eine fingirte Perjon, doch ein 
biftorifcher Charakter. Weber feine Vergangenheit macht er (I, 6) 
felbft die nöthigen Mittheilungen. In der ftrengen Lehre der 
Puritaner aufgewachlen, lernt er zu Rom die Pracht des Tatho- 
liſchen Gottesdienste kennen, der Cardinal von Guife hat das 
Merk der Belehrung an ihm begonnen, die Zefuiten zu Rheims 
haben es vollendet; er iſt aljo Convertit und ſomit, wie faft 
alle ſolche Menſchen, ein fanatiiher Schwärmer. Sn feiner 
jugendlichen Erregbarteit faßt er das Weſen des Tatholiichen 
Gottesdienſtes vorwiegend von feiner finnlich - phantaftiichen Seite 
auf, während Maria, durch ernfte Erfahrungen an ihrem Sn: 
nern geläutert, den eigentlichen Werth der Religion in der idealen 
Erfaſſung ihres Gegenftanded erkennt. Auf diefe Weije bilden 
Mortimer und Hanna Kennedy zwei verjchiedenartige Gegen: 
füge zu Maria Stuart, fo daß der Dichter durch dad Auftreten 
dieſer drei Perfonen gleichzeitig drei verfchiedene Richtungen des 
fatholiihen Glaubens zur Anfchauung bringt. Aber religiöfe 
Schwärmerei ift ed nicht allein, wa8 Mortimer zu Maria's Be: 
freiung antreibt. Er hat zu Rheims ihr Bildniß geſehen, und 
der Biſchof von Roße hat ihn von der Gerechtigkeit ihrer Sache 
überzeugt. Sept fieht er fie jelbft und entbrennt von Liebe zu 
ihr, wodurch fein Muth und feine Entidlofjenheit zum Handeln 
zu leidenfchaftliher Aufregung gefteigert werden. Der Cardinal 
von Guiſe hat ihm jeinen Segen gegeben und ihn in der ſchweren 
Kunft der Verſtellung unterrichtet. Daß er ein jehr gelehriger 
Schüler ift, beweift er jogleich, ald er Elifabeth vorgeftellt wird, 
der er volle Ergebenheit heuchelt unter dem Vorgeben, er habe 
feinen Glauben nur zum Scheig geändert. Er geht daher auf 
Eliſabeth's Zumuthungen ein, fie deſto Ieichter zu täujchen 


Maria Stuart. 83 


und fein Ziel deſto ficherer zu erreichen. Aber jetne unfittliche 
Leidenschaft, die durch Maria's Triumph über ihre Gegnerin 
bis zur Raferei gefteigert wird, bringt ihn in Widerſpruch mit 
feiner eigentlihen Sendung, deren einziged Ziel die Befreiung 
der Sefangenen jein ſollte. Er aber will daneben ein jelbfttiches 
Snterefje verfolgen, e8 gilt ihm, einen Iäftigen Nebenbuhler aus 
dem Sattel zu heben. So verliert er die Befinnung, überſchaͤtzt 
feine Kraft und ſtürzt fi durch feine Berwegenheit ind Ber: 
derben. Obwohl er Leicefter'd Unfchlüffigkeit gefehen und ihn 
bereit als einen Heuchler kennt, fo geht er doch hin um ihn zu 
warnen, und wird von ihm verrathen. Da fomit Alles verloren 
ift, fo betrachtet er ih nunmehr ald Märtyrer für feine gute 
Sache und giebt fich ſelbſt den Tod. 

Wir ſchließen die Charakteriftil der handelnden Perjonen 
mit Melvil, dem Haushofmeiſter der Maria. Lange von ihr 
getrennt, erjcheint er am Morgen ihres Todes, und obwohl jelbft 
von fchmerzlicher Wehmuth ergriffen, gewinnt er doch Yaflung 
genug, um Andere zur Standhaftigkeit zu ermuthigen. Aber er 
thut noch mehr; er, der fonft die Außeren Angelegenheiten bed 
Haufed feiner Königin beforgt, übernimmt jetzt Die Sorge für das 
Heil ihrer Seele. Im Stillen zum Priefter geweiht, nimmt er 
ihr mit heiligem Ernft die Beichte ab und erfüllt ihr fo ben 
mit Härte abgejchlagenen Wunſch, ſich der Tröftungen ihrer 
Kirche erfreuen zu dürfen. Aber es tft nicht Die folge, allein 
felig machende Kirche, welche Maria bier mit ihrem Gott ver: 
föhnt; es ift der beffere Geift derfelben, der auch dem Anders: 
denkenden die Achtung nicht verfagt. Der echt evangelifche Ernft, 
mit dem der Dichter die Abendmahlsfcene behandelt, beweift, wie 
jehr e8 ihm am Herzen lag, auch die ftreitenden Elemente in 
der chriſtlichen Kirche mit einander verjöhnt zu ſehen ). Er 
erſcheint auch in diefer Beziehung ald Prophet einer Zeit, Die 
freilich bis jegt noch der Zufunft angehört. 


*) Bergl. das Epigramm „Mein Glaube*. 
6* 


84 Maria Stuart 


Indem wir und nun dem Gange der Handlung zumen- 
den, erinnern wir daran, daß Sch. zur Zeit, wo er Maria Stuart 
ichrieb, fih der an ein Drama zu ftellenden Eünftlerifchen An- 
forderungen immer deutlicher bewußt wurde; bei der Einfachheit 
der Idee, bei der leichten Ueberſchaulichkeit des Planes umd der 
Haren Durchfichtigkeit in der Ausführung defjelben wird ed Daher 
nicht ſchwer werden, den Yaden zu verfolgen, an bem die Reihe 
von Conflicten in unjerer Tragödie fich abſpinnt. 

Der erfte Aufzug, welder und die Erpofition zu liefern 
bat, will und mit der Lage der Berhältniffe bekannt machen, und 
die Parteien Tennen lehren und auf die Mittel hinweifen, welche 
ihnen zu Gebote ftehen. Maria Stuart figt zu Yotheringhan 
gefangen. Bon der Härte, mit welcher fie dort behandelt wird, 
befommen wir eine Anfchauung, indem wir ihre Wächter mit 
dem Erbrechen eined Schrankes beichäftigt jehen, aus welchem 
man ihr die leßten Koftbarkeiten wegnimmt. Hieraus entipinnt 
fih zwilhen der um Schonung bittenden Hanna Kennedy und 
Amias Paulet ald dem Bertreter feiner Monarchin ein Streit, 
der und mit dem Grunde und dem Zwed der Gefangenhaltung 
befannt macht. Nun erjcheint Maria felbft, bereit, dad Genom: 
mene freiwillig zu geben, wobei fie die Bitte außjpricht, der 
Königin Elifabeth einen Brief einzuhändigen, in welchem fie 
diefelbe um eine perfönliche Unterredung erſucht. Bon der Ab: 
nung ergriffen, daß ihr Untergang befchloffen ſei, will ſie ihr 
Zeftament machen und wünſcht Gewißheit ihres Schickſals. So 
ſehen wir glei mit den erften Scenen ber fich vorbereitenben 
Kataftrophe entgegen. Nachdem Paulet von Mortimer abgerufen, 
entfpinnt fi ein Geſpräch zwiſchen Maria und ihrer Amme, 
welches der Erinnerung an die Vergangenheit gewidmet ift und 
aud dem wir erfahren, welches Verbrechen die Gefangene tn 
Wahrheit verübt. Schon volljtändig bereit, fih in ihr Schickſal 
zu ergeben, erhält fie durch Mortimer's Hand ein Schreiben von 
ihrem Oheim aus Frankreich, dad ihr Hoffnung auf Rettung 
ankündigt. Was der verjchloffene Paulet ihr nicht Hat fagen 


Maria Stuart. 85 


wollen, erfährt fie jept von Mortimer. Sie ift verurtheilt, da 
Parlament und London verlangen ihren Tod; nur Eltjabeth 
zögert und möchte gern dur den Drang der Umftände zur 
Unterzeihnung des Urtheild genöthigt werden. Maria zweifelt, 
dat ihre Gegnerin einen ſolchen Schritt wagen könne; Mortimer 
Dagegen erinnert fie an Ähnliche Fälle aus der engliichen Ge⸗ 
ſchichte, damit fie fchnell die rettende Hand ergreife. Maria aber 
glaubt nicht mehr an dad Gelingen folder Rettungsverſuche, 
deren ſchon viele fehlgeichlagen find; fie bittet ihn vielmehr, er 
möge fich jelber retten und vermeift ihn auf Lord Leicefter, von 
welchem allein fie Erlöjung aus ihrem Gefängniß hofft. Ihm 
Ichict fle einen Brief mit ihrem Bildniß, damit er die an Elt: 
fabeth gerichtete Bitte bei derfelben befürworte. Aber gerade 
dieſe beiden Briefe, welche die Unterredung zwifchen beiden Kö⸗— 
niginnen bewirken follen, führen die Verwidelung ded Dramas 
herbei. Der erfte Brief an Eliſabeth hat allerdings nichts Be- 
denkliches; fchlimmer aber fteht e8 mit dem an Leicefter gerich- 
teten Briefe, mit welchem eigentlich die Intrigue beginnt. Aus 
biefen Briefe merfen wir, daß Maria Stuart ihre ehemaligen 
Schwächen noch nicht befiegt, daß fie bereit ift, dem Leicefter 
eine frühere Untreue zu verzeihen, und fegt, wo ſich die Hoff: 
nung auf Elifabeth’8 Verlobung eröffnet, dem freigeworbenen 
Höfling um den Preid ihrer Befreiung gern ihre Hand reichen 
möchte. Dieſer zweite Brief muß ihr durchaus verhängnißooll 
werden, da durch ihn Mortimer's Befreiungäpläne gekreuzt, Leis 
cefter aber veranlaft wird, die Unterredung herbeizuführen, die 
Ipäter den Ausſchlag giebt. 

Nachdem Mortimer die Königin verlaffen, führt Paulet den 
Lord Burleigh herein, der ihr Gewißheit ihres Schichkſals bringt. 
Er will ihr das Urtheil verkünden, fie aber unterbricht ihn, und 
fo entwidelt fich ein für die Aufklärung der Sachlage bedeutung: 
voller Wortwechjel. Während Maria die Competenz ded ®e- 
richted beftreitet, ift Burleigh bemüht, die Richter zu vertheidigen. 
Wir erfahren, was fich in den legten Monaten zugetragen, baß 


86 Maria Stuart. 


die Einfegung des Gerichtd eine bloße Formalität, Eliſabeth's 
Willkür dagegen die entjcheidende Stimme in demfelben geweſen 
ſei. Was Burleigh’3 Beichuldigungen betrifft, Maria firebe 
nach dem Throne, wolle England Tatholifiren, babe ſich mit 
defien Yeinden in verrätherifche Verbindung gejept und trachte 
jelbft der Königin nach dem Leben, fo ſpricht fie fi von dem 
legteren Vorwurf entſchieden frei und erflärt ſomit ein über fie 
zu fällended Todesurtheil für ungültig. Gleichzeitig läßt und 
der Streit Blide thun auf Englands Staatöverfaffung, feine 
Nechtöpflege, feine religiäfen Verhältniffe, fo wie auf feine ſturm⸗ 
bewegte Vergangenheit, Blide,. die und mit hoher Achtung vor 
des Dichterd gründlidem Studium erfüllen. Was ift nun das 
Reſultat dieſes Streites? Maria Stuart bekennt, daß fie nadh 
der Krone geftrebt, gern beide Völker hätte vereinigen mögen, 
leugnet dagegen, daß fie eine Verſchwörung angezettelt und den 
Bürgerkrieg habe entzüinden wollen; fie weift auf die Willkür 
hin, mit der man gegen fie verfahre, daß ein auf ihren Sturz 
berechneted Geſetz ihr den Untergang bereiten folle, und wir 
fühlen mit ihr, daß ihre Gefangenfchaft ein Verftoß gegen das 
Döllerrecht, dab es Mißbrauch der Gewalt tft, was fie erduldet. 
Bir fühlen die um fo mehr, ald Burleigh augenfcheinlich aus⸗ 
weicht und der Königin nicht in würdig - männlicher Weiſe Rede 
ftebt; ja wir merfen deutlich gemug, daß er keine ganz reine Sache 
vertritt, wie würde er fonft über das Gerichtöverfahren den 
Schleier des Geheimniſſes zu breiten fuchen und ſich im Stillen 
nad) Mörbderhülfe umfehen? Zu unferer Beruhigung findet er 
an dem offenen und reblichen Paulet einen energiichen Wider: 
ftand, und fo jehen wir dem weiteren Verlauf der Handlung mit 
Spannung entgegen. 

Der zweite Aufzug, in welchem wir bie Collifion oder 
Berwidelung zu erwarten haben, fpielt im Palaft zu Wejtininfter, 
wo es ſich für Elifabetb und ihren Staatörath um die Frage 
handelt, wie das gefällte Urtheil zur Ausführung zu bringen jei. 
Zn einer Einleitungdfcene erzählt Kent den Davifon von einem 


Maria Stuart. 87 


SHoffefte, und zwar von einem Ritterfpiel, in dem wir den lep- 
ten Reit der Turniere, die Darftellung des finfenden Ritter: 
thums in dem erkünftelten franzöfifhen Geſchmacke erbliden, 
Spiele, wie fie zu Ende des ſechzehnten Jahrhunderts, wo fie 
nach und nach aufbhörten, nur noch bier und da zum Ber: 
gnũgen erneuert wurden. Es tft ein Yeit, dad die Herren der 
franzöfifhen Geſandtſchaft dem englifchen Hofe gegeben, um die 
in ber folgenden Scene ftattfindende Brautwerbung vorzube- 
reiten. Durch eine Komödte eingeleitet, iſt auch diefe Verlobungs⸗ 
fcene von Seiten Elifabeth'8 nichts Anderes ala eine bloße Ko: 
mödie, wie fie deren mehrere gefpielt. Ungeachtet die wichtigften 
Artitel der Verbindung mit dem Herzog von Anjou (ſ. d.) bereitd 
aufgeſetzt find, ſpielt fie immer noch die jungfräuliche Königin, 
die bei der Ertheilung ihre Jawortes nur dem Drängen ihres 
Volkes nachgeben will; auch beweiſen die Worte, mit welchen fie 
die Ueberreichung des Verlobungsringes begleitet, deutlich genug, 
baß es ihr mit der Knüpfung des neuen Bandes wenig Ernft 
tft. Frankreich ſoll vorläufig nur von den für Maria Stuart 
und den Katholicismus wirkenden Mächten getrennt werden, um 
der unglüdlichen Königin eine ihrer Fräftigften Stüßen zu ent: 
ziehen; wir merken died an der Entjchiedenheit, mit welcher fie 
Aubeſpines Fürwort für Die Gefangene zurüdweift. 

Sn der folgenden Scene finden wir Eliſabeth mit ihrem 
Staatsrath beichäftigt, um über die Bollftredung bed Todes: 
urtheild zu verhandeln. Burleigb, der vor allen Dingen die con: 
feſſionellen Intereſſen und dad Staatswohl im Auge hat, dringt 
auf diefelbe, während Talbot, der Vertreter ded moralifhen Prin- 
cips, auf die Ungerechtigkeit eines folchen Acted hinmeift und der 
Milde und der Großmuth das Wort redet. Eliſabeth, hierdurch 
ſchwankend gemacht, wendet fih nun an Xeicefter, den gejchmet- 
digen Hofmann, der, ein ſchlaues Echo feiner Yürftin, einen 
Mittelweg ausfindig zu machen ſucht. Er fchlägt vor, die Voll: 
ſtreckung des Urtheild hinauszuſchieben, bis fich ein neuer Arm 
für Maria Stuart bewaffnet. So tjt allerdings die Möglichkeit 


88 Maria Stuart. 


vorhanden, den Knoten auch ohne Hinrichtung zu löfen; aber das 
Gewebe erjcheint und doch zu loder; wir merken: der Untergang 
Maria's wird nur verzögert, aber nicht aufgehalten; und fo weit 
wir Elifabeth Tennen, wiflen wir: fie hat ihren Staatörath nur 
zum Schein gefragt, fie felbft wird thun, was ihr beliebt; und 
läuft die Sade übel ab, fo kann fie ja die Schuld auf Ihre 
Räthe wälzen. 

Nach beendigter Berathung ftellt Amias Paulet der Königin 
feinen Neffen Mortimer vor, bei welchem fie fih nach kaum voll: 
zogener Verlobung mit einem franzöflichen Prinzen erkundigt, 
was fie von ihren Feinden in Frankreich zu fürchten habe. Hier⸗ 
auf überreiht Paulet Maria Stuart's Brief, in welchem bie- 
felbe um eine Unterredung bittet; Burleigh will die durchaus 
verhindert jehen, während Talbot und Leicefter anderer Meinung 
find. Endlich will Eltfabeth allein entjcheiden, aber wie? Sie 
behält Mortimer zurüd, eröffnet ihm, daß ihr Maria's Tod will: 
kommen fein würde, daß fie ihre Gegnerin indeſſen am liebften 
heimlich aus dem Wege geräumt fähe. Mortimer macht ihr auf 
Erfüllung ihres Wunjches Hoffnung, fagt jedoch gleich hinterher 
in einem Monologe, daß er die Königin täufhen, Maria aber 
retten und befißen wolle. Die bierauf folgende Warnung Pau⸗ 
let’8 erfcheint ſomit allerdings nicht mehr nöthtg, aber wir möchten 
fie um der Charakterzeichnung des redlichen Alten willen ſchwer⸗ 
lich entbehren wollen, um jo mehr als Leiceſter's Mittheilung, 
die Perjon der Gefangenen folle dem Mortimer uneingefchräntt 
vertraut werben, ihn nothwendig bedenflich machen muß. Denn 
fiher hat jein Scharfblid ſchon entdedt, daß fein Neffe das „alt⸗ 
englifche Herz“ doch wohl nicht fo treu zurüdgebracdht, wie er es 
anfangs gedacht. 

Sept ftehen Leicefter und Mortimer einander gegenüber, 
zwei Männer, die am Hofe ein Doppelte Geſicht zeigen, der 
eine mit ben Schleihwegen der Hoflabale genau vertraut, ber 
anbere im Begriff, diefelben als Neuling zu betreten. Schnell 
bat einer den anderen durchſchaut, und gegenfeitiged Mißtrauen 


Maria Stuart. 89 


ift der erfte Schritt zu ihrer Annäherung; fühlen fie Doch, daß 
fie auf gleichen Pfaden wandeln. Nach einigem Zögern gelangt 
nm auch Maria's zweiter Brief an feine Adrefie und bewirkt, 
daß die beiden Höflinge einander ihr Herz ausſchütten. Leicefter 
hat Maria Stuart ſchon lange geliebt, aber nichts zu ihrer Ret⸗ 
tung gethan; Mortimer’3 Liebe ift friih und feurig, feine Ret⸗ 
tung3pläne dulden feinen Auffhub. So ftehen Vorſicht und Zag⸗ 
baftigfeit auf der einen und Muth und Entichloffenheit auf der 
anderen Seite einander gegenüber, zwei Charaktere, bie flatt der 
von Maria Stuart erftrebten Bereinigung, einander nur abftoßen 
tönnen. In Leicefter bat fie fich, wie wir ſehen, bitter getäufcht- 
und von Mortimer’8 Weberftürzung wird fte, da jebt das Ge⸗ 
fühl der Eiferfucht jeine Leidenſchaftlichkeit fteigert, eher Schlim- 
me3 ald Gutes zu erwarten haben. In der That gehen beide 
hoͤchſt unbefriedigt auseinander. 

Sn folder Stimmung findet Elifabeth Lord Leicefter, der 
ih aber in jeder Verlegenheit zu helfen weiß. So eben hat er 
der Maria Stuart die Schwüre der ewigen Liebe gejandt, und 
unmittelbar barauf tft er von Elifabeth’8 Schönheit entzüdt und 
weiß den ihm drohenden Verluft auf's ſchmerzlichſte zu beflagen. 
Und Eltfabeth, die vor verfammeltem Hofe jungfräulich Berlobte, 
kann ihn in dem traulichſten Geſpräch ihrer Gegenliebe verfichern. 
Dieje Gelegenheit muß Leicefter benugen, jept kann er die Kö— 
nigin zur Einwilligung in die erbetene Zufammentunft bereden; 
benn gebt ihm Eltfabeth auch verloren, fo bleibt ihm Maria 
Stuart doch erhalten. ine Krone wenigftend wird er doch 
davontragen. So ſchwanken wir zwiſchen Furcht und Hoffnung. 
Die von Maria Stuart eingeleitete Intrigue hat ihre Wirkungen 
begonnen. Bird Mortimer’3 gefährlicher Plan gelingen, Marta 
Stuart zu befreien; oder wirb Eliſabeth's Tönigliche Nähe ihr 
Gnade bringen und der Wunſch mit Xeicefter fich vermählt zu 
fehen, ihr zu Theil werden? Das find die Fragen, mit denen 
wir von dem zweiten Acte Abichied nehmen. 


90 Maria Stuart. 


In dem dritten Aufzuge, welcher und bie Kataftrophe 
oder den Wendepunkt bringt, befinden wir und wieder zu Fo— 
theringhay, aber nicht zwifchen Kerfermauern, jondern in dem 
Part, mo der Gefangenen einige Stunden der Freiheit gegönnt 
find. In Hangvollen gereimten Strophen, die ſich theils in 
wentger fireng abgemeſſenen Samben bewegen, theild, wo bie 
Empfindung zu lyriſchem Schwunge fidh fteigert, in daktyliſchen 
Rhythmen dahineilen, macht ihr Gefühl fih Luft; es ift bie 
Sehnfucht nah Rettung, die nun in ihr erwacht, fie Hofft auf 
Befreiung, und zugleich erfahren wir, daß ihr Verhaͤltniß zu 
Leicefter auf wirfliher Herzendneigung beruht. Dem Briefe, 
den fie an ihn gefchrieben, glaubt fie die Vergünftigung größerer 
Freiheit verdanken zu müſſen; ftatt deſſen erfährt fie, daß ber 
an Eliſabeth gerichtete Brief gewirkt, und daß fie fich bereit-zu 
halten habe, die Königin zu empfangen. Dazu freilich taugt 
die fröhliche Stimmung, in der wir fie erbliden, keinesweges; 
im Gegentheil, es erwadt ihr alter Groll und läßt und das 
Schlimmſfte befürdten. Zwar erfcheint zum Glück der menſchen⸗ 
freundliche, edle Shrewöbury, um fie zu befänftigen und zur 
Gelaſſenheit fie zu ermahnen; aber was kann fein Zufprud in 
einem Augenblid helfen, wo die Aufregung jo heftig und feine 
Zeit zu innerer Sammlung gejtattet ift? 

Bald ftehen die beiden Königinnen einander gegenüber. Was 
die biftorifchen Perjonen bei der NRatification des Ebinburger 
Bertraged einander jchriftlich gejagt”), das bringt und der Dichter 
bier in münbdlicher Unterhaltung zu unmittelbarer Anſchauung. 
Wir ftehen auf dem Culminationspunkte des Stüdes. Nicht 
nur zwei ganz verſchiedene Charaktere jtoßen bier aufeinander, 
auch ganz verfchiedene Gründe haben fie zufammengeführt; Maria 
Stuart will fich rechtfertigen, Eliſabeth, durch Leicefter (II, 9) 
dazu veranlaßt, fie beihämen. Zwar verſucht ed Marta, bie 
ſich von vornherein zurüdgeftoßen fühlt; fich zu demütbigen, aber 


*) Bergl. Schloffer XIII, 141 und Mignet, ©. 337. 


Marta Stuart. 9 


Eliſabeth antwortet ihr mit dem Stolze des Pharifäers; ver: 
geblich kämpft Maria, das Gefühl der Bitterkeit in ihrem Sn: 
nern zu bejiegen, Eliſabeth bleibt jchroff und falt; und wenn 
die Gefangene auch zu jedem Schritt bereit tft, der zur Aus⸗ 
gleichung der politiichen Differenzen führen kann, die Verſchie⸗ 
denheit des religiöfen Bekenntniſſes trennt fie mit unerbittlicher 
Gewalt. Es dauert nicht lange, jo vergefjen beide ihre könig— 
lihe Würde, bald find ed nur noch zwei auf einander neidifche 
und eiferfücdhtige Frauen, die ich gegenüberftehen. Elifabeth 
verlegt ihre Gegnerin mit bitteren, höhnenden Worten, die ihren 
Stolz herausfordern; Marla Stuart fagt ihrer Yeinbin die bit: 
terften Wahrheiten, durch die fie ſich in ihrer weiblihen Ebre, 
wie in ihrer Töniglihen Würde verlept fühlen muß. Somit 
liegt von Geiten der ſchottiſchen Königin sine Majeftätöbelei- 
digung . vor, welche &lifabeth zur Unterzeichnung des Tobdes- 
urtheild berechtigt; und gerade die Unterhaltung, durch welde 
die Vollftreckung des Urtheild unmöglich gemacht werden follte, 
führt die Entſcheidung herbei; Die Vollziehung der Hinrichtung 
tft jeßt nicht mehr zu hindern. 

Allerdings hat Marla Stuart iu dieſem Gefpräh einen 
moraliihen Sieg über ihre Gegnerin davon getragen; aber fie 
fol dafür auch bald genug wieder gebemüthigt werden. Denn 
Mortimer, der heimlich zugehört und fich ihres Triumphes freut, 
berichtet, daß fie von Leicejter nicht? zu hoffen habe, ſondern 
dag er allein fie reiten wolle. Aber um welchen Preis? Er 
gefteht ihr feine Liebe, eine Liebe, die fie erfchreden muß; benn 
er vergißt, daß eine Königin ihm gegenüberfteht und behandelt 
fie in der wilden Gluth feiner Leidenfchaft wie jedes andere 
wehrloſe Weib, da8 rohen Angriffen nichts als feine perfönliche 
Würde entgegenzujepen bat. So wird Maria für den Leichtfinn 
geftraft, mit dem fie in früheren Zeiten ihre königliche Würde 
bei Seite gejept, und "augenblidlih vor dem Liebeswahnfinn 
ihres blindwüthenden Retters nur durch Die Ankunft bewaffneter 
Schaaren geſchützt, die dad Schloß umzingeln. Denn eine neue 


92 Maria Stuart. 


Unthat ift geichehen, ein Mordverfuh auf die Königin ift ge- 
macht, aber glüdlicherweije vereitelt worden. Jetzt fühlen wir, 
daß ed um Maria geſchehen ift, wenn fie Mortimer nicht ge- 
ftattet, das Aeußerfte für fie zu thun, dem Mortimer, dem fie 
ihre Ehre doch unmöglich anvertrauen kann. So jehen wir der 
Auflöfung des Zweifeld mit banger Erwartung entgegen. 

Der vierte Aufzug bringt uns nun die Löfung des Kno— 
tend. Wir befinden und, wie im zweiten Act, in dem Palafte 
der Königin. Graf Aubeipine, von dem wir bereitö (I, 6) aus 
Mortimerd Munde erfahren, daß er um die zu Maria Stuarts 
Befreiung getroffenen Anftalten weiß, erſcheint gleichwohl, um 
fih nad) dem Befinden der Königin zu erkundigen. Hier erfährt 
er, daß ein Franzoſe den Streich geführt, daß man ihn jelbft 
von Schuld nicht frei ſprechen könne; ja Burleigh fordert ihn 
auf, England aufs fchleunigfte zu verlaffen und theilt ihm mit, 
daß die Königin dad Verlöbniß rüdgängig gemadt babe. Die 
Berihwörung Mariad mit Frankreich ift aljo am Tage und fomit 
ein politifcher Grund zur Unterzeichnung des Urtheild vorhanden. 
Nunmehr entipinnt fi ein Streit zwiſchen Leicefter und Bur⸗ 
leigh, indem einer auf bed andern Fähigkeiten, wie auf befien 
Taktik ſchmaͤlt. Bald fühlt Keicefter, fein Gegner ahne, daß zwi« 
fhen ihm und Marla Stuart Einverftändnifie ftattgefunden, und 
um feine Beforgniß zu fteigern, erjcheint auch Mortimer, den er 
jebt um jeden Preis los fein möchte. Aber feine Warnung darf 
er nicht verachten. Mortimer theilt ihm mit, daß man bei der 
Unterfuhung in Maria Stuartd Zimmer einen angefangenen, an 
ihn gerichteten Brief gefunden, der in Burleigh8 Händen fei. Sept, 
denkt jener, wird dem Lord nichts weiter übrig bleiben, als mit 
Elifabeth zu brechen und auf die noch möglihen Rettungöplane 
einzugehen; aber nein, 2eicefter benutzt dieſe Mittheilung zu fel- 
"ner eigenen Rettung und läßt Mortimer als Staatäverräther 
gefangen nehmen. Diefer, von der unerwarteten Wendung, fel- 
ned Schickſals überrafcht, fühlt ſchnell heraus, daß fein Zeugniß 
dem mächtigen Lord gegenüber feine Bedeutung haben und daß 


Maria Stuart. 98 


das Schaffot fein Loos fein werde, deöhalb hüllt er feine Ab: 
fihten in ewige Schweigen und giebt ſich jelbft den Tod. 

Der verhängnißvolle Brief Maria Stuart? an Leicefter ift 
inzwifchen auch in die Hände der Königin gelangt; was könnte 
Lord DBurleigh auch Geeigneteres thun, um den ihm unbeque: 
men Höfling zu verdrängen und fich die erfte Stelle zu erringen. 
Natürlich iſt Elifabetb im höchſten Grade erbittert, Lord Lei: 
cefter jo in den Tower geworfen und ein ſtrenges Gericht über 
ihn gehalten werden; aber er ift ſtolz und kühn genug, unge: 
achtet erhaltener Abweiſung zu erfcheinen und nad) Mortimerd 
Rath zu zeigen, „was eine kecke Stirn vermag.” Schlau und 


liftig weiß er Elifabeth zu bereben, daß die geheime Correſpon- 


denz zwilchen ihm und Maria Stuart feinerfeitd ein Kunftgriff 
gewejen, die Yeindin deſto ficherer zu verderben, ja, er dreht 
fett die Sache fo, ald babe er auf diefe Weife den Plan zu 
Marias Befreiung entdedt und ihn durch Mortimers Gefangen: 
nehmung vereiteln wollen. In meifterhafter Weije zeigt er, wie 
ein fchlauer Lügner ed anfängt, um einen Sieg über die Wahr- 
beit zu erringen. Die einfach jchlichte Art, wie er den Offizier 
der Leibwache Bericht über Mortimerd Tod erftatten läßt, ift 
von Acht dramatifcher Wirkung, fie ift geeignet Elijabeth zu 
überzeugen und Lord Burleigh aus dem Felde zu ſchlagen; um 
fih aber wieder mit völliger Sicherheit auf feinem Poiten zu 
behaupten, ſtimmt er nun für Mariad Hinrichtung, deren Voll⸗ 
ftredung ihm durch den nicht minder ſchlauen Burleigh übertra- 
gen wird. 

Sept handelt ed fih nur noch um die Unterzeichnung des 
Todedurtheild. Da kommt der Königin, die ſtets fo gern ſich 
drängen läßt, der Pöbel Londons zu Hülfe, ed entfteht Tumult 
in der Stadt. Gleichzeitig erjcheint die verhängnißvolle Schrift, 
die ihr aber doch Entjepen einflößt, und es gilt, einen abermalt- 
gen Kampf zu beitehen. Shrewsbury und Burleigh machen, 
- natürlich jeder feiner Anfchauungweije gemäß, ihren ganzen Ein- 
fluß geltend, bis Elifabeth endlich, des unruhigen Zweifelnd müde, 


94 Maria Stuart. 


ſich entſchließt, die Sache dem höheren Richter vorzutragen. 
Statt deſſen Hält fie fi in einem Monologe alle ihre Noth und 
alle ihre Tugenden vor; endlich fiegen Eitelkeit und Eiferfucht. 
Maria tft ed, die ihr das Herz ded treuen Leicefter abgewenbet, 
fie ift Schuld, daß die Verlobung mit dem Dauphin hat rüd: 
gängig gemacht werden müſſen. In diefer Stimmung greift fie 
nach der Feder; und fo fehen wir fie fchließlich weder aus po: 
litiſchen noch aus religiöfen, fondern aus rein perfönlichen Rüd- 
fihten das Todedurtheil unterzeichnen. Da fle den Yleden, der 
an ihrer fürftlihden Geburt haftet, nicht tilgen kann, fo muß fie 
Mariad Anſpruch auf den Thron anerkennen; ift diefe aber be- 
feitigt, jo muß nad) ihrer Anficht jeder Zweifel ſchwinden. Jetzt 
ruft fie Davtfon und hört von ihm, daß Shremäbury das Voll 
beruhigt, daß fie alfo durchaus nicht mehr gedrängt wird; aber 
ed ift zu fpät, ber verhängnißvolle Federftrich tft getban. Wäre 
fie jegt wirklich im Stande, zu regieren wie ein Mann, fo würde 
fie ihre Unterfchrift mit voller Zuverficht vertreten; aber fle ift 
eben nur ein Weib, darum übergiebt fie dad Papier, an welchem 
Tod und Leben, an dem ihr guter Ruf, der Frieden ihrer Seele 
hängt, einem Staatöfecretär, einer untergeordneten Perjönlichkeit, 
und noch Dazu, ohne beitimmte Anweiſung, was er damit zu 
thun habe. Wir jehen, fie hat unterzeichnet, aber fie will die 
Berantwortlichfeit von ſich abwälzen, oder, befler gefagt, ihr 
entfliehen, darum läßt fie den armen Davifon rathlos ftehen. 
Sept kommt Burleigh, Mariad böjer Genius; er entreißt dem 
Secretär die Schrift, und nun tft es um ihr Leben gefchehen. 
Die Entſcheidung tft gefallen, wir jehen nur noch der VBollitredung 
entgegen. 

Auf den fünften Aufzug find wir vollitändig vorbereitet. 
Marta Stuarts Urtheil ift unterjchrieben und in Burleighs Hän- 
den. Ihr Schickſal ift alfo gewiß; es fragt fih nur nod: Wie 
wird fie ihm entgegen gehen? Der Dichter führt und nach Fo— 
theringhay und zwar in dafjelbe Zimmer, dad und im erften Act 


Maria Stuart. 95 


empfing. Hanna Kennedy ericheint in Trauer, und der alte 
Melvil kommt, von feiner Königin Abjchied zu nehmen. Wir 
erfahren, daß Marta ihre Befreiung durch Möortimer erwartet 
bat und auf dem Gipfel ihrer Hoffnungen durch die Borberei- 
tungen zur Hinrihtung überrafht worden if. So entſezlich 
diefer Wechſel für die Gefangene, jo erjhütternd für die Zur 
ſchauer ift Margarethe Kurld Mittheilung, ihr Gatte habe falich 
gezeugt, Marta ſterbe aljo unſchuldig. Nunmehr erfcheint dieſe 
jelbft, wie bei ihrem erften Auftreten in frommer &rgebung, fo 
bier, nachdem fie fih unter die gewaltige Hand Gottes gede: 
mäütbigt, in würbdiger Faſſung. Noch einmal verfammelt fie ihre 
gejammte Dienerfhaft um fich, die, früher wohl leichtfertig und 
eigenmüßig, jebt dad wohlthuende Bild aufrichtiger Liebe und 
treuer Anbänglichleit darbietet. Alle erjcheinen geläutert wie 
ihre Königin, deren legte Worte jegt an unfere Seele dringen 
follen. Nachdem fie ihre Dienerfchaft mit freundliden Worten 
und rührenden Zeichen der Erinnerung entlafien, bleibt fie mit 
Melvil, dem fie die legten Wünſche für ihre Angehörigen über: 
geben, allein zurüd. Alles Zeitliche tft jetzt berichtigt, der Welt 
bat fie entfagt, jetzt gilt es, fich mit dem höchften Wefen zu ver: 
einen. Da man graufam genug ift, ihr einen Prieſter ihrer 
Kirche zu verfagen, aus deſſen Händen fie das Sacrament em: 
pfangen könnte, fo ift jie geneigt, dem Melvil ihre legte Beichte 
abzulegen, der ſich ihr jetzt ald geweihter Priefter zu erkennen 
giebt. Sie befennt ſich des Haſſes gegen Elifabeth, der ſündi⸗ 
gen Liebe zu Keicefter, jo wie ded an Darnley verübten Berbre: 
chend jchuldig, aber von den Anfchlägen gegen Eliſabeths Leben 
ipricht fie fi frei. So übergiebt ſie fich dem Gerichte Gottes 
und ift alfo würdig, daß ihr das Abendmahl ald Zeichen ber 
Gnade und Berjöhnung gereicht werde. Sie enıpfüngt ed ala 
Katholitin, aber in proteftantiicher Form und mit evangelifchem 
Herzen. Da fie den Kelch des Leidens bis auf ben Grund ge 
feext, jo wird ihr auch der Kelch als Sinnbild ber völligen 


96 Maria Stuart. 


Berjöhnung gereicht, denn fie bedarf jebt feines Vermittlerd mehr, 
fie hat das Werk der Reformation an ihrem Innern felbft voll: 
zogen. 

Der Gedanke, eine Communion auf die Bühne zu bringen, 
war von Schiller mit Goethe beiprochen worden, welcher ihn er: 
ſuchte, die Function felber zu umgehen, da ihm nicht wohl dabei 
zu Muthe jei. Schiller mochte fich hierzu nicht entichließen, da 
er nicht begreifen Tonnte, wie ein Vorgang diejer Art das reli- 
gidje Gefühl beleidigen könne. So iſt unjerer klaſſiſchen Kitera: 
tur eine der erhebenditen Scenen gerettet worden, die und gleich: 
zeitig mit voller Hochachtung vor dem fittlich:religiöfen Charakter 
unfered Dichterö erfüllt. Freilich ift der Eindrud, den fie beim 
Lefen macht wohl ein anderer ald der durch die Aufführung ber: 
vorgerufene, wo die finnfihe Erſcheinung zu mädtig an ben 
gotteödienftlichen Act erinnert, den wir ald den beiligften zu be: 
trachten gewohnt find, und den wir nicht gern an einer Stätte 
erbliden mögen, die gleichzeitig manchen profanen Zweden dient. 
Es erflärt fich daher, daß dieſe Scene gleich bei der erften Auf: 
führung in Weimar Anftoß erregte und deöhalb fpäter lieber 
fortgelafien wurde. An und für ſich aber ift fie allen Denjeni: 
gen zur Beherzigung zu empfehlen, die nicht mübe werben, 
Schiller wegen feined Mangeld an evangeliihem Chriftenthum 
zu verfegern. 

Nachdem die heilige Handlung vollzogen, erfcheinen die bei- 
den Commiſſarien Burleigh und Leicefter nebſt Paulet, in deſſen 
Hände Maria ihr Teftament niedergelegt. ALS fie Leicefter er: 
blickt, erinnert fie ihn mit ſanftem Borwurf an feinen Verrath. 
Wir jehen, fte liebt ihn noch, aber frei von jedem irdiſchen Ber: 
langen; nur einen wohlgemeinten Wunſch drüdt fie ihm noch 
aud. So verläßt fie ihren Kerfer und fcheidet frei, wie ein ver- 
Härter Geift, während Leicefter, innerlich vernichtet, zurüdbleibt 
und fi nicht überwinden kann, fie fallen zu ſehen. ‘Mit be: 
klommenem Herzen laufchen wir feinen Worten, die und verfün- 
den, was hinter der Scene gejchieht; ihn ſelbſt aber ſehen wir 


Maria Stuart. 97 


unter ber Laſt feines Schuldbewußtfeind zufammenbrechen, feine 
Heudhelei hat jetzt ihr Ende erreicht. 

Die zweite Hälfte ded legten Actes führt uns fchließlich 
nad London, wo wir Elifabeth in heftiger Aufregung erbliden. 
Ste hat nach den beiden Lords geſchickt und erfährt, dag fie in 
aller Frühe abgereift find; das Todesurtheil tft alfo vollftredt. 
Sept fühlt fie fih als Königin von England, die Yeindin ift 
nit mehr zu fürchten, aber die Heuchelei wird fortgejegt, denn 
e3 gilt, den guten Schein vor der Welt zu retten. Leider erfährt 
fie nun zu ſpät, daß Kurl, von Gewiffendbifien gefoltert, erflärt, 
er babe falſch gezeugt; dennoch will fie Mariad Schuld von 
neuem unterfuchen laffen; ift ihr doch, wie wir wifjen, daran 
gelegen, daß (II, 5) ihr Antheil an dem Tode derjelben in ewi: 
gem Zweifel bleibe. Darum wird Davilon in den Tower ge: 
worfen, auf Leib und Leben angellagt, und Burleigh, der ihrem 
Willen ftet3 fo dienftbar fich gezeigt, wird jept von ihr verbannt. 
Nun hat fie nur nody Shrewsbury und Keicefter. Uber der treue 
Sroßfiegelbewahrer, den fie plöglich unter ihren Räthen allein 
gerecht erfunden haben will, kann einer folchen Herrjcherin nicht 
ferner dienen; und als fie Leicefter rufen läßt, erfährt fie, daß 
diefer fich geflüchtet, dab felbjt die todte Maria ihr den Ge⸗ 
liebten auf immer entrifien bat. So ſteht die mächtige Königin, 
von Allen verlafien, auf ihrem Thron allein, ganz wie die bi: 
ftoriiche in erheuchelter ruhiger Faſſung; aber wir fühlen ed mit 
ihr, die Prophezeihungen des alten Shrewäbury (IV, 9) werden 
fich fürchterlich an ihr erfüllen. Denn wenn fie auch als Sie: 
gerin aus dem Kampfe hervorgeht, ihr beſſeres Selbft hat fie 
verloren, während Maria, obgleich fie unterlegen, ihr edleres 
Theil gerettet bat. 

Daß Maria Stuart ein Kunſtwerk im edelften Sinne bes 
Wortes tft, darüber find faft alle Commentatoren einig, wenn 
and Einer oder der Andere diejed oder jened Einzelne daran 
auszufeßen bat. Schiller fchreibt beim Beginn der Arbeit: 
„Wüßten ed nur die allezeit fertigen Urtheiler und leichtfertigen 

uU. 7 


98 Maria Stuart. 


Dilettanten, was e8 Toftet ein ordentlihes Werk zu erzeugen!” 
Was das vorliegende Werf gekoftet, merkt man erft bet genaue- 
rem Studium defjelben. Mit welder Gewiſſenhaftigkeit der 
Dichter die biftorifche Treue gewahrt, und wie gründlich ein: 
gehende Borftudien er zu feiner Arbeit gemacht, wird aud dem 
Borangegangenen ar geworden fein. Außerdem aber verdient 
die meifterhafte Anordnung der größtentheild höchſt wirkungs⸗ 
vollen Scenen, die durchfichtige Klarheit in Anlage und Aus: 
führung ded Plane, die Schärfe und Beftimmtheit in der 
Zeichnung der Charaktere, von denen jeder einzelne von Dem 
Dichter mit Aufgeben feiner Subjectivität dargeftellt ift, unſere 
ganze Bemunderung. Mehr als in feinen früheren Dramen 
ſchließt er ein eigentliched Raifonnement aus und läßt unter rein 
objectiver Erfaſſung feines Gegenftandes die ihn leitenden Ideen 
überall zwifchen den Zeilen bervorbliden. Daß dad Ganze von 
tief fittlihen Ernfte durchweht und in einer ungemein würde- 
vollen Sprache dargeftellt ift, fühlt jeder denkende Leſer fogleich 
heraus; was aber den Dramatiker mit Rüdficht auf feine höchfte 
Aufgabe abelt, das tft feine unparteiiſche Gerechtigkeitsliebe. 
Sch. jteht in feiner Marta Stuart durchaus über den Parteien, 
läßt jeder, jo weit dies möglich, Gerechtigkeit widerfahren, über- 
führt aber auch jede, wo ed nothwendig, des Srrthums, in dem 
fie noch befangen if. So verkündet er, auf dem gefchichtlichen. 
Boden des ſechzehnten Sahrhunderts ftehend, den Anbruch einer 
neuen Zeit, weift auf die idealen Ziele bin, nach denen die edle 
ren Naturen zu ftreben haben und wird daburd, was jeder 
Dichter fein fol, zu einem Lehrer der Menſchheit. 

Marionette, Bezeichnung für Heine Puppen mit beweglichen 
Gliedern, bei. ſolche, die auf Theatern durch Dräthe in Bewe- 
gung gejebt werden können; daher (Öftf. 10, 185) „die Ma: 
rionette“ oder der Menſch, ber den Geift vorftelite; bildl. 
werben erbärmlihe Menſchen (8. u. 8. IL, 1) „Sclaven eines 
Marionettendbrath3”; „feile Sclavenfeelen” (Wft. T. I, 7) „Drath- 
maſchinen einer Kunft”; ſchaͤndlich unterbrüdte Menichen (R. V, 1) 


Markftein — Marſchall. 99 


„Puppen eines ſataniſchen Spiels“ genannt; und (F. 11, 17) 
ſagt Fiesco zu dem ſtolzen Maler Romano: „Du prahlſt mit 
Poetenhitze, der Phantaſie markloſem Marionettenſpiel, ohne 
Herz, ohne thatenwärmende Kraft“. 


Markſtein (Geb. D. Größe d. Welt), ſ. v. w. Grenzftein. 


Marne (J. v. O. MI, 5), ein Nebenfluß der Seine, welcher 
bei Paris in diejelbe mündet. 


Marquis, urfprünglich |. v. w. Markgraf; |päter ein Adels⸗ 
titel in Yranfreih und einigen anderen Ländern (D. C. 1, 2); 
ital. Marcheſe (%. U, 4 — GEſtſ. 10, 166); Marquiſe, od. 
bei Sch. Marquifin (D. ©. I, 3), die Gemahlin oder Tochter 
eined Marquis. 

Mars, |. Ares. — (Wit. T. I, 1), der vierte Planet unfered 
Sonnenſyſtems. 


Marſchall, altd. wörtl. ein Pferdeknecht, ſpäter der Ober: 
aufſeher über den Kriegs- und Hofſtaat eines Fürſten; daher 
(J. v. O. IV, 6) Stabträger, Aufſeher und Anführer bei öffent- 
lichen Feſtlichkeiten; endlich Krongroßmarſchall (Dem. I.) 
einer der Kronbeamten (ſ. d.), wie auch Lordmarſchall (M. 
St. IV, 2). — Der Marſchall von Sachſen (R. III, 2) tft 
Morig, ein illegitimer Sohn Auguft’8 IH. (Kurfürften von Sachſen 
und König von Polen) und der Gräfin Aurora v. Königdmarf. 
Nach zahlreichen politifchen Abenteuern trat er in die Dienfte 
Ludwig's XV. von Frankreich und erfocht den Franzofen ihren 
einzigen großen Sieg über die Engländer bei Yontenoy 1745; 
daher bezeichnet man ihn in Frankreich noch gegenwärtig einfach 
ald „le Marechal de Saxe*. ®r war alfo der Held ber Zeit, 
ein Typus der geiftreichen aber auch fittenlofen Edelleute jener 
Tage, gewiffermaßeu der Alcibiades bed 18. Sahrhundertd. K. 
v. Weber bat fein Leben beichrieben, franzöftih und vielfach 
erweitert ift die Biographie von Taillandier. Das Scribe'ſche 
Stück „Abrienne Lecoupreur” giebt eine Borftellung von ihm, 
wie von dem Treiben jener Zeit überhaupt. 

7 * 


100 Marftal — Maſchine. 


Marftall (K. u. 8. II, I), fürftlicher Pferbeftall. 
Martinig, |. Slawata. 


Märtyrer, von dem gr. märtyr, ein Zeuge; bei. ein Glau- 
benöheld, der für jeine Religion oder für Wahrheit und Recht 
unfchuldig leidet, was nach der Anficht der katholiſchen Kirche 
von Gott mit einer ganz bejonderen Krone belohnt werden fol. 
So heißt es (M. St. III, 8) von dem Barnabiten, der die Kö— 
nigin Elifabeth ermorden wollen: 

„Das Naͤchſte, Kürzefte wollt‘ er ergreifen, 
Mit einem kecken Streich die Kirche Gottes 
Befrein, bie Martyrkrone fich erwerben.* 
Desgl. fagt Mortimer (M. St. I, 6) zu Maria von dem Gar: 
dinal von Guiſe: 
„Drauf fing er an, mit herzerſchütternder 
Beredfamteit mir euer Märtyrthum 
Und eurer Feinde Blutgter abzujchildern.“ 
Da die Glaubenszeugen oft mit großer Freudigkeit in den Tod 
gingen, fo heißt e8 auch (gr. 9. a. d. n. Geld.) von dem Ba: 
ron, der um ſeines Bruderd willen einer Geliebten entjagt: „ich 
denke deiner mit aller Wonne eined Märtyrerd.” In über: 
tragener Bedeutung jagt Wolf (B. a. v. &.), der fih für un: 
glücklicher hält ald alle übrigen Menfchen: „Ich betrachte mich 
ald den Märtyrer ded natürlihen Rechts.“ Und ironiſch jagt 
Franz (R. IV, 2) von Daniel, ald er bei dem blutigen Auftrag 
gegen den Grafen ſchwankt und überlegen will: „Der war wohl 
nicht zum Märtyrer ſeines Glaubend geboren.“ 


Maſchine, von bem Tat. machina, ein Fünftlih zuſammen- 
geſetztes Triebwerk; bildl. wird (R. IL, 1 — Sp. u. d. 2.) der 
menſchliche Körper eine Mafchine genannt; und (%.1, 9 — Bar. 
II, 5) werden foldhe Leute als Mafchinen bezeichnet, die nicht 
denken, jondern nur ausführen, was Andere fie beißen. Endlich 
find Mafchinen (%. II, 16 — Gſtſ. 10, 174 u. 240) f. v. w. be: 
wegende Kräfte. 


Maske. 101 


Masten od. Larven (vgl. d.) wurben zuerft bei den Um; 
gängen ber Bacchusfefte, ſpäter auch in ber griechifchen Tragsdte 
gebraucht, deren Urfprung mit dem Dienfte des Bachus in ge: 
nauem Zufammenhange ftand. Man unterjhied tragiſche 
Masten mit großem, aufgefperrtem Munde und fürdterlidhem 
Anſehen, wie auch komiſche Masken mit lächerlihem Aus- 
drud, wie man fie auf Bühnenvorhängen als allegorifche Ber: 
zierungen auch jept noch häufig dargeftellt findet. Darum erfcheint 
and (H. d. 8.) die Schaufpieltunft mit einer Doppelmaste, 
die alfo die beiden &efichter (vergl. Janus) der tragifchen umd 
ber komiſchen Mufe zeigt. Mit Beziehung hieranf heißt es (Wſt. 
L. Prol.) finnbildlid: 

„Der fcherzenden, der ernften Maske Spiel 

Bereinigt uns auf's neu in biefem Saal” 
So wie die Masten auf Kunftdentmälern als allegorifher Schmuck 
erſcheinen, jo können fie auch bei Gebaͤuden als architeftontiche 
Berzierungen angebracht werben. In dieſem Sinne werben 
(Zur. 1, 1) die auf dem Stadtthore von Pedin aufgeftedten 
Prinzenlöpfe als Masten bezeichnet. In der neueren Zeit be: 
dient man fi der Masken nur auf Rebouten, wie (%. I, 1), 
oder bei Garnevalälujtbarkeiten ſelbſt auf öffentlichen Pläßen, wie 
(Gſtſ. 10, 129), um ſich unfenntli zu machen (daher „in tiefer 
Maske”) oder um etwad Anderes vorzuftellen; weshalb dann 
auch die madfirte Perſon felbft (F. I, 2) eine Maske genannt 
wird. Da die Maske vor Allem das Geficht unfenntlich machen 
und ein andered darftellen fol, jo wird fcherzhafter Weife dieſes 
ſelbſt als Maske bezeichnet, wie (D. C. II, 8), wo die Prinzeffin 
Eboli zu Don Carlos fagt: 


„Died Cabinet iſt feines von den Zimmern 
Der Königin, wo man bad Bishen Masbte 
Noch allenfalls zu loben fand.” 


Bild. heißt Maske (R. IV, 2 — K. u. L. II, 6 — Pic. II, 5 


— Bft. T. J, 5 u. III, 4) ſ. v. w. Berftellung. oder (N. a O. 
Il, 2 — Brb. II — Gſtſ. 10, 203) Schein; daher auch ber 


102 Mafiyler — Mechanit. 


hübſche Doppelfim (%. I, 7): „Fiesko findet feine Freunde ge: 
ſchwinder in ihren Masken als fie ihn in der feinigen.” 

Mafiyler od. Maſſylier (Geb. 4. B. d. 24 u. 88), 
ein nomadiſcher Völkerſtamm Numidiens. 


Materie, von dem lat. materia; zunäcdhft der körperliche 
Stoff, bei. im Gegenfaß zur Form oder auch zum Geifte, wie 
(R. 1, 1): „Soll fih mein hochfliegender Geift an den Schneden: 
gang der Materie Fetten laſſen?“ — und (Sp. u.d.%.): „Das 
Schickſal der Seele ift in die Materie gejchrieben.” — Außer: 
dem beißt Materie |. v. w. Gegenstand, der ftoffliche Inhalt ge- 
wiffer Vorfälle oder Ereigniffe, wie (Gſtſ. 10, 138): „Es wurde 
heftig über diefe Materie geftritten” — und (Oſtſ. 10, 141): 
„es in diefer wichtigen Materie zu einer Ueberzeugung bringen.” 
— Dad Materielle (Br.v. M. Ein. 5, 377), dad Stoffliche. 

Mathematieus, ein Gelehrter, der ſich mit der Berechnung 
von Raumgrößen beſchäftigt; im fpäteren lateinifchen Sprach⸗ 
gebraudye wurben auch die Aftrologen, wie (Picc. II, 1) Seni, 
fo genannt. | 

Mätrefie, ſ. Maitrefie. 

Matrone (Sftj. 10, 251), von dem lat. mater, die Mutter; 
eine ehrwürdige alte Frau. 

Matten (W. T. I, 1), die poetiiche Benennung für faftige 
Thalwieſen. 

Mauerkrone, ſ. Architektur u. Attribut. 

Mauren (Br. v. M. 446), der Name eines Volksſtammes, 
der im weſtlichen Nordafrika feinen Wohnſizt bat. 


Maufoleum, gr. ein fürftliched Grabmal; bildl. (%. II, 13) 
f. v. w. Ehrendenkmal. 


Mechanik, die Wiffenfchaft von den Kräften und Geſetzen, 
nad) welchen die Bewegungen in der Körperwelt erfolgen; davon 
Mechanismus, der Bau oder dad Triebwerk (vgl. Mafchine) 


Meciſteus — Medea. 103 


und mechaniſch, |. v. w. maſchinen- oder handwerksmaͤßig. 
Sch. braucht diefe Ausdrüde theild von dem lebenden menſch⸗ 
lichen Körper, wie (R. II, 1): „die mechanifhen Schwingungen“ 
des Körperd? — und (R. II, 1) „das eilerne Zoch des Mecha- 
nismus“, d. 5. der maſchinenmäßigen Thätigkeit; theild auch 
bildlich von den Thätigkeiten der Seele, wie (R. Vorr.) „die 
volftändige Mechanik des Laſterſyftems“ eines Menſchen — und 
{B. a. v. E.) „die Mechanik der gewöhnlichen Willendfreiheit.“ 


Mectfteus, abge. Meciſt (Iph. I, 3w.:9.), der Bruder des 
Adraftus; vergl. SI. II, 566. 

Medlenburg (N. IV, 1) im nördlichen Deutſchland, wurde 
1348 duch Kaiſer Karl IV. zum Herzogthum erhoben, theilte 
fih 1592 dur die Brüder Adolf Friedrich und Johann Albrecht 
in die beiden Linien Schwerin und Güftrow und wurde, als beide 
Brüder fi im proteftantiichen Intereſſe an dem dreißigjährigen 
Kriege betheiligt hatten, von dem Kaifer an Wallenftein verlie- 
ben (Wft. &. 11). Durch Buftav Adolfs Hülfe indeß erhielten 
die beiden Yürften 1631 ihre Länder und Würden wieder 
zurüd. 

Medaillen (D. ©. III, 1), von dem aus dem lat. metallum 
(Metall) gebildeten Medaille, d. i. Schaumünze abgeleitet; ein 
kleines länglichrundes Bild, wie weibliche Verjonen e8 am Halfe 
zu tragen pflegen. 

Meden (Myth), die Tochter des Königs Aëtes von Kolchis, 
welche mit Fafon, dem Anführer der Argonauten, ihrem Vater 
entflob und als Zauberin und Giftmiſcherin im Altertum be- 
rühmt war; daher fagt Phädra (Ph. V, 7): 

„Ein Gift flößt' ich in meine glüh'nden Adern, 

Das einft Medea nad Athen gebracht." 
Wegen ihrer merhwürdigen Schiejale war fie öfterd ein Gegen- 
fand der tragifhen Kuuft; daher (NR. Vorr.) „die Medea der 
alten Dramatiler.” Wir befigen noch die „Medea” ded Euri- 
pides und bed Seneca. 





104 Medicher — Mebufa. 


Medicaer, oder auch Mediceer, nennt man in ber florenti: 
niſchen Geſchichte jeit dem 13. Zahrh. ein reiches und vornehmes 
Geſchlecht, aus dem bejonderd Coſimo dei Medici und Lorenzg, 
der Stammvater der Großherzöge von Toscana, bervorrager. 
Da fie Kunft und Wiſſenſchaft mächtig befhüsten, jo fanden 
diefelben unter ihrer Herrfchaft Cbefonder im 15. Jahrh.) Ar 
einer Blüthe, wie fie an feinem andern europäiſchen Hofe zu 
finden war; daher (Geb. D. deutihe Mufe): 

„Keines DMedicäaersd Güte 
Lächelte der deutfchen Kunft.” 


Die Medicäerin, in Beziehung auf welche Hanna Kennedy 
(M. St. I, I) von ihrer Gebieterin fagt: 

„Am üpp’gen Hof ber Meticäerin 

Su jeber Freuden Fülle aufgewachſen.“ 


ift Katharina von Mebdict (|. d.) 


Medina-Sidonie, Herzog von, Befehlähaber der Armada 
oder der unüberwindlihen Flotte (f. d.), lief mit derjelben am 
29. Mai 1588 aus dem Hafen von Aflabon aus und wurde in 
der Nacht vom 7. zum 8. Aug. von den Engläntern angegriffen 
und gefchlagen. Ald er die zerjtreuten Schiffe wieder ſammeln 
und nad) Spanien zurüdführen wollte, brach ein heftiger Sturm 
aus, welcher die Flotte theils zerftreute, theild vernichtete, fo Daß 
von 130 Schiffen über die Hälfte zu Grunde gingen und von 
der Bemannung über 20,000 Menſchen das Leben verloren. 
Ald Med.-Sid. mit faum 6000 GSeeleuten vor Philipp erichien, 
dankte ihm diefer, daß er an dem Baterlande nicht verzweifelt, 
indem er (D. @. III, 7) binzujeßte: „Des Heren Wille gejchehe, 
ich hatte meine Flotte gefandt, England zu befäntpfen, aber nit 
die Elemente.“ 


Medufa (Myth.), eine von den drei Gorgonen. Diefelben 
hießen Medufa, Stheno und Euryale und wohnten am weftli- 
hen Ocean. Da fie Minerva den Rang der Schönheit ftreitig 
gemacht hatten, jo verwandelte dieſelbe ihr lockiges Haar in 


Meeredgöttin — Megäre. 105 


Schlangen und legte ihren Augen die furchtbare Kraft bei, Je- 
ben, den fie anfahen, in Stein zu verwandeln. Perjeud über: 
wand die Medufa, fchnitt ihr das Haupt ab und überlieferte es 
der Minerva, feiner Schubgöttin, die ed auf ihren Schild fegte. 
Bergl. Aegid. Anfpielend auf diefe Fabel fragt Gianettino (%. 
II, 9) den Lomellino: „Weißt du dad Mährchen mit dem Me: 
Dufatopf? Der Anblit madt Steine.” — Ebenſo jagt Jokaſta 
(Phön.) zu Eteoflles: 
‚Nicht dieſen finftern Blick! Nicht dieſes Schnauben 
Verbaltner Wuth! Es ift Fein abgeriffues 
Medufenhaupt, das bu betrachten foüft, 
Es {ft bein Bruder.’ 
Deögleihen fagt Machuff (Dich. II, 8), um die Größe feines 
Entfegend über den an Duncan verübten Morb außzubrüden: 
— — — „Gebt binein! Seht ımd erflarret 
Bor einer neuen gräßlichen Borgona” 
und Barak (Tur. I, 3) zu Kalaf, der das Bilb der Turanbot 
betrachten will, um feiner Warnung Nachdrudk zu geben: 
„Euch mwäre beffer, der Medufa Haupt 
Als diefe tödtliche Beftalt zu jehn.” 
Endlich braudt Sch. den Ausdruck bildlich für Feind, indem der 
Chor (Br. v. M. 5, 391) fagt: 
„Zürnend ergrimmt mir daß Herz im Bufen, 
Zu dem Kampf ift bie Gauft geballt, 
Denn ich fehe das Haupt ber Meduſen, 
Meines Feindes verbaßte Beftalt.” 


Meeresgöttin, |. Tethys u. Amphitrite. 

Meergott, j. Pofeidon. 

Megäre (Myth.), d. i. die Feinbliche, Neidiſche, eine ber drei 
Rachegöttinnen (vergl. Erinnyen). Sch. erwähnt ihrer (Geb. 
D. Triumph d. Liebe), um die Gewalt der Liebe in ihrer vollen 
Größe zu zeigen, mit den Worten: 


„Bärtlih um Megärens Wangen 
Küßten fi) die wilden Schlangen.” 


106 Meged — Meinradd Zell. 


Herner gebraudt er den Namen ald Kraftauddrud (R. I, 2) 
„wenn Baterliebe zur Megäre wird: o jo fange Yeuer, männ- 
liche Gelaſſenheit!“ — Dedgl. nennt Dunois (3.0. O.I, 5) die 
Königin Sfabeau wegen der unnatürlihen Handlungdweife gegen 
ihren Sohn: 

„Die Bölfin! Die wuthſchnaubende Megäre!“ 


Meges, (Iph. I, 3w.:9.) Sohn des Phyleus, Freier der 
Helena, Anführer der Dulichter vor Troja. Bergl. SI. II, 627. 


Meier (W. T. Peri.:Verz.), von dem lat. major, der -Ho: 
bere, Borgejepte, ein Name, der urfpr. den Wirthichaftsinfpertor 
eined Gutes bezeichnete; daher Kloftermeier (W. X. IV, 3), 
der Schaffner od. Haushofmeiſter eined Klofters. 


Meinrads Zell oder die St. Meinrad3: Kapelle, wo der 
Gründer des Klofterd Einſiedeln (f. d.), der heilige Meinrad, 
ald Eremit lebte, Tiegt nördlich von Schwytz. Bon bier kommt 
Stauffacher (W. T. I, 4), füdlich wandernd zu feinem Freunde 
Walther Fürſt nach Urt oder Altorf (f. d.), von wo die Straße 
dad Reußthal Hinauf zum St. Gotthardt führt; daher des Le: 
teren Worte: 


„Bon allen Wandrern aus dem deutſchen Land, 

Die über Meinrads Zell nah Wäljchland fahren, 

Rühmt jeder euer gaftlih Haus.” 
Der Sage nah war Meinrad ein Graf von Sulgen, der fi 
als Einfiedler in die finftere, waldige Gegend zurückzog, wo jept 
das Klofter Einfiedeln fteht. Hier erbaute er eine Kapelle, für 
welche ihm die Aebtiffin des Srauenmünfterd in Zürich im Jahre 
832 ein wunberthätiged Marienbild ſchenkte. Als ber Einfiedler 
jpäter von zwei Räubern erjchlagen wurde, warb die That durch 
Raben, welche er gefüttert hatte, entdedt; die Mörder wurden 
eingezogen und zu Zürich hingerichtet. Weber 40 Jahre blieb dte 
Zelle unbewohnt, worauf fie wieder audgebefiert und mit Woh- 
nungen umgeben wurde, aus benen dad Klofter Einfiedeln (f. d.) 
entitand. 


Meiihet — Memme. 107 


Meiſchek, in einigen Ausgaben fäljchlich für Mniſchek (ſ. d.). 

Meifter, Der (Ged.), ein Epigramm aus dem Sabre 1796. 
&3 erinnert an die fchwere Kunft, fo zu jchreiben, daß der Leſer 
zu eigenen Gedanken angeregt wird. Wer glaubt, Alles jagen 
zu müflen, wird leicht Iangweilig; wo man aber Gelegenheit 
findet, auch zwilchen den Zeilen zu leſen, da ift lebendiged Sn- 
terefie etweckt. 

Meißen (Ged. D. Flüfie [Elbe] — Bft. 8. 6), einige 
Stunden nörblih von Dresden, am linfen Elbufer gelegen; be- 
kannt wegen des fingenden Dialectd feiner Bewohner. 


: Melchthal (W. T. I. 4), ein 5 Stunden langes, ungemein 
liebliched Thal, das fi im Canton Unterwalden öftl. von Sarnen, 
zwiichen dem Sadjjeler- und Kernjerberg binzieht. Hier wohnte 
Arnold Anderhalden, bei Sch. Melchthal genannt. Die Yamtlie 
„an der Halden” blühte noch zu Ende ded 18. Jahrhunderts. 
Melneder (Bft. &. 11), von Melnik, einer böhmifchen 
Stadt am Zufammenflufje der Moldau und Elbe. 


Melodie, eine Reihe von Tönen von verfchiedener Höhe, 
die in ihrer Aufeinanderfolge einen angenehmen Eindrud machen, 
wie (W. T. I, 1): die „Melodie ded Kuhreihens“ (ſ. d.) und 
(Ged. D. Künitler): 

„Des Waldes Melodie floß aus dem Haberrohr.“ 
Davon melodifch, wohltönend, Iteblich Mingend, wie (Ged. D. 
Geſchlechter): 
„Und mit melodiſchem Lieb füllt Philomela den Hain.“ 
Sn bildlicher Ausdrucksweiſe jagt Leonore (%. IV, 14) zu Fiesco: 
„Unfer Leben rinnt dann mefodifch wie die flötende Duelle 
zum Schöpfer.“ 
Melpomene, j. Muſen. 


Melun (3%. v. O. II, 2), Städtchen an der Seine, öſtlich 
son Bari. 

Memme (R. II, 3 u. IV, 2), Nebenform von Mamma, 
Mutter; ein Yeigling. 


108 Mendoza — Menfchhenfeind. 


Mendoza (M. St. I, 7). Bernardino de Mendoza, Ca- 
ftellan ded Ordens San Jacob di Compoftella, ſpaniſcher &e- 
fandter in Paris und London, F 1605. 


Meneläus (Iph.), ein Sohn des Atreus, der Bruder Aga- 
memnond, erhielt von Tyndareud, ald er ſich mit deffen Tochter 
Helena vermählte (Iph. I, 1), dad Königrei Sparta mit ber 
Hauptftadt Lacedäınon (ebendaf.) Ald er einft auf einer Reife 
nach Kreta begriffen war, warb ihn feine Gemahlin von Parid 
entführt. Um Rache zu nehmen, forderte er die griechiichen Für» 
ften zum Kriege auf, betheiligte fi felbft mit 60 Schiffen und 
fand fih auch unter den Helden, welde mit dem berühmten 
Rob in die Stadt gezogen wurden (Ged. 2. B. d. Xen. 45). 
Nach der Eroberung von Troja nahm er die Helena wieder zu 
ih. ©. das vierte Buch der Odyſſee. 


Menöceusß, |. Antigone. 


Menfchenfeind, Der (Bd. 2), ein dramatifches Fragment, 
welcheö etwa i. J. 1786 od. 1787, um die Zeit, wo Sc. den 
Kampf und die NRefignation dichtete, verfaßt fein fann. Es er: 
fchien i. 3. 1790 im 11. Stüd der Thalia und war von der am 
Schluß befindliden Anmerkung begleitet, zufolge welder Sc. 
die dramatiſche Form für daß vorliegende Charaftergemälde felbft 
ald wenig günftig bezeichnete, eine der Haupturjachen, weshalb 
es unvollendet geblieben. Aus der urjprünglichen Ueberjchrift 
„der verföhnte Menjchenfeind”, den es in der Thalia führte, fo 
wie aus perjönlichen Unterredungen Sch.'s mit Körner, deren 
ih der Iegtere erinnerte, gebt hervor, daß Rofenberg endlich 
legen, und dieſer Erfolg durch da8 Erſcheinen einiger Menjchen: 
feinde anderer Art begünftigt werben jollte. — Was den Inhalt 
des Fragments betrifft, fo erfcheint v. Hutten, der in der Natur 
das Bild des göttlichen Geiſtes und die vollendete Repräfenta- 
tion innerer Einheit und mwohlthuenden Friedens erblidt, nicht 
ald Jemand, der dem Menjchengefchlechte überhaupt gram ift; 
jondern er haßt nur diejenigen, die ihm fo tiefe Wunden gefchlagen, 


Menichliches Wirken — Menuet. 109 


außerdem tft er ja auch feiner Tochter Angelica in zärtlicher 
Baterliebe zugethan. Aber jene Wunden jcheinen ihm eben un- 
heilbar, und er felbjt ift zu ftolz, um Anderen die Berechtigung 
zuzugefteben, fein Unglüd mildern und ihm den verlorenen Yrie: 
den wiedergeben zu können. Denkt man an die damalige Stim— 
mung des Dichterd, an jeine hoffnungsvolle Liebe zu Charlotte 
von Wolzogen in Bauerbadh, wie an feine frudhtlofen Bemühun: 
gen um Margarethe Schwan in Manheim, jo dürfte hierin wohl 
der Schlüffel zu den berben Empfindungen ;zu fuchen fein, Die 
den Grundton des vorliegenden Gemäldes bilden. 

Menihlihes Wirken (Ged.), ein Epigramm aus dem 
Sabre 1796. Vergl. „Erwartung und Erfüllung.” Dort faßt 
der Dichter die ftrebende Perfon, bier dad Streben jelbjt ins 
Auge. 

Menfhlide Willen (Ged.), ein Epigramm aus bem 
Sabre 1795. Es enthält eine Satyre gegen diejenige Richtung 
der Naturwiſſenſchaften, welche fi allein mit der ſyſtematiſchen 
Anordnung der vorhandenen Erſcheinungen begnügte, ohne einen 
tieferen Bli in das geheimnigvolle Getriebe der Natur zu thun. 
Gleichnißweiſe veranfhaulicht der Dichter den genannten Ge— 
danken an dem Bilde, welches eine Sternfarte darbietet, deren 
als Eleinliche Spielerei erjcheinende Yiguren auch feinen Blick in. 
die Mechanik des Himmeld thun laflen. Gegen die Beftrebungen 
der damaligen Aftronomen an fi ift dad Epigramm nicht ge: 
richtet. 

Mentor, der vertraute Freund des Alyfſes und Leiter fei- 
ned Sohned Telemachus (Téleẽmach); daher überhaupt (Gſtſ. 10, 
217) ein Yührer, Rathgeber; bei. der Hofmeifter eines jungen 


Menſchen (j. Od. 2, 225). 


Menuet (8. u. &. V, 5), fraf.; ein franzöfifcher Tanz, der 
ih in langſam abgemefjenem und feierlihem Tempo bewegt; 
bildl. (Ged. Zeremiade): der „Menuetichritt unjered geborgten 
Kothurnd”, die mehr künſtlich nachgeahmte und darum fchleppenbe 


110 Mephiitopheled — Meſſe. 


Schreibweiſe, die der kraftvoll-urſprünglichen Begeiſterung ent⸗ 
behrt. 


Mephiſtopheles, der böſe Geiſt, welcher einer bekannten 
Sage zufolge den Dr. Fauſt, der feine Seele dem Teufel ver: 
fchrieben, auf defien Reifen begleitete und allen feinen Gelüften 
willfährig war; oft auch der Teufel felbft, wie (%.1I,9): „Wenn 
Mephiftopheled ein Geluft (nach einem Menſchen) befommt.“ 


Mereur, ſ. Hermed. — Mit Beziehung auf die leichte 
Beweglichkeit dieſes Gottes ift in der früheren wiſſenſchaftlichen 
Spradhe der Chemie dad Quedfilber mit feinem Namen belegt 
worden; daher (Gſtf. 10, 151): „lebendigen Mercur in Phiolen 
und Büchſen.“ 


Merde d'Dye Biber (K. u. 8. I, 6), von bem fra. merde 
d’oie, eig. Gaͤnſekoth; ein grüngelb gefärbtes, mit Biberpelz 
beſetztes Kleidungsftüd. 


Merion (Iph. I, Zw.:H.) od. Merioned, der Wagenlenfer 
des Kretenjerd Idomeneus vor Troja. 


Meſſe, von dem mittl. lat. missa, das in deutihem Munde 
fih bald in Mefle ummandelte. Urjprünglich verftand die fatho- 
liſche Kirche unter Meſſe nichtd Anderes als Die dem Gottes: 
bienfte folgende Abendmahlsfeier; ſpäter das bei derjelben 
geſprochene Gebet oder auch die Confecration (Segnung) des 
Broted und Weined, wodurch Diejelben in den Leib und das 
Blut Ehrifti verwandelt und fo gewiſſermaßen ein ſtets fidh 
erneuernded Verjöhnungsopfer dargebracht werden ſollte. Dies 
Lestere bildet den eigentlihen Inhalt der Mefje, während bie 
ipätere Ausbildung der bei derfelben vorkommenden Gebräuche 
dahin ftrebte, dem Zuhörer, oder vielmehr Zufchauer eine finn- 
bildliche Vorſtellung des gefammten Leidend Chriſti vor Augen 
zu führen, weshalb jeder einzelnen am Altare vorgehenden Hand: 
lung, fo wie jeder Stellung des Priejterd eine befondere Beben: 
tung beizulegen tft. — Die katholifche Kirche legt auf die Mefie 


Mefie. 111 


ganz beionderen Werth und macht ihren Anhängern das An- 
hören berfelben zur Pflicht; daher fagt (Ged. D. Bang n. D. 
Eiſenhammer) die Gräfin: 

„Die beil’'ge Meſſe hört’ ih gern.” 


und König Philipp erwähnt ihrer (O. C. III, 7) als einer felbft- 
verftändlichen täglichen Gewohnheit, indem er in Beziehung auf 
Marquis Poſa fagt: 2 


— — — — RNach gebörter Meſſe 
Bringt ihn in's Cabinet zu mir.“ 


Religiöſer Fanatismus bediente ſich ſelbſt der ſchändlichſten 
Mittel, um Abtrünnige zum Hören der Meſſe zu zwingen; da— 
her (Wft. X. I, 5) die Worte Wallenftein’s: 


„Und kann's ber Sohn vergefien, daß der Vater 
Mit Hunden in die Meſſe warb gehept?” 


Nach der größeren oder geringeren Yeierlichkeit, mit der die 
Meſſe abgehalten wirb, unterjcheidet man verfchiedene Grade 
derſelben. Sft fie mit Chorgefang oder Muſik verbunden, fo 
nennt man fie hohe Meſſe oder Hochamt; baher (%. III, 5): 
„In drei Tagen ift hohe Meſſe in ber Lorenzokirche, beide 
Doria halten dort ihre Andacht”; und (Br. v. M. 5, 429): 
„Der Meſſe Hohamt rief mid zum Gebet.” — Eine für 
einen Berftorbenen gelefene Mefje wird Seelenmefle od. See- 
lenamt (Br. v. M. 5, 495) genannt. — Außer dem oder den 
(mehreren) bei der Mefje miniftrirenden (dienftthuenden) Geiſt⸗ 
liden ift aud der Sacriftan ober Meßner dabei thätig. 
Beſonders bat er (Wit. L. 8) mit der Glocke dad Zeichen zu 
geben,. bei welchen Bewegungen des Prieſters die Zuhörer 
niederzufnieen oder dad Kreuz zu ſchlagen haben; daher (Geb. 
D. Graf v. Habsburg): 

„Ein Glöcklein hört er erklingen fern, 

Ein Prieſter war's mit dem Leib des Herrn, 

Voran kam der Meßner geſchritten.“ 


112 Meſſina — Metall. 


Der Leptere wird auch Meſſediener oder Miniftrant 
genannt, wie (Ged. D. Gang n. d. Eifenhammer), wo es von 
Fridolin heißt: 

„Uud als er dies mit Fleiß getban, 

Zritt er ald Minifirant 

Dem Briefter zum Altar voran, 

Dad Meßbuch in der Hand.” 
Die Mepbücher oder Miffalien enthalten die gejfammten Ge: 
fänge und Feierlichkeiten, welchè in der katholiſchen Kirche zur 
Anwendung kommen und haben für den Katholiken denfelben 
Werth wie für den Proteftanten die Bibel, jo dab Wallenftein 
(Wfl. T. IV, 3) in den Worten: 


in diejen beiden Büchern die Verſchiedenheit der Confeffionen 
ſymboliſch bezeichnet. — Endlih kommt aud die Zufammen: 
ſetzung Meflediener vor, unb zwar (M. St. I, 4) in Maria's 
Worten: 

„Des Gatten rachefordernbed Gefpenft 

Schickt keines Meſſedieners Glocke, fein 

Hochwürdiges in Prieſters Hand zur Gruft.“ 

Meffina (Br. v. M. 5, 382), die bebeutenbfte Stadt in 
der ſogenannten Val di Demona, dem norböftlihen Theile der 
Inſel Sieilien, mit einem Hafen, der eine Meile im Umfang 
bat, Itegt unmittelbar an der Straße von Meſſina dicht bei ber 
Charybbdi (f. d.) der Alten. 


Meitislowstoy (Dem. I) in der Octavausgabe fälſchlich: 
Weftislowstoy; bei Heeren: Fürft Iwan Mſtis lawski. 

Meßbuch 

Meßner 


Metall, der Name für mineraliſche Naturkörper, die ſich 
durch Schwere, Schmelzbarfeit, Glanz, zum Theil auch durch 
Klang auszeichnen. Der Seltenheit und dem Werthe nadh 


ſ. Meſſe. 


Metaphyſik — Metaphyſiker. 113 


unterſcheidet man edle und unedle Metalle. Im eigentlichen 
Sinne gebraucht heißt ed von der Glocke: 


„Nur ewigen und ernften Dingen 
Sei ihr metallner Rund geweiht.“ 


Sm bildlihen Sinne jagt Don Carlos (D. @. V, 4), auf Mar: 
quis Poſa Hindeutend, zu dem eilernen König Philipp: 

„Dies feine Suitenfpiel zerbrach in Ihrer 

Metallnen Hand.” 
und Fiesco, indem er felavifche Furcht und begeifterte Freiheits⸗ 
liebe einander gegenüberftellt, jagt (%. IV, 6: „Soll ®enua 
Sclaven feine Freiheit verbanfen? Sol unfer Gold durd 
dieſes ſchlechte Metall feinen guten Klang verlieren? ” 


Metaphufit (Ged. D. Weltweijen), aus dem gr. meta, 
darüber hinaus und physika, natürliche Dinge, die Wiſſenſchaft 
von dem Weberfinnlidhen, von dem eigentlihen Weſen oder den 
legten Gründen unferer Erfenntniß der Dinge — Metaphy⸗ 
ſicus (Ged. D. Metaphyſiker); ein Gelehrter, der ſich auf dieſe 
Wiſſenſchaft verſteht; und metaphyſiſch, wie (Gſtſ. 10, 240) 
„metaphyſiſche Träumereien”, unwiſſenſchaftliche Beichäftigung 
mit überfinnlicden Gegenſtänden. 


Metaphyfiter, Der (Ged.), ein fatyrifches Gedicht aus 
dem Sabre 1795. Die Metaphyſik (ſ. d.) iſt ein Gegenſtand, 
dem ein Dichter feiner ganzen Natur nach nicht hold fein Kann, 
da fie fih nur mit Speculationen bejchäftigt, bei denen alle 
Erfahrung aus dem Spiel bleib. Auch Goethe perfiflirt die 
Beftrebungen einer alled realen Bodens entbehrenden Metaphyſik 
in feinem Yauft mit den Worten Mephiſto's: 

Nachher vor allen andern Saden 
Müßt ihr euch an die Metaphyſik machen! 
Da feht, daß ihr tieffinnig faßt, 
Bas in ded Menjhen Hirn nicht paßt; 
Für was drein gebt und nicht drein gebt, 
Ein prächtig Wort zu Dienften fteht." 
II. 8 


114 Meteor — Metrijche Ueberſetzungen. 


Meteor, ar. eine Lufterſcheinung; bef. folche, die tm Dun- 
feln Licht verbreitet, wie Sternjchnuppen, Feuerkugeln, Norb- 
liter u. dgl.; bildl. eine ungewöhnlidhe, wunderfame Crfchei- 
nung, wie (Wfl. T. IV, 1), wo ed von Wallenftein heißt: 


— — — — — „Aus der böhmiſchen Erbe 
Erhub fi dein bewundert Meteor, 
Weit dur den Himmel feinen Glanzweg ziebend.” 


Methode, von dem gr. methödos, eig. dad Nachgehen, 
Berfolgen. 1) die Art und Weife, bei einer Sache zu verfahren 
(%. III, 5); 2) die Vortragsweiſe, wie (R. Borr.) „die drama: 
tiſche Methode”; 3) die Lehrweiſe (B. a. v. E.). 


metrifch, nach dem Versbau richtig abgemeffen; metrifche 
Sprade (Br. v. M. Einl. 5, 378), gebundene Redeweiſe, Rebe 
in Berjen. 


Metrifche Heberfegungen (Ged.). Schon auf der Militatr- 
Academie hatte Sch. den Verſuch gemacht, dad erfte Buch von 
Virgil's Aeneide zu überjegen, und eine Probe hiervon (B. 34 
bis 157), die in Herametern abgefaßt war, wurde in Haug's 
Schwäbiſchem Magazin mitgetheil. Im Sabre 1791 verab- 
redete er fi mit Bürger, einen Fleinen Wettlampf zu ver: 
juchen. Beide wollten diejelben Stüde aus der Neneide, aber 
jeder in einer anderen Versart überfegen. Sm Spätherbit des 
Jahres wurde die Arbeit unternommen, nahdem Sch. von einer 
ſchweren Krankheit genefen war; ed war die erfte Frucht feines 
Studiums der Alten, auf die Wieland ihn nachdrücklich Hin: 
gewiejen hatte. Da Sc. diefe Ueberfegung vorzugsweiſe für 
rauen berechnet und dabei bejonderd feine eigene Frau und 
feine Schwägerin im Auge hatte, fo wählte er die freien Wie- 
land'ſchen Stanzen, ein Versmaß, das ihm dem weiblichen Ge⸗ 
müthe genießbarer erichien als der Herameter. Die Arbeit 
wurde zuerft in der neuen Thalia abgedrudt, welche der älteren 
im Sahre 1792 nachfolgte. Daß Sch. auf Diefe Ueberſetzung 


. 2 1 | 


Mettenglödlein. — Milady. 115 


Werth legte, bemeift, daß er fie jpäter einer jorgfältigen Um- 
arbeitung unterworfen hat. 

Mettenglödlein. Mette, von dem lat. hora matutina, 
d.h. Morgenftunde; in der katholiſchen Kirche der Yrübgottes- 
dienft oder der Gotteddienft in der Nacht, weldhe einem Seite 
vorangebt; daher (W. T. II, 2): „Das Mettenglödlein in der 
Waldkapelle.“ 

Meute, urſpr. von dem latein. Worte movere, d. i. be: 
wegen, alſo ein Wort allgemeinfter Bedeutung, bei. (W. T. J, 4) 
ein Zrupp Hunde zur Hegjagd; daher Meuteret (Pic. V, 1 — 
Ph. J, 1), eine ımerlaubte Berbindung, ein Complot, wie (Dem.) 
„Meuterei der Armee”, oder Aufftand, wie (W. T. II, 3), wo 
Frießhardt ruft: „Meuterei! Empörung!" — Meuter m. 
Meuterer (%. I, 9 u. III,5), ein Menich, der an einem Complot 
oder einem Aufitande Theil nimmt. 


St. Michael, |. Malte. — Des Erzengeld Michael (M. 
V, 2) wird Dan. 10, 13 u. 21; 12, 1; Offenb. Joh. 12, 7 
erwähnt. 


Miethlakat, |. Lakai. 


Miethling, ein biblifcher Ausdrud, welcher der Gtelle 
Ev. Joh. 10, 12 u. 13 entlehnt ft, in der Chriſtus ſich als 
den guten Hirten dem Miethling gegerüberftellt, welcher der 
Schafe nicht achtet. Daher fagt Don Carlos (O. C. II, 2) von 
dem Herzog Alba: 

— — — — — „Was fragt 
Ein Miethling nach tem Königreich, dad nie 
Sein eigen jein wird?" 

Mikrokosmus (Wſt. T. II, 3), von dem gr. mikrös, Hein 
und kosmos, die Welt; eine Welt im Kleinen, wie der Menſch 
felbft, oder die Welt, die er fih im Gegenſatz zu ber Äußeren 
in feinem eigenen Innern aufbaut, 


Milady, |. Lady. 
8 s 


m. = 





116 Milch — Minifter. 


Milch der Gletſcher, ſ. Gletſcher. 

Milet (Ged. D. Ring d. Polykrates), die mächtigfte unter 
den ioniſchen Städten Kleinafiend (ſ. Jonien), eine berühmte 
Handelsftadt und Mutter von etwa 80 Pflanzftädten, die fich 
bi8 an die Küften Spaniend und Franfreihd hin erftredten. 
Sie war dem Polykrates feindlih gefinnt und wurde von 
Polydor, dem Yeldherrn defjelben, belagert. 

Milton, Sohn, geb. 1608, + 1674, einer der größten 
engliihen Dichter, ift bejonderd befannt Durch fein epiiched Ge⸗ 
dicht: „Das verlorene Paradies“, in weldhem, nach der firchlich- 
religtöjen Anjchauung der Zeit, auch der Teufel eine wichtige 
Rolle fpielt; daher (R. Borr.) „Milton's Satan”. 


Milzſucht, eine Krankheit der Milz, welche Verdidung der 
Salle und Stodungen derfelben in den Lebergängen zur Folge 
hat, die mit einer ſchwermüthigen, grämlichen Gemüthäftimmung 
verbunden find; daher (R.IV, 2): „Der milzfüchtige, podagrifche 
Moralift” und (ebendaj.) bildl.: „Milzſuchten des Schickſals“, 
ſ. v. w. Ungemad), Widerwärtigfeiten. 

Mine, eig. ein unterirdiſcher, mit Pulver gefüllter Gang; 
bildl. (K. u. L. III, 1) eine verrätheriſche Veranſtaltung. 

Minerva ꝑ 

Minervenſtadt | 

Miniaturbild (Gftf. 10, 144). Die Miniatoren (von dem 
neulat. miniäre, d.h. mit minium, Mennig färben) waren meift 
Mönche, welche im Mittelalter die Handſchriften mit feinen 
Malereien verzierten; daher Diiniaturmalerei, bei welcher die 
Farben nur mit der Pinſelſpitze (alfo punctirt) aufgetragen 
werden. 

Minifter, Iat. eig. Diener; bei. (Par. Perj.:Berz.) höchfter 


Athene. 


. Staatöbeamter, der an der Spipe eined Zweiged der Staats- 


Verwaltung fteht; davon: Minifterium, eig. der Dienft, die 
Dienerichaft; bei. (N.a. O. III, 8) der Staatörath eines Fürſten. 





Mintftrant — Minos. 117 


Miniftrant, |. Mefie. 

Minna, An (Ger.). Aller Wahrjcheinlichkeit nach ift dies 
Gedicht nit an eine beftimmte Perfon gerichtet, da ed ber Zeit 
angehört, wo die Zauralieder gedichtet wurden. Vermuthlich 
handelt es fich hier um ein erfonnenes Verhältniß; auch ift der 
Name wohl ein abfichtlicy gemählter; vergl. Minne. 


Minne, von dem veralteten minnen (einer Nebenform 
von meinen, |. v. w. gedenfen, freundliche Geſinnung begen) od. 
lieben, wie (&ed. An Minna): 

„Schwalben, die im Lenze minnen.“ 
ift jebt der poetifche Ausdruck für Liebe; fo: (Ged. D. Graf v. 
Haböburg): 


„Der Sänger fingt ven der Minne Sold.“ 
(Ged. D. vier Weltalter): 
„Die Flamme dee Liedes entbrannte neu 
An der ſchönen Minne und Liebeötreu." Ä 
(3.2.0. 111, 3), wo König Karl zu dem Herzog von Burgund 
fagt: 
— — — — ‚Erre Hofftatt if 
Der Sitz der Minne.“ 


Minoritenkloſter, ſ. Franciscaner. 


Minos (Myth.), ein Sohn des Jupiter und der Europa, 
war mit Pafiphae, der Tochter des Helios, vermählt, welche ihm 
außer mehreren anderen Kindern ben Deucalion, die Ariadne 
und die Phädra (PH. I, 1) gebar. Minos zog fi den Zom 
des Neptun zu, der ihm früher günftig gewefen war. Um näm: 
ih die Herrihaft von Kreta an fich zu reißen und das Bolt 
auf feine Seite zu bringen, that er die Aeußerung, die Götter 
würden ihn jeden Wunfd gewähren. Auf feine Bitte ftieg in 
der That ein Stier aus den Fluthen, den er dem Neptun zum 
Opfer verfprodhen hatte; und dies Wunder bewog die Kreter, 
ihn zum Könige zu wählen. Statt aber den Stier zu opfern, 
trieb er denjelben zu feinen Rinderheerden. Higrüber erzürnt, 


118 Minotaurus — Mirändola, 


flößte Neptun der Pafiphae eine heftige Neigung zu dem Stier 
ein, in Folge deren fie den Minotaurus (Ph. J, 1 u. 11,5) 
gebar, welchen ihr Gemahl in dad von Dädalus erbaute Laby— 
rintb (f. d.) fperrte; daher (Ph. I, 3): „O verbrechensvolles 
Haus des Minos.“ Nachdem Minos feine Herrſchaft zur See 
und auf den Inſeln des Mittelmeered ficher begründet Hatte, 
unternahm er einen Zug nach Sicilien, mo er feinen Tod fand. 
Seiner Gerechtigfeitöliebe wegen machte ihn Die nachhomeriſche 
Zeit neben Aeakus und Rhadamanthys zum Richter der Unter- 
welt; daher (R.IV, 5): „Brutus geht zu Minos.“ Mit jenen 
beiden Gefährten faß er am Cingange des Schattenreiched am 
Throne des Pluto und hatte als oberfter Richter die Enburtheile 
zu fprehen. Daher jagt Phädra (Ph. IV, 6): 

— — — — ‚Stieh’ ih in die Nacht 

Des Todtenreichs hinunter? Wehe mir! 

Dort hält mein Vater des Geſchickes Urne, 

Das Roos gab fie in feine firenge Hand. 

Der Todten bleihe Schaaren richtet Minod x.” . 


Im Gegenfaß zu Phädra's hoffnungsloſer Angft heißt es (Geb. 
D. Triumph d. Liebe): 

„Minos, Thränen im Geſichte 

Milderte die Qualgerichte.“ 
und das Gedicht: „An die Freude“ ſchließt mit dem Wunſche: 


„Brüder — einen fanften Spruch 
Aud des Todtenrichterd Munde." 


Minstaurus, |. Minos u. Labyrinth. 


Mirakel, lat. miraculum, ein Wunder, Wunderwerk; auch 
(Geb. D. Kampf m. d. Drachen), ein wunderthätigeö Bil. 


Miraͤndola (D. C. J, 4), ein zwiſchen Moͤdena und dem Po 
gelegenes Städtchen, das ehemals der Sitz des in der Wiſſen⸗ 
ſchaft berühmten Geſchlechtes Pico war, 1710 an Modena ver— 
kauft wurde, jept aber ziemlich verfallen ift. 


Mijere — Muiſchek. 119 


Mifere, frzſ. misere, Elend, Noth, Erbärmlichfeit; bis: 
wetlen auch, wie (Ged. Shafefpeare’3 Schatten), ein erbärmliches, 
jämmerliches Weſen. 

Miffion, von dem lat. missio, die Entlafjung, Ausſen⸗ 
dung; bei. die Außfendung von Geiftlihen zur Befehrung ber 
Ungläubigen; daher fagt Burleigh (M. St. IT, 3) in Bezug 
auf Rheims, den Biſchofsſitz des Cardinald von Lothringen: 


— — — — ‚Im dert 

Geſchaftig ſenden ſie nach deiner Inſel 

Die Miſſionen aus, entſchloſſene Schwärmer, 
Sn allerlei Gewand vermummt.“ 


Bergl. Barnabit. 


Miſtreß (M. St. V, 1), engl. die Anrede für verheirathete 
Frauen ded Mittelftandes. 


Mistritt, |. v. w. Yebltritt, unpaſſendes Benehmen, näm- 
lich (F. I, 4) das Benehmen der Gräfin Leonore, welche durch 
ihr Aufbrechen von der Tafel die Zulta verlegt. 


Mittheilung (Ged.), ein Epigramm aus dem Jahre 1796. 
Bei wifjenjchaftlicher Darftellung, die ed allein mit der Beleh— 
zung zu thun bat, ſpielt die Form, in welche die Wahrheit ein- 
gefleidet ift, eine untergeordnete Rolle; bei künftlerifchen Dar- 
flellungen dagegen ift es wejentlich die Behandlungdweile des 
Stoffed, weldhe den Künftler zum Künftler mad. 


Mnemofyne, |. Muſen. 


Mnifhel, in einigen Ausgaben fälihlih Meiſchek 
(Dem. D, erfter Woiwode des Königd von Polen (©. 259), 
von Demetriuß (S. 243) „der edle Fürft von Sendomir”, von 
Sapieha (S. 253) „der liſt'ge Woimoda von Sendomir”, von 
Marfa (S. 2834) der Palatinud genannt, Marinas Bater 
(S. 263), „deflen Macht der König fürchtet“ — ift. nad 
Heeren’3 Geſchichte Zurii Muniſchek, bei deſſen Schwiegers 
john, dem Yürften Adam Conftantin Wiſchnewetzki Demetrius 


120 Mode — Moltencur. 


in Dienften ftand. Als Dem. fein Manifeft erließ, worin er 
den Ruſſen feine Rettung fund that, machte Muiſchek zugleich 
im Namen des Königs befannt, daß Polen bereit fei, dem Dem. 
zu feinem Erbe zu verhelfen. 


Mode, von dem lat. modus, die Art. 1) der Zeitgefhmad 
in der Kleidung, in Beziehung auf welde Paris (Ged. D. be- 
rühmte Frau), „die Baterftadt der Moden“, den Ton an- 
giebt; 2) Sitte (R. Vorr.). Davon modern, fraj. moderne, 
heutig; nad) neuerer Art, im neuelten Gefhmad; wie (Br. v. 
M. Ein. 5, 379). „Die moderne Welt“; au von Kunft: und 
Dichterwerken im Gegenjag zu antifen Darftellungen; daher 
(Sftf. 10, 201) „die modernfte Lectüre“. 


Modell, von dem ital. modello, ein Borbild, Mufterbild. 
1) in der Malerei und Bildhauerkunft eine unbelleidete Perjon, 
die dem Künftler ald Studium dient, wie (%. II, 5), wo ein 
weibliches Weſen ald der „lebendige Abdruck des weiblichen 
Modells“ bezeichnet wird; 2) eine vertiefte Yorm, welche 
dazu beftimmt ift, einen flüffigen Stoff hineinzugießen; bildl. 
(Sp. u. d. 2.):* „Wenn unfere Launen die Modelle unferer 
Philofophien find — in welcher wird die Wahrheit gegoflen? * 

modern, |. Mode. 

Mogul, |. Groß: Mogul. 

Mohrenland; gewöhnlicd, Abyffinien und dad angrenzende 
Aethiopien, dann auch die wejtlich davon gelegenen Theile bis 
an das atlantifche Meer, wie (Ged. 4.3. d. Xen. 88): 

„Am fernen Mohrenland, bort, wo des Tage Flamme 
Sich In bed Weltmeers legte Fluthen neigt.” 


Molch, |. Salamander. 


Molfencur (Ged. D. berühmte Frau). Unter Molken ver: 
fteht man die nach Abjcheidung der Fäfigen und butterhaltigen 
Theile der Milch übrig bleibende Flüffigkeit. Man bedient fich 
ihrer, da fie erweichende und auflöjfende Eigenfchaften bat, zu 


Moloch — Mont. 121 


arzeneilichen Zweden, beſonders bei Blutjtodungen in den Atb: 
mungswerkzeugen. 


Moloch, hebr. (3. Moſe 18, 21), König, ein Götze der 
Ammoniter und Moabiter, welche unter der Geſtalt deſſelben 
die Sonne verehrten und ihm Menſchenopfer brachten. So wird 
denn Moloch im weiteren Sinne für eine wilde, zerſtörende Gott: 
heit gebraucht und von Sch. dem Teufel gleich geftellt, wie (R. 
V, 2), wo die Räuber zu Karl Moor fagen: „Unfer bijt du, 
und wenn der Erzengel Michael mit dem Moloch ind Hand: 
gemenge fommen follte!" Dad Bild ded Moloch (R. II, 3) war 
eine Büfte mit einem Ochſenkopfe; fie beftand aus Metall und 
tonnte von unten ber wie ein Dfen geheizt werden, worauf bie 
Kinder, die man dem Götzen opfern wollte, in deſſen glühende 
Arme gelegt wurden; baher (R. 11, 3): „Drum ftanf auch die 
Luft jo nach Schwefel ftundenweit, als würbe die ganze Gar—⸗ 
derobe des Molochs unter dem Yirmament audgelüftet.“ 


Moment (8. u. 8. 11, 4 — Bit. Prol. — Meb. II, 10), 
der Augenblid; auch Zeitpunkt, wie (Ged. D. Zeitpunft): 
„Heer der große Moment findet ein Eleines Geſchlecht.“ 


Momus (Myth.), ein Sohn der Nacht, welcher der Sage 
zufolge alle Einrichtungen der Götter mit beißendem Spotte 
tabelte; daher (Bed. D. Mädchen v. Orleans), wohl mit Ber 
ziehung auf die fogenannten Poſſenſpiele: 

„Den lauten Markt mag Momus ımterhalten; 
Ein edler Sinn liebt eblere Geftalten." 

Mond, der bekannte Trabant der Erde; außerdem die 
aftronomifche Benennung für die Trabanten anderer Planeten. 
(Bergl. Saturn.) Der Lichtwechfel ded Mondes wurde im 
Alterthum der Zeiteintheilung des Jahres zu Grunde gelegt; 
daher heißt es (Geb. D. Eleuſiſche Yet) in Beziehung auf ben 


Menſchen: er 
„Ehre das Geſetz ber Zeiten 
Und der Monde beilgen Bang.“ 


122 Mongolen — Monftrang. 


(vergl. Sphaͤrenharmonie). Mond ift auch die Zeit von einem 
Neumond bis zum andern und fteht poetifch (Pb. III, 5) für 
Monat, das davon ftammt, wie (W. T. IV, 3), wo Armgart 
von ihrem Manne jagt: 

‚Schon in den fehften Mond liegt er im Thurm.“ 


Das Licht ded Mondes tft zurüdgeftrahlte® Sonnenliht und 
wie dieſes den Gejepen der Brechung und Yarbenzerlegung der 
Strahlen unterworfen, ſobald die Bedingungen diefelben find 
wie bei der Sonne; daher (W. T. II, 2): 


„Ein Regenbogen mitten in ber Racht!" 
„Es ift das Licht des Mondes, das ihn bildet.“ 


Mongolen, ber Name eined Volksſtammes im mittleren 
Alten; bildl. für Leute, die auf der unterften Stufe der Volks⸗ 
bildung ftehen, wie (Geb. D. Freundichaft): * 


„Bom Mongolen’ bi3 zum griech ſchen Geber." 


Monolog, von dem gr. mönos, allein und lögos, die Rebe; 
ein Selbitgeipräd; bef. im Drama (Wrb. I — K. d. 9.) eine 
Scene, in welcher eine Perfon allein erfcheint, um die Gedanken, 
welche fie innerlich bewegen, laut zu äußern. 


Monftenr (R. II, 3), in niedriger Ausdrucksweiſe (8. u. 
e. J, 1) „Musje*; frz. mein Herr, war ehemald der Titel, 
welcher in der älteren burbonifchen Linie ohne allen weiteren 
Zuſat dem Älteften Bruder des Königs beigelegt wurde; daher 
(M. St. II, 9: „Monfteur, unfern koͤniglichen Herrn”; vergl. 
Duc von Anjou. ©. a. Madame. 


Monftranz, mittl. Tat. monstrantia, von dem lat. monsträre, 
zeigen; das prächtige Gehäuſe, in welchem bie gemeihte Hojtie 
(j. d.) oder dad Hochwürdige (M. St. I, 4) enthalten ift, 
und das in der katholiſchen Kirche der verfammelten Gemeinde 
bei der Meſſe ald Zeichen ber Gegenwart bed Herrn gezeigt 
wird. Daber (Geb. D. Gang n. d. Eifenhammer): 


Montalto — Moral. 123 


„Drauf, ald der Briefter fromm ſich neigt, 

Und, zum Altar gewankt, 

Den Gott, den gegenwärtigen, zeigt 

Sn hocherhabner Hand, 

Da fündet es der Sacriflan 

Mit hellem Glöcklein klingend an, 

Und Alles kniet und fchlägt die Brüjte, 

Sich fromm bekreuzend vor dem Chriſte.“ 
Desgl. (W. T. III, 3): 


„Da fleht'8 der Pfaff, der Röffelmann — kam juft 
Bon einem Kranken ber — und fteilt fich Hin 

Mit dem Hohwürdigen, grad’ vor die Stange — 
Der Sigrift mußte mit dem Glöclein fchellen: 

Da fielen AM aufs Kuie, ich ſelber mit, 

Und grüßten die Monftrang, boch nicht ben Hut.” 


Bergl. Sacrament. 


Montalto, Kitter (Mlth.), aus einer tkalienifchen Yamilie, 
die bereitö im 14. Jahrhundert an ſtürmiſchen Parteifehden Theil 
genommen hatte. 

Montecueuli, Ernft (Bicc. IV, 3 — Bft. T. II, 8), 
Befehlshaber der kaiſerlichen Artillerie, Oheim bed nach Wallen: 
ftein’8 Tode fo berühmt gewordenen Raimund v. Montecuculi. 


Monterenu (3. v. D. I, 5), Städtchen am Cinfluß der 
Yonne in die Seine. 


Monument, lat. monumentum, Denkmal; ironiſch (R. J, 1) 
für Galgen. 


Moral, von dem lat. mos, die Sitte; gewöhnlich |. v. w. 
Sittenlehre, Sittlichkeitälehre, bedeutet (R. Vorr.) die gute Sitte 
jelbft, Indem Sc. jagt: „Wer ſich den Zwed vorgezeichnet hat, 
das Lafter zu ftürzen, und Religion, Moral und bürgerlide 
Geſetze an ihren Feinden zu rächen“, d. h. als Bertheidiger ber 
guten Sitte aufzutreten. — „Die moraliſche Kraft” (Ged.) 
ift die Kraft, da8 Gute zu wollen, danach zu ftreben; „eine 
moralifche Erſcheinung“ (B. a. v. E.) im Gegenſatz zur phy— 
fifchen ift eine folche, die nach den Geſetzen der Sittenlehre zu 


124 Moraliften, An einen — Morgentheor. 


beurtbeilen ift. Desgl. (Br. v. M. Einl. 5, 376) „moraliſche 
Weltregierung“ und (Gftj. 10, 204) „moralifche Gefühle”. — 
Ein „Moralift“ (Geb.), ift ein Gittenrichter oder Sittlichkeits⸗ 
prediger; bildl. wird (R.IV,2) dad Gewiſſen „ein milzfüchtiger, 
podagrifher Moraliſt“ genannt. — Moralität ift zunädft 
Gittlichleit, wie (Gr. 9. a. d. n. Geſch.): „Die zwei äußerften 
Enden der Moralität, Engel und Teufel”; ferner das ſittliche 
Berhalten, die fittliche Reinheit, wie (Wrb. II): „Eine gewifie 
poetiihe Dunkelheit hilft feine Moralität retten.” — Moral: 
ſyſtem ift ein Lehrgebäude von Sittengejegen, wie en D. 


Weltweilen): „Doch wie ed wäre, fing der Plan 


Der Welt nur erft von vornen an, 
Sit in Moraljyſtemen 
Ausführlich zu vernehmen.” 

Moraliften, An einen (Ged.). Das Gedicht aus d. J. 
1782 hatte in ſeiner urſprünglichen Form manches, was die 
Grenzen der Schicklichkeit überſchritt. Sch. hat es bedeutend 
abgekürzt und Vieles im Ausdruck gemildert. — Str. 6, V. 1: 
„Der irdiſche Gefährte“ iſt der menſchliche Körper. 

Morbleu (R. 11, 3), verd. aus Mort de Dieu, ſ. v. w. potz 
Henker! od. zum Teufel! 

Mordio (R. IV, 5), ein Angſt- oder Zetergeſchrei, aus 
„Mord“ und dem alten Empfindungslaute „jo, io“ zuſammen⸗ 
geſetzt. 

Morgengabe (D. C. IV, 9), das Geſchenk, welches ver 
Gatte feiner Gemahlin am Morgen nach der Hochzeit zu machen 
pflegte. 

Morgennimmerfein, eine Tühne Zufammenfegung. „Kein 
Sohn des Morgennimmerfeind“ (Ged. Semele 2) ſ. v. w. fein 
Gterbliher, d. b. der morgen nicht mehr (im fd. häufig „nim⸗ 
mer“) fein wird. 

Morgenthor (Bed. D. Künftler), poetiicher Ausdruck, |. v. w. 
urſprüngliche Eingangspforte. 


Mörliſchachen — Moöfomiter. 125 


Mörliſchachen (W. T. IV, 3), ein kleiner Ort am Vier— 
waldſtätterſee zwiſchen Küßnacht und Luzern. 


Moromeſk (Dem. In, bei Heeren Morawsk, ein Feiner 
Drt an der Dedna zwijchen Kiew und Tſchernigow. 


Moſchee (Zur. I, 1), ein muhamedanifcher Tempel. 


Mofel (Ged. D. berühmte Yrau), der bedeutendſte weft: 
liche Nebenfluß des Rheind. Sie entipringt am Südende der 
Bogejen, durchfließt das Plateau von Lothringen (daher: Geb. 
D. Flüfſe „die lotharingifhe Zungfrau”) und ergießt ſich bei 
Coblenz in den Rhein. 


Mofes, der befannte Geſetzgeber der Zöraeliten, war am 
Horeb (f. d.), wo ihm (2. Moſe 3, 1—16) der Engel des Herrn 
in einem feurigen Buſch erſchien, von Gott berufen worden, 
die Söraeliten aus Aegypten zu führen, worauf ſich die Stelle 
(3.0. O. Prol. 4) bezieht: 

„Denn ber zu Moſen auf des Horeb8 Höhen 

Sm feurigen Buſch fi flammend niederließ, 

Und ihm befahl, vor Pharao zu fichen x.” 
Um den hartnädigen König zu bewegen, dad jüdifche Volk ziehen 
zu lafien, war er zur Beglaubigung feiner göttlihen Sendung 
mit der Gabe, Wunder zu thun, audgeftattet worden. Auf zwei 
diefer Wunder, auf dad Grünen des Stedend Aarons (4. Moſe 
17, 8) und;da8 Hervorrufen der Quelle aus dem Yellen am 
Horeb (2. Moſe 17, 6 u. 7) bezieht fih die Stelle (M. St. 
V, 7, ©. 174): „Der dürre Stab kann Zweige treiben ꝛc.“ 


Mostfau (Dem. I) an der Moſkwa, einem Iinfen Seiten: 
fluffe der Oka; die alte Hauptftadt des ruffiichen Reiches und 
ehemalige Reftdenz der Czaare. Nach ihr wurden bie Ruflen 
in früheren Zeiten häufig auch Mosſskowiter (Dem. I) ge 
namnt. 


Moslowiter, |. Moskau. 


126 Motiv — Mumie. 


Motiv, eig. Beweggrund; in beit fchönen Künften (Br. 
v. M. Einl. 5, 379) ein auf Wirfung berechnetes Kunftmittel; 
motiviren (ebendaf. ©. 332), mit Gründen belegen, unter: 
ſtützen. 

Mulatte, von dem lat. mulus, Maulthier (von Pferd und 
Eſel abftammend); ein Miſchling, der von ſchwarzen und weißen 
Menſchen herſtammt, alfo auch eine zwifchen beiden jchwanfende 
Farbe hat; daher (®. a. v. E.): „gelbe Mulattenfhwärze”. 


Muleiber, |. Hepbäftos. 


Müller, Johannes (W.T. V, 1), ein mit Beziehung auf 
ben berühmten Geſchichtsſcheiber Johannes v. Müller (geb. 1752 
zu Schaffhaufen, geft. 1309 zu Kaffel) gewählter Name. Der: 
felbe hat fi durch feine 1774 in Genf gehaltenen Borlefungen 
über Univerfalhtftorie, vor Allem aber durch feine 1780 erſchie⸗ 
nene Geſchichte der Schweizer und andere hiftorifche Werke einen 
weitverbreiteten Ruf erworben. Sc. hatte ihn über einige 
Punkte der Geſchichte Telld um Auskunft gebeten, die in fo 
gründliher Weiſe ertheilt wurde, daß der Dichter fich dadurch 
angejpornt fühlen mußte, in feinem Drama möglichſt treu hifto: 
riſch zu verfahren. 


Mumie, eine einbalfamirte und getrodnete Leiche, wie fie 
die alten Aegypter in ihren Grabdenkmälern aufzubewahren 
pflegten. Mit Beziehung auf ben widrigen Eindrud, den foldhe 
Leihen machen, ift (Mech. IV, 3) von Herenmumien bie 
Nede, die in den Keſſel getban werden; desgleichen (K. u. 8. 
IV, 7) „welt, wie eine Mumie”; eben fo wird (D. ©. I, 5) 
des Königlichen Leichnamd mit den Worten erwähnt: 

— — — — „Der neuerwählte König 

Kann ..... die Mumie ded Todten 

Aus ihrer Ruhe zu Edcurial 

Hervor and Licht der Sonne reißen.” 
Sn bildlicher Ausdruddweife wird (Ged. Refignation) die Un- 
fterblichfeit 


Münfter — Mufe, Die deutliche. 127 


„@in Lügenbilb lebendiger Geftalten, 
Die Mumie ber Zeit" 

genannt. Eben fo jagt Sch. (Bed. D. Spaziergang), wo von 
dem Schwinden des gefeglichen Sinnes mitten unter den Scheine 
der Geſetzlichkeit die Rede ift: 

„Zahre lang mag, Sahrbunderte ang die Mumie dauern, 

Mag dad trügende Bild Iebender Hülle beftehn.“ 
und in ähnlicher Weife bezeichnet er (ed. D. Genius) die 
ſchwer verftändliche Ausdrudsweije der Philofophen in der an 
ſich ſelbſt gerichteten Frage: 
„Dir ift bekannt, was die Gruft der dunklen Wörter bewahret, 
Ob der Lebenden Zroit dort bei den Mumien wohnt?" 


Münfter (Geb. Elegie a. d. Tod e. Jünglings — K. u. 
&. III, 4), von dem lat. monasterium, Klofter; eine Collegiat- 
ober Domkirche, weil die Domberren ehemals in Gemeinfchaft 
lebten wie die Mönche. 


Muotta (W. T. II, 2), ein Bach, der ein interefiantes, 
2—3 Stunden langes Thal durchfließt, defien früher mit Ur- 
wald beftandene Abhänge „jetzt“ mit Wiejen bededt find. Nach 
Süden öffnet ſich die Thalſchlucht und führt rechts nah Schwytz 
oder links nach Brunnen an den VBiermwaldftätterfee. 

Murano, ſ. Benedig. 


Muſe, An die (Ged.), ein Epigramm aus dem Jahre 
1796. Der Dichter fühlt ſich glücklich in dem Beſitze der Poefie 
und beflagt diejenigen, bie derjelben entbehren. Vergl. „Jetzige 
Generation.” 

Mufe, Die deutide (Ged.). AL Sc. im Jahre 1800 
ſich mit dem Plane beichäftigte, für die deutſche Bühne ein 
würdiged Repertoire zu jchaffen, ſah er fih nit nur in der 
einheimifchen, fondern auch in der ausländifchen Literatur um. 
Hierbei drängte fich ihm die Bemerkung auf, daß bie deutſche 
Poeſie ſich der Gunft der Großen keinesweges fo zu erfreuen 
gehabt, wie etwa zur Zeit des Kaiſers Auguftus, oder wie gegen 


123 Mufjelmann — Wufen. 


Ende ded Mittelalterd unter den Mebdiceern (f. d.) zu Florenz. 
Sa ſelbſt der Weile auf dem Throne, Friedrich der Große, 
tonnte bei feiner einfeitigen Vorliebe für die franzöftfche Kiteratur 
der deutfchen Poeſie feinen Gefchmad abgewinnen. So waren 
die deutfchen Dichter nur auf fich felbft angewiefen; aber um 
fo inniger und wahrer Tonnte ihre Empfindung zum Ausdruck 
gelangen, um fo freier die deutſche Dichtkunft fich entwideln. 


Mufelmann (Ged. Ritter Toggenburg), verberbt aus 
Modlem, von dem arab. isläm, d. i. Ergebung od. Hingebung 
an Gott oder den wahren Glauben; alfo eig. ein Rechtgläubiger, 
d.h. ein treuer Anhänger der Lehre Muhameds. 


Mufen (Myth.), von dem gr. musa, von den römifchen 
Dichtern Camönen genannt, find die Schupgättinnen ber 
Ihönen Künfte und Wiffenfchaften. Ihre Verehrung fcheint 
aud dem nördlichen Griechenland zu ftammen, daher (Iph. IV, 
Zw.:Handl.): „Der Theffalierinnen Chor.” Zahlen und Namen 
werden für die älteren Zeiten verfchiedben angegeben; Homer 
nennt (Od. 24, 60) die Neunzahl, doch ohne einzelne Namen. 
Der Bater der Mufen iſt Zeus, ihre Mutter Mnemofpne 
(Ged. D. Gunſt d. Mufen), eine Tochter des Uranus und der 
Gäa. Da Munemoſyne ald die Göttin ded Gebächtnified be: 
feachtet wurde, jo mußte fie natürlich Kinder von feltenen Gaben 
befigen; ihre Töchter widmeten fih daher den jchönen Künften 
und dem heiteren Wiſſen. Bor Allem ergögten die Mufen mit 
ihren Liedern die Götter, wie (Ged. D. vier Weltalter): 


„Da fangen die Muſen im himmliſchen Chor.“ 
und (Ged. D. Eleufifche Feit): 
„Mit neunftimmigem Gefange 
Ballen die Samönen ein.” 
Ste befangen den Anfang aller Dinge und die Werke der 
Schöpfung, deögleichen verlünbeten fie dad Lob und die Thaten 
ber Götter. Daher fingt (Iph. III, 3w.:H.) der Chor: 





Mufen. 129 


„Helene, die der hochgehalßdte Schwan 

Gezeuget — Das haft du gethan! 

Ser’! nun, daß in einem Bogel 

Leda, wie bie Sage ging, 

Zeus verwandelte Geſtalt umfing, 

Sei’, dab eine Fabel aus dem Munde 

Der Camönen fehr zur fchlimmen Stunde 

Das Befchleht der Menſchen hinterging!“ 
Eben fo erſchienen fie bei feftlichen Gelegenheiten, wie (Iph. 
IV, 3w.:9.): 

„Wie lieblich erflang 

Der Hochzeitägejung, 

Den zu der Cyther tanzluitigen Tönen 

Zur Schalmet nnd zum libyſchen Rohr 

Sang ber Camönen 

Verjammelter Chor 

Auf Peleus Hochzeit und Thetis der Schönen.” 


Beionderd waren der Pindus, der Parnaſſus und der Helifon 
die Berge, auf denen fie fi unter ihrem Yührer Apollo bei 
heiligen Quellen vereinten. Jedenfalls erjcheinen die Mufen 
unter den Gottheiten Griechenland: und Roms als die edeliten 
Geftalten; daher (Geb. D. vier Weltalter): 
„Und einen Heilgen, feufchen Altar 
, Bewahrten ſich ftille die Muſen.“ 
Sie erweden den Edelmuth, lenken die Herzen zum ©uten, be- 
legren und begeiftern die Sterblihen und unterftügen die Wür⸗ 
digen mit Rath und That; daher rufen die Dichter fie an, fo- 
bald fie etwas Schwierige unternehmen wollen, denn fie find 
bie Spenderinnen der Dichtergabe, wie (Ged. D. vier Welt- 
alter), wo es von dem künſtleriſchen Talent des Sängers heißt: 
„Shm bat e8 die Muſe gegeben.” 
dedgl. (Ged. D. Künftler): 
„Was bei dem Sattenflang der Mufen 
Mit ſüßem Beben dich durchdrang, 
Erzog die Kraft tn deinem Buſen, 


Die fi dereinft zum Weltgeift ſchwang.“ 
IH. 9 


a 





130 Mufen. 


Wie fie das Fünftlerifche Talent verleihen, jo find fie natürlich 
auch die Befchüßerinnen der Kunft; daher (Geb. D. Gunft der 
Mujen): 
„Mit dem Philifter jtirbt auch fein Ruhm. Du, himmliſche Mufe, 
Zrägft, die Dich lieben, die Du liebft, in Mnemofynens Schoß.” 


Sn bildliher Ausdruddweife ift Sch. die Mufe: 1) Die 
Dichtkunſt felbit, wie (Geb. D. Entzüdung an Laura): 


„Meine Mufe fühlt bie Schäferſtunde. 


oder (Geb. D. Geheimniß d. Reminifcenz), wo er feiner in 
grauer Vorzeit beftandenen Berbindung mit Laura gedenkt: 
„Meine Mufe jah e8 auf der trüben 
Tafel der Bergangenheit gejchrieben.” 


beögl. (Ged. D. Künitler): 


„Bon ihrer Zeit verftoßen, flüchte 
Die ernfte Wahrheit zum Bebichte 
Und finde Schuß in der Gamdnen Chor.” 


und (Ged. Sängers Abfchied): 
„Die Mufe fchmeigt; mit jungfräuliden Wangen, 
Erröthen tim verfchämten Ungeficht, 
Zritt fie vor Dich, ihr Urtheil zu empfangen.” 
2) find ihm die Mufen die Vertreterinnen des Gebiets 
ber Schönheit, wie (Geb. D. Künftler), wo es in Beziehung 
auf die anmuthigen oder maleriſchen Stellungen heißt, mit wel- 
chen die römiſchen Sladiatoren den Todesſtoß empfingen: 
„Belaffen Hingeftügt auf Grazien und Mufen, 
Empfängt er das Geſchoß, da® ibn bebräut, 
2 Mit freundlich dargebotnem Bufen 
Vom fanften Bogen ber Nothwendigkeit. 
8) die Repräfentantinnen bes Sinnes für bie Kunft, wie 
(Ged. D. Antiken zu Paris): 


„Der allein befitzt bie Mufen, 
Der fie trägt im warmen Bufen; 
Dem Banbalen find fie Stein.” 


Mufen. 131 


Wenn die alten Dichter eine Mufe anriefen, jo waren in 
ihr Die übrigen ſtets mitbegriffen; [päterhin gab man einer je- 
den einzelnen eine bejondere Beichäftigung, jo daß folgende neum 
Kunftgöttinnen unterjchteden wurden: 

1. Klio (der Ruhm) für die Geſchichte. Sie wird ge: 
wöhnlich fißend, mit einer geöffneten Papterrolle dargeftellt. 

2. Kalliope (die Schönredende) für dad Heldengedicht, 
mit beiden Händen ein zufammengerollted Pergament haltenb. 

3. Melpömene (die Singende) für dad Trauerfpiel, in 
ber einen Hand einen Dolch, oder eine tragiſche Maske, die an- 
dere auf die Herculeskeule geftüßt. 

4. Thalia (die Yröhliche) für das Luſtſpiel, mit der 
komiſchen Maske und dem krummen SHirtenftabe, gewöhnlich 
mit einem Epheukranze geihmüdt; biöweilend auch tanzend mit 
einer Handpaufe. 

5. Eräto (die Liebliche) für Tanz und Muſik, mit einer 
neunfaitigen Lyra, häufig auch tamzend. 

6. Euterpe (die Ergöpende) für das Flötenfpiel, mit der 
Doppelflöte. 

7. Terpſichore (die Tanzliebende) für Cither und Tanz, 
mit der fiebenfaitigen Lyra und dem Plectrum, mit dem fie die 
Saiten rührt. 

8. Polyhymnia (die Liederreiche), finnend und begeiftert, 
oder mit bedeutſam erhobener Rechten, bisweilen mit einem 
Kranze von Winden geſchmückt. 

9. Uraͤnia (die Himmliſche) für die Sternkunde, mit einer 
Himmelskugel und einem Zirkel In der Hand, dad Haupt bis— 
weilen mit einem Sternenkranze (bei Sch. „Feuerkrone“) um: 
geben. . 
Bon diefen neun Dufen kommen in Sch.'s Dichtungen nur 
vier vor; zumächft diejenigen, welche e8 mit der Dichtkunft zu 
thun haben, wie (Geb. Shakeſpeare's Schatten): 

„io fieht man bei euch dem leiten Lanz ber Thalia 
Neben. dem ernften Bang, welchen Melpomene geht?” 
9 L 


j J 
132 Muſenalmanach — Muſeum. 


ferner (Ged. An Goethe): 

Aufrichtig iſt die wahre Melpomene, 

Sie kündigt nichts als eine Fabel an, 

Und weiß durch tiefe Wahrheit zu entzücken 
und (Geb. Tonkunft): 

„Leben athme die Fildende Kunft, Geiſt forbr’ ich vom Dichter; 
Aber die Eeele fpribt nur Polyhymnia aus.” 

Schließlich tritt (Ged. D. Künftler) Urania finmbildlih als 
Repräfentantin der Wahrheit unter der Hülle der durch Aphrodite 
(j. d.) dargeftellten Schönheit auf: 


„Die eine Glorie von Drionen 

Ums Angeficht, in hehrer Majeſtät, 

Nur angeſchaut von reineren Dämonen, 
Verzehrend über Sternen geht, 

Geflohn auf ihrem Sonnenthrone, 
Die furchtbar herrliche Urania — 
Mit abgelegter Feuerkrone 
Steht fie — als Schönheit vor uns ba.” 

worauf umgekehrt (ebendaf.) die Schönheit zur Wahrheit wird: 

„Site ſelbſt, die fanfte Cypria, 
Umleuchtet von ber Feuerkrone, 
Steht dann vor ihrem münd’gen Sohne 
Gntichleiert als Urania.” 


Anm. Mufe (Sftf. 10, 248): „ich babe volle Muſe“ irr⸗ 
thümlich für Muße. 

Mufenalmanad (Ged. D. Handſchuh; Anm. — Geb. 
D. Sohamniter; Anm.), der Titel eined poetiſchen Jahrbuches, 
welches Sch. von 1796 —1800 herausgab. 


Mufeum, aud dem gr. museion, eig. ein Mufentempel, 
d.h. ein den Mufen, d. i. der Gelehrſamkeit, den Wiffenfchaften 
und Künjten gewidmeted Gebäude, bef. ein ſolches, in welchem 
werthuolle Ueberreſte aus dem Altertbyum aufbewahrt werben; 
daher (Ged. Pompeji und Herculamım): 

— — — — — „Sm ernſten Mufeum 
Liegt noch ein köftlicher Schag jeltener Rollen gehäuft.“ 





Mufik — Mylord. 133 


Da dergleichen Gebäude, beſonders die zu Kunſtſammlungen 
beftimmten, gewöhnlich ein ftattliched Aeußere Haben, jo heißt 
e8 (Ged. D. Antiken zu Paris) von dem Franken: 

„Und in prangenden Mufeen 

Zeig’ er jeine Siegstrophäen.“ 

Muſik, eine der älteften unter den ſchönen Künften. Sie 
erfcheint (H. d. Künfte) perfonificrt, wo ihr Sch. die Leier 
(vergl. Mufen: Erato u. Terpfichore) als Attribut zuertheilt und 
auf zwei Hauptmomente ihre Wefend, auf Melodie und Har: 
monie hinweiſt. Mit der „Muſik der Himmel” (M. St. 
I, 6) ift die erhebende Wirkung der geiftlichen Mufif gemeint. 


Musje, ſ. Monfteur. 


Mutter, Die (Iph. II, 3), tft Klntämneftra, Agamemnons 
Gemahlin; ihr „Beiner Sohn” (S. 29) tft Oreſtes (f. d.). — 
Die „heilige Mutter” (M. St. I, 6) ſ. Maria. — Die „Mutter 
der Eliſabeth“ (M. St. I, 6) ift Anna v Boleyn; |. Hein- 
rich VII. — Die „unnatürlihde Mütter” (3.0. O. J, 5) tft 
eine Anfpielung auf I. Kön. 3, 16—28. 


Muttergottesbild, j. Maria. 


Mycenä od. Mycene (Geb. 2. B. d. Aen. 4 — Phön.), 
.eind von den Heinen Königreichen der Landichaft Argolis, auf 
ber öftlichiten Halbinjel des Peloponnes; ferner Die berühmte 
Stadt (Iph. I, Zw.:H. — Ph. V, 6), Agamemnons Königsfts. 
Auch Fürſt Hippömedon war aus dieſer Gegend; daher jagt 
der Hofmeilter (Phön.): „Myceniſchen Geſchlechts ift er.“ 

Mygdon (Geb. 2. 2. d. Aen. 61), einer der griechiſchen 
Helden vor Troja, der Vater des Choröbus. 

Mükale (Ged. Semele 2), ein Borgebirge Kleinafiens, ſüd⸗ 
lich von Epheſus, der Inſel Samos gegenüber. 

Mylady, ſ. Lady. 

Mylord, f. Lord. 


134 Myriade — myſjtiſch. 


Myriade, von dem gr. myrioi, zehntauſend; uneigentlich: 
eine unzählbare Menge, wie (R. I, 2) „Myriaden gehörnter 
Köpfe“, d.h. eine Unzahl von Teufelögeftalten. 


Myrmidönen, ein thefialiiches Urvolf, bei Homer das dem 
Achilles untergebene Volk von Phthia in Thefjalien; daher (Iph. 
I, 3w.:9.): 

„Hunfzig Schiffe tapferer Myrmidonen — 
Zend glorreihher Enkel führt fie an.“ 
Bisweilen werden auch die Griechen fo genannt, wie (Geb. 
2. DB. d. Wen. 2), wo Aeneas jagt: 
„Ber, felbft ein Myrmibon und Kampfgenoß 
Des graufamen Ulyß, erzählte tbränenlos!* 
und ebendaf. 28: 
„Bon jeher barg im Krieg mit Ilium 
Minervend Schup der Myrmidonen Schwäche.” 

Myſtiker, An die (Ged.), ein Epigramm aus dem Jahre 
1796. Diejenigen, welche fi) befonderer geheimer Dffenbarungen 
rühmen, weijet ber Dichter auf das große Geheimniß hin, wel: 
ches uns in der ganzen Schöpfung offen dargelegt und dennoch 
von Niemandem ergründet ift. 


muftifch, von dem gr. myein, ſich fchließen, verjchließen, 
bef. die Augen und den Mund; |. v. w. geheim, geheimnißvoll, 


dunkel und verborgen; daher (Ged. Menjchliched Willen) „der 


Sphären myftiſche Tänze“, d. h. die geheimnißvollen Bewe— 
gungen der Weltkörper. — Myſterien find Geheimniſſe, die 
der Deffentlichfeit nicht preißgegeben werden follen, wie im 
Altertbum die eleufinifchen Myſterien (f. Eleufis); dafjelbe gilt 


auch von zarten Verhältniffen der Gegenwart, wie (Geb. D. 


berühmte Frau), von der es heißt, fie jei 


„Dem fchöneren Geſchlecht entflohn, 
Herabgeftürzt von einem Thron, 
Des Reizes heiligen Myfterten entwichen,” 


d. h. ein Gegenftand der öffentlihen Aufmerkſamkeit geworden. 
Ehen fo giebt es gewifle Empfindungen, die eben nur bejonders 


Mytbenftein — Nahahmer. 135 


geweiheten Stunden angehören und für melde die Sprache 
feinen volllommen zutreffenden Ausdruck hat; daher (Ged. D. 
Geniuß): 
„Und ben Heiligen Sinn hütet das myſtiſche Wort,” 

auß welchen die Stimme der Wahrheit gleihjam nur als eine 
Ahnung herauffteigt. — Wer indefien mit Gegenftänden von 
jo zarter Natur Mißbrauch treibt und fie zu feiner Hauptbe- 
Ihäftgung macht, der ift ein Myſtiker (Ged.), ein Verehrer 
des Geheimnißvollen, wie es befonderd auf dem religiöfen &e- 
biete fo viele giebt, die das Geheimnißvolle in dem Verhältnis 
bed Menjchen zu Gott vor Allem mit der Kraft der Phantafte 
zu ergrifen ftreben, um ed dem menjchlihen Gemüthe näher 
zu brinzen. Schriften, welche diejed Ziel verfolgen, find (Gſtſ. 
10, 172, „myftifhe Bücher”, die befonderd den Hang zum 
Bunderrlauben zu nähren fuchen; daher (Gſtſ. 10, 172): „Zulegt 
hatte ich ihn mit Myſticität jo umftridt und ummunden, daß 
nicht8 mer bei ihm Grebit hatte, ſobald ed natürlich war.“ 


Mylhhenſtein (W. T. I, 4), eine aus dem PVierwaldftätter- 
fee hervorragende Felfenfäule, eine halbe Stunde nördlich vom 
Rütli. Se ift gegenwärtig mit der Inſchrift gefhmüdt: „Dem 
Sänger UWE, Friedr. Schiller; die Urkantone 1360.” Mit 
en Mythenſtein (W. T. I, 1) tft der 5900 Fuß hohe Mythen 
in der Nähe von Schwyz gemeint, der fih, wie andere hohe 
Berge, bei herannabendem ftürmtfchen Wetter mit einer Wolken: 
haube zu unhüllen pflegt. 


R. 


Nachahner, Der (Geb.), ein Epigramm aus dem Sabre 
1796. Der Nachahmer bewegt fich ftetd in bereit3 geebneten 
Bahnen, wöhrend dad Genie ded Zwanged ber Regeln fpottet, 
fih neue Bainen Brit und mit felbjtändigen Schöpfungen her: 
vortritt. 


136 Nachtwandler — Ragori, 


Nachtwandler oder Mondjüchtige find Menſchen mit timem 
franfhaften Nervenfyften, die bei eintretendem Mondwechſel im 
Schlafe aufftehen und mit gefchlofjenen oder auch mit geöffxeten 
Augen umbergehen, ohne ihre Umgebung zu erkennen. Sie 
pflegen wie im Traume umberzuwandeln, nehmen manderlet 
Beihäftigungen vor und find nicht felten geneigt, gefährliche 
Höhen zu erllettern. Die Aerzte bezeichnen den Zuftand aB ein 
von dem Einfluffe des Monded hervorgerufened Schlafwichen; 
daher heißt ed (D. &. V, 9) von dem Könige: „Er kommt in 
einem wachen Traume, wie eined Nachtwandlers.“ 

Nadir, ſ. Zenith. 

Nadoweſſiers Todtenlied (Ged.), früher unter den Titel: 
„Nadoweſſiſche Todtenklage“ Died Gedicht aus dem Sabre 
1797 iſt die Frucht einer Reminiſcenz aus einer Reie durch 
Nordamerika von Thomad Carver und beweiit, daß Sch. es 
auch verftand, die einem wilden Bolfe innewohnenie Poefie 
nachzuempfinden und dem, wa3 er unbefangen in fi ufgenom: 
men, gelegentli einen treffenden Ausdrud zu geben Goethe 
lobt an dem Gedichte „den ächten realiftifch-hHumoriftichen Cha- 
ratter, der wilden Völkern in folchen Fällen jo woh anfteht”; 
Viehoff die kräftig einjegenden trochäifchen Rhythmen ſowie bie 
beftimmt fchließenden männlichen Reime der kurzen Brje, welche 
der derben Sinnedart folder Völker durchaus entjprehen. Das? 
ſelbe gilt auch von mehreren recht überrafchend auftretenden 
Keimen. Sch. betrat mit diefem Gedichte ein Yeld, durch wel- 
ches dad Gebiet der Poefie erweitert wurde und af welchem 
Freiligrath jpäter fein Nachfolger geworben if. Humboldt 
empfand ein Grauen an dem Gedichte, wad Goehe nur mit 
Rückſicht auf den Stoff gelten laſſen wollte. Séo.'s Abficht, 
noch mehrere ähnliche Lieder folgen zu laflen, durg welche die 
Natur jened Volksſtammes zur Anſchauung gebndyt werben 
follte, ift unaudgeführt geblieben. 

Nagori (Dem. I), in Heerend Geſchichte (©. 100) Nagoi, 
ein ruſſiſcher Würdenträger, deſſen Tochter Mara (bei Sch. 


Najaden — Natur. 137 


Maria) Iwans fünfte (der Geſchichte nach flebente) Gemahlin 
wurde und ihm den Dmitri od. Dimitri gebar. 

Aajaden, |. Nymphen. 

Hamur (&.v.D. Prol. 3), eine von der Maas durchſtrömte 
Grafſchaft, welche von Philipp dem Guten dur Kauf mit dem 
ehemaligen Herzogtum Burgund vereinigt wurde und jegt eine 
Provinz ded Königreichd Belgien bildet. 


Näaͤnie, |. Nenie. 


Rantes (K. d. H.), franz. Handelsftadt oberhalb der Mün- 
dung der Loire. 


Napoli, |. Neapel. 


HRaflau, ein ehemals zu den deutichen Bundesftanten ge: 
höriges Herzogthbum, das öftlih vom Rhein auf den Höhen des 
Zaunud und des MWefterwaldes zwiſchen dem Main und der 
Lahn liegt. Als Ahnherr des naffauishen Yürftenftanımes wird 
Dtto von Laurenburg genannt, Kaifer Konrad's I. Bruder, defien 
Nachkommen ſich feit der Mitte des 12. Sahrhundertd Grafen von 
Naſſau nannten. Diefelben machten fi jpäter in den Nieder: 
landen anfäffig, namentlich der Prinz Wilhelm von Naffau 
und Oranien (D. C. IV, 22, ſ. Dranten), welcher 1579 die Union 
zu Utrecht bewirkte, durch die ein großer Theil der Niederlande 
von der ſpaniſchen Regierung abfiel. 


Rationalgenie (R. II, 2), die einem Volke angeborene 
Fäahigkeit, ſeine eigenthümliche Natur. 
Natur ift 1) die Geſammtheit aller geichaffenen Dinge, die 
Schöpfung, wie (Bed. D. Naturkreis): 
„Alles, du Rubige, ſchließt fih in beinem Reiche.“ 
2) der Inbegriff der in der Schöpfung wirkenden Kräfte, wie 
(D. C. I, 2), wo Don Carlos fagt: 


„Wenns wahr tft, daß bie fchaffende Natur 
Den Roderich im Carlos wiederholte.“ 


138 Naturalism — Naturkreis. 


3) der Inbegriff der einem Weſen eigenthümlichen Eigenſchaften 
und mit Rüdficht auf dieſe ein ſolches Weſen ſelbſt, wie (Wſt. 
L. Prol.): 


oder bildl. für natürlich gebliebenes Weſen, wie (D. C. II, 8), 
wo Don Carlos zur Prinzeſſin Eboli fagt: 

„Dir Mäbchen, bir entded' ich mich, ber Unſchuld, 

Der lautern, unentheiligten Natur.“ 
Vergl. Ged. D. Genius, wo Natur in B.2 die fchaffende Kraft, 
in V. 3 das derjelben eigenthümliche Wefen, in V. 4 zuerſt die 
Schöpfung und dann die in ihr ruhende Wahrheit bezeichnet. 


Raturalism, gew. Naturalismus, eig. Naturglaube, Natur: 
religion; Naturalism in der Kunft (Br.v. M. Einl. 5, 378), 
die Ausübung einer Kunft nach natürlicher Anlage, ohne Schule 
und Kenntniß ihrer Regeln. 


Raturforfher und Transſcendental-Philoſophen 
(Ged.), ein Epigramm, dad wahriheinlih auf eine Schrift: 
Joh. v. Schelling's Ideen zu einer Philofophie der 
Natur (Tübingen 1795) zu beziehen tft, in welcher er für bie 
Richtungen der Natur: und Trandcendental: Philojophie einen 
höheren Bereinigungspuntt aufzuftellen ſuchte. Die Nah: 
forjcher haben es zunädhft mit ſinnlichen Erfcheinungen, Die 
ZTrandfcendental-Philofophen (von dem lat. transscendere, über: 
fteigen) mit dem Weberfinnlichen zu thbun. Cine Bereinigung 
zwiſchen diejen beiden Richtungen wiberftrebt der Natur beider 
Gegenftände und wird ſchwerlich je gelingen. 


Haturgefeg, Das (Ged.), ein Epigramm aus dem Sabre 
17%. Es fteht in Zufammenhang mit dem vorangehenden: 
Correctheit (ſ. d.) und ift gegen den oft lange fi haltenden 
falſchen Geſchmack gerichtet. 


Naturkreis, Der Ged.), ein Epigramm aus dem Jahre 
1796. Wie in der Natur faſt ſämmtliche Erſcheinungen eine 


„Der Kampf gewaltiger Naturen.” 


Naue — Neffe ald Ontel. 139 


in fich gefchloffene Kette bilden, die Pflanze durch die Samen: 
bildung den Keim zu einer neuen Pflanze giebt, der aus dem 
Meere emporfteigende Waflerdampf durch die Wolfen, Bäde 
und Ströme zum Deere zuräüdfehrt: jo bildet auch das Leben 
des Menfchen einen gejchloffenen Ring. Vergl. Goethe's Aus: 
ſpruch: „Das Alter maht nicht kindiſch, wie man fpricht; es 
findet und nur noch ald wahre Kinder.“ 


Rave od. Nave (W. T. I, 1) von dem lat. navis, das 
Schiff; fd. ein platte Yahrzeug, bei. ein Frachtſchiff. 

Meapel, ital. Napoli (Wit. L. 11), früher ein Theil des 
Köntgreichd beider Sicilien, jetzt der ſüdlichſte Theil des König- 
reihed Stalien, gehörte zur Zeit Philipp's II. zur ſpaniſchen 
Krone; daher fagt der von Malta zurüdkehrende Marquis (D. 
C. 1,4): „Auf meinem Rüdweg von Neapel.” 


Rebelflecke (Ged. An die Aftronomen). Sn heiteren Näd- 
ten bemerft man ſchon mit bloßem Auge Stellen am Himmel, 
die ſich durch ihr heilered Blau auf dem dunfleren Nachthimmel 
auszeichnen. Solcher Flede kennt man jet etma 4000 und be: 
radhtet fie als übereinftimmend mit den fogenannten Stern: 
haufen, da fie fih, durch Icharfe Yernröhre betrachtet, in ein: 
zelne Firfterne auflöfen. 


Mebuladnezar (Wft.%. 3), der zweite König des chalbäiich- 
babyloniſchen Reiches, welcher 599 v. Chr. dem jüdiſchen Staate 
ein Ende madte und das Voll in die babyloniſche Gefangen: 
ihaft führte. 

Neffe, Der, als Onkel, Luftipiel in drei Aufzügen. Aus 
dem Franzöſiſchen des Picard. (Bd. 7.) ine Ueberſetzung, 
deren Original den Titel führt: Encore des Menechmes, d. h. 
Noch ein Paar Doppelgänger, mit Beziehung auf ein Stüd 
von Regnard, das einen Ähnlichen Titel führt. Picard's natür- 
lihe Munterfeit und fein lebenövoller Dialog mochten dem 
Herzoge von Weimar befonderd zugefagt Haben, auf deſſen 


140 ‚Nektar. 


Beranlaitung Sch. im Frühjahr 1803 die Niebertragung zweier 
Zuftipiele diefes Dichterd (vergl. Parafit) übernahm. Picard's 
„Menechmes“ find in Proja gefchrieben und von Sc. ziemlich 
wörtlich, jedoch ohne befonderen Zwang überjeßt. (Bergl. Deut: 
fher Genius.) Die Aufführung fand in Weimar unter vielem 
Beifall ftatt, obwohl die Schaufpieler dabei nah Sch.'s Mei- 
nung „jubdelten“. 


Nektar (Myth.), bei Homer (SI. 19, 38; Od. 5, 98) der 
Söttertrant. Die Götter bedienten fi) defielben und erhielten 
ih dadurch ewige Jugend und Unfterblichkeit; daher (Iph. IV, 
3w.:9.): 


Wo bie Becher des Nektars erklangen, 
Auf des Pelion wolkigtem Kranz.” 
und (Ged. D. Triumph d. Liebe): 

„Unter goldnem Nektar ſchaum 

Ein wollüjt'ger Morgentraum, 

Ewig Luſtgelage 

| Sliehn der Götter Tage.“ 
SH. braucht N. oft bildlih: 1) in Momenten dichterifhen Ent- 
züdens, wie (Ged. Dithyrambe), wo er die Götter bittet: 
„D füllet mit Nektar, o reicht mir die Schale!” 


und (Ged. D. Geheimniß d. Reminiäcenz), wo er von feiner 
geträumten früheren Bereinigung mit Laura jagt: 

„Und entgegen goffen Nektar quellen 

Ewig ftrömend ihre Wolluftwellen.* 
2) vergleichungöwetje von köſtlichem Wein, wie (%.1,4), wo Fiesco 
fagt: „Der Boden meiner Zimmer lede cypriſchen Nektar.“ 
3) befonderd von dem Honigjaft und dem lügen Duft der Blumen, 
wie (Ged. Klage d. Ceres): 
„Euer Kelch ſoll überfließen 

Bon des Nektars reinftem Thau.“ 

ferner (Ged. Sängers Abſchied): 


„Die Staude mwürzt die Luft mit Neftarbüften." 


Nemefis. 141 


und (9. d. 8.), wo ed von dem Drangenbaum heißt, den die 
Landleute pflanzen: 


„Mögen deine Nektargaben 
Noch den fpätften Entel Iaben.” 


4) vom Liebeögenuß, wie (Ged. An einen Moraliften): Als du 
„Nektarduft von Mäpchenlippen ſogſt.“ 


Nemeſis, gr. eig. ber Unwille, die Entrüftung über etwas 
Unrechted; in der Myth. die rächende oder ftrafende Göttin bes 
Shidfald, eine Tochter ded Erebus und ber Nacht, auch die 
gerechte Vergelterin bed Guten wie ded Böjen. Sch. ſchildert 
fie (Ged. D. Kraniche d. Ibykus, Str. 19) ald 

— — — — „Die furdtbare Macht, 
Die rihtend im Berborgnen wacht, 
Die unerforfchlich, unergrünbet 

Des Schickſals dunklen Knäuel licht, 
Dem tiefen Herzen ſich nerfündet, 
Doc fliehet vor dem Sonnenlicht.” 


Sie wird ald Rachegöttin angerufen, wie (Phön.), wo Antigone 
über den verwegenen Kapaneus (j.d.) die Rache der Götter mit 
ben Worten heraufbeichwört: 

„O Nemefid und ihr, hohlbrauſenden 

Gewitter Jovis, und bu loher Strahl 

Des nahtumgebenen Blitzes! Zähmet Ihr 

Den Trotz, ber über Menjchheit fich verfteiget!" 


Bildlich beißt ed von ihr (R. IV, 5), wo Moor an Spiegel: 


berg’& Leiche ſteht: „O unbegreifliher Finger der rachelundigen 
Nemeſis“; und (DB. a. v. €.) heißt ed von einem fliehenden 
Verbrecher: „Die unerbittlihe Nemeſis hält ihren Schuldner 
an.” — Eine wie große Bedeutung für Sch. die Hand der 
Nemeſis hatte, läßt ſich in feiner Erzählung: „Spiel des Schid- 
ſals“ verfolgen, deren innere Entwidelung ein tiefed pſycholo⸗ 
giſches Intereſſe gewährt. — Die bildende Kunft der Alten 
ftellte die Nemeſis häufig mit einem Rade und einem Zügel 
dar, um fie als DVerfolgerin ded Frevlers und Bezähmerin des 


142 Nenie — Rereiden. 


. Mebermuthd zu bezeichnen. Mit Beziehung bierauf heißt es 
(Ged. D. Tanz) von der Muſik: 
— — — — — ‚e iſt des Wohllauts mächtige Gottheit, 
Die zum geſelligen Tanz ordnet den tobenden Sprung, 
Die der Nemefis glei, an bed Rhythmus golbenem Zügel 
Lenkt die braujende Luft und die vermwilderte zähmt.“ 


Nenie od. Nänie (Ged.), von dem lat. naenia, d. i. Leichen: 
lied, Trauergefang; ein Kebrgedicht von elegifchem Charakter aus 
dem Jahre 1799. Wie häufig in feinen Dichtungen, jo beflagt 
Sch. aud bier die Flüchtigfeit des menſchlichen Dafeins und die 
Bergänglichkeit alled Schönen auf Erden im Hinblid auf befon- 
ders rührende Creigniffe im Altertbum. Zugleich aber bezeichnet 
er bie Klage um das Verlorene ald etwas MWerthvolle und Er: 
habened. — DB. 3 bezieht ſich auf Orpheus (ſ. d.); V. 5 auf 
Adonis (I. d.); V. 7 auf Thetid (|. d.), die Mutter des gött- 
lihen Achilles. 


Neoptölemnd (Bed. 2. Bd. d. Aen. 45 u. 92 — D. 
Siegedfeft, Str. 9), ein Sohn des Achilles und der ſchönen 
Deidamia, bieß auh Pyrrhus (Bed. 2. B. d. Yen. 83, 86 
u. 92), wurde dur Odyſſeus von Skyros, dem Orte feiner 
Erziehung, nah Troja geholt, wo er die Fühnften Thaten ver: 
richtete. 


Repomuk (Picc. III, 3), gew. Pomuf, eine Heine Stadt in 
Böhmen, der Geburtdort Zohannd v. Nepomuk, eined der be- 
rühmteften Heiligen, des Schußpatrond von Böhmen. Er foll 
auf Befehl ded Königs Wenzel (um 1400) in die Moldau ge: 
ftürgt worden fein, weil er die Beichtgeheimniffe der Königin 
nicht verrathen wollte. Doch find feine Anſprüche auf Heiligfeit 
dur das Büchelhen, welches Abel über ihn gejchrieben, wohl 
befeitigt worden. 


Neptun, ſ. Poſeidon. 
Nereiden, ſ. Nymphen. 


Nereud — Nerven. 143 


Nereus (Myth.), ein Sohn des Pontus (d. i. Meer) und 
der Gaͤa, eine alte Meergottheit, deren Sch. (Ged. D. Eleufifche 
Teft, Str. 20) in den Worten gebentt: 

„Auch aus feiner grünen Welle 

Steigt der ſchilfbekränzte Gott.“ 
Er vermählte ſich mit Doris, einer Tochter des Océanus, welche 
ihm funfzig Töchter, die Nereiden (j. Nymphen) gebar, unter 
denen Thetis (1. d.) die berühmtefte war. Bisweilen wird Nereus 
auch ald Flußgott aufgefaßt; jo 3.3. bildlich für Flußwelle, wie 
(Ged. D. Spaziergang): 

„Aus dem Schilfe ded Stromes winket der bläulichte Bott.” 


Nero, ein römifcher Katjer (54—68 n. Chr.), der, wie Died von 
einem Schüler des Seneca (ſ. d.) zu erwarten war, fich anfangs 
edel und menfchlich zeigte, bald aber ſich völlig umwandelte und 
ein laſterhaftes Leben führte. Er ift bekannt durch feine Grau⸗ 
famteit, die fo weit ging, daß er feine eigene Mutter und feinen 
alten Lehrer Seneca ermorden ließ; ferner durch die Anzündung 
Roms (%. II, 12), in Folge deren zwei Drittel der Stadt in 
Alche gelegt wurden, und durch die hieran fich anjchließenden 
Chriftenverfolgungen. Der allgemeinfte Abſcheu war zulegt fein 
Loos, fo daß er, von Allen verlafien und von feinen Yeinden 
verfolgt, ich jelbft den Tod gab. Sc. ftellt ihn (D. ©. 
III, 10) mit Buſiris (f. d.) md (R. V, 1) mit Richard (ſ. d.) 
zuſammen. 


Nerven. Die Bekanntſchaft mit dem Bau des menſch— 
lichen Körpers, welche Sch. durch ſeine mediciniſchen Studien 
gewonnen, leuchtet aus manchen Ausdrücken und Wendungen 
hervor. Das Nervenſyſtem oder „der Nervenbau“ (Sp. d. 
Sch.) befteht bekanntlich aus einer markigen Maffe und zerfällt 
in Gehirn, Rüdenmark und Nernenfäden. Der gefunde Zuftand 
defielben giebt und das Gefühl der Kraft; daher heißt ed (Elegie 
a. d. Tod e. Sünglingd) bildlich: 


„Pochend mit der Jugend Nervenmarke.“ 


144 Neſtor — Newton. 


d.h. mit der Kraft der Jugend, im Gegenſatz zu dem frank: 
baften Zuftande defielben, wie (D. C. IV, 1): 

— — — ‚Die Schuld bes böſen Fiebers, 

Das ganz erftimmlih an die Nerven greift.” 

Neftor, Sohn des Neleus und Fürft von Pylos (Od. 3, 
17 ff.), Hatte fich fchon in der Sugend durch kühne Thaten aus⸗ 
gezeichnet und war bereits in hohem Alter, ald er an dem troja- 
niihen Zuge mit einer Flotte von 20, nad) Anderen von 90 
Schiffen (Iph. I, Zwm.:H.) Theil nahm. Während des Krieges 
felbft machte er fi den Griechen befonderd ald eindringlicher 
Redner und erfahrener Rathgeber nützlich, erreichte wohlbehalten 
feine Heimath und fol 99 Jahre alt geworden fein; daher (Geb. 
D. Stegeäfeft): 

„Reftor jegt, der alte Zecher, 
Der drei Menfchenalter ſah.“ 

nett (Wfl. X. V, 2), von dem ital. netto, rein; genau, Far 
ausgeſprochen. 

Netz (Ged. Würde d. Frauen), dichteriſche Freiheit für 
Netzhaut, der Theil des Augapfels, auf welchem die Gegen: 
ftände fich abfpiegeln. 

Neumann (Picc. IV, 2 — Wit. X. III, 19 u. 20), der 
(Dr. Kr. S. 409) genannte Rittmeifter, defien fich Terzky bei 
verwidelten Geichäften zu bedienen pflegte, und der geichicht- 
lihen Nachrichten zufolge bei dem von Gordon veranitalteten 
Faſchingſchmauſe ermordet wurde. 


Neuftadt (Wit. T. IV, 3 u. 4), baterfche Stadt an der Naab, 
füdweltlih von Eger. 


Newa (9. d. K.), der Abfluß des Ladoga-Sees in den 
öftlichen Theil des Finniſchen Meerbujend. An der Mündung 
und zum Theil auf den Snfeln derjelben liegt Peteröburg. 

Newton, Iſaak ſſpr. Njut'n), geb. 1642 in der englifchen 
Grafſchaft Lincoln, F 1727, einer der größten Aftronomen und 
Begründer der neueren mathematifchen Phyfik. Er ftellte zuerft 


nid dem Wald — Niederlande. 145 


das Geſetz der Gravitation auf, nach welchem ſich alle Körper 
gegenjeitig anztehen, und zwar in dem geraden Berhältniffe 
ihrer Maffen und in dem umgelehrten Berhältniffe ded Qua⸗ 
drated ihrer Entfernung. An dieſes Geſetz denkt Sch. (Geb. 
D. Freundichaft) in den Worten: 
„Beifterreih und Körperweltgewühle 
Wälzet eines Rabes Schwung zum Ziele: 
Hier fah es mein Newton gehn.” 
d.h. in dem Körperweltgewühle erblidte er da8 Geſetz. — In 
dem Ged. Phantafle an Laura, wo ed von zertrümmerten Wel: 
ten heißt: 
„Weint Rewtone ihren Riejenfalt.“ 
bedeutet die Mehrheit „Newtone“ |. v. w. Aftronomen, ein 
tropifcher Auddrud: das Befondere ftatt des Allgemeinen. 


nid dem Wald, f. Unterwalben. 


Niederlande, Die, uriprünglich Niederlothringen, bildeten 
im 15. Jahrh. einen Haupttheil des Herzogthums Burgund, 
kamen bald darauf durch Heirath an dad Haus Deftreih und 
1556 durch Kaifer Karl's V. Verfügung an Spanien. Da Karl's 
Sohn, Philipp II., darauf ausging, die Religiondfreiheit des 
Landes durch Einführung der fpanifchen Inqutfition zu vernich: 
ten, jo brach unfägliched Elend über die Provinzen herein, 
worauf fich die Worte der Köntgin (D. €. I, 5): 
„Und diefe Thränen aud ben Niederlanden“ 


beziehen. Ein Aufftand, der 1565 ausbrach, war die Folge 
diefer Unterdrüdung, bis fi die Niederlande entichlofien, „bie 
ſpaniſchen Ketten (D. C. V, 8) völlig abzuwerfen“, eine Er- 
Härung, die im 3. 1581 erfolgte. Auch Philipp III. ſah fi 
1609 genöthigt, durch Abſchließung eined 12jährigen Waffen- 
ſtillſtandes die Freiheit der Niederlande einftweilen anzuerkennen. 
Eben fo wenig Hatten die, während des dreißigjährigen Krieges 
von Kaiſer Ferdinand II. gemachten Verſuche, ſpaniſche Truppen 


durch Deutſchland nad) den Niederlanden zu führen (Wfl. 2.11 — 
II. 10 


144 Neitor — Newton. 


d.h. mit der Kraft der Jugend, im Gegenfab zu dem krank⸗ 
baften Zuftande defielben, wie (D. ©. IV, 1): 
— — — ‚Die Schuld des böfen Fiebers, 
Das ganz erſtaunlich an die Nerven greift.” 

Neftor, Sohn des Neleus und Fürft von Pylos (Od. 3, 
17 ff.), hatte fich fchon in der Sugend durch kühne Thaten auß- 
gezeichnet und war bereits in hohem Alter, als er an dem troja- 
nifhen Zuge mit einer Flotte von 20, nad) Anderen von 90 
Schiffen (Iph. I, 3m.:9.) Theil nahm. Während des Krieges 
jelbft machte er fi den riechen befonderd als eindringlidyer 
Redner und erfahrener Rathgeber nüglich, erreichte wohlbehalten 
feine Heimath und joll 99 Jahre alt geworden fein; daher (Geb. 
D. Selm 

„NReftor jebt, der alte Zecher, 
Der drei Menſchenalter ſah.“ 
. nett (Wfl. T. V, 2), von dem ttal. netto, rein; genau, Mar 

audgeiprochen. 

Netz (Ged. Würde d. Yrauen), dichterifche Freiheit für 
Nephaut, der Theil des Augapfeld, auf weldyem die Gegen- 
ftände ſich abfpiegeln. 


Neumann (Picc. IV, 2 — Bft. T. III, 19 u. 20), der 
(Dr. Kr. ©. 409) genannte Rittmeifter, deflen ſich Terzky bei 
verwidelten Gejchäften zu bedienen pflegte, und der gefchicht- 
Iihen Nachrichten zufolge bei dem von Gordon veranftalteten 
Faſchingſchmauſe ermordet wurde. 


Reuftadt (Wit. T.IV,3u.4), baterihe Stadt an der Naab, 
füdweftlih von Eger. 

Newa (9. d. &.), ber Abfluß des Ladoga-Sees in den 
öftlichen Theil des Finniſchen Meerbufend. An der Mündung 
und zum Theil auf den Inſeln derjelben liegt Peteräburg. 

Newton, Iſaak [ipr. Niut'n], geb. 1642 in ber englifchen 
Grafſchaft Lincoln, + 1727, einer der größten Aftronomen und 
Begründer ber neueren mathematiſchen Phyſik. Er ftellte zuerft 


nid dem Wald — Niederlande. 145 


das Geſetz der Gravitation auf, nach welchem fich alle Körper 
gegenfeitig anziehen, und zwar in dem geraden Berhältniffe 
ihrer Maffen und in dem umgefehrten Berhältniffe des Qua⸗ 
drates ihrer Entfernung. An dieſes Geſetz denkt Sch. (Bed. 
D. Freundſchaft) in den Worten: 
„Beifterreich und Körperweltgewühle 
Wälzet eines Rades Echwung zum Ziele: 
Hier fah eö mein Newton gehn.“ 
d.h. in dem Körperweltgewühle erblidte er das Gele. — In 
dem Ged. Phantafle an Laura, wo ed von zertrümmerten Wel: 
ten heißt: 
„Weint Newtone ihren Riejenfalt.“ 
bedeutet die Mehrheit „Newtone“ |. v. w. Aftronomen, ein 
tropiſcher Ausdrud: das Bejondere ftatt des Allgemeinen. 


nid dem Wald, ſ. Unterwalden. 


Niederlande, Die, urfprünglich Niederlothringen, bildeten 
tm 15. Jahrh. einen Haupttheil des Herzogthums Burgund, 
kamen bald darauf durch Heirat an dad Haus Deftreih und 
1556 durch Kaiſer Karl's V. Verfügung an Spanien. Da Karl’s 
Sohn, Philipp II., darauf ausging, die Religiondfreiheit des 
Landes durch Einführung der fpanifchen Inquiſition zu vernidh: 
ten, jo brach unfäglided Elend über die Provinzen herein, 
worauf fi die Worte der Königin (D. €. I, 5): 

„Und diefe Thränen aus den Niederlanden“ 
beziehen. Ein Aufftand, der 1565 ausbrach, war bie Folge 
diefer Unterdrüdung, bi fich die Niederlande entichlofien, „pie 
ſpaniſchen Ketten (D. C. V, 8) völlig abzuwerfen”, eine Er- 
Uärung, die im 3. 1581 erfolgte. Auch Philipp II. ſah fi 
1609 gendtbigt, durch Abfchließung eines 12jährigen Waffen- 
ftillftandes die Yreibeit der Niederlande einftweilen anzuerkennen. 
Eben fo wenig Hatten die, während des dreißigjährigen Krieges 
von Katjer Ferdinand II. gemachten Berjuche, ſpaniſche Truppen 


durch Deutichland nad) den Niederlanden zu führen (Wfl. 2.11 — 
II. 10 


146 Nierenſteiner — Niobe. 


Picc. II, 7), den beabfichtigten Erfolg; im Weftphälifchen Frieden 
erlangten die Niederlande die förmlidhe und vollftändige Beftäti- 
gung ihrer bereits feit TO Jahren erfämpften, aber freilich oft 
wieder bedrohten Freiheit. 

Rierenfteiner (Ged. D. berühmte Yrau), ein befannter 


‚Rheinwein, der im Großherzogthum Hefien bei Nierftein, in der 


Nähe von Oppenheim gewonnen wird. 


Nießwurz [Helleborus niger] (R. Bprr.), eine zu dem 
Geſchlecht der Ranunfeln gehörige, ſcharf narkotiihe, Abführen 
und Erbredhen bewirkende Pflanze. Im Alterthume bereitete 
man ein Wahnfinn heilende Mittel daraus, ſprüchwörtlich 
und ſcherzhaft empfiehlt man thörichten Menfchen den Genuß 
beflelben. | 

Rilgott, |. Ammon. 


Nilus, die Inteinifche Benennung für den Nil, ben mäch— 
tigften und für Aegypten jo bebeutungdvollen Strom des nord- 
öftlihen Afrika's. „Das Ungeheuer am Nilus“ (MR. II, 3) ift 
entweder der Behemoth (Hiob 40), d. h. das Nilpferd, oder der 
Leviathan (Hiob 21), d.h. dad Crocodil. 


Nimbus, eig. Strahlenkranz, Heiligenjchein; bild. (Gftf. 
10, 203), Glanz. 

Niobe, die Tochter des Tantalus (ſ. d.) und ber Diöne 
(j. Aphrodite), war mit Amphion (f. d.), einem griecdhifchen 
Fürften, vermählt, der durch fein treffliches Spiel der Lyra be- 
kannt war. Nivbe gebar ihrem Gatten fieben Söhne und fleben 
Töchter; ſtolz hierauf, verhöhnte fie einft die Latona, welche nur 
zwei Kinder, Apollo und Diana, hatte. Zur Strafe dafür er: 
legten diefe beiden die ſämmtlichen vierzehn Kinder mit ihren 
Pfeilen, worüber die Mutter, nad Ovid's Metamorphofen (VI, 
148— 312), vor Sram erftarrte und zu einem Marmorfeljen 
verwandelt, auf den Gipfel eines Berges verjeht ward. Daher 


(Ged. D. Götter Griechenlands): 
„Zantal’s Tochter fchweigt in diefem Stein.” 


Nireus — nobel, 147 
und (Ger. D. Siegedfeft): | 


„Denn auch Niobe, dem ſchweren 

om der Himmlifchen ein Ziel, 

Koftete die Frucht ber Aebren 

Und bezwang das Schmerzgefühl.” 
Neun Tage lang blieben die Getöhteten in ihrem Blute liegen, 
da Zeud alled Volk verfteinert hatte; erft am zehnten Tage 
wurden fie von den Himmlifchen begraben. Auf dad „Grab 
der Töchter Niobens“ weit (Phön.) der Hofmeifter hin. Das 
tragiſche Schickſal der Niobe hat dem Altertum Beranlaffung 
zu einem berühmten Kunftwerfe gegeben, der Öruppe der Nio- 
biden, deren einzelne Geftalten jegt zu Ylorenz aufgeftellt find. 


Nireus (ph. I, Zw.⸗H.), der Sohn des Charopod und 
der Aglaja, von der Inſel Syme (ZI. II, 671); er war durch 
jeine Schönheit berühmt. 


Niſche (Wft. T. I, 1), frzſ. niche, von nicher, niften, eig. 
eine neitartige Aushöhlung; eine halb:walzenförmige, oben kup⸗ 
pelartig:gemölbte Wanbvertiefung. 


Nixe (nord. Myth.), eine Art böfer Waflergeifter, die im 
Wafier leben und den Menihen, denen fie feindlih gefinnt 
find, allerlei Schaden zufügen, fie fogar zu fih herunter in's 
Wafler ziehen; daher (Meb. I, 4): 

„Balihe Nire, du Haft mich betrogen! 
Du gabſt mir das Geld, bu ziehft mich nach!“ 

Nizza (Gſtſ. 10, 137), Hptit. der im nördl. Stalien am 
Mittelmeer liegenden Graffchaft Nizza, die bis 1388 zur Pro: 
vence gehörte, dann an Savoyen kam und feit 1860 von Bictor 
Emanuel wieder an Frantreich abgetreten worden ift. 


nobel (lat. befannt, berühmt), fraf. noble, eig. edel, groß: 
müthig; dann auch vortrefflich, vornehm, wie (Wfl. L. 11): 
„Wir follen von dem Wriebländer Iaffen, 
Der den Soldaten fo nobel hält.” 
10 * 


148 Nobili — Norwegen. 


d. 5. fir angemefjfenen Sold und anftändige Belleidung forgt, 
im Gegenſatz zu „dem Spanter, dem Knauſer.“ 


Nobili, pl. ital., von dem lat. nobilis (%. Perſ.-Verz. u. 
II, 14 — Oſtſ. 10, 131), ehemals die adeligen Geichlechter in 
Venedig, welche Theil an der Regierung hatten. 


Momaden, von dem gr. nome, Weide; Hirten: od. umber: 
ziehende Völker, wie die Teufrier (Geb. 4.3. d. Xen. 98), die, 
da fie feinen Aderbau treiben, auch keine feften Wohnſitze haben; 
daher (Ged. D. Eleuſiſche Feſt): 

„Der Nomade ließ die Triften 
Wüfte liegen, mo er ftridh.“ 

Norden (Wit. 8. 11); bildl.: 

„Daß wir aus Süden und aus Norden 
Zufammengefchneit und geblafen worden." 


f.v.w. aus allen Weltgegenden, aus aller Herrn Ländern. 


Nord'ſche Mächte (D.C. V, 8), find in Bezug auf Spanien 
befonderd Frankreich, Deutichland, England und Schweden. 


Nordpol (%. II, 5), ſ. Magnet. 


Norfolk, Thomas (KR. u. L. II, 3), ſ. den Artikel über 
Maria Stuart, Bd. II, ©. 66. 


Rormandie (J. v. O. J, 1), eine der norbiihen, am Canal 
la Manche gelegenen Provinzen Frankreich, zwiſchen der Bretagne 
und der Picardte. 


Normann (Mich. I, 6), eig. Mann aus dem Norden, war 
in älteren Zeiten der Name für die Bewohner Skandinavien 
(Dänemark, Schweden und Norwegen), die, von der Armutb 
ihres Landes gedrängt, häufig räuberifche Einfälle in jüblichere 
©ebiete machten und auf dieſe Weiſe befonderd Deutfchland, 
Frankreich und England in Schreden febten. 


Norwegen (Dich. I, 2), der weftlihe Theil der flandinavt- 
ſchen Halbinfel. 


Notabene — Nürnberg. 149 


Notabene (R. II, 3), lat. nota bene! d. 5. merke wohl! 
od. wohlgemerkt. 

Notar (N. a. O. I 11); urfpr. ein Gefchwindfchreiber, der 
mit Abkürzungen oder Zeichen (notae) ſchrieb; jetzt ein vereidig- 
ter Schreiber, dem mit Iandeöherrlicher Genehmigung die Be— 
fugniß ertheilt tft, gewiſſe rechtliche Handlungen in Gegenwart 
von Zeugen zu vollziehen und eine glaubwürdige Urkunde darüber 
aufzunehmen. Daher fagt Maria Stuart (M. St. 1, 2): 

„Auch Schreiber und Notarien verlang’ id), 
Um meinen legten Willen aufzufeßen.” 

Nothnagel (K. u. L. IV, 3), ſ. v. w. Aushelfer, Vermittler, 

bei. im üblen Sinne. 


Aotre Dame, frzi. Unjere (liebe) Frau (eig. Herrin), eine 
häufige Benennung der Jungfrau Maria; desgl. (3. v. O. 
Prol. 3) der Name für die Hauptlirche einer Stadt. 


Null, von dem lat. nullus, fein; ſ. v. w. nichtig, ungültig, 

wie (Wfl. T. V, 2): 

„Das Surament ift null mit feiner Treu.” 
Die Null, eine Ziffer ohne Werth, im Lotteriefpiel |. v. w. 
Niete, von dem boll. niet, nicht; aljo ein Fehlzug, wie (R. II, 2): 
„Rullen find der Auszug.” 

Numider (Ged. 4. B. d. Yen. 8) od. um des Reimes 
willen Numide (ebendaj. 60); die Bewohner von Numidien, 
einem Königreich, welches weftlih von Karthago lag; davon 
numidifch, wie (ed. D. Spaziergang): „der numidiſche 
Wald.“ 


Nürnberg an der Pegnitz, feit 1806 die Hauptſtadt bed 
bairiſchen Rezatkreiſes, war ehemals eine freie Reichsftadt. — 
Sm 3.1632 war Buftav Adolph von München über Augdburg 
nad) Nürnberg gegangen, welches Wallenftein jeinen Yeinden 
wegzunehmen gedroht hatte. Bon den Bürgern Nürnbergd aufs 
Mräftigfte unterftügt, hatte der Schwedenkönig dicht bei der Stadt 


150 Nymphen. 


ein ſtark befeftigtes Lager bezogen, während die Kaiſerlichen ſich 
auf den benachbarten Höhen verſchanzten. Nachdem beide Heere 
11 Wochen lang einander gegenüber gelegen und ſich gegenſeitig 
durch Scharmützel gereizt hatten, machte Guſtav Adolph, da die 
Lebensmittel für fein Heer nicht mehr lange vorhalten konnten, 
am 4. September den tolltühnen Verſuch, Wallenftein von feinen 
Höhen zu vertreiben. Dad Wageftüd konnte indeflen nicht ge- 
lingen. Nachdem er 2000 Todte auf dem Plage gelaflen und 
noch mehr Verwundete mit zurüdgenommen, fabh er felbit feine 
Unbejonnenbeit ein, indem er zu dem Pfalzgrafen Friedrich 
fagte: „Wir haben einen Pagenftreich gemacht, Herr Better! “ 
Daber (Picc. II, 7) Queſtenberg's Worte: 

„Sn Nürnberge Lager ließ der ſchwed'ſche König 

Den Ruhm.“ 

Mympben (Myth.), halbgöttliche Weſen weiblichen Ge: 
ſchlechts, Töchter des Zeus. Sie erfcheinen ald untergeordnete 
Glieder in dem Götterftaate, werden aber biöweilen in die Ver: 
fammlung der Unfterblihen auf den Olymp berufen. Shrer 
Bedeutung nad find fie Repräfentantinnen der Naturfräfte, be- 
fonderd derjenigen, die jih in ernährenden Ylüffigfeiten kund 
geben, weshalb fie auch mit den Waffergottheiten in naber Be- 
ztehung ftehen. Die Nymphen bleiben ftet3 jung und fchön, 
ericheinen ald Weſen, die fi fihtbar und unſichtbar machen 
können, dürfen fich mit den Göttern im Reihentanze ergößen,. 
find aber jelbft nicht unfterblich. 

Die Nymphen zerfallen in verfchiedene Abtheilungen, wie 
Drpaden, Oreaden, Najaden, Nereiden u. a.ım., werden indefien 
nicht immer ftreng von einander gefchieden, daher auch oft bei- 


fammen genannt, wie (&ed. D. Götter Griechenlands): 
„Diele Höhen fullten Dreaden, 
Eine Dryas Iebt in jeden Baum, 
Aud den Urnen Tiebliber Najaden 
Sprang der Ströme Silberſchaum.“ 
Da fie meift in der Umgebung der höheren Götter, bejonderd 


im Dienfte der Venus und der Diana erfcheinen, fo werben fie 


Nymphen. 151 


aud von der bildenden Kunft in diefer Weile dargeftelt. Ja 
fie werden von der legteren nicht felten als Ideale höherer 
weibliher Schönheit benußt; daher (Ged. D. Künftler): 
” „Der Reiz, der biefe Nymphe Ihmüdt, 
Schmilzt fanft in eine göttliche Athene.“ 
Wo Sch. von den Nymphen im Allgemeinen jpriht, braucht 
er den Auöbrud meiſt bildlich, wie (Ged. An einen Moraliften), 
wo ed in Beziehung auf junge Mädchen beißt: 
„Einft, als du noch dad Nymphenvolk befriegtert, 
Ein Held des Garnevald, den beutihen Wirbel flegit ꝛe.“ 
oder (F. II, 17), wo Fiesco bei dem Anblid eines fchönen 
Mädchenbilded fagt: 
„Mebr folder Nymphen, Remanc!” 


Bet Sch. kommen vier Arten von Nymphen vor: 


1) Die Dryaden od. Baumnymphen. Sie leben in 
den Bäumen und entftehen und vergehen mit denſelben, Iaffen 
fie gedeihen und blühen, und fchügen fie vor der Art des Men- 
fhen. Wenn aber Die Parze ded Todes der Dryade fich naht, 
fo verfrodnet die Rinde, die Zweige fterben ab, und die Seele 
der Nymphe flieht dahin. — 9. d. 8. bitten die Mädchen bet 
dem Anblik des gepflanzten Orangenbaumes: 

„Pflegt ihn, zartlide Droyaden!* 
Und (Ged. D. Spaziergang) heißt es: 
„Ziſchend fliegt in ben Baum bie Art, es erjeufzt die Dryabe.“ 


2) Die Dreaden od. Bergnymphen erfcheinen als 
leichtgeſchürzte, ſchöne Zägerinnen und als Begleiterinnen ber 
Diana, wie (Geb. D. Eleuſiſche Feft): 

„Alle Nymphen, Dreaden, 

Die der fhnellen Artemis 

Folgen auf ded Berges Pfaden, 

Schwingend ihren Jäãgerſpieß.“ 
Außerdem braucht Sc. fie finnbildlih, wie (Geb. Klage d. 
Ceres): 


152 Nymphen. 


„In dem Hain erwachen Lieder, 
Und die Oreade ſpricht: 
Deine Blumen kehren wieder, 
Deine Tochter kehret nicht.“ 


und (Ged. 4. B. d. Aen. 31) als Repraͤſentantinnen des Sturms: 
„Und heulend ſtimmt der Oreaden Mund 
Das Brautlied an auf hoher Felſenſpitze.“ 

3) Die Najaden od. Quellunymphen find junge, fchöne 
Mädchen, die meift in Geſellſchaft der Ylußgötter, beſonders 
ald Dienerinnen der Venus erfcheinen, wie (Geb. D. Triumph 
d. Liebe): 


„Und fieh! der blauen Fluth entquiltt 
Die Himmelstochter fanft und mild, 

Getragen von Naladen 

Zu trunfenen Beftaben.“ 


4) Die Nereiden od. Meernymphen, die 50 Töchter 
des Nereus und der Dceanide Doris; ed waren ſchwarzaͤugige 
Mädchen, die in einem prächtigen Palafte auf dem Grunde des 
Meered wohnten, oft aber an audgelafjenem Scherz ſich erfreu- 
ten, wenn fie mit Delpbinen und Tritonen auf den Wellen bes 
Meeres fich fchaufelten. Die befanntefte unter ihnen ift Thetis, 
des Achilles Mutter, welcher (Iph. IV, 3w.:9.) das Lob des 
Chores erklingt: 
„Heil bir, hohe Neretde!* 
und von der ed (Ged. Nenie) heißt: 

„Aber fie fteigt ans dem Meer mit allen Töchtern des Nereus.“ 


Mit ihrem und ihrer Schwefter Bildniffen waren aud die 
Schiffe geſchmückt, welche Achilled nah Troja führte, daher 
(Iph. I, Zw.:9.): 

„Auf erbabenem Berbede tbronen, 


Zeichen bed unfterblicden Peliden 
Goldne Nereiden.“ 


Dpbelläf — Ocean. 1583 


D. 


Dbelist (Ged. D. Künftler), eine Spigjänle; vierfeitige, 
50— 150 Fuß hohe, meift aus einem einzigen Stein gehauene 
Säulen im alten Aegypten. Sie waren gewöhnlid, mit Hiero: 
glyphen verjehen, hatten höchſt wahrjcheinlich eine religiöſe Be⸗ 
deutung und dienten, von der Sonne befchienen, gleich unfern 
Sonnenuhren zur Zeitbeitimmung. — Der Obelisk (Ged.), 
ein Epigramm aud dem 3. 1797, zeigt, daß dem Dichter auch 
dad Starre und Todte, ſelbſt in feiner Einförmigfeit noch Leben 
athmete und zu ihm redete. Daffelbe gilt von den darauf fol- 
genden Epigrammen, welche gleichfalls Werke der Baufunft be- 
handeln. 


Dberhaus, f. Parlament. 


DOberhofmeifterin (D. C. I, 6), fie tft mit der oberften Auf: 
fiht über das bei Hofe von Seiten der Damen zu beobachtenbe 
Ceremoniell betraut. 


Dberon (Ged. Metr. Neberf. Borer.), ein bekanntes, von 
Wieland in achtzeiligen, aber eigenthümlich behandelten Stanzen 
verfaßtes romantiſches Heldengedicht. 


Oberrichter (M. St. II, 1), der Vorſitzende des höchſten 
Gerichtshofes in England. 


Obmann (W. T. 1,4), ſ. v. w. Schiedsrichter; vergl. Am: 
man, wobei wir gleichzeitig eine und aus der Schweiz zugegan- 
gene Berichtigung anbringen. Altlandamman ift der ehemalige, 
abgetretene Landamman. 

Obriſt (Picc. IT, 1 — Sp.d. Sc.) od. Oberſt, der hödhfte 
BDefehlähaber eined Regiments; DOberftlieutenant (N. a. O. 
II, 3), der nächfte Officier nach dem Oberſt. 


Deean, gr. zuerft ein großer Strom, der Erde und Meer 
umfließt und allen Gewällern auf Erben den Urſprung verleiht 


154 Octavius — Odyſſeus. 


(Hom. Il. 7, 422; 14, 245; 21, 196); demnächſt (Ged. Se- 
mele 1), das offene Meer; desgl. (M. St. IH, 1), wo ed von 
den Wollen heißt: 
„Ste juhen Frankreichs fernen Dream.” 
Sch. braucht es in ſchwungvoller Sprache auch da, wo er nur von 
einem Binnenmeere wie dad Mittelländijche redet, wie (%. II, 5; 
III, 2; V,16); endlich ald ein Bild des Lebens oder der Welt, 
wie (Sp.u.d. 2); ferner (Ged. Erwartung u. Erfüllung): 
„In den Ocean ſchifft mit tauſend Maften ber Jüngling.” 

und (R. I, 1), wo Franz von der Natur fagt: „fie jeßte und 
nadt und armfelig ans Ufer biejes großen Dceand Welt.“ 


Detavius. Als Cäſar's Mörder in die Provinzen abge: 
gangen waren, gelang ed feinem Schweiterenfel und Adoptiv: 
ſohne, Cajus Octavianus (nach feinem Vater Octavius fo ge: 
nannt), durch ſeine Freigebigkeit das Volk wie das Heer für ſich 
zu gewinnen. Erſt zwanzig Jahr alt, ward ihm das Conſulat 
zu Theil, worauf er ſich zum Schrecken aller Wohlgeſinnten mit 
Antonius und Lepidus zu einem zweiten Triumvirat verband 
und ſeit 31 v. Chr. unter dem Namen Cäfar Auguftud als 
Alleinberrjcher über Rom regierte. Daher (%. IL, 5): „Genua 
ift da, wo das unüberwindlide Rom wie ein Yeberball in bie 
Rakete (|. d.) eines zärtlihen Knaben Octavius ſprang.“ 


Odyſſeus (Ged.), Iat. Ulyſſes (Geb. D. Künftler) od. 
abgef. Ulyß (Geb. 2. B. d. Aen. 2 — Geb. D. Siegedfeft — 
Iph. I, 1), König der Inſel Ithaka (f. d.), Sohn des Laẽërtes 
(Ged. 2. B. d. Aen. 7), oder einer fpäteren Sage zufolge (Sph. 
V, 5) der Sohn des Siſyphus (f. d.) iſt der Hauptheld in 
Homerd Odyſſee, welche fein Leben mit mannigfacdhen Aben- 
teuern auögefhmüdt hat. Er führte zwölf Schiffe nad Troja 

und zeichnete fich bei der Belagerung ber Stadt — Lift und 
Gewandtheit aud; daher (Iph. I, Zw.:$.): 


— — — — „&uertes liftenreicher Sohn, 
Seiner Selfen-Zthata entftiegen.“ 


Oedipus — Del. 155 


Seines bejonderen Retnertalentd wegen wurde er häufig als 
Kundichafter und Vermittler gebraucht. Er half das Palladium 
entwenden, gehörte mit zu ben Helden, die in dem hölzernen 
Pferde verftedt waren, irrte nach der Eroberung von Troja zehn 
Sabre lang an verſchiedenen Küften umber, ftieg felbft in den 
Orcus hinab, beftand die Gefahren der Scylla und Charybdis 
(1.d.), kam ald Schiffbrücdhiger ganz allein auf Ogygia, der Inſel 
der Nymphe Kalypſo, an und erreichte endlich durch Minerven's 
Hülfe fein Vaterland, das er anfangs nicht wieder erkannte, — 
„Ulyifens edler Sohn“ (Ged. D. Künftler) ift Telema- 
bus, welhem Minerva, indem fie häufig die Geftalt des 
Mentor, feines Erzieherd annahm, mit mannigfahem Rathe 
zur Seite ftand, wie z. B. (Od. 2, 264 ff.), ald Télemach nad 
Pylos zu Neftor reifte, um Erkundigungen über feinen Vater 
einzuziehen. Als jie bier ein feierliches Opfer gebradht haben, 
erhebt ſich Athene (3, 371) wie ein Adler in die Lüfte und ent- 
ſchwindet. Nun erkennt Neftor, daß der vermeinte Mentor Die 
Schügerin der Odyſſeus war und preift den Telemach glüd: 
Ih. — In dem Epigramme: Odyſſeus (Ged.) aud dem 
J. 1795 erfheint der Held ald Bild des Menfchen überhaupt, 
ber oft nach einem fern liegenden Slüde ringt, bi8 er, wenn 
es ihm nad) langen Kämpfen endlich gewährt wird, wohl gar 
unfähig ift, deſſelben zu genießen. 

Dedipus, ſ. Antigone. 

Debm (Wfl. T. 1,6 — 3.2.0.1, 5), ftatt des gebräud) 
liheren Ohm od. Oheim. 

Dehr (R. IV, 3), fd. der Ausbau, Weberbau, Vorbau. 

Dekonomie, von dem gr. oikos, Haus; 1) Haudhal: 
tung; im bildl. Sinne f. v. w. innere Einrichtung (R. Vorr. 
— Br. v. M. Einl. 5, 375) eined Schaufpield; 2) Sparjam: 
feit (Gftſ. 10, 220). 

Del, das heilige, f. Delung. 


156 Delbaum — Denopien. 


Delbaum, ein befannter Baum, der urjprünglich in Paläftina 
einheimifch ift, von wo er fich faft über ganz Süd-Europa und 
Nord: Afrita ausgebreitet hat. Er war bei ben Griechen ber 
Pallad geweiht und feine Beſchädigung bei ſchwerer Strafe ver- 
boten. Ein Kranz von Delzweigen war der Preis bed Siegers 
bei den olympilchen Spielen und eine Audzeichnung für biefenis 
gen Bürger, die fih um den Staat verdient gemacht hatten. 
In ber Poefie ift er daher dad Ginnbild des Friedens. So 
fagt Marta (M. St. I, 7): 

‚Ja ich geiteh's, daß ich die Hoffnung nährte, 
Zwei eble Nationen unter'm Schatten 
Des Delbaums frei und fröhlich zu vereinen.” 
Eben jo (3.0. O. IV, 10) König Karl von feiner wiedererrunges 
nen Krone: 
„Mit edlem Bürgerbiut ift fie benept, 
Doch friedlich foll der Delzweig fie umgrünen.” 
Dedgl. Mar (Picc. III, 4) von Wallenftein’3 friedlichen Be⸗ 
ftrebungen: 
„Er wird den Delzweig in ven Lorbeer flechten.” 
und Wallenftein (Wft. T. TIL, 15): 
„Und jept.... fol diefer kaiſerliche Süngling 
Den Frieden leicht wegtragen, foll den Delzweig 
Sich in die blonden Knabenhaare flechten!“ 

Delung, Die heilige (3.v.D. Prol. 3), eine in ber katho⸗ 
lichen Kirche mit den Krönungdfeierlichleiten verbundene Hand⸗ 
Iung, bet welcher das zu krönende Haupt mit bein geweihten 
od. „heiligen Dele* (3.0. O. III, 4) gefalbt wird. 


Delzweig, ſ. Delbaum. 

Deneus (Rhön), König von Kalydon (ſ. d.), Vater bed 
Meleagrod, Tydeus und der Deianira. 

Denopien, eig. gr. Oenopia (Iph. III, 4), eine Inſel im 
Aegäiſchen Meere, die jpäter nach der in der Stelle genannten 
Gemahlin des Aeakus, Aegina genannt wurde. 


Deta — Olympia. 157 


Deta (Ged. Semele 1), ein 4000 Fuß hoher Berg an der 
Grenze von Theſſalien dicht bei dem Engpaß von Thermopylä. 


Officiant, von dem lat. officium, Pflicht, Dienft, Amt; ein 
Beamter, z. B. der Polizei (8. d. H.) oder ber Regierung (Oftſ. 
10, 255); ebendaher officiell, amtlich, dienftlich, wie (K. d. 9.) 
„officiele Dinge”, d.h. zum Dienft gehöriged Verfahren; desgl. 
officids (M. St. IV, 2), dienftbeflifien. 


Ohm (W. T. V, 2), Abk. für Oheim. — „Euer Ohm ze.” 
(M. St. III, 4), f. Lothringiſche Brüder; f. auch Dehm. 


Dileus (Ged. D. Siegedfeft — Iph. I, Zw.⸗H.), König der 
Lofrer, Vater des jogenannten „Heinen“ Ajar, welcher nach ihm 
der Dilide (Iph. I, Zw.:9.) genannt wurde. Bergl. Ajax. 


Dlibanum (Sftf. 10, 145), mitt!. Iat. Weihrauch, ein 
Gummiharz, dad durch Einfchnitte in den Stamm eined auf 
den Bergen Dftindiend wachjenden Baumed (Boswellia serrata) 
gewonnen wird und ſchon im Altertum ald Räuchermittel ge: 
braucht wurde. 


Dlmüg (Bft. T. II, 15), Feftung an der March in der 
Öftreichiichen Provinz Mähren. 


Dlymp, |. Olympos. 


Dlympia, ein Ort in Eli, der weftlihen Küftenlandfchaft 
be Peloponned. Hier wurden alle vier Zahre die berühmten 
Nationalfefte der Griechen, die Olympiſchen Spiele, gefetert. 
Diejelben beftanden theild in Wettfämpfen, bei denen es auf 
Törperlihe Kraft und Gewandtheit ankam; theild kamen auch 
Muſiker und Dichter zufammen, um auf dem Gebiete ihrer 
Kunft mit einander zu ringen. Nahe bei der Stadt befand fi 
ein Hain mit dem nad) der Sage von Herfuled gegründeten Tempel 
des Zend, ein Prachtbau, den Phidiad mit der weltberühmten 
40 Fuß hohen Bildjäule ded Gottes geſchmückt hatte. Hierauf 
anfpielend heißt e8 (Ged. D. Künftler): 


158 olympiſch — DOperment. 


„Die Kraft, die in des Ringerd Muskel fchwillt, 
Muß in des Gottes Schönheit lieblich ſchweigen; 
Das Staunen jeiner Zeit, dad ſtolze Jovisbild, 
Im Zempel zu Olympia ſich neigen.” 
ſ. aud Homer. 
olympiſch, ſ. Olympos. 
Olympius, ein Beiname bed Zeus (f. d.). 


Olympos, lat. Olympus od. abgek. Olymp (Ged. D. 
Götter Griechenlands — Ged. Semele 1 [f. Oſſa] — Ph. IV, 6), 
ein berühmter Berg in Theflalien, jebt Lacha genannt, iſt in 
der Mythologie der Wohnſitz des Zeuß und der himmliſchen 
Götter. Daber beißt es (Geb. D. Triumph d. Liebe, |. auch 
Homer) von Zeus: 

„Der Olympus wanft erjchroden, 
Wallen zürnend jeine Loden.” 
und (Geb. Semele 1) fagt Juno: 
Umrauſcht nicht mein Haupt Die olymptfche Kroner” ' 
Bildl. heißt Olymp f. v. w. Götter, befonderd die muſikaliſchen, 
wie (Iph. II, Zw.:9.), wo ed von Paris beißt: 
„Du bubiteft auf dem phryg'ſchen Kiele 
Mit dem Olymp im Glötenjpiele.” 

Dperation, von dem lat. operäri, wirken. 1) das Ver: 
fahren, wie „bie fchredlihe Operation“ (Sp. d. Sch.), durd 
welche ein Dfficter in entehrender Weiſe feiner Dienftabzeichen 
beraubt wird; 2) Verfahrungsweiſe (Gftf. 10, 171 u. 176), 
bei. bei einer geiftigen Thätigkeit, wie (Ged. Metr. Ueberſ. Borer.) 
die bei der poetifchen Uebertragung vorgenommene Umwandlung 
einer Verdart in die andere; 3) geijtige Thätigkeit über: 
baupt, wie (R. Borr.) „die Seele bei ihren geheimsten Operatio- 
nen ertappen“. Eben daher: operiren, mit Snftrumenten 
arbeiten, wie (Wft. T. I, 1), wo Wallenftein zu Seni jagt: „Es 
ift nicht gut mehr operiren.“ 

Operment (R.u.2.1,2) od. Auripigment, bei und Raufchgelb, 
ein befanntes aus Arſenik und Schwefel beftehended Mineral. 


Opfer — DOrafel. 159 


Dpfer nannte man im Altertum eine religtöfe Handlung, 
bei welcher einer Gottheit Gaben dargebracht wurden, um ber: 
felben Dank, Freude oder Unterwürfigkeit zu bezeugen. Der 
Heerd oder Altar, auf welchen das Opfer verbrannt wurde, war 
den Griechen ein heiliger Gegenftand, daher ruft der (2. 2. d. 
Aen. 13 u. 29) genannte Sinon (ebendaf. 26) den Opferheerd 
zum Zeugen an, daß er die Wahrheit ſpricht. Am bäufigften 
wurden Rinder oder Yarren ald Opfer dargebradht, die man auch 
wohl feftlich zu jchmüden pflegte; daher (2. 3. d. Yen. 34): 

„Es Hand, den Dpferfarren zu zerftüden, 
Laokoon am feftfichen Altare.” 
Selbft Mrenfchenopfer, wie das der Iphigenia (j. d.) bielt man 
bisweilen für nöthig, um die Gottheit zu verfühnen; indeſſen 
zeigte die glüdlihe Wendung, die ſolche Opfer nicht zur Aus: 
führung kommen ließ, daß man auch fchon im Alterthum ein 
wirkliches Verlangen nach Menfchenblut den Böttern nicht gern 
zufchreiben mochte (vergl. Ged. D. Eleuſiſche Zeit; Str. 9), fon: 
dern der Anſicht huldigte, daß die fromme Gefinnung ihnen ge: 
nüge. — Bildlich bezeichnet Don Carlos (D. C. V, 1) fich jelbit 
als Dpfer, indem er dem Marquis fagt, der ihn (IV, 16) bat 
gefangen nehmen laſſen: 
„D ja, mir bäucht! ich weiß recht gut, wie fehr 
Geblutet Hat bein fanfte® Herz, ald du 
Dein Opfer ſchmäckteſt zum Altar.“ 
und (ebendaj. ©. 386) jagt er von der Königin: 
— — — — „Mußte fle 
Das zweite Opfer fein?“ 

Drakel (lat. von orare, ſprechen, und dieſes von os, der 
Mund) nannte man bei den Griechen die angeblichen Götter: 
ausfprüche, die durch den Mund der Priefter oder Priefterinnen 
verkündet wurden. Das ältefte Orakel der Griechen hatte zu 
Dodöna feinen Sitz, während jpäter neben vielen anberen das 
zu Delphi in Phocis in Mittelgriechenland einen befondberen Ruf 
batte (vergl. Pythia u. Apollon). Man pflegte die Stimme eines 


160 .. Dralel. 


Drafeld bei wichtigen Unternehmungen, oder auch in Yällen 
großer Noth einzubolen; da die Priefter aber ſelbſtverſtändlich 
nicht in die Zukunft zu bliden vermocdhten, fo fuchten fie ſich 
dur Dunkelheit und Zweideutigfeit in ihren Ausſprüchen zu 
helfen, um fich ihr Anſehen zu erhalten. Mit Beziehung hierauf 
heißt es (Gftj. 10, 187): „Uebrigend Fangen die Antworten des 
Geiftes fo orafelmäßig dunkel.” Der große Haufe legte natür- 
lich Werth auf die Orakel, während tiefer blidende Geiſter (vergl. 
Iph. II, 4) ſich wohl erlaubten, die Untrüglichleit derjelben in 
Zweifel zu ziehen. Bollftändig ſank ihr Anfehen indeß erft, 
nachdem Griechenland feine Freiheit und Unabhängigkeit ein- 
gebüßt hatte. Bei Sch. bedeutet Orakel: 

1) den angeblihen Götterausſpruch, wie (Bed. D. 
verſchl. Bild 3. Sais): 


— — — ‚Der flieht die Wahrheit. 
Ein feltjamer Drakelſpruch.“ 


(Ged. Phantafte an Laura): 


„Einft — fo hör’ ih dad Drafel fpreden — 
Giuften haſcht Saturn die Braut.” 


(Geb. Kafſandra): 


„Dein Drafel zu verfünden, 
Barum warfeft bu mich hin 
Su die Stadt ber ewig Blinden.” 


(Iph. II, 4): 
— — — — — — Bald 
Wird er von Kalchas das Orakel hören.“ 


(Phön.): 
„Des Orakels eingedenk.“ 
und (Iph. II, 4), wo Menelaus in Beziehung auf die Macht 
dieſer Anſprüche zu Agamemnon ſagt: 
„Wil ein Orakel an dein Kind.“ 
Sn übertragener Bedeutung heißt es (Meb. I, 6) ſogar von dem 
Ausſpruch der Heren: 
„Zwei Thetle des Orakels find erfült.* 





Drafel. 161 


2) den Dffenbarungdort ober den Sig der Götter: 
fprüche, wie (2.2. d. Aen. 42): 
— — — „Apolls Orakel ſpricht 
Weiffagend aus Kafſandrens Munde.“ 
3) die Perſon eines verehrten Rathgebers, wie (Br. 
v. M. 5, 436): 
Erſchreckt von dieſem ſeltſamen Geſichte, 
Befragt' der Vater einen fternekundigen 
Arabier, der fein Orakel war.” 
Sn diefem Sinne wird (Berbr. a.v. €.) ſelbſt der Thorfchreiber 
“ fcherzhafterweife „dad Orakel am Schlagbaum“ genannt; oder 
in übertragener und zwar abitracter Bedeutung (R. I, 1), wo 
Yranz zu feinem Bater jagt: „Euer Leben tft dad Orakel, das 
ih vor Allem zu Rathe ziehe über dem, was ich thun will.” 


4) bildl. einen räthfelhaften, ald unwiderlegbar fi 
anfündigenden Ausſpruch, oder eine Prophezeihung, wie 
(Br. v. M. 5, 484): 

„Die Drakel fehen und treffen ein.“ 
und (ebendal. 483): 
‚So widerfprachen bie Orakel fi.“ 
Desgl. (3. v. DO. III, 4), wo Sorel jagt: 
— — — „Heilig Mädchen, bu erforfcheit 
Mein Herz, bu weißt, ob ed nach Größe eitel firebt; 
Auch mir gieb ein erfreuliche DrafeL” 
worauf Zohanna ihr ablehnend erwiedert: 
- „Mir zeigt der Geiſt nur große Weltgeſchicke, 
Dein Schickſal ruht in deiner eignen Bruft.“ 
Eben fo fagt Eltfabeth (M. St. II, 5) zu Mortimer: 
„Auf eine große Bahn ruft eu bad Schidfal, 
SH propbezeib’ ed euch, ımb mein Drafel 
Kann ih, zu eurem Blüde, felbft vollziehn.” 
Sn gleiher Weife jagt (Wfl. T. V, 5) Wallenftein zu Sent, ber 
bie proteftantiichen Schweden ald Heiden bezeichnet: „Schalt 
U. 11 


162 Oranien — Drden. 


da8 Drafel daher?" und Zohanna (3.0. O. II, 9) zu dem 
ſchwarzen Ritter: 

«Was maßeft bu dir am, mir falſch Drafel 

Betrüglich zu verfündigen?* 

5) eine ſich außer oder auch in und felbft offenbarende 

Stimme, wie (ft. T. III, 4), wo Wallenftein fagt: 
‚Uns zu berüden, borgt der Lügengeift 
Nahahmend oft die Stimme von ber Wahrheit 
Und ftreut betrüglihe Drafel aus." 
oder (Picc. I, 4), wo Max von Wallenftein jagt: 
— — — — — Das Orakel 
In ſeinem Innern, das lebendige — 
Nicht todte Bücher, alte Ordnuugen, 
Richt modrigte Papiere foll er fragen.” 

Oranien (D. ©. IV, 3), von dem im Beſitß der Familie 
befindlichen ſüdfranzöſiſchen Fürftentyume Orange fo genannt. — 
Prinz Wilhelm von Naffau-Oranten, eins der vornehmften Glieder 
des niederländifchen Adels, war mit Egmont (f. d. u. Naſſau) 
innig befreundet und nahm gleichfalld an den niederländiichen 
Bollöbewegungen Theil. Bei der Ankunft Alba’8 entfloh er 
nach Deutjchland, wodurd er vorläufig dem Schiefale Egmonts 
entging. Als er indeß fpäter fi) an die Spitze ber gegen bie 
ſpaniſche Herrſchaft gerichteten Bewegung ftellte, ſetzte Philipp 
einen Preid von 25,000 Kronen auf feinen Kopf, den fi ein 
Nihtöwürdiger, Balthafar Gerhard aus Burgund, au erwerben 
juchte, indem er ihn 1584 erſchoß. . 

Orcheſter [ipr. Orfefter]), aus dem gr. orchestra, bem Tanz» 
und Singplaß, auf welchem fich der Chor des griechiichen Theater 
bewegte; bei und der dicht vor der Bühne befindlihe Raum, fo 
wie (&.u.% 1,2 — J. v. O. III, 5 — W. T. II,2 — H. d. K.) 
die Geſammtheit ber dort ſitzendenden Muſiker. 


Dreus, ſ. Tartarus. 


Orden, von dem lat. ordo, Reihe, Ordnung; eine Geſell⸗ 
ſchaft, beſonders eine weltliche oder geiſtliche Verbrüderung, 


ordenanzen — Oreaden. 163 


bie zu beftimmten Zweden, bei den geiftlichen Orden nor Allem 
zu einem andäcdhtigen und enthaltjamen Leben, fich vereinigt hat 
und dem Verkehr mit der Welt fern zu bleiben beftrebt iſt. Der 
Stifter eines ſolchen Ordens giebt ihn gewöhnlich den Ramen, 
oder er wird nach einem Heiligen benannt, wie (Geb. D. Kampf 
m. d. Draden): „St. Johanns, ded Täufer, Orden“ (|. So: 
hannes) ober (&ftf. 10, 166): „der Drden von St. Stephan“ 
(j. d.). Das Oberhaupt bed Orbend, dem bie Glieder defielben, 
„Ordensbrüder“ (F. II, 15) genannt, unbedingten Gehorſam 
zu leiften haben, heißt Ordensmeiſter“ (O. C. III, 7), oder 
bloß (Ged. D. Kampf m. d. Drachen) „Meiſter“. Gemöhn- 
lich ſind die Mitglieder einer ſolchen Geſellſchaft mit gewifien 
Abzeichen verjehen, die an einer beftimmten Stelle der Kleidung 
getragen werden. In ihnen tft der Urjprung der Orden als 
Ehrenzeihen zu fuchen, wie „Ordenskreuz“ (D. C. IV, 20 — 
Sp. d. Sch.). 


ordenanzen, |. Ordonnanz. 


ordinär, frz. ordinaire, gewöhnlich; auch gering, niedrig, 
wie (Gftf. 10, 240), wo die „ordinäre Menjchheit” den mit 
höheren Ideen beichäftigten Menſchen gegenübergeftellt wird. 


Ordonnanz, von dem fraf. ordonner, befehlen, verfügen; 
eine Berfügung von dem Oberhaupte der Regierung, wie (Wfl. 


2. V, 2): 
„&3 ift des Kaiſers Wil’ und Ordonnanz 
Den Friedland lebenb oder tobt zu fahen.“ 


In der milttäriichen Sprache heißt Ordonnanz auch ein Soldat, 
ber beftändig um einen Befehlöhaber jein muß, um feine Be- 
fehle zu überbringen; daher (%. IV, 7): „Ordonnanz be 
Herzog." In diefem Sinne fagt auch der Küraffier (Bft. 
L. 11) in feiner niedrigen Ausdrucksſweiſe: 

Laßt fie fhiden und ordenanzen.“ 


Oreaden, |. Nymphen. 
11* 


164 Oreſtes. 


Oreſtes (Myth.), abgek. Oréſt (Iph. Perſ.-Verz.), der 
Sohn des Agamemnon (f. d.), war, als feine Schweſter Iphi⸗ 
genia (f. d.) geopfert werden ſollte, noch ein Knabe; daher 
(Iph. II, 4): 

„Dreft, der Knabe, ſteht dabei und janımert 

Unfhuldig mit, unmifiend, was er weinet.” 
Als jene Mutter Klytämneftra (f. d.) in Gemeinſchaft mit 
Aegiſthos ihren Gemahl Agamemnon ermordet hatte, floh er 
au defien Schwefter Anaribia, mit deren Sohn Pylades er die 
fprüchwörtlich gewordene Freundfchaft ſchloß. Herangewachſen, 
beichloß er, von ben Furien gereizt, den Tod feined Vaters zu 
rächen; daher (Br. v. M. 5, 467): 

„Selber die jchredlichen Furien ſchwangen 

Gegen Dreites die böllifhen Schlangen 

Reizten den Sohn zu dem Muttermorb an.“ 
Bon feinem Freunde begleitet, begab er ſich nach Mykene, wo 
feine Mutter und Aegiſthos von feinem Dolche fielen. Als 
Muttermörder war er indeß den Erinnyen verfallen, die ihn 
fortan unabläffig verfolgten und in Wahnfinn ftürzten In 
diefem Zuftande begab er fich nach Delphi, wo ihm ein Orakel 
verkündete, feine Dual werde ein Ende nehmen, wenn er bie 
Bildfäule der Diana von Taurid nad) Argod zurüdführe. 
Nunmehr innerlich beruhigt; daher (Ged. D. Götter Griechen: 
land8): 

„Seinen Freund erkennt Oreſtes wieber." 
begab er ſich mit feinem Freunde nad) Taurid, wo er nicht nur 
dad Bild, jondern aud feine Schwefter Sphigenia fand, mit 
welcher er nach jeiner Heimath zurückkehrte. Das Schidjal des 
Dreited ift in mehreren Tragödien des Altertbumd behandelt 
(vergl. Geb. Shakeſpeare's Schatten), von benen und bie 
„Sumeniden“ bed Aeſchylus, die „Elektra“ des Sophokles, fo 
wie „Oreſtes“ und „Iphigenia in Tauris“ von Euripideß er: 
halten find. Sm Beziehung bierauf heißt e8 (Geb. 4. B. d. 
Aen. 86): 


Organ — Orgel. 165 


„So mft der Bühnen Kunft Dreftens Bild hervor, 
Wenn mit der Fackel ihn und fürdterliden Schlangen 
Der Mutter Schatten jagt, der Racheſchweſtern Chor, 
(Hefpieen aus dem Schlund ber Hölle, 
Ihn angrauft an bed Tempels Schwelle." 
und (Ged. Pompeji u. Hereulanum): 
„Dem Dreft folge der graufende Chor.” 

Organ, von dem gr. orgänon, ein Werkzeug, bef. ein zum 
Leben ded Körperd nothmwendiger Theil; wie (GOſtſ. 10, 192): 
„Die Kunft ded Acteurd Tann doch nit Über Die Organe 
jeine8 Lebens gebieten.” Davon organtifch, mit Werkzeugen 
zum Wachjen und Leben verjehen; daher (Ged. Das Belebende): 
„Die organiſche Welt“, d. b. die der Thiere umd Pflanzen. 
Sn weiterer, bei. bildliher Bedeutung heißt Orgm: 1) ein 
Werkzeug überhaupt, wie (M. St. I, 7), wo Burleigh bie 
Maria fragt, ob ihre Richter Männer feien, 

„die ih zum Organ 

Der Unterdrüdung willig brauchen laflen.“ 
Desgl. wird (Br. v. M. Einl. 5, 379) der Chor, und (Gfti. 
10, 191) ein zu einem beftimmten Zwede benupter Menſch ein 
Organ genannt; 2) f. v. w. getftige Kraft, wie (Geb. D. 
Begegnung): 

„Ein neu Organ hatt‘ ih in mir gefunden, 

Das meines Herzens heil'ge Regung ſprach.“ 
Davon Organijation, innerer Bau, lebendig gegliederte Bil 
dung, wie (Bed. Metr. Ueberſ. Borer.) „die feine Organija: 
tion der lateinifhen Sprache.” Desgl. (Br. v. M. Einl. 5, 380), 
wo ein poetiſches Wert ald eine „höhere Organiſation“ be: 
zeichnet wird. 


Orgel, von dem gr. organon (f. Organ), welches ehemals 
bei. ein Tonwerkzeug bedeutete, wird von Sch. bildlich gebraucht. 
So nennt er (Ged. Kaura am Elavter) das Fräftige Spiel fer 


ner Yaura. 
„Majeitätifch prächtig nun, 
Wie des Domiers Orgelten.“ 


166 x Orgien — Original. 


und (Meb. II, 5) jagt Rofle von dem Gejange ded Pförtnerd: 
„ihr führt eine belle Orgel in ber Bruft.” 


Orgien, nicht Orgyen, wie in manden Ausgaben fteht, 
I. Bacchus. 


Orient, von dem lat. oriens (erg. sol) aufgehend, die 
aufgehende Sonne, aljo Morgen, auch Möorgenland (vergl. 
Levante), im engeren Sinne (Ged. D. Künftler) Griechen- 
land, bei. im Gegenfab zum Abendlande. Davon orien- 
taliſch, morgenländiih, wie (Zur. IV, 7) „ein orientaliſches 
Ruhebett“, d. 5. eine Art Sopba, wie es bei den Türfen in 
Gebrauch iſt; ferner orientiren, eigentl. fih nah Oſten 
richten und fomit auch die übrigen Weltgegenden finden; über: 
haupt (Gſtſ. 10, 213) ſich zurechtfinden. 


DOriflamme (3. v. D. Prol. 4), von bem lat. auri flamma, 
eig. Soldflamme; die Reichäfahne der Franzoſen. Ste war ur- 
fprünglih die Kirchenfahne von St. Denis (j. d.), welche ber 
Abt diefed Klofters jedesmal dem Beſchützer zu überreichen 
pflegte, der e8 übernahm, die Freiheiten und Güter defjelben 
zu vertheidigen. Sie beftand in einer Lanze von vergoldetem 
Kupfer mit einem Wimpel von feuerrother Seide, der in drei 
Spipen endete, von denen jede mit einer goldenen Quaſte ge: 
ztert war. Nah der Schlacht bei Azincourt (f. d.) wurde fie 
nicht mehr mit in den Krieg genommen. 


Original, von dem lat. origo, der Urfprung: 1) ein ur: 
Iprüngliches, nicht nachgeahmtes Werk, wie (Geb. Metr. Ueber. 
Borer.) „das Iateinifche Original“, vergl. a. Urbild (Tur. 1,1); 
2) eine Urfchrift im Gegenſatz von Abſchrift oder Copie, wie 
(Sp. d. Sch.) „die Originalien einer verbächtigen Correſpon⸗ 
benz“; 3) bildI. eine That, die vorher noch von feinem Andern 
ausgeführt worden tft, wie (R. II, 1) „ein Originalwerk“. Da 
von originell, angeboren, eigenthümlich, wie (F. Perſ.-Ver.) 
. „eine originelle Mifchung von Spipbüberei und Laune.” 


Drion — Orpheus. 167 


Drion (Menfchenf.), dad prachtvollfte Geftirn bes fühlichen 
Himmeld, benannt nad) einem Helden der griechiichen Mytbo- 
Iogie, der ald Rieſe und gewaltiger Säger befannt war. Für 
den Bewohner des nörblihen Afrika fteht der Orion ftet3 nabe 
dem Zenith, daher (Geb. 4.3. d. Aen. 10): 

— — — — „Seht, wie die Nebel rauchen, 
Die See noch ftürmt, Orion Regen zieht." 
Mit blogem Auge erblidt man in dem Orion 60—70, durch 
Fernröhre über 2000 Sterne. Mit Beziehung auf den herr- 
Then Glanz, den dieſes Geftirn vor allen anderen verbreitet, 
heißt es (Ged. D. Künftler) von der Wahrheit: 
„Die, eine Slorie von Drionen 
Umsd UAngeficht, in hehrer Majeftät, 
Nur angefhmt von reineren Dämonen, 
Berzebrend über Sternen gebt.” 


Orkan, ein Wort unfiheren Urjprunges, fachlich ein hefti- 
ger Sturm auf dem Meere (Geb. Parabeln u. Räthjel, 13) bef. 
ein Küftenfturm (Ged. 2. 2. d. Aen. 19 — Geb. Hero u. 
Leander — Br. v. M. 5, 447). Den Anfchauungen des Alter: 
thums zufolge erbraufte der Orkan auf Befehl der Götter; da- 
ber jagt Zeus zu Semele: Gebeut, und (Geb. Semele 2): 

„Dir flötet der Orkan ein Siegedlieb entgegen.” 


Drleand (Geb. D. Mädchen v. DO. — J. v. D., Perſ.⸗ 
Berz.), eine ziemlich bedeutende Stadt an dem nörblichften Punkte 
des Laufs der Loire. 

Drnät, von dem lat. ornäre, zieren, [hmüden; der Schmud, 
bei. Amtsſchmuck od. Feierkleid, wie (3.0. D. IV, 2): 

„Der König fteht im feſtlichen Ornat.” 
d. h. Krönungsanzug. 

Orpheus (Myth.), der Sohn bed Apollo und der Muſe 
Kalliope, war ein berühmter Sänger, den bie Sage nad) Thra- 
cien verjeßt und ber deöhalb (Ged. D. Triumph d. Liebe) „ber 
Thracier” oder (ed. D. Götter Griechenlands, Str. 9) „der 


168 Orpheus, 


Thraker“ genannt wird. Der Sage nad war die Madt 
feiner Töne fo groß, daß er Yeljen und Wälder in Bewegung 
zu ſetzen und die wildeften und reißendften Thiere zu zähmen 
vermochte. In Beziehung hierauf fagt Iphigenie (Iph. V, 3) | 
zu Agamemnon: 
„Mein Bater, hätt! ih Drpbhens Mund, könnt' ich 
Dur meiner Stimme Zauber Felſen mir 


Zu folgen zwingen u. — — — — — — — — — 
Jetzt würd’ ich dieſe Kunſt zu Hülfe rufen.” 


Eben fo fagt Semele (Geb. Semele 1) von Zupiterd Stimme, 


ſie ſei 
Entzückender, ald Orpheus Saiten ſchallen.“ 


Bergleichungdweife erinnert Sch. an ihn, wenn er (Geb. D. 
Entzüdung an Laura) fagt: Sch ſehe 

„Hinter dir die trunfnen Fichten fpringen 

Wie von Orpheus Sattenruf belebt.” 
ober (R. I, 2), wo Razmann zu Schufterle fagt: „Du haft, wie 
ein anderer Orpheus, die heulende Beſtie (j. Serberuß), mein 
Gewiſſen, in den Schlaf gefungen.“ 

Orpheus war mit Eurpdice, einer ſchönen Nymphe, ver- 
mählt, die er über Alles liebte, doch follte dies Glück nicht 
lange dauern. Als feine Gattin einft von Artfläud, einem 
Sohne ded Apollo, verfolgt wurde, ward fie von einer Schlange 
gejtochen und ftarb, worauf Mercur fie in die Unterwelt hinab⸗ 
führte. Bol Berzmeiflung flieg Orpheußd zum Orcus hinab und 
verfjuchte durch die Macht feiner Töne den hbartherzigen Pluto 
zu bewegen, baß er ihm feine Gattin zurüdgäbe; daher (Geb. 
D. Götter Griechenlands, Str. 9): 

„Und des Thrakers jeelenvolle Klage 
Rührte die Erinnyen." 
Der Beherrfcher der Unterwelt willigte ein, daher (Ged. Nenie): 
„Einmal nur erweichte die Liebe den Schattenbeherricher.” 


jedoch nur unter der Bedingung, daß, wenn fie ihm folgte, er 
ſich nicht nach ihr umjehen dürfe. Schon waren fle der Oberwelt 


Dfia — Oſtindien. 169 


nabe, ald Orpheus dennod dad Haupt ummandte; aber fogleich 
verfhwand die geliebte Sattin für immer. Bergl Geb. D. 
Triumph d. Liebe. 


Dfia (Ged. Semele 1), ein 5000 Fuß hohes Gebirge in 
Thefſalien, vergl. Typheus. 

Oſt od. Oſten, die Gegend, wo die Sonne aufgeht, in 
weiterer Bedeutung das Morgenland (vergl. Orient), das in alten 
Zeiten beſonders ſeiner Reichthümer wegen in hohem Anſehen 
ſtand. Daher jagt Macduff (Meb. IV, 6) zu Malcolm: 

— — — — — „Um alles Land, 
Dad ber Tyrann in feinen Klauen Hält, 
Und um ben reichen Dft dazu möcht ich 
Der Scändliche nicht fein, für welchen du 
Mic anflehft.” 
In Beziehung auf die chriftliche Kirche, welche fich ſeit dem 
5ten Sahrhundert in die morgenländilche und abendländifche 
geichieden, braucht es Wallenftein, wenn er (Wit. X. IV, 3) zu 
dem Bürgermeifter fagt: 
„Zwei Meiche werben blutig untergehen 
Sm Dften und im Weften, fag’ ich euch, 
Und nur der Iutheriihe Glaub’ wird bleiben.” 

Oftheim, Gräfin von (K. u. L. I, D. Eckardt berichtet, 
bag in Thüringen eine Eleonore von Oſtheimb lebte, die 
Ende 1782 mit einem weimarifchen Bräfidenten von Kalb 
gezwungen vermählt wurde, einem Menſchen von mittelmäßigen 
Fähigkeiten und niedrigem Charakter. Daß die tugendhafte 
Gräfin auf diefe Weife ein Opfer der jhändlichiten Berech⸗ 
nung geworden, hatte Sch. von Frau v. Wolzogen erfahren. 
So erllären fi die Namen der Gräfin und des Marfchalls. 

Dftindien, ein befanntes Land im ſüdlichen Aſien, wird 
(NR. a. DO. I, 4) als tropifcher Ausdrud, und zwar ald Synet: 
doche gebraucht, die ftatt ded Allgemeinen das Beſondere, eine 
finnlihe Anſchauung Erwedende, jest: „ih in Toulon oder 
Oſtindien eine Frau holen“, d. h. aus einer der ferniten 


170 Dftmeer — Orenitirm. 


Gegenden. — Die reihen Schäpe Oftindiend wurden im Mit- 
telalter zu ande bis an die Küften des mittelländifchen Meeres 
gebracht und von dort durch italienifche Handeldichiffe den euro: 
paͤiſchen Häfen zugeführt; feit der Entdedung des Seeweges 
nad Oſtindien aber ſank der Glanz der italienifhen Handels⸗ 
ftädte; daher jagt Fiesco (%. IT, 5) von den Patriciern Genuas: 
„Ihr Heldenfeuer klemmt fih in Ballen Ievantiiher Waaren, 
ihre Seelen flattern ängftlih um ihre oftindifche Flotte.“ 


Dftmeer (Bit. T. I, 5), |. v. w. Ditfee. 


Dttomane (D. C. II, 8). Osman oder Ottoman ift der 
eigentliche vom Stifter des türfilchen Reiches abgeleitete Name 
der Türfen; davon Ottomane, d. t. ein türkiſches Ruhebett, ein 
niebered Polſter nach türkifcher Art. 


Drenftirn nennt der Kapuziner in feiner humoriſtiſchen 
Austrudöweife (Wft. 2.8), desgl. auch Queftenberg (Picc. IL, 7) 
den ſchwediſchen Kanzler Drenftierna (Dr. Kr. 174, 349, 360), 
welcher, nachdem Guftan Adolph 1632 in der Schlacht bet 
Lügen gefallen war, die Angelegenheiten zwifchen Schweden 
und den deutſchen Yürften leitete. Cr zeichnete ſich Durch die 
Klugheit aus, mit welcher er bie Unterhandlungen führte und 
brachte unter andern 1633 dad Heilbronner Bündniß (Dr. Kr. 
364, 367, 405) zwijchen den Schweden und mehreren deutjchen 
Fürften zu Stande, worauf ſich die Worte Terzky's (Picc. II, 5) 
beziehen, die er an Wallenftein richtet: 

— — — — — „Der Graf entbietet dir, 

Er hab' den ſchwedſchen Kanzler aufgeſucht 

Zu Halberſtadt, wo jetzo der Convent tft." 
Auch Wallenſtein erwähnt ſeiner in dem Geſpräͤch mit Wrangel 
(Bft. T. I, 5). 


Paͤan — Bair. 171 


P. 


Baan od. Päon (Myth.), zunächſt der Arzt der Götter; 
ferner ein Beiname des Apollo, ald Gottes der Heillunft; außer: 
dem ein Roblied auf Apollo od. ein Siegeslied überhaupt, wie 
(Geb. D. Künftler): „trunten von flegrufenden Päanen“. 


Pactum (Picc. II, 7), Iat. ein Bertrag, eine Uebereinkunft, 
ein Bündniß; abgel. Pact (Wfl. 8. 11), pl. Pacta (R.I, 1). 
Padok (Dieb. I, 1), engl. paddok, ber Froſch, die Kröte, 
bei. die Unke, deren unbeimlicher Ruf zu mancherlei abergläu: 
biſchen Sagen Beranlaffung‘ gegeben bat. 


Padua (D. C. I, 4), eine der älteften Städte bed nörd⸗ 
lichen Staliend, weſtlich von Venedig, befigt ſeit 1221 eine ebe- 
mals bochberühmte Univerfität. 


Pair, frzſ. von dem lat. par, glei; engl. Peer [ipr. pihr], 
ehemals die Benennung für die unmittelbaren Kronvafallen, die 
als Mitglieder des höchſten Gerichtöhofe an Rang und Bor: 
rechten einander gleich waren; ſpäter in Frankreich ein “Mitglied 
ber erften Kammer; baber fagt Thibaut (J. v. D. Prol. 1) von 
dem Könige in Beziehung auf den Herzog von Burgund: 

„Und wider ihn im Heer der Feinde kämpft 

Sein nächfter Better und jein erfter Pair.” , 
Sn England find die Peerd (M. St. IV, 5) die Mitglieder des 
Dberhaufeß, in Beziehung worauf Marta Stunt (M. St. I, D 
fagt: 

„Nur Könige find meine Peers.“ 

Desgl. jagt Rudenz (W. T. II, 1) zu Attinghaufen vergleichungs⸗ 
weife: 

„Bier Iſt's nicht eine rühmlichere Wahl, 

Zu bulbigen dem königlichen Herrn, 

Sich an ein glänzend Lager anzujchließen, 

Als eurer eignen Knechte Bair zu fein 

Und zu Gericht zu figen mit dem Bauer ?* 


172 Paladin — Palladium. 


Saladin, von dem mittl. lat. Palatinus, wie die Herren des 
Palafted oder Hofes, bei. unter Karl d. Gr. genannt wurden; 
alio: ein Ritter bei Hofe; bildl. ein tapferer und gefälliger Helb, 
wie (Picc. II, 4), wo die Gräfin Terzky von Mar jagt: 

„Da tommt der Paladin, der uns beichüßte.” 


Palais, |. Palaft. 


Balamedes (Myth.), abgek. Palaméd, der Sohn des eubdi⸗ 
ihen Königd Nauplius, eine Sohnes Pofeidond und der Da- 
natde Amymone, daher (Iph. I, Zw.:9.) „Pofetdond Enkel“, 
einer der griechifchen Helden, die mit Agamemmnon gegen Troja 
zogen. Er hatte einft den Alyfſes verjpottet und ſich Dadurch 
den Haß defielben zugezogen, der ſoweit ging, daß Ulyfies in 
Verbindung mit mehreren anderen Kampfgenofien ihn der Ber: 
rätberei anflagte und ihm ein ſchmachvolles Ende bereitete. Vergl. 
Ged. 2. Bd. d. Yen. 14). 


Palaſt, von dem lat. palatium, welches urfprünglic der 
Name eined Hügeld des alten Roms war, auf welchem die Tai- 
ferlihe Burg ftand; jest (R.IL, 2 — F. II, 1 — D€.1,4, 
frzſ. Palais (F. II, 2) ein Schloß od. fürftlihes Wohngebäude. 


Palatinus, abgel. Palatin (Dem. D, wie Baladin von 
palatium, ſ. v. w. Pfalz, Palaft (ſ. d.), ein Pfalzgraf, in Polen 
ein Fürft od. Woiwode. 


Palermo (Gſtſ. 10, 138), die Hauptitadt der Inſel Sici- 
lien, am nördlichen Ufer derjelben. 


Palffy (Pice. IV, 5), ein kaiſerlicher Yeldherr, ber fidh be- 
reit8 15983 bei Stublweißenburg und 1598 bei Raab tm Kampfe 
gegen die Türken ausgezeichnet hatte. 


Palladium, eig. das Bild der Pallas (f. Athene), von wel- 
chem das Schickſal der Stadt Troja abhing, indem man biejelbe 
für unüberwindlich hielt, jo lange fie dies forgfältig verwahrte 
Heiligthum beſitzen würde; daher fagt Dunotd (3. v. O. V, 8) 


Ballantede — Ban. 173 


in Beziehung auf die gefangene Zungfrau in bildlicher Weife: 
Es iſt 

„Die Krone, dad Ballapium entwendet.” 

SBallantes (PH. IV, 2) od. Pallas, deilen 50 Söhne unter 
dem Namen der Pallantiden (Ph. I, 1) den ſchwachen Aegeus, 
König von Attila, beberrichten, war demnach der urfprüngliche 
Feind des Theſeus und feines Geſchlechts. Da die Pallantiden 
nad Aegeud Throne ftrebten, jo hatte derjelbe, um fie in ihrer 
Hoffnung zu erhalten, feinen Sohn Theſeus heimlich in Trözene 
erziehen laſſen. 

Pallas, |. Athene. 


Ballifade (R.I, 1), ein Schanzpfahl, nämlich ein ſpitz zu: 
gehauener Pfahl; mehrere derfelben neben einander in die Erde 
gefchlagen, bilden ein Bollwerk. Bildl. werden (R Borr.) die 
drei Einheiten des Artftoteled (|. d.) jo genannt. 


Palm, vergl. Eſchenbach. 


Palme. Bereits im Alterthum wurden die Palmen ihres 
himmelanſtrebenden Wuchſes wegen als Sinnbild des Frie— 
dens angeſehen und zugleich waren fie eine Ehrengabe für 
den Sieger; daher (Ged. D. Fohanniter): 

„Religion ded Kreuzes, nur du verfnüpfteft, in einem 
Krange, der Demuth und Kraft boppelte Palme zugleich.“ 

Bamela (gr. Handl. a.d. n. Geſch.), ein berühmter Roman 
des Engländerd Richardſon; er erſchien 1740, erlebte im erften 
Sabre fünf Auflagen und wurde in die meiften europätichen 
Sprachen üiberjegt; deutſch, Liegnitz 1772. 


Han (Myth.), ein Sohn des Hermed und der Nympbe 
Dryopd, ein alter Hirtengott in Arkadien. Cr war gehörnt, 
bärtig, rummnafig, rauh behaart, mit Boddfüßen und geſchwänzt. 
Er ftreifte im Walde umher und war feiner Seftalt wegen nicht 
felten der Schreden der Nymphen. Seine Stimme flößte jelbft 
den Kriegäheeren Entfegen (R. II, 3), einen paniſchen Schreden 


174 Panier — Panther. 


ein. Webrigend war er von frieblicher Natur; daher (Br. v. M. 
⸗, „Der friedliche Ban, der Flurenbehüter.“ 
an den die Mutter (H. d. 8.) in Beziehung auf den gepflanzten 
Drangenbaum mit der Bitte fich wenbet: 
„Hober Slurgott, pflege fein!” 
beögl. die Mädchen (ebenbaj.) 
„Schütz' ihn, fhüg’ ihn, Bater Ban!“ 

Er wird als der Erfinder der Hirtenflöte (vergl. Haberrohr) an- 
geiehen; daher (Geb. D. Götter Griechenlands; Anm. Str. 3): 
„Schmelzender erflang die Glöte 

In des Hirtengottesd Hand.” 

Panier, zunächft von dem frzſ. banniere, Banner (vergl. 
bannen) od. Heerfahne, wie Reihöpanier (W. T. II, 2) ob. 
Kriegdpanter (Wfl. 2. 6); bildl. (R. II, 2): 

„Das ſchwarze PBanier des Todes.“ 

Pantalon (K. u. L. V, 7), eig. Pantaleon, ein aufrecht: 
ftehende8 Clavier von geringerer Breite ald die gewöhnlichen 
Claviere; es wurde 1718 von Pantaleon Hebenftreit erfunden. 


Paͤntheon, ein Tempel von freißrunder Form in dem alten 
Rom, ber ſämmtlichen Göttern gewidmet war. Sept führt er 
den Namen Rotonda und tft allen Heiligen geweiht. Verglei— 
chungsweiſe jagt der Dichter (Ged. D. Spaziergang) von einer 
rımden Halle mit Bildwerfen: 

„Künftliche Himmel ruhen auf ſchlanken ioniſchen Säulen 
Und den ganzen Olymp fchließet ein Bantheon ein.” 

Banther, ein zum Kapengefchlecht gehöriged Raubthier, das 
ſchon im Alterthum ohne bejondere Schwierigfeit gezähmt und 
jelbft zum Ziehen von Wagen verwendet werden Tonnte; daher 
(Geb. D. Götter Griechenlands): „ber Banther prächtiges Ge— 
ſpann“. Sn Beziehung auf feine Blutgier heißt e8 (Geb. D. 
Glode) vergleihungsweife von wüthenden Weibern: 


Noch zudend mit bes Banthers Zähnen 
Zerreißen fie bed Feindes Herz.“ 


Panthus — Pappenheim. 175 


Panthus (Geb. 2.3. d. Aen. 57 u. 75), einer der Aelteften 
und bes Phöbus Priefter in Troja. 


Bantomime, von dem gr. panto-mimos, eig. alles nach⸗ 
ahmend; da8 Minen: und Geberdenfpiel; daher (MR. I, 2): „ſich 
mit Pantomimen abarbeiten”, wie die Schaufpieler im Ballet, 
welche Gedanken, Empfindungen und Handlungen ohne Worte 
darzuftellen fuchen. Daher auch (Oſtſ. 10, 137): „ein panto- 
mimiſcher Tanz”. 

Danzer (D. C. I, 6), eine metallene Leibbekleidung; Pan- 
zerhemd, ein aus Keinen Eifenringen geflochtened Kleidungs⸗ 
ftüd, welched die vornehmeren Ritter biöweilen ftatt des Har⸗ 
niſches zu tragen pflegten; bild. (Ged. D. Kampf m. d. Dra- 
hen) die undurchdringliche Körperbededung des Drachenbildes: 

„Ein ſchuppicht Panzerhemd umfaßt 
Den Rüden, den ed furchtbar jchirmet.” 

Papa (Wit. 8. 5), lat. ein von einem Naturlaute auöge- 
gangened, in derfelben Form auch in anderen Sprachen gebräucdh- 
liches Kinderwort für Vater. Davon Papft (M. St I,6 — 
W. T. V, 2), das geiftlide Oberhaupt der römiſch-katholiſchen 
Kirche, auch der heilige Bater genannt, der fi die Macht zu- 
ſpricht, zu löfen und zu binden (vergl. Loſeſchlüfſel); daher (Wit. 
T. V, 2) bildlich: 

„SH bin dein Bapft mb abfolvire did.” 
Hiervon Papift (MWft. T. III, 15) u. Bapiftin (M. St. I, 7) 
unbedingte Anhänger des Papfte; und Papſtthum (M. St. 
l, 6), die Lehre und det Geiſt der römiſch⸗-katholiſchen Kirche. 


Papiſt, |. Papa. 

Pappenheim (Gottfr. Heinr. Graf von), aud einem alten 
reichögräflichen Geichlechte in Schwaben flammend, ben jein 
Eifer für die katholiſche Religion in den Kampf getrieben, nahm 
zunächft als Oberft an ber Prager Schlacht Theil, vereinigte 
fich fpäter mit Tilly (Dr. Kr. 195) zur Eroberung Magdeburgs, 
focht mit ungeftümer Tapferkeit bei Leipzig und fand in ber 


176 Papft — Parabeln und Näthfel. 


Schlacht bei Lügen (Dr. Kr. 342), zu welder Ballenftein ihn 
binberufen, feinen Tod (Wft. &. 11). Die nah ihm von Mar 
Piccolomini angeführten Küraffiere find die Bappenheimer 
(Bft. T. U, 7). 


Papft, ſ. Papa. 


Barabeln und Rathſel (Ged.) Inter diefer Weberfchrift 
finden ſich dreizehn Heine Gedichte zufammengeftellt, die übrt- 
gend alle nur Rätbjel find. Eine Parabel ift befanntli eine 
Erzählung, in welcher ein Gleichniß nicht nur aufgeftellt, ſon— 
dern vollftändig durchgeführt wird, und zwar fo, daß da8 in ber- 
jelben liegende belehrende Moment mit in die Darftellung ver- 
flo‘hten ift. Diefer Forderung entſprechen die vorliegenden ®e- 
dichte nicht, und Schiller hat die Bezeihnung „Parabel“ wohl 
erft jpäter hinzugefügt, weil die vorberrichend allegoriichen unter 
ihnen ihren Gegenftand nicht hinlänglich verhüllten, um als 
Räthſel gelten zu können. Sedenfalld bat ihm bei der Wahl 
bed Ausdrudd „Parabel“ nur die etymologtiche Bedeutung des 
Wortes Worted vorgefchwebt, welches fo viel als Nebenetn- 
anderftellung beißt. Uebrigens find auch dieſe Räthſel mit 
dem, was man gewöhnlich darunter verfteht, nicht in eine Klaffe 
zu ftellen, da fie keinesweges bloß den Wig befchäftigen, jon- 
bern vor allen Dingen die Phantafle in Anſpruch nehmen, indem 
fie eine höhere Idee unter der Hülle eines finnlichen Gegen: 
ſtandes barftellen, der einer poetiiche Einkleidung fähig tft. 

Die Beranlaffung zu diefen Gedichten war die Aufführung 
ber Turandot (f. d.), ein Drama, in welchem ber Held bed 
Stüdes drei Räthſel zu löſen hat. Um bei ben wieberholten 
Aufführungen deſſelben den Zufchauern eine neue Weberrajchung 
zu bereiten, wurden den bereit3 im Sabre 1801 gebichteten Räth- 
feln in dem barauf folgenden Sahre die übrigen hinzugefügt, 
die dann ftatt der früheren eingelegt wurden. Daß zu dieſem 
Zwed auch der Wortlaut der von dem Prinzen Kalaf gegebenen 
Löfungen verändert werben mußte, verfteht ſich von felbft. Einige 


Parabelı und Räthiel. 177 


derjelben find in dem Nachlaß des Dichterd vorgefunden und 
fomit erhalten worden. 

Das erjte NRäthfel bedeutet den Kegenbogen, der graue 
See unter demjelben die Regenwolke auf welcher er erjcheint. — 
Das zweite bezeichnet (wie Nr. 6) dad Auge. Die Phantafie, 
wie ed von Manchen gedeutet wird, kann ed wegen Verd 2 nicht 
fein. — Das dritte ift eine höchſt anmuthige Allegorie, in 
welcher der geftirnte Himmel unter dem Bilde einer Heerde 
erſcheint. Das ſchön gebogene Silberhorn iſt die Mondfichel, 
die goldenen Thore bedeuten dad Abendroth, und Hund und 
Widder find befannte Sternbilder. — Das vierte bezeichnet 
das Himmelsgewölbe mit der leuchtenden Sonne. — Das 
fünfte, deſſen Deutung fehr verjchieden gegeben worden ift, 
bedeutet vermuthlid Tag und Naht. — Das ſechſte, eins 
der jchönften, bedeutet dad Auge mit feinem auf der Nephaut, 
oder vielleicht auch dem auf der durchfichtigen Hornhaut erjchet- 
nenden Bilde. — Daß fiebente bezeichnet die chineſiſche 
Mauer, die 214 v. Chr. begonnen und zum Schuß gegen die 
Bölfer der nordiihen Wüſten erbaut wurde. Sie ift 10 Fuß 
breit, 30 Fuß body und etwa 500— 700 Meilen lang, in Zwi— 
ſchenräumen von 300 Schritt jedesmal mit einem Feſtungsthurme 
verfeben. Sie führt über Berghöhen, Thäler und Gemäfler 
hinweg bis an die Küfte ded öftlihen Dceand und hat verfchie- 
bene Thore, welche jorgfältig bewacht werden. — Das achte 
bedeutet den Bligftrahl. Mit dem zweimaligen Drohen am 
Schluß kann Blitz und Donner gemeint fein; in älteren Aus: 
gaben jteht: „Hat zweimal nie gedroht”. — Das neunte ift 
lange Zeit ungelöft geblieben, bis fich auf eine Anfrage bei Schil: 
ler’8 Angehörigen aus den nachgelafjenen Papieren ergeben hat, 
daß mit der Mutter die Naht, mit dem Vater das Licht und 
nit den Kindern die Karben gemeint jeien. Die von der Wiffen: 
ſchaft adoptirte Newton'ſche Theorie nimmt befanntlich jieben 
Farben an; Schiller, welcher diefer Theorie früher gleichfalls 
beigeftimmt (vergl. Ged. D. Künftler, Schlußftrophe) hatte fich 

H. 12 


178 Parabeln und Räthfel. 


jedoch jpäter der Goethe'ſchen Farbenlehre zugeneigt, welcher 
zufolge ed nur drei Grundfarben: roth, gelb und blau und brei 
gemifchte Yarben: orange, grün und violett geben follte. Unter 
einfachen Farben verfteht man gegenwärtig folche, die ſich durch 
das Prisma nicht weiter zerlegen laflen, und dies find die fleben 
Regenbogenfarben. — Dad zehnte bedeutet den Pflug mit 
bejonderer Beziehung auf den Kaijer von China, welcher jebes- 
mal am Neujahrdtage ein Stüd Land felbft umpflügt, eine reli: 
giöfe Yeier, bei welcher er von feinen Miniftern unterftügt wird, 
die inbeffen nicht, wie er, unter einem Zelte, ſondern unter freiem 
Himmel arbeiten müfjen. Der weitere Inhalt dieſes Räthfels 
findet fi audgeführt in dem „eleuſiſchen Feſt“. — Das elfte 
bedeutet den Funken, deflen „mächtige Schwefter”, die Winba- 
braut, an die herrliche Feuerſcene in der Slode erinnert. — Das 
zwölfte bezeichnet Die Zeit, dargeftellt durch den Schatten des 
Zeigerd an der Sonnenuhr. — Dad dreizehnte bedeutet das 
Schiff. Die Segel, das fcharflantige Vordertheil, die ftarfen 
Maften, die Rubderftangen, der Anker haben dem Dichter Anlaß 
zu den aufgeftellten Vergleichen gegeben. — Wer geneigt if, 
gegen manche Einzelheiten in diefen Räthjeln Ausftellungen zu 
machen, die allerdings nicht unbegründet fein Dürften, der möge 
bedenken, daß der Dichter fie einer chinefifchen Prinzeffin in den 
Mund legt, von der man eben jo wenig gründliche aftronomifche 
(3) und phyſikaliſche (8) Kenntniffe ald ftreng logiihe Anorb- 
nung der Gedanken (12) verlangen kann. Goethe jagt von ihnen: 
„Ste haben den ſchönen Fehler, entzüdte Anſchauungen bed Ge: 
genftanded zu enthalten, worauf man faft eine neue Dichtungsart 
gründen könnte”. Und allerdings unterfcheiden fie ſich von den 
gewöhnlichen Räthjeln, deren Gegenftand meift unbedeutend und 
geringfügig tft, dadurch, daß fie ed mit einem allgemein befannten, 
bedeutungsvollen Gegenftande zu thun haben, ber einen großen 
Reichthum von Beziehungen zuläßt. Sc. kommt e3 bei diejer 
Dichtungsart weniger darauf an, ben Zuhörer durch eine ge 
heimnißvolle Einfleidung zu verwirren; denn bie Löſung des 


Parade — Paradies. 179 


Räthſels, das fein Geheimniß meist jelbjt verräth, ift ihm nicht die 
Hauptſache. Dagegen bemüht er fich, feinen Gegenftand in 
einem lieblihen Bilde darzuftellen, dad die Phantafie angenehm 
beihäftigt, jo daß wir ihm nach erfolgter Löſung ein mit inniger 
Hingebung verbundened Nachdenken widmen. Des Dichterd groß- 
artige Weltanſchauung bat fih auch bier nicht verleugnet. 


Parade, frzſ. von parer, fhmüden; ein feierlicher Aufzug 
oder Schaugepränge, bej. beim Militair; daher: Wachparade 
(K. u. L. 17 — Wſt. L. 6 — Sp. d. Sch.), bei der bie Sol: 
daten in feftlihem Anzuge auf Wache ziehen, und Paradeplag 
(Sp. d. Sch.), ein ftattlicher Platz, auf dem dergleichen Aufzüge 
abgehalten werden. In der Reitkunft bedeutet Parade die zier: 
lichen, zur Schau dargebotenen Bewegungen eined Pferbes; daher 
(Ged. Pegafus im Joche): 

„Hell wieherte ber Hippogryph 

Und bäumte fi in prächtiger Barade.” 
Davon: paradiren, prangen, zur Schau auögeftellt fein, bis⸗ 
weilen auch ironiſch, wie (R. IL, 3): „als ich den Pjendo:Spie- 
gelberg in feiner ©lorie dba paradiren fah”. 


Paradies, zunächft der Aufenthalt3ort des erften Menfchen: 
paared; ferner ber der Seligen nad dem Tode; daher (Geb. 
D. Entzüdung an Laura): 


Leierklang aus Baradiefed- Kernen.” 


Bildl. 1) ein erträumter glüdlicher Zuftand, wie (D. €. IV, 21), 
wo Marquis Poja fagt: 
„Sn meines Garlod Seele 
Schuf ih ein Paradies für Millionen.” 
2) }. v. w. wonnige Empfindungen, wie (ed. D. Kindesmör: 
derin): 
Fahret wohl, ihr goldgewebten Zraume, 


Paradieſeskinder, Phantafleen!” 
12* 


180 paradiren — parforce. 


desgl. (D. C. IL, 9): 
„Da wo 
Er glüben will, mit Paradieſen fpielen 
Und Götterglück verfchenten muß. 
eben jo (R. IV, 4) „Paradied der Liebe”; (K. u. L. V, 2) 
„Theile mit diefem Geſicht Paradiefe aus”, und (R. III, 2) „para: 
dieſiſche Gegend”. 


paradiren, |. Parade. 


Barafit, von dem gr. parä, neben, bei u. sitos, Speiſe; 
ein Schmaroger. — Der Parafit oder die Kunft, fein 
Glück zu machen (Bd. 7), ein Ruftipiel von Picard (vergl. D. 
Neffe als Onkel), welches im Original „Mediocre et rampant, ou 
le moyen de parvenir“ betitelt if. Das in Alerandrinern ge: 
fchriebene Original hat im Ganzen einen ernfteren Charakter 
als Schiller’8 Webertragung, der wohl abfichtlich die Proſa wählte, 
um fich freier bewegen zu können. Die Perfonen Arifte, Dorlis, 
Laure und Dorival bat Sch. in Narbonne, Mad. Belmont, Char: 
Iotte und Selicour verwandelt; außerdem iſt Manches gekürzt, 
Anderes erweitert, wie ed ihm theild für die Schaufpieler, theils 
für die Bedürfniffe des deutfchen Publicumd zwedmäßig erichien. 


Barce, |. Parze. 


Pardo (D. ©. I, 3), ein ber weniger bedeutenden koͤnig⸗ 
lichen Luftjhlöffer in Madrid. 


Kardon, frzi. Verzeibung; bei. (R. IT, 3 — F. II, 4 u. 
II, 14 — Berbr. a. v. E.) die Begnadigung eined zum Tode 
Berurtßeilten; Generalpardon (R. II, 3), allgemeine Be— 
gnadigung; davon pardonniren (%. I, 9 u. I, 4 — Dit. 
2. 11), begnadigen, das Leben fchenten. 


parforce (R. II, 3), von dem frzf. par force, gewaltjam; 
Parforcehund (%.I, 9), ein Hund, der zur Hetzjagd gebraudt 
wird. 


Paris — Parlament. 181 


Baris (Myth.), ein Sohn des trojaniſchen Königs Priamus 
und der Hecuba, feiner Herkunft wegen (Iph. I, 1) der Phry⸗ 
gier (f. d.) genannt, war eined verhängnißvollen Traumes feiner 
Mutter wegen ausgeſetzt und auf dem Ida (Iph. V, 4) als Hirt 
erzogen worden. Er tft befannt Dadurch, daß er den Streit zwi: 
Ihen Juno, Minerva und Benud entjchied (vergl. Erid), und 
dag er dem Menelauß feine Gattin Helena (ſ. d.) raubte, wo- 
durch (Iph. II, 4) der trojaniſche Krieg entitand. Parid ging 
zwar einen Zweikampf mit Menelaus ein, in welchem er befiegt 
ward, weigerte ſich aber defienungeachtet, die Helena heraus- 
zugeben. So dauerte der Krieg fort, in welchem Venus den 
Parid (Ged. 2.3. d. Aen. 103) lange beichügte, bid er von 
Philoktets (ſ. d.) vergifteten Pfeilen tödtlich getroffen ward. 


Paris (Par. I, 1), die Hauptitadt Frankreichs, war lange 
Zeit der Zielpunft vornehmer Reifender, welche dort die feinere 
gejellige Bildung fih anzueignen ſuchten, daher jagt Paulet 
(M. St. I, 3) von Mortimer: 

„Sr ift gereift, fonımt aus Paris und Rheims.“ 


Kart (M. St. III, 4), engl. park, frzſ. pare, ein garten: 
artig gehegter Wald, Luftwäldchen. 


Barlament, von dem franz. parler, fprechen, hieß in Frank: 
reich vor der Revolution das höchſte Gericht einer Provinz, wel: 
ches auch Antheil an der höchften Gewalt hatte Als daher 
König Karl (3. v. O. I, 5) fragt: 

„Erhob fi nicht in meinem Parlamente 

Die reine Stimme der Gerechtigkeit?" 
antwortet ihm La Hirte: 

„Ste tft verftummt ver der Parteien Ruth. 

Ein Schluß bed Parlaments erflärte dich 

Des Zhrond verluftig, dich und bein Geſchlecht.“ 
Sn England tft das Parlament (K. u. L. I, 3 — M. ©t. 1,7) 
die Reichöverfammlung. Der König (oder die Königin) ift dort 
das geheiligte Oberhaupt bed Volkes und für feine Handlungen 


182 Barma — Parodie. 


nicht verantwortlich, wohl aber die Mintfter; daher jagt Paulet 
(M. Stuart I, 2) zu Maria: 

„Englands Beberrfcher brauchen nichts zu fcheuen, 

Als ihr Bewiflen und ihr Barlament.“ 
Denn in Betreff der Regierung und Geſetzgebung darf der Kö— 
nig nicht eigenmächtig verfahren, fondern e8 gehört dazu bie 
Einwilligung des Parlament? oder der Stellvertreter des Volks. 
Dieſe Stellvertretung befteht aus dem Oberhaus (M. St. 1,7) 
und dem Unterbauß, oder (M. St. I, 6) dem „Haus ber 
Lords und der Gemeinen“. Sn dem Oberhbaufe (Chamber 
of Peers) fiten die Mitglieder des hohen Adels, die Erzbiichöfe 
und Bifchöfe ded Landes, und der Lord: Großfanzler führt den 
Vorſitz. Das Unterhaus (Chamber of Commons) befteht aus De- 
putirten der Grafſchaften und der Städte, die gejeglich von dem 
Könige ganz unabhängig find. Somit liegt die Hauptmacht des 
englifhen Staated wefentlih in dem Parlamente; daher fagt 
König Karl (3.0.8.1, 9: 

„Denn mir tft fihre Kunde zugekommen, 

Daß zwiichen diefen ftofgen Lords von England 

Und meinem Better von Burgund nicht affes mehr 

So ftebt wie ſonſt.“ 
Ebendeshalb bricht auch Elifabeth (M. St. IV, 10) in die Klage 
un ‚D Sklaverei bed Volksdienſté! Schmähliche 

Knechtſchaft — Wie bin ich's müde, diefem Bößen 

Zu fchmeicheln, den mein Innerſtes verachtet! 

Wann ſoll ich frei auf biefem Throne ftehn!" 
Desgl. jagt auch Lord Keicefter (M. St. II, 4): 

„Englands Geſetz, nit der Monarchin Wille 

Berurtheilt die Maria.” 


Parma (%. II, 18), ehemals ein Herzogthum in Oberitalien. 


Parodie (Ged. Shakeſpeare's Schatten), von dem gr. par- 
odia, ein Neben: od. Gegengedicht, eine jcherzhafte Anwendung 
der Form eines Gedicht auf einen anderen, in der Regel went: 
ger edlen Gegenftand. 


Parole — Partbenopäus. 183 


Barole, frzi. dad Wort; 1) Verſprechen, Ehrenwort, Ritter: 
wort, wie (Picc. II, 6), wo Wallenftein fagt: 

. „Barole müflen fie mir geben, etblich, ſchriftlich, 

Sih meinen Dienft zu weihen unbedingt.‘ 

dedgl. jcherzhaft: Saunerparole (%. I, 2), richtiger Gauner⸗ 
parole, d. i. Diebes-Chrenwort; — 2) in der Kriegeripradhe: 
dad Loſungswort, an dem ih Wachen und Poſten erkennen, 
wie (%. III, 5): „Ein Andrer erforſcht die Parole”; daher aud) 
Dit. T. IV, N: „das Wort ändern”, und (W. T. II, 2): „Gebt 
dad Wort”! 


Paroxysmus (Bitf. 10, 195) gr. ein verftärkter Anfall einer 
Krankheit; bildl. u. troniih von Moord Ausbruch der Reue 
(R. I, 2): „Der Paroxysmus iſt ſchon im Hallen”. 


Parricida, |. Johann von Schwaben. 


Barry (M. St. V, 7), ein Rechtögelehrter u. Abgeoröneter, 
welcher, zum Katholicismus zurüdgefehrt, 1585 Eliſabeth zu 
ermorden unternahm, vom Papſte jelbit dazu ermuntert, wie 
Robertfon (History of Scotland II, 249) meint. Die einzige 
Perſon, der er fein Vorhaben mitgethetlt Hatte, verrieth ihn. 
Er wurde hingerichtet. j 

Bartei (Wit. Prol. — Wi. T.I,6 — 3.0.0.1, 5), von 
dem Yraf. parti (lat. pars, Theil), gew. Alle, die fich zu einer 
gemeinſamen Anficht in Kirche oder Staat befennen, bei. im Ge: 
genfaß zu denen, welche entgegengefepter Meinung find. Davon 
Parteiung (W. X. II, D: dad Auseinandergehen in entgegen 
geſetzte Richtlingen; woher die Ausdrüde: „Partei nehmen” (Men: 
fchenf. 3); „Wählt eine befjere Partei” (Wfl. T. II, 6); „Bar: 
teigänger“ (%. Il, 12), d. h. Jemand, der ſich äußerlich zu 
einer Partei hält; „Parteienhaß“ (M. St. I, 7) und „Par: 
teten ſchlugen mit Parteien” (%. I, 9; „parteilich“ (R. J, 1), 
bevorzugend; „Parteilichkeit“ (NR. V, 2), Bevorzugung. — 
Gſtſ. 10, 210 fteht Partie für Partet. 

Parthenopaͤus, ſ. Atalanta. 


— — — r- 
XJ 


184 Partie — Parzen. 


Partie (Br. v. M. Einl. 5, 380), nach dem Frzſ. la partie 
und le parti. 1) Luſtbarkeit, beſonders im Freien (Gſtſ. 10, 218); 
2) Heirath oder Berbindung, wie.(%. II, 2) Sulia zu Resnore 
fagt: „der Mann konnte nie deine Partie fein”; (K. u. L. I, 5) 
„eine Partie für die Milford* und (NR. a. O. J, 6: „dieſe 
Partie war nicht nah ihrem Geſchmack“. 3) Sftf. 10, 218: 
„er prangte an der Spige einer Partie” (f. Partei). 


Bartifane (Wit. X. III, 15 u. IV, 10), eig. Pärteijen, von 
Barte, Beil, und Eijen; eine Art Kanze, die unter dem Stedy- 
eifen mit einem zweiichneidigen Beile verjehen ift. Vergl. Helle: 
barde. 


Parzen (Myth.), die Schilfaldgättinnen (vergl. Fortuna), 
werden gewöhnlich ald Töchter des Supiter und der Themis be- 
trachtet und halten den Yaden des menfchlichen Lebens in ihren 
Händen. Die am Quell rubende Klotho hält den Spinnroden 
und knüpft den Faden an, Lächeſis fpinnt ihn weiter, und bie 
ernfte Atroͤpos fchneidet ihn ab. Somit erfcheinen fie zunächft 
ald Lebensgättinnen; daher fagt Kalaf (Zur. V, 1) von Zus 
randot: 





„Eo lang! die Parze meinen Baden fpinnt, 
Soll fie mein einzig Träumen fein und Denken.“ 


Sn Beziehung auf den unausbleiblihen Tod aber find ſie (Geb. 
D. Macht des Gefanges) 
„Die furchtbarn Mefen, 
Die ftill des Leben! Gaben drehn.“ 
tem (Ged. Klage d. Ceres) 
„Nur die Seligen verſchonet 
Parzen eure ftrenge Hand.” 
Da fie hauptſächlich ald die Beförderinnen des Schlacdhtentodes 
angejehen werben, fo heißt ed (Sph. I, 3m.:9.) in Beziehung 
auf dad fampfgerüftete Heer der Griechen: 


„Weh dem fühnen Sabrzeng der Barbaren, 
Das bie Barze ibn entgegenjchidt.“ 


Paſiphaëe — Paſte. 185 


So ſind ſie dem Dichter ein Sinnbild des Todes, wie (Elegie 
a. d. Tod eines Jünglings): Als 

„Ueber ihm der Parzen Faden riß, 

Floh er ängſtlich vor dem Grabgedanken.“ 


und (Ged. D. Glück): 
„Groß zwar nenn’ ich den Mann, der, fein eigner Bildner und Schöpfer, 
Dur der Tugend Gewalt jelber die Barze bezwingt." 

d. h. in gewiſſem Sinne fein Leben verlängern und den Tod von 
fih fern zu halten verfteht. Wie der Dichter, jo betrachtet auch 
die bildende Kunft die Parzen ald Sinnbilter bed Toded und 
ftellt die beiden erften in jugendlicher Schönheit dar; daher 
(ed. D. Künftler): 

„Ihr führtet uns im Brautgemande 

Die fürchterliche Unbelannte, 

Die unerweihte Parze vor. 
Ein treffliches Bildwerk diefer Art findet fich in der Dorotheen- 
ftädtiichen Kirche zu Berlin Über dem Grabmal des verjtorbenen 
Grafen von der Mark, eined Sohnes König Friedrich Wilhelm's II. 
und der Gräfin Lichtenau. Es ift von Schadow in carrarijchem 
Marmor audgeführt. 


Pafiphaë, |. Minos und Phädra, 


Pasquill, ital. pasquillo, von Pasquino, einem wigigen und 
fpöttiihden Schuhflider in Rom; gew. eine Schmäh: od. Läfter⸗ 
ſchrift; (R. I, 2 — K. u. L. II, 7), eine Läſterung. 


Paſſage, 1) (R. II, 3), der Weg; 2) (Wſt. T. III, 23), 
eine Stelle, ein Lauf aus einem Tonftüd. 


Bafte, von dem ital. pasta, Teig; Abdrüde alter gefchnitte- 
ner Steine. Sie werden bei und aud einem Teige von Siegel: 
lad, Schwefel und Gyps verfertigt. Die von den römifchen 
Grauen vielfach ald Schmud getragenen Paſten (Geb. Pompeji 
und Hereulanım) fcheinen nur aus Glas beftanden zu haben. — 
Aus einem mit farbigen Stoffen verjegten Teige werden Yarben- 


186 Paß — Patriardh. 


ftifte hergeftellt, mit denen die jogenannten Paftellgemälde 
(Sftj. 10, 156) angefertigt werden. 

Paß. 1) Eine Stelle an einer Einfattelung im Gebirge, 
wo fich dafjelbe überjchreiten läßt, wie in den Alpen, die nur 
an wenigen Stellen zu pajfiren find; daher (Picc. II, 5): 

„Der Wltringer bat die Tyroler Päſſe.“ 
dedgl. (W. T. V, 1): 
„Nur wen’ge Päſſe öffnen ihm das Land“ 
und (ebendaf. IV, 2): 
„Auf Tod und Leben wird gefämpft, und herrlich 
. Wird mander Paß durch blutige Entſcheidung.“ 
2) Das rechte Map od. die bequeme Zeit, wie (Picc. I, 1), wo 
es von einem aufgegriffenen Transport heißt: 
„Er fommt und gerad’ zu Paß.“ 

Kater, Iat. pater, der Vater; Bezeichnung der dhriftlichen 
Kirchenlehrer in den erften Jahrhunderten, jpäter (R. I, 3 — 
Picc. I, 2 u. IV,5 — ©ftf. 10, 181) ein Mönch oder Ordens: 
geiſtlicher — Paternofter, lat. pater noster, d. i. Unjer Vater; 
das Baterunfer, wie (Ged. D. Gang nad dem Eijenhammer), 
wo ed von Fridolin beißt: 

„Sprit unterwegs, die Zahl zu füllen, 

Zwölf Paternoiter noch im Stiller‘ 
Auch die Benennung für den Fatholifchen Roſenkranz (Bed. D. 
Bang n. d. Eifenhammer), eine Schnur mit aufgereihten Heinen 
Kugeln, um die Zahl der Gebete im Gedächtniß zu behalten; 
daher (Oſtſ. 10, 151): „Wir fanden in der Rodtafche ein Pa- 
ternofter“. 

Pathos, gr. eig. dad Leiden; ferner Leidenſchaft oder (Metr. 
Ueberf. Borer.) lebhafte Gemüthöbewegung, Rührendes im Aus— 
drud; davon pathetiſch (ebendaf.) empfindungsvoll, feierlid). 

Patriarch, gr. eig. der Stammvater eined Geſchlechts, wie 
die Erzuäter der Juden; fpäter (Dem.) der Titel der oberften 
Biihöfe in der morgenländijchen Kirche. 


Batricier — Pavillon. 187 


Patricier, von dem lat. pätres, d. t. Bäter des Volkes; 
urſpr. die rathöfähigen Bürger im alten Rom, im Gegenfab zu 
den Plebejern oder dem gemeinen Bolt; in der römiſchen und 
ipäter in den italienifchen Republifen (%. II, 5 u. II, 12) die 
Mitglieder adeliger Yamilien, welche zu obrigfeitlihen Aemtern 
berechtigt waren. 


Patriot, von dem gr. patriotes, der Landsmann; gew. (D. 
C. III, 10 u. V, 7) der Baterlandöfreund; oder au (NR. II, 3 
— %. 1, 3 u. II, 16) der Bollöfreund im Gegenſatz zur Herr: 
Icherfamilie. 

Patroͤklus, der innigfte Freund des Achilles, war im Kampfe 
von Hektor getödtet worden; die Griechen retteten indeß jeinen 
Leichnam und beftatten ihn prächtig. (Ged. D. Siegedfeft — 
F. II, 5; ein Citat aus SI. 21, 10%). Hierauf entichloß fich 
Achilles, rachedürftend, feinen Freunden wieder zu helfen und 
richtete (Geb. Hektors Abſchied — R. II, 2) eine fürdhterliche 
Berheerung unter den Trojanern an. 

Patron, lat. patrönus, der Schugherr; 1) der Vertreter von 
Semanded Rechten, wie (Picc. I, 2), wo e8 von dem Kriegdrath 
Queftenberg heißt: 


„Der Soldaten großen Gönner und Patron, 
Berebren wir in biefem würbigen Gaſte.“ 


2) der Schiffsherr (Gſtſ. 10, 257). — Patronin (K. u. 2. 
IV, 7), Herrin od. Schupherrin, Gebieterin, wie Marina (Dem.) 
genannt wird. 

Patrone, eig. das Modell, die Schußhülle; dann (R. II, 3) 
der Schuß oder die Ladung felbit. 

Patrouille (%. V, 1), frzſ. eine nächtlich herumgehende Sol: 
datenwache; auh Runde (%. III, 5 — Wſt. T. II, 3 u. IV, 
genannt; davon: Stadtpatrouillanten (R. II. 3). 

Pavillon, uneigentl. ein Zelt oder Zeltdach (Oſtſ. 10, 144 
u. 230); auch ein Neben- od. Seitengebäube, oder ein Zelt: 
Hügel bei einem Palafte, wie (D. C. II, 4 u. III, 2): 


„Sm linken Bavillon war Heuer.” 


183 Pechkranz — Pegaſus im Joche. 


Pechkranz (Picc. II, 9), Reifen von harzigem Holz, die 
mit Lunte bewickelt, in Pech getaucht und vor dem Trocknen mit 
Schwefel beſtreut werden. Im Kriege werden ſie benutzt, um 
Gebäude ſchnell in Brand ſtecken zu können. 

Peckin (Zur. I, 1), gew. Peling od. „der Hof des Nor- 
dens“, die Hauptftadt von China, die fünf Meilen im Umfange 
und gegenwärtig 2—3 Mill. Einwohner bat. 

Beer, |. Pair. 

Pegaſus (Myth.), Dad Mufenroß od. Flügelroß (Br. v. M. 
5, 425), ein ſchlankes Roß mit prächtigen Ylügeln an den Schul: 
tern. Es wird ald ein Sohn ded Neptun und der Medufa (vergl. 
a. Berjeus) angefehen und iſt dad Sinnbild des poetifchen (Geb. 
Pegafus im Joche), im weiteren Sinne des Fünftlerifchen Genius. 

Begafus im Joche (Ged.), eine fatyriiche Yabel aus dem 
Sabre 1795, deren leichter, munterer Gang zuerſt an Gellert 
erinnert, während der Schluß dad unverfennbare Gepräge des 
Schiller'ſchen Genius an ſich trägt. „Die Thellung der Erde“, 
die demjelben Jahre angehört, jchildert das Loos des mit Ar: 
muth Tämpfenden Dichters, der hier genöthigt ift, mit jeinen 
poetiſchen Gaben in den Dienft des materiellen Lebens zu treten, 
um feine äußeren Bebürfnille zu befriedigen. Allerdings werden 
hohe Dichtergaben auch oft von projaifchen Naturen bewundert, 
tenen aber gewöhnlich der geniale Aufihwung („das Flügelpaar”) 
mtpfällig erfcheint. Wird nun ein ſolches Genie in einem pro- 
jatihen Berufe verwendet, jo rächt fich ein folder Mißbrauch, 
indem die auf dad Ideale gerichtete Natur ſich den beengenden 
Schranken einer vorwiegend praktiſchen Xhätigfeit unmöglich 
fügen kann. Selbſt die Vereinigung mit ficher eingeübten und 
jomit brauchbaren Arbeitern (man denke an Schiller's Profeffur 
in Zena) kann nur von kurzer Dauer fein, da der geniale Schwung 
eined ſolchen Menfhen auch Die Andern mit fortreißt und Die 
zu erzielende Wirkung eher hemmt als fördert. Wird die Noth 
des Äußeren Lebend nun aber dringender, jo ſehen fich folche 


peinliche Anklage — Penaten. 189 


Naturen oft zu den trivialften Beſchäftigungen genöthigt, die 
dann freili alle Geiſteskraft Tähmen können, um fo mehr ala 
der Kummer über ein verfehlte Dafein zugleich die Körperkraft 
verzehrt. Ein Glück, wenn dann noch zu.rechter Zeit Apoll fich 
feines Lieblings erbarmt und ihn der jhmachnollen Feſſeln ent: 
ledigt; denn nur in forgenfreien Berhältnifjen vermag ſich der 
freie Geiſt des Dichterd zu idealen Höhen zu erheben. 
peinlihe Anklage, |. Criminalprozeß. 

Deladger (Ged. 2. B. d. Aen. 26) iſt der Name ber älte: 
ften Bewohner Griechenlands, über deren Abjtammung oder Zu: 
ſammenhang mit den fpäteren Griechen aber völlige Dunkelheit 
herrſcht. 

Peleus (Iph. III, 4), der Sohn des Adacus auf Aegina, 
der Bruder ded Telamon, Gemahl der Nereide Thetid, König 
von Phthia in Theflalien. — Ded Peleud Sohn (Iph. II, 2) 
iſt Achilles (ſ. d.). 

Pelias (Ged. 2.B. d. Aen. 76), ein Trojaner. 

Pelide, ſ. Achilles. 

Pelikan (R. 11, 3), ein Werkzeug zum Ausziehen der Zähne, 
ſo genannt wegen des daran befindlichen ſchnabelartigen Hakens. 

Belion (Iph. III, 4 u. IV. 3m.:9.), ein Berg m Theſſa— 
lien, ſüdlich vom Oſſa. 

Pelops (Iph. II, 4 u. V, 3), Sohn des es Bater 
de Atreus, Ahnherr ded Agamemnon und Menelaus. 

Peloton, von dem frzſ. pelote, Knäuel, in der Kriegeriprache 
(Sed. D. Schlacht), eine Rotte Zußfoldaten von 20—40 Mann, 
die zugleich abfeuern. 

Pelzwamms, |. Wamms. 

Penaten (Myth.) waren urſprünglich zwei Götterbilder, 
welche Aeneas als Schutzgötter von Troja mit nach Italien 
brachte. Sie ſind den ſogenannten väterlichen Göttern der 


190 Benaten. 


Griechen zu vergleichen und faft eind mit den Zaren. Die lep- 
teren find nach Ovid Kinder des Merkur und der Kara, welche 
derſelbe auf Zupiterd Befehl zur Strafe für ihre Schwaghaftig- 
teit in die Unterwelt Hatte bringen follen. Sn den Penaten 
(Ged. Pompeji und Herculanum) perfoniftcirt ſich vor Allem ber 
Begriff von dem Innern ded Haufed und allen Gütern beffel: 
ben; fte waren bei den Römern die Hauptichußgottheiten der 
Familien, weshalb ihnen auf dem Heerde ein ſtetes Yeuer unter: 
halten wurde. Mit Beziehung hierauf jagt Sfabella (Br. v. M. 
5, 402) zu ihren Söhnen: 

„Bollendet! Ihr Haft freie Macht! Gehorcht 

Dem Dämon, ber eu finnlo® wüthend treibt, 

Ehrt nicht des Hausgotts heiligen Altar." 


dedgl. Paulet (M. St. I, 8) zu Burleigh: 
‚Kein Mörber fol fih ihrer Schwelle nahn, 
Eo fang bie Götter meine! Dachs fie fügen." 
Sch. überträgt die Vorftellung von diefen Gottheiten zunächft 
auf Perfonen, wie (Br. v. M. 5, 431), wo ber Chor zu Bea: 


trice jagt: 
„Deines lieblichen Eintritts 


Werden fich freuen 
Die Benaten bed Haufes, 
Die hohen, bie ernften 
Verehrten Alten.’ 
desgl. (Gftſ. 10, 253): „die Schuggätter des Gartens“; dann 
aber auch auf Dinge, wie (9. d. 8.), wo der Genius, zu der 
jungen Fürftin gewendet, in Beziehung auf die Künfte fagt: 
„Und fie, bie Herrliche, bie bich gebar, 
Sie nährt und felbft die heil'ge Opferflanme 
Mit reiner Hand auf ihrem Hausaltar.“ 
Bon den Fleineren oder Yamilien- Benaten unterjchteden die Ro⸗ 
mer bie größeren oder üffentlihen Penaten, welche als Schup- 
götter der Städte und ganzer Völker angejehen wurden. Gie 


x 


Penelus — Pentheus. 191 


zu vertheidigen war eine heilige Pflicht; daher (Ged. D. Spa⸗ 
ziergang): 
„Helben ftürzten zum Kampf für die Penaten heraus.“ 
Somit find fie dem Dichter dad Sinnbild der Heimath, wie 
(Sph. 1, 3w.:9.), wo der Chor fagt: 
„In die Bucht der väterlihen Zaren 
Hoffe feines freudig einzuführen!“ 
und ded heilig zu achtenden Vaterlanded, wie (Wit. T. IV, 1), 
wo es von Wallenftein heißt: 
„Den Krieg zu tragen in des Kaiferd Ränder, 
Den heil'gen Heerb der Laren umguftürzen, 
Bewuffneft du die frevelbafte Hand.“ 
Penelus (Ged. 2.B. d. Aen. 75), ein Grieche, Heerführer 
der Böoter vor Troja. 
Dentämeter (Ged. D. Diftichon), ein fünffüßiger Vers, 
deſſen Schema folgendes tft: 
OR ET EN EIER N 
Sn der erften Berdhälfte dürfen ftatt der Dakthlen auch Spon⸗ 
been (2_) auftreten; die Cäſur (Einfchnitt) nach der erften 
Vershälfte ift eine unmwandelbare. Pentameter heißt der Vers, 
weil er aud fünf Metren (Maßen) befteht, da außer den vier 
Daktylen auch die legte Hebung der erften Vershälfte und die 
Schlußhebung für ein Metrum gerechnet werden. Ein jelbftän: 
diger Vers tft der Pentameter nicht, fondern er kann nur in 
Verbindung mit dem Herameter (f. d.) auftreten, wie in der 
Elegie (f. d.) und dem Diftihon (f. d.). 
Pentheus (Ged. 4.3. d. Aen. 86), der Sohn der Agave, 
einer Tochter ded Königs Kadmus, wollte, von feiner Mutter 
gereizt, den Bacchud, welchen Agave nicht ald Gott anzuerkennen 
geneigt war, fammt feinen Begleiterinnen, den Mänaden, ver: 
nichten. Als er daher audzog, um ein Bacchusfeſt auf dem Ey: 
tbäron zu ftören, machte Bacchus ſelbſt alle Begleiter und 


192 Percy — Perillus. 


Begleiterinnen des Pentheus raſend, fo daß ſie dieſen für einen 
Eber anſahen und ihn zerriſſen. 


Perey (M. St. II, 8), ein edles und reiches engliſches Ge: 
fchlecht, das ſich bereit gegen Heinrich IV. (1399—1413) auf: 
gelehnt, aber wieder niedergebrüdt worden war. 

Bergament, von dem gr. pergamene, d. i. Papier aus 
der Stadt Pergamus, wo ed im Altertbum vorzugsweiſe ver: 
fertigt wurde. Man benupte dazu mit Kalt gebeiztes Eſels- 
Kalb: oder Schaffell, dad durch einen fünftlihen Ueberzug zum 
Schreiben zubereitet ward. Im Alterthbum bejtanden die Bücher 
aus zufammenrollbaren Pergamenttafeln, und auch im Mittel: 
alter pflegte man Urkunden auf Pergament auszuftellen, ja fie 
danach zu benennen, wie (Wit. T. V, 2); ferner (Ricc. IV, 5), 
wo Kaiſer Rudolf Majejtätöhrief 

„Gin köftlih unſchätzbares Bergiment“ 
genannt wird; deögl. (W. T. I, 2), wo Gertrud von ben au: 
geitellten Freiheitsbriefen jagt: 
„Wenn bei dem Later fich bed Volkes Häupter 


Berfammelten, die Bergimente Iafen 
Der alten Kaiſer.“ 


und (W. T. II, 2), wo ed von den Boten der Städte heißt: 


„Die all’ erbielten ihre Bergamente 
Und fehrten freudig wieder in ihr Land.’ 


Pergamus (Geb. Hektor's Abſchied — Ged. 2. B. d. Aen. 
D, ein anderer Name für Troja oder Slion; (Sph. III, Zw.:9.) 
wird ed auch Stadt der Phryger (f. d.) genannt. 


Perillus, ein Athener, hatte einen ehernen Stier verfertigt, 
der als Werkzeug zur VBollziehung der Todesſtrafe gebraucht 
murde, indem man den Mifjethäter in den hohlen Leib einfchloß 
und ihn hierauf durch untergelegtes Feuer langfam braten ließ. 
Durd einen künſtlichen Mechanismus ftellte ſich das Angſt— 
gejchrei des Unglüdlihen als das Brüllen des Stiers dar. An- 
jpielend hierauf fagt Karl Moor (R. IV, 5), indem er fich ala 


Periphas — Perfephone. 193 


Das Organ für den Mißklang in der vernünftigen Natur be> 
trachtet: „Warum hat mein Perillud einen Ochſen aus mir 
gemacht, dag die Menfchheit in meinen glühenden Bauche bra- 
tet?” — Der Sage nad war Perillus der Erfte, welchen Phaͤ⸗ 
larid, ein graufamer Herrſcher von Agrigent in Sicilien, 560 
v. Chr. auf die genannte Weile hinrichten ließ. 

Periphas (Ged. 2.2. d. Aen. 84), ein Heerführer der 
Argiver. 

Beriphetes (Ph. I, 1), ein Sohn des Bulcan, ein zwar 
lahmer, aber dennoch verwegener Räuber, der ſich den Reiſenden 
durch eine mächtige eiferne Keule furchtbar machte. 


Permiß (Wft. 8. S), Abk. des lat. permissio, Erlaubniß. 


Perrücke, aud dem frzſ. perruque, der Benennung für fünft- 
lihe Kopfbedeckungen aus fremden Haaren, wie fie jeit dem 
16. Jahrh. üblich wurden. Unter Ludwig XIII. kamen fie fo 
allgemein in Gebrauch, daß Jeder, der anftändig erjcheinen 
wollte, ich derfelben bedienen mußte; auch bildeten fie ein noth— 
wendiged Stüd der Amtötradht, wie (NR. I, 2) bei Geiſtlichen 
und Räthen (Wit. L. 2), wo der Wachtmeifter im Scherz von 
dem Kriegsrath Queſtenberg jagt: 

„Une von Wien die alte Berrüde, 
Die man feit geitern umgeben fieht.“ 

Derfephone (Geb. D. Sötter Griechenlands), bei den Rö⸗ 
mern Proferpina (Myth.), die Tochter der Ceres und des 
Zupiter, war von Pluto geraubt und zu feiner Gemahlin er: 
foren worden, woburd die Liebe auch in den Tartarus verjegt 
ward; daher (Ged. D. Triumph d. Liebe): 

„Freundlich blickt der ſchwarze König, 
Wenn ihm Gered Tochter lacht." 
Als Ceres erfuhr, wer den Raub begangen, eilte fie zu Jupiter, 
um ihre Tochter zurüdzufordern. Dieſer indefjen wünfchte, daß 
Projerpina feinem Bruder erhalten bleibe und gewährte die 
Bitte nur unter der Bedingung, daß ihr Mund keinerlei Speije 
I. 18 


194 Perſer. 


in dem Orcus berührt habe. Dies war indeſſen geſchehen. Als 
die Jungfrau in dem unterirdiſchen Garten umherirrte, hatte 
fie, da fie das Faſten nicht länger zu ertragen vermochte, einen 
puntichen Apfel (Granatapfel) gepflüdt und deffen fieben Körner 
genofjen. Ascaͤlaphus, der Sohn einer Nymphe, hatte Died ge: 
ſehen und das Geſchehene verkündet, fo daß die Rückkehr un: 
möglich ward. Durch eine gutwillige Nebereinkunft jeboch wurde 
ed erreidht, daß Projerpina einen Theil des Jahres bei ihrer 
Mutter auf der Oberwelt zubringen durfte, während fie in der 
übrigen Zeit auf den Orcus angewiejen war. Somit war Pro: 
ferpina ald Gemahlin des Pluto 1) die Beherrfcherin der Unter: 
welt, daher (Ged. Kaflandra): 

„Ihre bleichen Larven alle 

Sendet mir Proſerpina.“ 
2) das Symbol des Pflanzenlebens (vergl. Klage der Ceres 
Str. 8), 3) die Todbringerin; daher (Ged. 4 B. d. Aen. 93): 

„Perſephoneiens dreifache Gewalt.“ 


Perſer, die Bewohner des Ländergebieted zwiſchen dem 


Tigris und dem Indus, die anfangs unter der Herrſchaft der 
Meder geſtanden, bis Cyrus (555 v. Chr.) der Stifter eines 
eigenen perſiſchen Reiches wurde. Nach feinem Sohn und Nach—⸗ 
folger Cambyſes regierte Darius J., der 513 einen unglücklichen 
Zug gegen die Scythen unternahm; daher (Ged. Würde d. 
Frauen) die Anſpielung: 

„Mit bem Schwert beweift der Scythe 

Und der Berfer wird zum Knecht.“ 


Mebrigend machte erſt Alerander von Macedonten dem perſiſchen 
Reiche ein Ende, indem er zuerft in der Schlacht am Granicus 
(334) den „perfiihen Sutrapen” (R. IV, 1) Memnon niederwarf 
und kurz darauf in den Schladhten bei Iſſus und Arbela Sieger 
blieb. — Perſiſche Tracht (Zur. L 1). Sie befteht bei ben 
Bornehmen in Tangen, weiten Pantalons von Seide oder Baum: 
wolle, einem langen Rod, der bi8 auf die Knöchel herab gebt, 


Perſeus. 195 


und einem langen Shawl, der gürtelartig über den Rock um 
den Leib gewunden wird. Darüber trägt der Perſer einen mit 
Pelz verbrämten Ueberrock, der meiſt zu den koſtbarſten Klei⸗ 
dungsſtücken gehört. Die Kopfbedeckung iſt eine etwa 14 Fuß 
hohe mit einem koſtbaren Shawl ummwundene Müpe. 


Perſeus ( Mytb.) ein Sohn des Zeud und der Dänaẽ (vergl. 

d.), zeigte ſchon früh einen fühnen, nad Abenteuern verlangen: 
den Sinn. Als er fi einft vermaß, jelbft dad Haupt der Me- 
dufa zu liefern, wenn es verlangt würde, nahm ihn der König 
Polydektes beim Worte. Er begab fidy daher, von Mercur und 
Mimerva geleitet, an die Küften bed weftlihen Oceans, ver: 
Ichaffte fih die von Nymphen bewachten geflügelten Sohlen nebjt 
einem Beutel und dem unfjichtbar machenden Helm bed Xides 
und fjuchte nunmehr die Gorgonen auf, die er aber jchlafend 
fand. Um nit durch den fchredlicden Anblid der Meduja in 
Stein verwandelt zu werden, trat er rüdwärts hinzu, fing ihr 
Bild in feinem ehernen Schilde auf und hieb ihr das Haupt ab, 
aus deflen Blute der Pegaſus (|. d.) bervorjprang. Hierauf 
ftedte er dad Haupt in den mitgebrachten Beutel und entzog ſich 
dur den Helm des Aides der Verfolgung der Gorgonen. Auf 
Mercurs Flügelſohlen fchwebte er nun über die Länder dahin, 
bis er zu dem König Atlas gelangte, der ihm indeß bie Gaft: 
freundfchaft verfagte. Aus Rache hielt er ihm dad Haupt der 
Medufa entgegen, wodurd er in einen zum Himmel emporragen: 
den Felfen verwandelt wurde. Hier fand er zugleih die un- 
glüdlihe Andrömeda, um der neidiihen Nerefden willen an 
einen Felſen gefeflelt und einem Meerungebeuer preiögegeben. 
Gerührt von ihrer Schönheit, befreite er fie und erwählte fie 
zu feiner Gattin. Hierauf bezieht fi die Stelle (Br. v. M. 5, 
425): 

‚Dem Dämon ift fein Opfer unverloren. 

Wär e8 an öde Klippen angebunden 

Und an bed Atlad himmeltragende Säulen, 

So wird ein Flügelroß es dort ereilen.“ 

18* 


196 Perſon — Belt. 


Nachdem Perjeud diefed Abenteuer bejtanden, gab er dem Wer: 
cur Flũgelſohlen, Beutel und Helm zurüd, das Haupt der Gorgo 
aber überließ er der Minerva, Die es in ihren Schild feßte. Hier- 
auf fehrte er in feine Heimath zurüd und erbaute Mycenä (Iph. 
V, 6), die Stadt des Perjeud genannt. 

Perſon, lat. persöna, d. i. eig. eine Maske, bedeutet: 1) ein 
fittlich freied Einzelwefen, wie (Wſt. T. IV, 6): „Des Zeld- 
heren heilige Perfon“; 2) ein Menſch nach feiner Lebens— 
ftellung oder Rolle, die er jpielt, wie (Picc. I, 3): 

„Wie mißlich die Perſon, die ich hier jpiele.” 
deögl. (W. T, II, 1 u. Wſt. T. II, 5); 3) der Menſch in feiner 
äußeren Erſcheinung, wie (Sp.d. Sch.): „in eigener Perfon“ ; 
oder (Wit. 8. 6): 

„Der feine Griff und der rechte Zen, ® 

Das lernt ſich nur um des Feldherrn Perſon.“ 
4) die äußere Erſcheinung, injofern fle beionderen Eindrud 
macht, wie (%. II, 2): „Der Graf bat Perfon“. 

Berfpectiv, von dem lat. perspicere, durchſehen, durchſchauen, 
ein Fernrohr, wie (F. II, 2): „die Perſpectivchen der’ jungen 
Stutzer“; davon: Perjpective, eine Fernficht darftellende Malerei, 
wie (F. V, 1): „in perjpectivifcher Ferne“; od. bildl. wie 
(Gſtſ. 10, 225): „von weiten täufchte die Perfpective”, d. 5. 
der Blid in die Zukunft. 

Peruͤ, ein an der Weſtküfte Südamerikas gelegenes Land, 
welches die Spanier feined Goldreihthumd wegen anlodte und 
dad 1531 durch den graufamen Franz Pizarro der ſpaniſchen 
Krone unterworfen ward; daber heißt ed (D. &. 1,9) von dem 
zutünftigen Monarhen: „Peru ſchickt ihm Gold"; desgl. (R. 
II, 3) „fie haben Peru um goldener Spangen willen entvöl- 
tert”; und (R. V, 1) jagt Moſer vergleichungdweife zu Yranz: 
„euch fehlt nur Peru zu einem Pizarro.“ 

Deft, eine anftedende Krankheit od. Seuche; bildl. (K. u. 
2. IV, 7), Bereich der Verführung; Peſtilenz (R. I, 2), eine 


Peftaluz — Petrus. 197 


Seuche, die man ehemald ald eine von Gott gejendete Plage 
betrachtete; Peſtilenzküche der Belletriften (8. u. L. I, 1), 
Schriftftellerei, die auf Verführung berechnet ift; peftilenzia: 
liſch (K. u. L. 1,2), Unheil und Verderben bringenb. 

Peſtaluz (Wit. T. V, 2), ein Hauptmann von dem Terzky⸗ 
ſchen Regimente, der mit Deveroux, Macdonald, Geraldino und 
mehreren andern von Buttler in dad gegen Wallenſtein geſchmie⸗ 
dete Complot gezogen wurde. 

Petarde (Picc. I, 4), von dem frzſ. peter, krachen; ein 
fegelförmiges, nad der Mündung fi erweiternded Geſchütz, 
dad gebraucht wird, um Thore oder Yallgitter aufzufprengen. 

&t. Peter, j. Petrus. 

St. Peters Dom, f. Peterskirche u. Rom. 

St. Peters Schlüffel, |. Löſeſchlüfſel. 

St. Peterd Stadt, |. Rom. 

Deterd Stupl, j. Petrus. 

St. Petersburg (N. a. O. III 6 — H. d. 8.), die Haupt: 
ftabt von Rußland; vergl. Huldigung der Künfte. 

Peterskirche, Die (Geb.), ein Epigramm aus d. J. 1797. 
Die überrafhende Größe menſchlicher Werke fol den Menſchen 
erheben und ihn auf feine eigene Größe aufmerffam machen. 

Petrus, uripr. Simon, einer der vertrauteften Sünger 
Jeſu, und feined Slaubend wegen von bem Herren Kepbas 
(vergl. Löfefchlüffel) genannt, hatte Jeſum (Matth. 26, 69—75) 
verratben, worauf der Kapuziner (Wit. L. 8) anfpielt, indem er 
von Wallenftein fagt: 


„Verläugnet, wie Betrud, feinen Meifter und Herrn: 
Drum fann er den Hahn nicht hören krähn.“ 


Da fih der Papft (vergl. diefen u. Rom) ald Nachfolger Petri 
betrachtet, fo wird fein Thron (D. C. I, 1) „Feterd Stuhl” 
genannt. 


198 Pfaffe — Pfeil. 


Dfaffe (R. II, 3 — D. ©. II, 8), altd. phaffo, von dem 
lat. papa (f. d.), ehem. ein Ehrenname der Geijtlichen, bei. der 
katholiſchen Priefter; jetzt nur noch im veräcdhtlihen Sinne ge: 
braucht, wie (Wit. 2. 11, V. 39) „der Pfaffe aus Mailand“, 
mit weldhem der Cardinalinfant Ferdinand von Spanien gemeint 
tft; ferner „ Pfaffenzudt” (D. ©. II, 8), d.h. dad unwür⸗ 
dige Verhalten der Beiftlichen an König Philipp's Hofe; desgl. 
(R.V, 1), wo Franz die Ermahnungen ded Paftor Moſer fpöt- 
tifherweife Pfaffengewäſch“ nennt; und (Pice. V, 1), wo 
Mar die Erdichtung der dem Yeldherrn .feindjeligen Fatholifchen 
Partei ald „Pfaffenmährchen“ bezeichnet. 


Balz, von dem lat. palatium, Schloß od. Palaft, befon- 
berö der kaiſerliche Palaft; daher fagt Konrad Hunn (W. T. 
II, 2) von dem im Kanton Aargau zwifchen Baſel und Zürich 
gelegenen Rheinfelden: 

„Ich war zu Rheinfeld an bes Katjerd Pfalz.“ 
ferner dad zu dem Schloffe gehörende, dem Kaiſer unmittelbar 
untergebene Gebiet, wie die gegenwärtig zu Baiern (vergl. Dr. 
Kr. 129) gehörende Pfalz am Rheine, die feit dem 11. Jahrh. 
von erblihen Grafen regiert wurde; daher (Ged. D. Graf v. 
Habsburg): „der Pfalzgraf des Rheins“. — Der Pfalzgraf 
(Bft. T. III, 11) ift Friedrich V. (ſ. d.). 

Pfau, ein bekannter, aus Oſtindien ſtammender, zum Ge⸗ 
ſchlecht der Hühner gehörender Vogel, welcher der Here (ſ. d.) 
gewidmet war, und deſſen ftattliche Federn ehemals wohl beſon⸗ 
ders ein Schmuck der Herrſchenden waren, beſ. das Helmzeichen 
der Herzöge von Oeſtreich, daher (W. T. II, 1): 

— — — — ‚Sn Seide prangſt du, 


Die Pfanenfeder trägft tu ftelz zur Schau, 
Und ſchlägſt den PBurpurmantel um die Schultern.’ 


Pfeifer (W. T. Perj.:Berz.). Die Pfyfer find eine bes 
rühmte Familie in Luzern. 
Pfeil, |. Eros. 





ar 


Pfeil — Fhädra. 199 


Pfeil der Sonne (3.0. O. J, 4), |. Apollon. 
Pfiff (F. ,9 — K. u. L. J, 5), 4. v. w. Lift, Kniff. 


Pfirſche (Ged. D. Erwartung), ein landſchaftlicher Aus— 
druck für dad aus dem ital. persica ftammende Pfirſiſch. j 

Pflaſter (D. C. III, 6), ſ. Eſtrich. 

Pflicht für Jeden (Ged.), ein Epigramm aus d. J. 1796. 
Alle Beſchäftigung mit Einzelheiten bleibt werthlos, wenn ihr 
die Beziehung auf das Ganze fehlt. Wer aber zu ſolcher uni— 
verſellen Anſchauung ſich nicht erheben kann, der ſoll wenigſtens 
mit ſeiner beſchränkten Thätigkeit in den Dienſt des Ganzen ein- 
zutreten ſuchen. 

pflichtig, ſ. Leibeigene. 

Pfund, in der Bibelſprache (vergl. Luc. 19, 12— 26), die 
Gaben und Kräfte, mit denen die Borfehung den Menſchen aus: 
geftattet bat, um fie im Leben zu verwertben; daher fagt Don 
Carlod (D. C. II, 2) zu feinem Bater: 

— — — — — — „Er iſt da. 
Der große, ichöne Augenbiid, ber entlich 
Des boden Pfundes Zinfen von mir fordert." 

Phadra. Ein Zrauerfpiel von Racine. Der Mythus, 
welcher dieſem Stüde zu Grunde liegt, ift folgender: Phädra 
war die Gemahlin ded Thejeus, Die Tochter ded Königs Minos 
(j. d.) von Kreta und der Pafiphae. Theſeus hatte fie ſammt 
ihrer reizenden Schweiter Ariadne von Kreta entführt und die 
Iegtere zu feiner Gemahlin erwählt, die er aber auf der wüſten 
Felſeninſel Naros verließ, um fich mit ihrer Schwefter Phädra 
zu vermählen. Dieſe fand einſt in Eleuſis zufällig den Hippoͤ⸗ 
lytos, einen Sohn, welchen die Amazone Antiope dem Theſeus 
geboren hatte. Ohne zu wiſſen, daß derſelbe Theſeus' Sohn 
fet, faßte fie eine heftige Neigung zu demſelben und geitand ihm 
ihre Liebe, die Hippolöt jeboh mit Abjcheu von fich wies. 
Bon Rachegefühl ergriffen, beichuldigte fie nunmehr ihn eines 
frevelhaften Angriffe auf ihre Ehre, jo daß Theſeus einen 


200 Dhädra. 


Fluch über ihn ausſprach und den Pofeidon um Race anflehte. 
Diefe Bitte ging nur zu ſchnell in Erfüllung. Als Hippolytos 
mit einem Zweigelpann am Meereöufer dahinfuhr, tauchte ein 
“ Ungeheuer aus den Yluthen empor und machte die Roſſe chen, 
jo daß fie mit dem Wagen, durchgingen, wobei der Führer des 
jelben zu Tode gefchleift wurde. So wie in Athen die Kunde 
von diefem Unglüd erſcholl, bekannte Phädra ihre Schuld und 
erbängte ſich; nad) Anderen wurde fie von Theſeus ermordet. 

Euripides (von Frige trefflich überſetzt) bat diefen Gegen- 
ftand in feinem Hippolytos dramatiſch bearbeitet, welcher Vor: 
bild der Thädra des franzöfifchen Dichterd geworben tft. Diefe 
erſchien i. 3.1667, ift beſonders binfichtlich des Versbaues höchft 
Ihägbar und in diefer Beziehung nach feiner Sphigenie jedenfall 
fein beſtes Stüd. In der Borrede zur Phädra fagt er: Es 
wundert mich nicht, daß diefer Charakter. zur Zeit des Euripides 
einen jo glüdlihen Erfolg gehabt, und noch in unferm Jahr⸗ 
hundert einen folden Beifall gefunden bat, denn er befikt alle 
Eigenſchaften, welche Ariftoteles von dem Helden der Tragödie 
fordert, und welche geeignet find, Furcht und Mitleid zu erregen. 
Sn der That tft Phädra weder vollitändig ſchuldig, noch ganz 
und gar unfchuldig. Sie wird theild dur ihr Schiefal, theils 
durch den Zorn der Götter zu einer unrechtmäßigen Leidenſchaft 
getrieben, vor der fle anfangs jelbjt zurückbebt; fie macht alle 
möglichen Anftrengungen, um fie zu beftegen; fie möchte lieber 
fterben, als fie jemand enthüllen; und als fie gezwungen ift, 
fie zu entdeden, fpricht fie Davon mit einer Beftürzung, weldhe 
beutlich zeigt, daß ihr Verbrechen eher eine Strafe der Götter 
als der beftimmte Trieb ihres eigenen Willens ift. 

Racine weift in feiner Vorrede ferner darauf bin, daß er 
fih bemüht habe, die Heldin des Stüdes etwas weniger haflend- 
werth darzustellen als die alten Tragddien dies thun, in denen 
fie fich felbft entichließt, den Hippolyt anzuflagen. Die Ber: 
YAumdung in dem Munde einer Yürftin von übrigend edler 
Sefinnung bat ihın etwas zu Erniedrigended; er legt fie deshalb 





Phaͤdra. 201 


lieber einer dienſteifrigen Amme in den Mund, welche dadurch 
das Leben und die Ehre ihrer Gebieterin zu retten gedenkt. 
Phadra läßt dies nur in einer Anwandlung weiblicher Schwäche 
zu, kommt dann aber (und das ift eben ihr Schtdfal) einen 
Augenblid zu ſpät, um die Unfchuld zu rechtfertigen und bie 
Wahrheit zu enthüllen. 

Ehen jo ift ber Charakter ded Hippolyt gemildert. Wäaͤh⸗ 
rend er bei Euripides und dem römiſchen Dichter Seneca in 
der That beichuldigt wird, feiner Stiefmutter Gewalt angethan 
zu haben, tft hier nur von einer ſolchen Abficht Die Rede. Der 
Geftalt des Hippolyt bei Euripide8 wurde ſchon im Altertum 
der Vorwurf gemacht, daß fie eigentlich eine philoſophiſche und 
frei von jeder Unvolltommenbeit fei, fo daß der Tod dieſes 
Zürftenfohnes mehr Unwillen als Mitleid erregte. Racine glaubte 
ihn daher mit einiger Schwäche behaftet darftellen zu müſſen, 
damit er feinem Vater gegenüber nicht ganz ſchuldlos erfcheine; 
dennoch hat er ihm nichts von jener Seelengröße genommen, 
mit der er Phädra's Ehre ſchont und ſich Lieber felbft verbannen 
laͤßt, als fie anzuflagen. Seine Schwädhe tft eine Leidenſchaft, 
die er für Aricia, die Tochter und Schweiter der Todfeinde feines 
Baterd, empfindet. Webrigend ift dieſe Aricia, wie Racine bemerkt, 
nicht feine Erfindung, fondern fie wird von Birgil (Aen. VII, 762) 
als Hippolyt's Gattin erwähnt, der mit ihr nach Stalten gegangen 
fein und dort eine Heine Stadt nach ihr benannt haben foll. 

Sonft bat ſich Racine ftreng an den Mythus gehalten, fo 
wie an die Geſchichte des Thejeud, wie fie Plutarch erzählt. 
Was nämlicdy zu dem Glauben Beranlaflung gegeben, daß Theſeus 
in die Unterwelt hinabgeftiegen fei, um die Projerpina herauf 
zu holen, war nicht? Andered als eine Reife nad Epirus und 
den Quellen des Acheron zu einem Könige, defien Gemahlin 
Pirithoud rauben wollte, und welcher den Theſeus in Gefangen: 
ſchaft hielt, nachdem er Pirithous hatte hinrichten laſſen. Auf 
diefe Weile wollte Racine die Wahrjcheinlichkeit der Geſchichte 
aufrecht erhalten, ohne etwas von dem Schmucdk der mythiſchen 


202 Phädra. 


Erzählung aufzugeben. So giebt aud dad Gerücht von dem 
Tode des Theſens, das fih auf diefe fabelhafte Reife gründet, 
der Phädra Beranlafiung, eine Liebederflärung auszuſprechen, 
welche eine der Hauptquellen ihres Unglücks wird, und die fie 
wohl niemals auögefprochen haben würde, wenn fie hätte glauben 
fönnen, daß ihr Gemahl noch am Leben jel. 

Schließlich fpricht fi) Racine in feiner Vorrede über den 
fittliden Werth diefer Tragödie aud. Er behauptet, feine ge: 
Ichrieben zu haben, in welcher die Tugend in ein klareres Licht 
geftellt je; die geringften Vergehen werden ftreng beftraft, der 
blofe Gedanke an das Berbrehen mit eben fo viel Abſcheu 
betrachtet ald das Verbrechen jelbft; die Schwächen der Liebe 
erſcheinen als wirkliche Schwächen; die Leidenſchaften werden 
uns vorgeführt, um das Unheil zu zeigen, das ſie herbeiführen; 
das Laſter iſt mit Farben geſchildert, die ed in ſeiner Wider⸗ 
wartigkeit wirklich haſſenswerth erſcheinen laſſen. Dieſes Ziel 
ſollte jeder vor Augen haben, der für das Publicum ſchreibt, 
jo wie die erften tragiſchen Dichter dies jederzeit gethan haben. 
Dad Theater war ihnen eine Schule, wo die Tugend eben jo 
gut gelehrt wurde wie in den Fhilofophenfchulen. 

Aus dem Biöherigen erhellt Schiller's Intereſſe für die 
beiden Bearbeiter des vorliegenden Stoffes, fo wie für das Stüd 
jelbft, auf welched er dur) Frau von Stael aufmerffam gemacht 
worden war, bie in einer Fleinen Geſellſchaft einige Stellen der 
Phädra declamirt hatte. Seine Ueberſetzung ift ald ein Seiten: 
ſtück zu Goethe's Mahomet von Boltaire zu betrachten. Beide 
Dichter wollten dadurch der vielfach eingerifjenen Willkür in 
der Kunft die franzöfiiche Regelmäßigkeit und Strenge wie in 
einen Spiegel vorhalten. Wie fie died zu rechtfertigen bejtrebt 
waren, zeigt dad Gediht „An Goethe” (vergl. d.). Die 
unmittelbare Veranlaffung zu diefer Ueberſetzung war ber Ge⸗ 
burtötag der Herzogin von Weimar, an weldem man auf ter 
Bühne etwas Neued erwartete. Sc., der im December bes 
Sabred 1804 fehr leidend war, konnte feine Kraft zu einer 


Phaͤdra. 203 


jelbftändigen Production gewinnen. Deshalb unternahm er, 
gleichzeitig wohl dem Herzoge, ald einem großen Freunde ber 
franzöſiſchen Literatur, zu Gefallen, diefe Arbeit, die in kaum 
einem Monate vollendet und am 30. Januar 1805, Dem Geburts: 
tage der Herzogin, zum erften Mal aufgeführt wurde. Als Sc. 
ſpäter an eine Reviſton für den Drud ging, erſuchte er den 
Herzog Earl Auguft, deilen feinen Geſchmack er bejonderd hoch— 
ihägte, um Bemerkungen über Metrit und Wohllaut des 
Stüded. Der Herzog fandte ihm eine ganze Anzahl derjelben 
zu, von denen auch viele benupt worden find. 

Bergleiht man die Weberfegung mit dem Original, jo zeigt 
fi eine große Webereinftimmung in der Haltung und Sprache 
des Ganzen, die jedody nirgend zu einer ängftlichen Unterwerfung 
in Nebendingen wird, durch welche dem Geiſte unferer Denk: und 
Ausdrudsweiſe etwa Gewalt angethan würde. Der Neberjeßer 
mußte natürlich daran denken, daß Racine's Phädra, obwohl ein 
Driginalwert, dennoch auf den griechiſchen Tragifer zurüdweift, 
deſſen Diction dem deutfchen Geifte jedenfalls innerlich verwandter 
jein mußte ald dem franzöfifchen. Aus demfelben Grunde ift 
auch ftatt ded in unferer Sprache fo fchwerfällig Alingenden 
Alerandrinerd der für das höhere Drama üblich gewordene fünf: 
füßige Sambus gewählt worden. Daß ſich Sch. mit deinjelben 
mehrere jehr gewagte Freiheiten erlaubt, jo wie daß auch ein- 
zelne franzöfifhe Gonftructionen und in deutſchem Gewande 
entgegentreten, wird Jeder leicht entichuldigen, wenn er an die 
jchweren Körperleiden denkt, unter welchen der Dichter dieje 
Arbeit vollendete. Dafür find aber auch mandhe Mängel bes 
Driginald, auf die franzöfiiche Commentatoren bereitd bingewie- 
jen, von Sch. eben fo richtig bemerkt und mit glüdlichen Tacte 
gebefjert worden. Ausführlicheres über die Sch. ſche Weber: 
tragung findet fih in: „Racine's Phödre in den beiden Weber: 
fegungen von Schiller und Biehoff, von Dr. M. Maaß“, in 
Herrig’8 Archiv für dad Studium der neueren Spradhen, Bd. 34, 
©. 299. . 


204 Phantafle. 


Phantaſie, gr. phantasia, eig. dad Sichtbarmachen, Zeigen. 
1) Die Einbildungskraft, welche fih Bilder oder Geftalten 
Ichafft, wie (Bed. D. vier Weltalter): „Das Alter der göttlichen 
Phantafie”; (Ged. Würde d. Frauen): „Die Schäße ber 
Phantaſie“; (R. IV, 5): „Die Phantaſie, der muthwilligfte 
Affe der Sinne, gaufelt unferer Leichtgläubigfeit ſeltſame Schat- 
ten vor‘; (5. 11,5): „Die Phantafie (ihrer Meberfhwänglic: 
feit wegen) der Marktichreierei überweilen”; eine Schilderung 
derjelben von Marquis Poſa (D. C. I, 9), der von Don Carlos, 
als dem künftigen Herricher, ſagt: 
„Für feine Thorheit jhidt ihm Peru Bold, 

Für feine Laſter zieht fein Hof ihm Teufel. 

Er ſchläft berauſcht in dieſem Himmel ein, 

Den ſeine Sclaven liſtig um ihn ſchufen.“ 
(D.&. 11,15): „Doc bier verirrte deine Phantaſie“; (Wſt. 
Prol): „Des Dichters Phantaſie“, von der die Poeſie (H. 
d. K.) zur Fürſtin ſagt: Es ſoll 

„Die Phantaſie anf ihren mächt'gen Flügeln 

Dich zanbern in das himmliſche Gefild.“ 
und (gr. Handl. a. d. n. Geſch.): „Unfere Phantaſie wird ent: 
zündet.” — Deögl. (Br. v. M. Einl. 5, 376 — Gſtſ. 10, 128). 


2) Die von der Einbildungskraft erzeugten Geftalten 

felbft, wie (Ged. D. Kindeömörberin): 

„Fahret wohl, ihr golbgemwebten Träume, 

Barabiefesfinder Phanta ſien!“ 
(Ged. D. Ideale), wo es von der goldenen Zeit heißt: 

„So willft du treulos von mir ſcheiden 

Mit deinen holden Phantaſien.“ 
(D. C. V, 5), wo Alba zu dem König ſagt, der ſich von Rebellen 
verrathen glaubt: „Welch fürchterlihde Phantafie!” und (Mech. 
V,5), wo der Arzt von Lady Macbeth fagt: 


„Krane nicht ſowobhl, nein König, als beängftigt 
Ton Phantaſien, meidhe ihr die Ruhe rauken.” 


phantafiren — Phantom. 205 


Daher auch Erzeugniſſe der dichteriſchen Einbildungskraft, wie 
(F. Bor): „Ich will lieber meine Phantafien als Facta 
verdorben haben.” Davon: 


phantafiren, 1) ſich lebhaften Vorftellungen hingeben; wie 
(5. IV, 14): „Leonore jchüttelt den Kopf, ftil phantafirend”; 
beögl. (K. u. L. 11, 3); 2) in der Tonkunſt (K. u. L. II, 1), nad 
feinen Empfindungen aud dem Stegreif fpielen; ferner: 


Dhantaft, ein Schmwärmer, wie Fiesco (%. III, 8), „der 
alte Phantaft” genannt wird; deögl.: 


phantaſtiſch, ſchwaͤrmeriſch, wie (Wit. T. II,2), wo Wallen: 

ftein von der Jugend fagt: 

„Gleich Heißt ihr alles ſchändlich ober würdig, 

363 oder gut — und was die Einbildung 

Phantaſtiſſch fchleppt in dieſen dunklen Namen, 

Das bürdet fie den Sachen auf und Weſen.“ 
auch feltfam od. abenteuerlih, wie (Br. v. M. Einl. 5, 377) 
„phantaftiihe Combinationen” und (Zur. I, 1) „phantaftifch 
gekleidet” ; endlich: 


Phantom; 1) ein Scheinbild, wie bie Geftalt des auf 
der Waflerfläche ſich darftellenden Spiegelbilded, von welcher es 
(Ged. D. Künftler) heißt: 

„Bon ihrem Weſen abgejchteben 
Ihr eiyned Tiebliched Phantom 


Warf fie fih in den Silberftrem, 
Sid, ihrem Räuber anzubieten." 


2) Benennung für die Schatten ber Unterwelt, wie (Geb. 
D. Zdeal u. d. Leben): 


„ie des Lebend ſchweigende Phantome 
Blängend wandeln an den ſtyg'ſchen Strome.“ 


3) die Gedanken, welche die Seele fo lebhaft beſchäftigen, daß 


fie als Trugbilder vor ihr erfcheinen. So wird das göttliche 
Ideal edler Menfchlichfeit (Menſchenf. 8) ein „liebliches 


206 Pharao. 


Phantom“ genannt; eben ſo ſagt die Prinzeſſin Eboli (O. C. 
II, 8) von ihrer Liebe zu dem Prinzen: 
„ah ein Phantom viellcicht! Doch mir je werth! 
Sch liebe und bin — nicht geliebt.‘ 
desgl. nennt Alba (D. ©. II, 10) die edleren Regungen und 
Gedanken, welche die Seele des Prinzen beichäftigen, „Phan— 
tome“ und Leonore (F. III, 3) ihre Erinnerung an eine glück⸗ 
liche Zeit „ein lebhaftes Phantom“. — Solche Zrugbilber 
können unter Umftänden auch zu Schreckbil dern werden, wie 
(F. II, 19), wo Fiesco ſagt: „Gleich verdächtigen Brüdern . 
ſtehleu ſich die üppigen Phantome an meiner Seele vorbei*; 
und (Mch. II, 4), wo Lady Macbeth zu ihrem von Schredbil: 
tern geängftigten Manne jagt: 
„Mein theurer Than, was für Phantome 
Eind bad, die deines Herzens edlen Muth 
So ganz entnerven!“ 
Sn demſelben Sinne nennt Talbot (J. v. O. II, 3) die Jungfrau 
„ein Phantom des Schreckens.“ 


Pharao, im alten Aegypten ſ. v. w. König od. Fürſt, bei. 
der, welcher einſt das jüdiſche Volk jo hart bedrückte, weshalb 
der Pater (R. II, 3) in Gegenwart Moors, der ihm ſeine 
Greuelthaten mittheilt, ausruft: „OD Pharao! Pharao!“ 
Auch derſelbe, zu welchem Moſes geſandt wurde, um die Juden 
aus ber aͤgyptiſchen Knechtſchaft zu befreien; daher (3. v. O. 
Prol. 4): 

„And ihm befahl, vor Pharao zu ſtehen.“ 
Pharaofpiel, auch Pharo, ein Hazardipiel mit franzöftichen 
Karten, fo genannt, weil ehemald auf einem der Kartenblätter 
der ägyptiſche König abgebildet war; daher (%. I, DO: „Wollen 
wir und zum Pharao fegen und die Zeit mit Spielen betrü- 
gen?” Daher auh Pharobank (Picc. II, 6) und Pharotiſch 
(Ged. D. berühmte Frau — K. u. L. IV, 1 — GEſtſ. 10, 242), 
wo Pharo geſpielt wird. 


Phariſaͤer — Philippi. 207 


Phariſaͤer, eine jüdiſche Sekte, welche befonderd großen 
Werth auf die Beobachtung der Aeuperlichkeiten beim Gotteß- 
bienfte legte und fich deöhalb für befier hielt ald Andere; bildl. 
mit Beziehung auf dad Gleichniß von dem Pharifäer und dem 
Zöllner (Luc. 18, 9—14), ein Scheinheiliger. Daher nennt 
Moor die dem Pater (R. II, 3) ähnlichen Geiſtlichen Phart: 
fäer; und (Geb. Elegie a. d. Tod e. Zünglings) heißt es: 


Es mag 
„Heber bich der Bhartjäer eifern, 
Fromme Mordſucht dich ber Hölle weihn.“ 


Pharobank 
Pharotiſch ſ. Pharao. 

Pharſaͤlus (Iph. IV, 1), eine Stadt in ber thefſaliſchen 
Landſchaft Phthistie. 

Pheraͤ (ph. I, 3w.:9.), Hauptort eined Meinen theffalifchen 
Staates, in welhem in mytbifchen Zeiten Admet ald König ge- 
nannt wird. 

Phidias (Ged. D. Götter Griechenlands), der berühmtefte 
Bildhauer des alten Griechenlands. Er wurde 488 v. Chr. 
geboren, fand an Perifled einen eifrigen Beförderer feines Genius 
und erwarb ſich befonder8 durch feine Pallas und feinen aus 
Gold und Elfenbein gefertigten olympiſchen Zeus einen weit 
verbreiteten Ruf. 


Philipp II. (1556 —1598) hatte zunaͤchſt ald Sohn Kaifer 
Karld V., der die Inſel Malta den Sohanniterrittern überwieſen, 
dann aber auch ald König von Spanien und Beherrfcher beider 
Sieilien das größte Interefie, der bedrohten Inſel Unterftügung 
(Mith. 7, 329) zu gewähren. 

Philippi, eine Stadt in Macedonien, berühmt durch die 
Schlacht, welde die Trinmvirn Octavianus, Antonius und 
Lepidus (42 v. Chr.) den Republicanern Brutus und Caſſius 
(ebendaf.) lieferten; daber (R. IV, 5): 

„Bon Philippi, wo die Mordſchlacht bräflte.“ 


* 


208 Philiſter — Philomela. 


Dieſe Letzteren gaben ſich, als ſie ihre Sache verloren ſahen, 
ſelbſt den Tod. 


Philiſter, urſprünglich die feindlichen Grenznachbaren des 
jüdiſchen Volkes; ſpäter in der Studentenſprache die Benennung 
für jeden nicht wiſſenſchaftlich Gebildeten, oder für Menſchen 
von beſchränktem Geiſte; daher (Ged. D. berühmte Frau): 

„Muß fie der Brille des Philiſters ſtehn.“ 
und (Ged. D. Gunft d. Mufen): 
„Mit dem Philtfter ftirbt auch jein Ruhm.“ 


Philoktetes (Myth.), abgek. Philoktét (Ged. D. Götter 
Griechenlands), ein berühmter Bogenſchütze, den Ulyſſes ſelbft 
nicht übertraf, war im Beſitz der Pfeile des Herkules. Derſelbe 
hatte jie ihm geſchenkt, als er ihm den legten Dienft erwieſen, 
indem er feinen Scheiterhaufen anzündete. Ohne die genannten 
Pfeile konnte einem Orakel zufolge Troja nicht erobert werben. 
Da aber Philoktet durch eine Schlange eine unerträglich riechende 
Wunde erhalten, fo hatte man ihn nach Remnos verbannt, von 
wo er durch Ulyſſes abgeholt wurde. Nachdem Philoktet von 
feiner Wunde geheilt worden, tödtete er den Paris (ſ. d.) in 
einem Zweifampfe und weihte hierauf des Herkules Pfeile dem 
Apollo. 


Bhilomela (Myth.), Die Tochter bed Königs Pandion von 
Athen, war von Tereud, dem Manne ihrer Schweiter Profne, 
gewaltjan entehrt und hierauf der Zunge beraubt worden. Aus 
Race tödtete fie in Gemeinfchaft mit ihrer Schwefter ven Sohn 
des Tereud, wofür fie in eine Nachtigall verwandelt wurde, 
deren Klagen fortan das traurige Schidfal jener Unglüdlichen 
verkünden; daher (Ged. D. Götter Griechenlands): Es tönt 

„Philomelas Schmerz aus dieſem Hain.” 
Wörtl. bedeutet Ph. ſ. v. w. Gejangfreundin und wird für Nach: 
tigall gebraucht, wie (Bed. D. Geſchlechter): 
„Und mit melobiichem Lied füllt Philomela den Hain.” 


Philoſoph — Philoſophen. 209 
oder (Sp. u. d. L.): | 


— — — — — — — „Hören 
Sie dort die zärtliche Philomele ſchlagen?“ 


Philoſoph (K. d. 9), gr. ein Freund der Weisheit; zu: 
nächſt ein Denker, weshalb die Köntgin (D. ©. I, 4) den 
Marquis Pola einen. Philojophen nennt; dann auch def. ein 
Lehrer der Weisheit, wie (R- II, 1): „Philofophen u. ... 
lehren mich 2c.”; beſonders einer, der nach einem beftimmten 
Syſteme (vergl. D. Philoſophen) die fchwierigften Fragen mit 
Sicherheit zu entjcheiden vermeint, wie (gr. Handl. a. d. n. Geſch.) 
„zen zweifelhaften Kampf der Pfliht und Empfindung.” 


Philoſophen, Die (Ged.), eine Reihe von Xenien, die als 
Satire über verjchiedene philofophiiche Ausſprüche zu betrachten 
find. Bergl. das Epigramm: „Die Philofophien.“ Der Lehr: 
ling, d. 5. der Dichter felbft, begiebt ficy in Die Unterwelt, um 
fih bei den Philofophen der Vorzeit Rath zu holen, und be: 
kommt auf feine ganz verjtändigen Fragen allerlei ganz unge: 
nügende Antworten, zunächit von Ariftoteled, aus dem alle feine 
Nachfolger geſchöpft haben, der alfo „von Allem belehrt” ift. 
Der „Erſte“ ift Rene Descartes (1596—1650), der Begründer 
der neueren Philofophie, welcher in dem Sape: Cogito, ergo 
sum (ich denke, aljo bin ich) die Untrennbarkeit des Seins von 
dem Bewußtjein ausiprach und ſomit die Gewißheit allein in 
dem folgeredhten Denken fand. Der „Zweite” ift Barud 
Spinoza (1632— 1677), welcher von der Selbfttraft, fi in Gott 
zu erhalten, zu begreifen, zu fein und zu handeln, aljo von dem 
Triebe zum Unendlichen auöging und mit ihm endete; indefjen 
war ihm Gott nur Subftanz, nicht aber Subject und Geift. 
Der „Dritte” ift Georg Berkeley (1684 —1753), Biſchof in 
Stand, ein entichiedener Sdealift, der die Annahme einer Auße- 
ren Körperwelt ald bloßen Wahn betrachtete und behauptete, 
daß der Menih nur feine Empfindungen und Borftellungen 
wahrnähme. Der „Bierte“ ift Letbnig (1646 —1716), Er 

II. 14 


206 Tharan. 


Phantom“ genannt; eben jo fagt die Prinzeſſin Eboli (D. €. 
II, 8) von ihrer Liebe zu dem Prinzen: 
„ah ein Phantom vielliht! Doch mir jo werth! 
Ich liebe und bin — nicht geliebt.” 
deögl. nennt Alba (D. &. II, 10) die edleren Regungen und 
Gedanken, welche die Seele ded Prinzen befchäftigen, „Fhan: 
tome” und Leonore (%. III, 3) ihre Erinnerung an eine glüd: 
liche Zeit „ein lebhaftes Phantom’. — Sole Zrugbilder 
fönnen unter Umftänden auch zu Schredbildern werden, wie 
(5. II, 19), wo Fiesco fagt: „Gleich verdächtigen Brüdern . 
ftehlen fi) die üppigen Phantome an meiner Seele vorbei“; 
und (Meb. II, 4), wo Lady Macbeth zu ihrem von Schredbil: 
dern geängftigten Manne jagt: 
„Mein theurer Than, was für Bhantome 
Sind bad, die beine Herzens ebleu Muth 
So ganz entnerwen!‘ 
Sn demfelben Sinne nennt Talbot (3.0. O. II, 3) die Jungfrau 
„ein Phantom ded Schredend.“ 


Pharao, im alten Aegypten ſ. v. w. König od. Fürft, bei. 
der, weldyer einft das jüdiſche Volk jo hart bedrüdte, weshalb 
der Tater (NR. II, 3) in Gegenwart Moord, der ihm jeine 
Greuelthaten mittheilt, ausruft: „DO Pharao! Pharao!” 
Auch derjelbe, zu welchen Moſes gefandt wurde, um bie Juden 
aus der ägyptiſchen Knechtichaft zu befreien; daher (J. v. O. 
Prol. 4): 

„And ihm befahl, vor Bharao zu ſtehen.“ 
Pharaoſpiel, auch Pharo, ein Hazardipiel mit franzöſiſchen 
Karten, ſo genannt, weil ehemals auf einem der Kartenblätter 
der ägyptiſche König abgebildet war; daher (F. I, D: „Wollen 
wir und zum Pharao ſetzen und die Zeit mit Spielen betrü- 
gen?” Daber auch Pharobanf (Picc. II, 6) und Pharotiſch 
(Ged. D. berühmte Frau — K. u. L. IV, 1 — Gſtſ. 10, 242), 
wo Pharo gejpielt wird. 


Pharifier — Philippi. 207 


Phariſaͤer, eine jüdiſche Sekte, welche befonders großen 
Werth auf die Beobachtung der Aeußerlichkeiten beim Gottes- 
bienfte legte und ſich deshalb für befier hielt als Andere; bildl. 
mit Beziehung auf dad Gleichniß von dem Phartjäer und dem 
Böllner (Luc. 18, 9—14), ein Scheinheiliger. Daher nennt 
Moor die dem Pater (R. II, 3) ähnlichen Beiftlihen Phari: 
fäer; und (Geb. Elegie a. d. Tod e. Jünglings) heißt es: 


&3 mag 
„Ueber dich der Bhartfäer eifern, 
Sromme Mordſucht dich der Hölle weihn.“ 


Pharobank 

Pharotiſch ſ. Pharao. 

Pharſalus (Iph. IV, 1), eine Stadt in ber theſſaliſchen 
Landſchaft Phthibtis 

Pheraäͤ (Iph. J, Zw.⸗H.), Hauptort eines kleinen thefſaliſchen 
Staates, in welchem in mythiſchen Zeiten Admet als König ge- 
nannt wird. 


Phidias (Ged. D. Götter Griechenlands), der berühmtejte 
Bildhauer ded alten Griechenlands. Er wurde 488 v. Chr. 
geboren, fand an Perikles einen eifrigen Beförberer feined Genius 
und erwarb ſich befonderd durch feine Pallas und feinen aus 
Gold und Elfenbein gefertigten olymptichen Zeus einen weit 
verbreiteten Ruf. 


Philipp I. (1556 —1598) hatte zunächft als Sohn Kaifer 
Karl3 V., der die Inſel Malta den Sohanniterrittern überwieſen, 
dann aber auch ald König von Spanien und Beherrſcher beider 
Sicilien dad größte Intereſſe, der bedrohten Inſel Unterftügumg 
(Mith. 7, 329) zu gewähren. 

Philippi, eine Stadt in Macedonien, berühmt durch die 
Schlacht, weldhe die Triumvirn Octavianus, Antonius und 
Lepidus (42 v. Chr.) den Republicanern: Brutuß und Gaffiud 
(ebendaj.) lieferten; daher (R. IV, 5): 

„Bon Philippi, wo die Mordſchlacht brüilte.“ 


208 Philifter — Philomela. 


Dieje Lepteren gaben ſich, ald fie ihre Sache verloren faben, 
felbjt den Tod. 


Philiſter, urfprünglich die feindlihen Grenznachbaren des 
jüdifchen Volkes; jpäter in der Studenteniprache die Benennung 
für jeden nicht wiſſenſchaftlich Gebildeten, oder für Menjchen 
von beſchraͤnktem Geiſte; daher (ed. D. berühmte Frau): 

„Muß fie der Brille des Philifterd ftehn.” 
und (Ged. D. Gunft d. Mufen): 
„Mit Dem Philifter ftirbt auch fein Rubnı.* 


Philoktetes (Myth.), abgek. Philoktét (Geb. D. Götter 
Griechenlands), ein berühmter Bogenſchütze, den Ulpfied felbft 
nicht übertraf, war im Belig der Pfeile des Herkules. Derjelbe 
hatte fie ihm geſchenkt, als er ihm den legten Dienft erwiefen, 
indem er feinen Scheiterhaufen anzündete. Ohne die genannten 
Pfeile konnte einem Drafel zufolge Troja nicht erobert werden. 
Da aber Philoftet durch eine Schlange eine unerträglich riechende 
Wunde erhalten, jo hatte man ihn nach Lemnos verbannt, von 
wo er durch Ulyfies abgeholt wurde. Nachdem Philoktet von 
feiner Wunde geheilt worden, tödtete er den Parid (ſ. d.) in 
einem Zmweifampfe und weihte hierauf ded Herkules Pfeile dem 
Apollo. 


Hhilomela (Mytb.), Die Tochter ded Königs Pandion von 
Athen, war von Tereud, dem Manne ihrer Schweiter Prokne, 
gewaltjam entehrt und hierauf der Zunge beraubt worden. Aus 
Rache tödtete fie in Gemeinſchaft mit ihrer Schwefter den Sohn 
bed Tereud, wofür fie in eine Nachtigall verwandelt wurde, 
deren Klagen fortan das traurige Schiefal jener Unglüdlichen 
verkünden; daher (Ged. D. Götter Griechenlands): Es tönt 

„Philomelas Schmerz aus biefem Hain.” 
Wörtl. bedeutet Pb. ſ. v. w. Gefangfreundin und wird für Nad- 
tigall gebraucht, wie (Bed. D. Geſchlechter): 
„Und mit melodijchem Lied füllt Bhilomela ben Hain.” 


Philoſoph — Philoſophen. 209 
oder (Sp. u. d. L.): 


— — — — — — — „Hören 
Ste dort die zärtlide Phtlomele Ichlagen?“ 


Philoſoph (K. d. H.), gr. ein Freund der Weidheit; zu: 
nächſt ein Denker, weshalb die Köntgin (D. ©. I, 4) den 
Marquis Poja einen. Philofophen nennt; dann auch bei. ein 
Lehrer der Weidheit, wie (R. IL, 1): „Philofophen u. .... 
lehren mich ꝛc.“; befonderd einer, der nach einem beftimmten 
Syiteme (vergl. D. Philofophen) die fchwierigften ragen mit 
Sicherheit zu entſcheiden vermeint, wie (gr. Handl. a.d. n. Geſch.) 
„ten zweifelhaften Kampf der Pflicht und Empfindung.“ 


Bhilofophen, Die (Ged.), eine Reihe von Xenien, die als 
Satire über verſchiedene philoſophiſche Ausſprüche zu betrachten 
find. Bergl. dad Epigramm: „Die Philojophien.” Der Lehr: 
ling, d. h. der Dichter felbft, begiebt ficy in die Unterwelt, um 
fih bei den Philoſophen der Vorzeit Rath zu holen, und be: 
fommt auf feine ganz verftändigen Yragen allerlei ganz unge: 
nügende Antworten, zunächft von Ariftoteled, aus dem alle feine 
Nachfolger gefchöpft haben, der alfo „von Allem belehrt” ift. 
Der „Erſte“ ift René Descarted (1596—1650), der Begründer 
der neueren Philoſophie, welcher in dem Gabe: Cogito, ergo 
sum (ich denfe, alfo bin ich) die Untrennbarkeit ded Seind von 
dem Bewußtjein ausſprach und fomit die Gewißheit allein in 
dem folgerechten Denken fand. Der „Zweite” tft Barud 
Spinoza (1632— 1677), weldher von der Gelbftfraft, fi in Gott 
zu erhalten, zu begreifen, zu fein und zu handeln, aljo von dem 
Triebe zum Unendlichen ausging und mit ihm endete; indefjen 
war ihm Gott nur Subftanz, nicht aber Subject und Geift. 
Der „Dritte“ ift Georg Berkeley (1684 — 1753), Biſchof in 
Stand, ein entjchiedener Idealiſt, der die Annahme einer äuße: 
ren Körperwelt ald bloßen Wahn betrachtete und behauptete, 
daß der Menih nur feine Empfindungen und Borftellungen 
wahrnähme. Der „Bierte” ift Leibnip (1646 — 1716), Cr 

II. 14 


210 Philoſophie. 


ſetzte voraus, daß ed nothwendige Wahrheiten gebe, deren &e- 
wißheit in der Seele felbjt gegründet fein müfje, indem fie auf 
Principien berubten, deren Beweis nit von dem Zeugniß der 
Sinne abhängig je. Der „Fünfte“ ift entweder Kant (1724 
bis 1804) oder wenigjtend ein Kantianer, der nach feinem Meifter 
von der Borausjegung audgeht, daß die philoſophiſche Erkenntniß 
die von der Erfahrung abgefonderte Vernunft zur Quelle habe. 
Der „Sechſte“ ift ein Anhänger Fichte's (1762—1814), deffen 
Grundprineip der Saß fein ſollte: A=A, oder Ich bin ic. 
Das Sch ift ihm dad Abfolute, das fich felbft ſetzt, dad ferner 
als ein reines Handeln gedacht werden ſoll, welches, weil ed in 
gewiſſe unbegreiflihe Schranken eingejchloffen tft, fich in feiner 
Thätigfeit gehemmt flieht, und num vermöge dieſes Anſtoßes ein 
Nicht: Sch fegt und diefed ald objective Welt anjhaut. Der 
„Siebente“ iſt ein Anhänger Reinhold’3 (1758— 1823), befien 
oberſter Grundſatz hieß: Im Bewußtſein wird die Vorftellung 
durch dad Subject vom Subjecte und Objecte gefchieben und jo 
anf beide bezogen. Der „Achte“ it ein Zünger Karl Chriftian 
Ehrhard Schmid's (1761—1812), deſſen „Verſuch einer Moral: 
philoſophie“ (1790) einen bedeutenden Ruf hatte. — David 
Hume (1711-1776) iſt als Mafflicher Geſchichtſchreiber und 
Philoſoph bei den Engländern berühmt, beſonders wegen jeiner 
unparteilichkeit. Samuel Pufenborf (1632—1694), Pros 
fefior des Naturrechtd zu Lund in Schweden, jpäter in Berlin, 
wo er, allgemein geachtet, ftarb. — Die „Entſcheidung“ ift 
eine Satire auf die firenge Anficht Kants, zufolge welder bie 
Neigung für eine fehr zweibdeutige Gefährtin des Sittlichkeits⸗ 
gefühls erflärt wurde, jo daß er biefelbe Kteber tm Kampf mit 
den Bermunftgeiepen fehen mochte, ala im Cinverftändnig mit 
denjelben. 

Philoſophie (Ged. D. Philofophen), gr. pbilosophia (vergl. 
Philoſoph), eig. Liebe zur Weisheit, Dann Weisheitslehre, Welt⸗ 
weisheit, d. h. die Wiſſenſchaft, welche ſich mit ber Erkenntniß 
des Weſens der Dinge beſchäftigt; in weiterem Sinne bie Art, 


- rn nn — ⸗ 
. 


Philofophieen — Phönicien. 211 


wie der @inzelne über wichtige Lebensfragen zu denken und zu 
urtheilen pflegt; Daher (Bed. An einen Moralifien): 

— — — — ‚Die Vhileſophie 

Schlägt um, wie unſ're Pulſe anders ſchlagen.“ 
und (Sp. u. d. 2): „Wenn unſere Launen die Modelle unferer 
Philoſophien find ...., in welcher wird die Wahrheit ge: 
goſſen?“ Desgl. fagt Paftor Mofer (R. V, 1) zu Yranz, wel- 
cher die Ungereimtheit ded Glaubens an die Wnfterblichleit zu 
beweijen ſucht: „Das ift die Bhilojophie eurer Verzweiflung.“ 
Davon: philoſophiſch (Ged. D. phil. Egoiſt), denkend, über 
legend. 

Philoſophieen, Die (Ged.), ein Epigramm aus d. 3. 1796. 
Bon den verfchiedenen philofophiichen Syftemen, welche tm Kauf 
der Sahrtaujfende aufgetaucht find, tft eind nad dem andern 
wieder zu Grabe gegangen; aber die Thätigfeit des Philoſophi⸗ 
rend, oder das Streben nad) Wahrheit wird ftetd eine Eigen- 
ſchaft des Menſchengeiſtes bleiben. 


philoſophiſch, ſ. Philoſophie 
Phiole (Gftſ. 10, 151), von dem gr. phiäle, eine kugelför⸗ 
mige Flaſche mit langem, engem Halle. 


Phoͤbe (Iph. I, 1), die ältefte Tochter bed Tyndäreud und 
der Leda. 


oe | f. Apollon. 


Phoeis (Ged. D. Kraniche d. Ibykus — Phön.), ob. das 
phociſche Gefild (Sph. I, Zw.:9.), ein Theil des mittleren 
Griechenlands, erfüllt von den Höhen des Parnafſus, durchſtrömt 
vom Kephifios und berühmt durch das deiphiiche Orakel. 


Phoͤnicien (Phön.), ein fchmaler Küftenflrih am Mittel: 
meer zwiſchen Kleinafien und Paläftina, der feewärt8 gerichtete 
Abhang des Libanon. 

14 * 


212 Phönicierinnen — Phoͤnix. 


Bhönicierinnen, Scenen aus den, des Euripided. Wie 
bie Zphigente (vergl. d. u. Euripides), jo überfepte Sch. dieſe 
Scenen i. 3. 1790 für die beiden Schweftern v. Lengefeld und 
ließ fie im 8. Heft der Thalia abdruden. Da er des Griechi⸗ 
ſchen nicht audreihend mächtig war, fo „ließ er fih (wie ©. 
Schwab in feinem Leben Sch.'s ©. 334 berichtet) nach einer in 
feinem Baterlande ziemlich verbreiteten und geglaubten Sage den 
Tert von einem Stuttgarter Freunde und alten Lehrer, dem ge: 
Iehrten Philologen Prof. Raft (geb. 1751, + 1822) in wörtliche 
Proja überjegen und bearbeitete diefe zu fünffüßigen Jamben.“ 
Daher die Erſcheinung, daß dieſe Uebertragung bei weitem treuer 
tft al8 die der Iphigenie. Bon einer Fortjegung der Arbeit 
wurde er durch feine Beichäftigung mit der Gefchichte abge: 
halten. 


Dhönir. 1) (Ged. 2. B. d. Aen. 128) der Sohn de3 Amyn— 
tor, ein Freund und Waffengefährte des Peleus, bitte deſſen 
Sohn Achilled erzogen und nad Troja begleitet. — 2) Der 
Sonnenvogel, ein fabelhafter Vogel bet den Aegyptern, der die 
Größe eined Ablerd und ein prachtvolles goldrothes Gefieder 
haben jolltee Es ging die Sage, daß er nur alle 500 Fahr 
aus Arabien nach Aegypten komme, beim SHerannaben feines 
Todes fih ein Neft von Myrrben und köftlihen Kräutern be- 
reite, ſich mit demjelben jelbjt verbrenne und dann aus feiner 
Aſche verfüngt wieder emporfteige. Er war ben Aegyptern bad 
Symbol einer Periode von 500 Jahren; Sch. tft er das Sinn: 
bild der Wiederkehr früherer glüdlicher Zuftände, wie (J. v. O. 
II, 3), wo der Erzbifchof fagt: 


„hr jeib vereinigt, Fürſten! Frankreich fteigt 
Ein neu verjüngter Bhönir aus ber Aſche.“ 
und (Br. v. M. 5, 406), wo Don Gefar zu dem Boten 


Sagt: 
„Du fiehft die Liebe aus des Hafſes Flammen 
Wie einen neu verfüngten Bhöntz fteigen.“ 


Phosphorus — Phnfiognom. 213 


Phoͤsphorus (Gſtſ. 10, 151) od. Phosphor, d. i. eig. 
Lichtträger; ein i. 3. 1669 entdedter, nichtmetalliiher Grund: 
ftoff, der ſich fehr leicht entzündet und deshalb unter Wafler 
aufbewahrt werden muß. Er wird jet vorzugöwelfe aus Knochen 
bereitet und bat die Eigenſchaft, im Dunkeln zu leuchten, bie 
Folge einer langfamen Berbrennung oder Berbindung mit 
Sauerftoff. 

Phraſes, pl. von dem gr. phräsis, die Redensart; im ver: 
ächtlihen Sinne bei. eine ſchönklingende Redendart, wie (R. I, 2): 
„feuchtohrige Buben fiſchen Phraſes aus der Schladht bei 
Cannä“, um fi nämlich derfelben gelegentlih bei ihren Exer⸗ 
citien zu bedienen. 


Phrygien (Iph. V, 3), eine Landichaft Kleinafiens, welche 
in Groß: und Kleinphrygien eingetheilt wurde; daher heißt 
Phrygier bisweilen (Geb. 2. B. d. Aen. 99 — Iph. III, 3) 
ſ. v. w. Trojaner, und Phrygerin (Iph. III, Zw.:H.) Trofa- 
nerin. — Der Phryger (Geb. 4. B. d. Wen. 18) ift Aeneas 
(j. d.); der junge Phrygier (Spb. I, 1) tft Paris (f. d.); 
phrygiſcher Kiel (Iph. II, 3w.:9.), |. Haberrohr; phrygi- 
iher Knabe (Spb. IV, Zw.H.), j. Ganymedes. 


Phryne, Name einer bekannten Bublerin zu Athen, die 
wegen ihrer Schönhelt und ihres Reichthund einen ausgebrei— 
teten Ruf hatte; daher überh. eine verführeriihe Schöne, wie 
(R. 1, 1): „die Reize einer Phryne.“ 


Phthia (Iph. I, 1 u. IV, 3), die Hauptftadt der theflali- 
Ihen Landſchaft Phtiotis (Iph. III, 4), wo Peleus, des Achilles 
Vater, über die Myrmidonen herrſchte. 


Phyleus (Iph. I, Zw.⸗H.), Sohn bed Augens in Eis, 
Vater ded Meged. SI. 2, 628. 


Phyfiognom, von dem gr. physis, Natur, und gnomon, 
Kenner; ein Gefihtöforfcher, der fih auf die Deutung be 
Geſichtsausdruckes verfteht, wie (Berbr. a. v. E.), wo ber 


14 Piacenza — Pilger. 


Thorjchreiber „ein unfehlbarer Phyfiognom aller Landftreicher” 
genannt wird. Davon: Phyfiognomie (R. IV, 2 — F. 
Berf.:Berz. — GEſtſ. 10, 137), da8 Ausſehen, die Gefichtäbil- 
dung eined Menihen; und Phyſiognomik (R. II, 3), Die 
Geſichtsforſchung, die Wiſſenſchaft, aus den Geſichtszügen auf 
die Beifted: und Gemäthöbefchaffenheit eined Menſchen zu 
ſchließen. 

Piaeenza [c ſpr. tſch.] (F. II, 15), Stabt am Po. 

Piaſten (Dem. N), ſ. Reichstag zu Krakau. 

Piazza (%. V, 6), ital. der Platz, Marktplatz. 

Bicard (Bb. 7, S. 171), geb. 1769, + 1828, Mitglied ber 
franzöfiichen Acabemie, einer der fruchtbarften Bühnenfchrift: 
fteller, der etwa 70 Stüde binterlafien hat. 

piemonteſiſch (Sp.d. Sch.), d.h. aus bem ehemaligen Für⸗ 
ftentbum Piemont im norbweftlichen Stalien. 

Bietift (R. I, 2), meulat. ein Yrömmler und jept größten: 
theils in dieſem tadelnden Sinne verwendet. Urjprünglich war 
der Pietismus, von Spener (1670) ausgehend, eine Richtung, 
deren Abfiht ed war, dad religiöfe Leben im Gemüthe zu er: 
weden und dann auch durch Werke der Barmberzigfeit zu be- 
thaͤtigen. Es war ein zuerjt jehr berechtigter und ſegensreicher 
Gegenſaß gegen die dürre Aufflärungdreligion des 17ten und 
1Sten Jahrhunderts, deren Ausfchreitungen weniger bekannt, 
aber vielleicht zurüdftoßender find als die ded Pietismud. Licht. 
und Schattenfeiten wird man aus Barnhagen von Enſe's mei- 
fterhafter Schilderung des Lebens bed Grafen von Zinzenborf 
kennen lernen. 


Pigmalion, richtiger Bygmalion (1. d.). 


Pilger (Bft. T. IV, 11) od. Bilgrim, zunächſt ein Fremder 
oder Ausländer; dann auch ein Wanderer; beſonders aber (Ged. 
D. Kampf m. d. Drachen — Ged. D. Zohanniter — %. II, 15) 
ein Wallfahrer. Davon: Pilgerfahrten (J. v. O. l, 5); 


Pilgrim — Pindus. 215 


Pilgerſchaaren (M. St. I, 6); Pilgerstracht (W. T. 
II, 2). 

Pilgrim, Der (Ged.), eine kleine Romanze aus dem Jahre 
1803, in weldyer und Sch. die Geſchichte ſeines eigenen Inneren 
Lebens barftellt. Sie ift ein Ausflug einer ähnlihen Stimmung 
wie in „Sehnſucht“ (ſ. d.), denn der allgemeine Gedanke ift 
der, daß alles Ideale unerreichbar ſei; aber während es ſich 
dort um das Ringen nad fittliher Vollkommenheit, nad in: 
nerem Seelenfrieden handelt, tritt bier da8 Streben nach Wahr: 
heit in den Vordergrund, das ihn ſchon als Füngling mächtig 
ergriffen hatte (vergl. Refignation, Str. 6). Auch die Wahrheit 
ift für den ftrebenden Menſchen nie eine fertige. 

Pilſen (Wſt. L. 2 — Picc. I, 1), eine Stadt im weſtlichen 
Böhmen, mo am 12. Januar 1634 dad Bündniß zwifchen Wallen: 
ftein und feinen Oberften gejchlofjen wurde. 


Pindar (Sp. u. d. L.), einer der berühmteſten griechiichen 
Sänger, geb. zu Böotien um 520 v. Chr. Bekanntlich ließ 
Alerander d. Gr., ald er Theben zerftörte, daB Haus, in wel- 
chem Pindar einft gewohnt, verjchonen, um dadurch daB An- 
denken des Dichterd zu ehren. In feinen Oden oder „ftolgen 
Hymnen” (ed. D. Götter Griechenlands) bejingt Pindar die 
Sieger in ben öffentlihen Wettkämpfen, wodurd fich jeine 
Sejänge überall hin verbreiteten, wo bie griechiſche Sprache 
erklang. 

Pindus (Ged. Semele 2), ein Gebirge längs des Golfs 
von Lepanto bis nach Attica, das jetzige Mezzovo⸗-Gebirge; es 
war dem Apollo und den Muſen geheiligt und wurde als Sitz 
derſelben betrachtet, daher beißt es (Ged. D. Götter Griechen: 
lands) von den Göttern: 

ö „Wu der Zeitfiuth weggerifien, ſchweben 

Sie gerettet auf des Binbus Höhn.“ 
d. h. anf dem @ebiete der Dichtkunft, wie auch (Bed. An Goethe): 


„Wir fönnen muthig einen Lorbeer zeigen, 
Der auf dem deutfchen Bindus feldft gegrünt.“ 


216 Pinie — Plagedämon. 


Pinie (Br. v. M. 5, 423), ein ſchlanker, 40-50 Fuß hoher, 
zu dem Geſchlecht der Nadelhölzer gehöriger Baum mit einer 
weit ausgebreiteten, fchirmartigen Krone. Er kommt in ben 
Ländern um dad Mittelmeer ziemlich häufig vor. 


Piquet (K. u. L. III, 1), ein Kartenfpiel, da8 von zwei Per⸗ 
onen mit 32 Blättern gefpielt wird. 


Pirithous (Myth.), ein Sohn Ted Supiter und der Dia, 
ein Freund ded Theſeus. Beide liebten bie jchöne Helena und 
raubten fie gemeinihaftlih, worauf jie dem Theſeus durch dad 
8008 zufiel. Da legterer indeflen feinen Freund entichädigen 
wollte, fo ftiegen beide (Ph. II, 1) in den Tartarus hinab, um 
die Proferpina zu rauben. Crmübdet ſetzten fie fich nieder, 
blieben aber an einem Felſen haften, von dem Herculed den 
Theſeus befreite, während Pirithous von dem Cerberus zerrifjen 
wurde. Bergl. Ph. III, 5. 


Piſa (F. V,9), in der Nähe der Mündung des Arno, ehe- 
mals eine der mächtigften Seeftädte Staliend. 


Biftole, frzi. 1) (Menſchenf. 5 — Picc. IV, 7) eine franz. 
unb fpan. Goldmünze im Werthe von 5 Thalern, angeblich au 
Piftoja in Stalien, wo fie zuerft geprägt worden fein foll; 2) (Ver⸗ 
br. a. v. E.), eine kurze Schußwaffe. 

Pitäval (K. d. H.). Die Causes celebres von Frangois 
Guyot de Pitaval, geb. 1673 in Lyon, + 1743; 22 Bde. Paris, 


1739, find eine Sammlung berühmter Hechtöfälle, die lange Zeit 
mit großem Beifall gelefen wurden. 


Pittheus, |. Aegeus. 


Pizarro (R. V, 1), der Entdecker und Eroberer Peru's, der 
dort die ſcheußlichſten Grauſamkeiten ausübte, bis eine Verſchwö—⸗ 
rung gegen ihn ausbrach, die ihm 1541 das Leben koſtete. 


Plagedaͤmon, |. Dämon. 


Plan — Plattform. 217 


Alan, von dem lat. plänus, eben, flach; 1) ein flaches Zeld,, 
wie (Geb. D. Kampf ın. d. Dradden): 
„Kaum feh' ich mich im ebnen Blan.” 

2) ein Abriß, Grundriß, wie (D. C. IV, 12): 
„Der Blan zu einer Beftung.” 
3) ein Entwurf, Vorhaben, wie (Picc. II, 1), wo Illo fagt: 
„®r feine alten Plane aufgegeben!” 
und (M. St. I, 7), wo Lord Burleigh jagt: 
„Shr hattet Wiffenſchaft ven allem, lenktet 
Aus eurem Kerfer planvoll bie Berfhwärung.” 
Davon: Planiglobium (Geb. Menfchliches Wiſſen), neulat. 
eine auf einer Yläche dargeftellte Himmelskugel. 


Planeten (Ged. Phantafie an Laura — Melandyolie an 
Laura — Elegie a. d. Tod e. Zünglingd — Semele 2), Wan⸗ 
delfterne, d. h. Weltlörper, welche ihr Licht von der Sonne er: - 
halten und diefelbe umfreifen. In Beziehung auf ihren regel: 
mäßigen Gang ſpricht Sch. (Bed. Melancholie an Laura) von 
„Planetenuhren“. Da zu ihnen auch die Erde gehört, jo heißt 
ed (%. V, 16): „Lab bier alle Kronen dieſes Planeten zum 
Preis ... legen“ und (Sp. u.d. 8): „Ein verborbener Magen 
verſchwätzt dieſen Planeten zur Hölle“. Da die Aftrologie 
(vergl. Aftrolog) fih auf die Stellung der Planeten gründet, fo 
ift (Wit. T. I, D von PBlanetenbildern und Planeten: 
afpecten und (Wit. X. V, 5) vom Planetenftande bie Rebe. 

Planiglobium, ſ. Plan. 

Plantaͤgenet, |. Warbeck. 


plaſtiſch, körperlich; plaſtiſche Werke (Br. v. M. Einl. 5, 
377), Werke der Bildhauerkunſt. 


Plato (Sp. u. d. L.), ein berühmter griechiſcher Philoſoph, 
Schüler bed Sokrates, geb. 429, + 848 v. Ehr. 

Blattform (3. v. O. IV, 4), ein erhöhter Platz vor einem 
Gebaͤude. 


218 Plag — Poefte. 


Platz (Wfl. T. IV, 7), militairifcher Ausdruck für Feſtung. 

Plaza Mayor (D. ©. I, 3), einer der bedeutendften öffent: 
lichen Pläte in Madrid, auf welchem ehemals die Autos de fe 
und die Stiergefechte abgehalten wurden. 

Pleiaden (Myth) od. Plejaden, die Töchter des Atlad und der 
Dcennide Pleiöne, wurden von ber ungeflümen Liebe des Orion 
fieben Jahre lang verfolgt, bis fie endlich von Zupiter an ben 
Himmel verjegt wurden, wo fie jept einen Sternhaufen von fieben 
Sternen (Bed. 2.2. d. Aen. 2) in dem Sternbilde ded Hundes 
bilden, in welchem zugleich einer der jchönften Yirfterne, der 
Sirius, fteht; daher (Ihh. I, 1): 

„Du meinft ben Sirins, ber nächft 
Dem Eiebeniterne der Pleiaden rolit.“ 


GSeined glänzenden Lichtes wegen bielt man den Siriud früher 
für den der Erde zunächitftehenden Firftern und verftand unter 
Sirtusfernen (Ged. Menichlihes Willen) od. Siriußmeilen 
den etwa 4 Billionen Meilen betragenden Abftand beffelben von 
unferer Erde, eine Größe, die man bei der Angabe von Fir: 
fterndiftancen ald Einheit zu Grunde legte, um ed nicht mit allzu 
großen Zahlen zu thun zu haben. 

Pleskow (Dem. I) oder Pſtow, am See gl. R., der den 
ſüdlichen Theil ded Peipusfee ausmacht. 

Plutärch, geb. 50, + 130 n. Chr., griechifcher Schriftteller, 
beionderd befannt durch feine Biographien berühmter Griechen 
und Römer; daher (R. I, 2): „wenn ih in meinem Plutardh 
Ieje von großen Menjchen“. 

Pluto, |. Aides u. Tartarus. 

podagriſch, gr., mit der Fußgicht behaftet, ein krankhafter 
Zuftand, der in reiferem Alter bei Leuten eintritt, Die wenig 
törperlide Bewegung haben; daher (MR. IV, 2): „Der milzſüch⸗ 
tige, podagriſche Moralift.” 

Poeſie, von den gr. poiein, machen, hervorbringen, dichten; 
1) die Dichtlunfl, welde (9. d. 8.) perfontficirt erfcheint; 


Poefle des Lebens — Poitiers. 219 


2) ein Gedicht, wie der Prinz (D. ®. II, 8) eine von ihm 
verfaßte Romanze neunt. Davon Poet, lat. poeta, der Dichter 
(Ged. Shakeſpear's Schatten — Geb. D. Theilung d. Erde — 
R. U, 3 — Par. I, 1); ferner Poetenhige, wie Fiesco (%. 
II, 17) die künſtleriſche Begeiſterung des Malerd Romano nennt; 
und poetiſch, dichteriich, wie (F. Vorr.): „poetifche Tugend“, 
d. h. dichteriſcher Vorzug. | 

Poeſie ded Lebens (Ged.), eine poetiihe Epiftel aus dem 
3. 1795. Nahdem Sch. den fauren Wey durch die metaphy- 
ſiſchen Speculationen zurüdgelegt, wandte er ſich mit diefeın &e: 
dichte der Poefle wieder zu. Da es ihm nicht leicht wurde, jich 
jo ohne weitereö von der Philoſophie loszuringen, fo wollte er 
fih, wie er felbft jagt, durch dieſes Gedicht eine Brüde bauen, 
die ihn zu feiner Lieblingsbeſchäftigung zurüdführte. Died ges 
fang ihm zunächſt dadurch, daß er die anzuftellende Betrachtung 
an zwei verjchiedene Perjonen vertheilte. In dem erften Theile 
führt er einen firengen Realiften ein, dem das Afthetiiche Ge⸗ 
wand, in welches bie Wahrheit gern fich kleidet, eben jo als 
eiteler Schimmer ericheint, wie der ibeale Zauber, mit welchem 
der Dichter und dad Leben zu veredeln ſucht. Diejen Realiften 
weift fein neuerwadhter Dichtergenius darauf hin, daß bei einer 
ſolchen Geiftesrihtung alle Annehmlichkeit und Lieblichleit des 
Lebens verfchwinden müfſe, da8 eben nur durch den Zauber der 
Kunft und durch den Hau ber Liebe den Schmud erhalten 
kann, in weldhem es und als ein beneidendwerthed erſcheint. 

Poet 

Poetenhitze ſ. Poeſie. 

poetiſch 

Pointeur (Gfiſ. 10, 132), von dem frzſ. pointer, auf eine 
Karte fegen, der Gegenfpieler, der im Pharofpiel auf ein Kar: 
tenblatt eine Summe Geldes ſetzt. 

Poitiers (3. v. O. II, 1 u. V, 10), eine Stadt im füb- 
lichen Frankreich, in deren Nähe, bei Maupertuis, am 19. Sept. 


a Pol — Bolt 


1356 eine Schladt ftattfand, in welcher König Johann ber 
Gute von dem Schwarzen Prinzen (Eduard, dem Sohne König 
Eduard’3 III. von England) gefangen genommen wurbe. 


Hol, Iat. polus, der Drebpunft; 1) Benennung für die Enb- 
punkte ber Erdare, wie (R. 1,1): „von einem Pol zum an- 
dern“ und bildl. (Ged. D. Entzüdung an Laura): 

„Rıfcer rollen um mich ber die Pole.“ 
2) die Endpunkte ber Himmeldare, welche zu ruhen jchei- 
nen, während dad ganze Himmeldgewölbe fich ſcheinbar um fie 
herumdreht; baher bildI. (Get. D. Spaziergang) für den leiten- 
den Grundgedanken: Der Weiſe 
„Sucht ben ruhenden Pol in ber Erjcheinungen Slucht. 


und (Wfl. X. U, 2), wo Mar zu Wallenftein fagt: 

— — „Biemt folde Sprade mir 

Mit Dir, der, wie der fefte Stern bes Vol 

Mir ald die Lebendregel vorgeſchienen!“ 
Bergl. Angelftern. — 3) bei dem Magneten die Stellen, welche 
den Hauptfiß der anziehenden Kräfte bilden, wie (%. 1, 2), 
wo Gianettino von Yiedco jagt: „diefer Menſch iſt ein Magnet 
Alle unrubigen Köpfe fliegen gegen feine Pole.“ 


Polen (Dem. I), |. Reichdtag zu Krakau. 


Polites, abgef. Polit (Geb. 2. B. d. Xen. 92), ein Sohn 
des Priamuß. 


Politik, von dem gr. polis, die Stadt, der Staat; 1) Staats- 
wiffenfchaft od. Staatskunſt (Geb. Seremiade); 2) Staat: 
klugheit, wie (Mith. 7, 330): „Die ſpaniſche Politik“; ferner 
(D. ©. III, 3), wo Alba von der Königin fagt: 

„Die Politik griff ihrer Neigung veor® 
und (D. ©. II, S), wo die Prinzeſfin Eboli fagt: „Nicht genug, 
daß man der Politif mich bingeopfert“. 3) Weltklugheit, wie 
(R. U, 8): „Schon die Politit könnte fie zwingen, Wort zu 


Politiiche Lehre — Polypen. 221 


halten“. — Davon: polttifch; 1) ftaatöbürgerlich, wie (F. Vorr.) 
„der politifhe Held”; (Gftſ. 10, 127): „politiſcher Borfall”; 
2) Hug, ſchlau, wie (NR. I, 2) „ein politifcher Kopf”. 


Bolitifche Kehre (Ged.) ein Epigramm aus db. 3. 1796. 
Der Dichter tadelt den falfchen Eifer derjenigen, welche fich in 
Dinge milchen, die ihred Amtes nicht find, wenngleich der Zwed, 
den fie im Auge haben, nichts Tadelnswerthes bat. Unbedingte 
Vollkommenheit ift ein Ideal, welches zwar zu erftreben, aber 
nie zu realifiren if. Man vergl. Goethe's Ausſpruch: 

„Thu nur das Mechte in beinen Sachen, 
Das Andre wird fih von jelber machen.“ 

Boltzei (N. a. O. I, 15 — K. d. 9. Borer.), von dem 
gr. politeia, die Staateverwaltung; die Staatöbehörde, welche 
über die öffentlihe Ordnung und die Sicherheit der Perjonen 
und ded Eigenthums wacht; daher vergleichungsmeife (K. u. 2. 
IV, 3): „die große Polizei der Vorſicht“. — Polizeilieute: 
nant (R. II, 3), ein Unterbefehlähaber diefer Behörde. 


Pollux, |. Dioscuren. 

Polybus, |. Antigone. 

Polydor, |. Harmonia. 

Polygraph (Sp. u. d. L.), gr. ein Vielſchreiber. 
Polyhymnia, |. Mufen. 


Polykleitos, abgek Polyklet aus Sicyon, einer der berühm: 
tejten griechiſchen Bildhauer und Nebenbuhler des Phidiad, ſoll 
eine Mujterftatue oder einen Kanon haben aufftellen laſſen, tn 
welchem er feine Kunftregel zur Anjchauung brachte; daher (Geb. 
D. Genius, Anm. 3): „Polyklet's Regel”. 


PBolynices (Phön.), Sohn des Dedipus und ber Jokafta. 


Polypen, eine Abtheilung von Meerthieren, deren Mund: 
öffnung mit einem Kranz von Fühlfäden umgeben ift, vermittelft 


222 Pommern — Ponthieu. 


deren fie ihre Nahrung ergreifen; daher (Geb. D. Antritt d. 
neuen Sahrhumdertß): 

„Seine Hanbelßflotten ftredt ber Britte 

@ierig wie Bolypenarme aus.” 

Pommern, Provinz des preußifchen Staates, gehörte, al 
Wallenftein (Picc. II, 3) feinen Zug dorthin unternahm und 
1629 Stralfund belagerte, dem Herzog Bogislaw XIV., weldyer 
der Lehnäherrlichkeit ded brandenburgifchen Hauſes untergeorb- 
net war. 

Pomp (R.I, 3), lat. pompa, die Pracht, bef. in einem feier: 
lihen Aufzuge; daher (Bed. D. Spaziergang): 

— — — — „ber Rappeln itolze @eichlechter 
Ziehn in geordnetem Bomp vomehn und präctig babder.” 

Bompeji und Herculanum (Ged.), eine Elegie aus d. J. 
1796. Pompeit, nahe der Mündung des Sarnus, öftli von 
dem jegigen Fleden Torre del’ Annunciata, im ſüdlichen Stalten, 
wurbe t. 3. 79 n. Chr. ımter der Regierung ded Katferd Titus 
verſchüttet. Nicht weit davon, in der Nähe des heutigen Portici 
und weitli von Torre del Greeo liegt Herculanum. Als der 
Prinz Elbveuf i. J. 1711 zu Portici einen Brunnen graben 
ließ, wurden einige Bildfäulen zu Tage gefördert. Die erfte 
bedeutende Entdedung war das Theater von Herculanum, worauf 
die Nachgrabungen fortgefeßt und auch zwei wohl erhaltene 
Theater von Pompeji entdedt wurden. — Obwohl Sch. Stalien 
nie gejehen, jo verftand feine Phantafle doch, fich in jene aus⸗ 
gejtorbene Welt hineinzuverfepen. Reiſende, welche die audgegra- 
benen Städte gefehen, bezeichnen die Darftellung des Dichters 
al8 eine außerordentlich treue, der eine aus unmittelbarer An- 
ſchauung herporgegangene ſchwerlich den Rang ablaufen Tönnte; 
und in der That hat Sch. bier dad ganze öffentliche und häus—⸗ 
liche Leben jener alten Zeit in wahrhaft objectiver Haltung vor 
und aufgerollt. 

Ponthieu, Straf von, wird (3.0.8.1, 11) der noch 
ungefrönte Karl VII. genannt. 


Bontifee — Portrait. 223 


Bontifer, lat. ein Priefter bet ben alten Römern; Pontifex 
maximus, der Vorſteher des Priefter- Collegiums; jebt (Ged. 
Deutſche Treue) das Oberhaupt ber katholiſchen Geiftlichkeit, 
der Papft. i 

Pontus (Ged. Hero u. Xeander) wurde bei ben Alten das 
Meer, bei. dad Schwarze Meer genannt, welches indefien auch 
zum Unterjchiede von den andern den Namen Pontus Eurinus 
führte. 

Popanz (Ged. Semele 1 — F. V, 16 — W. 2. II, 3 — 
Zur. UI, 1), ein Schredbild, bei. um Kinder in Furcht zu 
fegen. 

Boreia (F. V, 5), die Tochter des Cato und die Gemahlin 
des Brutus, ein Mufter ehelicher Liebe und heldenmütbiger Be- 
geifterung für ihr Vaterland, Hatte von ihrem Gatten dad Ge: 
heimniß der gegen Cäſar gerichteten Berjchwörung erfahren. 
Sie bewahrte e3 treu, und als fie Die Sache der Republicaner 
verloren ſah, gab fie fich felbft den Tod. 


Hort (Ged. 2. B. d. Aen. 12 — Geb. Hero u. Leander — 
Bft. T. V, 4), von dem lat. portus; 1) der Hafen, wie (W. 
T. 1,0: 

„Bon: fihern Bort laßt fi gemädlich rathen.” 
2) ber Zufludtsort, wie (R. V, 1): „der Port der Ber: 
laflenen*; 3) bildl. ein Ort der Sicherheit, wie (Geb. 
Poeſie d. Lebend): 


„Aus der Erfahrung fiherm Borte.” 


Portieus, Tat. eine Säulenhalle, wie fie an denf&ebäuden 
der Alten fih häufig fand. Solche Hallen dienten auchwoftäzur 
Berbindung zweier Gebäude und gewährten (Ged. Pompeji u. 
Herculanım) fchattige Spaziergänge. 


Portrait (R. II, 2 u. IV, 2), frzf. das Bildniß, bei. das 
Bruſtbild eined Menſchen. Die Bildnifje folder Berbrecher, 


224 Pojadnit — Poſeidon. 


deren man nicht habhaft werden Tonnte, pflegte man (R. I, 1) 
ebemald öffentlich auszuhängen. 


Poſädnik, polniſch (Dem. II), veralteter Ausdruck für 
Richter, Schultheiß. 


Bofaune (Ged. D. Graf v. Haböburg), ein trompeten- 
ähnliches Blafeinjtrument; bildl. „des Gerüchte donnernde 
Pofaune* (D. ©) u. „Pofaunenzungen“ (Meb.), j. Yama; 
biblifch: „legte Poſaune“ (R. II, 3), ſ. v. w. jüngfted Gericht. 
Davon pofaunen, rufen, wie (R. I, 2): „zum jüngften Tag 
pofaunen”; auspofaunen, d. b. weit und breit bekannt 
machen, wie (%. II, 9): „ich pofaune jet deinen Meuchelmord 
aus”; und vorpofaunen (Gftj. 10, 192). 


Hofeidon (Myth.), bei den Römern Neptun, ein Sohn 
dei Saturn und der Rhea, wurde gleich nach der Geburt von 
feinem Bater unter dem Meere verborgen; er tft jomit der Gott 
bes Meeres; daher (Geb. D. Siegeßfelt): 


‚Und Neptun, der um die Kinder 
Seinen Bogengürtel jchlingt." 


Als die drei Sötterbrüder Zeud, Neptun und Pluto ſich gegen 
die Titanen vereinigten, und die Cyclopen aus dem Tartarus 
befreit wurden, empfing Pofeidon den Trident oder Dreizad 
zum Geſchenk, mit dem er dad Meer bewegt und die Erde er: 
beben macht; daher jagt Zeus (Geb. Semele 2): 

„Sebent! und Nord- und Sit- und Wirbelwind 


Belagern den allmächtigen Trident, 
Durdrütteln Poſidaons Throne.” 


Nach Beendigung ded Titanenkampfes ward dem Pojeidon durch 
dad 2008 bie Herrichaft über dad Meer zu Theil; da er fid 
indeß gegen den Bater der Götter auflehnte, fo mußte er zur 
Strafe dem König Laoͤmedon gegen einen gewiffen Lohn die 
Mauern von Troja aufbauen; daher (Ged. D. Eleuſiſche 
Get): 


Pofeiton. 225 


„Auch den Meergott fiebt man eilen; 
Raſch mit des Tridentes Stoß 
Bricht er die granitnen Säulen 

j Aus dem Erdgerippe Io.“ 

Als Laomedon indeß ihm den verfprochenen Lohn verweigerte, 
ſchwur er, Rache zu nehmen; daher (Geb. 2. B. d. Xen. 104): 
„Das ift Neptun, der Troja's Veſte ſchleift 
Und mit dem Dreizad ihre Mauern beuget.” 

Auch an anderen Sterblihen nahm er nicht felten Rache und 
jandte ihnen Seeungeheuer entgegen, um fie zu verderben, wie 
tem Hippolyt (Ph. V, 6). — Andererfeitd erjcheint er aber auch 
als Schupgott derjenigen, die dad Meer befahren, weshalb es 
(Ph. 1, 5) von Theſeus heißt: j 
„Beihügt ihn doch der mächtige Reptnn.” 


Deögleichen ift er der Schuggott mehrerer am Meere gelegenen 
Ortichaften, wo ihm Tempel erbaut und heilige Haine gewidmet 
waren. So wird der Trojaner Labkoon (Ged. 2.3. d. Aen. 7) 
„der Priefter ded Neptun” genannt; und von Ibykus, der 
nad) der Yandenge von Korinth wandert, um bei den iſthmiſchen 
Spielen zu erjcheinen, beißt e8 (Geb. D. Kraniche d. Ibykus): 
„Und in Poſeidond Fichtenhatn 
Zritt er mit frommen Schauber ein.” 

Natürli wurde er bei bejonderen Veranlafjungen auch ange: 
rufen, wie (Ph. IV,2) von Theſeus: 

„Und du, Neptun ...... gebent, 

Wie du mir einft zu meiner Thaten Lohn 

Gelobt, mein erited Wünſchen zu erbören.” 
Dft ftritt Pofeidon um den Befiß der Derter, die er fih zu 
eigen machen wollte, wie 3.3. mit Minerva (vergl. Athene) um 
ben Beſitz Athens. Bei diefer Gelegenheit fchlug er mit feinem 
Dreizad auf die Erde und ließ das Roß entjtehen; daher (Ged, 
D. Spaziergang): 

„Au das kriegriſche Reß führet Poſeidon heran.” 
u. 15 


. 226 Poſſe — Poftille. 


woher auch die Kunft, das Roß zu zügen (Ph. LI, 1u IL, 2 
„Die Kunft Neptund“ genannt wird. Bildl. wird fein Name 
bisweilen für Meer, oder für dad Clement ded Waſſes über: 
haupt gebraucht, wie (Bed. D. unübermindliche Ylotte): 

„Mit majeſtätiſch ftillem Schritte 

Zrägt feine Laft der zitternde Neptun.” 
und (Mech. II, 4): 

„Kann ber gemäflerreihe Meergott felbit 

Mit feinen Fluthen allen dieſes Blut 

Von meiner Hand abwaſchen?“ 

Poſſe, eig. Scherz, Spaß oder (R. I, 2) Albernbeiten, 
dumme Einfälle, die Lachen erregen. Daher nennt die Prin- 
zeffin Eboli (D. €. II, 8) das leidenfchaftliche Benehmen des 
Don Carlos vor dem Muttergotteöbilte ein Poffenfpiel; 
desgl. Franz (R. I, 1) den „Schluß von der Nahbarfchaft der 
Leiber auf die Harmonie der Geifter“ einen poflirlichen; 
und (Berbr. a. v. E.) wird von dem Aufzuge eined Mannes 
gefagt, daß er etwad Poſſirliches habe. 


poſſirlich, ſ. Poſſe. 

Poſt, frzſ. la poste, von dem lat. ponere, ſtellen (in Be⸗ 
ziehung auf das Aufftellen der Pferde); eine öffentliche Anftalt 
zur Beförderung von Briefen und Perfonen; daher: Poſtchaiſe 
(N.a.D.111,2) od. Reiſewagen. Bildl. ſ. v. w. Nachricht od. 
Kunde, wie (Meb. I, 6): „Post auf Poſt“ und .«Ged. 4. 82. 
d. Yen. 3 — Meb. I, 10: „eine große Poſt“, d. h. eine 
wichtige Nachricht. 

Poſten, frzſ. le poste (von dem lat. ponere, Stellen), der 
Stand, die Stelle; 1) der Pla (Bf. T. V 7 — J. v. O. 
III, 6); 2) eine audgeftellte Wade (F. IV, 1u.IV,6 — 
Wſt. T. IV, 10); 3) uneig. Bedienung, Amt (Wit. T. II, 2 
— Sp. d. Sh); 4) im Rechnungdweien eine Geldfumme 
(Pice. 1,29. Davon: poftiren (R. V, 1), aufitellen. 

Poſtille (R. V, 1), mittl. lat. postilla, ein Predigtbuch über 
die Sonn: und Feſttags-Evangelien, von dem lat. post illa 


Potentat — Praktik. 227° 


(verba), nach jenen Worten ded Textes, der der Predigt zu 
Grunde liegt. 

Botentat, von dem lat. pötens, mädtig, 1) ein Madt- 

oder Gewalthaber, wie (Wit. & 11): 

„Wer ander& macht ihn ald feine Soldaten 

Zu dem großmädtigften Botentaten?” 
2) ein Landeöherr oder gefrönte® Haupt (R. I, 2 — D. €. 
II, 2). 

Prag, die Hauptſtadt des Königreichs Böhmen, liegt auf 
beiden Ufern der Moldau, auf dem rechten die Alt: und Neu- 
Stadt, auf dem Iinfen die kleine Seite mit dem Hradſchin 
(Wit. T. I, 5) oder der Burg, aus deren Fenfter am 23. Mai 
1618 die kaiſerlichen Räthe Martinig und Slawata (Pice. IV, 5) 
geftürzt wurden. — „Das heiße Treffen bei Frag” (R. II, 2) 
ift die im Jahre 1757 gelieferte Schlacht, in welcher Schwerin 
jeinen Tod fand und Friedrich d. Gr. fiegte. — „Prager Beute“ 
(Bicc. IV, 5), vergl. Friedrih Ve — Mit den Pragern (Bft. 
L. 7) find, wie aud dem gleich darauf Yolgenden hervorgeht, 
muficirende Bergfnappen gemeint. 


Praktik od. Praxis (R. II, 3), von dem mittl. Int. präctica, 
eig. die Ausübung der Regeln einer Kunft; pl. Praktiken, 
früher häufig für liſtige Streiche od. Ränfe, wie (Wſt. L. 8): 

Vor euren Praftifen und böſen Kniffen.“ 
Davon: Prakticus (R. II, 3), ein etwas ausübender und 
darin erfahrener Mann, wie (Zur. II, 3) „alte Braktici”; 
ferner: praftifch, ausübend, werfthätig, wie (gr. H. a. d. n. 
Geſch.): „dad praftiiche Leben” und fcherzhaft (R. II, 3) „prak⸗ 
tifched Judicium“, d. h. fichered Urtheil, wie eine Sache auszu— 
führen ift; und in der Philojophie im Gegenſatz zu dem Theo: 
retifchen: folche Fälle, in benen die Vernunft ald Geſetzgeberin 
der Willenskraft erjcheint, wie (Ged. D. Philofophen): „der 
praktiſche Satz“; desgl. prafticiren, ausüben, Gefchäfte trei- 
ben, bei. auf heimliche Wetje, wie (&. III, 4: „Zweitaufend 
15 * 


228 Prälit — Prätendent. 


Mann find glüdlicy hereinprafticirt“; daher in der Spitzbuben⸗ 
Iprache (R. II, 3) „weg prafticiren“, (R. I, 2) „dad Handwerk 
ind Große prakticiren“ und (R. IV, 5): 
„Mercuriud ift unjer Dann, 
Der'd Prakticiren trefflih kann.” 
endlih: prafticabel, gangbar, zu bereilen, wie (Wſt. L. 4): 
„Die Wege find no nit praßticabel” 
Prälat (Gftf. 10, 214), von dem lat. praelatus, vorgezogen; 
ein vornehmer Geiltlicher; davon (R. LI, 3): Prälatenbaud. 
Branger, von bem niederf. pranga, Stod, Pfahl, bei. 
(R. J, 3 — K. u. L. II, 6) Schandpfahl; daher bildl. (W. T. 
u er „Wir ftehen bier am Branger vor dem Hut.” 
desgl. (Ged. D. berühmte Frau): 
— — — — — — „Sie muß 
Zum GEhrentempel oder Branger gehn.“ 
prafentiren, von dem frz. presenter, vorzeigen, vorftellen, 
wie (Pice. I, 2): „Buttlern und Iſolani präfentirend”; ferner 
da8 Gewehr aufrecht binhalten, wie (%. IV, 6): „Schildwaden 
präjentiren.s Davon: Präfentation, dad Vorſchlagsrecht bei 
Belegung von Stellen, wie (Par. I, 2): „Er bat die Präfenta- 
tion; wen er dazu empfiehlt, der iſt's.“ 
prafidiren, lat. praesidere, vorfigen, ben Vorſitz führen, 
wie (Par. I, 6): „Sie müflen wiflen, daß ich bei dem Putz 
präfidire.” — Davon: Präfident (8. u. 8. I, 5), der Bor 
fitende od. Vorſteher eined Collegiumsd; deshalb nennt Buttler 
(Picc. I, 2) den kaiſerlichen Kriegärath v. Queftenberg: „Herr 
Bräfident! ” 
Praſſer (D. ©. II, 8), Zemand, der ein ausſchweifendes 
Leben führt. 
Prätendent, von dem lat. praetendere, eig. vorfpannen, 
vorhalten; dann fordern, auf etwas Anſpruch machen; bei. (%. 
PVerz.:Derz. — Wrb. I) ein Kronbewerber. 





Prätor — Prieſter. 229 


Prätor (Geb. Pompeji u. Herenlanum), der Oberrichter, 
nächſt den Conſuln die oberfte Magiftratsperfon in dem alten 
Rom. 


PBräventre, lat. praevenire, zuvorfommen, Jemandes Ab- 
ficht vereiteln; daher fagt Schwarz (R. V, 1) von Franz, der 
ſich ſelbſt erdrofjelt: „Cr hat das Pränenire gefpielt.“ 

Praxis, |. Praktik. 

Prediger, im weiteſten Sinne Jemand, der die Wahrheiten 
der Religion öffentlich vorträgt; fo wird Chriſtus (M. ©t. I, 6) 
mit Bezugnahme auf feine Bergpredigt (Matth. Cap. 5—7) 
„der erhabene Prediger des Berges”, und Zohannes der Täufer 
(ſ. d.), zu dem nach Luc. 3, 14 die Kriegsknechte kamen, (Wit. 
L. 8) der „Prediger in der Wüften“ genannt. 


Preſſer, von dem fra]. presser, eig. zufammendrüden, dann 
auch drängen, treiben; daher (R. IV, 3) ſ. v. w. Dränger und 
Bft. T. L, 7): „die ungeftüme Prefjerin, die Noth.” Davon: 
prefjirt (Picc. IV), nöthigend, dringend. 


Priämus (Geb. 2.3. d. Aen. 25), der Sohn des Laoͤmedon, 
berrichte nach feines Vaters Tode über Troja; daher (Iph. I, 
3w.:d.): „Priamus Land”; (Geb. 2.8. d. Aen.“a): „Priam’s 
Stadt”; (Ged. D. Siegefeft): „Priam’8 Veſte“. Seine Gattin 
(Spb. III, 3w.:9.) ift Hekuba (ſ. d.); fein Sohn (Iph. II, 3) 
ift Paris (ſ. d.). — Mit Trojad Fall ging fen Stamm zu 
Orunde; daher (Ged. Heftor’3 Abſchied): 

Priam'd großer Heldenftamm verdirbt.“ 


Prieſter, von dem lat. presbyter, hießen ſeit den älteſten 
Zeiten die Erhalter und Pfleger der Religion, welche den Gotted- 
dienſt zu verwalten hatten; daher (Geb. D. Eleuſiſche Zeit): 

„Und bad Priefteramt verwaltet 

Gered am Altar des Zeus.“ 
AL Zeichen ihrer Würde waren fte mit einem prächtigen Stirn⸗ 
bande (Bed. Kaffandra), der „Priefterbinde”, geſchmückt; 


230 Brimad — Probe. 


vergleichungdweife nennt daher König Karl (3.0.0. II, N die 
mit einem Kranze geſchmückte Johanna eine Priefterin. — Sn 
der römiſch-katholiſchen Kirche find Priefter (M. St. IL, 2 u 
V, 7) bei. diejenigen Geiftlihen, die das Göttliche in finnlich: 
anfhaulide Symbole und Bilder Fleiden und vor Allem das 
Amt der Meſſe verwalten. 


Primas, von dem lat. primus, der Erfte; der erfte oder 
pornehmfte Erzbiichof eined Reiches, wie (M. St. I, 7): 
„Der fromme Primas von Canterbury.“ 


Der, Primad von Polen (Dem. I) führte auf dem Reichstage zu 
Krakau (f. d.) den Vorſitz und hatte dad Recht, feine Stimme 
zuerft abzugeben (Dem., ©. 248). 


Principal. (Gſtſ. 10, 193), von dem lat. principalis , vor- 
nehm, vorzüglich; die Hauptperjon, wie der Minifter (Bar. I, 1) 
als Vorſteher eined Staat3beamten : Bereind. 


Prior (D. C. UI, 14), lat. prior, der erſtere; der Borfteher 
eined Kloſters. i 


Priſe, von dem fra. prendre, nehmen; Partic. pris, se, 
genoinmen; 1) ein Griff, wie (R. IL, 3): „eine Priſe Tobad”; 
2) Fang, Raub, bei. ein erbeuteted Schiff, wie (Bftf. 10, 168): 
„die Priſe ift verſchwunden“; und bildl. jagt Arabella (F. II, 2) 
von Sulia: „die Perſpectivchen der Stutzer um dieſe fchöne Brife 
zu bringen”. 


privat, lat. privatus, von privare, berauben; bef. vom 
Staatöverbande abjondern; in Zufammenfeßungen: nicht öffent: 
lich, außeramtlich, wie (%. 1,9) „Privatleben, (K. d. H.) „Privat: 
mann”, (Wit. T. 1II,2) „Privatitand”. 


Probe, von dem lat. probäre, prüfen, verſuchen; 1) das 
Prüfen, Unterfuchen; daher (Picc. I, 4), wo Queſtenberg auf 
Mars Worte: 3 
„Der jeltene Mann will ſeltenes Bertrauen." 





Proceß — Profit. 281 


antwortet: „die Proben geben's“, d. 5. Thaten, an denen fich 
feine Zuverläffigfeit prüfen läßt. 2) der Beweis (M. St. J, 7). — 
Davon probiren, verjuchen, wie (R. IV, 3): „eine Komödien: 
tolle probiren” und (Wſt. L. 1), wo der Bauer von ben Würfeln 
fagt: „Die will ich einmal probiren.“ 


Proceß, von dem lat. procedäre, fortgehen, von Statten 
geben, verfahren; 1) ein Vorgang, wie (R. I, 1) „viehiicher 
Prozeß“; 2) Verfahren, wie (Pice II, 7) „kurzen Prozeß 
machen”; 3) eine Rechts- oder Streitfadhe, wie (R. II, 3) 
„einen Prozeß durchſetzen“ und (M. St.1,2) „Iſt mein Prozeß 
entſchieden?“ — In dem lepteren Sinne au bildlich, wie 
(%. I, 5) „der Prozeß der Natur mit den Künftlern” und (%. 
V, 16) „bu haft den Himmel genedt, und den Prozeß wird das 
Weltgericht führen“; „peinlich proceſſirt“ (R. III, 2), ſ. v. w. 
peinlich verhört. 

Procurator, von dem lat. procuräre, beforgen, verwalten; 
1) ein Anwalt (Gſtſ. 10, 155); 2) ein Gefhäftsträger ob. 
Abgeordneter (%. I, 5). — Davon Procuratie (Gftf. 10,210), 
ein erichtögebäude in Venedig. 


profan, lat. profanus, eig. vor dem Tempel ftehend, d. i. 

ungeweiht; daher (Ged. D. Geniuß): 
„Da war fein Profuner, fein Cingeweibter zu ſehen.“ 

Sn weiterer Bebeutung: in bie Geheimniffe einer Kunft nicht 
eingeweiht; daher (Oftſ. 10, 190 u. 203) „profane Augen“, 
(Sit. 190) „Profanation“, (Gſtſ. 142) „profaniren”, d. 5. 
Geheimniſſe preiögeben. 

Profeſſion, von dem lat. profiteri, fih zu etwas befennen, 


für etwas ausgeben; (8. u. L. I, 1), der Beruf, das Gewerbe; 
auch bildl. wie (N. a. O. J, 6) „ein Raufer von Profeilton“. 
Profit, fraj. der Nutzen, Gewinn, wie (%. I, 1) „Profit 


machen“, d. h. Vortheil haben, od. (F. V,3) „Ein Gang Profit”, 
d. h. zu erfparen. 


232 Profog — Prolög. 


Profoß, von dem frzſ. prevöt, ein Vorgeſetzter, bei. (Wfl. 
L. 10) der Stodmeifter od. Regimentöfcharfrichter. 


Brojeet, von dem lat. projicere, eig. vorwerfen, danı auch 
entwerfen; 1) ein Abriß, wie (%. IV, 14) bildl. „Yürften, dieſe 
mißrathenen PBrojecte der wollenden und nit Tönnenden 
Natur, figen fo gern zwiſchen Menſchheit und Gottheit nieder”; 
2) Plan, Entwurf, wie (%. Vorr.) „dad unglüdlide Project 
des Fiesco“ u. (Par. I, 2): „er trägt fih mit feinen Heinen 
Projecten.“ — Davon Projectenmader (R. I, 2), einer der 
mit Entwürfen umgeht. 


Prokop. Nach der Berbrennung Huß's entbrannte durch 
die Wuth feiner Anhänger der fürchterliche Huffitenkrieg (1419 
bi8 1434), in welchem zuerft Sohann Ziska an der Spike einer 
Partei ftand, die fich nad) einem Berge und einer auf Demjelben 
erbauten Stadt, Namens Tabor, Taboriten nannte. Nach 
jeinem Tode waren Prokop d. Gr. und Prokop der Kleine die 
Anführer der Hufliten; daher (Picc. IV, 5) die Worte bes 
Kellermeifterd: 


„Drum waren meine Ahnherrn TZaboriten 
Und dienten unter dem Prokop und Ziska.“ 


Drofrüftes (Myth.), ein Sohn bes Neptun, führte feinen 
Namen, weldyer jo viel ald der Ausbehner oder Folterer bedeu: 
tet, weil er Zeden, der ihm in die Hände fiel, in ein Bett legte, 
welches für ihn nicht paßte. War der Unglüdliche zu kurz für 
das Bett, fo hängte er ihm eiferne Gewichte an die Füße, bis 
er binlänglich ausgereckt war; war er dagegen zu lang, jo hieb 
er fo viel von den Beinen ab, ald die Länge des Bettes erfor- 
derte. Als Theſeus (Ph. I, 1) bei ihm einfehrte, verfuhr dieſer 
mit ihm in gleicher Weiſe und befreite Die Welt von dem Un- 
menjchen. 


Proldg, von dem gr. pro, vor und lögos, dad Wort; eig. 
die Borrede. 1) (Wſt.) eine vor der Aufführung eined Schaufpield 


Pro memoria — Prophet. 233 


gefprocdene Anrede an dad Publicum; 2) (3. v. DO.) ein dem 
Stüde ald Einleitung dienended Vorfpiel. 


Pro memoria od. Promemörta, lat. eig. zum Andenfen, 
alfo eine Erinnerungsfchrift; gem. (MWft. 2. 11) eine Eingabe, 
Borftelung an eine Behörde. 


Promeſſe, frz. die Verſprechung; „die Promeflen ihrer Ge⸗ 
ſtalt“ (8. u. L. IV, 7), ſ. v. w. vortheilhafte Zuficherungen, auf 
die man fich etwas einbilden Tann. 

Prométheus (Myth.), aus dem Geſchlechte der Titanen, 
ein Freund und Gefährte der Götter, von hoher Weidhelt und 
vielem Kunftfinn. Er bildete zuerft den Menſchen aus Lehm 
und Wafler; daher (Geb. Semele): 

— — — — — — „Liebereiz 

Mag auch Prometheus und Deukalion (ſ. d.) 

Verliehen haben.“ 
Später entwandte er dad Feuer vom Himmel. Zur Strafe für 
biefen Raub ward er von Bulcan an eine Säule gejchmiedet, 
wo ihm ein Adler unabläjjig die jich ſtets wieder erneuernde 
Leber zerfraß. Er erjcheint daher ald Sinnbild des göttlichen 
Feuers der Begeifterung, wie (R. I, 2): „Der lohe Lichtfunke 
Promethend iſt ausgebrannt.” Vergl. „Der lohe Aetherſtrahl 
Genie” (ſ. d.). 

Prophet, von, dem gr. prophänai, vorherſagen od. (R. IV, 5) 
„propbezeihen”; ein Seher od. Weisfager, wie die Religions: 
lehrer des jüdiſchen Volles. In diefem Stimme heißt ed (J. v. 
O. I, 9) von der Sungfrau: 

„Ste nennt ſich eine Seherin und gott- 

Geſendete Prophetin.“ 
Auch die Königin Iſabeau wagt ed (J. v. O. II, 2) nach dieſer 
Höhe zu ftreben. — Davon prophetifch, d. i. ahnungsvoll od. 
weidfagend, wie (3. v. D. I, 4): „der prophetiihe Geift“ einer 
Nonne, und (Mech. I, 5): bad „prophetifche Grüßen” ber 
Heren. 


234 Proſa — proftituiren. 


Proſa, gew. die ungebundene Schreibart im Gegenſatz zur 
gebundenen od. der Poefie; daher (Ged. Seremiade): „in Proja 
und Berjen.” — Davon: Profdiler (Ged. D. Flüffe), ein 
Schriftfteller, der fi der ungebundenen Schreibweife bedient. 


Proſcenium (Picc. IV, 6 — 9.8.8. — Dem. D, wörfl. 
die Vorbühne, d. h. der Vorplatz der Schaubühne. 


Proſelitenmacher, An die (Ged.), ein Epigramm, welches 
1.3. 1795 in der Yorm eines ſechszeiligen jambifchen Gedichts 
erihten und fpäter zu dem jetzigen Doppelbiftihon umgeftaltet 
wurde. — „Der göttliche Dann“ ift Archimedes (f. d.), welcher, 
als er die Geſetze des Hebeld aufgefunden, den Ausſpruch that: 
„Gebet mir einen fejten Punkt in dem Weltraum, und ich hebe 
die Erde aus ihren Angeln.” So wenig die erfte Bedingung 
möglich iſt, eben jo wenig Tann ein Menich, welcher gewohnt 
ift, jelbft zu denken, feine Individualität aufgeben, um ſich einer 
fremden Anſchauungsweiſe anzubequenen, die ihn aus jeiner 
Bahn jchleudern würde. 


Proſerpina, ſ. Perjephone. 

profit, lat. es nütze od. wohl bekomm's, wie (Picc. IV, 6): 
„proſit Mahlzeit!“ oder abgek. proſt (Wſt. L. 11). 

Proſpeet, von dem lat. prospicere, hinblicken; 1) Anblick 
od. Anjiht, wie (%. II, 2): „Profpeet über dad Meer und 
Genua”, desgl. (Mech. V, ): „Profpect, ein Wald“. 2) Fern— 
ſicht, wie (J. v. O. II, 6): „der Proſpect öffnet ſich“, d. h. die 
hintere Decoration wird fortgezogen; und (W. T. II, 2): „den 
Profpect Ichließen hohe Berge”. 

proft, ſ. profit. 

proftituiren, lat. prostituere, öffentlich preisgeben, be: 
ſchimpfen, wie (Zur. IL, D: 

„Auf die Gefahr bin, fich zu projtituiren.” 

Davon: Proftitution (R. 1, 2), beihimpfende Bloßſtellung. 


| 


Proteſilas — Pſeudo. 235 


Proteſilaͤs (Iph. I, Zw.⸗H.), unverkürzt Proteſiläus, ein 
theſſaliſcher Heerführer, der bei der Landung der Griechen vor 
Troja zuerft an's Land ſprang, aber gleich darauf von einem 
dardaniſchen Krieger getödtet wurde. 


Broteftant, von dem lat. protestäri, eig. bezeugen, öffent: 
ih erflären; urſpr. die Benennung der Rutheraner, welche 1529 
auf dem Reichstage zu Speier gegen die Beichlüffe der Katho- 
lifen feierliche Verwahrung einlegten; feit dem wejtphälifchen 
Frieden (1648) zugleich Die Benennung für die Neformirten 
©. C. II, 10 — Wſt. T. I, 5 u. IV, 3 — M. St. J, D. 


Provence (J. v. O. J, 2 u. I, 4), urſpr. eine Grafſchaft 
zwiſchen den Weſtalpen und dem Rhone, ſpäter eine franz. 
Provinz, deren Bevölkerung, die Provençalen (Mlth.), eine 
eigenthümliche Mundart und eine befondere Literatur bat. 


Provinz, lat. provincia; bei den Römern ein eroberte oder 
ererbte8 Gebiet, jebt (NR. II, 3 — Berbr. a.v. E.) Landichaft, 
Gau. 


Prunk, von prangen, d.i. glänzen; ſ. v. w. Pracht, wie 
(Picc. I, 9: „königlicher Prunk“; (M. St. I, 1): eined „Titels 
leerer Prunk“ und (Meb. II, 5): „Königs Prunkgemach.“ 


Prytaͤnen (Ged. D. Kraniche d. Ibykus) nannte man im 
alten Athen einen Ausfhug von 50 Männern aus dem Rathe 
der Fünfhundert. Sie hatten den Borfig im Rathe und in der 
Bollverfammlung. Eben jo hießen die höchſten obrigfeitlichen 
Perjonen in mehreren anderen griechifchen Yreiftaaten. 


Pſalter, urjpr. ein fehr altes, einer Harfe ähnliches Saiten- 
inftrument; ferner das bibliſche Buch der Pfalmen; endlich 
(Dem. I) ein Buch mit geiftlichen Gefängen. 

Pſeudo, von dem gr. pseudos, Füge, Erdichtung; in Zu: 
fammenfegungen wie Pfeudo:-Spiegelberg (R. II, 3), ber 
unechte, faljche Spiegelberg. 


234 Proſa — projtituiren. 


Proſa, gew. die ungebunbene Schreibart im Gegenſatz zur 
gebundenen od. der Poefte; daher (Bed. Jeremiade): „in Proja 
und Berfen.” — Davon: PBrofdifer (Ged. D. Flüffe), ein 
Schriftfteller, der fi) der ungebundenen Schreibweiſe bedient. 


Brofcenium (Rice. IV, 6 — 9.2.8. — Dem. D, wörtl. 
die Vorbühne, d. h. der Vorplatz der Schaubühne. 


Proſelitenmacher, An die (Ged.), ein Epigramm, welches 
i. J. 1795 in der Form eines fechäzeiligen jambijchen Gedichts 
erfchten und fpäter zu dem jebigen Doppelbiftihon umgeftaltet 
wurde. — „Der göttlihe Mann” ift Archimedes (ſ. d.), welcher, 
als er die Geſetze des Hebeld aufgefunden, den Ausſpruch that: 
„Sebet mir einen fejten Punkt in dem Weltraum, und ich bebe 
die Erde aud ihren Angeln.” So wenig die erfte Bedingung 
möglich ift, eben jo wenig kann ein Menſch, welcher gewohnt 
ift, jelbit zu denfen, feine Individualität aufgeben, um fich einer 
fremden Anfchauungsmeife anzubequemen, die ihn aud feiner 
Bahn Ichleudern würde. 


Proſerpina, |. Perſephone. 


proſit, lat. es nütze od. wohl bekomm's, wie (Picc. IV, 6): 
„proſit Mahlzeit!” oder abgek. proft (Wit. L. 11). 


Brofpect, von dem Iat. prospicere, hinbliden; 1) Anblid 
od. Anficht, wie (F. III, 2): „Profpeet über das Meer und 
Genua“, dedgl. (Meb. V, 2): „Profpect, ein Wald“. 2) Yern: 
fit, wie (3.0. O. II, 6): „der Profpect öffnet ih”, d. h. Die 
hintere Decoration wird fortgezogen; und (W. T. I, 2): „den 
Proſpect ſchließen hohe Berge”. 

proft, ſ. profit. 

proftituiren, lat. prostituere, öffentlich preiögeben, be- 
ſchimpfen, wie (Zur. II, D: 

„Auf die Gefahr Hin, fich zu projtituiren.‘ 
Davon: Proftitution (R. I, 2), beſchimpfende Bloßftellung. 


Proteſilas — Pſeudo. 235 


Proteſilas (Iph. I, Zw.-H.), unverkürzt Proteſilaͤus, ein 
theflalifcher Heerführer, der bei der Landung der Griechen vor 
Troja zuerft an’d Land fprang, aber gleich darauf von einem 
dardaniſchen Krieger getödtet wurde. 


Proteſtant, von dem lat. protestäri, eig. bezeugen, öffent- 
lich erflären; urjpr. die Benennung der Rutheraner, welche 1529 
auf dem Neichötage zu Speier gegen die Beichlüffe der Katho— 
Iifen feierliche Verwahrung einlegten; feit dem weſtphäliſchen 
Frieden (1648) zugleih die Benennung für die Reformirten 
(©. C. II, 10 — Wſt. T. I, 5 u W,3 — M. St.J, 7). 


Brovence (J. v. O. I, 2 u. I, 4), urſpr. eine Grafſchaft 
zwiſchen den Weſtalpen und dem Rhone, ſpäter eine franz. 
Provinz, deren Bevölkerung, die Provengalen (MIth.), eine 
eigentbümliche Mundart und eine bejondere Literatur bat. 


Provinz, lat. provincta; bei ben Römern ein eroberted oder 
ererbte8 Gebiet, jept (R. II, 3 — Berbr. a.v. E.) Landſchaft, 
Sau. 


Prunk, von prangen, d. t. glänzen; ſ. v. w. Pracht, wie 
(Picc. I, 2: „Löniglicher Prunk“; (M. St. I, 1): eined „Titels 
leerer Prunk“ und (Meb. II, 5): „Könige Prunktgemach.“ 


Prytaͤnen (Bed. D. Kraniche d. Ibykus) nannte man im 
alten Athen einen Ausſchuß von 50 Männern aud dem Rathe 
der Fünfhundert. Site hatten den Vorſitz im Rathe und in der 
Volksverſammlung. Eben fo hießen die höchften obrigfeitlichen 
Perſonen in mehreren anderen griechifchen Yreiftaaten. 


alter, uripr. ein jehr altes, einer Harfe ähnliches Satten- 
instrument; ferner das bibliide Buch der Pſalmen; endlich 
(Dem. I) ein Buch mit geiftlihen Gejängen. 


Pſeudo, von dem gr. pseudos, Lüge, Erdichtung; in Zu: 
fammenfeßungen wie Pjeudo:-Spiegelberg (R. II, 3), ber 
unechte, falſche Spiegelberg. 


236 Publicum — Punſchlied. 


Publitum, von dem lat. publieus, öffentli ; 1) das Volk, 
die Leute, wie (ed. D. berühmte Yrau — Berbr. a. v. E.): 
„daB lefende Publicum”; 2) (Br.v. M. Einl. 5, 375 — Dem. ]): 
die verfammelten Zufchauer. 


Bufendorf (Ged. D. Philoſophen). Samuel B., geb. 1632, 
Geſchichtsforſcher und Lehrer des Naturrechts, erft in Heidelberg, 
dann zu Lund in Schweden, endli in Berlin, wo er 1694 in 
großem Anſehen jtarb. 

Buff (gr. H. a. d. n. Geſch.), vermuthlich eine komiſche Figur 
in irgend einem Luſtſpiele des vorigen Jahrhunderts. 

Puls, lat. pulsus, von pellere, ftoßen, ſchlagen; 1) ein 
Aderihlag, wie (%. I, 1): „ein fleiner audjegender Puld der 
Empfindung“ u. (8. u. 8. IV, 7): „der erite Puls der Leiden: 
ſchaft“; 2) eine ganz kurze Zeitdauer, wie (D. C. III, 2): 

„D eined Buljed Dauer nur 
Altwiffenbeit!* 
und (W. T. IV, 2): 
„Kennt er nicht wen'ge Bulfe länger leben?” 
3) die erhaltende und bewegende Kraft, wie (R. I, 1) 
bildl. „gemeinjchaftliche Pacta, die man gefchloffen hat, Die Pulfe 
des Weltcirfeld zu treiben.” 

Pult, bisw. auch Pulpet, von dem lat. pulpitum, ein 

Geſtell (%. III, 6) mit ſchräg liegender Platte zum Schreiben. 


Puner od. beifer Punier find zunächft die alten Phönicier, 
dann aber auch (Ged. 4. B. d. Aen. 18) die Karthager, da 
Karthago eine Phöniciſche Eolonie war. — Die Punifche Treue 
hatte im Alterthum einen üblen Ruf, fo daß fte ironiſch zum 
Sprüchwort geworden war. 


Punſchlied. Ein Gedicht auß dem Jahre 1803, ba8 für 
Goethe's Mittwochskraͤnzchen beitimmt war. Es iſt in einem 
munteren daktyliſchen Versmaß gedichtet und ungeachtet ber 
Schwierigkeit, welche die kurzen Verszeilen darbieten, trefflich 





Puppe — PBurpur. 237 


gelungen und von kräftiger Wirkung. Durch dad Ganze zieht 
fih ein dreifacher Paralleliömus: vier &lemente bilden bie 
Körperwelt; vier Beitandtheile den Punſch; vier bewegende 
Momente erjcheinen in dem Meenfchenleben. Indeſſen find 
diefe Dinge nur kurz angedeutet, und der raſche Fluß des 
Ganzen läßt dem prüfenden Verftande nicht Zeit, die ſymbo—⸗ 
liſche Durchführung Mritifch zu beleuchten. Dad Ganze darf 
eben nur in einem heiteren Momente genoffen werden. — Ein 
eben jo betitelted Gedicht mit dem Zufage: „Sm Norden zu 
fingen“ war demfelben Zwed gewidmet. Es führt den Gedanken 
durch, daß der Menich ſich durch die Kunſt im Norden etwas 
zu fchaffen vermöge, was die im Süden jo kräftig wirfende 
Natur allerdings fchöner erzeugt. In dem lepteren Gedichte iſt 
ber Gedanke, in dem erfteren die Empfindung vorherrfchend. 


Kuppe, 1) (K. u. 8. V, 4) |. v. w. Spielzeug; 2) (K. u. 
L. V, 1) ſ. v. w. leiblide Hülle. 


Puritaner, von dem lat. purus, rein; eig. Reingläubige. — 
Die Kirhenreformation begann in England unter Heinrich VII. 
im Stillen und fand unter Eduard VI. öffentlihe Theilnahme, 
worauf Elifabethb der engliichen Kirche die jebige Geftalt gab, 
bei der Erzbifchöfe und Biſchöfe die Oberaufficht führen. Die 
erſte Secte, welche ſich von der Landeskirche abjonderte, war Die 
der Buritaner, welde feinen Bifchof anerkennen, fondern eine 
Preöbyterialverfafjung, eine Kirchenregierung durch Aelteſte, wie 
zur Zeit der erften Chrijten, verlangen. Zugleich haben fie aus 
ihrem Gotteödienft jeded Gepränge verbannt, dad an Die katho— 
liihen Gebräuche (vergl. Götzendienſt, der römijche), erinnert; 
daher (M. St. I, 6 u. Bibel) Mortimer’d Worte: 
een „Ih ließ 
Der Buritaner dumpfe Predigiſtuben.“ 
Aurpur, lat. purpura, die Purpurfarbe, die koſtbarſte bach: 
rothe Farbe, welche im Altertyum aus dem Safte ber Burpur: 
Ichnede (Helix janthina oder Buccinium patulum) bereitet 


238 Pygmäen — Pyramide. 


wurde; jebt: 1) eine ſchöne hochrothe Yarbe, wie (3%. v. 


O. 1 10): 

„Und eine weiße Sahne laß mi tragen, 

Mit einen Saum von Purpur eingefaßt.” 
2) ein purpurfarbiged® Gewand, wie (D. EC. I, 9: „in 
einen Rurpur eingenummt.“ — 3) das Sinnbild der fürft- 
lihen Gewalt, wie (R.I,3 — 5. IV, 4 — Red. V, 3) 
und der der Cardinäle (D. €. I, 1). 


Pygmäen, von dem gr. pygme, bie Fauſt; eig. faufthohe 
Menſchen oder (R. IL, 3 — %. III, 2) Zwerge. 


Pygmalion, ein König von Cypern und zugleich ein be- 
rühmter Bildhauer in Elfenbein, hatte einft ein fo wunderjchönes 
Mädchen geformt, daß er in heißer Liebe für fein eigenes Bild: 
werf entbraͤnnte; daher (Geb. D. Ideale): 


„Wie einft mit flehendem Verlangen 
Pygmalion den Stein umſchloß.“ 


Venus wurde dadurd jo gerührt, daß fie die Statue belebte; 
daher (Geb. D. Triumph d. Kiebe): 
„Bfüdfeliger Bygmalion! 
Es ichmilzt, ed glüht dein Marmor fon!” 
Anfpielend hierauf jagt der vor Semele knieende Zeud (Geb. 
Semele 2) von fich jelbit: 
„Bygmalton beugt fi vor feinem Meifterftüde." 


Pyramide (Geb. D. Künftler — Meb. IV, 4), gr. pyrämis, 
eine ägyptiſche Spibfäule; große fteinerne Gebäude mit vier 
ſchräg auffteigenden Seitenflähen, die oben in eine Spipe zu- 
fammenftoßen. Sie follen neben anderen Zweden zur Erhaltung 
und Weberlieferung geſchichtlicher Nachrichten und Kenntnifle ge- 
dient haben; daher (Gſtſ. 10, 162) „jeine verborgene Weisheit“ 
dort holen. Dergleihen Bauwerke haben fich aus ben Älteften 
Zeiten bis auf die Gegenwart erhalten; daher (F. TI, 13) bildl. 
„Du haft ein Gebäude eingerifjen zc. das Mauſoleum (ſ. d.) 
deined Oheims — feine einzige Pyramide.“ 


nd 


Tyrmont — Duadrant. 239 


Pyrmont (Ged. D. berühinte Yrau) im Fürftenthum 
Walde, ein befannter Badeort an der zur Wejer gehenden 
Emmer. 

Byrenden, dad Gebirge, welches Spanien von Frankreich 
trennt; daher (D. @. IV, 9) die Worte der Königin: 


— — — — „ſo muß id jenjeits 
Der Pyrenäen Bürgen kommen laffen.” 


Pyrrha, ſ. Deukalion. 
Pyrrhus, 1) (Ged. 2. B. d. Aen.) ſ. Neoptolemus. — 
2) Pyrrhus, König von Epirus, war von den Tarentinern 
gegen die Römer zu Hülfe gerufen worden und fchlug bie leg: 
teren durch griechiiche Kriegöfunft und Die Benußung feiner 
Elephanten 280 v. Chr. bei Heraclea und 279 bei Adculum. 
Mit Beziehung hierauf Heißt es (Wit. T. I, 5) von Wallen: 
ftein: 
— — — — „Quer Gnaden find 
Bekannt für einen großen Kriegesfüriten, 
gür einen zweiten Attila und Pyrrhus.“ 
Pythia (Geb. Semele 1), die Priejterin des Apollo, welche 
zu Delphi die Orakelſprüche ertbeilte; vergl. Apollon. 


Pythiſcher Gott 
Pythiſcher Sieger | ſ. Apollon. 


D. 


Quader (%. V, 5), lat. quadra, ein vieredig zugehauener 
Gtein; bildl. (F. III, 4) eine große, fehwer zu bewegende Laft, 
nämlich die der VBerfchwörung. 

Duadrant (Wit. T. I, 1), ein Snftrument von der Ge— 
ftalt eines Kreißvierteld, dad an feinem Umfange in Grade ein- 
getheilt ift und von den Aftronomen zu Höhenmefjungen ge: 
braucht wird, 





240 Duartier — Race. 


Quartier, frzſ. quartier, eig. das Biertel eined Ganzen, 
bei. (Sftj. 10, 246) Stadtviertel. „Ind Gepäd fallen, bie 
Duartiere auffchlagen“ (Picc. IV, 6) waren ehemals gewöhn: 
liche Ausdrüde für unerwartete Angriffe auf feinblihe Lager: 
pläge und Garnijonen. 

Duelle aud dem Felſen, |. Moſes. 

Duelle der Verjüngung (Ged.), ein Epigramm aus dem 
Sabre 1796. Daß die Dichtkunft, befonderd die naive, den 
Menfchen „zu feiner Unfchuld reinem Glück zurüdführe” fagt . 
der Dichter in der Macht des Gefanges. 

&t. Duentin (D. ©. II, 4 u. III, 5), Stadt an der Somme 
im nördl. Frankreich, wo die von Egmont geführten Spanier 
und Niederländer am 8. Auguft 1557 einen glänzenden Gieg 
über die Yranzofen errangen. 

Duiroga (Picc. IV, 5), ein Kapuziner, der zu verſchiedenen 
Aufträgen und Unterhandlungen (vergl. a. Picc. I, 2, B. 92) 
von Seiten der Hofpartei in das Wallenfteiniche Lager abgefen: 
det wurde. | 

quitt (F. IL, 14 — Wfl. T.IV,7 — Mech. V, 19), engl. 
quit, aber urfpr. deutſch, ſ. v. w. frei, los, ohne weitere Berbind- 
lichkeit. 


Habe nennt der alte Moor (R. IV, 5) den Hermann mit 
Beziehung auf 1. Kön. 17, 4—6, wo der Prophet Elia von 
Naben gefpeift wird. Mit Beziehung auf ihre ſchwarze Klei- 
dung werden (W. T. IV, 3) die barmberzigen Brüder (f. d.) 
Raben genannt. 

Race, frzi. |.v.w. Stamm, Art; z. B. bei Pferden (Ged. 
Pegafus im Joche) od. Hunden (Mech. II, 4); auh Schlag, wie 
(Wit. 2), wo ed fpöttiicher Weije von einem Menſchen beißt: 


„Ihr ſeid wohl von einer bejonderen Raffe?” 


Rachegötter — Raſſe. 241 


Rachegötter, ſ. Dämon. 

Rachegoͤttin, ſ. Erinnyen. 

Racine, Jean (Ph.), geb. 1639 in der Nähe von Parts, 
einer ber größten Zirauerfpieldichter der Franzofen, + 1699; 
ſ. Phäpdra. 

Rab der Zeit  ; 

Hader der Sonne ) 

Radſtoß (%. IV, 14), |. v. w. Todesſtoß. 

taffiniren, von dem fraf. raffiner, eig. läutern, reinigen; 
auf etwas raffiniren (R.L,2 — %. 1,12 u. V, 16), etwas liſtig 
und fein ausfinnen. 

Rakete (5. IL, 5), von dem ital. (aud dem Tat. radius, 
Strahl ftammenden) raggetto, ein Feuerwerkskörper, der in 
einer mit Pulver gefüllten Papierhülfe befteht und mit langem, 
feurigem Schweife emporfteigt. Vergl. Octavius. 

Ramler (Ged. D. Flüſſe), geb. 1725, + 1798, bekannt als 
lyriſcher Dichter, Ueberſetzer und Kritiker, trat in einer an Dich: 
terwerfen wenig ergiebigen Zeit ald Ddendichter auf; indefien 
verrathen die Erzeugniffe feiner Muſe mehr hohles Pathos als 
geniale Kraft. 

Hang (D.& 1,6), von dem frzſ. le rang, die Reihe; auch 
Ordnung od. Platz, wie (F. 1,9: „Rangordnung”; endlich ge- 
jellichaftlihe Stellung (D. ©. II, 8). 

tappeln, von dem lat. raptus, eig. der Raub, dann auch 
Irrſinn, Anfall von Raferei; in der gem. Mundart (Zur. IV, 5) 
im Irrſinn reden. 

Aappersweil (W. T. II, 2), gew. Rapperſchwyl, ein gewerb⸗ 
fleißiges Städtchen am Züricherſee im Canton St. Gallen. 

Naspelhaus (F. I, 9), ein öffentliches Arbeits- od. Zucht⸗ 
haus. 


Raſſe, ſ. Race. 
II. 16 


ſ. Apollon. 


242 Ratihin — Räuber. 


Kath, zunächit die Ueberlegung, das Ermwägen; dann: eine 
Berfammlung von Perjonen, die eine Sache zu überlegen und 
zu beichließen bat, wie (GEſtſ. 10, 256): „der bobe Rath in 
Venedig“; desgl. der Staatörath, wie (D. ©. III, 7), wo der 
König zu Feria fagt: 

— — — — — — „Und ihr 
Nehmt meine Stelle im geheimen Rathe.* 
od. (M. St. II, 3), wo Clijabeth zu Talbot fagt: 
„Denkt, daß wir bier im ernften Ratbe figen.“ 
und ſcherzhaft (D. C. II, 8): 
„Sie — der im ganzen ftrengen Rath ber Weiber 
Beitochne Richter figen Bat.“ 
Ratſchin od. Hradſchin, |. Prag. 


Raub, eig. bad Raffen; daher 1) eine eilige Hanblung, 
wie (Rh. III, 6), wo Hippolyt von Phädra jagt: 
— — — — — „Bill fie vielleicht, 
Ein Raub jedwedes Äußerften Gefühls, 
Eich felbit anklagen und ſich ſelbſt verderben!“ 
eine Stelle, aus der die Conftruction des Originald heraus: 
blidt: 
„Phedre, toujours en proie & sa fureur extröme, 
Veut-elle s’accuser et 86 perdre elle-m&me?“ 


2) Beute, wie (D. C. I, 9: 
‚Der Oheim wirbt um jeined Neffen Braut 
Und beiligt feinen Raub vor dem Altare.“ 


desgl. (M. St. I, 2), wo Paulet der Marta Stuart, die ihr 
Teftament aufſetzen will, fagt: 

„Die Freiheit habt Ihr. Englands Königin 

BUN ſich mit eurem Raube nicht bereichern.” 

Häuber, Die; ein Schaufpiel. Dies Erſtlingswerk von 
Schiller's dramatifcher Mufe verdanken wir feinem Aufenthalte 
in der Karldacademie. Denn außer der Neigung zu poetifchen 
Productionen, die fich frühzeitig bei ihm regte, gab auch bie - 





Räuber. 243 


Anſtalt ſelbſt Veranlaſſung, den Sinn für theatralifche Dar: 
ftellungen zu weden, indem die Eleven bei feftlichen Gelegen- 
heiten Stüde, wie Moliere8 „Avare*, Mercier’3 „Deserteur“, 
Goethe's „Slavigo“ und dgl. aufführen mußten, wobet der junge 
Sch. ſelbſt ih lebhaft zu betheiligen pflegte: Es war daher 
natürlih, daß er ſich auch als Dichter auf diefem Felde ver: 
juchte und diefen und jenen Plan entwarf, der aber entweder 
wieder verworfen, oder defjen begonnene Ausführung fpäter ver: 
nichtet wurde. 

Mächtiger fühlte er ſich angeregt, ald ihn fein Freund 
Wilhelm von Hoven auf eine Erzählung in Balthafar Haug's 
\hwäbiihem Magazin (Sahrgang 1775) aufmerkfam machte, in 
welchem bereits mehrere feiner Erſtlingsgedichte veröffentlicht 
worden waren. Dieſe Erzählung, betitelt: „Zur Geichichte des 
menjchlichen Herzens“ jollte von Schubart herrühren. Palleöfe 
giebt und (I, ©. 85) den Hauptinhalt derjelben an, 8. Eckardt 
theilt fie und in einem Nachtrag zu feiner Erläuterung ber 
Räuber (Sena, K. Hohhaufen, 1856) vollftändig mit. Der 
Berfafler Ieitet fie mit den Worten ein: „Hier tft ein Ge— 
ſchichtchen, das fich mitten unter und zugetragen hat, und id) 
gebe es einem Genie Preis, eine Comödie oder einen Roman 
daraud zu machen, wann er nur nicht aud Zaghaftigfeit die 
Scene in Spanien oder Griechenland, jondern auf teutjchem 
Boden eröffnet.” Dieſes Genie fand ſich, es war unfer Schiller. 
Diefer ſelbſt freilich jagt, die Geſchichte des „ehrwürdigen“ 
Räubers Rogue in Cervantes’ „Don Quixote“ (Thl. 2, 
Gap. 60) in Verbindung mit einem Ausfpruche Rouffeau’d, der 
ed an Plutarch rühmt, daß er erhabene Verbredier zum Bor: 
wurf feiner Schilderungen wählte, habe ihn auf dad Sujet ge- 
führt. Hoffmeifter erwähnt ald eine „beiläufige, entferntere An- 
regung” die Geſchichte eined Näuberd Friedrih Schwan, der 
damals in Würtemberg eine fchredenerregende Rolle fpielte, und 
deſſen Schickſale Sch. fpäter in feinem „Verbrecher aus ver: 
(orener Ehre” (f. d.) darftellte. Möglich, daß alle dieſe Umftänd: 

16* 


244 Räuber. 


zuſammen gewirkt; aber fo viel fteht feſt, daß Sch. der ſich 
neben feinen wiſſenſchaftlichen Studien auch mit poetiihen Ar: 
beiten beichäftigte, im Sabre 1776 einen Plan zu einem Stücke 
„der verlorene Sohn“ entwarf und dab die oben erwähnte Er: 
zählung, in welcher ein Vater durch feinen von ihm verftoßenen 
Sohn gerettet wird, viele Momente enthält, die mit feinem fpäter 
„die Räuber“ betitelten Stüde auffallend übereinftimmen. 

Die innere Beranlaffung zu unferm Drama lag in bes 
Dichters Lebenöverhältniflen, in dem Charakter der Anftalt, durch 
deren Einrichtung der Herzog Karl den jungen Geiſtern eine 
Iharf bejtimmte Ridytung geben wollte, gegen die fich ihr natür- 
licher Yreiheitäfinn ſträubte“). Schiller jelbft fühlte fi in der 
Akademie wie ein Gefangener, und es war natürlich, daß feine 
nach Freiheit fchmachtende Seele ihrem Unwillen über bie ihm 
angelegten unwürdigen Yelleln in jeinem Drama einen leiden- 
ſchaftlichen Ausdrud gab. Scharffenftein fagt: „die Räuber 
jchrieb er zuverläffig weniger um des Titerartfchen Ruhmes willen, 
als um ein ftarfed, freied, gegen die Gonventionen anfämpfen: 
des Gefühl zu befennen”; und er hatte Recht, denn Sch. jelbft 
äußerte gegen ihn: „Wir wollen ein Bud machen, das aber 
durch den Schinder abjolut verbrannt werden muß.” Es mochte 


*) Die hiſtoriſche Gerechtigkeit verlangt, daß wir auf die neueren Forſchungen 
(Wagner, Geichichte der Hohen Karlsjchule) verweilen, nach benen ber Herzog mit 
feiner Afabemie in der That höhere Zwede verfolgte unb den entiprechend der- 
felben auch ein aufrichtiges Intereffe widmete. Wenn wir viele der für dieſelbe 
getroffenen Beſtimmungen aus bem Geifte eines freieren Jahrhunderts heraus für 
engherzig nad) wie vor erflären müflen, fo müfſen wir doch auch eingeftehen, daß 
fie dem Sinne des 18. Jahrh. nicht fo fehr zuwider waren. Auch perfönlich war 
der Herzog nicht ohne Wohlwollen für Sch. ine folhe Bemerkung jcheint uns 
um fo nothwendiger, als die ältere Unficht durch Die Darftellung des wirkungtk⸗ 
vollen Stückes von H. Laube „die Karlsihüler" immer wieder aufgefriſcht wird. 
Wenn aber Einer fomweit ginge, um Sch. ald einen unnügen Querulanten unb 
Empörer barzuitellen, fo würden wir einem joldhen Urtheil nicht beiſtimmen 
koͤnnen. Kinerfeitd Dutte der Herzog jeine Akademie nicht fir Zöglinge wie Sc. 
berechnen können; andrerſeits, man möge wollen oder nit, wird man in allen 
Regeln dem Genius Plag für eine Ausnahme lafſen müffen. 


Räuber.. 245 


ihm dabei das Schickſal von Rouſſeau's Emil vorſchweben, den 
die Sorbonne 1762 von Henkers Hand hatte verbrennen Iaffen. 
Bon dem Jahre 1777 an arbeitete Sch. an feinen Räubern 
täglih einige Stunden, aber mit mancherlei Unterbrechungen 
und unter jieter Angft, entdedt zu werden. In Zeiten, wo ihm 
fein Stüd beſonders am Herzen lag, nahm er beöhalb zur Lift 
jeine Zuflucht, ftellte ſich krank und arbeitete nun bei der Nacht: 
lampe, umgeben von medicinifhen Werfen, mit Denen er die 
Iofen Blätter ſchnell verdeden konnte, wenn ihn ein unerwarteter 
Beſuch überrafhte. Waren dann einige Scenen ald Ausbeute 
ſolches Opfers gewonnen worten, dann pflegte er fie den we- 
nigen Freunden, die um jein Geheimniß wußten, in pathetifcher 
Weiſe vorzutragen, wobei er denn gelegentlich von dem ftrengen 
Aufſeher Nieß ertappt wurde, ber freilih nur die Fluchworte 
vernahm, welche Franz (V, 1) dem Paftor Moſer gegenüber aus: 
ſtößt, ohne zu ahnen, um was es fich eigentlich handelte. Das 
originelle Wort „ein configcirter (f. d.) Kerl”, dem wir in Sch.’3 
Zugenbdramen einige Male begegnen, war dann der Ausdruck 
pöttifcher Abwehr, der freilich immer erft erfcholl, wenn die 
Thür ſich wieder gejchlofien hatte. Mit dem Ende bed Jahres 
1777 ſcheint Sch. die Arbeit übrigend ganz bei Seite gelegt und 
fie erft 1780 wieder vorgenommen zu haben, denn aus einem 
feiner Briefe an Körner geht hervor, daß er „während feines 
akademiſchen Lebens yplöglich eine Pauſe in feiner Poeterei ge: 
macht und zwei Sabre lang fi ausſchließlich der Medicin ge- 
widmet habe, worauf fein erjted Product die Räuber” geweſen 
jeten. Als er diejelben im Sahre 1780 nach vielfachen Abän- 
derungen vollendet, verließ er die Afademie und gab ihnen nun 
mehr die legte Seile, wobei Peterſen, fein „poetiſcher Gewiſſens⸗ 
rath“, das Stüd beurteilen und diefer und jener Andere feiner 
Freunde der Borlefung einzelner Scenen beimohnen mußte. Der 
jugendliche Dichter wollte Hierdurch erforjchen, welchen Eindrud 
feine Arbeit machte, hörte auch den etwa ausgeſprochenen Tabel ruhig 
mit an, nahm indefjen niemals weitere Rüdficht auf denſelben. 


246 | Räuber. 


Natürlich konnte auf diefe Weile fein Werk aus einem Guſſe 
entftehben. inzelne Scenen und Monologe hatte er ijolirt ge- 
arbeitet, noch ehe der Plan ded Ganzen völlig durchdacht war; 
Vieles wurde geändert, Anderes eingefügt, noch Andere wieder 
audgefchieden, bis unter Furcht und Angſt die ganze koloſſale 
Arbeit vollendet war, der man die Erampfhafte Anftrengung an: 
merkt, unter welcher fie der jugendliche dichterifche Gentud zur 
Melt geboren; der man es abfühlt, dag Sch., wie Peterſen be- 
richtet, „eine Gedanken unter Stampfen, Braufen und Schnauben“ 
zu Papier zu bringen pflegte. Des Dichters nächfter Wunſch 
war nun, fein Werf gedrudt zu fehen, weshalb er fi, da er 
in Stuttgart feinen Verleger hatte finden können, an jeinen 
Freund Beterfen nad Manheim wandte. Vermehrung feiner 
Subfiftenzmittel, dad Verlangen da8 Urtheil des Publitumd über 
feine Arbeit zu vernehmen, und die Abficht, um feiner jpäteren 
Stellung willen mit den poetifchen Productionen vollftändig auf 
zuräumen — bad waren die Gründe, die ihn zur Herausgabe 
feine Stüde3 drängten. Aber auch in Manheim war fein Ber- 

u. aufzutreiben; e8 blieb Sch. aljo weiter nichts übrig, als 
fein Drama auf eigene Koften druden zu laffen. Und da aud 
der Druder kein rechted Vertrauen zu der Sache hatte, ſondern 
erit baared Geld fehen wollte, woran e8 dem Dichter vollftändig 
gebrach, fo mußte er einen Bürgen für 150 Gulden ftellen. 
Nun begann der Drud in einer Auflage von 800 Eremplaren. 
Sie erſchien anonym unter dem Titel. „Die Räuber. Ein Schau: 
jpiel. Frankfurt und Leipzig. 1781." Da Sch. Auslagen indeß 
doch größer waren, ald er erwartet, jo bot er jein Werk 
noch vor Beendigung ded Drudes dem Buchhändler Schwan 
in, Manheim an, dem er als Probe die ſieben erften Aus: 
bängebogen ſchickte. Schwan fandte fie mit einigen Anmerkun⸗ 
gen zurüd und gab ihm befonderd Rathichläge, Dies und Jened 
zu mildern. 

So wuchſen denn die Ballen von Drudbogen allmälig an, 
bie in des Dichterd einfachem Zimmer mit einem hölzernen Tiſch 


Räuber. 247 


und zwei Bänken, leeren Tellern und Flafchen, einem Haufen 
Kartoffeln und der an der Wand hängenden fpärlichen Garde: 
robe einen feltfamen Contraft bildeten. &8 war im Sommer 
1781; anfangs gingen die Eremplare nur langfam ab, aber nad 
und nach fingen fie an zu wirken, und bald war ganz Stuttgart 
m Aufregung, bejonder8 die Sugend vollftändig euer und 
Flamme Auch an Wieland hatte Sch. feine Räuber gefchidt, 
von dem er die jchmeichelhafte Antwort erhielt, er hätte mit 
den Räubern nicht anfangen, fondern endigen jollen, eine Be: 
merfung, die von des Dichterd Freunden mit lebhaften Enthu: 
flasmud aufgenommen wurde. Die Sorge für dad Weitere über: 
nahm jetzt dad Theater. Schwan war nämlich mit den empfan-: 
genen Drudbogen zu Yreiherrn von Dalberg, dem Intendanten 
des Manheimer Theaterd, gegangen, der jih aldbald an Sc. 
wandte und eine Umarbeitung ded Stüded für die Bühne ver: 
Iangte. Diefe Arbeit wurde bis zum October vollendet, und fo 
entitand neben der bereit3 gedrudten Literaturausgabe ein Büh— 
nenmanufcript, dad die Manheimer Theaterverwaltung in Verlag 
nahm, und nach welchem noch jetzt Die Räuber auf allen größeren 
Theatern Deutjchlandd gegeben werden. In der Gotta’fchen 
Audgabe von Sch.'s Werken vom Sabre 1860 find’ diefe beiden 
Bearbeitungen, über welche fih Joachim Meyer in einer Vor: 
erinmerung des weiteren auslaͤßt, hintereinander abgedrudt. Yür 
die Literaturaudgabe hatte Sch. eine Vorrede druden laffen, die 
er bei der Theaterbearbeitung durch eine gemäßigtere erſetzte. 
In der erften, welche Viehoff in feiner Nachleſe zu Sch.’ 
Merken (Bd. 4, S. 861) mittheilt, fpricht er von ber Bedeutung 
der Bühne, wie von bem Beifall des Publicums mit einer ge- 
wifien Geringſchätzung, was für die Theaterausgabe natürlich 
wenig angemeflen erjchien; in ber zweiten Dagegen, welche allein 
Eingang in die Geſammtausgabe jeiner Werke gefunden bat, 
legt er den Hauptaccent auf die moraliiche Bedeutung des Stüdeß, 
befien Abfichten er den von Schwan und Anderen geäußerten 
Bedenken gegenüber zu rechtfertigen verfucht. 


248 Räuber. 


Wir haben jomit zwei in mehreren Punkten von einander 
abweichende Audgaben zu unterfcheiden, die bereitö erwähnte, in 
allen Gefammtausgaben von Sch.'s Werfen ftehende Literatur: 
ausgabe und die 1782 bei Schwan erfchienene Theaterbearbeitung, 
welche das Stüd ald Trauerfpiel bezeichnet, und in der ſich Sch. 
als Verfaſſer nennt. Was die leptere betrifft, jo hatte Dalberg, 
dem ein eigentliche Berftändnip für die Idee ded Stüded ab: 
ging, natürlich nur die Bühne im Auge Er fragte fih, ob 
in der Zeit, wo das Stück jpielte, die Bildung einer foldyen 
Räuberbande möglich geweien fei, und ba er dies glaubte ver: 
neinen zu müflen, jo wurde troß Sch.'s Einiprud dad Drama 
aus ber Zeit des fiebenjährigen Krieges in dad Jahr 1495 ver- 
legt, wo unter Marimiliand I. Regierung auf Antrag der Stände 
zu Wormd dem Fauftredht ein Ende gemacht und der ewige 
Landfriede verfündet ward. Die äußere Beränderung beftand 
zunädhit in einer ftreng durchgeführten Sceneneintheilung und 
vielen Kürzungen, jo daß der Umfang der Theaterbearbeitung 
um 37 Drudjeiten geringer ijt als der ber Literaturausgabe; 
außerdem aber wurde vieles Anftößige und Grelle bejeitigt und 
manches Unwahrfcheinliche entfernt. Dafür iſt denn freilich auch 
Manches matter und farblofer geworden, und man fühlt an 
vielen Stellen heraus, wie die ftraffen Zügel des Freiheren von 
Dalberg dad Flügelroß des Dichter in feinem muthigften Auf: 
ſchwunge gehemmt haben. Was die inneren Veränderungen be: 
trifft, To tft zunächft darauf hinzuweiſen, daß Franz weniger 
diabolifch reflectirend, fondern mehr handelnd auftritt. Um ferner 
bei den Katholiken feinen Anftoß zu erregen, tft der im zweiten 
Akt auftretende Pater durd eine Magiftratsperjon erfept. Her: 
mann jpielt eine wichtigere Rolle durch feine Gegenintriguen, 
welche Franzens Plan untergraben, der auch nicht Daniel, jon- 
dern ihm den Auftrag ertheift, feinen Bruder Karl zu vergiften, 
was einen völligen Bruch zwilchen beiden herbeiführt. Die Scene 
mit dem Paſtor Moſer fehlt ganz, und Franz wirb lebend er- 
griffen und in Ketten vor ben Hauptmann geführt, befien Gefährten 


Räuber. 249 


ihn verurtheilen, in demſelben Thurme, wo fein Bater geſchmachtet, 
zu verhungern. Schließlich entläßt Karl bie Räuber mit einer 
verjühnenden Anrede, worauf er jich felbft ausliefert. Auf an- 
berweitige Aenderungen, welche Dafberg verlangte, ließ fich 
Sch. nit ein, wentgftend nicht für den Drud, wogegen er für 
bie Aufführung ed 3. B. geftattete, daß Amalie fich felbft 
tödten burfte. 

"Hatte Schiller bei dem erjten Entwurf feiner Arbeit eher 
an eine Verbrennung durch ben Schinder ald an eine Darftel: 
lung auf der Bühne gedacht, jo fühlte er Doch jetzt einen un: 
überwindlihen Drang, die Frucht jeiner zweifachen Arbeit mit 
eigenen Augen zu ſehen. Da ibm durch eine berzogliche Refo- 
Intion bereit eingejchärft worden war, er möge fi überall 
feinem Dienft gemäß betragen, und nicht, wie biöher, Anlaß 
zur Unzufriedenheit geben, fo durfte er auf Ertbeilung eined 
- Urlaub3 zu dem vorliegenden Zwede in feiner Weiſe rechnen, 
er reifte daher ohne denfelben mit jeinem Freunde Peterfen ab. 
Es war am 13. Januar 1782, wo die Zufchauer von Heidel: 
berg, Darmftadt, Frankfurt, Mainz, Wormd und Speier theild 
zu Roß, theild zu Wagen nah Manheim ftrömten, um das 
vielberufene Stüd von den erjten Künftlern Deutjchlands, von 
Sffland, Beil, Böd und Anderen darftellen zu ſehen. Dalberg, 
der bei der Außerordentlichkeit des Ereigniffe nicht „ganz ohne 
Beſorgniß war, hatte den Dichter vermocht, dem Theaterzettel 
ein Durch und durch moralifirended Begleitwort beizufügen, wäh: 
rend dem Stüde felbjt eine ſolche Tendenz vollftändig fern lag. 
Die Wirkung der Darftellung war eine ganz außerordentliche, 
fo dag Sch. in der freudigften Stimmung und voller Entwürfe 
für die Zukunft auf feinen Poſten zurüdtehren Eonnte. 

Haft alle Commentatoren Sch.'s ftimmen darin überein, 
daß feine Räuber ald ein Product inneren Dranges anzujeben 
feien, wie ihn die Karlöfchule bei ihm erzeugte. Hter fanden 
fh Jünglinge von den verfchiebenften Charakteren, die, alle 
unter demſelben militairiihen Drude ftehend, das eine und 


250 Räuber. 


gleihe Streben hatten, fih von einem unerträglichen Joche frei 
zu machen. Gleichzeitig aber waren ed die ftreitenden Gewalten 
in des Dichter8 eigenem Innern, die einen wejentlihen Einfluß 
auf die Geftaltung bed Stüdes übten, zunächſt fein Kampf 
gegen dad in dem Herzen auffeimende Böfe, dann aber auch 
ber Kampf mit feinen natürlichen Anlagen, indem die Schärfe 
des reflectirenden Berftanded mit feinem poetifchen Geftaltung3- 
triebe in einen heftigen Sonflict geriet. Allen diefen Regungen 
bat Sch. in feinen Räubern einen Auddrud gegeben; daher die 
rohen Kraftausdrüde, die unter den jungen Leuten ber Karla: 
ſchule gewiß übli waren, wenn fie ihrer Erbitterung gegen 
ben unleidliden Zwang Zuft machen wollten; daher dieſes hef- 
tige Berlangen nad einem freien Naturleben, wie die ausfchwet- 
fende Phantafle der Zünglinge e3 fich den ftrengen Clauſurver⸗ 
hältnifjien gegenüber geftalten mochte; daher Die Heftigen Affecte 
und das ftürmifche Aufbraufen, welches fich aus den beengenden 
Mauern einer Lehr: und Erziehungsanftalt Bahn brach gegen 
bie beftehenden Berhältniffe der menjchlichen Geſellſchaft. Sah 
doch der junge Dichter die Welt „Taum einen Feiertag, kaum 
durch ein Yernglas, nur von weitem.” So mußten die focialen 
Zuftände von ihm in den fchwärzeften Farben dargeitellt wer: 
den, noch fchlimmer als die Räuber jelbft, die aus denjelben 
hervorgegangen, damit diefe, um mit Hoffmeifter zu reden, be- 
rechtigt waren, „gegen bie faule und morſche Eulturwelt Sturm 
zu laufen.” Wenn der Drang nad Freiheit und Selbftändig- 
feit die Bruſt ftrebender Zünglinge erfüllt, fo ift dies ein völlig 
berechtigted Berlangen; aber diejem gegenüber ftehen die ſocialen 
Berhältnifie, die fih, wenn auch nicht immer naturgemäß, jo 
doch gefchichtlich entwidelt haben. Tritt nun der Einzelne, in 
dem Irrthum befangen, daß die ihn beengenden Verhältnifie 
ſich Pünftlich gemacht, der Gefammtheit entgegen und zwar nicht 
als Reformator, fondern als Revolutionär, fo wird er zum Ber: 
dredher und muß an feinem Streben zu Grunde gehen. Das 
ift Karl Moord Fall und zugleich die Idee des Stückes, welche 





Räuber. 251 


auf den Brettern, die die Welt bedeuten, ftet3 eine berechtigte 
Erſcheinung fein wird. 

AB Shauplag für fein Drama wählte Sch. die engen, 
finftern und felfigen Schluchten des Böhmerwaldes mit ihren 
reißenden Bergftrömen, ein raubes, wildes und unzugängliches 
Gebiet, wie ed in ganz Deutichland nicht geeigneter zu finden 
it”). Hier ließ er die wahrhaft plaftifchen Geftalten feiner 
Räuber fich entwideln, deren Namen und Charaftere zum Theil 
feinen Umgebungen in der Anftalt entlehnt, alfo unmittelbar 
aud dem Leben gegriffen waren, während er dad Vorbild zu 
Yranz in Shakeſpeare's Jago (im Othello) fand, in Karl aber 
den in feinem eigenen Innern arbeitenden Empfindungen einen 
beredten Ausdrud gab. Yaflen wir nunmehr die einzelnen Per: 
fonen näher ind Auge. 

Wir beginnen mit dem Haupt der gräflihen Yamilie, dem 
alten Moor, einem Manne in den Sechzigern, deſſen Ahnen 
ihren Adel (IV, 2) dem Kater Friedrich Barbarofia verdanken 
Er hat feine Gattin früdzeitig verloren, denn nur der alte. 
Daniel erwähnt derfelben, während fich bei beiden Söhnen Feine 
Erinnerung an ihre Mutter findet. So hat der Vater die Er: 
ziehbung der beiden Knaben allein übernehmen müflen, neben 
denen Amalia, eine arme Waiſe aus vornehmer Yamilie, aufge: 
wachen if. Daß der Graf nad dem Tode feiner Gattin auf 
bieje drei Kinder feine ganze Liebe übertragen, ift natürlich; 
aber ald ein guter und ſchwacher Mann tft er blind in feiner 
Liebe gewejen und hat ben älteren, hoffnungsvolleren Sohn be: 
vorzugt, jo daß ed der jüngere bat merken müflen. Dafür erlebt 
er nun dad Unglüd, beide Kinder mißrathen zu jehen, und fühlt 
au, daß er ſchuld Daran iſt, daß „die Sünden ber Väter 
heimgefucht werden an den Kindern“. Es ermwedt unfere ganze 
Theilnahme, den guten, bibelgläubigen Mann leiden zu ſehen, 
ber bei jeinem eigenen Schidjal der Geſchichte Jakobs und 


*) Bergl. Kutzen, Das deutſche Land. Breslau bei Hirt. 


952 Räuber. 


Joſephs gedenft, der mit Hiobs Worten um den Berluft feiner 
Söhne Hagen Tann, der in tem Gefühl feines herannahender 
Endes mit aufrichtigem Herzen nad dem Abenbmahl verlangt. 
Aber mad hilft das Alles; er ift fein Charakter. Ein rechter 
Menſchenkenner würde merken, daß Yranz Komödie mit ihm 
ipielt, er würde die Tücke deſſelben nicht bloß ahnen, ſondern 
durdichauen, er würde nicht in einem Augenblid ihm tauſend 
Flüche nachdonnern und furz darauf ihn um Berzeihung bitten. 
So tft der alte Graf ein Sinnbild der Franken, altersſchwachen 
Zeit; ein Mann, der durch die ungerechte Bevorzugung eines 
jeiner Kinder eine jchwere Schuld auf fich geladen und nun 
zur Strafe dafür fi in beiden Söhnen betrogen ſieht; dem 
in feiner Berzweiflung daher nicht? weiter übrig bleibt, als 
fih jelbft anzuflagen und fein Schiejal ald wohl verdient zu 
betrachten. 

Den älteften Sohn, den Erben der väterlichen Herrichaft, 
bat Sch. Karl genannt, welches auch der Name des Helden in 
der Schubartihen Erzählung ift; der Name Moor wurde 
einem Zöglinge der Karlöjchule entiehnt. Karl, ſchon in der 
Zugend der Liebling ded Haufed, nicht nur von dem Vater, 
fondern auch (1V,3) von der Dienerjchaft verbätichelt, wuchs 
zu einem begabten Jüngling heran, welcher verſprach ein Held 
zu werden, der feinen Ahnen Ehre machen würde. So ging er 
zur Bollendung feiner Ausbildung nad Leipzig. Eine ftattliche 
Ericheinung, nicht nur mit hervorragenden Geifteögaben, jondern 
auch mit reichen Mitteln auögerüftet, kommt er nach dem da⸗ 
maligen Gentrum deutjcher Bildung, das Goethe (Fauſt, Bd. II, 
©. 88) „ein Hein Paris“ nennt. Aber ohne Erfahrung, ohne 
Erziehung, ohne Auffiht wird er den verlodenden Reizen des 
Lebens zur Beute. Bon dem Gedanken bejeelt, daß nur „die 
Freiheit Koloſſe und Ertremitäten ausbrüte*, flürzt er fih in 
den Strudel der Bergnügungen, und da ihm nirgend ein Ideal 
geboten wird, an dem er fi erwärmen und begeijtern Tönnte, 
jo erfchöpft er feine Kraft in tollen Studentenftreihen. Bald 


— — — 


Räuber. 258 


aber gewährt ihm dieſes Treiben feine Befriedigung mehr. Mit 
lebhaftem Sinn für die Schönheiten der Natur begabt, möchte 
er fich jelbft in Harmonie mit der Schöpfung fühlen; das aber 
will ihm nicht gelingen, denn er kann die Räthjel des Lebens 
nicht löſen. So wird er von der allgemeinen Krankheit ber 
Tugend, vom Weltfchmerz ergriffen; ftatt der Helden des Alter- 
thums, der Ideale feiner Knabenjahre, fieht er fich rings von 
Menſchen umgeben, deren niedrige Gefinnung ihn anekelt, und 
ftatt der Gelegenheit zu thatfräftigem Handeln fieht er ſich 
überall gedrüdt und beengt. Die Thorheiten, bie er in Leipzig 
begangen, haben nicht nur feine Mittel erfchöpft, fondern auch 
feine fittlihe Kraft gelähmt; nunmehr erwacht fein befieres 
Selbft, er wendet ſich reuevoll an feinen Bater, der wird den 
verlorenen Sohn nicht zu Grunde gehen laſſen. Indeſſen was 
er gehofft, gejchieht nicht; dem Bußfertigen wird keine Ber: 
zeihung zu Theil, die väterlihe Thür wird ihm verfchlofien. 
Nun erwacht fein Haß, aber nicht bloß gegen den Bater, fon- 
dern gegen die Menfchheit überhaupt; biöher nur der NRepräjen- 
tant des auf Irrwegen befindlichen jugendlichen Strebend, be: 
trachtet er fi nunmehr ald Repräjentanten ded um feine Rechte 
betrogenen Volkes. Die „Otternbrut”, bie ihn von fich ausge⸗ 
ftoßen, die will er jept zermalmen, darum bejchließt er Räuber 
und Mörder zu werden. Aber er wird noch mehr. Seine Ge: 
fährten baben eben jo wie Yranz (IV, 2) bemerkt, dab etwas 
Großes in jeinen Zügen liege, und bald wird ihn Koſinsky 
(III, 2) mit Scipio, „denn Mann mit dem vernichtenden Blid“ 
vergleichen; fie erwählen ihn daher zu ihrem Hauptmann. Sept 
wird jein Thatendurft Befriedigung finden, denn er ift, wie 
Sch. in der Selbftrecenflon feiner Räuber jagt, „ein Geiſt, den 
dad Verbrechen nur reizt um ber Größe willen, die ihm an- 
hängt, um der Kraft willen, die e8 erheiſcht, um der Gefahren 
willen, die es begleiten.” Und in der That ift er im Augenblid 
der Noth ein ganzer Mann, ein Yührer, deſſen Scharfblid, 
befien Organilationstalent wir bewundern müflen. Und wie 


254 Räuber. 


treibt er jein Hantwerf? Mir erfahren e& (II, 3) von Razmann. 
Er nimmt lectiertigen Schurken das Geld ab, um ed auf 
mwürdige Weile zu verwenten, um arme Waiſen erziehen und 
unbemittelte, aber boffnungsvolle Zünglinge ftudiren zu laflen; 
er jchafft gemeine Beamtenjeelen aus der Welt, die ihre Stel: 
lung misbrauden; tenn er will die Menichheit von ihren Peini⸗ 
gern befreien. Dad Rauben und Plündern überläßt er den 
Mitgliedern jeiner Bande, unter tenen er firenge Zudt und 
Ordnung bält, denn jeine Abficht iſt feine andere, ald „das 
Racheſchwert des oberjten Tribunals zu regieren“. Aber bald 
bemerkt er zu jeinem Schmerz, daß nur wenige feiner Genofjen 
im Stande find, jeine eigentlichen Abjichten zu begreifen; es 
werten unter jeiner Fübrung Unmenjclichkeiten und Greuel: 
thaten verübt, die „feine jchönften Werke vergiften“. Nun ift 
er auch des Räuberlebens ſatt und möchte feiner Bande ent: 
flieben. Obwohl mit ſich jelbft und mit der Welt zerfallen, ijt 
doch ein Reit aus jenen befieren Tagen ihm geblieben. Er 
fehnt fih zurüd nad der Unſchuld feiner Knabenjahre; bei der 
Erinnerung an feine Amalia hofft er, das Glüd der Liebe könne 
ihm noch lächeln, und fo bejchließt er, was er früher nur halb 
getban, jet ganz zu thun, er kehrt in fein Vaterhaus zurüd. 
Aber den Bater jelbit findet der verlorene Sohn nicht wieder, 
nur von einem alten Diener wird er erfannt; und da er fidh nicht 
berechtigt fühlt, an feinem unnatürliden Bruder Rache zu neh: 
men, und eben fo wenig es wagt, fich feiner Amalia zu erfennen 
zu geben, jo kehrt er zu feinen Räubern zurüd. Doch bier 
wird er aufs neue von Gewiſſensbifſſen gefoltert, da Berlangen 
nad Glückſeligkeit kann er in feinem Innern nicht zerftören; fo 
bleibt ihm, dem Unglücklichen, nichtd weiter übrig, als fich felbft 
zu vernichten. Aber jept treten die Schauer der Ewigkeit vor 
feine Seele; darf er ed wagen, die dunfele Pforte jelbft zu 
öffnen, die jein Gejchid ihm noch verichloffen hält? Nein, fein 
Stolz verbietet ihm den Gelbftmord, er bejchließt zu leben und 
das Schichſal zu tragen, das er ſich felbft bereitet. Es ift, ala 


Räuber. 255 


ahne ihm, daß er noch eine fchaurige Miffion zu erfüllen hat. 


Seinen teufliih gemißhandelten Vater aus dem Gefängniß zu 
befreien und ihn zu rächen, dad ift die That, womit er feine 
Werte könt; da er ihm aber weder den Sohn, noch feiner 
Amalia den Bräutigam wieder fchenfen kann, und eben jo wenig 
der Bande noch ferner ein Führer zu fein vermag, jo kehrt er 
nunmehr in die Schranken der gejeßlichen Orbnung zurüd, der 
er fich felbft zum Opfer anbietet. Es ift dies ein Ausgang, 
mit dem Sch. gleichzeitig fein Urtheil über dad Stüd ausge⸗ 
ſprochen hat. 

Wenn ſowohl Hoffmeifter als K. Fifcher *) in Karl Moor's 
hohem Freiheitsfinn wie in feinem weichen Gemüth des Dichterd 
eigenes Bild erbliden, fo ift dies Doch nur ein weit verbreiteter 
Zug von pfochologifcher Wahrheit, den Sch. außer fich eben fo 
gut beobachten als in ſich entdeden und jomit zur Darftellung 
bringen konnte. Wenigftend gehörte Sch. in der Karläfchule 
feineöweged zu den widerjpenftigen Naturen, die den Drang in 
fih fühlen, mit allen Verhältniffen zu brechen, um im Leben 
etwa die Rolle eined Räuberd zu jpielen; denn es ift bekannt, 
daß er ungeachtet mancher Ausjtellungen, die man an ihm zu 
machen hatte, doch ein bejonderer Liebling des Herzogs war. 
Wir dürfen ed daher wohl zugeben, daß der Dichter dem Cha: 
rafter feined Karl Moor ein reiches Maß fubjectiver Färbung 
gegeben; aber feinem Stoff gegenüber erjcheint er fo objecttv, 
wie ed von dem Dramatiker verlangt wird, deflen Aufgabe es 
ift, das Leben darzuftellen. 

Der jüngere der beiden Brüder führt in der Schubartichen 
Erzählung den Namen Wilhelm. Aber Sch. war durd feinen 
Freund, Wilhelm v. Hoven, auf den Stoff aufmerkſam gemacht 
worden; wie hätte er für den Böfewicht, den er zu zeichnen 
gedachte, dieſen Namen beibehalten können? Er nannte ihn 


*) Die Selbfibefenntnifje Schiller’. Frankfurt a. M., Chr. Hermann, 1858. 
S. 26 — 35. 


256 Räuber. 


Franz, ein Name, deſſen fremdländiihe Abftammung “) und 
deſſen jcharfer, Ichneidender Klang ihm für feinen Zwed befler zu: 
fagte. Franz ift, wie Richard III, von der Natur ftiefmütterfich 
behandelt worden; er iſt häßlich von Geitalt und Geficht un? hat 
in Folge deffen manche Zurüdiepung erfahren. Das hat fein 
Gemüth verbittert, jo daß er mit einer gewiſſen Berechtigung 
feinem Bater über -die ungleiche Behandlung feiner Kinder Bor: 
würfe madt. Hat es ihm nun auch von jeher an Riebendwür- 
digfeit gefehlt, jo befigt er dafür doch Erfindungdgeift; was er 
auf redlihem Wege nicht gewinnen kann, das will er mit Ge: 
walt ertrogen, und fo wird er zum Verbrecher. Zunaͤchſt er: 
fcheint er ald ein jchlau berechnender Heuchler; er fucdht daB 
Gegentheil von dem glauben zu machen, wad er im Sinne bat, 
hebt feine eigenen guten Eigenichaften hervor, verläumdet Andere 
und dichtet ihnen feine Yehler an. Aber er hat beftimmte Zmede, 
die er erreichen will, es ift ihm um das Erbe der väterlichen 
Herrihaft zu thun; deshalb muß der Vater befeitigt, der ältere 
Sohn von dem Vaterherzen, der Bräutigam von der Braut 
gerifien werden. Die Mittel dazu find Lug und Trug, felbft 
(II, 1) falſche Handichriften und, wo die nicht helfen, der Meuchel: 
mord. Den legteren will er freilich felbft nicht verüben; folche 
Berbrechen jollen Andere, Hermann und Daniel, für ihn begeben, 
benn er will den Leuten nicht als Böfewicht erfcheinen. Nichte- 
deſtoweniger jchlägt ihm fein Gewillen, mit dem er ſich durch 
eine eigene Art von Philofophie abzufinden ſucht. Er macht fich 
ein Gewiſſen nad) eigener Yaron zurecht, indem er mit diaboli- 
fher Sophiftik Natur und Religion verhöhnt. Das Verhältniß 
zu feinem Vater wird von ihm in der herzlofeften und empörend: 
ften Weife zergliedert, die heiligften Empfindungen werden in den 
Schmug getreten, um fidh jeder bindenden Verpflichtung zu über- 
heben. Die Religion tft ihm nichts Anderes als ein beiliger Nebel, 
der Gedankenloſe und Narren mit Furcht erfüllen und den Pöbel 


*) Bon Franciscus; vergl. Franke 


Räuber. 257 


im Zaum halten fol. Deshalb verdreht er die Worte ber Schrift 
und weiß Bibelftellen (IV, 2) in jchändlicher Weile zu mißbrau⸗ 
hen. Wenn man will, je könnte man auch bier behaupten, daß 
der Dichter aus ſich felbft geichöpft; war doch auch er bereits 
von mancherlei religiöfen Zweifeln yepeinigt, welche den kindlichen 
Glauben an die Wahrheit des chrijtlihen Dogma's erfchüttert 
hatten, und erfennt man in den baroden Sophtömen doch deut— 
lich genug den zum Materialismus fi) hinneigenden Mediciner. 
Aber als Dramatiker brauchte er nicht bloß einen reflectirenden, 
er brauchte einen handelnden Böfewicht, und in Diefer Beziehung 
offenbart fich bet dem Dichter die zu Mebertreibungen geneigte 
iugendlide Schwäche, denn da, wo Franz wirklich handelnd 
auftritt, wird er zur Barricatur. Die Heftigfeit, mit der er auf 
feinen Bater einftürmt, um ihn durch Schred zu töbten; fein 
eınpdrended Benehmen dem Berzweifelnden gegenüber; feine 
Auöbrüche des Zorned (II, 2) gegen Hermann, durd bie er fi 
Doch deutlih in Die Karten fehen läßt; die plump angelegte 
Intrigue, durch welche er Amalie zu gewinnen denkt und an 
deren Gelingen er jelber zweifeln muß; bie vollftändig unge: 
rechtfertigte, rohe Weife, in welcher er den alten, treuen Daniel 
verdächtigt — dad Alles mußte dem Dichter fagen, daß, wenn 
auch „die Tugend im Contrafte mit dem Lafter dad lebendigfte 
Golorit erhält” (NR. Borr.), doch ein gewaltiamed Streben bei 
der Anwendung dieſes Kunftmitteld eher Widerwillen ald Be— 
wunderung erzeugt, und mit Recht fagt er daher in der Selbſt—⸗ 
kritik feiner Räuber, es ſei „eine Verfündigung gegen Die menfc)- 
lihe Natur, ein ſolches Monftrum in eine Sünglingsfeele zu 
verſetzen.“ Glüdlicher dagegen iſt dem Dichter die Kataftrophe 
gelungen, in weldyer er das Ende feined Böjewichtd zur An- 
ſchauung bringt. Die Gewiffendqualen, welche ihn peinigen; 
„die unwillfürfichen Schauber, welche feine Glieder in froftige 
Angft rütteln“; die Ausbrüche des Zornd gegen Dantel und den 
Paſtor Mofer, wo e8 ihm an Gründen fehlt, feine Gegner zu 
beflegen; die entjeglichen Träume und Die &efpenfter, welche 
1. 17 


258 Räuber. 


ihn im Augenblid der legten Noth gleih ſchlangenhaarigen 
Furien verfolgen; die wahnjinnigen Reden, mit welcden der 
verzweifelnde Atbeift feinem Leben ein Ende macht — das 
Alles ift von tief ergreifender Wahrheit und bei der Darftellung 
auch jederzeit von mächtiger Wirkung. 

Zwiſchen den beiden feindlichen Brüdern fteht Amalia, 
Die Nichte des alten Moor, die derjelbe als Waife in fein Haus 
aufgenommen und dort erzogen bat, was fie ihm mit liebreicher 
Sorgfalt vergilt. Ohne mütterlihden Einfluß, ohne irgend ein 
andered weibliche8 Vorbild tft fie mit den Knaben aufgewachlen, 
unter denen Karl ald die edlere Natur ihre Zuneigung gewonnen 
hat. Ihre Liebe iſt zwar eine jchwärmerijghe, aber es Tiegt zu- 
gleich etwas männliched darin, denn fie liebt an ihrem Karl faft 
nur das Freie, Kühne und Große. So erſcheint fie eigentlich 
nur als der weibliche Abdrud deflelben, eben jo heroiſch und 
phantaftiſch und zugleich eben fo eraltirt. Sie ift zwar erbittert, 
Daß der Vater feinen Sohn verftoßen, aber fte thut nicht das 
Geringfte, um dad geftörte Verhältniß wieberherzuftellen; die 
Neigung, Frieden zu ftiften, dieſer fchöne Zug des weiblichen 
Herzend, war dem jugendlichen Dichter noch völlig unbekannt. 
Statt jelbft an Karl zu fchreiben,. überläßt fie fih in ihrer 
Einſamkeit der ftummen Trauer, oder fchwelgt in Wonne und 
Entzüden, Empfindungen, die fie felbft in das Klofter mit 
hinüberzunehmen gedentt. Daß Karl fie geliebt, tft ihr bekannt, 
und daß die Bewerbungen feined Bruder aller edlen Beweg- 
gründe entbehren, durchſchaut fie wohl, aber fie thut wieberum 
nichts, um deſſen fchändliche Berrätherei an das Licht zu brin- 
gen; ſie haßt ihn nur und wünſcht, von ihm gehaßt zu werben; 
und wo fle fi feiner Zudringlichkeit erwehren muß, ift e8 nicht 
Die einem Acht weiblichen Weſen von der Natur verliehene fitt- 
lihe Würde, mit welcher fie ihn in Schranfen bält, fondern es 
find Schläge und Drohen mit der ihm entrifferen Waffe. Einen 
Augenblid jcheint ihre Liebe zu Karl wankend gu werden, als 
ber vermeintliche Yremde thr ein Sntereffe abgewinnt; aber fie 





Räuber. 259 


fühlt wohl, daß fie etwas von ihrem Karl in ihm entbedt, dem 
Einzigen, dem fie ihr Herz ſchenken kann, dem fie treu bleiben 
muß. So findet fie denn auch den Oheim wie den Bräutigam 
wieder, aber nur, um beide fogleich zu verlieren und felbjt als 
ein beflagenäwerthed Opfer ihres Geſchicks zu fallen. — Als 
Sch. feine Räuber fchrieb, war ihm dad Gefühl der Liebe noch 
eine vollftändig fremde Empfindung; gänzlih unbelannt mit 
dem weiblichen Herzen, war er außer Stande, die oft jo rüh: 
rende Naivetät deffelben zu jchildern. Hoffmeifter bezeichnet da- 
her mit Recht Amalia mit ihrer Liebe als die ſchwächſte Figur, 
ja geradezu ald die tödtliche Seite des Stüdd, und Sch. felbft 
äußert in feiner Selbftkritif, „der Dichter habe hier etwas Außer: 
ordentliches Tiefern wollen, und und um dad Natürliche gebracht.” 
Aber er macht und an einer anderen Stelle auch mit dem Grunde 
diejer Erfcheinung bekannt; er jagt: „Die Thore des Inſtituts 
öffneten fich Sramenzimmern nur, ehe fie anfingen interefjant zu 
werden und wenn fie aufgehört hatten, es zu fein.” So wurde 
Amalia ein Gebilde jeiner Phantafie, dem ed nothmendig an 
innerer Wahrheit fehlen mußte. 

Neben den Mitgliedern der Moor'ſchen Yamilie fteht Her- 
mann, der natürliche Sohn eined Edelmannes, ein muthiger, 
entjchloffener Menſch, der durch fein offenes Auftreten einen 
witkſamen Gegenfag zu Franzen's heimtückiſchem Charakter bil: 
bet. Der Fleden, welcher an feiner Geburt haftet, bat ibm 
Beleidigungen von dem alten Moor zugezogen; von Amalia, 
die er gleichfalls liebt, ift er abgewiefen worden, und in Karl 
befigt er einen gefährlichen Nebenbuhler; er hat aljo hinreichende 
Urſache, mit feinem Schickſal unzufrieden zu fein. Sn dieſer 
Stimmung, und zugleich von dem lebhaften Berlangen bejeelt, 
eine Rolle in der Welt zu fpielen, jchließt er jih an Franz an, 
der ihm auch die beften Ausfichten zur Erreichung jeines Zieles 
eröffnet, ihn aber nur benupen will, um feine eigenen Pläne 
durchzujegen. Hermann traut ihm anfangd und zeigt fich bereit, 
den Grafen wie auch defjen älteften Sohn zu vernichten; als er 

17* 


258 Räuber. 


thn im Augenblid der legten Noth gleih ſchlangenhaarigen 
Furien verfolgen; Die wahnfinnigen Reden, mit welchen ber 
verzweifelnde Atheift feinem Leben ein Ende macht — daB 
Alles ift von tief ergreifender Wahrheit und bei der Darftellung 
auch jederzeit von mächtiger Wirkung. 

Zwilchen den beiden feindliden Brüdern fteht Amalia, 
die Nichte des alten Moor, die derjelbe ald Waije in fein Haus 
aufgenommen und dort erzogen hat, was fie ihn mit liebreicher 
Sorgfalt vergilt. Ohne mütterlihen Einfluß, obne irgend ein 
anderes weibliches Vorbild ift fie mit den Knaben aufgewadhlen, 
unter denen Karl ald die edlere Natur ihre Zuneigung gewonnen 
bat. Ihre Liebe ift zwar eine ſchwärmeriſche, aber es liegt zu- 
glei) etwad männliched darin, denn fie liebt an ihrem Karl faft 
nur daB Freie, Kühne und Große. So erfjcheint fie eigentlich 
nur ald der weiblihe Abdrud defielben, eben fo heroiſch und 
phantaftiich und zugleich eben jo eraltirt. Sie ift zwar erbittert, 
daß der Bater feinen Sohn verftoßen, aber fie thut nicht das 
Geringite, um das geſtörte Verhältniß wiederherzuftellen, die 
Neigung, Frieden zu ftiften, dieſer fchöne Zug des weiblichen 
Herzend, war dem jugendlichen Dichter noch völlig unbekannt, 
Statt felbft an Karl zu jchreiben,. überläßt fie fih in ihrer 
Einſamkeit der jtummen Trauer, oder jchwelgt in Wonne und 
Entzüden, Empfindungen, die ſie felbft in das Klofter mit 
binüberzunehmen gedentt. Daß Karl fie geliebt, ift ihr bekannt, 
und daß Die Bewerbungen jeined Bruderd aller edlen Beweg⸗ 
gründe entbehren, durchſchaut fie wohl, aber fie thut wiederum 
nichts, um deſſen ſchändliche Verrätherei an das Licht zu brin- 
gen; fie haßt ihn nur und wünſcht, von ihm gehaßt zu werben; 
und wo fie fich feiner Zudringlichfeit erwehren muß, ift es nicht 
die einem ächt weiblichen Wejen von der Natur verliehene fitt- 
lihe Würbe, mit welcher fie ihn in Schranken hält, jondern es 
find Schläge und Droben mit der ihm entrifferen Waffe. Einen 
Augenblid jcheint ihre Liebe zu Karl wankend zu werden, als 
Der vermeintliche Yremde ihr ein Sntereffe abgewinnt; aber fie 


Räuber. 259 


fühlt wohl, daß fie etwas von ihrem Karl in ihm entdedt, dem 
Einzigen, dem fie ihr Herz ſchenken fann, dem fie treu bleiben 
muß. So findet fie denn auch den Oheim wie den Bräutigam 
wieder, aber nur, um beide ſogleich zu verlieren und jelbjt als 
ein beklagenswerthes Opfer ihres Geſchicks zu fallen. — Als 
Sch. feine Räuber ſchrieb, war ihm da8 Gefühl der Liebe noch 
eine vollſtändig fremde Empfindung; gänzlich unbefannt mit 
dem weiblichen Herzen, war er außer Stande, die oft jo rüb- 
rende Naivetät deffelben zu jchildern. Hoffmeifter bezeichnet da⸗ 
ber mit Recht Amalia mit ihrer Liebe als die ſchwächſte Figur, 
ja geradezu als die tödtliche Seite des Stücks, und Sch. felbft 
äußert in feiner Selbftkritit, „der Dichter habe bier etwas Außer: 
ordentliched Iiefern wollen, und und um dad Natürliche gebracht.” 
Aber er macht und an einer anderen Stelle auch mit dem Grunde 
dieſer Erjcheinung befannt; er jagt: „Die Thore des Snftitut3 
öffneten fich Srauenzimmern nur, ehe fie anfingen intereffant zu 
werden und wenn fie aufgehört hatten, ed zu fein.” So wurde 
Amalia ein Gebilde feiner Phantafle, dem ed nothwendig an 
innerer Wahrheit fehlen mußte. 

Neben den Mitgliedern der Moor’ihen Familie fteht Her: 
mann, der natürlihe Sohn eined Edelmanned, ein muthiger, 
entichlofjener Menſch, der durch fein offenes Auftreten einen 
wirkſamen Gegenſatz zu Franzen's heimtüdifchem Charalter bil: 
det. Der Zleden, welcher an feiner Geburt haftet, bat ihm 
Beleidigungen von dem alten Moor zugezogen; von Amalia, 
bie er gleichfalls liebt, ift er abgewiefen worden, und in Karl 
beſitzt er einen gefährlichen Nebenbuhler; er hat aljo hinreichende 
Urfache, mit feinem Schickſal unzufrieden zu fein. Sn dieſer 
Stimmung, und zugleid von dem lebhaften Verlangen bejeelt, 
eine Rolle in der Welt zu fpielen, jchließt er fih an Franz an, 
der ihm auch die beiten Ausfichten zur Erreichung jeined Zieled 
eröffnet, ihn aber nur benupen will, um feine eigenen Pläne 
Durchzufegen. Hermann traut ihm anfangs und zeigt fich bereit, 
ben Grafen wie auch deſſen älteften Sohn zu vernichten; als er 

17 * 


248 Räuber. 


Wir haben fomit zwei in mehreren Punkten von einander 
abweichende Audgaben zu unterjcheiden, die bereitö erwähnte, in 
allen Sefammtausgaben von Sch.'s Werken ftehende Literatur: 
ausgabe und die 1782 bei Schwan erichienene Theaterbearbeitung, 
welche das Stück als Trauerfpiel bezeichnet, und in der fih Sch. 
als Verfafler nennt. Was die letztere betrifft, jo hatte Dalberg, 
dem ein eigentliched Verſtändniß für die Idee des Gtüdes ab: 
ging, natürlih nur die Bühne im Auge. Er fragte fi, ob 
in der Beit, wo dad Stüd fpielte, die Bildung einer ſolchen 
Räuberbande möglich geweien fei, und da er dies glaubte ver- 
neinen zu müflen, jo wurde trotz Sch.'s Einfprud dad Drama 
aus der Zeit des fiebenjährigen Krieged in dad Sahr 1495 ver: 
legt, wo unter Marimiliand I. Regierung auf Antrag der Stände 
zu Wormd dem Yauftreht ein Ende gemadt und der ewige 
Landfriede verkündet ward. Die äußere Veränderung beftand 
zunächft in einer ftreng durchgeführten Sceneneintheilung und 
vielen Kürzungen, fo daß der Umfang der Theaterbearbeitung 
um 37 Drudijeiten geringer ift als der ber Literaturausgabe; 
außerbem aber wurde vieled Anſtößige und Grelle befeitigt und 
manches Unwahrjcheinliche entfernt. Dafür ift denn freilich auch 
Manches matter und farblofer geworden, und man fühlt an 
vielen Stellen heraus, wie die ftraffen Zügel des Freiherrn von 
Dalberg das Ylügelroß des Dichters in feinem muthigften Auf: 
Ihwunge gehemmt haben. Was die inneren Veränderungen be- 
trifft, jo iſt zunädhft darauf hinzuweiſen, daB Yranz weniger 
diabolifch reflectirend, ſondern mehr handelnd auftritt. Um ferner 
bei den Katholiken feinen Anſtoß zu erregen, tit der im zweiten 
Akt auftretende Pater durch eine Magtftratsperjon erfeßt. Her: 
mann fpielt eine wichtigere Rolle durch feine &egenintriguen, 
welche Franzens Plan untergraben, der auch nicht Daniel, fon- 
bern ihm den Auftrag ertheilt, feinen Bruder Karl zu vergiften, 
was einen völligen Bruch zwilchen beiden herbeiführt. Die Scene 
mit dem Paſtor Moſer fehlt ganz, und Yranz wirb lebend er: 
griffen und in Ketten vor den Hauptmann geführt, deffen Gefährten 


Räuber. 249 


ihn verurtbeilen, in deinfelben Thurme, wo fein Bater geſchmachtet, 
zu verhungern. Schließlich entläßt Karl die Räuber mit einer 
verjühnenden Anrede, worauf er fich felbit ausliefert. Auf an» 
berweitige  Aenderungen, welche Dalberg verlangte, ließ fich 
Sch. nicht ein, wenigftend nicht für den Drud, wogegen er für 
die Aufführung ed 3. B. geftattete, daß Amalie fich felbft 
tödten durfte. 

"Hatte Schiller bei dem erften Entwurf feiner Arbeit eher 
an eine Verbrennung dur den Schinder ald an eine Darftel- 
lung auf der Bühne gedacht, jo fühlte er Doch jebt einen un: 
überwindblihen Drang, die Frucht jeiner zweifachen Arbeit mit 
eigenen Augen zu ſehen. Da ihm durch eine berzogliche Refo- 
Iution bereitd eingejchärft worden war, er möge fich überall 
feinem Dienft gemäß betragen, und nicht, wie biäher, Anlaß 
zur Unzufriedenheit geben, jo durfte er auf Ertbeilung eines 
Urlaubs zu dem vorliegenden Zwede in feiner Weiſe rechnen, 
er reifte daher ohne denjelben mit jeinem Yreunde Peterſen ab. 
&3 war am 13. Januar 1782; wo die Zufchauer von Heidel- 
berg, Darmftadt, Frankfurt, Mainz, Worms und Speier theild 
zu Roß, theild zu Wagen nah Manheim ftrömten, um das 
vielberufene Stüd von den erften Künftlern Deutichlandd, von 
Sffland, Beil, Böd und Anderen darftellen zu jehen. Dalberg, 
der bei der Außerordentlichleit des Ereigniffed nicht „ganz ohne 
Beſorgniß war, hatte den Dichter vermocht, dem Theaterzettel 
ein durch und durch moraliſirendes Begleitwort beizufügen, wäh: 
rend dem Stüde jelbft eine ſolche Tendenz vollftändig fern lag. 
Die Wirkung der Darftellung war eine ganz außerordentliche, 
fo dag Sch. in der freudigften Stimmung und voller Entwürfe 
für die Zukunft auf feinen Poſten zurückkehren Tonnte. 

Halt alle Sommentatoren Sch.'s ftimmen darin überein, 
daß feine Räuber ald ein Product inneren Dranged anzujehen 
jeien, wie ihn die Karlöichule bei ihm erzeugte. Hier fanden 
fih Sünglinge von den verjchiebenften Charakteren, die, alle 
unter demfelben militairischen Drude ftehend, das eine und 


250 Räuber. 


gleiche Streben hatten, fih von einem unerträglichen Joche frei 
zu machen. ©leichzeitig aber waren ed die ftreitenden Gewalten 
in des Dichterd eigenem Innern, die einen wejentlichen Einfluß 
auf die Geſtaltung des Stüdes übten, zunächſt fein Kampf 
gegen Dad in dem Herzen auffeimende Böſe, dann aber auch 
der Kampf mit feinen natürlihen Anlagen, indem die Schärfe 
bed reflectirenden Verſtandes mit jeinem poetifchen Geftaltungs- 
triebe in einen heftigen Conflict gerieth. Allen diefen Regungen 
hat Sch. in feinen Räubern einen Auddrud gegeben; Daher die 
rohen Kraftausdrüde, die unter den jungen Leuten der Karl? 
Thule gewiß üblich waren, wenn jie ihrer Erbitterung gegen 
den unleidlichen Zwang Luft machen wollten; daher dieſes hef—⸗ 
tige Verlangen nach einem freien Naturleben, wie Die ausjchwei: 
fende Phantafie der Zünglinge es ſich den ftrengen Claujurver: 
hältnifjen gegenüber geftalten mochte; daher die heftigen Affecte 
und das ſtürmiſche Aufbraujen, welches fich aus den beengenden 
Mauern einer Lehr: und Erziehbungsanftalt Bahn brach gegen 
die beftehenden Verhältniſſe der menſchlichen Geſellſchaft. Sub 
doch der junge Dichter die Welt „kaum einen Feiertag, kaum 
dur) ein Yernglad, nur von weitem.” So mußten Die focialen 
Zuftände von ihm in den fchwärzejten Yarben dargeftellt wer: 
den, noch fchlimmer als die Räuber felbft, die aus denfelben 
hervorgegangen, damit diefe, um mit Hoffmeijter zu reden, be: 
rechtigt waren, „gegen die faule und morjche Sulturwelt Sturm 
zu laufen.” Wenn der Drang nad Freiheit und Selbftändig: 
feit Die Bruft ftrebender Jünglinge erfüllt, jo ift dies ein vollig 
berechtigted Verlangen; aber dieſem gegenüber ftehen die jocialen 
Verhältniſſe, die fih, wenn auch nicht immer naturgemäß, fo 
doch gefchichtlich entwidelt haben. Tritt nun der Einzelne, in 
dem Irrthum befangen, daß die ihn beengenden Berhältnifie 
fih künſtlich gemacht, der Geſammtheit entgegen und zwar nicht 
als Reformator, fondern ald Nevolutionär, jo wird er zum Ber: 
brecher und muß an jeinem Streben zu Grunde gehen. Das 
ift Karl Moors Fall und zugleich die Idee des Stüdes, welde 


1. tt m. 


Räuber. 251 


auf den Brettern, die die Welt bedeuten, ſtets eine berechtigte 
Erſcheinung fein wird. 

Als Schauplag für jein Drama wählte Sch. die engen, 
finftern und felfigen Schludhten des Böhmerwaldes mit ihren 
reißenden Bergitrömen, ein rauhes, wildes und unzugängliches 
Gebiet, wie es in ganz Deutjchland nicht geeigneter zu finden 
tft‘). Hier ließ er die wahrhaft plaſtiſchen Geftalten feiner 
Räuber fich entwideln, deren Namen und Charaktere zum Theil 
feinen Umgebungen in der Anftalt entlehnt, alfo unmittelbar 
aus dem Leben gegriffen waren, während er dad Borbild zu 
Yranz in Shafefpeare’3 Jago (im Othello) fand, in Karl aber 
den in jeinem eigenen Innern arbeitenden Empfindungen einen 
beredten Ausdrud gab. Yaflen wir nunmehr die einzelnen Per: 
fonen näher ind Auge. 

Wir beginnen mit dem Haupt der gräflihen Yamilie, dem 
alten Moor, einem Manne in den Sechzigern, deflen Ahnen 
ihren Adel (IV, 2) dem Kaifer Friedrich Barbarofia verdanken 
Er hat feine Gattin frühzeitig verloren, denn nur der alte. 
Daniel erwähnt derjelben, während fich bei beiden Söhnen Feine 
Erinnerung an ihre Mutter findet. So hat der Vater die Er: 
ziehung der beiden Knaben allein übernehmen müflen, neben 
denen Amalia, eine arme Waiſe aud vornehmer Yamilie, aufge: 
wachſen ift. Daß ber Graf nad dem Tode feiner Gattin auf 
diefe drei Kinder feine ganze Liebe übertragen, ift natürlid; 
aber als ein guter und ſchwacher Mann tft er blind in feiner 
Liebe gewejen und hat den älteren, hoffnungsvolleren Sohn be: 
vorzugt, jo daß ed der jüngere hat merfen müflen. Dafür erlebt 
er nun das Unglüd, beide Kinder mißratben zu ſehen, und fühlt 
auch, daß er ſchuld daran ift, daß „die Sünden ber Väter 
heimgefucht werden an. den Kindern“. Es erwedt unfere ganze 
Theilnahbme, den guten, bibelgläubigen Mann leiden zu fehen, 
der bet feinem eigenen Schidjal der Geſchichte Jakobs und 


°) Vergl. Kutzen, Das deutſche Lund. Breslau bei Hirt. 


252 Räuber. 


Joſephs gedenft, der mit Hiobd Worten um den Berluft feiner 
Söhne Hagen kann, der in dem Gefühl feines herannahenden 
Ended mit aufrichtigem Herzen nad) dem Abendmahl verlangt. 
Aber was hilft das Alles; er tft fein Charakter. Ein rechter 
Menfchenfenner würde merken, daß Franz Komödie mit ihm 
ipielt, er würde die Tücke deſſelben nicht bloß ahnen, fondern 
durchſchauen, er würde nicht in einem Augenblid ihm taufend 
Flüche nachdonnern und kurz darauf ihn um Berzeihung bitten. 
So ift der alte Graf ein Sinnbild der kranken, altersſchwachen 
Zeit; ein Mann, der dur die ungerechte Bevorzugung eines 
jeiner Kinder eine fchwere Schuld auf fi geladen und nun 
zur Strafe dafür fih in beiden Söhnen betrogen fiehbt; dem 
in feiner Verzweiflung daher nichtd weiter übrig bleibt, ala 
fih ſelbſt anzuklagen und fein Schickſal ald wohl verdient zu 
betrachten. 

Den älteften Sohn, den Erben ber väterlichen Herrichaft, 
bat Sch. Karl genannt, weldyes auch der Name des Helden in 
der Schubartjhen Erzählung tft; der Name Moor wurde 
einem Zöglinge der Karlöjchule entlehnt. Karl, ſchon in der 
Jugend der Liebling des Haujed, nicht nur von dem Bater, 
fondern auch (1V, 3) von der Dienerjchaft verhätichelt, wuchs 
zu einem begabten Züngling heran, welcher verſprach ein Held 
zu werden, der jeinen Ahnen Ehre maden würde. So ging er 
zur Bollendung feiner Ausbildung nad Leipzig. ine jtattliche 
Erſcheinung, nicht nur mit hervorragenden Geifteögaben, fondern 
auch mit reihen Mitteln auögerüjtet, kommt er nach dem ba» 
maligen Centrum deuticher Bildung, dad Goethe (Yauft, Bd. II, 
©. 88) „ein Mein Paris“ nennt. Aber ohne Erfahrung, ohne 
Erziehung, ohne Auffiht wird er den verlodenden Reizen bes 
Lebend zur Beute. Bon dem Gedanfen befeelt, daß nur „die 
Freiheit Kolofje und Ertremitäten ausbrüte“, ftürzt er fih in 
den Strudel der Bergnügungen, und da ihm nirgend ein Ideal 
geboten wird, an dem er fich erwärmen und begeiftern könnte, 
jo erfchöpft er feine Kraft in tollen Studentenftreihen. Bald 


Räuber. 253 


aber gewährt ihm dieſes Treiben feine Befriedigung mehr. Mit 
lebhaftem Sinn für die Schönheiten der Natur begabt, möchte 
er fich jelbft in Harmonie mit ter Schöpfung fühlen; das aber 
will ihm nicht gelingen, denn er kann die Räthſel des Lebens 
nicht Idfen. So wird er von der allgemeinen Krankheit der 
Jugend, vom Weltjchmerz ergriffen; ftatt der Helden des Alter: 
thums, der Ideale feiner Knabenjahre, ſieht er ſich ring3 von 
Menfchen umgeben, deren niedrige Gefinnung ihn anefelt, und 
ftatt der Gelegenheit zu thatkräftigem Handeln fieht er ſich 
überall gebrüdt und beengt. Die Thorheiten, die er in Leipzig 
begangen, haben nicht nur feine Mittel erihöpft, jondern auch 
feine fittlide Kraft gelähmt; nunmehr erwacht ſein beſſeres 
Selbft, er wendet fich reuevoll an feinen Bater, der wird den 
verlorenen Sohn nicht zu Grunde gehen laſſen. Indeſſen was 
er gehofft, geichieht nicht; dem Bußfertigen wird feine Ber: 
zeihung zu Theil, Die väterlihe Thür wird ihm verfchlofien. 
Nun erwacht fein Haß, aber nicht bloß gegen den Vater, jon- 
dern gegen die Menfchheit überhaupt; biöher nur der Repräjen- 
tant des auf Srrwegen befindlichen jugendlihen Strebend, be: 
trachtet er fi) nunmehr ald Repräfentanten ded um feine Rechte 
betrogenen Volkes. Die „Otternbrut”, die ihn von fich ausge⸗ 
itoßen, die will er jegt zermalmen, darum beichließt er Räuber 
und Mörder zu werden. Aber er wird noch mehr. Seine Ge- 
fährten haben eben jo wie Franz (IV, 2) bemerft, daß etwas 
Großes in feinen Zügen liege, und bald wird ihn Koſindky 
(III, 2) mit Scipio, „dem Dann mit dem vernichtenden Blick“ 
vergleichen; fle erwählen ihn daher zu ihrem Hauptmann. Sept 
wird fein Thatendurft Befriedigung finden, denn er ift, wie 
Sch. in der Selbftrecenfion feiner Räuber fagt, „ein Geiſt, ben 
da8 Verbrechen nur reizt um der Größe willen, die ihm an: 
hängt, um ber Kraft willen, die e8 erheiiht, um der Gefahren 
willen, die es begleiten.” Und in der That ift er im Augenblid 
der Noth ein ganzer Mann, ein Yührer, deſſen Scharfblid, 
beiten Organilationdtalent wir bewundern müflen. Und wie 


254 Räuber. 


treibt er fein Handwerf? Wir erfahren ed (II, 3) von Razmanın. 
Er nimmt leichtfertigen Schurfen das Geld ab, um ed auf 
würdige Weile zu verwenden, um arme Waiſen erziehen und 
unbemittelte, aber hoffnungsvolle Sünglinge ftudiren zu laflen; 
er Ichafft gemeine Beamtenfeelen aud der Welt, die ihre Stel- 
lung mißbrauden; denn er will die Menjchheit von ihren Peini- 
gern befreien. Das Rauben und Plündern überläßt er den 
Mitgliedern feiner Bande, ‚unter denen er ftrenge Zucht und 
Ordnung hält, denn feine Abficht ijt feine andere, als „Das 
Racheichwert des oberjten Tribunald zu regieren“. Aber bald 
bemerft er zu feinem Schmerz, daß nur wenige feiner Genofien 
im Stande find, feine eigentlichen Abfichten zu begreifen; es 
werten unter feiner Yührung Unmenſchlichkeiten und Greuel- 
thaten verübt, die „feine jchönften Werke vergiften‘. Nun ift 
er auch ded Räuberlebend ſatt und möchte feiner Bande ent: 
fliehen. Obwohl mit ſich felbft und mit der Welt zerfallen, ift 
doch ein Reit aus jenen befleren Tagen ihm geblieben. Er 
fehnt ſich zurüd nach der Unjchuld feiner Knabenjahre; bei der 
Erinnerung an feine Amalia hofft er, dad Glüd der Liebe könne 
ihm noch lächeln, und fo beichließt er, was er früher nur halb 
gethan, jegt ganz zu thun, er kehrt in fein Vaterhaus zurüd. 
Aber den Bater ſelbſt findet der verlorene Sohn nicht wieber, 
nur von einem alten Diener wird er erfannt; und da er fich nicht 
berechtigt fühlt, an feinem unnatürlichen Bruder Rache zu neh: 
men, und eben jo wenig es wagt, fich feiner Amalia zu erfennen 
zu geben, jo kehrt er zu feinen Räubern zurüd. Doc bier 
wird er aufs neue von Gewiſſensbiſſen gefoltert, dad Verlangen 
nah Glückſeligkeit kann er in feinem Innern nicht zerftören; fo 
bleibt ihm, dem Unglüdlichen, nichts weiter übrig, ala fich ſelbſt 
zu vernichten. Aber jegt treten die Schauer der Ewigfeit vor 
feine Seele; darf er ed wagen, die dunkele Pforte jelbft zu 
öffnen, die fein Geſchick ihm noch verjchloffen hält? Nein, fein 
Stolz verbietet ihm den GSelbftmord, er beichließt zu leben und 
dad Schidfal zu tragen, das er fich ſelbſt bereitet. Es ift, als 


Räuber. 255 


ahne ihm, daß er noch eine fchaurige Miffion zu erfüllen hat. 


Seinen teufliih gemißhandelten Vater aus dem Gefängniß zu 
befreien und ihn zu rächen, das tft die That, womit er feine 
Werke krönt; da er ihm aber weder den Sohn, nod feiner 
Amalia den Bräutigam wieder jchenfen kann, und eben jo wenig 
der Bande noch ferner ein Führer zu fein vermag, fo Tehrt er 
nunmehr in die Schranken der gejeglichen Ordnung zurüd, der 
er fi jelbft zum Opfer anbietet. Es ift dies ein Audgang, 
mit dem Sch. gleichzeitig fein Urtheil über das Stüd auöge- 
ſprochen hat. 

Wenn ſowohl Hoffmeifter als K. Fischer") in Karl Moor's 
hohem Freiheitsſinn wie in feinem weichen Genrüth des Dichterd 
eigened Bild erbliden, jo ift Died doch nur ein weit verbreiteter 
Zug von pfychologiſcher Wahrheit, den Sch. außer ſich eben jo 
gut beobachten ald in ſich entdeden und jomit zur Darftellung 
bringen konnte. Wenigftend gehörte Sch. in der Karlsſchule 
feineöweged zu den widerjpenitigen Naturen, die den Drang in 
fih fühlen, mit allen Berhältnifien zu brechen, um im Leben 
etwa bie Rolle eined Räubers zu jpielen; denn es iſt befannt, 
daß er ungeachtet mancher Außftellungen, die man an ihm zu 
machen hatte, doch ein beſonderer Liebling des Herzogs war. 
Wir dürfen ed daher wohl zugeben, daß der Dichter dem Cha- 
rafter feined Karl Moor ein reiches Maß jubjectiver Färbung 
gegeben; aber feinem Stoff gegenüber erjcheint er fo objectiv, 
wie ed von dem Dramatiker verlangt wird, defien Aufgabe es 
ift, das Leben darzuftellen. 

Der jüngere der beiden Brüder führt in der Schubartichen 
Erzählung den Namen Wilhelm. Aber Sch. war durch feinen 
Freund, Wilhelm v. Hoven, auf den Stoff aufmerffam gemacht 
worden; wie hätte er für den Böſewicht, den er zu zeichnen 
gedachte, diefen Namen beibehalten können? Er nannte ihn 


*) Die Selbftbefenntniffe Schiller 8. Frankfurt a. M., Chr. Hermann, 1858. 
©. 26— 35. 


256 Raͤuber. 


Franz, ein Name, deſſen frembländiihe Abftammung”) und 
beiten jcharfer, jchneidenter Klang ihm für feinen Zwed befler zu⸗ 
fagte. Franz ift, wie Richard TIL, von der Natur ftiefmütterfih 
behandelt worden; er tjt häßlich von Geſtalt und Geſicht und hat 
in Folge deffen mande Zurüdjepung erfahren. Das hat fein 
Gemüth verbittert, jo Daß er mit einer gewiſſen Berechtigung 
feinem Bater über -die ungleiche Behandlung feiner Kinder Bor- 
würfe macht. Hat ed ihm nun auch von jeher an Liebendwür- 
digkeit gefehlt, fo befigt er Dafür doch Erfindungsgeiſt; was er 
auf redlihem Wege nicht gewinnen kann, dad will er mit Ge— 
walt ertrogen, und jo wird er zum Verbrecher. Zunächſt er- 
fcheint er ald ein jchlau berechnender Heuchler; er fucht das 
Gegentheil von dem glauben zu machen, was er im Sinne hat, 
hebt feine eigenen guten Eigenſchaften hervor, verläumdet Andere 
und dichtet ihnen feine Fehler an. Aber er bat beitimmte Zwecke, 
Die er erreichen will, es ift ihm um das Erbe der väterlichen 
Herrihaft zu thun; deshalb muß der Water befeitigt, der ältere 
Sohn von dem Baterherzen, der Bräutigam von ber Braut 
gerifien werden. Die Mittel dazu find Lug und Trug, felbft 
(11, 1) falſche Handichriften und, wo die nicht helfen, der Meuchel: 
mord. Den lepteren will er freilich ſelbſt nicht verüben; ſolche 
Berbrechen jollen Andere, Hermann und Daniel, für ihn begehen, 
denn er will den Leuten nicht ald Böfewicht erjcheinen. Nichts: 
deſtoweniger jchlägt ihm fein Gewiſſen, mit dem er fi durch 
eine eigene Art von Philofophie abzufinden fuht. Er macht fi 
ein Gewiſſen nad) eigener Yaron zurecht, indem er mit diaboli: 
ſcher Sophiftit Natur und Xeligion verhöhnt. Das Verhältniß 
zu feinem Vater wird von ihm in der herzlofeften und empörenb- 
ften Weife zergliebert, Die heiligften Empfindungen werden in den 
Schmutz getreten, um fidh jeder bindenden Verpflichtung zu über: 
heben. Die Religion tft ihm nichts Anderes als ein Heiliger Nebel, 
der Sedankenlofe und Narren mit Furcht erfüllen und den Pöbel 


*) Bon Granciscus; vergl. Kranke. 


— — — — 


Räuber. 257 


im Zaum halten ſoll. Deshalb verdreht er die Worte der Schrift 
und weiß Bibelftellen (IV, 2) in jchändlicher Weiſe zu mißbrau- 
hen. Wenn man will, je fönnte man auch bier behaupten, daß 
der Dichter aus ſich ſelbſt geichöpft; war doch auch er bereits 
von mancherlei religiöfen Zweifeln yepeinigt, welche den kindlichen 
Slauben an die Wahrheit des chriftlichen Dogma’3 erfchüttert 
hatten, und erkennt man in den baroden Sophiämen doch deut: 
lich genug den zum Matertaliömuß fich hinneigenden Mediciner. 
Aber ald Dramatiler brauchte er nicht bloß einen reflectirenden, 
er brauchte einen handelnden Böfewicht, und in diefer Beziehung 
offenbart ſich bet dem Dichter die zu Webertreibungen geneigte 
jugendliche Schwäche, denn da, wo Franz wirklich handelnd 
auftritt, wird er zur Barricatur. Die Heftigfeit, mit der er auf 
feinen Bater einftürmt, um ihn durch Schred zu tödten; fein 
eınpörended Benehmen dem Berzweifelnden gegenüber; feine 
Ausbrüche des Zorned (II, 2) gegen Hermann, durd die er ſich 
Doch deutlich in die Karten fehen läßt; die plump angelegte 
Sntrigue, durch welche er Amalie zu gewinnen denft und an 
deren @elingen er jelber zweifeln muß; die vollftändig unge- 
rechtfertigte, rohe Weiſe, in welcher er den alten, treuen Daniel 
verdächtigt — dad Alles mußte dem Dichter fagen, daß, wenn 
auch „die Tugend im Contraſte mit dem Lafter das lebendigſte 
Solorit erhält” (R. Vorr.), doch ein gewaltſames Streben bei 
der Anwendung dieſes Kunftmitteld eher Widerwillen ald DBe- 
wunderung erzeugt, und mit Recht fagt er daher in der GSelbft: 
kritik feiner Räuber, es ſei „eine Verfündigung gegen die menſch⸗ 
liche Natur, ein ſolches Monftrum in eine Sünglingsfeele zu 
verjegen.” Glücklicher dagegen tit dem Dichter die Kataſtrophe 
gelungen, in welcher er bad Ende feines Böſewichts zur An- 
Ihauung bringt. Die Gewiſſensqualen, welche ihn peinigen; 
„die unwillfürlihen Schauber, welche feine lieder in froftige 
Angjt rütteln”; die Ausbrüche des Zorns gegen Daniel und den 
Baftor Mofer, wo es ihn an Gründen fehlt, feine Gegner zu 
befiegen; bie entjeglihen Träume und die Geſpenſter, welche 
1. 17 


258 Räuber. 


tin im Augenblid der legten Noth gleih fchlangenhaarigen 
Furien verfolgen; die wahnfinnigen Reden, mit welchen der 
verzweifelnde Atheift feinem Leben ein Ende macht — das 
Alles ift von tief ergreifender Wahrheit und bei der Darftellung 
auch jederzeit von mächtiger Wirkung. 

Zwiſchen den beiden feindlihen Brüdern fteht Amalta, 
die Nichte des alten Moor, die derjelbe als Waiſe in fein Haus 
aufgenommen und dort erzogen hat, was fie ihm mit liebreicher 
Sorgfalt vergilt. Ohne mütterlihen Einfluß, obne irgend ein 
andered wetbliched Vorbild tft fie mit den Knaben aufgewachien, 
unter denen Karl als die edlere Natur ihre Zuneigung gewonnen 
bat. Ihre Liebe ift zwar eine jchwärmeriighe, aber es liegt zu- 
glei etwas männliched darin, denn fie liebt an ihrem Karl faft 
nur das Freie, Kühne und Große. Go erfcheint fie eigentlich 
nur ald der weiblihe Abdrud defielben, eben fo beroiich und 
phantaftiich und zugleich eben fo eraltirt. Sie ift zwar erbittert, 
Daß der Bater feinen Sohn verftoßen, aber fie thut nicht daB 
Geringfte, um dad geftörte Verhältniß wiederherzuftellen; die 
Neigung, Frieden zu ſtiften, dieſer fchöne Zug des weiblichen 
Herzens, war dem jugendlihen Dichter noch völlig unbekannt. 
Statt jelbft an Karl zu fchreiben,. überläßt fie fih in ibrer 
Einſamkeit der ftummen Trauer, oder ſchwelgt in Wonne und 
Entzüden, Empfindungen, die fie jelbft in dad Klofter mit 
hinüberzunehmen gedenkt. Daß Karl fie geliebt, ift ihr befannt, 
und daß die Bewerbungen jeined Bruderd aller edlen Beweg- 
gründe entbehren, durchſchaut fie wohl, aber fie thut wiederum 
nichts, um deſſen ſchändliche Verrätherei an dad Licht zu brin- 
gen; fie haßt ihn nur und wünſcht, von ihm gehaßt zu werden; 
und wo fie fich feiner Zudringlichkeit erwehren muß, ift es nicht 
Die einem Acht weiblichen Weſen von der Natur verliehene fitt- 
lihe Würde, mit welcher fie ibn in Schranken bält, jondern es 
find Schläge und Drohen mit ber ihm entrifferen Waffe. Einen 
Augenblid fcheint ihre Liebe zu Karl wankend zu werden, als 
ter vermeintliche Fremde ihr ein Intereſſe abgewinnt; aber fie 


in FE EREENE 


Räuber. 259 


fühlt wohl, daß fie etwas von ihrem Karl in ihm entdedt, dem 
Einzigen, dem fie ihr Herz fchenfen kann, dem fie treu bleiben 
muß. So findet fie denn auch den Oheim wie den Bräutigam 
wieder, aber nur, um beide fogleich zu verlieren und ſelbſt als 
ein beflagenöwerthed Opfer ihres Geſchicks zu fallen. — Als 
Sch. feine Räuber jchrieb, war ihm dad Gefühl der Liebe noch 
eine vollftändig fremde Empfindung; gänzlich unbelannt mit 
dem weiblichen Herzen, war er außer Stande, bie oft jo rüh⸗ 
rende Natvetät deffelben zu jchildern. Hoffmeifter bezeichnet da— 
ber mit Recht Amalia mit ihrer Liebe als die ſchwächſte Yigur, 
ja geradezu als die tödtliche Seite ded Stücks, und Sc. felbft 
äußert in feiner Selbfttritif, „der Dichter habe hier etwas Außer: 
ordentliches liefern wollen, und und um dad Natürliche gebracht.“ 
Aber er macht und an einer anderen Stelle audy mit dem Grunde 
diefer Erſcheinung befannt; er jagt: „Die Thore des Inſtituts 
öffneten fich Frauenzimmern nur, ehe ſie anfingen intereffant zu 
werden und wenn ſie aufgehört hatten, es zu fein.” So wurde 
Amalia ein Gebilde jeiner Phantafie, dem ed nothwendig an 
innerer Wahrheit fehlen mußte. 

Neben den Mitgliedern der Moor'ſchen Familie fteht Her: 
mann, der nafürliche Sohn eined Edelmanned, ein muthiger, 
entjchlofjener Menſch, der durch fein offenes Auftreten einen 
wirkſamen Gegenſatz zu Franzen's heimtüdifhem Charalter bil- 
det. Der Fleden, welcher an feiner Geburt haftet, hat ihm 
Beleidigungen von dem alten Moor zugezogen; von Amalia, 
bie er gleichfalls liebt, ift er abgewiefen worden, und in Karl 
befißt er einen gefährlichen Nebenbubler; er bat alſo hinreichende 
Urſache, mit feinem Schickſal unzufrieden zu fein. Sn diefer 
Stimmung, und zugleid von dem lebhaften Verlangen bejeelt, 
eine Rolle in der Welt zu fpielen, fchließt er fih an Franz an, 
ber ihm auch die beften Ausfichten zur Erreichung feines Zieles 
eröffnet, ihn aber nur benugen will, um feine eigenen Pläne 
durchzujegen. Hermann traut ihn anfangd und zeigt fich bereit, 
den Grafen wie auch deflen älteften Sohn zu vernichten; Als er 

17 * 


260 Räuber. 


aber flebt, welches Unheil er angerichtet, fchlägt ihm fein Ge⸗ 
wiflen, er macht wirkſame ©egenintriguen, verräth Amalien, daß 
beide Moor noch am Leben jeien und trägt jomit dazu bei, 
Franzens tragifchen Ausgang herbeizuführen. 

Einen wohlthuenden Gegenfap zu dem bedauernöwerthen 
Familienkreiſe bildet der greife Diener Daniel, ein Mann von 
einfacher, ſchlichter Frömmigfeit, der fi) zu feiner Schandthat 
verstehen mag. Dabei ift er von rührender Ergebenheit, in 
Angenbliden, wo ihm das Herz aufgeht, von einer findlich:naiven 
Geſchwaͤtzigkeit und jelbit einem (vermeintlichen) Fremden gegen» 
über von einer Wahrheitäliebe, die alles audplaudert, was er auf 
dem Herzen hat. Bon Schmerz erfüllt, daß das gräfliche Schloß, 
das fonft ein Sib bed Gegend war, ſich in ein Haus des Fluches 
verwandelt hat, will er daſſelbe verlaflen und ift ſelbſt noch in 
dieſem Augenblide bereit, ſich feines verabfcheuungsmwürdigen 
Herren anzunehmen, ihn zu ermahnen und zu warnen; er ift 
das Bild der Aufrichtigkeit und Treue im Gegenſatz zur Falſch⸗ 
beit und Bosheit. 

Mir wenden und nun zu den Räubern, einem Corps, 

dad zum Theil aus Leuten hervorgegangen ift, die ſich Studi⸗ 
rend halber in Yeipzig aufgehalten, aber, ftatt ſich dem Dienft 
der Diufen zu widmen, einer übermütbigen Libertinage (f. d.) 
ergeben haben. Hierdurch find fie jo herunter gelommen, daß 
ihnen jchlieglidy keine andere Laufbahn ald die der Banditen 
übrig bleibt. Die Hauptrolle unter ihnen fpielt Spiegelberg, 
der am treffendften durch Schweizer’8 Worte (1,2) charakteriſirt 
wird: „Morig, Du bift ein großer Mann! — oder es hat ein 
blinde8 Schwein eine Eichel gefunden!“ — Spiegelberg ift eigent- 
lih ein jümmerliher Renommijt, der aus feinen Studentenjah: 
ren nichts von jeinem befjeren Selbſt gerettet hat, ſondern ſich 
nur mit Vergnügen der begangenen tollen Streiche erinnert. 
Aber er ift zugleich ein großer Phantaft, in deifen Kopfe aller: 
jet unausführbare Gedanken ihren Spuf treiben. Er läßt fi 
daher auch die Schimpfnanen „Schaföfopf, Eſel, Beftie“, mit 


Räuber. 261 


benen feine Gefährten ihn tractiren, ganz rubig gefallen. Den- 
noch gelingt ed feinem unverfennbaren Rebnertalent, fie durch 
barode Sophiftereien, jo wie durch einen toffen Gaunerhumer, 
der fich felbft die Hölle zu einem ergöglichen Bilde audzumalen 
verfteht, von der Richtigkeit feiner Ydeen zu überzeugen. Da eß 
mit den übermüthigen Stubentenftreichen vorbei, und der Weg 
zur Rückkehr unter die Geſellſchaft der ehrlichen Leute ihnen ver: 
fperrt tft, fo gehen fie auf feinen Vorſchlag ein, und er wird 
fomit der Stifter der Räuberbande. Hieraus leitet er nun das 
Recht ab, auch ihr Hauptmann zu werden; aber feine Genoflen 
wiſſen recht gut, daß er fich dazu nicht eignet, denn er ift eigent- 
lich ein nichtönugiger Schleicher und ein feiger Charakter. So 
muß er fi) denn wider feinen Willen dem einftinmig erwählten 
Hauptmann unterordnen, den er am liebften jo fchnell wie mög: 
li) bejeitigen möchte. Dies aber führt feinen Sturz herbei; 
benn jo wie er mit feiner nichtöwürdigen Abficht hervortritt, 
wird er von Schweizer eritochen. In Spiegelberg jehen wir 
Sch.'s Neigung zur Zufammenftellung wirffamer Contrafte in 
böchft glüdlicher Weife in die Erfcheinung treten; denn wäh: 
rend Karl’3 rein tragifcher Charakter und zu tief ernftem Nach: 
finnen Beranlaffung giebt, tft Spiegelberg eine grotesk-komiſche 
Figur, Die wir ungeachtet alles Abſcheus vor feiner Nichtswür⸗ 
Digfeit, dennoch mit einem gewiflen Behagen über die Scene 
geben ſehen; er ift, wie Edarbt (S. 126 2c.) bis in's Einzelite 
gehend nachgewiejen bat, eine vollendete Parodie des Helden 
unjerer Tragödie. 

Unter den übrigen Räubern find nur Roller und Schweizer 
als einigermaßen bervortretende Bejtalten zu bezeichnen. Roller, 
der fi) gern auf möglichit ehrliche Weife hätte durchichlagen 
mögen, ift wie Spielberg zum Humor aufgelegt, aber gleichwohl 
eine bejonnene Natur. Er bringt die Nachricht, daß man die 
Libertiner ausfundfchaftet; er weiſt darauf hin, daB die Bande 
einen Hauptmann haben müfje, wozu er Moor in Vorſchlag 
bringt, der auch auf ihn am meiften hält. Sein Ziel geht 


262 Räuber. 


eigentlich nicht auf den Galgen los, denn nur die Noth bat ihn 
zum Banditen gemacht; und gerade er wirb eingefangen, ge: 
foltert und zum Galgen verurtheilt. Als Moor in Kapuziner, 
futte zu ihm kommt, um ihn durch Wechfeln der Kleider zu be- 
freien, jchlägt er died ab, wird aber dennod vor dem Tode 
von Henkers Hand gerettet, um kurz darauf einen ebleren Tod 
für feinen Hauptmann zu fterben. — Schweizer ift wie Roller 
von Natur gut geartet, aber freilich verwildert; er neigt ſich 
anfangs auch auf Spiegelbergd Seite, wirb jedoch bald deſſen 
Gegner. Mit einfachen, fchlihten Worten ijt er bemüht, den 
Bermittler zwiſchen Karl und der Bande zu fpielen; und treu, 
wie ſchon jein Name (vergl. d. Flüſſe [Rhein]) dies andeutet, 
rettet er feinem Hauptmann zweimal dad Leben. Dafür wirb 
ihm die Ehre zu Theil, den Vater deſſelben zu rächen; ba es 
ihm jedoch nicht gelingt, fein gegebened Wort zu Löfen, jo giebt 
er fich felbit den Tod. 

Eine eigenthümliche Rolle fpielt Koſinsky. Er ift noch 
ein ehrliher Mann und zwar ein Dann von Bildung, denn 
Moor jelbit muß ihm dad Zeugniß geben, er babe fi wader 
in Schulen gehalten; aber er hat auf den Wogen bed Lebens 
Schiffbruch gelitten, feine Braut ift ihm durch eine Hoffabale 
geraubt, feine Güter find ihm confidcirt worden. Da ift Moors 
Ruf ald Verſucher an ihn herangetreten, und allerdings paßt 
er feiner ganzen Gemüthöftimmung nad in die Gejellichaft der 
Räuber, wo er in einem thatenvollen Xeben den marternden Er: 
innerungen an die Vergangenheit wird entfliehen Tönnen. Er 
wird aber eben nur aufgenommen, ohne daß wir ihn an ruch— 
Iofen Thaten ſich betheiligen fehen. Er tft geeignet, den Räu: 
bern einen Spiegel vorzubalten, ihnen zu zeigen, was fie ge: 
weien; und in den Worten, mit welchen Karl ihn abzumahnen 
jucht, fpricht dieſer fein Urtheil über fich felbft, fein Urtheil über 
bie Thaten feiner Baride aus. 

Schließlich haben wir noch zweier bedeutungsvoll contra- 
jtirenden ®eftalten zu erwähnen, bed Paterd in dem zweiten 


Räuber. 263 


und des Paftord? Mofer im fünften Act, von denen der Dichter 
mit rihtigem Tact den erften dem Karl Door, den zweiten ba: 
gegen Franz.gegenüberftellt. Der Pater ſucht ber Gejellfchaft 
der Räuber gleich von vornherein daburch zu imponiren, daß 
er ſich ald Diener der Kirche und ald Abgefandter der Obrig- 
feit bezeichnet, und er thut gut daran, „li den Magen warm 
zu halten“, denn durch Ueberlegenheit des Geiſtes würde er 
doch nicht zu wirken verftehen. Er betrachtet ſich ald den bei 
Gott in Gnaden Stebenden, der dad Recht bat, Dieben und 
Mordbrennern gegenüber ald ein toller Zelot aufzutreten; der 
mit einer Fluth von übertreibenden Kraftausdrüden auf bie 
Bande losſchimpft, jo daß fein gutes Haar an ihr bleibt. Voll⸗ 
ftändig unfähig, einen Berirrten wieder anf den rechten Weg 
zu führen, tft er nur handwerksmäßig erboft über die geſchehe— 
nen Greuel; er kann daher feine Zuhörer nicht ergreifen und 
befiern, ſondern höchjtend ihnen einen Spaß bereiten, jo daß 
Moor mit vollen Recht in Sorgen ift, jede Störung feiner 
Rede könne ihm dad Concept verderben. Wir erbliden in diefem 
eriten komiſchen Charakter, den Sch. geichaffen, eine glüdliche 
Vorſtudie zu dem Kapuziner in Wallenfteind Lager, eine Yigur, 
deren niederes Pathos die ganze innere Ohnmacht leeren Pfaffen- 
gemäfches zur Schau trägt. ALS ſolches möchte Franz auch die 
Reden des würdigen Paftord Mofer betrachten, ber indeflen 
ohne Menſchenfurcht und Menichengefälligkeit ein Diener Gottes 
in der edelften Bedeutung des Wortes ift. Mit pſychologiſchem 
Scharfblid verfteht er ed, dem mit ihm diöputirenden Böſewicht 
die geheimften Tiefen ſeines Innern aufzufchliegen, und mit ernft 
mahnenden Worten ihn vor den fürchterlichen Richterftuhl feines 
eigenen Gewifjend zu ſtellen. Es ift befannt, daß Sch. in dieſem 
Charakter jeinem ehemaligen Lehrer, dem Paftor Mofer, der 
ihm in Lord; bei Schwäbtich - Gmünd den erften Unterricht im 
Lateiniſchen ertheilt, und durch deſſen Einwirkung bei ihm auch 
die erfte Neigung zum Studium der Theologie erwachte, ein 
ehrendes Denkmal gefept hat, ein Denkmal, das und um fo 


264 Räuber. 


bedeutungövoller erjcheinen muß, ald ed und mit mandem 
Schroffen und Widerwärtigen in dem Gtüde verjöhnt. Lafſen 
wir nunmehr den Gang ber Handlung defielben an und vor- 
übergehen. 

Der erjte Act hat in der Riteraturaudgabe brei Scenen, 
von denen die legte in der Tiheaterbearbeitung zur zweiten ge: 
macht iſt. Hierdurch gliedert ſich der ganze Aufzug in zwei 
mehr gleihmäßige Abtheilungen, von denen die Scenen der 
erfteren in, die der legteren außer dem Moor'ſchen Schlofie 
\pielen. Wir lernen zunächſt Yranz, den beuchlerifchen Böfe- 
wicht, Tennen, der durch einen jelbftgefchmiedeten Brief feinen 
älteren Bruder um die Liebe ded Vaters und um die ihm recht- 
mäßig zuſtehende Herrjchaft bringen will. Ungeachtet er feinen 
Bater durch höhniſche Reden auf das tiefite verlegt, gelingt e3 
ihn doch, fi) bei dem ſchwachen Manne einzuſchmeicheln, der 
ihm die Antwort an Karl überträgt. So bat er das Heft der 
Waffe in Händen, mit weldyer er den vernichtenden Streich 
gegen feinen Bruder zu führen gedenft. Aber auch von Amalia's 
Herzen will er ihn Iodreißen, um diefelbe für fich zu gewinnen; 
indeflen ift er bier in feinen Berdächhtigungen und Berläumdun- 
gen weniger glüdlih, da fie fich gelobt, ihrem Geliebten treu 
zu bleiben. — In der zweiten Hälfte lernen wir den bereits 
angefündigten Helden des Stüded mit jeinen Genofjen Tennen, 
und zwar tritt Karl ſogleich im Gegenjag zu Spiegelberg auf. 
Karl ſchmält auf bie Elägliche Zeit ded Drudes und ber Knecht: 
Ichaft, die nichtd Großes hervorzubringen vermag; Spiegelberg 
dagegen jucht ihm die böje Laune durch feinen Humor wegau. 
icherzen, erinnert ibn an die übermüthige Herrichaft, die fie ala 
Studenten geübt, und zeigt ihm, wie fie auf dem Wege des Ber: 
berbend noch weiter vorfchreiten können. Karl aber weift ſolches 
Anfinnen zuräd, denn er erwartet Verzeihung vpn feinem Vater, 
eine Hoffnung, in der er durch die Ankunft des von feinem 
Bruder gefchriebenen Briefed getäufcht wird. Nachdem er finn: 
108 fortgeftürzt ift, treten feine übrigen Genofjen in Berathung 


Räuber. 265 


über ihre bedenkliche Lage. Ihres wüjten Treiben wegen jeden: 
falls von der Univerſität nerwielen, haben fie ſich einem vaga- 
bondirenden Leben ergeben, dad fie in Schulden und Elend 
geftürzt, aus dem fein Rettungsweg fich zeigen will. In dieſer 
Noth macht Spiegelberg den Borfchlag zur Stiftung einer Räu- 
berbande, der auch bald mit Begeifterung aufgenommen wird. 
Auch der Vorſchlag, Karl zum Hauptmann zu wählen, findet 
allgemeinen Beifall; nur Spiegelberg ift erbittert über die er- 
fahrene Täuſchung, und feine Worte: „bis ich ihm hinhelfe“ 
Elingen bedenklich durch dad dem Hauptmann gebrachte Lebehoch 
hindurch, fie deuten eine zu erwartende Kataftropbe an. Karl 
Moor, wüthend über das Schidjal, dad ihn betroffen, hat bie 
Mahl in jugendlicher Weberftürzung angenommen. Es iſt zu: 
näcft die Idee, die ihn reizt; wie dieſelbe fich verwirklichen 
werde, da8 hat er fih noch nicht klar gemadt. Aber er läßt 
ih Treue jchwören, jchwört fie eben fo feinen Leidensgefährten, 
und fo tft der Bund geichlofen, ein Bund, dem der Glaube 
an eine göttliche Vorfehung verloren gegangen, der nichts An- 
deres als ein „unbeugjames Fatum“ ald über ſich waltend an- 
erfennt. 

Nachdem wir die einander feindlihen Gewalten mit ihren 
Abfichten kennen gelernt, giebt und der zweite Act ein Bild 
von ihren Operationen. Zunähft gebt Franz, dem dad Leben 
jeine8 Baterd zu lange dauert, mit fih zu Rathe, durch welche 
Mittel er defien Tod herbeiführen könne. Er wendet fich des⸗ 
halb an den von dem Grafen und feinem älteften Sohne be- 
leidigten Hermann, verfpricht ihm Amalia zur Gattin und fordert 
ihn auf, dem alten Moor zu verfünden, Karl fei im Kampfe 
gefallen. So denkt er den Vater durch Schred zu tödten und 
jelbft zur Herrfchaft zu gelangen. Hermann jagt zu; wir hören 
aber gleich darauf, daß Franz ihm nicht Wort halten will, der 
in der Theaterauögabe überdies feiner Leichtgläubigfeit jpottet, 
hierauf feine Menjchenverahhtung gründet und fich ſomit in feiner 
Bosheit beftärkt. Der entworfene Plan wird fogleicy ausgeführt; 


266 Räuber. 


beide begeben fi zu Moor, der fi fjoeben mit Amalia von 
Karl unterhält, ein Dialog, der ineder Thenterbearbeitung be: 
beutend gekürzt ift. Hermann entledigt fich ſeines Auftrages 
unter Beibringung von Documenten, denen der Vater glaubt, 
die jedoch bei Amalia gerechte Zweifel erweden. Franz wirft 
jet die ganze Schuld auf feinen Vater, den er mit höhnenden 
Worten verläßt, während Amalta zurüdbleibt und ihm Jacobs 
Klage um feinen Sohn Joſeph vorlefen muß, eine in der Theater: 
ausgabe getilgte Scene. Die Schreckensnachricht hat in foweit 
auf den alten Moor gewirkt, daß er in Ohnmacht geſunken ift, 
ein Umftand, den Franz benust, ihn für todt audzugeben, worauf 
er in einem für die Bühne gleihfalld unterdrüdten Monologe 
ein erjchredendes Bild feiner künftigen Herricherprincipien ent: 
wirft. — Die zweite Hälfte des Actes verjegt uns in die böh⸗ 
miſchen Wälder, wo Spiegelberg von den abjcheulichen Streichen 
feined Iuftigen Räuberlebens erzählt, während Razmann uns 
über Moord edle Abfichten aufflärt, eine Scene, die in ber 
Bühnenaudgabe durch die vorgenommene Kürzung bedeutend an 
Wirkung verliert. Jetzt tritt Schwarz auf und berichtet, daß 
Roller gehängt worden fei, den wir indeflen gleich darauf er: 
Icheinen fehen; denn ein tollfühner Streich feined Hauptmanns 
bat ihn gerettet, eine ganze Stadt ift feinetwegen in Flammen 
aufgegangen. Inzwiſchen haben Soldaten eine Kette um ben 
Wald gezogen, in der Abjicht die ganze Bande einzufangen. 
Ehe fie jedoch zum Angriff jchreiten, ſchickt die Obrigkeit einen 
Water vor, der in der Theaterbearbeitung als „Sommifjar” auf: 
tritt und dadurch den weſentlichſten Theil feiner Originalität 
eingebüßt hat. Er bat die Aufgabe, dem Hauptmann feine 
Nichtswürdigkeiten vorzuwerfen, der Dagegen dem geiftlichen 
Hochmuth eine derbe Strafpredigt hält und ihm begreiflich 
madt, wie er ald Räuberhauptmann die Gerechtigkeit zu üben 
fuche, die er in der bürgerlihen Gejellichaft vermißt. Da fidh 
der Pater indeß auf weitere Erörterungen nicht einläßt, und 
feine Aufforderung an die Bande, ſich freimillig zu ergeben, 


Räuber. 267 


oder den Hauptmann audzuliefern, erfolglos bleibt, fo gebt e8 
zum Kampf, zum offenen Kampf gegen bie Beichüger der gefep: 
lihen Ordnung. 

Beim Anfange des dritten Acted, der und die Rata- 
fteophe oder den Wendepunkt zu bringen bat, erfahren wir zu: 
naͤchſt, daß das Böſe auf beiden Seiten vorläufig ben Sieg 
errungen hat; Yranz ift Herr der Befitungen jeined Vaters ge: 
worden, Karl dagegen hat fi im Kanıpfe gegen die gejeßliche 
Gewalt behauptet. Der Dichter will und nunmehr die Gemüths: 
flimmung zur Anſchauung bringen, in welcher beide Verbrecher 
die Früchte ihrer Thaten genießen, derfelbe Dichter, welcher 
jpäter (Br. v. M. 5, 467) fang: 

„Ein andres Antlitz, eh’ fie geichehen, 

Ein andres zeigt bie vollbrachte That. 

Muthyvoll blickt fie und kühn dir entgegen, 

Wenn ber Rache Gefühle den Bufen bewegen: 

Über tft fle geichehn und begangen, 

Blidt fie dich an mit erbleichennen Wangen.” 
Der übermäßigen Anftrengung auf beiden Seiten ijt jegt die 
Abipannung gefolgt; wir fehen der weiteren pſychologiſchen Ent: 
widelung der Charaktere entgegen. Der Dichter führt und zu: 
nächft nad dem Moor'ſchen Schloffe, wo Yranz zwar refibirt, 
aber keinesweges fo herricht, wie er ed fich gedacht bat. Denn 
al3 er der um ihren Geliebten trauernden Amalia jeine Liebe 
erlärt, oter vielmehr in der fchamlofeften Weile die Erwiebe- 
rung jeiner Zuneigung von ihr erzwingen will, reißt fie ihm 
den Degen aus der Scheide und nöthigt ihn zur Flucht. Weber: 
dies theilt Hermann Amalien mit (eine Scene, die in der Theater: 
ausgabe abgekürzt in den vierten Act verlegt ift), daß Karl ' 
ſowohl als ihr Oheim noch leben, zwei Nachrichten, von denen 
fie die letztere vollftändig überhört. Es fieht alfo mit Yranzens 
Herrſchaft mehr ald bedenklih aus. — Wie fteht ed num mit 
Karl Moor? Wir finden die vom Kampfe abgematteten Räuber 
an der Donau gelagert, fie baben ſich alfo durchgeſchlagen. 
Nah dem glänzend errungenen Siege müßte Karl wähnen, er 


268 Räuber. 


fei auf dem Gipfelpuntte feines geträumten Strebend angelangt; 
ftatt deſſen finden wir ihn körperlich erſchöpft und innerlidh 
geknickt. Der befte unter feinen Gefährten, Roller, ift an feiner 
Seite gefallen, und er felbjt fühlt ſich bitter getäuſcht. Die 
lachende Natur um ihn ber bildet einen jchneidenden Contraft 
mit dem Bilde, dad der Spiegel feined Innern ihm vorhält, jo 
daß er den Koſinsky, der fih zum Eintritt in die Bande meldet, 
in ernftefter Weile von feinen bebenflichen Vorhaben abmahnt. 
Nur die Aehnlichkeit in dem Schtdjal beider Unglüdlichen ver: 
mag ihn zur Aufnahme des neuen Mitgliedes zu bewegen und 
ihn zu neuen Thaten anzufpornen. — Der dritte Act ift im 
Verhältniß zu den übrigen von auffallender Kürze und entbehrt 
ungeachtet des pſychologiſchen Intereſſes, bad er und abnöthigt, 
Doch des nothwendigen dramatijchen Reizes, weshalb Sch. in 
feiner Selbftfritit auch mit Recht fagt, dad ganze Schaufptel 
erlahme in der Mitte. 

Bon reicherem Inhalt dagegen iſt der vierte Act, dafür 
aber auch jchwerer zu entwirren. Wir wiſſen bereitd, daß Franz 
Mangel an innerer Befriedigung fühlt, Karl dagegen von bit: 
terer Reue gefoltert wird; es fragt fih: Was werden fie thun? 
Wir erbliden Karl vor feinem väterlihen Schloffe in weh: 
müthiger Stimmung, ungewiß, ob er eintreten ſoll, ob nicht. 
Nah diefem in der Theaterbearbeitung unterbrüdten Monologe 
erjcheint er unter fremdem Namen bei Amalia, bie ihn zwar 
nicht wiebererfennt, der er es jedoch abfühlt, daß fie ihren Karl 
noch liebt. Bon quälenden Vorwürfen gepeinigt, verläßt er fie. 
Inzwiſchen hat auch Franz den Beſuch ded vermeintlichen Frem⸗ 
den annehmen müſſen, bei deffen Anblid ihm eine unbeilvolle 
Ahnung Durch die Seele gegangen tft, die fich ſchnell zu fürch— 
terlicher Gewißheit teigert. Der Gedanke, den Fremden aus 
dem Wege zu räumen, kann einem Menjchen wie Franz feine 
Igroßen Bedenken einflößen, nur jelbft mag er es nicht thun; aber 
einem alten Diener Daniel wagt er ed zuzumuthen, der es ihm 
nach heftigem Sträuben auch zufagt. In der Thenteruuögabe 


Räuber. 269 


läßt der Dichter Died Anfinnen an Hermann ftellen, der ſich 
aber mit höhnifchen Worten von feinem Gebieter abwendet und 
ihm anbeutet, daß er im Stande jei, Gräber zu öffnen und 
Todte zu erweden. Durch dieſe Umänderung mußte natürlich 
Die äußerft lebendige, mit der vorigen jo wirffam contraftirende 
Erkennungsſcene (3) zwifhen Moor und Daniel unterbrüdt 
werden, die wir indeflen ungern auf der Bühne entbehren, weil 
file Karl darüber aufllärt, daß er den auf ihm laftenden Yluch 
nicht feinem Vater zu danken bat, jondern daß er von feinem 
Bruder ſpitzbübiſch betrogen ift. Karl kann jet nicht weiter in 
dem Schlofie bleiben; aber Amalien noch einmal zu fehen, das 
kann er fich nicht verjagen. Er fucht fie daher in dem Garten 
auf, wohin fie fih zurüdgezogen, damit die Anwejenheit des 
Fremden fie in ihrer Treue nicht wankend made. Indeſſen 
fann fie ihrem Schidfal nicht entgehen; die Erfennungsfcene 
erfolgt, jedoch nur, um die beiden Liebenden auf immer von ein: 
ander zu trennen, um ihr zu fagen, daß Karl fih und auch fie 
unglüdli gemacht babe. — Nach diefer tief ergreifenden Scene, 
deren Wirkung der Dichter in der Bühnenaudgabe, wie und 
jcheint, mit wenig Glüd zu fteigern verjucht hat, werden wir 
wieder zu den NRäubern geführt, auß deren Keblen und ein 
ruchloſes Lied entgegen ſchallt. Sie erwarten ihren Hauptmann, 
ber ihnen ben Befehl Hinterlaften hat, fich alle Raubens zu 
enthalten. Hierin findet Spiegelberg eine VBeranlaffung, jeinem 
längft gehegten Unmillen über die Strenge des Hauptmannd 
Luft zu machen; der alte Neid bricht heror. Die Aussicht, ſelbſt 
der Führer der Bande werben zu können, die er ind Leben ge- 
rufen, verlodt ibn, mit feinen Gedanken des Meuchelmords ber- 
vorzuftreten, wodurch er fich aber felbft den Untergang bereitet. 
Sept ericheint Moor, der, ſeitdem er feine väterlichen Hallen 
und in denfelben jeine Amalia wiedergejehen, innerlich ein An- 
derer geworden, und befiehlt den Räubern, fi zur Ruhe zu 
begeben. Er mag jebt am liebften allein jein; in einem ſchwer⸗ 
müthigen Liede fucht er die Stimmung des Weltſchmerzes wieder 


270 Räuber. 


bereerzurnfen, die ihn auf die Bahn ded Verbrechens getrieben, 
aber er fühlt ed wohl, daß er (vergl. die Borrede) fein Brutus 


(j. d.) fontern ein Satilina geworden. Als folder muß er ih ° 


jelbft verachten und möchte am liebften fich felbft vernichten. 
Das aber verbietet ihm fein Stolz, der die Gewalt des Fatums 
über fich anerfennt; fo überläßt er ed denn der Nemefis, die 
Zeit zu beftimmen, in welcher fie ihr Rächeramt an ihm voll: 
ziehen will. Bald erführt er auch, Daß jein Leben noch eine 
Pebeutung bat; er wird Zeuge, wie fein gefangener Vater zur 
Nachtzeit von Hermann mit Brot verjorgt wird, der ihm voll: 
ftändigen Aufſchluß über dad von Franz begangene Verbrechen 
giebt. Sept weckt er feine Räuber, zeigt ihnen feinen ſchmählich 
mißhandelten Vater und fordert fie auf, ihn zu rächen. Seine 
Idee ift nunmehr erfüllt; er fühlt fich berechtigt, Diejenigen, die 
unter ihm dienen, ald den Arm höherer Majeltäten zu betrachten; 
Schweizer, der ibm einft das eben gerettet, fol ihm Yranz 
lebendig bringen. Hat er an diefem das Amt ber ftrafenden 
Gerechtigkeit geübt, dann darf er die Aufgabe, Die er fidh ge- 
ftellt, ald vollendet anjehen. 

Mit diefem Gedanken barren wir der Eröffnung des fünf- 
ten Actes, in weldem der Knoten fi löjen muß. Sn einem 
furzen, in ber Theaterausgabe unterdrüdten Monologe nimmt 
Daniel Abſchied von dem gräfliden Schlofie, wo man ihm die 
Begehung einer Mordthat zugemuthet bat. Aber ehe er die 
Räume verläßt, ftürzt Franz herein; Lärmen und böfe Ahnun—⸗ 
gen haben ihn aufgejagt. Furcht, Schreden, wilde Selbftanflage 
und Berzweiflung, dieſelben Mittel, durch die er feinen Bater 
hat umbringen wollen, fie brechen jetzt über ihn felbft herein. 
Er kann nicht allein fein, Daniel muß bei ihm bleiben. Mit 
erihütterndem Ernſt erzählt er ihm einen Traum, welcher dem 
bibelgläubigen Daniel ald „das leibhafte Conterfei Des jüngften 
Tages“ erjcheint, und zu weldhem dem Dichter Bibelftellen, wie 
Hejefiel 37, 1—10, Jacobus 1, 23, Offenbar. Sob. 6, 5 u. Cap. 
8—10 bie ergreifenten Elemente gegeben haben mögen. Dad 


Räuber. 271 


Dogma von der Sündenvergebung drängt ſich jebt mächtig vor 
bie Seele des Böſewichts, der fich verzweifelnd dagegen wehrt 
and in tollem Wahnwig den Pajtor rufen läßt, um, einem Bel: 
fazar (Daniel 5) gleich, feinen Spott mit dem Höchſten zu 
treiben. Die in der Bühnenaudgabe befeitigte Scene mit dem 
Paftor Mofer, der fern von allem Pfaffengewäſch, in rein 
menjchlich vernünftiger Weiſe mit Yranz biöputirt, tft um fo 
wichtiger, als dieſer fich hierin offen zum Atheismus, einer 
„Pbilofophie der Verzweiflung”, befennt, in der er fich beim 
Anrüden feiner Feinde felbft den Tod giebt. — Die zweite 
Hälfte des Acted führt und vor den Thurm, aus welchem Moor 
jeinen Bater befreit bat. Der alte Moor ertennt ſein Schickſal 
als ein Gericht Gotted an; er bat einen Sohn gequält, ein 
Sohn mußte ihn daher wieder quälen. Karl dagegen ift in 
Zweifel, ob er fich zu erfennen geben darf oder nicht; das 
Wiederjehen könnte dem Bater ja doch nur Entjegen bereiten. 
Er bittet ihn alfo nur, er möge den Retter in ihm ſegnen. 
Der alte Moor thut ed und Tann dabei den Wunfch nicht unter: 
drüden, die beiden Brüder möchten wieder einig werden. Da 
ericheinen die Räuber und melden, daß man Yranz erbrofielt 
gefunden, eine Nachricht, bei der dem Hauptmann ein fchwerer 
Stein vom Herzen fällt, denn er wird dadurch des Richteramtes 
fiber feinen Bruder enthoben. In der Thenteraudgabe wird 


Franz lebend eingeliefert, und das Gericht an ihm Durch Schweizer 


und Koſinsky vollzogen. Ob diefe Scene wirfjamer jet, erfcheint 
und mehr ald fraglich; in der anderen fcheint mehr piycholo- 
giſche Wahrheit zu Tiegen, und der Grundgedanke des Dramas, 
Karls Demüthigung vor fi felbit wie die vor dem höheren 
Nichter, bleibt dabei beftehen. Auch ift es wohl bedeutungsvoll 
genug, daß der Dichter bei neuen Auflagen der Literaturaus- 
gabe feiner erften Idee unverbrühli treu geblieben tft. 

Mit Karld Demüthigung iſt der göttlichen Gerechtigkeit 
aber noch nicht volllommen Genüge geleiftet; er ſoll vielmehr 
den Kelch ded Leidend bis auf die Hefe leeren. Haben bie 


272 Räuber. 


Räuber auh Franz nicht am Leben gefunden, fo haben fie doch 
einen „jüperben Yang“ gethan, fie bringen ihm Amalia, feine 
Amalia. Das ift der Hohn des Schickſals, daß Karl in dem- 
jelben Augenblid,, wo fie mit liebendem Berlangen in feine 
Arme eilt, an diejer Wonne ded Wiederfehend nicht Theil neh: 
men Tann. in Weib jedoch bewahrt nicht nur „einen holden 
Schatz von Treu und Liebe”*), ed kann auch verzeihen; und 
wirklich winkt Karl einen Augenblld die Hoffmung, ald könne 
er an Amalia ſich innerlich wieder aufrichten. Da aber erheben 
Die Räuber ihren Anſpruch an ten Hauptmann, der ihnen Treue 
geichworen; ihre Loſung lautet: „Amalia oder die Bande!“ 
Sept fühlt Karl, dag ein Sünder wie er nicht wieder um: 
ehren, und Amalia begreift, daß ihr das Glück der Liebe 
nicht mehr lächeln fann. Der Tod von feiner Hand, das ift 
die einzige Wohlthat, die fie fi von ihm erbittet, und mit der 
Erfüllung dieſes fürdhterlihen Wunfches glaubt er auch ber 
Bande gerecht geworden zu fein, die er jetzt verlaffen darf. Sn 
ber Theaterausgabe entläßt er die Räuber mit einer ergreifen- 
den Anrede, fordert fie auf, in einem Staate, den er im Geift 
ſchon als einen reformirten fchaut, einem Fürſten zu dienen, 
theilt feine Grafſchaft unter Koſinsky und Schweizer aud, und 
fheidet von ihnen wie in der Literaturausgabe. Er hat fid 
angemaßt, dem Arm des Rächers vorzugreifen und fühlt, DaB 
er auf diefe Weife den ganzen Bau der fittlihen Welt zu 
Grunde richten würde. Die beleidigten Geſetze zu verfühnen, 
das tft die einzige Plicht, welche ihm noch übrig bleibt; deshalb 
übt er fchließlich eine Wohlthat an einem armen Manne, der ihn 
den Händen der Zuftiz überliefern muß. Somit ift es nicht das 
„unbeugfame Fatum“, das ihn ereilt, fondern ed iſt ein Act des 
freien Willens, durch welchen er ſich zum Opfer bringt. 

Wie „Die Leiden des jungen Werther”, durch welche Goethe 
fleben Jahre zuvor der jentimentalen Periode der deutichen 








*) Göthe, Torquato Tafſo II, 1. 


Räuber. | 973 


Literatur ihren Abſchluß gab, jo machten Sch.'s Räuber, welche 
©. Schwab treffend als „ein wildes Product unaudgegohrener 
Dichterkraft” bezeichnet, in ganz Deutichland einen unerhörten 
Eindrud. Aehnliches war noch nicht dageweſen; dad Titanen- 
bafte ded Werkes ergriff alle Gemüther, und zwar um jo mehr, 
als Seder fühlte, wie der Dichter ihm voll und warm aus ber 
Seele geiprochen. Rache oder Selbjtvernichtung, dad war die 
entjegliche Alternative, die Taufenden von ebleren Naturen da⸗ 
mals allein übrig zu bleiben fchien, wo ein unerträglicher Drud 
auf allen Herzen laftete, wo dad ganze ftantliche Leben morfch 
und mürbe geworden, wo alle foctalen Verhältniſſe vollitändig 
unterhöhlt waren. Die büfteren Wolfen, welche ſich überall an 
dem Himmel des Völkerlebens aufgethürmt, fie verfündeten, daß 
ein Gewitter im Anzuge fet, und Sch.'s Räuber waren der erfte 
Blig, der dad Dunkel diefer Nacht durchleuchtete. Wie hätten 
die Yolgen für den jugendlichen Dichter, der den Blipftrahl ge- 
Ichleudert, ander als bedenkliche fein können? Der Herzog ließ 
ihn fommen, ertheilte ihm zunächft freundlichen Rath, warnte 
ihn vor Verflößen gegen den guten Geſchmack, ermahnte ihn, 
fih in feinen Ausdrüden zu mäßigen, und verlangte alle feine 
ſchriftſtelleriſchen Erzeugnifie zu jehen, ehe er fie der Deffent: 
lichkeit übergaͤbe. Und ald Sch. dies verweigerte, donnerte er 
ihm den Befehl entgegen, er babe fortan nichts Anderes als 
mediciniſche Abhandlungen, druden zu laſſen. Des Dichters 
Flucht war die Antwort auf diefe Zumuthung, und durch das 
Gelingen derjelben wurde dem deutichen Volke jein größter Dra- 
matiker erhalten. 

Was geſchah aber in Deutichland jelbft? Abgeſehen davon, 
daß im Jahre 1785 eine Anzahl von Sünglingen, von der all 
gemeinen Aufregung angeftedt, von Leipzig nach dem Böhmer: 
walde audzog, und daß in Baiern jogar eine Anzahl Knaben 
mit der ernftlihen Abficht umging, eine Näuberbande zu ftiften, 
war die nächite Yolge für die Literatur eine wahre Yluth von 
Räuberdramen und Banditenromanen, unter denen Bfchofles 

II. 18 


274 Räuber — Raubthier. 


„Abällino“ und „Rinaldo Rinaldini“ von Vulpius, dem nach⸗ 
maligen Schwager Goethe’, in erfter Linie zu nennen find. 
Unter ſolchen Umftänden war e8 fein Wunder, wenn, nad) der von 
Laube dramatifch verwertheten Mittheilung Goethe's, ein Fürft 
fih gegen diefen äußerte: „Wäre ich Gott gewelen, im Begriffe, 
die Welt zu Schaffen, und ich hätte in dem Augenblide voraus: 
gefehen, daß Schillerd Räuber würden darin gejchrieben werben, 
ic, hätte die Welt nicht erjchaffen.“ Und in der That hatten 
die Fürften Urſache zu zittern, denn die Republil, die Karl 
Moor aus Deutjchland Machen wollte, wurde zehn Jahre fpäter 
in Frankreich von den Jacobinern proclamirt, und was in un 
ferm Drama der Räuberhauptmann den beftechlichen Advocaten, 
den gewiſſenloſen Yinanzräthen und den pbarijäifchen Pfaffen 
that, das ging dort durch eine Entfegen erregende Bolljuftiz 
gegen ganze Stände in Erfüllung. | 

Mag in Sch.'s Räubern immerhin viel Unreifed enthalten 
fein, mögen die Gedankenſtriche und Außrufungäzeichen, die 
Häufung von Phraſen und Erelamationen, Die Webertreibungen 
und Rohheiten der Sprache, die unfer Zartgefühl beleidigen, 
immerhin verratben, daß wir ed hier mit einem Sugendproduct 
zu thun haben, defien Mängel der Dichter ja felbft wohl gefühlt 
und zu denen er fich in feiner Selbftkritit offen befannt Bat: 
die Wahl des Stoffes zeigte von einem ficheren und kühnen 
Griff, der dramatifhe Bau ded Ganzen kündigte ein Talent 
erften Ranges an, und die frifch jprudelnde, naturwüchſige Kraft, 
mit welcher das Einzelne in Charafterzeichnung, wie in Anlage 
und Öruppirung der Scenen durchgeführt tft, rechtfertigt des 
Dichter edled Selbftgefühl jo wie die ftürmifche Bewunderung 
feiner Zeitgenofjen. 


Raubteien (Wfl. 2.8), ein ſcherzhaft gebilbetes, auf Abteien 
fih reimended Wort, bezeichnend Orte, an denen geraubt wird. 


Raubtbier (Picc. I, 2), von Iſolan ohne Beziehung auf ir- 
gend eine Perjon, ganz allgemein gebraucht, während Queſtenberg 


ze u 


Rau = recenfiren. 275 


gleich darauf zu verftehen giebt, dad Wort „Raubtbier“ koͤnne 
auch auf den Herzog bezogen werden. 

Raub, Zeichen mit dem, ſ. Feuerfignale. 

raunen 1) (R.IV,5) einen furrenden Ton hören laflen; 
2) (R. V, 1) ind Ohr flüftern. 

Ravaillac, |. Heinrich IV. 


real od. (Br. v.M. Einl. 5, 377) reell, neulat. reälis, von 
res, die Sache; alſo eig. fahli; dann auch: wahr, wirklich, 
bei. im Gegenſatz zu dem Idealen (|. d.), wie (K. d. H.): „Se 
geneinanderftellung des Idealen mit dem Realen“. Davon: 
Realift (ebendaf.), ein Menſch, der den Außendingen ein von 
unjern Vorftellungen unabhängiges, wirfliched Weſen zufchreibt; 
ferner realijtifch, im Gegenfaß zu dem durch die Empfindung 
Bermittelten, wie (Wrb. IL): „nicht fentimentalifh, fondern 
realiftiih"; und Realität (Br. v. M. Einl. 5, 378) Wirklich 
keit, D. 5. wirklich vorhandene Erſcheinungen im Gegenſatz zu 
dem Erjonnenen, wie (R. Borr.): „eine Fülle in einander ge- 
drungener Realitäten.“ 


Mebell, von dem lat. rebellis, eig. Jemand, ber den Krieg 

erneuert, wie Meb. I, 2): 
„Der wüth'ge Machonal, werth ein Rebell zu fein“ ıc. 

ferner ein Empörer, der fit gegen den Landesherrn (D. C. 
I, 2 u. IV, 12. — Bft. % 1,3. — Zur. II, 5. — F. I, 13) 
oder gegen befien Stellvertreter (W. T. III, 3) auflehnt; desgl. 
ein Aufrübrer, der dem Feldherrn (Wit. T. III, 20) den Ge: 
horſam verweigert. Bildl. nennt Sulia (%. IV, 12) „die aufge- 
wiegelten Sinne” Rebellen, weil fie ſich der Vernunft wider: 
jegen. — Davon: Rebellion (D. C. IV, 3), gewaltjame Wider: 


fegung, u. rebellifch, aufrührerifch, wie (R. II, 3): „rebelli- 
ſches Feuer“ der Hölle. 


tecenftren, Int. recensere, beurtheilen, bei. (R. I, 2) beur: 
theilend anzeigen; davon: Recenſent (R. I, 2), ein öffentlicher 
18* 





276 Rechen — reflectiren. 


Beurtheiler u. Recenfion (Geb. D. berühmte Frau), öffent» 
lihe Berichterftattung über Fünftlerifche Leiftungen. 


Reden, 1) (W. T. II, 1), ein Werkzeug zum Zuſammen⸗ 
Icharren, |. v. w. Harfe; daher auch vergleihungdweife (Wfl. T. 
IV, 10) „ein Reden von Piden”; 2) (Bft. T. IV, 1) en 
Yallgatter. 

recht od. gerade bedeutet das, was echt, wahr, gefeblich 
tft, als Hauptwort bei. 1) dad Geſetz; daher (M. St. I,7): „Das 
tt bei und Rechtens“; 2) dad gejeglihe Anrecht, wie (M. St. 
1 7): „Rechte an die Krone vorgeben;“ 3) die richtige ob. 
rechte Seite, wie (M. St. III, 4): „Eure Hand ftredt aus, reicht 
mir bie Fönigliche Rechte.“ Davon: Rechtsform (M. St. 
IV, 6) 1. v. w. richterliche8 Verfahren, u. Rechtstage (R. IL, 3) 
od. Gerichtstage, Gerichtäfigungen. 

reeta (R. II, 3), für recta via, geraded Weges. 


Heding, Stel (W. T. Perj.:Verz.) aus einem alten, ver: 
bienten Gefchlechte (Meding von Bibered), vermuthlich derfelbe, 
auf deſſen Rath fich die Waldftätte 1315 bei Morgarten dem 
Herzog Leopold fo erfolgreich entgegenftellten. 


Mednerblumen, in der Redekunſt Figuren ob. Tropen, 
d. 5. Ausdruckſsweiſen, durch welche der Redende, dem ed we- 
niger darauf ankommt, klar und verftändlich, ald wirkffam und 
eindringlich zu reden, jeinem Zuhörer dad Mitzutbeilenbe vor 
Allem zu verfinnlichen fucht; daher (Picc. III, 8): „Ichöne Red⸗ 
nerblumen flechten.“ 

MHefectorium (Sftf. 10, 227), von dem lat. reficere, wieder: 
berftellen, erquiden; der ER: oder Speiſeſaal in Klöftern. 

teflectiren von dem lat. reflectere, eig. zurüdbiegen, bef. 
Lichtſtrahlen zurüdwerfen, wie (Gftf. 10, 160) „eine Figur, die 
fih auf der Wand reflectirt"; Dann auch; nachdenfen, verftändig 
erwägen; daher: Reflerion (Br.v. M. Einl. 5, 380), die Zu: 
rüdwendung der Seelenthätigfeit auf fich ſelbſt, wie (Wrb. IN): 





| UT u TUE EL 2 


Regendburg — Regiment. 277 


„aus Natur und ohne Neflerion”, d. 5. befondered Nachdenken, 
genauere Ueberlegung. 

Regensburg (R.II, 3 — Pic. ,2 — Wſt. T. 1,7) in 
. Baiern, am Einfluß des Regen in die Donau, war von Katfer 
Friedrich I. Zeit bid 1803 freie Reichäftadt. 


Megent, von dem lat. regere, Ienfen, führen, beherrichen; 
eig. der Herricher felbft; daher (D. €. II, 10) des berrichlüchtigen 


Domingo Worte: 
Der Infant 


Hegt einen fchredlihen Entwurf — — — 

Den rafenden Entwurf, Regent zu fein.“ 
Dann bef. derjenige, der in Stellvertretung des minderjährigen 
ober abwefenden Landesherrn Die Regierung wirklich leitet; daher 
(W. T. 1,2) Geßlerd Worte: 

„Ich bin Kegent an Kaiſers Statt" 

und (D. C. I, 3), wo Marquis Pofa „von der Regentin 
Mutter”, d. h. von Margarethe von Barma, der Oberftatthalterin 
ber Niederlande, Briefe überbringt. — Daven: Regenten: 
fraft (D. C. III, 10), Regentenlauf (D. C. V, 10), Regen: 
tenftamm (M. St. II, 3). 


Negiment, von dem lat. regere, regieren, herrſchen; 1) die 
Herrihaft od. Staatönerwaltung, wie (Dich. V, 14): 
„Die erfte Sorge unferd Regiments" 
und (F. V, 16): „Ein guter Fürft eröffnet fein Regiment mit 
Erbarmen.” Desgl. f.v.w. Oberbefehl, wie Pice. II, 6): 
„&8 tft nur eine Stimme unter allen: 
Du dürft da8 Regiment nicht nieberlegen.” 
2) da8 Regierungsverfahren, wie (W. T. II, 2): 
„ Entrüjtet fand ich diefe graben Seelen 
Ob tem gewaltfam neuen Regiment" 
ober in übertragener Bedeutung |. v. w. Leitung, wie (W. T. 
I, 2), wo Stauffadher zu feiner Gattin fagt: „und, weil id 
feen bin, führe du mit kluger Hand dad Regiment des Haufed.“ 


278 Regifter — Reich. 


3) eine Kriegerfchaar oder Truppenabtheilung von 2 — 3000 
Mann, wie (Ged. D. Schlacht — NR. II, 2). 


Regifter, mittl. lat. registrum, von regestum, dad Einge- 
tragene, das DVerzeichnete: 1) Ein Berzeihniß, in welchem 
über Perfonen und Sachen nachgejehen werben Tann, wie 
(D. C. V, 10): 

„Der Santa Caſa beilige Regifter.” 
beögl. in der Behördenſprache, wie (Par. I, 2): „ein Regifter 
halten”. 2) Eine Reihenfolge oder Geſammtheit mehrerer 
Dinge einer Art; daher (R. I, 2) fcherzweife: „Dein Regifter hat 
ein Lo. Du haft das Gift weggelafien.“ 


Red; 1) ein Land, in fofern e8 Semandes Herrſchaft 

unterworfen ijt; bildl. ſ. v. w. Herrichaft, wie (W. T. V, 1): 
„Ras will die Königin? Ihr Rei iſt aus.“ 
ober gleichnigweife, wie (D. €. V, 4), wo Carlos, auf den Leich⸗ 
nam Poſa's bindeutend, zu feinem Bater jagt: 
„Da liegen meine Reiche.” 
Davon Reichs apfel (J. v. O. IV, 6 — Mch. IV, 4), ein Sinn 
bild der Herrjcherwürde; Reichsgeſetze, wie (M. St. I, 7): 
Ihr nennt euch fremd in Englands Meichdgeiepen.” 
und Reichſsreligion (M. St. II, 1), d. 5. Landesreligion. — 
2) in engerer Bedeutung: dad deutſche oder römiſche Reich. 
Als Karl d. Gr. ald Schußherr ded römijchen Biſchofs 774 die 
Longobarden unterworfen, ließ er fich 800 zu Rom bie Kaiſer⸗ 
krone aufſetzen. Seitdem gab ed römische Kaifer deutfcher Nation, 
und dad ihnen untergebene Deutſchland wurde (Wfl. L. 8) „das 
römische Reich“ oder kurzweg dad Reich genannt, wie (W. 
%.L,2uV, 1): 
„Wohl und, daß wir beim Reiche trem gehalten.“ 

Nah Helbig wird in der Volksſprache Reich noch jebt zuweilen 
für Franken und Schwaben gebraucht, wie (Wſt. L. 5): „'s iſt 
meiner Schwefter Kind aus dem Reich“. Davon: Reihäbaron 


Neichenberg — Reichstag zu Krakau. 279 


(f. Baron); Reichsbote (W. T. V, 1), ein von dem Kaiſer ge: 
fandter Bote; Neichdfeind (Picc. I, 8), nämlich die Schweden, 
die umter Bernhard von Weimar Regendburg genommen hatten; 
reichſsfrei (Wil. T. IV, 3), nur dem Kaiſer, aber feinem an: 
dern Fürften unterthan; Reihsfürft (W. T. I, 2), ein Fürft, 
der Länder vom Kaifer zu Leben bat; Reichspanier (j. Pa: 
nier u. bannen); Reichöverwejer, ein Fürft, der im Namen 
bed unmündigen, oder zum Regieren unfähigen Herrſchers ein 
Reich verwaltet, wie (3. v. O. II, 1) der Herzog v. Bedford; und 
Reichsvogt (f. Vogt). 


Reichenberg (Picc. III, 4), Stadt an ber Görliger Neiße 
im nördlichen Böhmen. 


Reichstag zu Krakau (Dem. I). Zum Berftänbniß diefer 
Scene ift ein Rüdblid auf die frühere Gejchichte Polens noth» 
wendig. Ums Sahr 490 follen fi die Polen an der Meichfel 
niedergelaflen haben; aber erft feit 842 ift in der Gejchichte 
von einem Herzogthbum Polen die Rede, deſſen Yürftenjtamm 
nach dem erjten berjelben Piaſten (S. 247) genannt wurde. 
Sm Sabre 1025 nahm Boleslaw den Föntglihen Titel an, wo- 
durch Polen in Händel mit Deutfchland gerieth, deflen Kaiſer 
nach der Anfchauung der daınaligen Zeit allein berechtigt waren, 
Defen Titel zu verleihen. Mit dem Könige Caſimir dem Großen 
ftarb 1370 das Geſchlecht der Piaften aus. Er hatte jeiner 
Schwefter Sohn, den König Ludwig von Ungarn zum Nach—⸗ 
folger ernannt, nach beflen Tode (1382) Hedwig, die jüngere 
Tochter defjelben, den polnifchen Thron beftieg. Dieje vermählte 
ih mit Sagello, dem Herzoge von Litthauen (Dem. I), wo: 
durch dieſes mit Polen vereinigt warb, und fie jelbft die Stamm: 
mutter der Sagellonen wurde. Unter diefen Yürften, bet denen 
die Krone erbli war, hatte Polen feine glüdlichite Zeit; aber 
mit dem Ende ded 15. Sahrhundertd begann der Verfall des 
Reiched. Durch den flegreichen Krieg der Polen gegen den beut- 
ſchen Ritterorden (1453— 1466) Hatte ſich die artftofratifch- 


2850 Reif — Religion. 


republifaniihe Form ihres Staates allmälig ausbilden helfen; 
er war eine Adelsrepublik geworden. Der Abel war in den 
alleinigen Befitz der polittichen Rechte gelangt, Die er auf den 
Reichdtagen zu Krakau, der damaligen Refidenz der Könige, gel- 
tend machte, wo er Steuern zu bewilligen oder zu verweigern 
hatte, oder auch in anderen Angelegenheiten als Rathgeber des 
Königs auftrat. Da es aber bei den vielfachen Kriegszügen 
bem Adel oft läftig war, perjönli auf dem Neichötage zu er» 
fcheinen, jo wählten bie einzelnen Diftricte oder Woiwodſchaften 
auf ihren Provinzialverfammlungen Deputirte oder Landboten, 
die in ihrer aller Namen zum Reichötage geben und ihre Rechte 
bafelbft vertreten mußten. Neben diefer Abgeordnetenverſamm- 
lung befitand ein Senat, gebildet aus ſämmtlichen Erzbiihöfen, 
vielen Bilchöfen, Woimoden und den königlichen Minijtern. Bon 
ben Städten war gar nicht die Rede; der Adel und die Geiftlih- 
feit hatten die ganze Macht in Händen; die ded Königs war jehr 
beihräntt; die Regierung war ohne alle Feitigkeit; und jo gab 
ed denn auf den Reichätagen oft höchft ſtürmiſche Scenen. 

Reif, überb. jeder ringförmige Körper; 1) ein Ring, wie 
(Br.v. M.5, 410) „der golbne Reif erhebt den Edelſtein“ u. 
(M. St. II, 2) „ein Reif, der mich bindet”, d. b. ein Trauring; 
2) eine Krone, wie (Meb. I, 9 u. IV, 4): „der goldne Reif der 
Herrſcherwürde“; vergl. Cirkel. 

NReigen (O. C. I,4 — J. v. O. IV, 1) oder Reihen (Geb. 
D. Lied v. d. Glocke), ein Geſang, Lied; das letztere auch für 
Reihe, wie (W. T. I, 1), wo ed von der Leitkuh heißt: 

„Das weiß fie auch, daß fie den Reihen führt.” 

Heifige von Reife, das ehemald im engern Sinne |. v. w. 
Feldzug od. Heerfahrt bedeutete; daher Reiſige (W. T. l, 4 u. 
III, 3) ſ. v. w. Soldaten, beſ. Reiter. 

Religion, lat. religio, Gottesfurcht; in weiterem Sinne: 
Pietät od. dankbare Liebe, wie (Wit. T. III, 9): 

„Religien tft in der Thiere Trieb.” 





Reliquien — Republik, 281 


Reliquien (%. II, 14), von bem lat. reliquus, zurüdgebliie: 
ben; Weberrefte von Heiligen in der Tatholifchen Kirche. 


Neminifcenz, von dem lat. reminiscere, erinnern; die Wie: 
dererinnerung, auch das aus der Erinnerung Geſchöpfte. — Das 
Geheimniß der R. (Ged.) ſ. Lauralieder. 


Nemonte (Picc. I, 2), von dem fraf. remonter, wieder be: 
ritten machen; die Ergänzung der Pferde für die Heiteret. 

Rene (J. v. O. 1, 2) od. Renatus I. von Anjou, geb. 1408, 
war aufgefordert worden, den Thron von Neapel zu befteigen, 
mußte ihn aber feinem Gegner Alfons, welchen der Papft damit 
belehnt hatte, überlaffen. In die Provence zurüdgelehrt, be- 
gnügte er fih Damit, gegen jene Belehnung zu proteftiren und 
beichäftigte jich mit Poefie und Malerei. Er ftarb 1480. 

Nenegat, von dem lat. renegäre, wiederverleugnen; eig. 
Semand, der feinen Glauben verleugnet, bei. (Mith.) ein zum 
Muhamedanismus übergetretener Chrift; in weiterem Sinne 
(Dem. II, 1) ein Abtrünniger. 


Nentmeifter (Menichenf. 5), von Rente (ital. rendita), d. h. 
Geldeinkünfte od. Zinfen; Zemand, der die Renten einnimmt und 
erechnet. 


Repertorium, von dem lat. reperire, finden; eig. ein Funb- 
buch, Nachweiſebuch; würtembergifched Repertorium der Literatur 
(Sp.u.d.%), der Titel einer Zeitichrift, zu welcher Sc. einige 
Beiträge lieferte. 


Republik (R.L2 — %.15 — Wſt. L. 11 — Gftf. 10, 
131), von dem lat. res püblica, das Gemeinwejen, der Staat, 
bef. der Yreiftaat, eine Staatöverfafiung, bei der die höchſte Ge⸗ 
walt und Herrſchaft von einem Ausschuß von vornehmen Staats- 
bürgern oder von dem Bolfe und den aus feiner Wahl hervor: 
gegangenen Öliedern des Gemeinmwejend geübt wird. Republik 
(Dem. I), |. v. w. Adelörepublit, vergl. Reichdtag zu Krakau. — 
Davon: Republicaner, eig. ein Mitglied eines Freiſtaats, 


282 ı Refeript — Reflgnation. 


od. (%. Perſ.⸗Verz.), ein Anhänger einer freiſtaatlichen Ber: 
faffung; republicaniſch (%. Titel), freiftaatlich; ob. bildl. 
(Berbr. a.v. €.) „die republicaniſche Freiheit des Iefenden Pu- 
blicums“, das feinem Urtheil durch den Schriftfteller nicht vor: 
gegriffen wifien will. 

Refeript (R.I, 2), von dem lat. rescrib£re, zurüdfchreiben 
od. antworten; ein Befcheid, welchen eine Behörde auf eine Ein 
gabe an einen Einzelnen erläßt; eine Verfügung. 


tefigniren, von dem lat. resignäre, eig. entfiegeln, ungültig 
machen, bredhen; bei. auf etwas Verzicht leiften, wie (Wrb. II): 
„eine refignirte Natur”, die fi) ihrer gerechten Anſprüche be: 
giebt. Davon: Rejignation (Dem.), Verzichtleiftung, Ent: 
fagung; u. (Gftſ. 10, 198): „ehrerbietige Refignation“, d. h. Er: 
gebung in den göttlichen Willen. 


Refignation (Ged.) ein Gedicht aus db. J. 1786, bad, wie 
„der Kampf”, zu manchen Bedenken Beranlafjung geben Tann. 
Indeſſen iſt bierbet zu erwägen, daß ber Dichter nicht noth⸗ 
wendig als Gittenprediger erjcheinen muß, fondern daß er mır 
die Aufgabe hat, die Erfcheinungen des Lebend in fchöner Form 
zur Darftellung zu bringen. So ſpricht Sch. hier unummundben 
feine damalige Lebensanſchauung aus, wie fie bei jeiner be 
drängten Rage in einem jugendlich ftrebfamen und ſtürmiſch rin- 
genden Geiſte faft mit Nothwendigkeit ‚ih entwideln mußte. 
Hatte er früher geglaubt, auf irdiſches Glück vollitändig ver: 
zichten, oder ed wenigſtens fich erringen zu koͤnnen, fo ſpricht 
er nun feinen Schmerz über die Unvollfommenheit der. menſch⸗ 
lichen Natur felber aus, die nicht im Stande ſei, das ideale 
Streben mit dem Berlangen nach realem Genufje jo zu ver: 
binden, daß dadurch eine wahrhaft glüdliche Seelenftimmung 
bernorgebracdht werde. Daß der Menſch bei diefem Ringen und 
Kämpfen fich entweder auf bie eine oder auf die andere Seite 
neigen müfle, war feine innerfte Weberzeugung; er refignirt 
alfo, weil er zu ber Erkenntniß gelommen ift, daß er das 


Refignation. 283 


vorgeftedte Ziel doch niemals erreichen wird. Derfelbe Schmerz 
fpricht fich auch, aber in milderer und mehr verflärter Weile in 
bem Gedichte „der Pilgrim” (ſ. d.) aus, dad zwei Sabre vor 
feinem Tode gefchrieben wurde. — Str. 1.8.1. Auch ich war 
von der Natur mit Anlagen zu irdiihem Glück verſehen. — 


Str. 2 enthält eine Ahnung eined frübzeitigen Todes (vergl. 


Zauralieder 4.). „Der jtille Gott“ ift der Genius des Todes, 
nad der Vorftellung der Alten ein geflügelter Süngling in fin: 
nender Stellung, deſſen rechter Arm mit dem Haupte auf eine 
umgekehrte Fackel geftügt if. V. 5. Die Erfcheinung, d. 6. 
meine leibliche (fichtbare) Hülle. — Str. 4. B.3. „Auf jenem 
Stern“. Der Dichter, im Geifte vor der Ewigfeit ftehend, be- 
zeichnet jo die Erde. — Str. 5. B.3. „Der Herzend Krümmen 
werdeft du entblößen“, d. h. feine geheimften Yalten bloßlegen. 
— Str. 6. V. 5. „meined Lebend raſchen Zügel“, d. 5. den 
Zügel meined raſch dahineilenden Lebend. — Str. 7. „Sch zahle 
dir” x. Mit diefen Worten redet dad Götterfind, die Wahr: 
beit, den jugendlichen Dichter an; eben fo find Str. 8. V. 1—3 
ald Worte dieſes Götterkindes zu betrachten; „wuchern“ d. h. 
reichliche Zinfen tragen. — Str. 9. Eine Schuldverſchreibung, 
die an die Todten ausdgeftellt ift, kann von diejen natürlich nicht 
angenommen werden. Die „Dedpoten” find dem Dichter die 
jenigen, welche die Menge mit falichen Berfprechungen (frobe 
Ausfiht auf ein Jenſeits) zu beruhigen und ihre finnlichen 
Neigungen zu bändigen juchen. — Str. 10. 3.2. d.h. nur das 
Alter ertheilt diefem Wahne die Weihe und flößt und Achtung 
vor demfelben ein. B.4 u.5. Der Menſchen Witz hat für die 
Menge foldhe Kehren erfonnen, um die menſchliche Geſellſchaft 
zu erhalten, ihr Rettung vor fittlicher Zerftörung zu bringen, 
während doch die menfchliche Natur in ber Doppelheit ihres 
Weſens eigentlich durch und durch krank ift. — Str. 11. 3.4. 
Wie Hohliptegel vergrößern, fo malt fi} ber von Gewiſſens⸗ 
bifien gefolterte Menſchengeift die Schreden ber Ewigkeit zu 
Riefengeftalten and. — Str. 12. Die Ewigkeit, wie fie oft in 


284 reſolviren — Reſpect. 


grobfinnlicher Weiſe dargeſtellt wird, iſt eigentlich nur ein Schein: 
bild („Lügenbild”), einer einbalfamirten Mumie vergleichbar, 
die wie etwas Lebended ausfieht, aber bed Lebens jelber ent - 
behrt. Unfere Hoffnung ift der „Balfamgeift“, d. H. das Erbal- 
tungsmittel des Wahnes, der und durch das Leben begleitet. — 
Str. 13. vergl. Gſtſ. Vierter Brief 10, 222 — 225. — Str. 14. 
tft an die Ewigkeit gerichtet. — Str. 16. Das Anführungdzeichen 
vor „hört es Menſchenkinder“ — iſt beſſer vor „zwei Blumen“ x. 
zu feßen, jo daß die Parentheje: — hört ed Menſchenkinder — 
ald Ausruf des Dichter, nicht aber ald Audruf des Genius zu 
benten tft, dem man nad ſolchen Enthüllungen jchwerlich noch 
Slauben fchenfen würde. — Str. 17. „Die Weltgeihichte ift 
das Weltgericht”, d. 5. fie belehrt und darüber, dab zu allen 
Zeiten die Hoffnung auf die Zufunft dem Menfchen mehr wahre 
Freuden gewährt hat, ald der unmittelbare Genuß der Gegen: 
wart. — Str. 18. fpridht die Ergebung (Refignation) in das 
Unabänderlihe aus. — So ftellt das ganze Gedicht einen inne- 
ren Seelenkampf dar, wie er von Taufenden ftrebfamer Geifter 
gefämpft wird, ehe die einander wiberftrebenden Mächte des 
eigenen Inneren ſich miteinander verjühnen. Der Dichter er- 
ſcheint und bier eben ald ein werbender, nicht aber als ein 
reifer Menich, feine Ausſprüche find daher nicht ald Richtichnur 
für unfer Reben zu betrachten, jondern nur ald ein Spiegelbilb 
unfered eigenen Innern. 

tefolviren, von dem lat. resolvere, fich entjchließen, wie 
(R. 1,2): „kurz refolvirt*, entſchloſſen; od. (R. II, 3) desgl. ohne 
Umftände — Davon refolut, entichloffen, wie (Wfl. L. 11): 

„Der macht kurze Arbeit, ift rejolnt” 
od. beherzt (Wfl. X. 2): 
„Das refolutefte Corps im Lager.“ 
Reſpect, von dem lat. respickre, zurüdbliden, berüdfichti- 


gen; 1) Achtung, wie (W. T. 11,3): „Habt Reſpect, ihr 
Buben; 2) Ehrerbietung u. Gehorſam, wie (Wil. 2. 


4 


Reft — Rhede. 285 


V, 2): „Der Chef, der Reſpect geforbert;" 3) Ehrfurcht, wie 
(KR. u.2. 1,2): „mehr Reſpect“; (Par. II, 3): „der große Re: 
ſpect“; od. ehrfurdhtöuolled Vertrauen, wie (Picc.1,2); 4) Furcht, 
wie (R. 1,1): „bie Narren im Refpect halten”; (R.I,2) und 
(Wſt. L. 6): „Der alte Refpect war eben fort;“ 5) Ehrfurdta- 
volle Empfehlung, wie (%. IV, 8): „Deinen Reipect an ben 
Herzog.” — Davon: refpectiren (Wft. L. 6), in Ehren halten, 
und refpectvoll (F. II,10 — Gſtſ. 10, 199), ehrerbietig, hoch⸗ 
achtungsvoll. 

Heft, von dem fat. r restare, zurũckbleiben; das Webrige, ber 
Rückſtand; (R. I, 1): „einen Reft jepen”, j. v. w. einen Boden: 
fa zum Borfchein bringen. — Davon: reftiren (Wſt. L. 11), 
rückſtändig od. ſchuldig fein. 

Reftitution (Wrb. I), von dem lat. restitutio, die Wieder: 
einjegung in ben vorigen Stand und Beſitz. 

Reuß (W. T. II,2; V, 1; V,2), ein Nebenfluß der Aar; 
ſie entſpringt auf dem St. Gotthard, fließt nordwärts durch den 
Vierwaldſtätter See und ergießt ſich in der Nähe von Brugg 
in die Aar. 

Neußen (Dem. II), ſ. v. w. Ruſſen. In den in deutſcher 
Sprache abgefaßten Erlaſſen bezeichnet ſich der ruſſiſche Kaiſer 
ſtets als Selbſtherrſcher aller Reußen. 

Neveille (Wit. L. 6), von dem frzſ. reveiller, erwecken; dad 
Trommel- od. Hornfignal, mit weldhem die Soldaten bed Mor: 
gend gewedt werden. 

Meverenz, von dem Iat. reverentia, eig. Scheu, Ehrfurcht; 
daher auch (MW. T. III, 3) Chrfurdhtöbezeigung od. Verbeugung, 
(S. 97) „Chrengruß”. 

Rhabarber (Meb. V, 5), bie Wurzel einer Pflanze, ein 
befanntes Abführungsmittel, 


Rhede (%. 1, 12), eine Stelle im Meere, die in einiger 


Entfernung vom Ufer liegt, und beren Tiefe eine mäßige iſt, 


286 Rhegium — Rhodus. 


fo dag Schiffe dafelbft vor Anker bleiben können, ohne von 
Stürmen etwas zu befürchten zu haben. 


Rhegium (ed. D. Kraniche d. Ibykus), jebt Reggio, an 
der Sicilianiſchen Meerenge, war eine der zahlreichen griechifchen 
Golonien in Unteritalten, welche barım ſogar Groß: Öriedhen- 
land genannt wurde. Es war der Geburtsort des Ibykus. 


Rheims (D.C.1L,4 — M. St. J, 3 u. II,4) Stadt in der 
Champagne, mit einer pracdhtwollen Kathedrale, in weldyer bie 
Könige von Franfreih von dem Erzdiichofe von Rheims (3. 
v. D. Perj.:Berz.) gefalbt und gekrönt wurden. 

Rhein (W. T. II, 2), einer der Hauptftrome Deutichlands, 
an befien Ufern mehrere Städte liegen, die ehemals freie Reichs⸗ 
ftädte waren. 

Rheinfeld, ſ. Pfalz. 

Rheingraf (Picc. II, 7). Es tft der (Dr. Kr. ©. 176, 375, 
378) genannte Dtto Ludwig von Salm, der übrigend am Ober: 
rhein zurüdgeblieben war. Wrangeld Bemerkung (Wit. T. 1,5, 
3.110): „E83 fteht der NRheingraf nur vier Tagemäriche von 
bier“ ftimmt nicht mit der Geſchichte; ed war Bernhard von 
Weimar, der ſich in ber Nähe von Eger befand. 


Rhinoceros von dem gr. rhis, Die Naſe und keras, Horm; 
das Nadhorn, ein Säugethier mit panzerartiger Oberhaut; daher 
(Mech. III, 8): „geharnijchtes Rhinoceros.“ 

Mhsdope (Ged. Semele 2), ein Gebirge in dem Hochlande 
von Macedonien; jebt: Despoto-Dag. 


Rhodus, früher Rhodos, die größte unter den längs ber 
kleinaſiatiſchen Küfte Itegenden Sporaden, mit der Haupfftabt 
Rhodus (Ged. D. Kampf m.d. Drachen). Im Jahre 1309 ließen 
fih die aus Paldftina vertriebenen Sohanniterritter (f. d.), nach 
bem fie fih 18 Jahre auf Cypern aufgehalten, auf Rhodus 
nieder und behaupteten fich bafelbft gegen die Türfen (Geb. 
D. Johanniter) über 200 Jahre lang. Erſt 1522 übergab ihr 


Rhythmus — Niefen. 287 


Großmeiſfter Billierd die Inſel dem mächtigen Solintan II., wor: 
auf dem Orden von Kaifer Karl V. die Inſel Malta ald Wohn: 
fig angewiefen wurde. Gegen dieſe jandte Soliman 1. 3. 1565 
von Rhodus (D. E. V, 8) eine Flotte. Vergl. Maltefer. 


Rhythmus (Ged. D. Tanz — Br. v. M. Einl. 5, 381), 
gr. rhythmös, eine gleichförmig abgemefiene Bewegung, ſ. 
v. w. Taf. 


Nialto (D. C. II, 8), die 1. J. 1588 erbaute Brüde, welche 
über den großen Canal in Benedig führt. Sie befteht aus 
weißem Marmor und bildet einen einzigen Bogen von 90 Fuß 
Wette und von folder Höhe, daß auf jeder Seite 50 Stufen 
binaufführen. Sie tft bebedt und auf ihrem 187 %. langen 
und 43 %. breiten Mebergange mit zwei Reihen Buden beſetzt, 
welche drei Straßen bilden. 

Richard IM. (R. V, 1), König v. England (1483 —85), 
ein Menſch von abichredender Häßlichkeit, der fich ben Weg 
zum Throne durch die fcheußlichften Verbrechen gebahnt, zog 
ich durch feine Tyrannei den Abſcheu des ganzen Volkes zu. 
Er iſt beſonders bekannt durch dad Bild, welches Shakeſpeares 
Meifterhand in feinem Trauerfpiel: Richard III. (R. Vorr. — 
Gftſ. 10, 192) von ihm entworfen hat. 

Richelieu (Sp. d. Sch. 10, 115), der Premier-Minifter Lud⸗ 
wigd XIII. von 1624 —1642. 

FHihmond, ſ. Rofen, bie zwei. 

Richtſcheit, ein Streichlineal, welches die Werkleute füh- 
ren; bildl. (Ged. D. Künftler). 


Riefen (vgl. Giganten) find dem Dichter dad Sinnbild des 
Großartigen und Gewaltigen, daher bei. in jeinen Jugend⸗ 
arbeiten die mancherlei Zufammenfegungen, wie: „meined Bor: 
ned Rieſenarm“ (D. ©. III, 4); „der kühne Rieſengeiſt“ 
(D. C. I, 10); „Riefennatur” (Sp. d. Sh.); „Riejen- 
projecte” (R. II, 2); „Rieſenſchatten“ (Geb. Refignation) ; 


288 Rieſenberge — Ring des Polykrates. 


„Rieſenſchritt der Liebe’ (D. C. II, 9); „des Laſters Rieſen⸗ 
trotz“ (©. €. II, 6). 


Riefenberge (Picc. III, 4), das Niefengebirge zwifchen Böh- 
men und Schleſien. 


Miefentödter, |. Zeus und Giganten. 
Kigt (W. T. IV, 3), ein einzeln liegender 5600 F. hoher 
Berg zwilchen dem Zuger: und dem Vierwaldſtätter See. 


Aimint (Gſtſ. 10, 211), Stadt am adriatiichen Meere, füd- 
fih von Ravenna. 


Ninaldo (Mith.), der Held eined berühmten Räuberromang: 
„Rinaldo Rinaldini” (&pz. 1799) von Chr. Aug. Vulpius. 


Ring 1) der Erbball, wie (Ged. An d. Freude): „Was 
ben großen Ring bewohnt.“ 2) (Wit. X. III, 18), eine Anfpielung 
auf den Ring ded Saturn (I. d.); 3) Sp. d. Sc. f. Eirkel. 


Ring, der, des Bolyfrates (Ged.). Der Stoff zu diefer 
Ballade, die dem Jahre 1797 angehört, ift aus Herodot ge: 
ſchöpft. Derjelbe erzählt (Buch III, c. 39 — 44), daß um bie 
felbe Zeit, wo Kambyfed gegen Aegypten zog, auch die Kacebä- 
monier einen Yeldzug gegen Samod und Polykrates unternah: 
men. Der Lestere hatte ſich zum Herrn aufgeworfen und den 
Staat in drei Theile getheilt, von denen er den einen für fich 
behielt, die beiden anderen aber feinen Brüdern Pantagnotus 
und Sylofon gab. Bald darauf aber ermordete er den erjteren 
und vertrieb den andern, jo daß er fortan (540 —523 v. Chr.) 
Alleinherrfcher von Samos ward. Um fi in feiner Herrichaft 
fiher zu ftellen, jchloß er Freundichaft mit Amdfis, dem Könige 
von Aegypten, der gleichfalld durch Aufwiegelung, jedoeh mit 
Zuftimmung des Volkes, zum Throne gelangt war und eben fo, 
wie Polykrates für Samos, eine blühende Zeit für Aegypten 
heraufführte. Beide Könige taufchten Gefchenfe aus, und der 
Nuf von ihrer Macht verbreitete ſich durch ganz Griechenland. 
Als nun Amaſis jah, daß dem Polykrated jedes Unternehmen 


Ring des Polykrates. 289 


glückte, ſo ſchrieb er einen Brief an ihn, in welchem er ihm 
ſeine Bedenken über dies ungetrübte Glück äußerte und ihn 
darauf aufmerkſam machte, daß die Götter mißgünſtig ſeien 
(vergl. Wit. T. V, 4 „die böjen Götter” zc.) und er felbft jeden- 
falls traurig enden werde. Er ertbeilte ihm deshalb den Rath, 
das Koftbarfte, was er bejäße, von fich zu werfen, jo dab es 
nicht wieder in Menfchenhände gelangen könnte. Polykrates nahm 
einen werthuollen Stegelring mit einem Eoftbaren Smaragd, 
ließ fid mit einem Yunfzigruderer auf die hohe See fahren und 
warf jein liebfteö Kleinod in dad Meer. Aber ſchon nah 5 oder 
6 Zagen erſchien ein Fiſcher in feinem Palafte, der ihm einen 
Fiſch von befonderer Größe zum Geſchenk machte. Als der 
Koh den Fiſch öffnete, fand er den Ring jeined Gebieters in 
dem Magen und hatte natürlich nichts Eiligered zu thun, ala 
feinem Herrn das Eigenthbum zurüd zu bringen. Sogleich fchrieb 
Polykrates an Amafid, um ihn von diefem Borfall ohne Gleichen 
in Kenntniß zu ſetzen. Amaſis aber erjchraf heftig darüber und 
ließ ihm die Gaftfreundfchaft auffagen, um fih den Schmerz 
über dad zuverläjfige Unglüd eined Yreundes zu erjparen. — 
Sch. iſt von der gefchichtlichen Darftellung infofern abgemichen, 
als er die ganze Begebenheit fich vor den Augen des königlichen 
Freundes entwideln läßt; außerdem aber veranfchaulicht er das 
Glück des Polykrates durch eine Reihe von Ereigniffen (Str. 
3—8), die wir ald feine eigene Erfindung zu betrachten haben. 
Goethe hebt befonderd lobend den Schluß hervor, und zwar 
deöhalb, weil derjelbe „die Erfüllung in Sufpenfo (Ungewißheit) 
läßt“, und allerdingd würde die Mittheilung von dem unglüd- 
lichen Ende ded Polyfrates die Wirkung ded Ganzen geihwächt 
und bie Grundidee ded Gedichtes verwilcht haben, in welchem 
Amaſis mit feinem Grauen vor dem unnatürlihen Glücke des 
Freundes entichieden ald die" Hauptperfon zu betrachten tft. — 
Str. 3. Tyrann (ſ. d.); 2.6. „göttlich Haar“, vergl. Geb. D. 
Triumph d. Liebe, Str. 17 „ambrofifh Haar“. — Str.10, D. 6. 
Stud ift bier ſ. v. a. Gefchid (vergl. Fortuna); d. h. das Schidjal 
II. 19 


290 Ringgang — Ritter. 


mißt jedem Menfchen Leid und Freude zu; dur ben Tod 
ſeines Sohnes hat er ihm alfo den verlangten Tribut entrichtet. 
Bergl. Bft. T. V, 4. — Str. 13. Daß der Ring mit dem Sma- 
ragd für Polyfrated einen fo hoben Werth Hatte, lag darin, 
daß die Steinjchneidefunft damals eine ganz neue Erfindung 
war, jo daß jelbft Plintus in feiner Naturgefchichte (XXX VII, 2) 
des bier berichteten Vorfalles erwähnt. — Str. 16. Die Anfiht 
des Amaſis: 
„Des Lebens ungemiſchte Freude 
Ward feinem Irdiſchen zu Theil 

hier zugleich die Grundidee des ganzen Gedichts, wirkt ſo mächtig 
auf ihn ein, daß er lieber der Freundſchaft entſagt, als ſich der 
Gefahr ausſetzt, der unheildrohenden Goöttermacht zum Opfer 
zu fallen. 

Ninggang (Ged. Phantafle an Raura) f. v. w. Kreiäbe- 
wegung. 

Ningkragen (Wit. T. V, 2) od. Harniſchkragen, ein filberned 
Bruſtſchildchen, welches die Officiere ehemals zu tragen pflegten. 

Nipheus (Bed. 2.3. d. Aen. 60 u. 75) ein trojanifcher Held. 

Nitter (J. v. O. III, 5) nannte man im Mittelalter die 
höher Geftellten und Bornehmen, deren Thun und Treiben in 
der eigentbümlichen Bildung der germantfchen Völker feinen 
Grund hatte, Zur Erhaltung bed kriegeriſchen Geiftes waren 
die Turniere (D.©.L1— W. T. U, 1) oder „Ritter: 
fpiele” (M. St. II, 1) eingerichtet, die jeit dem 11. Jahrh. in 
Deutichland und jpäter auch in den Nachbarländern abgehalten 
wurden. Befonderd geſchah dies bei feftlichen Gelegenheiten, 
wo alle Theilnehmer (Br. v. M. 5,.419) „im Glanz des Nitter- 
ftaates“ auf dem „Turnierplatz“ (M. St. II, 1) erfchienen, 
und eine große Pracht in Kleidung, Waffen und Pferden ent- 
faltet wurde. Der Hauptlampf (Geb. D. vier Weltalter: „tur: 
nieren“) bejtand in Lanzenbrechen, dem Anrennen mit einge: 
legter Lanze gegen die Rüftung des Gegnerd, wobei es darauf 


Ritter Toggenburg. 291 


ankam, denfelben aud dem Sattel zu heben; daher ftellt bie 
Königin (D. ©. I, 4) den Marquis mit den Worten vor: 
„Bon Poſa, ber im Ritterfpiel zu Rheims 


Mit meinem Bater eine Lanze brach 
Und meine Sarbe breimal fiegen machte.” 


Da die Ritter verhält erichienen, jo gaben fie fich durch Äußere 
Zeichen, bejonderd durch die Farben, zu erfenmen, in welche ber 
Schild getheilt war. Der Sitte ded Mittelalterd gemäß pflegte 
der Ritter feinen Dienft einer Dame zu weihen, der er Treue 
gelobte und der er ſich auch empfahl, wenn er in den Kampf 
309; daher fagt König Karl (J. v. O. III, 5) zu Agned: „Dein 
Ritter jagt dir Lebewohll“ Außerdem aber traten die Ritter 
bäufia als DVertheidiger der Frauenehre auf; daher (M. St. 
IH, 4) die Worte der Eliſabeth: 

— — — — — „Bill fein Abenteurer 

Für euch die traur'ge Ritterfhaft mehr wagen?” 
Forderte ein Ritter einen andern zum Kampfe heraus, jo warf 
er ibm (3.0.8. IV, 11 — W. T. II, 3) den Handſchuh 
bin, dur defien Aufnahme derfelbe fich bereit erklärte, dem 
Kampf anzunehmen. Mit dem Rittermefen in naher Beziehung 
ftanden Die Orbendverbrüderungen (ſ. Orden), welche fich gleich: 
falls durch äußere Abzeichen von einander unterfchieden, die 
ſpäter zu Ehrenzeichen oder „Ritterkreuzen“ (D. ©. III, 7) 
wurden. 


Aitter Toggenburg (Geb.). Unter den verfchiedenen Sagen, 
welche ald Quellen für diefe Ballade aud dem Jahre 1797 an- 
geführt werden, ift eine am Rhein herrſchende als die zu be- 
trachten, welche dem Dichter wahrjcheinlich vorgefchwebt bat. 
Ein Ritter Namens Roland, ein Verwandter Karla ded Großen, 
zog einft von Ingelheim den Rhein Hinab. Auf feiner Fahrt 
lernte er in einer Burg die einzige Tochter eined Ritterd, Namen? 
Hildegunde, kennen. Beide faßten eine innige Neigung zu ein- 
ander, und der Bater des Mädchens hatte nicht? Dagegen 

19* 


292 Ritter Toggenburg. 


einzuwenden. Da aber Roland ſich verpflichtet hatte, einen Zug 
gegen die Saracenen mitzumachen, jo wurde die Bermählung 
verfchoben, biß er zurüdgelehrt fein würde. Nach einem Sahre 
jedoch brachte ein anderer Ritter die Trauerkunde, daß Roland 
im Kanıpfe gefallen jet. Bon tiefem Schmerz ergriffen, faßte 
Die Zungfrau den Entichluß, den Freuden der Welt zu entfagen 
und fi in ein Klofter zurüdzuziehben. Raum aber hatte fie ihr 
Gelübde abgelegt, jo kehrte Roland zurüd, den man für tobt 
auf dem Kampfplage zurüdgelaffen batte, der indeſſen nach einer 
langen Ohnmacht wieder zum Leben erwacht war. Als er ver: 
nahm, welchen Schritt die Geliebte feines Herzens gethan, ent: 
fagte auch er feinem Stande und führte fortan ein Einſiedler⸗ 
leben in einer laufe, die er dem Klofter gegenüber anlegte, in 
weldhem die Zungfrau weilte. Dort ſaß er Tag für Tag und 
blidte voll Sehnfucht und Schwermuth zu dem Klofter hinüber. 
Nachdem zwei Jahre fo vergangen, bemerkte er an einem trüben 
Herbjtmorgen, daß auf dem Klofterlichhofe ein Grab gegraben 
wurde. Eine bange Ahnung ergriff ihn, die leider zur Gewiß— 
beit wurde, indem ein abgefandter Bote ihm die Nachricht 
brachte, daß Hildegunde verjchieden fe. Da ergriff ihn ein 
bitterer Schmerz, der bald die Kräfte feine Lebens verzehrte. 
Eines Morgens fand man ihn ald Leiche vor feiner Klaufe 
fipend, die Augen noch ftarr auf das Klofter gerichtet. — Ueber 
das Gedicht, welches weiter keine Schwierigkeiten darbietet, ift 
nur nod) zu bemerken, daß die jchwermüthig Elagenden Trochäen, 
fo wie der gleihförmige Wechſel ded Reimes das eintönige 
Klaudnerleben in treffender Weiſe darftellen. Eben fo tritt ung 
in der anmuthigen Aflonanz (Str. 8), in der teten Wiederkehr 
der Vocale i und ei die ganze Lieblichleit und Freundlichkeit 
ber Stillen Wehmuth entgegen, wie fie aus einem zart bejaiteten 
Herzen nicht ſchöner hervorbrechen kann. Und endlich bat der 
ftile Ausgang ded Ganzen einen rubig idylliſchen Charalter, 
der mit den wahrhaft mufllaliihen Sprachflängen, die das ganze 
Gedicht durchziehen, harmoniſch zufammenftimmt. 


Rizzio — Roden. 293 


Nizzio, David, eig. Ricet, ein italieniſcher Sänger, hatte 
bei dem Grafen Moreta, der von dem Herzoge von Savoyen 
ald Geſandter nah Schottland geſchickt wurde, Dienfte genom⸗ 
men, wodburd er an den Hof der Maria Stuart kam. Diefe 
ftellte ihn bei ihrer Kapelle an, und da fie Wohlgefallen an ihm 
fand, jo überhäufte fie ihn mit reichen Spenden. Hierdurch über: 
müthig gemacht, verlegte er die Rechte des Grafen Darnley, des 
Gatten der Königin, der eined Tages in dad Zimmer der Iep- 
teren drang und Rizzto (M. St. 1, 4) ermorden ließ. 


Robe, frzſ. ein langes Kleid, bei. (Gſtſ. 10, 232) ein Schlepp: 
Heid oder (J. v. O. IV,6) ein Amtskleid, dad bei feierlichen Ge⸗ 
legenheiten getragen wird. 


Mobertfon, William, geb. 1721 in Schottland, einer der 
beteutendften englifhen Geſchichtsſchreiber. Seine History of 
the reign of the emperor Charles V. (%. Borr.) zeichnet fich 
befonderd durch ſtiliſtiſche Schönheiten aus. Auch ift er der 
Berfafler einer Geſchichte Maria Stuart's, der Sc. die ge- 
ſchichtliche Grundlage feined Trauerfpieles entnommen bat. Er 
ftarb 1793. | 

Robin (R. 11,2). Die großen Gerichtöhöfe in Yranfreich 
hießen vor der Revolution von 1789 Parlamente, und die Stellen 
in denfjelben waren fäuflih. So blieben fie häufig in derjelben 
Familie, und ed entjtand mit ber Zeit eine Art von Richter: 
Arijtofratie, die man noblesse de robe nannte, von dem Talar, 
welchen diefe Männer trugen. Daraud machte der Adelsſtolz 
die verächtliche Bezeichnung „robin“. 

Rohe (Ged. D. Taucher), eine Gattung mißgeftalteter 


Fiſche mit harter, ftacheliger Haut, von der mehrere Arten im 
Mittelmeer vorkommen. 


Roden, 1) (3.0. O. J—, 5), der Theil des Spinnraded, an 


welchem fich der Ylach8 oder Hanf befindet; 2) (3.0. O. Prol. 3) 
fd. die Kornfrucht. 


294 Rodney — Roman. 


Nodney (R. u. 8. I, 1), ein berühmter brittiicher Seeheld, 
welcher 1759 Havre be Grace bombardirte, 1780 u. 1782 in 
Beftindien mit glänzendem Erfolge gegen die franzöfiiche See- 
macht fämpfte und dafür von feinem Könige zum Pair und 
Reichsbaron ernannt wurde. 


Mohr des Seherd (Ged. An db. Freude), das Fernrohr 
bed Aftronomen. 


Nokoſz (Dem. I), poln. der Aufftand des Adels. 


. Rolle, eig. etwas Zujammengerolited, wie (Gftſ. 10, 221) 
„Rollen“ Gold; ferner ein Stüd zufammengerolited Papier, 
bei. diejenigen Blätter, auf welchen fteht, was die Schaufpieler 
zu ſprechen haben; uneig. die Perjon, welche der Schaujpieler 
auf der Bühne vorftellt; in weiterer Bedeutung: die Stellung, 
welche Semandem übertragen wird, wie (Sp.d. Sch.): „ih mit 
einer untergeordneten Rolle begnügen”; oder auch das Bench: 
men oder Berhalten eined Menſchen in gewiflen Fällen, wie 
(K. IV, 1 — Picc. V, 3 — M. St. 1,7 — N. a. O. I 2): 
„eine Rolle ſpielen.“ 

Rom, die Mutter: und Hauptſtadt bed römiſchen Reiches, 
wegen ihrer Erbauung auf fieben Hügeln (R. IV, 5) „die 
Siebenhügelftadt” genannt, jetzt (M. St. II, 4; vergl. 
Stalten) die Hauptftadt des Kirchenftaats, ald Sig des Papfted 
(W. T. V, 2) „Sanct Peterd Stadt“, feiner Schäge aud dem 
Altertum wegen (Ged. An die Freunde) „das ewig einz’ge 
Rom” genannt, heißt auch (R.I, 2) ſ. v. w. der römifche Staat, 
od. (D. C. 1,2) ſ. v. w. die katholiſche Kirche. 


Noman, frzſ. Je roman; urſpr. alles in romaniſcher (aus 
dem Lateiniſchen zur Zeit des Mittelalters entſtandener) Sprache 
Geſchriebene; dann: eine erdichtete Geſchichte (Ged. D. Freund⸗ 
ſchaft — Gr. Handl. a. d. n. Geſch.), deren Hauptzweck Cha: 
rakterzeichnung ift; ferner: eine abenteuerliche Liebesgeſchichte 
od. ein Liebeshandel (K. u. 2. II, 1 — %. IL, 4) überhaupt; 


Romanow — Rofen. | 295 


Daber bildl. (%. IV, 13): „einen Roman [mit Semand] ſpielen; 
weshalb der Praͤſident (K. u. L. I, 7) feinen Sohn einen „Roma: 
nenfopf“ nennt. — Davon: romantiſch (3. v. D. I, 2) im 
Geift und Geſchmack ded hriftlichen Mittelalter, bef. im Gegen: 
ja zu dem Antiken od. Klaſſiſchen; daher (J. v. O., Titel): 
„eine romantiiche Tragödie” und (D. C. IL, 9): 

„Die romant’fche Treue, 

Die nit erwiebert werden ſoll.“ 

ferner: Rohnanze (D. €. II, 8 — Par. II, 6), eine kurze aben- 
teuerlihe Geſchichte in Form eined Liedes, 

Aömanow (Dem. I), ein berühmtes Bofarengefchlecht, das 
früher Sacharij Hieß, vielleiht nah einem Stammälteften, 
Namens Zacharias. Vom 16. Jahrh. an führte es den Namen 
Romanow nach einem Bojaren Roman Georg Sacharinitſch, 
der das Anjehen feined Haufed dadurch gründete, daß er feine 
Tochter Anaftafia Romanowna (1547) mit Swan dem Schrei: 
lichen vermählte, aus welder Ehe der nahmalige Ezaar 
Yeodor I. entiprang. — Der junge Romanom (Dem. ©. 290), 
vergl. Demetrius. 


Nömer, ein Bürger Roms; dann auch (Ged. Un die 
Freude) ein weites bauchiged Weinglad, vermuthl. von dem 
engl. rum, weit, Raum habend. 


Römerkrone (W. T. II,2), die Krone, welche fich die deut— 
ſchen Kaijer feit Karl d. Gr. (vergl. Rei) von dem Papfte 
auflegen ließen, zu welchem Zwed fie die Römerzüge (W. 
T. II, 2), die nicht felten mit blutigen Kämpfen verbunden 
waren, unternahmen. 


ofen, Die zwei. Bald nad) Eduard's III. fiegreicher 
und glüdlicher Regierung brach ein Streit zwifchen den Häufern 
Lancaster und York aus, von denen das erftere eine rothe, das 
zweite eine weiße Rofe im Schilde führte. Mit Beziehung auf 
diefe Symbole wurde der um den Thron von England (1450 
bi8 1485) geführte blutige Kampf der Krieg ber rothen und 


296 Roſenkranz — Rotunde. 


weißen Rofe genannt, ein wilder Streit, welcher 60 Perſonen 
der Föniglichen Yamilte und mehr als die Hälfte des engliſchen 
Adels hinwegraffte. Er endigte damit, daß Heinrich von Ric 
mond aud dem Haufe Lancafter, nachmald König Heinrich VII. 
(f. d.) ſich (1486) mit Elifabeth von York (M. St. I, 7) ver- 
mählte, wodurch die beiden feindlich getrennten Häufer vereinige 
wurben. 


Roſenkranz, |. Paternofter. 


Noß. 1) (Wil. T. V, 2): „ein krummes Roß“, d.h. ein 
für den kaiſerlichen Marftal nicht mehr brauchbares, mit einem 
Fehler behaftetes, befonderd hinkendes (fd. frump) Pferd. 2) 
eine Grafſchaft im nördl. Schottland zwiſchen dem Kaledoni⸗ 
fhen Meere und dem Murray: Bufen; daher der „Than von 
Roß“ od. Rofle (Mich. I, 3) und der „Bifhof von Roß“ (M. 
&t.1I,6 u. II, 4). — Roß des Aberwitzes (3.0.08. IIL 6), 
Anfpielung auf dad von den Griechen gezimmerte Pferd, mit 
welhem Troja überliftet wurbe. 


Noßberg (W. T. I, 1 u. II, 2), eine Burg am Alpnadher 
See, weitlih von Stanz gelegen. 


Rota, ital. eig. dad Rad, wegen der radförmigen Platten, 
mit denen der Gerichtäfaal gepflaftert if. Die „peinliche Rota* 
(F. II, 9), das päpftliche Appellationdgericht. 


Notonde (Ged. D. verfchleierte Bild 3. Said) od. Rotunde 
(Wſt. T. I, 1), von dem lat. rotundus, rund; ein Treißförmiges 
Zimmer in einem Tempel oder anderen Gebäude. 


Motte, mittl. lat. ruta od. rotta, ein Haufe; bei. eine zu 
einem gewiſſen Zweck verbundene Schaar; daher (Geb. D. Bürg- 
Ihaft): „Die raubente Rotte“ und (Berbr.a.v. &.): „Die ſchänd⸗ 
liche Rotte”. — Davon: rottiren, ſich zuſammenſchaaren, wie 
(F. II, 4 „ſich zu Hauf rottiren“. 


Aotunde, ſ. Rotonde. 


Rouſſeau — Rudenz. 297 


Roufieau, Sean Jacques, ein befannter franzöfticher 
Schriftiteller, geb. 1712, + 1778, hatte durch einige politijche 
Schriften, ſowie durch jeinen Roman: „Die neue Heloije” 
nicht nur die allgemeine Aufmerffamfeit Frankreichs, fondern 
jelbft Europa’3 auf fi) gezogen. Als jedoch jein Hauptwerk: 
„Emil oder von der Erziehung” erſchien, zog er fich hef—⸗ 
tige Verfolgungen zu, jo daß feine Schrift durch Henker Hand 
verbrannt, und er jelbjt zur Gefängnißftrafe verurtheilt wurde. 
Er floh nad) London, wo man ihn mit Beifall aufnahm; feine 
legten Lebenstage brachte er bei dem Marquis Girardin nahe 
bei Baris zu, wo auch fein Leichnam auf einer Inſel eined Teiches 
in dem Park von Ermenonville eine Rubeftätte gefunden hat. — 
Das mit feinem Namen überjchriebene Gedicht beftand urjprüng- 
fh aus 14 Strophen, in denen Sch. feinem ganzen Ingrimm 
über die ſchmachvolle Behandlung des geiftuollen Schriftfteller 
in den heftigften Ausdrüden Luft gemacht hatte. Später hat 
er, jedenfalls aus äfthetiſchen Rüdfichten, nur die erfte und 
die fiebente Strophe in die Sammlung feiner Gedichte auf: 
genommen. 


Rubin; 1) (K. u. L. IV,7) ein Edelftein von prächtiger 
rother Farbe; daher (Br. v. M. 5, 418): „ber feurig glühende 
Rubin”; 2) ein Ring mit foldem Steine, wie (R. II, 8): 
„einen Rubin vom Singer ziehen“; 3) bildl. für rothe Fär— 
bung, wie (Meb. III, 8): „der natürliche Rubin auf deinen 
Wangen.” 


tüden, von binnen (Ged. Semele 1), |. v. w. der Erbe 
entheben. 


Rüden (W. T. IH, 3): „Wir haben einen R. an den An- 
dern”, d.h. die Anderen werben und im Rüde deden. 


Audenz (W. T. Perſ.-Verz.). Bei Giswyl, jüdl. vom 


Sarnerjee liegen die Trümmer des Stammſchlofſes der Rudenz, 
ferner ein Schlog Rudenz in der Nähe von Flüelen, dem 


298 Rudolf der Harras = Ruin. 


Bamberg gegenüber. — Alrich von Rudenz iſt eine erdichtete 
Perſonlichkeit. 


Aubolf der Harras (W. T. Perſ.Verz.), ein Name, ber 
von einem in "der Schlacht bei Sempach gefallenenen Ritter 
hergenommen tft. Harrad, aus dem lat. haracium, bedeutet 
ſ. v. w. Stallmetfter und Waffenaufjeber. 


Aubolph I. (1273—1291) legte den Grund zur nachmali- 
gen Größe des Haufe Haböburg, welches mit ihn auf den 
deutichen Katferthron kam (vergl. Geb. D. Graf v. Haböburg); 
daher (Wfl. T. IV, 3): „wa8 der Vater glorreich begonnen, will 
der Sohn vollenden.“ An ihn denkt Sohannes Parricida in 
dem Ausruf (W. 2. V, 2): „D Rudolph! Rudolph! König: 
licher Ahn!“ 


Audolp II. (1576—1612), ein beutjcher Kaijer, der weder 
die Geſchicklichkeit noch die Mäßigung feiner unmittelbaren Bor: 
gänger beſaß, mußte den Böhmen dur den Majeftätäbrief 
(f. d.) Religionsfreiheit bewilligen (Picc. IV, 5). 


Auffi, jchweizeriih für dad nieberd. Ruff und verwandt - 


mit dem ital. rovina, Einfturz; der Riß, die Spalte. — „Ein 
Ruffi ift gegangen“ (W. T. IV, 3), d. h. eine über einer fid 
fentenden Lagerungsſpalte ruhende Bergſchicht hat fih durch 
Gebirgswaſſer in gleitende Bewegung gejebt. 


Auin, lat. ruina, der Verfall, Untergang, die Zerftörung, 
wie (Ged. D. Ideal u. d. Xeben), wo ed von dem Reben der 
Bewohner des Olymps heißt: 

„Shrer Bötterjugend Roſen blühen 
Wandellos im ewigen Ruin." 
Davon: Ruinen, die Trümmer zerftörter Gebäude, wie (R. 
II, 2) „die Ruinen von Karthago“ (f. Karthago); auch bildl 
für zerfallene Zuftände, wie (W. T. IV, 2): 
„Das Alte ftürzt, ed ändert fich bie Zeit 
Und neues Leben blüht aus den Ruinen.” 


Rund — Ruy Gomez. 299 


ferner ruiniren (8.u.%.1,2 — Bft. A 10), zu Grunde 
richten, wie (R. II, 3): „ruinirte Krämer.” 

Nund (Sp.u.d.8%), R. der Erde (D. C. IL 8), f. v. w. 
Erdball, ganze Erde; vergl. Ring. 


Aunde (Wſt. T. IL, 3), in ber Kriegerfpracdhe: eine Be- 
fihtigungs- oder Streifwache, |. Patrouille. 
Aunfen, ſ. Gletſcher. 


Auodi (W. T. Perſ.Verz.), ſchweizeriſche Abk. für Rudolf 
(althd. hruodolf). 


Rurik (Dem. ID), der Sage nad) der Gründer des ruſſiſchen 
Reiches; vergl. Waräger. 

Rüſthaus, eig. ein Zeughaus, Waffenvorrathshaus; bildl. 
(M. St. II, 3) der Ort, wo man fi gegen einen Feind 
rüſtet. 


Rütli (W. T. I, 4 u. II, 2) od. Grütli, am öſtlichen Ab- 
hange der Landzunge, welche den Urnerſee von dem Vierwald⸗ 
ftätterſee ſcheidet, eine Wieſe von ſchroffen Felskoloſſen umgeben, 
zwiſchen denen hier und da ein ſchneebedecktes Haupt durch die 
Schluchten blickt. Hier ſtoßen die Cantone Uri und Unterwalden 
fo zuſammen, daß beide von Schwyt nur durch einen ſchmalen 
Arm des See getrennt find. 

Ruy Some, Graf or. Silva, Fürftv. Eboli, Mit- 
glied des Staatsraths Philipps IL, war von Don Garlod als 
einer feiner Todfeinde bezeichnet worden; in St. Reals Novelle 
erſcheint er ald Erzieher und Günftling (D. C. II, 8) des Königs, 
bei Sch. zugleich (IV, 13) als Großſiegelbewahrer. Bon feiner 
Gemahlin berichtet die Gefchichte, daß fie eine Zeit lang Phi- 
lipp's Geliebte war, aber auch mit andern Männern auf ver 
trautem Fuße lebte. 


300 Saalkreis — Sacrament. 


Saalkreis (Bft. L. 6), der von ber Saale durdftrömte, 
ſüdliche Theil des ehemaligen oberſächſiſchen Kreijes. 


Sabbath, von dem hebr. schabath, von der Arbeit ruhen, 
feiern; zunächft der jüdiſche Feiertag; ferner nach dem mittel: 
alterlihen Volksglauben (3. v. DO. IV, 11) eine unter Borfiß 
bes Teufeld gehaltene wilde Berfammlung der Heren. 


Sachwalter, eig. Derjenige, welcher bie Sache eine An» 
deren vor Gericht vertritt; „Sachwalter der Menfchheit” (Men- 
ſchenf. 3), Jemand, ber e8 übernimmt, die natürliche Herzens 
güte der Menjchen zu vertheidigen. 


Sacrament, lat. sacramentum, von dem lat. säcer, heilig; 
eig. ein Mittel, wodurd man fidh oder einen Andern zu etwas 
verbindlih macht, indbefondere in der chriftlihen Kirche ein 
Gnadenmittel, vor Allem dad Abendmahl. 1) Sede heilige 
Handlung überhaupt, wie (Sp. d. Sch.): „die Würde des 
Sacraments“; 2) Beihte und (K. u. 2. III, 6) Abend: 
mahl, wie (Ged. D. Gang n. d. Eifenhammer): Das Geläut, 

„Das alle Sünder hochbegnadet 
Zum Sacramente feſtlich abet.” 
desgl. (M. St. I, 2): 
„Schon lange Zeit entbehr' ih im Gefängniß 
Der Kirche Zroft, der Sacramente Wohlthat.“ 
und (D. C. I, 1): 
„Ro jelber Mifjethaten unterm Siegel 
Des Sarramentes aufgehoben liegen.“ 
3) Abendmahl und Iegte Delung, wie (M. St. III, 6): 
„Das legte Sacrament empfingen wir.“ 


4) die Monftranz (ſ. d.), wie (Geb. D. Graf v. Habsburg): 
„Und beiſeit legt jener bad Eacrament.” 


Sacriftan — Saitenfpiel. 301 


5) mißbräuchlich ald Fluch wort, wo ed gewöhnlih „Sader: 
ment“ (R.II, 3) oder in dem Volksmunde aus religiöfer Scheu 
verderbt „Sapperment” (ebendaf.) oder „Saderlot” (Wit. 
8. 8) lautet; davon fadermentalifch (R. IL, 3), ſ. v. w. ver: 
dammt. 


Sacriſtan, lat. sacristanus (Ged. D. Gang n. d. Eiſen⸗ 
hammer), der Küſter od. Meßner in der katholiſchen Kirche; 
Davon im Schweizer Dialect: Sigrift (W. T. II, 2). 

Sackerlot 

Sapperment 


Saculum (Tur. II, 3) od. falſch Seculum, lat. ein Jahrhun⸗ 
dert; „tintenkleckſendes S.“ (R. 1,2) ſ. v. w. ſchreibſeliges Jahr⸗ 
hundert. In der Sprache des Mittelalters daher auch (Dem. ID) 
im Munde der Nonne ſ. v. w. Zeitlichkeit, Welt, irdiſches 
Leben. 


Saducaͤer (R.I, 2), eine altjüdiſche Secte, welche die münb: 
fiche Weberlieferung, jo wie den Glauben an Engel und die Un— 
fterblichfeit der Seele verwarf, fonft aber ſich eines ftreng fitt: 
lichen Lebenswandels befleißigte. 


Sagan, ſ. Glatz. 
Saint Denis, ſ. Denis. 


Saintrailles (J. v. O. I, 3), in der Geſchichte Poton von 
Xaintrailles, ein alter Waffengefährte Johanna's. Vergl. 9. 
Straß, Jeanne d'Arc. Berl. Förſter 1862, S. 140. 


Saitenharmonie, ſ. Harmonie. 


Saitenſpiel, zunädft (D. ©. IV, 21) ein mit Saiten be: 
zogened Snftrument; bildl. (D. ©. III, 10) ein Werkzeug über: 
haupt; ferner (Menſchenf. 4) die harmoniſche Stimmung, der 
innere Friede des Herzend; od. (D. C. V, 4) ein Menſch von 
folder Gemũthsbeſchaffenheit. — (Geb. Semele 2) |. Sphären- 
Barmonte. 


ſ. Sacrament. 


302 Salamander — Salons. 


Salamander od. Mole (Bed. D. Taucher — Oſtſ. 

10, 172), eine zu den frofchartigen Amphibien gehörige Ahthei- 
lung von Thieren, die eine eidechfenartige Geftalt haben und 
theild nur auf dem Lande, anberntheild in tiefen Gemwäflern 
leben. Bon dem Erdjalamander, auf welden ſich die Stelle 
(Bf. T. II, 2): 

— — — — — — „Der wohnt 

Im leichten euer mit dem Salamander.” 
bezieht, ging ehemals die Sage, daß er unverbrennlidh fei, was 
darin feinen Grund hat, daß er in Gefahr eine milchige Ylüffig- 
feit ausſchwitzt, die eine glühende Kohle, auf welche man daB 
Thier legt, auslöfchen Tann. 


Saͤlamis (Iph. I, 3w.-H.), fraf. Salamine, daher (Ph. I, 1) 
„ Salamin”, jet Koluri, eine griechifche Inſel, Eleuſis gegen- 
über, durch eine ſchmale Meerenge von der Landihaft Attica 
getrennt. 

Salerno (Gſtſ. 10, 182), eine ziemlich bedeutende Stadt 
am Meerbufen gl. N. jürlih von Neapel. 


Salmiak, zufammengezogen aus dem lat. sal ammoniäcum, 
Ammoniakſalz, ſalzſaures Ammoniak; davon Salmiatgeift 
(R. I, 2), eine Auflöfung von ſolchem Salz. 


Salmoͤneus (Ged. Semele 2), ein Sohn des Aedlus und 
Bruder de Siſyphus, war jo bochmüthig, daß er fich für 
Jupiter audgab und verlangte, wie diejer, angebetet zu werden. 
Supiter ſchlug ihn mit dem Donnerfeil zu Boden und vertilgte 
die von ihm erbaute Stadt Salmöne. 


Salome, der Sohn Davids, König der Juden (1015 bis 
975 v. Ehr.), wurde feiner treffenden richterlichen Urtheile (vergl. 
Mutter, die unnatürliche), fo wie feiner vorzüglichen Staatsein⸗ 
richtungen wegen hoch verehrt und als Urbild der Weisheit be 
trachtet; auch wird ihm bad bibliſche „Buch der Weisheit” zu⸗ 
geichrieben, daher (Gſtſ. 10, 144): „ein zweiter Salomo*. 


Salsbury — Samuel. 303 


Salsbury (3.2. D. Prol. 3). Thomas, Graf v. ©., zeich⸗ 
nete fi im Kriege gegen die Yranzofen aus und fiel 1428 bei 
der Belagerung von Orleand. 

Sämann, Der (Geb.), das erfte unter den Epigrammen 
ded Sahres 1795. Es bedeutet: In dem heiteren Gewande 
der Poefie treten und erhabene Wahrheiten entgegen, die ung 
entweder zu aufmerkſamem Nachdenken anregen, oder, wie bier, 
zu ernftlihem Handeln ermuntern follen. 


Samarkand (Tur. Peri.:Berz.) od. Samarfanda (Zur. 
I, 1) am Kohik, einem Nebenflufle ded zum Aralfee gehenden 
Amu, eine ehemals fehr bedeutende Stadt in Turan od. ber 
Freien Tatarei. 

Sambor (Dem. I), Kreiöftadt am Dnjeftr in Galizien, 
füdlih nom Lemberger Kreife, der MWohnfi des Woiwoden 
Muiſchek. 


Sambuca (Ged. Archimedes u. d. Schüler), lat. die Sturm⸗ 
brũcke. 


Samen (Ged. 4. B. d. Xen. 112), bibliſch ſ. v. w. Nach⸗ 
kommenſchaft. 


Samos (Ged. D. Ring d. Polykrates), eine äußerſt frucht⸗ 
bare Inſel an der Weſtküfte von Kleinaſien. 


Samuel, Als König Saul am Ende feiner Tage von den 
Philiftern hart bedrängt wurde, gerieth er in Furcht und ſuchte 
den Herrn, den er zuvor verlaſſen, erhielt aber keine Antwort. 
Da verlangte er von ſeinen Knechten, ſie ſollten ihm ein Weib 
ſchaffen, das einen Wahrſagergeiſt hätte. Als dieſes gefunden 
war, begab ſich Saul zu ihr nach Endor und ließ ſich den 
Samuel heraufbeſchwören, den letzten der ſogenannten Richter 
der Hebräer, welder einjt der Abgötterei kräftig entgegen: 
gearbeitet, welcher Saul zum Könige gejalbt und ihm gegen 
über ſtets unerbittlich gewejen war, wenn er fih Eingriffe in 
bie priefterlichen Rechte erlaubt hatte. Der Schatten Samuels 


304 Sanct Ludwig — Sänger der Vorwelt. 


erſchien (1. Sam. 283, 12—19) und fagte ihm, daß der Herr 
von ihm gewichen fei und das Hei) David geben werde. 
D.E.V,10 vergleiht der Großingquifitor fich jelbft mit Samuel 
und den König Philipp mit Saul 


Sanct Zudwig, |. Ludwig IX. 


Sanctus, lat. eig. daB Heilig, (Ged. D. Gang n. d. Eifen: 
hammer), ein Kirchengefang bei dem katholiſchen Meßgottes- 
dienfte. 

Sand (Picc. II, 3 — Bft. T. V, 6); Beziehung auf Die 
Sanduhren, deren man fih in der Mitte des fiebzehnten Zahr: 
hunderts zu aſtronomiſchen Beobachtungen bediente, weil man 
fie für genauer hielt al8 die damald noch fehr unvolllommenen 
Räderuhren. 


Sandalen, von dem gr. sändäla, Schnürfohlen von Holz, 
deren ſich die alten Griechen bedienten; |päter (Br. v. M.5, 417) 
eine Art feiner Frauenſchuhe. 

Sänfte (M. St. I, 2), ein verſchloſſener Stuhl, in dem 
man ſich tragen laflen fann. 


&änger, Die, der Vorwelt (Geb), ein epigrammatiiches 
Gedicht aus dem Jahre 1795, welches die Dichter ded Alter- 
thums mit denen der neueren Zeit vergleiht. Das Loos ber 
Sänger der alten Zeit erfcheint ald ein beneidendmerthes, da fie 
zu dem Volke in einem mehr unmittelbaren Berbältniffe jtanden, 
ihre Geſaͤnge vor Hörern erklingen ließen, während die Dichter 
der Gegenwart der Anregung entbehren, die ein thatenreiched 
Öffentlicheß Leben zu bieten vermag, und gezwungen find, für 
Lejer zu jchreiben. Die Gejänge der Vorwelt mußten mächtiger 
wirken, da das Volk die poetifchen Productionen als dad Er: 
gebniß unmittelbarer Begeifterung auffaßte und durch feine 
lebendige Theilnahme zugleich eine wohlthuende Rüdwirkung 
auf den Sänger jelbft ausübte, während jetzt ftatt der unbe 
fangenen Hingebung dem Dichter kaum etwas Andered als eine 


Sängers Abſchied — Sapieha. 305 


vorurtheilduolle Kritik entgegengebradht wird. Diejer lebteren 
möge der Dichter daher fein zu großes Gewicht beilegen, denn 
da8 Leben und die Poefle ftehen nicht mehr in fo inniger Ge: 
meinſchaft, wie died im Alterthum der Fall war. 


Sängers Abſchied (Ged.). Dieje Stanzen, welche früher 
den Titel „Abichied vom Leſer“ führten, wurden im Jahre 1795 
gedichtet, um den Almanach zu bejchließen, der mit der „Macht 
des Geſanges“ eröffnet wurde. Später änderte Sch. die Weber: 
ſchrift in Die jetzige Hangvollere um, Die zugleich wehmüthige Er- 
innerungen hervorruft, da das Gebicht gegenwärtig die Summ: 
lung ſchließt. Es harakterifirt daB ganze Weſen der Schiller: 
Then Poeſie in ungemein treffenden Bildern, die gleichzeitig In 
höchſt anmuthigen Klängen an unferm Ohr vorüberjchweben. 
Das beicheidene Verzichtleiften auf den Nachruhm, das natürlich 
nicht in vollem Ernfte gemeint fein kann, findet eine angemefjene 
Deutung in dem Bilde der legten Stanze. Der Dichter wünscht, 
man möge feine Poefieen als einen Keim betrachten, aus deſſen 
Ausſaat eine neue Welt fchönerer und noch vollfommenerer 
Schöpfungen erwachjen möge. 

Sand Spaß (R. 11, 3) als fcherzhafte Ausdruckſweiſe für: 
obne (fr3i. sans) Spaß. 

Santa Eafa, ital. eig. das heilige Haus; (D. C. V, 10) 
eine Benennung der Inquifttion. 

Sapieha, Leo (Dem. I). Merimee fpricht in feiner Episode 
de l’Histoire de Russie (Les faux Demetrius) ©. 350 von Un: 
einigfeit zwifchen ven polnischen Heerführern und nennt Sohann 
Sapieha als den mächtigiten Nebenbuhler Rozynsky's. Sch. 
giebt dieſer gejchichtlichen Thatjache einen Ausdruck, indem er 
auf dem Reichötage zu Krakau Leo Sapieha und Odowalsky 
einander feinblich gegenüberftellt. Von Sapieha berichtet Me: 
rimée, daß er fih auch mit Sigiemund nicht einigen Fonnte, 
und eben fo, daß er ein entichiedener Gegner des fulfchen 
Demetriud war. S. 337 heißt es: Sapieha, qui n'avait 

U. 20 


306 Sapperment — Satan. 


jamais et6 sa dupe, ne’ voulait nullement se sacrifier pour sa 
cause. 


Sapperment, ſ. Sacrament. 


Saracen (ed. D. Kampf m. d. Drachen), der Morgen: 
länder; urfprüngl. die Benennung der Araber in Europa (4.2. 
in Spanien), demnächſt der Muhamedaner, Türken und aller 
nichtchriftlichen Völker, gegen weldhe die Kreuzzüge unternommen 
wurden. 

Saragofia (D. €. I, 1 u. IV, 23), Stadt am Ebro im 
Königreich Aragonien. 


Sardanapal (Sp. u. d.%.), der legte König von Afiyrien; 
er befaß einen ungeheuren Reichtum und war zugleich fo in 
finnliden Genuß verjunfen, daß er ein völlig unthätiged Leben 
führte und in diefem Sinne ſchon bei den Griechen ſprüchwört—⸗ 
li) geworden war. Als ſich endlich alle feine Provinzen gegen 
ihn empörten, verbrannte er ſich (888 v. Chr.) mit feinen Weibern 
und feinen fämmtlihen Schäßen. 


Sarkophäg (Ged. D. Ideal u. d. Leben), gr. wörtl. ein 
Fleifchverzehrer; bei den Alten ein aus poröſem, äbendem Kalk: 
ftein verfertigter Sarg, welcher die verweſenden Leichname fchnell 
verzehrte. | 

Sarnen (W. T. I, 4 u. II, 2), Dorf am See gl. R., 
im Canton Unterwalden; auf einem in der Nähe befindlichen 
Hügel ftand Landenberg’d Burg, „das Sarner Schloß“ (W. 
T. V, I). 

Sarzana (F. V. 6), ein Platz in Genua. 


Safſen (W. T. II, 2), von ſitzen; Anſäſſige od. Einwoh⸗ 
ner, beſ. ſolche, die nicht die Rechte eines Bürgers haben. 

Satan od. Saͤtanas (K. u L. V, 5), hebr. eig. ein 
Miderfacher, gefallener, böjer Engel; bei. (R.Borr.) das Haupt 
der Teufel; bildl. (K. u. L. III, 6 u. V,8) ein boshafter Menſch; 


Satrap — Satyre. 307 


Davon: ſataäniſch (K. u. L. IH, 1u.V7 — D. €. IV, 12), 
teufliſch, boshaft. 


Satrap (R. IV, 6), ein perfiider Statthalter oder Land⸗ 
pfleger, dann übertragen auf einen willlürlih und launenhaft 
regierendey Diener der höchften Gewalt. 


Saturn, |. Saturnus. 
Saturnia, |. Here. 
Saturnius, | Zeus. 


Saturnus (Picc. II, 4), abgel. Saturn (Bft. T. I, 1), 
vergl. a. Kronos u. Ajtrolog; einer der merfwürdigften Plane: 
ten, ber ftetd als ein Stern erfter Größe mit wetßlichem Lichte 
erfcheint und bei feiner großen Bahn, jo wie bei ber verhält: 
nipmäßig geringen Gefchwindigfeit über 2 Jahr in einem und 
demfelben Sternbilde zu fehen if. Bon ben beiden henkelför- 
migen Anfäten, durch die er fi von allen übrigen Planeten 
unterjcheidet, weiß man feit dem Sahre 1657, daß fie ein ben 
fugelförmigen Körper frei umjchwebender, mehrfach getheilter 
Ning find. Außerhalb des letzteren umkreifen ihn noch acht 
Monde, worauf ih die im Munde Wallenfteind theilweiſe aller- 
dings ald ein Anachronismus erjcheinenden Worte beziehen, die 
derjelbe (Wit. X. III, 18) vergleichungdweife an Max richtet: 

„Und wenn ber Stern, auf bem bu lebft und wohnfl, 
Aud feinem Bleife tritt — — — — 

Sort reißt er dich in jeined Schwunged Kraft 
Sammt feinem Ring und allen feinen Monden.“ 

Saͤtyr (Mytb.), ein Feld: oder Waldgott mit Ziegenfüßen, 
ein Repräfentant der Außdgelafjenheit und Ueppigkeit, der oft 
(Ged. D. Götter Griechenlands) in dem Gefolge des Bacchus 
ericheint; als Sinnbild des Uebermuths (R. Vorr.): „der gott- 
Iofe Satyr.” 

Satyre, richtiger Satire, von dem lat. satira; eine Spott- 
Schrift, in welcher Thorbeiten und Lafter Tächerlich gemacht 

20 * 


308 Sapung — Säulenordnung. 


werden. „Die Satyre des Spanierd” (R. Borr.), |. Don 
Quixote. 

Satzung, eine Willenderflärung, durch welche Pflichten und 
Rechte feitgejebt werden; bei. a. (M. St. I, 6) eine Glaubens: 
vorſchrift. 

Saul, der Sohn Kis (Wſt. L. 8), welcher ſeine Eſelinnen 
verloren hatte, die Saul (1. Sam. 9, 3—20) wiederfand, wurde 
von Samuel gejalbt und warb hierdurch der erfte König über 
Iſrael (1050 v. Chr.), er erwarb fich Anſehen durch Stege über 
mehrere Nachbarvölker, erlaubte ſich aber verfchiedene Eingriffe 
in die Vorrechte der Prieſter. Vgl. Samuel. 


Säulen (Br. v. M. 5, 422). Der naiven volksthümlichen 


Borftellung lag ed im Altertum nahe, den Weltenbau mit dem - 


eined irdiſchen Göttertempeld zu vergleichen, wie wir dad noch 
bildlich thun, indem wir von einem „Himmelsdach“ u. ſ. w. 
prehen: Wenn Sch. bier von den „ewigen, alten Säulen” 
der Erde fpricht, fo mag dies zunächſt erinnern an Hom. Od. 
1, 53, wo von den Säulen die Rede ift, welche Atlas fügt, 
und melde Himmel und Erde audeinanderhalten. Wir erinnern 
auch an die Säulen des Hercules (ſ. d.); deögl. an Para: 
bein u. Räthjel 4. 

Säulenordnung nennt man in der Baukunft die Anord- 
nung der einzelnen Theile der Säulen, wodurch diefelben ihr 
eigenthümliches architectoniſches Gepräge erhalten. Gewöhnlich 
nimmt man fünf folder Säulenordnungen an: 1. die dorifche, 
2. die ioniſche, 3. die korinthiſche, 4. die römilche, 5. Die tos⸗ 
canifche. — Die ioniſchen Säulen (Bed. D. Spaziergang) find 
erfennbar an bem mit vier boppelfeitigen Schneden gezierten 
Säulentopf (Capital), jest häufig: Capitäl (v. d. ital. capi- 
tello), deilen unterer Kranz biöweilen mit einem gezahnten Zier: 
rath verjehen if. Anmuth und weibliche Zartheit ift als der 
wejentlihe Charakter diefer Säulen anzujehen, die vorzugsweiſe 
bei Gebäuden angewendet zu werden pflegen, welche der Kunft 


| 


Saum — Savoyarden. 309 


gewidmet find, wie Schaufpielhäufer und Mufeen. — Die „edle 
Säulenordnung” (Wft. Prol.) iſt das Innere des Theaterrau: 
med; das „Jäulengetragene herrlihe Dach“ (Br. v. M. 5, 390) 
ſ. v. w. Palaft. 

Saum, zunächſt ein genähter Rand, dann auch etwas Zu- 
fanmengebundened, Zujammengethaned, daher ſ. v. w. Laft od. 
auch Padfattel; davon: „dad Saumroß“ (VB. T. IL 1), di. 
Padpferdb u. der Säumer, f.v. w. Laftenbeförberer, wie (W. 
x. IV, 3): 

„Der Säumer mit bem fchwerbelapnen Roß." 

Sauvage (M. St. III, 5), richtiger John Savage, ein 
engliiher Katholif und früher DOfficier in der ſpaniſchen Armee, 
war ein Mitglied der Verſchwörung, in weldyer Babington Die 
Hauptrolle übernommen hatte. Sch. hat den Namen abfihtli 
in Sauvage umgeändert, weil er den Mordanfall von einem 
Franzoſen wollte geichehen lafſen. 


Sauvegarde (Wrb. II), von dem frzſ. sanver, retten; die 
Sicherheitswache, Bededung. 


Savern, jest Saverne (Ged. D. Gang n. b. Eifenham- 
mer), deutſch Zabern, ein Städtchen nordweitlih von Straß: 
burg. — (3.0.0. 11, 6), ein anfehnlider Fluß Englands, der 
fih in die iriihe See ergießt. 


Savoyen (D. E. II, 4 u. IV, 3), daß jept franzöfifche Ge⸗ 
biet der Weftalpen bis zum Genferfee, war jeit 1416 ein Herzog: 
tum. Die dajelbft regierende Familie (la Maison de Savoie) 
befigt heut da3 Königreich Stalien. Der Herzog von Savoyen 
unjerer Stelle tft Emanuel Philibert 1553 — 80, der 1557 mit 
dem Grafen Egmont die Schlacht bei St.- Quentin über die 
Sranzofen gewann. 


Savoyarden (%. II, 15), die Bewohner von Savoyen, vor 
denen die Aermeren ald Stiefelpuger, die Kinder mit Murmel- 
thieren u. |. w. beſonders nad) Parid zu wandern pflegen. 


310 Scenarium — Scepter. 


&cenarium, f. Scene. 

Scene, von dem lat. scena, die Schaubübne; 1) die Bühne 
(Geb. An Goethe — W. T. II, 2 u. IV, 3 — 9.2. K.); 2) der 
Schauplag, der Ort, wo eine Handlung vorgeht, wie (Iph. 
Perſ.⸗Verz.): „die Scene ift daß griecdhiiche Lager in Aulis;“ 
desgl. Picc. IV, 1. 3) Der Auftritt, ein Abichnitt eines Auf: 
zuge im Schaufpiel (R. I, 1 20); 4) Borgang oder Bege: 
benbheit, wie (D. C. IL, N: „Welch eine Scene ſah ih an!“ 
od. (5. I, 13): „erhabene Scenen“; deögl. (Sp.u.d.%.): „komiſche 
Scenen“; 5) ein Bild in der Natur, wie (gr. Handl.a. d. n. 
Geſch.): „neue Scenen“; 6) ein Bild im Menſchenleben, 
wie (8. u. L. II, 3): „die fchauderndite Scene”. — Davon Sce- 
nartum, neulat. ein Scenenbuch, welche die Angabe der Ber: 
wandlungen, Auftritte zc. im Schaujpiel, bei. (Iph. Perſ.⸗Verz.) 
bie Angabe der in den letzteren erjcheinenden Perſonen enthält. 


Scepter, von bem gr. skeptein, flüßen, oder dem gr. lat. 
sceptrum, der Herricherftab, jeit dem Mittelalter ein Zeichen der 
Herrichergewalt der Kaifer und Könige. 1) (Br.v. M. 5, 431) 
Der wirkliche Stab, wie (Wſt. L. 7): 

„Und das Scepter in bes Königs Hand 
Sf ein Stod nur, bad ift befannt.” 
Deögl. bildl. (Dem. I): 
„Daß fih ein frecder Räuber meined Erbs 
Anmaße, und ben Scepter ſchände, 
- Der mir, dem ächten Czaarowitſch gebührt.” 
2) Ged. 2.3. d. Xen. 97 u.4. B. d. Aen. 51) die Herrſcher— 
macht, Herrfhergewalt, wie (D. C. I, 2): 
j „So weit das Scepter meines Vaters reicht.“ 
Desgl. (D. €. V,4): 
‚Ihr Scepter war bad Spielwerk feiner Hänbe.” 
ferner (M. St. 1,7: 


„Und nicht erlöfcden wird ber Haß, bis endlich ıc. 
@in Scepter waltet burch die ganze InfeL* 


Shah — Schafgotſch. 311 


und (W. T. III, 2): 
ODeſtreichs mächtiges Scepter.“ 

oder bildl. in übertragener Bedeutung, wie (K. u. L. II, 1) u. 
(Ged. Würde der Frauen): 

„Aber mit janft überredender Bitte 

Führen die Grauen den Scepter ber Sitte.” 
ferner (%. III, 5): „daß die Sonne den Himmel räumt und das 
Scepter der Welt mit dem Monde theilt”; und (Bed. D. Künftler): 

„Kein Zufall mehr mit ehrnem Scepter ihm gebeut." 
Schach. 1) Der Titel der perſiſchen Könige, wie (Zur. 

II, 1): „der Schach zu Babel”. 2) Dad Schach- od. Königsfpiel, 
ein uralte aus Perften ftammendes Brettipiel, wie (%. IV, 12): 
„wie auf dem Schach alle Dfficiere den wehrloſen König be- 
deden.“ 


Schäden (W. T. II, 1), ein von der rechten Seite bet 
Bürglen in die Reuß mündender Bach, der durch ein ſechs Stun- 
den langes wildes Thal, dad Schächenthal (ebendaf.) fließt. 


Schäferftunde, fraf. ’heure du berger, eine Tändelſtunde 
für Verliebte, (Ged. D. Entzüdung an Laura): „Meine Mufe 
fühlt die Schäferjtunde”, d. h. die Liebe ftimmt mich poetiſch. 

Schaffbaufen (W.T. V, 1), Stadt im Canton gl. N. am 
Rhein, oberhalb des berühmten Waſſerfalles. 

Schaffner (W. T. IL, 1), Haudhofmeifter, Wirthichafts: 
verwalter. 

Schaffot, frai. dchafaud, eig. ein zum Zufchauen eingezäun- 
ter Platz; bei. (KR. u. L. IT, 1 — M. St. I, 8) Blutgerüft, 
Blutbühne. 

Schafgotſch (Picc. V, 1 3.109), einer von Wallenfteind 
Feldherren, ber (Dr. Kr. 389) nad dem Stege bei Steinau in 
Schlefien zurüdgelafien wurde, und auf deſſen Zuverläffigteit er 
auch noch in feinen letzten Lebendtagen (Dr. Kr. 406) rechnete. 
Schafg. war Proteftant und ber einzige, an welchem dad wegen 


312 Schakal — Schatten. 


Theilnahme an einer vermeintlichen Verſchwörung ausgeſprochene 
Zodedurtheil in graufamfter Weije vollftredt wurde. 


Schakal (Ged. D. Kampf m. d. Draden), ein in Afrika 
und Südaſien lebendes, zum Hundegeſchlecht gehöriges Raub- 
tbier, dad, wenn ed auf Raub außgeht, ein wibriges Geheul 
bören läßt. 


Schalmei (Sph. IV. Zw.:H), von dem frzſ. chalumeau (lat. 
cäAlamus, Rohr), Die Hirtenflöte, Rohrflöte, vergl. Haberrohr. 


Scharlach, eine brennend rothe Farbe; bei. Zeug von dieſer 
Farbe, wie (%. Perſ.-Verz.); in der Kleidung dad Zeichen des 
fürftliden Standes, daher (%. II, 8): „Im Scharlach in den 
Senat zu fommen!” Bildl. das Erröthen, wie ( F. II, 11): „Set 
find Sie wieder Scharladh.” 


ſcharmant, richtiger harmant, von dem frzſ. le charme, 
der Reiz; 1) jchön, reizend, wie (Zur. II, 1): „meine charmante 
Hoheit; u. (N. a. O. III, 4: „ein fcharmanted Land”; 2) aller- 
Itebft, entzüdend, einnehmend, wie (Bar. 1,6 u. Ill, 4 — Zur. 
1I, 1); auch tn ironiſchem Sinne (%. II, 2). 

Schatten, gleihbedeutend mit Manen (f. d.), wurden im 
Alterthum die Seelen der Berftorbenen genannt, welche die Unter: 
welt (vergl. Tartarus) bewohnten; daher jagt (Ph. V, 6) der 
fterbende Hippolyt zu Theramen: 

„Sag' ihm, um meinen Schatten zu verfühnen, 

Mög’ er an der Gefangnen gütig handeln.“ 
Desgl. Maria (M. St. I, 4) zu Hanna Kennedy: 

„Ed ift der blutige Schatten König Darnley's.“ 


Vergleichungsweiſe braucht Beatrice (Br. v. M. 5, 425) diefen 
Ausdrud von den Bewohnern des Klofters, die ihr Dajein in 
ſtiller Abgeſchiedenheit zubringen: 

„Und fo erwuchs ich ſtill am ſtillen Ort 

In Lebentzlut den Schatten betgeſellt.“ 


Schattenbeherriher — Scherge. 313 


Dedgleichen heißt es von der dramatiichen Kunit, injofern fie 
die Geftalten der Berjtorbenen heraufbeihwört (Wit. Prol.): 
„Seht darf die Kunſt auf ihrer Schattenbühne 
Auch böhern Flug verfuchen, ja fie muß, 
Soll nicht des Lebens Bühne fie befchämen.” 

Schattenbeherrſcher 

Schattenkoönig ſ. Aldes. 

Schatten, Fuͤrſt der 

Schattenland 

. Tartarus 
Schatten, Neich der Tartaru 

Schatulle od. Chatulle, von dem mittl. lat. scatüla, Schach⸗ 
tel; DFLI- K. u. L. IV,) — D. C. II, 12 — Pic. V1 
— Gſtſ. 10,136) ein Schatz- od. Geldkäftchen; 2) (Gſtſ. 10, 220) 
die Privatgelder eines Yürften. 

Schaums, Tochter des, |. Apbrobite. 

Scheden (Wit. T. II, 3), ein Pferd mit weißen Yleden auf 
farbigem Grunde. 

Scheeren, die Klippen in ber Oft: und Norbfee; „die 
Scheeren de3 Belts“ (Picc. II, 7), ſ. v. w. die Oſtküfte von Jüt⸗ 
land, bi8 wohin Wullenftein im dänifchen Kriege vorgebrungen 
war; der Auddrud Scheeren iſt bier poetifch von den norwegi⸗ 
jhen Klippen auf die däniſchen Buchten übertragen. 

ſcheitelrecht (D. C. I, 2), unter einem rechten Winkel zu: 
ſammenſtoßend. 

Schellenkappe (Sp. u. d. L.), ſ. v. w. Narrenkappe; bildl. 
G. II, H. 

ſcheren, eig. zertheilen, beſ. der Wolle berauben; dann auch 
in der Volksſprache (Wſt. L. 11), ſich plagen, quaͤlen. 


Scherge, eig. Gerichtsdiener, bildl. Vollſtrecker des Willens 
ihrer Herren, wie (Wit. X. IV, 2): 
„Wir aber find nur Schergen bes Geſetzes“ 


312 Schakal — Schatten. 


Theilnahme an einer vermeintlichen Verſchwörung ausgeſprochene 
Todesurtheil in graufamfter Weiſe vollftredt wurde. 


Schakal (Ged. D. Kampf m. d. Draden), ein in Afrika 
und Südaſien lebended, zum Hundegeſchlecht gehörige Raub: 
thier, das, wenn ed auf Raub audgeht, ein widriges Geheul 
hören läßt. 


Schalmei (Iph. IV. Zw.-H), von dem fraf. chalumean (lat. 
calamus, Rohr), die Hirtenflöte, Rohrflöte, vergl. Haberrohr. 


Scharlach, eine brennend rothe Yarbe; bei. Zeug von dieſer 
Farbe, wie (%. Perj.-Berz.); in der Kleidung das Zeichen de 
fürftlihen Standes, daher (%. II, 8): „Im Scharlah in ben 
Senat zu kommen!“ Bildl. dad Erröthen, wie (5. II, 11): „Jetzt 
find Sie wieder Scharlach.“ 


ſcharmant, richtiger char mant, von dem frzſ. le charme, 
der Reiz; 1) jchön, reizend, wie (Zur. II, 1): „meine charmante 
Hoheit; u. (N. a. O. III, 4): „ein fcharmantes Land”; 2) aller- 
Vtebft, entzüdend, einnehmend, wie (Bar. 1,6 u. II, 4 — Zur. 
1, 1); aud in ironiſchem Sinne (%. II, 2). 

Schatten, gleichbedeutend mit Manen (j. d.), wurden im 
Alterthum die Seelen der Verſtorbenen genannt, welche die Unter: 
welt (vergl. Tartarus) bewohnten; daher jagt (Ph. V, 6) der 
fterbende Hippolyt zu Theramen: 


„Sag' ihm, um meinen Schatten zu verföhnen, 
Mög’ er an der Gefangnen gütig handeln.“ 


Desgl. Maria (M. St. I, 4) zu Hanna Kennedy: 

„Es ift der blutige Schatten König Darnley's.“ 
Vergleichungswetje braucht Beatrice (Br. v. M. 5, 425) dieſen 
Auödrud von den Bewohnern ded Klofterd, die ihr Daſein in 
ftiller Abgefchtedenheit zubringen: 


„Und fo erwuchs ich fill am ftillen Ort 
In Lebentzfut den chatten beigefellt.“ 


Schattenbeherrſcher — Scherge. 318 


Desgleichen heißt es von der dramatiſchen Kunſt, inſofern ſie 
die Geſtalten der Verſtorbenen heraufbeſchwört (Wſt. Prol.): 
Jetzt darf die Kunſt auf ihrer Schattenbühne 
Auch höhern Flug verjuchen, ja fie muß, 
Soll nicht dead Lebens Bühne fie beſchämen.“ 


Schattenbeherrſcher 
Schattenkoͤnig ſ. Atdes. 
Schatten, Fürſt der 
Schattenland ſ. Tariarus 


Schatten, Neich der 

Schatulle od. Chatulle, von dem mittl. lat. scatüla, Schach⸗ 
tel; 1) (LI — K. u. L. IV, ) — D. C. II, 12 — Bic.V,1 
— Gſtſ. 10,136) ein Schatz- od. Geldfäftchen; 2) (Gftſ. 10, 220) 
die Privatgelder eines Fürſten. 

Schaums, Tochter des, ſ. Aphrodite, 

Schecken (Wit. T. II, 3), ein Pferd mit weißen Yleden auf 
farbigem Grunde. 

Scheeren, die Klippen in der Dit: und Nordfee; „die 
Scheeren des Belts“ (Picc. II, 7), ſ. v. w. die Oftküfte von Züt- 
land, bis wohtn Wallenftein im däntichen Kriege vorgedrungen 
war; der Auddrud Scheeren iſt bier poetifch von den norwegi⸗ 
ſchen Klippen auf die dänischen Buchten übertragen. 

ſcheitelrecht (D. C. I, 2), unter einem rechten Winkel zu- 
fammenftoßend. 

Schellenfappe (Sp. u. d. L.), ſ. v. w. Narrenkappe; bilbL 
(5.11,9). 

feheren, eig. zertheilen, bei. der Wolle berauben; dann auch 
in ber Volksſprache (Wit. L. 11), fich plagen, quälen. 


Scherge, eig. Serichtädiener, bildl. VBollftreder des Willens 
ihrer Herren, wie (Wit. T. IV, 2): 
„Wir aber find nur Schergen bed Geſetzes“ 


314 Scheufal — Schiöma. 


und (M. St.1,8), wo Paulet fein Hüteramt ein „Schergen- 
amt” nemnt. 
Scheuſal, ſchlangenhaariges, |. Eris. 


Schickſal, da8 gemeinfame (Ged.), ein Epigramm aus 
8.3.1796. Die Epigramme waren eine Waffe, die Sch. und 
Goethe zunächſt gegen ihre Gegner richteten; bier erinnert er 
daran, daß auch diefer Thätigkeit ein Ziel gejegt werben wird. 

Schikane, |. Fremdwoͤrter (Chicane). 

Schickſalsmaͤchte, ſ. Fortuna. 

Schierlingswurz (Dich. IV, 3), der Wurzelftod, d. h. ber 
unterirdifhe Stengeltheil des Waſſerſchierlings (Cicuta virosa), 
in deſſen fächrigen Höhlungen fi} ein gelber, harziger Saft be» 
findet, der ein höchft gefährliches Gift ift. 


Schiffe, krumme (Geb. 2.2. d. Yen. 30), wohl foviel wie 
„geichnäbelte”. 


Schild (J. v. O. III, 7). Im Altertfum pflegte man die 
im Kampfe gefallenen Krieger auf ihren Schild zu legen und 
mit demſelben aus der Schlacht zu tragen, weshalb auch eine 
ſpartaniſche Mutter zu ihrem in den Kampf ziehenden Sohne 
ſagte, indem ſie ihm den Schild reichte: „Entweder mit oder 
auf demſelben.“ 


Schindersceremonien (R. II, 3), ſinnbildliche Gebraäuche 
der Scharfrichter bet den Hinrichtungen. 


Schinskoj (Dem.) tft falſch gebrudt für Schtisfy, d. i. 
Fürft Waſſily Iwänowitſch, der am 17. Mai 1606 wit Ber: 
ſchworenen ben falſchen Demetrius ftürzte u. dann felbft die Re- 
gierung übernahm. Doc) wurde er ſchon 1610 entthront u. in 
ein Klofter geftedt. 


Shisma (Gſtſ. 10, 218), gr. die Spaltung, Scheidung 
in Parteien. 


Schlacht — Schlangenpaar. 315 


Schlacht, Die (Ged.), eine Sugendarbeit, die eined Mei: 
fterd würdig fein würde; durch und durch voll objectiver Hal: 
tung, als ob ein Augenzeuge berichtete, bietet fie eine reiche 
Fülle rafch fih drängender Ericheinungen dar. Das Versmaß 
ift abfichtlich jehr frei gewählt, daher dad Ganze um fo wirl: 
famer; an folden Stellen, wo zartere Empfindungen mit ins 
Spiel kommen, tritt auch der Reim ein. Man beachte die Stei⸗ 
gerung in den Zwifchenftropben, die der Reihe nad) 1, 2, 3, 4, 
nochmal 4 und enblih 6 Verſe zählen. In der vorletzten 
Strophe fteht in einigen Ausgaben fälfchlih ſtampft ftatt 
ftrampft; vergl. D. Flüchtling. 


Schlachtopfer, im Altertyum das den Göttern zu opfernbe 
Thier; bildl. der Hinzuopfernde, wie (Sp. d. Sch. 10, 122): „das 
Schlachtopfer jeiner Rache.“ 

Schlaglawine, |. Lawine. 

Schlamp (R. 1, 2), fb. f. v. w. Schleppe. 

Schlange. Sch. braucht fie oft vergleichungsweiſe: 1) als 
Sinnbild der fchleichenden liftigen Bewegung, wie (%. I, 9), wo 
der Mohr fagt: „Braucht mich zu Eurer Schlange“; desgl. von 
Mandfeld (Wit. T. III, 15): „die Schlangenfrümmen feiner 
Flucht”; 2) wegen ihrer unmwiderftehlich feffelnden Umſchlingun⸗ 
gen, wie (Ged. Phantafle an Laura): 

„Um die Sünbe fledten Schlangenwirbel 

Scham und Neu’, dad Qumenidenpaar.” 
3) wegen ber Feindichaft, in der fie mit einander leben, wie 
GBr. v. M. 5, 432): „ver Schlangenhaß der Brüder”; 4) we: 
gen ihres töbtlich verlegenden Biſſes, wie (D. €. I, 1): „der gif 
tige Schlangenbiß bed Argwohns“ und (Geb. Relignation) 
„das Schlangenheer der Spötter.” 


Schlangenhaare, |. Eris. 
Schlangenpaar, |. Laokoon. 


316 Sclaraffe — Schooß. 


Schlaraffe, von tem altd. slüren, oberd. ſchlauren, d. i. 
müßiggeben und Affe; daher %.1,9: „Schlaraffenleben“, 
ein forglojed, dem Sinnengenufle gewidmetes Leben. 


Schleier (Geb. D. Slode — Br. v. M. 5,432), dad Sim: 
bild weiblicher Züchtigfeit; vergl. Gürtel. 


Schliche (Bft. T. 1,4), |. v. w. Schleichwege, heim⸗ 
lihe Wege. 


ſchlimm, ehem. ſ. v. w. gering, wenig, auch fchledht; daher 
(3.11, 18): „Sch bin [hlimm mit dir zufrieden.“ 


Schlot, ein Kanal, Rauchfang od. (Ged. D. Gang n. d. 
Eiſenhammer) Schornitein. 


Schlüffel, Der (Ged.), ein paradored Epigramm aus d. 3. 
179. Zn allen Fällen, wo wir über uns jelbft im Unffaren 
find, werden wir am beiten thun, Andere zu beobachten, Die wir 
gewöhnlich ficherer beurtheilen, und mögen dann von ihnen den 
Schluß auf und felbft machen. Wo und aber dad Wejen An: 
derer räthjelhaft erjcheint, da mögen wir in unfere eigene Bruft 
greifen, um dort den Schlüffel zu finden, der und dad Innere 
unferer Nebenmenfchen eröffnet. 


Stlüffel, goldene, |. Kammerherr; vergl. a. Löſeſchlüſſel. 


fhmarogen (Sp. u. d.%), fich ungebeten zu Tiſche ein- 
finden. Davon: Schmaroger (Ged. D. berühmte Yrau), ein 
ungebetener Mitefjer; vergl. Parajit. 

ſchnadern (R. IV, 5), eilfertig reden, ſchwatzen. 

ſchnakiſch (R. J, 1), f. v. w. ſpaßhaft, lächerlich, wunderlich. 

Schnurre, eig. ein Scherzhafter Einfall, Schwant; dann auch 
Kleinigkeit od. ſchlechtes Hausgeräth; bildl. „die alte Schnurre” 
(R. 11,3), eine läͤſtige Perſon. 

Schooß der Kirche (M. St. I,6 — J. v. O. V, 4), bildl. 
mit Beziehung auf Lazarus, der in Abrahams Schooß (Luc. 


Schotten — Schulfuchs. 317 


16, 23) der Freuden der Seligkeit genoß, die Anſtalten der al: 
lein feligmachenden Kirche. — In ähnlicher Weife (W. T. IL, 2): 
„der offne Schooß ded Tages.” 


Schotten (M. St. 1,6 u. I, 7), die Bewohner von Schott: 
land, welches erft nah Eliſabeths Tode mit England vereinigt 
wurde, indem Jakob VI, Maria Stuart Sohn, ald ein Urenfel 
von Heinrichs VIII. Schwefter Margarethe auf den engliichen 
Thron berufen ward, wo er nunmehr Jakob I. hieß. — „Shot: 
tifche Völker“ (J. v. O. 1, 3) bezieht ſich auf die fchottifche Leib- 
wache, die Karl VII. umgab. Franfreih und Schottland, wel: 
ches jeinen Schuß gegen England in dem erjteren fand, ftanden 
das ganze Mittelalter hindurch bi8 auf Maria Stuart in fehr 
enger politiijher Verbindung. 


Schranke, eig. ein aus verichränkten Stäben errichtetes 
Gitterwerk, wie man es in Gerichtsſälen findet; daher bild. 
„Schranken errichten” (M. St. I, 2), f. v. w. ein Gericht einſetzen. 

Schranzen (Wit. L. 11, B. 231 — Picc. I, 2), ſ. v. w. 
Schmaroger (ſ. d.), Speichelleder, verächtliche Höflinge; daher 
a. Hofſchranzen (K. u. L. IV, 9). 

Schreckensmond (J. v. O. III, 4), ſ. v. w. ein Unheil ver⸗ 
kündendes Geſtirn; vergl. Aſtrolog. 

Schreckensurne, ſ. Urne. 

Schreckhorn (W. T. 1, 4), ein 12,600 F. hoher, bis jetzt 
unerſtiegener Gipfel der Berner Alpen. 

Schriftverächter (R. Vorr. 2, 5), Leute, welche die heilige 
Schrift verſpotten. 

Schröter (K. u. L. J, 5), ſ. v. w. Käfer. 

Schulen (M. St. II, 4), ſ. Jeſuiten. 

Schulfuchs (Ged. D. berühmte Frau), in der Studenten⸗ 
ſprache: ein Ankömmling, einer, der die Univerſität jo eben be» 
zogen; auch ein fteifer Gelehrter, Pedant. 


, 


318 Schupgötter — Schwarze Berg. 


Schutzgoͤtter, |. Penaten. 

Schwaben (W. T. Perj.:Berz) od. das ſchwäbiſche Land 
(W. T. II, 2), urfpr. Allemannien od. Suevien, welde Benen- 
nung fi allmälig in Schwaben verwandelte, war das Fluß- 
gebiet der oberen Donau von dem Lech bis an die Bogejen und 
umfaßte zugleich den öftlihen Theil der Schweiz. Als Herzog: 
thum war ed anfangs ein Theil ded Frankenreiches, feit 843 
ein Theil des deutfchen Reiches. Bei dem Untergange ber Hohen⸗ 
Staufen zerfiel e8, worauf fich viele Bafallen der früheren Herr- 
[her und ebenjo viele Städte zur Reichsunmittelbarkeit erhoben. 

Schwadron (Wft. 2. 11), eine unter einem NRittmeifter fte- 
bende Reiterſchaar; ſchwadroniren (R. II, 3), in Schwadronen 
oder Geſchwadern herumftreifen. 

Schwager (Dem. I), einer der beiden Prinzen Wiszniowecki 
(j. Demetriuß), ein Schwiegerfohn Mniſcheks; ferner hatte (nach 
Heerend Geſchichte) Ratomski ein Hülfäheer donifcher Koſaken 
geworben, dem fich mehrere Freifchaaren anfchlofien. — „Schwa- 
ger“ nennt die Gräfin Terzky (Pice. III, 2) ihren eigenen Mann, 
infofern er durch fie mit Wallenftein verjchwägert tft, in deſſen 
Intereſſe fie augenblidlich zu handeln glaubt. 

Schwäher, f. v. w. Schwiegervater; alfo (W. T. IV, 1): 
Walther Fürft. 

Schwan (Ged. Menfchliches Wiffen), ein aus 5 in Yorm 
eines Kreuzed gruppirten Sternen beftehendes Sternbild. — Der 
hochgehalfte Schwan, |. Leda. 

fhwanen, eig. wähnen mit vorgetretenem |; gew. (W. T. 
I, 4) ahnen. 

Schwärmerfinn (D. C. V, 10), im Sinne der katholiſchen 
Kirche: die Anfichten eined Berirrten. 

Schwarze, Der (Wit. T. II, 3), der Teufel. 


Schwarze Berg (W. T. II, 2); ed tft der Brünig (ſ. d.) 
gemeint. 


Schweden — Schwieger. 319 


Schweden (Dem. D, vergl. Sigismund. 

Schwerin (R. II, 2), preußiicher General⸗Feldmarſchall, der 
1757 in der Schlacht bei Prag, 73 Jahre alt, mit der Yahne 
in der Hand, fiel. 


Schwert; 1) in fräheren Zeiten das Sinnbild der richter- 
lihen Gewalt der Herrſcher; daher (M. St. I, 4: 
„Shr liebt das Föniglide Schwert von Schottland 
Bor euch bertragen im Triumph.“ 
ferner (W. T. II, 2: 
„Man pflanze auf die Schwerter ber Gewalt!“ 
und (ebendaf. ©. 61): 
„Des Schwertes Ehre werde Schwytz zu Theil” 


2) Das Sinnbild der erobernden Bewalt, wie (D. ©. II, 5): 
— — — — ‚Dis Schwert 
Schrieb fremben Völkern ſpaniſche Geſetze.“ 

Schweſter (M. St.), ſ. v. w. geſchwiſterlich Verwandte. 
Eliſabeth war die Tochter Heinrichs VIII. (ſ. d.), befien Schweſter 
Margarethe Maria Stuarts Großmutter war; daher (M. St. 
II, 3) Talbots Worte: 

WVerſuch's! Erkläre, daß du Blut verabfcheuft, 

Der Scchweſter Leben willft gerettet ſehn.“ 
deögl. (M. St. 1,2): „meine Tönigliche Schwefter” und (eben: 
dal. V, 8): 

„Der Königin von England 
Bringt meinen fchwefterlihden &ruß.” 

Uebrigend nennen fi) We Königinnen hier wohl Schweftern, wie 
die Könige fich fröres zu nennen pflegen. — Auch die Gräfin 
Terzky nennt fich (Picc. II, 2) im weiteren Sinne Schwefter 
des Herzogs, während fie nur die Schweiter feiner Gemahlin war. 


Schwieger (Picc. IV, 6), ältere Form für Schwiegermutter; 
ed iſt Wallenfteind Deutter, eine geborene Freiin Smirridy von 
Smirric gemeint. 


320 ſchwierig — Seylla. 


fhwierig (%. II, 18), |. v. w. bedenflih, Schwierigkeiten 
machend; dedgl. (Picc. I, 3), wo die Dctavaudgabe irrthümlich 
„ſchwürig“ hat, unzufrieden, gereizt. 


Schwytz (W. T. 1,2 u. II, 2) od. Schwyz, einer der drei 
Ureantone der Schweiz, zwiſchen dem Züricher-See und dem öft- 
lichen Ufer des Bierwaldjtätterfeed, feit der denfwürdigen Er: 
hebung der Eidgenofien (ſ. d.) zugleich der allgemeine Landes⸗ 
name; daher (Wit. &. 11): „Sch bin auß der Schwyz.“ 


Scipio (R.1,2). Publius Cornelius Scipio, römifcher 
Feldherr im zweiten puniſchen Kriege (218 — 201 v. Chr.) war 
beſonders durch ſeine Siege in Spanien und ſpäter gegen Han- 
ntbal in Airtfa (daher Africauus) berühmt; + 183. — Scipio 
(5. 1,11) ift der eben hereintretende Scipio Bourgognino (F. 
I, 8 u. II, 14). 

&clave, ſ. Sklave. 


Scone (Meb. Il, 13), eine Meile von Perth am Tay in 
Mittel- Schottland, der alte Krönungsplag (Meb. V, 14) der 
ſchottiſchen Könige. Nahe dabei liegen die Trümmer der Schlöfier 
Glamis (Meb. 1,5), wo König Duncan ermordet wurde, und 
Dunfinan (Meb. IV, 4), wo Macbeth feinen Tod fand. 


Scortationsftrafe (K. u. L. I, 5), die Strafe, welche der Ber: 
führer eined Mädchens ehemals an die Kirche zu zablen hatte. 

Serupel, lat. scrupülus, eig. ein ſpitzes Steinchen; dann 
auch Zweifel, Bedenklichfeit; daher (Ged. D. Philoſophen): „Ge: 
wifjendferupel”; ſcrupulös (8. u. L. ILL 1), bedenklich, ängjt- 
lich : genau. 

Scudo, ital. eig. ein Schild; ferner (F. IL, 4), pl. Scudi 
(5. 11, 14), ein italienifcher Thaler (etwa 13 Thlr. preuß.) 

Sculptur (H. d. K.), von dem lat. sculptüra, die Bilb- 
bauerkunft. 

Scylla, |. Charybde. 





Scythen — Seele. 321 


Scythen, rohe und wilde Bölkerjchaften, welche im Norden 
des Schwarzen Meered und ded Kaſpi⸗Sees bis tief in das öſt⸗ 
liche Afien hinein wohnten. Die Stelle (Geb. Würbe d. Zrauen): 
„Mit dem Schwert beweift der Scythe — und der Perfer wird 
zum Knecht” können wir nicht anders erflären ald durch eine, 
in dieſem Gedicht freilich ziemlich weit hergeholte Anfpielung 
auf die Herrichaft, welche die Schthen 28 Jahre lang über Weit: 
aften ausübten und die (um 606) von Cydrares von Medien 
gebrochen wurde. Dann würde bier der Scythe die rohen, der 
Perjer die edleren aber ſchwächeren Seiten des menjchlichen We⸗ 
fend flunbildlich bezeichnen. Oder bezieht es fi auf eine und 
nicht gegenwärtige Anekdote oder Scene des Altertbumd? — 
(Ph. I, 3) wird Hippolyt als Sohn der Amazone Antiope (j. d.) 
„diefer Scythe“ und (Pb. III, 1) jeine Mutter eine „Scythin“ 
genannt, weil ſie zu dem Geſchlechte der Amazonen (f. d.) ge: 
hörte, welche eine Zeit lang in Gemeinfchaft mit den Scythen 
lebten. — Ein einzelner Stamm der Scythen waren die Aga- 
thyrſen; fie pflegten fich hellblau zu bemalen und zu tätto- 
wiren; daher (Bed. 4.2. d. Aen. 27): „ber Agatbyrjen bunte 
Schaar.“ 


Secte, lat. secta, eig. Partei (ſ. d.), bei. (D. C. IV, 3) Re: 
ligions⸗ od. Glaubenspartei, die oft eine andere heftig verfolgt; 
Daher (Wfl. T. I, 6): „der Secten Zeindfchaft.“ 

Serulum, j. Säculum. 


Seeland, eine durch die Mündungsinfeln der Schelde ge: 
bildete Provinz Hollands, die (3.0. D. Prol. 3) ſeit 1467 zum 
Herzotbum Burgund gehörte. 

@eele, eig. die Lebensfraft, das Lebendige; daher 1) ſ. v. 
w. Menſch, wie (F. III, 1): „verlorene Seelen”; 2) dad Innere, 
dad Gemüth, wie (ebendai.): „die Nacht meiner Seele“. Da: 
von: Seelengaudium (R. I, 2), innered Vergnügen, hohe 
Ergöglichkeit; Seelenjubilo (ebendaf.), auögelaffene Freude; 

u. 21 


822 Seher — Seladon. 


Seelenharmonie (Ged. D. berühmte Frau), Webereinftim- 
mung der Gemüther. 


Seher (Ged. D. Freundſchaft); 1) im Alterthuim die Be- 
zeichnung ber Priefter, weldhe, wie Kalchas (Ged. 2.2. d. 
Xen. 21), dem Volke den Willen der Götter verfünbigten; 2) ein 
Begeifterter od. Prophet (|. d.), wie (W. T. IV, 2): „in dem 
Tone eined Seherd”; 3) ein Aſtronom, wie (Ged. And. 
Freude): „bed Seherd Rohr“ u. (Br. v. M. 5, 475 u. 482) ber 
(S. 436) genannte „jternkundige Arabier“ (f. d.) 


Sehnſucht (Geb.), ein Gericht au dem 3. 1801. Es ift 
als der reine unmittelbare Ausflug von Schillerd ganzer Dent: 
weife zu betradhten. Er lebte vorherrfchend in einer idealen 
Welt; daher feine Trauer über „dieſes Thaled Gründe“, 
d. b. über die reale Welt, in der gerade dad Schönfte am fchnell« 
ften dahin ſchwindet. Daher andererfeitd auch fein fortwähren: 
‚bed Ringen nach einer idealen Sphäre, fein Kampf gegen „des 
Stromed Toben“, d.h. gegen die finnlihe Natur, die dem 
Menſchen immer wieder in dad reale Gebiet herabzieht. Das 
Mittel zur Verſöhnung der beiden wider einander ftreitenden 
&lemente ift „ber Nahen ohne Fährmann“, d. 5. die ob: 
jective Welt, die und nicht durch ein Wunder verftändlich wird, 
fondern in der wir zu arbeiten und zu fämpfen haben, um das 
und felbft gejtedte Ziel zu erreichen. 


Seine (Bed. D. Antiten zu Parts), ein Fluß Frankreichs, 
der auf der Côte d’or entipringt und fih in den Canal Ia 
Manche ergießt. 

Seladon (Ged. Un einen Moraliften — R. IIT, 1), eine 
Perſon au: Kor: sioman Aſtrée von dD’Urfe, einer Nachahmung 
‚ber „Diana“ des ſpaniſchen Dichter Montentayor, welche zu An⸗ 
fang des 17. Jahrh. in Frankreich fehr beliebt war; im weiteren 
Sinne (Ged. An einen Moraliften — R. IH, I) ein verliebter 
Schäfer, ſchmachtender Liebhaber. 


jelbander — Semele. 323 


felbander, eig. felbft der andere, zweite, od. (W. T. V, 1) 
mit noch einem, unfer zwei. 

felbfteigen (M. St. II, 4): „In meiner Königin felbfteigne 
Hand“ ſ. v. w. zu höchſt eigenen Händen. 

Selbſtherr (W. T. II, D, ſ. v. w. jelbftändiger Herricher. 


Selene (Myth.), bei den Römern Luna, war die Tochter 
ded Hyperion (f. d.), nach Anderen ded Helios (f. d.) und bie 
Führerin ded Mondes; daher (Ged. D. Götter Griechenlands): 

„Did Selene find’ ich dort nicht mehr.” 
und (Phön.): 
„D Lıma, Licht im goldnen Kreife! Tochter 
Der Sonne, die im Sternengürtel glängt!" 
Luna unterſchied fi) von der jungfräulichen Diana (vergl. Ar: 
temis) dadurch, daß fie der Liebe geneigt war; beſonders wird 
von ihrem Berhältnig zu Endymion erzählt, dem Jupiter auf 
ihre Bitten ewige Jugend und Unfterblichkeit verlieh, zugleich 
aber auch ewigen Schlaf. Sie entführte den Geliebten in eine, 
Höhle des Berges Latmus, bewunderte daſelbft feine Schönhelt 
und küßte ihn im Schlummer. Hierauf anfpielend jagt Fiesco 
(&. II, 15) von Lomellino ironiſch in Beziehung auf eine ge: 
wifle Diana Bononi: „Vielleicht tft er heute Nacht dieſer Teu: 
fhen Luna Endymion.“ — Endlich ift Luna der Mond ſelbſt, 
wie (Ged. D. Triumph d. Mebe): „Luna's Nebelſchein“ und 
(Ged. D. Ideal u. d. Leben): 
„Wenn fh Lunend Silberhörner füllen.” 


Selisberg (W. T. II, 2) od. Selisberger Kulm, ein 6000 
%. bober, oberhalb des Rütli gelegener Berg, der eine vorzäg- 
lie Ausficht über den ganzen Vierwaldftätterjee gewährt. 
Semele in zwei Scenen (Ged.), eine Zugendarbeit aus 
d. %. 1780, in welder Sch. fi zuerft in dem Versmaße ber 
Samben übte, die ihm aber neun Sabre ſpäter jo zuwider war, 
daß er an eine Freundin in Weimar fchrieb: „Daß Sie ber 
21* 


324 Senat. 


Semele erwähnen, hat mich ordentlich erfchredt. Möge ed mir 
Apoll und feine Mufen vergeben, daß ich mid fo gröblich an 
ihnen verfündigt habe.” Gleichwohl verfchmähte er es nicht, 
im Sahre 1802 noch einmal die umformende Hand an die Ar: 
beit zu legen. Der Mythud, welcher ihr zu Grunde liegt, ift 
folgender: Semele, die Mutter ded Bachus, Tochter des Kab- 
mu3 und der Sarmonia, war Jupiters Geliebte Suno hatte 
fie einft in Geſtalt einer alten Amme beredet, daß der Fremd⸗ 
ling, dem fie ihre Liebe gefchen?t, und der fich für Zupiter aus— 
gegeben, ein Betrüger jei. Um hierüber ind Klare zu fommen, 
möge fie ihn bitten, daß er ihr in feinem Götterglanz erfcheine, 
jo wie er Juno jelbjt umarme. Semele, welche nicht Arges 
dabei dachte, that die vorgefchriebene Bitte, die Zupiter ihr ge: 
währen mußte, da er beim Styr (j. d.) geichworen hatte, ihr 
den ausgeiprochenen Wunſch zu erfüllen. Die Yolge davon 
war, daß fie durch den Feuerglanz feiner göttlichen Erſcheinung 
vernichtet ward. Das Knäblein aber, welches fie in ihrem 
Schooße trug, verbarg Jupiter in feiner Hüfte, aus der ed drei 
Monate fpäter an das Licht trat. — (©. 54): „Deine Riejen- 
rüjtung mag dich erbrüden“, |. v. w. deine riefige Anftrengung, 
einen Gott in dein Neß zu ziehen. — (©. 56) „Den Sohn 
verbrennt die Mutter, feine Braut der Bräutigam“, weil bei 
ben Alten die Todten verbrannt wurden. — (©. 67) „meine 
Sinnen vom wilden Sturm -der Weltregierung eingelullt”, 
d.h. vor dem w. St. ıc. verhüllt, nichts davon wiſſend. — 
(S. 69) „Kein Sohn des Morgennimmerjeind”, d. b. der 
Ewigkeit. 

Senat, lat. senãtus, von senex, der Greis; eig. der Rath 
der Alten: 1) Die Räthe einer Stadt (NR. II, 3); 2) die einer 
Republik (5. IL, 8 — GEſtſ. 10, 131); 3) die Gejammtheit der 
Mitglieder des engliihen Parlaments (M. St. I, ). — Da 
von: Senatoren (F. I, 11), die Rathöherren, wie (Dem. D 
de Biſchöfe, Palatine und Caſtellane; ferner: Senatfaal 
(Dem. D u. Senatorenmüge (Gſtſ. 10, 244). 


— — — 


Sendomir — ſentimentaliſch. 325 


Sendomir, Fürſt von (Dem. I u. ID, ſ. Mniſcheck. Sen⸗ 
domir, richtiger San domir, iſt ein Städtchen an der Weichſel, 
der Mündung des San gegenüber; zugleich eine der acht Woiwod⸗ 
ſchaften, in welche Polen gegenwärtig getheilt iſt. 


Seneca (R. III, 2), ein römiſcher Philofoph, der Lehrer 
bed Kaiferd Nero (um 60 n. Chr.), der ſtoiſchen Secte ange: 
börig, welde die Verachtung des Schmerzed und bed Todes 
lehrte. Daraus erklärt ſich Moor's Antwort: „Du wirfft mit 
ftotfhen Redensarten um dich, als bätteft du den Seneca auß: . 
wendig gelernt.” 


Senefhall, altd. senescalk (von sin, Kraft, Dauer, und 
scalc, Schalt, Knecht), in England gew. Steward genannt (M. 
St. II, 1), einer der großen Hofbeamten, der das Innere des 
königlichen Hausweſens zu beforgen hatte. 


Senna (Dich. V, 5), die ald Abführungsmittel dienenden 
Blätter verfchiedener Caffla: Arten, ——— die in Arabien 
und Aegypten zu Hauſe ſind. 

Senne (W. T. I, 1), ein Hirt, —— das Vieh den Sommer 
über auf den Alpen weidet. Davon: Senten (W. T. IV, 3), 
Rindviehheerden, und Sennhütten (W. T. II, 2), die tbeild 
zur Aufbewahrung des Heues, theild zum Aufenthalt der Knechte 
und Mägde dienen, jo wie audy zur Käfebereitung benutzt werden. 
Der dent Sennen zur Hand gehende Knecht wird Zufenn oder 
Handbub (W. T. I, 1) genannt. 


Senſe (Geb. Gruppe a. d. Tartarıd), |. Kronos. 
Senten, |. Senne. 


Sentenz, lat. sententia, überh. Meinung, Geſinnung, Ur: 
theil; dann 1) ein Sinn- od. Denkſpruch (R.III, 2); 2) ein 
richterlicher Ausſpruch (M. St. II, 3 — Meb. I, 7). 


fenttmentalifch, von sentir, empfinden; empfindfam oder 
(Wrb. 11), aud der Empfindung bervorgehend. 


826 Seppi — Shafeipeare. 


Seppi (W. T. Perj.:Verz.) ſchw. Abk. für Joſeph. 

Serail, perj. seräi; überh. ein großes Gebäude; bei. (M. 
&t. 1, 7 — Zur. Perſ.-Verz. u. III, 7 und vergleichungsweije 
K. u. L. 1, 3) die Wohnung der morgenländifchen Fürften, von 
welcher dad Harem (f.d.) ein abgefonderter Theil ift. 


Seraph (Geb. D. Freundſchaft — Geb. An d. Freude — 
F. II,2 — K. u. 8 IV,7), pl. Seraphim (Geb. Laura am 
Glavier), von dem hebr. saraph, verbrennen; Feuer: od. Licht: 
engel, Engel mit ſechs Ylügeln; überh. Beifter höherer Ordnung; 
daher bildl. „auf der ſeraphiſchen Harfe” (R. IL, 2), ſ. v. w. 
mit einer Engelftimme u. (Br. v. M. 5, 443): 

„Doch auf ben Seraphäflügeln bed Geſanges 
Schwang die befreite Seele fi nach oben.” 

Sereniffimus, Superlativ von dem lat. serenus, heiter, 
klar; als Zitelwort für Fürften (K. u. L. IV, 9), ſ. v. w. Seine 
Durchlaucht; vergl. (Wit. &. 11) „Eine Durchlauchtigkeit läßt 
er fich nennen.“ 

Seftiere von Eaftello (Gftf. 10, 213), ein Stadttheil 
Denedigd. Sestiere (urjprünglich wohl mit lat. sex, d. i. ſechs 
zufammenbängend) bezeichnet einen Stadttheil, Bezirk, ein Arron- 
diffement; bier alfo Schloßbezirk. 

Seſtos (Geb. Hero u. Leander), eine Stadt an der euro: _ 
pälfchen Küfte der Dardanellen, Abydos (f. d.) gegenüber. 

Severiſch Roͤvogrod, ſ. Dedna. 


Sewa (W. T. II, 2) od. Seewen, ein Ort am Lowerzer⸗ 
ſee, eine Stunde von Schwyz. 


Seym Walny (Dem. I), (sejm w. d. i. treffliche Verſamm⸗ 
fung) poln. Reichstag. 


Shakefpeare, William (R. Borr. — Br. v. M. Einl. 
5, 381), geb. 1564, + 1616, ber größte dramatiſche Dichter 
Englands und zugleich das gefeierte Vorbild aller neueren Dra: 














Shakeſpeare's Schatten. 327 


wmendichter. Bergl. Räuber über Yranz Moor und Richard III. 
Bd. Il, ©. 256. 

Shakeſpeare's Schatten (Ged.). Eine Reihe von Zeuien, 
Die jpäter unter diefem Titel vereinigt wurden. Der Zufah 
„Barodie” (f. d.) bezieht fich auf eine Stelle in Homer’3 Odyſſee 
XI, 601 zc., bie bier fcherzhaft nachgeahmt if. Der Dichter 
fteigt im Geiſte in den Tartarus binab, wo ihm „die hobe 
Kraft des Herafles”, d. 5. aber nur „fein Schatten” begegnet, 
mit dem Shakeſpeare's Meberfegung von Wieland und 
Cihenburg (Züri 1762 — 82) gemeint if. „Das Bögel: 
geichrei” und „das Hundegebell der Dramaturgen” zielt auf die 
dramaturgifch:Afthetifchen Kritiken, -die um jene Zeit von Eichen» 
burg, Schinf, Böttiger und Fr. Schlegel erjchienen waren. Wenn 
den genannten Männern auch manche Berdienfte um die poetifche 
und kritiſche Literatur nicht abzuſprechen find, jo erjcheint dem 
Dichter doch Shakeſpeares Schatten ſelbſt ald ein gigantifches 
Weſen, dem jene untergeordneten Geifter fi mit ihrem Urtheil 
nicht Hätten nahen follen. Mit dem vierten Xenion beginnt 
nun ein Gefpräch zwiichen Shakeſpeare's Schatten, defien Worte 
von Anführungszeichen eingeichloffen find, und dem Dichter, fo 
daß jedem ein Zenion zulommt. Nachdem Shakeſpeare's Geift 
fih über den Entjchluß des Dichterd gewundert, in der Unterwelt 
den erhabenen Schwung der tragifchen Poeſie aufzujuchen, weiſet 
er ihn auf die Natur und die alten Griehen hin. Dagegen 
theilt ihm der Dichter mit, wie die Poeten der Gegenwart, fern 
von allem idealen Streben, nicht3 Andered verjtehen, ald höch— 
ftend die reale Natur zu erreihen. Der Schatten jcheint ihn 
indeß nicht zu verjtehen und meint, man wage ed noch wie er, 
jelbft die Geifter der Verftorbenen (wie im Hamlet) über die 
Bühne gehen zu laflen. Aber der Dichter fagt ihm, daß der 
Stun für ſolche Darftellungen verfhwunden fet, daß höchſtens 
derbe Späße oder Häglihe NRühr- und Thränenfpiele den Zu: 
fchauern vorgeführt werden. Der Geift denkt wiederum an fein 
effectuolled Einflechten komiſcher Scenen in tragiiche Stüde, Doch 


328 Sherif — Sieben heilige Zahlen. 


der Dichter weiſt im Hinblid auf Schröber’3 und Kotzebue's 
dramatiihe Stüde (Iffland wollte er „nicht gern wehe thun“) 
auf die trivialen Stoffe hin, die nunmehr Gegenftand dramati- 
fcher Bearbeitung geworben find. Statt der Helden des Alter: 
thums werden ihm nun bie modernen Figuren genannt, weldhe 
die Schröder'ſchen und Kotzebue'ſchen Stüde dem Publicum vor 
führen, damit er einen Blick in die ganze Miſere der damaligen 
Bühnenwelt thun könne, wobei der Dichter in einem Hinweis 
auf „Kabale und Liebe” fi fogar felbft nicht fhont. In der 
nun folgenden Yrage bed Geifted: „Woher nehmt ihr denn aber 
das große gigantiihe Schickſal ac.?” erbliden wir den Yingerzeig 
auf die Bahn, weldye der Dichter fortan gefonnen ift, zu betreten; 
wir ſehen, es efelt ihm felber vor den Zerrbildern, welche jeine 
noch ungeläuterte Phantafie hervorgebracht, und er kann ed kaum 
begreifen, wie edle und fittlihe Naturen an ekelhaften Fragen 
Gefallen finden, „wie fi die Zugend zu Tiſche ſetzen kann, wo 
ih das Lafter erbricht.“ 

Sherif, von dem engl. shire, Graffchaft, u. reeve, Graf, 
d. i. Verwalter (M. St. I, 8), Oberbeamter einer Grafichaft, 
Landrichter. 

Shrewsbury, ſ. Talbot. 

Sichäus, ſ. Dido. 

Sieilien (Mlth.), Inſel ſüdweſtlich von Stalien, welche zur 
Zeit der Belagerung von Malta dem Könige Philipp II. von 
Spanten gebörte. 

Sicyon (Sph. I, Zw.⸗H.), eine uralte Stadt im Peloponnes, 
in der Nähe von Korinth. 

Sidon 


fidonifch 
Sieben heilige Zahlen (9. d. K.), eine Anfpielung der 
auftretenden Künfte auf die Zahl Sieben, die in ber Bibel 
häufig als eine heilige erfcheint. Man denke an die 7 Wochen: 
tage; den 7-armigen Leuchter im Tempel; an die 7 Tage, welche 


\ ſ. Tyrus. 


TI 


Siebenhägelftabt — Siegesfeſt. 329 


in Iſrael ſtets für die Feſt- und Trauerzeiten beſtimmt waren; 
an die 7 Bitten des Vaterunſers; die 7 Worte Chriſti am 
Kreuze; an das Buch mit 7 Siegeln (Offenb. Joh. 5, 1). 
Stebenhügelftadt, |. Rom. 
Siegel, eig. ein in eine weiche Maſſe gebrüdtes Zeichen, 
Berficherungszeihen; Siegelbewahrer (8. u. L. III, 1), der 
Staatsbeamte, welchem da3 Siegel ded Yürften anvertraut ift. 


Bildl. „Siegel ded Sacraments“ (O. C. 1,1), ſ. v. w. Verſchluß, 


Verwahrung; davon Siegelführer (ebendaſ.), der Bewahrer 
des Geheimniſſes. Vergl. Löſeſchlüſſel. 


Siegesbogen (M. St. I, 6) oder Triumphbogen, eine Er: 
findung der fpäteren Zeit der römifchen Kaijer, find in Rom 
noch mehrfach erhalten. 

Siegesfeſt, Das (Ged.) Das Gedicht wurde im Jahre 
1801 entworfen und 1803 vollendet. Sch. bezeichnet ed in fei- 
nem Briefwechjel mit Goethe, wie in dem mit Humboldt merk: 
würdiger Weile ald ein Geſellſchaftslied. Er wollte durch 
dafielbe dem gefelligen Gefange einen höheren Text unterlegen, 
um die Singenden aus dem platten profaiihen Tone, wie ihn 
die Lebendverhältniffe bedingen, und wie er fo häufig in ben 
Freimaurerliedern herrſcht, in eine beſſere Gejellichaft zu ver: 
ſetzen. Indeſſen fteht wohl feft, daß Sch. fich für dad Gefell- 
Ichaftslied wenig eignete, und Daß auch das vorliegende Gedicht 
dem Charakter eines ſolchen wenig entjpricht. 

Die Strophenform jtimmt mit feinem Liede „An die Freude” 
überein; die acht Hauptverfe jeder Strophe haben einen vorherr- 
chend epifchen Charakter, während die vier vom Chor ald Refrain 
zu fingenden Schlußverfe ein lyriſches Moment hinzufügen, gleich 
dem Chor der antiken Tragödie. — Die beiden erjten Strophen 
führen und bie Griechen in ihrer Siegeöfreude und die Troja- 
nerinnen in ihrem Schmerze vor. Hierauf werden bedeutungs⸗ 
volle Perſonen redend eingeführt. Kalchas, der Opferpriefter 
(3), eröffnet die Reihe, Agamemnon und Ulyfies (4 u. 5) find 


330 Stegedgott — Sigidmund. 


mit Gedanken an die Heimfehr beichäftigt; Menelaus und Yjar 
(6 u. 7) erinnern an dad Walten der Götter; Teukros und 
Neoptolemod (8 u. 9) gedenken der Abgejchiebenen; Diomedes 
und Neftor (10 u. 11—12) geben zu erfennen, daß man auch 
für den befiegten Yeind ein Herz haben müfle; fchließlich lenkt 
Kaflandra, die Seherin (13), den Blid auf die fich ewig gleich: 
bleibenden Götter im Gegenſatz zur Vergänglichkeit aller irdt: 
ſchen Größe zurüd. — Str.4. Atreus Sohn tft Agamemnon. — 
©tr. 5 deutet auf dad Schickſal Agamemnons bin, der bei feiner 
Rückkehr auf Anftiften feiner Gattin Kiytämneftra von Aegifthos 
erjhlagen wurde (vergl. die Prophezeihung der Kiytämneftra; 
Iph. V, 3); im Gegenſatz dazu erinnern V. 9 u. 10 an die rüh⸗ 
rende Treue der Penelope. — Str. 6. „Daß frifch erfämpfte Weib“ 
ift die fchöne Helena; „der Atride“ ift Menelaud, Agamemnons 
Bruder. „Das böfe Werk“ war die That des Paris, welcher das 
Saftreht mißbraucht und die Helena entführt Hatte; an dem 
Geſchlechte des Priamud ward von Zeus die Rache vollzogen. — 
Str. 7. Mit der Tonne ift ein Attribut ber Fortuna (f. d.), 
eine Kugel oder ein Rab gemeint, aud welchem fie die Schid- 
ſalslooſe verftreute (nicht „zerftreut“, wie in einigen Audgaben 
fteht). — Str. 8 find Worte des Teukros, des Bruders ded berühm- 
ten Ajar (Telamon’d Sohn). — Str. 10. „Des Leidens Stimmen 
ſchweigen“, d. b. den befiegten Trojanern war die Luft vergangen, 
ihre Helden, befonderd einen Heftor, in Preisgeſängen zu feiern. 
Siegesgott, f. Are. 
Sigäiſcher Sund, |. Tenedos. 


Sigismund (Dem. I) war als ſchwediſcher Prinz aus dem 
Haufe Wafa bereitd 1587 zum König von Polen erwählt wor: 
den, befien Thron er ald Sigismund II. beftieg. — Guftav 
Waſa, dem jein Vaterland die Befreiung vom däniſchen Joche 
und die Einführung der Reformation verdankt, binterließ nach 
feinem Tode (1560) den ſchwediſchen Thron feinem ältejten Sohn 
(erfter Ehe) Erich XIV., der jedoch eine finftere Natur war und 


Signal. 331 


Spuren von Wahnfinn verrieth, indem er oft die willfürlichiten 
Handlungen beging. So hatte er auch feinen Stiefbruber Jo⸗ 
Hann, Sigismunds Bater, gefangen nehmen lafjen, weil der: 
jelbe dem Könige von Polen Hülfsgelber gefandt; daher (Dem. 
&.250) „tn einem Kerfer fameft du zur Welt.” Als das ſchwe—⸗ 
diſche Volk hierüber unzufrieden war, ließ er ihn wieber frei, 
worauf Johann feinen Bruder Erich abjegte, ihn in Tebensläng- 
liche Gefangenschaft ſchickte und 1568 felbft den Thron beftieg. 
Dur jeine polnifhe Gemahlin verleitet, begünftigte er den 
Katholicismus, und eben jo war auch fein Sohn Sigismund, 
der nach feinem Tode (1592) den ſchwediſchen Thron beftieg, 
zum eifrigen Katholiken erzogen worden. So hatte Sigismund 
zwei‘ Kronen, die eines ftreng katholiſchen und bie eined ftreng 
Iutherijchen Landes zu tragen, während er ſelbſt zwifchen biejen 
beiden Richtungen in ftetem Schwanfen begriffen war, weshalb 
ihm bejonderd in Schweden „die Volksgeſinnung (S. 258) wider: 
ftrebte.” Zwar hatte er den Beichluß der ſchwediſchen Stände, 
dag in ihrem Lande keine andere ald die evangelifche Lehre vor- 
getragen werden folle, bejtätigt; als er aber nach erfolgter 
Krönung ſogleich nach Polen zurüdfehrte, wurden die Stände 
erbittert und ernannten feinen Oheim, den Herzog Karl v. 
Südermanland, Johann's III. Bruder, zum Reichövorfteher. In 
Folge deſſen kam Sigismund mit einem polniſchen Heer in's 
Land, wurde jedoch geſchlagen und mußte, da er ſich weigerte, 
ſeinen elfjährigen Sohn nach Schweden zu ſchicken, um denſelben 
in der evangeliſchen Lehre erziehen zu laſſen, 1604 dem Throne 
entſagen, welchen nunmehr fein Oheim als Karl IX. beſtieg. 
Daher die Lehren, welche Sigismund (S. 261) dem Demetrius 
ertheilt. Nach Adjähriger Regierung in Polen ſtarb Sigismund 
1632, in demſelben Jahre, wo ſeines Oheims, Karl's IX. Sohn, 
Guſtav Adolph bei Lügen fiel. 

Signal (Picc. I, 2 — Sp. d. Sch.), von dem lat. signum, 
das Zeichen; bei. ein Zeichen, das von gewiffen Perfonen er: 
wartet wird, um fih in Betreff ihres Handelnd danach zu 


332 figniren — Sinn. 


richten; daher (%. III, 5): „Signal des Aufruhrs“, (Ph. IL, 4): 
„Signale“ zur Abfahrt, (W. T. V, 1): „Signalfeuer”, als Zeichen 
der errungenen Freiheit. 

figniren, von dem lat. signäre, bezeichnen; bei. (ed. An 
die berühmte Yrau) mit einer Auffchrift verjehen. 

Signor (Gftf. 10, 259), ital. signore, Herr, Gebieter; 
Signora (%. 11,2 — Gſtſ. 10, 237), Frau, Gebieterin, bei. 
ald Anrede für Frauen. 

Signoria, ital. Herrlichkeit, Herrfchaft; beſ. als Anredewort 
für VBornehme; dann auch (%. I, 5) der gefammte Adel. 

Sigriſt, |. Sacriſtan. 

Silhouette (%.1,4), ein Schattenriß, Schattenbild, nach 
dem franzöſiſchen Erfinder Etienne de Silhouette (im 18. Jahrh.) 
jo genannt. 

Sillinen (W. T. 1,4) ein früherer, einige Stunden ober: 
halb Altorf gelegener Edelfig, von dem noch Ruinen übrig find; 
gegenüber ſteht ein Thurm der Befte Zwing Uri. 

Simois (Iph. III, Zw.:9.), ein dad Gebiet von Troas 
durchfließender Nebenfluß des Skamander. 


Simons und Judas (W. T. I, 1), ein nad Heiligen be 
nannter Kalendertag (28. Detober), an dem die Wafjergeifter 
ihre jährlidhen Opfer fordern, ein Aberglaube, der ſich an die 
uralten heidnifchen Zeiten anknüpfte, wo den Göttern auch wohl 
Menichenopfer gebracht wurden. 

Sinai (R. V, 1), ein 7400 F. hoher Berg auf der zu Ara- 
bien gehörenden peträtfchen Halbinfel, wo dem jüdiſchen Volle 
nad II. Moje 19, 16 bis 20, 17 unter Donner und Blig die 
Geſetze gegeben wurden. 

Sinn 1) ein Werkzeug zum Wahrnehmen der Außenwelt, 
wie (M. St. 1, 6): 


Es haßt die Kirche, die mich auferzog, 
Der Sinne Weiz.“ 





Sinnis — Sirius. 833 


Davon: Sinnenpfad (Geb. D. Künftler), der Weg durch die 
äußere Welt, und Sinnenland (ebendaf.) |. v. w. Wirflichkeit 
im Gegenfap zu dem Spealen. 2) Gemüth, innere Sinnen 
und Trachten, wie (W. X. III, 3): 

„Rein, nein doch, lieber Herr, bad kommt euch nicht 

Zu Sinn.” 
Davon: Sinnentumult (Gſtſ. 10, 223), ſ. v. w. finnliche Auf: 
regung. 

Sinnis (Ph. 1, 1), richtiger Sinis, in der Sagengejchichte 
der Griechen ein berühmter .Straßenräuber auf dem Iſthmus. 
Man nannte ihn auch den FYichtenbeuger, weil er die von ihm 
beraubten Wanderer an zwei zufammengebogene Yichten zu 
binden pflegte, die er dann ausdeinanderfchnellen ließ, jo daß die 
Unglüdlichen zerrifjen wurden. 


Sinon (Geb. 2. B. d. Yen. 13), ein Grieche, der die Tro- 
janer bewog, das hölzerne Roß in ihre Stadt aufzunehmen. 


Sipylus (Sph. IV, 8), ein Berg in Lydien. 


Sir (M.St.L,1 — Meb. I, 11), engl. Herr! gnähiger 
Herr! ald Anrebewort, 


Sire (D. C. II, 3 — %.vD1L2— Meb. J, 8 u. 13), 
frzſ. Allergnaͤdigſter Herr! als Anrede an einen König. 


Sirene (Myth.), Benennung für Meernymphen, die durch 
ihren zauberiſchen Geſang die Seefahrer anlodten, um ihnen den 
Untergang zu bereiten, daber bil dl. (3.0. ©. II, 10): 

„Mit füßer Rede ſchmeichleriſchem Zon 

Willſt du, Strene! beine Opfer Ioden.* 
Ferner eine reizende Verführerin, wie (Oſtſ. 10, 217): 
„eine Sirene, der fein Menſch widerftehen Tann“. Davon: 
Sirenenlied (R. IV, 5) und Sirenentriller (%. II, 19), 
j. Triller. 


Sirius, f. Plejaben. 


384 Siſyphus — jfeletifiren. 


Siſyphus (Sph. IT, 4 u. V, 5), Sohn des Aeolus, König 
von Korinth, wurde einer Sage zufolge (Ovid Metam. XIII, 32) 
als der eigentliche Vater des Ulyſſes angefehen. 


&ituation, von dem lat. situs, die Lage; 1) Stellung im 
Reben, wie (Wrb. IV): „Die Gefahr feiner Situation”; 2) von 
dem Dichter für feine handelnden Perſonen gefhaffene Schie: 
falöverhältnifie, wie (F. Borr.): „von der Sntrigue Situationen 
für die Menfchheit entlehnen” u. (8. d. H.): „Reihthum von 
Sttuationen“. 


@irtus V. (1585 —1590), ein Mann von entjchiedenem 
Herrichergeift, der die päpftliche Würde zu neuem Anfehen brachte, 
Zucht und Ordnung in Rom wiederherftellte, vorzüglich aber 
auch die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten ſcharf ins 
Auge faßte. Den Kaiſer Rudolf II. fuchte er zu nachdrücklichen 
Berfolgungen der Keper zu bewegen; und außer Heinrich von 
Navarra und Heinrich III. that er auch Eltfabeth von England 
in den Bann; daher (M. St. II, 4): 

„Auch eine Bulle, die Papft Sirtus jüngit 
Vom Baticane gegen dich gefchleudert” 
nicht mich, wie in der Ausgabe von 1847 fälfchlich fteht. 


Staertbor (Ged. 2.8. d. Aen. 105) od. ſtäiſches Thor 
(Ged. Nenie), das nad dem Skamander hinführende Thor 
von Troja. 


Skamandros od. Stamandber (Ger. Semele 2 — 2.8. 
d. Aen. 47 — D. vier Weltalter), in der Götterſprache Xan⸗ 
thu8 (Bed. 4. DB. ded Yen. 27 — R. UI, 2 u.IV,4) genannt, 
ein von dem Berge Ida in Kleinaften herabkommendes Flüß— 
hen, das fich in dad Aegäiſche Meer ergießt und Myfien durch⸗ 
ftrömt; zwifchen ihm und dem Simois (f. d.) lag Troja. 

ffeletifiren, gew. ffeletiren, eig. das Gerippe eines tbieri- 
ſchen Körperd von den umgebenden weichen Theilen befreien und 
trodnen; bildl. (K. Borr.): „die Empfindungen ffeletiftren“, 





— 


ſkeptiſch — Skrizler. 335 


ſie unter das Secirmeſſer des kalten Verſtandes nehmen und 
in ihre Elemente zerſetzen. 


ſkeptiſch, von Skeptiker (d. i. Zweifelfüchtiger), einer Phi- 
loſophenſchule des Alterthums; daher (R. V, 1): „ſteptiſche Grü⸗ 
beleien“, Verſtandesbetrachtungen, die dem Autoritätsglauben 
widerſtreben. 


Sklave, von den Slaven, bie, von den alten Deutſchen 
zu Öefangenen gemacht, ald Knechte verkauft wurden. 1) (ph. 
I, 1) die Unfreien, zu denen nur Nichtgriechen genommen werben 
durften, weshalb fich auch Hippolyt als Scythe (Ph. IL, 2) der 
freien Griechin Aricia gegenüber einen „rohen Sklaven” nennt. 
Da die Herren unbedingte Gewalt über ihre Sklaven hatten, 
jo war ihnen jede Züchtigung derjelben geftattet; daher (D. C. 
I, 2) vergleichungsweiſe: 

— — — „Die Rode ward 
Auf Sflavenart an deinem Karl vollzogen.” 
2) bild! für Leute des niedrigsten Standes (Ged. Eine Leichen- 
yhantafie — Ph. I, 5); daher auch „Sklavenkleider“ (D. ©. I, 9: 
3) bildl. für dienſtbar ergebene Naturen, wie (F. 1, 9): „ein 
Sklave der Republik“; (Wft. T.1, N: „feile Sklavenjeelen“; (Zur. 
IV, 10): „feile Seelen, die für dad Sklavenjoch geboren find“ 
und (W. T. I, 2), wo Bertha den Rudenz „den Sklaven Oeſtreichs“ 
nennt; desgl. (R. IV, 5 — %.1L4 — M. St. IV, 4). 


Skorpion, ein in Süb: Europa und Afrika lebendes, zwi- 
ſchen Spinnen und Krebfen ftehendes, gepanzerted Inſect, deflen 
gegliederter Schwanz mit einem giftgefüllten Stachel verjeben 
ift, durch welchen es gefährliche Wunden verurjachen kann; Daher 
vielfah bildl. (K. 1,1 — F. 11,15 — 8. u.% 1,7; IV, T, V,3 
— Meb. II, 5) für Alles, was tiefe und bef. nagende Ber: 
legungen zufügt. 


Skrizler (R. II, 3), ſcherzh. aus dem lat. scribere und dem 
deutſchen Krigler gebildet; ein Wicht von Schreiber. 


336 Styrod — Sofrates. 


Skyros (Geb. 2. B. d. Yen. 84), eine Inſel des Aegätichen 
Meered, nordweitlich von Chios. 


Slawata und Martinig (Picc. I,2 u. IV, 1), zwei kaiſer⸗ 
lihe Räthe der Stutthalteri zu Prag, welche ſich der Außferti- 
gung des Majeſtätsbriefes beſonders widerjept und ſpäter ein 
der proteftantifchen Bevölkerung Böhmend höchſt ungünftiged 
faiferlihe8 Schreiben gefchmiedet hatten, in Folge deſſen fie am 
23. Mai 1816 von den utraquiftiihen Ständen zum Yenfter 
binausgeftürzt wurden, inte mit dem Leben davon famen. Bergl. 
Dr. Kr. 76. 


Slevoigt, An Demoifelle (Ged.), ein Gelegenheitägedicht 
aus d. 3. 1797. Es beweift, daß der Dichter ungeachtet des 
beiten Willens, fich auf ben Standpunkt der Auftraggeberin zu 
verjegen, dennoch feine Natur nicht zu verleugnen vermochte. 


Smaragd (Br. v. M. 5, 418 — Dem. IL), ein koſtbarer 
grüner Edeljtein, der bejonderd in Aegypten am rothen Meere 
gefunden wird. 


Smolenstow (Dem. II), gew. Sinolenst, am oberen Dnfepr, 
weitlich von Moskau, die Hauptitabt eines jelbjtändigen Yürften- 
thums, das frühzeitig unter die Herrichaft Polend kam, aber 
1.3. 1514 von den Ruſſen wieder erobert wurde. 


Societät (Wit. 8. 11), von dem lat. societas, bie Ge— 
ſellſchaft. 
Sodom, ſ. Loth. 


Soffiten (F. V, 8), von dem ital. soffitta; eig. dad Darunter: 
befeftigte; die beweglichen Dedftüde der Schaubühne. 


Soͤkrates (Geb. Rouſſeau), ein griechiſcher Philofoph, deffen 
Lehrweiſe darin beftand, daß er durch gefchidte Fragen Ideen 
aus dem Geifte des Schülerd zu entwideln ſuchte. Bon feinen 
©egnern, den Sophijten (f. d.), wurde er in feinem flebzigften 
Sabre angellagt, dab er die Götter leugne und die Jugend 





Sold — fondiren. 837 


verberbe, weshalb er verurtheilt ward den Giftbecher zu trinfen; 
+ 399 v. Chr. 


Sold, von dem deutfchen follen, tm Sinne von ſchuldig 
fein, od. von dem Tat. solidus, Münze; 1) (Picc. II, ) Löh⸗ 
Son wie (J. v. O. 1,2): 

„Den Truppen iſt der Sold noch nicht bezahlt“ 
2) (Sftf. 10, 184) Dienft, wie (D. C. II, 4): 
„Die tauben Wände ftehn in feinen Solde.“ 
8) Lohn, Belohnung, wie (Geb. D. Graf v. Habsburg): 
„Der Sänger fingt von der Minne Sold.“ 
Davon: Soldat (Sp.d. Sch.), ein in einem ftehenden Heere 
um Gold dienender Krieger; und Söldner (W. X. Per]. 
Berz.), in mehr geringichäßigem Sinne, |. v. w. Kriegsknecht, 
Landsknecht. 


ſolenn, von dem lat. solemnis, alljährlich, regelmäßig wieder: 
kehrend, wie (Dem. I): „ein folenner Reichſtag“; zugleich aber 
auch feierlich, wie (Verbr. a. v. E.): „jolenne Genugthuung.“ 

Soliman (D. C. III, 7 u. V,8 — Nith.), vergl. Maltefer. 


Soͤller (Eed. Hero u. Leander), verwandt mit dem lat. 
solarium, Altan, ein flacher Boden auf dem Haufe, wo die 
Some (sol) frei hinfcheinen kann; aljo eig. ein fonniger Raum 
auf od. an einem Gebäude. 


follicifiren, Iat. sollieitäre, eig. in Bewegung feßen, erre- 
gen; bei. (Par. I, 7) bei einer Behörde um etwas anhalten, bitten. 
Solon (Ged. D. Künftler), einer von den fogenannten fieben 
Weiſen Griechenlands; er lebte 600 v Chr. und tft durch die 
Geſetze, die er den Athenern gab, berühmt geworben. 
Sonanzboden (K. u. L. I, 1), verd. für Refonanzboden, d. i. 
Schallboden eines mufikalifchen Snftruments. 
fondiren, von Sonde (frif. eine Such-⸗ od. Senfnabel); unter: 
ſuchen; bildl. (R. II, 3 u. III, 2 — %.1,9) zu erforſchen fuchen. 
II. 22 


838 Sonett — Sorel. 


®onett, ital. sonetto, von dem lat. sonäre, tönen; wörtl. 
ein Kling: od. Reimgedicht; (Par. I, 2) eine den Stalienern ent: 
lehnte Gedichtform, welche aus 14 jambiſchen Verſen ober Reim- 
zeilen befteht, die in 2 vierzeilige und 2 dreizeilige Strophen ab: 
getbeilt find und eine eigenthümlich verjchräntte, jedoch nicht 
itreng feftitehende Reimftellung haben. 

Sonnengott (Sed. Punſchlied — Br. v. M.5, 418 — Ph. 
I, 3), |. Apollon u. Helioß. 

Sonnentofle (Ged. Hero u. Leander), |. Apollon u. Helios. 


Sonntagskinder, Die (Ged.), ein Epigramm, befien zweites 
Diſtichon früher den Titel „Geſchwindſchreiber“ führte. Es ift 
gegen bie Brüder Schlegel gerichtet, die in gewilfen Sinne auch 
von der Gräcomanie (vergl. Griechheit) befallen waren. 

Sophia (Ged. D. Glück u. d. Weisheit), gr. die Weis⸗ 
beit. Davon Sophisma, pl. Sophismen (Gftj. 10, 204), 
eig. etwas liſtig Erfonnened, dann bei. ein Trugſchluß, wie 


(D. ©. 1,2): 
„Dur labyrinthiſche Sophismen Eriecht 


Mein unglüdjelger Ccharffinn.“ 
oder Bernünfteler (D. C. II, 8); ferner: Sophiſt, urfpr. ein 
lebens: und weltkluger Philoſoph zur Zeit des Sokrates (f. d.); 
jetzt (Geb. Rouffeau) ein Bernünftler; Semand, der dur) Trug⸗ 
ſchlüſſe zu täufchen ſucht. 

Sophokles (Br.v. M. Einl. 382), geb. 495 v. Chr. zu Ko- 
loͤnos, + 407, Griechenlands größter Trauerfpieldichter. Bon 
mehr ald 100 Dramen, die er verfaßt, find 7, vollitändig er- 
halten, auf und gefommen, unter denen Antigone, Elektra und 
die beiden Dedipud die befannteften find. 


Sorel, Agnes, geb. 1409, aus einem abeligen Gejchlechte, 
zeichnete fich fowohl durch körperliche Schönheit ald durch Geis 
ftesbildbung aus. Als fie 1431 als Ehrendame an den franzöfl- 
ihen Hof fam, faßte der junge König Karl VII. eine heftige 
Neigung zu ihr, die fie nach längerem Widerjtreben erwiederte. 





Souvenir — Sparta. 839 


Als Geliebte ded Königs wirkte fie zugleich günftig auf ihn 
ein, indem fie ihn zu energifcher Thätigkeit anzufeuern fuchte, 
Sie jtarb 1450. 


Souvenir, frzſ. die Erinnerung, das Andenken, das Er: 
innerungsgeſchenk; auch (D. C. IV, 5) eine Schreibtafel. 


fouverän, fra. souverain, allerhöchſt, unumfchränft, wie 
(F. II, 4): „Jouveräner Herzog"; (O. C. II, 2): „jouveräne Boll; 
macht” — Souverain, ein unumfchräntter Landesherr, alfo 
(F. II, 5) Herrſcher oder (M. St. 1,7 — GEſtſ. 10, 207) Fürft; 
daher auch bildl. (F. III, 5) „der Souverain der Verſchwörung.“ 

Span, eig. das Abgefpaltene; daher (Wit. L. 11): 

„Sehen wir nicht aus, wie aud einem Spant” 
Dann auch fd. f. v. w. Trennung, Uneinigfeit, wie (Br. v. 
M. 5, 456): 

„Und in der heben Häupter Spahn und Streit 

Sich ımberufen, vielgefhäftig drangen.” 

Spanien (D. C. I, 1). Die einzelnen Tatholifchen Fürften 
fonnten in beftimmten Zwiſchenräumen Geiftliche zu Cardinälen 
vorfchlagen. Bergl. Cardinal u. Purpur. — Spanier (Picc, 
II, 5), die von dem Cardinalinfanten Ferdinand geführten Srup 
pen; vergl. den Artikel Wallenitein. 


&parren, von ſperren; ein Schließbalfen, (Geb. D. Glocke) 
ein fchrägftehender Dachbalken. 


Sparta (Ged. D. Spaztergang — R. I, 2 — Ph. V, 1) 
od. Lacedämon (Geb. 2.2. d. Aen. 100 — Iph. J, Iu. III. 
3w.:9.). Die füdöftlihe Halbinfel des Peloponned (Griechen 
land) führte den Namen Lakonien und hatte zur Hauptitad 
Sparta oder Lacedämon. Die Spartaner waren in der älterer 
Geſchichte Griechenlands bis zu dem Perjerfriege bad herrichend: 
Bolt unter den Hellenen, deren Yührerichaft (Hegemonie) fie 
beanjpruchten und ausübten. Sie waren bejonder8 berühmt 
durch die eiferne Zucht zur Abhärtung und zum Gehorjam, zur 

22” 


340 - Spaziergang. 


Aufopferung im Interefie des Staates, welche fie feit ber Geſetz⸗ 
gebung des Lykurgus (800 v. Chr.) audzeichnete. (ſ. d. folg. 
Artikel v. 94.) 

Spaziergang, Der (Ged.) Dieſes Gedicht aud dem Jahre 
1795 ift gleich dem „eleuſiſchen Zeit“ ein culturhiſtoriſches und 
unter den poetifchen Crzeugnifien unferer Literatur ein Wert 
erften Ranges, an bem Schiller ſelbſt große Freude hatte. Den 
in der Anmerkung angegebenen früheren Titel: „Elegte” batte 
der Dichter nermuthlich zunächft wegen bed Versmaßes gewählt, 
da da8 elegifche Metrum der Alten das Diftihon war, ein mit 
bem Herameter wechjelnder Pentameter. Schiller war damals 
mit feiner Abhandlung über naive und jentimentalifche Dichtung 
beichäftigt, wobei ihm der Gegenſatz zwiſchen Natur und Eultur 
mit großer Lebendigkeit vor die Seele treten mußte. Diefen 
Gegenſatz bringt er und in dem vorliegenden &edichte zur An- 
Ihauung, wobei ihm ein Spaztergang von Stuttgart nad) Ho- 
henheim vorjchwebte, der ihm ein Bild zurüdgelafien, das fich 
nach feinem eigenen Urtbeile feiner Seele tief eingeprägt batte. 
— Der Grundgedanke des Ganzen ftimmt mit dem in dem Eleu⸗ 
fiſchen Feſte im Weſentlichen überein; nur verfeßt und jenes 
Gedicht mehr in die antike Welt, während bei dem „Spaziergang“ 
die Einkleidung ungeachtet einiger mythologiſchen Anfpielungen 
ein mehr moderned Gepräge zeigt. Dort entwirft und ber 
Dichter ein Bild von der Art und Weiſe, wie der rohe Natur: 
menſch durch die Kunft auf den Weg der Givilifation geführt 
wird; bier zeigt er und dad ftet8 wechjelnde, aber innerlich fort 
ſchreitende Streben der Menjchen im Gegenfaß zu der fih m» 
veränderlich gleich bleibenden Natur. Der Gedankengang ift 
folgender: x 

In einem reizenden Naturgemälde (B. 1—18), das fi) 
durch jeine objectiv gehaltene Darftellung auszeichnet, wird und 
eine Reihe lebensvoller Bilder vorgeführt, die den Wanderer 
ergögen und erquidenden Frieden in feine Seele gießen. Hierauf 
(®. 19—36) erfteigt er den in V. 1. angedeuteten Berg, wo ihn 


Spaziergang. 341 


ein frifcherer Lufthauch empfängt. Die Waldesftille, welche ihn 
bier umgiebt, lädt ihn zu Reflerionen ein, bi8 ihm von einem 
an der Berglehne entlang führenden Steige eine neue Ausſicht 
fih eröffnet. Er erblidt (V. 37—58) den Anfang ber erften 
Cultur, eine Stufe, auf welcher der Menfch noch an dad „enge 
Geſetz“ der Natur gebunden erfcheint, worauf ihm plöglih (V. 
59— 68), vermuthlich bei einer Wendung der Berglehne, ein 
ganz neued Bild entgegentritt, ein Bild der fortgefchrittenen 
Eultur. Hier bat der Menſch der Natur dad Gepräge jeineß 
orbnenden Verſtandes aufgedrüdt, und die ftrenge Sonberung 
der Gewächſe fündigt ihn als ihren „Herrſcher“ an. Eine höher 
entwidelte Stufe dieſer Herrichaft zeigt ſich (V. 69 —100) in 
dem Leben der Stadt, deren Aufbau zu einem Vergleich mit 
- der Schilderung in dem „eleufijchen Feite” einlädt. Gerechtig- 
Teitöpflege und kriegeriſcher Muth bilden bier die feiten Stüten 
friedliher Thätigkeit, die es indeſſen nicht verſäumt, auch der 
im Kampfe Gefallenen zu gedenken. V. 97 u. 98 enthalten die 
Weberjegung ded Epigrammes, welche der Didyter Simönides 
für die bei Thermopyl&ä unter Leonidas gegen Xerred gefal- 
lenen 300 Spartaner gedichtet hatte. — Unter jo geficherten 
Berhältnifien (B. 101—128) nehmen Gewerbe und Handel einen 
erhöhten Aufihwung; gegen die Erzeugniffe bed heimiſchen 
Tleißed werden die Producte des Auslandes eingetaufcht, und 
wie Die legteren bad Leben bequemer geftalten, jo trägt die Ent- 
ftehung der Künfte dazu bei, dafjelbe zu verichönern. Aber der 
tiefer finnende Geift des Menſchen (V. 129— 140) arbeitet 
weiter; ed entwideln fi die Wiflenfchaften, zunächſt die Ma: 
thematik und die in naber Beziehung zu ihr ftehenden Natur: 
wifienichaften, unter denen auf Chemie und Phyſik, befonders 
auf Akuftik und Optik hingebeutet wird. Daß Heer der Er: 
Iheinungen wird einem bejtimmten Geſetz unterworfen, es bietet 
fh dem umherſchweifenden Blick ein „ruhender Pol” dar, fo: 
bald dem Menſchen in der Mannigfaltigfeit der Naturfräfte die 
Einheit derfelben zum Bemußtiein gefommen tft. Durd bie 





342 Spaziergang unter den Linden. 


gleichzeitig auftretende Grfindung ter Schriftzeihen fällt die 
unfichere Tradition in fich zuſammen; der Aberglaube ſchwindet 
und mit ihm die Furcht. Aber mit der Befreiung (B. 141 bis 
172) von unwürdigen Feſſeln überjpringt der menjchliche Geift 
nur allzuleicht die Schranken der Bernunft und der Sitte, und 
die mißverjtandene Freiheit wird zur Zügellofigfeit, die Wahr- 
heit zur Züge. So jchwindet der gefepliche Sinn mitten unter 
dem Scheine der Gejeglichkeit, bid das Staatögebäude unter- 
graben ift und der Mangel alles fittlichen Halts in offene Re- 
polution ausbricht. Der Abgrund, an welden die Berirrung 
ten Menſchen geführt, ftellt fich dem Dichter (B. 173—200) ſym⸗ 
bolifh in der jchaurigen Naturfcene dar, zu welcher er fich auf 
feinem Spaziergange verirrt bat. Seine Betrachtungen haben ihn 
den richtigen Weg verfehlen laffen und ihn in eine Gegend geführt, 
wo ihn allerdingd wieder die Natur empfängt, aber in ganz an 
derer Weile ald bei dem Beginn jeiner Wanderung. Die Scene, 
weiche ihn untgiebt, ftimmt unheimlich zufammen mit den grau- 
figen Bildern, die feine Seele erfüllten. Hier in der Einſam⸗ 
feit erwacht er aud feinen Träumen, die ihn aus früher Ber: 
gangenheit bis an die Grenze der damaligen Gegenwart geführt 
haben. Aber er ift in der Natur, die auch da, wo fie in den 
erften und rohen Anfängen ihrer Thätigkeit auftritt, doch imıner 
die nämliche ift. An ihrem Buſen erfrifcht er fi wieder; aus 
ihrer reinen Quelle allein kann ein neued Leben erwaden, die 
goltene Zeit einer fernen Vergangenheit dem Menfchengeichlechte 
zurüdfehren. 

Spaziergang, Der, unter den Linden (Bd. 10), ein phi- 
loſophiſches Geſpräch, welches 1782 in dem Würtembergifchen 
Kepertorium (ſ. Großmüthige Handlung) erihien und ein ſich 
ewig wiederholentes Thema in Schillerd damals noch wenig 
entwidelter Schreibweije behandelt. Edwin vertritt die heitere, 
lebenäfrohe Gemüthsſtimmung; in Wollmar, dem Repräjentanten 
der trüben und jentimentalen Lebendanichauung, erbliden wir 
den vom Weltſchmerz heimgefuchten Dichter ſelbſt, umſomehr 


Spertalel — Sphärenbarmontie. 343 


ald und der Schluß des Geſprächs an feine „Melancholie an 
Laura” (j. Lauralieder) erinnert. 


Spectatel, Iat. spectaculum, die Schau; bei. (R. II, 3 — 
Picc. IL.7) ein Aufſehen erregender Aufzug od. (F. II.3 — K. 
u. L. II, 7) ein zum Anſchauen einladendes Ereigniß. 


Speeulation, von dem lat. speculäri, ſich umſehen; eig. 
die Spähung, dad Ausſinnen, Nachfinnen (Berbr. a. v. E.); 
kann auch (F. I, 3) ſcherzhaft: berechnende Erwägung. 


Sphäre, von dem lat. sphaera, die Kugel; 1) ſ. v. w. 
Weltkörper (Ged. Phantafte an Laura — D. Freundichaft 
— An d. Freude — Menſchliches Willen); 2) eine künſtliche 
Himmelskugel (Wfl. T. I, 1); 3) die verfchiedenen Ge— 
biete des Weltalls; daber nah der Anfchauungsmeife des 
Alterthums (Ged. Klage d. Ceres): 

„Ihr Auge ıc. 
Sert nach entfernten Ephären.“ 
4) die Stellung, der Kreid, in dem fich Semand bewegt, wie 
(Berbr. a. v. E.): „bürgerlihe Sphäre”; 5) der Wirkungs— 
treid (©. C. III, 10 — Bar. I, 2). 


Spharenharmonie. Pothägoras, ein Weiler des griedhi- 
{hen Alterthums, lehrte, daB die Planeten wie jeder andere fich 
Tchnell bewegende Körper, Töne hervorbrädten, Die theild nad) 
der Geſchwindigkeit und Größe, theild nach den Zwilchenräumen 
der Planeten verjchieden wären. : Diefe Töne jollten in ihrer 
Bereinigung eine Harmonie hervorbringen, die jede irdiſche Muſik 
überträfe. Daher (Geb. D. Künftler): 

„In ſelbſtgefäll'ger jugendlicher Freude 

Leiht er den Sphären feine Harmonie” 
Desgl. (Ged. Semele 2): 

„Beltirne, meine tanzenden Syſteme, 

Mein ganzes großes Saitenipiel, wie ed 

Die Weijen nennen.” 


eben jo (Ged. D. Theilung d. Erde): 


344 Sphine — Spiel des Lebens. 


„Mein Auge Bing an deinem Uingefichte, 
An deines Himmeld Harmonie mein Ohr.“ 
und (Ged. D. Eleufifche Feſt): 
„Der Menic ıc. 
Ehre das Geſetz der Zeiten 
Und der Monde heilgen Bang, 
Welche ftill gemeflen ichreiten 
Sn melodifdem Geſang.“ 
In gleicher Weife beginnt Goethe den Prolog zu feinem Fauſt 
mit den Worten: 
„Die Sonne tönt nad alter Weiſe 
In Bruderſphären Wettgefang.“ 

Sphinx, ein räuberifches Ungeheuer, an Kopf und Bruft 
einem Weibe, fonft einem Löwen ähnlich, biöweilen auch mit 
Flügeln dargeftellt, welches auf einem Felſen bei Theben (vergl. 
Antigone) hauſete. Bildlih wird Turandot (Tur. I, 1) ihrer 
Raͤthſel wegen eine Sphiny genannt. Die bildende Kunft ftellte 
Öfter jolde Wejen dar; daher (Ged. Pompeji u. Herculanım): 

„Steht nit ter Dreifuß hier auf fchön geflügelten Sphinren. 
bejonder8 wurde fie in früherer Zeit ald Symbol geheimer Wil: 
fenihaft gebraucht, daher (Oſtſ. 10, 253): „der Brief war mit 
einer Sphing geflegelt.“ 


Spiel, Das, des Lebens (Ged.), ein Gedicht aus d. S. 
1796, da8 vermuthlich zum Bottrage in einem gejellichaftlichen 
Kränzchen beftimmt war. Der Dichter entwirft ein Bild bed 
Lebend, das er aber wie ein Gudkaftenbild betrachtet wien 
will. Der Zufchauer fol nicht zu nahe treten, damit ihm das 
Bild noch anmutbig erfcheine; er foll es nicht mit prüfender 
Ueberlegung, fondern nur mit bingebender Theilnahme betrachten. 
Damit died möglich jei, wird das Ringen und Kämpfen, welches 
das Leben unnachfichtlich fordert, nur dann als ein Befriedigung 
gewährende8 bezeichnet, wenn dem Manne dad Dafein durch bie 
Gunſt der Frauen verjchönert wird, denen der Dichter durch biefe 
legte Wendung zugleich eine Huldigung darbringen wollte. 


Spiel des Schichkſals. 315 


Spiel des Schickſals (Bd. 10). Mit diefer Erzählung, 
welche zuerft 1.3. 1789 in Wielands Deutihem Mercur erjchien, 
beginnt Sch.'s Thätigfeit auf dem Gebiete erzählender Daritel: 
Yung. Der Berlauf derfelben tft Eurz folgender: Ein begabter 
junger Mann von raftlofem Fleiß und außerordentlidher Ge⸗ 
wandtheit wird durch die Gunft feined Fürſten von Stufe zu 
Stufe emporgehoben, um bald die rechte Hand feined Herrn zu 
werden. Died Glück macht ihn hochmüthig und hart gegen 
feine Feinde, während er die wichtigften Beamtenftellen mehr 
nach Laune ald nach Gerechtigkeit vertheilt. Vol ſtolzen Selbft- 
vertrauend ahnt er nicht, daß unter feinen Neidern gerade ber, 
welcher fih ihm am unterwürfigften zeigt, fein gefäbrlichiter 
Feind tft. Indem diefer den Leidenfchaften feined Yürjten un: 
würdige Dienfte leiftet, gelingt es ihm zugleich, feinen hochge: 
ftellten Gönner zu verleumden und deſſen mit der brutaliten 
Behandlung verbundenen Sturz herbeizuführen. Sn der grau» 
famen Einkerkerung, welche diejem entjeglichen Acte folgt, er» 
tennt der ehemalige Günftling des Glücks, daß er jelbit das 
Dpfer eined Racheplans ift, den er für einen Andern ausgedacht, 
welcher kurz darauf jein Kerfermeifter wird. Durch die Tiefe 
feined Elends wird das Herz eined ihm völlig Unbelannten, bes 
Sarnifonprediger8 der Feltung, ergriffen, der ihm zunädft Er: 
leihterung ſeines Schickſals und bald darauf Begnadigung er: 
wirkt, mit welcher aber zugleich Die Strafe der Verbannung ver: 
bunden ift. Erſt nad) einer langen Reihe von Jahren darf er 
zu feinem Fürſten zurückkehren, der ihn endlich in feine früheren 
Aemter und Würden wieder einfegt. Sn feinem hohen Alter 
wird er Befehlshaber der Zeitung, in welcher die Staatdge- 
fangenen eingefchloffen find, die er, durch die Gewalt des Schick⸗ 
ſals innerlich erhärtet, ungerecht und launifch behandelt, was 
ihm fchlieplich einen unerwarteten Tod bereitet. — Nachmalige 
Unterfuhungen haben in dieſem „Bruchſtück aus einer wahren 
Geſchichte“ die Lebensſchickſale ded würtembergiihen Oberften 
Rieger erfannt, dem Sch. 1783 eine Todtenklage widmete. Nach 


346 Spielceompagnie — Sprache. 


Biehoffd Angabe tft dad Ausführlichere über Niegerd Schickſal 
in Spittlerd Geſchichte des würtembergiichen Geheimratbh3:&olle- 
giumd (Th. 3. ©. 434) zu finden. Hermann Kurk (vergl. 2. 
Eckardt, Erläuterung der Räuber) berichtet, daß zur Zeit bed 
Herzogd Karl von Würtemberg eigentlih drei Männer ftatt 
feiner berrichten, zunähft Witleder, ein Emporkömmling, der 
früher Handwerksburſche geweien und zulegt als Kirchenraths⸗ 
director alle Aemter verhandelte, ferner Montmartin, ein 
feiner Schleicher, der fi der niedrigiten Mittel bediente, um 
fi in der Gunſt des Herzogd zu befeitigen, endlih Rieger, 
ein energiicher Charakter, der eine unumfchräntte Herrichaft über 
dad Heer übte und Montmartind volföfeindliche Plane mit Ge- 
walt durchzuſetzen bemüht war, bis diefer felbit anfing ihn zu 
fürdten und feinen Sturz berbeiführte. — Hiernah bat Sch.'s 
Erzählung den Charakter einer Novelle, in welcher er die Mo: 
mente zur Zeichnung des Günftlingd den beiden erjten Perjonen, 
Witleder und Montmartin, die zur Zeichnung des Geftürzten 
Montmartin und Rieger entlehnt hat. Der Zufag „Ein Bruch⸗ 
. jtüd aus einer wahren Geſchichte“ kann fi aljo nur auf das 
Ereigniß im Großen und Ganzen beziehen, während mehrere 
Einzelheiten als dichterifche Zuthat zu betrachten find. 

Spielcompagnie, Spielgefellfchaft; beſ. (R. II, 3) eine Ver⸗ 
bindung zum betrüglichen Spiel. 

fpirifuell, frzſ. spirituel, geiftreich; „in der fpirituellen Welt“ 
(Gſtſ. 10, 218) ſ. v. w. unter den denfenden Köpfen. 

fplendid, von dem lat. splendidus, glänzend, prächtig, auch 
(Bit. T. V, 2) zu reichlichem Geben geneigt. 

Sporen (D. C. II, 8) wurden Demjenigen, ber zum Ritter 
geichlagen wurde, von einer Edelfrau überreicht. 

Sprache (Geb.), ein Epigramm aus d. 3. 1796. Mit dem 
lebendigen Geift ift bier die Seele in der Gejammtheit ihrer 
Kräfte gemeint. Sobald diefelbe jich der Sprache bedient, kommt 
aber nur eine Richtung ihre Weſens, der Berftand, zum Aus: 


Sprade. 347 


druck, jo daß wir in dem geiprocdhenen Worte nicht mehr die 
ganze Seele haben. Bergl. dad Epigramm: Tonkunft. 
Sprache. Die folgenden Seiten follen in der Kürze, wie 
fie der beengte Raum noch gejtattet, den Laien mit den Haupt: 
gefichtöpuntten bekannt machen, unter welchen die Sprache eine 
Dichter? zu betrachten ift, wenn man fich von derjelben, von 
ihrem Bau, von ihrer Art, von ihrem Werthe eine Boritel- 
lung maden will. Dem einfachen Lefer, der an den Werfen 
des Dichterd ſich zu erholen, zu erfreuen und auch zu erheben 
wünſcht, ſcheint zuerft nichts natürlicher, als daß die Sprache 
dein Dichter eben nur fo vom Deunde fließt, nach dem Worte, 
daß diefer übergeht von dem, wovon dad Herz voll iſt. Gern 
giebt er zu, daß Stoff und Plan zu erfinden und zu entwideln 
Arbeit des Geiftes koſten könne, aber die Sprache? und nun 
gar die der Proja? In der Poefie thue ja auch die Begei— 
fterung das Beſte, und find die Verfe gar reimlos, wo fei da 
die Schwierigkeit? Solche Borftellungen wird aber vielleicht 
die Mittheilung erjchüttern, daß Bürger feiner Leonore, von der 
man meinen jollte, ſie babe fi etwa in den Schauern einer 
ſchlaflos quäleriihen Nacht and Licht gerungen, monatlange 
Sorgfalt im Audarbeiten der Cinzelnheiten gewidmet hat, wie 
die Berliner Sage Aehnliches auch von Heine und dem fchein- 
bar in einem fchönen Augenblide hingehauchten: „Du biſt wie 
eine Blume” erzählt. Dabei nährt ferner der Laie, und hier und 
da auch ein Lehrer, eine audgefprochene Abneigung, welche auch 
ihre äfthetiiche Berechtigung bat gegen dad „Zerpflüden” der 
Schönheit eines dichterifichen Ganzen. Doch wird nun einmal auf 
Erden nichts ohne Mühe und Schmerz geboren, und die Kımft 
ift weit entfernt, davon frei zu fein, wenn ed auch eine orbe- 
rung des Kritiferd wie des einfachen Betrachter tft, daß man 
dem Werke diefe Spuren der Sterblichkeit nicht anjehen dürfe, 
Die Sprache eines Dichters ift die Sprache einer beftimmten 
Nation zu einer beftimmten Zeit. Wird der Ausdrud des Did: 
terd als muftergültig angejehen, bezeichnet er einen Yortjchritt 


348 Sprache. 


in der Entwidlung durch Reichthum, Glanz, Kraft, aber aud) 
durdy Genauigkeit und Gebrumgenheit in ter Wiedergabe einer 
reihen Gedankenwelt, jo wird es anziehend fein, zu unterfuchen, 
wie tie Sprache diejed Dichterd fi) zu der feiner Borgänger 
verhält; den Yortfchritt zu meflen und zu beobachten, wie fie 
vom Alten fi Iodringt um ihren Höhepunft zu ſuchen; andrer: 
feitö werden wir und nad) den Nadfolgern und Nahahmern 
bed Genius umjehen und werden aus dem großen Ganzen die be- 
fondere Strömung ded legteren berauszuerfennen ftreben. So tft 
alſo die Sprache des Einzelnen ein Glied der allgemeinen Ent: 
widlung und bat auch felbjt wieder eine foldye, die an einem 
bedeutenden Sndividuum in hohem Grade intereifiren Tann. 

Snnerhalb feines Volkes gehört der Dichter aber auch einem 
befonderen Stamme an, der, ganz abgefehen von eigentlichen 
Dialekten, doch auch eine Menge Eigenthümlichkeiten in ein: 
zelnen Wörtern oder in Wendungen befigt, welche aud ber ge- 
Iprochenen Sprache leicht auch in die des Buches übergehen, 
bejonderd im Drama, zumal wenn baflelbe in Profa ein Bild 
des wirflichen Lebens der Menjchen verfchiedener Clafſen bieten 
fol. Eine volllommen in ſich abgejchlofiene Bücherſprache giebt 
ed nicht oder nur bei Behandlung technifcher Gegenftände. Jeder 
befigt nur einen Theil feiner Sprache, viele nur einen jehr ge- 
ringen. Man würde anziebende Refultate finden, könnte man 
3. B. mit Zahlen angeben, wie groß die Anzahl der Wörter ift, 
bie ein Mann aud dem Volke mit vollem Bewußtjein zu hand—⸗ 
haben weiß. Died wird dem Laien Mar machen, daß ed von 
Snterefje fein kann, eine Weberfiht über den Wortfchag 
eines Dichterd zu haben, und er braucht dad vorliegende Bud) 
nur zu durchblättern, um zu ſehen, wie viele provinziale und 
ſonſt eigenthümliche Ausbrüde fich beſonders in den dichteriſchen 
Erftlingsarbeiten Schillerd finden. Dan hat beobachtet, daß 
Sch. in der Fülle der Wörter hinter Goethe zurüditeht, dem ein 
reicheres und vieljeitigered Leben auch in diejer Beziehung ge: 
nüßt hat. 





Sprache. 349 


Keine Sprache hat ferner fo abjolut feftftehende Formen 
der Declination und Confugation, oder Geſetze für den Ge⸗ 
brauch der Präpofitionen oder der Hection, daß ed nicht von 
Snterefie fein follte, zu ſehen, was in diefer Beziehung der In: 
ftinet dem Dichter zugeführt bat. Und Died berührt fchon eine 
höhere Stufe der Betrachtung. Wir bezeichnen ald poetifch 
außer einer Reihe von jeltneren, Hangvolleren oder alterthüm: 
lihen Wörtern, gewiffe Formen, ja manche Sonftructionen, 3.8. 
die von Verben mit dem Genitiv oder Dativ, welche fonft den 
Accufativ bei fih haben. „Wer ruft mir?“ tft ein auffallendes 
Beifpiel dazu (bei Sch. u. ©.) und bier wird es bei Jüngeren 
entfchieden der Erklärung bebürfen; bem Laien wird € nüßen, 
darüber einmal ein gewiſſes Bewußtſein in ſich zu ermweden, ber 
Lehrer wird nicht umhin können, einige Stellen der Art aufzu- 
jammeln, um die Einficht des Schülerd durch Bergleihung zu 
ihärfen. So wird fi denn mın Niemand mehr wundern, wenn 
Jakob Grimm in feiner ſchon früher von und angeführten Rede 
auf Sch. ein wirkliched Wörterbucdy der Sprache diefed Dichters 
für wünfchenswerth erflärte, wie die Gelehrten ſolche von den 
Alten in großer Anzahl bergeftellt Haben”). Diefer Wunſch tft 
erfüllt in der vorzüglichen kritiſchen Ausgabe der Werke Sch.’s, 
welche jegt aud den Händen bedeutender &elehrter in Cotta's 
Berlag erfcheint, in der jedem Bande ein genaues Verzeichniß 
aller Wörter und Wendungen angehängt tft. 

Was die profaifche Sprache Sch.'s betrifft, fo zeichnet fich 
biejelbe Durch ungemeine Klarheit und Gediegenheit aut. Man 
athmet auf, wenn man von dem Sargon fo vieler heutiger 
Zagesblätter, von der romantifch-realiftiichen Buntfchedigfeit des 
Styled unferer Zeit zur Durchſichtigkeit eines Sch. u. G. ober 
Leifing und Kant zurückkehrt, oder den gefunden Waldesbuft 


*) Als ein Zeichen der Zcit möge erwähnt werben, daß in einer anztehenben 
Differtation von R. Hirzel de bonis in fine Phllebi enumeratis fich die Thefis 
findet: Quae in veterum poetaram carminibus edendis usu didicerunt, in 
Go®thii et Schilleri operibus philologi nune expromant- 





350 Sprade. 


ber reinen und reichen Sprache unſeres Berthold Auerbach ein: 
athmet. Daß auf Sch.’3 Klarheit auch eine auögebreitete fran⸗ 
zöſiſche Lectüre gewirkt bat, beweiſen ziemlich zahlreiche, nicht 
bloß in den Meberfegungen vortommende Salliciömen und 
leider auch eine bedeutende Reihe unnützer Fremdwörter, die 
zunächft aus dem Franzöſiſchen aufgenommen worden find. Wie 
fehr wir auch noch in neuefter Zeit in Gefahr find, umfere 
Sprache zu verderben, wird man gern aud einem Aufſatz des 
Prof. Brandftäter in dem fehr leicht zugänglichen Archiv für 
Neuere Sprachen (XLIII, 129) erfahren. 

Umtaßt man fo den Wortvorrath eined Schriftfteller8 und 
was er eiwa an abweichenden Formen und Eonftructionen bietet, 
fo bleibt nody übrig, fi) von dem ihm eigenthümlichen Style 
eine Borftellung zu machen. Dem Charakter des Menſchen, 
feiner größeren oder geringeren Xebenpdigfett, feiner Erregbarfeit 
oder feiner Nüchternbeit, entſpricht auch fein ſprachlicher Aus: 
drud. Wenn er denjelben auch fchreibt und viel fchreibt, fo 
nimmt er mit der Zeit auch eine ganze Reihe von Lieblings: 
formen an, die man Manier zu nennen pflegt. Dieſer Styl 
des Menjchen durchkreuzt fich wieder mit dem Styl, weldyer 
den verjchiedenen Dichtungsgattungen an und für fih an 
gemeflen ift, fo daß man 3. B. bejonderd von einem Style des 
Epos wird reden fürmen, der in den Liedern ber verjchiedenften 
Nationen oft die größte Webereinftimmung zeigt. Schwieriger 
möchte ed fein, die Stylformen des Drama’3 nachzumeilen. 
Wenn ed vor allen Dingen auf realijtiiche Lebenswahrheit an- 
fommt, müßte man eigentlih vom Dichter verlangen, daß er 
jeder feiner Perſonen den ihr natürlich zugehörigen StyI- gebe, 
jo daß er dann eigentlid mit einem perjönlichen Style gar 
nicht hervortreten dürfte. Ueber die lyriſche Poeſie haben wir 
und ausführlicher ausgeſprochen. 

Die dichterifche Sprache im Allgemeinen hat aber auch eine 
ganze Reihe von Hülfömitteln, zu denen zuerft die ſchon oben 
erwähnten als poetijch bezeichneten Wörter und Wendungen 


Sprache. 351 


gehören. Dazu kommt aber das ganze ungeheure Gebiet der 
fogenannten übertragenen Ausdrücke oder Metaphern, auf 
deren Reihthum, Neuheit, Kühnheit bei der Beurtheilung 
ber Sprache eined Dichters vielleicht der Hauptaccent zu legen iſt. 
Ferner die Umfchreibung und ehblich die eigentlichen jogenannten 
Redefiguren, weldhe der einfache, erregte Menſch erfand und 
anwendet ohne ed zu wiffen, während der Redner und der Dichter 
fie mit einem gewiffen Bewußtfein verwenden”). Endlich ge 
hören dahin die Bilder, weldhe zwar mehr vom Epifer und 2y- 
rifer, doch aber auch vom Dramatiker benußt werden. Der un: 
ermübdliche Fleiß der Freunde des Alterthums hat diejelben’ aus 
dem Homer und andern Dichtern forgfältig gefammelt, bei Sch. 
ift e8 noch nicht für nöthig gehalten worden (ſ. Homer). 
Bielleicht dürfen wir und einer Einthellung bedienen, die 
wir der Kunft der Malerei entlehnen und als die beiden Haupt 
ftyle des Drama’8, den idealiftifchen und den realtftifchen 
bezeichnen. Die Wirklichkeit in ihrer vollen Energie darzustellen, 
in ihrer Schönheit und ihrem reichften Leben, aber auch mit 
ihren Schreden, ihrer Bitterkeit, ihren ſcharfen Gegenſätzen und 
wunderbaren Sombinationen, in denen fo oft dämoniſch Ger 
danke und Abficht aufzuleuchten fcheinen — das iſt die Sache 
bed Realismus. Seine SFünger, welche größtentheild die 
höchfte Ausbildung der Technik zeigen und hierin bleibende Ver: 
dienste haben, richten ſich eben nicht ausfchlieglih auf die Dar: 
ftelung des Schönen und ſcheuen dad Häßliche nicht, fondern 
fuchen vor Allem die Lebendwahrheit und dad Wirkungsvolle. 
Der Idealis mus erftrebt die Verklärung des Wirklihen durch 
das Schöne, welches in feinen reinften Formen darzuftellen jeine 
Aufgabe tft. Eine Welt hoher Gefühle, beſonders die höchften, 
religtöß» idealen, in irdiſche Formen zu Heiden, das bloß Außerliche 


°*) Ich verweije, was die Redefiguren anbetrifft, auf das weitverbreitete und 
anerfannte Buch des Hanptverfaffers dieſes Werkes: Deutihe Stylübungen 
Abth. 4 ©. 49 — 76. 


352 Sprade. 


Wirflihe, von der Idee nicht durchleudhtete, audzulöfchen tft 
fein Ztel. Sn der Malerei wäre Raphael fein Meifter. Wollten 
wir diefe Eintheilung auf unfern Dichter anwenden, fo müßten 
wir freilid dem Healiften noch den Reichthum feiner Farben⸗ 
gebung entziehen und Sch. zufprechen. Aber davon abgejchen 
ift er Idealiſt. Nur daß man von dem dramatiihen Dichter 
nicht, wie vom Maler, jagen kann, er gebe ausichlieglih auf. 
die Darftellung bed rein Schönen aus. Bei ibn handelt es 
ih um Thaten, die auf einer ganzen tief verfchlungenen Welt 
von Gedanken und Ideen beruhen — er ftellt die wirkende und 
nady Verwirklichung ringende Idee bar, aber in Geftalten, bie 
von ihr fo ganz durchdrungen find, daß fie häufig ſelbſt Ideale 
werden. Die Darftellung ded rein Schönen im Drama findet 
ihre Rechnung in der Sprade. In ihr zeigt fih, daß Sch. 
Spealift war; fie will vor allem und weſentlich jchön fein und 
bleibt eö, in welchem Munde fie auf ded Dichter Bühne auch 
erſcheine. Allen Schmud, ben die Sprache verträgt, bat fie 
bei Sh. Man bat e8 ihm zum fjchweren Vorwurf gemacht, 
daß er der Verſuchung nicht widerftand, einen jchönen Gedanken 
auf den glänzenden Wellen feiner Beredjamkeit dahinftrömen zu 
Iofien, wenn aud mitunter die Handlung zu fchnellerem Fort» 
gange tried. Man hat ihn angeflagt, er laſſe alle feine Per: 
fonen, Könige uud Bauern, biefelbe reich geſchmückte Sprache 
reden, die ftet8 weniger aud Herz und Mund der Bühnenge: 
ftalten als aus denen bed Dichterd Time. Vieles davon tft 
richtig; dennoch find diefe Vorwürfe einfeitig und blinb über: 
trieben. Weil das Publicum es liebt, fogenannten „Ichönen 
Stellen” im Dichter nachzujagen und weil Sch. — Gott ſei 
Dant — viele berjelben bietet, bat die Kritik nicht felten fo 
gethan, als befiße unfer Dichter nicht8 Andered. Wir find nicht 
diefer Anficht. Erftend muß die Sndivibualität des Dichters 
genommen werden, wie fie ift. Die alljeitige Vollkommenheit 
ift noch nicht gefunden worden; fie wird dafein, wenn einmal 
ein Menſch, der Teiner individuell ausgebildeten Nation mehr 





Sprade. 353 


angehört, in der zufünftigen Sprache der reinen Menſchheit 
ſprechen wird. 

Ferner haben wir ſchon früher darauf hingewiefen, daß 
Sch. durchaus dieſe oberflächlichen Borwürfe eines gleichfärmigen, 
über Alles erftidend auögegoflenen Idealismus zurückweiſen darf. 
Wenn wir von den Räubern ganz abfehen wollen, jo wirb ber 
Mohr im Fiesco und der alte Muſikus in K. u. L. — md bes 
ſonders dieſer letztere — allen Aniprüchen der Realiften genügen. 
Alles Spätere hat Sch. in Berfen gejchrieben, die an und für 
Rh ſchon, auch vom Healiften einen Schmud verlangen, ber 
ihren Inhalt über die Grenzlinten des Wirklichen ſtets hinaus⸗ 
führt; aber auch feine überjegten Luftipiele würden darauf hin⸗ 
weiſen, dag ihm der Sinn für die heitere und felbft Iuftige 
Wirklichkeit nicht fehlte. Das „Lager“ aber follte, nach unferer 
Anficht, jeden Zweifel zum Schweigen bringen über Sch.'s Be- 
fähigung zu realijtifcher Darftellung im beften Sinne des Wor⸗ 
td. Im Wallenftein jelbft begegnen wir noch Buttles, dem 
ſchwediſchen Hauptmann, dem alten Kellermeifter, welche wir 
Shakeſpeare's Geftalten zu vergleichen nicht anftehben. Sch., 
ebenfojebr fait Philojoph, jedenfalld Denker ald Dichter, ftrebte 
allerdingd überwiegend nach ber Darftellung der Idee und des 
Idealen, aber er ift reicher geweſen auch an Yormen des Aus: 
brudes und der Bildnerkunft als eine jelbft arme Kritik ihn laſ⸗ 
fen möchte. 

Zu dem, was nach unjern obigen Ausführungen die Sprache 
eines Dichters charakterifirt und in das Berftändniß derfelben 
einführt, ift auch fein Studium anderer Dichter zu rechnen. Man 
bat in neuerer Zeit nachgewieſen, daß Sch.s Sprache im An⸗ 
fange feiner literariihen Laufbahn Antlänge 3. B. felbft an 
Leifewig zeigt, an Rlopftod (in Verbindung damit an die Bibel), 
an Shalefpeare; in fpäterer Zeit durchdrang er fi mehr und 
mehr mit dem Studium ded Sopholled und Aeſchylus und wir 
meinen, daß fein dichteriſcher Ausdruck in der Br. v. M. mit die- 
fem Letzteren wohl die größte Berwandtichaft darbieten möchte. 

II. 28 


34 Sprache. 


Selbſtverſtaͤndlich liehe ſich ein Buch über Sch.’ Sprache 
ſchreiben; iſt der Laie oder die gebildete Leſerin begierig dauach, 
fo werben fie nicht lange darauf zu warten brauchen, wir hoffen 
benjelben gezeigt au haben, wie viel nöthig tft, um ſich ein Ber 
ſtaͤndniß bed inneren Baues und fozufagen ihres Gewebes zu 
verſchaffen. Dennoch mag der Laie ſich damit tröften, daß er 
in lepter Inſtanz ber Richter bleibt. Bei unjerer Betrachtung 
bramatiicher Kunftwerke vergefien wir zu oft, daß dieſelben we 
ſentlich für bie Bühne gefhaffen find. Es tft gar nicht nöthig, 
an die beionderen „PBarterne'3 von Kennern“ zu erinnern, bie ſich 
in Madrid — wo ein Schuhmacher den Taktftock führte — und 
in Paris gebildet hatten, auch mag Moliere feine alte Magd 
nicht über Alles, was er fchrieb, um ihre Meinung gefragt has 
ben — dad Publicum, verfchieden zufammengejegt wie es fl, 
läßt den Augenblid der Bühnenbarftellung anf fich wirken und 
beurtheilt danach Sprache und Inhalt. Erfüllt die Sprade 
dieſen Augenblid mit verzehnfachten inneren Leben, mit ächter 
Erhebung des Geiftes und Herzens, jo kümmern alle eigentlich 
gelehrten ragen den Zuhörer nicht mehr. Diefe Probe befteht 
aber Sch.s Sprache vielleicht befier als die Goethe's, und nad) 
unjerer Anſicht könnte nur das Mark und die Reinheit ber 
Sprade Leſſing's in Emilia Salotti mit ihr um den Preis im 
Drama ftreiten. 

Wir werden nun im Folgenden noch auf eine Neihe von 
Einzelnheiten hinweiſen, die ben Laien doch vielleicht anregen, 
feinen Blick auch einmal auf diefer Seite der Dichterwerle des 
Kehlingd der Nation ruhen zu lafien. 

Wir wollen daher, bauptjächli mit Hülfe ber Beiſpiele, 
welche die Br. v. M. bietet, auf. einige Eigenthuͤmlichkeiten der 
poetiſchen Sprade Sch.’3 aufmerffan machen, welche vielleicht 
anregen werden, an anbern Stücken Aehnliches zu beobachten, 
Dem Laien werben die Fingerzeige genügen, um jeine Aufmerk 
ſamkeit zu fchärfen, Sehrer werden fi der Anforberung nicht 
entziehen Tönuen, eigene Zuſammenſtellungen zu machen. Diefe 





Sprade. 855 


legteren wifien Hinlänglih, daB das tiefere und feinere Ver⸗ 
ftändnig des Schönen erlernt werben muß, wie jede Ber: 
ftändniß, und baß ed mit dem bloßen inftinetmäßigen Sprach⸗ 
gefühle nicht gethan tft. 

Ein wichtiger Beftandtheil aller poetiſchen Sprache iſt das 
Beiwort, griechiſch, Epitbeton”, mit einen lateiniſchen Zuſatze 
auch Epitheton örnans d. i. ſchmückendes Beimort genannt. 
Schon früher ift von und auf die Wichtigkeit der Kenntniß wenig: 
ſtens des deutichen Homer (ſ. daf. u. Voß) für dad Verſtändniß 
der Dichterſprache Sch.’3 hingewiefen worden. Und wer Iäfe 
nicht auch Hermann und Dorothea mit doppeltem Genufle, nad: 
dem er im Homer das Grundgewebe der Sprache des bezaubern- 
den Gedichte Tennen gelernt hat? Jedem Leer des alten blinden 
Sängers (daß er blind fein mußte, erklärt und hochpoetiſch daB 
wenig gekannte Gedicht Stolberg's „An das Meer” in Bichoff’8 
Handbuch der deutſchen Nationalliteratur, ©. 118) fallen auf den 
erften Blick die zahlloſen, farbenreihen und ftet3 fo treffenden 
Beiwörter auf, in benen der des Augenlichted Beraubte bie 
Wirklichkeit fi) wiberfpiegeln läßt. Unfer Artikel über Homer 
zeigt, daß Sch. nicht nur viele Beiwörter dem Homer entnommen 
bat, fondern auch daß feine eigenen tm Geiſte deffelben gefchaffer 
find. Allerdings paßt dad Beimort mehr für die behagliche 
Breite ded Epos; Sch. aber in feinen Dramen — bie wie Wal. 
Senftein oft zugleich gewaltige Epen find? — läßt ſich dieſen 
Schmud der Rede nicht entgehen. Für den jüngeren, lernen⸗ 
den Leſer könnte e8 eine hübſche Aufgabe werben, dieſelben ein« 
mal zufammenzuftellen. Die Br. v. M. bietet ſchlangenhaa— 
rigtes Scheufal (Sch. fchreibt mit Vorliebe diefe Endung :icht 
und ⸗igt, die uns nicht immer wohllautend erfcheint, jo in ber 
Dr. v. M. auch: röthlicht — ſonnigt — graulicht) — 
unverleglihe Schwelle — hHimmelumwandelnde Some 
— unzerbrechliche Kraft (Tell: „feine ew'gen Rechte” — un⸗ 
zerbrech lich, wie bie Sterne felbft) — den bittern Pfell des 
rafchen Wortes (ded Todes bittre Pfeile Geb.) — bed Feuers 

28 * 


856 Sprache. 


rotbe Säule — die blaue Böttin (der bläulichte Gott Geb.) 
— dad grüne, Erpftallene Feld — ber alljehende Aether — 
bed Atlas bimmeltzageude Säulen — ſchwarze Verbrechen 
(wie bei den franzöftichen Tragifern noir und bei Birgil ater) — 
Die völferwimmelnde Stadt — hundertſtimmig — bie 
hochwohnenden Bötter — ber ehr'ne Himmel (die eherne 
Welt — das eiferne Geſchick — fchwere eherne Hände Geb.) 
— die ehberne Umarmung — bie rollende Zeit — die fel: 
ſigte Bruft — die heilige Natur (die heilige Erde — bie 
fromme Natur Ged.) — der allgerechte Lenker unferer Tage. 
Auch bildet der Dichter Adjeltiva von ungewöhnlicher Form: 
entwohnt — unfeindlih — unzugangbar — unregier: 
fam — unbeglüdend — unmitleidig. Sehr eigenthümlich 
und zugleih häufig ift die Verwendung gewifler Participien: 
- wunbdernd („und wundernd fühlt er fein verwandelt Herz“) 
— mitfreuend — beneidend — wiſſend — frönend — 
vertilgend — laftend — ergreifend — grauend. 

Wir machen ferner darauf aufmerkjam, wie häufig Sch. in 
den erften Stüden und auch noch im D. C. das übertreibenbde 
und dem jugendlich gewaltiamen Pathos entiprehende Wort 
furdhtbar gebraucht, wie wir denn auch auf Die häufigen Zu: 
fammenfeßungen mit Riejen und Welt bingewiejen haben. 

Bielleicht verjchmäht der Lejer nicht zu beachten, wie außer: 
ordentlich oft Sch. dad Beiwort golden verwendet. In ber 
Br. v. M. hat er es bei: Binde — Reif — der kiebe Frucht 
— Stunden — Traum — GScepter (als neutrum ſ. Scep: 
ter) — Victoria — Sporen. Die Gedichte bieten zahlreiche 
Beiipiele: Kinder — Blide — goldgewebte Träume — 
Ruhe — der Schönheit goldner Gürtel; ſ. in der Cotta'ſchen 
Oktavausgabe I, p. 25, 42, 45, 48, 50, 59, 60, 84, 85, 183, 
185, 187, 188, 189, 195, 201, 204, 205, 216, 217, 218, 219, 
222, 225, 237, 246, 255 u. a. m. 

Sc. ftellt gern zu einem Subftantivum geiftiger Bedeutung 
im Genitiv ein entfprechended Wort ald Bild oder Symbol im 


Sprade. 857 


Rominativ, wie 3. B. bed Streited Scheuſal — ber Worte 
Köcher — der Pfeil des Wortes (der Stachel meined Wor- 
te8 im Tel — des Todes bittre Pfeile — der fanfte Bogen 
der Nothwendigkeit |. Homer) — auf erhabenem Fußgeſtell 
des Ruhmes — der Schleier der Zucht (der Grazie Ged.) — 
der Sürtel der Anmuth (ded Reizes, der Schönheit Geb.) — 
der heilige Anker der Hoffnung — die Seraphäflügel des 
Sefanges — der Liebe heiliger Götterſtrahl — des Zwiſtes, 
der Eiferfuht Flammen — Tell: der Freiheit Edelftein — 
der Kiebe Seile — die Stride des Berrathes (in der Br. v. M. 
bie Nee bed Spähers) — die echte Perle deines Werthes. 
In den Gedichten: der Unſchuld Schwanenkleid (der Unſchuld 
Lilten) — bed Nachruhms Sonnentempel — des Lebens 
Faden — dad ewige Feuer fchöner Gefühle. An den Aus: 
drud in den Ged. (Oftavandg. I, p. 13, 59, 296) „zu der Wahr⸗ 
beit lichtem Sonnenbügel“ (und „ber Hügel”) könnte fi 
die Frage knüpfen, ob Sch. Dante gekannt Hat, wenn man fich 
des Anfangs des erften Geſanges der Hölle erinnert. Einen 
literariſchen Urfprung fcheint dieſer Ausdrud zu haben, wie auch 
des Nachruhms Sonnentempel an die in Frankreich im 18ten 
Jahrh. fo beliebten Temples aller Art 3. B. da Goüt u.a. m. 
erinnert (j. Tempel). Energifcher finden ſich die beiden Wörter neben; 
einandergeftellt in: „der lohe Aetherftrahl Genie — Tühne 
Seglerin, Phantafie* — oder ber Dichter hat die fich ergänzenden 
Begriffe in einer Zufammenfegung verbunden, in der Br. v. M.: 
„Breubenfittige — Schlangenhaß — BZornedflammen“. 

Ein ungemein reiches (für Homer und die riechen jetzt 
fehr gründlich erforfchtes) Gebiet eröffnet die Perfonification 
bei Sch. Eine ſolche entfteht eigentlich ſchon, wenn irgend einem 
in der Wirklichkeit lebloſen Weſen oder einem Abſtractum eine 
Thätigfeit Iebendiger Wefen, befonber® eine menfchliche, zuge⸗ 
fchrieben wirb („das Auge weint“, „das Mitleid weint“, „das 
lachende Grün der Wieſen“, „die Welle plaudert*, „der Wind 
flüftert“) und Tiegt ſchon vielen der oben angeführten Ausdrücke 


358 Sprache. 


‚ga Grunde z. B. „bie Thräne des Mitleids“, obgleich ich das 
allerdings auch rein attributiv verftehen läßt, ober „der Zahn 
der Zeit“, „Wände haben Ohren“. Solche Perſoniſicationen 
führt der Dichter aber oft fehr weit aus, fo daß fie an Allegorie 
ftreifen. Zu bequemer Neberficht wollen wir einige Abtheilungen 
bilden. 

Eine Perfonification entfteht 3. DB. dadurch, daß bem Ab⸗ 
fteaetum Attribute des Lebenden 3. DB. Gewänder — Glieder 
— Bohnung verliehen werden: den blut'gen Mantel ber 
Schuld — von des Brubermordd Händen entjeelt — mit ſchee⸗ 
Ien Augen giftiger Mißgunſt im W. T. — von dem Ohr de 
Argwohns aufgefungen — Dad Auge bed Geſetzes — mit wei- 
sen Schritten dad Schredengefpenit ber That — mid faßt Die 
Welt in ihren Riefenarm — mit dunkler Talter Schreckens⸗ 
Hand — die Stimme ber Berführung in W. X. — ber Zob 
in ſeinem unvergänglichen Palafte — bed Tobed traurige 
Thore — bad Haud des Todes — oder durch die Bezeichnung, 
Daß z. B., Thaten“ Kinder bed Argwohns und der Rache find, 
wie die mir rätbfelhafte Baftardtochter der Gerechtigkeit DE: 
tesraıdg. von 1860 I, p. 26. 

Auch das metaphoriſche Verbum perjonificirt, wenn auch 
nit je ſtark: mih umichlingt ein faltes Grauſen — über: 
gießt mich ein Grauſen — mid naget die Neue — von bed 
Argwohns Pein genagt — der Neid vergiftete mein Leben 
— Verrath und Argwohn lauft in allen Eden. Etwaß matt 
flingt ed, wenn dad Berbum nicht metaphoriſch ift oder die Me 
tapher zu fehr abgejchwächt oder diefelbe wie im Hauptworte ift: 
„entzweite auch ber jammernolle Zwiſt“, Sch. müßte bean 
hier die Alliteration gefucht haben. ) 

An plaftiſche allegoriſche Darftellungen erinnern jchon ku 
der Br.v.M.: „geflügelt it das Glück — bed Glückes Ku⸗ 
gel (ebendafelbft die Welle)". Su demjelben Stüde finden 
fich viele ſehr ausführliche allegorifche Verfonificationen 3. B. ded 
Friedens („Schön tft der Friede! Ein lieblider Knabe — 





Sprade. 359 


Legt er gelagert am ruhigen Bach”), bed Hafjes, bed Mit: 
leids, des Krieges („der Krieg, auf Augenblide mır gebän: 
digt — und knirſchend in das eherne Sebi”), bed Unglüds, 
der geſchehenen That, des Mordes, ded Glückes und viele 
anbere. 


Zu eigentlihen Bildern bilden kurze Vergleiche den 
‚Hebergang, jo: „und werd’ ihn haflen wie der Hölle Pforten 
— lichtweiß gleihwie des Sonnengotted Pferde — ein 
Kind wie Liebesgötter ſchön — wie deB Feuer ver: 
ſchloſſener Gott”. Der auögeführten Bilder finden ſich etwa 
acht in der Br. v. M. Auch fie gehören eigentlich mehr dem 
Epos an. 

Ueber poetifche Umfchreibungen, bejonders bei Zeitbeftimk- 
mungen, f. Umfchreibung. Man beachte, wie der Dichter durch 
ſolche Zufäpe der Scene und dem Gedanken gern die Färbung 
und die Stimmung giebt: „mit ber nächften Morgenjonne Strahl 
— ſchon neigt die Sonne fih — eh biejeß Taged Sonne finkt 
— fein Tag entitieg dem Meer”. Nachdem der Dichter gefagt 
bat: „nicht zweimal hat der Mond die Lichtgejtalt erneut”, ge: 
braucht er dann auch mit leicht erfiärter Vorliebe dad mehr 
molerüche Wort „Monden“ ftatt ded einfach techniichen „Mionat*: 
„Fünf Monde find’8 — feit wenig Monden — fon feit den 
lettzte Monden — breit Monde aber deckt“ u. ſ. w. Auch In 
den Gedichten finden wir: „bid dreimal fi der Mund ernent”, 
„und fo flohen dreißig Sonnen”. Poetiſcher endlich ala die 
einfache Zahl erichien ed dem Dichter zu jagen: „auf Dreimal 
dreißig Stufen“. 

Auch zu graumatiſchen, phrafeologiichen, kurz ſprachlichen 
Bemerkungen aller Art würbe die bier zum Beiſpiel gewählte 
Dr. v. M. wie jedes andere Stüd reichliche Beranlaffung gebett. 
Wie wenig Schriften find aber vorhanden, in denen man bei 
artiged zujammengeftellt fände, und doch wie wichtig find ale 
diefe Dinge für die Einführung der Jugend in eine tiefere 
Kenntniß und einen reineren und freieren Gebrauch der Mutter: 


860 Springbod — Sprüde des Confuciub. 


fprache, die Doch ein Hauptziel alle Unterrichteß bleiben muß — 
wie unfer Wert ſich beſonders auch an diejenigen wendet, welchen 
dad hohe Amt dieſes Unterrichte anvertraut if. Dennoch bres 
hen wir bier ab; unfere Aufgabe tft überwiegend die Erklärung 
des Sachlichen. Das Spradliche würde ein eigened Werk ver 
langen und verdienen, am beften aud in lexikaliſcher Form. 

Springbock, eig. eine Antilopenart, die in Mittelafrika zu 
Haufe if. Mit dem Spr. (Br. v. M. 5, 421) ift wohl der Stein: 
bock oder Gemsbock gemeint. 

Sprüde des Confucius (Ged.), zwei Meine bibaktifche 
Gedichte, deren Inhalt fih an die beiden und jo geläufigen 
Grundvorftellungen von Zeit und Raum anfchließt. Das erfte 
aus dem Sabre 1795 ift eine poetifche Bearbeitung eines Denk: 
ſpruches des befannten chineſiſchen Weltweiſen Kon-fu:tje (551 
bis 478 v. Chr.), das andere iſt wohl vollftändig Original und 
im Sahre 1799 ald Gegenftüd zu dem erften gebichtet worden. — 
Das erfte Gedicht charakterifirt die Natur der verfchiedenen For⸗ 
men, unter denen wir die Zeit aufzufafien pflegen, und ertheilt 
und Rathichläge, wie wir und ihnen gegenüber zu verhalten ha- 
ben. Die langſam herankommende Zukunft follen wir nicht un⸗ 
geduldig berbeifehnen, wohl aber in unjerm Handeln Rüdficht 
auf fie nehmen, und von ihr rathen laſſen. Der fchnell enteilen- 
den Gegenwart follen wir nicht mit Bangigkeit und Beſorgniß 
ind Auge bliden, ftatt zu handeln, oder vielleicht auch zu ge 
nteßen; andererjettö ſollen wir aber auch nicht mit unferm ganzen 
Herzen an ihr bangen. Auf die ewig unveränderliche Vergan⸗ 
genheit jollen wir nicht mit nutzloſer Reue hinbliden, oder fle 
vielleicht gar zurückwünſchen, damit fie nicht feindlich in unfer 
gegenwärtiged, zum Handeln beftimmtes Leben eingreife. — Wie 
die Zeit unter drei verfchiedenen Formen aufgefaßt wird, fo has 
ben wir an dem Raum drei Dimenfionen zu beachten, die uns 
zum Symbol für unfer Streben, unfer Wirken, unfer Forſchen 
dienen follen, damit unjere Thätigkeit in harmoniſchem Einklang 
mit der Natur ftehe. 





ſpuken — Stab. 861 


fputen, gew. von Getftereriheinungen; bisw. a. (R. II, 3) 
nicht geheuer fein. 

Spürer (Tu. 1,1), f. v.w. Spion, Kundfchafter. 

Squire [ipr. ſtweir] od. Esquire, aus dem frzſ. dcuyer, 
eig. Schildknappe, in England (M. St. V, 14) ber Titel für Abe: - 
lige geringeren Ranged. 

&taat, ber befte (Ged.), ein Epigramm aus d. 3. 1795. 
Sobald vom Staate die Rebe tft, giebt ed in der Regel etwas 
zu tadeln; fühlt fih Seder tn demſelben behaglih, fo bat man 
etwas Beflered zu thun, ala fi von Staatdangelegenheiten zu 
unterhalten. 


Staatsaction (%. Borr.), eine Hanblung ber Regierung, 
welche wejentliche Umänderungen im Staatöwefen zur Yolge bat. 


Staatsinquifition (Sftf. 10, 133), eine Behörde, welche es 
mit der Erforichung und peinlichen Unterfuchung verübter Ver⸗ 
brechen zu thun hat. — Davon: Staatsinquiſitor (Gſtſ. 134), 
der oberfte Richter diefer Behoͤrde. 

Staatskunſt, die Kunft, den Zwed eines Staates fo voll- 
tommen, als möglich, zu erreihen; auch (D. C. 1,10 — Picc. 
V,3) ſ. v. w. Bolitif (vergl. d.) in dem Sinne von Staatäflug- 
beit. 


Staatsmarime (D. C. IV, 9), der Grundfah oder die Trieb» 
feder, wonach in bejonderen Fällen in Staatdangelegenheiten 
verfahren wird. 


Staatsſyſtem (%. II, 3), die Art und Weife, wie die Re 
gierung eines Staates zufammengefept ift und gehandhabt wird. 

Staatöverfaffung, die befte (Ged.), ein Epigramm aus 
d. 3.1796. „Gut zu denken” beißt bier f. v. w. in einer ehren» 
werthen Gefinnung zugleich feine Anhänglichkeit darthun. Iſt 
der Staat, wie er fein fol, dann hat er nicht nöthig, diefe An- 
bänglichkeit durch Tünftliche Mittel hervorzurufen. 

Stab, der ditrre, ſ. Moſes. 


868 Stab der Berdammung — Stanze. 


Stab der Berbammung (Sf. 10, 197), bilbl. in Bezie⸗ 
bung auf die bei Hinrichtungen ehemals üblide Gewohnheit 
über dem Haupte des Verbrechers einen Stab zu zerbrechen. 


Slteachel (Iph. I, 8w.⸗Handl.) In alten Beiten wurden 
bie Pferde mit einem Stachelſtock (stimülns) angetrieben; daher 
auch bildl. (W. T. II, 2): 

„Die Herzen alle dieſes biedren Volke 

Erregt' ich mit dem Stachel meiner Worte.“ 

Stadt aus der Heidenzeit (W. T. V, 1), nämlich Vin⸗ 
donifſa, die unter Kaiſer Auguftus ein wichtiger Waffenplatz der 
Römer war, aber zur Zeit der Völkerwanderung zerftört wurde, 

Stadtpatrouillant, ſ. Patrouille. 

Staffel, eig. die Leiterſproffe Stufe, die man betritt; Dumm 
and bildl. (Kſt. T. IV, 8) Weg. 

Stände (Dem. I, 1), |. v. w. Reichäglieder, Mitglieder des 
Reichstages. 

Stanz (W. T. II, 2), Flecken in Ndwalden (vergl. Kern⸗ 
wald) am Faße des Stanzerhorns. 


Stanze, ital. stanza, eig. der Haltpunkt od. Abſchnitt in 
einem Gedichte, daher ſ. v. m. Strophe, wie (Gftf. 10, 247): 
„Stangen aus dem Taſſo“. — Die achtzeilige Stanze 
(Metr. Neberf. Borer.), eine Strophenfurm, mit welcher uns Goe⸗ 
tbe zuerft befannt gemacht bat. Er bediente ſich derjelben in 
feinem „Zueignung“ betitelten Gedichte, mit dem er im J. 
1786 die erfte Ausgabe feiner bid dahin vollendeten Arbeiten 
eröffnete, und das fett der Geſammtausgabe feiner Werke von 
augeftellt if. Die Form ber Ottave Rime ober der achtzeiligen 
Stange ſtammt aus Sicilien, von wo fie in der Mitte des vier 
gehnten Jahrhunderts nach Stalien verpflanzt wurde und burg 
Bocaccio ihre jebige Geftaltung erhielt, die feit jener Zeit bie 
ftedende Form für das epiiche Gedicht der Staliener geblieben 
ift. Sie befteht aus den fo bequem zu fprechenden fünffüßigen 


Stapel — Stauffacher. 368 


Samben und enthält breimal geisennte und zuletzt zwei unge 
trennte Reime, und zwar bei und Deutichen fo, daß in den ſechs 
erften Berjen männliche und weibliche Reime mit einander wech: 
feln, der Schluß dagegen durch zwei ungetrennte weibliche Reime 
gebildet wird. Die achtzetlige Stange (Geb. „Kleinigfeiten“) 
zeichnet fi durch einen ungemeinen Wohllaut aus und tft be 
fonder8 da anwendbar, wo ed fi um die Darftellung fanfter 
zund weidher Empfindungen handelt. Was baB innere Weſen 
diefer Stropbenform betrifft, jo verlangt fie in den brei erften 
Zeilenpaaren eine Steigerung des Gedankens, eine mit erhöheter 
Sebendigkeit wiederkehrende Empfindung, die in den beiden legten 
Zeilen zur Ruhe gelangen und deu Gedanken zum Abſchluß 
bringen muß. Sn der Ueberfebung des zweiten und vierten 
Buchs der Aeneide bat ih Sch. eben fo wie Wieland in feinem 
Dberon mit dieſem Metrum mancherlei Willkür erlaubt, wodurch 
ber eigenthümliche Charakter deſſelben allerdings beeinträchtigt 
wird; in feiner Reinheit dagegen hat er ed in dem Gedichte 
„die Begegnung” (|. d,) zur Anwendung gebradt. 

Stapel, eig. ein Pfahl, eine Stüge; dann auch (Geb. 
D. Spaziergang — 3.0. O. IU, 3) ein Ort, wo man Dinge in 
Haufen niederlegt. 

Station (Picc. III, 3), von dem lat. stare, ftehen, ein Ort 
auf einer Landſtraße, wo behufß des Pferbewechjeld Halt gemacht 


wird. 


Statt, ſ. v. w. Stätte. „Deine Bitte hat Statt gefunden“ 
(D. C. V, 4), d. 5. ift angenommen worden. 

Stätte, heilige (W. T. V, 2), d. 5. eine Kirche, wo In ka⸗ 
tholifchen Kändern oft Dinge aufbewahrt werden, denen einzelne 
Mitglieber der Gemeine ein dauernded Andenken fichern wollen. 

Staubbäde (W. T. II, 2), Bäche, deren Wafler von fenk 
rechten Helfen herabftürzt und fich dabei in Staub auflöft. 

Stauffader, Berner (W. T. Perf.:Berz.), Altlandamman, 
war noch 1341 am Leber. An der Stelle ſeines Hauſes ia 


864 ftedenreiten — Stier von Uri. 


Steinen, feinem Geburtsorte, fteht fett 1400 eine Kapelle mit 
bezüglihen Bandgemälden. 

ftedenreiten (5%. III, 8), ſ. v. w. eine Liebhaberei haben. 

Stegreif, eig. ein Reif od. Ring zum Steigen; bild. aus 
dem St. (%. I, 9) ſ. v. w. unvorbereitet. 

Stein zu Baden, j. Baden. 

Steinen (W. T. I, 2; 1,4; IV, 1), Werner Stauffachers 
Geburtsort, ein Dorf im Canton Schwytz. Bergl. Lowerz. 

St. Stephan od. Papft Stephanus I., bekannt durch feine 
Anfihten über die Kebertaufe, bie er für unnüß bielt, wurbe 
beöwegen verfolgt und farb 237 im Gefängniß. Später wurbe 
er heilig geiprochen und ihm zu Ehren in Toscana (Gftſ. 10, 166) 
der St. Stephand:Orden geftiftet. 

Sterlyn (M. St. I, 1), gem. Stirling od. Stirlin, Haupt: 
ftadt der Grafſchaft gl. N. im füdlihen Schottland mit dem 
Scälofje Stirling-Caftle, einem Lieblingdaufenthalte der Stuarts, 
wo manches frohe Feſt gefeiert, aber auch manche fchredliche 
Blutthat begangen wurde, 

Stern, böfer (Zur. I, 1), f. Aftrolog. 

Stern des Bols, f. Pol. 

Sternenbübne (Geb. D. Künftler), f. v. w. ber geftirnte 
Himmel. 

Sternenrihter (Ged. An d. Freude), das höchſte Weſen, 
Gott. 

Sterntunft (Wit. T. II, 3), f. Aftrolog. ® 

Sthenelus, ſ. Kapaneus. 

Stichblatt, ein Kartenblatt, mit dem andere — oder 
uͤberboten werben; bildl. „das wehrloſe Stichblatt“ (F. IV, 12), 
d. h. die weibliche Tugend ; beögl. %. V, 13. 

Stier von Uri (W. T. Perſ.-Verz.) wird bei den bewaff: 
nneten Urnern ber vorderfte Hornbläfer genannt, defien Inftrument 





j 


Stiergefeht — Streitart. 365 


ein großed Auerochſenhorn tft, wie denn auch Uri von Ur ber 
fommt und ben Stier im Wappen führt. 


Stiergefecht (D. ©. I, 3), ein befanntes Lieblingdvergnügen 
ber Spanier. 

Stift (Pice. II, 3), pl. Stifter (Wfl. 2. 8); eine zu kirch⸗ 
fihen und religiöjen Zweden beftimmte Anftalt, die mit milden 
Vermächtnifſen und geiftlichen Rechten ausgeftattet und einer 
geiftlichen Körperſchaft anvertraut if. Solchen Anftalten werden 
Häufig junge Mädchen zur Erziehung übergeben, in weldem 
Falle eine Oberin oder Stiftsdame (Menfchenf.) die unmit- 
telbare Aufficht zu führen hat. 

Stifter meiner Tage (Br. v. M.), eine Ausdrucksweiſe, 
welche an das franzöfliche „les auteurs de mes jours, bie Ur: 
heber meined Lebens” erinnert. 

Stoff, der erhabene (Ged.), ein Xenion, das fih nad 
Biehoff auf Lavater's, Jeſus Meſſias; ober die Evangelien und 
Apoftelgeihichte in Gefängen“ bezieht. Vergl. Der moraliihe 
Dichter. 

Stola (Geb. D. Sang n. d. Eifenhammer), pl. Stolen 
(Dem. I), ein Theil der Amtskleidung der katholiſchen Priefter; 
naͤmlich ein Streifen feidened, gewöhnlich mit Gold durchwirktes 
Zeug, das über die Schultern gehängt wird, jo daß bie beiden 
Enden vorn herabhängen. 

Strahl ded Donnerd (M. St. IV, 11), f. v. w. Bligftrahl. 

Stralfund (Wft. 8. 5 u. 8 — Wfl. T. 1,5), Stadt und 
Zeitung in dem ehemaligen Schwediſch- od. Neu: Vorpommern 
am Gellen, der Meerenge, welche Rügen vom Feftlande trennt; 
ed wurde 1628 von Wallenftein vergeblih belagert. Vergl. 
Dr. Kr. 147. 

Straßburg (N. a. O. J, 4), die Hauptſtadt bed Elſaß, am 
Einfluß der Ill in den Rhein. 

Streitaxt, ſ. Hellebarde. 


366 Strophe — Styl. 


Strophe (Iph. I, 3w.:H.) beißt bet ben alten Griechen 
eigentlih die Wendung bed fingenden und tanzenden Choreß 
(vergl. Ged. D. Kraniche d. Ibykus, Str. 13 —15), fo wie der 
während einer ſolchen Tanzbewegung gejungene Abſchnitt des 
Ghorgefanges, Antiftrophe (Iph. 1, Zw.⸗H.) tft daher die Ge⸗ 
genmwendung bed Chors, ein Gegengejang. Sept verfteht man 
unter Strophe (Geb. Würbe d. Frauen) einen Abſatz od. Ab⸗ 
Ichnitt eined Gedichte. 

Struetur, lat. structura, eig. dad Gefüge, der Bau; dann 
auch (Berbr.a.v. E.) Einrichtung, Zuſammenhang. 

Struth von Winkelried (W. T. II, 2), ein Heldengeſchlecht 
aus Stanz. 

Stuart. Das Haus der Stuart ſtammte von einem Zweige 
ber engliſch-normanniſchen Familie Fitz Alan, ber ſich in Schott⸗ 
land niederließ, wo ihm die erbliche Würde eines Steward 
Reichshofmeiſter) eriheilt wurde. Mit Robert Il. gelangte Die 
Haus i. J. 1370 auf den jchottifchen und (M. St. 1,7) mit In 
cob VI. (I.) 1603 auch auf den englifchen Thron. 

Studententragen (Bft. %. 7), ein kleiner Mantel, wie ihn 
die Studenten ehemals zu tragen pflegten. 

Studiertrieb, falfher (Ged.), ein Epigramm aus d. J. 
1796. Es tft gegen die umfähigen Köpfe gerichtet, die ſich ba 
mals in Maffen zu den philoſophiſchen Studien drängten. Be 
fonderd find die Kantianer gemeint, unter denen Viele, die nichts 
Anderes konnten ald „auf des Meifterd Worte jhwören”, ber 
Erforſchung der Wahrheit mehr hinderli als förderlich waren. 

Studium, pl. Studien (D. C. 1,4, von dem lat. studere, 
ih bemühen; die Beichäftigung mit den Wiſſenſchaften; bildL 
(R. 1, 1) da8 Sinnen und Trachten. 

Stundenglas (Br. v. M. 5, 411), eine gläferne Sanbuhr. 

ſtygiſch, |. Styr. 

Styl od. Stil, von dem lat. stilus, der Griffel, mit dem 
die Alten jchrieben; 1) die Schreibart, bei. (Par. IV, 7 — Sf. 


Styr. 867 


10, 202) die Darftellungd- oder Ausdruckſsweiſe; 2) (H. d. 8.) 
die Darftelungsform in der Kunft. 


Styx (Ph. II, 1), od. ber ſtygiſche Fluß (Geb. Hektors 
Abſchied), od. der feygiiche Strom (Geb. Semele 1) Am 
Nordrande der Halbinfel Moren zieht ſich der Achajiſche Gebirgs⸗ 
zug entlang, eine öde, wild zerrifiene, mit ſchwarzen Tannen ober 
Eichwald bedeckte Felſenlette. Etwa in der Mitte deſſelben 
nimmt der Styr feinen Urjprung. Der teile, fchrediich würde 
Pfad, fo wie die ſchaurig wilde Umgebung, welche zu dem ber 
abftürzenden Wafler Hinführen, find noch jept ein Gegenſtand 
bed Schredens für die dortigen Bewohner, deren Phantafie diefe 
Gegenden mit Gefpenftern bevölkert, und Unfterblichkeit ald Folge 
bes Genufſes des Sturwaflerd bezeichnet. — Im Alterthum was 
Styr urfprünglich eine Nymphe, eine Tochter ded Dreanud und 
der Thetis; fie jollte in der Gegend des Tartarus (f. d.) in einem 
abgejonderten Yeljenpalafte wohnen, und bier zugleich dad kalte 
Waſſer herporjprudeln, das weit unter der Erde ungejehen ba; 
binfloß. Diefer Quell wurde ald ber zehnte Arm des Oceans 
betrachtet, während die 9 anderen Erde und Meer umfloffen; 
Daher (Ged. Hero u. Leander): 

„Selbft der Styr, ber neunfach fließet.” 


und (Ged. D. Ideal u. d. Leben): 
„Selbft der Styr, ber neunfach fie umwindet, 
Wehrt tie Rückkehr Ceres Tochter nicht.” 
Der zehnte Quell ſenkte ſich in die Unterwelt hinab und bildete 
die eigentliche Stygiſche Fluth, bei deren Namen bie Götter ihre 
unverbrüchlichen Eide ablegten; daher beißt es (Ged. Semele 1) 
von Zeus: 
„Cr ſchwört's bein Styr. — Der Styr hat ihn gebannt!“ 
und (Ph. IV, 3) jagt Theſeud: 
„Denn bet dem Fluß, ben ſelbſt bie @ötter ſcheuen, 
Gab mir Neptun fein Wort und Kälte.“ 


Daher auch (Br. v. M. 5, 390): 


368 Subject. 


„Denn bed gaſtlichen Haufes 
nwerlegliche Schwelle 
Hütet der Eid, der Erinnyen Sohn, 
Der furchtbarſte unter den Böttern der Hölle.” 
Beil der Styr zur Unterwelt führte, jo wird jein Name — 
felten für dieſe gebraucht, wie (PH. II, 5): 
„Der karge Sty? giebt feinen Staub nicht her.” 
Sn gleiher Weiſe wird Pluto ald Beherrſcher der Unterwelt 
(Ged. Nenie) „ber ſtygiſche Zend” genannt und (Geb. Kaf- 
fandra) Heißt es in Beziehung auf ben dem Tode bereitö ver- 
fallenen Ehoröbus: 
„Doch eb tritt ein ſtyg' ſcher Schatten 
Rächtlih zwiſchen mich und ibn.“ 
In ſymboliſcher Bedeutung ift Sch. der Styr: 1) ein Bild des 
Todes, wie (Br.v. M. 5,481): 
„In jein Rygiiches Voot 
Raffet der Tod 
Auch der Jugend blühende Leben!“ 
2) ein Bild der unter der Erdoberfläche wirkſamen Kräfte, wie 
(Geb. Klage der Ceres), wo ed in Beziehung auf die Pflanzen 
heißt: 
„Blei in ihre Pflege theilet 
Sich des Styx, bed Aethers Mat? 
3) ein Bild verbängnißgvoller Entiheidung, wie (J. v. O. 
L, 5): 
— — „biefe Scheide beine® Reichs, 
Das ſtyg' ſche Wafler ber Loire.” 
indem von dem Uebergange auf die eine oder andere Seite diejeß 
Flufſes für Yranfreicy Leben oder Tod, d. h. Rettung oder Unter: 
gang abhängt. 


&ubject, von dem lat. subjicere, unterwerfen; 1) (Berbr. 
a. v. €.) eine Perſon; 2) (Sp. d. Sc.) ein Menſch rücſichtlich 
feiner Fähigkeit oder Tüchtigkeit zu einem Gefchäfte; 3) (F. Borr. 
— Gſtſ. 10, 189), eine Perfönlichkeit, die einem beftimmten Zwede 
dienen foll. 





fublim — Sully. 369 


fublim, Iat. sublimis, erhaben, hoch; ſcherzhaft (N. a. O. 
I, 4) etwa: prächtig, wundervoll. 

&ubordination, lat. eig. Unterordnung; dann (F. III, 5) 
Unterwerfung und Gehorſam gegen die gegebenen Befehle. 


Subſtitut, lat. eig. ein Stellvertreter; dann (R.I, 2) ein 
Beigeordneter im Amte, Schreibgehülfe. 

&ucceffion, lat. successio, die Folge, bei. Thronfolge; daher 
(Sftj. 10, 132) „eigene Suceejfion”, ſ. v. w. Leibederben und 
„Suecefftonsleiter“ (R. 1,2), Folgereihe der Regenten. 


Süden (Wft. 2. 11), die gegen Mittag gelegenen Gegenden; 
bildl. (D. C. II, 15): „mit nachgeahmtem Süd”, d. h. mit künſt⸗ 
liher Wärme. Davon Südpol, der dem Nordpol entgegen» 
gejegte Punkt der Himmeläkugel; daher (Ged. D. Antritt d. 
n. Jahrhunderts): „des Sübdpols nie erblidte Sterne”, die dem 
Bewohner nordiicher Gegenden nie aufgehen. — Südpol (%. 
II, 5), |. Magnet. 

Südermanland (Wfl. T. 1,5), eine in Schweden, ſüdlich 
vom Mälarfee gelegene Landſchaft. 


Sueno (Mcb. 1,2). Sm 11. Jahrh. wurden die britanniſchen 
Snfeln durch fortwährende Raubzüge der Skandinavier oder 
Normannen, in Engl. ſpeciell Dänen genannt, heimgefucht. „Nach 
der Däniichen Vesper 13. Nov. 1002 unternahm der däniidfe 
König Suen alljährlich fürdhterliche Rachezüge. Durch Verrä⸗ 
therei angeljächfifcher Großen begünftigt, gelang es ihm im Jahre 
1013, ganz England zu erobern”. Suen ftirbt 1014, Macbeth 
ermordet den König Duncan 1040, ein Anachronismus, der wohl 
nicht viel zu bedeuten bat, um jo mehr ald Suen's Sohn Knud 
wieder König von England wurde, 

Suite (Sp. d. Sch. — Eſtſ. 10, 131 u. 209), frzſ. das 
Gefolge, die Begleitung eines Fürſten. 

Sully, Marihall von Frankreich und erfter Minifter Hein: 
richs IV. (1589— 1610); einer der größten Staatdmänner, die je 
gelebt haben; Sully's (R. J, 2), ſ. v.w. Staatdmänner. 

U. 24 


870 Sultan — Sympathie. 


Sultan, der Beherrſcher ber Türken; bildl. ein völlig un- 
umſchraͤnkter Machthaber, Despot; daher wird (Bft. T. 1,7) der 
deutiche Kater jo genannt, und ebenjo ift (M. St. I, 7) von ben 
Sultanslaunen Heinrichs VIIL und (M. St. II, 8) von denen 
der Elijabeth die Rede. 


ſuperklug (R. II, 3), ſpöttiſch: überflug. 

Surennen (B. T. II, 2) od. Surennenalp, ein Gebirgäzug 
zwijchen Engelberg und Altorf, mit einem 7000 %. hoch auf: 
wärts führenden, oft wenige Fuß breiten Felſengrat voll der 
großartigften Ausfichten und Blide auf die Gletſcher. 


Guys, Dberft (Pice. IL, 7), einer von Wallenfteind Feld⸗ 
herren, der (Dr. Kr. 404) nad) Octavios Abfall nad Prag vor⸗ 
rüdte, um die böhmiſche Hauptftadt in Zatjerliche Pflicht zu neh⸗ 
men und gegen bie Rebellen zu vertheibigen. 

Sykophant, wörtl. ein Yeigen-Angeber, d. b. einer, ber in 
Athen anzeigte, wenn Jemand gegen dad Berbot eigen unver: 
zollt audführte; im weiteren Sinme (Geb. D. Spaziergang) jeder 
Angeber oder Berräther. 

Sylphide, von dem gr. silphe; 1) ein fliegendes Inſect, 
bei. eine Libelle, Waflerjungfer, wie (Ged. D. Blumen): „gan 
telnde Sylphiden“; 2) Elfen oder weibliche Luftgeifter (GRE. 
Id, 172). 

Symbol (Br. v. M. Einl. 5, 378), von dem gr. syfmbolon, 
Stunbild, finnlihes Zeichen für einen Begriff; daher wird fedes 
Erzeugniß der Kunft (Ged. D. Künftler) „ein Symbol des 
Schönen und des Großen“ genannt. — Davon ſymboliſch, 
finnbildlih, wie (Gftſ. 10, 146): „Inmboltihe Yiguren“. 

Symmetrie, von dem gr. symmetria; 1) (R. V, 1) Gleich⸗ 
od. Ebenmaß; 2) (Ged. D. Künftler) Zufammenftimmung der 
Theile eined Ganzen. 

Sympathie, gr. sympätheia; 1) die Gefühlsüberein- 
flimmung, wie (Ged. An d. Freude) in dem Verhältnig der 


a — 


Spmphonie — Syrte. 871 


Freundſchaft, weshalb ſelbft das Echo (Ged. D. Freundſchaft) 
eine, ſüße Sympathie“ genannt wird; desgl. (Ged. Phantaſie 
an Laura): 
Waltet nicht auch durch des Uebels Reiche 
Sürditerlide Sympathie?" 
2) Mitgefühl od. Mitleiden, wie (Geb. D. Ideal u. d. Le⸗ 
ben): „beilige Sympathie“ und (R. I, 1): „weinende Sympathie”. 
— Davon: ſympathetiſch; 1) (ed. Semele 1), mitfühlend; 
2) geheimfräftig, wie (%. II, 2): ein „Iympathetifches Mittel *; 
ferner: ſympathiſiren (R. I, 2), Üübereinftimmen, gleiche Mei- 
nung od. Neigung haben. 
Symphonie, gr. symphonia, eig. Zujfammenflang; bef. auch 
(Bed. Semele 1 — F. IV, 4) Snftrumentalmufit. 
Symptom, gr. symptöma, eig. Zufall; dann auch (Oſftſj. 
10, 192) krankhafte Erfcheinung. 
Synedrium, gr. synddrion (R. I, 2), die Rathöverjammlung. 


Syrakus, jebt Siragofa (Bed. D. Bürgſchaft — Ged. Ur: 
chimedes u. d. Schüler), ehemald eine blühende Stadt an der 
Oſtküſte Siciliens. 

Syrinx (Myth.), eine Najade, die ihrer Schonheit wegen 
von Pan verfolgt, ihren Vater, den Flußgott Ladon, um Rettung 
bat und in ein Schilfrohr verwandelt wurde, dem der Wind 
fortan (Ged. D. Goͤtter Griechenlands) ſuß klagende Töne ent⸗ 
lockte. Ban, hierdurch gerührt, ſchnitt ſich aus dem Rohr (vgl. 
Haberrohr) eine Pfeife, der er den Namen Syrinx gab; nach 
Anderen wird Hermes als der Erfinder der Syrinx genannt. 

Syriſche Wüfte (Ged. D. Johanniter), das öde und un- 
fruchtbare Gebiet, welches von dem Euphrat und dem perſiſchen 
Meerbujen weitwärts bi8 an das mittelländifche Meer reicht 
und ſüdwärts von Arabien begrenzt wird. 

Syrte (Geb. 4.3. d. Aen. 8), die Meine Syrte od. ber Meer: 
buſen von Cabes an der Nordküfte Afrika's; fie bat fo flaches 
Waſſer, daß die Schiffe dort nicht vor Anker gehen können. 

24% 


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373 Syſtem — Tafelrunde. 


Syſtem, gr. systöma, eig. das Zuſammengeftellte, Zuſam⸗ 
mengeſetzte; 1) das Welt- oder Sonnengebäude; daher ver 
gleichungsweiſe (Ged. O. Freundſchaft): 

„Beifter in umarmenden Syftemen” 
db. 5. wie bei den Planetenbahnen eine die anbere umſchlingt; 
ferner: „tanzende Syfteme“, |. Sphärenharmonte. 2) ein Lehr: 
gebäube, wie (R. V,1 — Sp. u. d. 2. 10,61 — Gſtſ. 10, 172) 
bie der Philofophen. 


T. 


Tabor (Wſt. T. III, 10), böhmiſches Städtchen an ber zur 
Moldau gehenden Luſchnitz; ed hieß ehemals Aufti und erbielt 
feinen Namen 1420 von den Huffiten. 

Zaboriten, |. Profop. 

Tachau (Wfl. T. IV, A), böhmiſches Stäbtchen ſüdoͤſtlich 
von Eger. 

Tacitus (D.&. IV, 12), einer der berühmteften römiſchen 
Geſchichtsſchreiber im erften Jahrh. n. Chr. Er jchildert die 
römijchen Kaifertyrannen in den duntelften Farben; feine Lectüre 
duch Don Carlos deutet auf Oppofition gegen ben Bater, den 
König Philipp IL 

Tact, von dem lat. tactus, dad Berühren, bef. dad der 
Saiten; daher in ber Muſik (Geb. D. Shladt — D. Tanz — 
R. 1,2) wie in dem, was ihr Ähnlich ift (Geb. D. Gang n. d. 
Eifenhammer) ſ. v. w. gleichmaͤßige Bewegung. 

Tafelrunde (3. v. DO. I, 2), Anfpielung auf den fagenhaften 
Brittenkönig Artus (od. Arthur), der auf den Rath des Zaube- 
rer8 Merlin zu Sarleol (jest Carlisle) feine auserlefenften Ritter 
zu feftlihen Mahlen verfammelte, die an einer runden Tafel 
abgehalten wurden, um jede Erinnerung an Rangftufen auszu⸗ 
fhließen. Die Thaten diefer Ritter waren im Mittelalter viel 
fach Gegenftand der nordfranzöflihen Poeſie. 


tagen — Talisman. 378 


tagen, in der älteren Sprache fo viel als ſich zu einer Be 
rathung verfammeln, oder (W. X. II. 2): eine ſolche Berathung 
vornehmen. — Davon: Tagesordnung (ebendaf.), die Reiben: 
folge der zur Berathung vorliegenden Gegenftände. 


Taktik (R. I, 2), auß dem Gr., d. i. Kunft bed Anorbnens; 
die Kunft, ein Heer in Shlahtorbnung zu ftellen und feine Be: 
wegungen zu leiten. 

Zalar, aus dem lat. talaris, fo viel als bis auf die Knöchel 
reichend; (Ged. D. Graf v. Habsburg) ein langes Obergewand. 

Talaus (Phön.), der Vater des Adraſtus (f. d.) 

Talbot, John (J. v. O. J1, 3), ein Feldherr der Engländer, 
der engliſche Achill genannt, belagerte Orleans, wurde aber am 
18. Juni 1429 in dem Treffen bei Patay (nordweſtl. von Or: 
leand) gefangen genommen. Erft 1453 fiel er in dem Treffen 
bet Eaftillon. 

Talbot, Seorg, Graf v. Shrewsbury (M. St. 1,7; 1,8 
u. IV, 11), ein Nachkomme ded vorigen, hatte eine Zeit lang die 
Auffiht über die gefangene Maris Stuart, war fpäter Lord⸗ 
Oberrichter, F 1590. 

Zalent, aus dem Griech. eig. Wage, Gewicht; dann bilbl. 
dad Zugewogene, Zugetheilte, alſo Naturgabe, bei. (Geb. D. Spa- 
ziergang — Bft. Prol. — Par: I, 3) Kunftgefhid; auch (Gftf. 
10, 254) Fähigkeiten od. (K. u. L. I, 2) Vorzüge. 

Zalteman, arab., ein Zaubermittel od. Zauberbild, das bei 
einem beftimmten Zufammentreffen gewifjer Planeten unter Be- 
obachtung von allerlet abergläubifchen Förmlichkeiten angefertigt 
wurde. Es follte die Kraft haben, diejenigen, welche es bei ſich 
trugen, gegen Unglüd und Gefahren zu ſchützen. Daber jagt 
Wallenftein (Wſt. T. V,4) von der goldenen Kette, die ber 
Katjer ihm umgehangen: 

— — — — „Die follte 


Ein Talieman mir fein, fo lang’ ich fie 
Un meinen Halfe gläubig würde tragen." 


374 Talthybius — Tanz. 


Desgl. heißt es (Picc. III, 4): 

„Die Fabel ift der Liebe Heimathwelt, 

Gern wohnt fie unter Feen, Zalidmanen.” 
Bildl. ſpricht Lady Milford (K. u. 8. II, 1) in en auf 
ben Yürften von dem „Talisman feiner Größe”; ind eben fo 
werden (Ged. Einer jungen Freundin ind Stammbud) „Unfhulb 
und Tugend” und (Ged. D. Künftler) „bie wunberwirfenben 
Geſetze“, wodurd Gebilde der Kınft und entzüden, ald Talts- 
mane bezeichnet. 

Zaltbybius (Iph. I, 1), der Herolb des Agamemnon; er 

wurde fpäter zu Sparta göttlich verehrt, und nur aus feinen 
Nachkommen wurden die jpartanifchen Herolde gewählt. 


Zänärus (Ph. I, 1), gew. Tänaros od. Tänaron, dad jebige 
Cap Matapan, auf dem auch die Stabt Tänaros lag. 

Zäantalus (Myth.), ein jehr reicher Yürft von Lydien ober 
Phrygien, ein Günftling, oder jelbft Abkömmling der Götter, 
war der Vater des Atreus und Ahnherr des Agamemnon; daher 
(Iph. U, 4): „Tantalus Geſchlecht“. Der Sage nad ſoll er. 
verfchiedene Verbrechen verübt haben, wofür er in den Tartarus 
verjtoßen ward. Hier ftand er (Od, 11, 382) bis an den Hals 
im Waſſer, und dicht über ihm bingen die herrlichiten Früchte; 
aber diefe, wie jened wichen zurüd, wenn er feinen Hunger ftil- 
len, oder feinen Durft löfhen wollte. — Tantal's Tochter, 
|. Niobe. — Tantalus, der Gemahl der KIytämneftra (f. d.). 

Zanz, Der (Ged.), eine Elegie aus d. J. 1795, zugleich 
aber ein epigrammatifches Gedicht wegen des Schluffed. Der 
erfte Theil zeichnet ſich aus durch höchſt maleriſche Kraft der 
Sprade, die in der anmutbigften Weiſe die mannigfach wech⸗ 
felnden Bewegungen nahahmt und die Äußeren Sinne zu fefjeln 
weiß; während der Schluß den inneren Sinn zu erhabenen Re: 
gionen emporträgt und dem flüchtigen Genuß einen tteferen Ge: 
halt verleiht. In Sch.'s Natur lag ed, jede Erfeheinung mit 
finnendem Ernſte zu erfaffen unb fie durch den Zauber feines 
geftaltenden Wortes zu veredeln und zu verllären. 


Tapete — Tartarıd. 375 


Tapete, die, von dem gr. tapes, Teppich (Wfl. T. V, 3), 
- eine zierlihe Dede; auch (%. IV, 11) eine Wandbekleidung; land⸗ 
Ihaftlih auch das Tapet, eine Fußdecke od. gewirkte Tiſchdecke; 
Daher (R. I, 2): „etwas auf's Tapet bringen”, |. v. w. auftragen 
od. zum Moenftande des Geſprächs machen. Davon tapezi- 
ren, eig. mit Teppichen befleiden od. bildl. (K. u. L. IL, 1) ſ. v. w. 
ausftaffiren. 


Taphen (Iph. I, Zw.:9.), die Bewohner der zu den Joni⸗ 
then Inſeln gehörenden Taphiſchen Inſeln, welche zwiſchen Leu— 
kadia und der akarnaniſchen Küſte liegen. 

Tarock, ital. taroceo, ein wahrſcheinlich aus Aegypten jtam- 
mendes Kartenſpiel mit 78 Blättern, unter denen ſich 22 Tarocks 
od. Trümpfe befinden. Bildl. „Euer Kopf iſt Tarock“ (%. III, 4) 
d. t. er fteht auf dem Spiel. 


Zartarei od. freie Tatarei, das nördlich von Perften, 
zwiſchen dem Kaſpiſchen Meere und ben weftlichen Abhängen 
bed großen aflatiichen Hochlandes gelegene Tiefland, welches den 
Araljee umſchließt; während das öftlich davon, auf dem Hoc: 
Iande jelbft gelegene Gebiet die Hohe Tatarei genannt wird; 
Beides find Steppenländer; daher (Zur. II, 4): „die öden, wüften 
Steppen der Zartarei”. — Davon: tartariſch (Tur. Perf.: 
Berz.) und Tartarlippen (Mech. IV, 3). 


Tartarfürſt (Dem I). Sn der Krim (Sübrußland) hatten 
bie Zartaren oder befler Tataren ein fett 1441 von den Mon: 
golen, welchen Rußland tributpflichtig geworden war, unabhän: 
giged Reich gegründet. Seit 1475 buldigte jedoch der Yürft 
oder Ehan defielben dem Türkiſchen Sultan, daher die Verbin⸗ 
dung beider an unferer Stelle. 


Tärtarus (Ged. Gruppe a. d. T. — Semele 1 — Shakeſp. 
Schatten), bei den Griechen auch Hades (Iph. II, 4) oder Er&bus 
(Ged. 4.3. d. Xen. 93 — Sph. II, 4) genannt, nach einem Sohne 
bed Chaos und der Yinfternig, welcher den Titanen Hülfe leiftete 
und -bafür in den Tartarus geftürgt wırrde, hieß bei den Römern 


876 Zaflo — Taucher. 


Orcus (Ged. Hektors Abſchied — Geb. D. Triumph db. Liebe 
— Geb. 2.2. d. Aen. 15 — Ged. Klage d. Ceres — Geb. D. 
Götter Griechenlands — Iph. V, 4) und war nach ben Bor: 
ftellungen der griechiihen Mythologie dad Reich des Pluto und 
der Proferpina, zu welchem die Schatten (f. db.) berißkterftiegen; 
baber heißt er au (Ph. III, 5) dad „Rei der Schatten“ 
od. (Ged. D. Slode) „dad Schattenland”, ja felbft (Geb. 
Klage d. Ceres — Ged. D. Triumph db. Liebe) „die Hölle”, 
welche (R. II, 3) auch die „Feuereſſe des Pluto“ genannt 
wird. Der Tartarud war von einer ebenen Mauer umjchlofien 
und von dem Styr, dem Adheron und dem Kocytus (|. d.) theils 
um:, theils burdhftrömt. Seine Entfernung von der Oberfläche 
der Erde follte eben fo groß jein, wie die bed Himmels von der 
Erde. — Klage d. Ceres braucht Sch. Kocyt (f. d.) und R. 
IV, 4 felbft Santhus (f. d.) für Tartarus. 


Zaflo (Gftſ. 10, 241 u. 247). Torquato Taflo, geb. 1544 
zu Sorrento, + 1595; einer ber bebeutenditen italienifchen Dich⸗ 
ter, der fich bejonderd durch fein Epos „daß befreite Serujalem“ 
berühmt gemadht hat. 

Zaube, weiße (3.9. D. Prol. 3), j. Maria. 


Zauder, Der (Ged.). Schiller bat fi über die Duelle, 
welche ihm zu dieſer Ballade aus dem Sahre 1797 zu Gebote 
geftanden haben mag, nicht außgejprocdhen. Die Sage von einem 
Taucher, defien fühne Wageſtücke die allgemeinfte Berwunderung 
erregten, findet fi bei mehreren Schriftitellern. Zunächft er: 
zählt ein Neapolitaner Alerander ab AWlerandro von einem Tau: ' 
her Namens Eoldn (Nikolaus), der fih am liebſten im Meere 
aufbielt, jo daß er von feinen Zeitgenofien allgemein „der Fiſch“ 
genannt wurde. Er übernahm es häufig, Botſchaften ſchwim⸗ 
mend über dad Meer zu bringen und ſetzte oft mitten auf dem⸗ 
felben die Schiffer Durch feinen Zuruf in Erftaunen. Bei einem 
Bolköfefte in Meſſina warf der König eine goldene Schale in 
dad Meer, die dem Colan als Preid angeboten wurde, wenn er 


Taucher. 977 


fie aus dem Strudel herauf hole. Er ftürzte hinunter, warb 
aber nie wieder gefehen. — Einem anderen Schriftfteller, Tho⸗ 
mas Fazelli, zufolge fol er die Schale zweimal beraufgeholt 
Gaben, beim dritten Male aber verſchwunden fein. — Ein Spa- 
nier Feyjoo (+ 1765), deflen Erzählung unferer Ballade noch 
näher kommt, bezeichnet den König mit dem Namen Friedrich, 
der über Neapel und Gicilien herrſchte. Ehen fo thut dies der 
gelehrte Jeſuit Athanafius Kircher (+ 1680 zu Rom), welcher 
feiner Angabe nah die Geſchichte von einem Archivar aus den 
königlichen Alten erhalten bat. So groß die Uebereinftimmung 
feiner Erzählung mit dem vorliegenden Gedichte auch tft, fo hat 
Schiller (einem Briefe an Goethe zufolge) diefe Duelle doch nicht 
gefannt. Vielleicht aber bat ihm das bereitö unter dem Artikel: 
„Kampf mit dem Drachen“ erwähnte Wert „E. G. Happelii Re- 
lationes curiosae* zu Gebote geftanden, in welchem Bol. I, ©. 83 
bei Gelegenheit der Beſchreibung der „gefährlichen Scylla und 
Charybdis“ eine Geſchichte unter dem Titel „Der Verwun— 
derung3würdige Teucher“ mitgetheilt wird. Sn diefem 
Bericht hat befonderd die Befchreißung bed untertrdiichen Stru⸗ 
dels mit der Schiller’jchen Darftellung eine überrafchende Aehn- 
lichkeit. — „Der Taucher ift eine Ballade von hoher poetifcher 
Schönheit. Schon dad Versmaß, der mit munteren Anapäften 
(u) gemiihte Daktylus (2), bringt eine äußerſt lebendige 
Wirkung hervor. Zugleich offenbart fi in den vorherrſchenden 
männlihen Reimen, mit denen die vier erfterr Verſe jeder Stro⸗ 
phe fchließen, eine dem Ganzen recht treffend angepaßte Kraft, 
während die beiden weiblihen Schlußreime diefelbe in wohl- 
thuender Weife mildern und außerdem die Strophengliederung 
bem Hörer in recht gefälliger Weiſe bemerflich machen. Obgleich 
der Stoff an ſich jchon poetiſch genug iſt, zumal er und in eine 
geheimnißvolle, unzugängliche Region verjegt, welche der Volks⸗ 
geift jo gern mit phantaftifchen Gebilden belebt, jo bat doch bie 
Sage unter ber Hand ded Dichterd außerordentli gewonnen. 
Zunächft ift der Grundgedanke der Vermwegenheit bed Menfchen, 


378 Taxis — Taxus. 


der ſich anmaßt, die von der Natur geſetzten Schranken zu durch⸗ 
brechen, ſehr ſchön in den Worten ausgedrückt: „und der Menſch 
verſuche die Götter nicht”; außerdem aber treten ftatt der in der 
urfprüngliden Sage allein antreibenden Habſucht hier zunächſt 
die Ehre und dann die Liebe als Triebfedern zu bem großen 
Wageſtück auf. In Betreff ber Ausführung ift aber vor allen 
Dingen die objective Haltung hervorzuheben, welche dad Gedicht 
auch denen zugänglich macht, die nicht im Stande find, den 
überfinnlihen Ideen zu folgen, bie jo häufig den Snhalt der 
Schiller'ſchen Dichtungen bilden. Endlich erjcheint die Ballade 
in Betreff ihrer Diction ald ein Meifterwerk erjten Ranges, in- 
dem die finnlichen Vorſtellungen, mit denen fie ed zu thun bat, 
jo unmittelbar in die ſprachliche Hülle überfließen, daß man fich 
jhwerlich einen höheren Grab von Vollkommenheit in der Dar: 
ftellung denken Tann. 


Taxis (D.C. III, 15) oder Thurn und Tariß, ein aus 
Mailand ftammendes fürftliches Geſchlecht, ift für die ſpaniſchen 
Niederlande und fpäter für Deutfchland durch Die Einrichtung 
eines geordneten Poftwejend berühmt geworden. Der Gründer 
befielben, Roger I., begab fich in der zweiten Hälfte bed 15ten 
Jahrh. nach Deutfchland, wo er die erften Einrichtungen in Ti 
rol traf; fpäter errichtete fein Sohn eine Poftverbindung zwiſchen 
Brüffel und Wien, wofür er von Kaijer Marimilian I. den Titel 
eined Generalpoftmeifterd erhielt. Carl V. ließ ald Regent der 
Burgundifhen Niederlande dad Snftitut erweitern, jo daß bie 
Voften in Deutſchland vorläufig noch ſpaniſch-niederländiſche, 
aber feine Reichöpoften waren; zu ſolchen wurden fie erft 1595 
umgeftaltet. 


Zarus, auch Eibenbaum [Taxus baccata], ein zur Yamilie 
der Rabelhölzer geböriger, langjam wachjender Baum oder 
Straud mit dunkelgrünen, ſchmalen Blättern, ber jeiner Dichten 
BVeräftelung wegen häufig zu Hedenanlagen benubt wird; daher 
(Ged. D. Erwartung): „dunkele Taxuswand“. 


Te Deum — Tempo. 879 


Ze Deum (D. C. IV, 24), der von dem heiligen Ambroflus, 
Biſchof zu Matland, im 4. Jahrh. gedichtete Lobgejang, welcher 
mit den Worten Te Deum laudamus (Herr Gott! dich loben 
wir 2c.) beginnt und, von Luther überjeßt, auch unter unfere 
Kirchenlieder aufgenommen iſt. Er wird gewöhnlich bet befon: 
ders feierlichen Gelegenheiten gefungen. 

Tefflis (Zur. I, 1), jebt gew. Tiflts, eine füdlih vom 
Kaulafud, an dem zum Kaſpiſchen Meere gehenden Kur gelegene 
Stadt. 

Tegerfeld, vergl. Eſchenbach. 

Telamone, vergl. Ajax. 

Tellus, f. (Ged. Semele 1u.2 — Ged. 2. B. d. Ken. 125), 
lat. die Erbe. 

Temeswar (Wft. 2. 5), Stadt in dem zur Woiwodſchaft 
Serbien gehörigem temefer Banat. 


Zempel der Gerechtigkeit (M. St. 1,4) wirb der Parla: 
mentjaal genannt, weil in bemfelben die Landesgeſetze berathen 
werden, nach denen die Richter ihr Urtheil zu ſprechen haben. 


Zempel des Ruhmes (D. ©. 1,2), Anfpielung auf den 
Tempel des Mard zu Rom, in weldhem der Senat den Feld⸗ 
herren, die um die Ehre des Triumphs baten, Audienz ertheilte. 
Die in der vorangehenden Rede ded D. C. ſich findende Stelle: 
„preiundzwanzig Jahre — und nichts für die Unſterblichkeit ge- 
than“ ift einem Worte bed Julius Caeſar nachgebildet (f. Sue: 
tonius, 3. Caeſar c. VII). 

Temperament, lat. temperamentum, eig. ein Maͤßigungs⸗ 
od. Milderungsmittel; gew. (GEſtſ. 10, 128) die natürliche Ge⸗ 
müthaftimmung; biäw. (F. II, 2) Hang zur Sinnlichkeit. 

Tempo, ital. von bem lat. tempus, die Zeit; gew. dad Zeit: 
maß, auch (Wit. 2. 6) taktvolles Benehmen, od. (K. u. L. III, 1) 
vorfichtiged Auftreten; in dem legteren Sinne auch: temport: 
firen, fra]. temporiser, eig. fi in die Zeit fchiden, dann auch 
(Picc. U, 6) zögern, etwas hinhalten. 


880 Tenedos — Thalvogt. 


Teénedos (Geb. 2. B. d. Aen. 4 u. 34), eine Inſel an ber 
trojaniſchen Küfte, dem Vorgebirge Sigeion gegenüber, von wel: 
dem fie durch ben ſig aiſchen Sund (Geb. 2.2. d. Aen. 55) 
getrennt tft. 

Teppich, ſ. Tapete. 

Tete a Tete, frzſ. töte & tere, d. 1. Kopf gegen Kopf (Gſtſ. 
10, 256), eine geheime Unterredung. 

Tethys ( Myth.), eine Tochter des Uranus und der Gaͤa, 
d. h. des Himmeld und der Erde, wurde (Geb. Semele 1) mit 
ihrem Bruder Hyperion (ſ. d.) vermählt und ift demnach (Geb. 
Hero u. Reander; Str. 10) die ältefte Meeresgöttin. Nicht fie 
(Ged. D. Abend), jondern ihre Tochter Kiymene war die Geliebte 
bes Phöbus. 

Zeufelgmünfter, |. Buggidgrat. 

Zeufrer (Ged. 2.8. d. Aen. 2) od. Teufrter (ebendaf. 5) 
wurden bie Trojaner nach ihrem Könige Teucer oder Teukros 
genannt. 


Tert, von bem lat. textus, eig. ba8 Gewebe; ferner: das 
zufammenhängende Wortgefüge einer Rede, bei. eine Bibelftelle, 
welche einer Predigt zu Grunde Itegt; bildl. der Gegenſtand, 
von dem in einem Buche (%. I, 3) oder einem Liede (D. &. II, 8) 
die Rede tft. 


Thalia, |. Mufe (Geb. An d. Freude); der Titel einer Zeit- 
ſchrift, welche Sch. 1784— 1793 herausgab und in welder er 
auf die Berbeflerung der Bühne zu wirken ſuchte. An ihre 
Stelle traten von 1793 an die Horen (ſ. d.). 

Thalvogt, der graue (Wit. T. I, 1), vgl. Föhn. €. Otto 
(Wilhelm Tell, mit englifchen erflärenden Roten verjehen. Stutt- 
gart, Cotta, 18366) macht bei diefem Ausdrud folgende interef- 
fante fprachliche Bemerkung: „Foreigners generally mistake this 
word „Xhalvogt“ for governor of the valley. Nothing is more 
ridiculous. Thalvogt is here a name of a foggy wind (dale- 
fog, fog of the valley); the syllabe „opt“ is the same root 


Than — Thella. 381 


as the English fog, Nebel. The „Thalvogt“ is well known as 
the precursor of a storm.“ 


Thon (Meb. 1,2), bei Schotten ein Titel für Yönigliche 
Haus: und Waffengenoſſen. 


Theater, eig. der Zuichauerplaß, die Schaubühne; Thea: 
terftüd (R. Borr.) ein Schaufpiel; theatraliſch (ebendaf.), 
bühnenmäßig, jchaufptelmäßig. 

heben (Geb. Semele 1 — Bed. 4. B. d. Yen. 86 — 
Phön.), die Hauptftabt von Böotten. Den Grund dazu legte 
1500 v. Chr. Kadmus (f. d.) durch die Erbauung der Burg, um 
welche herum Amphion (ſ. d.) nachmals die Stadt anlegte, bie 
er mit Mauern umgab. — Davon: Thebaner (Phön.), die 
Bewohner von Theben. — „Das thebaniſche Paar” (Br. 
v. M. 5, 402) find des Debipus Söhne Eteofled und Polynices 
(vergl. Phön.), die im Zweilampfe fielen. 

Theeſatz, vergl. Kaffeefab. 

Zheilnehmung (R. I, 1 — GEftſ. 10, 20), ungewöhnlich für 
Theilnahme. 

Theilung, Die, der Erde (Ged.), ein Gedicht aus dem 
Sabre 1795. Sch. nennt es in einem Briefe an Goethe eine 
Schnurre, welche biefer, falls ed ihm Spaß mache, dem Herzog 
vorlefen möge. Goethe bezeichnet in feiner Antwort „Dad Theil 
des Dichterd ald ganz allerliebft, wahr, treffend und tröftlid.“ 
Die Bezeihnung „Schnurre” war wohl nur ein augenblidlicher 
Einfall, der höchſtens in Rückſicht auf die frühere, allerdings 
mangelhafte Form paßte. Durch die jebige Geſtaltung bat Der 
durchaus ernfte und würdige Inhalt einen correcten Ausdruck 
erhalten. 


Thekla, eine Geiſterſtimme (Ged.). Diejed Gedicht aus 
b. J. 1802 ſteht in Beziehung zu „des Mädchens Klage“ (ſ. d.) 
und zu dem Wallenſtein überhaupt. Sch. hat in dem Drama 
(Bf. T. IV, 12) Theklas Ausgang zwar angedeutet, den Zuſchauer 


882 Themis. 


jedoch in Ungewißheit gelaflen, ob das dort geäußerfie Vorhaben 
denn auch wirklich zur Ausführung gelommen fei. Durch biefes 
Gedicht nun rechtfertigt er gewiflermaßen die jcheinbare Lüde in 
dem Drama, und zugleich läßt er Thekla jelbft ihren verzweifel: 
ten Schritt vertheidigen. So wie fie in „bed Mädchens Klage“, 
von ber in den Piccolomint nur die beiden erften Strophen ge- 
fungen werben, mit ven Worten ſchließt: „Sch babe gelebt und 
geliebet”, fo ftellt fie der dort geäußerten Todesahnung Hier 
die Gewißheit gegenüber mit den Worten: 

Hab' ich nicht beſchlofſen und geendet, 

Hab’ ich nicht gelebet und geliebt?" 
Was iſt ihr „das Leben ohne Liebesglanzz?“ Mit dem Gegen: 
ftande ihrer Liebe mußte auch ihr Leben fich enden, um in bö- 
beren Sphären eine Bereinigung zu vollziehen, wo alled &etftige 
von ben irdiſchen Schladen gereinigt erjcheint, und die Anfchauung 
eine verflärten Dajeind, wenngleih auf Erden nicht viel mehr 
als ein kindiſches Spiel unjerer Phantaſie, vielleicht in nicht ge- 
ahnter Weife zur Gewißheit wird. 

Themis (Mpyth.), eine Tochter bed Uranus und der Gaͤa, 
die Geliebte ded Zeud und Mutter der Horen (ſ. d.), war ur: 
fprünglih Die Rechtſprechende und Entſcheidende in den Orakeln, 
daher vor Apollo die erfte Gottheit, welche als die Beſchützerin 
des Orakels zu Delphi galt. Ihr Bildniß wurde in den Ge 
richtshallen aufgeftellt; Schwert und Wage find ihre Attribute; 
fie ſelbft tft das Sinnbild der Gerechtigkeit, wie (Geb. D. Elen- 


ige de): „Them is felber führt den Reigen.” 
womit die Hülfe, welche die Götter den Menſchen bringen, als 
ein Act ihrer Gerechtigkeit bezeichnet wird; ferner (Menſchenf. 6): 
„Laflet Die Wage des Richters aus euren fehuldigen Händen fal- 
len”; und (M. St. 1,7): 

„das gerechte Schwert ber Themis,“ 
wo fie als Sinnbild der firafenden Gerechtigkeit erſcheint. — 
Biöwetlen bedeutet fie geradezu ſ. v. w. Gerechtigkeit, wie 
(Ser. D. Slüd): 


Themfe — Therſites. 983 
„Auf dem gefchäftigen Markt, da führe Themis die Wage, 
Und es mefle der Lohn fireng nach ber Nähe fi ab.” 
und (Br. v. M. 5, 467): 
„Drunten aber im Ziefen figen 
Lichtlos, ohne Gefang *) und Sprace, 
Der Themis Töchter, die nie vergeffen, 
Die Uintrüglichen, bie mit Gerechtigkeit meſſen, 
Sangen es auf in ſchwarzen @efäßen, 
Rühren und mengen die Ichredlihe Made." 
wo Sc. fogar bie Erinnyen ald Töchter ber Gerechtigkeit be- 
zeichnet. — Die Stelle (Wit. L. 11): 
„Das Schwert tft nicht bei ber Wage mehr“ 
bedeutet: Der Krieg kann nicht immer nach firengem Rechte ver- 
fahren. 

Themfe (Bed. An d. Freunde), ein im weftlichen England 
entipringender, unterhalb Londons in die Nordjee mündender 
Fluß. 

Theophante, d. t. Sottederfcheinung; ein Epigramm (Ged.) 
ans d. 3. 1795. Der Glüdliche (vergl. Die zwei Tugendwege) 
HM nah Sch.'s Anficht „der, welcher, um zu genießen, nicht no⸗ 
thig bat, unrecht zu thun, und, um recht zu handeln, nicht nö⸗ 
thig bat, zu entbehren”; er ift alfo frei von Verſuchung, feine 
Zugend bedarf keines göttlichen Schuged. Der Leidende nder 
Unglüdliche dagegen, d. h. derjenige, deſſen Reigungen der Tu⸗ 
gend widerftreben, ift des göttlichen Beiftandes bebürftig. 


Theoretiker (K. d. H.), aus dem gr.; ein Kenner einer 
Wiſſenſchaft, der fich aber nicht mit ihrer Ausübung befchäftigt; 
theoretiſch (Bed. D. Philoſophen), beſchauend, wiffenfchaftlich, 
bef. im Gegenſatz zu praktiſch (1. d.). 

Therfites (Ged. D. Siegedfeft), einer der häͤßlichſten und 
bösartigften Griehen in dem DBelagerungdheere vor Troja. 
Homer ſchildert ihn (31.2, 212— 271) als lahm, budelig, ſchielend 


*) Der Eumentbenchor dagegen hat (Geb. D. Künftler, Str. 17) Gefang. 


384 Theſeus — Theſtius. 


und kahlköpfig, und beſonders von Haß gegen die vornehmſten 
Helden eingenommen. Er rieth, die Belagerung aufzuheben und 
nach Griechenland zurückzukehren. 


Theſeus (Ph. J, 1), ein Sohn des Aegeus, einer ber größ⸗ 
ten Helden aus der griechiſchen Sagenzeit, zeichnete ſich in ſeiner 
Jugend durch mancherlei Heldenthaten und ſpäter als König von 
Attika durch weiſe Staatseinrichtungen aud. Beſonders war er 
der Begründer der demokratiſchen Verfafſung Athens, daher (Ged. 
D. Kraniche d. Ibykus) „Theſeus Stadt“, was Sc. fpäter in 
„Cekrops (|. d.) Stadt“ umgewandelt hat. — Theſeus Sohn 
(Iph. I, Zw.:9.) wird jelbft von Firnhaber, dem ausführlichen 
philologifhen Erflärer der Sphigente nicht namhaft gemacht. 
Euripided weicht nämlich hier von der homeriſchen Darftellung 
in der Aufzählung der Belämpfer Troja's ab und Hat ftatt 
Meneftheud den Sohn bed berühmten Heroen Theſeus aus 
allerlei naheliegenden Motiven gewählt. Er mag. dabei felbft 
an feinen befonderen Namen gedacht haben. 


Thespis, welcher zur Zeit des Solon (600 v. Chr.) in Athen 
lebte, wurde für den Erfinder des Traueripield gehalten. Als 
Bühne diente ihm ein Wagen, woburd ber Ausbrud „der 
Karren bed Thespis“ oder (Bed. D. Künftler — An Goethe) 
„Thespis Wagen“ ſprüchwörtlich geworden ift. 


Theflalien, der Tefielartig geftaltete Theil des nördlichen 
Griechenlands, der zwiichen dem Pindus und dem Archipelagus 
lag und nörbli von den Kambunifchen Bergen (jet Voluzza⸗ 
Geb.), jüdli von der Othryskette begrenzt war. Davon theſſa⸗ 
liſch (Ged. 2. B. d. Aen. 33), vergl. Achilles und Theſſa— 
lierinnen (Spb. IV, 3w.:H.), vergl. Muſen. 


Thefiandrus (Ged. 2.32. d. Aen. 45), einer von den grie- 
chiſchen Helden, die ſich in dem trojaniſchen Rofle befanden. 


Theftins (Iph. I, 1), ein König von Netolien, der Bater 
der Leda. 








Thetis — Thule, 385 


Thetis (Myth.), eine Flußnymphe, die berühmtefte Tochter 
des Nereus (ſ. d. u. Nymphen [Nereiden]) und der Doris, die 
Gattin ded Peleus (Iph. III, 4) und Mutter ded Achilles (f. d.). — 
Irrthümlich fteht (Ged. Semele 1 — Bed. D. Abend — Geb. 
Hero u. Leander) in einigen Ausgaben Thetid für Tethys 
G. d.). 


Thierkreis od. Zodiakus, abgek. Zodidt (Wfl. T. J, 7), 
ein etwa 20° breiter, aus 12 Sternbildern beftehender Gürtel 
bed Himmelsgewölbes, Innerhalb deflen die Sonne ihren jchein- 
baren Zahreslanf vollendet. Da die Sternbilder von ungleicher 
Breite find, jo Hat man feit den älteften Zeiten den Thierkreis 
in 12 gleiche Theile getheilt und diefen die Namen ber Stern: 
bilder gegeben, jo daß die „Zeichen des Thierkreiſes“ (Picc. 
Il, 2) nur im Großen und Ganzen mit den betreffenden Stern- 
bildern übereinftimmen. 


Thoas (Bed. 2. B. d. Yen. 45), König von Xetolien, ein 
tapferer Held vor Troja. 


Thor, Das (Ged.), ein Epigramm aus d. S. 1797. Es 
erinnert an einzelne Scenen aus dem „Eleuftiihen Feſt“ und 
ftellt in finniger Weife Vergangenheit und Gegenwart zu: 
fammen. 


Thracien (Ged. Semele 2), der Theil der heutigen Türkei, 
welcher nördlich von dem Hämus, im W. von dem Dedpoto 
Dagh, im ©. von dem Archipelagud und im D. von dem 
Schwarzen Meere begrenzt wird. Es tft wahrfjcheinlich der Urfig 
der älteften pelasgiſchen Eultur, wie die Sagen von dem Thra: 
eter od. Thraker Orpheus (f. d.), Linus (ſ. d.) und anderen 
beweiſen. 


Thule (Ged. D. Spaziergang), ein fabelhaftes Inſelland, 
dad gewöhnlich nach dem äußerſten Norden Europa's verlegt 
wird. Bald verjtand man barunter dad nörblide Schottland, 
bald Island, bisweilen auch die norwegijche Küfte. 

IL 25 


386 Thurgau — Tieffenbad. 


Thurgau (W. T. IV, 2), am füblichen Ufer des Bodenfees, 
einer der neueren Santone der Schweiz, der erſt 1803 hinzuge⸗ 
kommen ift. 


Thurn, Graf (Picc II, 5 u. IV, 5 — Wſt. T. 1,2), der 
erfte Anführer der Evangeliſchen in Böhmen, durch deren Auf 
ftand (Dr. Kr. 40) der dreißigjährige Krieg veranlaßt wurde. 
Im Zahre 1633 commantirte er (Picc. IL, 7) Heinere Abthei- 
Iungen der Schweden in Schlefien, wo er nad) Arnheim’3 Abzug 
befiegt und gefangen, aber von Wallenftein zum größten Berdruß 
ber Sefuiten (vergl. Dr. Kr. 388) entlafien ward, da er ihm als 
Unterhändler mit Guſtav Adolph gedient hatte. 


Thymbrier, ſ. Apollon. 


Thymot (Ged. 2. B. d. Xen. 6), einer ber Aelteſten in 
Zroja. Ein Seher hatte geweifiagt, an einem gewifien Tage 
werde ein Knabe geboren werden, durch welchen Troja feinen 
Untergang finden könne. Als dem Thymdt an diefem Tage ein 
Sohn geboren wurde, ließ Priamus denfelben tödten, weshalb 
der von Rachegefühl erfüllte Vater den Rath gab, das hölzerne 
Roß in die Stadt zu ziehen. 


Thyrſus, |. Bacchus. 


Tiberſohn (R. IV, 5), ſ. v. w. Römer, weil Rom an der 
Tiber lag. 


Tibullus (Albius), abgek. Tibuͤll (Sp. u. d. L.), einer der 
vorzüglichften römiſchen Elegiendichter, + 20 v. Chr. 


Tieffenbach (Picc. Perſ.Verz.), der Dr. Kr. 217, 276 u. 
283 genannte Tatferlihe General, der mit feinen Regimentern 
längere Zeit ruhig in der ſchleſiſchen Garnifon gelegen. Daher 
die verftändige, bürgerfreundlihde Gefinnung bed Arkebuſiers 
(Wſt. L. 10), die der Säger philifterhaft findet, und weshalb er 
biefe Truppen ald „Gevatter Schneider und Handſchuhmacher“ 
bezeichnet und von ihnen (Wſt. L. 11) jagt: „Aber das denkt 


Zien — Tirſchenreuth. 387 


wie ein Seifenfleder”, zwei Ausſprüche, die zu geflügelten Wor⸗ 
ten geworden find. 


Tien (Tur. II, 2), einer der Götter, weldhe ber Sage zufolge 
mehrere Millionen Zahre hindurch China regierten. 


Tilly (Joh. Tzerflad, Graf von), geb. 1559, trat erft in 
fpantiche Kriegödienfte, wo fich bei ihn unter Alba’8 Oberleitung 
der Eifer für die Vertilgung der Keger ausbildete, ſpäter (Dr. 
Kr. 123) in bairtfche Dienfte, wo Herzog Martmiltan ihn bald 
zum Yeldmarfchall ernannte. Hierauf Teiftete er dem ligiftiſchen 
Heere ald Oberfeldherr die bebeutendften Dienfte. Eine intereffante 
Charakteriftit feiner Perfönlichkeit findet ſich Dr. Kr. 185. Bor 
der Schlacht bei Leipzig rühmte er ſich, nie betrunfen geweſen 
zu fein, nie ein Weib berührt und nie eine Schlacht verloren zu 
haben; daher (Wſt. 8. 6): 

„Dem eigenen Körper war er ftrenge, 
Dem Soldaten ließ er vieled paffiren.” 


Aber Guftav Adolph ſetzte feinem Ruhme ein Ziel, indem er 
ihn zuerft (7. Sept. 1631) bei Leipzig und Breitenfeld und bald 
darauf am Lech (Picc. I, 2 — Bft. X. III, 13) ſchlug, wo ihm 
der Schenkel zerjchmettert wurde; was jeinen Tod (30. April 
1632) zur Folge hatte; daher (Wft. L. 6): „Der Tilly überlebte 
feinen Ruhm,” 


Zirefiad (Bed. Shakeſpeare's Schatten), der Sage nach der 
Sohn einer Nymphe, war von den Böttern geblendet, dafür aber 
mit der Kunst wahrzufagen begabt worden. Er ftarb in hohem 
Alter, ald er bei dem Kriege der Epigonen gegen Theben in die 
Gefangenſchaft geführt werben follte. 


Tirrel (Wrb. Fragm. Se. 2), richtiger: James Tyrrel, der 
Mörder der Söhne Eduards IV. 


Tirſchenreuth (Wit. T. IV, 4 u. IV, 10), baierſches Städt- 
ben an der Waldnaab, nahe der — Grenze, ſuͤdlich 


von Eger. 
25* 


888 Tiſhburn — Todesgoͤtter. 


Tiſhburn (M. St. 1, 6) in Robertſon's History of Scotland 
(II, 264): Chidioc Tichbourne, einer der Männer, weldye in ber 
gegen Elifabeth gerichteten Verſchwoörung Savage's (f. d.) und 
Babington’3 (1586) die Ermordung der Königin übernahm. 


Zitan, ſ. Helioß. 


Zitänen (Ged. D. Künftler) oder Uraniden, Söhne des 
Uranos und der Gaa, weldhe den Jupiter befriegten, der fie 
dafür in den Tartarus binabfchleuberte; bildl. (R. LI, 3) |. v. w. 
Riejen. 

Tithoͤnus, abgek. Tith oͤn (Geb. 4.2. d. Xen. 106), ab: 
medon's Sohn und Bruder bed Priamud, war von Aurora 
geliebt, die ihn jeden Abend befuchte und fih jeben Morgen 
von feinem Lager erhob, um den Sterblichen die Ankunft des 
Tages zu verkünden. 


Titus (Ged. Pompeit u. Herculmum — Sp. u. d. 8.), 
römischer Katfer, Sohn und Nachfolger Beipaflans, regierte 
von 79—81 u. Chr. und zwar jo milbe und vortrefflidy, 
daß er bie Liebe und Wonne des Menichengeichlechtd genannt 
wurde, 

Tityos (Bed. D. Triumph d. Liebe) hatte fi nach Homer’ 
Odyffee XI, 576 fchwer gegen des Zeud Geliebte, Latona, ver- 
gangen, weshalb er in den Tartarus gejchleudert wurde, wo 
zwei Geier fortdauernd an feiner ftetö ſich erneuernden Leber 
nagten. 


Tobias (R.I, 1), der Held eines der apokryphiſchen Bücher, 
welches bie poetiſch ausgeſchmuͤckte Geſchichte eines Juden in der 
affyriſchen Gefangenſchaft erzählt. 

Tochter des Schaums, ſ. Aphrodite. 


od (K. u. L. V, 1), vergl. Genius mit ber umgekehrten 
Fackel. 


Todesgoötter (J. v. DO. IH, 4), |. Manen. 


Todesnetz — Tontunſt. 889 


. Zodedneg (M. St. I, 4). Es ift bei Schiller’8 Studium 
des altgriechtichen Dichter Aeſchylus (j. Br. v. M.) nit um 
wahrſcheinlich, daß Hierin eine Anfpielung auf die Art Itegt, wie 
Agamemnon im Bade mit Hülfe eines ihm verrätheriich über: 
geworfenen Nebed getödtet wurde, nachdem er durdy feiner Ge⸗ 
mahlin Klytämneftra erbeuchelte Liebe und Ehrfurcht ficher ge 
macht war. 

Zodtenriäter, |. Minos. 

Zodtenfäiffer, |. Charon. 

Toilette, frzf. der Putztiſch der Frauen; bef. auch das Pup- 
geräth, der Pupkram; daher (Geb. D. berühmte Frau): „bie 
Toilette wartet fchon”; ferner der Anpub ober dad Anordnen 
eined Theils defielben, wie (Bft. 10, 235): „die Toilette ift ge 
macht“. Da der Putz beſonders Gefallen erregen ſoll, jo nennt 
Leonore (%. II, 2) ſogar das Erröthen einen Totlettenpfiff, 
d. h. ein Kunftftüd der Coquetterie. 

Tokaierwein (Picc. IV, 6), der edelfte Wein Ungarns, wel 
her bei Tolay an ber oberen Theiß auf einer langen Hügelreibe, 
Hegyallya genannt, wächſt. 

Toledo (D. C. I, 1), die alte Hauptſtadt Spaniens, am 
Zajo, füdweitlich von Mabrid gelegen. D. C. II, 10 u. III, 4 wird 
Ferdinand Alvarez von Toledo, Herzog v. Alba, kurz Toledo 
genannt. : 

tolerant (8. d. 9.), von dem lat. toleräre, ertragen, duld⸗ 
fam. Davon Toleranz, Duldfamlelt od. (8. u. L. IV, 3 — 
Gſtſ. 10, 214) Nachſicht. 

Tolltrotz (R. IV, 2 — F. II, 5) ſ. v. w. finnlofer Ueber: 
muth. 

tölpeln (%. II, 8), mit Dummheit und Schwerfälligfeit 
auftreten. 

Zonkunft (Geb.), ein Epigramm aus d. 3.1800. Die bil. 
. denden Künfte: Malerei, Bildbauertunft und Muſik Haben in 


8% Tonne Goldes — Tower. 


ihren Werken Stimmungen des Gemũths muözubrüden, und 
ambererjeitö rufen fie dergleichen Stimmungen durch biefelben 
hervor. Sie ftehen alfo allein im Dienfte der Phantafie, wäh: 
rend die Dichtkunſt auch den denkenden Geift zu befriedigen hat. 
Unter den bildenden Künften bat ed die Tonkunft (Polyhymnia 
N. Mufen]) mit der von aller Reflerion befreiten Empfindung 
zu thun, die fie allein unmittelbar außjpricht, und die der Dichter 
bier mit Seele bezeichnet. Bergl. dad Epigramm: Sprache. 


Tonne Boldes (Picc.IV,4), eine Einheit, nady ber früher 
häufig gerechnet wurde; ihr Werth betrug je nach der landes- 
üblihen Münze 100,000 Reichäthaler oder Gulden. 


Topf und Töpfer (Geb. Semele 2 — Sp. u. d. 2), ein 
Bild, weldhes an Ser. 18, 2—6; Jeſ. 45, 9 u. Röm. 9, 20—21 
erinnert. 

topographif (Ged. D. berühmte Yrau), von dem gr. 
töpos, Ort u. gröäphein, ſchreiben; eine Dertlichleit beichreibend 
od. zeichnend. 

topp (RK. u. 8%. V, 7), |. v.w. ed fei! eingefchlagen! „topp 
machen“ (ebendaf. I, 1), ſ. v. w. im Einverftändnifle fein. 

Zortur (R. I, 3 — F. II, 9), vom lat. torquere, drehen, 
frümmen; die Yolter oder gerichtlihe Peinigung mit befonderen 
Marterinftrumenten, ein Verfahren, das bis zu Ende des vorigen 
Jahrhunderts angewendet wurde, um die Angefchuldigten zum 
Geftändniffe zu zwingen. 

Torus, lat. ein Ruhelager, bef. (Ged. Semele 1) das 
Ehebett. 


Zoul (3.0.0.1, 10), Iothringifhe Stadt an der Mofel. 


Zoulon (M. St. II, E— N.a.D. 1,4), einer ber bedeutend: 
ften franzöſiſchen Kriegähäfen, am Mittelmeer gelegen. 


Zower [ipr. Tauer], eine alte Burg in dem öſtlichen Theile 
von London, bis auf Elifabeths Zeit die Wohnung (M. St. II, 8) 





Zrabanten — La Trappe. 391 


der englifchen Könige; zugleih auch (M. St. IV,5 u. IV, 6 — 
Wrb. 11) da8 berühmtefte engliiche Staatögefängniß. 


Trabanten, ital. trabänte, von dem deutfchen traben oder 
laufen; eig, ein Läufer; dann auch (F. IV, 7 — M. St. IV, 4) 
Begleiter oder Leibwächter eined Yürften. 


Träber (8. u. 8. IV, 3), deren Luc. 15, 16 erwähnt wird, 
find die Früchte des Sohannisbrotbaums (Ceratonia siliqua), die 
in Paläjtina nur den ärmften Leuten und dem a zur Speiſe 
dienten. 


tractiren, von dem lat. tractäre, eig. ziehen, dann behan⸗ 
deln, auch (R. 1,2) bewirthen. Davon Tractament (R. II, 2), 
die Bewirthung. 


Tragödie, gr. tragodia, b. 1. wörtl. Bocksgeſang, weil bie 
Bolledichtungen, aus denen nachmals die Trauerfpiele hervor: 
gingen, an Bacchußfeften, vermuthlich bei einem Bodöopfer, oder 
von bodsähnlich verkleideten Feſitänzern dargeftellt wurden; gew. 
ein ernfted Drama, bei. (Br. v. M. Einl.5, 378) ein Trauerfpiel, 
wie (3.0. D., Titel): „eine romantifhe Tragödie”. — Davon: 
tragifch, trauerjpielartig od. (%. II, 2) Häglih, bemitleidens- 
wertb; Tragöde (Bed. Shakeſpeare's Schatten) od. Tra⸗ 
gödienjchreiber (R. I, 2), ein Xrauerjpieldichter; tragt: 
komiſch (Zur., Titel) od. komiſch-tragiſch (Geb. Elegie a. 
db. Tod e. Tünglingd), halb traurig, Halb Iuftig; Tragi- 
Komödie (R. II, 1), ein Schaufpiel, in welchem ein ernfter, 
tragifcher Stoff komiſch behandelt ift. 


Ra Trappe (D. ©. I, 3), eine im Jahre 1140 geftiftete 
Giftercienfer: Abtei, welche nordweftli von Paris in einer oͤden 
Gegend der Normandie liegt. Ein fchwieriger Eingang, nad 
welchem die Stelle la trappe (d. t. die Fallthür) benannt worden 
ift, führt zu einem von Wald und Felſen eingeichlofienen Thale, 
befien tiefed Schweigen mit den ſtrengen Sorberungen der Ent- 
fagung in vollftem Einflange fteht. 


892 Zranbenfohn — Treue. 


Zraubenfoßn, heißer (R. IV, 5), f.v.w. Branntwein, bef. 
Sranzbranntwein, der durch Deftillation von Weinhefen unb 
Weintrebern gewonnen wird. 


Treib (WB. T. I, 4), ein einzeln ftehenbeß Haus auf einer 
Landipige am Fuße des Selisberges, zwifchen dem Urner⸗ und 
Vierwaldftätter:See, Brunnen gegenüber. 


Treue, Deutſche (Ged.), eine epigrammatiſche Ballade, oder 
ein hiſtoriſches Epigramm aus dem Jahre 1795. Aus Sch.8 
damaliger Beihäftigung mit Epigrammendicdhtung, jo wie ans 
feiner Vorliebe für Contrafte erflärt fih die Wahl des elegi- 
ſchen Versmaßes, deſſen er fich bei feinen fpäteren Balladen 
nicht mehr „bediente. — Nach Katjer Heinrich VII. Tode brach 
eine heftige Zwietracht in Deutſchland aus. Herzog Friedrich 
der Schöne von Deftreich, von einer mächtigen Partet unterftügt, 
firebte nach ber Kaiſerkrone. Ihm gegenüber aber hatte bie 
luxemburgiſche Partei den Herzog Ludwig von Baiern beredet, 
obwohl er Friebrich verwandt und demfelben fein Wort gegeben, 
daß er auf die Krone verzichte, dennoch Anſprüche auf dieſelbe 
zu erheben. So entipann ſich ein hartnädiger Kampf, in welchem 
ganz Deutichland zwilchen den beiden Prätendenten getbheilt war. 
Endlich nach achtjähriger blutiger Fehde fand die Entſcheidungs⸗ 
ſchlacht bei Mühldorf (1322) ſtatt, in welcher Ludwig fiegte. 
Friedrich fjelbft wurde gefangen genommen und auf das fefte 
Schloß Traudnig gebracht. Drei Jahre fpäter begab fid, Ludwig 
hierher und bot, wie bie frühere Hiftorie berichtet, feinem Gegner 
die Freiheit an, jedoch unter der Bedingung, daß er auf bie 
Krone verzichte und fi mit ihm gegen den Papft und bie 
übrigen Gegner verbinde. Da ed ihm nicht gelang, fein Wort 
zu löfen, fo ftellte ſich Yriedrich freiwillig wieder als Gefangener, 
worüber Ludwig jo gerührt ward, daß er fortan die Herrichaft 
mit ihm theilte. Der Papſt (Pontifer) wußte fi vor Verwun⸗ 
derung über dieſe That gar nicht zu faſſen. — Nah Menzel's 
Geſchichte der Deutſchen hat Friedrich fi nicht als Gefangener, 


Tribunal — Tritonide. 393 


ſondern frei nad München begeben, und Ludwig fol durch feine 
bedrängte Lage zu dem Bertrage gendthigt worben fein. 


Tribunal, lat. trivunal (Ged. D. Kraniche d. Ibykus), ber 
Nichterftuhl, bei den Römern ber erhöhete Ort, auf weldem 
ber Prätor jaß, wenn er Gericht hielt; „das obere Tribunal” 
(R. II, 3), |. v. w. das göttliche Gericht; „DaB innere Tribunal” 
(R.V, 1), |. v. w. das Gewiflen. 


Tribüne (D. ET, 1), frzſ. ein erhöheter Platz; auch (Geb. 
D. Spaziergang) ſ. v. w. Richterftuhl. 

Tribut, Iat. tribütum, eig. Abgabe, Steuer; bild. (Sftf. 
10, 205) Pflicht, Schuldigkeit. 

Zrident, |. Poſeidon. 

Zrieb (R. II, 3), |. v.w. zufammengetriebene Menge. 


Zriebfedern, Die (Ged.), ein Epigramm aus d. J. 1796. 
Wer nur aus Furcht vor ber Strafe dad Rechte thut, verräth 
eine ſklaviſche Sefinnung; nur bei innerer rende an dem Red 
ten und Guten bat unjer Thun und Handeln einen wahrhaft 
fittliden Werth. 

Trient (Sftf. 10, 220 u. 228), Stadt an der Etich, im ita⸗ 
lieniſchen Theile von Tirol. 


Zriller, ital. trillo, in der Muſik eine zur Verzierung bie 
nende Figur, die aus der fchnellen, gleichförmigen Abwechjelung 
zweier nebeneinander liegenden Stufentöne beſteht; bildl. (R. V, 1) 
ſ. v. w. fchrilende Töne; Sirenentriller (&.U, 19), ſ. v. w. 
verlodende Klänge. 

Zripoli (Mith.) od. Tripolis, um bie Küfte des Golfs 
ber großen Syrte gelegen, einer der Raubftaaten des nörblichen 
Afrika's, die, feit fie dad Seeräubermweien aufgegeben, zu türfi- 
ſchen Vaſallenſtaaten geworben find. 

Zritönie 

Zritonide | DR 


394 Triumph — Triumph ber Liebe. 


Triumph, lat. triuümpbus; urjprünglih ein Feſtzug bes 
Bacchus; bei den alten Römern der feierliche Siegedzug eines 
Zeldderrn; daher 1) Stegsgepränge (Bed. D. Kranide d. 
Ibykus — F. V, 8 — Picc. II MS. 1L4— J. v. 
D.1,5); 2) Siegeöfreude (Bed. D. Schlacht — R.ILL— 
5.1,1 — D. C. II, 10 — Rd. IV, 2 — Wſt. T. III, 9. — 
Davon: triumphiren (Tur. IL, 4 — K. d. 9, ſ. v. w. froh⸗ 
locken; ſich eines Sieges freuen. 


Triumph, Der, der Liebe (Ged.). Dieſer Lob: od. Preis⸗ 
gelang, der zur Zeit der Lauragedichte verfaßt wurde, behandelt 
die große Bedeutung der Liebe für dad Weltall überhaupt. Bergl. 
den Artitel Freundſchaft. — Str.2, V. 2. „Stimmen Dichter 
ein“ ift ald Parantheſe aufzufaflen: (worin alle Dichter überein- 
fiimmen). 8.3. Die Welt ſ. v. als Menſchen. — Str.3, 8.3. 
Die Ylammenterzen ded Himmels find höhere Gefühle, edlere 
Empfindungen. — Str. 8. Die Himmeldtochter tft die Liebes: 
göttin Aphrodite (ſ. d.). — Str. 10. „Blühn unter ihren 
Füßen“; ihren ift auf die Himmelstochter in Str. 8 zu bezie⸗ 
ben. — Str. 12, B.3 u. 4 tft dadurch unflar geworden, daß 
Sch. 4 Verſe geftrihen bat. rüber hieß es: 

„Bott Amor Ueberwinber! 
Blüdjeliger Deufalion, 
Wie büpfen beine Felſen ſchon, 
Und äugeln ſchon gelinder! 
Glũckſeliger Deukalion, 
Umarme beine Kinder!“ 


Str. 15 erinnert an eine prächtige Stelle der Ilias (SI. 1, 527): 


„Ufo fprad und winkte mit ſchwärzlichen Brauen Kronion, 

Und die ambroſiſchen Locken bed Köntzd wallten ihm vorwärts 

Bon dem unfterbliden Haupt; ed erbebten die Höh'n bed Olympos. 
3.10. Der Riefentödter ift Zeus (ſ. d.). — Str. 17, 8.1. Die 
Gattin des Kroniden ift Here (ſ. d.), die Sötterfürftin. — 
Str. 19, B.4. „Und“ ſ. v. ald: und dennoch, und bei dem 
Allen. Zuno nämlich, die Götterkönigin, muß ungeachtet ihrer 





Zriumphbogen — Troja. 395 


hohen Stellung, vor welcher die Liebe ehrfurchtsvoll zurückweicht, 
fih doch bittend an Venus („die Herzensfeßlerin“) wenden, um 
pon ihr den Gürtel der Anmuth zu erhalten. Nach Sliad XIV, 152 
wollte nämlich Juno den Zeus einjchläfern, damit Poſeidon 
inzwilhen den Achaiern ungeftört zu Hülfe fommen könne. Zu 
diejem Zwede ſchmückte fie ſich prächtig und bat die Liebesgöttin 
um den Gürtel (f. d.) der Anmuth, der ihr auch bereitwillig 
gewährt wurde. — Str. 21, B.4. Der ſchwarze König ift Pluto 
(. Aided); durch das Beiwort jchwarz ſoll nicht? Andered als 
fein umerbittlich ftrenger Ernft ausgebrüdt fen. V. 5. Die 
Zochter der Ceres ift Proferpina, die Pluto einft entführt und 
zur Königin der Unterwelt gemacht hatte. Vergl. Geb. „Die 
Klage des Ceres.“ — Gtr.22, B.2. Der wilde Hüter ift 
&erberuß (|. d.). 3.3. Mit dem Thracier ift Orpheus (j. d.) 
gemeint, um jo mehr, ald Thracien (vergl. d.) ald Mutterland 
des Geſanges betrachtet wurde. V. 8 erinnert an Birgil’3 en. 
VI, 569. 
„Stracks die Schulrkgen dann, mit rächender Geißel gerüjtet, 
Schlägt Zifiphone (f. Erinnyen) höhnend ꝛc.“ 

B. 14 giebt den Grund der vorher bezeichneten Erfcheinungen 
an: wetl bu von Liebe fangft. — In den Schlußitrophen achte 
man auf die Alliterationen: „Liebe lächelt; Liebe lehrt; Liebe 
lißpelt; Liebe leitet.” — In der vorlegten Strophe jchildert und 
ber Dichter die Liebe ald Vorläuferin ded Glaubend am die Un- 
fterblicheit, wie in den Künftlern (f. d.) die Kunft als Borgän- 
gerin der Wahrheit. 

Triumphbogen, Der (Ged.), ein Epigramm aus d. 3. 
1797. Es enthält ein finniged Wortfpiel, indem fih „unend⸗ 
ih” auf den Raum, „Unendlichkeit“ auf die Zeit bezieht. 

Troglodyt (Ged. D. Eleufiiche Feft), gr. ein Höhlenbe» 
wohner; im Altertum der Name eined in Erdhöhlen wohnen: 
den barbariichen, etwa in Afrika zu fuchenden Volksſtammes. 


Troja (Ged. 2. B. d. Yen. 1 — Iph. I, 2), der fpätere 
Name für die alte Burg Pergamus und das babei liegende, 
® 


8396 Ttompete — Tudor. 


nah Ilus, einem Sohne bed Troad genannte Slion (Bed, 
Kaſſandra — Iph. I, 1) od. Ilium 2.8.2. Am.9 — 4.8. 
d. Yen. 79), welche durch die Griechen (vergl Helena) 1184 
». Chr. von Grund aus zerftört wurde. Es lag an ber Küfte 
von Kleinafien in der Landſchaft Troad, die fi längs des 
Hellefponts erftredi. — Davon Trojaner (Geb. 2.2. D. 
Aen. 8) od. Trojer (Iph. I, Zw.Handl.), ein Bewohner von 
Troja. 


Trompete, |. Fama. 


Trophäe (Geb. 2.3. d. Aen. 88), von bem lat. tropaeum, 
Siegeözeichen, beſ. erbeutete Waffen. 


Troubadour (3. v. O. I, 1), d. h. eig. Erfinder, die Be 
nennung Der Minnefänger in der Provence, welche im Mittel» 
alter am meiften von Stürmen verſchont blieb, fo daß ſich hier 
aus der Volkspoeſie der Kunftgefang friedlich entwideln konnte. 


Zrözene (Ph. I, 1), eins der ſechs Kleinen Königreiche, in 
welche Argdlis, die öftlichfte Landſchaft des Peloponnes, jeit den 
älteften Zeiten eingetheilt war. Die Stadt Trözene (jebt ber 
Flecken Damala) lag der Inſel Kalauria (jebt Paro8) gegen» 
über. 

Trutz (Ged. D. Slode — W. T. 1,4), früher Iandichaftt,, 
jetzt meiſt poetiſch für Trotz. 


Tſchernigow od. Tſchernikow, ſ. Desna. 


Tſchudow (Dem. II), ein Kloſter (tschudnoi-monastir, von 
tschüdnow, Wunder) in Moskau. Nach Heeren’3 Geſchichte war 
bes falfchen Demetriud Großvater feit Jahren Mönch dieſes 
Klofters und hatte feinen Enkel in feiner Zelle unter Aufſicht 
gehalten. 


Zubdor, Das Haus der (M. St. I, 6), wurde von Hein: 


rich VL. (f. d.), dem Sohne Edmunds, Grafen von Rich: 
mond und Enkel Owen Tudors und der Wittwe Heinrichs V. 


Zugend bes Weibes — Tula. 397 


gegründet. Ihm folgte Heinrich VIII. (f. d.), diefem fein Sohn 
Eduard VI., feine Tochter Marie die Blutige und hierauf end⸗ 
lich Elifabeth, ebenfalld feine Tochter (ſ. d.), welche unvermählt 
biteb und mit der aljo das Haus Zubor erlofh. — Die Ber: 
wandtihaft der Maria Stuart mit dem Haufe Tudor jchrieb 
fih von Heinrichs VIII. Schweiter Margarethe her, welche mit 
Jakob IV. von Schottland vermählt war. Aus diefer Ehe 
ftammte Jakob V., Maria Stuarts Bater. 


Tugend bed Weibed (Geb.), ein Epigramm aus d. J. 
1796. Dem Manne, welcher den bebenklihen Kampf mit dem 
Leben aufzunehmen bat, wird es fjchwerer, feine urjprünglidhe 
kindliche Unſchuld zu bewahren; bei ihm bat ſich ein Charafter 
zu entwideln, der fich in einer Reihe von Tugenden offenbart. 
Dad Weib dagegen, dad ein ftilled, mehr in ſich abgejchlofjened 
Leben führt, kann fich leichter den inneren Frieden bewahren, 
ber dann auch ihrer äußeren Erjcheinung dad Gepräge der An: 
muth verleiht. Vergl. „Würde der Frauen” und „Macht bed 
Weibes.“ 


Tugendwege, Die zwei (Ged.), ein Epigramm aus d. J. 
1795. Der Dichter ftellt den Glücklichen und den Leidenden auf 
ihrem Wege zur Tugend einander gegenüber. Mancher bat das 
Glück, von Jugend auf richtig angeleitet und ohne erhebliche 
innere Kämpfe auf dem Pfade der Tugend erhalten zu werben, 
während Andere, bie ſchon von Natur mehr zu Yehltritten ge: 
neigt find, erft durch die Schule ded Unglüdd auf den rechten 
Meg geführt werden. Selten oder nie geht ein Menſch einen 
diefer Wege allein, und ed tft ihm zu wünſchen, daß feine 
Tugend einerfeit3 Gelegenheit finde, fih im Kampfe zu er: 
proben, und baß ihr andererjeitö ein gütiges Geſchick auch zu 
Hülfe fomme. 


Zula (Dem.), füblih von Moskau, eine anjehnlihe Stabt 
an ber zur Oka gehenden Apa. 


398 Tumult — Zurandot. 


Tumult, lat. tumultus; 1) die unrubige und heftige Be⸗ 
wegung einer Menge (Wſt. T. III, 23), bei. (F. II, 10) Lärm; 
2) fröhliches Setümmel (%.1,1 — Bicc. IV, 5 — Sftj. 10, 20). — 
Davon: tunultuariih (W. T. 1,3 — Gftf. 10,209), unruhig, 
Iärmend. 


Tuͤnica (Pr. v. M. 5, 418), daß bei den alten Römern 
unter der Toga getragene Unterfleid, dad bei den Yrauen länger 
war ald bei den Männern. 


Tunis (%. I, 7), einer der drei Raubftaaten des nördlichen 
Afrika's, laͤngs ber Kleinen Syrte oder dem Meerbufen von 
Cabes gelegen. 


Zurandot, Prinzeflin von China. Mit dem Beginn 
bed neuen Jahrhunderts war Sch. im Bunde mit Goethe be 
mübt, der Bühne von Weimar eine volllommmere Geftaltung 
zu geben. Hatte er früher das Theater vorwiegend ald ein 
moraliſches Inſtitut aufgefaßt, fo wollte er ed nun al8 eine 
Aftbetifche Bildungdanftalt im weiteren Sinne des Wortes be: 
trachtet wiffen. Beide Dichter jahen fih daher nach mannig- 
facheren Stoffen um, wodurd fie einerjeitd den Schaufpielern 
ein weitereö Feld der Uebung, anbererjeitd dem Rublicum eine 
umfangreichere Sphäre des Kunftgenuffed darbieten Fönnten. 
Die einheimifche Literatur fchien ihnen zur Erreichung ihres 
Zweded nicht ausgiebig genug; fie wandten daher ihr Sntereffe 
ben dramatischen Schäßen anderer Völker zu, um diefelben dem 
deutfchen Theater dienjtbar zu machen (vergl. Macbeth u. Phädra). 
Da es befonderd an guten Luſtſpielen fehlte, jo ging Sch. einige 
Zeit mit dem Gedanken um, fich jelbft auf diejem Felde zu ver: 
fuchen, wozu er auch von Körner ermuntert wurde. Indeſſen 
ließ er den Plan bald wieder fallen. „Zwar glaube ich”, heißt 
es in einem feiner Briefe aus jener Zeit, „derjenigen Komödie, 
wo es mehr auf komiſche Zufammenfügung der Begebenheiten 
als auf komiſche Charaktere und Humor ankommt, gewachſen 


TZurandot. 399 


zu fein; aber meine Natur ift doch zu ernft geftimmt, und was 
feine Tiefe bat, kann mich nicht lange anziehen.“ 

Da fiel fein Blid auf Carlo Gozzi (ſ. d.), einen der origt- 
nellften italieniſchen Dichter”), deſſen bramatifirte Zaubermähr: 
Gen in jener Zeit, wo Deutihland und Frankreich unter ber 
Herrſchaft des kalten Verſtandes und einer flachen Moralphilo⸗ 
fophie ftanden, in dem feinerfeitö herabgeſunkenen und erjchlaff- 
ten Benedig fich eined wunderbaren Erfolges zu erfreuen hatten. 
Gozzi's Icharfer Verftand, feine feine Beobachtungdgabe, feine 
richtige Beurtheilung aller Xebenöverhältniffe mußten Sch. eben 
fo ſehr anziehen, als feine lebendige Phantafle, fein Sinn für 
das Wunderbare und fein Hang zur Ironie und Satyre den 
bermaligen Abfichten unſeres Dichterd entſprach. Dennoch aber 
bildet Gozzi einen auffallenden Gegenfag zu Sch., inſofern er 
bie Menſchennatur an fih gering fchägt und fie unter Vormund⸗ 
{haft gehalten wiflen will, von dem Grundſatze ausgehend, daß 
man über Unwiflende und Gedankenloſe leichter regieren Tönne, 
als über denkende und gebildete Menſchen. Gozzi beſchränkt ſich 
daher in ſeinen Dramen auf das enge Gebiet der in Venedig 
damals volksthümlichen Schauſpielkunſt und will in feinen Stücken 
nichts bieten, wodurd feine Zufchauer zum Nachdenfen über 
Politik, Religion oder irgend welche ernftere Fragen angeregt 
werden lönnten. Ihm kommt ed nur darauf an, die Phantafle 
lebhaft und angenehm zu beichäftigen, die Gemüther friedlich 
und ſorglos zu ftimmen und die Menfchen in möglichft Eind- 
licher Unbefangenheit zu erhalten. Als Kunftwerfe im ebleren 
Sinne des Wortes find feine Stüde daher in keiner Weije an: 
zufeben. Hieraus erklärt ed fich auch, daß man in Stalien, wo 
Sch. unter allen deutſchen Dichtern am meiften verehrt wird, es 
bi8 auf den heutigen Tag nicht begreifen kann, wie er die Tu: 
tandot hat überſetzen können. ‘Dan betrachtet diefes Unternehmen 


) S. J. F. Schnakenburg. Ueber Carlo Gozzi und fein Xheater. Herrig's 
Archiv für dad Stublum ber neueren Sprachen. Bd. 26, ©. 367. 


400 Zuranbot. 


dort als eine Jugendrerirrung, die fich nur durch die bebeutendbe 
Bergeiftigung des Stoffes, jo wie durch bie Veredelung ber Form 
rechtfertigen lafie. 

Um die Turandot richtig zu würdigen, muß man zunäcdhft 
erwägen, daß dad Stüd ein Mährchen tft, welches wie alle 
Maͤhrchen feine Heimath überall und nirgend bat. Es darf und 
daber nicht wundern, wenn jelbjt unfere beiten geographiichen 
Hülfömittel und bei Namen wie Berlas und Karazanen (I, 1) 
in Berlegenheit laſſen. Außerdem aber muß man wiſſen, daß 
Gozzi mit feinen Zaubermährchen jene originelle italieniſche Fa⸗ 
milie in Berbindung brachte, welche jeit Sahrhunderten das 
Privilegium hatte, nit nur Stalien, jondern aud einen großen 
Theil von Europa zu beiuftigen. Dem größeren Theile des 
deutfchen Publicumd find aus diefer Familie nur der alberne 
Arlekin, der gutmüthige Pantalon und die joubrettenhafte Go- 
Iombine von den faft tn Vergeſſenheit gerathenen Puppenipielen 
ber befannt. Aber daß auch Brighella, Truffaldin und Tartaglia 
ftehende Figuren der italieniſchen Komödie find, bie, da fie allen 
Theilen Staliend entftammen, ein vollftändig nationales Intereſſe 
haben, dad wiffen nur Wenige. Dem Staliener find die ange 
führten Namen ein für allemal bekannte Perjönlichkeiten, eigent- 
lich nichts Anderes ald Symbole für beitimmt ausgeprägte Cha: 
rattere; er kennt feinen Brighella als einen liftigen Intriganten, 
Zruffaldin als einen zwar Ddienftbereiten aber auch habgierigen 
Menſchen, und den ftotternden Tartaglia als ein Exemplar von 
Trägheit und Gefräßigkeit, das einen durchaus ftereotypen Cha⸗ 
rafter bat. Durch diefe Yiguren werden bie charakteriftiichen 
Fehler einzelner Bölterjchaften feines Landes eben jo ſymboliſirt, 
wie bie Mythologie der alten Böller Tugenden und Lafter, See 
Ienträfte und Naturerjcheinungen in ihren Gottheiten zu indivi⸗ 
dualiſtren pflegte. Mit diefem der ttalteniihen Komödie unent- 
behrlichen Nequifit dad deutſche Publicum durch unmittelbare 
Anſchauung befannt zu machen, und bemfelben gleichzeitig einen 


Turandot. 401 


intereffanten Blid in eine ihm völlig fremde Literatur zu eröff: 
nen, das war Schillers Abficht. 

Zu Ende ded Jahres 1801 begann er die Turandot mit 
Hülfe von Werthed’ Weberjegung metriſch zu bearbeiten. Kine 
genauere Bergleihung mit dem Original”) zeigt, daß wir es 
bier mit Feiner bloßen Weberfegung, fondern mit einer freien 
Nebertragung zu thun haben. Nicht nur, daß er den „großen 
Berginguzino” und den „Confucius“ (I, 4) ded Originald in 
Fohi (I, 5) und Tien (II, 2) umwandelte; fondern er bemühte fich 
auch, den handelnden Perjonen bier und da edlere Beweggründe 
unterzufchieben. Stellen aus den Reden der Turandot wie 
—— „IH ſehe durch ganz Aften das Weib 

Erniedrigt und zum Sclavenjod verdammt, 
Und rächen will ich mein beleibigtes Geſchlecht 
An diefem ftolzen Männervolfe, dem 


Kein andrer Borzug vor dem zärtern Weibe 
Als rohe Stärke ward.” ıc. 


und (V, 2): 

„Wir haben viele Thränen fließen machen, 

Und müffen eilen, Freude zu bereiten.” 
find bei Gozzi nicht zu finden. Halten wir das italienifhe Stüd 
mit der Bearbeitung unferd Dichterd zufanımen, jo finden wir, 
daß er fih in dem erjten Act faft vollitändig an dad Original 
gehalten, nur manched Breite mehr zufammengedrängt, dafür 
aber auch gehaltuoller dargeftellt, andere Stellen dagegen gekürzt 
oder bejchnitten hat. DBedeutendere Abweichungen zeigt der 
zweite Act. Gleich in der erften Scene finden wir bei Gozzi 


*) Wem Gozzi's 1799 in 9 Bänden erichienene Werke nicht zugänglich fetn 
follten, der findet bie Turandot in ben unter ben Freunden der italientichen Li⸗ 
teratur weit verbreiteten Teatro classico italiano antico e moderno, ovvero: 
11 Parnasso teatrale; Lipsia, presso Ernesto Fleischer, 1829, p. 630 abgebrudt. 
Werthes' Neberfegung der theatralifchen Werke Gozzi's erfähten in 5 Bänden zu 
Bern, 1795. 


II. 26 


409 Turandot. 


die Reden ber komiſchen Figuren Truffalbin und Brighella mer 
dem Inhalte nach angegeben, indem ber Berfaffer die Ausfüh- 
wang berjelben dem improviſatoriſchen Talent ber vortrefflichen 
Truppe Sachi in Benedig überlaflen konnte. Hier hatte Sch. 
alſo Leine andere Verpflichtung, als den Abfichten feines Autors 
gerecht zu werden. Die Gelegenheit, fich freier zu bewegen, be 
nutzte er daher fogleih, um einige Remintfcenzen aus ben be 
fannten Mähren „Taujend und eine Nacht“ (ſ. Wafler, dad 
tanzende) einzuflechten. Sn der zweiten Scene fpricht bei Gozzi 
nur Altoum in Berjen, während Bantalon und Tartaglia ſich 
ber Proja ihres venetianiſchen Dialects bedienen; Sch. dagegen 
bat fämmtliche Dialoge in metrifher Form durchgeführt. Was 
ferner die Raͤthſel in der vierten Scene betrifft, jo find die Lö⸗ 
ungen derfelben im Original: 1) die Sonne, 2) das Jahr, 
3) der adriafifche Löwe. Bon dieſem bat Sch. nur das zweite 
(und zwar als erfte8) aufgenommen; die übrigen (vergl. Para: 
bein und Rätbfel) find feine Erfindimg. Der dritte Act bietet 
feine wefentlihen Abweichungen dar; im vierten dagegen find 
zunächſt nur die beiden erften Scenen übereinftimmend, während 
die britte, dad Gefpräch Turandots mit Adelma, Skirina und 
Zelima von Sch. eingelegt iſt. Die vierte Scene tft in zwei 
Auftritte (5 u. 6) zerlegt; die achte, Andeutungen zu einem Mo: 
nolog Truffaldins bei dem jchlummernden Kalaf enthaltend, ift 
unauögeführt geblieben. Der fünfte Act zeigt nur am Schluffe 
eine wejentliche Abweichung, Während in dem Original Kalaf 
den Göttern voll Entzüden dankt und ſich bereit erflärt, noch 
größered Unglück als das erlittene zu tragen; Turandot aber 
nach völlig nichtd fagendem Geſchwätz dem Publicum ihre Reue 
zu erfennen giebt und um den Beifall deſſelben bittet: läßt Sch. 
die graufame Schöne befhämt und beicjeiden zurüdtreten, unb 
den Kalaf mit wenigen Worten fein Glüd preifen. 

Die erfte Borftelung der Turandot fand zu Weimar am 
80. Jan. 1802 ftatt; indeflen fol dad Publicum fehr getäufcht 
gewejen fein und Langeweile empfunden haben. ine zweite 


— — — 


Türken — Tyndarns. 408 


Aufführung fiel nach Goethe's Berficherung zwar befler and, in⸗ 
defien gelang es nicht, alle Schwierigteiten zu befeitigen. Cine 
Aufführung, der wir vor einer Reihe von Jahren in Berlin bei 
gewohnt, und der e8 weder an Pracht der Ausſtattung noch am 
Sorgfalt der Darftellung fehlte, wurde mit Rüdficht auf unfern 
Dichter allerdings dankbar entgegengenommen, ift jedoch bald 
wieder von dem Repertoir verſchwunden. Eine fo barode Ber: 
mifchung des Graufigen mit dem Komiſch-Phantaftiſchen fcheint 
dem beutfchen Geifte wenig zuzufagen; allenfalld möchte fich das 
Stüd für unfere Fleineren Bühnen eignen. 


Türken, urfpr. eine der tatartfchen Völkerſchaften aus der 
Umgegend des Kaſpi⸗Sees (%. 11,15), ſ. v. w. Seeräuber, f. 
Corſar. 

Zumier | 

turnieren \ EEE 

Tweede [ipr. Tuih'd]) (M. St. 1,7), der zur Nordſee ge- 
bende Grenzfluß zwiſchen England und Schottland. 

Zwing (W. T. 1,3 u. 11,2) od. Twinghof (WB. T. 1,4), 
j. v. w. Zwingburg, eine Tleine Yefte, welche die Untertbanen im 
Reſpect erbalten jollte. 


Zyburn (M. St. IH, 6), der Name eined ehemaligen Richt: 
platzes in London. | 

Tydeus (Phön.), der Sohn ded Königs Deneud, war (Geb. 
D. Siegedfeft) der Vater des Diomedes (ſ. d.), weshalb dieſer 
(2. B. d. Xen. 33) der Tydide, d. i. der Sohn bed Tydeus ges 
nannt wird. Tydeus wurde bei dem Kampfe der Sieben gegen 
Theben ald Geſandter vorangeſchickt, um Unterhbandlungen ein 
zuleiten, die aber fruchtloß blieben. Später fiel er in biejem 
Kampfe. 

Tyndarus (Iph. 1,1), abget. Tyndar, der Satte der be 
rühurten Leda (f. d.), war König von Sparta und (Geb. 2.2. 


d. Aen. 99) Bater der Phöbe, der Klytänmeftrx und der ſchönen 
36* 


404 Typheus — Tyrann. 


Helena (ſ. d.), welche indeſſen der Mythologie zufolge meiſt als 
eine Tochter Jupiters angeſehen wird. Als ſich viele Freier für 
bie letztere herzudraͤngten, hatte er dieſelben (Iph. IL, 2) ſchwören 
laſſen, daß fie dem erwählten Gemahl ſeiner Tochter im Falle 
der Befehdung beiſtehen wollten. 


Typheus (Bed. Semele 1), ein Name, der an ein Zwiſchen⸗ 
fptel zwifchen den Titanen: und den Bigantenfämpfen erinnert. 
Der Rieſe Typhoͤeus (Typheus, wad man bed Verſes wegen 
nicht Typhéus leſen kann, ift wohl eine willfürlide Form des 
Dichters) war die lette Geburt der Erde und ded Tartanıd. 
Zwiſchen ihn und Zeus findet ein Riejfenfampf um die Welt: 
berrichaft ftatt, bis er durch einen Blisftrahl erlegt wird. Die 
Sage berichtet von ihm, er habe hundert Drachenköpfe gehabt. 
Die Benennung „hundertarmig”" (vergl. „der hunderthändige 
Talbot” in dem Artikel Homer) ift daher allgemein poetifch zu 
verftehen. Die eigentlich fogenannten „ Hunderthändigen” (He: 
katoncheiren) ftanden in dem Titanenkampfe lange dem Zeus zur 
Seite. In diefen Kämpfen gegen die Götter follen die Erd: 
tiefen den Oſſa und auch den Pelion (f. d.) aufgethürmt haben, 
um den Olymp zu erftürmen. Sch. fcheint den Oſſa und ben 
Dlymp zu Geſchoſſen in der Hand des Rieſen zu machen. 


Typhon (Wſt. T. V, 4), ein ägyptiſcher Gott, ber als das 
böfe Weſen angefehen wurde, dem man bie Zeritörung alles Le 
bens in der Natur zujchrieb. 

Tyrann, gr. tyrannos, überh. ein Herrfcher, Gebieter; 1) im 
Alterthum jeder Alleinherricher in einem früher freien Staate, 
wie Dionyd (Ged. D. Bürgfchaft), Polykrated (Geb. D. Ring 
d. P.) und (Bft. 2. 11): 

„Ale großen Tyrannen und Raifer 

Hieltens fo und waren viel weijer.“ 
2) ein eigenmächtiger, graujamer Herrjcher oder Zwingberr, 
wie (WB. T. II, 2) die Vögte des Kaijerd; bei. auch Unter: 
brüder ber Freiheit, wte (5. I, 1 u. II, 8); in biefem Stimme 


2 Tyrus — U. 405 


wird auch (Ged. Melancholie an Laura) der Tod ein Tyrann 
genannt. — Hiervon: Zyrannei; 1) angemaßte Herrichaft, 
wie (3. v. DO. IV, 10) „daB Soc ber fremden Tyrannei“ und 
(W. T. II, 2) „Hab der Tyrannei“; 2) Grauſamkeit od. will» 
fürlihe Härte, wie (D. C. II, 15) Philipps, desgl. (M. St- 
I, 6) Eliſabeths gewaltjamesd Verfahren und (Wfl. T. I, 5) „des 
Slaubend Tyrannei“. — Ferner: tyranniliren (8. d. H.), 
hart und willfürlich behandeln; daher auch (R. I, 3) „tyrannifcher . 
Bater”; bildl. Tyrannin (R. I, 1) von der Feder des Schrei- 
benden; endlich Zufammenjegungen wie: Tyrannenfurdt (Fb. 
IH, D), Tyrannenjoch (W. 3.14, Tyrannenwehre (Geb. 
D. unüberwindlihe Flotte), Tnrannenwetje (Picc. V, 1). 

Tyrus, die alte Hauptftabt von Phönizien, glänzte von 
1000 — 600 v. Chr. als Haupt aller phöntzifchen Städte und 
hatte fich zu noch höherem Ruhme erhoben ald dad nördlich da= 
von gelegene Sidon (Geb. Semele 1), die ältefte Stadt Phö- 
niziend. Da Karthago (ſ. d.) eine Pflanzitadt der Phönizier 
war, jo wird daffelbe (Ged. 4.3. d. Yen. 14) auch Sidon od. 
(Ged 4. B.d. Xen. 7) Tyrus genannt. — Davon: Tyrer (Geb. 
4. B. d. Yen. 18 — Phön.) od. Tyrier (Ged. Karthago — Geb, 
4. B. d. Yen. 60) od. fidonifhe Männer (Ged. D. Kaufmann), 
d.t. Bewohner von Karthago, u. tyriſch (Phön), ſ. v. w. phö⸗ 
niziſch. 


u. 


U. Ehemals wurden U und V durch daſſelbe Zeichen (V) 
bezeichnet; daher (Wft. L. 8): 
„Hinter den U fonımt gleih dad MW." 
Um den Doppelfinn deutlicher hervorzubeben, hatte Sch. in der 
erften Ausgabe ftatt VB Weh gefchrieben. Die Stelle in Abra⸗ 
ham a Sta Elara’3 Predigt, welche zu diefem Wipwort Beran- 
laflung gegeben, lautet: „Wer bat den Türfen gezogen in 


#06 Uebereinftimmung — Ueberjeßungen. 


Hungarn? Niemand anderer ald die Sünd: nad) dem S im ABE 
- folgt das 2, nad) der Sünd folgt ber Türk“ 

Uebereinftimmung, Die (Geb.), ein Epigramm aus d. S. 
1796, da3 jedenfalld an Goethe gerichtet ift und die verjchiebenen 
Geifteörichtungen beider Dichter treffend charakteriſirt. Goethe 
ſchloß fi vorwiegend an das Leben an, um in ruhiger Betrach⸗ 
tung da8 Weſen ber ihn umgebenden Ericheinungen zu erfor: 
ſchen; Schiller dagegen fchöpfte vorherrſchend aus feinem reichen 
und vollen Innern, deſſen fittliche Kraft ihm ein zuverläffiger 
Führer war. Goethe mit feinem „gefunden Auge“, mit ſei⸗ 
nem klaren, ficheren Blick ift der objective, Schiller mit jeinem 
„gefunden Herzen", feiner edlen und wahren Empfindung 
ber fubjective Dichter. Das Ziel Beider, die Erforſchung ber 
Wahrheit, fuchte zwar jeder auf feine Weiſe zu erreichen; aber 
in dem ernften Streben danach mußten fie einander nothwendig 
begegnen. 

Uebernaͤchtiges Geſchöpf (Wſt. T. I, 7), ein plöglich, über 
Nacht aufgetauchtes Wefen. 

Ueberſchlag (Sftj. 10, 257), ein ftatt eines Mantel bie 
nender, Tragenartiger Ueberwurf. Vergl. Studententragen. 


Veberfegungen. Wenn die Aefthetit mit Recht die Poefle 
an die Spite aller Künfte ftellt, jo hat fie doc, nach dem wun: 
derbaren Geſetz der Sompenfation oder der Ausgleichung und 
bed Erſatzes — über defien Walten im Menfchenleben der Fran⸗ 
zofe Azais ein fo geift- und troftvolle® Buch gejchrieben hat — 
einen tief eingreifenden Mangel und zwar, nach einem andern 
Geſetze, gerade am ‚Kerne ihrer eigentlihen Macht. Denn wäh: 
rend alle andern Künfte eine ohne Weitered von der Menſchheit 
verftandene Sprache ſprechen, wird die der Poefle nur von einem 
Volke verftanden. Dadurch daß fle den innerften fchöpferiichen 
Kräften der Menjchen entftamınt, daß fle den Gehalt des Herzens 
und Geiſtes am tiefften wiedergiebt, erjcheint fie auch, umb zwar 
in wachſendem Verbältnig nach, außen hin ſchwerer veritänblid. 


Weberjegungen. 407 


Das geiftig Allgemeine freilih, da ed ja nad) der wunderbaren 
Beranftaltung des Schöpferd doch einmal nur im Sndividuellen 
zum Leben kommt, leidet darunter feinen Schaden, aber je volfö- 
thämlicher ein Gedicht ift, je mehr ed in Sprache und Gedanken 
den Geift der Nation wiebergiebt und diefelbe baburch entzückt, 
defto weniger wird ed andere Völker ergreifen. Daher kann mar 
fragen: in wie weit ift überhaupt eine Ueberſetzung möglich und 
in wie weit ift fie werthvoll? Nach dem italieniſchen Sprüchworte 
„traduttori — traditori* („Ueberjeger — Berräther”) müßte man am 
Ueberjeben verzweifeln, wenigftend wird damit auf Die außerordent: 
liche Schwierigkeit der Sache hingewieſen. Diefe Schwierigkeiten 
Scheinen befonderd darin zu liegen, daB Widerſprechendes 
vom Weberjeper verlangt wird. Er joll das Allgemeine, welches 
mit dem Sndividuellen der Sprache fo. eng verknüpft ift, wenig: 
ftend was die Innigkeit, Stärke und überhaupt die Art bes 
Eindrudes angeht, vollftändig erhalten, aber in einer ganz 
andern individuellen Yorm, die wo möglid auch noch an das 
Original erinnern fol. Wir freuen und, bier einmal wieder auf 
eine 1858 Leipzig, bei Gumprecht erfchienene höchſt geiftuolle 
Schrift Tycho Mommſen's aufmerkſam machen zu fünnen: „Die 
Kunft des deutſchen Ueberſetzens aud neueren Spradhen”, die 
dieſe Tragen in außerordentlich anregender Weiſe behandelt. 
Yüglih könnten wir in diefer Sache Sc. felbit zu Rathe 
ziehen, da er ja auch als Ueberſ. aus dem Griechiſchen, Lateini⸗ 
ſchen, Franzöſiſchen, Stalienifchen aufgetreten ift und die Yrage 
ftellen, ob er wünjchen würde überjegt zu werden, wie er An 
dere überfegt hat? Aus unferen Bemerkungen zu den einfchla: 
genden Stüden wird der Leſer fich erinnern, daß Sc. feine Ort: 
ginale ftet3 fehr frei behandelt bat. Dad Griechiſche und Latei- 
niſche bat er in dad Gewand moderner Verſe gelleidet, den 
franzöfiihen Alerandriner in deutſche Jamben umgeſetzt, Poefie 
proſaiſch wiedergegeben und bier und da auch Umdichtungen vor- 
genommen. Als höchſt lehrreihes Gegenſtück dazu kann die Art 
dienen, wie der Franzoſe Lebrun Sch.'s Maria Stuart auf dem 


408 Uechtland — Uglitſch. 


Prokruſtesbett der franzöfifchen klaſſiſchen Tragödie verſtümmelt 
hat (ſ. im Theätre Schütz). Daß Sch. früh auch tm Auslande 
und vor Allem in Frankreich bekannt wurde, beweiſt das Diplom, 
welches ihn zum Ehrenbürger der franzöftihen Republik machte, 
mit der leichtfinnigen Orthographie feines Namens als „Stille“. 
Unter den Franzofen, die fih um Sch. verdient gemacht haben, 
ift bejonders Frau von Stael mit ihrem Buche de l’Allemagne 
zu nennen, dann der bedeutende Gejchichtjchreiber Barante, ber 
auch ein Leben Sch.'s verfaßt bat, endlich Regnier (ſ. Schillerler. 
1, 37 Anm.). In Italien hat Sch. an Maffei einen andgezeich- 
neten lleberjeßer gefunden, in England an Bulwer, der, ein 
Freund und Kenner bed „Volkes von Denkern“, dem er feinen 
Maltraverd gewidmet, Sch.'s Gedichte überjepte, während Car— 
Iyle fein Leben befchrieb. Weber Sch.'s Beziehungen zur fran- 
zöſiſchen und englifchen Literatur giebt. der ausgezeichnete Aufſatz 
von C. Sachs in Herrig’8 Archiv XVI, p. 83 ausführlide Mit- 
theilungen. Beſonders iſt Sch.'s Glode wiederholt Gegenftand 
der Ueberjegung und Nachbildung geweſen, eine ſolche von Des- 
champs tft leicht erreichbar in Herrig’8 France litteraire. 


Merkwürdig tft, dag auch die Kunft der modernen Latiniften 
ih an Sch. verſucht hat. Seine fämmtlichen lyriſchen Gedichte 
bat Yeuerlein Stuttg. 1831 überfeßt, die Glocke erifttrt nach une 
ferer Kenntniß vier Mal lateiniih, mwahrfcheinlih aber öfter; 
auch Philologen wie Moris Haupt haben dergleihen Verſuche 
nicht verjhmäht. Db Sch. aud in das Griechiſche überjegt ift, 
wifjen wir nicht, möchte der Br. v. M. einmal eine fo meifter- 
hafte Vebertragung zu Theil werden, wie die der Iphigenie Goe- 
the's durh Th. Kod. 


Uechtland (W. T. IV, 2), |. v. w. Nebel: od. Sumpfland, 
dad Gebiet zwifchen dem Jura und ben Berneralpen, welche 
den Neufchateller:, Bieler- und Murten: od. Uechtſee umſchließt. 


Uglitſch (Dem. I), ein Kleiner Ort an der Wolga im Gou⸗ 
vernement Twer, nördlid von Moskau. 


Ulalegon — Umfchreibung. 409 


Ukalegon (Bed. 2.3. d. Yen. 55), ein Bewohner von Troja, 
der im Rathe der Xelteften body geehrt war. 


Uly (W. T. II, 1), ſchweizeriſch für Ulrich. 
Ulyſſes od. Ulyß, ſ. Odyſſeus. 


umgeben, d. i. als Geſpenſt erſcheinen, ſpuken; wie (R. I, 1): 
„bei lebendigem Leibe umgehen“ und (M. St. J, 1), wo Paulet 
ſagt: 

ee SHE IT “id gebe 
Nachts um, wie ein gequälter Geiſt.“ 

Umfchreibung. Der Ausdrud „bläulichte Göttin”, zu der 
fih die in der Br. v. M. vorfommende „blaue Göttin“ gejellt, 
gehört dem Gebiete der fogenannten poetifhen Umſchreibun— 
gen an. So wie es poetiſche Wörter giebt („Roß“, „Renner“, 
„Rachen ”), welche bie einfache Wirklichkeit gewiflermaßen gleich 
im Feierkleide auftreten laſſen, jo ftrebte bejonderd die Poeſie 
bes 17. und ber erften Hälfte des 18. Tahrh., wohl mit Nach— 
ahmung des Lateiniſchen, durch geiftreiche und künſtliche Um— 
ſchreibungen den wirklichen Gegenftänden ein höheres Küftre zu 
geben. An und für fi” entipricht die Umfchreibung dem idea⸗ 
Iifirenden Zuge bed dichterifchen Geiſtes, der die Wirklichkeit 
verflären möchte oder den einzelnen Gegenſtand umfchreibend tn 
feine Elemente zerlegt und dieje in ihrer urfprünglicyen Energie 
bervortreten läßt. So nannte ſchon der einfache Homer, der ein 
Künftler war in dem Sinne wie umgekehrt die Sonne mit ti- 
zian iſchem Farbenreichthume die Welt ausfhmüdt, dad „Meer”: 
„die Feuchte” oder „die feuchten Pfade”. Was aber bei ihm 
Natur war, wurde in bürftigeren Zeiten ein künſftliches Spiel 
des Witzes, jo dag man dahin gelangte, aus der Umjchreibung 
eine Art anmuthigen und fpannenden Räthfeld zu machen. Sie 
bildet einen Charakterzug der lateinifhen Poeſie und ift aus 
diefer auch in die neuere Kunftpoefle übergegangen. Beſonders 
‚blühte fie auch in der franzöfifhen Dichtung ded 17. Jahrh. 
Kritiker zürnten dem Racine, daß er bad Wort „pave“ (Pflaſter 


410 Umtrunk — Unbold. 


[j. d.], Steinfußboden) gebraucht hatte. Ein falſcher Idealis— 
muB glaubte zu verfchönern, wenn er die Dinge nicht bei ihrem 
Namen nannte. Die „Trompete“ wurde ein „airain menagant“, 
aber konnte das nicht auch eine Kanone fein? So verfällt die 
Umſchreibung in’8 Unbeftimmte und leicht jelbft in's Lächerliche. 
Auch in Deutichland herrſchte fie in der erſten Hälfte des 18tem 
Jahrh. Man leſe nur in Viehoff's Handbuche einige Seiten aus 
Albrecht von Haller „Alpen“ oder ſehe Schlegel's Arion durch. 
Sn diefem lepteren treffen wir nächft dem „Ervftallenen Haufe” 
„den glatten Spiegeln“ aud dad „bläulihe Revier”, wel 
ches unferer „bläulichten Göttin” gehört. Su der Br. v. M- 
fpriht Sch. von dem „grünen, Erpftallenen Felde“ unb aud 
Platen fingt: „Die ebernen Hengjte, die durch ſalz'ge Shäume 
babergeichleppt auf jener Kirche ragen”. Eine andere Art von 
Umfchreibungen find 3. B. poetifche Zeitbeftimmungen, an denen 
SH. wie alle Dichter, reich ift: „Nicht zweimal hat ber Mond 
bie Lichtgeftalt erneut“. „So oft die Sonne fintt zum Himmel! 
rande“. „Denn mit der nächiten Morgenfonne Strahl”. „Kein 
Tag entftieg bem Meer“. „Ch dieſes Tages Sonne ſinkt“ (1. 
au Weſenlenker und Sprade). 

Umtrunk (Picc. IV, 5), ein Kreistrunt, bei welchem Alle 
aus demjelben Becher trinfen. 

umzirten (Br. v. M. 5, 418), |. v. w. umfchließen. 

Unbelehrter (D. @. IV, 9), d. 5. Einer, der mit ben Ber: 
hältniffen nicht vertraut, über biefelben nicht belehrt worden iſt. 

undramafifch, |. Drama. 

Ungarn (W. T. V, 1) gehörte zu Kaifer Albrechts I. Zeit 
noch zu Polen; erſt unter Albrecht II. fam e8 an Oeſtreich. 

Unglimpf (Wit. T. II, 2 — W. T. I, 4), ſchonungsloſe 
Behandlung. 

Unhold, ein feindfeliger, abfcheulicher Menſch, Störenfried; 
daher (Tur. III, 6): die „männerjcheue Unholdin“ und bildl. 
(5.1, 12): „ein Unbold von Miſſethat.“ 


Univerfum — Unterwalden. 411 


Univerfum (Sp. u. b. 2.), von dem lat. universus, ganz, 
allgemein; dad Weltall. — Davon: univerfell (Gſtſ. 10, 203), 
allen gemeinfam, ausnahmslos; ferner: Unfverjalgenie (R. 
1, 2) od. Univerfalfopf (X. I, 1), ein Menſch der Alles Teicht 
fagt, für Alles Sinn bat. 

Unmittelbarer und Freier (Wit. 8. 11), d. 5. von altem 
hohen Adel, der auf dem Reichstage ftimmfähig war; „ded Reis 
ches Fürſt“ war Wallenftein erft geworden, als der Kaiſer thn 
mit Mecklenburg belehnte. 


unnahbare Hände (Geb. Hektors Abſchied), Nachahmung 
eined bomerifchen Ausdrudes, nämlih: Hände, denen ihrer Ta- 
pferleit wegen Niemand zu nahen wagt (j. Homer). 
Unſterblichkeit (D. ©. II, 2), ſ. v. w. weltgejchichtlicher 
Ruhm. — In dem Epigramm: Unfterblichfeit (Ged.) giebt 
der Dichter als Philojoph den Rath, das Verlangen nach per: 
fönlicher Fortdauer in der Theilnahme an dem Ganzen aufgehen 
zu laſſen. In der Glode dagegen, wo er mehr ald Menſch 
empfindet, fagt er: 
Noch Pöftlicheren Samen bergen 
Bir trauernd in der Erde Schooß 
Und hoffen, daß er aus ben Särgen 
Erblühen fol zu ſchönerm 2008.” 


Bergl. auch dad Gedicht „die Hoffnung”, Str. 3. 


Unterfchteb der Stände (Ged.), ein Epigramm aus d. 
J. 1796. Nicht die einzelnen Handlungen des Menſchen, fon- 
dern jein ganzes innered Weſen macht feinen fittlihen Werth 
aud. Einem gediegenen Charakter find edle Handlungen nicht 
Pflicht, Sondern eine Nothwendigkeit. 


Unterwalden (W. T. I, 1), oder kurz. ber Wald, wie (W. 
T. 1, 4: 
Bis Nachricht uns berüber kommt vom Walde.“ 
einer der drei Urcantone ber Schweiz, ſüdlich von dem Vierwald⸗ 
ftätterjee; feit 1150 tft er dur den Kernwald (WB. T. IL, 2) 


412 Unmwanbelbare — Urne. 


in zwei Bezirke getheilt, in den fühlihen: Obwalden unb ben 
nördliden: Nidwalden; daher (W. T. I, 4): „nid dem 
Bald.“ 2 


Unwandelbare, Das (Geb.), ein Epigramm aus d. 3. 
1795. Durch reblihde Anwendung der Zeit knüpfen wir bie 
Bergangenbeit an die Gegenwart an und fäen zugleich Keime 
für die Zukunft aus. 

Ur (Geb. D. Kampf m. d. Drachen), |. v. w. Aueroch, fd. 
auch Urochs. — Ur ald Vorwort, bedeutet eig. „aus etwas 
her”, alfo das Urfprüngliche, daher auch Alte, wie: Urahne (R. 
I, 2), Urbild (Zur. I, 1), Urkunde (R. V, 1), urkundlich (WE. 
8. 6); ferner: Urphede (W. T. V, 1), richtiger Urfebbe; ber 
Schmur, fi weber rächen, noch wieberfommen zu wollen. Ur: 
fand, f. v. w. Urzuftand; (W. T. II, 2) Zuftand urjprüng- 
licher Gleichheit. 


Nränia, f. Aphrodite u. Mufen. 


Uranos, gr. der Himmel, in der Mythologie ber ältefte 
Gott, der Gemahl der Gäa (d.i. der Erde), von dem die übri- 
gen Götter abftammten; Daher jagt Zeus (Ged. Semele 2) 


von ſich: 
„Bas ift Uranod' Blut ıc.” 
Davon Urantide, d.i. Sohn des Uranus, eig. ein Beiname bed 
Saturn, bei Sch. zugleich der griechiſchen Götter überhaupt, wie 
(Ged. D. Ideal u. d. Leben): „der hohe Uranide“ und (Geb. 
D. Triumph d. Liebe): 
„Bor ter Gattin ded Kroniden 
Bengen fich die Uraniden.” 
Uri (W. T.1,2 u. II, 2) od. Urner Land, einer der drei 
Urcantone der Schweiz, füdöftlid vom Bierwaldftätterjee. — 
Davon Urner (W. T. II, 2), die Bewohner von Uri. 


Urne, lat. urna; 1) ein frugartiges Waflergefäß; daher 
(Sed. D. Ideale): 


Urne — Urner. 413 


„Wie auß des Berges ftillen Quellen 
u @in Strom die Urne langfam füllt." 
Sie wird von ber bildenden Kumft befonder8 den Najaden als 
Attribut beigegeben, wie (Ged. D. Götter Griechenlands): 
„Aus den Urnen lieblicher Najaben 
Sprang ber Ströme Silberfhaum.” 
außerdem auch wohl dem Neptun, von dem ed (Geb. Hero und 


Leander) heißt: 
— — — — — — „er giebt 


Aus der ımerfhöpften Urne 
Seinen Strom, ber ewig fließt." 
2) dad Gefäß, in weldem man im Alterthum die Aſche der ver: 
brannten Leichname aufzubewahren pflegte; daher (Sp. u. d. L.): 
„die Urne von Tibulls Aſche“, wodurch fie dem Dichter zugleich 
zum Symbol ded Todes wird, wie (Ged. D. Künftler): 
Und trafet das entflohne Leben 
Jenſeits der Urne wieder an.“ 
und (Br. v. M. 5, 498): 
„Sin mächtiger Vermittler ift der Tod. 
Da löſchen alle Zomesflammen aus, 
Der Haß verföhnt ſich, und das ſchöne Mitleid 
Neigt fich, ein weinend Schweiterbilb, mit fanft 
Anfchmiegender Umarmung auf bie Urne." 
3) ein Gefäß, welches zur Aufbewahrung von Looſen dient; 
daher (Bft. T. I, 4) bildl.: 
„Nicht ohne Schauber greift des Menſchen Hand 
In des Geſchicks geheimnißpolle Urne.” 
Somit erfheint fie zugleich ald Attribut des Minos (f. d.), von 
dem Phädra (Ph. IV, 6) jagt: 
— — — — ‚lieh' ih in bie Nacht 
Des Todtenreichs hinunter. Wehe mir! 
Dort hält mein Vater bed Geſchickes Urne.” ¶ 


bie ebendaſ. auch Schredendurne genannt wird. 
Urner, ſ. Uri. 


414 Urphede — Banda. 


Urphede 

Urfand | I Ur 

Urthel (Wit. T. IV, 6 u. V, 11) oder Urthelſpruch (M. 
St. I, 8), das richterlihe Erkenntniß; urtheln (M. St. I, 2), 
richterlich entfcheiden; Gottes urthel (Wſt. T. J, D, ſ. v. w. 
göttliche Yügung. 

ufurpiren, von dem lat. usurpäre, eig. etwas gebrauchen; 
bei. (R. IV, 5) ſich etwas widerrecdhtlich aneignen, anmaßen. — 
Davon: Ufurpation (Berbr. a. v. E.), die unerlaubte Aus: 
übung eined und nicht zuftändigen Rechtes, Anmaßung. 

Utraquiften, neulat. (Picc. IV, 5), die gemäßigtere Partei 
unter den Huffiten (f. d.), die den Genuß des Abendmahls unter 
beiderlet Geftalt (sub uträque specie) verlangte. Bergl. Dr. 
Kr. 37. 

Utrecht (3. v. O. Prol. 3), die Meinfte Provinz der Nieder: 
lande, füdli von der Zuiderfee gelegen. 


Vagabund (Berb. a. v. E.), von dem lat. vagäri, herum: 
ſchweifen, umhberftreichen; ein Zandftreicher, ——— 

La Baletta, ſ. Malta. 

Valois (D. C. 1,4 u. IL, 10 — J. v. O. I, 4 u. III, 4), 
die zweite Linie des Mannsſtammes der mit Karl IV. ausge⸗ 
ſtorbenen Capetinger; fie begann 1328 mit Philipp VI. ımb 
erloſch 1498 mit Karl VIIL. 

Vanda (Dem. I), gew. Wanda, war der Sage nad bie 
Tachter eined polnischen oder böhmiſchen Kraf, des angeblichen 
Gründers von Krakau. Sie foll ih durd Schönheit, wie durch 
Tapferkeit ausgezeichnet und da8 Gelübde gethan haben, unver: 
mählt zu bleiben Als das Volk fie dennoch zur Ehe mit einem 


Bandalen — Bater. 415 


dentfchen FZürften zwingen wollte, ftürzte fie fih in die Weichjel. 
Sn der Nähe von Krakau wird noch heut ein großer Hügel als 


ihre Grabftätte bezeichnet. 


Vandalen, ein germanifcher Volksſtamm, welcher feit dem 
dritten Zahrhundert mit den Römern im Kampfe begriffen war, 
fidy jpäter in Pannonien, dem heutigen Ungarn, niederließ, hierauf 
Gallien und Spanien durchzog, im 3.429 nad Afrika ging, dort 
ein großed Reich gründete und 455 Rom plünderte, wobei eine 
Menge der werthuollften Kunftihäbe muthwillig zerftört wurden. 
Im weiteren Sinne heißen daher (Geb. D. Antiken zu Paris) 
alle zerftörungdluftigen Barbaren Bandalen. 


Bariation, aud dem lat. variätio, die Veränderung, Ab» 
weihung; bei. (W.T. I, 1 — Gftf. 10, 215) in der Muſik eine 
durch weitere Entwidelung und Ausführung ber Melodie man- 
nigfach veränderte Wiederholung eined einfachen Tonſtückes. 


Vaſall, mittellat. vasällus; 1) ein Lehnsſsträger (M. St. 
1,3 — 3.0. O. I 6 — Meb. J, 14 — Dem. D; 2) in über 
tragener Bedeutung für die Granden von Spanien (D. ©. 
IL, 6 u. II, 15); 3) ſ. v. w. Unterthan (F. J, 5 u. III,2 — 
Menſchenf. 5); 4) bildl. nennt Leonore (F. IV, 14) in Beziehung 
auf Fiesco's Herrſchbegierde ihr liebendes Herz einen ſtörrigen 
Vaſallen. 

Vater (W. T. III, 1), es iſt Hedwig's Vater gemeint, vergl. 
Ehni. — Bäter des Landes (W. T. IV, 2), die Aelteſten, die 
des Volkes Wohl berathen. 


Bater, Der (Ged.), ein Epigramm aus d. J. 1796. Es 
iſt Sch. jedenfalls von ſeinem Vatergefühl eingegeben worden 
und vermuthlich gegen Goethe gerichtet, der damals noch um» 
verheirathet war. Raſtloſes Arbeiten und Wirken, fo werthvoll 
es an fich fft, kann Doch nie volle Befrtedigumg gewähren; bie 
menſchliche Natur will auch durch ein Außered Band an die Welt 
genüpft fein. 


416 Batican — Benedig. 


RBatican, der auf dem vaticanijchen Berge (mons Vaticänus)' 
in Rom gelegene päpftliche Balaft, der übrigens feiner ungefunden 
Luft wegen jet nit mehr von den Päpften bewohnt, ſondern 
nur bei großen kirchlichen Yeierliyfeiten und zu Berfammlungen 
der Sardinäle unter Borfip ded Papftes (M. St. II, 4) bemugt 
wird. Der äußerft geräumige, bekanntlich 11,000 Zimmer um: 
faflende Balaft ift reih an Schägen und enthält viele Kunftwerfe 
alter (F. IL, 17) und neuer Zeit. 


Vaucouleurs (3. v. O. Prol. 3), lothringiſches Städtchen 
an der Maad; dabei dad Dorf Dom Remy (J. v. ©. 1, 10 
u. IV, 9). 

Vauxhall, ein prachtvoller Luftgarten in der Nähe von 
London, der in heiteren Sommernächten ald Bergnügungsort 


dient, (8. u. L. IV, 9) eine Nachahmung dieſes Aufenthalts« 
ortes. 


St. Veitstanz (R. I, 2), eine Krankheit, welche ſich vor⸗ 
zugsweiſe durch bedenkliche Erſcheinungen in den Gliedermuskeln 
äußert, jo daß der natürlich ſich nicht ſelbſt bewußte Kranke 
allerlei wunderliche Bewegungen, etwa wie ein Zanzender und 
Springender, madt. Sn alten Zeiten pflegten Diejenigen, welche 
von diefem Uebel befallen waren, eine Wallfahrt nad) der St. 
Beitölapelle bei Ulm zu machen, woher die Krankheit ihren 
Namen hat. 


Venedig. Ald mehrere nordifhe Vöolkerſchaften, wie bie 
Weſtgothen, Hunnen und Longobarden auf daB römiiche Reich, 
und zwar zunächft auf Venetien eindrangen, flüchteten die är- 
meren Bewohner diejed Gebiets auf die Lagunen des adriatifchen 
Meered. Hier gaben fie fih anfänglich eine demokratiſche Ber: 
faffung unter dem Borftande von Tribunen, bis fie i. J. 697 
ihren erften Dur od. Doge wählten, dem fie Die vollziehenbe 
Gewalt übertrugen, während dad Volk die gefepgebende für ſich 
behielt. So entitand die Republif Benedig (Wit. 2. 10), 
an welche (Dr. Kr. 141) Bethlen Gabor den Grafen Mandfelb 


4 
venetianiſch — Berbindungämittel. 417 


wies, um Geld aufzubringen. Der Sitz der Regierung war 
Rialto (ſ. d.), aus welchem bald eine volkreiche Stadt, das jetzige 
Venedig (Zur. II, 2 — Gſtſ. 10, 127), erwuchs. Nördlich 
Davon liegt die kleine Lagunenſtadt Murano (Gſtſ. 10, 240, 
2346), die ehemals ald eine Vorftadt Venedigs betrachtet wurde. 


venetianiſch (Gſtſ. 10, 241), zu Venetien, der nordöſtlich⸗ 
ften Provinz Italiens, gehörig. 


Venus (Moyth.), |. Aphrodite. Nach ihr ift ber zweite 
Planet (Wit. X. I, 1) benannt worden, der die Sonne umtfreift, 
und der zugleich als Morgen⸗- und Abenditern allgemein befannt 
tft. Picc. III, 4 wird fie „dad Gejtirn der Freude” genannt. 
Da Wallenftein fie und den Zupiter ald jeine Glücks- und 
Segengfterne (Wft. T. I, 1) betrachtete, von deren Stellung er 
fein Handeln abhängig zu machen pflegte, jo jagt SUo (Picc. 
II, 6) zu ihn: „Entichlofienheit jei deine Venus.“ 


Berbindung, Die ſchwere (Ged.), ein Epigramm aus d. 
$. 1796, das auch Goethe als fein Eigenthum in feine Werke 
aufgenommen hat. — Dem Genie kommt ed nur auf die 
Dffenbarung feiner urſprünglichen Kraft an, während der Ge: 
ſchmack bei feinen Productionen mit Vorſicht zu Werke geht; 
denn mit Geſchmack arbeitet nur derjenige, welcher fich, gleich: 
viel ob bewußt oder unbewußt, innerhalb der Grenzen bewegt, 


bie, wo ed fih um Schönheit handelt, ald allgemein gültige 
anerkannt werden. 


Verbindungsmittel, Das (Ged.), ein Epigramm, dad eine 
allgemeine Wahrheit enthält, aber zunächſt auf Lavater zu be: 
zieben iſt. Der große Beifall, den man feiner Perjönlichkeit 
zollte, machte ihn fo eitel, dad er nidht nur fein Portrait mit 
poetifchen Unterfchriften an alle feine Yreunde und Verehrer 
fandte, fondern auch ein „geheimed Tagebuch eines Beobacdhterd 
feiner ſelbſt“ (Zürih 1771) beraudgab, in welchem jelbit die 
unbedeutendften Vorfälle in feinem Leben mitgetheilt wurden. 

II. 27 


418 Berbredher aus verlorener Ehre. 


Berbreder, Der, aus verlorener Ehre (Br. 10). Den 
Stoff zu dieſer Erzählung verdanfte Sch. nächſt der Zugend- 
erinnerung an eine weitverbreitete ſchwäbiſche Volksſage vermuth:- 
lich feinem Lehrer Abel, defien Vater der Richter ded Helden 
ber „wahren Gefchichte" geweſen fein joll, eined zu Anfang bes 
achtzehnten Jahrhunderts in Würtemberg allgemein gefürchteten 
Räuberhauptmannd. Abel war im November 1783 in Manheim 
als Durdyreifender mit Sch. zufammen gelommen, wo er dem 
jungen Dichter die Thatſachen mittheilte, die er nachmals felbft 
. in feiner Sammlung Heiner piychologifher Schriften al3 eine 
auf Actenftüde gegründete Darftellung erjcheinen ließ. Sch. hat 
feine Erzählung, wie die vorausgeſchickte Einleitung vermuthen 
laͤßt, wahrfcheinlich erft in Leipzig oder Dredden aus ber Er: 
innerung niedergefchrieben. Sie erſchien 1736 in dem zweiten 
Hefte der Rheiniſchen Thalia unter dem Titel: „Verbrecher aus 
Snfamie, eine wahre Geſchichte“ — und paßte recht eigentlich 
in diefe Zeitichrift, Die ihrer Ankündigung zufolge „jedem Gegen- 
ftande offen ftehen follte, der dem Menſchen im Allgemeinen 
tntereftant ift und unmittelbar mit feiner Gläückſeligkeit zufam- 
menhängt. Alles, was fähig ift, den fittlihen Sinn zu verfel- 
nern, was im Gebiete des Schönen Itegt, Alles, was Herz 
und Gefchmad veredeln, Leidenfchaften reinigen und allgemeine 
Volksbildung bewirken kann“, follte in ihren Spalten Aufnahme 
finden. | 

In ber Einleitung geht Sch. von den beiden Grundgedanken 
aus, daB große Verbrechen von großer Kraft zeugen, und daß 
die in jedem Menjchen jchlummernden Begierden in den man- 
nigfachften Formen zur Erſcheinung kommen. Da es nım aber 
nit möglich ift, die Menfchen nah ihren Trieben und Nei—⸗ 
gungen zu claffificiren, fo jollte die Geſchichte mehr Rüdficht 
auf die Triebfedern der Handlungen ihrer Helden nehmen, fo 
daß der Leſer aus den Geſinnungen und Entſchlüſſen derſelben 
die Thaten und ihre Folgen ſich entwickeln fähe.. Auf dieſe 
Weiſe würde die im Leben unangefochtene Tugend mit weniger 


Verbrecher aus verlorener Ehre. 419 


Stolz auf die gefallene herabbliden; man würde dem Verbrechen 
eine fchonenbere Beurtbeilung angedeihen laſſen. 

Bon diefem Standpunete aus tft ihm Die pſychologiſche Ent: 
widelung des inneren Lebens jeined Helden die Hauptſache; bie 
mitgetheilten TIhatfachen treten gewifjermaßen als nothwendige 
Lebensäußerungen innerer Vorgänge auf, wie auch dem ehemali- 
gen Regimentömedicud die Krankheitserſcheinungen feiner Patien: 
ten als Ausdrutksformen beftimmter innerer Störungen erfcheinen 
mußten. Der Gang der Darftellung iſt Eurz folgender: Wolf, 
ein junger Menſch, in feiner Erziehung vernadyläffigt, von ber 
Natur ſtiefmütterlich behandelt, ſucht zu ertrogen, wad ihm ein 
neidiſches Geſchick verfagt. Um ein Mädchen durch Geſchenke 
für fih zu gewinnen, wird er Wilddteb, findet aber bald in dem 
Sägerburjhen Robert nit nur feinen Nebenbuhler, fondern 
auch den der ftrafenden Gerechtigkeit unentbehrlichen Ankläger. 
Seine Strafe bejteht in dem Verluſt feines Heinen Vermögens, 
worauf ihn Mangel, Eiferfuht und Rachgefühl abermals auf 
die Bahn des VBerbrechend treiben. Wiederum entdedt und 
eingezogen, ift jetzt das Zuchthaus fein Loos. Nach abgebüßter 
Strafe fieht er fih von dem Gegenftande feiner Neigung ver: 
ſchmäht, von den ehrlichen Leuten zurüdgeftoßen. Ohne Mittel 
zum Lebendunterhalt und ohne Arbeit wird er zum dritten Mal 
Wilddieb. Jetzt trifft ihn eine dreijährige Feitungsftrafe, die 
ihn in die Gefellichaft von Dieben und Mördern bringt. Einer: 
ſeits innerlich verdorben, anbererjeit3 mit der unbändigften Sehn- 
ſucht nad) Freiheit und Rache im Herzen, Tehrt er als ein Feind 
bed Menſchengeſchlechts in feine Vaterſtadt zurüd, wo er von 
Allen verachtet und gemieden wird. Auch das Mädchen, deſſen 
Beſitz ihm einft jo wünfchendwerth erjchien, tft gejunfen und 
gehört bereitd dem Auswurf ihres Geſchlechts an. Seht ergreift 
ihn Verzweiflung. Einmal der Schande unwiderruflich verfallen, 
finnt er nunmehr auf Böfes, um fein Schickſal wirflich zu ver- 
dienen; jündigte er früher aus Leichtfinn, fo jebt aus Bosheit 
und zum Vergnügen. Er wird wiederum Wilddieb, aber nicht 

37° 


420 Berbrecher aus verlorener Ehre. 


nur, um feinen Zebensunterhalt zu friften, fondern um jeinem 
Landesherrn zu ſchaden. Da treibt ihm der Zufall jeinen 
Nebenbuhler Robert in die Schußlinie, und nad) furzem Schwan: 
ten machen ihn Erbitterung und Rachgefühl zum Mörder. Bon 
Gewiſſensbiſſen jchwer gefoltert, flieht er den Schauplag feines 
Berbrechend und trifft mit einem Banditen zufammen, der ihn 
in ein Räuberneft führt. Hier wird er mit Jubel aufgenonmen, 
zum Haupt der Bande erwählt und bald der Schreden ber 
ganzen Umgegend. Aber binnen Kurzem jieht er fich getäuſcht; 
ftatt des verſprochenen luftigen Lebens ift Noth und Mangel 
fein Loos; nicht lange, jo wird auch ein Preis auf feinen Kopf 
geiept, und Furcht vor Verrath beängftigt feine Seele. Gleich: 
zeitig von wüthender GSelbftverachtung gepeinigt, faßt er den 
kühnen Entſchluß, fih zu beſſern. Er ſchreibt an feinen Lan⸗ 
beöherrn, möchte wieder gut machen, was er verbrochen, und 
ein nügliched Glied der menſchlichen Geſellſchaft werden, erhält 
aber keine Antwort. Sept möchte er wenigjtend einen ehrenvollen 
Tod fterben. Der ftebenjährige Krieg ift ausgebrochen; wie, 
wenn er fich für den Dienft des Königd von Preußen anmerben 
ließe? Er entwifcht aljo feiner Bande und begiebt ſich nach dem 
uächften Städtchen; aber in demjelben Momente, wo jein Plan 
nabe daran ift zu gelingen, verräth ihn fein böſes Gewiſſen, er 
wird verhört und giebt fich ald den allgemein gefürchteten Son- 
nenwirth zu erkennen. 

Wir erbliden in diejer Anlage einen Nachhall aus dem 
Schickſal des Räuberd? Moor; wie diefer wird Wolf das Opfer 
einer mangelhaften Einrichtung in der menjchlichen Gefellichaft, 
bie einem unglädlihen Berirrien ihre Theilnahme entzieht, ihn 
aus ihrer Mitte verjtößt und ihn Dadurch zu ihrem Feinde 


macht. In der Ausführung aber erfennen wir die gefchidte 


Hand bed Tragikers, der auch in feiner höchft ſpannenden Er: 
zaͤhlung und mit Mitleid und Furcht erfüllt, und mit bem 
sbiectiven Gehalt feiner Darftellung den Lejer unwilllürlich 
nöthigt, in feine eigene Bruft zu greifen, wo die Keime 





Berbündniß — vermummen. 421 


zum ©uten wie zum Böſen einen gleich ergiebigen Boden 
finden. 


Verbündniß (Picc. IV, 1), fd. ſ. v. w. Bündniß, Gelübbe. 

verelauſulirt, j. Claufel. 

Verdammniß, eig. |. v. w. Strafwürbigkeit, Beftrafung; 
daher bildl. (M. St. I, 4) für Hölle und (Sp. d. Sch.) für 
Gefängniß. 

verdolmetſchen, ſ. Dolmeticher. 

Verdrieß (W. T. III, 3), gew. Verdruß, ſ. v. w. Aerger. 

verdrungen (O. C. II, 9), ungew. für verdrängt. 

verdüften (Wft. L. 11), dichteriſch für verdampfen, ent⸗ 
weichen. ‘ 

Berfafiung (O. C. V, 4), |. v. w. Gemũthszuſtand. 

vergnügen (Zur. III, 2), |. v. w. Genüge leiften. 

Verklärung (M. St. 1, 6), Raphael's letztes, unvollendet 
zurüdgelaflened Werk, welches die Matth. 17, 1—9; Marc. 9, 
1—9; Luc. 9, 28—36 erzählte Begebenheit aus der Geſchichte 
Jeſu darftelt. Es tft von Giulio Romano audgeführt und . 
ziert unter dem Titel: „die Trandfiguration” De Gemäldegalerte 
ded Datican. Der Gegenftand, wie die Ausführung find den 


Malern oft Veranlaffung gewejen, ed nachzubilden; daher (D. 
C. IV, 21): „Verklaͤrung in Eseurial“. 


verlefen (Tur. II, 1), ſ. v. w. verloren. 


vermaledeien, von dem lat. maledickre, eig. übel reden; 
(R. I, 2) verwünſchen, verfluchen. 

Bermanton (3%. v. D. I, 9), Bergfleden im Departement 
Yonne, jübdftli von Aurerre. 


dermummen (M. St. II, 3), f. v. w. einhüllen; aud ein- 
mummen (D. C. I, 9), ſ. v. w. fich verfleiben, vergl. Maske. 


432 Bernünftelet — Berzahnung. 


Bernünftelet, |. Sophisma. 


Beronefe, Paul (Sftf. 10, 227), eig. Paolo Cagliari, geb. 
1532, + 1588, ein befannter Maler der venetianijchen Schule, 
der befonders viele Saftmähler dargeftellt hat, die fih in ben 
Refectorien der Klöfter zu Venedig befinden. Dad berühmtefte 
ift feine Hochzeit von Sana mit 120 Figuren. 


verpfänden (W. T. II, 1). Die Katjer verpfänbeten nit 
jelten Reichsſtädte und Aemter, bis fie die ihnen auferlegten 
Kriegedabgaben bezahlten, wodurch mande Stadt dem Reid 
verloren ging. 

verrufen (Wft. T. IL, 2), ſ. v. w. in üblen Ruf bringen. 

verfhwägen (Sp. u. d. L.), burch oberflächlihes Geſchwätz 
zu etwas ftempeln. 

Verſchnittene, |. Caftraten. 

vertragen (J. v. O. I, 3) für capituliren, au Noth Beding⸗ 
niſſe eingeben, wegen Uebergabe einer Stadt einen Vertrag 
ſchließen. 

dertraͤtſchen (R. II, 3), ſ. v. w. ausſchwaßzen. 

Vertumnus (Myth.), bei ben Römern ber Gott der Jahres⸗ 
zeiten (Ged. Klage d. Ceres). Er hatte mit Ceres einen Altar 
und wurde ald Gatte der Bomdna, der Göttin bed Obfted an- 
gefeben. 

Berwandlung, Wunder der (M. St. V, 7). Nad der 
katholiſchen Transfubitantiationdlehre werden beim Abendmahl 
Brot und Wein in den Händen de3 Prieiterd wirklich in den 
Leib und das Blut Chrifti verwandelt. Vergl. Monftranz und 
Saerament. 

verwogen (Bed. Berglied — W. T. IV, 2), Particip von 
dem ungebräudlichen verwagen, b.t. die Verwegenheit haben. 


Verzahnung (Meb. I, 12), zahnartige Vorſprünge an einer 
Dauer, um künftig daran fortzubauen. 


Besper — Victoria. 493 


Vesper, Tat. eig. der Abend od. der fpätere Nachmittag; 
def. a. (Berbr. a. v. E.) der Nuchmittagd- od. Abendgottesdienft, 
Die Abendmeſſe; deögl. (D. Gang n. d. Eijenhammer — D. 
Slode) die Ruhe: od. Erholungsſtunde oder bildl. (Pice. I, 4) 
ſ. v. w. Waffenrube. 


Veſta (Myth.), bei den Griechen Heſtia, eine Tochter des 
Saturn und der Rhea, die Göttin des Yeuerd und des häus— 
Jihen Heerbes, (Ged. 2. B. d. Xen. 52) dad Sinnbild der 
häuslichen Glückſeligkeit, Sittjamfeit und Keufchheit. 


Veſte (W. T. I, 3 u. IV, 2), eine Burg oder Kleine Yeftung. 
Mit der „Mordſchlacht auf der alten Veſte“ (Wit. T. III, 15) 
iſt Guſtav Adolph3 vergeblicher Angriff auf Die Höhen vor 
Nürnberg (ſ. d.) gemeint, wo fi) Wallenjtein im Juli 1632 
verſchanzt hatte. Am 4. September wurde diejem bei dem An⸗ 
ftürmen der Schweden ein Pferd unter dem Leibe erjchojlen. 


veto (Dem. TI), Iat. ich verbiete, verwerfe. Mit diefem Worte 
konnte (wie ehemals die Volkstribunen in der römischen Rupublif) 
jede3 Mitglied des polnischen Reichätaged die Bejchlüffe defjelben 
ungültig machen. 

Vettel (MR. II, 3), ein altes, bei. liederlich angezogenes 
Weib. 

Vezier, eig. Weſir; arab. Stüge, Laftträger; bei den orien- 
taliihen Fürften (Zur. IV, 10) der Titel der Minifter; bildl. 
(Sp. d. Sch.) ein hochgeftellter Ind mächtiger Günſtling eined 
Fürften. 


Bietoria, lat. der Sieg; daher auch (Geb. D. Schlacht — 
NR. I, 2) der Siegesruf, der wohl auch im gewöhnlichen 
Leben (8. u. 2. V, 5) bei erfreulichen Vexanlaſſungen erichallt; 
(Myth.) die Siegesgöttin Sie wird gewöhnlich (9. d. 8.) 
als ein liebliches geflügelted Mädchen bargeftellt, dad in der 
Linken einen PBalmenzweig, in der Rechten einen Lorbeerkranz 
Hält; auch die Statuen mehrerer Götter (ed. Pompeji u. 


| 


422 Bernünftelei — Verzahnung. 


Bernünftelei, |. Sophisma. 


Beronefe, Paul (Sftj. 10, 227), eig. Paolo Cagliari, geb. 
1532, + 1588, ein befannter Maler der venetianifchen Schule, 
der bejonderd viele Gaſtmähler dargeftellt bat, die fih in den 
Refectorien der Klöfter zu Venedig befinden. Dad berühmtefte 
ift feine Hochzeit von Cana mit 120 Figuren. 


verpfänden (W. T. II, 1). Die Kaiſer verpfändeten nicht 
felten Keichaftädte und Aemter, bis fie die ihnen auferlegten 
Kriegedabgaben bezahlten, wodurch mande Stadt dem Reich 
verloren ging. 

verrufen (Wit. T. IL, 2), |. v. w. in üblen Ruf bringen. 

verfhwägen (Sp. u. d. 8.), durch oberflächliches Geſchwätz 
zu etwas ftempeln. 

Verfähnittene, |. Eajtraten. 

derfragen (3.0.D.1,3) für capituliren, aus Noth Beding- 
nifje eingehen, wegen Webergabe einer Stadt einen Vertrag 
ſchließen. | 

verträtſchen (R. II, 3), ſ. v. w. ausfchwapen. 

Vertumnus (Myth.), bei den Römern ber Gott der Jahres⸗ 
zeiten (Ged. Klage d. Ceres). Er hatte mit Ceres einen Altar 
und wurde ald Gatte der Pomdna, der Göttin bed Obftes an- 
geſehen. 

Berwandlung, Wunder der (M. St. V, 7). Nach ber 
fatholiihen Trandfubftantiationdlehre werben beim Abendmahl 
Drot und Wein in den Händen des Priefterd wirklich in den 
Leib und dad Blut Chrifti verwandelt. Vergl. Monftranz und 
Sarrament. 

berwogen (Ged. Berglied — W. T. IV, 2), Partictp von 
dem ungebräuchlihen verwagen, d. i. die Verwegenheit haben. 


Verzahnung (Meb. I, 12), zahnartige Vorſprünge an einer 
Mauer, um fünftig daran fortzubauen. 


r-ıy 


Bedper — Victoria. 423 


Vesper, Tat. eig. der Abend od. der jpätere Nachmittag; 
bei. a. (Berbr. a.v. €.) der Nachmittagd- od. Abendgotteddienft, 
Die Abendmefle; deögl. (D. Gang n. d. Eiſenhammer — D. 
Slode) die Ruhe: od. Erholungäftunde oder bildl. (Pice. I, 4) 
1. v. w. Waffenrube. 


Veſta (Mytb.), bei den Griehen Heftia, eine Tochter des 
Saturn und der Rhea, die Göttin des Feuers und des häus— 
Jihen Heerdes, (Ged. 2. B. d. Xen. 52) dad Sinnbild der 
häuslichen Glückſeligkeit, Sittſamkeit und Keufchheit. 


Veſte (W. T. I, 3 u. IV, 2), eine Burg oder Heine Feſtung. 
Mit der „Mordſchlacht auf der alten Veſte“ (Wit. T. III, 15) 
tt Guſtav Adolphs vergeblicher Angriff auf die Höhen vor 
Nürnberg (f. d.) gemeint, wo fih Wallenftein im Zuli 1632 
verſchanzt hatte. Am 4. September wurde diejem bei dem An: 
ftürmen der Schweden ein Pferd unter dem Leibe erfchofien. 


veto (Dem. I), Iat. ich verbiete, verwerfe. Mit diefem Worte 
Zonnte (wie ehemals die Volkstribunen in der römiſchen Rupublik) 
jede: Mitglied des polnifhen Reichdtages die Beichlüffe defjelben 
ungültig machen. 

Vettel (R. II, 3), ein altes, beſ. liederlich angezogenes 
Weib. 

Bezier, eig. Weſir; arab. Stütze, Taftträger; bei ben orien- 
taliihen Fürften (Zur. IV, 10) der Titel der Mintfter; bill. 
(Sp. d. Sch.) ein hochgeftellter Ind mächtiger Günftling eines 
Füriten. 

Bietoria, Iat. der Sieg; daher auch (Geb. D. Schlacht — 
R. I, 2) der Siegeöruf, der wohl auch im gewöhnlichen 
Leben (8. u. L. V, 5) bei erfreulichen Beranlafiungen erjchallt; 
( Myth.) die Siegesgättin. Sie wird gewöhnlid (9. d. 8.) 
als ein liebliched geflügelted Mädchen dargeftellt, dad in ber 
Linken einen Palmenzweig, in der Rechten einen Lorbeerkranz 
Hält; auch die Statuen mehrerer Götter (Ged. Pompejt u. 


424 Vierfürſt — Birtuofe. 


Herculanum), bef. des Zeud (Br. v. M. 5, 431), trugen nicht 
jelten ein kleines Bild der Bictoria in leicht ſchwebender Stellung 
auf der Hand. — Davon: victorifiren (Wit. &. 6), neulat. 
flegen, den Sieg davon tragen. 


Bierfürft, ſ. Herodes. 


Vierwaldftätterfee (W. T. I, I), einer der maleriſchſten 
Seen der Schweiz, zwilhen den fogenannten Waldſtätten 
(W. T. I, 1u.III, 2), den vier Cantonen Uri, Schwytz, Unter: 
walden und Luzern, 1345 Fuß über der Meereöfläche gelegen; 
er bat die Geſtalt eines verſchobenen Kreuzes, ift 8 Stunden 
lang, durdjchnittli eine Stunde breit und nimmt von Süden 
ber die Neuß bei Flüelen, von Norden die Muotta bei Brun- 
nenauf. 


Birgilius, abgek. Birgtl (Metr. Ueberſ. Vorer.), der vor: 
züglichfte Dichter der Römer, wurde t. 3. 70 v. Chr. zu Andes 
bei Mantua geboren und erhielt feine Bildung durd den Phi- 
Iofophen Syron und den Dichter Barthenius, die beide Griechen 
waren. Obwohl im Beſitze eined hübfchen Landgutes, hielt er 
fih doch vorzugdweile in Rom auf, wo er in beitändigem Ber. 
kehr mit den vielen audgezeichneten Talenten feiner Zeit lebte. 
Neben einer größeren Anzahl von Idyllen und Lehrgedichten 
tft die Aeneis od. Aeneide (j. d.) fein berühmtefted und zugleich 
fein legted Werk, zu welchem die Vorarbeiten in Rom gemacht 
wurden, während er ed in Griechenland vollendete. Auf der 
Rückreiſe von dort ftarb er i. S. 19 v. Chr. Birgil hatte be> 
ftimmt, man folle die Aeneid verbrennen, da er fie ald ein man— 
gelhafted und unvollendeted Werk betrachtete; feine Freunde 
jedoch, die Dichter Varius und Tucca, machten fie auf Befehl 
des Auguftud bekannt. 


Virginius (%. I, 10), |. Appius Claudius. 


Virtuoſe, aud dem ital. virtusso, ein Meiſter in feiner 
Kunft, bei. (Sit. 10, 138 u. 215) in der Muſik. 








Bifier — Bliejfingen. 425 


Bifter (3. v. O. IH, 9), von dem lat. videre, fehen; das 
Helmgitter; der durchbrochene Schieber des Helms, welcher das 
Geſicht bededt. 


Viſion, aud dem Lat., eig. das Sehen, der Anblid; dann 
(Sftj. 10, 176) eine Erfcheinung, ein Geſicht. — Viſionär 
(ebendaf. 261), ein Seher, Geifterfeher, Schwärmer. 


Vließ, eig. ein mit Wolle verjehenes Fell; dann Fell Über- 
haupt, wie (Ged. D. Kampf m. d. Drachen): „ded Bauched 
weiched Vließ“. — „Das goldne Vließ erobern” (Sp. u. 
d. L.) ift eine Anfpielung auf den 1250 v. Chr. von Safon 
(vergl. Medea) unternommenen Argonautenzug, um aud Colchis 
das Hell des goldenen Widderd (vergl. Helle) gu holen. — 
„Das goldne Vließ“ (Wit. T. V, 11) od. der Orden bes 
goldenen Vließes (Wit. T. III, 19 kurz „dad Widderfell“ genannt) 
wurde von Herzog Philipp II. od. dem Guten von Burgund 
am 10. Sanuar 1430 zu Brügge geftiftet, als er fi mit Iſabella, 
der Tochter König Johanns I. von Portugal, vermählte. Durch 
bie i. 3. 1477 vollgogene Verbindung des nachmaligen Kaiferd 
Marimiliand I. mit Maria von Burgund, der Tochter Karls 
des Kühnen, ging die Verleihung des Ordens, deſſen urfprüng- 
licher Zwed dig Beihüsung der Kirche war, auf die Haböburger 
über. — Die Drdenödecoration befteht in einer aus Yeuerfteinen 
und Yeuereijen abwechjelnd zujammengejegten Kette, an welcher 
das goldene Vließ hängt. Seit Kaijer Karl V. wurde die Kette 
nur bei größeren Feierlichkeiten, für gewöhnlich dagegen das 
goldene Vlie an einem rothjeidenen Bande getragen. Wallen: 
ftein war dieſer Orden von Philipp IV. von Spanten umgehängt 
worden; er pflegte ihn ſtets zu tragen, wurde Dadurch aber eben 
jo wenig geſchützt wie einft Egmont. Als Graf Gallad den 
Drden in Eger fand (Wit. T. V, 11), fehidte er ihn dem Kaiſe 
zurüd. 

Blieffingen (D. ©. V, 8), Stadt in der holländifchen Provinz 
Seeland. 


428 votiren — Wage. 


bofiren 

SR ——— 

Votum, von dem lat. vovere, geloben; eig. ein Gelübde, 
dann auch (F. II, 5) eine Wahlftimme, Stimmabgabe; davon 
votiren, neulat. (ebendaf.), ftimmen, feine Stimme abgeben; 
und ſcherzhaft: „binaußnotiren“ (R. II, 3), ſ. v. w. befeiti- 
gen. — Botivtafeln, Tabulae votivae, nannte man bei den 


‚Römern Tafeln, welche diejenigen, die einer Gefahr entronnen 


waren, ihrem Gelübde gemäß in dem Tempel der betreffenden 
Gottheit aufzubängen pflegten. Ein auf der Tafel verzeichneter 
Sprud benannte die überjtandene Gefahr. Der Ausdrud Botiv- 
tafeln (Ged.) ift die gemeinfame Weberjchrift für eine Reihe von 
Epigrammen (vergl. Xenien), deren jeded noch mit einer beſon— 
deren Weberfchrift verjehen tft, unter welcher der Xefer die Er: 
läuterung aufjuden wolle. Diefe Epigramme enthalten faft 
ſämmtlich Ergebniffe der Beobachtung und des Nachdenfend, 
oder wichtige Grundſätze, melde dem Dichter ald Richtihnur 
für fein Leben oder für fein künſtleriſches Wirken und Schaffen 
dienten. 


Bulcan, ſ. Hephäftos. 


W. 


Wachparade, ſ. Parade. 


Wage. 1) das Sinnbild ber Gerechtigkeit (vergl. 
Themis), wie (Menfchenf. 6): „die Wage des Richters“ und 
(Wit. L. 11): „das Schwert ift nicht bei der Wage mehr“; 
2) das Sinnbild des Schidfald, wie (Wit. T. V,4): „ewig 
wanfet des Geſchickes Wage“; 3) ein Sternbild des Thier- 
freifes, das zur Zeit der Herbitnachtgleiche mit der Sonne 
zufammentrifft; daher (Geb. Hero u. Leander): 


„Und es gleichet ſchon bie Wage 
An dem Hinumel Nächt' und Lage.” 


Wagen — Baibel. 429 


Wagen od. Himmeldöwagen (3.0.0. 11,7), dad Stern: 
bild des großen Bären in der Nähe des Nordpols, welcher ver: 
mitteljt deſſelben Teicht aufzufuchen ift, da es faſt immer in 
berjelben Gegend bed Himmels fteht; daher (Ged. D. Spagier: 
gang): „des Wagen? beharrliche Sterne”, die U. von Hum- 
boldt die „Ieitenden Sterne” des großen Bären nennt. 


Wagethat (W. T. V, 1), ein verwegener Streich. 


Wahl (Ged.), ein Epigramm aus d. 3. 1796, bei dem es 
zweifelhaft tft, ob ed von Sch. oder von Goethe herrührt. Ein 
Kunftwerk zu ſchaffen, das über allen Tadel erhaben ift und 
darum Zedem genügt, ift nur Meiftern erjten Ranges bejchte- 
den, und in unferer Fritifirenden Zeit kaum diefen. Bleibt dem 
Künftler nun die Wahl, entweder dem Geſchmack des großen 
Haufend zu buldigen, oder den wenigen edleren Naturen zu ge: 
nügen, jo foll er nur die leßteren im Auge haben: 

„Denn wer deu Beften feiner Zeit genug gethan, 
Der Hat gelebt für alle Zeiten.” (Wit. Prol. V. 48). 

Wahlfreiheit (W. T. V, 1), dad Recht, das in jedem 
Wahlreihe gilt, in welchem nämlich die Oberherrichaft dem . 
Negenten nur für feine Perfon, nicht aber zugleich für feine 
Abkömmlinge von den Wählern übertragen wird. 

Wahlplag 

MWahlitatt 

Wahlwoche (5. I, 11), die Woche, in welcher die Wähler 
ihre Stimmen abzugeben haben. 

Währung, eig. Gemwährletftung, Sicherung, bej. bein Münz: 
fuße; auch bildl. (W. T. I, 4) Zuverläffigkeit. 

Waibel (W. T. II, 2) od. Webel, im Oberbeutichen ein 
Gerichtödiener, in der Schweiz eine obrigfeitlihe Perjon, die 


unter dem Amman fteht, etwa wie der Feldwebel unter dem 
Hauptmann. 


ſ. Bal. 


a Te Br eg 


430 Maid: — Wallenftein. 


Waid-, richtiger Weide oder Jagd; davon Waidgefell 
(B. T. I, 1) oder Waidmann (W. T. IV, 3), ein Jaͤgers⸗ 
mann, und Waidwerk (Ged. D. Graf v. Haböburg — Br. 
v. M. 5, 412 — W. T. IV, 3), die Sägerei, Die Jagd. 


Wal, ein altes Wort, welches ſowohl ein Gefecht als einen 
todten Körper bezeichnete; daher Walplatz (Berbr. a. v. €.) 
u. Walſtatt (R. I, ı — Bft. T. I, 5) oder auch Wahlftatt, 
der Ort, wo ein Treffen, eine Schlacht vorgefallen if. Eben» 
daher: Walhalla (Ged. Eine Keichenphantafie — Geb. Amalia 
u. R. III, 1), d. h. die Halle der Erſchlagenen, da8 Paradies 
der alten nordiſchen Völker, wohin nur die im Kampfe Ge 
fallenen gelangen fonnten. — Dies, der Weltenbrand (. d.) 
und die Elfen (|. d.) find bei Sch. die einzigen Anklänge aud ber 
nordifhen Mythologie, Deren -düjterer Charakter feiner beiteren 
Anſchauungsweiſe nicht zufagen Tonnte. 

Waldftätte, |. VBierwaldftätterjee. 


MWallenftein. Ein bramatifhes Gedicht. Die erfte 
Anregung zu dieſem durch und durch Deutichen und in jeiner 
Art einzigen Crzeugniß unferer poetifchen Literatur reicht bis 
in dad Jahr 1786 hinauf, wo Sch. ſich in Dresden mit dem 
Studium der Quellen zu feiner Geſchichte des Dreißigjährigen 
Krieges beichäftigte.e. Es waren Khevenhiller'3 *) Annalen der 
Regierung Kaiſer Yerdinand’3 II. und dad Theatrum euro- 
paeum **). Die nächfte Frucht diejed Studiums war eine un- 
ausgeführt gebliebene Idee. Er mollte Guftav Adolph zum 
Helden eined epiſchen Gedicht wählen, in welchem die ganze 
Geſchichte der Menfchheit ſich wiederjpiegeln ſollte. Bald aber 


*) Graf v. Khevenhiller; vergl Dr. Kr. 97 u. 347. 

**) Theatrum Europaeum oder Hiſtoriſcher Chroniten Beſchreibung auß 
überfchidten glaubwürdigen Schrifften und Documenten mit großem Bleib und 
ſonderbahrer Treu gank unpartheyiſch und ohne Affection zufanımengetrigen unb 
beichrieben burh Henricum Orseum Assenkaimiatem Historiophilum. Heraus- 
gegeben von Matthäus Merian. Branffurt a. M. 1670. 


Wallenftein. 431 


wuchs jein Intereſſe an dem Gegenftande dergeftalt, daß er 
zugleich Stoff für eine dramatifche Arbeit darin zu finden glaubte. 
Indeſſen ſchob er diefen Gedanken vorläufig noch hinaus, da er 
fih der Mängel feiner Iugenddramen wohl bewußt und höch⸗ 
ftend mit feinem Don Carlos zufrieden war. 

Um dem Mittelpuntte des poetischen Lebens näher zu ſein, 
fiedelte Sch. 1. 3. 1787 nad) Weimar über, wo er ſich jedoch 
vorzugsweiſe mit wiffenfchaftlichen Arbeiten bejchäftigte, befon- 
ders mit dem Stubtum der alten Klaffifer, Homer, Birgil, 
Sophofles, Euripided, wozu ihm der Weg, den feine Jugend⸗ 
bildung genommen, keine Gelegenheit gegeben hatte. Außer 
tiefen Studien wurbe er jeit dem Jahre 1785 auch durch fein 
neugemwonnened Amt von poetifchern Arbeiten abgezogen, ed war 
die Profeffur der Philofophie an der Univerfität Jena, die Ihn 
zugleich nöthigte, feinen Wohnſitz abermald zu wechſeln. Bald 
aber bekam er wieder Zuverfiht zu der Gunſt der Mufen und 
Muth, irgend einen poetiichen Plan auszuführen. Er zog des— 
halb feine Freunde zu Rathe, zunähft Dalberg, der indeflen 
ausweichend antwortete und ihm rieth, fich jelber zu fragen, wie 
er ber Menjchheit am nüglichften werden könne, gleihwohl aber 
ihn auf das Drama verwied. Auch Wieland *) ftimmte diefer 
Meinung bei, und Joh. Müller äußerte um dieſelbe Zeit, wenn 
irgend einer, fo jei Sch. berufen, Deutfchlands Shafefpeare zu 
werden. Da follte eine lebendgefährlihe Bruſtkrankheit Ver: 
anlafjung geben, ihn mit dem Schauplag feiner nächften poeti- 
fchen Arbeit befannt zu machen. Eine Reiſe nad) Karlöbab, 
bie er i. $. 1791 unternahm, gewährte ihm einen Blid in das 
böhmifche Land; zu Eger ſah er Wallenfteind Bildniß und daß 
Haus, in welchem derfelbe ermordet worden war; und in Karls- 
bad felbft trat er in näheren Verkehr mit mehreren bebeutenden 
oſtreichiſchen Officieren. Er ließ alfo nichts außer Acht, was 


—— 


*) Vergl. defien Vorrede zur Geſchichte des dreißigjährigen Krieges in dem 
Damentalender für 1792. 


432 Wallenſtein. 


die Arbeit fördern konnte, die er damals unter den Händen hatte. 
Dieſe aber war feine andere als die Geſchichte des dreißigjährigen 
Krieges in Göſchen's Hiftorifchem Kalender für Damen, welche 
ihn von der zweiten Hälfte ded Jahres 1790 bis zum September 
1792 faft ausfchließlih in Anſpruch nahm. 

War Sch. durch feinen Don Carlod angeregt worden, jeine 
1. &. 1788 erſchienene Geſchichte ded Abfalld der vereinigten 
Niederlande zu jchreiben; fo brachte jept umgefehrt die Bear- 
beitung der ©ejchichte des dreißigjährigen Krieged feinen längft 
gefaßten Plan zur Reife, Wallenftein zum Helden eined Trauer- 
fpield zu machen. Wie lebhaft ihn diefer Gedanfe bejchäftigte, 
leuchtet aud der bijtorifchen Arbeit jelbft heraus, die beſonders 
in dem vierten Buche“) (S. 354—415) weit mehr mit dem 
Griffel ded Dramatiferd ald mit dem des Hiftoriferd gefchrieben 
it. Was Sch. an feinen neuen Stoffe bejonderd zuſagte, wur 
die Ausfiht, daß er bier Feine fubjective Idee hineinzutragen 
brauchte; der objective Gehalt des Unternehmend jeined Helden 
hatte an ſich fchon etwas Tragifched. Die furdhtbare Fretbeit, 
die in feine Hand gelegt war, die Kühnbeit, mit welcher er fie 
mißbrauchte, die ehrwürdigen Inſtitutionen, die der Verwirk⸗ 
lihung jeiner ehrgeizigen Plane entgegenftanden, und endlich der 
erjehütternde Ausgang feines verbrecherifchen Unternehmend — 
das alled waren Momente, die einen Geiſt wie Schiller’3 zur 
Darftelung mächtig reizen mußten. 

©. Schwab, welcher Sch.'s Briefwechlel aus dieſer Zeit 
ehr ausführlich mittheilt, jo daß man eine are Anjchauung 
von dem Berfahren erhält, mit dem unfer Dichter bei feinem 
fünftlerifchen Schaffen zu Werke zu gehen pflegte, berichtet, daß 
Die erfte Anlage zum Wallenftein bereitd 1793 von ihm mit 
nad Schwaben genommen, und ein Anfang der Tragödie im 
Frühjahr 1794 mit nad Jena zurüdgebracht wurde. Aber 


*) Einem genaueren Studium des Drama’s ſollte man jeberzeit die Lectüre 
diefed Buches vorangehen laffen. 





Wallenftein. 433 


einerfeitö war es feine lebhafte Befchäftigung mit der Kantijchen 
Philoſophie, andererjeitd verjchiedene wifjenjchaftliche und äfthe- 
tifche Arbeiten, die feine ganze Kraft in Anſpruch nahmen. Und 
wenn der Stoff feit jener Zeit auch nie ganz in feiner Seele 
rubte, fo rüdte bei der großen Mühe, mit welcher das Detail 
für fein Zrauerjpiel zufanmenzubringen war, die Geftaltung des 
Planes doch nur langjam vorwärtd. Außerdem aber hatte fich 
fein Sntereffe bereitd einem neuen Gegenftande, den Maltefern 
(ſ. d.), zugewendet, fo daß er i. 3. 1795 noch volljtändig zweifel: 
haft war, ob er diefe oder den Wallenjtein vornehmen jollte. 

Erſt das Jahr 1796, feit welchem Sch. zu Goethe in ein 
innigere3 VBerhältii trat, follte die Entjcheidung bringen. Am 
18. März fchreibt er ihm: „Ich Habe an meinen Wallenftein 
gedacht, ſonſt aber nichtö gearbeitet. Die Zurüftungen zu einem 
jo verwidelten Ganzen, wie ein Drama, ſetzen dad Gemüth doch 
in eine gar jonderbare Bewegung. Schon die allererfte Opera- 
tion, eine gewiſſe Methode für das Geſchäft zu fuchen, um nicht 
zwecklos herumzutappen, ift Feine Kleinigkeit. Sept bin ich erft 
an dem Knochengebäude, und ich finde, daß von diefem, wie in 
der menſchlichen Structur, auch in der dramatiſchen Alles ab- 
hängt. Ich möchte wiflen, wie Sie in folder Fällen zu Werte 
gegangen find. Bei mir ift die Empfindung anfangs ohne be- 
ſtimmten und Haren Gegenſtand; Diejer bildet ſich erſt fpäter. 
Eine gewifle muſikaliſche Gemüthsſtimmung geht vorher, und 
auf dieje folgt bei mir erjt die poetifche Idee.“ 

Noch einmal zwangen ihn wiederholte Förperliche Leiden, fo 
wie Die Heraudgabe der Horen (j. d.) und ded Mufenalmanach3 
(vergl. Xenien) für das nächſte Jahr, den entworfenen Plan zu: 
rüdzulegen; als die läftigen Nedactiondgefchäfte aber beenbet 
waren, fam ihm eine neue Ermunterung durch Goethe. „Nach 
dem tollen Wageftüd mit den Xenien, jo ſchrieb ihm diefer, müſſen 
wir und bloß großer und würdiger Kunftwerfe befleißigen und 
unfere proteijche Natur zur Beſchämung aller Gegner in bie 


Geftalten ded Edlen und Guten umwandeln.” Sch., den fest 
Ho. 28 


454 Wallenſtein. 


nach neuer Thaͤtigkeit dürftete, machte ſich nun mit vollem Ernte 
feine dramatifchen Pflichten Har, ftudirte einige Stüde von So: 
phokles und Shakeſpeare und ſchloß fich immer inniger an Goe⸗ 
the an. Als er aber im November baran ging, das bereitd ge- 
fammelte Matertal durch dad Studium neuer Quellen zu er- 
gänzen und zu berichtigen, fand er den Stoff durchaus wider- 
ipenftig und klagte feinem Yreunde Körner, daß fein Stüd form- 
108 und endlos vor ihm daliege. „Se mehr ich meine Ideen 
über die Yorm ded Werks rectificire, jo jchreibt er, deſto unge: 
heurer erfcheint mir die Maffe, die zu beberrichen ift, und wahr- 
Ih, ohne einen gewiſſen fühnen Glauben an mid, felbjt würde 
ih Ichwerli fortfahren Eönnen.“ Außerdem Elagt er darüber, 
baß es ihm jchwer werde, einen fo fremden Gegenftand, ald ihm 
die lebendige und beſonders die polittfche Welt jet, zu ergreifen. 
Dennoch Eonnte er ſchon am 18. November fchreiben: „Es will 
mir ganz gut gelingen, meinen Stoff außer mir zu halten und 
nur den Gegenftand zu geben. Beinahe möchte ich fagen, das 
Sujet intereffirt mich gar nicht, und ich babe nie eine foldhe 
Kälte für meinen Gegenstand mit einer ſolchen Wärme für die 
Arbeit in mir vereinigt.” So Eonnte er denn, umfomehr als Die 
Zeit der wiſſenſchaftlichen Selbftverftändigung *) für Ihn vorüber 
war, mit dem December die Arbeit an der großen Tragödie be⸗ 
innen, indem er einzelne Scenen der Expoſition (d. h. der Pic- 
colomint) ausführte, nach Humboldt's Rath und „eigener reifer 
Veberlegung” jedoch in Proja, die ihm vorläufig dem Stoff am 
meilten zuzufagen fchien. 

Das Jahr 1797 war in feinen erften Monaten dem %Yort- 
gange der Arbeit wenig günftig; wiederholte Krankheitsfälle und 
fein lebendiges Snterefje für die Balladendichtung nahmen ihn 
vorwiegend in Anfprud. Indeſſen verlor er feinen Wallenftein 
darüber keinesweges aus den Augen; denn bereit am 4. April 
bat er ein „detaillirted Scenarium” entworfen, um fi} die Ueber- 


*) Bergl. Bd. I, S. 316; Gebichte d. zweiten Periode. 


Wallenftein. 485 


ſicht der verſchiedenen Momente und des Zuſammenhangs gleich⸗ 
ſam mechaniſch vor Augen zu ſtellen. Außerdem machte er ver⸗ 
ſchiedene kabbaliſtiſche und aftrologiſche Studien, bei denen, wie 
Palleske berichtet, Körner helfen mußte, der ibm Auszüge aus 
einigen Schartefen ber Dresdener Bibliothet beforgte. Und wenn 
er aus folden Quellen auch Fein ernſtliches Intereſſe für die 
„aftrologifche Frage“ gewinnen konnte, jo war er dennoch nicht 
ohne Hoffnung, auch diefem Stoffe eine gewifle Dichterifche Würde 
zu geben. Auf Goethe's Beranlaffung ftubirte er num auch zum 
eriten Male die Poetik des Ariftoteled, den er ald „einen wahren 
Höllenrichter für Alle bezeichnet, die entweder an ber Äußeren 
Form ſtlaviſch hängen, oder die über alle Form ſich hinweg. 
fegen.” — Mit dem Monat Mai bezog Sch. fein Gartenhaus 
bei Sena, mo er die erfte Bearbeitung des Lagers vornahm, das 
dem Stüde ald Prolog voraufgefchidtt werden ſollte. Doch bald 
wurde feine Thätigkeit durch Die Sorge für die Horen und den 
Muſenalmanach des nächſten Sahred unterbroden. Erſt am 
2. October war er hiermit fertig und konnte ſich nun ſeinem 
Drama wieder zuwenden, das er jedoch unvollendet in die Stadt 
nehmen mußte. Da das Lager in Verſen abgefaßt war, ſo 
durfte natürlich das Stück felbft der metriſchen Form nicht ent⸗ 
behren; deshalb arbeitete er im November die fertigen Scenen 
in Zamben um, was ihm rajch von ber Hand ging. Aber frei- 
lich dehnte fich die Arbeit.dadurdh fo in die Breite, daß der erfte 
Act allein den Umfang von drei Acten der Goethe'ſchen Iphi⸗ 
genie befam. Sept wurde ed ihm Mar, daß ed unmöglich ſei, 
bie ganze Maffe ded gewaltigen Stoffes in den engen Rahmen 
einer einzigen Tragödie einzufchließen, und auch Goethe rieth 
ihm am 2. December, lieber einen Cyclus von Stüden aufzu- 
ftellen. 

So konnte Sch. dad Jahr 1798 mit den beften Hoffnungen 
beginnen, denn nicht nur fein Gejundheitäzuftand hatte fich be 
beutend gebeffert, fondern ed gingen auch ſchon Anfragen nad) 
dem neuen Stud von verfchiedenen Theatern ein, jo daß er mit 

28 * 


436 Wallenſtein. 


Berlin, Hamburg und Frankfurt in Unterhandlung treten konnte. 
Ja Iffland, der Director der Berliner Bühne, war ſogar zu 
jedem beliebigen Honorar bereit, wenn Sch. ihm das Manuſcript 
vor dem Beginn des Druckes überlaſſen wollte. Inzwiſchen 
waren die freundlichen Frühlingstage herbeigekommen, in denen 
der Dichter wiederum ſeinen Garten aufſuchte. Für dieſen hatte 
er ſich die Liebesſcenen zwiſchen Mar und Thekla zurückgelegt; 
die heitere, lyriſche Stimmung der freundlichen Natur ſollte ſei⸗ 
ner Dichtung zu Gute kommen. In ſolcher Stimmung konnte 
er über ſeine Arbeit an Körner ſchreiben: „Du wirſt von dem 
Feuer und der Innigkeit meiner beſten Jahre nichts darin ver: 
miffen und feine Robheit aus jener Epoche mehr darin finden.“ 
Bereit? im Auguſt konnte er Goethe Die zwei legten Acte der 
Piccolomini vorlefen, und in: dem folgenden Monat rüdte die 
Arbeit bis zu Ende des zweiten Acted des Todes vor. Nunmehr 
entfchloß er ſich zu der ſchon vor einem Jahre in Audficht ge 
nommenen Theilung feiner Arbeit. Die Piccolomini, welche ba: 
mals noch zwei Acte von Wallenftelnd Tod enthielten, jollten 
jept bloß den Knoten nüpfen, und enden, wo derfelbe gejchürzt 
tft, das dritte Stüd follte Die tragifhen Folgen geben, und daB 
Lager ald Luftipiel voraufgehen. 

Snzwilchen war der Architect Thouret, nachmals Profeflor 
an ber Kunſtſchule zu Stuttgart, nach Weimar berufen worden, 
um bei der Yörberung des dortigen Schloßbaued thätig zu fein 
und gleichzeitig für eine beffere Einrichtung des alten Theater 
zu forgen. Bei diefer Gelegenheit kam auch Sch. auf acht Zage 
nah Weimar berüber und wurde hier von Goethe und Meyer 
vereint aufgefordert, fein neued Trauerſpiel für die Wiedereröff- 
nung der rejtaurirten Bühne zurechtzumahen. Dad war nun 
freilich in fo kurzer Zeit nicht möglich; aber er erklärte fich be- 
reit, das Lager, welches eigentlich als Vorfpiel für das Ganze 
hatte dienen follen, zu vollenden. Damit es aber als ein felb- 
ftändiged Ganzes dem Publicum vorgeführt werben könne, fo 
war eine Umarbeitung und eine beträchtliche Erweiterung nöthig. 


Wallenitein. 437 


An diefe machte Ih Sch. aldbald und brachte bei diefer Beran- 
laſſung auch die höchſt ergößliche Scene mit dem SKapuziner 
hinein. Da man der ewigen Wiederholung der Sffland’fchen 
Stüde bereit3 ziemlich überdrüſſig war, fo hoffte er, jein Lager 
würde ala etwas Neues nicht nur Effect machen, fondern „al 
ein lebhaftes Gemälde eines hiftorifchen Momentd und einer ge: 
wiflen ſoldatiſchen Eriftenz auch ganz gut auf fich jelber ftehen 
fönnen.” Am 4. Detober ging ed an Goethe ab, der fich nicht 
nur außerordentlih daran erfreute, fondern für die erfte Auf: 
führung auch ein einleitended Soldatenlied einlegte, dad von 
Sch. um einige Verje vermehrt wurde. Eben jo wurde der bei 
der Wiedereröffnung des Theaters gefprochene Prolog um dieſe 
Zeit von unſerm Dichter verfaßt. Am 11. October kam Sch. 
nah Weimar herüber, um der Generalprobe beizumwohnen, für 
deren Vorbereitung ſich Goethe außerordentlih thätig gezeigt 
hatte. Das neue Local, die lebendige Verkörperung ber von ihm 
geichaffenen Seftalten, die neue Bahn, die er mit feinem Stüd 
betrat, das Alles verjegte ihn in eine gehobene Stimmung, fo 
daß er in feinem Prolog der bramatifchen Kunft dreift eine neue 
Aera verjprechen konnte. Am 18. October fand die Aufführung 
des Lagers unter großem Beifall ftatt; und für die Yortjegung 
feiner Arbeit in hohem Grade erinuthigt, kehrte Sch. nach Jena 
zurüd, wo die Vollendung der Piccolomini für die Bühne fein 
nächſter Gedanke war. 

Die erſten Novembertage widmete er der Vollendung der 
Liebesſcenen, obwohl er nicht ganz ohne Sorge war, daß das 
rein menſchliche Intereſſe, das dieſelben hervorrufen ſollten, an 
ber bereits feſtſtehenden Handlung etwas verrücken möchte. Be- 
ſonders aber machte ihm das aſtrologiſche Motiv viel zu ſchaffen, 
und er hätte es beinahe wieder verworfen, wenn nicht Goethe's 
Zuftimmung rettend dazwifchen getreten wäre. Hocherfreut |chrieb 
er ihm Daher am 11. December: „Es iſt eine rechte Gottesgabe 
um einen weijen und jorgfältigen Freund, das habe ich bei die- 
jer Gelegenheit auf neue erfahren. Ihre Bemerkungen find 


438 Wallenftein. 


vollkommen richtig und Shre Gründe überzeugend. Ich weiß nicht, 
welcher böje Genius über mir gewaltet, daß ich das aftrologijche 
Motiv im Wallenftein nie recht anfafien wollte, da doch eigent: 
‚lich meine Natur die Sachen lieber von der ernfthaften als leich⸗ 
ten Seite nimmt.” Go gingen denn die Piccolomini in den 
ſchlimmſten Wintertagen ihrer Vollendung entgegen, wo Sch. 
noch dazu leidend war und gewöhnlich nur eine um die andere 
Nacht Schlafen konnte; aber feine mächtige Willenskraft erhielt 
ihn aufrecht. Urjprünglich wollte er dad Stüd nicht eher aus 
Händen geben, ald bis auch Wallenfteind Tod vollendet wäre; 
indeffen drängten fih Die Nachfragen von mehreren Bühnen 
Deutihlands, und befonderd ließ Sffland nicht nach, der feinen 
Berluft auf 4000 Thaler anfchlug, wenn er das Stüd, auf wel: 
ches er mit Zuverficht gerechnet, nicht zu dem verjprochenen Ter: 
mine erbielte.e Nun war Eile nöthig; und in der That gelang 
ed Sch. mit Hülfe mehrerer Copiſten, die Arbeit am 24. De 
cember zu beendigen und jogleih an Sffland abzuſchicken. „So 
ift aber auch fchwerlich”, fchrieb er ſogleich an Goethe, „ein bei- 
liger Abend auf dreißig Meilen in der Runde vollbracht worden, 
fo gehept nämlich und jo qualvoll über der Angft nicht fertig 
zu werben.” Daß nun auch der vertraute Yreund ald Director 
der Weimarer Bühne nit hinter Sffland zurüdftehen wollte, 
war natürlich, und jo befam denn auch er am lebten December 
die Piccolomini nad Weimar gejendet, aber zu Gunften der 
Aufführung „ganz erjchredlich geſtrichen“; Sc. hatte wohl an 
400 Verſe herauögeworfen. 

Mit dem Anfange ded Jahres 1799 follte unfer Dichter 
nun die Freude haben, fein neues Stüd über die Bretter gehen 
zu ſehen. &8 wurde der 30. Sanuar, der Geburtötag der Her: 
zogin von Weimar, gewählt. Goethe hatte alle nöthige Sorg⸗ 
falt auf die Auswahl der Coftüme verwendet, Meyer *) mit echt 
fünftleriichem Sinn für die Anfertigung paflender Decorationen 


*) BergL Genius, der griechifche zc. 


Wallenſtein. 439 


geſorgt. Nun kam auch Sch. nach Weimar herüber, um in 
Gemeinſchaft mit Goethe die letzten Proben zu leiten; aber es 
koftete ihnen viel Mühe, die Schauſpieler an das Sprechen der 
Verſe zu gewöhnen, was ſeit längerer Zeit von dem Theater 
vollftändig verbannt war. Endlich war ber feſtliche Tag er: 
ſchienen, und eine wohlgelungene Borjtellung, die Frucht einer 
flebenjährigen Thätigkeit, belohnte den Dichter für feine ernite 
und mühevolle Arbeit. Vierzehn Tage ſpäter, um diefelbe Zeit, 
wo die Piccolomini zum erften Mal in Berlin in Scene gingen, 
lehrte Sch. nach Jena zurüd, um nun auch das dritte Stüd zu 
vollenden. Zum Glüd befand er jich jebt wieder wohler, jo Daß 
die Arbeit raſch vorwärtd jchritt. Bereits am 7. März fonnte 
er Goethe jchreiben: „Das dritte Stüd wird durchbrechen, wie 
ih hoffe. Sch babe es glüdliher Weile arrangiren fünnen, daß 
ed auch fünf Acte hat, und den Anjtalten zu Wallenfteind Er: 
mordung iſt eine größere Breite ſowohl ald theatraliiche Beben: 
tung gegeben.” Am 17. März war die ganze gewaltige Arbeit 
vollendet und ging mit den Begleitworten an Goethe ab: „Wenn 
Sie davon urtheilen, daß ed nun wirklich eine Tragödie ift, daß 
die Hauptforderungen der Empfindung erfüllt, die Hauptfragen 
bed Berftanded und der Neugierde befriedigt, die Schiejale auf: 
gelöft und die Einheit der Hauptempfindung erhalten fei, jo will 
ih höchlich zufrieden fein." Die Antwort hierauf theilte ihm 
Goethe mündlih mit, ald er ihn einige Tage fpäter bejuchte, 
um ihn für mehrere Wochen mit nah Weimar zu nehmen. Das 
bereit3 über die vier erften Acte gefällte Urtheil: „Wenn man 
die Piccolomint befhaut und Antheil nimmt, jo wird man bier 
unwiderſtehlich fortgeriffen“ — konnte natürlich auch auf das 
ganze Stück ausgedehnt werden. Die erjte Aufführung defielben 
fand in Weimar am 10. April, in Berlin am 17. Mai ſtatt. 
Sch. konnte feinem Freunde Körner jchreiben: „Der Wallenftein 
bat eine außerordentliche Wirkung gemacht und auch die Unem: 
pfindlichiten mit fortgerifien. Es war darüber nur eine Stimme, 
und in den nächſten acht Tagen ward von nichts Anderem 


440 Wallenftein. 


geſprochen.“ Und in ber That verbreitete fih von dieſem Stüde 
in furzer Zeit ein höherer Geiſt über ganz Deutichland. Die 
lebendige Anfchauung des Friegerifchen Lebens riß die Jugend 
unwillfürlih fort, und die Liebe zum Baterlande erwadhte in 
einer vorher nicht geahnten Weiſe. Im Jahre 1800 erichien der 
ganze Wallenftein bei Cotta gedrudt; 3500 Eremplare waren 
in zwei Monaten vergriffen, und i. 3. 1801 wurde eine zweite, 
1802 eine dritte Auflage nöthig. 

Wie Sch. die Bearbeitung der Gejchichte des dreißigjährigen 
Krieged der Abfafjung feined Drama’3 hat voraufgehen lafſen, 
fo iſt auch für ein klares Verſtändniß dieſes Kunſtwerks die 
Bekanntſchaft mit der hiſtoriſchen Grundlage deſſelben unentbehr⸗ 
lich. Wir laſſen daher, geſtützt auf ©. Helbig *) und Fr. För⸗ 
fter **), eine kurze Skizze von Wallenfteind Leben nachitehend 
folgen. 

Der Held unfered Drama's ftammt aus einer alten böhmi⸗ 
[hen Yamilie, die ihren Namen von dem Bergſchloſſe Waldftein 
in der Herrfchaft Großſkall im böhmiſchen Kreife Bunzlau ent- 
Iehnte. Aus dieſem Namen entftand bei den Böhmen Walfteina, 
bei den Deutijhen Wallenftein. Albreht Wenzel Eujebins 
Wallenftein, der dritte Sohn Wilhelmd von Waldftein und 
jeiner Gemahlin Margarethe von Smirridy, wurde am 15. Sep: 
tember 1583 zu Hermanic ſſpr. niß] an der oberen Elbe geboren. 
Da er feine Eltern, die Proteftanten und wenig bemittelt waren, 
frühzeitig verlor, jo Tieß ihn Zohann von Ricam, ein fatholifcher 
Oheim, von Jeſuiten zu Olmüg erziehen, wo ihn fein Lehrer 
Puchta mit dem 16. Zahre in den Schooß der allein felig ma- 
chenden Kirche aufnahm... Später ftudirte er in Padua und 
Bologna. Was feinen Aufenthalt bei dem Markgrafen von 


2) K. ©. Helbig. Schillers Wallenftein für Schule und Haus. Stuttgart 
uud Augsburg bei Gotta. 1856. 

**) Sr. Görſter. Walflenftein, Herzog von Friedland. Eine Biographie 
Potodam 1834, 





Wallenftein. 44} 


Burgau R.7)*), To wie fein Stutentenleben in Altdorf **) be- 
trifft, To haben ſich die auf diefe Orte bezüglihen Erzählungen 
als mythiſch ausgeſchmückte Berichte erwiefen. Sein Sturz auß 
dem Yenfter des Schloſſes Amras bei Insbruck, von dem nod 
jest jedem Beſucher defjelben erzählt wird, tft eine reine Sage; 
und dad Stückchen, dad er ald Student zu Altdorf geipielt haben 
fol, tft von einem anderen Waldftein auf ihn übertragen worden. 
Dagegen ift e8 ficher, daß er ſich durch Reifen in Frankreich, 
ben Niederlanden, England und Deutichland weiter auszubilden 
fuchte, und als Lieblingsbeſchäftigung die Damals in hohem Anfehen 
ftehende Aftrologie (f. d.) trieb. Unter Kaiſer Rudolf II. trat er 
in den Soldatenftand, kämpfte i. J. 1606 mit Audzeichnung ge: 
gen die Türken und wurde zum Hauptmann ber Infanterie er: 
nannt. Bald darauf vermählte er ſich mit Lucretia Nideß von 
Lande, einer Wittwe, die ihm an Jahren weit voraus war, 
aber ein bedeutended Vermögen befaß. Da diefelbe indeflen ſchon 
1. 3. 1614 ftarb, ihm außerdem aber noch vierzehn Güter eines 
Oheims in Böhmen durch Erbichaft zufielen, jo erlangte er hier: 
durch die Mittel, ſich Kaiſer Ferdinands II. Gunft zu erwerben. 
Derjelbe hatte bereitö (1617) zwei Jahre vor feiner Thronbe- 
fteigung als Erzherzog von Steiermark einen Feldzug gegen bie 
Benetianer zu führen. Hierbei leiftete ihm MWallenftein (Dr. Kr. 
136) nicht nur durch feinen Reichthum, fondern auch ald Ober: 
fter bedeutende Dienfte; außerdem aber ergriff er, ald die Böh- 
men unter dem Grafen Thurn einen Aufftand erhoben, die 


*) Der Kürze wegen werden wir in biefem Artikel die brei Abtheilungen bes 
Dramas, das Lager, die Piecolomini und Wallenſteins Tod, einfach mit den Buch» 
ftaben L, B und % bezeichnen. Gine Vergleihung mit den eingellammerten 
Scenen wird dem Lejer zeigen, wie der Dichter die hiſtoriſchen Thatfachen in 
jeinem Drama verwerthet Bat. 

29) Nah Leopold von Ranke's Geſchichte Wallenſteins Kat diefer aller- 
bing® die Univerfität Altdorf befucht und fich dafelbft durch unbezähmbare Heftig- 
Teit audgezeichnet, fo daß ihm nur mit Rudficht auf feine hohen Verwandten bie 
fürmliche Relegation erfpart worben ift. 


442 MWallenftein. 


Taiferlihe Partei, brachte die Kaflen von Olmüg nad) Wien und 
fhlug 1620 den fiebenbürgifchen Fürften Bethlen Gabor in 
Schleſien. Chrgeizig, wie er war, gelang es ihm 1622 den 
Grafentitel zu erwerben, worauf er die Herrfchaft Friedland 
durch Anlauf von 60 confiscirten Herrichaften und Gütern bis 
zu 60 Quadratmeilen erweiterte. In Folge defien wurde er 
1623 zum Fürften von Friedland und ſomit zur Würde eines 
Neichöfürften erhoben. Hierauf vermählte er ſich zum zweiten 
Male, und zwar mit Iſabella Katharina, der liebendwürdigen 
und befcheidenen Tochter eined Grafen von Harradh, der bei dem 
Kaifer in hohem Anfeben ftand. Für die bedeutenden Dienfte, 
die er dem legteren in Böhmen und Mähren geleiftet, ward ihm 
1627 der Herzogätitel zu Theil, und aldbald machte er auch von 
feinem Rechte Gebrauch, Münzen mit feinem Bildniß (8. 11) 
prägen zu laffen. 

Inzwiſchen hatte der jeit 1618 audgebrochene Krieg eine 
erweiterte Ausdehnung gewonnen, indem ſich Chriftian IV. von 
Dänemark in denfelben mifchte. Der evangelifhen Union ftand 
zwar die von dem Kurfürjten Marimilian von Baiern gebildete 
Tatholifche Liga gegenüber; aber es war dem Kaiſer ein brüden: 
bed Gefühl, von diefer Unterftügung abhängig zu fein. Er 
nahm daher Wallenjteind Anerbieten, ihm ein Heer von 40,000 
Mann zu ftellen, mit großer Bereitwilligfeit an, ernannte ihn 
zum Generaliffimud und Feldmarſchall und hatte bald Die 
Freude, zu ſehen, wie Mandfeld (|. d. u. 8. 5) aus Deutjch 
land vertrieben, die Dänen verjagt und die Streitfräfte ber 
Proteftanten vernichtet wurden. Die von Wallenftein geleifte: 
ten Vorſchüſſe waren dem Kaiſer natürlich jehr willfommen, 
und wenn das neu gebildete Heer auch bald auf 100,000 Mann 
anwuchs, fo war es Doch gut organifirt, wurde in trefflicher 
Drdnung erhalten und koſtete dem Kaiſer (P. II, 7) keinen Hel- 
ler, da ed auf Koften der Ränder lebte, die es eben beſeßt hielt. 
So war Wallenftein in einem Zeitraum von drei Sahren ber 
allmächtige Gebieter des evangeliſchen Norddeutichlandd geworden. 





Py "| 


Wallenftein. 443 


Im Sabre 1627 zog er nach Schlefien, kaufte von dem Kaiſer 
das Herzogtbum Sagan für 125,000 Gulden und ging hierauf 
nach Medlenburg, deffen Herzöge Adolph Friedrih und Sohann 
Albrecht ald vermeintliche Bundedgenofjen ded Königs von Däne- 
marf ihred Landes für verluftig erklärt worden waren. Da ber 
Kater ihm wegen nicht gezahlter Kriegskoſten auch Medlenburg 
al8 Unterpfand überließ, jo nannte er fich jetzt Herzog von Med: 
lenburg, Friedland und Sagan und begab fih nun nad Pom- 
mern, wo fi ihm Alles unterwarf, mit Audnahme der Stadt 
Stralfund, die Teine faiferlihe Beſatzung einnehmen wollte, 
Obwohl er die Stadt (8. 8) faft ein ganzes BVierteljahr, vom 
Mai bid zum Auguft 1628, belagerte, jo mußte er doch unver: 
tichteter Sache wieder abziehen. 

War hierdurch der Glaube an die Unbezwinglichkeit des 
mächtigen Gewalthabers bei dem Volle erjchüttert, jo athmeten 
nunmehr auch die Yürften auf, bei denen der Glanz, welchen 
Wallenftein in feiner Umgebung zur Schau trug, längft Neid 
erregt hatte. Die gewaltiamen Erprefjungen (L. 6, V. 134— 136), 
welde er fich in katholiſchen wie in proteftantiichen Kändern er- 
laubt, waren die VBeranlafjung, daß i. 3. 1630 auf dem Reichs— 
tage zu Regensburg (P. II, 7, V. 155 — Dr. Kr. 156) von allen 
Reichsfürſten Beſchwerden gegen ihn erhoben wurten, welche ihn 
bewogen, feine Entlafjung zu nehmen. Der Kaifer, der ſich auf 
einen Kampf mit den katholiſchen Yürjten, befonderd mit Mart- 
milian von Baiern, nicht gern einlaffen mochte, ſah fich genö- 
thtgt, einzumwilligen; und Wallenftein, obwohl mächtig genug, um 
felbft dem Kaiſer ſammt den Reichsfürſten Troß (P. II, 3. 165 
a. 66) zu bieten, war doch viel zu vorſichtig, ald daß er von 
feiner Gewalt einen übereilten Gebraud gemacht hätte. Ruhig 
ber Zukunft vertrauend, z0g er fih nah Gitſchin- (f. d.) zurüd, 
wo er mit fürftlicher Pracht (P. III, 4, 8. 141—157), gleichzeitig 
aber in nüglicher Thätigkeit lebte, die beſonders auf die beflere 
Berwaltung feiner Güter gerichtet war. Bon Zeit zu Zeit pflegte 
er auch nach Prag zu geben, wo er einen prächtigen Palaft bejaß. 


444 Wallenftein. 


Lange jedoch jollte ihm dieſe friedliche Beichäftigung nicht 
vergönnt fein. Zu Anfang ded Juli 1630 war Guſtav Adolph 
in Rommern gelandet, theild durch politifche Rüdfichten getrieben, 
theils aber auch, um feinen Glaubensgenoſſen Hülfe zu bringen. 
Als umfichtiger Yeldherr drang er raſch nad) Sachſen vor und 
veritand ed, die unter Tillys Oberbefehl ftehenden Heere bes 
Kaiferd und der Riga bis zu Ende ded Jahres zu beichäftigen. 
Nachdem er hierauf den Kurfürften Georg Wilhelm von Bran; 
denburg zu einem Bündniß gezwungen, und durch Wiederein- 
jegung der Herzöge von Medlenburg für die Beleidigung Rache 
genonmen, welche ihm Wallenjtein durch die Belagerung Stral- 
funds zugefügt hatte, wandte er fich gegen Tilly (ſ. d.), ſchlug 
denfelben bei Reipzig und Breitenfeld und drang durch daß fränkiſche 
Gebiet bid an den Rhein vor, mo er die Winterquartiere bezog. 
Im nächſten Frühjahr trieb er Tilly über Die Donau zurüd, 
und als Diefer zu Sngolftadt feinen Wunden erlegen war, drang 
er über den Lech in Baiern ein, jo daß der Kaifer nunmehr in 
feinen Erblanden bedroht wurde. Inzwiſchen waren auch Die 
mit dem Schwedenkönig verbundenen Sachſen in Böhmen ein- 
gedrungen und bis nach Prag vorgerüdt. Bei diefer Gelegen— 
beit hatte Wallenftein eine zweideutige Rolle gejpiell. Schon 
im Sommer 1631 hatte er durch den Grafen von Thurn und 
einen Czechen Seſyma [pr Szeßima)] Raſchin (bei Sch. P. V,2 
Sejin) Unterhandlungen mit Guſtav Adolph gepflogen und den 
Sachſen das Bordringen in Böhmen erleichtert; aber da man 
auf beiden Seiten fein rechteö Vertrauen (vergl. T. I, 5, V. 34) 
hatte, jo war fein weiteres Refultat erreicht worden. Walen- 
ftein konnte daher auf die neuen Bitten ded Katjers, ibm aber: 
mald ein Heer zu werben, ohne weiteres eingehen. Freilich gab - 
er fih anfangs den Schein, als fei ihm an einer Wieberberftel: 
lung des früheren Berhältnifjes nicht viel gelegen. Und obwohl 
man Mar von Waldftein *), einen Better ded Herzogs, der unter 





— 


*) Vielleicht war biefe Perfönlichkeit für den Dichter eine Veranlaffung, dem 
jungen Biccolomint den Bornamen Mar zu geben. 


DWallenitein. 445 


feinen Berwandten beſonders viel bet ihm galt, zum Neberbringer 
‚der erſten Anträge gewählt hatte, fo erklärte er ſich doch nur 
bereit, nach Znaim zu gehen, und Dort die näheren Borfchläge 
des Kaiſers zu erwarten. Hier (vergl. P. I,2) war ed, wo er 
niit dem Fürſten von Eggenberg (PB. II, 2), den er unter ben 
Räthen ded Kaijerd bejonderd adjtete, die Unterbandlungen be- 
gann und endlich den dringenden Bitten ded Wiener Hofes nad): 
gab. In drei Monaten brachte er hierauf ein Heer von 30,000 
Mann zufammen*) nnd übernahm nun den Oberbefehl unter 
Bedingungen (vergl. Dr. Kr. 304 u. L. 11, V. 185), bei welchen 
das Verhältniß zwilchen dem Herrfcher und dem Unterthanen fich 
volftändig umkehrte, fo daB ein anderer als ein gewaltfamer 
Ausgang kaum zu denfen war. Dennod) erhob fih am Hofe 
feine Stimme, welche diefe Bedingungen übertrieben gefunden 
hätte. 

In kurzer Zeit hatte Wallenjtein fein Heer bid auf 40,000 
Dann vermehrt. Set (April 1632) brach er von Znaim nach 
Prag auf, nahm die Stadt mit Gewalt und verdrängte die Sach: 
fen aus Böhmen (vergl. P. II, 7), fo daß Ouſtav Adolph fich 
veranlaßt jah, aus Baiern zurüdzugeben und einen großen Theil 
feiner Heereöabthetlungen, bejonderd die von Bernhard von Wei: 
mar (f. d.) und Banner") befebligten Truppen, bei Nürnberg 
zufammenzuzieben. Ganz in ber Nähe, auf der jogenannten 
Alten Befte (7. III, 15, V. 91) nahm auch Wallenftein eine 
geficherte Stellung ein, aus der ihn Guſtav Adolph vergebens 
(vergl. Nürnberg) zu vertreiben ſuchte. Als e8 ihm nad) dieſem 


*) Riccius, ein bamaliger Schriftiteller, jagt: „Wallenftein hat nur nöthig, 
mit bem Fuße auf bie Erbe zu ftanıpfen, um Heere von Bewaffneten hervorzu⸗ 
zaubern”, ein Ansſpruch, der an Karld VII. Worte (3.0. O. 1, 3) erinnert, ur 
fprünglich aber dem Römer Pompejus angehört. 

**) eig. Joh. Baner od. Bannier, wie Meteeren (Meteranus) in feinen nieder⸗ 
Länbifchen Hiftorien vom Jahre 1640 ihn nennt, und wie er auch in Merian’s 
Theatrum Europasum genannt wird: baber (2. 11,3): Banniers verfulgende 
Dragoner” 


446 Wallenftein. 


verzweifelten Verfuch eben fo wenig gelang, ihn nad} der Donau 
zu Ioden, Wallenftein vielmehr nad) Sachſen ging, um bafelbft 
Winterquartiere zu nehmen, jo griff er ihn am 6. November bei 
Fügen an, follte aber bier zugleich feine Heldenlaufbahn be 
ſchließen. Obwohl Bernhard von Weimar die Schlacht zu Gun 
ften der Schweden entichieden hatte, jo fchrieben fich bie Kaiſer⸗ 
lichen (vergl. P. II, 7, B. 56) dennoch den Steg zu. Aber freilich 
fiel e8 Wallenftein nicht ein, denfelben zu verfolgen; er ging 
vielmehr nad) Böhmen in die Winterquartiere, um fein Heer 
dafelbft zu ergänzen Im Frühjahr 1633 begab er fi nad 
Schlefien, das tbeild von Sadjen, theild von Brandenburgen 
und Schweden beſetzt war. Aber auch diefe trieb er nicht her 
aus, was mit leichter Mühe hätte geſchehen können. Er ließ 
fih im Gegentheil auf geheime Unterbandlungen ein und erregte 
dadurh Mißtrauen nit nur am Taiferlichen Hofe, ſondern auch 
bei den Sachſen und den Schweden, die er vermuthlich mitein- 
ander hatte entzweien wollen. Ein kaiſerlicher Geſandter, welcher 
bei ihm erfchien, um auf eine energijchere Kriegführung zu drin 
gen, wurde rüdficht8los behandelt und fchlieglich abgewiefen, fo 
dag nun nicht3 weiter übrig blieb, ald gegen den troßigen und 
fbermächtigen Feldherrn im Gehelmen vorzugehen; auch gelang 
es bald, Gallad, Piccolomint und andere höhere Dfficiere für 
die Sache des Kaijerd zu gewinnen. 

So ging der ganze Sommer vorüber, ohne daß Wallenftein 
etwas Entſcheidendes unternommen hätte; erft inı October wandte 
er fih gegen Sachſen, kehrte aber plöglih um und fchlug die 
unter dem Grafen Thurn vereinigten Brandenburger und Schwe: 
den (Dr. Kr. 388) bei Steinau „am Oberftrom* (P. II, 7, B. 80 
u. 104), vielleicht nur, um die gegen ihn erhobenen Anſchuldi⸗ 
gungen zu widerlegen. Unterbefien hatten die Schweben unter 
Bernhard von Weimar in Franken, am Rhein und an der Du 
nau fo bedeutende Fortſchritte gemacht, daß ſelbſt Regenöburg 
in ihre Hände fiel. Sept drang der Kaifer darauf, dab Wallen⸗ 
ftein dem Kurfürften von Baiern Hülfe bringen ſolle. Allerdings 


— — 


Wallenſtein. 447 


ſchickte er nun einige Recognoſcirungsmannſchaften (vergl. Dr. 
Kr. 377) nach Baiern hinein, die bis an die ſchwediſchen Vor⸗ 
poſten vordrangen, dad war aber auch alles. Er felbft ging mit 
dem Gros feiner Armee nach Pilfen und fchrieb an ben Kaifer, 
ed ſei jebt weiter nicht zu machen, und die Winterquartiere 
müßten in Böhmen genommen werben. Diefe abermalige Be: 
laftung feiner Erblande machte den Katfer im höchften Grabe 
mißgeftimmt; er jchidte deshalb im December den Hoffriegärath 
Dueftenberg nah Pillen, um mit Wallenftein wegen Ber. 
legung ber Truppen zu unterhandeln. Diefer aber verjammelte 
feine Generale und Regiments-Commandeure und ließ von den⸗ 
felben eine Erklärung auffegen, daß man die Truppen im Winter 
unmöglich gegen ben Feind führen könne, wenn man nicht eine 
Meuterei unter den Soldaten (vergl. 8. 11, B. 367 u. T. 1,8, 
3.73) herbeiführen wolle. Außerdem befahl er dem Oberften 
be Suy (Picc. II,7, V. 186), der zufolge einer kaiſerlichen Ordre 
bis Pafjau vorgerückt war, bei Todesftrafe, fogleich wieder um- 
zufehren. Sept (Dr. Kr. 391) forderte ber Kurfürft Marimilian 
von Baiern den Katjer auf, Wallenftein feined Commando's zu 
entjegen, wobei ihn auch die fpantjche Regierung unterjtüste, 
bie den Herzog gerabezu ald einen Berräther (T. III, 15, V. 36) 
bezeichnete. 

Ungeachtet diefer Forderungen machte der Kaifer im Januar 
1634 noch einen Verſuch. Er ſchickte den Grafen von Traut- 
mannddorf und den Pater Duiroga (Picc. IV, 5, 3.92) zu 
Wallenftein, um ihn zu anderen Entfchließungen zu bewegen. 
Man wollte dem Heere den König von Ungarn (vergl. Kind) 
beigeben, und außerdem jollte er 8000 Reiter zu dem Gardinal- 
Infanten Ferdinand von Sparten ftoßen lafjen, der eben im 
Begriff war, ſich ald Statthalter der Niederlande (8. 11, V. 29) 
auf feinen Poften zu begeben. Zumuthungen diefer Art liefen 
dein Contracte, welchen Wallenftein mit dem Katjer gefchloflen, 
direct entgegen; er wies fie daher mit Entſchiedenheit zurück 
und erflärte, unter ſolchen Umftänden das Commando lieber 


448 Wallenſtein. 


niederlegen zu wollen. Mit dieſer letzten Erklärung war es ihm 
freilich keinesweges Ernſt; im Gegentheil rüſtete er ſich (Dr. 
Kr. 392) zu einer verrätheriſchen Gegenwehr, während der 
Kaiſer im Geheimen die nöthigen Anftalten traf, um das 
Heer zum Gehorſam gegen jeine eigene Perfon zurüdzuführen. 
Wallenſtein's nächſter Schritt bejtand darin, daß er feine be: 
deutendften Generale und Oberften nad Pilſen berief, und 
ihnen durch feine Bertrauten, den Feldmarſchall SUo (Dr. Kr. 
397) und den Grafen Terzky eröffnen ließ, er fei gefonnen, das 
Commando niederzulegen, da der Hof feiner überdrüffig ſei. 
Als die Officiere fi bierüber in hohem Grade unzufrieden 
zeigten, erklärten fi Illo und Terzky bereit, noch einmal mit 
dem Herzog zu reden, indeſſen möchten die Oberſten eine fchrift: 
lihe Erflärung auflegen, daß fie an ihm feithalten wollten. 
Died geſchah, wie ältere Quellen erzählen, mit Hinzufügung der 
Klaufel, daß nichtd gegen den Kaijer und gegen die katholiſche 
Religion unternommen werde. In den zu Warmbrunn befind- 
lihen Originale des „Piljener Schlujfed“, wie man diefe Er: 
gebenheit3adrefie nannte, ift die Klaujel nicht vorhanden; auch 
Steht feit, daß mehrere Dfficiere, die wegen der Unterfchrift der 
Adreffe zur Rechenfchaft gezugen wurden, jich keinesweges darauf 
beriefen, daß man fie mit einer unvollftändigen Abjchrift getäufcht 
babe. AB Wallenjtein hörte, wozu feine Oberjten bereit jeien, 
erflärte er, er wolle bleiben. Hierauf gaben Illo und Terzky 
ein Saftmahl, bei dem ed ziemlich toll berging, und wo bie 
Schrift, in der des Katjerd in Feiner Weiſe erwähnt war, unter: 
zeichnet wurde. 

Inzwiſchen hatten italtenifche und jpanijche Dfficiere über 
die bedeuklichen Vorgänge nad) Hofe berichtet, und bejonders 
hatte Piccolomini, in welchen der Herzog ein unbedingtes Ber- 
frauen jepte, dem Kaifer genauere Mittheilungen über ben 
Pilſener Schluß, wie über. die durch den Grafen Kinsky mit 
Frankreich gepflogenen geheimen Unterhandlungen gemacht. Sept 
war der Kaiſer genöthigt, einen enticheidenden Schritt zu thun. 


Wallenſtein. 449 


Dem bereits gewonnenen Grafen Gallas wurde ein vom 24. Ja⸗ 
nuar unterzeichneted Patent eingehändigt, in welchem Wallenftein 
ala Rebell bezeichnet und für vogelfrei erflärt, daB Heer aber 
an Gallas gewiefen ward. Bon dieſem Patent follte erft im 
Nothfall Gebrauch gemacht werden, vor allem aber follte es Wal: 
lenftein verborgen bleiben, mit dem der Kaijer noch drei Wochen 
lang in gewohnter Weiſe correipondirte, wobei er ihn fogar mit 
dem Titel „Herzog von Medlenburg” bezeichnete. Außer dem 
genannten Patent erhielten Gallad und Piccolomini noch den 
geheimen Auftrag, fih Wallenfteind lebend oder tobt zu be: 
mädtigen. Am 20. Februar beichted Wallenftein, nachdem er 
feine Unterhandlungen mit Schweden und Frankreich dem Ab: 
fchluffe näher gebracht, feine Generale und Oberſten nochmals 
nah Pilſen, ftellte ihnen einen Revers aus, daß es ihm nie in 
den Sinn gelommen, das Geringſte gegen den Kaiſer oder gegen 
bie katholiſche Religion zu unternehmen, und fandte erft den 
Oberſt Mohrwald, und einen Tag fpäter den Oberft Brenner 
nah Wien, durch welche er ſich bereit erflärte, dad Commando 
niederzulegen und, falls man es verlangte, fich felber zu ftellen. 
Diefe Boten aber wurden von Piccolomini und Diodati auf: 
gehalten, und Gallas beeilte fich, von feiner Vollmacht Gebrauch 
zu maden. Er verließ (Dr. Kr. 403) Pilfen, um, wie er vorgab, 
Aldringer, den Befehlshaber der baierfchen Abtbeilung von 
Wallenftein’8 Heer, berbeizubolen. Im füblihen Böhmen famen 
beide zufammen; ftatt aber zurüdzufehren, verabrebeten file mit 
einander, was zu thun fei, um dem SKaifer feine dortigen Gar: 
ntjonen zu erhalten. Auf einen nah Wien gefandten Bericht 
traf man von dort aus die nöthigen Anftalten, um Wallenjtein 
in Pilfen zu tfoliren, und durch ein vom 18. Februar audgeftelltes 
Patent wurden die Soldaten an das neue Commando verwieſen 
und für den Kaifer in Pflicht genommen. 

Wallenftein, feft auf fein Heer und die Geſtirne bauend, 
zugleich aber voll Hoffnung auf eine nahe Verbindung mit ben 
Sachſen, hatte Feine Ahnung von dem, wad in Wien gegen ihn 

I. 29 


450 Wallenftein. 


gejchmiedet war. Als er aber hörte, daß fih Piccolomini heimlich 
aus Pillen entfernt hätte, fürdhtete er Berrath von Seiten ber 
Generale und wollte dedhalb alle ihm zur Dispofition ftehenden 
Truppen in Prag vereinigen. Weber dieſe Abficht follte Bernhard 
von Weimar durch den ſächſiſchen Feldmarſchall Franz Albert 
von Lauenburg aufgeflärt werden, der auf Wallenftein’d Plan 
eingegangen war. Da kam die Nachricht, daß Prag verloren 
und die abgefallenen Generale Piccolomini, Gallas und Maradad 
gegen ihn im Anzuge ſeien. Jetzt verließ der Herzog Pilſen und 
traf am 24. Yebruar mit fünf Schwadronen Terztyicher Reiter 
und 200 Dragonern, die unter Buttler’3 Befehl ftanden, in Eger 
ein, gefolgt von Terzky, Kinsky, So, feiner Gemahlin, der 
Gräfin Terzka und dem Aftrologen Seni, der jein fteter Begleiter 
war. Erft jept, ald Wallenftein fein Leben bedroht jah, entſchloß 
er fi, dem Herzog Bernhard von Weimar die Hand zu bieten. 
Aber fein böfer Genius folgte ihm auf den Werfen. Buttler, 
der um des Kaijerd Abfichten wußte, auf Wallenftein aber wegen 
früher erfahrener Zurüdjegung erbittert war, beichloß jeine Plane 
zu vereiteln. 

Gordon, der Commandant von Eger, hatte Wallenftein’d 
Drdre erhalten und fügte fich derfelben, weil er der Meinung 
war, der Herzog rüde mit großer Macht heran; ald ibm Buttler 
jedoch die kaiſerliche Achtderklärung mitgetheilt hatte, wurde ihm 
bange, und er ging um fo leichter auf deſſen Vorſchlag ein, als 
Illo und Terzky in feiner und des Oberſtwachtmeiſters Ledlie 
(Dr. Kr. 407) Gegenwart ohne Rüdhalt von der baldigen An- 
funft der Schweden geiprochen hatten. Am Abend des 25. Yes 
bruar gab Gordon den Generalen ein Feſtmahl auf dem Schloß 
der Gitadelle, das jeßt verfallen tft, übrigend von dem Haufe, 
wo Wallenftein feine Wohnung genommen, nicht (T. V, 4) ge 
ſehen werden konnte. Gegen acht Uhr, ald eben der Nachtiich 
aufgetragen werden follte, drangen der Oberftwachtmeifter Ge: 
raldin und ber Hauptmann-Deverour mit ſechs Dragonern 
in den Saal, ftürzten die Zifche um und riefen: „Hola! wer 


Wallenftein. 451 


it gut kaiſerlih?“ Die Berjchworenen |prangen auf, zogen 
fih an die Saalwand zurüd und wurden nad) verzweifelter 
Gegenwehr niedergemegelt; ed waren Kinsky, ZUo, Terzky und 
der Rittmeifter Neumann. Terzky (nit Illo, vergl. T. V, 6) 
tödtete und verwundete mehrere Dragoner, ehe er zufammenfantf. 
Während Gordon auf der Gitadelle blieb (vergl. T. V, 4), ging 
Leplie mit zwei Compagnien Buttlerifher Dragoner nach der 
Studt, um die Zugänge zu dem Marktplatz zu bejeben. Bald 
darauf erjchien auch Buttler mit Geraldin und Deverour; fie 
begaben fich in dad Haus des Bürgermeifterd Pachhälbel am 
Markte, wo Wallenjtein ſich zeitig zur Ruhe begeben hatte. 
Während Buttler und Geraldin die Thüren befegt hielten, drang 
Deverour mit ſechs Dragonern in des Herzogd Schlafgemadh, 
der, von dem Lärm gewedt, aufgefprungen war, um bie Wache 
zu rufen. Mit den Worten: „Bift Du der Schelm, ber Seiner 
Kaiferlihen Majeftät die Krone vom Haupte reißen will? Du 
mußt jest fterben! ” ftieß ihm Deveroug bie Partifane in die 
Bruft, und lautlos ftürzte der Dann zufammen, defien gewaltige 
Erſcheinung von faft ganz Europa angeftaunt worden war. Er 
hatte ein Alter von 51 Jahren erreicht. 

Buttler und Gordon, welche eigenmächtig gehandelt hatten, 
juchten fich in einem Bericht an den Kaijer zu rechtfertigen und 
hatten fich einer gnädigen Aufnahme ihrer Handlungsweife zu 
erfreuen. Inzwiſchen war Bilfen von den Kaiſerlichen beſetzt 
worden, und Piccolomint und Gallad kamen nad Eger. Ferdi—⸗ 
nand 309 alle Güter des Herzogd, ald eined Geächteten, ein und 
verfchentte fie an die bei der Ermordung Wallenſteins und feiner 
Generale betheiligten Perjonen; nur Neufchloß verblieb der 
Wittwe des Herzogs und feiner Tochter Elifabethb, der nach— 
maligen Gräfin Kaunig. Piccolomini erhielt die Herrichaft 
Nachod, auch wurde ihm fpäter eine Standederhöhung zu Theil. 
Des Herzogs fterbliche Weberrefte wurden in einer von ihn zu 
Waldiztz bei Gitſchin erbauten Karthaufe beigefept, doch ward 
tim auch hier nicht einmal Ruhe gegönnt. Im Jahre 1639, 

29 * 


452 Wallenſtein. 


wo Banner in dieſe Gegend kam, ließ er Wallenſtein's Gruft 
öffnen und war barbariſch genug, das Haupt und den rechten 
Arm zu rauben und nach Schweden zu jchiden. Erft nad) mehr 
ald Hundert Jahren wurden die verftünmtelten Weberrefte non 
einem Verwandten nad) Münchengrät übergeführt und in ber 
dortigen Sanct Annen:Capelle beigeſetzt. 

Ob Wallenftein ſchuldig oder unfchuldig gewefen, ob feine 
Unterhandlungen mit den Sachſen und den Schweden nur zum 
Schein geführt wurden, oder ob fie wirklich ein verrätheriiches 
Bündniß gegen jeinen Herren, zum Zwed gehabt, darüber find 
die Anfichten zwei Sahrhunderte lang (vergl. Prol. V. 102 u. 
103) getheilt geweſen. Erft der neueren Geſchichtsforſchung war 
ed aufbehalten, mit voller Gewiſſenhaftigkeit zu verfahren und 
bem frevelhaft Gemorbeten gegenüber die Stinnme Der Gerech— 
tigfeit erfchallen zu laſſen. Einen eifrigen Vertheidiger bat 
Wallenſtein an Friedrich Förfter“) gefunden, der feine Unjchuld 
behauptet und zu bewetfen verjucht Hat. Eben fo fagt Richter ”*): 
„Zn ihrer ganzen Ausdehnung bat er feine Vollmachten gebraudit, 
aber mißbraucht hat er fie nie. Was er gethan, und was ihm 
feine Feinde zur Anklage machten, dazu hatte ihm fein Kaifer 
das Recht gegeben.” Auf Grund diefer Rechtfertigungen hat 
Graf Ehriftian von Waldftein-Wartenberg, Wallenſtein's recht: 
mäßiger Erbe, wegen der eingezogenen Güter Klage gegen den 
kaiſerlichen Fiscus erhoben, aber, wie ſich erwarten ließ, ohne 
Erfolg. In Schiller’ Geſchichte des breißigjährigen Krieges 
eriheint Wallenftein zufolge der unzulänglichen Quellen, welche 
unjerm Dichter zu Gebote ftanden, gleih von Anfang an als 
ein widerjpenftiger Unterthan (vergl. Dr. Kr. 293) feines Kaijers, 
als ein Charakter, der nicht nur von Ehrſucht erfüllt, fondern 
feit dem Negenöburger Yürftentage auch von Rachegedanken 


*) Berg. Fr. För ſter. Wallenſtein's Briefe. Berlin 1828, und Ballen- 
ftein’8 Prozeß vor ben Schranlen bed Weltgerichts. Leipzig bei G. Teubner, 1844. 
**, Otto Victer Richter. Wullenftein und fein legter Tag in Eger. Wun⸗ 
fiebel bei Baumann, 1658. 


Wallenftein. 453 


beſeelt war, die ihn erſt zu heimlichem, dann aber zu offenem 
Verrath an feinem Herrn fortriſſen. Die ſpätere geſchichtliche 
Forſchung bat dargethan, dag Wallenftein von dieſer Schuld 
freizufprechen ift, denn jelbit feine Unterhandlungen mit den 
Sachſen und ben Schweden wurden mit Zuftinmung bed Kaiſers 
geführt; dagegen laſſen die durch feinen ränfenollen Schwager 
Graf Kinsky mit dem franzöfiichen Gefandten Feuquieères (vergl. 
Dr. Kr. 385) gepflogenen Unterbandlungen allerding8 vermutben, 
daß er in den lepten Monaten jeined Leben auf einen Abfall 
vom Kaiſer hingenrbeitet habe. Sei dem nun, wie ihm wolle, 
fo Hat Sch. in feiner Geſchichte des Dreißigjährigen Krieged Doch 
weder den Charakter noch die Unternehmungen des Herzogd in 
ein entfchieben falſches Licht geftellt, und der Gedanke, daß er 
einen wirklichen Verraͤther vor fich habe, mußte ihm wenigſtens 
für die Tragödie durchaus willlommen fein. 

Als Sch. im Herbit ded Sahres 1796 mit der dramatilchen 
Geſtaltung ſeines Stoffed den Anfang gemacht, fchrieb er an 
Körner: „Die Bafld, worauf Wallenftein jein Unternehmen 
gründet, ift die Armee: für mich eine unendliche Yläche, die ich 
nicht vor's Auge und nur mit unfäglicher Kunft vor die Phan- 
tafte bringen kann; ih Tann alſo dad Object, worauf er ruht, 
nicht zeigen, und eben jo wenig dad, woburd er fällt: daß tft 
ebenfalld die Stimmung der Armee, der Hof, der Katjer.“ Und 
allerdings bot die Weitläuftigfeit des Schauplatzes mit feinen 
zahlreichen Parteien, feinen höchſt verwidelten Berhältnifien und 
ben weitverzweigten Yäden, aus denen ber Knoten des Stüded 
zu fehürzen war, dem Anſchein nach unüberwindliche Schwierig: 
teiten dar. Dennoch konnte Sch. ſchon nad einem Jahre (5. Ja: 
nuar 1798) an Goethe fchreiben: „Ich finde augenſcheinlich, daß 
ich über mich Hinausgegangen bin, welches die Yrucht unjered 
Umgangs ift... Sch werde ed mir gejagt fein laflen, feine 
andere als hiſtoriſche Stoffe zu wählen; frei erfundene würden 
meine Klippe fein. Es ift eine ganz andere Operation, das 
Realiftiiche zu tbealijiren, ald das Ideale zu realifirn. Es 


454 Ballenftein. 


fteht in meinem Vermögen, eine gegebene, beftimmte und be 
Ichränfte Materie zu beleben, zu erwärmen und gleichjam auf: 
quellen zu machen, während die objective Beſtimmtheit eines 
ſolchen Stoffes meine Phantaſie zügelt und meiner Willlür 
wiberftebt.” Diefe Worte des Dichterd fagen und deutlich, in 
welchem VBerbältniß fein Drama zur Geſchichte ſteht. Wenn: 
gleich‘ ber Hiftorifche Boden ihm alle nothwendigen &lemente 
lieferte, aus Denen er eine lebendvolle Handlung hervorgehen 
Iafien Eonnte, jo war er als Dichter doch weder im Stande noch 
gewillt, die gejchichtlihe Treue nach allen Richtungen bin zu 
wahren. &8 kann baber nicht auffallen, wenn er fein Material 
mit großer Freiheit behandelt, Died und Jenes bringt, was der 
Hiftorifer anders darftellt, manches Thatfächliche von einer Perſon 
auf die andere überträgt; Dagegen finden wir, daß der ganze 
Geiſt jener Zeit mit Ernft und Treue feftgehalten ift, und be: 
deutfame Momente der Gefchichte, über welche wir Aeußerungen 
aus dem Munde ber handelnden Perfonen vernehmen, mit einem 
hoben Grade von Anſchaulichkeit und vor Die Seele treten. Die 
Hauptbanblung aber läßt der Dichter. ſich aus dem Innern ſei⸗ 
ned Helden entwideln, den ihm die Geſchichte ald einen flolzen, 
ehrgeizigen, von Gedanken der Race erfüllten Mann gezeigt, 
entichlofien, fi gegen jeinen Kater wie gegen die beftehende 
Drdnung aufzulehnen. Die Beziehungen feined Helden zu ber 
Welt, die derfelbe in's Dafein rief, geftaltete und mit feinem 
Sturz zu Grunde: richtete, fie bilden den geichichtlichen Inhalt 
bed StüdeR. 

Man bat Sch.’3 Wallenftein feiner Dreitheilung wegen biß- 
weilen ald Trilogie bezeichnet; doch ift auch von verfchiedenen 
Seiten her darauf hingewiefen worden, daß wir es bier mit einer 
Trilogie im antiken Sinne keinesweges zu thun haben. Wenn 
Aeſchylos, der Schöpfer der tragiſchen Kunſt, in feiner „Dreftias“ 
drei Stüde, den „Agamemnnon”, die „Soephören” und bie „Eu: 
meniben“ mit einander verbindet, fo giebt er und drei felb- 
ftändige Stüde, die fih auf einander beziehen, von benen aber 


MWallenftein. 455 


jedes feine beiondere Kataftrophe und einen befriebigenden Ab- 
Ihluß hat. Eine Reihe von Stüden zu fchaffen, welche diefer 
Forderung entſprächen, lag aber nicht in Schiller's Abficht; er 
wurbe nur durch die Mafle des Stoffed zu einer Zerlegung in 
drei Stüde gezwungen. Auf diefe Weile ift denn ein „brama- 
tifched Gedicht" von ungewöhnlicher Ausdehnung entitanden, 
welches, indem e3 aus einer wichtigen Epoche der Geſchichte ein 
Hauptmoment berausgreift, und gleichzeitig ein ganzes Zeitalter 
in &harakteriftiihen Zügen zur Anichauung bringt, ohne jedoch 
der inneren Einheit zu entbehren, die man von einem drama⸗ 
tiihen Kunftwerk verlangt. Was fih in der Geichichte von 
Ende November 1633 bis Ende Februar 1634 zugetragen, das 
hat der Dichter Hier auf einen Zeitraum von vier Tagen zu: 
fammengedrängt. Joſ. Bayer nimmt ald die Zeit, in welcher 
„das Lager“ pielt, einen Tag vor dem Saftmahle in Piljen an, 
aljo den 12. Januar 1634; die „Piccolomini” jpielen am Tage 
dieſes Gaſtmahls ſelbſt bis zum nächſten Morgen nad dem— 
ſelben; und „Wallenſtein's Tod” von da an bis zu feiner Er: 
mordung in Eger, am 25. Yebruar 1634. Ungeachtet die drei 
Stüde in enger Verbindung mit einander ftehen, fo bat doch 
jedes feinen eigenthümlichen Charakter. In dem Lager, welches 
und in die niedere Geſellſchaft der gemeinen Soldaten verjept, 
herrſcht ein derber und fräftiger Humor, jo daß ed, wenn auch 
nicht feinem Weſen, fo doch feiner Form nach auf den Titel 
eines Luftipield Anſpruch machen kann. Die Piccolomint führen 
und in eine eblere Gefellichaft, deren ernfted und bejonnenes 
Handeln auf die Erreihung höherer, ſelbſt idealer Zwede ge: 
richtet ift. Wallenftein’8 Tod endlich iſt dad wahrhaft tragiſche 
Stüd, befien Aufgabe es ift, unfere Seele mit Furcht und Mit- 
leid zu erfüllen. Hoffmeifter charakterifirt fie furz und treffend 
fo: „Das erfte Stüd hüpft leicht gefchürzt dahin; das zweite 
dehnt fih rubig und langfam in eine breite Fläche aud; das 
dritte bat einen reißenben, jähen Sturz in engem Bette.” Ob 
beffen ungeschtet die ganze Dichtung einen einheitlichen Charakter 


456 Wallenftein. 


hat, dad bat Sch. felbft Sorge gemadt. Die Fragen (I. o. 
©. 439), welche er deshalb am 17. März 1799 an Goethe rid- 
tete, bat Tomaſchek“) auf zwei Hauptpunkte zurüdgeführt: „1) 
Iſt die Dichtung wirkli eine Tragödie? 2) Kann in ihr eine 
durchgängige Einheit nachgewiejen werden?“ Unſerer Anfidt 
nach ift es ihm gelungen, diefe Fragen bejahend zu Iöfen. Gehen 
wir nun zu einer näheren Betrachtung der einzelnen Stüde über, 
und beginnen wir unter Benugung von Helbig’d8 Anmerkungen 
mit dem 
Prolog. 

Der Plan zu bemjelben wurde vermuthlid von Schiller und 
Goethe gemeinjchaftlich entworfen, Die Dichtung felbft jeboch, wie 
aud dem Briefwechſel beider erhellt, von Schiller allein, und zwar 
zu Goethe's bejonderer Zufriedenheit verfaßt. Durch die fünf: 
füßigen ungereimten Samben wollte er dad Publicum jedenfalls 
unbemerkt in die Sprache einführen, auf die e3 fortan von der 
Bühne her vorzugsweiſe zu rechnen babe. — Bon der feftlichen 
Stimmung audgehend, welche bie Räume ded neu eröffneten 
Theaterd (Str. 1) in der Seele der Zujchauer hervorrufen muß: 
ten, betrachtet er die Bühne (2) zunächſt als eine Bildungsftätte 
für die Schaufpieler und erinnert diejelben an Sffland, „den 
edlen Meiſter“, der im April und Dat ded Jahres 1798 einige 
Gaſtrollen in Weimar gegeben, bei denen Sch. jelbft freilich 
nicht hatte anmefend fein können, über deren Erfolg jedoch ihm 
dur Goethe nähere Mittheilung gemacht worden war. Die 
„lang gehegte Hoffnung” bezieht fih auf Schröder, den man 
als Saft aus Hamburg erwartete, um in der Rolle des Wallen- 
ftein aufzutreten, eine Hoffnung, die aber leider nicht in Erfüllung 
King. Do nicht die großen Vorbilder allein find ihm für bie 
Schauspieler von Bedeutung, fondern auch die Zufchauer find 
ihm werth, da fie durch ihr Urtheil außerordentlich viel zur 


2) C. Tomaſchek. Schillers Wallenftein. Ein Vortrag, gehalten im großen 
ftändifchen Saale in Wien. Wien bei C. Gerolbd's Sohn, 1858. 


Wallenftein. 457 


Hebung der Kunſt beitragen Tünnen. Die Schaufpiellunft (8) 
bebarf der Ermunterung mehr als alle anderen Künfte, deshalb - 
rechtfertigt der Dichter das Ringen nach Beifall und ſucht den 
vergänglihen Ruhm zu einem dauernden zu erheben, indem er 
dem zu einem geflügelten Worte gewordenen Ausſpruch: „dem 
Mimen flicht Die Nachwelt Feine Kränze“ die Sentenz gegen- 
überftellt: 

„Denn wer ben Beſten feiner Zeit genug gethan, 
Der bat gelebt für alle Zeiten.” 
Aber nicht nur für die Schaufpieler, auch für die Zufchauer (4) 
fol die Bühne eine Bildungdftätte fein; deshalb fühlt ſich der 
Dichter berufen, fein Publicum in eine höhere Sphäre zu ver- 
jeten, ihm jtatt der Dramen aus dem „Bürgerleben”, wie Sff- 
lands und Kopebued Stüde fie ihm vielfach darboten, jetzt ein 
Heldendrama entgegenzubringen. Died erfcheint um fo. wid: 
tiger (5), ald aud Die Lebendbühne der damaligen Zeit ein 
Schauplag war, auf dem um große Güter gerungen wurde, in- 
dem der gewaltige Kampf gegen die franzöſiſche Nebermacht in 
den Gemütbern fich vorbereitete. 

Nunmehr zu dem Gegenftande feiner Darftellung über: 
gehend, weift er (6) auf den weftphäliichen Frieden bin, der 
dem deutfchen Reihe Ruhe und den übrigen Fändern Europas 
fefte Schranfen gab, die aber in jenen Tagen wieder zerfielen. 
Denn der Friede von Campo Yormio (1797), in welchem Oeſtreich 
die Niederlande und die italieniichen Provinzen abtrat, um dafür 
Benedig mit Zftrien und Dalmatien einzutaujchen, bereitete bie 
Auflöjung des deutſchen Neiched vor; und auf dem Raſtatter 
Congreß (1798) wurden bereit3 Tinterhandlungen wegen Abtre- 
tung des linken Rheinufers eingeleitet. Aber deshalb will er 
nicht an ber Gegenwart verzagen, jondern deutet prophetiſch auf 
eine hoffnungdreihe Zukunft Hin. Borläufig aber (7) will er 
feine Zufhauer mitten in die Zeit ded dreißigjährigen Krieges 
verjeßen, wo die furchtbarſten Greuel geſchahen und eine allge: 
meine Berwilderung Plab gegriffen hatte. Beſonders weit er (8) 


458 Wallenftein. 


auf den Helden feines Stüded bin, deſſen Eharafter ſich zu 
Sch.'s Zeit mannigfacher Parteiftandpunfte halber noch nicht in 
ſcharfen Zügen zeichnen ließ, und ben er abfichtlich ibealifirt 
und in verflärtem Lichte vorführen will, weil die Kunft es mit 
dem Menſchen als folhem zu thun babe. Zunächft bleibt der 
Held (9) freilich noch im Hintergrunde; mur die Macht, anf 
welche er ſich ftüßt, foll dem Zuſchauer vorgeführt werben, das 
erfte Stüd (10) in der Reihe von Gemälden, in welche ber 
Dichter feinen Gegenſtand zu zerlegen genötbigt war, ein Ber: 
fahren, für welches er die Nachficht des Publicumd in Anſpruch 
nimmt. Schließlich (11) entjchuldigt er fich auch bei den an 
die Profa gewöhnten Zuhörern wegen der Reimverje, wie fie 
in den alten deutſchen Dramen eined Hand Sachs und Jakob 
Ayrer im 16. Sahrhundert üblich waren. Durch die Wahl diefer 
Form ſetzte Sch. den fogenannten Knittelverd, dieſes echt nativ: 
nale Metrum (vier Hebungen mit willfürlich eingelegten Sen: 
tungen) nicht nur in feine alten Ehren wieder ein, ſondern er 
rüdte die Dichtung als Zeitbild auch in die Ferne und machte 
hierdurch eine ruhigere Betheiligung an derjelben möglid. Nach 
diejen Borerinnerungen konnte der Borbang aufgehen und 


Wallenfteins Lager 


den erwartungsvollen Bliden ber Zufchauer fich zeigen. Wie 
dad ganze Stüd, jo rubt auch das Lager auf geichichtlicher 
Grundlage, jo daß man fi) durch alle Scenen beffelben (vergl. 
Dr. Kr. 319) von echt hiftoriichem Geiſte angemeht fühlt; es tft 
Wallenfteind Soldatenreidh, zufammengehalten durch den gewal⸗ 
tigen Zauber feiner Perjönlichkeit, dad hier dem heiligen römifch- 
deutfchen Reiche gegenüberfteht. Es ift nicht zu verfennen, daß 
Sch.'s Aufenthalt in der Karlsſchule gewiß weſentlich zu den 
kräftigen Zügen und zu der frifchen Kedheit beigetragen bat, 
mit der das Ganze hingeworfen ift, das Wallenfteind Macht zu 
unmittelbarer Anjchauung bringen und die Zuverfiht zu feinem 
fühnen Unternehmen erflärlich machen follte. . 


— 


Wallenftgin. 459 


Als Beweis für die frifche Keckheit ift zunächft auf bie vor: 
trefflihe Nachahmung der Vollsiprache hinzuweiſen. Nicht nur 
ältere Ausdrüde, wie „ver Schi” (für Benehmen), „baß” 
(für tüchtig), ſondern auch die Abwandelung ber weiblichen 
Hauptwörter in der Einheit, wie: „in der Sonnen, auf der 
Erden, vor der engen Stuben, auf der Reipziger Meflen, auß 
jetner Kaflen, von der wahren Lehren” verfegen und fogleih um 
ein paar Sahrhunderte rückwärts. Eben fo find niedere Aus: 
drücke, wie „juchzen (f. jauchzen), juft (f. gerade), flott (f. mun- 
ter), di (f. zahlreich), flecken (f. vorwärtögehen), muffig“ (f. ver: 
ſteckt od. tüdifch), Deögleihen mundartliche Ausdrücke, wie 
„ſchier (Id. f. faſt), kraus (niederd. f. unordentlich, bunt), Sabel 
(f. Säbel), thät (f. that), Fragen (j. Albernheiten), ftät (f. be: 
ſtändig) nix“ (f. nichts) und verfchiedene niedere Reden: 
arten, wie: „es ift nicht geheuer, ift er bei Trofte, es ift nicht 
ganz ohne, laß er das unterwegen, fie find ihm am Hofe jo 
nicht grün, werden und viel um ben Kaifer fcheren, bleiben wir 
von (it. fern von) dem Soldatenhaufen, das (ba8 fäcdhliche Kür: 
wort auf eine Perſon bezogen) denkt wie ein Seifenfieder“ — 
in hohem Grade geeignet, und mit voller Lebendigkeit im die 
ungenirte Geſellſchaft zu verjegen, die fi vor unfern Augen 
bewegt. Fügen wir nun noch einige Beilpiele des für den Sinn 
im Allgemeinen überflüffigen Dativus ethicus hinzu, der nur 
die Theilnahme des Angeredeten in Anfpruch nehmen will, wie: 
„Mad euch gar trotzige Kameraden“, „find bir gar Iodere, 
leichte Geſellen“, wobel zugleich die Auslafjung des Subjectd 
charakteriftiich ift; erinnern wir ferner an die bei einem Genitiv 
des Beſitzes völlig überflüffigen Poſſeſſivpronomina, 
wie: „auf der Fortuna ihrem Schiff“, „des Teufels jein An- 
geſicht“, und Ichließlic an manche fremde Ausdrücke, wie „Per: 
miß, Schente, Schef“, deren einige man in jpäteren Audgaben 
mit Unrecht in correcter Orthographie aufgeführt hat: jo bat 
ber Dichter gewiß nichts unterlaflen, was auf Icharfe Beobadh: 
tung der Volksſprache ſchließen läßt. 


460 Ballenftein. 


Menn ſchon in der Unbefangenheit der Volksſprache für 
jeden Beobachter, den &ebildeten, wie den Ungebilbeten, etwas 
echt Komiſches liegt, jo muB fi dies natürlih auch in dem 
Bollögeifte zeigen, der ja eben in der Spradhe nur zum Aus 
drud gelangt. Kuno Filcher*), welcher dieje Seite ded Talents 
umjered Dichterd zu einem Gegenftande bejonderer Unterſuchun⸗ 
gen gemacht, bat nachgewieſen, wie bei Sch. die komiſche Wir: 
fung überall aus dem naiven Pathos hervorgeht, und verfteht 
bierunter die natürliche Steigerung des Selbftgefühls, die fi 
in dem Soldatenftande auf ungeſuchte Weiſe fo leicht bemerklich 
macht, vor allem im Kriege. Wenn Sc. fo befcheiden tft, von 
feinem Lager zu behaupten, da8 ganze Verdienft diefer Dichtung 
fönne bloß Lebhaftigkeit fein, fo liegt darin zugleich eine tiefe 
Wahrheit. Es ift eben bie lebhafte Erfaffung feines Gegen: 
ftanded, bei dem er, unter Fernbaltung jeder befonberen Ten: 
denz, nur die Sade im Auge bat und feinen Humor in unge 
äwungener Weife walten läßt. Hierdurch ift das Ganze fo vor: 
trefflich, fo echt poetifch gerathen, daß ed jedem unbefangenen 
Beurtheiler als ein entichieden gentaler Wurf ericheinen muß. 

- Sehen wir nun zu, wie der Dichter den einzelnen Figuren 
ihren beftimmten Umriß und die lebendige Farbe gegeben bat, 
wobei e8 ibm, wie Hoffmeifter trefflich nachgewieſen, bejonders 
darauf ankam, fie nicht nur ald Repräfentanten ihrer Nationen, 
jondern auch ald vorläufige Abbilder ihrer jpäter zu erwartenden 
Heerführer hinzuſtellen. Der einfältige Kroat, ber fich von 
dem Scharfihügen prellen läßt und für feinen Kapuziner ent 
Ichloffen in die Schranken tritt, ift der Stellvertreter des ge: 
meinen Haufens, der weiter nicht denkt, ſondern fich „eben nur 
ſchlachten“ läßt, gleichzeitig aber auch dad treue Abbild jeined 
Generals, ded rohen und leichtfertigen Iſolani. Der erfte 
Jäger, ber lange Peter aus Itzehoe, der wer weiß wie oft 


9) 8 Fiſcher. Schiffer ald Komiker. Granff. a M. Berlag für Kunſt 
und Wifſenſchaft. 1861. 


Wallenftein. 461 


den Dienft gewechfelt, repräfentirt die Abenteurer und Glüds- 
ritter, die fih in großer Mafle heſonders in dem Holffhen Corps 
fanden. Obwohl dem Schreibepulte entlaufen, legt er doch 
einen gewifien Werth auf Lefen und Schreiben: fonft aber ift 
ihm das zügellofe Leben fein eigentlicher Lebendgenuß, und die 
Iodende Ausſicht auf Beute hinreichende Veranlafiung, mit Ge⸗ 
ringſchätzung auf ben Bürger berabzubliden. Ihm zur Seite 
fteht der Dragoner aus dem Buttlerjchen Regiment, ein un- 
zuverläffiger Charakter, der eben auch nur des Glüded Stern 
folgt. Ein ganz andered Gepräge dagegen zeigt der ehrliche 
Deutiche, der Arkebufter von dem Regiment Tiefenbach, der 
die Pflicht um feines Eides willen thut, dem der Sinn für Ya- 
milienleben nicht abhanden gefommen ift, der in dem betrügeri» 
ſchen Bauern immer no den Menſchen ficht und ihn als 
folden geſchont wiflen will, eine Gefinnung, die der großen 
Maſſe des Heeres freilich ald philiftrös, als eines Seifenſieders 
würdig erjcheint. Diele Gefinnung vertritt neben Anderen auch 
ber Trompeter, ein Freund des Schmuden und Gtattlichen, 
der fich vielleicht auf feinen rothen Haarbufch etwas zu Gute 
thut, den Werth und die Bedeutung anderer Stände gering 
anichlägt, und eine andere Ehre kennt, ald dem Wallenftein 
unbedingt ergeben zu jein, wie die Terzkyſchen Regimenter 
überhaupt. 

Bor allen anderen aber ragt der Wachtmeiſter hervor, 
ber gravitätifche Pedant aus dem Regimente Friedland, der 
feinen Feldheren fo gut copiren*) kann, well er ibn öfter ſieht 
als Andere. Dies giebt ihm auch dad Recht, jo geheimnißvoll 
zu thun und den Eingeweihten zu fpielen, der Manches verrathen 


*) Die Etelle (2. 6, B. 30): 
„Wie er räufpert und wie er fpudkt, 
Das habt ihr ihm glüdlich abgeyudt“ 
erinnert an Moltdred Femmes Bavantes I, 1: 
„Et ce n’est point du tout la prendre pour mod2le 
Ma soeur, que de tousser et de cracher comme elle.“ 


462 Wallenftein. 


koͤnnte, wenn es ſich nur mit ber Würde feiner Stellung ver 
trüge. Daß einem Manne wie er, ber ben Dienft aus dem 
Grunde verfteht, nichtd willkommener fein kann ald ein Re, 
frut, das liegt auf der Hand. Einem ſolchen Bürgersfohn 
gegenüber kann er ſich feinem Stande, wie feiner Charge gemäß 
mit vornehmer Herablaflung in feinen Reden bewegen; dedhalb 
läßt er ihn auch den ganzen Abftand zwifchen einem „alten ge 
bienten Soldaten” und .einem Neuling fühlen, und verfteht e&, 
felbft jenem Stode eine höhere Bedeutung unterzulegen. Neben 
ihm tft der erfte Küraſſier gleichfalls ein Soldat, wie er 
fein fol, der allerdings auch fein Glüd in der ganzen Welt 
verfucht bat, aber dad Solbatenleben um bed Standes willen ® 
liebt. Als echter Pappenheimer weiß er den Borzug. deſſen 
fein Corps von dem Yeldherrn gewürdigt wird, wohl zu fchäten 
und hält etwas auf Soldatenehre. Es liegt eine gewiife Nobleſſe 
in feinem Benehmen, die an das Heroifche ftreift und auf einen 
Führer wie Dar fchließen läßt, deſſen Charakter und volle Ach⸗ 
tung abnöthigt. 

Aber dad. Bild ded Lagers würde unvollftändig fein, wenn 
es und nicht auch die Kehrfeite bed munteren Soldatenlebend 
vorführte. Diefe wird zunächſt durch den Bauer dargeftellt, 
den der Krieg nicht nur zu Grunde gerichtet, fondern an dem 
er auch feine entjittlichende Wirkung ausgeübt hat. Die Sol: 
daten heimlich betrügen, um mit Kift das Verlorene wieder zu 
gewinnen, dad tft jept fein trauriged Gejchäft geworben, und 
gewiß würde ih an ihn dad Sprühwort bewähren: „bie Hei: 
nen Diebe hängt man, und die großen läßt man laufen”, wenn 
nicht der noble Kürcffter als fein rettender Engel erſchiene. — 
Schiller's Geſchichte des dreißigjährigen Krieges fpricht (S. 319) 
auch von funfzehntaufend Weibern, welde das Wallenfteiniche 
Lager zählte, da die Gewohnheit jener Zeiten dem Soldaten er: 
laubte, feine Yamilte mit in das Feld zu führen. Als eine 
würbdige Repräfentantin dieſes eigenthümlichen Troffed erfcheint 
bie Marketenderin, die Öuftel aus Blafewig, die der „raube 


v 


Wallenftein. 463 


Kriegesbeſen“ weit in der Welt herumgeführt hat. Ein Muſter 
von weiblicher Zurückhaltung wird man natürlich in ihr nicht 
ſuchen; muß ſie doch, die von den Soldaten lebt, ihrer ganzen 
Geſinnung nach mit ihnen übereinftimmen. Wir bewundern 
aber das vortreffliche Gedächtniß dieſer wichtigen Perſon, die, 
wenn auch mit einiger Webertreibung, die halbe Armee in ihrem 
Buche zu ftehen hat, was wir ihr um fo lieber glauben, ald in 
den fämmtlihen fünf Scenen, in denen fie ericheint, nur ein 
einziger, und zwar ein Tiefenbacher, fie nach der Zeche fragt. 
Der Eöftliche Humor, mit dem dieſe Figur behandelt iſt, ver: 
pilichtet und, daran zu erinnern, daß Sch. während feines Auf: 
enthalts in Lojchwi bei Dredten öfter nach dem Dorfe Blaſe⸗ 
wis am entgegengejeßten Ufer der Elbe fuhr, wo eine niedliche 
Gaſtwirthstochter ihn lebhaft intereifirte. Di-fe „Suftel aus 
Blaſewitz“, welche er hier in feiner Marfetenderin verewigt hat, 
vermählte fich jpäter mit dem Senator Renner in Dredden und 
tft dort vor wenigen Jahren in hohem Alter als Wittwe ge- 
ftorben. 

Mir Ichließen die Reihe der Perſonen mit dem an ben 
Pater in den Räubern erinnernden Sapuziner, den der Dichter, 
wie bereit3 erwähnt, auch zulegt in jein Stüd hineingebracht 
bat; denn neben dem Soldatenjchulmeifter, der (Sc. 5) freilich 
wenig zu fagen bat, mußte natürlich auch der um jo bedeutungs⸗ 
vollere geiftlihe Stand vertreten jein. Damit Sch. fich zu dieſer 
Figur in die rechte Stimmung verjepen mödte, lieb ihm 
Goethe eine Schrift von dem freilich erft dreißig Sabre nad 
Wallenjteind Tode berühmt gewordenen Abraham a Santa 
Clara, betitelt: „Reimb dich, oder ich Liß dich”, in welcher ein 
Tractat: „Auff! auff ihr Ehriften! das tft: Eine bewegliche An- 
friihung der Chriſtlichen Waffen wider den türkiſchen Blut- 
Egel“ dem Dichter die gewünjchte Anregung gab. Sch. fchreibt 
jelbft darüber: „Diefer Pater Abraham ift ein prächtiged Ori— 
ginal, vor dem man Reſpect befommen muß, und eßd tft eine 
interefiante und keinesweges leichte Aufgabe, ed ihm in der 


464 Wallenftein. 


Tollheit und in der Geſchmeidigkeit nach oder gar zuvor zu 
thun.“ Bei der Kürze der Zeit, welde dem Dichter für bie 
Zeihnung dieſes Charakters zugemeflen war, wirb e8 daher nicht 
Wunder nehmen, daß einige Stellen von ihm wörtlich benupt 
worden find, von einer Nachbildung des Originals Tann indeffen 
feine Rede jein. Schillerd Kapuziner ift ein Repräfentant des 
Zelotismud der Bettelorden jener Zeit und fpielt, wie Sof. Bayer 
fein bemerkt, in dem Lager diejelbe Rolle in offener und berber 
Weiſe, die Pater Lamormain (f. d.) fein und verftedt, und 
darum ganz richtig im Hintergrunde bleibend, am Hofe fpielt. 
Dur die allen Eiferern überhaupt anhaftende Kedheit, die 
mit feinem Stande feltfam contraftirt, wird er natürlich auch 
humoriſtiſch; aber ftreng genommen tft er (nach K. Fifchers treff- 
licher Charafteriftif) eigentlich nur erbittert und dabei zur Ueber: 
treibung geneigt; er kann nur dreinfchlagen und die Leute ſchlecht 
machen, jo daß fein gute Haar an ihnen bleibt, und verfteht 
ed, mit gewillen Schlagwörtern vor Allem auf die Geſammtheit 
zu ſchimpfen. Dadurch natürlich gelingt ed ihm, den Einzelnen 
für fich zu gewinnen, ber in dem Gefühl, Teinedweges fo ab: 
fcheulih zu fein wie die Geſchilderten, am liebiten an feine 
Nebenmenſchen denkt, fich felbft aber am wenigften getroffen 
fühlt. Außerdem verfteht e8 diefer Kapuziner, feine Zuhörer 
durch allerlet Iuftige Wortipiele zu amüfiren, und imponirt ihnen 
nicht nur durch eine gewichtige Anzahl lateiniſcher Broden, bie 
er ihnen (vergl. Lateiniſches) auf möglichft freie Weiſe überjegt, 
damit fie auch genau auf die Soldaten paflen, jondern gleid: 
zeitig durch eine Menge guter und böfer Beiſpiele aus ber Bibel, 
hinter denen er fi) mit feinen Schimpfreben ficher verſchanzen 
Kann. Als ſich feine Erbitterung jedoch gegen den von der Geiſt⸗ 
lichleit verfegerten, von den Soldaten aber hochverehrten Feld⸗ 
herrn richtet, da machen diefe ihm handgreiflich Far, daß fie 
fih fo etwas nicht gefallen laſſen wollen. Nur die einfältigen 
Kroaten, auf die feine Rede fichtbar eingewirkt, nehmen fid 
feiner an. Das genügt ihm aber vorläufig; denn bat er nur 


Wallenftein. 465 


erſt den Soldatenpöbel für fih gewonnen, jo werden bie an⸗ 
deren ſchon nachfolgen, ſobald der Yeldherr mit feiner ver- 
brecheriſchen That bervortritt. 

Worin beftehbt nun die Handlung ded Lagers? Denn 
ohne eine ſolche würde ihn der bramatiihe Charakter fehlen. 
Wir finden die Truppen (Sc. 1) in den böhmiſchen Winterquar- 
tieren, die fie zuerft nach der Schladht bei Lügen bis zum Früh: 
jahr 1633, und jeßt zum zweiten Male (vom November 1633 
bis zum Yebruar 1634) bezogen haben, nachdem das Land fchon 
vorher (nach der Schlacht bei Leipzig 1631) von den Sachſen 
unter Arnim (V. 32) beimgejuht worden war. Wie ed dem 
armen Lande ergangen, wad die Einwohner von dem Gtolz, 
dem Uebermuth und der Srobheit der Soldaten zu leiden haben, 
erfahren wir von dem Bauer; von den Soldaten dagegen hören 
wir (Sc. 2), daß die Herzogin, Wallenjteind Gemahlin, nit ihrer 
Tochter in Pilfen eintreffen fol. Dieſe Beranlaffung macht 
den Sonntag, an dem die Handlung vorgeht, zu einem doppelt 
feftlihen Tage, fo daß von der doppelten Löhnung wohl nicht 
viel übrig bleiben wird, umſomehr, als e8 darauf abgefehen tft, 
Die neuangefommenen Truppen zu gewinnen. Die Soldaten 
merfen wohl, daß etwas Bejondered vorgeht, und aus ihren 
fpigigen Reden gegen die Regierung in Wien, wie aus dem 
Miptrauen, mit welchem fie den Kriegsrath Dueftenberg (3. 23 
„Die alte Perrüde”) betrachten, können wir auf ihre Anhänglich- 
feit an Wallenftein jchliegen. Sie laſſen e8 ſich daher im Lager 
rubig wohl fein, befchäftigen fich einftweilen (Sc. 3) mit Sti: 
bigen, Tauſchen, Handeln und Betrügen, und laflen fich die 
Nachricht, daß (Sc. 4) dem Kurfürften von Baiern Regend- 
burg genommen worden fet, eben fo wenig nahe gehen wie ihr 
Feldherr. 

Inzwiſchen ſind (Sc. 5) die neuen Truppen und mit ihnen 
die Marketenderin angekommen, die uns einen kurzen Ueberblick 
über den bisherigen Verlauf des Krieges und feine weite Aus⸗ 
dehnung giebt, während wir (Sc. 6) von den Holliiden Jägern 

II. 30 


466 Wallenftein. 


erfahren, in welcher wilden Weiſe derſelbe geführt worden ift, 
und wie bie Truppen über die Gewalt ihres Feldherrn denken, 
dem fie mit abergläubifcher Verehrung ergeben find. Daß bes 
Sriebländerd Macht immer noch im Wachfen begriffen tft, ver: 
anſchaulicht und der Dichter (Sc. 7) durch die Einführung des 
Recruten, den der philiftröfe Bürger vergeblich von dem allge 
meinen Kriegesfchwindel zurüdzubalten fucht, während ber er: 
fahrene Wachtmeifter ihm mit ftolgem Selbftbewußtiein feine 
Soldatenphilvfophie vorträgt. Aber nicht alle denken wie Wal- 
lenftein und fein Heer. Der Kapuziner (Sc. 8), der es melifter: 
baft verfteht, feine bejchränkten und abergläubiichen Borftellun- 
gen mit einer Fluth von biblifhen Reminifcenzen aufzupupen, 
eriheint und hält den Soldaten eine Strafpredigt. Bon der 
Sonntagdentheiligung ausgehend, fchildert er die Roth Der Zeit 
und erinnert an die Strafgerichte Gottes, welche in Yolge des 
greulihen Sündenlebend hereinbrechen werden; aber er mifcht 
fih auch in die Politit und vertritt die Partei ſeines Katjers; 
er verlangt, daß das Heer Böhmen verlaffe, dem Kurfürjten 
von Baiern zu Hülfe eile und fich gegen die ketzeriſchen Schme- 
den wende. Und wenn die meiften Kagergenoflen hierauf auch 
wenig hören und rubig weiter zechen, die gejchichtlich richtige 
Thatſache: „drum kann er den Hahn nicht hören krähn“ hat ein- 
zelne Soldaten (Sc. 9) doch ſtutzig gemacht. Mit ded Wacht: 
meifterd finniger Entſchuldigung, daß fein Yeldherr gar zu tiefe 
Sachen vente, bildet der bei feinen falfchen Würfeln ertappte 
Bauer zunädhft nur einen ſeltſamen Contraft. Aber nachdem 
er dem (Sc. 10) zu erwartenden Hängen glüdlih entronnen, 
und zwar durch den Spruch eined Pappenheimers, deſſen Regi⸗ 
ment feine eigene Zuftiz ausüben darf, da bricht (Sc. 11) die 
Unzufriedenheit unter den Truppen hervor. Die Zumuthung, 
acht der beiten Regimenter vom Heere zu trennen, um den ſpa⸗ 
niihen Snfanten aus Mailand nad den Niederlanden zu be: 
gleiten, beleidigt ihr Selbſtgefühl. Der Wachtmeifter ſpricht 
dad aus, was in Aller Herzen lebt, öffnet den Gedankenlofen 


Wallenftein. 467 


die Augen und prophezeiht dem Heere, was ed von Wien ber 
zu erwarten bat. Sept regt fidh die Neigung zum Widerſtande. 
Die Soldaten kennen die Bedingungen, unter denen Wallenftein 
bad Kommando übernommen hat; fie fühlen ſich daher beredh- 
figt, nicht dem Kater, jondern nur ihrem Feldherrn zu ge: 
horchen; fie wollen nicht, daß feine Regimenter von einander 
getrennt werben. Aber es joll feine Meuterei ftatt finden; fie 
fafien den Beihluß, ihren Willen ordnungsmäßig Fund zu geben, 
und der junge Piccolomini, der Wallenfteind volled Vertrauen 
genießt und zugleich bei Hofe tn Anfehen fteht, joll ihr Sprecher 
jein. Hierauf erhält dad Ganze mit dem Reiterliede einen be: 
ruhigenden Abſchluß. 

Als Sch.'s Lager auf den deutſchen Bühnen erſchien, war 
man daran gewöhnt, nichts anderes als Commerzienräthe, Pfarrer, 
Secretaire, Fähnriche und als komiſche Geſtalt etwa einen Schul⸗ 
meiſter über die Bretter gehen zu ſehen. Jetzt plötzlich ſollten 
dieſe die Welt bedeuten, und in einer Zeit, wo die politiſchen 
Ereigniſſe alle Gemüther lebhaft in Anſpruch nahmen, wehte 
den Zuſchauern unerwartet der Geift der Weltgeſchichte von der 
Schaubühne entgegen. Kein Wunder aljo, daß die Wirkung 
eine gewaltige war. Die Kritiker freilich gingen, wie Hinrichs 
(III, 34) berichtet, in ihren Urtheilen auseinander. Wieland fand 
das Stüd jeltfamer Weiſe höchſt unmoraliih; Sean Paul ver: 
mochte feinen Berdruß über die Vorftellung nicht zurüdzuhalten; 
und Herder, dem vielleicht der barode Kapuziner ein Dorn in 
Auge war, wurde gar vor Xerger krank. Im Allgemeinen aber 
wollte man dem auf das Ideale gerichteten Schiller ſo etwas 
kräftig, originell und plaftiich Gehaltenes gar nicht zutrauen; 
minbeftend follte die Kapuzinerprebigt von Goethe herrühren, 
der doch nur zwei Verſe 

„Ein Hauptmann, den ein anderer erftach, 

Sieh mir ein paar glüdlihe Würfel nach, 
in die Dichtung eingejchoben hatte, um zu motiviren, wie ber 
Bauer zu den falichen Würfeln gekommen ſei. 2. Tied dagegen 
30* 


468 Wallenftein. 


lobte den echt militairifchen Geijt und nannte das Stüd trefflich 
und unerreihbar; auch Frau v. Stael war entzüdt über den 
friegerifchen Eindrud; und eine Borftellung, die man in Berlin 
vor den Offizieren gab, welche fich eben zum Kriege rüfteten, 
verjegte Alles in die muthigfte Erregung. Eben jo lobt Hoff: 
meifter die Naturwahrheit, dad Ungejuchte, die Vertrautheit mit 
der Zeit, die auf Wallenſtein und die übrigen Feldherren hin: 
zielenden Andeutungen (vergl. Sc. 6, V. 134 u. 148), die lebens- 
volle Anſchauung und die Steigerung von dem Gemeinen und 
Unbedeutenden zur höchſten Auffaffung des Kriegerlebend. Und 
Sof. Bayer fagt mit vollem Rechte: „Es weht der echte Hiftori- 
ſche Geiſt des dreigigjährigen Kriege wohl mit noch jtärferem 
Hauche durch dieſes Borfpiel ald durch die beiden größeren 
Stüde. Es liegt darin eine lebendvolle Kraft der gejchichtlichen 
Illuſtration, die diefed Erpofitiongftüd zu einem unvergleichlichen 
Suwel der deutichen Literatur macht.” 
Die dem Lager unmittelbar folgenden beiden Stüde 


Die Piccolomini-und Wallenftein’d Tod 


gehören ihrer Entjtehung nach fo eng mit einander zufammen, 
daß die in die Handlung weſentlich eingreifenden Perfonen (e8 
find ihrer zwölf) durch beide Dramen hindurchgehen. Es er: 
jcheint daher zweckmäßig, die Charakteriftif dieſer Hauptperfonen 
einer bejonderen Betrachtung der einzelnen Stüde vorangehen zu 
laſſen. Wir beginnen mit Queftenberg und Octavio Piccolomini, 
den beiden Sachwaltern des kaiſerlichen Hofes. 

Der Kammerherr und Kriegsrath Queftenberg, ben Sch. 
abweichend von der Geſchichte, ſchon zu Znaim (f. o. ©. 445) 
mit Wallenftein unterhandeln läßt, wurde nach dem Lager (I. o. 
©. 447) zu Piljen gejandt, um bierjelbft das Intereſſe feines 
Kaiſers zu vertreten; er ift alſo eine gefchichtliche Perjünlichkeit. 
Der Dichter zeichnet in ihm einen nüchternen, Falten und befon- 
nenen Charakter, der fi) ald gewanbter Diplomat zu benehmen 
weiß, ben beiden Piccolomini (P. I, 4) ſchmeichelt, Wallenftein 


Wallenftein. 469 


und feiner Heerführung (P. I, 2 u. II, 7) hohes Lob fpendet, aber 
auch geſchickt auszuweichen verfteht, wo ed nöthig ift. Nur dem 
Detavio gegenüber jpricht er fi) offen aus und zeigt, wie jchwer 
ihn die Beſorgniß drüdt, Wallenftein ald den allmächtigen Ge- 
bieter an der Spibe einer jo furchtbaren Macht zu erbliden. 
Bon größerer Bedeutung ift Detavio Piccolomint, 
befien Sch. (Dr. Kr. ©. 341, 394, 403, 405, 485) erwähnt. Im 
Sahre 1599 geboren, aus einem der älteſten und berühmteften 
Geſchlechter Staliend ftammend, war er bereit3 in jugendlichem 
Alter in Kriegsdienfte getreten. Nachdem er zu Mailand unter 
den fpanifchen Truppen gedient, kam er ald Rittmeifter mit einem 
Regimente nach Deutichland, dad der Großherzog von Toscana 
dem Kaifer Yerdinand II. gegen die Böhmen ald Hülfscorps 
jendete. Bon nun an fpielte er eine hervorragende Rolle unter 
den Feldherren des breißigjährigen Krieges. In ber Schlacht 
"bei Fügen foll er das Regiment befehligt haben, durch deſſen 
heftige8 Vorbringen Guſtav Adolph ein Opfer jeined Helden- 
muthes wurde. Als ihn Wallenftein 1. 3. 1634 nach den Salz: 
burger Päflen ſchickte, um die aus Italien zu erwartenden Hülfs- 
völker zurüdzubalten, ging er von bier heimlicher Weife nad) 
Wien und fepte den Kaifer von den verbächtigen Planen jeined 
oberjten Feldherrn in Kenntniß, worauf er nebſt Gallas und 
Altringer den Befehl erhielt, den Herzog von Friedland lebendig 
oder todt zu fangen. Der gejchichtliche Octavio war bei Wallen: 
ftein's Ermordung erjt 35 Jahr alt; der Dichter, welcher ihm 
einen erwachienen Sohn giebt, dent ihn fih ald einen Dann 
in den Funfzigern. Er tft die Perſon, in deren Händen bie 
Fäden der gegen Wallenftein gefpielten Intrigue zufammenlau- 
fen, doch fo, daß der Held des Stückes gleich zu Anfang befjelben 
von feinen Schlingen umftellt erfcheint. Ein Yreund der alten 
Ordnungen ded Staates, wie ber in der menfchlichen Geſellſchaft 
beftehbenden Einrichtungen, weshalb ihn auch Quejtenberg unter 
den Feldherren (P. I, 2) als „den erfahrenen Rath” hervorhebt, 
ift er bemüht gewejen, Wallenftein’3 Abfall zu verhindern, bat 


470 Wallenſtein. 


ihm bei den Eröffnungen, die derſelbe ihm (Dr. Kr. 394) gemacht, 
feine Bedenken geäußert und ihn (BP. V, 1, B. 173) im Ernſt 
von dem gefährlichen Schritte abgemahnt. Da dies aber nicht 
geholfen, fo finnt er nun heimlich darauf, dem Kaiſer das Heer 
zu erhalten. Ein Feind von wilden Zechgelagen (BP. IV, 6), zieht 
er fih von den zu allerlei Ausſchreitungen geneigten Dfficieren 
zurüd und wendet fich denen zu, die von befonnenerem Charafter 
find. Buttler hat er bereit3 (P. 1,3, 8. 10) audgeforfcht, und 
Altringer und Gallas find (P. I,3 u. V, 2) ſchon gewonnen. 
Sept handelt ed fi darum, auch die anderen Generale herüber: 
zuziehben; dad kann aber nur dur Lift gefchehen. Obwohl er 
fühlt, daß Quejtenberg ihm vom Hofe (BP. I, 3) ein gefährliches 
Amt überbracht, daß er fid hüten muß, Verdacht zu erregen, 
weiß er ſich doch durch alle Klippen hindurchzuwinden. Die 
Pflicht gegen feinen Kaiſer und die kluge Rüdficht für feine 
eigene Perjon werden die Richtfchnur für fein Betragen. Wäh' 
rend er (P. 1,2) nicht nur einem Buttler, fondern auch einem 
Siolant zu fchmeicheln verfteht, bat er gleichzeitig den oberften 
Feldherrn mit Horchern umftellt, die ihm alle Schritte defjelben 
hinterbringen müſſen. Sich jelbft dagegen verfteht er wohl zu 
fihern, indem er feinen Verkehr mit den Unterhändlern (P. V, 2) 
dur die Kapuziner vermittelt. Was er in dieſer Beziehung 
thut, glaubt er wohl verantworten zu können; er ſtützt fich auf 
feinen Kaifer, deſſen Politik fein Gewiſſen beruhigt; und jo be- 
nußt er dad Manifeit, welches Wallenftein in die Acht erflärt 
und das Heer von dem Gehorfam gegen feinen Yeldherrn 108: 
ipricht, um dem Kaifer neue Freunde zu gewinnen. Daß dabei 
auch wirkliche Hinterlift gegen den Herzog mit unterläuft, indem 
er Buttler (T. II, 6, V. 93) den Brief zu lejen giebt, welder 
jih fo unvortheilhaft über ihn geäußert, macht ihm um jo we 
niger Bedenken, als died Verfahren gleichzeitig den Schein der 
Dffenheit gegen ben hinterrüdd verleumbeten Buttler an ſich 
trägt. Er glaubt fich daher volljtändig berechtigt, feine krummen 
Wege (P. 1,4, B. 80-85) ald Wege der Ordnung zu fchildern, 


Wallenftein. 471 


am fi) fo feinem Sohne gegenüber rechtfertigen zu können. 
Wenn Hoffmeifter bei Octavio die Mebereinftimmung des Cha: 
rakters mit fich felbft vermißt, und meint, Sch. habe fich bemüht, 
das Gehäffige in feinem Verhältniffe zu Wallenftein zu mildern, 
jo tft dem gegenüber daran zu erinnern, daß Octavio, wie er 
(PB. 1,8, 8.75) felbft fagt, dem Wallenftein nur fein wahre® 
Herz verbirgt, ohne ihm jedoch ein falſches zu heucheln; befon: 
ders aber ift auf die ganze Scene (PB. V, 1) zu verweilen, bie 
bei der Beurtheilung von Octavio's Charakter nicht außer Acht 
gelafien werden darf. Schließlich rechtfertigt Sch. ſich felber *) 
treffend mit den Worten: „Es Tag weder in meiner Abficht, noch 
in den Worten meined Terted, daß ih Octavio Piccolomini als 
einen jo gar ſchlimmen Mann, als einen Buben darftellen ſollte. 
In meinem Stüd ift er das nie; er ift fogar ein ziemlich recht: 
licher Mann nad dem Weltbegriff, und die Schändlichfeit, die 
er begeht, ſehen wir auf jedem Welttheater von Perfonen wieder: 
holt, die, jo wie er, von Recht und Pflicht ftrenge Begriffe haben. 
Er wählt zwar ein ſchlechtes Mittel, aber er verfolgt einen guten 
Zwed. Er will den Staat retten, er will feinem Katfer dienen, 
den er nädhft Gott ald den höchften Gegenftand feiner Pflichten 
betrachtet. Er verräth einen Freund, der ihm vertraut, aber 
diefer Freund ift ein Verräther feined Kaiferd, und in feinen 
Augen zugleich ein Unfinniger.” Mit Rüdficht auf den Schluß 
des Stüded fügen wir noch die Hiftorifche Thatfache Hinzu, daß 
Octavio nah Wallenftein’d Tode einen Theil der Güter des 
Ermordeten erhielt, und daß er ferner wegen andermeitiger wid): 
tiger Dienfte, die er dem Kaiſer ſpäter leiftete, nach dem Weft- 
phäaliichen Frieden in den Reichs für ſt en ſtand (vergl. T. V, 12) 
erhoben wurde. Er ftarb zu Wien 1656. 

Indem wir nun zu dem Helden unfered Drama’8 übergehen, 
ſchicken wir folgende beberzigenswertbe Worte voran, die wir in 
der berettd (©. 452) erwähnten Schrift von Richter (©. 33) 





— - — 


*) Sch.'s Briefwechſel ven Döring III, ©. 107. 


— =. — — 


472 Mallenftein. 


finden: „Wir dürfen Ballenftein nicht losgeriſſen von feiner 
Zeit betrachten; die blutigen Härten an ihm haften eben an ihr. 
Er war Feldherr in einem alles erſchütternden, alle Keidenjchaften 
entfeflelnden, von Mord und Elend durchzogenen Kriege; allein 
von dieſem dunflen runde hebt ſich gerabe feine Helvengeftalt 
in einer jept erft deutlih erfannten, wohlthuenden Begrenzung 
ab. Des echten Heerführerd Genius trug ihm die Leuchte vor. 
Er war oft ftreng gegen feine Untergebenen im Feld, furchtbar 
ftreng; nad) der Schladht von Lügen hat er ein graufames Blut: 
gericht über die feldflüchtigen Officiere gehalten; aber die Be: 
geifterung des Heeres für ihn konnte ihren Grund nicht in der 
Furcht haben, fondern nur in dem gerechten, mild ernften Weſen, 
das der Herzog daheim, der Feldherr draußen durch all fein 
Thun bliden ließ. Für alle Bedürfniffe feine Heeres war er 
bis auf's Einzeljte bejorgt; feine eigene Caſſe gab oft die Mittel 
dazu ber; die Manndzucht jeiner aus allen möglichen zujanımen: 
gemorbenen Beftandtheilen gemifchten Armee findet fih in feiner 
aus jener Zeit wieder. Bei ter Erhebung der Eontributionen, 
die mit großer Willfür nach Millionen von den unglüdlichen 
Untertbanen, gleichviel ob freund: oder feindlich, erpreßt wurden, 
erſcheint unter allen ®eneralen des dreikigjährigen Krieges, ben 
proteftantiichen jowohl ald den katholiſchen, der Herzog allein 
ald der einzig gewiflenhafte. Zu wiederholten Malen wies er 
Anträge, wodurch er fich hätte bereichern können, zurück und 
blieb mit ſtrengem Ehrgefühl auf feinen guten Ruf bedacht. Er 
bat wohl mandyen jchredlihen Befehl gegeben, allein ein Mag⸗ 
beburg bat nie auf feiner Seele gebrannt.“ 

So kannte Sch. den geihichtlichen Wallenftein nicht, konnte 
er ihn nicht Tennen. Als Kaijer Ferdinand's II. Befürchtungen 
durch dad Blutbad von Eger befeitigt waren, kam es ihm darauf 
an, wie dies in ſolchen Fällen gewöhnlich gefchieht, jeine Hände 
in Unfchuld zu waſchen. Dur 3000 Seelenmefien, weldhe er 
für die Gemordeten lejen ließ, un ihre Seelen aus dem Fege⸗ 
feuer zu erretten, ſuchte er ſich vor Gott zu rechtfertigen; bie 


Wallenftein. 473 


Rechtfertigung vor der Welt erfolgte durch eine „auf fonderbaren 
Befehl ded Kaiſers heraudgegebene” Schrift: „Alberti Fried- 
landi perduellionis Chaos, ingrati animi Abyssus“ ”), nach Ridy: 
ter's Ausfprud ein Chaos von Lügen, Erdichtungen, faljchen 
Ausfagen gedungener Zeugen, unter benen® die eined Seſyma 
Raſchin obenan fanden. Dieſe Schrift war die trübe Duelle, 
aus welcher die Schriftfteller zwei Jahrhunderte lang gejchöpft, 
und leider ftand auch unjerm Dichter feine reinere Duelle zu 
Gebote. Wir dürfen und daher nicht wundern, wenn das Bild, 
welches er (Dr. Kr. 168—165 u. 413—415) von feinem Helden 
entwirft, denjelben als finfter, kalt, grauſam, bochmüthig, ver: 
fchloffen und vor Allen von Ehrgeiz und Rachſucht erfüllt, er: 
fcheinen läßt; wenn er fein Unternehmen in feiner Weile zu 
rechtfertigen wagt und den Untergang defjen, .der feinen Freunden 
wie feinen Feinden gleich verdächtig erjchten, als jelbftverfchuldet 
betrachtete. Wenngleih nun Sch. an W. v. Humboldt fchreibt: 
„Vordem habe ich, wie im Pofa und Carlos die fehlende Wahr: 
heit Durch ſchöne Idealität zu erfegen gejucht; bier im Wallen- 
ftein will ich e8 probiren und durch die bloße Wahrheit für die 
fehlende Spealität entſchädigen“ — jo mußte ihm doch bald Klar 
werden, daß ein Charakter, wie er ihn aus feinen gefchichtlichen 
Studien Tennen gelernt, zum tragijchen Helden wenig geeignet 
ſei. Es kam ihm alfo darauf an, das Rauhe und Barbariiche 
in feinem Auftreten zu mildern, und edlere Züge, wie Famtlien- 
finn, Freundihaft, Wohlwollen und Baterlandsliebe in wohl: 
thuender Weife hervorzuheben, mit einem Worte feinen Helden 
doch zu idealijiren (vergl. ©. 453), um ihn dem menjchlichen 
Herzen (Prol. B. 105) näher zu bringen. Was aber feine Schuld 
betrifft, fo juchte er ihn in einer Art von Verblendung darzu- 
ftellen, die ihn mit unbebdingter Zuverficht zu fich felbft, wie zu 
feiner Macht und zu feinem Glück erfüllte, während er in feiner 


*) Albert Friedland's Chaos ſeines Hochverraths und feines undanfbaren Ge⸗ 
müthes Hölfenabgrund. 





474 Wallenftein. 


Umgebung eine Berkettung von Creignifien herbeizuführen be 
müht war, welche ald Yolgen feines Vergehens ihn umftridten 
und fomit feinen Untergang herbeiführten. So konnte die Tra- 
gödie allerdings „den Menſchen in des Lebens Drang” zeigen 
und „bie größere Hälfte feiner Schuld den unglüdlichen Geftir- 
nen zuwälzen“. 

Fafſen wir nun den Charakter dieſes idealifirten Wallenftein 
näher in’d Auge. Wichtige Züge aus feiner Jugend theilt und 
Gordon (T. IV, 2, V. 104—133) mit; wad dad Heer von ihm 
hält, fagt uns (2. 6, V. 126 ac.) der Säger; was die Welt von 
ihm urtheilt, erfahren wir (P. I, 2,3. 5—10) von Dueltenberg; 
und wie die ihm ergebenen Generale über ihn denken, fchilbert 
und (P. I, 4, B. 26—79) des jungen Piccolomini beredter Mund. 
So ſuchte Sch. die herporragendften Züge aus dem Leben bed 
geihichtlichen Helden feiner Dichtung einzuverleiben, um ben fe 
fer für ihn ald Menſchen zu intereffiren und gleichzeitig feine 
Handlungsweiſe piychologifh zu begründen. Außerdem aber 
ſchiebt er der letzteren edle Motive unter, indem er ihn ald 
Reichöfürften höhere Zwede verfolgen läßt. In diefer letzten 
Eigenſchaft Hat Wallenftein nicht nur (P. IL, 5, V. 28—49 und 
3.167 — 169) das Beſte des deutichen Reiches im Auge, dem 
er gern (PB. V,1,8.71 u. T. III, 15, 2. 120) den Frieden fchen- 
fen möchte; fondern felbft die Ruhe Europa’ liegt ihm (P. I, 4, 
B. 185) am Herzen. Auf diefe Weije eilte der Dichter dem 
Urtheil feiner Zeit voraus, mit richtigem Blide ahnend, daß ber 
Held jeined Drama’3 auch als gejchichtliche Perſon der Nachwelt 
in milderem Lichte erjcheinen würde. Wenn DO. B. Richter in 
der oben (©. 452) citirten Schrift fagt: „Was Wallenftein in 
feiner friedlichen Zurüdgezogenheit jo jegnend und beglüdend 
fennen gelernt hatte, wollte er feinem ganzen deutſchen Vater⸗ 
Iande geben; die Fremden, welche nur noch mehr die Drachen⸗ 
faat der Uneinigkeit fäeten, wollte er in ihre Grenzen zurücktrei⸗ 
ben, den Frieden von ihnen erringen und, wenn ed fein müßte, 
von ben deutſchen Fürften erzwingen, um ber unjeligen 





en. 


Wallenftein. 475 


Zerſpaltung Deutſchlands ein Ende zu machen“ — fo ſehen wir in 
biefen Worten ein Bild des Helden, wie es unſerm Dichter vor: 
gejchwebt, der und zugleich in Wallenftein’8 vertraulichen &e-: 
ſprächen und Monologen tiefe Blide in fein Inneres und in Die 
geheimnißvolle Werkftatt feiner Plane thun laͤßt. Wenn bie 
Geſchichte den tief ernften und verfchloffenen Wallenftein doch 
in feinem Yamilienleben ald den treueften Gatten, den zärtlichiten 
Bater und den gütigften Herren barftellt, jo hat der Dichter es 
nicht vergefien, auch dieſer Seite jeined Weſens einen Ausdruck 
zu geben. Er kennt (X. III, 4, V. 35) dad Bedürfniß, im Kreiſe 
ber Seinen von den Sorgen ber Gejchäfte audzuruben, verlangt 
(B. 11, 2), daß feiner Gemahlin felbft am Katjerhofe mit Achtung 
begegnet werde, und freut fich feiner Tochter, die er gern glüd: 
lich fehen, und der er deöhalb ein glänzended Geſchick bereiten 
möchte. Und als er Mar, feinen Liebling, verloren hat, da Magt 
er (T. V, 3), daß die Blume aus feinem Leben hinweg ſei, daß 
er den verloren, der feinem Dafein einen poetijchen Reiz verlie- 
ben. Sp erbliden wir mitten in den Zeiten der Rohheit bie 
fittlich edle Natur, die auch die jpätere Geſchichtsforſchung dem 
großen Yeldherrn nicht hat abjprechen Tönnen. 

Da der dreikigjährige Krieg feiner erften Veranlaffung nad 
um des Glaubend willen geführt wurde, fo erfcheint ed wichtig, 
auch über Wallenftein’d religtöfe Anſchauung in’8 Klare zu fom- 
men. Die Geſchichte berichtet, daß er um ded Glaubens willen 
Ntemand haßte, ja dag ihm die damals fo wichtige Verfchieden- 
heit des Belenntnifjes nicht nur gleichgültig war, fondern daß 
er feine tolerante Gefinnung auch offen an den Tag legte, indem 
er (vergl. T. IV, 3) zu Slogau eine proteftantiihe Kirche bauen 
lieg und einen Proteftanten zu feinem Kanzler machte, Eben 
fo zeigte er eine entjchiedene Vorliebe für feine tapferen prote: 
ftantiichen Generale Arnim, Zuliud von Sachſen, den Herzog 
von Lüneburg, Schafgotih, Sparr und andere; und ber italieni- 
fhe Graf Gualdo Privrato berichtet: Er bemühte fich fehr oft, 
die Herzen derjenigen zu verfühnen, welche fich wegen abweichender 


476 Wallenftein. 


Anfichten in Glaubensſachen haften; Krieg führen, um einen 
fremden Glauben aufzubringen, war ihm nicht gegeben. Dieſer 
Gefinnung entiprach aud der nah Guſtav Adolph's Fall Dem 
Kaiſer (Dr. Kr. 362) ertheilte, aber freilich vergeblihe Rath, 
„eine uneingejchränkte Amneftie zu verfündigen und den prote- 
ſtantiſchen Ständen mit günftigen Bedingungen entgegenzutom- 
men.” Auch dieje Seite jeined Charakters findet in der Dichtung 
ihren Ausdrud in der humanen Behandlung ded Grafen Thurn 
(P. II, 7, V. 106— 118), wie in den Geiprächen mit Wrangel 
(Z. 1,5) und dem Bürgermeijter (T. IV, 3). 

War Wallenftein nun auch freifinnig genug, um ſich gegen 
bie fo ſcharf außgeprägten confeffionellen Berfchiedenheiten jeiner 
Zeit indifferent zu verhalten, fo hatte doch das Gefühl feiner 
Abhängigkeit von einer höheren Macht ihm eine feierlich ernfte 
Richtung gegeben, die fih vor Allen in feinem Glauben an die 
Sterne offenbarte. Ald nah dem Kegendburger Fürftentage die 
kaiſerlichen Sefandten zu ihm nach Memmingen famen, um ihn 
zur Niederlegung feines Yeldherrnamtes zu bewegen, nahm er, 
wie Hinrichs (III, ©. 63) berichtet, eine lateiniſche Schrift von 
bem Tiſch, die des Kaiſers, des Kurfürften von Baiern und feine 
eigene Nativität enthielt, las fie ihnen vor und fagte: „Ihr Her: 
ren, aus den astris Eönnt Ihr felbft jeben, daß ih Eure Com: 
milfton gewußt, und daß des Kurfürften von Baiern Spiritus 
des Kaiſers feine dominirt; daher kann ic) dem Kailer feine 
Schuld geben; mehe thut es mir nur, daß fih Ihro Majeftät 
meiner jo wenig angenommen; ich will aber Gehorſam leiften.“ 
Mit Beziehung hierauf läßt der Dichter (T. III, 3, 3. 39—46) 
Wallenftein’8 Gemahlin fagen, daß fich fett dem Unglüdstag zu 
Regendhurg fein Herz den dunklen Künften zugewandt habe. 
Wallenjtein folgte hierin zunächit der Sitte feiner Zeit, in wel- 
her bie Aftrologen von Fürften und vornehmen Herren hoch⸗ 
geehrt waren; und fo fehen wir in dem Staliener Seni (vergl. 
Dr. Kr. 163 u. 331), dem unentbehrlichen Begleiter Wallenftein’s, 
das ganze Weſen jenes myſtiſchen Elements in höchft anſchau— 


Wallenſtein. 477 


licher und wirkſamer Weiſe verkörpert. Schon im Lager (&e. 6, 
B. 195) wird auf dieſe feltfame Figur bingedeutet, die, wenn fie 
auch in die Handlung nirgend wirkfam eingreift, Doch viel Feſ—⸗ 
felnde3 hat, und bei der ed dem Dichter entjchieden gelungen tft, 
dem aftrologiihen Motiv die von ihm erftrebte „poetijche Dig. 
nität” zu geben. Seni ſteht unter der Herrichaft erträumter 
Mächte, eined Aberglaubend, in dem allerdings manched Sinnige 
liegt, der indeflen vor dem Lichte der Wiſſenſchaft in Nicht zer: 
ronnen iſt. Zugleich ift er von religiöfen Anſchauungen erfüllt, 
denen ein unbefangened Gemüth feine Zuftimmung nicht verjagen 


fann, aber feine eigenmächtigen, bejchräntten Deutungen gewifier -. 


Eriheinungen machen einen wunderlihen Gindrud. „Nichts in 
der Welt ift unbedeutend“, mit diefen Worten führt er fi (P. 
II, 1) ein; deshalb giebt es für ihn Heilige und böſe Zahlen, auf 
welche feine Umgebung achten ſoll; und jelbjt die Linien in 
Thekla's Hand (P. III, 4) werben ein Gegenftand jeiner Unter: 
ſuchung und veranlaffen ihn zu prophbetiihen Deutungen. Bon 
einer Kunft eingenommen, ift ihm jeder freie Blick verfagt, 
überall jehen wir ihn von unheimlichen Mächten umgarnt, er iſt 
die Perjonification des finfteren Geifted, der nach Thekla's Aus— 
ſpruch durch Wallenjtein’d Haud geht. 

Wie Seni dem Herzog innig ergeben tjt, fo erfcheint diejer 
von dem Glauben an die Sterne feft umjtridt. Goethe hatte 
Sch. darauf aufmerkſam gemadt, daß der aftrologiihe Wahn 
fein Aberglaube jei, der ſich aus dem dunflen Gefühle eined un- 
geheuren Weltganzen berleiten laſſe und wohl im Stande jet, 
eine mächtige Einwirkung auf die menfchliche Natur, ſelbſt auf 
ihr fittliches Verhalten auszuüben. Sch. mußte ihm beiftimmen 
(vergl. ob. ©. 437) und konnte died um fo leichter, ald hochitre- 
bende Naturen faft immer an einen Stern glauben, der ihnen 
leuchtet, von einer Miſſion träumen, die fie zu erfüllen haben. 
Auf diefe Weife erhielt die Verarbeitung des aftrologifchen Mo- 
tivs in die Charakterzeichnung jeined Helden das Gepräge einer 

tieferen pſychologiſchen Wahrheit. 


— —— — —— — —— —— — 


464 Ballenftein. 


Zollpeit und in der Geſchmeidigkeit nach oder gar zuvor zu 
thun.” Bei ber Kürze der Zeit, welche dem Dichter für bie 
Zeichnung dieſes Charakters zugemefien war, wird es baber nicht 
Wunder nehmen, daß einige Stellen von ihm wörtlich benupt 
worden find, von einer Nachbildung des Originald kann indefien 
feine Rede fein. Schillerd Kapuziner ift ein Repräfentant des 
Zelotismus der Bettelorden jener Zeit umd fpielt, wie Sof. Bayer 
fein bemerkt, in dem Lager diejelbe Rolle in offener und berber 
Weiſe, die Pater Kamormain (f. d.) fein und verftedt, und 
darum ganz richtig im Hintergrunde bleibend, am Hofe fpielt. 
Durch die allen Eiferern überhaupt anhaftende Kedheit, bie 
mit feinem Stande feltfam contraftirt, wird er natürlich auch 
humoriſtiſch; aber ftreng genommen tft er (nad) 8. Fiſchers treff: 
licher Charakteriftif) eigentlich nur erbittert und dabei zur Ueber: 
treibung geneigt; er kann nur dreinfchlagen und die Leute ſchlecht 
machen, jo daß Fein gutes Haar an ihnen bleibt, und verfteht 
es, mit gewillen Schlagwörtern vor Allem auf die Geſammtheit 
zu fhimpfen. Dadurch natürlich gelingt ed ihm, den Einzelnen 
für fi zu gewinnen, der in dem Gefühl, keinesweges fo ab- 
Iheulih zu jein wie die Gefchilderten, am liebiten an feine 
Nebenmenihen denkt, fi felbft aber am wenigften getroffen 
fühlt. Außerdem verfteht ed diefer Kapuziner, feine Zuhörer 
durch allerlei Iuftige Wortfpiele zu amüfiren, und imponirt ihnen 
nicht nur durch eine gewichtige Anzahl Iateinifcher Broden, die 
er ihnen (vergl. Lateiniiched) auf möglichſt freie Weiſe überſetzt, 
damit fie auch genau auf die Soldaten paflen, jondern gleich 
zeitig durch eine Menge guter und böſer Betfpiele aus ber Bibel, 
hinter denen er ſich mit feinen Schimpfreden ficher verfchanzen 
ann. Als fich feine Erbitterung jedoch gegen ben von ber Geift: 
lichfeit verfegerten, von den Soldaten aber hochverehrten Yelb- 
herrn richtet, da machen dieſe ihm handgreiflich klar, daß fie 
fi) fo etwas nicht gefallen laſſen wollen. Nur die einfältigen 
Kroaten, auf die feine Rede fichtbar eingewirft, nehmen fid 
feiner an. Das genügt ihm aber vorläufig; denn hat er nur 


Wallenftein. 465 


erft den Soldatenpöbel für fih gewonnen, fo werben die an 
deren ſchon nachfolgen, fobald der Feldherr mit feiner ver- 
brecheriſchen That hervortritt. 

Worin befteht nun die Handlung des Lagers? Denn 
ohne eine foldhe würde ihm ber dramatifche Charakter fehlen. 
Wir finden die Truppen (Sc. 1) in den böhmiſchen Winterquar: 
tieren, die fie zuerft nach der Schlacht bei Küken biß zum Früh: 
jahr 1633, und jet zum zweiten Male (vom November 1633 
biö zum Februar 1634) bezogen haben, nachdem dad Land fchon 
vorher (nach der Schlacht bei Leipzig 1631) von den Sachſen 
unter Arnim (3. 32) beimgefucht worden war. Wie ed dem 
armen Lande ergangen, wad die Einwohner von dem Gtolz, 
dem Webermuth und der Grobheit der Soldaten zu leiden haben, 
erfahren wir von dem Bauer; von den Soldaten dagegen hören 
wir (Sc. 2), daß die Herzogin, Wallenfteind Gemahlin, mit ihrer 
Tochter in Pilſen eintreffen fol. Dieje Veranlaſſung macht 
den Sonntag, an dem die Handlung vorgeht, zu einem doppelt 
feftlichen Tage, fo daß von der doppelten Löhnung wohl nicht 
viel übrig bleiben wird, umfomehr, als e8 darauf abgefehen tft, 
die neuangefommenen Truppen zu gewinnen. Die Soldaten 
merfen wohl, daß etwad Bejondered vorgeht, und aud ihren 
fpigigen Reden gegen die Regierung in Wien, wie au dem 
Mißtrauen, mit welchem fie den Kriegdrath Quejtenberg (V. 23 
„die alte Berrüde”) betrachten, können wir auf ihre Anhänglich: 
feit an Wallenftein fchließen. Sie laſſen e8 fich daher im Lager 
rubig wohl fein, bejchäftigen fich einjtweilen (Sc. 3) mit Sti⸗ 
bigen, Tauſchen, Handeln und Betrügen, und laflen fich die 
Nachricht, das (Sc. 4) dem Kurfürften von Baiern Regend- 
burg genommen worden fei, eben jo wenig nahe gehen wie ihr 
Feldherr. 

Inzwiſchen ſind (Sc. 5) die neuen Truppen und mit ihnen 
die Marketenderin angekommen, die uns einen kurzen Ueberblick 
über den bisherigen Verlauf des Krieges und ſeine weite Aus⸗ 
dehnung giebt, während wir (Sc. 6) von ben Holkiſchen Jaͤgern 

II. 30 


466 MWallenftein. 


erfahren, in welcher wilden Weiſe berfelbe geführt worden ift, 
und wie Die Truppen über die Gewalt ihres Feldherrn denken, 
dem fie mit abergläubifcher Verehrung ergeben find. Daß bed 
Sriedländerd Macht immer noch im Wachſen begriffen tft, ver- 
anjhaulicht und der Dichter (Sc. 7) dur die Einführung des 
Recruten, ben ber philiftröfe Bürger vergeblich von dem allge: 
meinen Kriegesſchwindel zurüdzubalten jucht, während der er: 
fahrene Wachtmeifter ihm mit ſtolzem Selbftbewußtfein feine 
Soldatenphilojophie vorträgt. Aber nicht alle denfen wie Wal: 
Ienftein und fein Heer. Der Kapuziner (Sc. 8), der ed meifter: 
haft verfteht, feine beichränkten und abergläubiichen Borftellun: 
gen mit einer Yluth von biblifhen Reminifcenzen aufzupugen, 
eriheint und hält den Soldaten eine Strafpredigt. Bon der 
Sonntagsentheiltgung audgehend, jchildert er die Noth ber Zeit 
und erinnert an die Strafgerichte Gottes, welde in Folge des 
greulihen Sündenlebend hereinbrechen werden; aber er mifcht 
fih auch in die Politit und vertritt die Partei feined Kaiſers; 
er verlangt, daß das Heer Böhmen verlafle, dem Kurfürften 
von Baiern zu Hülfe eile und fich gegen die ketzeriſchen Schwe- 
den wende. Und wenn die meiſten Xagergenofien hierauf auch 
wenig hören und ruhig weiter zechen, die gejchichtlich richtige 
Thatfache: „drum Tann er den Hahn nicht hören frähn“ bat ein- 
zelne Soldaten (Se. 9) doch ftußig gemacht. Mit ded Wacht: 
meifters finniger Entjehuldigung, daß fein Feldherr gar zu tiefe 
Sachen denfe, bildet der bei feinen falfhen Würfeln ertappte 
Bauer zunähft nur einen jeltfjamen Contraft. Aber nachdem 
er dem (Sc. 10) zu erwartenden Hängen glüdlich entronnen, 
und zwar burch ben Spruch eines Pappenheimers, befien Regi- 
ment feine eigene Zuftiz ausüben darf, da bricht (Sc. 11) die 
Unzufriedenheit unter den Truppen bervor. Die Zumuthung, 
acht der beften Regimenter vom Heere zu trennen, um ben ſpa⸗ 
niihen Snfanten aus Mailand nad den Niederlanden zu be: 
gleiten, beleidigt ihr Selbftgefühl. Der Wachtmeifter Tpricht 
dad aus, was in Aller Herzen lebt, öffnet den Gedankenlofen 


Wallenftein. 467 


die .Augen und prophezeiht dem Heere, wad ed von Wien her 
zu erwarten hat. Sept regt fih die Neigung zum Widerftanbe. 
Die Soldaten kennen die Bedingungen, unter denen Wallenftein 
dad Commando übernommen hat; fie fühlen fich Daher berech⸗ 
tigt, nicht dem Kater, fondern nur ihrem Feldherrn zu ge: 
horchen; fie wollen nicht, daß feine Regimenter von einander 
getrennt werben. Aber es fol Feine Meuterei ftatt finden; fie 
fafjen den Beſchluß, ihren Willen ordnungsmäßig fund zu geben, 
und der junge Piccolomini, der Wallenfteind volle Vertrauen 
genteßt und zugleich bet Hofe in Anfehen fteht, ſoll ihr Sprecher 
fein. Hierauf erhält dad Ganze mit dem NReiterliede einen be- 
rubigenden Abſchluß. 

Als Sch.'s Lager auf den deutfchen Bühnen erichien, war 
man daran gewöhnt, nicht8 andered ald Sommerzienräthe, Pfarrer, 
Secretaire, Fähnriche und als komifche Geftalt etwa einen Schul: 
meifter über die Bretter geben zu ſehen. Sept plöglich follten 
bieje die Welt bedeuten, und in einer Zeit, wo die politifchen 
Ereigniffe alle Gemüther lebhaft in Anfprucdy nahmen, wehte 
den Zufchauern unerwartet der Geift der Weltgejchichte von der 
Schaubühne entgegen. Kein Wunder aljo, daß die Wirkung 
eine gewaltige war. Die Kritifer freilich gingen, wie Hinrichs 
(III, 34) berichtet, in ihren Urtheilen audeinander. Wieland fand 
das Stüd jeltjamer Weile höchft unmoraliſch; Sean Paul ver- 
mochte feinen Berdruß über die VBorftellung nicht zurüdzuhalten; 
und Herder, dem vielleicht der barode Kapuziner ein Dom im 
Auge war, wurde gar vor Aerger frant. Im Allgemeinen aber 
wollte man dem auf das Sdeale gerichteten Schiller jo etwas 
fräftig, originell und plaftiih Gehaltenes gar nicht zutrauen; 
mindeftend follte Die SKapuzinerprebigt von Goethe berrühren, 

der doch nur zwei Verſe 
„Ein Hauptmann, den ein anderer erftach, 
Ließ mir ein paar glüdlihe Würfel nach, 
in Die Dichtung eingefchoben hatte, um zu motiviren, wie der 
Bauer zu den falihen Würfeln gefommen ſei. 2. Tied dagegen - 
80* 


468 Wallenftein. 


lobte den echt militairifchen Geiſt und nannte dad Stüd trefflich 
und unerreihhbar; auch Frau v. Staël war entzüdt über den 
friegerifchen Eindruck; und eine Borftellung, die man in Berlin 
vor den Offizieren gab, welche fi eben zum Kriege rüfteten, 
verjegte Alles in die muthigfte Erregung. Eben fo lobt Hoff: 
meifter die Naturwahrbeit, da8 Ungejuchte, die Bertrautheit mit 
der Zeit, die auf Wallenjtein und die übrigen Yeldherren hin: 
zielenden Andeutungen (vergl. Sc. 6, B. 134 u. 148), die lebend: 
volle Anſchauung und die Steigerung von dem Gemeinen umd 
Unbedeutenden zur höchſten Auffafiung bed Kriegerlebend. Und 
Sof. Bayer fagt mit vollem Nechte: „Es weht der echte Hiftori- 
ſche Geiſt ded dreißigjährigen Kriege wohl mit noch flärferem 
Hauche durch dieſes Vorfpiel ald durch die beiden größeren 
Stüde. Es liegt darin eine lebendvolle Kraft der geichichtlichen 
Illuſtration, die dieſes Erpofitiondftüd zu einem unvergleichlichen 
Juwel der deutſchen Literatur macht.“ 
Die dem Lager unmittelbar folgenden beiden Stücke 


Die Piccolomini und Wallenſtein's Tod 


gehören ihrer Entjtehung nach jo eng mit einander zuſammen, 
daß die in die Handlung wejentlich eingreifenden Perſonen (es 
find ihrer zwölf) durch beide Dramen hindurchgehen. Es er: 
fcheint daher zweckmäßig, Die Charakteriftil diejer Hauptperfonen 
einer bejonderen Betrachtung der einzelnen Stüde vorangehen zu 
lafien. Wir beginnen mit Queftenberg und Octavio Piccolomini, 
ben beiden Sachwaltern des faiferlichen Hofes. 

Der Kammerherr und Kriegsrath Queſtenberg, den Sc. 
abweichend von der Geſchichte, ſchon zu Znaim (f. o. ©. 445) 
mit Wallenjtein unterhandeln läßt, wurde nach dem Lager (I. o. 
©. 447) zu Pilſen gefandt, um bierfelbft dad Intereſſe feines 
Kaiſers zu vertreten; er ift aljo eine gejchichtliche Perjönlichkeit. 
Der Dichter zeichnet in ihm einen nüchternen, Falten und befon- 
nenen Charakter, der fich ald gewandter Diplomat zu benehmen 
weiß, den beiden Piccolomini (P. I, 4) jchmeichelt, Wallenftein 


Wallenftein. 469 


und feiner Heerführung (P. I, 2 u. II, 7) hohes Lob fpendet, aber 
auch geichidt auszuweichen verfteht, wo es nöthig ift. Nur dem 
Octavio gegenüber jpricht er fich offen aus und zeigt, wie ſchwer 
ihn die Beforgniß drückt, Wallenftein als den allmächtigen Ge: 
bieter an der Spige einer fo furdtbaren Macht zu erbliden. 
Bon größerer Bedeutung tft Detavio Piccolomtini, 
deſſen Sch. (Dr. Kr. ©. 341, 394, 403, 405, 485) erwähnt. Im 
Sabre 1599 geboren, aus einem ber älteften und berühmteften 
Geſchlechter Staliend ftammend, war er bereitö in jugendlichem 
Alter in Kriegsdienſte getreten. Nachdem er zu Mailand unter 
den ſpaniſchen Truppen gedient, Fam er ald Rittmeifter mit einem 
Regimente nach Deutichland, das der Großherzog von Toscana 
dem Katfer Ferdinand II. gegen die Böhmen als Hülfscorps 
jendete. Bon nun an fpielte er eine hervorragende Rolle unter 
ben Yeldherren des breißigjährigen Krieges. Sn der Schlacht 
"bei Lügen foll er das Regiment befehligt haben, durch deſſen 
beftiged Bordringen Gustav Adolph ein Opfer jeined Helden- 
muthes wurde. Als ihn Wallenftein i. J. 1634 nach den Salz: 
burger Päſſen ſchickte, um die aus Stalien zu erwartenden Hülfs- 
völker zurüdzuhalten, ging er von bier heimlicher Weiſe nad) 
Wien und fehte den Kaifer von den verdächtigen Planen jeined 
oberften Feldherrn in Kenntniß, worauf er nebft Gallas und 
Altringer den Befehl erhielt, ven Herzog von Friedland lebendig 
oder todt zu fangen. Der gejchichtliche Octavio war bei Wallen: 
ftein’8 Ermordung erft 35 Sahr alt; der Dichter, welcher ihm 
einen erwachſenen Sohn giebt, denkt ihn ſich ald einen Mann 
in ben Yunfzigern. Er tft die Perfon, in deren Händen bie 
Fäden der gegen Wallenftein gefpielten SIntrigue zufammenlan- 
fen, Doch fo, daß der Held des Stüdes gleich zu Anfang beijelben 
von feinen Schlingen umftellt erjcheint. Ein Freund ber alten 
Ordnungen des Staates, wie der in ber menfchlihen Gejellichaft 
beftehenden Einrichtungen, weshalb ihn auch Queftenberg unter 
den Feldherren (BP. I, 2) ald „den erfahrenen Rath“ hervorhebt, 
tft er bemüht geweſen, Wallenftein’3 Abfall zu verhindern, hat 


470 Wallenftein. 


ihm bei den Eröffnungen, die derjelbe ihm (Dr. Kr. 394) gemacht, 
feine Bedenken geäußert und ihn (BP. V, 1, V. 173) im Emft 
von dem gefährlichen Schritte abgemahnt. Da bied aber nit 
geholfen, fo finnt er nun heimlich darauf, dem Kaiſer das Heer 
zu erhalten. Ein Feind von wilden Zechgelagen (P. IV, 6), zieht 
er fi von den zu allerlei Audjchreitungen geneigten Dfficteren 
zurüd und wendet fich denen zu, die von befonnenerem Charakter 
find. Buttler hat er bereitö (P. 1,3, B. 10) audgeforfcht, und 
Altringer und Gallas find (P. I,3 u. V, 2) ſchon gewonnen. 
Sept handelt ed fih darum, auch die anderen Generale herüber: 
zuziehen; das kann aber nur durch Lift gefhehen. Obwohl er 
fühlt, Daß Queftenberg ihm vom Hofe (P. I, 3) ein gefährliches 
Amt überbradht, daß er ſich hüten muß, Verdacht zu erregen, 
weiß er fih doch durch alle Klippen hindurchzuwinden. Die 
Pfliht gegen feinen Kaifer und die kluge Rüdficht für feine 
eigene Perſon werben die Richtſchnur für fein Betragen. Wäh’ 
rend er (P. 1,2) nit nur einem Buttler, fondern audh einem 
Iſolani zu ſchmeicheln verfteht, bat er gleichzeitig den oberften 
Feldherrn mit Horchern umftellt, die ihm alle Schritte deſſelben 
hinterbringen müſſen. Sich felbft dagegen verfteht er wohl zu 
fihern, indem er feinen Berfehr mit den linterhändlern (P. V, 2) 
durh Die Kapuziner vermittelt. Was er in bdiefer Beziehung 
thut, glaubt er wohl verantworten zu können; er ſtützt fich auf 
jeinen Kaijer, deſſen Politif fein Gewiflen beruhigt; und fo be: 
nutzt er dad Manifeft, welche Wallenftein in die Acht erklärt 
und da8 Heer von dem Gehorfam gegen feinen Yeldherrn los⸗ 
jpricht, um dem Kaiſer neue Freunde zu gewinnen. Daß dabei 
auch wirkliche Hinterlift gegen den Herzog mit unterläuft, indem 
er Buttler (T. II, 6, 3. 93) den Brief zu lefen giebt, welcher 
fih jo unvortheilhaft über ihn geäußert, madt ihm um jo we 
niger Bedenken, als dies Verfahren gleichzeitig den Schein ber 
Dffenheit gegen den hinterrüdd verleumdeten Buttler an fi 
trägt. Er glaubt ſich daher volljtändig berechtigt, feine krummen 
Wege (P. 1,4, B. 80-85) ald Wege der Ordnung zu fchildern, 


Wallenſtein. 471 


um ſich ſo ſeinem Sohne gegenüber rechtfertigen zu können. 
Wenn Hoffmeiſter bet Octavio die Uebereinftimmung des Cha— 
ralters mit ſich ſelbft vermißt, und meint, Sch. habe ſich bemüht, 
das Gehäjfige in feinem Verhältniffe zu Wallenftein zu mildern, 
jo tft dem gegenüber daran zu erinnern, daß Octavio, wie er 
(P. 1,3, 38. 75) felbft fagt, dem Wallenftein nur fein wahres 
Herz verbirgt, ohne ihm jedoch ein falſches zu heucheln; bejon- 
ders aber ift auf die ganze Scene (P. V, 1) zu verweifen, bie 
bei der Beurtheilung von Octavio's Charakter nicht außer Acht 
gelaffen werben darf. Schließlich rechtfertigt Sch. ſich jelber *) 
treffend mit den Worten: „Es lag weder in meiner Abficht, noch 
in den Worten meined Textes, daß ich Octavio Piccolomini als 
einen fo gar ſchlimmen Mann, ald einen Buben darftellen jollte. 
In meinem Stüd ift er dad nie; er ift fogar ein ziemlich recht: 
liher Mann nad) dem Weltbegriff, und die Schändlichfeit, vie 
er begeht, jehen wir auf jedem Welttheater von Perfonen wieder: 
holt, die, fo wie er, von Recht und Pflicht ftrenge Begriffe haben. 
Er wählt zwar ein fchlechtes Mittel, aber er verfolgt einen guten 
Zwed. Er will den Staat retten, er will jeinem Katfer dienen, 
den er nächſt Gott ald den höchſten Gegenjtand feiner Pflichten 
betrachtet. Er verräth einen Yreund, der ihm vertraut, aber 
Diefer Freund ift ein Verräther feined Katjerd, und in jeinen 
Augen zugleich ein Unfinniger.” Mit Rüdfiht auf den Schluß 
des Stückes fügen wir noch die hiftoriiche Thatjache Hinzu, daß 
Dctavto nach Wallenftein’d Tode einen Theil der Güter des 
Ermordeten erhielt, und daß er ferner wegen anderweitiger wid): 
tiger Dienfte, die er dem Kaiſer ſpäter leiftete, nach dem Weft- 
phälifchen Frieden in den Keihsfürftenftand (vergl. X. V, 12) 
erhoben wurde. Er ftarb zu Wien 1656. 

Indem wir nun zu dem Helden unfere® Drama's übergeben, 
ſchicken wir folgende beherzigenswerthe Worte voran, die wir in 
der bereit3 (S. 452) erwähnten Schrift von Richter (S. 33) 


— — 





) Sch.s Briefwechſel ven Döring III, ©. 107. 


472 Wallenftein. 


finden: „Wir dürfen Wallenftein nicht Ioögerifien von feiner . 
Zeit betrachten; bie blutigen Härten an ihm haften eben an ihr. 
Er war Felbherr in einem alled erjchütternden, alle Leidenſchaften 
entfefjelnden, von Mord und Elend durdygogenen Kriege; allein 
von diejem dunklen Grunde hebt ſich gerabe feine Heldengeftalt 
in einer jest erft deutlich erfannten, wohlthuenden Begrenzung 
ab. Ded echten Heerführerd Genius trug ihm die Leuchte vor. 
Er war oft jtreng gegen feine Iintergebenen im Feld, furdtbar 
ftreng; nach der Schladht von Fügen hat er ein graufames Blut: 
gericht über die felbflüchtigen Dfficiere gehalten; aber die De: 
geifterung des Heered für ihn konnte ihren Grund nicht in ber 
Furt haben, fondern nur in den gerechten, mild erniten Weſen, 
das der Herzog daheim, der Feldherr draußen durch all jein 
Thun bliden ließ. Für alle Bedürfnifle feines Heeres mar er 
bis auf's Einzelſte beforgt; feine eigene Cafje gab oft die Mittel 
dazu her, die Mannszucht jeiner aus allen möglichen zufanımen- 
geworbenen Beftanbtheilen gemijchten Armee findet fich in feiner 
aus jener Zeit wieder. Bei der Erhebung der Contributionen, 
die mit großer. Willkür nah Millionen von den unglüdlichen 
Unterthanen, gleichviel ob freund: oder feindlich, erpreßt wurden, 
erjcheint unter allen Generalen des dreißigjährigen Krieges, den 
proteftantiichen ſowohl als den katholiſchen, der Herzog allein 
ald der einzig gewiſſenhafte. Zu wiederholten Malen wies er 
Anträge, wodurch er fich hätte bereichern können, zurüd und 
blieb mit ftrengem Chrgefühl auf feinen guten Ruf bedacht. Er 
bat wohl mandyen jchredlichen Befehl gegeben, allein ein Mag: 
deburg hat nie auf jeiner Seele gebrannt.” - 

So kannte Sch. den gefchichtlihen Wallenftein nicht, konnte 
er ihn nicht Fennen. Als Kaiſer Ferdinand's II. Befürchtungen 
durch dad Blutbad von Eger befeitigt waren, kam e3 ihm barauf 
an, wie died in folhen Fällen gewöhnlich gejchieht, feine Hände 
in Unfchuld zu waſchen. Durch 3000 Seelenmefjen, welche er 
für die Gemordeten lefen ließ, un ihre Seelen aud dem Fege—⸗ 
feuer zu erretten, fuchte er fich wor Gott zu rechtfertigen; bie 


Wallenſtein. 473 


Rechtfertigung vor der Welt erfolgte durch eine „auf ſonderbaren 
Befehl des Kaiſers herausgegebene“ Schrift: „Alberti Fried- 
landi perduellionis Chaos, ingrati animi Abyssus“ *), nach Rich— 
ter's Ausſpruch ein Chaos von Lügen, Erdichtungen, faljchen 
Audfagen gedungener Zeugen, unter denen*® die eined Seſyma 
Raſchin obenan ftanden. Diefe Schrift war die trübe Duelle, 
aus welcher die Schriftfteller zwei Jahrhunderte lang geichöpft, 
und leider ftand auch unferm Dichter feine reinere Quelle zu 
Gebote. Wir dürfen und daher nicht wundern, wenn das Bild, 
welched er (Dr. Kr. 163—165 u. 413—415) von feinem Helden 
entwirft, denjelben als finfter, Talt, graufam, hochmüthig, ver- 
fchloffen und vor Allen von Ehrgeiz und Rachſucht erfüllt, er: 
fcheinen läßt; wenn er jein Unternehmen in feiner Weile zu 
rechtfertigen wagt und den Untergang deſſen, .der feinen Freunden 
wie feinen Feinden gleich verdächtig erfchien, als ſelbſtverſchuldet 
betrachtete. Wenngleih nun Sch. an W. v. Humboldt fchreibt: 
„Bordem habe ich, wie im Pofa und Carlos die fehlende Wahr: 
heit Durch jchöne Idealität zu erfegen geſucht; bier im Wallen- 
ftein will ich e8 probiren und durch die bloße Wahrheit für die 
fehlende Idealität entihädigen” — jo mußte ihm doch bald Har 
werden, daß ein Charakter, wie er ihn aus feinen gejchichtlichen 
Studien kennen gelernt, zum tragijchen Helden wenig geeignet 
ſei. Es kam ihm aljo darauf an, das Rauhe und Barbarifche 
in feinem Auftreten zu mildern, und edfere Züge, wie Yamtlien: 
finn, Freundſchaft, Wohlwollen und Baterlandsliebe in wohl: 
thuender Weile hervorzuheben, mit einem Worte feinen Helden 
doch zu idealiſtren (vergl. ©. 453), um ihn dem menfchlichen 
Herzen (Prol. B. 105) näher zu bringen. Was aber feine Schuld 
betrifft, jo fuchte er ihn in einer Art von Verblendung darzu- 
ftellen, die ihn mit unbedingter Zuverficht zu fich ſelbſt, wie zu 
feiner Macht und zu feinem Glüd erfüllte, während er in feiner 


*) Albert Friedland's Chaos feined Hcchverrathd und feines unbanfbaren Ge⸗ 
mütbes Höllenabgrumb. 





474 Wallenftein. 


Umgebung eine Verkettung von Ereigniſſen herbeizuführen be 
müht war, welche ald Yolgen feined Vergehen ihn umftridten 
und jomit feinen Untergang berbeiführten. So fonnte die Tra: 
gödie allerdings „den Dienfchen in des Lebens Drang“ zeigen 
und „die größere Hälfte feiner Schuld ben unglüdlichen Geſtir⸗ 
nen zuwälzen“. 

Yaflen wir nun ben Charalter dieſes tbealifirten Wallenftein 
näher in’d Auge. Wichtige Züge aus feiner Zugend theilt und 
Cordon (T. IV, 2, B. 104—133) mit; was dad Heer von ihm 
hält, jagt und (8. 6, V. 126 2c.) der Zäger; was die Welt von 
ihm urtheilt, erfahren wir (P. 1, 2, B. 5—10) von Queſtenberg; 
und wie die ihm ergebenen Generale über ihn denken, fchildert 
und (P. 1, 4, B. 26—79) des jungen Piccolemini beredter Mund. 
Sp ſuchte Sch. die hervorragendften Züge aus dem Leben des 
geichichtlichen Helden feiner Dichtung einzuverleiben, um den Le 
fer für ihn als Menſchen zu intereffiren und gleichzeitig feine 
Handlungsweiſe pivchologifeh zu begründen. Außerdem aber 
fchiebt er der letzteren edle Motive unter, indem er ihn ald 
Reichöfürften höhere Zwede verfolgen läßt. In dieſer letzten 
Eigenihaft hat Wallenftein nicht nur (P. II, 5, V. 28—49 und 
V. 167 — 169) dad Befte des deutichen Reiches im Auge, dem 
er gern (P. V,1,8.71 u. T. III, 15, V. 120) den Frieden ſchen⸗ 
Ten möchte; fondern felbft Die Ruhe Europa's liegt ihm (B. IL, 4 
V. 185) am Herzen. Auf diefe Weiſe eilte der Dichter dem 
Urtheil feiner Zeit voraus, mit richtigem Blide ahnend, daß der 
Held feines Drama’ auch ald geſchichtliche Perfon der Nachwelt 
in milderem Lichte erjcheinen würde. Wenn O. V. Richter in 
ber.oben (©. 452) citirten Schrift fagt: „Wad Wallenftein in 
feiner friedlichen Zurüdgezogenheit jo fegnend und beglüdend 
fennen gelernt hatte, wollte er feinem ganzen deutſchen Vater⸗ 
lande geben; die Fremden, welche nur noch mehr die Draden: 
ſaat der Uneinigfeit fäeten, wollte er in ihre Grenzen zurüdtrei- 
ben, ben Frieden von ihnen erringen und, wenn ed fein müßte, 
von den deutſchen Fürften erzwingen, um ber unfeligen 


Wallenftein. 475 


gerfpaltung Deutjchlands ein Ende zu madhen” — fo jehen wir in 
diefen Worten ein Bild des Helden, wie es unſerm Dichter vor: 
geihwebt, ber und zugleih in Wallenſtein's vertraulichen Ge⸗ 
fprähen und Monologen tiefe Blide in fein Inneres und in die 
geheimnißvolle Werfftatt feiner Plane thun läßt. Wenn bie 
Geſchichte den tief ernften und verjchlofienen Wallenftein doch 
in feinem Yamtlienleben ald den treueften Gatten, den zärtlichiten 
Bater und den gütigften Herren darftellt, fo bat der Dichter es 
nicht vergefien, auch diejer Seite feined Weſens einen Ausdrud 
zu geben. Er kennt (X. III, 4, 3. 35) dad Bedürfniß, im Kreiſe 
der Seinen von den Sorgen der Geſchäfte audzuruhen, verlangt 
(P. 11, 2), daß feiner Gemahlin ſelbſt am Kaijerhofe mit Achtung 
begegnet werbe, und freut fich feiner Zochter, die er gern glüd- 
Yih ſehen, und der er deshalb ein glänzended Gefchid bereiten 
möchte. Und als er Mar, feinen Liebling, verloren bat, da Tlagt 
er (T. V, 3), daß die Blume aus feinem Leben hinweg fet, daß 
er den verloren, ber feinem Dafein einen poetifchen Reiz verlie- 
ben. So erbliden wir mitten in den Zeiten der Rohheit bie 
fittlih edle Natur, die auch die ſpätere Geſchichtsforſchung dem 
großen Feldherrn nicht hat abſprechen können. 

Da der breißigjährige Krieg feiner erften Veranlaſſung nad 
um des Glaubens willen geführt wurde, jo ericheint ed wichtig, 
auch über Wallenftein’3 religiöfe Anſchauung in's Klare zu fom- 
men. Die Gefchichte berichtet, daß er um des Glaubens willen 
Niemand haßte, ja dag ihm die damals fo wichtige Verfchieden- 
beit des Belenntniffes nicht nur gleichgültig war, jondern daß 
er feine tolerante Geſinnung auch offen an den Tag legte, indem 
er (vergl. X. IV, 3) zu Glogau eine proteftantiiche Kirche bauen 
ließ und einen Proteftanten zu feinem Kanzler madıte, Eben 
fo zeigte er eine entjchiedene Vorliebe für jeine tapferen prote- 
ftantifchen Generale Arnim, Julius von Sachſen, den Herzog 
von Lüneburg, Schafgotih, Sparr und andere; und ber italieni: 
fhe Graf Gualdo Priorato berichtet: Er bemühte fih jehr oft, 
die Herzen derjenigen zu verfühnen, welche jich wegen abweichender 


476 Ballenftein. 


Anfihten in Glaubensſachen haßten; Krieg führen, um einen 
fremden Glauben aufzubringen, war ihm nicht gegeben. Diefer 
Sefinnung entſprach auch der nad Ouſtav Adolph's Yall bem 
Kaiſer (Dr. Kr. 362) ertheilte, aber freilich vergebliche Rath, 
„eine wneingeichränkte Amneftie zu verkündigen und den prote 
ftantiihen Ständen mit günjtigen Bedingungen entgegenzutom- 
men.“ Auch diefe Seite ſeines Charakters findet in der Dichtung 
ihren Ausdrud in der humanen Behandlung des Grafen Thurn 
(P. 11,7, V. 106— 118), wie in den Gefprächen mit Wrangel 
(T. 1,5) und dem Bürgermeifter (T. IV, 3). 

Dar Wallenftein nın auch freifinnig genug, um ſich gegen 
die fo Scharf ausgeprägten confeffionellen Verſchiedenheiten jeiner 
Zeit indifferent zu verhalten, fo hatte doch dad Gefühl feiner 
Abhängigkeit von einer höheren Macht ihm eine feierlich ernite 
Richtung gegeben, die fih vor Allem in feinem Glauben an die 
Sterne offenbarte. Als nad) dem Regensburger Fürjtentage die 
fatferlihen Gefandten zu ihn nach Memmingen famen, um ihn 
zur Niederlegung feines Yeldherrnamtes zu bewegen, nahm er, 
wie Hinrichs (III, ©. 63) berichtet, eine lateiniſche Schrift von 
den: Tiſch, die bed Kaiferd, des Kurfürften von Baiern und feine 
eigene Nativität enthielt, las fie ihnen vor und fagte: „Ihr Her: 
ren, aus den astris könnt Ihr jelbjt jehen, daß ih Eure Com: 
milfton gewußt, und daß des Kurfürften von Baiern Spiritus 
des Kaiſers feine dominirt; daher kann ich dem Kater feine 
Schuld geben; wehe thut ed mir nur, daß fih Ihro Majeftät 
meiner jo wenig angenommen; ich will aber Gehorſam leiften.“ 
Mit Beziehung hierauf At der Dichter (T. III, 3, V. 39—46) 
Wallenftein’8 Gemahlin jagen, daß fich feit dem Unglüddtag zu 
Regensburg fein Herz den dunklen Künjten zugewandt habe. 
MWallenftein folgte hierin zunächit der Sitte feiner Zeit, in wel- 
cher die Ajtrologen von Fürften und vornehmen Herren hoch⸗ 
geehrt waren; und fo ſehen wir in dem Staltener Seni (vergl. 
Dr. Kr. 163 u. 331), dem unentbehrlichen Begleiter Wallenftein's, 
das ganze Weſen jened mpftifchen Elements in höchſt anjchau: 


Wallenſtein. 477 


licher und wirkſamer Weiſe verkörpert. Schon im Lager (Ge. 6, 
V. 195) wird auf dieſe ſeltſame Figur hingedeutet, die, wenn ſie 
auch in die Handlung nirgend wirkſam eingreift, doch viel Feſ⸗ 
felnded hat, und bei der ed dem Dichter entjchieden gelungen tft, 
dem ajtrologiihen Motiv die von ihm erftrebte „poetifche Dig. 
nität” zu geben. Gent fteht unter der Herrichaft erträumter 
Mächte, eined Aberglaubend, in dem allerdings manches Sinnige 
liegt, der indeflen vor dem Lichte der Wiflenfchaft in Nichts zer- 
ronnen ift. Zugleich ift er von religiöfen Anfchauungen erfüllt, 
denen ein unbefangenes Gemüth feine Zuftimmung nicht verjagen 


fann, aber feine eigenmächtigen, beſchränkten Deutungen gewifler - 


Erſcheinungen machen einen wunberlihen Eindrud. „Nichts in 
der Welt ift unbedeutend“, mit diefen Worten führt er fih (P. 
II, 1) ein; deöhalb giebt e8 für ihn heilige und böfe Zahlen, auf 
welche feine Umgebung achten fol; und jelbft die Linien in 
Thefla’3 Hand (P. III, 4) werden ein Gegenftand feiner Unter: 
ſuchung und veranlafien ihn zu prophetiichen Deutungen. Bon 
einer Kunft eingenommen, iſt ihm jeder freie Blick verfagt, 
überall ſehen wir ihn von unheimlihen Mächten umgarnt, er tft 
die Perjonification ded finfteren Geijted, der nach Thekla's Aus- 
ſpruch durch Wallenftein’d Haus gebt. 

Wie Seni dem Herzog innig ergeben ift, fo erfcheint diefer 
von dem Glauben an die Sterne feſt umſtrickt. Goethe hatte 
Sch. darauf aufmerfjam gemacht, daß der aftrologiihe Wahn 
fein Aberglaube fei, der ſich aus dem dunflen Gefühle eine un- 
geheuren Weltganzen herleiten laſſe und wohl im Stande jet, 
eine mächtige Einwirkung auf die menſchliche Natur, felbft auf 
ihr fittliche8 Verhalten auszuüben. Sch. mußte ihm beiftimmen 
wergl. ob. ©. 437) und konnte die um fo leichter, ald hochftre: 
bende Naturen faft immer an einen Stern glauben, ber ihnen 
feuchtet, von einer Miffton träumen, die fle zu erfüllen haben. 
Auf diefe Weije erhielt die Verarbeitung des aftrologifchen Mo: 
tivs in die Charakterzeichnung ſeines Helden dad Gepräge einer 
tieferen pſychologiſchen Wahrheit. 


418 Mallenftein. 


Bekanntlich hat Kepler, der eine Zeit lang in Wallenftein's 
Dieniten ftand, diefem dad Horoſtop geftellt, wonach für unfern 
Helden neben Jupiter au Saturn”) im Haufe des Lebens ge 
ftanden. Wallenftein fand in dem Aftronomen nicht, was er 
ſuchte, und gab ihm, vermuthlic um feiner los zu werben, eine 
Profeſſur an der Univerfität Roftod. Bei Sch. ift Jupiter 
bes Herzogs Stern, der ihn bei der Geburt aufgegangen, und 
eben fo ift Benus ein ihn günftiger Planet, während Mar und 
Saturn (2. I, 1) als unbeilvolle und jchadenbringende Geſtirne 
erſcheinen. Wie Wallenftein felbft ganz in aftrologijchen An 
ſchauungen lebt, jo wirkt er auch auf einen Theil feiner Umge⸗ 
bung; nicht nur dem Mar erfcheint er (T. II, 2) wie der feſte 
Stern bed Pols, fondern auch feine Truppen folgen (T. II,3) 
jeinen Sternen, die er in der Bedrängniß (T. 1,7, V. 79) als 
bülfreihe Mächte anruft. Seinen Liebling Mar vergleicht er 
(P. 11, 4) mit der Venus, dem glüdlichen Geſtirn des Morgens, 
da8 der auffteigenden Sonne vorangeht; und wenn er aud (2. 
V, 3, 8.43) von dem im Kampfe Gefallenen fagt: „Er gehört 
nicht mehr den trüglich wankenden Planeten“ — fo foll dies für 
ihn Doch nichtd anderes beißen, als: er ift nicht mehr von den 
uns täufchenden Conftellationen abhängig. Den fich auflöfenden 
Nebenmonden, einer Erſcheinung, welche die Phyfik als eine 
Wirkung der in der Atmofphäre fchwebenden feinen Eisnadeln 
betrachtet und theild aus der Reflerion, theild aud der Beugung 


— — 





*) Wallenſtein's Geburtsſtunde fiel auf ben 14. Sept. Nachmittags 4 Uhr 
Nach Kepler deutet Saturn auf melancholiſche, allezeit gährende Gedanken, Nichte 
achtung menſchlicher Gebote und felbft der. Religion, Mangel an brüberlicher mb 
ebelicher Liebe. Denn dies Beftirn macht unbarmberzig, ungeftüm, ftreitbar, uns 
verzagt. Da nun aber Jupiter fih mit Saturn vereinigt, fo darf man hoffen, 
daß die meiften dieſer Untugenden fich in reiferem Alter abjchleifen werben. Kep⸗ 
lex jpricht ferner die Meinung aus, zu dem Schidfal bes Menfchen fei der Him- 
mel doch nur der Vater, Niemand dürfe ein Glüd Hoffen, zu dem feine Anleitung. 
in feinem Gemüthe fei; die eigene Seele des Menſchen fei gleichſam die Mutter, 
den der Seele inmohnenben Kräften ſchreibt er eine verborgene Beziehung auf die 
Gonfiguration der Geſtirne zu. 





Ballenftein. 479 


der. Lichtftrahlen an der Oberflädhe dieſer Nadeln zu erffären 
ſucht, legt er (X. IV, 3, 38.32) nad) der abergläubiichen @e- 
wohnbeit feiner Zeit eine politiiche Bedeutung bei. Die Aftro« 
logie muß ihm auch helfen, über die Zuverläffigkeit feiner Gen 
nerale zur Gewißheit zu fommen, auch ihnen hat er dad Horo» 
ftop geftellt. Er traut daher dem Illo, dem der Supiter bei der 
Geburt Hinabftieg (P. Il, 6, B. 95—126), keine höhere Einficht 
zu, obwohl er deflen praftifcher Richtung feine Anerkennung nicht 
verjagen fann; dagegen vertraut er dem Octavio, der (P. II, 6, 
B.18) mit ihm unter gleihen Sternen geboren iſt (T. UL, 3, 
B.48—50), mit unbedingter Zuverfiht. Sa jo gewaltig ift die 
Macht jeined Glaubens, daß, ald er an dem ſchändlichen Verrath 
nicht mehr zweifeln kann, er (X. III, 9) in die völlig widerfinnig 
klingenden Worte ausbricht: 

„Die Sterne lügen nicht, das aber iſt 

Geſchehen wider Sternenlauf und Schickſal. 

Die Kunſt ift reblich, doch dies faljche Herz 

Bringt Lug und Trug in den wahrhaftigen Himmel“. 

Wenn Guftav Adolph, wie wir bei Hinrichs (III, 74) lefen, 
einst jagte: „Der Katjer hat drei Generale, einen Pfaffen, das 
iſt Tilly; einen Narren, das tft Wallenftein; und einen braven 
Soldaten, das tft Pappenheim“ — fo bezieht fih das dem 
Mallenftein beigelegte Prädicat vielleicht weniger auf feine aftro- 
Iogiihen Phantafieen, denen ja felbjt ein Melanchthon nicht ab- 
hold war, ald auf feinen Aber: und Wunderglauben, der fih an 
Das Wirken und Walten der fogenannten Clementargeifter ) an: 
ſchloß, wie fie und aus Goethe's Fauſt (Bd. 11, ©. 52) befannt 
find. Welche Macht die Salamander, Undinen, Sylphen und 
Gnomen (od. Kobolde) felbft in den Augen jtrebfamer Denker 
auf den Menjchen auszuüben vermochten, das ift und dort zu 
Iebendiger Anſchauung gebradt. Auch Sch.s Wallenftein tft 


*) Rah dem Volldglauben des Mittelalterd bämonifche Wefen, welche in den 
vier verſchiedenen Elementen berrichten, unb zwar: Salamander im euer, Undi⸗ 
nen im Wafler, Sylphen in der Luft, und Gnomen in ber Erbe. 





480 Wallenftein. 


dieſem Glauben zugethan. Von Max, dem Idealiſten, kann er 
(2. II, 2, V. 111) ſagen, „er wohnt im leichten Feuer mit dem 
Salamander” (f. d.), welcher unter den &lementargeiftern eben 
feined vermeintlihen Aufenthalt3 wegen als einer der reinften_ 
betrachtet wurde. Wallenftein felbft Dagegen iſt Realift; er ftrebt 
nah Macht und Reichthum, Gütern, die er nur „den faljchen 
Mächten“ (8. 121), den von Saturn beherrſchten böjen Geiftern 
(vergl. 7. I, 8. 25—32) unter der Erde abgewinnen Tann. Im 
Zufammenhange mit diefem Wahn fteht jein Glaube an die 
Träume. Nach feiner eigenen Mittheilung (2. TI, 3, B. 79) bat 
er dad Schidfal beraudgeforbert, ihm ein Zeichen zu geben, wer 
im der Treuefte jei, und in einem Traume ift ihm (B. 51) ein 
Pfand zu Theil geworden, daß er fi auf Octavio unbedingt 
verlafjen könne. Wenn er bei diefer Gelegenheit (8. II, 3, 8. 
100) fagt: „Es giebt feinen Zufall”, jo ift die nur auf bedeut- 
fame Ereigniffe zu beziehen, wie die wunderbare Erfüllung Des 
Traumes; denn andermwärtd fpricht er von Zufall, wie (X. 1,3, 
3.39): „Es ift ein böfer Zufall“, nämlich daß der Sefin gefan- 
gen iſt; desgl. B. 83: „Sch bin es nicht gewohnt, daß mich ter 
Zufall blind waltend, finfter herrichend mit ſich führe‘; und (T. 
11, 3, 8. 115): „Sie kann der Zufall gaufelnd nicht verwandeln. * 
Sein Bertrauen zu deu Sternen, fein Glaube an dad Walten 
und Wirken der Clementargeifter und feine Zuverfiht zu den: 
Träumen, fie zufammen bilden den „Weltgeift“ (X. IL, 3, 
V. 55), eine eigene myſtiſche Philoſophie, die ihm ein Leitftern 
auf feinem Lebenswege ift. Die innere Welt, der „Mikrokos- 
mus“ (ebendaf. V. 112) tft ihm das Weben des Weltgeijted (bei 
Goethe, Fauſt ©. 22 „Geift der Erde”) in der Seele Octavio's, 
fo daß derjelbe nicht nach feiner Willkür oder dem Willen eines 
Anderen handeln kann, jondern diefem Geifte folgen muß. Da- 
gegen ift ihm der „Lügengeiſt“ (T. III, 4, 3.19 — Goethe, 
Fauft ©. 75) der ihm feindliche böfe Dämon, d. b. bald die 
„falſchen Mächte, die unterm Tage ſchlimm geartet haufen“, bald 
die Malefit am Himmel, die feindlichen Planeten Mard und 


Wallenſtein. 481 


Saturn, die ihn zu berücken und ſchließlich zu verderben ſuchen. 
Vergl. Helbig, S. 346. 

Wie wird ſich ein ſo angelegter Charakter, bei dem Verſtand 
und Aberglaube, Vorſicht und Uebermuth, Ehrgeiz und Eigen⸗ 
ung, Bedachtſein auf ſeinen guten Ruf und Neigung zu kühnem 
Frevel in ftetem Conflict mit einander jmd, fi num verhalten, 
wenn es darauf ankommt, unter verwidelten Berhältniffen zu 
handeln? Sch. fagt (G. Schwab, S. 631) von dem hiftorijchen 
MWallenftein: „Sn feinem Betragen war er fchwanfend und un: 
entichlofien, in feinen Planen phantaſtiſch und excentriih, und 
in der legten Handlung jeined Lebens, der Verſchwörung gegen 
den Kaiſer, Schwach und unbeftimmt, ja fogar ungeichidt.” Hierin 
ift und ein Wink für die Beurtheilung des dramatifchen Helden 
gegeben, mie ihn der Dichter gezeichnet. 

Don ſtolzem Selbitbewußtjein erfüllt, traut fich der unter 
der Herrichaft erträumter Mächte ftehende, aljo eigentlich inner: 
lih unfreie Mann die Kraft zu, fich in jedem Moment frei ent- 
Ichliegen zu können. Abhängigkeitsgefühl und Selbftvertrauen, 
daB find alfo die beiden fchlechthin unvereinbaren Gegenjäte, vie 
in dieſem merkwürdigen Charakter fich miſchen. Kein Wunder 
alfo, daß der, der dauernd mit fich felber fpielt, auch (P. II, 5, 
V. 66) feinem eigenen Schwager, dem Terzky, fagen kann, daß 
er fein Spiel mit ihm getrieben, feine Generale möglicherweife 
alle zum Beiten haben könne. Und thut er dad nicht? Obwohl 
er ihnen (2. II, 3, 3.38) fagen kann, er „lafle jedem feinen 
Sinn und Neigung”, fo hat er do von ihnen (P. II, 6, V. 26) 
eidlich und fchriftlih Parole verlangt, fich feinem Dienfte unbe: 
Dingt zu widmen; und als er hört, Mar habe die Unterfchrift 
verweigert, ftimmt er (T. 1,3, V. 72) deſſen Aeußerungen ruhig 
bei: „Es braucht das nicht, er hat ganz Recht." Wallenftein 
fühlt aljo, daß er zu feinen Generalen in eine zweideutige Stel: 
Iung gerathen ift, dab er in der verlangten Unterzeichnung der 
Eidesformel ein Mittel gewählt Hat, das fich nicht rechtfertigen 
läßt; und wenn er fich in jchwierigen Momenten (7. IL, 6 u. 7) 

II. 81 


482 Wallenſtein. 


auch augenſcheinlich bemüht, feine ganze Fafſung zu bewahren, 
fo verliert er doch innerlich alle Haltung und mit ihr das Ber: 
trauen feiner Dffictere. Ja fjelbft fein Liebling Mar muß an 
ihm verzweifeln, wenn er (T. III, 18) hört, wie er von feiner 
Macht Gebrauch machen, für den Berrath des Baterd Rache an 
ibm nehmen will, und doch gleich darauf in dem bemegteften 
Auddrüden von feiner Liebe zu ibm reden famn. 

Sp ſchwankend, wie Wallenftein in feinem Benehmen, ſo 
„phantaftiſch und excentriſch“ tft er auch in feinen Planen. Ob: 
wohl er dem Katfer (X. I, 7, ®. 106) dad Gute, dad er von ihm 
erfahren, nicht vergeſſen kann, fo macht es ihm Doch Freude, ihn 
feine Macht fühlen zu lafien, ihn abhängig von fich zu wifien. 
Nur ein Feldherr erften Ranges Tann fi fo wie er (BP. 11,7) 
dem Queftenberg gegenüber vertheidigen, ihm au verftehen geben, 
daß der Krieg vom grünen Tiſche aus fich ganz anders anſehe 
als im Feldläger; kann mit einer fo unerjchütterliden Stand: 
baftigfeit die Eingriffe zurückweiſen, welche der Kaiſer fi in bie 
Kriegführung erlaubt; nur ein feinem Gebieter geiftig ebenbür- 
tiger Machthaber kann dem Kriegsrath offen erflären, daß er 
das in Wien gefponnene Gewebe wohl durchſchaue, daß ihm 
aber bed Reiches Wohlfahrt mehr am Herzen liege, ald der per: 
fönliche Vortheil ſeines Kaiſers. Es ift eine wahrhaft daͤmoniſche 
Freude an der in ſeine Hände gegebenen Gewalt, mit der er 
dem Queſtenberg zu imponiren verſteht, ihm zeigt, daß er ſehr 
wohl dem Kaiſer ſchaden könnte, wenn er wollte. Und will er 
das nicht? Nicht nur die Sucht nach Ruhm, auch das Verlangen 
nach Größe hat fein Herz ergriffen. Er weiß, daß das böhmi⸗ 
ſche Volk dem Kaiſerhauſe wenig zugethan tft; was es heißt, ein 
Land zu regieren, dad hat er bei der Berwaltung feiner umfang- 
reihen Güter erfahren; follte er nicht dad Geſchick haben, ganz 
Böhmen zu regieren, nicht berechtigt fein, nach defien Könige: 
frone zu ftreben? Und was der Kailer aus freiem Autriebe ihn 
ninmermehr wird geben wollen, wird er dad nicht von ihm er- 
zwingen können? Die Verſuchung ifl groß und geeignet, ihn mit 





Wallenftein. 488 


feinem befjeren Selbft in Eonflict zu bringen. Obwohl er weiß, 
daß er fidh ftrengem Tadel ausfeht, kann er doch nicht widerfte- 
ben. ine Berbindung mit den Schweden wäre ein geeigneted 
Mittel, das erfehnte Ziel zu erreichen, und er ift unvorfichtig 
genug, diefen Plan dem Octavio mitzutheilen. Anfangs ift es 
nur der Gedanke an die böfe That, fein böfer Wille ift feine 
eigentlihe Schuld. Aber er geht weiter. Um fi nad) allen 
Seiten fidher zu ftellen, giebt er ſelbſt nichts Schriftliche von 
fih; aber feine Generale müſſen ihm eine jchriftlihe Erklärung 
auflegen, mit der er dem mißtrauifchen Wrangel imponiren ann. 
Denn diefem gegenüber, das flieht er felbft voraus, kann die 
ſchlaue Bemerkung (3. 1,5, 3. 25): „Ih war jtetd im Herzen 
auch gut ſchwediſch“, Feine fihere Bürgichaft fein; weiß er doch, 
daß er im Herzen fo denkt, wie er fpäter (T. 1II, 15, ®. 144) 
den Pappenheimer Küraffieren jagen wird: „Was gebt der 
Schwed' mid an? Ich haß' ihn, wie den Pfuhl der Hölle.“ 
Die Unterhandlung kommt daher vorläufig auch nicht zum völli- 
gen Abſchluß, denn wie Wallenftein m Sch.’8 geichichtlicher 
Darftelung ein wahrer Fabius Cunctator ift, der, nachdem er 
Alles zum Abfall vorbereitet, Doch jo lange zögert, bis Gallad 
ihn vollftändig mit den von Wien aus gejponnenen Neben um: 
ftellt hat, fo will auch der dramatifche Held den legten Schritt 
noch einmal wohl bedenken. Obgleich nad feiner eigenen Cha- 
rakterfchilderung (3. I, 7, V. 80—94) fein Wortheld, jondern 
zum Handeln geboren, bleibt er doch im Schwanfen und will 
ih nicht eher zu dem verhängnißvollen Schritt entichließen, als 
bis die Sterne ihn dazu auffordern, fo daß die Gräfin Terzky 
(2. 1,7, 8. 95—174) ihre ganze Beredfamkeit aufwenden muß, 
um ihn zur Entfcheidung zn drängen. Es liegt, wie Tieck es 
befonderd an Fleck's Darftelung (vergl. Hinrichs III, ©. 99) 
rühmend hervorgehoben hat, etwas wahrhaft Sejpenftifches in 
Diefem jonderbaren Charakter, der, ernft und finfter grübelnd, 
wie von einer unfihtbaren Macht gehalten und getragen, zu fei- 
ner Umgebung faft nur in Räthſeln ſpricht und wie in einem 
31* 


484 Wallenftein. 


großartigen Wahnſinn die tragiſche Situation durchſchreitet, im 
welche feine wunderlichen Widerfprüche ihn verftridt Haben. 

Sehen wir und nun die Generale an, weldye den Helden 
in feinem Lager umgeben unb mehr oder weniger wirffam in bie 
Handlung eingreifen. Wir beginnen mit dem (Dr. Kr. 334) ale 
Kroatengeneral bezeichneten Sfolani. Obwohl offen und harm 
108, ift er doch eigentlich ein leichtfinniger Charakter, der nicht 
nur dem Wein in hohem Grade ergeben iſt, jondern audy feine 
Freude daran hat, wenn es übermütbig zugeht. Die Marketen 
derin bezeichnet ihn als einen böjen Zahler, und er felbft befennt 
offen, daß fein Feldherr ihm fchon öfter aufgeholfen, ihn aber 
(P. I, 1, 8.62) nächſtens unter Bormundichaft ftellen werde. Sn 
dem Munde eines fo Ioderen Gejellen find denn auch die berben 
Flüche wohl angebracht, die den Kroaten gegenüber ihre Wirkung 
gewiß nicht verfehlen werden. Wenn Queftenberg ihn ald den 
Repräfentanten der Schnelligfeit bezeichnet, jo ift das ganz rid- 
tig, denn er freut fich jedesmal, wenn's Iodgehen joll, und läßt 
fih zu Allem gebrauchen, wo er etwas abbelommen kann. Wie 
feine raubgierigen und beuteluftigen Schaaren bemerkt er jogleich, 
Daß Queftenberg einen mit Gold geftidten Amtsrod und eine 
goldene Kette trägt und läßt fich dafür ben Hieb auf die langen 
Finger feiner Kroaten auch ruhig gefallen. Da er zuerft zur 
Unterſchrift der Eidedformel antreibt, jo tft er dem Herzog 
fiherlich zugethan, aber wohl nur um feiner Macht und feines 
Reichthums willen. Einen tieferen Grund hat feine Anhänglidh: 
keit nicht, denn er prahlt mit feiner Treue und fällt daher auch 
leicht von ihm ab, ald Octavio Ernſt gebraucht. 

Dem Sfolant zur Seite, in gewifjen Sinne aber auch ihm 
gegenüber fteht Tiefenbach, den der Dichter nur mit wenigen, 
aber um fo charakternolleren Strichen gezeichnet hat. Eflen und 
Trinken fpielen eine wichtige Rolle in dem Dafein dieſes corpu⸗ 
Ienten Herren. „Das war ein königliches Mahl“, das find feine 
eriten Worte, nachdem er ſich bei Terzky von der Tafel erhoben 
bat; und daß er bier redlich feine Schuldigfeit gethan, haben wir 





Wallenftein. 485 


bereit3 von einem Bedienten erfahren, der bei der fiebzigften 
Flaſche, die er holen muß, vorzugsweiſe auf ihn hindeutet. Viel⸗ 
leicht ijt dem Dichter Luther’ d Wort: „die Deutichen haben den 
Saufteufel“ befannt gewejen und bei diefer Gelegenheit einge: 
fallen. Kaum aufgeftanden, muß ſich Tiefenbady fogleich wieder 
een, vermutblich fühlt er bereitd, daB dad Podagra bei ihm im 
Anzuge ift, dad er, naiv genug, nicht der Völlerei, ſondern den 
erduldeten Kriegäftrapapen zujchreibt. Seine Bildungäftufe er: 
fennen wir aud feiner Unterfchrift; er hat fich mit einem Kreuz 
begnügt, das ihm nach Iſolani's Bemerkung von Sud’ und Chrift 
bonorirt wird; er tft aljo gleichfalls Kein guter Wirth. Aber fo 
leichtſinnig wie Sfolani tft er doch nidht. Als Illo, unvorfichtig 
genug, der Klaufel erwähnt, da regt fich jein deutſches Gewiſſen; 
er macht darauf aufınerfjam, daß man’d vor Tiſche anders laß, 
und ſpäter (T. II, 5) erfahren wir von Iſolan, daß alle Deutichen 
ſprechen, man müfle dem Hofe gehorchen. Auch fagt und Dcta- 
vio (T. II, 4) von Tiefenbady, jein Regiment fei treu; wir dürfen 
aljo vorausfegen, daß er ihn für des Katferd Dienft gewonnen 
babe. 

Diefen beiden, dem Wallenftein abtrünnig werdenden ®e- 
neralen gegenüber erbliden wir zwei andere, die ihm treu bleiben, 
ed find Illo und Terzky. Feldmarſchall Illo, in dem Perſonen⸗ 
verzeichniß zu den „Piccolomini* ald Wallenſtein's Vertrauter 
bezeichnet und in dem Stüd fein beftändiger Begleiter, ift wie 
Sfolani eine offene und gerade Natur, fo daß er felbjt dem 
Queftenberg rüdhaltslod die Wahrheit jagt. Er fragt wenig 
nach dem Kaiſer und macht fi überhaupt nicht viele Bedenken. 
Webermüthig, und geneigt, für erfahrene Kränkung Rache zu neh: 
men, wirft er auf die übrigen Yeldherren ein, übernimmt es, ſie 
zu täufchen und jucht fie für den Herzog zu gewinnen. Bei ſei⸗ 
nem offenen Blick und jeiner praktiſchen Richtung kann er dem 
Glauben an die Sterne feinen Gefhmad abgewinnen; um jo 
ficherer dagegen baut er auf Wallenftein’3 Plane und fucht ihm 
die Gelegenheit zum Handeln zu bereiten. Bon Haufe aus 


436 Ballenftein. 


mißtrauifch gegen die beiden ‚Piccolomini, bat er Octavio ſcharf 
überwadht und weiß, daß derjelbe mit Dueftenberg verhandelt. 
Bei feinem weiten Gewifien (vergl. 2.1, 7, V. 9 nimmt er kei: 
nen Anftand, den Borjchlag mit der verhängnißvollen Klaufel 
zu machen; da er aber, wie Sfolani, dem Wein ergeben ift, fo 
plaubert er (B. IV, 7, 8.39 —42) aus, was forgfältig zu ver: 
fchweigen wäre, und ift fomit nahe daran, ben Plan zu verder⸗ 
ben, den er felber entworfen. Schließlich ſucht er Wallenftein 
in die Nothwendigfeit zu verfegen, zum Aeußerſten zu fchreiten, 
und fällt fomit ald ein Opfer feined übereilten Handelns. 

Dem Herzog noch näher fteht Terzfy, in der böhmiſchen 
Namendform Terſchka, wie er auch (X. 1,8. 37) von dem Bauer, 
oder Terzka, wie er (8. 11, V. 356) von dem Wadhtmeifter 
genannt wird. Er war Erbjägermeijter von Böhmen, proteftan: 
tiicher Religion und ein alter Freund und Liebling Wallenftein’d. 
Durch jeine Bermählung mit Marimiliane, Gräfin von Harrad), 
der Schweiter von deilen zweiter Gemahlin, trat er zu feinem 
Teldherrn in nahe verwandtichaftlihde Beziehung. In dem 
Drama commandirt Terzky Carabiniere (f. d.) und vier andere 
Regimenter, tft des Herzogs linterhändler mit den Schweden 
und den Sachſen, bringt ihm ſchnell die wichtigften Nachrichten 
und jucht ihn, eben jo wie Zllo, zum Handeln anzutreiben. Bon 
höheren Intereſſen ift er aber nicht geleitet, er hat nur (P. IL, 5, 
3. 33—35) Wallenftein’d Ruhm und Vortheil im Auge; indefien 
it er nicht fo unvorfihtig wie Illo, er glaubt an Sinn für 
Pflicht und Treue in der Armee und ift deshalb auch (P. III, 1, 
V. 13) bedenklich wegen der Klaufel. Später aber läßt er ſich 
doch mit fortreißen und ift (P. IV, 2) gerade derjenige, der ben 
Betrug mit der Eidesformel jpielt. Die Zeichnung feines &ha- 
rakters iſt mit Rückſicht auf feine ihn geiftig überragende Ge⸗ 
mahlin abjichtlih Thwächer gehalten ald die des Marſchall So, 
deſſen Schidjal er ſchließlich theilt, und zwar übereinftimmend 
mit der Gejchichte, wo Terzky äußert, er wolle nicht bloß Leib 





Wallenſtein. 487 


und Leben für Wallenftein laſſen, ſondern auch mit ihm zur 
Hölle fahren. 

Neben den bis jegt genannten Heerführern tft ferner Oberft 
Buttler hervorzuheben, welcher tie für feinen Yeldherrn im 
eigentlichen Sinne des Wortd verhängnigvolle Rolle fpielt. Als 
gemeiner Reitersburſch aus Srland gelommen, bat er jeine Pflichten 
vierzig Jahre lang treu erfüllt und ift durch den Krieg allmälig 
emporgeftiegen, bis er von dem Herzog, dem er ih (P. I, l, 
8.43) zu Dank verpflichtet weiß, zum ®eneralmajor vorgeſchla— 
gen worden if. Da Queftenberg jelbft ihn (P. I, 2) ald den 
Repräjentanten der Stärke bezeichnet, fo darf er hoffen, die Be: 
ftätigung von Wien her werde nicht audbleiben, umjomehr als 
er ja auch eine dankbare Geftnnung bekundet, indem er (P. I, 2, 
B. 129—176) feinem Yeldherrn wie dem Heere hohes Xob jpen- 
det. Aber jeine Anhänglichkeit an Wallenftein gründet fich dar: 
auf, daß er etwas unter ihm geworden fit, daß er fih Macht 
und Reichthum erworben bat; jetzt möchte er auch Ehre und 
Anfehen erwerben und ftrebt deshalb nach dem Grafentitel. Es 
it Die Frage, ob man einer fo derben und wenig gejchmeidigen 
Natur, ald welche er fich überall kund giebt, eine ſolche Aus: 
zeichnung wird zu Theil werden Iaflen können. Schon P. 1, 3, 
3.9 iſt von Empfindlichfeit und gereiztem Stolz Die Rede, was 
fih bei einem jo geraden und ehrenfeiten Charakter, der fich 
(P. IV, 4, V. 15—35) feiner Berdienfte wohl bewußt ift, leicht 
erflären läßt. Die gehoffte Standederhöhung bleibt aus, und ‘ 
daB fit für den Chrgeizigen Grund genug, an dem Kaifer Rache 
zu nehmen; nur wünſcht er, daß die übrigen Generale, auf deren 
Plane er bereitwillig eingeht, ihn nicht für einen Menſchen von 
niedriger Gefinnung halten möchten, der ohne fchwer wiegende 
Gründe den Pfad der Ehre verlafien könne. Er ftellt alfo das, 
was er fih in Wallenftein’d Dienfte erjpart, mit Bereitwilligfeit 
zu deſſen Berfügung und will ihm unter jeder Bedingung er: 
geben bleiben. 


488 Wallenſtein. 


Leider aber iſt der Herzog gegen Buttler nicht offen ge- 
weien; er bat den Grafentitel zwar für ihn beantragt, bie Ber: 
leihung aber heimlich bintertrieben. Diejer Streih, den Wallen: 
ftein in ber Gefchichte dem So jpielt, und der dort ohne weitere 
Folgen bleibt, ift ein Umftand, den der Dichter mit piychologi- 
ihem Scharfſinn und ökonomiſchem Geſchick für fein Drama 
benutzt. Er läßt nämlich den Herzog auf Buttlers Rachſucht 
fpeculiren, den Die zu erwartende Ehrenkräukung noch inniger 
an ihn fefleln fol. Nun aber hört Buttler von Octavio, was 
hinter feinem Rüden gejchehen ift; er fiebt fich in feiner Lauf: 
bahn gehemmt, und jet betrachtet er Wallenitein als jeinen 
Feind. Ehrſucht war ed, die ihn an den Feldherrn feflelte; 
derfelbe bat jeine Ehre verlegt, er fühlt fich aljo verpflichtet, 
fie zu rächen und wird deshalb zum Berräther, ja zum Mörder. 
Zwar fehlt ed nicht an ernften Mahnungen, die ihn wohl von 
feinem beimtüdifchen Vorhaben zurüdhalten könnten; Wallen- 
fteind ergreifende Klagen über Octavio's Verrath (T. III, 10, 
B.5—16) müßten ihm in Lie innerjte Seele dringen; aber daß 
befiere Gefühl wird niedergefämpft, dad Verlangen nah Rache 
bleibt Sieger. Obwohl fonft ein Mar denfender Kopf, der ſtets 
dem Wahlſpruch gefolgt ift:-ein Seder iſt ſeines Glückes Schmid, 
der (X. IV, 8, 3. 78) jelber jagt: „den Menſchen macht fein 
Wille groß und Hein“ — Tann er doch jein Vorhaben vor jeinem 
Gewiſſen mit fataliftiichen Scheingründen entichuldigen und fein 
Rachegefühl (T. IV, 8, V. 24 20.) als ein Verhängniß anjehen, 
das er wider feinen Willen vollitredt; e3 ift, ald ob ein böfer 
Dämon ihn triebe, mit Haft eine That zu vollziehen, die fein 
Herz bet rubiger Weberlegung nothwendig verdammen muß- 

Einen ergreifenden Gegenfag zu diefem gefährlichen Cha- 
rakter bildet die liebliche Geftalt de Mar Ficcolomini, der, 
wie wir jchon angedeutet, feine gefchichtliche Berfon, fondern ein 
Gebilde der Phantaſie unferes Dichters ift. Sch. denkt ihn fid 
(P. I, 1, V. 23—30) ald eine auf der Grenze zwilchen dem 
Zünglings- und tem Mannedalter ftehende vollkräftige Geftalt, 


Wallenftein. 459 


von Friegerifchem Geifte bejeelt, als einen Liebling Wallenfteins, 
der ihn bereit3 bis zum Oberſten befördert hat, als einen Offi- 
eier, der auch bei den übrigen Heerführern in jo hohem An: 
fehen fteht, daß er jelbft im Kriegsrath neben den erfahreneren 
Generalen (PB. II, 7) feine Stimme erheben darf. Bei einem 
Charakter, den unſer vor Allem auf dad Ideale gerichteter Dichter 
fich ſelbſt geihaffen, dürfen wir und nicht wundern, wenn er 
von dent ſchönen Vorrechte der Tugend, in Idealen zu leben, 
den audgedehnteften Gebrauch macht. Sein Mar ift die edle, 
reine Seele mitten in der faljchen Welt, das offene, arglofe Herz, 
defien er für fein Drama um der fünftleriichen Wirkung willen 
nicht entbehren konnte. Bon idealen Anichauungen und Beitre- 
bungen (P. 1,4, V. 68—79) erfüllt, iſt dem jugendlichen Helden 
auch jein Yeldherr ein Ideal, defien Glauben an die Sterne 
er (P. III,4, 3.101) mit frommer Ehrfurcht betrachtet, für 
deſſen Talent als Heerführer er in hoher Begeijterung erglüht, 
dem er mit voller Seele ergeben ift. Bon der Reinheit feiner 
eigenen Abfichten innerlich durchdrungen, vertraut Mar feinem 
Herzen, das ihm das echte jagt, das er liebt wie fein Gewiſſen 
(vergl. dad Epigramm „Der Aufpaffer“), und das er (2. II, 2, 
V. 71) „das glüdliche Gefühl” nennt, mit dem er frei und un: 
befangen jedwedem ſchönen Trieb gehorchen kann. Darum haft 
er alle krummen Wege und erfcheint überall als der eifrige Der: 
treter des fittlichen Princips. 

Aber der Dichter theilt ihm noch eine andere Rolle zu. 
Während die Geichichte und berichtet, daß Wallenfteind Ge⸗ 
mahlin mit ihrer zehnjährigen Tochter Maria Eliſabeth fich 
zur Zeit der unglüdlichen Kataftrophe in Oeftreich befand, läßt 
der Herzog in unferm Drama die Gattin und die eben zur 
Zungfrau berangereifte Tochter Thekla (d. h. die Vortreffliche, 
die Wadere) zu fih nah Pilſen kommen. Seinem Liebling 
Mar ertheilt er den ehrenvollen Auftrag, diejenigen, die jeinem 
Herzen am nädhften ftehen, zu ihm zu geleiten; und Die Reiſe, 
welche die Perſonen aneinander feflelt, führt auch alsbald die 


4% Wallenſtein. 


Herzen zuſammen. In der Seele des jugendlichen Max ent⸗ 
wickeln ſich die Keime der erften Liebe. Er verraͤth dies nicht 
nur ſeinem Vater, den die ungewöhnlich weiche Stimmung des 
Sohnes (P. 1,4, V. 117—120) in Erftaunen ſetzt, ſondern er 
fühlt ſich auch jelbft (P. III, 3, V. 22—36) völlig umgewandelt 
und ſehnt ſich aus der kriegeriſchen Welt heraus, um ſich dem 
ungetrübten Glück des Friedens hingeben zu können. Mit allen 
Faſern ſeines Innern bereits an Wallenftein gefefielt, möchte er 
in echt jugendlicher Weiſe ibm nun auch Alle verdanken, möchte 
als ſchönften Lohn für feine zehnjährigen treuen Dienfte bie 
Geliebte jeiner Seele aus der Hand des Vaters empfangen. 
Aber bie wunderbare Empfindung, die zum erften Mal fein Herz 
ergriffen, bat den ſonſt fo feurigen jungen Mann völlig ver: 
ändert. Die Neuheit ded Berhältnifies macht ihn im Kreije 
feiner ſtürmiſch erregten Kameraden (P. IV, 6 u. 7) ruhig und 
befonnen, feiner ®eliebten gegenüber (P. III, 5) zaghaft umd 
ſchüchtern, raubt ihm plöglich ſogar (P. III, 4, V. 24) dad Ber: 
trauen zu jeinem Feldherrn, deifen Worte (T. 11, 2, 8.109) „Za 
wer durch's Leben gehet ohne Wunſch, fich jeden Zwed verfügen 
kann“ ihm, der ja jetzt einen Zwed hat, tief in die Seele brin- 
gen müflen. Sft ed ihm doch fchon längft (B. III, 4, V. 13—27) 
jo geweſen, ald gehe Wallenftein mit dem Gedanken um, feine 
Tochter einem Könige (vergl. X. II, B. 86) zu vermählen. Aber 
was noch jchlimmer ift, ded Herzogs anderweitige ehrgeizige 
Plane ftehen feinem Liebesglüd im Wege und drohen, das 
ihöne Band zu zerreißen, das ſich jo jchnell und doch jo innig 
gefnüpft. Mar denkt würdig von feinem Yeldherrn, er kann 
ihm (P. V, 1, 3.285) Feine chlechte Handlung zutrauen, und des⸗ 
halb (V. 199— 204) auch feinen eigenen Vater nicht begreifen; 
ja er wäre im Stande, eher mit diefem zu brechen, als feinen 
Feldherrn Iiftig zu Hintergehen. Die krummen Wege der Staatd- 
kunſt widerftreben feinem offenen und geraden Wejen; er muß 
Licht haben, um Mar fehen zu können, und deshalb begiebt er 
fih zu Wallenftein. Das Geipräh (X. II, 2) mit feinem Feld⸗ 





Wallenſtein. 491 


herrn bildet ein wichtiges Stadium in der Entwickelung ſeines 
Charakters. „Mein General, du mahft mich heute mündig“, 
das find die bedeutungsvollen Worte, mit denen er den Ent- 
ſchluß faßt, fortan nicht mehr vertrauendvoll zu gehorchen, fon- 
dern felbftändig und nach eigener Wahl zu handeln. Und doc 
wird ed ihm jchwer, fih an den fürdhterlihen Gedanken zu ge: 
wöhnen, fein Feldherr lade ein Verbrechen auf ſich; um jeden 
Preis möchte er dad frühere Verhältniß wiederhergeftellt ſehen, 
und in der rührendften Weiſe bittet er ihn (B. 137—144), doch 
wenigftend feine Unfchuld zu retten. Aber es ift zu ſpät. 

Sept gilt ed, einen fürchterlihen Kampf zu kämpfen; Die 
wiberftreitendften Mächte ringen an feiner Seele: die Pflicht 
der Treue gegen feinen Kaijer, das Gefühl der Dankbarkeit für 
feinen Yeldherrn, tie Ehrfurcht, die er feinem Vater fchuldet, 
und vor Allem die Empfindung der Liebe, von der er nidht 
mehr laſſen kann. Mit bitterem Schmerz muß er ſich von 
feinem Glauben, dem fchönen Bertrauen zu der Menſchheit, 
trennen; jeine Liebe ift dad einzig Wahre und Lautere, das 
ihm bleibt. Was foll er aber tbun? gehandelt muß einmal 
werden. Dad, waß fein Herz verdammt, vermag er nicht mehr 
zu hindern; und heimliche Flucht würde ihn mit einem. unauß- 
löſchlichen Schimpf beladen. Sept iſt es wiederum fein Herz, 
dad ihm das Rechte jagt; Thekla, die reine Seele, die einzige, 
bie ihn nicht verläßt, fie joll fein Loos enticheiden. Aber eben 
die Reinheit ihrer Seele, die über allen Eigennup erhaben ift, 
verweilt ihn an feine Pfliht und nöthigt ihn jomit, den jchweren 
Abſchied zu nehmen von Allem, was ihm lieb und theuer war. 
Und nachdem er die ernfte Soldatenpflicht erfüllt, und leider 
dem gefährlichen Buttler es auf die Seele gebunden bat, das 
Leben jeined Feldheren treu zu bewachen, eilt er an der Spike 
feiner getreuen Schanren davon, um ald Held den Heldentod 
zu ſuchen und — zu finden. 

Eben jo wie Mar tft auch Thekla eine ideale Geftalt, 
die der Dichter, über die Sphäre der Wirklichkeit hinausſchrei⸗ 


493 Wallenftein. 


tend, mit ber vollen Hoheit jeined poetifchen Talents gezeichnet 
hat. Zwiſchen ftillen Kloftermauern erzogen, die fie fo eben 
verlafien, lernt die mit dem ganzen Zauber jugendlicher Friſche 
audgeftattete Jungfrau den in dem Gewühl bed Kriegslagers 
aufgemachjenen Heldenjüngling kennen. Gerade die Gegenjäge 
der biöher durchmeſſenen Kaufbahnen, fie bilden den wunderbaren 
Magnet, der beide aneinander feilelt, jeden in dem andern Daß 
finden läßt, was ihm felbft noch fehlt. Der Funke, „der in bie 
Seele jhlägt und trifft und zündet” (Br. v. M. 5, 444), er bat 
aud) Thekla's Herz getroffen, und mit ihrer Ziebe ift ihr ein neues 
Leben aufgegangen. Hierzu kommt die völlig neue Welt, Die 
ihr entgegen tritt, die raufchend jchmetternde Mufil, der Glanz 
der kriegeriſchen Schaaren; dürfen wir und wundern, wenn unter 
ſolchen Einflüffen ein tief und lebhaft fühlendes Gemüth fich 
raſch entwidelt und ſchnell zur Reife gelangt? Die Worte (P. 
JIl, 4: „Spart euch die Mühe, Tante! das hört er beiler von 
mir ſelbſt“ fie zeigen uns, daß die natürliche Schüchternheit fich 
Schnell in unbedingte Zuperficht verwandelt bat, daß fie fühlt, 
ihr Herz habe dad Rechte getroffen. Wer möchte ed unter fol- 
hen Umſtänden tadeln, daß der Dichter fie mandhed beteutungs- 
volle Wort fprechen läßt: „Das Spiel bed Lebens ſieht ſich 
beiter an, wenn man den fihern Schab im Herzen trägt“, 
warum jollte fie dad nicht fagen, die bei der Erinnerung an 
die Wunder, welde fie in dem aftrologiichen Thurm geſchaut 
(B. III, 4, 8. 129) erflären fann: 

„E8 tft ein holder, freundlicher Gedanke, 

Daß über und, in unermefinen Höh'n, 

Der Liebe Kranz aud funkelnden Geſtirnen, ® 

Da wir erft wurden, jchen geflodhten warb.” 
Wie fie fich einer höheren Leitung unbedingt vertraut, fo ver: 
traut fie auch der Stimme, die in ihrem Innern erklingt, „der 
Zug des Herzend iſt ihr des Schickſals Stimme.” Aber fie 
fteht nicht allein zu Mar in Beziehung; fie erblidt auch andere 
Perjonen um fich her, bei denen fie den harmonifchen Zufammen: 








Wallenftein. 493 


tlang ber Gemüther gar bald vermißt. Wie die Liebe ven Hel: 
denjüngling weich gejtimmt und ſchüchtern gemacht, ſo iſt fie, 
die ja überhaupt mehr ihrem Vater ald der Mutter gleicht, durch 
die Liebe ficher und ftark geworden. So warm fie auch eme 
pfindet, fo verjtändig ift fie doch in ihrem Urtheil, unb merkt 
gar bald, daß ed der Bräfin Terzky nicht darum zu thun ift, 
ihr Glück zu begründen, fondern daß fie gewifle Nebenabfichten 
verfolgt. Bon Zugend auf mit der Borftellung genährt, fie ſei 
beſtimmt, fich ihrem Water leidend zu opfern, hat da8 Schickſal 
fie plöglic) mit Mar zufammengeführt und zeigt ihr eine andere 
freundlichere Ausſicht; indeſſen wie Die Sachen liegen, kann fie auf 
eine ruhige und friedlihe Entwidelung der VBerhältnifie, die ben 
Wünſchen ihres Herzens entipricht, fchwerlich rechnen. Ste ver: 
langt daher &ewißheit von der Bräfin Terzky; als fie aber 
ahnt, was ihr bevorfteht, daß fie dem nahenden Unheil nicht 
wird entfliehen können, da giebt die Liebe ihr den Muth, den 
Kampf mit dem Schickſal aufzunehmen. Leider aber bemerkt 
fie nur zu bald, file wird den feindlichen Gewalten zum Opfer 
fallen. 
„Es geht eiu finftrer Geift durch unjer Hans, 
Und ſchleunig will das Schickſal mit und enden.” 

Das find die abnungsvollen Worte, mit denen fie der nahenden 
Gefahr entgegen geht. Und ald fie nun jelbft (X. III, 21) da8 
enticheidende Wort zu ſprechen bat, da ftegt bei ihr, wie bei 
Mar, das' ſittliche Gefühl, fie verzichtet auf ihre fehönften Hoff: 
nungen und ergiebt fi in das Scidjal, das feindlich zwiſchen 
fie und ihre Liebe tritt. Aber was die Liebe auf immer ver- 
eint, das fol der Tod nicht von einander trennen. Die Welt, 
die fie umgiebt, ftebt in jchneidendem Widerjpruch mit dem, mad 
ihr Herz erfüllt; dunkele Ahnungen beworftehender Schreden 
durchziehen ihre Seele; es ift ald ob @eifter fie riefen, dem 
Borangegangenen zu folgen; und jo thut fie endlich den ver: 
haͤngnißvollen Schritt, den der Dichter in jeinem Drama in 
wohlthuendes Dunfel gehüllt bat, um ibn fpäter in lyriſchen 


44 Ballenftein. 


Klängen (vergl. Ged. Thekla, eine Geifterftimme) vor den Richter: 
ftuhl unferer Empfindung zu ftellen, hoffend, daß Die Liebe ge: 
recht genug fein werde, fih auch mit foldem Ausgange zu 
verjühnen. 

Die Liebe zwifhen Mar und Thekla, welche der Dichter 
erft nachträglich der Haupt: und Staatdaction hinzugefügt hat, 
ift von mehreren Seiten als ein ruhig für fich beftehendes Ganzes, 
als eine zu der eigentlihen Handlung im Gegenfag ftehente 
Epifode bezeichnet und fogar in allem Ernfte getadelt worden. 
Sch. ſelbſt war in Betreff diefed Punktes nit ohne Sorgen; 
er fand die Liebe, wie fie bier erjcheint, nicht theatraliſch und 
war deshalb geneigt, um ſich die poetiiche Freiheit zu wahren, 
jeden Gedanken an eine Aufführung des Stüded aufzugeben. 
Indeſſen durfte das Drama, follte e8 allgemein fefleln, eines 
Elementd, das ein rein menfchliches Intereſſe gewährte, nicht 
entbehren; er fuchte daher der Iyriiden Stimmung feine Sn: 
nern einen dramatiihen Ausdruck zu geben. Und wenn 88 auch 
den Scenen zwiſchen Mayr und Thekla allerdings an rednerifchen 
Prunke nicht fehlt, fo möchten wir fie Doch Teinedweges mit 
©. Schwab bloß ald ein „idealifch-romantifches Liebeögefliufter” 
bezeichnen, da8 die Haupthandlung ftört, jondern finden fie be- 
ſonders durch die planvollen Beftrebungen der Gräfin Terzky 
fo glüdlih in die Haupthandlung verwebt, daß der tragiiche 
Verlauf der letzteren dadurch wefentlich gefteigert wird. Schon 
bie Worte: „doch keinen Spott“, welhe Max (P. III, 3, DB. 44) 
an die Gräfin richtet, hätten ben Dichter vor einer gering» 
ihägigen Beurtheilung dieſer Seite feined Werkes ficher ftellen 
follen. Ihm tft Die Liebe diefer beiden edlen Naturen etwas fo 
Hetliges, daß er ohne alles Bedenken Liebe und Andacht (BP. 
IU, 3, 8. 50—59; vergl. a. P. 11, 4, V. 116—125) völlig in 
einander aufgeben läßt; und fchwerlich hat je ein Dichter ein 
Liebesgeftändnig mit fo ungemeiner Zartheit behandelt, wie es 
hier (P. III, 8, V. 77— 98) geichieht. Durch die Lauterfeit der 
Gefinnung, mit weldher fi die gegenfeitige Neigung in den 


Wallenſtein. 495 


beiden jugendlichen Seelen entfaltet; durch den fittlichen Adel 
des Herzens, mit welchem ſie als Repräſentanten der Treue und 
des Vertrauens gewiſſermaßen die Säufen der geſellſchaftlichen 
Ordnung uns vor das Auge führen — bilden ſie einen ergrei⸗ 
fenden und höchſt wirkſamen Gegenſatz zu den Charakteren ihrer 
Väter, zu dem traurigen Gewebe von Lift und Argwohn, daß 
der Berwirflihung ihrer Herzenswünſche hindernd in den Weg 
tritt. Es handelt fi bier in der That um etwas ganz An- 
dered, ald um die jo häufig vorkommende Benupung eined Büh- 
nentunftgriffes, dem die Liebe zwifchen den Kindern zweier feind⸗ 
fihen Häufer ein willlommened Mittel tft, um bei den Zu: 
ſchauern eine rafch verfliegende Rührung hervorzurufen. Die 
Väter der beiden Liebenden treten bier nicht ald Feinde auf; 
fondern ein feindliches Schidfal ift ed, das über beiden waltet, 
von dem dad unſchuldige jugendliche Paar mit ergriffen wird, 
welches im Sturm der Eonflicte an feiner ganzen Umgebung 
verzweifelt und lieber untergeht, ald dem hohen Ideale ent- 
fagt, welches e8 in feinem Leben, wie in feiner Liebe zu ver« 
förpern ftrebt. 

Sn der nächften Berbindung mit Thefla fteht ihre Mutter, 
Siabella Katharina, geborene v. Harrach, von Sch. mit dem (P. 
I, 2, V. 14) rhythmiſch Teichter einzuführenden Namen Eltfa- 
beth bezeichnet. Wie Wallenjteind Biographen die noch Un: 
vermählte als „ein Fräulein von reinem und befcheidenem Sinn“ 
bezeichnen, jo bat auch der Dichter es für angemefjen gehalten, 
ihren Charakter mehr anzudeuten, als fcharf und beftimmt zu 
zeichnen. Sie legt zwar Werth darauf, daß fie Graf Harrachs 
edle Tochter und Wallenfteind fürftlide Gemahlin tft, aber fie 
fühlt fih nicht glüdlich in ihrer Ehe; ihre weiche, leicht erreg- 
bare Seele ftimmt zu wenig harmoniſch mit dem kalten unb 
ſchroffen Wefen ihres Gatten, als daß fie nicht in fteter Angft 
leben, fortwährend von böfen Ahnungen heimgejucht fein follte. 
Dennoch jcheint fie jelbft in Beziehung auf Die VBermählung ihrer 
Tochter ihrem Gemahl gegenüber durchaus gefügig. „Ihr Wille, 


49% Ballenftein. 


wifien Sie, war ſtets der meine”, diefe Worte deuten binläng: 
lih an, daß fie keine handelnde, fondern eben nur eine dulbende 
Perſon fein jol. Daher beſchränkt fie fih auch darauf, ihre 
Tochter zu tröften und zu beruhigen, ihren Gemahl zu warnen 
und zur Nachgiebigkeit zu ermahnen, und in dem entfcheidenden 
Momente dem Mar zu fagen: „Sehen Sie, wohin bie Pflicht 
Sie ruft.” Obwohl bemüht geweien, den Herzog zu entidul: 
digen und feine Differenzen mit dem Hofe auszugleichen, fühlt 
fie Doch bald genug, daß ber ftolge Bau feiner hochſtrebenden 
Plane endlich zufammenftürzen müfle, und erliegt ſchließlich dem 
unerbittliden Schidfjale, das fie, die Schuldlofe, an einen Mann 
gelettet, deflen ehrgeiziges Streben das Glüd und den Frieden 
feiner Yamilie völlig unbeachtet Täßt. 

Schließlich haben wir unjere Aufmerkfamfeit noch auf bie 
Schwefter der Herzogin, die Gräfin Terzky, zu richten, welde 
neben dem Helden des Stüdes die hervorragendite Rolle jpielt. 
Der Geſchichte zufolge fol nicht Terzkyns Gemahlin, ſondern 
defien Schweiter, welche an den Grafen Kinsky vermählt war, 
Wallenſteins Bertraute gewejen fein und um jeine Plane ge 
wußt haben. Sc. theilt dieſe Rolle der nächſten Verwandten 
des Herzogs, feiner Schwägerin, zu, die ihn aber in den Stüd 
zu wiederholten Malen (P. III, 4, B. 39 zc.) ntit dem für bie 
Poefie wohlklingenderen Namen „Bruder“ bezeichnet. Geiftig 
begabt, von entichiedenem Charakter und zum Handeln geboren, 
bat fie jchon bei der Wahl Friedrichs V. (f. d.) ihre Hand im 
Spiele gehabt, und iſt auch jetzt mit allem Ernft darauf be 
dacht, für den Herzog zu intriguiren. Die Reife, welche fie mit 
befien Gemahlin und Thefla unter des jungen Piccolomini Schuß 
nach Pilfen gemacht, bat ihr völlig freien Spielraum gegönnt. 
Bon dem Gedanken ausgehend, Mar fei abfichtlih von ihrem 
Schwager zum Beichüger feiner Yamilie außgewählt worden, 
weil derfelbe ihm ein willfommener Schwiegerjohn fein würde, 
und weil er ihn durch folhe Bande unauflöslih an ſich fefleln 
möchte, hat fie die auffeimende Zuneigung zwilchen den Jungen 


Wallenftein. 497 


Leuten begünftigt. In echt weiblicher Weile hat fie nicht nur 
ihre Freude an allerlei Kleinen Nedereien der beiden Liebenden, 
ſondern fie ſucht fie auch in Abhängigkeit von fich zu erhalten. 
Die fie es Müglich einzurichten verfteht, daß fie einander jehen 
und jprechen können, fo ſollen fie in ihr auch diejenige erbliden, 
durch deren Bermittelung bie erjehnte Berbindung herbeigeführt 
werden kann. Ob es ihr hiermit wirklich Ernſt ift, bleibt völlig 
zweifelhaft; ihre Hauptabficht ift die Befriedigung ihres Chr- 
geized, fie möchte den Herzog gern recht groß und geehrt jehen, 
möchte wo möglich einen König zum nächften Verwandten haben. 
Diefem Zwed ſoll auch das Liebeöverhältnig dienen. Thekla 
jol dem Mar weniger in aufrichtiger Liebe zugethan jein, als 
vielmehr ein Liebesſpiel mit ihm treiben, jeine Neigung für bie 
Zwecke des Vaters ausbeuten, ihn zu unbedingter Hingebung an 
benjelben zu beftimmen juchen. Max dagegen joll fi erinnern, 
vaß ed ihm zufommt, die Braut, um die er wirbt, fich durch 
ritterlihen Kampf im Dienjte jeines Feldherrn zu erringen. Auf 
diefe Weiſe ſoll die Liebe ihr ein Mittel werden, um wirkam 
in die Staatsaction einzugreifen. Doch jo jchnell, wie fie ihren 
Plan entworfen, will derfelbe fich nicht verwirklichen. Der Herzog 
zögert, die längft vorbereiteten Schritte zu thun; es fcheint alfo 
nöthig, ihn zum Handeln zu Drängen. An einer fertigen Zunge, 
die dem beften Advocaten alle Ehre machen würde, fehlt es ihr 
eben jo wenig, wie an Muth und Energie des Willens; fie 
wendet daher (2. I, 7) ihre ganze Ueberredungskunft auf, und 
obwohl jte die aftrologifchen Träumereien eigentlich (3. 97) ald 
Aberglauben betrachtet, weiß fie doch Tiftig genug Wallenſteins 
Glauben an die Sterne (V. 186 2c.) zu benugen, um ihn zu 
einem entichloffenen Schritte anzuftadheln und führt jomit die 
Entſcheidung herbei. Eben jo weiß fie Mar anzujpornen, das 
gut zu machen, was fein Vater verbrochen hat, und trägt bier: 
durch weientlich dazu bei, ihn zu feinem verzweifelten Entſchluſſe 
zu drängen. Doc ald die Nachricht von feinem Tode eintrifft, 
da beichleihen Furcht und Bangigkeit ihre Seele, böje Ahnungen 
II. 32 


498 Wallenſtein. 


verfolgen, beängftigende Träume erſchrecken fi. Das iſt bie 
Strafe für ihr unweibliches Intriguiren. Als fie aber bie 
Grabgedanken, mit denen fie ſich getragen, verwirklicht fieht; 
als ihr Mann im verzweifelten Kampfe gefallen, und der Herzog 
jelbft meuchlings erftochen tft; ald mit Thekla's Flucht alle ihre 
Speale von zufünftiger Größe zertrümmert find: da gewinnt fie 
ihre Seelengröße wieder und entichließt ih, für die Idee, der 
fie gelebt, nun auch zu fterben. Es ift eine harte Buße, Die 
fie fih auferlegt, aber fie erfcheint nothwendig, um und mit ihren 
Schwächen zu verfühnen. 

Nachdem wir uns mit den in dad Drama eingreifenden Per: 
ſonen befannt gemacht haben, ift e8 nunmehr unfere Aufgabe, den 


ang der Handlung 


zu verfolgen. Wenn fihb Sch. in feinem Fiesco für berechtigt 
hielt, einer fühnen Idee zu Gefallen die hiftorifche Genauigkeit 
(vergl. Bd. I, ©. 268) ohne Scheu zum Opfer zu bringen; wenn 
er fi in feinem Don Carlos damit begnügte, jeinem hoben 
Ideale von politiicher Freiheit eine Reihe gejchichtlicher Züge 
ohne wejentlihe Entftelung der Wahrheit zur Grundlage zu 
geben: jo war fein Wallenftein das erſte Stüd, in dem er fi 
die Aufgabe ftellte, den Geift der Geſchichte jener denkwürdigen 
Zeit in möglichfter Treue zu veranjichaulichen. Aber daB um: 
fangreihe Material einer jo ereignißreichen Vergangenheit war 
nur mit äußerſter Anftrengung zu bewältigen. „Die Handlung 
greift, wie Sof. Bayer (S. 188) richtig bemerkt, mit weit ver- 
zweigten Wurzeln in den Boden des bereit3 Gefchehenen ein, 
und dieſe Wurzeln bloßzulegen, das ift das fehwere Stüd Arbeit, 
dad den Dichter fo lange aufhält.” Außerdem hatte Sch. in 
jeinem Artftotele8 gelefen: „denn auch dad Belannte ift mır 
Wenigen bekannt”; er mußte ſich aljo verpflichtet fühlen, die 
nothwendigen hiſtoriſchen Rüdblide an verjchiedenen Stellen ein- 
zuflechten, wodurd die Handlung felbft natürlih nur langſam 
ortſchritt. Dennoch konnte er bereit8 am 2. October 1797 an 


— — 


Wallenftein. 499 


Goethe jchreiben: „Zugleich gelang es mir, die Handlung gleich 
von Anfang an in eine ſolche Präcipitation umd Neigung zu 
bringen, daß fie in ftetiger und beichleunigter Bewegung zu 
ihrem Ende eilt. Da der Haupticharafter eigentlich retardirend 
tft, fo thun die Umftände alled zur Krife, und das wird, wie ich 
benfe, den tragtichen Eindrud ſehr erhöhen.“ Aber die Umar- 
beitung in Samben nöthigte ihn, wie wir wiflen, zu breiterer 
Entfaltung und zur Zerlegung jeined Stoffes in zwei Stüde. 
In Folge deflen erjcheint bid zum Ende des vierten Acted der 
Biccolomini Alles als reine Erpofition, die den Zuſchauer mit 
dem befannt macht, was ihm zu willen nötbig if. Erft der 
fünfte Act bringt in dem Geſpräche Octavio’d8 mit Mar die 
Eollifion oder Verwidelung. In „Wallenfteind Tod” dagegen 
erbliden wir das Ziel aller diefer Vorbereitungen. Mit dem 
Eintreffen der Nachricht, da Sefin gefangen tft, und mit dem 
gleich darauf folgenden Geſpräche Wallenfteind mit Wrangel 
beginnt die tragiſche Kataftrophe; in den beiden folgenden Acten 
wird dann eine Mine nady der andern gejprengt, bis mit dem 
vierten Acte die Kriſis eintritt, die im fünften den Audgang 
berbeiführt. Betrachten wir nun zunächſt 


Die PBiccolomini. 


Zeigt und das Lager die unter den Soldaten herrichende 
Stimmung,, und in welchem Anſehen ihr Yeldherr bei ihnen 
fteht, jo erbliden wir in den mit höherer riegeriicher Würde 
audgeftatteten Piccolomini die Art feines Wirkens unter feinen 
©eneralen. Zugleich bilden fie den Theil des Gedichted, in 
welchem die eigentliche Handlung beginnt. Sie ftellen”) als 
Theil ded Ganzen die Berfettung der Umftände dar, Durch melde 
MWallenftein zu feinem verrätheriichen Schritte gedrängt wird, und 
ald Drama für fih entwideln fie die Berhältniffe der Familie 


*) vergl. Süvern. Ueber Schiller’! Wallenftein in Hinficht auf griechifche 
Tragödie. Berlin, Buchhandl. der Fön. Realſchule. 1800. &. 332. 
32 * 


500 Ballenftein. 


Piccolomint zu dem Wallenfteinfchen Hauje; fie zeigen, wie De⸗ 
tavio den bedenklichen Knoten jchürzt, während Mar, durch die 
zarteften Bande an des Herzogs Yamilie gefeflelt, in Gefahr 
geräth, gewaltiam davon loögeriijen zu werben. 

Der erſte Aufzug führt und nah dem Rathhauſe zu 
Pillen. Mehrere Generale Wallenfteind find bier zufammenge: 
troffen, unter denen aber Gallas und Altringer jogleih vermißt 
werden. Auh Mar TPiccolomini wird angelündigt, der des 
Herzogs Gemahlin und Tochter aud Kärnthen hergeleitet. Kaum 
haben die Heerführer fich begrüßt, fo giebt ſich auch ſchon eine 
Beritimmung unter ihnen fund. Bol Anhänglichkeit an ihren 
Feldherrn, der treulich für fie forgt, können fie fi mit Dem, 
was von Wien ber geidhieht, nicht einwerftanden erllären; be 
ſonders find fie unzufrieden mit Queftenbergd Forderungen und 
boffen, Wallenftein werde nicht nachgeben. In ber ausgeſproche⸗ 
nen Bejorgniß, er könne dad Commando niederlegen, erbliden 
wir die erjte Andeutung einer zu erwartenden Kataftrophe. Bald 
erfcheint auch, durch Octapio eingeführt, Dueftenberg felbfi. Ob⸗ 
wohl er dem Geift der Ordnung in dem Wallenjteinfchen Heere 
alle Anerkennung zu Theil werden läßt, und andererfeitd auch 
Octavio ed nicht verfäumt, ihm die gebiihrende Ehre zu erweifen, 
fo fallen doch von Seiten der Generale bald allerlei fpipige Re⸗ 
den; man läßt ihn merken, wie ungern er geſehen wird, giebt 
feine Unzufriedenheit mit den Maßregeln der Regierung zu er: 
fennen, und muß ald Antwort hierauf hören, daß der Kaiſer 
mit der Abjicht umgehe, dem Heere eine andere Leitung zu geben. 
Died veranlagt Buttler, auf die Nothwendigkeit hinzuweiſen, daß 
Wallenftein dem von ihm ind Dafein gerufenen Heere verbleibe, 
ba dad Vertrauen, welcheß die Truppen an ihn fefielt, fich nicht 
ohne weitered auf einen Anderen übertragen lafie. Nachdem 
Dctavio auszugleichen und im Hinblid auf fpätere Ablichten 
Buttlers kecke Rede zu entjchuldigen verfucht, bleibt er mit Que⸗ 
jtenberg allein zurüd, um ſich mit ihm offen über den Geift des 
Heeres audzufprechen. Queſtenberg fürdtet Wallenfteind gefähr- 


Wallenftein. 501 


lihe Macht, Octavio macht ihn auf den nahen Ausbruch der 
Empörung aufmerffam, beruhigt ihn indeß, da Altringer und 
Gallas die fo eben vernommenen Gefinnungen nicht theilen, er 
felber aber den Herzog, der ihm unbedingt vertraut (vergl. P. 
1,3, 8. 84- 97 u. T. II, 3, V. 82 — 99), forgfältig überwachen 
läßt. Inzwiſchen ift Mar eingetroffen und kommt, un feinen 
Bater zu begrüßen. Queſtenberg benupt diefe Gelegenheit, um 
ihn für die Plane ded Kaiſers zu gewinnen, erfährt aber bald, 
wie innig derjelbe jeinem Feldherrn zugethan if. Der Vater 
hat gleichzeitig noch einen tieferen Blid in fein Herz gethan; es 
jteigt die Ahnung bei ihm auf, daß die Liebe ihn jebt an Wallen- 
ftein fefiele, wa8 er dem Queftenberg freilich nur andeuten Tann, 
dein feine Verwünſchung der Reife des Sohnes ein Räthfel tft. 
Die Loͤſung diejed Räthſels tft ed, der wir zunächft mit Span- 
nung entgegenfehen. 

Sn dem zweiten Aufzuge befinden wir ung in einem 
Saale bei dem Herzog, auf defien Ericheinen wir durch die 
Dienerjchaft vorbereitet werden, deren derb-realiftiiche Lebens: 
anfhauung mit den finnig-phantaftifchen Vorftelungen Seni's 
einen wirkſamen Gegenſatz bildet. Es ift ein kurzer Eingang, 
worauf Wallenftein mit feiner Gemahlin eintritt, welche ihm 
über den falten und fürmlihen Empfang Bericht eritattet, den 
fie am Wiener Hofe erfahren. Hieraud wird ihm Mar, daß er 
die kaiſerliche Gunſt verjcherzt, daß ihm eine abermalige Schmadh, 
wie die zu Regensburg, bevorftehe. Noch zweifelhaft, ob er 
dem verhängnißvollen Schlage zuvorfommen, oder feiner zur 
Nachgiebigkeit rathenden Battin folgen fol, tritt deren Schweſter 
mit Thekla ein, der liebliden Tochter, in der er einft feinen 
Ruhm und feine Größe verherrlicht fehen möchte. Bald er- 
jheint auch Mar, diedmal nicht ald der feinem Yeldherrn unter: 
gebene Officier, jondern als ein Sreund, der ihm, dem Yamilien- 
vater, eine Freude bereitet bat. Es iſt daher billig, daß Wallen- 
ftein des Jünglings Aufmerffamteit von dem Hofe ab auf feine 
eigene Perfon lenkt. Hiermit würde Mar gewiß völlig zufrieden 


502 MWallenftein. 


fein, wenn er nur nicht dur ein reiches Geſchenk für den ge 
leifteten Dienft fich äußerlich abgefunden jähe, jondern mit Zu⸗ 
verfiht auf die Erfüllung Ichönerer Wünſche hoffen dürfte. 
Aber der mit Briefen beichäftigte Wallenftein bat für feine Er: 
wiederungen ein Obr, und Graf Terzky mahnt ihn nur an ein 
Beriprechen, das er ald Dfficter gegeben. Hiermit wird die Be 
rathung der YZamilienangelegenheiten unterbrochen, um zu wid) 
tigeren Geichäften überzugehen. Terzky, des Herzogs Unter: 
händler mit den Schweden und Sachſen, bleibt mit ihm allein. 
Da Wallenftein Die Ueberzeugung gewonnen bat, man wolle fich 
feiner entlebigen, jo muß jept gehandelt werden; nichtödeito- 
weniger zögert er. Kein Wunder alio, daß Terzky, defien Be: 
mühungen hierdurch ald fruchtlos erjcheinen, feinen Unwillen zu 
erkennen giebt. Nun ericheint auch Silo und berichtet, daß die 
Stimmung in dem Heere günftig, die Generale größtentheils 
auf des Katjerd Yorderungen erbittert jeien, die übrigen aber 
fh nah Detavio richten wollen. Died wird für Terzky Beran- 
laflung, vor Dctavio zu warnen, doch Wallenjtein vertraut ibm 
unbedingt. Da die Generale einftimmig der Meinung find, er 
dürfe dad Commando nicht niederlegen, und ba fie ihn bierzu 
bewegen wollen, jo fordert jept auch er eine fchriftliche Zufiche- 
rung ihrer unbedingten Ergebenheit. Illo verfpricht, die Schrift 
zu Ichaffen, verlangt aber, daß dann auch etwas geichehe, wäh: 
rend Wallenjtein warten will, biö die Sterne ihn zum Han: 
dein auffordern. — Den Schluß des Acted bildet die Audienz- 
feene, in welcher der Herzog die klug vorbereitete Abdankungs⸗ 
fomödie fpielt, indem er Quejtenberg den Fatjerlichen Auftrag 
in Gegenwart feiner ®enerale mittheilen läßt. Nachdem ber: 
felbe in längeren einleitenden und zugleich anerfennenden Worten 
(vergl. Dr. Kr. 306) fich über die Kriegführung Wallenfteind ſeit 
befien Wiedereinfegung ausgeſprochen, gebt er zu dem eigent- 
lihen Grunde feiner Sendung über. Er Hagt Wallenitein an, 
daß er dem durch Bernhard von Weimar bedrängten Kurfürften 
von Batern eine Hülfe gefenbet, daß Regendburg durch feine 





Dallenftein. 503 


Schuld gefallen ſei. Wallenftein entjchuldigt dies damit, daß 
er dad Bündniß zwilchen den Sachſen und den Schweden habe 
löfen wollen; feinen Einzug in Böhmen aber rechtfertigt er 
damit, Daß dad Heer der Erholung bedurfte, daß er es nicht 
wieder, wie vor feiner erften Abſetzung auf Koften der anderen 
Yürften habe erhalten wollen, daß ihm die Wohlfahrt de 
Reiches mehr am Herzen liege ald der perjünliche Vortheil des 
Kaiferd. Nunmehr tritt Queftenberg mit feinen Forderungen 
hervor. Regensburg foll befreit werden, zu welchem Zwed der 
Kaifer ſich bereitd eigenmächtige Eingriffe in die Kriegführung 
erlaubt bat; außerdem jollen acht Regimenter den ſpaniſchen 
Snfanten nach den Niederlanden begleiten. Aber ehe Wallen- 
ftein fein Anfehen jo gefährden, feine Macht jo ſchwächen läßt, 
will er lieber abbanfen, wenn nur feine Generale und Oberften 
darunter feinen Schaden leiden. Das natürli macht Diele 
jtugig; fie wollen berathen, was zu thun fei. Aber Wallenjtein 
bat Schon bei fich beichloflen und dem Illo feinen Willen fund 
gethan; wir find daher begierig zu erfahren, wie die entjtandene 
Sollifion fih weiter entwideln werde. 

Am Anfange des dritten Aufzuges finden wir Illo und 
Terzky im Geſpräch, defien Gegenftand die von dem Yeldheren 
verlangte Ergebenheitönerficherung if. Illo macht den Bor: 
flag, den Betrug mit der Klaufel zu ſpielen, an deſſen Ge⸗ 
lingen Terzky freilich zweifelt; aber da durchaus gehandelt wer: 
den muß, fo läßt er jenem freie Hand und deutet darauf bin, 
daß auch feine Gemahlin ſchon für ihre Plane thätig ſei. Ge— 
heimnißvoll beginnt denn auch nad Illo's Abtreten dad Ge: 
fpräch zwiſchen den beiden Ehegatten, doch merken wir bald, 
daß von Mar und Thefla die Rebe ift. Beide aneinander, und 
jomit auch Mar an den Herzog zu fefleln, dieje Sorge über: 
nimmt die Gräfin, während ihrem Manne alles daran liegt, 
daß derſelbe die Eideöformel unterjchreibe und daß „ber Alte“ 
(Octavio) keinen Vedacht ſchöpfe. Terzky geht hierauf zu feinen 
Gaͤſten, die Gräfin dagegen empfängt ben bereit unruhig 


504 | Wallenftein. 


wartenden Mar. Die Ausdrüde „Bafe, Tante”, mit denen 
Thekla fie auf der Reife angeredet, find ihm fo lieb geworden, 
daß er auch jekt den Ton der vertraulihen Umgangdjprade 
fortfegt; auf folche8 Vertrauen aber kommt ed ihr gar wicht an, 
fie freut fih nur, ihn mit feiner Liebe in ihren Banden zu 
haben und befteht darauf, daß er ihr in Allem Folge leiſte. 
Auf diefe Weile glaubt fie ihn lenken und für die wichtige 
Staatdaction benugen zu können. Nachdem fie ihn fo vorbe: 
reitet, Täßt fie Thekla eintreten. Dieſe jedoch findet Mar auf: 
fallend ernft geftimmt und hat auch felbft feine beiondere Ber: 
anlaffung heiter zu fein, denn fie bat die Belanntichaft des 
Aftrologen Seni gemacht, der fie fogleidy für feine Kunft in 
Beichlag genommen, ihr aber nichts befonderd Erfreuliches zu 
fagen gewußt bat. Auf dieſe Weife fieht die Gräfin ihre Ab: 
fihten gefreuzt und wird bald noch Schlimmered zn erwarten 
baben, denn aus dem Geſpräche zwiſchen Mar und Thekla geht 
hervor, daß diejelben Fein rechtes Zutrauen zu ihr haben, fon: 
dern ihr Stille Glück lieber vor Allen geheim halten wollen, bis 
eine Zeit fommt, die ihrem Hoffen günftiger iſt. Nachdem die 
Gräfin Mar zur Tafel geholt, macht Thekla den ſchwermüthigen 
Empfindungen ihres Herzend in einem Liebe (vergl. „Des Mäd— 
hend Klage“) Kuft, das eine Vorahnung ihre Schidjald auß- 
ipridyt, worauf die Tante zurüdfehrt, um ihr ernite Vorwürfe 
über ihre unbefangene liebende Hingebung zu machen. Hierauf 
tritt fie mit ihren Planen offen hervor, indem fte ihre Nichte 
darauf hinweift, ihr Schickſal fei, im Intereſſe ihres Vaters zu 
handeln, ihm fich leidend zu opfern. Für diefe aber tft der Zug 
des Herzend des Schickſals Stimme; ihr Entichluß ift gefaßt, 
fie will an Feſtigkeit fich eined Vaters wie MWallenftein würdig 
zeigen und beweifen, daß die Gewalt der Liebe größer ſei als 
jede Macht der Erde. So fehen wir den erften Verſuch ber 
Sräfin, Thella für ihre Plane zu gewinnen, von diefer zurüd: 
gewiejen; ed fragt fih nun, ob ed Terzky gelingen werde, Mar 
zur Unterjchrift ber Eibedformel zu bewegen. Der Monolog 


Wallenſtein. 505 


Thekla's, mit welchem der Act ſchließt, enthält Betrachtungen, 
wie fie fie Dramatiker ded Alterthums dem Chor in den Mund 
zu legen pflegten. Wir erbliden bierin die Einwirkung W. v. 
Humbolbt3 auf den noch in der Entwidelung begriffenen Dichter, 
ber, eben erft zur Poeſie zurüdgetehrt, noch nicht bis zu ber 
Anfchauung durchgedrungen war, daß jedes Kunſtwerk die Ge: 
ſetze der Schönheit in ſich felbft zu fuchen babe und feiner an- 
deren Forderung unterworfen ei. 

Mit dem vierten Aufzuge folgen wir Mar nad dem 
Speifefaal in Terzty’3 Wohnung, wo ihm Sfolani in einer jo 
munteren und aufgeräumten Stimmung entgegen kommt, als 
ob die verrätheriihen Plane ſchon völlig fiegreich durchgeführt 
wären. Nach kurzen Begrüßungsworfen präfentirt er ihm ſo⸗ 
gleich die Eidedformel, es tft (nach Helbig S. 217) der Wortlaut 
der Formel des Pilfener Schlufje vom 12. Januar neuen Stils, 
aber abgekürzt und etwas weniger unbeholfen, jedoch im Ganz: 
leiftil aunögedrüdt. Statt „Fürſt von Friedland“ fteht im Ort: 
ginal „Herr Albrecht, Herzog von Medlenburg, Friedland, Sa- 
gan und Groß: Blogau." Schnell fommt aud Terzky hinzu, 
damit Mar nicht foglefh, fondern erft nach aufgehobener Tafel 
unterfchreibe, denn Rittmetfter Neumann, der Helfershelfer Illo's 
und Terzky's, der beiden Leiter der Intrigue, hat dem lepteren 
erſt die von der bedeutungsvollen Klaufel befreite Abfchrift ein- 
zubändigen, worauf dad dem Max vorgelegte Blatt jogleich ver: 
brannt wird. So weit tft Alles beforgt; nur die beiden Picco- 
lomini, um beren willen der Betrug eigentlich nothwendig ge: 
worden, will Illo ſcharf bewacht wiſſen. Dagegen läßt Buttler, 
der zu ihnen herantritt, da8 Befte hoffen; er glaubt feine Zett 
zu verftehen, denft an Yürften wie Friedrich V. von der Pfalz, 
Ehriftian von Braunfchweig, Eberhard von Würtemberg und 
andere, die landedflüchtig werden mußten, während Männer wie 
Bernhard von Weimar und Arel Oxenſtierna durch das Kriegs: 
glück emporzukommen im Begriff find. Daß gerade die Tapfe- 
ren und Tüchtigen fich jetzt etwas erringen fönnen, das jagt ihm 


506 Wallenſtein. 


zu, und ſomit glaubt auch er ſich zu einem Schritte berechtigt, 
den fein Herz fonft verbammen würde. 

Während fi bie Berichworenen fo in Sicherheit wiegen 
und bei Tafel rüftig für ihre Plane weiter wirken, zeigt und 
der Dichter auf dem VBordergrunde der Bühne, wie der Boden 
unter ihren Füßen unterhöhlt wird. Dem tollen Treiben ber 
Generale gegenüber, bie nur vorwärts in die Zukunft jchauen, 
bilden die befonnenen Betrachtungen des alten Kellermeifters, 
der, in der Geſchichte feined Landes wohl bewandert, feinen 
Blick vorwiegend in die Vergangenheit (vergl. Dr. Kr. 93) richtet, 
einen eben jo auffallenden als zugleich wirffamen Sontraft. Die 
Darftellungen auf dem großen Kelch mit dem böhmiſchen Wap⸗ 
pen, welche der Kellermeiiter ald Proteftant jo jinnreich zu 
deuten verjteht, erinnern und mit voller Lebendigkeit an bie 
firhlihen Wirren, welche den unbeilvollen Krieg herbeigeführt 
haben, während die jchmaufenden und zechenden Dfficiere an 
nicht8 Anderes ald eine politiiche Umgeftaltung Deutichlands 
denfen, deren Schöpfer ihr Feldherr fein fol. So weit geht 
ihre Unvorfichtigkeit, daß fte dem Herzog Bernhard von Weimar, 
dem Feinde ded Kaiferhaufes, ein Lebehoch audbringen; aber fie 
baben feine Ahnung davon, daß die Bedienten hinter ihren 
Stühlen lauſchen und dem Pater Quiroga alled treulich be⸗ 
richten werden, damit man in Wien genau erfahre, wie es in 
Pilſen eigentlich ausſieht. Endlich wird da8 Bankett aufgehoben 
und Dad Blatt von Terzky zur Unterjchrift präjentirt. Octavio, 
um jeden Verdacht von fich fern zu halten, unterjchreibt zuerſt, 
morauf er fi Buttler nähert, den er fpäter (X. IL, 6) für feine 
Plane gewinnen will, dann aber feinen Sohn audzuforjchen 
jucht, dejien verfchlofienes Weſen ihm Bedenken einflößt. In: 
zwifchen haben alle Theilnehmer bed Feſtes unterjchrieben, nur 
Mar fehlt noch. Sept tritt Illo heran. Glüdlih, daß Alles 
fo gut gelungen, muß er ſich mit Octavio außföhnen; aber die 
Freundichaft, die der Wein geftiftet, die muß er jogleich wieder 
zerftören. Im Rauſche ſchwatzt er nicht nur aus, was die 


Wallenftein. 507 


andern Generale von Dctavio halten, fondern er ift auch unbe 
fonnen gemug, dem zögernden Mar gegenüber der Klaufel zu 
erwähnen, jo daß diefer aufmerffam wird und feine Unterjchrift 
verweigert. Iſt fomit die Handlung auch nur um fo viel weiter 
gerüdt, daB wir den auf Mar gerichteten Anſchlag fcheitern fe: 
ben, fo liefert und doch der ganze Act eine reiche Fülle höchft 
anziebender Momente und ift zugleich ein Meifterftüd von bra- 
matiſcher Lebendigkeit. 

Einen tief eingreifenden Gegenfap zu dem lebensvollen 
Bilde, welche8 an unfern Augen vorübergegangen, bildet fchließ- 
lich der ganze fünfte Aufzug. Derfelbe führt und nach Pic: 
colominid Wohnung, wo wir in weit vorgerüdter nächtlicher 
Stunde einer Audeinanderfegung zwiichen Bater und Sohn bei- 
wohnen jollen. Die Unterzeihnung der Eibeöformel ift ber 
nächſte Segenftand ihres Gefpräched. May, biöher völlig arglos, 
hört jet, mit welchen fchändlichen Planen man umgeht; aber 
er fol noch mehr erfahren. Bater und Sohn haben jeder vor 
dem andern ein Geheimniß gehabt; jebt handelt es ſich um ge: 
genfeitige offene Erklärung. Octavio fieht die Gefahr, die dem 
unbefangenen Herzen feined Sohnes droht, dad Neg, mit dem 
man ihn zu fangen gebenft; ed gilt aljo, ihm die Augen zu öff: 
nen, ihm zu zeigen, was der von ihm fo hoch verehrte Herzog 
eigentlih im Schilde führt. Unter dem Vorgeben, dem Reiche 
den Frieden zu ſchenken (B. 71), unterhandelt er mit den Sad: 
fen und bietet ihnen Verträge an, die aber (durch Arnim's ZB: 
gerung) nicht zu Stande kommen wollen; gegen den Willen des 
Kaiferd beabfichtigt er, alle Parteien zufriedenzuftellen, und hat 
durch Kinsky fogar Unterhandlungen mit Frankreich angeknüpft, 
welches die Hand dazu bieten ſoll, ihm die böhmiſche Krone zu 
verſchaffen; und um den Kaiſer zu zwingen, daß dieſe Plane 
verwirklicht werden, ſoll im Heere Meuterei und Empörung an⸗ 
geſtiftet, ſollen auch beide Piccolomini gewonnen werden, ſich an 
dieſen verrätheriſchen Schritten zu betheiligen. Aber Max iſt 
nicht im Stande, dem Herzog fo etwas zuzutrauen. Selbſt 


508 j Wallenftein. 


Octavio's Verfiherung, er habe ed aus Wallenftein’d eigenem 
Munde, daß er zu den Schweden übergehen wolle (es fint bie 
durch Franz Albert von Lauenburg am 20. Febr. angelnüpften 
Unterhandlungen gemeint), ja er habe die vertraulichen Briefe 
jelber gejeben, die dem Herzog die Hülfe bed Feindes verjprechen, 
können Mar nicht Überzeugen. Sept muß Octavio mit feinem 
ganzen Geheimniß hervortreten, dem redlich denkenden Sohne 
feine falfche Handlungsweiſe offenbaren und Diefelbe vor ihm zu 
rechtfertigen fuchen; aber feine jpigfindigen Trugſchlüſſe (B. 185 
bis 198) tragen nur noch mehr dazu bei, den geraden und offe: 
nen Charakter des jungen Piccolomint in feinem Vertrauen zu 
dem Yeldheren zu beſtärken. Hiermit drängt fid) das Geipräd 
zur Entfcheidbung. Mar erfährt jetzt, daß Wallenftein abgejept 
und in die Acht erflärt (vergl. ©. 449), dem Octavio aber das 
Commando für den Yall übertragen jei, daß der Herzog den 
erften verrätherifchen Schritt wirklich thue. Mar bleibt feft über: 
zeugt, Died werde nie gejchehen; da bringt ein Cornet die Nach— 
richt, dag Wallenftein’d Unterhändler, der Sefin (vergl. S. 444) 
gefangen genommen und ſammt den bei ihm vorgefundenen De- 
peſchen nach Wien gejchidt ſei. Alles gebt aljo nach Octavpio's 
Wunſch, die Stunde der Enticheidung.ift nahe. Mar jedoch ifl 
feft entjchlofien, und follte er auch den Bater darüber verlieren, 
jollte er auch da8 ganze Werk der geheimen Staatskunft mit 
einem Schlage jprengen; er will dahin wirken, Daß ehrlich und 
offen gehandelt werde. Er beichließt daher, zu Wallenftein zu 
geben, um ihn zu einem geraden Schritte zu veranlafien (vergl. 
T II, 2), fürchtet jedoch, ed werbe bereits zu ſpät fein unb ver: 
fündet am Schluß glei dem Chor in der antiken Tragödie, 
prophetifch Die Kataftrophe, die in dem folgenden Stüde zu er: 
warten tft. — Die Piccolomint find demnach Tein felbftändigeß, 
fondern ein Erpofitiondftäd für 


Woallenftein’d Tod 
bie eigentliche Tragödie, welche nicht nur die Vollendung, fonbern 


er TER 


Wallenftein. 509 


in der That die Haupthandlung bringt. Der erite Aufzug 
führt uns zunächſt in dad Zimmer, welches wir bereitö aus The: 
kla's Beſchreibung (P. III, 4, B. 77—101) kennen. Walleaftein 
Hat mit Sent die Nacht durchwacht, um die Planeten zu beob- 
achten, und ift zu einem Refultat gelangt, mit dem er zufrieden 
fein kann. Die eben aufgehende Venus und Zupiter, jeine beiden 
Segenöfterne, haben den befanntlich in röthlichem Lichte (V. 19) 
Strablenden Mard in die Mitte genommen, eine Conftellation, 
die er V. 9 als „glüdfeligen Aſpect“, B. 33 als „Glücksgeſtalt“ 
bezeichnet. Seni ſtimmt dem um fo lieber bei, als ſich auch der 
dem Herzog feindlihe Saturn im fallenden Haufe (vergl. Aſtro⸗ 
logie Bd. I, ©. 43) befindet. Nunmehr fühlt fih Wallenftein 
zum Handeln angeregt. Mythologiſche Anſchauungen (vergl. 
Sötter u. Kronod) mit feinem Glauben an die Elementargeifter 
(vergl. ob. ©. 479) verjchmelzend, macht er ſich flar, daß eine 
neue Ordnung der Dinge (vergl. P. IV, 4, V. 57—72) jebt be: 
ginnen, das längft ſchon Vorbereitete ſich erfüllen muß. Da 
erſcheint Terzky und theilt ihm mit, daß der Seſin (vergl. P. 
V,2) gefangen und nad) Wien abgeführt worden ift. Sept tritt 
auch SUo auf, um, mit Terzky vereint, den Herzog zum Handeln 
anzufpornen. Ein Aufſchub erfcheint ihnen um fo weniger rath: 
jam, als Wrangel, der ſchwediſche Oberjt, bereits erfchienen ift, 
um die eingeleiteten Verhandlungen zum Abjchluß zu bringen. 
Die Stunde der Entihetdung tft aljo da. Aber ehe Wallenftein 
den verhängnißvollen Schritt thut, gebt er in einem Monologe 
mit fich jelbft zu Rathe, der uns einen tiefen Blick in fein In⸗ 
neres gejtattet; wir belaufchen die Gedanken, Die fich unter ein- 
ander verklagen und entjchuldigen; wir jehen, wie gefährlich es 
ift, mit der Sünde zu liebäugeln. Wallenftein fühlt, daß er zu 
Hoch hinaus gewollt, daß er fi in gefährliche Netze verftrict, 
und daß nur ein Gewaltact ihn aus der Schlinge befreien kann; 
er zieht die ganze Größe und Gefährlichkeit ſeines Unternehmens 
in Erwägung; aber Wrangel iſt bereitd gerufen, er muß ihn 
aljo empfangen. 


510 Wallenftein. 


Die Unterrebung Ballenftein’3 mit einem Oberft WBrangel 
(ſ. d.) tft nicht hiſtoriſch; in der Geſchichte iſt bei Gelegenheit 
der Belagerung von Strälfund (Dr. Kr. 149) nur von einem 
ſchwediſchen Commandanten bie Rebe, dem ein bäntfcher Plag 
machte, auch ift der bier auftretende Oberft weniger ein perjön- 
lider Charafter, ald der Repräfentant des bie ſchwediſche Heeres⸗ 
leitung bejeelenden Geiſtes, denn er bat nach feinem eigenen 
Ausdruck (DB. 44) „bier bloß ein Amt und feine Meinung.“ 
Wallenftein empfängt ihn mehr abweijend als entgegenfommenb; 
ed ift, als fträube fich fein Inneres, den verrätheriichen Schritt 
zu thun. Aber Wrangel, dad Mufter eined vorfichtigen Unter: 
händlerd, kommt ihm mit fchmeihhelhaften Aeußerungen zuvor; 
und wie die Verhältniffe liegen, fteht einer gegenfeitigen Annä- 
berung durchaus nichts im Wege. Der eigenthümliche Charakter 
des kaiſerlichen Heeres, die Volksſtimmung in den böhmijchen 
Landen, die Abficht der Schweden, in Deutichland feften Fuß 
zu faflen, das Alles ift den Planen günftig, über welche man 
Ihon im Sabre 1633 mit einander verhandelte, ohne jedoch einig 
werben zu können. Sept aber gebietet die Noth; und ald (®. 35) 
„jeder erft feine Sicherheit hat”, als befonderd Wallenftein die 
Schrift gezeigt, bie für die Zuverläffigkeit der Truppen blirgt, 
da tritt Wrangel mit feiner Vollmacht hervor, nur joll ber Her: 
zog mit dem Kaiſer förmlich brechen. Bon diefer Scene an, die 
zu den vollendetften des ganzen Stücks gehört, bei der jedes 
Wort, jede Andentung und bie ganze Situation jener Zeit mit 
volliter Lebendigkeit vor die Seele führt, fteuert alles auf bie 
Kataftrophe los. Wrangel hat mit Abbruch der Berbandlungen 
gedroht, wenn ihnen nicht fehleunig die That folge, SUo und 
Terzky drängen zum ungefäumten Handeln; aber Wallenjtein 
bebt vor dem unnatürlichen Schritte zurüd, er möchte fich nicht, 
wie jener Karl v. Bourbon (j. d.), dem allgemeinen Abfcheu 
preiögeben. Auch die Gründe SU0’8 und Terzky's, welde ihn 
darauf hinweiſen, daß Karl V., der Ahnherr des kaiſerlichen 
Hauſes, doch damals auch nicht fo gewifienhaft gehandelt, find 
noch nicht im Stande, ihn zum Entfchluß zu treiben. Diele 





Wallenſtein. 511 


Werk iſt einem verſchmitzten Weibe vorbehalten, der Gräfin 
Terzky, die nunmehr auftritt. Wallenſtein ſelber ſcheint ſie zu 
fürchten, denn er weiſt fie zurüd, aber fie läßt ſich nicht bedeu⸗ 
ten. Da fie hört, daß er auch jegt noch zögert, fo appellirt fie 
an feinen Muth und bejigt zugleich Geijtesgegenwart genug, um 
Mar Piccolomini, der fi eben melden läßt, zurüdzumelien. 
Sein Erfcheinen wäre in diefem Augenblide höchſt gefährlich; 
er, deſſen Abficht und (aus P. V, 3) bekannt ift, würde den 
Feldherrn nur an dem zu ergreifenden Schritte hindern; und 
was jeine Werbung um Thekla's Hand betrifft, jo hat bie für 
die Gräfin nicht die geringfte Eile. Auf Wallenftein einzuwir⸗ 
fen, den wichtigen Augenblick zu benußgen, bad ift jegt ihr ein- 
ziged Streben. Darum jegt fie alle Hebel in Bewegung, mahnt 
ben Feldherrn in Gegenwart feiner erften &enerale an jein Ehr⸗ 
gefühl und bedient fich jelbft der Sronie, follte fie ihn auch auf 
das empfindlichite reizen. Wallenftein, in der höchften Aufregung, 
fampft einen furchtbaren Kampf, weiß er doch recht gut, daß er 
den Welthändeln gegenüber fein müßiger Zufchauer fein Tann. 
Sept gilt ed, ihn anzuftacheln. Sie erinnert ihn an die erlitte- 
nen Kränfungen, ſchmeichelt feiner Kraft, feinen Talenten, jucht 
feinem Verrath den Stempel des natürlichen Rechts aufzudrüden 
und wirft jchlieglich die günftigen Aſpecte des Himmeld mit in 
bie Wage. Das enblich wirkt; er faßt den gefährlichen Entichluß 
und läßt den Oberft Wrangel rufen. „Es ift fein böfer Geiſt 
und meiner“ mit diefen Worten bezeichnet er das Schidjal, wel- 
he dem Kaiſer bevorfteht, zugleich aber, daß er auch für ſich 
in Sorgen ift. Und als die Gräfin, glüdlich über dad Gelingen 
ihres kühnen Schritte, mit frohlodender Miene Abſchied nimmt, 
da warnt er fie, gleich dem Chor in der antifen Tragödie, dem 
Geſchick zu trauen, während der Zuſchauer durch die gereimten 
bedeutungsſchweren Schlußftrophen gleichfalls zu ernftem Sinnen 
veranlaßt wird. 
Bor dem Beginn des zweiten Aufzuges (d. b. zwiſchen 
den beiden erjten Acten) bat Wallenftein das Bündniß mit 
Wrangel abgefchloffen. Sept meldet ihm Altringer (im Texte 


512 Wallenſtein. 


„er“), er läge krank zu Linz, doch ift ihm bereits die Kunde 
augelommen, daß er fid) bei Gallas verftedt halte. Diefe beiden 
abtrünnigen Generale müflen alfo feftgenommen werben, und 
mit tiefem Geſchäft wird Octavio betraut. Es ift eine Kurze, 
aber ängſtlich ſpannende Scene, in der der Feldherr dem Ber: 
“ räther fein Borbaben fo leicht macht, ihm zu feinem eigenen 
Berderben die Hand bietet, ohne ihm auch nur Zeit zu laſſen, 
die etwaigen Regungen feined Gewiſſens zu offenbaren. Nun 
erſcheint Mar, deſſen Unterfchrift der Herzog bereits vermißt bat. 
Er kommt, um fi) Licht zu verfchaffen, hofft irgend ein beruhi⸗ 
gended Wort zu vernehmen, und bört zu jeinem Schmerz, daß 
Wallenftein ſich in einem Streit der Aflichten befinde, aud dem 
er mit reinem Gewiſſen nicht hervorgehen könne; erfährt, daß 
er fi mit den Schweden verbinden wolle, und daß ed nun auch 
an ihm jei, Partei zu ergreifen, ſich für oder gegen feinen Felb- 
berrn zu entiheiden. Mar, auf's tieffte ergriffen *), möchte ihn 
auf den Weg des Rechts zurüdziehen, will fi ihm zu Liebe an 
Widerfeplichkeit, jelbit an Empörung betheiligen, wenn es fein 
muß, nur nicht am Verrath, den er allein in der Verbindung 
mit den Schweden fieht. Aber die Widerfeplichkeit ijt mit den 
noch treu gebliebenen Truppen nicht durchzuführen; auch gefteht 
ihm Wallenftein, daß er fih mit den finftern Mächten einge: 
Saffen, den Zügengeiftern, vor denen Mar von feinem fittlichen 
Standpunkte aud ihn warnen muß. Um dem Herzog die Rückkehr 
zu feiner Pflicht zu erleichtern, will er felbft nach Wien gehen, 
den Kaijer umzuftimmen, oder wenn dad nicht mehr möglich tft, 
ihn in die Stille friedlicher Zurüdgezogenbeit begleiten; aber es 
tft zu fpät, Wallenftein’d Boten find ſchon (%. I, 7, V. 102) 
nah Prag und Eger abgejandt, wo den Schweden die Thore 
geöffnet werden follen. So muß Mar mit fchnerzzerrifiener 
Seele von ihm fcheiden. — Mit ernftem Sinnen bleibt Wallen: 


— — 


*) V. 56 lautet: „Nein! wende nicht das Angeſicht zu mir” — nicht „von 
mir", wie in mehreren Ausgaben ſteht. 





Maltenftein. 513 


ftein zuräd. Der Frage ded eintretenden Terzky nah dem jun: 
gen Piccolomint ausweichend, verlangt er nach Wrangel, den er 
in Yolge des eben gebabten Auftritte noch einmal ſprechen 
möchte; aber der Schwede tit fort, dad Verderben geht alſo jet 
nen ang. Nun tritt auch SUe ein und lenkt dad Geſpräch 
fogleih auf Octavio, deffen ganzes Benehmen ihm Verdacht ein: 
geflößt; Wallenftein jedoch, der auf die Sternkunſt baut, der 
(P. II, 6, 3. 17 fein Horoſkop geftellt und dem Weltgeift (I. o. 
©. 480) vertraut, tft von jedem Argwohn frei. - Aus der innerften 
Ueberzeugung feiner Seele heraus ſchildert er ihnen”) den Vorfall 
am Tage vor der Lühner Schlacht (vergl. P. I,3, 3. 84— 97) 
und beharrt umerjchütterlich auf ſeiner Meinung. 

Aber wie ſchwankend der Boden ift, auf dem er ſteht, zeigt 
und die zweite Hälfte des Actes, die und in Piccolomini’d Woh- 
nung führt. Der Generallieutenant bat feine Maßregeln ge 
troffen; ein Commando tjt beordert, das Die zu gewinmenden Heer: 
führer im Falle eined Widerftandes feitzunehmen hat; die größte 
Borfiht tft jetzt nöthig. Nunmehr vollzieht fi ein Theil der 
geheimen Machinationen vor unjern Augen. Bei Iſolani genügt 
die Fatferliche Ordre, um ihn ohne bejondere Umjtände zu feiner 
Pfliht zurüdzuführen. Weniger zugänglih dagegen ericheint 
Buttler, der jchon die Tages zuvor (P. IV, 6, B. 26—38) ver: 
juchte Annäherung nur falt erwiedert bat; bei ihn bleibt ſelbſt 
da8 kaiſerliche Manifeft ohne Wirkung. Aber fein gekränkter 
Ehrgeiz wirb jept ein Mittel, ihn zur Partei des Kaifers her: 
überzuzieben. Wallenftein hat ſich in jeinem ſchlauen Manöver 
(1. 0. ©. 488 u. X. III, 4, V. 22) verrechnet; der Hof gewährt 
jetzt aus freien Stüden, was Buttler gemwünjcht, und fo macht 
diefer jchnell die verhängntißoolle Schwenfung, bei der er, ohne 
ben Weg der Ehre und des Rechts zu verlaffen, feinem Rachegefühl 


*) In ©c.3, V. 54 tft dad Wort „Menichenleben” in „Leben des Menſchen“ 
aufzulöien, um das „er“ (B. 55) auf „Dienjchen” Beziehen zu Fönnen. Sätte ber 
Dichter „man“ gefept, fo war died nicht nöthig. 

II. 83 


514 Wallenftein. 


Luft machen kann. Was er vorhat, ahnt ſelbſt Octavio noch 
nicht, den ed draͤngt, mit Gallas und Altringer zufammenzutref: 
fen, damit des Kaiſers Acht vollzogen werde. Nur mit feinem 
Sohne bat er noch ein ernited Wort zu reden. Er felbft reift 
ab und hofft, Mar werde ihm bald nachkommen; biefer aber 
fann die krummen Wege ded Vaters nicht betreten, und ob er 
fih einem Terzky, einem Illo anfchließen ſoll, die, wie er wähnt, 
den jchledyten Streich mit der weggelaffenen Klaufel (vergl. P. 
V,1, 3.139) ohne des Herzogs Willen gefpielt, da8 weiß er 
jelbft noch nicht. Aber von Thekla muß er wenigftend Abfchieb 
nehmen; er widerſetzt fich alſo dem Befehle feines Vaters, ihn 
zu begleiten und bleibt zurüd. Nur fo viel: deutet er ihm an, 
er werde tapfer fechtend fallen, oder die ihm anvertrauten Trup- 
pen aud Pilſen führen. Und fomit fcheiden beide, um fich nicht 
wiederzujeben. 

Wenn Sch. in der Selbjtrecenfion feiner „Räuber“ fagt, 
daß dad Stüd in der Mitte erlahme, fo ſehen wir ihn hier in 
dem dritten Aufzuge die außerordentliften Anftrengungen 
machen, um uns in einer Reihe von dreiundzwanzig Auftritten 
auf den Gipfelpunkt feines Niefenwerkes zu führen. Es ift der 
dritte Tag der Geſammthandlung, wie wir aus Thekla's Worten 
(B. 8) „heut und geftern“ entnehmen. Nachdem die Neubrumn 
fortgefchidt worden, tritt die Gräfin Terzky mit ihren Planen 
deutlich hervor. Thekla fol Mar an ihren Vater zu fefleln ju- 
hen, fie jol ihn dazu vermögen, feine Liebe höher zu ſchätzen 
als Pflicht und Ehre, er ſoll fih um feiner Geliebten willen an 
Wallenſtein's verrätheriihen Schritten betheiligen. Sept fleht 
Thekla Ear, in welcher Gefahr ihre Liebe jchwebt, und weld 
unbeilbarer Schmerz zugleich ihrer Mutter bevoritebt, tie von 
tem Borgefallenen noch feine Ahnung hat. Wir find gefpamnt, 
wie fie fich in dem nächſten Augenblid verhalten wird, denn es 
treten Wallenftein und SUo ein, beide in der Erwartung, daß 
Die vorbereitete Berihwörung nun zum Ausbruch fommen werde. 
Zu Diefem Zwed jollen jept auch die Truppen hintergangen, es 


Wallenftein. 515 


fol ein falfched Spiel mit ihnen getrieben werden. Bon Butt: 
ler, den der Herzog biöher mit Mißtrauen beobachtet, erfährt 
er, derfelbe babe fih für ihn erflärt; nun ſchickt er auch nach 
Sfolan, um ihm für den enticheidenden Moment bie nöthigen 
Berbaltungsbefehle zu ertheilen. So erjcheint Alles geordnet; 
in der nädhjften Stunde kann die Nachricht eintreffen, daß Prag 
in des Herzogs Händen, fein Abfall von dem Kaifer eine abge- 
Ichlofjene Thatfache tft. Zuvor aber will er nod) einige Augen: 
blide im Kreije feiner Familie zubringen, denn auch feine Ge⸗ 
mahlin muß erfahren, wa8 hier Außerordentliches vorgeht. Zu: 
nächſt find ed FZamiltenangelegenheiten, die zur Sprache fommen, 
aber fie follen dem Feldherrn eine neue Sorge bereiten. Die 
Gräfin theilt ihm mit, daß Thekla den jungen Piccolomini liebt, 
und fie, wie ihre Schweiter treten ald deſſen Yürfprecherinnen auf. 
Wallenftein aber hat ganz andere Abfichten; wie follte er, dem 
eine Königskrone aus nächſter Nähe winkt, nicht auch für die 
Tochter ſich nad einem gefrönten Haupte umfehen! Die War: 
nungen feiner Gemahlin verhallen in dieſem Augenblide wirkungs⸗ 
108; im &egentheil, fie muß erfahren, daß ed mit der Freund: 
ſchaft des Kaijerhaufed vorbei tft. 

Nunmehr bricht auch die Kataftrophe herein; Terzky meldet, 
daß Iſolan mit feinen Kroaten davon gezogen, und Illo berich: 
tet, daß auch fünf andere Generale ihn verlaflen haben. Sept 
gilt es, einen raſchen Entſchluß zu faflen; die Ziefenbacher jollen 
durch Terzky's Grenadiere abgelöft werden, Buttler wird gerufen, 
die Frauen werden fortgeichidt. Das ift aber noch nicht Alles, 
Unrubige Auftritte unter den Truppen lafien dad Schlimmite 
befürchten, die Tiefenbacher verweigern ſogar den Gehorſam, und 
nun wird Octavio's Verrath offenbar. Sept wäre dem Feldherrn 
ein zuverläjfiger Yreund von Nöthen; da erjcheint Buttler, mit 
deſſen gefährlichen Abfichten wir bereitö vertraut find. Bon 
MWallenftein auf's berzlichfte empfangen, mit Worten angeredet, 
die ihm tief in die Seele dringen müſſen, fteht er kalt und eifern 
da, und Statt ihm ein Wort ded Trojted entgegen zu bringen, 

38 * 


— 


= TG 


516 Wallenftein. 


berichtet er von neuem Unheil. Prag ift verloren, ber Bote 
Kinsky's von den beftochenen Wachen aufgefangen; die" Regi- 
menter in verjchiedenen böhmiſchen Städten find abgefallen, der 
Herzog und die ihm ergebenen Generale in die Acht erklärt. 
Der unbeilbare Bruch ift alfo gejchehen; jept muß der Yeldberr 
für fein Leben tämpfen. Wie werden die Seinen diefen Schlag 
ertragen? Die Gräfin ftürzt in voller Angft herein; theild weiß, 
theild ahnt fie, wad geichehen; die Herzogin und Thekla folgen 
ihr, und nun erfahren auch fie die Schrediensnachricht, unter de: 
ren Drud die Herzogin ohnmächtig zufammenfinkt. 

Im Gegenfag zu den zwölf erften Scenen, in benen eine 
Stütze nad der andern bricht, erſcheint nun Wallenftein allein, 
aber nicht mehr ald der Zögernde, fondern gewaffnet und zu 
entfehlofjenem Handeln bereit. Die Lage der Verhältnifſe ſcharf 
in's Auge faflend, erinnert er fich feiner Vergangenheit. Sollte 
er nicht noch einmal von vorn anfangen, die Eleine Zahl, die ihm 
treu geblieben, nicht der Kryftallifationspunft werden fünnen, um 
welchen eine neue Macht ſich fchnart? Da meldet ſich eine De: 
putation der Pappenheimer Kürafftere, die noch in Zweifel find, 
welche Partei fie zu ergreifen haben. Wallenftein bat fie von 
jeher bevorzugt, fie werden ſich aljo leicht gewinnen lafien. Er 
macht den gefährlichen Verſuch. Statt fie auf Die Pflicht des 
Gehorſams hinzuweiſen, appellirt er an ihr perjönliches Urtheil 
und bemüht fich, feine Handlungsweiſe vor ihnen zn rechtfertigen. 
Sie wollen ihn ftügen, und darum follen fie ihm glauben, daß 
er ed mit den Schweden nur zum Scein halte. Da tritt Butt- 
fer ein und bringt die Nachricht, daß Terzky's Regimenter die 
kaiſerlichen Adler abreißen und die Friedländiſchen Zeichen auf: 
pflanzen. Sept ift ed mit der Unterhandlung vorbei; ihrem Eide 
treu zu fein tft den ehrlihen Soldaten Die einzige Pflicht; fie 
machen alſo Kehrt und marſchiren zu ihrem Regimente zurüd. 
Um die Noth des Augenblid3 zu vergrößern, flürzen nun auch 
die rauen berein. Sie haben erfahren, was geſchehen iſt und 
follen jetzt ſchnell nach Eger geführt werden. Doc zuvor ift 





Ballenftein. 517 


noch eine aubere Gefahr zu befteben. Die Bappenheimer rüden 
an und verlangen ihren Führer, der noch tm Schlofle verborgen 
fein fol. Und allerdings tft es fo, denn Mar ericheint, aber 
nicht um die beftürzten Gemüther mit einem Hoffnungsftrahl zu 
erfreuen, jondern um von Thefla Abſchied zu nehmen, vor ihrem 
Herzen fi gerechtfertigt zu jehen. Da bemerkt er Wallenfteln, 
beffen Angeficht er nicht hat wieberfehen wollen. Sein Berbre- 
hen und die Schuld Octavio's (VB. 96 — vergl. Laokoon) haben 
den beiden unfchuldigen Liebenden das graufame Schickſal berei- 
tet, da8 fie auf immer von einander trennt. Noch einmal madt 
ber Herzog den Berfuh, Mar an fich zu fefleln; aber in dem: 
felben Augenblid tritt Neumann ein und meldet, daß die Pappen- 
heimer ihren Yührer mit Gewalt befreien wollen. Und als ob 
Alled an diefem fürchterlichen Augenblid hinge, bringt nun auch 
Terzky Botichaft von Erfolgen, welche die ergebenen Negimenter 
errungen. Ein einziger Befehl Wallenftein’d, und die Empörer 
lafſen fih überwältigen; jetzt fragt es fich, ob Mar fi an ihre 
Spige }tellen und gegen feinen Feldherrn Tämpfen will. Das 
ift nicht feine Abſicht; er will nur feinem Eide treu bleiben und 
die ihm anvertrauten Truppen zu ded Katferd Heer zurüdführen. 
Aber die Teidenfchaftliche Erregung feiner Schaaren ift inzwijchen 
jo gewachſen, daß Wallenftein fich ſelbſt genöthigt fieht, dem 
Inmulte Schweigen zu gebieten. Unterbejjen giebt Mar, ım- 
ſchlüſſig, was er thun fol, den inneren Kämpfen feiner Seele 
wie in einem Monologe (Sc. 21, V. 3—15) einen beredten Ansd- 
drud; die Gräfin macht noch einen lebten Verſuch, ihn zu ge 
winnen; er aber wendet fih an Thekla, fle foll fein Loos ent 
Iheiden. Wie zu erwarten, verweift fie ihn an feine Pflicht; 
wie könnte fie verlangen, daß er fi der Schuld ihred Vaters 
theilhaftig machte, von der felbft die gemeinen Soldaten fidy mit 
Abſcheu wegwenden. Sn biefem Augenblid kehrt Wallenitein 
zurüd; ſein perſönliches Erjcheinen bei den Truppen iſt erfolglos 
geblieben; er bejchließt nunmehr, Pilſen zu verlaflen und nach 
Eger zu gehen. Mar dagegen, defien Reiter truppweiſe herein- 


518 Wallenftein. 


treten, um ihren Yührer abzuholen, richtet no Worte inniger 
Wehmuth an Wallenjtein und Worte ernfter Mahnung an Butt- 
ler, worauf er mit dem verzweifelten Entfchluffe die Scene ver: 
läßt, ji) und die Seinigen dem Tode zu weihen. 

Mit dem vierten Aufzuge beginnt (vergl. T. ILL, 23, B.2 
„beut“ und B.7 „morgen“) der vierte Tag der Handlung, fo 
daß der Dichter annimmt, der Marſch von Pillen nah Eger 
(der am 23. u. 24. Febr. gemacht wurde) fei in einem Tage zu: 
rüdgelegt worden. Wir befinden uns in dem Haufe ded Bürger: 
meifterd zu Eger und erbliden zunächſt Buttler, der in einem 
Monologe Wallenſtein's Schiejal propbezeiht, jein eigened Bor: 
haben dagegen zu bejchönigen ſucht. Hierauf ericheint Gordon, 
der Sommandant von Eger, von Geburt ein Schotte, daher 
(2. 111, 23, V. 5) ald Buttler's Freund und Landdmann bezeich- 
net. Der Dichter theilt ihm zugleich die Rolle eine Jugend⸗ 
freundes des Herzogd zu, dem er im Herzen treu geblieben, ob: 
wohl er eine von dem Heere ijolirte Stellung eingenommen. 
Ohne über die Vorgänge in Piljen unterrichtet zu jein, bat er 
nur einen kaiſerlichen Brief empfangen, der ihm befiehlt, fidh 
Buttler’8 Anordnungen zu fügen, von dem er nunmehr Das 
Nähere über Wallenftein’3 Verrath erfährt. Da die Schweden 
im Anmarſch find, fo muß des Herzogs Bereinigung mit den— 
jelben gehindert, er felber aljo gefangen genommen und, wenn 
ed nicht anders geht, die kaiſerliche Acht vollitredt werden. In— 
dem Gordon zögert, die Hand hierzu zu bieten, erjcheint Wallen- 
ftein mit dem Bürgermeijter, erkundigt fich bei dieſem nach den 
Verhältniſſen der Stadt, bei jenem nad) den militairifchen An: 
gelegenheiten, und befiehlt Buttler, die den Schweden entgegen: 
ftehenden Poften zurüdzuziehen. Dieje Maßregel ift um jo be- 
deutungsvoller, ald Terzky berichtet, ein ſchwediſches Corps habe 
über Eatjerliche Truppen gejiegt, eine Nachricht über die Illo 
noch audführlichere Mittheilungen macht, welde dahin lauten, 
daß Max mit feiner gefammten Reiterei im Kampfe gefallen jet. 
Wallenftein will fort, um den Boten, der die Nachricht gebracht, 


Wallenftein. 519 


felber zu hören; in demfelben Augenblid aber ftürzt die Neu: 
brunn Hülfe rufend in’d Zimmer, er eilt alfo zunächft zu feiner 
Tochter. 

Buttler und Gordon bleiben jetzt allein zurüd. Die ein- 
gegangene Nachricht Hat die Gefahr gejteigert; die fiegreichen 
Schweden können den Herzog leicht befreien, er ift alfo nicht 
länger zu bewachen. Buttler erklärt daher, dab er ihn ermorden 
will. Es entipinnt fich ein heftiger Wortwechjel zwijchen beiden; 
dem Haß und der Leidenfchaft gegenüber vertritt Gordon den 
Standpunkt ded Rechts und der Milde; da er fi) aber nicht 
getraut, für die Folgen einzuftehen, jo muß er Buttler gewähren 
lafien. Zu allem Unheil kommen nun auch Terzky und Illo 
zurüd. Sener vertündet mit triumpbirender Dtiene, daß am 
nächſten Morgen die Schweden einziehen werden, und dieſer deu: 
tet an, welche erfreulihe Wendung der Dinge nun für den Her: 
zog eintreten wird. Der König Ferdinand von Ungarn ift in 
der Kriegführung noch völlig unerfahren, und der forglofe Gallas 
(vergl. Dr. Kr. 1469) verfteht ed nur, ein Heer zu ruiniren. Beide 
Generale find aljo von den beften Hoffnungen befeelt, und tn 
faft übermüthiger Weife ertheilt Illo dem Gordon die weiteren 
Berhaltungsbefehle. Buttler und Gordon bleiben jept nochmals 
allein; der I:gtere macht einen wiederholten Verſuch, Buttler 
von feinem entjeglichen Vorhaben zurüdzuhalten, in der rührend: 
jten Weife hebt er alle guten Eigenfchaften des Herzogs hervor, 
aber vergeblih. Der Sieg der Schweden hat entichieden, das 
unglüdfelige Verhängnis naht. 

Die ſechs legten Auftritte führen und in Wallenftein’8 Fa— 
milie. Thekla hat den unglüdlihen Ausgang des jungen Picco— 
Iomini erfahren; ihr Herz drängt fie, die näheren Umftände zu 
willen, fie muß jegt den ſchwediſchen Courier allein ſprechen. 
Sein Erfcheinen ift und nicht nur um Thefla’3 willen von Bes 
deutung, jondern gleichzeitig erfahren wir durch ihn, wie ſich die 
Lage der Dinge inzwilchen weiter entwidelt hat, ed wird und 
der Sieg der Schweden zu lebendiger Anſchauung gebradt. 


530 Balienftein. 


Aber meben ber letzten Hoffnung, die dem Helden des Drama’e 
wintt, ſehen wir chu gleichzeitig won einem ſchweren Berksfie 
bedroht. Thekla's Forſchen nad der Stätte, wo Mar feinen 
lepten Rubeplag gefunden, die Eröffnungen, weiche fie ber Neu: 
beunn macht, endlich der Monolog, ber und an daB Gebicht 
„Thekla, eine Geifterftimme“ mahnt — fie erfällen unſere Sede 
mit büfteren Ahnungen. Und «ld num auch Rofenberg auf ühr 
Berlangen bereitwillig eingeht, da ſehen wir, das Schickſal der 
unglüdlihen Tochter Friedland's tft entichieden, der kurze und 
ſchnelle Abichied von ihrer Mutter, es iſt ein Abſchied auf ewig. 

Der fünfte Aufzug, welder und die Enticheidung zu 
bringen bat, führt und zunächſt in das Zimmer Buttler’3, ber 
dem Major Geraldin die Ermordung Illo's und Terzky's über: 
trägt. Neben feinem Rachegefühl treiben ihn au die Umftände 
za raſcher That, denn die Bürgerfchaft von Eger ift bereits ent: 
ſchlofſen, Wallenftein’d Partei zu ergreifen, und die Schweden 
find in jedem Augenblid zu erwarten. Sept treten die Haupt⸗ 
leute Deverour und Macdonald ein, zwei Geftalten, deren leid: 
ter Humor und an die Soldaten erinnert, die wir in dem Lager 
tennen gelernt haben. Buttler hat fie audgejucht, die kaiſerliche 
Drdre an dem Fürften zu vollftreden, aber noch beben fie vor 
ber Frevelthat zurüd, Deverour mehr aus eigener Ueberlegung, 
Macdonald dagegen als jein bloße8 Echo. Es ift eine meilter: 
haft angelegte und höchſt wirkungsvoll durchgeführte Scene, de 
ren komiſche Faäärbung das Grauenhafte des Borganges in wohl: 
htuender Weiſe mildert. Nach einigem Widerftreben von Seiten 
der einfältigen Söhne der Fortuna gelingt ed Buttler, fie zu 
verführen, theils indem er ihren Neid ermwedt, theild indem er 
(8. 101— 106) zu fophiftiigden Künften feine Zuflucht wimmt; 
und in einer jpipfindigen Wendung jegen auch fie ſich über ihre 
Schandthat hinweg, fie wollen den Feldherrn vor dem Schwert 
ded Henferd bewahren und ihm den „ehrliden Tod“ eines Sol- 
daten bereiten. 


Ballenftein. 521 


Nachdem dieſe unheimlichen Vorbereitungen getroffen find, 
erbliden wir Wallenftein zum legten Mal. Er entläßt den 
ſchwediſchen Hauptmann, den wir von Thefla haben ſcheiden fe: 
ben, mit der Nachricht an feinen Herrn, bie Feſtung folle ſich 
ibn am nächften Morgen aufthbun. Aber der Steg der Schwe: 
den gewährt ihm nicht Die gehoffte Freude. Die für Die Jahres: 
zeit freilich nicht unerhörte, aber doch immerhin ungemöhnlide 
Erſcheinung eined ſchwarzen Gewitterhimmeld ſtimmt unheimlich 
zufammen mit der Nacht in feiner Seele. Der Schmerz um den 
Berluft des jugendlichen Yreunded, dad Bewußtſein, die einzige 
geliebte Tochter innerlich gefnidt zu jehen, bange Bejorgniß um 
die nächſte Zukunft — das Alle verſetzt ihn in eine gebrüdte 
Stimmung. Er ſucht fih Ruhe zu erzwingen, aber es gelingt 
ihm nit. Erft ald die Gräfin Terzky, von banger Furcht ge: 
quält, verkündet, dat unheildrohende Träume fie das Schlimmfte 
befürchten lafien, da ermannt er ſich und gewinnt feine fichere 
Faſſung, mit der er auch von dem eben eintretenden Gorbon die 
Feſtungsſchlüfſel in Empfang nimmt. Völlig ruhig und ſorglos 
läßt er ih von dem Kammerdiener ein Waffenftüd nad dem 
andern abnehmen, bid er vollftändig wehrlos vor und fteht. 
Nichts ift im Stande, ihn zu warnen. Dad Zerjpringen der 
goldenen Kette ift ihm jebt kein böſes Dmen mehr; die propbe- 
tiſche Aeußerung, welche der angfterfüllte Gordon (VB. 39—41) 
wagt, wird eben fo wenig verftanden, wie feine Warnungen 
(B. 60— 65) beachtet werden; mit dem Opfer feines Lieblings 
(vergl. Ring des Polykrated Str. 9 u. 10) glaubt er die eifer- 
fühtige Gottheit verföhnt zu haben. Sept thut auch noch die 
Sterntunft ihre Schuldigfeit. Sent eilt herbei und warnt vor 
falihen Freunden, er fieht in einer bedenklichen @onftellation 
das Leben ſeines Herrn bedroht; aber Seni tft leider ein zu gu⸗ 
ter Katholik, als daß feine Deutungen in diefem Augenblid eine 
Wirfung haben follten. Endlich macht Gordon einen lebten 
Verſuch, den Herzog zu retten; wie, wenn er fich zu völliger 





522 Wallenftein. 


Umkehr entſchlöſſe, noch in dieſer Stunde einen entſcheidenden 
Schritt thäte! Aber Wallenſtein bat längſt entſchieden; ber 
Würfel iſt einmal gefallen. Mit vollfter Seelenruhe ſpricht 
er die den Zuſchauer ſo mächtig erſchütternden Worte, in denen 
er ahnungslos fein nahes Schickſal prophezeiht. 

Kaum hat er ſein Schlafgemach betreten, ſo hören wir 
Buttler hinter der Scene den Mördern ein unheimliches Halt 
gebieten. Noch einmal tritt ihm Gordon mit dringenden Bitten 
in den Weg; Illo und Terzky ſind bereits ermordet, mit dieſer 
Blutthat könnte der Gerechtigkeit Genüge geſchehen ſein; aber 
nein, auch das Rachegefühl fordert ſeinen Tribut. Da erſchallt 
ein Trompetenſtoß, Deveroux und Macdonald glauben die ſchwe— 
diſchen Hörner zu vernehmen, die That leidet jetzt keinen Auf: 
Ihub mehr. Gordon muß ald Commandant auf feinen Poften, 
und die Mörder dringen ungehindert in des Herzogs Schlaf: 
gemach. Es ift um ihn geichehen. 

Was die Nacht mit ihrem jchwarzen Schleier verhüllt, das 
wird nun in einigen furzen Schlußfcenen an das Licht gebracht. 
Der Tod des Einen ſetzt dad ganze Haus in Bewegung. Die 
Gräfin Terzky, Schon in Unrube um ihren Gemahl und um 
den Herzog, ſucht jetzt auch nach Thekla, welche ſpurlos ver: 
ſchwunden iſt. Da jtürzt Gordon herein, um zu melden, daß 
nicht die Schweden, fondern die Kaiferlichen eingedrungen find; 
aber die wenigen Minuten, die Buttler ihm verweigert, find 
verftrihen, Octavio’3 Rettungsbotſchaft kommt zu ſpät, Seni 
bat den Yürften bereitd in feinem Blute liegen ſehen. Der 
Bürgermeifter, Pagen, Bediente, Kammerfrauen, alled läuft zu- 
fammen; da tritt der Urheber der fürdhterlichen Scene, Octavio 
felbjt herein. Was bier geſchehen, Dad freilich bat er nicht ge- 
wollt; der eilfertige Buttler jedoch, von jeher an pünftlichen 
Gehorfam gewöhnt, ift wegen der Folgen jeiner That ganz außer 
Sorgen und wird fich jeine Anerkennung in Wien holen. Die 
einzige, die dem neuen Oberfeldherrn aud dem verddeten Haufe 
noch gegenübertritt, ift die Gräfin Terzky; aber auch ihre Stun: 


Wallenftein. 523 


den find gezählt, fie hat ihm nur noch die lebten Wünfche der 
Ermordeten vorzutragen. So fteht er fchließlich allein, um den 
Dank für feine heimlichen, dem Kaiſerhauſe geleifteten Dienfte 
in Empfang zu nehmen; ed tft ein Brief mit der Aufichrift: 
„Dem Fürſten Piccolomini.“ 

Nachdem wir in Borftehendem die Verkettung der Umftände 
zur Anſchauung gebracht, durch welche der Dichter den tragischen 
Ausgang feined Helden herbeiführt, und nachdem wir fomit 
einen Einblid in die treffliche Deconomie des Stüded gewonnen 
haben, bleibt und nur noch übrig, einer Idee zu erwähnen, welche 
wie ein leitender Yaden;dad ganze Drama durchzieht; es ift die 
Schickſalsßidee. Wenn Sch. in feinen Sugenddramen fich 
Darauf bejchränfte, den Menfchen im Kampfe mit den herföümm: 
lichen Yormen der Gejelichaft darzuftellen, jo kam ed ihm, nadh: 
dem er die Epoche der wiſſenſchaftlichen Selbftverftändigung 
durchlaufen, nunmehr darauf an, auf dem Gebiete der dramtatt: 
hen Kunſt etwas Vollendetes herporzubringen. Er beichäftigte 
fih deshalb eifrig mit dem Studium der antifen Tragödie, 
welche befanntlich den Menfhen im Kampfe mit dem Schidjal 
Darftellt. 

Dem aufmerkijamen Beobachter menſchlicher Verhältniſſe 
konnte auch im Alterthum die Wahrnehmung nicht entgehen, 
Daß die freie Kraft des Menſchen allen Berechnungen jeined 
Verſtandes, wie aller Strebfraft jeined Willend zum Trotz bei 
Dem Ringen nad) einem vorgeftedten Ziele nicht jelten Schiff: 
bruch leidet. Auf dieſe Weiſe entitand die Borftelung von 
einem Fatum, dad wir in unjerer Spradhe mit dem Auddrud 
Verhängniß oder Schidjal zu bezeichnen pflegen; ed war bie 
mit religiöfem Sinne aufgefaßte Naturnothwendigkeit. Nach 
R. Binderd*) eben fo Earer, ald dem Geiſte unfered Dichterd 
entiprechender Auffaſſungsweiſe wirkte wohl Zweierlei zujammen, 








*) Rudolf Binder Schiller im Verhältniß zum Chriſtenthum. Stuttzart 
Bei Megler; 2 Bde. 1839. Vergl. bei. Bd. 1, S. 58 ıc. 


524 Wallenftein. 


um den Begriff des antiken Schickſals zu bilden. Zunächſt trat 
die menſchliche Vernunft als folche dem Polytheiſsmus entgegen, 
indem fie einen Gott als den höchſten voranftellte un® De 
Bielheit der Götterwillen durch das Yatum zu ergänzen und 
zu berichtigen juchte; außerdem aber mußte die Erinnerung an 
die orientalifche fubftantielle Einheit des Höchiten Weſens welcher 
man ben „ben unbefannten Gotte“ (vergl. Ap.Geſch. 17, 23) 
errichteten Altar verdantte, nothwenbiger Weiſe mitwirken. „Se 
ſchwebt im Alterthum über Göttern, wie über Menfchen, als 
umfafjende Macht und Einheit die zwingende Nothwendigkeit. 
ein dunkeles göttliche Welen, Beiden drohend, weil ed ein m: 
erfanntes Zenfeits, ein Gegenſtand erhabener Ahnung ift.” Das 
antike Schickſal ift daher nad Schellingd treffender Erklärung 
„eine dunkele, unbefannte Gewalt, die zu dem Stückwerk ker 
Freiheit das Bollendete oder Objective binzubringt, jene Macht, 
welche durdy unjer freie Handeln ohne unfer Wiſſen und ſelbſt 
wider unfern Willen nicht vorgefteette Zwede realiſirt.“ Diefem 
Schickſal trogen zu wollen, fam ben Griechen (wie Binder 
©. 68 näher ausführt) nicht in den Sinn; im Gegentheil: beilige 
Ehrfurcht gegen daſſelbe wurde nicht nur allgemein gebegt, ſon 
bern auch gelehrt, und Berleugnung dieſer Ehrfurdt galt als 
ein Zeichen der höchften Ruchloſigkeit. Bon einem Kampfe gegen 
das Schickſal als ſolches ift in der antifen Tragödie alfo eigent: 
lich nie die Rede, jondern mit aller Scheu vor demjelben kämpft 
ber Menih nur gegen Die von ihm gefendeten eigentlichen 
Schidungen, bis er die Unvermeidlichkeit der Iegteren erkannt 
bat. Sn ſolchem Kampfe durch fchliehlihe Ergebung in das 
Unabänderliche feine höhere Würde zu bewahren, ober, wenn 
man eine Schuld auf fich geladen, Diefelbe fterbenb zu büßen 
und zu fühnen, das war die Aufgabe, welche die Tragübien bes 
Hafftihen Alterthums fich ftellten; in biefem Sinne war eine 
jede derjelben Schickſalstragödie. 

Schiller hatte in jenen früheren Dramen die Borftellung 
des Schickſals vollftändig ausgejchloffen. In feiner Abhaublung 


Wallenftein. 525 


über bie tragiſche Kunft (Bd. 11) vom Sabre 1792 ſpricht er 
fih fogar gegen die Wiedereinführung defjelben tn dad Drama 
and, weil eine blinde Unuterwürfigfeit unter das Schiefal immer 
demütbigend und kraͤnkend für freie, fich ſelbſt beftimmende 
Weſen ſei. Indeſſen ift ſchon in feiner Geſchichte des dreißig. 
jährigen Krieges mehrfach vom Schickſal die Rede. So heißt 
es S. 140 von dem Grafen Mansfeld: „Immer von dem Schickſal 
verfolgt, und immer größer als ſein Schickſal“ ꝛc. und ©. 289 
von Wallenftein: „das Schichkſal felbit hatte fich zu feinem Rächer 
aufgeftellt." Eben jo finden wir in mehreren Balladen, bie 
während der Bearbeitung des Wallenftein gedichtet wurden, wie 
im „Taucher“ und dem „Ring ded Pykrates“ den Menjchen im 
Conflikte mit dem Schickſal nach antiker Anfchauung, worin der 
Einfluß W. v. Humboldt's, jo wie des Dichters Beichäftigung 
mit den griechifchen Tragifern nicht zu verfennen iſt. Auch jehen 
wir ihn jeinem Briefwechſel zufolge während der dramatifchen 
Geftaltung des Wallenftein wiederholt mit der Idee des Schick⸗ 
ſals „als eines poetiichen Behelfs“ oder „eines ſymboliſchen Mit- 
tels“ beichäftigt, was Goethe mit Rückſicht auf den aftrologifchen 
Aberglauben vollftändig billigte. Auf diefe Weile trat zu dem 
objectiven Zeit: und Charaktergemälde die Schidfalöfärbung als 
etwas Subjectived Hinzu und durchzog bald das ganze Stüd, 
inbefien keinesweges zu völliger Zufriedenheit des Dichterd; denn 
in einem Briefe an Goethe vom 28. November 1796 heißt es: 
„Das eigentliche Schidfal thut noch zu wenig, und der eigene 
Fehler des Helden noch zu viel zu feinen Unglüd. Mich tröftet 
aber bier einigermaßen dad Beiſpiel ded Machetb, wo das 
Schickſal ebenfalls weit weniger Schuld bat ald der Menſch, daß 
er zu Örunde geht.” Der tiefere Grund hiervon lag aber jeden: 
falls in der Borftelung, welche der Dichter von dem Schönen 
hatte. Das Berdienft, bierauf aufmerffam gemacht zu haben, 
gebührt Tomaſcheck, welcher in dem oben citirten Bortrage 
(S. 20) daran erinnert, daß ynjer Dichter den Hauptcharakter 
des Schönen in der zwanglofen Natürlichkeit der Bewegung fand. 


526 Wallenftein. 


Hätte er Wallenfteind That als nadten Berrath hingeftellt, fo 
hätte fie auf die freie Bewegung der Handlung und die Ent: 
widelıng der Kataftrophe eine Art Zwang audgeübt; bei feiner 
poetiſchen Darftelung dagegen erfcheinen Berwidelung und %: 
fung wie von felbft herbeigeführt, wie aud der Natur der Ber: 
hältniffe hervorgegangen, was feinem Princip der Schönheit 
entipricht. 

Daß der Dichter die äußeren Berhältnifie an Wallenfteind 
Handlungsweiſe in gewifien Sinne Theil nehmen läßt und „die 
größere Hälfte feiner Schuld den unglüdjeligen Geftirnen zu: 
wälzt,“ ift für die Kritik, ſoweit fie ſich auf die Schickſalsidee 
bezieht, der bauptfächlichite Angriffepunft geweſen. Profejlor 
Süvern, weldher Schiller Wallenftein an dem Maßſtabe der 
griehiichen Tragödie, befonderd des Sophokles mißt, behauptet, 
daß in dieſer Verherrlichung der menſchlichen Freiheit, nicht in der 
des Schickſals, der höchfte Gipfel zu ſuchen ſei, Wallenftein dagegen 
durch ein blindes Verhängniß zu ſeiner That getrieben und ins 
Berderben geftürzt werde. „Des Schickſals eiferne Gewalt (Io 
heißt e8 S. 155) fürdhterli den Mann umftridend, ber fie zu: 
erft gereizt, auf die zurüdfallend, die ihr dienten, und zermal- 
mend alles, was fich ihnen näherte, tft dad Thema ded Wallen- 
ftetn.” Der Bormurf, welcher in jener Behauptung, wie in 
diefer Bezeichnung der Idee bed Werkes ſtillſchweigend audge: 
drückt tft, findet fich in-den Anfichten verjchiedener Kritifer wie: 
der, während Vilmar in feiner Gefchichte der deutfchen National: 
literatur (4. Aufl. ©. 255) gerade der entgegengefeßten Meinung 
ift. Noch Andere, wie Hoffmeifter, welcher Die Idee des Schid: 
ſals aus dem chriftlichen Drama überhaupt entfernt wifjen will, 
iprechen fogar von der Schuld und dem Schidjal ald zwei ein- 
ander wiberftreitenden Prineipien. Aber eben jo wenig wie Das 
Schickſal in der antifen Tragödie ald ein tyrannijch-willürliches 
anzufehen ift, eben fo wenig ift dad Charakteriſtiſche des chrijt: 
lichen Drama's allein in ber Freiheit des Handelns jeined Helden 
zu fuchen. Wir würden, wie Binder (S. 111) audeinanderjegt, 


m mm — ——— — e — 


Wallenſtein. 527 


auf dieſe Weiſe nur einen moraliſchen Zuſammenhang der Be⸗ 
gebenheiten erhalten, wo das Verbrechen zwar den verdienten 
Lohn bekommt, ein höheres tragiſches Moment indeſſen nicht 
zu erfennen wäre. 

Es ift allerdings richtig, daß Wallenftein, die Gräfin, Thekla 
und befonders auch Buttler (vergl. PB. III, 8, B. 69 u. 71; T. 1,7, 
8.211; T. 11,3, 8. 67; T. I, 15, 8.160; T. IV, 1,81; T. 
IV, 6, 2. 26 u. 47; T. IV, 8, 8.17 u.43; 3. IV, 12, ®. 23; 
T. V, 3, V. 38 u. 103; T. V,4, 3.54 u.77) viel von der &e- 
walt des Schickſals fprechen, und daß es dem Dichter augen: 
Iheinlih Mühe gekoſtet hat, die menfchliche Yreiheit und das 
Schickſal in rechted Gleichgewicht zu bringen. Indeſſen leuchtet 
doch aus allen diefen Stellen nichts anderes ald dad Bedürfniß 
des menjchlichen Herzend hervor, dad Walten einer höheren 
Macht anzuerkennen; auf die eigentliche Berwidelung und Löſung 
der Handlung haben fie feinen Einfluß. Nur der Charakter und 
die eigene Handlungdweije ded Helden führen feine bedenkliche 
Lage herbei; die in Außficht ſtehende Abfegung legt. ihm den 
Verrath nahe, und jo thut er die Schritte, die zur Ausführung 
defielben nöthig find. Died find die Verhältniſſe, mit benen 
Wallenfteins Schuld unauflöslich verbunden ift, aber von einem 
blind waltenden Verhängniß tft durchaus nicht die Rede; man 
Tann daher auch nicht behaupten, daß die Tragödie am Schluß, 
weit davon entfernt, „die Haupfforderungen der Empfindung zu 
erfüllen, vielmehr einen berben und troftlofen Eindrud zurüd: 
laſſe.“ Eben jo wenig fann man, wie Hoffmeiſter e8 thut, von 
einer ©etheiltheit der Principien jprechen. ©erlinger, den wir 
in ber „Braut von Meſſina“ an verjchiedenen Stellen citirt 
haben, fagt: „das blinde Schidfal in der Br. v. M. ift um jo 
befrembdender, ald Sch. Beweiſe von dem richtigen Standpunkt 
feiner Anfiht über die Behandlung der Schidjaldidee durch 
feinen Wallenjtein gegeben hat.“ Und allerdings entipringt hier 
Das Schickſal ded Helden aus feiner eigenen Bruft; mit Der 
Freiheit, die ihn reizt, beginnt jeine Thätigfeit, wie der Streit 


528 Hallenitein. 


in feinem Innern. Wäre er in dem Geleije geblieben, das bie 
Pfliht dem Menjchen vorzeichnet, jo hätte er in Frieden warn 
bein können; nun aber tritt er in der Weberfülle feiner Kraft 
aus der Bahn bed Rechten heraus und fällt jomit den tüdiichen 
Möchten anheim. Auch weiß Wallenftein jehr wohl, was er 
tbut, denn mitten in dem wilden Kriegerleben treten ihm Pflicht: 
treue und Achtung vor dem Dienfteide gegenüber; Wrangel 
fpriht von Treubruch und Felonie; Mar warnt ihn, ſich mit 
dem Namen eined Verräthers zu brandinarfen; er felbft weiß 
ed, dat die Welt ihn fireng tadeln wird, und tft auch weit ba» 
von entfernt, feine That zu bejchönigen, aber vom Ehrgeiz ge 
ſtachelt, von einer unglüdlichen Verkettung ber Umftände gedrängt, 
thut er den gefährlihen Schritt. Auch ahnt er ſehr wohl, was 
ihm bevorfteht, er weiß (T. 1,7, V. 207— 213): 
— — — — „Sede Unthat 

Trägt ihren eignen Racheengel ſchon, 

Die böſe Hoffnung, unter ihrem Herzen. 
aber die VBerhältniffe haben nun einmal die beflagendwerthe &e: 
ftaltung angenommen; dedhalb fährt er fort: 

„Er kann mir nicht mehr trauen — fo kann ih auch 
Nicht mehr zurüd. Gefchehe denn, was muß. 


Recht ftetd behält das Schidfal, denn bad Herz 
. In uns ift fein gebietrifcher Vollzieher.“ 


Und ba der „Rnäuel (8. III, 15, B. 158), der fih endlos felbft 
vermehrend wächft“, fich nicht entwirren läßt, jo ſpricht eine 
Stimme in feinem Innern: 


— — — — ‚Er muß zerhauen werden, 
Sch fühle, daß ich der Manu des Schickſals Bin.” 


Das heit aber nicht ein willenlojed Werkzeug eined blinden 
Verhängniſſes, jondern ein Mann, der die Kraft und den Muth 
in fih fühlt, mitten unter den Trümmern geloderter Stantöver- 
bältnifje eine neue Ordnung der Dinge beraufzuführen, dem die 
Worte der Gräfin wie aus dem Herzen gefprochen find: 


MWahenftein. 529 


„Entworfen bloß iſt's ein gemeiner Frevel,, 

Vollführt iſt's ein unfterblich Unternehmen; 

Und wenn ed glüdt, jo ift ed andy verziehn, 

Denn aller Ausgang tft ein Gottedurthel.“ 
Aber es jollte eben nicht glüden, fondern eine geheimnißvolle 
Macht, die weiter blidte, mit einem Worte, der Geiſt der fitt- 
lichen Weltordnung follte den Sieg davon tragen, er war das 
Schickſal, welches bier Recht bebielt, während der Held des 
Drama’d der rächenden Nemefid anheim fiel. Außerdem aber 
fam es dem Dichter nicht allein darauf an, unfer Herz zum 
Mitleiden zu bewegen, jondern er wollte unjere Seele auf einen 
höheren Standpunft erheben, wie wir ihn jedesmal einnehmen, 
wenn wir eine energifche und kräftige Natur unter der Ungunft 
der Berhältnifie zufammenbrehen ſehen. Das war ihm „das 
große gigantiihe Schidfal, welches den Menſchen erhebt, wenn 
ed den Menſchen zermalmt.” 

Auf diefe Weije iſt die Schidjalöidee, eben jo wenig wie 
bie Liebesſcenen zwiihen Mar und Thekla, im Stande, und das 
wahrhaft objective Lebensbild zu verfümmern, welches uns der 
Dichter in feinem Drama entwirft; und jelbft diejenigen Kritiker, 
welche fich verpflichtet fühlten, diejen beiden Momenten des 
Werkes ald einer fubjectiven Zuthat ihre anerfennende Zuftim- 
mung zu verjagen, jtimmen doc, mit in die Bewunderung ein, 
welche dem gewaltigen Stüde von allen Seiten gezollt wird. 
Goethe jagt in feinen Geiprädhen mit Edermann: „Man foll 
nie Semand fragen, wenn ınan etwas fjchreiben will. Hätte mich 
Sch. vor feinem Wallenftein gefragt, ob er ihn fchreiben folle, 
ich hätte ihm ficherlich abgerathen, denn ich hätte nie denfen 
fönnen, daß aus ſolchem Gegenftande ein überall jo vortreffliches 
Theaterftüd wäre zu machen gewejen.” Und allerdings ftanden 
dem Gelingen der Abeit zwei gewichtige Umftände bindernd im 
Wege Ald Sch. fi der dramatijchen Poeſie wieder zumandte, 
waren die Zuftände um ihn her jo verrottet, daß ihm weder 
das öffentliche, noch das Yrivatleben irgend welche brauchbaren 

II. 34 


— — —— 


r 


530 Ballenftein. 


Bühnencdharaltere darbot; und die Welt, Die fi inzwilchen in 
feinem Innern geftaltet, war eine Frucht feiner langjährigen 
Beihäftigung mit der Philoſophie und der Geſchichte. Aber 
gerade die beiden letzteren Momente find ed, die dem Werke in 
ben Weg traten und nad) Goethe's Ausſpruch „den reinen poeti- 
ſchen Succeß” Hinderten. Durdy die Bearbeitung der Geſchichte 
des dreikigjährigen Kriege® war der Dichter Herr eine? gemal: 
tigen Stoffes geworden, der fich bei ihm nothwendiger Weije 
dramatifch geftalten mußte, während die philoſophiſchen Sdeen, 
die feine Seele durchzogen, danach rangen, ein poetiſches Ge⸗ 
präge anzunehmen. Aljo Fülle des gefchichtlichen Materials 
einerjeitd und Reichthum von Ideen andererjeitd, dad find die 
beiten Gewalten, mit denen ber Dichter hier den Kampf auf: 
nahm, aus dem er allen Regeln der Kunft zum Trozz ſchließlich 
als Steger hervorging. Sn Beziehung auf den leteren Punft 
jagt Süvern (S. 1V) mit vollem Rechte: „Ich weiß nur zu gut, 
auf welchem groben Mißverjtändniffe unfere Kunftlehren und 
Poetiken beruben. Das Einzige, was man thun kann, ift, ein 
ſchon vorhandenes, durch eigene Schöpfungdfraft erzeugtes Kunſt⸗ 
wert genetijch erflären. So hat jeded Gedicht feine eigene Poetik 
wie feine eigene Erflärung, und jede Dichtungsart eine allge: 
meine Theorie ihrer Entjtehung, die fih nie in Regeln und 
Formeln verwandeln läßt, ohne alle Entfremdung vom Geiſte 
der Poeſie.“ Diefe Worte, obwohl zu Anfang diefed Jahrhun— 
derts gejchrieben, erjcheinen und auch jest noch beherzigenswerth 
und finden auch auf unjer Drama ihre volle Anwendung. Was 
diejer oder jener Theoretifer Dagegen auch vorbringen mag, Sc.’3 
Wallenſtein ijt, wie Goethe gegen Edermann äußert, jo groß, 
daß zum zweitenmal nicht Aehnliches vorhanden ift; und To: 
maſcheck nennt ihn mit Recht „ein echt deutſches Werk, nicht 
allein dem vaterländiichen Stoffe nach, fondern auch wegen des 
Reichthums und der Tiefe der Gebanfen, wegen jeiner fitt- 
lien Bedeutung und der Idee der Treue, von welder es 
erfüllt iſt.“ 


En — ——— 
um 


Ballenftein — Wallis. 531 


Mag ed aljo immerhin fein, daß der Dichter die fubjective 
Seite jeined Weſens bier noch nicht volljtändig gebändigt hat; 
daß feine Ideen ihn fortreißen und als bedeutungsvolle Sen: 
tenzen in dem Munde von Perjonen erjcheinen, denen man foldhe 
Gedanken nicht zutrauen follte: dieſe Sdeen ftehen doch in leben: 
digem Zufammenhange mit dem Geifte, welcher dad ganze Stüd . 
durchweht; fie find da8 Product einer organifchen Entwidelung, 
bei der wir die jchöpferijche Kraft des dichterifchen Genius aus 
dem weltgejhichtlichen Inhalte mächtig hervorbrechen ſehen. Daß 
die Wirkung eined ſolchen Werfed eine gewaltige fein mußte, 
versteht fich von felbft. Tieck fagt: „Wallenſteins mächtiger Geift 
trat unter die Tugendgefpenfter ded Taged. Der Deutiche ver: 
nahm wieder, was feine herrliche Sprache vermöge, welchen 
mächtigen Klang, weldje Gefinnungen, welche Geftalten ein 
echter Dichter wieder hervorzurufen babe. Diejed tiefjinnige, 
reihe Werk ift ald ein Denkmal für alle Zeiten hingeftellt, auf 
welches Deutſchland ftolz fein darf, und ein Nationalgefühl, ein: 
heimiſche Sefinnung und großer Sinn ftrablt und aus dieſem 
reinen Spiegel entgegen, damit wir wiſſen, was wir find und 
wad wir waren.“ Aber wir haben auch daraus gelernt, waß 
wir wieder werden jollten, denn (um mit Hoffmeifter zu reden) 
„ein edler Triegeriiher Geift ergoß fih, von diefem herrlichen 
Werke audgehend, durch die deutſche Tugend, umd in dem rein 
menfchlich gehaltenen Bilde des heimathlicyen Lebens lernte der 
Deutfche endlich die längſt verfehwundene Liebe zum Vaterlande 
wieder ahnen.” Und jo wird Sch.'s Wallenftein, je öfter wir 
ihn lejen, und je tiefer wir in ihn eindringen, und immer neue 
Schönheiten enthüllen, und immer neue Schäße |penden, fo daß 
wir mit Goethe's Worten fpredhen können: „Es ift mit diefem 
Stüde wie mit einem audgelegenen Weine; je älter er wird, 
defto mehr Geſchmack findet man an ihm.” 

Wallis (J. v. O. II, 7). Diefe für ven Vers brauchbarere 
Namendform ſetzt Sch. ftatt ded üblichen Wales“ (pr. Uähls). 
Es ift der Name ded Fürſtenthumes im weftlihen England, 

84 * 


532 Wallonen — Walther. 


defien Einwohner „Wallifer” (engl. Welshmen) genannt, celtijchen 
Stammes find. Wir möchten nebenbei unfern Leſern das rei- 
zende Buch von J. Rodenberg: „Ein Herbit in Wales“ zur 
näheren Kenntniß des jo vielfach anziehenden Ländchens em- 
pfehlen. — Wallifer (J. v. O. IV, 1) ift Montgomery (1. 
Perf.: Berz.). 

Wallonen (Wit. L. 11) werden die franzöfiich redenden Be- 
wohner des öftlichen Belgiens mit Küttich (Liege) genannt, daher 
walloniſch (ft. 8. Perf.-Berz.) f. v. w. niederländiih. Es 
ift möglich, daß dieſes Wort mit „Gallier“ und andererjeitd mit 
dem Ausdrud „Wälfcher“ zufammenhängt, mit dem die Deutichen 
alles Fremde, Romanifche, und beſonders Stalienijche oder Yran- 
zöfifche bezeichnen. Auch Wales (fra. pays de Galles) und der 
fchweizeriihe Canton Wallis (frz. Valais) gehören dahin. Sp 
wurde auch Ober: Stalien (das alte cisalpiniſche Gallien) Wälſch⸗ 
land (W. T.1,4 u. II, 2) und beflen Bewohner befonders tm 
Gegenſatz zu Deutihland Wälſche (Wit. L. 11) genannt, weB: 
halb (Picc. IV, 5) der aus Stalien ftammende Mar Piccolomini 
und (Picc. IV, 5) der Spanier Maradad ala MWälfche bezeichnet 
werden. Eben jo ift „ein wälſches Huhn“ (Zur. Il, 2) nichts 
Anderes als ein ausländiſches Huhn. 

Wälſche 

Waͤlſchland 


Walſingham (M. St. II, 4), ein berühmter engliſcher Staats⸗ 
mann und Geſandter in Frankreich, wurde 1573 von der Königin 
Eliſabeth zu deren Staatsſecretair ernannt und ging 1581 zum 
zweiten Mal nach Frankreich, um die Unterhandlungen wegen 
der Vermählung ſeiner Monarchin mit dem Herzoge von Anjou 
zu leiten. Er leiſtete derſelben zur Befeſtigung ihrer Regierung 
weſentliche Dienſte, gehörte zu den entſchiedenen Gegnern der 
Maria Stuart und ſtarb 1590. 


Walther u. Wilhelm, Tells Knaben (W. T. Perf.:Berz.); 
ihre Namen ſtehen in der Chronik von Johann von Klingenberg. 


ſ. Wallonen. 


Wamms — Waräger. 533 


Wamms (Wit. 2. 6), von Wamme, d.i. Bauch; ein Klei⸗ 
dungdftüd, welches die Bruft umd ben Leib bededt; daber auch 
Pelzwamms (W. T. IL, 1). 

Wappen find Zeichen für Länder, Städte, Familien ober 
einzelne Perfonen, damit befonderd die leßteren bei dem Anblid 
derfelben ihres Urfprunges ſich erinnern jollen. Ste beftehen in 
erfjonnenen bildlihen Darftellungen, beren einzelne Theile ent- 
weber der Natur oder der Kunſt entlehnt, oder rein willfürlich er- 
funden find. Zur Ausführung derjelben bedient man fich theild ge- 
wöhnlicher, theild metalliicher Farben ober deutet Die legteren durch 
verſchiedenartige Schraffirungen an. Die Wappen find jo alt wie 
die Turniere, kamen alfo etwa zu Anfange des 13. Jahrhundert? 
"auf. Als Unterfheidungszeichen für gewiſſe Geſchlechter und Fa— 
milien mußten ſie diefe oder jene Würde, oder den Befig irgend 
eined Rechtes anzeigen, was bei neu auftretenden Perjonen dann - 
auch zu neuen Wappen Beranlaffung gab; daher (Picc. IV, 4): 


„Ganz neue Wappen kommen auf und Namen.“ 


Bei adeligen Familien befand fi über dem Wappenfchilde ein 
Helm, bei fürftlihen ein Hut, bei Eaijerlichen und Löniglichen 
eine Krone; daher jagt Mortimer, um der Maria Stuart feine 
Weberzeugung von ihrem Anreht auf den engliihen Thron 
darzulegen (M. St. I, 6): 
„Biel alte Wappenbücher ſchlug ich nad.” 

Yürftlihe Häufer pflegten einen Wappenherold im Solde zu 
haben, d. b. einen Beamten, der die Wappenkunde verjtand und 
die Nichtigkeit der Wappen zu prüfen hatte. Er erjchien bei 
Zurmieren und auch als Gefandter im Kriege, bei welchen Ge— 
legenheiten er eine bejondere Kleidung, einen mit dem Wappen 
ſeines Fürſten gejtidten Rod trug: daher (3.0. O. 1, 11): „Did 
Ihüpt dein Wappenrod.“ 


Waräger (Dem. I.), ein dänticher Volksftamm, welcher ſich 
862 unter Rurik (aud dem Stamme Ruß) da3 nördliche Rup- 
land unterwarf. 


534 Marbed. 


Warbed (Bd. 7). Während Sch. mit dem Stubium ber 
Quellen für die Bearbeitung feiner Maria Stuart beichäftigt 
war, bot ſich ihm gleichzeitig der Keim zu einem anderen Drama 
dar; denn in einem Briefe an Goethe (20. Aug. 1799) fpricht 
er von der „Spur zu einer neuen möglichen Tragödie“, für 
welche er aus der Geichichte nur die allgemeine Situation, Zeit 
und Perſonen nehmen, alled Webrige aber poetijch frei erfinden 
wollte, eine Idee, welcher Goethe vollftändig beiftimmte. Diejer 
neue Stoff war die Gejtalt des Warbed, der indefjen vorläufig 
vor der Jungfrau von Drleand. zurüdtreten mußte. Als Diele 
jedoch beendet war, fchrieb er (28. Juni 1801): „Das Schau: 
jpiel fängt an, ſich zu organifiren, und in acht Tagen denfe ich 
an die Ausführung zu gehen. Der Plan ift einfach, die Hand: * 
lung rafch, und ich darf nicht bejorgen, ind Breite getrieben zu 
werben.” Kurz darauf begab er fich ernitlich an die Arbeit, zu 
der er jedoch nach mandherlei Abhaltungen erft im Herbit wieder 
zurüdflehren konnte; indejlen ift es bei dem bloßen Entwurfe 
geblieben. Die gejammelten Werfe geben den im auf ber 
Sahre vollitändig ausgearbeiteten Plan nebit einigen Yragmenten 
aus d.n erjten Scenen des erjten Acts. 

Zum Verſtändniß diejed nächſt dem Demetriud dad meiſte 
Intereſſe gewährenden Fragments ift es nöthig, einen kurzen 
Blick auf die engliiche Gefchichte zu thun. Nachdem von dem 
Jahre 1066 bis 1454 dad normänniſche Bolt mit abwechſelndem 
Glück die Herrſchaft über England geführt, kam mit Heinrich II. 
dad Haus Anjou oder Ylantagenet auf den Thron, welches bis 
1455 herrſchte. Aus diefem Haufe heben wir um des Berjtändnifjes 
der in den Entwurf vorkommenden verwandtichaftlichen Verhält— 
niffe willen Eduard III. (1327 — 77) hervor. Er hatte vier Söhne: 
1) Eduard, Prinz v. Wales, der ſchwarze Prinz genannt, defien 
ſchwacher Sohn Richard II. dur Heinrich IV. von Kancafter 
entthront wurde und 1440 im Gefängniß ftarb. 2) Lionel, Herzog 
von Glarence, deſſen Enteltochter Anna fih mit Richard von 
Vork vermählte. 3) Johann von Gaunt, Herzog von Lancafter, 


Warbeck. 535 


aus weldyem Haufe (1399— 1461) Heinrich IV, V. u. VI. regterten 
und mit welchem dad Haus York die Kriege ber rothen und 
weißen Roſe (ſ. d.) führte. 4) Edmund von York, deſſen bereitö 
genannter Sohn Richard Lioneld Tochter Anna beirathete. Der 
Sohn der beiden legteren, Richard von York, war während der 
Gemüthskrankheit Heinrichs V. zum Protector ernannt worden 
und erhob mit Rückſicht auf feine Abftammung von einem älte- 
ren Sohne Eduard3 II. Anſprüche auf die Krone, fiel jedoch 
1460 im Kampfe; jein Sohn Eduard IV. aber fiegte über Hein- 
rih3 VI. Gemahlin Margarethe. Da indefjen Eduards Bruder, 
der Herzog von Clarence und der Graf Warwid Heinrih VI. 
wieder auf den Thron erhoben, fo mußte er nach den Nieder: 
landen fliehen, wo er bei feinem Schwager Karl dem Kühnen 
Unterftügung fand. Als er mit defien Hülfe gefiegt, ließ er 
Heinrich's VI. Sohn tödten und regierte bis 1483, wo ihn jein 
Sohn Eduard V. folgte, der aber ſchon zwei Suhr darauf durch 
feinen Oheim Richard III, den Sohn des oben genannten Pro- 
tectord, ermordet wurde. 

Schon während Heinrich VI. fi) auf dem durch viele Ver: 
brechen erworbenen Throne zu befeftigen juchte, bradhen Spal- 
tungen zwilchen ihm und jeinen Verbündeten aud. Die Anhänger 
des Haufes Kancafter richteten ihre Blicke auf den Grafen Heinrich 
von Richmond, der mütterlicyerfeit3 aus dieſem Gefchlechte ab: 
ftammte und zur Zeit an dem Hofe des Herzogs von Bretagne 
lebte. Von Karl VIII. von Frankreich unterftügt, landete Heinrich) 
an der Küfte von Wales ti. 3. 1485. Richard III. z0g ihm zwar 
entgegen, wurde indefien von Lord Stanley (I) mit 7000 Mann 
verlafien. So verlor Richard in der Schladyt bei Bodworth 
nicht allein die Krone, fondern zugleich das Leben. Noch auf 
dem Schlachtfelde wurde Richmond als Heinrich VII. (I) zum 
König audgerufen. Die Dynaftie Plantagenet hatte ſomit auf 
dem englichen Throne ihr Ende erreiht, und mit ihr hörte 
auch der fünfunddreigigjährige Bürgerkrieg zwijchen den beiden 
Roten auf, Da Henrich dad Verſprechen gegeben hatte, fich mit 


536 Warbeck. 


der Prinzeſſin Eliſabeth v. Hort, Eduard's IV. älteſter Tochter 
zu vermählen, deren Rechte auf das Erbe ihres Vaters unbe: 
ftreitbar waren. Die Anſprüche der rothen und weißen Roſe 
wurden auf dieſe Weiſe in einer Familie vereinigt. Heinrich VII. 
(1485 — 1509) gelang es bald, der eingerifienen Verwilderung 
Meifter zu werben; indefien wußte er recht gut, daß er eigent: 
lih nur dadurd König geworden war, daß Richard III. Gegner 
ihn gewählt hatten. Cr mußte daher dad, was er durch Waffen: 
gewalt errungen, auch zu behaupten ſuchen, um fo mehr, als 
ein Graf Eduard v. Warwic, ber 15jährige Sohn des Her: 
3098 von Clarence vorhanden war, der ald ein Sprößling des 
Haufes York feine Beforgniß erregte. Diefen Knaben, welcher 
ſchon unter Richard forgfältig bewacht worden war, ließ er gleich 
nach feinem Siege in den Tower bringen. Außerdem vollzog 
er feine Bermählung mit Elifabeth erft i. 3. 1486, da er feinen 
Anſpruch auf die Krone nur auf dad Recht ded Haufes Lan: 
cafter, nicht aber auf feine Verbindung mit einer Horkichen Prin: 
zeffin gründen wollte Hierzu Fam, daß er Die Anhänger ber 
Yorkſchen Partei auf alle mögliche Weiſe zurüdjegte, und jo 
entftand bald Unzufriedenheit, welche die Quelle erneuerter Un⸗ 
ruben wurde. Zunaͤchſt ftellte ein irländiicher Priefter, Richard 
Simons, einen faljhen Kronbewerber auf, der ihn verdrängen 
follte. &8 war Lambert Simnel (III), eined Zijchlerd, nad 
Anderen eined Bäderd Sohn, der fi für den Grafen Eduard 
von Warwic (bei Sch. Eduard Blantagenet [I] od. Eduard 
v. Clarence [II]) auögeben mußte. Warwic's Vater, ber 
Herzog von Clarence, war lange Zeit Vice: König von Irland 
gewejen; ed war daher nicht auffallend, dag Simneld Angabe, 
er fei aus dem Tower entwilcht nnd nad dem Lande jeiner 
Sugend entflohen, Glauben fand. "Befonderd nahmen ſich der 
Graf v. Kildare (IV.), Bice-Statthalter von Srland und Haupt 
ber dort herrichenden Yaction, fo wie deffen Bruder, der Kanzler 
von Srland, ded jungen Menfchen an, ftellten den vorgeblichen 
legten männlidden Sprößling aus den Hauje Plantagenet dem 





Warbeck. 537 


Adel und den Bürgern von Dublin vor und verſprachen ihm 
Schutz gegen ſeine Feinde. Da die meiſten Einwohner Irlands 
dem Haufe York ergeben waren, ſo rief man ihn denn auch 
al8 Eduard VI. zum König aus. So wie Heinrih von diefen 
Borfällen hörte, ließ er den wirfliden Eduard v. Warwic aus 
dem Tower holen, ihn in Procefiion durch die Straßen von 
London führen und nahm ihn mit fih nach feinem Lieblings: 
Ihlofje, dem Palaſt von Shone (oder Shene, wie er in R. Pauli's 
Geſchichte genannt wird). Inzwiſchen war Simnel mit einem 
Heere nah England übergejeßt; aber Heinrich) zog ihm ent- 
gegen, fchlug ihn (1487) bei Stofe in der Grafſchaft Nottingham 
und nahm ihn gefangen. Der Priefter Richard Simons mußte 
feine Verwegenheit in dem Kerker büßen, Simnel aber wurde 
zum Küchenjungen gemacht, und fpäter, da er fidh gut führte, 
unter die Yalfeniere ded Königd aufgenommen. 

Ein zweiter Betrug wurde fünf Jahre fpäter von der York: 
Ihen Partei verfuht. Ein junger Menſch, der nad) feinem 
eigenen Geſtändniß Peter Osbeck hieß, von den Engländern 
aber, man weiß nicht aus welchem Grunde, Berfin Warbec 
genannt wurde, war der Sohn eined getauften Juden aus 
Tournay in Holland und zeichnete ſich durch eine auffallende 
Aehnlichkeit mit Eduard IV. aus. Bon ihm hörte die ehrgeizige 
Herzogin von Hort, Margarethe von Burgund (D, Karls 
des Kühnen Wittwe und Eduard's IV. Schweiter, die damals 
in Brüflel lebte; fie Tieß ihn vor ſich kommen und erfannte ihn 
als ihren Neffen an. Da Heinrich's VII. Härte gegen ihr Haus 
fie innerlich empört hatte, jo entjchloß fie fi), den jungen Warbec 
zu bemußen, um an ded Königs Sturze mitzuarbeiten. Sie gab 
ihm einen Hofftaat, ſetzte ihn von allen Berhältniffen des engli- 
fchen Hofes genau in Kenntniß und fand bald einen gelehrigen 
Schüler. Ihr Plan war, ihn für den zweiten Sohn Eduard IV. 
auözugeben. Es wurde alfo das Gerücht audgeiprengt, die von 
Richarb III. gedungenen Mörder hätten-nur den älteften Sohn 
Eduard getödtet, der jüngere aber, Richard von York (I) jet 


538 Warbed. 


enttommen, halte ſich vorläufig noch verborgen, werte jebod 
binnen Kurzem öffentlih auftreten, um jeine Rechte geltend 
zu machen. 

Mit Geld und gutem Rathe hinlaͤnglich audgeftattet, machte 
fih Warbec auf den Weg und trat, wie jein Vorgänger Simnel 
zunächſt in Srland, dem eigentlichen Heerde der Unzufriedenheit, 
auf. Bon bier begab er ſich nad) Frankreich zu Karl VIIL., der 
mit Heinrih VII. im Kriege begriffen war; indeflen fand er 
bier nicht die gehoffte Unterftüßung, da beide Monarchen bald 
darauf Frieden mit einander fchloffen. Heinrich hatte zwar die 
Auslieferung Warbecd verlangt, Doch wollte ſich der König von 
Frankreich hierzu nicht verjtehen. Der junge Abenteurer begab 
fih nunmehr nad) Burgund, wo er bald großes Aufjehen er: 
regte. Margarethe that anfangs, ald glaube jie von dein ganzen 
Vorgeben nichtd, ließ Warbec in Gegenwart vieler Zeugen vor 
fih kommen, fragte ihn aus, jtellte fich höchlich überraſcht und 
von der Wahrheit jeiner Ausfagen überzeugt und umarmte ihn 
als ihren Neffen. Sept rüjtete fie ihn öffentlid mit Geldmitteln 
aus und ermuthigte ihn, jeine Anfprüde auf den englijchen 
Thron durchzuſetzen. Bald durdygog das Gerücht von dem neuen 
Kronprätendenten ganz England; Heinrich aber war wachſam, 
durdhfchaute den ganzen Plan und machte den Betrug, welchen 
man ihn fpielen wollte, öffentlich befannt. Warbec kam zwar 
nah England; aber jein Unternehmen blieb bier ohne allen Er: 
folg. Bon feinen Truppen wurden viele gefangen genommen 
und ohne weitere aufgehängt. Sept machte er einen zweiten 
Berfuh in Irland, fand aber auch hier nicht die frühere Auf- 
nahme. Er ging daher nach Schottland zu Jacob IV., der ihn 
nicht nur anerkannte, jondern ihn fogar mit einer Verwandten, 
Katharina Gordon, verheirathete. Hierauf begleitete der König 
thn felbjt mit einem Heere nach England, defjen alter Haß gegen 
die Schotten jogleich aufd neue hervorbrach und auch dieſes Unter: 
nehmen vereitelte. Heinrich drang fiegreich vor, und Sacob mußte 
unverrichteter Sache wieder abziehen. 


En 





Warbed. 539 


Nunmehr ging Warbec nad Cornwall, wo Heinrichs neue 
Steueredicte allgemeine Unzufriedenheit hervorgerufen hatten. 
Zwar gelang ed ihm, eine große Anzahl Mißvergnügter unter 
feine Fahnen zu verfammeln, aber Heinrichs Energie zerftreute 
die fchlecht geführten Schauren, und Warbec jelbft mußte in 
einer Capelle zu Beaulien Schug ſuchen. Da der König ihm 
Schonung jeined Lebens verjprechen ließ, jo ergab er ſich, wurde 
im Triumph nach London geführt und bier in den Tower ge: 
worfen. Damit aber war feine Rolle noch nicht audgelpielt; 
denn in dem Gefängniß lernte er den Prinzen Eduard von 
Warwic kennen, mit weldem er aldbald Entwürfe zu beider 
Befreiung ſchmiedete. Es gelang ihnen auch wirklich zu ent: 
kommen und einen neuen Aufitand zu erregen; aber auch diejer 
ſchlug fehl und Eoftete beiden dad Leben. Warbec wurde (1499) 
in Tyburn gehängt, und Warwic, nachdem man ihn des Hoch: 
verraths angeflagt, enthauptet. Somit war auch der lebte York 
aus dem Wege geräumt. 

Bon dieſen hifterifchen Thatfachen finden wir in Schillerd 
Entwurf nur die Perjonen und einige der hervorragenditen Mo- 
mente wieder; im Webrigen ift das Ganze eine frei erfundene 
Fabel auf Hiftoriihem Grunde. Denn zunächſt treten die beiden 
Prätendenten Simnel und Warbec, deren Beftrebungen in der 
Geſchichte der Zeit nach völlig audeinanderliegen, bier perjönlich 
gegenüber, und auch die Zufammenftellung von Warbec und 
Eduard von Warwic (bei Sch. Eduard Plantagenet) nimmt 
einen ganz anderen Charakter an; außerdem aber läßt ber 
Dichter feinen Helden, ftatt ihn in Schottland zu vermählen, 
einen Liebedconflict mit zwei fingirten Perſonen, einem Prinzen 
Erich von Gothland und einer Prinzeffin Adelaide von Bre- 
tagne durchmachen, wodurch der dramatiſchen Entwidelung feiner 
politiichen Beftrebungen ein anziehendes, rein menjchliches Motiv 
hinzugefügt und das Snterefie für feine Perſon bedeutend er: 
höht wird. 


540 Warbed. 


Unter Schiller's Commentatoren hat Joſ. Bayer, dem wir 
in Nachſtehendem folgen, dem Charakter des Warbec bie meiſte 
Aufmerffamfeit gewidmet und gezeigt, wie derjelbe und aus Dem 
Fragment ziemlich fcharf entgegentritt. Wie Warbec dazu kommt, 
die ihm aufgedrungene Rolle zu jpielen, bat der Dichter nicht 
angegeben, inbefien hatte er Die Abficht, im Berlauf des erften 
Acted den Zuſchauer mit feiner Borgejchichte bekannt zu machen. 
Die Stelle: „Die Herzogin übernimmt ed, fte vorzutragen“ deutet 
dies an; ed war alfo in diefer Beziehung noch ein Theil der 
Fabel zu erfinden und das entichloflene Auftreten des Helden 
zu motiviren. Ein gejegter Exrnft, ein gewifier Grad von fürft: 
liher Würde, gejtügt auf einen dunfelen Glauben an feine er- 
habene Abkunft, ſollte ihn charakterifiren, Damit der Zufchauer 
den Eindrud bekäme, ald babe der Betrug ihn auf den Platz 
bingeftellt, zu welchem er durd feine Natur berufen iſt. Noch 
unflar über fich jelbjt und die Rolle, die er zu fpielen hat, ift 
er doch von einem gewiflen &lauben an die Reinheit jeiner 
Beweggründe befeelt, denn er betrachtet ed nur ald eine Pflicht, 
nicht aber als ein Glück, daß er feine Rechte behaupten muß. 
Diefe nah Selbjtändigkeit ftrebende Natur befindet fi in ber 
Gewalt eines ehrgeizigen, Rache brütenden Weibes, der Herzogin 
Margaretha von Burgund, die ihn eigentlich nur ala ihr Bert: 
zeug betrachten will. Deshalb erkennt fie ihn öffentlih an und 
erweift ihm in Gegenwart Anderer alle mögliche Ehre, während 
fie ihn im Geheimen verächtlich behandelt und ihm die geſpen⸗ 
deten Mittel wieder zu entziehen ſucht. Da er ſich thr gegenüber 
nicht jo unterwürfig zeigt, wie fie es wünjcht, jo verliert ber 
Betrug, den fie mit ihm fpielen will, allnälig feinen Reiz, und 
fie möchte fi bed Abenteurerd entledigen, defjen kühnes Auf: 
treten ihren Fuͤrſtenſtolz beleidigt. Indeſſen führt ein unvorber- 
gejehenes Ereigniß eine Kataftrophe herbei. Simnel, der vorgeb- 
lihe Eduard von Clarence, wird von Warbec im gerichtlichen 
Zweikampfe beflegt und entlarvt. SHierdurd erhält ber Glaube 


Warbeck. 541 


an den letzteren neue Nahrung, fein Anhang wächft, und er ſelbft 
nimmt gegen die Herzogin einen folgen Ton an. Sept ſieht fie 
ein, daß fie ihn nicht mehr ald ein willenlojed Werkzeug betrach⸗ 
ten kann. Dazu kommt, daß er von der Prinzeſſin Adelaide 
aufrichtig geliebt wird, welche fih der von der Herzogin profec- 
tirten Bermählung mit dem Prinzen Erich gern entziehen möchte. 
Was die Herzogin ihrem biöherigen Schüßling verjagt, das ſucht 
ihm die Prinzeffin zu gewähren; fie rüftet ihn mit Mitteln aus 
und Ichlägt ihm fogar vor, mit ihr zu entfliehen. Da erwacht 
jein beſſeres Selbft, er fühlt, daß er fich zu einem unwürbigen 
und gefährlichen Betruge bergegeben. Ihre Hand anzunehmen, 
verbietet ihm fein Chrgefühl, ihr die Wahrheit zu jagen, fein 
Stolz. Zu diefen ſchweren Seelenfämpfen kommt jeßt noch ein 
äußerer Conflict, indem ber rehtmäßige Kronprätendent, Eduard 
von Glarence ſich plöglich einfindet. Nun fteht Alles auf dem 
Spiel, wenn diejer nicht befeitigt wird; Warbec fühlt, daß er 
fih nur dur eine Reihe von Berbrechen behaupten, kann und 
verwünjcht ben erften Schritt, der ihn auf diefe Bahn geleitet. 
Da ericheint der englifche Botichafter und trägt ihm einen Ber- 
gleich mit Heinrich VII. an, wenn er feine Hand dazu biete, den 
echten York aus dem Wege zu jchaffen. Eines folden Berbre: 
hend unfähig, ſchickt er den Botichafter fort. Da er fich aber 
mit ihm eingelaflen, fo trifft ihn wenigftend die Strafe des Ber: 
dachts. Der Prinz von Glarence wird auf eine unerflärliche 
Weife vermißt, man vermuthet, er fei heimlich ermordet worden; 
und als Warbec vor der Herzogin erfcheint, bezeichnet ihn dieſe 
geradezu ald den Thäter und enthüllt den ganzen biöher gejpiel: 
ten Betrug. Zum Glück erjcheint in dieſem Augenblid Graf 
Kildare aud England, den Warbec biäher für feinen Vater ge- 
halten. Diefer Härt das ganze Geheimniß auf; Warbec ftehr 
in feinem Verwandtſchaftsverhältniß zu ihm, ſondern er ift ein 
natürlicher Sohn Eduard's IV., alfo doch ein geborener York. 
Hiermit Löft fi) dem Helden bed Stücks dad Räthſel feiner 


542 Warbeck. 


dunkelen Ahnung, er huldigt dem Prinzen von Clarence, den er 
aus Mörderhänden gerettet, als feinem rechtmäßigen Herrn und 
tft ſomit der Bürde entledigt, die feine Bruft bisher belaftet bat. 

Bergleiht man die eben gegebene Skizze, durch welche wir 
neben der Charafterentwidelung des Helden zugleich ben Gang 
der Handlung zu veranichaulichen verſucht haben, mit den vorher 
zufammengeftellten geihichtlichen Thatfachen, jo wird man Die 
hiſtoriſche Treue natürlich gänzlich vermiffen. Ein Drama, das 
eine Reihe ergreifender Situationen in wohlgeordnnetem Zufanımen: 
bange vorgeführt und einen beruhigenden Abſchluß gewährt hätte, 
das hätte ſich aus diefem Entwurfe allerdingd machen lafien; 
aber einer Tragödie, welche bei aller Freiheit des dichteriſchen 
Schaffens die Rechte der Gejchichte anerkennt, und wie fie Sch.'s 
in den legten Jahren feines Lebens allein würdig gewejen wäre, 
fonnte derfelbe nicht als Grundlage dienen. Hierin iſt der 
Grund zu ſuchen, wedhalb ſich Sch. fpäter anderen Stoffen zu- 
wandte und jchließlich der Bearbeitung des Demetrius vor der 
Ausführung des vorliegenden Entwurfes den Vorzug gab. 

Daß beide Entwürfe viel Berwandtes mit einander haben, 
läßt fich nicht verfennen. Warbec, der die Spuren feiner Her: 
kunft verloren, aber von einer dunfelen Ahnung befeelt ift, daß 
er zu etwas Höherem beſtimmt jei, jpielt anfangs die aufge: 
drungene Rolle eined Betrügerd, bi er fich ſelbſt erfennt und 
die edlere Seite feined Weſens rettet. Demetriud Dagegen bält 
fih gleich anfangs für den rechten Czaarenſohn, biß er, jeines 
Betruged inne werbend, vor fich ſelbſt erſchrickt und zum finftern 
Tyrannen wird, der als joldher feinen Untergang findet und jo: 
mit zum tragifchen Helden geeignet if. In beiten Entwürfen 
liegt das Verhängnißvolle theild in dem Conflict der beiden 
Helden mit den äußeren Berhältniffen, mehr aber nody in den 
Zerwürfniffen, von denen ihr eigened Innere bedrängt ift. Die 
Schwierigkeit, die hier zu überwinden war, lag aljo vor Allem in 
der Charakterzeichnung, in ber pſychologiſchen Entwidelung ber 
räthfelhaften Doppelnaturen, bei denen die eine oder die andere 


Wart — Wafler. 543 


Seite ihred Weſens nach und nad) zum Durchbruch fommen und 
Ichlieglich über den Gegner in dem anel Snnern den Steg 
erringen mußte. 

Wie Sch.'s Plan zum Demetriusd für mehrere Dichter Ber: 
anlafjung zur Bearbeitung defielben Stoffed geworden ift, jo bat 
auch fein Entwurf zum Warbed einen ungenannten Dichter ge: 
reizt, den Gedanken ded großen Meifterd zu verwirklichen. Die 
vor und liegende Arbeit, welche fich ftreng an den entworfenen 
Plan hält, ift zu Nürnberg bei Georg Winter 1842 unter dem 
Titel: „Warbed. Hiftoriihed Drama in fünf UT ic. er: 
Ichienen. 

Wart, ſ. Eihenbad. 

Wartthbum (3. v. D. V,9), von dem veralteten Warte 
(. v. w. dad Achtgeben), ein Thurm, von welchem aus die Um: 
gegend beobachtet werden fann. 


Waſſer, geweihtes (Wit. T. V, 2). Sn der Eatholijchen 
Kirche jpielt dad Weihwaſſer eine wichtige Rolle, da dem from: 
men Glauben zufolge dad Gebet reine Hände erfordert. Gegen: 
ftände, welche mit ſolchem Wafjer beiprengt find, werden ald 
geweihte &egenftände betrachtet, Die nur zu heiligen Zweden 
verwendet werden dürfen, wie (Br. v. M. 5, 472) eine geweihte 
Kerze. 

Waſſer, das tanzende (Tur. II, 1), In dem Mährchen 
„die zwei neidiſchen Schweftern“ aus „Tauſend und eine 
Nacht“) erzählt eine alte Frau der Prinzeifin Parijade von 
drei Wunderdingen, welche diefe in ihrem Garten zu befiten 
wünſcht: „Edles Fräulein, die erfte von den drei Saden ift der 
Iprehende Vogel; dies ift ein jeltfamer Vogel, Bülbülbeſar“) 
genannt, welcher die Eigenjchaft bat, alle Singvögel aus der 





*) Taufend und eine Nacht. Arabiſche Erzählungen. Zum erften Male aus 
dem Urtert vollftändig und treu überjegt von Dr. &. Weil. Stuttgart bei Rieger. 
1866. Bb. 3, ©. 301—338. 

**), ‚auf Berfifh: taufend Nachtigallen.” 


344 Wechſel — Weiden. 


ganzen Umgegend an fich zu ziehen, jo daß fie berbeilommen, 
um mit ihm zu fingen. Die zweite ift der fingende Baum, 
deſſen Blätter eben jo viel Zungen und Kehlen find, deren man: 
nigfaltige Stimmen unaufbörlidy einen höchſt anmuthigen Geſang 
bilden. Tie dritte endlich ift das goldgelbe Wafler (in älteren 
Ueberſetzungen „das tanzende Walter“), von dem man nur 
einen einzigen Tropfen in ein auäbrüdlich dazu an irgend einem 
Orte ded Gartens bereiteted Beden ausgießen darf, fo ſchwillt 
er alöbald dermaßen an, dab dad DBeden davon voll wird und 
aus ter Mitte eine Garbe von Waflerftrahlen hervoripringt, bie 
unaufhörlich auf- und niederfteigt, ohne daß jedoch das Waſſer 
überläuft." Auf Parifaden’s Bitte zieht erſt der eine, dann auch 
der andere ihrer Brüder aus, um unter vielen Gefahren dieſe 
Wunderdinge zu holen, beide aber werden in Steine verwandelt. 
Hierauf begiebt ſich die Prinzejlin felbft auf die Reife, beſteht 
das Abenteuer glücklich und erlöft zugleich ihre beiden Brüder. 


Wedel (D. ©. IV, 21 — Gſtſ. 10, 128) oder Wechſel— 
brief Cbildl. R. I, 1), eine jchriftliche Anweifung durch welche 
ber Aussteller dem Inhaber des Papiered die Zuficherung ertheilt, 
eine gewifle Summe Gelded aud den Händen eines Dritten in 
Empfang zu nehnten, wie dies bereitö jeit dem Ende des 12ten 
Jahrh. in Frankreich anfing üblich zu werden. 


wegbiren (R. II, 3), in der Diebesſprache ſ. v. w. ftehlen. 


Weiblihes Urtheil (Ged.), ein Epigramm aus d. &. 1796. 
Bergl. „ Yorum des Weibes.“ Was dort von dem Urtheil ber 
Frauen über die Männer gejagt ift, Daß gilt auch von ihrem 
Urtheil überhaupt. 


MWeihbild (M. St. I, 6), dad zu einer Stadt gehörige Ge- 
biet, an deſſen Grenzen man ehemald ein Heiligenbild aufzurich- 
ten pflegte. 


Weiden (Wit. T. IV, 3), baierſches Städtchen, ſüdweſtlich 
von Eger. 





Weib — Weihen. 545 


Weib, Der od. gew. die Weihe, eine zu dem Gefchlecht 
der Adler gehörende Abtheilung von Raubvögeln, welche den 
Uebergang von den Tagraubvögeln zu den Nachtraubvögeln bil- 
det. Die Stelle (W. T. IIL D: 

„Wie im Reich ber Lüfte 

König ifſt der Weih“ 
tt als eine rhetoriſche Figur und zwar ald Synekdoche anzujehen, 
indem ftatt der Art die Unterart genannt wird. 


Weihen, Die fieden (M. St. V, 7). Die katholiſche Kirche 
unterfcheidet vier niedere und drei höhere Weihen, durch welche 
Jemand in den geiftlihen Stand aufgenommen wird, und nimmt 
fomit fieben verjchiedene Grade von Mitgliedern defjelben an. 
1. Die Sacriftane und Glöckner, weldhe ed nur mit rein 
Außerlichen Gejchäften zu thun haben. 2. Die Lectoren, welche 
die Lection aus der Bibel vor der Gemeine lefen oder abfingen. 
3. Die Erorciften oder Teufelsbeſchwörer, die dem Prieiter 
bet der Taufe durch Ablejen der Beſchwörungsformel aſſiſtiren. 
4. Die Akoluthen, welche den Priefter bei der Mefje bedienen, 
ihm befonderd Wein und Waffer bei dem Abendmahl darreichen. 
— Durch dieje Eleineren Weihen erhält der Kandidat noch nicht 
den Charakter der geiftlihen Würde, da fie ihn zu feiner felb- 
ftändigen Amtshandlung berechtigen. Died thun erjt die höheren 
Weihen, welche zum Tragen der geiftlichen Amtskeidung und zur 
Zonfur berechtigen und zugleich zur Ehelofigfeit verbindlich ma- 
hen. Zu den brei oberen Graden von Geiitlihen gehören: 
5. Die Subdiafonen, welde die Auffiht über die heiligen 
Gefäße führen und die Epiftel vor der Gemeine abzufingen 
haben. 6. Die Diakonen, welde die Stola (j. d.) und bie 
Dalmatica (dad priefterliche Oberkleid) tragen, bei der Meſſe die 
Obleten audtheilen und taufen und predigen dürfen. 7. Die 
Priefter oder Presbyter, welche alle Sacramente verwalten 
bürfen mit Audnahme der Firmelung und ber Ordination. Zu 
den beiden Iepteren Handlungen find nur die Biichöfe berechtigt, 

o. BD 


546 Weihrauch — Weisheit und Klugheit. 


die zugleich fammtliche fieben Weihen, oder überhaupt die Wei: 
bung (Gftj. 10, 143) ertheilen. 

Weihrauch (M. St. V, 7), das Harz eines oftinbiiden 
Baumes [Boswellia serrata], dad bereitö in ben älteften 
Zeiten zum Räucdhern gebraucht worden tft. 

Weihung, |. Weihen. 

weiland, veraltet für ehedem, vormals; bei. als Beiwort 
vor dem Namen verftorbener Perjonen, um deren Berftorbenfein 
zu bezeichnen; daher „weiland Ernte” (R.I,1), die Ernte, 
mit der es vorbet tft. 

Weiler (MW. T. II, 2), jebt Dedweil, ein Thal bei Alpnach 
in der Nähe bed Roßberges, wo man noch jebt eine Höhle zeigt, 
in ber ebemald ein Drache gehauft haben ſoll. 

Weimar, Prinz von; Fürft von; Weimariſche Held; |. 
Bernhard. 

Weifen, Die fieben, Griechenland's (Zur. II, 3), berühmte 
Männer aus dem Zeitalter des Solon, die nicht nur in Staat 
angelegenbeiten eine wichtige Rolle fpielten, jondern ſich zugleich 
durch gehaltvolle Sinnfprüche audzeichneten, welde auf die Re 
geln der Sittlichfeit und Lebendweiöhelt Bezug hatten. Außer 
Solon werden zu ihnen gewöhnlich noch Thales, Pittakus, Bias, 
Chilon, Kleobülus und Periander gerechnet. 

Weisheit des Staubes (D. C. IV, 21), die gewöhnliche 
Lebensklugheit; vergl. daß folgende Epigramm. 

Weisheit und Klugheit (Ged.), ein Epigramm aus db. 3. 
1795, das man ald von Sch. an fich jelbft gerichtet betrachten 
kann. Er tft, wie mancher Andere, in feinem idealen Streben 
von dieſem oder jenem jich Hüger dünkenden Realiften verlacht 
worden. Allerdings gingen ihm dadurch manche nahe liegenden 
Bortheile verloren; das erhabene Ziel aber, das er muthvoll und 
rüftig verfolgte, hat er, wie er es bier prophetifch verfündet, 
glüdlich erreicht. Vergl. die Stelle aus D. &. unter „Weisheit 
des Staubes.“ 


a ——— nm en Pan 25 Fi ee 


— — — — EEE SEE EEE — — — 


Weißland — Welt. 547 


Weißland (W. T. II, 2), das von der oberen Aar durch— 
ſtroͤmte Oberhaslithal zwiſchen Meyringen und der Grimſel, 
worauf „der ewige Eiſeswall“, das St. Gotthardtgebirge, folgt, 
jenſeits deſſen 

„Ein anderes Volk in andern Zungen ſpricht“ 


nämlich in dem Kanton Wallis franzöfifch und in Teffin italienisch. 
Welfhland, |. Wallonen u. Stalien. 


Welt. 1) (R. 1, 1) unfere Erde; 2) (D. €. II, 14) das Ir⸗ 
diſche im Gegenſatz zu höheren Dingen. — „Die getaufte Welt” 
(D. €. I, 6), die Chriſtenheit. — Sch. braucht Welt in eigenthüm: 
licher Weife in vielen Zufammenjegungen (vergl. Riefe), wie: 

Weltcirkel (R. I, 1), menſchliche Gejellichaft. 

Weltgebäude (D. C. III, 10), Staats- und Regterungs- 
fpitem. 

Weltgebrauch (O. C. 1,2), Sittengefek. 

Weltgeift. 1) (Ged. D. Künftler) das Gebiet des Idealen; 
2) (Wſt. T. II, 3) die höhere Macht, welche die Geſchicke 
lenkt; vergl. den Artikel Wallenftein, ©. 480. 

Weltgericht. 1) (Ged. Refignation) da Urtheil der Welt; 
2) (Meb. II, 8) der jüngfte Tag. 

Weltgeſchichte. 1) (Geb. Refignation) der höhere Zufam: 
menhang zwifchen den fich ereignenden Thatfachen; 2) (D.C. 
II, 2) der Geiſt, welcher die Geſchicke der Völker regiert; 
3) (D. ©. III, 10) die leitenden Ideen, welche durch die 
Kritit der Ereignifle zu Tage gefördert werden. 

Meltfreis (O. C. II, 15), ſ. v. w. Welt. 

MWeltplan (Ged. Refignation), der in den Geſchicken erfenn- 
bare Zufammenbang. 

Weltenregiment (Wit. 8.7), Die Ergreifung von Regierungs- 
maßregeln. 

Weltivftem. 1) (Ged. Phantafle an Laura), die Firfterne 
mit ihren Planeten und Trabanten; 2) (%. Borr.) bild. für 
die Geſammtheit aller geſchichtlichen Thatjachen. 

85* 


548 Weltalter — WWeltverbefierer. 


Weltverhängniß (O. C. IH, 10), naturgemäße geſchichtliche 
Entwickelung. 

Weltenuhr (Ged. An die Freude), die regelmäßig fi be 
wegenden Geftirne. 


Weltalter, Die vier (Ged.), ein culturbiftorifches Gedicht 
aus d. 3. 1802. Der Ideengang erinnert an dad „Eleuſiſche 
Heft“; der Anfang aber bezeichnet es fogleih ald ein Gejell- 
ſchaftslied, deſſen muntered amphibrachiihed („1 _) Berdmaß 
Heiterkeit und Frohſinn athmet. Nah Sch.'s Abjicht follte‘ es 
ald Tafellied gejungen werden, denn er forderte Körner auf, es 
zu compontren. Der Dichter läßt, wie im „Örafen von Hab8- 
burg” den Sänger bei der Tafel erfcheinen, um dem finnlichen 
einen äjthetiihen Genuß hinzuzufügen, denn in Sch.'s Natur 
lag e8, jede Erſcheinung des Lebens zu veredeln und zu verflären. 
— Die erften fünf Strophen bilden die Einleitung und ftellen 
die Welt dar, wie fie ih in dem Geiſte ded Dichter ſpiegelt; 
darauf fchildert er dad goldene Zeitalter (6), dad ber Heroen (7), 
das Blüthenalter griechifeher Kunft und Bildung (8), die Er: 
ſcheinung des Chriftenthbums (9), das Mittelalter mit feinen Licht: 
und Schattenfeiten (10) und daraus die Zeit der Mürmefänger 
(11). Die Schlußftrophe (12) bringt den bei der Tafel befind: 
lichen Frauen eine Huldigung dar. — Str. 1. Das Rektarmahl 
wurde (nach SI. I, 600) durch Apollo’8 Saitenfpiel und den Ge⸗ 
fang der Mufen verfchönert. — Str. 4. Der „erfindende Sohn 
des Zeus“ ift Vulkan (ſ. Hephäftos). — Str. 7, V. 6 bezieht fich 
auf die ſchöne Helena (].d.), um deren willen der trojanifche 
Krieg geführt wurde. 


Weltenbrand. Die nordifchen Völker und unter ihnen be: 
fonderd die germanifchen, glaubten, daß diefe Erde nicht nur 
fondern dad Weltall und felbft die Götter durch ein gewaltiges 
Feuer zerftört werben würden, um einer neuen Schöpfung und 
neuen Göttern Plap zu machen. Sie nannten e8 Ragnarakr. 
In M. St. IH, 6 dagegen fagt der Dichter: 


Weltweiſen — Wermeland. 549 


„Mag der Welten Band 
Sich Löfen, eine zweite Wafſerfluth 
Herwogend alles Athmende verſchlingen.“ 
MWeltverbefierer, An einen (Ged), ein Epigramm aus 

d. 3.1795. Es bezieht ſich wahrjcheinlich auf Fichte und defien 
reformatoriiched Beftreben auf dem foctalen Gebiete. Zugleich 
ift e8 aber eine Mahnung an alle Theoretifer, Die, ohne auf 
die praktiſchen Verhältnifſſe Rüdficht zu nehmen, ihre Weltver- 
befjerungsplane der Menjchheit aufbrängen möchten, die ſich 
doch nun einmal ſtets allmälig fortentwidelt, nie aber einer 
Theorie zu Liebe einen Sprung madit. 


Weltweifen, Die (Ged.), ein fatyriiched Gedicht aus d. 3. 
1795, welches mit dem „Metapbnfiler” gleiche Tendenz hat und 
vermuthlich auf Yichte zielt. Sch. nennt es eine Schnurre und 
fagt darüber: „Bet dieſem Stüd habe ich mich über den Sag 
des Widerſpruchs Iuftig gemacht; die Philofophie erjcheint immer 
lächerlich, wenn fie au8 eigenem Mittel, ohne ihre Abhängigteit 
von der Erfahrung zu geftehen, das Willen erweitern und ber 
Melt Gefege geben will.” Demgemäß macht dad Gedidht die: 
jenigen lächerlich, welche fich bemühen, Dinge zu beweijen, die 
fih von jelbjt verftehen; erinnert ferner daran, daß ed den 
Kräften, die die Welt bewegen, nicht einfällt, nach philofophi- 
Ihen Syſtemen zu fragen; und weiſt jchließlid darauf hin, daß 
die natürlichen Bedürfnifje der Menjchen die Begründer des ge- 
jelligen Verbandes gewejen find, ehe es den Philofophen In den 
Sinn gelommen ift, die Nothwendigkeit deffelben zu lehren. 

Werber (Berbr. a.v. E.) nannte man in früheren Zeiten bie 
Dfficiere, welche für-ibre Fürften Soldaten gegen Handgeld in Dienft 
nahmen ober anwarben. Daher Werbung (ebendal. S. 103). 

Werdenberg (Bicc. I, 2) der (Dr. Kr. 297) genannte ehe⸗ 
malige Yreund Wallenfteins. 


Werke (J. v. O. 1,3) bauliche Anlagen, die zur Befeftigung 
eined Ortes dienen. 





550 Werni — Weftphalen. 


Wermeland (Dem. I), eine der 24 Landeshauptmann: 
— oder Läne, in welche das Königreich Schweden getheilt 
ft; fie liegt nördlich vom Wenerſee und grenzt an Norwegen. 
Der Reichdtag zu Krakau fand unter Sigismund (f. d.) flatt, 
der gleichzeitig König von Schweden und Polen war, weshalb 
auch ein ſchwediſcher Biſchof auf dem Reichstage erfchien. 

Werni (W. T. Perſ. Verz.), fchweizerifche Abt. für Werner. 

Werthe, Das, und Würdige (Ged.), ein Epigramm aus 
d. 3.1796. Gaben, die Jemand bat, können und nüplicy fein; 
Dienfte, die er und leiftet, können wir durch Gegendienfte ver: 
gelten. Aber für eine edle Gefinnung giebt ed feine andere 
Vergeltung als die gleiche Gefinnung, welche ihr entgegen kommt. 
Die (D. C. II, 8) „die Liebe der Liebe Preis“ ift, jo beſteht 
auch der MWechjelverfehr edler Seelen nur in gegenjeitiger Hin: 
gebung an einander. 

Wefenlenter (ed. D. Freundichaft), umfchreibenber Aus. 
drud für Gott. 

weſenlos (Br. v. M. 5, 423), |. v. w. geifterhaft. 

Weiten, |. Dften. 

Weitfriedland (J. v. O. Prol. 3), eine an die Nordſee gren- 
zende, ehemals zu dem Herzogthume Burgund, jet zu dem Ko: 
nigreih der Niederlande gehörende Provinz, welhe mit dem 
gegenwärtig preußifchen Oftfriesland zufammenftöß t. 

Weſtislowskoy, |. Meſtislowskoy. 

Weſtminſter (M. St. II, 1) od. Weſtminſterhall, ein 
ftattliche8 alte® Gebäude in gothiſchem Stil am Ufer der Themſe, 
wo ehemals die Barlamentäfigungen abgehalten wurden und ver: 
fchiedene Gerichtähöfe (M. St. I, 2) ihren Sie hatten. Es ent: 
hält einen ber größten Säle der Welt, in welchem früher die 
glänzendften Hoffefte ftattfanden; Daher (M. St. II, 2) „Weit: 
minfterhof“. 

Weſtphalen (Wit. &. 6), urjprünglich der weftliche Theil: 
bes Sachſenlandes, zu Wallenfteind Zeiten ein bem Erz 


— — — — — 


wett — Wilhelm Tell. 551 


biſchofe von Köln gehörendes Herzogthum, jetzt eine preußiſche 
Provinz. 

wett, ſ. v. w. quitt (ſ. d.); alſo wett machen (F. V,1 u. 
V, 16) ſ. v. w. ausgleichen. 

Wetter (W. T. IV, 2) ſ. v. w. Ungewitter; daher Wetter: 


loch (W. T. 11), eine Bergſchlucht oder Felsſpalte, aus ber ein 


kalter oder ein warmer Luftſtrom hervorbricht, welcher ein nahen⸗ 
des Unwetter andeutet. Desgl. Wetterglas, gew. für Baro— 
meter; bildl. (R. II, 2) Anzeiger der Stimmung eines Menſchen. 
— Das Bild von der Wetterftange, d. h. dem Bligableiter, 
der erit in der Mitte des 18. Jahrh. von Franklin erfunden 
wurde, erjcheint in dem Munde Buttlerd als Anachronismus. 


Widder, eig. der Schafbod; dann 1) (Geb. 2.3. d. Aen. 
86), der Sturmbod oder Mauerbrecher, ein langer Ballen, 
der am Ende wie ein Widderkopf geftaltet und mit Eifen be- 
Ihlagen ift, um Mauern damit einzurennen. 2) (Ged. Parabel 
u. Räthfel 3), ein befanntes Sternbild des Thierkreiſes. — Der 
goldene Widder (Ged. Hero u. Leander) vergl. Helle. — 
Widderfell (Wft. T. II, 19), ſ. Vließ. 


Widerpart (W. T. II, 2), der Gegner, Widerfacher. 


Wildheuer (W. T. IV, 3), von Wildheu od. Kammheu, das 
Heu, welches auf hohen Berggipfeln gewonnen wird. 


Wilhelm Zell (Ged.), ein Kleines, in achtzeiligen Stanzen 
geichriebened Gedicht, mit welhem Sch. ein Eremplar feines 
Drama’3 „Wilhelm Tell” dem damaligen Kurfürften Erzkanzler, 
Freiherrn von Dalberg (|. Das Geſchenk) zujandte. Die erfte 
Stange bezieht ſich auf die franzöflihe Nevolution, Die zweite 
auf die Befreiung der Schweiz. 

Wilhelm Zell (Schaufpiel). Als Goethe im Spätfommer 
des Jahres 1797 fich bei feinem Freunde, dem Profeſſor Heinrich 
Meyer”), zu Stäfa im Canton Zürich aufhielt, wo er ſich neben 


*) vergl. Genius, Der griechiſche, an Meyer in Italien. 


552 | Wilhelm Tel. 


ber Beichäftigung mit verichiebenen Kunftwerfen zugleich ber 
Natur und Geſchichte des Schweizer Landes mit erneuertem In⸗ 
tereffe zuwandte, war auch ein poetiicher Stoff an ihn heran- 
getreten, die Fabel von Wilhelm Tel. Goethe war der Meis 
mung, der Gegenftand werde ſich epiſch behandeln laſſen und 
bier „der jonderbare Fall eintreten, daß das Mährchen burd 
die Poeſie erft zu feiner vollfommenen Wahrheit gelange“, wäh: 
rend fonft bei poetifhen Productionen die Gefchichte zur Yabel 
umgeſtaltet werden müjje. Schiller, dem er feinen Plan brieflich 
mitgetheilt, ermuthigte ihn, fein Borhaben auszuführen, gab in- 
deſſen fogleich zu erkennen, daß Der Gegenftand auch für ihn 
nicht ohne Reiz fei: „Auß der bedeutenden Enge des gegebenen 
Stoffes”, erwiederte er Goethe, „wird da alles geiftreiche Leben 
hervorgehen. Es wird darin liegen, Daß man durd die Macht 
des Poeten recht ſehr beſchränkt, und in diejer Beſchränkung 
innig und intenfiv gerührt und beichäftigt wird. Zugleich er- 
Öffnet fi) aus dieſem jchönen Stoffe wieder ein Blid in eine 
gewiſſe Weite des Menſchengeſchlechts, wie zwifchen hohen Ber: 
gen eine Durchſicht in freie Fernen fich aufthut.” In ber That 
war Goethe neun Donate ſpäter mit einem Entwurf zu ben 
eriten Geſängen bejchäftigt. Er wollte in dem Tell einen kräf— 
tigen Zaftträger von koloſſaler Geftalt darftellen, der, rohe Thier⸗ 
felle und fonftige Waaren durch dad Gebirge jchleppend, ein 
reiner Naturmenſch fei, der aber, nur mit jeinen perjünlichen 
Intereſſen beichäftigt, ſich um politiihe Angelegenheiten weiter 
nit kümmere. Geßler dagegen follte einer jener behaglichen 
Tyrannen werden, die, ihre egoiſtiſchen Zwede verfolgend, gelegent: 
ih auch in einem Anfall bumoriftifcher Laune ſich zu Thaten 
verleiten lafien, deren Yolgen fie nicht weiter bebenfen. Bei dieſem 
Plane indefien blieb ed, denn da ihm das Material fehlte, ohne 
welches er nie anfing poetifch zu geftalten, jo wandte er fich vor: 
läufig anderen Gegenftänden zu, die ihm näher zur Hand Ingen. 
Inzwiſchen mußte etwas von Goethe's Abſicht oder von 
der Correſpondenz beider Dichter ind Publicum gedrungen fein, 


Wilhelm Tell. 553 


denn wie Palleöfe (II, 882) aus dem Körnerſchen Briefwechfel 
berauögelefen, gingen 1. 3. 1801 von mehreren Theatern An: 
fragen ein, wie es mit Schiller’ 8 Drama: „Wilhelm Tell” ftehe, 
ob man ed befommen könne. Man wußte, daß der Rath zu 
Bern eine Schrift „Guillaume Tell, une fable danoiss* öffentlich 
hatte verbrennen laflen, Joh. v. Müller's Geſchichte der Schweizer 
Eidgenoffenfchaft war in Aller Händen; was lag aljo näher, 
als dag man einen Gegenftand, der fich bereit8 ein allgemeines. 
Snterefie erworben, auch auf der Schaubühne zu jehen wünſchte. 
Da fiel Sch. Tſchudi's lebensvoll geichriebened Chronicon hel- 
veticum in die Hände, in weldhem er den längjt befprochenen 
Stoff fait dramatiſch zurechtgelegt vorfand. Sept fragte er bei 
Goethe an, ob dieſer nichts Dagegen habe, wenn er dem von 
ihm beabfichtigten Epos mit einem Drama zuporlomme. Goethe 
war hiermit einverftanden und trat dad Sujet gern und förmlich 
an Sch. ab, da ed den Heiz der Neubeit und unmittelbaren 
Anſchauung für ihn verloren hatte. Somit tft Goethes bereit: 
willige8 leberlafien des Stoffed Teinesweged, wie &. Schwab 
e3 nennt, ald ein feinem Freunde gemachtes Geſchenk zu be: 
trachten. Denn Sch. jchreibt an Körner, daß er die Anregung 
allein Tſchudi zu verbanten babe, ımd fchon im September 1802 
tonnte er ihm melden, daß der Stoff aus dem Hiftorifchen ins 
Poetijche getreten jet. Aber noch war er mit der Bearbeitung 
feiner „Braut von Meſſina“ beichäftigt; doch Taum war biefe 
beendet, jo begab er fih, als er ber Aufführung berjelben in 
Lauchftädt (11. Juni 1803) beigewohnt, in die Einſamkeit nad 
Jena, wo er in Goethe's Zimmern wohnte und fein neues 
Drama begann. Sm Auguft rühmt er Humboldt die Volks⸗ 
mäßigfeit des Zell und fchreibt ihm, daß er ganz damit be- 
Ichäftigt fei, nennt jebodd den Stoff noch jehr wiberftrebend. 
Im September bittet er Kömer um gute Schriften über die 
Schweiz und fagt: „Wenn die Götter mir günftig find, das 
auszuführen, was ich im Kopfe babe, ſoll es ein mächtiges Ding 
werden und die Bühnen Deutſchlands erfchlittern.” Gleichzeitig 


554 Wilhelm Tell. 


hatte er Goethe erſucht, an Joh. v. Müller (f. d) zu fchreiben, 
und benjelben über einige Punkte der Geſchichte Tells um Aus: 
funft zu bitten, die auch in freundlichfter Weije erteilt wurde, 
während der Brief felbft ein Beweis von ber begeifterten Hoch⸗ 
achtung war, weldhe der berühmte Geſchichtsſchreiber gegen 
Schiller begte. | 

So war der December herangelommen, der dem Dichter 
in der Fortführung feiner Arbeit eine unangenehme Störung 
bereiten follte. Denn die Ankunft der geiftreihen Frau von 
Stadl zug ihn jept ungeachtet alles Sträubens in einen Geſell⸗ 
Ihaftäftrudel, der ihn bald vollig außer Yaflung brachte. Als 
ſie endlich (leider erjt im März) ging, war ihm zu Muthe, als 
ob er eine große Krankheit überitanden. Ungeachtet aller diefer 
Störungen (deun Frau von Stael verjtand ed, den Dichter mit 
ihrem Heißhunger nach Ideen förmlich audzufaugen) rüdte jeine 
Arbeit doch fo glüdlih vor, daß er dad vollendete Manuſcript 
bereits am 19. Yebruar 1804 an Goethe abichiden konnte. Die 
Iatonijche Antwort: „Das Werk ijt vortrefflich gerathen und hat 
mir einen jchönen Abend verjchafft“ war der erfte Kohn, den er 
für fein Meifterwerk einerntete. Nun wurden die Rollen aus: 
getheilt und das Einüben begann, denn dad Stüd jollte noch 
vor Ditern gegeben werden. Am 17. Mär; 1804 fand bie erſte 
Aufführung unter großem Beifall zu Weimar ftatt, aber Sch. 
jelbft war erkrankt und konnte nicht zugegen ſein. Erſt in 
Berlin, wohin er im Yrübjahr gereift war, jollte er jeinen Tell 
über die Bretter gehen jehen, zugleich aber auch erfahren, daß 
Sffland politiiche Bedenken gehabt und bad Stüd vor ber Ein: 
übung dem Gabinette zur Einficht überliefert hatte. Glücklicher 
Weiſe waren Yriedrih Wilhelm III. und Luiſe einſichtsvoll genug, 
dem Bublicum ein fo erbebendes Kunftwerf nicht vorzuenthalten, 
das in der königlichen Reſidenz mit Begeifterung aufgenommen 
und in acht Tagen drei mal wiederholt wurde. „Der Apfel, 
ſchrieb Zelter an Goethe, jchmedt und nicht jchlecht, und die 
Kaſſe verfpricht fi) einen guten Handel.” Und welche Theater: 


Wilhelm Tel. 555 


intendantur wüßte nicht, daß ber Tell feit jener Zeit ein Kaflen» 
ftüd geblieben ift. 

Wie Sch. für die Bearbeitung feined Drama's die ein: 
gebendften und jorgfältigften Borftudien in Betreff der Ge- 
fchichte wie der Loralität gemadht, jo muß auch der Leer, der 
das Stüd vollftändig verftehen und bie vielfachen Schönheiten 
befielben richtig würdigen will, ſich in ähnlicher Weije für die 
Lectüre vorbereiten. Werfen wir zunähft einen Blid auf die 
Geſchichte und die mit derjelben eng verbundene Sage. 

Das uriprüngli von den Selten bewohnte alte Helvetien 
wurde zur Zeit der Völkerwanderung von deutſchen Bölfer: 
ſchaften, und gwar von Burgundern und Allemannen bejept. 
Die Einwanderung aus dem fkandinaviichen Norden, von welcher 
Stauffacdher (II, 2) berichtet, gehört zu den lieblihen Mythen, 
mit welchen die ältere Gejchichte des Landes vielfach durchzogen 
tft. Nachdem eine mehr geordnete Staatenbildung in Deutich: 
land begonnen, gehörte die Schweiz zuerft zu dem fränkiſchen, 
dann zu dem burgundifchen und endlich zu dem deutfchen Reiche, 
zu dem legteren feit 1032, wo Conrad II. fie in den Verband 
der Reichäländer aufnahn. Sm Sahre 1097 wurde dad Land 
von Kaifer Heinrich IV. dem Herzoge Berthold von Zähringen 
verliehen, unter deſſen Verwaltung es fich zu jchöner Blüthe 
entwidelte, bid ed 1218 bei dem Erlöjchen diefed Haufed un- 
mittelbar unter Dad Neih kam. So wurden die geiftlichen 
Stifter, der Adel, die Städte, jo wie die noch freien Landleute 


fait vollſtaͤndig unabhängig oder reichäfrei, wie man ed damals 


zu nennen pflegte. Unter den weltlichen Herren waren bie 
Grafen von Sapoyen im Süden und die von Habsburg im 
Norden die mächtigflen. 

Was nun bie drei durch alte Freunbfchaft mit einander 
verbundenen Gebirgslandfchaften oder Waldftädte Uri, Schwytz 
und Unterwalden betrifft, jo waren fie theils von jogenannten 
Sotteshaußleuten, d. h. Hörigen benachbarter Stifter, theils von 
reichöunmittelbaren Leuten bewohnt; Schirmvögte aud deu in 


556 Wilhelm Tell. 


der Schweiz angefefienen Dpnaftengefchlechtern nahmen der Rechte 
des Reiches wahr. In diefer Weile hatten jeit Otto's IV. 
(1198 —1215) Zeit die Grafen von Haböburg, unter ihnen zu: 
letzt Rubolf (vergl. Graf von Habsb.) m den Waldftäbten ge 
waltet. Als aber fein Sohn Albrecht nach dem Tote des Kai- 
ferd Adolf von Nafſau in den Befiß der ihm überantworteten 
Reichögewalt gelangt war, ließ derſelbe den Waldftädten an- 
tragen, ſich unter den Schirm bed Haufed Deftreich zu ftellen. 
„Seiner Majeftät und feinem unermeßlichen waffentundigen 
Kriegsheer könnten fie doch nicht widerftehen, aber der König 
möchte fie zu feined Haufed lieben Kindern haben.” Da ein 
ſolches Anfinnen mit Entjchiedenheit zurüdgewiefen wurde, fo 
erwählte der Kaifer Geßler von Bruned und Beringer von Lan⸗ 
benberg, zwei Männer ohne eigenes Beſitzthum, die aber dafür 
um fo bereitwilligere Werkzeuge jeiner Abfichten waren. Diefe 
fandte er in die Waldftädte, wo fie gegen alle Gewohnheit ihren 
dauernden Sig aufihlugen. Während die früheren Kaiſer zu 
den Reichsvoigteien einen fogenanten Gentgrafen (vergl. bannen) 
ernannten, der nur bei begangenen todeswürdigen Verbrechen 
ind Land fam, um Recht zu fprecdhen, dann aber wieder ging, 
wohnte Landenberg auf feiner Burg zu Samen; Geßler ba- 
gegen ließ fi einen Twinghof in Uri bauen. Sp fingen fie 
an zu regieren, als ob fie jelber Herren ded Landes wären. Die 
geringsten Vergehungen wurden mit Außerfter Härte bejtraft, 
und nicht nur dad Volt mit hochmüthiger Verachtung behandelt, 
fondern au die alten Gefchlechter in höhniſcher Weile als 
Bauernabdel (II, 1) bezeichnet. Bald gefellten fich zu dieſer im 
Snterefie Habsburgs ausgeübten Behandlung (wie nach Schlofferd 
Weltgeihichte Bd. 8, ©. 101 die Sage berichtet) Thaten arger 
Willkür, die dad Volk zur Selbfthülfe aufreizten; und dem Bei: 
jpiel der fremden Unterdrüder folgten jogar Einzelne aus dem 
Schweizer Adel, wie der Wolfenſchießen (II, 1) auf Roßberg 
({. d.), defien durch frechen Uebermuth berbeigeführted Schidjal 


Wilhelm Tell. 557 


(I, 1) wohl eben jo wenig biftorifch tft, wie die won Landenberg 
(I, 4) verübte Unthat. 

In gleiher Weile bat die Geſchichte Telld von der Kritik 
in Zweifel gezogen werden müflen, da diejelbe Sage jchon hun⸗ 
dert Jahre früher bei den Dänen und Isländern eriftirt”). Ge⸗ 
ſchichtlich iſt nur erwielen, daß Tell in Bürglen gelebt, daß er 
dein Hute Reverenz verweigert und daß er jpäter im Schächen- 
bache bei der Rettung eined Kindes ertrunfen ift; alled Uebrige 
it als Mythe zu betrachten. Aber gerade dieſe Mythe, die 
SH. in Tſchudi's Chronik in jo anregender Wetje erzählt fand *"), 
bildet zwtichen den übrigen geichichtlichen Thatſachen den wahr: 
haft poetiſchen Mittelpunkt, welcher ihn zur dramatiſchen Geftal- 
tung der gefjammten Borgänge diefer Zeit anreizte. Verfolgen 
wir nun die Gefchichte nach Tſchudi's Erzählung weiter. Als 
Albrecht anfing, die Schweiz als öftreichifches Land zu behan- 
deln, jchidten die Waldftädte Boten zu dem Kaifer, deren Be: 
ſchwerden indeß Teine Beachtung fanden, während feine mit 
unbedingter Vollmacht audgeftatteten Bögte ruhig fortfuhren, 
fih als Regenten des Landes zu geberden. Gleichzeitig erfuhren 
die Schweizer, daß der Katjer auch jeinem Neffen, dem Herzog 
Sobann von Schwaben (f. d.) fein rechtmäßiges Erbe vorent- 
balte, jo daß ihnen feine Hoffnung blieb, zu ihrem Rechte zu 
gelangen. Gleichwohl erduldeten fie eine Zeit lang alles Unge⸗ 
mad, in der Hoffnung, ed könne auf Albrecht ein milderer Kaifer 
folgen, der ihnen ihre alten Freiheiten wieder beftätigen würde. 
Als die Gemwaltihaten der Vögte aber überhand .nahmen, fo 
daB fie alle Gemüther mit Bitterkeit erfüllten, trafen drei Land⸗ 
leute Walther Fürſt, Stauffacher und Melchthal, eine heimliche 
Berabredung wit einander, welche die Bereinigung auf dem 
"Rütli zur Folge hatte. Es war im November 1307, am Mittwoch 


*) Bergl Hinrichs. Schillers Dichtungen nach ihren hiſtoriſchen Bezie⸗ 
Hungen ıc. Leipzig 1839, Hinrichsfche Buchhandlung. IH, 6. 391. 
**) Vergl. Palleske II, &. 385. 


558 Wilhelm Tel. 


vor dem Martindtage, wo die drei genannten Männer, jeder 
von zehn vertrauten Yreunden begleitet, in mitternächtlicher 
Stille zufammenfamen, um zu beratbhen, wie fie fi) des Drudes 
entledigen und ihre Freiheit wahren könnten. Sie wollten ben 
Grafen von Haböburg von ihren Gütern und Rechten nichts 
entfremden, fondern nur die Bögte, wo möglich ohne Blutver: 
gießen, verjagen, und ſomit die Freiheit, wie fie diefelbe von 
ihren Boreltern ererbt, ihren Enkeln überliefern. Daß fi umter 
den Verſchworenen auch Wilhelm Zell aus Uri, Walther Fürſts 
Schwiegerjohn, befand, wirb von Tſchudi nur beiläufig erwähnt, 
worauf er die Begebenheit mit dem Hute und dem Apfelichuß, 
ihrem Berlaufe nach faft ganz wie bei Sch. mittheilt. Hier: 
durch hielt fich der Dichter berechtigt, den Helben feines Dramas 
von den übrigen Verſchworenen abzufondern, um ben gefaßten 
Beihluß, den Aufftand bis zum Chriftfeft zu verfchieben, mit: 
telft einer gewaltjamen Kataftrophe durchbrechen zu können. 

Sn Wahrheit brach der Aufftand in der Nacht ded 1. San. 
1308 108; die Bögte wurden vertrieben und die feften Burgen 
gebrochen. Landenberg, welcher die Flucht ergriff, ward hinter 
Sarnen eingeholt und bi8 an die Grenze gebracht, wo er ſchwören 
mußte, nie wieder nah den Waldftädten zurüdzufehren. Er 
eilte zum SKaifer, um biefem dad Gefchehene zu berichten und 
ihn zur Rache aufzufordern. Sofort begab fih Alsrecht nad 
Schwaben, wo er fi zu einem neuen Zuge gegen Böhmen 
rüften wollte, und befchloß zugleih, die trogigen Bergbauern 
für ihren Nebermuth zu züchtigen. Da er aber dem Bifchof 
von Bajel die Belehnung verweigerte, fo wurden auch bei dem 
fchmwäbifchen Adel Beforgnifie wegen feiner weiteren Abfichten 
rege. Mehrere Edelleute (ſ. Eſchenbach) verbanden ſich mit So- 
hann von Schwaben (]. d.), und ehe der Kater feine Schaaren 
fammeln und gegen die Hirtenvöller zum Kampfe führen Tonnte, 
ward er felber ermordet. So blieben die Schweizer vor feiner 
Race geſchützt; überdies aber beftätigte jein Nachfolger, Kaifer 


Wilhelm Tell. 559 


Heinrich VII., ihre alte Verfaftung, die fie i. 3. 1315 zu Brun- 
nen durch einen ewigen Bund befräftigten. 

Obgleich unſer Drama mit der Befreiung: der Schweiz von 
Albrecht3 Bögten abfchließt, jo nöthigen und einzelne Gtellen 
(IV, 2) deflelben doch zu einem Blid auf die weitere Gejchichte. 
Dad ſo fchön begonnene vierzehnte Jahrhundert war auch in 
feinem ferneren Verlaufe dad Heldenalter der Schweiz, indem 
Diefelbe ihren Freiheitskampf gegen das Haus Haböburg fort: 
ſetzte. Die Schlachten bei Morgarten (1315), bei Sempach 
(1386), wo Amold v. Winkelried durch feinen heidenmüthigen 
Opfertod den Sieg ermöglichte, eben fo bie bei Näfeld (1388) 
find ftrablende Tage, welche die Schweizer Geſchichte in ihren 
Jahrbüchern für ewige Zeiten verzeichnet hat. Bald traten fept 
auch andere Waldftädte, wie Luzern, Züri, Glarus, Zug und 
Bern, dem Bunde bei, um fich vereint gegen Oeftreich zu be- 
baupten. Auf Kaifer Sigismunds (1410—37) Aufforderung er: 
oberten die Eidgenoflen viele habsburgiſche Befigungen, bejon- 
ders die im Aargau gelegenen Stammgüter, jo wie fie ſich auch 
gegen Karl den Kühnen, Herzog von Burgund, in den Schladhten 
bei Sranfon, Murten und Nancy (1476 u. 77) fiegreich ver: 
theidigten. Obwohl mit allen dieſen Erfolgen immer noch feine 
Losſsſagung von dem deutichen Reiche audgeiprochen war, fo fühlte 
dad Bolt der Schweizer fih doch fo gut wie unabhängig; die 
eigentlich polittiche Trennung erfolgte erft (1648) in dem weft- 
phäliſchen Yrieden, in weldem die Schweiz ald Republik aner- 
fannt und von Deutfchland abgelöft wurde. 

Wie der Dichter bemüht gewefen tft, die ganze Befreiungs: 
geihichte der Schweiz in fein Drama zu verweben, jo hat er 
ed ſich auch redlich angelegen jein laflen, und die ganze Dert- 
lichfeit des merkwürdigen Landes zu lebendiger Anſchauung zu 
bringen. Es ift in der That zu bewundern, wie Sch., dem es 
nie vergönnt gewefen ift, die Schweiz zu ſehen, eine jo genaue 
Kenntniß derjelben ſich aneignen Fonnte, daß‘ Jeder, der fie mit 
den aus feinem Drama gewonnenen Anſchauungen beſucht, ſich 


560 Wilhelm Tell. 


jogleich heimifch in. derjelben fühlt und fie wie eine längft be 
fannte Gegend begrüßt. Daß Goethe, der gewiß oft mit Sch. 
über jeine Wanderungen in den Schweizer Landichaften ge- 
ſprochen, durch feine plajtiihe Darſtellungsweiſe auf die Phan- 
taſie unſeres Dichterd einen weſentlichen Einfluß‘) geübt, wer 
möchte das verfennen; indeflen konnten die jo ſporadiſch ge: 
wonnenen Cindrüde unmöglich genügen, um einer Arbeit, wie 
bie vorliegende, ald Grundlage zu dienen. Ueberdies bat Spa: 
him Meyer“), ber fleißige Forſcher auf dem Gebiete der 
Schillerliteratur, auf überzeugende Weiſe dargelegt, dag Sc. 
außer Tſchudi's Chronik noch verjchiedene andere Schriften als 
Hülfsquellen benugt bat; nämlih: 1) Stumpf's Allgemeine 
Eidgenofſſenſchafts-Chronik, Züri) 1548; 2) Scheuchzers Ra: 
turgejchichte des Schweizerlanded in der zweiten Ausgabe von 
Gulzer, Züri) 1746; 3) Etterlin's Chronik in der Ausgabe 
von Spreng, 1752; 4) Fäſis' Staatd: und CErdbeſchreibung ber 
ganzen helvetiſchen Eidgenoffenichaft, Zürich 1766; 5) Joh. v. 
Müller's Geſchichte der Schweizer Eidgenofjenfchaft, 1785; 
und 6) Ebel's Schilderung ber Gebirgsvölker der Schweiz 
1798 — 1802, ein Wert, das nicht nur jehr gründliche Mitthei⸗ 
Iungen über Natur, Bolfäfitte und Sprachidiotismen dieſes 
Landes enthält, jondern fi auch durch eine höchſft lebendige 
Darſtellungsweiſe auszeichnet. Nur bei jo gründlichen und um: 
faffenden VBorftudien war es möglich, dem Lefer neben dem dra- 
matifchen Berlaufe des Stücks ein fo überrafchendb treued Natur: 
gemälde zu liefern, wie Sch.s „Zell“ ed und darbietet. Wie 
ber Dichter während feiner Arbeit die Karte der Schweiz vor 
ſich liegen gehabt, um fich gegen jeden geographiſchen Berftoß 


*) Goethe fagt in feinen Geſprächen mit Edermann: „Was tn Sch.'s Tell 
von Schweizerlocalität ift, babe ich ihm Alles erzählt; aber er war ein jo be 
wunderndmwürbdiger Geift, baß er felbft nach ſolchen Erzählungen etwas maden 
Tonnte, das Nealttät hatte,” 

+) ſ. deſſen: Schillers Wilhelm Tel, auf feine Quellen zuridigeführt umb 
fachlich und ſprachlich erläutert. Nürnberg. Gr. Campe. 1840. 








Wilhelm Tell. 561 


volftändig ficher zu ftellen, jo muß man auch bei dem genaueren 
Studium des Stüdd den Gang der Handlung mit der Karte 
in ber Hand verfolgen, um die außerordentlihe Gewiſſenhaftig⸗ 
keit, mit ber ed gearbeitet ift, nah Gebühr zu würdigen. 

Aber nicht nur die gegenjeitige Lage der einzelnen Ort: 
ſchaften war dem Dichter bedeutungdvoll, fondern auch auf bie 
natürlichen Verhältnifle des Landes, durch welche ber Freiheits⸗ 
finn feiner Bewohner bedingt tft, fühlte er ſich innerlich ge: 
drungen, Rüdficht zu nehmen; darum die forgfältigen Angaben 
über die Scenerie, von denen faft jeder Auftritt eingeleitetift ; 
darum die lebendigen Naturjchilderungen, die überall in den 
Zert vermwebt find. Die gewaltigen Berge mit ihren tiefgefurchten 
Thälern, die eiöbededten Gipfel mit ihrer maleriſchen Beleuch: 
tung, die fchroffen Helfen mit ihren jchaurigen Abgründen, bie 
wunderbar geformten Seen mit ihrer malerifchen Umgebung, die 
ftattliden Wohngebäude mit ihren bunten Wappenfchildern und 
weiſen Sprüden, die breiten Bergftraßen, wie die ſchmalen 
Saumpfade und die einfamen Sennhütten bed Hochgebirges, wo 
jede Cultur ein Ende erreiht — da ift nichts vergeflen, was 
die Blide ded Wandererd nur irgend zu fefleln vermag. Ja 
felbft die Natur der Gletſcher (f. d.) und der Laminen (f. d.), 
den Zug der Wolfen und der Winde hat ber Dichter mit eben 
jo großer Aufmerkſamkeit ftudirt, wie er den zierlich geftalteten 
Ammonsdhörnern, den lieblichen Alpenblunen und den eigen: 
thuͤmlichen Gewohnheiten der Thiere feine liebende Aufmerkſam⸗ 
feit zugewendet bat. So laut inbefien die Natur auch zu uns 
tebet, der Menſch bleibt immer ihre hervorragendfte, ihre be- 
deutendfte Erſcheinung; wie hätte unſer Dichter, dem ja die 
Entwidelung ded Menſchen innerhalb des Kampfes mit den 
äußeren Berhältniffen vor Allem am Herzen lag, ben Bewoh—⸗ 
nern de3 von ihm gejchilderten Landes nicht feine befondere Auf: 
merffamkeit widmen follen. Bon den ftolzen Höhen der koͤnig⸗ 
lihen Throne, in deren Umgebung er fih mit fo viel Glück 
bewegt, verfegte er ſich jeßt in die Mitte eines fchlichten Volkes, 

IL. 86 





562 Wilhelm Tell. 


um und dafjelbe in feinen einfachen Beichäftigungen, in der na- 
türlichen Unbefangenbeit feiner Sitten vorzuführen. Wir ſehen 
die Wilder und Fährleute mit dem fturmbemegten See fämpfen, 
hören die Hirten einander anrufend grüßen, erbliden den Jäger 
im wilden Hochgebirg ſich anleimen mit dem eigenen Blut; wir 
befommen eine Anjchauung von den erften Regungen eines be: 
ginnenden Verkehrslebens; wir hören den nächtlihen Ruf des 
Feuerwächters, jo wie da8 Mettenglödlein in der Waldkapelle; 
wir finden neben der ſchlichten Frömmigkeit den mit ihr in Ber: 
bindung ftehenden Aberglauben, die Furcht vor dem grauen 
Thalvogt, die Angft vor Simon und Sudä, wo der See raft und 
fein Opfer haben will; wir hören die Melodie des Kuhreihens 
erklingen, die den in der Fremde weilenden Schweizer mit 
Schmerzensſehnſucht nach feiner Heimath ergreift; wir verneb- 
men, wie dad mit Liebesſehnſucht erfüllte Herz eined Sünglings, 
der Sitte feined Landes folgend, der von ihm Erwählten feine 
nächtlihen Bejuche (f. d.) abftattet. So fordert der Dichter bie 
gefammten Kräfte unjerer Phantafie heraus, um und in jene 
wunberfame &ebirgöwelt zu verfegen, von der er felber derge- 
ftalt gefeffelt wird, daß er auf die ihm ſo geläufigen mytholo: 
giſchen Anjchauungen vollftändig verzichtet. Denn dieſe Land- 
leute bewegen ſich durchweg in dem befcheidenen Kreije ihrer 
Anjchauungen und reden eine Sprade, deren Bilder feiner an- 
deren Sphäre ald ihrer unmittelbaren Umgebung entlehnt find. 
irgend hat Sch. es fo verftanden, den Geſprächen feiner ban- 
delnden Berfonen ein jo vollftändig Localed Gepräge zu geben 
wie bier, wo und aus jedem Worte bie friiche Alpenluft ent: 
gegenmweht. 

Aber Wahrheit des gefchichtlichen Inhalts und Treue ded 
Iocalen Charakters konnten einem Dichter. wie Sch., deffen ganzes 
Streben vorwiegend auf dad Ideale gerichtet war, natürlich aud 
bei diefem Stüde nicht genügen. Wie im-jedem anderen feiner 
Dramen, jo handelte e8 fih auch bier darum, eine fittlidhe 
Idee zur Anfhauung zu bringen. Diejelbe entwidelte ſich ihm 





—— — — — — —* 


Wilhelm Tell. 563 


naturgemaͤß aus dem geſchichtlichen Material. Wir erblicken 
ein Volk von angeborenem Freiheitsſinne, von natürlichem Rechts⸗ 
gefühl und von wahrer und inniger Vaterlandsliebe, in patriar⸗ 
chaliſchem Verhältniſſe zu einem ftammverwandten Adel ftehend, 
deilen Borrechte ohne Neid betrachtet werden. Durd Sitten: 
einfalt innerhalb der Yamilienbande, jo wie durch gejunden Sinn 
in der Verwaltung feiner öffentlichen Angelegenheiten erfcheint 
ed der von den Vätern ererbten Freiheit um fo würdiger, als 
ed jich ruhig auf fich jelbit beſchränkt und feinem Nachbarvolke 
gegenüber eine drohende Haltung annimmt, Da erjcheint ein 
fremder, Iänderjüchtiger Yürft und ftredt feine Hand nach diejen 
Gauen aus, die ihm ftet3 friedlich zur Seite lagen. Der reinen, 
unverfälfchten Natur tritt plößlich eine auf fremdem Boden er: 
wachjene Cultur mit ihren bedenklihen Ausartungen entgegen. 
Eine gewifjenlofe Verwaltung bemächtigt ſich der Landesange⸗ 
legenbeiten, ſchamloſe Laſter erlauben ſich Die empörendften Ein- 
griffe in das Familienleben. Wo ein Bolt auf diefe Weife in 
feinen heiligiten Rechten gefräntt wird, da muß nothwendig ein 
Conflict entftehen; der innerlich gejunde Körper muß den von 
außen berandringenden Krankheitöftoff von ſich abftogen, um 
dad geftörte Gleichgewicht der Kräfte wiederherzuftellen, um fich 
der wohlthuenden Harmonie einer in fich felbjt befriedigten Exi— 
ftenz auch ferner erfreuen zu können. 

Goethe weiſt in feinen Gefprächen mit Edermann (I, 307) 
darauf hin, daß durch alle Stüde Sch.'s ein einziger Zug, die 
Idee der Freiheit, hindurchgeht. Und allerdings finden wir in 
feinen Zugenddramen zunächſt dad Ringen nach phyfiſcher Frei: 
beit, den der nöthigen Beſonnenheit entbehrenden Kampf gegen 
die verderbten ſocialen und ſtaatlichen Verhältniſſe, in welchem 
dem drückenden Unrecht die in fi noch unfittliche Gewalt ent: 
gegengefeßt wird. Aus dem Zuftande der Leidenfhaft, der zu: 
nädhft nur Sache des fittlihen Gefühle ift, entwidelt fih der 
fampfende Held hierauf. zur Gejtält eined Marquid Poſa, der, 
weil er über ſich gedacht, auch Gedankenfreiheit fordert; der 

86* 


564 Wilhelm Tell. 


freilich nicht mehr Revolutionär, aber immer noch Enthuflaft 
tft; und der, da er als folder dem Despotismus gegenüber ſich 
nicht behaupten Tann, fi) der Idee der Freundichaft zum Opfer 
bringt, um der Idee der Freiheit zu dienen. Aber die Kraft 
des Gedankens, fo hohe Anerkennung fie auch verdient, ift an 
und für fih noch feine fittlihe That, fo lange fie den perjön- 
lichen Ehrgeiz oder die unlauteren Neigungen des eigenen Her: 
zend nicht zu bezwingen vermag. Wem es noch nicht gelungen 
ift, fich felbft zu bekämpfen, feine perfönliche Weberzeugung den 
gegebenen Lebensbedingungen unterzuordnen, der wird ſtets im 
Kampfe mit den Weltzuftänden ald der Leidende erjcheinen und 
fchlieglich in demfelben untergehen, weil er eine Schuld im 
Bufen trägt, die auf Erben gefühnt werden muß. In dieſem 
Falle befinden ſich Wallenftein, Marla Stunt, bie Jungfrau 
von Orleans und die feindlichen Brüder der Braut von Meffina. 
Das Yreiheitäftreben, dad allein auf Erfolg rechnen darf, tft 
nur bei denjenigen zu finden, die dad dem Weltzuftande inne: 
wohnende Sittengejeg verehren und zu dem ihrigen machen, die 
neben bem. Recht, dad fie auf ihrer Seite haben, zugleich bie 
ſchwere Kunft der Selbftverleugnung (j. das Gedicht: Der Kampf 
m. d. Draden) zu üben verfighen. Denn der gejchichtlich ge- 
wordene Weltzuftand an fi ift nie unfittlih; es find Inmer: 
balb deffelben immer nur einzelne Gewalthaber zu bekämpfen, 
die fih mit ihrem Trachten auf ungejeglidem Boden befinden. 
Aus folhem Kampfe aber kann nur ber fiegreich hervorgehen, 
der fich felbft innerlich frei weiß von unwürdigen Feſſeln, der 
ſich feine eigene fittliche Würde wie die Unfchuld eines Kindes 
bewahrt oder aud dem Streit mit feinen böſen Neigungen ge 
rettet hat”). Dies letzte aber ift der Fall in unferm Drama, 
einem Stüd, ald deſſen eigentlichen Helden wir die Eidgenofſſen, 


*) Vergl. Zur Erinnerung an Schiller's bundertjährigen Geburtstag. Zwei 
Vorträge von ©. 2. Städler und 2. Rudolph. Berlin, Nieolai'ſche Berlagshand- 
lung 1859. — Die fittlihe Idee in Sch.s Dramen v. Stäbler. 


Wilhelm Tel. 565 


ben Bund ber Waldftäbte, zu betrachten haben, während Tells 
Verjönlichleit nur ald eine bejondere Individualität aus der 
Geſammtheit hervorragt. Feindliche Entzweiung roher Kräfte 
(vergl. dad Geb. Wilhelm Tell), revolutionäre Durchbrechen 
geſetzlicher Schranken (vergl. d. Lied v. d. Glocke Str. 24— 26) 
war bem Dichter ein Greuel; aber eine aus fittlicher Entrüftung 
hervorgehende Vollserhebung, die den Gewalthabern wie den 
Böllern einen Spiegel vorbält, aus dem fie Mäßigung lernen 
fönnen, dad war fein Ideal ber Freiheit, dem er mit vollem 
Rechte den Sieg verleihen konnte. 

Indem wir nun die einzelnen Charaktere des Dramas 
näher ind Auge faflen, haben wir dieſelben theils als geſchicht⸗ 
liche, theils als erdichtete Geſtalten zu unterſcheiden. Was die 
erſteren betrifft, ſo ſind ſie allerdings idealiſirt, wie dies von 
unjerm Dichter nicht anders zu erwarten war, indeſſen bat er 
aus Tſchudi's Chronik viele Stellen faft wörtlih aufgenommen, 
und dadurd) der Sprache dad alterthümliche Gepräge gegeben, 
das und fo angenehm überraſcht. Wer fich für biefe Seite des 
Dramas näher intereffirt, findet in 3. Meyers Auszuge aus 
„Tſchudi's Gefchichte der Befreiung der Waldftädte” (S. 4 2c.) 
Alles, was im Tell wörtlich wiederkehrt, durch Eurfivfchrift aus⸗ 
gezeichnet. Auch bei der Wahl der Namen für die erdichteten 
Verjonen hat ſich Sch. mit großer Sorgfalt an feine Quelle 
gehalten, jo daß 3%. Meyer eine jede derjelben mit näheren Ans 
gaben hat außftatten können. Mit Rüdficht auf die Handlung 
haben wir fänmtliche Perſonen in drei Öruppen zu unterjchei- 
ben: 1) die Bögte, die dad Volk bebrüden und in ihrem ty- 
ranniſchen Verfahren einander bie Hände reichen; 2) dad an 
Beſitz, Ehre, Leib und Leben gejchäbigte Bolt, durch defien ein: 
müthiges Handeln die gährende Bewegung zum Ausbruch fommt; 
8) den mit fi felbft in Zwiefpalt befindlichen Adel, Der es 
theild mit den Bögten, theild mit dem Volke Hält. 

Wir beginnen mit Geßler, dem Bertreter der Taiferlichen 
Gewalt und zugleih dem Repräfentanten der übrigen Vögte, 


566 Wilhelm Tell. 


die in dem Drama im SHintergrunde bleiben. Daß er feine 
Stellung mißbraucht, zeigen ſchon die übermüthigen Worte: 
„Sch bin Regent an Kaiferd Statt“; auch verfteht er es, zu 
feinen Dienern Leute, wie den Frohnvogt und den Kriegsknecht 
Frießhardt einzufepen, die ihm an Stolz und Uebermuth nichts 
nachgeben. Da er jelber ein Fürjtenfnecht ift, jo kann er feine 
freien Leute dulden und grollt denjenigen, die Deftreich8 Planen 
widerjtreben. Nicht nach Geſetz und Recht zu regieren, fondern 
dem Sailer zu gefallen, das ift fein einziged Streben, die Wil: 
für ift jein Geſetz. Deshalb greift er zu ganz wibderfinnigen 
Mapregeln, wie zu der Aufftedung des Hutes, dem Reverenz 
ermwiejen werden fol, ein Berfabren, durch welches er alle 
Stände tyrannifirt, auch Diejenigen, bie vernünftigen Geſetzen 
ten Gehorſam gewiß nicht verjagt haben würden. Eben jo 
wenig er etwas von der Regierungdfunft verfteht, eben jo wenig 
Verſtändniß hat er für die fittliche Würde des Familienlebens. 
Er iſt felber unvermählt, denn Bertha von Bruned deutet 
(UI, 2) an, daß er Abfichten auf ſie babe, auch erfahren wir 
(V, 1), daß er fie heimlich Hat einfchließen laflen; und Tell fagt 
ihm (II, 3): „Herr, ihr habt keine Kinder.” Auf diefe Weife 
ſucht der Dichter die Unmenjchlichkeit jeined Charakter erflär: 
li zu machen, der fi) an der Angft eined Vaters weiden, nad) 
dem gethanen Schufie ihn noch reizen, und diejenigen, bie für 
ihn und ihre Freiheit eintreten, mit frechem Stolz verböhnen 
kann. Daß auch nad feiner Rettung aus augenjcheinlicher 
Lebendgefahr und ungeachtet der Warnung feined Stallmeifterd 
noch Feine mildere Gefinnnng bei ihm Platz gegriffen, beweiſt 
fein Benehmen der unglüdlihen Armgart gegenüber, und fo 
fällt er in dem Augenblide, wo feine Herzenöverhärtung ihren 
Gipfel erreicht, der rächenden Nemeſis zum Opfer. 

Dem Geßler gegenüber ftehen zunächt die drei Repräjen- 
tanten der Eidgenoffen, Walther Fürft, Werner Stauffader 
und Arnold von Melchthal, in denen und der Dichter bad bes 
dächtige Greifenalter, das thatkräftige Mannesalter und bad 


Wilhelm Tell. 567 


leidenfhaftli erregte Tünglingdalter vorführt, drei miteinander - 
eontraftirende Elemente, die für die Art der Ausführung des 
beabfichtigten Aufftandes eben fo bedeutſam find, wie ſie bei Der 
ſceniſchen Darftellung Afthetiich wirkungsvoll erjcheinen. 

Walther Fürſt auß Url, der bebächtige und vorfichtige 
Greis, fühlt ſich als Freund der Freiheit jelbft gedrüdt und mag 
daher auch gern dem Bedrängten Schuß gewähren, deshalb hat 
er den flüchtigen Melchthal bet fi) aufgenommen. Als e8 aber 
an die heimliche Verabredung geht, möchte er den Adel mit in 
die Berathung gezogen haben, empfiehlt überhaupt Mäßigung 
und erflärt fi nur notbgedrungen für den Aufitand, den er 
gern von jedem revolutionären Charakter befreit ſehen möchte. 
Auch ald bereitd Die Yeuerzeichen von den Bergen rauchen, will 
er erft Kunde aus Unterwalden abwarten, ehe er den Aufftand 
in Uri beginnen läßt. Und nachdem der Sieg errungen, ift er 
der erfte, der feine Landsleute zur Vorficht ermahnt und darauf 
hinweiſt, der Kaifer werde gewiß nicht fäumen, Die vertriebenen 
Vögte wieder einzufegen. Seiner ruhigen Würde wegen fteht 
er in hohem Anfehen bei der Gemeinde, die ihm auch einftimmig 
dad Recht zuerfennt, dad durch den Reichsboten überbrachte 
Schreiben zu erbrechen und vorzulefen. 

Werner Stauffader, zu Steinen im Kanton Schwyß 
wohnhaft, ift ein Wohlthäter der Armen und gleichfalld ein 
Schützer der Bedrängten; wir finden daher den von Tell geret: 
teten Baumgarten, der den Wolfenſchießen erjchlagen, bet ihm 
verborgen, Stauffacher ift ein bejonnener, aber zugleich entſchie⸗ 
dener Charakter. Obwohl er feinem Herren gegenüber die fchul: 
dige Ehrfurcht nicht aus den Augen ſetzt, will er doch nicht, daß 
der Schweizer ſich dem neuen Yürftenhaufe unterwerfe, und bat 
dafür bereit8 gewirkt. Aber er hat dad Schickſal feines Landes 
mehr im Stillen erwogen; offen zu wiberftreben tft ihm noch 
gar nicht eingefallen, denn um der Seinen willen fürchtet er den 
Krieg. Erft ald feine ehrenfefte Gattin ihn zum Handeln er: 
mutbigt, geht er entichlofien an's Werk, wird num aber auch die 


568 Wilhelm Tel. 


Seele des zu Ichließenden Bünbniffes. Mit ber Geſchichte wie 
mit der Berfaflung feines Landes wohl vertraut, fpielt er bald 
die Hauptrolle in der berathenden Berfammlung und verfteht e®, 
die Debatte verftändig und gerecht zu leiten und durch bie Ener: 
gte feiner Rede nachbrüdiih zu wirkten. Auch er erfreut fi 
eines bohen Anfehens in ber Gemeinde, denn die neueften Nach⸗ 
richten gelangen fogleih an ihn. Er tft ed, der die näheren 
Umftände über die Ermordung ded Kaiſers mittheilt; er weiß 
bereit3, daß die Königin von Ungarn dafür blutige Rache zu 
nehmen gedentt; er bat auch Kunde davon, dag bie Kaiferkrone 
auf den Grafen von Luxemburg (d. i. Heinrich VII.) übergeben 
fol. Dafür wird ihm auch die Ehre zu Theil, dem Reichsboten 
mündlih Antwort zu ertheilen. 

Arnold von Melchthal aus Unterwalden, der Sohn eines 
Mannes, ber ftet3 für Recht und freiheit eingetreten ift, befindet 
fih auf der Flucht. Eine noch jugendliche, leicht erregbare Na: 
tur, rafch in Worten wie in Thaten, bat er fi der willkürlichen 
Behandlung, die er von einem Boten ded Vogts erfahren, wider: 
fegt und ihm den Finger zerfchmettert. Bald muß er die ent: 
feglihe Erfahrung machen, daß feine Sorge um den zurüdge: 
lafienen Bater volljtändig gerechtfertigt war; für die an ihm 
verübte Schandthat Rache zu nehmen, iſt feine erjte Empfindung. 
Dennoch zeigt er Selbftbeherrfehung genug, nur ald Kundſchafter 
in Landenberg's Wohnung einzudringen, um ber allgemeinen 
Sache ficherer zu dienen. Wie Stauffacher der begabte Redner, 
fo tft Melchthal der Mann der fchnellen That. Er bringt bie 
erfte Yreiheitäbotihaft nach Uri; er bat den Roßberg erftiegen, 
wo der Wolfenfchießen einft gehauft; er hat auch den Landenberg 
auf der Flucht erreiht und ihn Urfehde fchwören laffen, nie 
wieder zurüdzufehren. 

Mir kommen nun zu Wilhelm Tell, Walther Fürſts 
Schwiegerfohn. Bon natürlichem Freiheitsgefühl erfüllt, geht er 
am Tiebften dem edlen Waidwerk nad; dad wilde Eisgebirg ift 
feine Welt. Sagt er doch felbft: 





Wilhelm Tell. 569 


Zum Hirten hat Natur mich nicht gebilbet; 
Raſtlos muß ich ein flüchtig Ziel verfolgen. 
Dann erft genieb ich meines Lebens recht, 
Denn ih mir's jeden Tag auf's neu erbeute.” 


Sn diefer Eigenfchaft kennt ihn auch feine Gattin, fie weiß, fein 
Athen ift die Freiheit, er kann nicht leben in dem Hauch der 
Srüfte.” So eine Träftige Natur, die fich überall felbit zu helfen 
weiß, eilt auch gern da zu Hülfe, wo Andere in Gefahr und 
Roth find; mit Herzlicher Zuverficht ftellt ihm daher Ruodi (T, 1) 
das Zeugniß aus: „Es giebt nicht zwei, wie der ift, im Gebirge". 
So wird er und glei von vornherein als eine hervorragende 
PVerjönlichteit bezeichnet, und wenn er auch nicht der eigentliche 
Träger des Stückes ift, jo haben wir ihn doch ald ben bie 
Handlung durdjichreitenden Helden zu betrachten. Bon eigen- 
thümlihen Klang ift fein Name, der mit „toll” (von talen, 
d. i. ſich kindiſch benehmen) verwandt fein fol, und |. v. w. um: 
befonnen bedeutet; daher läßt ihn Tſchudi die Worte ſprechen: 
„Wär ich witzig (Hug), fo hieß’ ich nicht der Tell” (vergl. III, 8). 
Sndeflen Itegt es keinesweges in feiner Natur, die Gefahr ab- 
ſichtlich aufzujuchen; aber umfidhtig und voll Gottvertrauen, tft 
er jchnell bereit, einem Bedrängten (wie Baumgarten) felbft mit 
Gefahr feined Lebend zu helfen; denn fein jchöner Wahlſpruch 
ift: „Der brave Dann denkt an fich jelbft zulegt”. Seine Worte 
find ſchlicht und einfach und tragen (IV, 1) das Gepräge unver» 
fäljchter Wahrheit an fih; nur wo er Naturfcenen fchildert, 
oder den Bewegungen jeined Innern einen Auddrud giebt, da 
fteigert jich fein Affeet, und feine Sprache nimmt einen höheren 
Schwung an. Obwohl mit allen Yafern jeined Dajeind an bie 
Berge feiner Heimath gefefielt, reicht fein Blick doch über bie 
beſchraͤnkten Thäler hinaus, denn aus dem Gefpräd (III, 3) mit 
feinem Sohne erfehen wir, daß er auch die ebenen Gegenden 
kennt, und recht gut weiß, unter welchem Drude ihre Bewohner 
feufzen. Er weiß auch, dab folder Drud bereit an feine 
Landsleute herangetreten tft; aber fern von aller Neigung zur 


970 Wilhelm Tell. 


Widerfeglichkeit, ermahnt er felbft einen Stauffacher zur Gebuld. 
Befreiungdplane ſchmieden ift nicht feine Sache, doch handeln, wo 
ed nöthig ift, dazu ift er ftetö bereit. Bon Natur mit Ehrfurdt 
erfüllt vor der Obrigfeit, die Gewalt über ihn bat, ijt er be: 
dächtig genug, ſich nicht an den Kriegsknechten zu vergreifen, 
und auch dem Geßler gegenüber benimmt er fidh durchaus ehr- 
erbietig und bejcheiden, bittet er ihn Doch fogar um Gnade. 
Erft ald das Unmenfchliche ihm zugetraut wird, da empört fi) 
jein Inneres; Doch nicht mit Worten macht er feinem gepreßten 
Herzen Luft, nur mit der That, der zweite Pfeil ſoll jeine Ant- 
wort jein. Da er auch das Leben feined Kindes bedroht jieht, 
jo muß er den verhängnißvollen Schuß thun, und erit jeßt, 
auf neue jchwer gereizt, bedroht er den Landvogt. Was er von 
ihm zu erwarten hatte, nachdem er ihm entjprungen, das lag 
mehr ald nahe. Bei dem Gedanken an Melchthal’3 unglüdlichen 
Bater mußte er jept für Weib und Kinder zittern; wollte er das 
Yergite von den Seinen abwenden, jo mußte jept ſchnell gehan- 
delt werden. Hierdurch rechtfertigt ſich ſeine That ganz eben ſo 
wie die des in feinen heiligiten Rechten bedrohten Baumgarten. 
Zum Unnatürliden hatte man ihn gezwungen; warum follte er 
jeßt dad Ungeheure nicht thun? So führt er Denn aus, was er 
fih im QAugenblid der höchſten Noth gelobt, er ſchießt einen 
Yeind nieder, aber nicht wie ein Meuchelmörder, fondern als 
ehrlicher und offener Gegner, der fi dem flerbenden Geßler ala 
folder zu erkennen giebt, der ſich frei und offen vor aller Welt 
zu feiner That befennt. 

Den kernigen Schweizer Männern gegenüber erbliden wir 
auch zwei ehriame Yrauengejtalten, welche der Dichter, feiner 
Lieblingäneigung folgend, ald zwei ganz entgegengejeßte Charaf: 
tere gezeichnet bat, ed find Gertrud und Hedwig; und zwar hat 
er mit richtigem Takt dem rubig befonnenen Stauffacher die ent: 
ichlofjene Gertrud, dem unruhig umberftreifenden Zell die weiche 
und fanfte Hedwig zur Gattin gegeben, deun Gegenjäge ziehen 
ſich nicht nur an, fondern fie find auch allein dramatiſch wirkjam. 


Wilhelm Tell. 571 


Gertrud, die Tochter des edlen berg (ſ. d.) ift eine Fräftige 
und inmerlich tüchtige Frauengeftalt, wie ihre Altuorberen von 
treuer Baterlandsliebe und edlem Freiheitögefühl befeelt, ohne 
darum von ihrer Weiblichkeit etwas einzubüßen; denn in rüb- 
render Theilnahme fordert fie von ihrem Manne die Hälfte feines 
Grams, bält fie ed doch für ihre Pflicht, renden und Leiten 
mit ihm zu thellen. Aus guter Yamilie abjtammend, mit einer 
ftandesmäßigen Bildung ausgerüſtet, gehört fie zu den eben nicht 
feltenen deutfchen Frauen, die ihre mehr finnenden und überle: 
genden Männer zu entichlofjenem Handeln ermutbigen. So wird 
fie Die erſte Triebfeder zur Befreiung ihred Vaterlandes, und tit 
fomit in erfter Kinie zu den Helden bed Stüdes zu rechnen. — 
Die gemüthvolle Hedwig dagegen, mit ihrem ganzen Sinnen 
dem Frieden einer jtillen Häußlichkeit zugewendet, ift nur mit 
ter Sorge um ihren Mann und um ihre Kinder beichäftigt. 
Die graufigen Wagefahrten ihres Gatten. erfüllen fie mit Unrube 
und Bejorgniß, und voll banger Ahnung blidt fie einem Schidfal 
entgegen, das der erbitterte Geßler ihm bereiten könne. Unfähig, 
fih zu dem Muthe ihres Mannes zu erheben, zürnt fie feiner 
Heldenthat um des geliebten Kindes willen, und iſt gleichwohl 
ftolz auf einen Gatten, der fo Vielen ein Netter und dem Bater: 
Iande ein DBefreier geworden ift. Ihn wohlerhalten wieder bei 
ih zu haben, ihm und ihren Kindern wieder leben zu können, 
dad wird fortan die ganze Summe ihred Glückes ausmachen. 
Wenden wir und nun dem mit fidh felbft zerfallenen Adel 
zu, ſo erbliden wir als die hervorragendfte Geftalt den edlen 
Bannerherrn von Attingbaufen (j. d.), der nah Tſchudi's 
Chronik bei der erften Gejandtihaft, welche die Waldftädte im 
April 1301 an König Albrecht fandten, „als Kandammann zu: 
gegen war und alle anderen Schweizer dur die Würde bed 
wohl erhaltenen Adels übertraf“. In unferm Drama repräfen- 
tirt er den Theil des Adels, der fi mit dem Volke innerlich 
verbunden weiß, in Webereinftimmung mit demjelben denkt und 
fühlt. Wir ſehen ihn in patrtarchalifcher Einfachheit mit feinen 





572 Wilhelm Tel. 


Knechten den Frühtrunk tbeilen, ehe er fie am ihre Arbeit ſchickt 
Sonft Hat er die Seinen im Dienfte des Kaiſers in Schladhten 
angeführt unb an ihrer Spike tapfer gefochten; jest fchmachtet 
er mit ihnen gemeinfam unter dem Drud der Bögte. Er, ber 
fih des ftolzen Bewußtfeind erfreute, Selbftherr zu fein und 
feinem fremden Herrn zu dienen, flieht jeßt mit Schmerz, wie 
viele Andere feined Standes dem Lande untreu werden, und 
bit mit Kummer auf feine Güter, die nach feinem Tode in 
fremde Hände übergeben follen. Kein Wunder, daß bie neue 
Zeit dem fünfundachtzigjäbrigen Greife in feiner Weile behagen 
will, und daß er feinem Ende hoffnungslos entgegen geht. Iſt 
ed ihm nun auch nicht vergönnt, die Sonne ded neuen Freiheit: 
tages zu fchauen, fo ſoll er doch wenigftend ihre Morgenröthe 
begrüßen. Xel’8 muthige That und das Bündniß auf dem 
Rütli, fie eröffnen ihm den Blid in eine glanzerfülte Zukunft, 
und fo kann er, innerlich geftärkt und reichlich getröftet, in Frie 
den fcheiden. 

Ihm gegenüber fteht Rudenz, fein Neffe und fein einziger 
Erbe. Bon dem Glanz bes Taiferlihen Hoflagers gebfendet, wo 
er in Zumieren den Preid davon tragen kann, wo Kriegeöruhm 
und Sieg ihm winken, ift er ber einfachen Sitte jeined Landes 
untreu geworden, deſſen Noth ihm um fo weniger zu Herzen 
geht, als er den Hohn der Yremblinge, die ihn ald einen Ritter 
aud dem Bauernadel betrachten, nicht zu ertragen vermag. ber 
nicht nur dad Berlangen, an dem fremden Fürftenhofe eine 
glänzende Rolle zu fptelen, fondern auch die Liebe hat ihn in 
daB feindliche Lager gelodt; es iſt Bertha von Bruned (1. d.), 
die er durch feine Anhänglichkeit an Deftreich zu gewinnen hofft. 
Do dat die Liebe ihn auf eine falſche Bahn getrieben, jo ver: 
mag fie ihn auch wiederum auf den richtigen Weg zu leiten, ihn 
innerlih umzuwandeln. Daß dies gefchehen, beweiſt er Geßler 
gegenüber, den er feiner Unmenjchlichkeit wegen öffentlich zur 
Rede ftellt. Für den Oheim freilich kommt feine Reue zu fpät: 
aber gerade defien Tod nöthigt ihm das Gelöbniß ab, fich feinem 





Wilhelm Tell. 573 


Volke wieder zuzumwenden, fo daß wir ihn ſchließlich durch feine 
Eroberung des Sarner Schloffed an der Befreiung bed Bater: 
landes Theil nehmen jehen. 

Die vermittelnde Rolle zwiſchen den beiden Parteien des 
Adels hat der Dichter der Bertha von Brunel zugetheilt. 
Obwohl eine reihe Erbin, tft fie Do ihrem Rande wie ihrem 
Volke von Herzen zugethan und leidet mit unter dem allgemeinen 
Drud, um fo mehr ald man ihr nicht geftatten will, ihre Hand 
nach freier Wahl zu verjchenten. Durch eine Bermählung mit 
dem verabfcheuungdwürbigen Geßler jollen ihre Güter an Deft- 
reich gebracht werden, das tft der ſchändliche Plan, dem man die 
Freigeborene opfern will. Und da fie den Abfidhten der fremden 
Bedrüder widerftrebt, jo wird fie heimlich geraubt und zu Sar- 
nen gefangen gehalten, bis Rudenz und Melchthal als ihre Ret⸗ 
ter erjcheinen. Somit ift Bertha keinesweges ein „Romanfräu: 
fein“, wie &. Schwab fie nennt, fondern fie iſt, wern auch mit 
fchwächeren Yarben gezeichnet, doch ein glüdlich erſonnenes Ge⸗ 
genftüd zu der trefflihen Gertrud; denn wie dieje ihren Gatten 
zu thatkräftigem Handeln ermutbigt, jo führt fie ihren Bewerber 
durch die Bande der Liebe zu feiner Pflicht zurück. 

Wie wir die Betrachtung der einzelnen Charaktere mit einem 
dem Lande aufgebrungenen Fremdling begonnen, jo beichließen 
wir fie mit einem fremden Yürftenfohne, der zu den Freiheits⸗ 
beiden feine Zufluht nimmt, e8 tft Herzog Johann von 
Schwaben (ſ. d.).. Durch Konrad Hunn's Mittheilungen (II, 2) 
find wir bereit® auf ihn aufmerffam gemacht worden; wir haben 
gehört, wie fchnöde der Kaijer ihn behandelt, und erfahren (V, 1) 
aus Stauffacher'3 Munde, welche grauenvolle That er verübt. 
Somit fallen die von mehreren Seiten geäußerten Bedenken 
über die unmotivirte Einführung diefer Perſon in ih zufammen. 
Ueberdies aber war der Dichter, der fih ja vorgenommen hatte, 
die hiftortiche Treue möglichft zu wahren, hierzu durchaus ge: 
nötbigt. Denn der gefchichtlicde Parrictda flüchtete, nachdem 
er in Zolge feiner Mordthat in die Reichsacht erflärt worden, 


574 Wilhelm Tel. 


zunächft nach dem Zuger Gebiet und von dba nad) Schwytz, wo 
er in dem Klofter Einfiedeln (ſ. d.) einige Tage verborgen blieb, 
bis ihm die Waldftädte ihren ferneren Schuß verweigerten. Der 
Dichter läßt ihn, als Mönd, verkleidet, bei Tell eimiprechen, wo 
er fi indefien durch fein fchened Benehmen fogleich verräth. 
Bon Gewifjendbifien gefoltert, und jelbft da verftoßen, wo er am 
erften auf Schuß gerechnet, möchte er fich jelbft das Leben neh: 
men; ‚aber Tell giebt ihm einen befieren Rath. Reichlich verforgt 
und durch tröftenden Zuſpruch erleichtert, entläßt er ihn nad 
Stalien, wo er dem Papfte feine Schuld befennen und jeine 
Sünde büßen jol. Somit kann von einer Rohheit, wie G. Schwab 
(S. 740) Tell's Benehmen nennt, gewiß eben fo wenig die Rebe 
fein, wie davon, daß Frauenrath den Dichter hier zu einem 
„apologetiihen Mißgriff““) verleitet haben fol. Tell’ Be: 
freiungdthat noch beſonders zu vertheidigen, oder eine jolche Ber: 
theidigung für dringend nöthig zu balten, fiel Sch. gewiß nicht 
ein; aber einen unberufenen Befreier, den nur perfönlicher Ehr: 
geiz zum Berwandtenmorde angetrieben, von ſich weifen, das 
mußte Tell um ſeines Baterlandes willen, dad mußte er um 
feines eigenen Herzens willen thun. 
— — — ‚Gerädt 

Hab’ ich die heilige Natur, die du 

Geſchaͤndet — Nichts theil ich mit dir — Gemorbet 

Haft bu, ich Hab’ mein Theuerfted vertheidigt.” 
Dad war die Wahrbeit,. welche der Dichter von der Schaubühne 
ald einer moralifchen Anftalt verfünden wollte, von der Stätte, 
welche die erhabene Aufgabe nie aus dem Auge verlieren jollte, 
begangene Berbreden vor ihren Richterſtuhl zu ziehen. Unb 
wenn den Dichter irgend etwas nicht verleitet, jondern geleitet 
bat, fo iſt e8 feine unbezwingliche Neigung zur Zufanmenftellung 
wirfiamer Gontrafte, wodurch Parricida’8 Confrontation mit 
Tell gleichzeitig Afthetifch zu rechtfertigen fein bürfte, 


*) @nethe bei Eckermann II, 315. 


Wilhelm Tell. 575 


Unterjuchen wir nun, wie der Dichter die oben bezeichnete 
Idee feined Stüded vermittelft der fo eben beiprochenen Cha: 
raktere durchgeführt hat, indem wir den Gang der Handlung 
genauer verfolgen. : 

Yet I. Sn der erften Scene werden wir an die Süb- 
ſeite des Bierwaldftätter Seed, und zwar nad) dem Canton Uri 
verfeßt. Durch die Scenerie, wie Durch die einem Fiſcherknaben, 
einem Hirten und einem Säger in den Mund gelegten Gejänge, 
deren hohe lyriſche Bollendung wir mit Recht bewundern, macht 
und der Dichter mit der eigenthümlichen Natur des Landes, mit 
den Bor:, den Mittel: und den Hochalpen befannt. Aus der 
Unterhaltung ber auftretenden Perfonen erfahren wir, daß ein 
Unwetter im Auge iſt; aber al8bald tritt die Landſchaft in den 
Hintergrund, um unfere Aufmerkjamfeit auf den Sturm der 
Gemüther zu lenken, die ſich an dem tobenden See verfammeln. 
Baumgarten, der den unverſchämten Wolfenſchießen erjchlagen, 
wird verfolgt und muß gerettet werden; aber kein Fährmann 
wagt es, dem wilden Element zu trogen. Da erfcheint der Tell 
ala Helfer in der Noth und gleich darauf des Landvogts Reiter, 
durd) deren empörendes Benehmen und die Drangjal des Volkes 
zu unmittelbarer Anfchauung gebracht wird, — Die zweite 
Scene führt und an das nördliche Ufer ded Sees, nach Schwotz. 
Nachdem wir die durch rohe Sewaltftreiche hervorgerufene Volks⸗ 
ftimmung kennen gelemt, treten wir in einen einfachen aber 
würdigen Familienkreis, der und über die Willkürherrſchaft be- 
lehrt, wie fie auch in diefen Thälern geübt wird. GStauffacher 
klagt feiner Gattin, weſſen er fih von Geßler zu verfehen habe, 
während jte ihn auf die Stimmung der übrigen Cantone hinweift 
und ihn zum Handeln ermuthigt. Indem wir das Gefühl der 
Hoffnung beider Gatten tbeilen, werden wir zugleich über Tell's 
und Baumgarten’8 Schtdfal beruhigt; beide haben fich glüdlich 
aus dem Sturm gerettet, und Baumgarten findet bei Stauffacher 
eine fichere Freiftatt. — Mit dem Beginn der dritten Scene 
befinden wir und wiederum in Uri und zwar auf einem freien 


u 


——— nn ee 


576 Wilhelm Tell. 


Platze bei Altorf, wo wir eine Anzahl Werkleute an einer Feſte 
arbeiten fehen. Haben fchon vorher bes Landvogts Reiter unfern 
Unwillen wach gerufen, jo empört und jept dad höhniſche Be⸗ 
nehmen ded Frohnvogts, während die gleich darauf erfolgende 
Aufrichtung der Stange mit dem Hute und mit gerechtem Be: 
denken erfült. Auch tritt die unmwillige Stimmung tei den 
Landleuten fogleich deutlicher hervor. Sie wollen Abrede mit 
einander nehmen; ed gährt alfo auch in dem niederen Volke. — 
Einer Berabredung aber follen wir fogleih in der vierten 
Scene beimohnen, die und nah Attinghauſen zu Walther 
Fürſt verjegt. Hier finden wir den aus Unterwalbden geflüchteten 
Melchthal verborgen, während Werner Stauffadher aus Schwung 
zum Beſuch berüber fommt. Die drei Walbftätte find alfo jetzt 
vertreten. "Die Drangfal, welche hüben und drüben zu erbuften 
ist, bildet den Gegenftand der Unterhaltung, die durch den Be 
richt über Landenberg's neue Unthat alöbald den Charakter eines 
beitimmten Entjchlufjes annimmt. Wie die Tyrannen einander 
die Hände reichen, fo legen jept Die Bertreter der drei Cantone 
ihre Hände in einander, um zu Schu und Trutz zufammen zu 
ftehen; wir fehen daher der NRütliicene mit Spannung entgegen. 
— Somit haben wir an dem erften Act, der uns die Expoſition 
zu liefern bat, eine breite und folide Baſis, auf welcher ein 
ftattlider Bau ſich ausführen läßt. Goethe jchreibt daher 
(13. San. 1804) nad dem Empfange bdefielben: „Das ift denn 
freilich kein erfter Act, fondern ein ganzes Stüd und zwar ein 
fürtreffliches, wozu ih von Herzen Glück wünſche und wovon 
th bald mehr zu ſehen Hoffe.“ 

Act II. Sn der erften Scene befinden wir und noch wie 
am Schluß ded erften Acted in Uri, aber an dem Edelhofe des 
Feldherrn von Attinghaufen, wo ſogleich die Colliſion beginnt. 
Sn dem Freiheren und feinem Neffen jehen wir den &egenjak 
von Alter und Jugend, wie die Differenz der in dem Adel herr: 
fhenden politifchen Anfchauungen verlörpert. Die eindringlichen 
Ermahnungen des conſervativ gefinnten Alterd vermögen nichts 


Wilhelm Tell. 577 


über den abtrünnigen, überdies durch Die Liebe verblendeten 
Süngling; wir fehen beide im Unwillen von einander ſcheiden. — 
Bon ganz anderem Charakter dagegen ift die zweite, die Rütli- 
Scene, die und fohon durch ihren landſchaftlichen Charakter das 
Bild einer vollendeten Harmonie gewährt. Der ruhige Spiegel 
des Seed, die freundliche, monderhellte Nacht, der Frieden ver: 
fündende Regenbogen, fie bereiten und auf eine leidenjchaftslofe 
Scene vor; wir erwarten, daß Feſtigkeit und Treue ein uralt 
Band erneuern werden. Daß die Untermaldner zuerjt erjcheinen, 
wundert und nicht, denn der junge, rüftige Melchthal führt fie 
an; bald kommt auch Stauffacher mit den Schwyter Männern 
über den See gefahren, während der betagte Walther Fürſt mit 
ben Urnern, die um des Landvogted Kundichafter willen einen 
weiten Umweg zu machen haben, als die lebten eintreffen. So: 
gleich beginnt die Berathung, durch Walther Fürft eröffnet. Es 
ift eine Tagſatzung nah altem Brauch, die fern von jedem re: 
volutionären Yreiheitötaumel fich auf dem feiten Boden des ge: 
ſchichtlichen Rechtes bewegt und, einzelne unbedeutende Streit: 
fragen abgerechnet, mit fiherem parlamentariichen Takte geführt 
wird. Die Gefammtmafje ded Volkes zeigt, daß ein einziger 
Wille fie durchglüht. Die Förmlichkeiten werden mit altherge: 
brachter Yeierlichkeit erfüllt; aus Stauffadher'3 Mittheilungen 
über die Urgejchichte der Schweiz erfahren wir, daß Alle eines 
Stammes find, daß fie nie einem Fürften unterthan gemefen, 
fondern fich jelbft regiert und freiwillig den Schirm der Kailer 
erwählt haben. „Keine Ergebung an Oeſtreich“ ijt daher das 
erſte Landesgeſetz, das in der Berfammlung gegeben wird. Nun 
fragt es ſich, wie ed mit der Beſtätigung der alten Freiheits— 
briefe ſteht; Diefe ift vom Kaffer verjagt worden, Selbfthülfe ift 
alfo nöthig. Die Vögte mit ihren Knechten zu verjagen, die 
feften Schlöffer zu zerftören und fomit die alte Freiheit wieder: 
berzuftellen, das find die Reſultate des Beichluffed, der. an dem 
Shriftfeft zur Ausführung kommen fol, aljo an einem Tage, 
der Allen heilig ift wie ihre Sache. Daß ein Pfarrer diejelbe 
I. 87 


578 Wilhelm Tell 


durch feine Theilnahme an dem Bündniß unterftüßt, giebt der 
Verhandlung eine gewifle Weihe, um jo mehr als wir ihn von 
dem Bewußtjein erfüllt fehen, er babe im Namen Gotted zu 
reden und zu handeln. In feinem Namen läßt er daher auch 
den Eid ſchwören, der Alle zu einmüthigem Handeln verpflichtet. 
Eine Lücke freilid bat die Berathung offen gelafien; wie man 
dem ftarren, reichlid” mit gewappneten Schaaren umgebenen 
Geßler beifommen werde, ijt unerledigt geblieben. Reding's 
Worte indeg: „Man muß dein Augenblid auch was vertrauen” 
deuten an, daß wir ein außerordentliche Creigniß zu erwarten 
haben. Somit jchließt die Scene, ein Meiſterwerk voll dramati- 
ſchen Xebend, mit einer hoffnungsvollen Ausficht, während die 
wohlthuende innere Stimmung durch den Blid auf die im erften 
Morgenftrahl erglühenden Eiägipfel, jo wie durch Die prachtvollen 
Klänge des plöglich einjegenden Orcheſters in der wirfjamiten 
Meije erhöht wird. 

Yet III. Hier, wo wir die Kataftrophe zu erwarten haben, 
tritt das Randichaftliche bei der Scenerie in den Hintergrund, 
wogegen ed in den Geſprächen Tell’8 mit feiner Gattin und fei- 
nem Sohne gebührend berüdfichtigt ift. Die erfte Scene führt 
und nad Bürglen, wo wir Tell im Yamilienfreife fennen lernen. 
Nicht ohne Rührung hören wir den älteften feiner beiden Knaben 
beim Beginn eines Acted, in welhem Pfeil und Bogen eine jo 
bedeutungsichwere Rolle für ihn fpielen follen, ein Loblied auf 
das edle Waidwerk anftimmen, ein Lied, in dem der ganze Cha: 
rakter des Vaters fich abipiegelt. Der zerrifiene Strang liefert 
ben Anlaß zur Unterhaltung zwilchen Tell und feinem Weibe; 
ed ift ein mit fanften Worten geführter Streit, denn wie könnten 
die beiden fo verſchieden angelegten Charaktere in Betreff der 
Kindererziehung völlig übereinftimmen. Dazu fommt Hedwig's 
ahnungsvolle Stimmung in einem Augenblid, wo ihr Gatte fie 
verlaffen will; wir fühlen ed mit ihr, ein ſchweres Verhängniß 
droht über den glüdlihen Familienkreis hereinzubredhen; die an 
ihren jüngjten Sohn gerichteten Worte: „Ja, bu bift mein liebes 


— -v——r-- ---- 
” 


Wilhelm Tel. 579 


Kind; du bleibft mir noch allein” — fie deuten prophetifch an, 
was die naͤchſte Zukunft ihr bringen wird. — Dem Streit zwi: 
ſchen zwei Eheleuten, die ſich innig lieben, folgt in der zweiten 
Scene ein Conflict zwiſchen zwei jugendlichen Herzen, die nicht 
von einander laffen können. Bertha und Rudenz haben ſich vom 
Sagdgefolge getrennt, um ſich miteinander audzufprechen; vor 
Allem aber will Bertha den trrenden Jüngling zu feiner Pflicht 
zurüdführen, denn bald wird dad Baterland feiner bedürfen; 
ihon der nächte Augenblid wird über fein fernered Verhalten 
enticheiden. — Beide Auftritte Haben und auf die Dritte Scene, 
den Culminationspunkt ded ganzen Stüdes, vorbereitet. Wir 
finden einen verödeten Platz, auf dem die Stange mit dem Hute 
paradirt. Die Kriegsknechte, welche bei derjelben Wache halten, 
find nicht eined Sinned; der eine ſehnt fich nad) einem Yange, 
der andere fühlt dad Unwürdige der ihm auferlegten Pflicht. 
Da kommt Tell mit feinem Knaben. Es ift daß einzige Mal, 


wo Sch. ein Kind auf der Bühne eine Rolle fpielen Iäßt*), aber — 


die Naivetät ded Knaben, wie Die pädagogiich vernünftige Be— 
lehrung ded Vaters machen einen Eindrud, ald ob der Dichter 
in folder Art ded Dialogs ein erfahrener Meifter jei. Wir bes 
dauern nur, daß die Kriegäfnechte nicht aufmerkſam zugehört, 
daß ein Geßler nicht zugegen gewejen, um unfere Rührung zu 
theilen; der unmittelbar folgende Auftritt wäre eine Unmöglichkeit 
gewefen. So aber bildet er einen fchneidenden Contraft zu der 
Stimmung, mit der wir ihm entgegen geben. Daß Tell nad) ' 
dem eben geführten Geipräch für einen leeren Hut feinen Gruß 
in Bereitfchaft bat, finden wir eben fo natürlich, wie wir Yrieß- 
hardt's Rufe „Meuterei und Empörung” nichtswürdig und 
abfcheulich finden. Da kommt der Landvogt ſelbſt, die jchändliche 
Anklage wird erhoben, und die unerhörtefte Sraufamfeit, die je 
ein Menſch erfonnen, bereitet fich vor unjern Augen. Wenn e8 


*) Die Infantin Clara Eugenia (D. ©. IV, 9) bat nur wenige Worte zu 
ſprechen. 
87* 


— — —— — 


580 Wilhelm Tell. 


ein Dichter jemals verſtanden hat, durch eine ſpannende Handlung 
unſer Herz mit Furcht und Mitleid zu erfüllen, ſo iſt es Sch. 
in dieſer Scene in einer Weiſe gelungen, die ihres Gleichen 
ſucht. Die beſcheidene Unterwürfigkeit, mit welcher Tell ſeinen 
Peiniger um Verzeihung bittet, ſeine nach und nach ſich ſteigernde 
Angſt, endlich der verzweifelte Entſchluß, mit dem er zu dem 
zweiten Pfeile greift; dabei die rührende und vertrauendvolle 
Unbefangenheit des Kindes, und dann, den Fürbitten Bertha'g, 
Walther Fürſt's und Röſſelmann's gegenüber, die unerjchutterliche 
Hartberzigfeit des Vogts — das Alles erhält und wie auf ber 
Folter, bis wir endlich bei des Ritters Rudenz energiihem Auf: 
treten wiederaufathmen. Dies legte erjpart und auch die fürdhter: 
lihe Zumuthung, Augenzeugen bed empürenden Auftrittö zu fein; 
denn in dem Augenblid, wo fein Unwille den höchſten Gipfel 
erreicht, wo wir mit der gejpanntejten Aufınerfjamfeit feinen 
Worten folgen, tft auch der Apfel gefallen, zu Aller Verwunde— 
rung wie zu unferer eigenen. Nun fühlt unjer Herz lich frei, 
denn der furdhtbare Kuoten iſt gelöjt; aber Geßler weiß einen 
neuen zu ſchürzen, der zerhauen werden muß. Mit der Frage 
nach dem zweiten Pfeil verräth er dem Tell fein böſes Trachten; 
fein Wunder, daß nun die Spite ſich umfehrt und der Zorn des 
Ichwer gereizten Batergefühld gegen ihn fich wendet. Daß Gef: 
ler jegt jein eigenes Leben zu fichern fucht, indem er Tell ge: 
fangen mit ſich fortführt, ift eben jo erklärlich, wie es verab- 
‚cheuungdwürdig ift und innerlich uns drängt, mit rettender Hand 
einzugreifen. Doc, wir dürfen ja nur Zufchauer fein; auch wer: 
den wir durch Tell's zuverfichtliche Wort „Mir wird Gott bel: 
fen” darauf bingemiejen, daß ber Himmel den Arm des Rächers 
ſchon waffnen werde. 

Act IV. Durch die beiden erften Scenen werden wir auf 
die Kriſis vorbereitet, mit weldyer die dritte Scene den Aufzug 
abjchließt. Die erfte Scene verjegt und an das öftliche Ufer 
des Urner Sees in die Umgegend ded großen Arenberges (1. d.), 
in deſſen Nähe die Tellöplatte Tiegt. Kunz von Gerfau theilt 


Wilhelm Tel. 581 


mit, daß Geßler ſich mit dem gefeflelten Tell zu Ylüelen habe 
einshiffen wollen und daß der Freiherr von Attinghaujen dem 
Zode nahe fei; wir erfahren jomit, was in der Pauje zwiſchen 
ben beiden Acten gefchehen iſt und werden gleichzeitig auf bie 
nächitfolgende Scene hingewieſen. Borläufig aber nimmt ber 
in Aufruhr befindlihe See unjere Aufmerkjanteit in Anſpruch. 
Es ift ein rafender Sturm, deſſen Schilderung lebhaft an Shake⸗ 
ipeare’8 König Lear III, 2 erinnert. Das Läuten auf dem Berge 
deutet an, daß ein Schiff in Noth ift, es iſt das Herrenichiff 
von Uri, auf welchem Geßler feinen Gefangenen mit fich führt. 
Sndem der Fiicher auf Tell, ald einen trefflihen Steuermann 
bindeutet, kommt diefer felbft, erzählt in mächtig ergreifender 
Weile, wie er entlommen, und eilt auf dem nächſten Wege nad) 
dein verhängnißvollen Küßnacht. — Noch freudig erjchüttert von 
dem glüdlihen Ausgang des heldenmüthigen Wagniſſes, führt 
und der Dichter nad Attinghaufen, um und in der zweiten 
Scene einen Auftritt ſtiller Wehmuth vworzuführen. Der edle 
Freiherr ift feinem Ende nahe, Walther Fürſt ift zugegen, und 
auch Hedwig ift herbeigeeilt, um ihren geretteten Knaben zu 
jehen; es tft eine mit bittrem Schmerz gemijchte Yreude. Aber 
noch ein andered Wieberfehen wäre jept wünjchendwerth; der 
alte Attinghaufen tft erwacht und ſehnt ſich nad) feinem Neffen, 
um ihm den legten Segen zu ertheilen. Die Sinnesänderung 
feines Erben hat jein befümmertes Herz mit inniger Freude, die 
Ausfiht auf die nahe Befreiung des Vaterlandes feine Seele 
wit fröhlicher Hoffnung erfüllt. In prophetiſcher Begeifterung 
ſchaut er in die Zukunft und deutet die (S. 559 erwähnten) ge- 
ſchichtlichen Thatſachen an, die feinem Vaterlande die volle Frei- 
heit wiedergeben werben. Doc erft ald er feine Augen ge 
ſchloſſen, erſcheint Rudenz, um dem bereitö Entfeelten zu geloben, 
den Seinen treu zu fein. Und dieſes Verſprechen, er wird es 
halten; denn auch ihn treibt jeßt die Noth, feine Bertha iſt ge- 
raubt, e8 muß nun jchnefl gehandelt werden. Somit wird daB 
Chriftfeft nicht abgewartet; die Bedeutung, welche den auf dem 


582 Wilhelm Tel. 


Rütli gefapten Beichlüfien beizulegen war, tritt vor den Beleibi- 
gungen, welde die Einzelnen erfahren, in den Hintergrund; 
niht das Streben nad politiihem Umſturz, fondern gerechte 
Nothwehr bildet den Charakter der allgemeinen Volkserhebung. 
Denn die Zeit, „wo alle Bande des Gehorfams aufgelöft find“, 
fol nicht lange auf ſich warten laffen; der Arm des Rächers ift 
bereit8 gewaffnet. — Die dritte Scene führt uns in die hohle 
Gaſſe bei Küßnacht, wo die Löſung des Knotens erfolgen fol. 
Tel, obwohl ein Fräftiger und entfchlofjener Charakter, ift doch 
bei der ungeheuren That, zu der er fich jept bereitet, nicht ohne 
alles Bedenken. Er, der fonft „nicht lange prüfen oder wählen“ 
kann, hier thut er ed; fein ergreifender Monolog zeigt und, wie 
ed in feinen Innern ausſieht. Geßler ift nicht mur ein Feind 
bes Landes, er iſt fein perfönlicher Yeind, der ihn das Herz ge 
brochen, ein Wüthrich, vor deflen teufliicher Bosheit er fi 
und die Seinen beſchützen muß. Noch kommt ein heiterer Zwi— 
fchenfall, ein Hochzeitäzug, der feinen Gedanken eine andere 
Richtung geben könnte; aber Geßler, der gleich darauf erjcheint, 
tft völlig derfelbe geblieben. Er fpricht ed offen aus, baß er 
die Freiheit ded Landes vernichten, feine Strenge noch fteigern, 
ein neues, jedenfalls noch abfcheulichered Gejeg verkünden will 
— ba durhbohrt ihn der Pfeil, deflen Spite ihm fagt, wer 
ihn gefendet. Tells Yreiheitöruf und die Klänge der Hochzeit: 
muſik, fie bilden den jchneidenden Contraft zu dem fürdhterlichen 
Ende des verzweifelnden Tyrannen. Nach diefer mächtig er 
fhütternden Scene bedarf unſer Gemüth eined Momented in- 
nerer Sammlung; da erjcheint der Chor der barmberzigen Brüder, 
um unferer Stimmung den entiprechenden Auddrud zu geben. 
Ein ernfter Grabgeſang erfhallt, deſſen letzte Worte: 
„Vereitet oder nicht zu gehn, 
Er muß vor jeinen Richter ftehn!* 

fern von den ftolgen Bergen wieberhallen und unfere Seele 
mit ernften Sinnen, unfere Bruft mit heiligem Schauer er: 
füllen. 





Wilhelm Tel. 583 


Act V. Die erfte Scene führt und nad) Uri zurüd, wo 
das Stüd begonnen; auf einem Platze bei Altorf begegnen wir 
benfelben Geftalten, welche gleich anfangs unfre Aufmerkſamkeit 
in Anfprud nahmen. Der Gieg ift bereit5 errungen, aus 
Schwytz und Unterwalden verfünden e3 die euerzeichen; die 
Urner, die auf dem Rütli zulegt eintrafen, find auch die legten, 
die ihren Twinghof niederreißen. Die Tyrannen find ohne 
blutige Gewaltthat verjagt, nunmehr wird auch der Hut ge- 
bracht, der ald ein Denkmal der wiedererrungenen Freiheit auf: 
bewahrt werden fol. Da trifft die Kunde ein, daß der Kaifer 
ermordet ift, „das große Landedunglüd, die jchweren Thaten 
wider die Natur“, auf welde Stüffi (IV, 3) bingebeutet, fie 
find jetzt gefchehen, und zwar in nädhfter Nähe. So drängt 
der Dichter die gefchichtlichen Thatfachen, welhe um meh: 
rere Monden auseinander lagen, kurz zufammen, ftellt aber 
auch zugleich zwei Thaten mit einander in Gontrajt, die aller: 
dings verwandte Ziele, doch ganz verfchiedene Quellen haben. 
Ded Königs Mörder haben ihr Ziel erreicht, doch ihren Zwed 
verfehlt, während die Eidgenofjen ſich der Früchte ihres bejon- 
nenen Handelns erfreuen dürfen; jene fliehen fcheu auseinander, 
dieje finden wir einmüthig beifammen. Und einmütbig weijen 
fle auch die Zumuthung der Königin Elsbeth zurüd, ihr die 
Mörder auszuliefern; ihre Verpflichtungen gegen fie find jebt 
erlofhen. Doc fehlt noch Einer bei der allgemeinen Yreude, 
23 fit der Tell. — Die zweite Scene führt und in fein Haus 
zu Dürglen. Er felbit ift noch nicht heimgefehrt, aber Hebwig 
und ihre Kinder erwarten den Bater und mit ihm den Befreier 
des Baterlanded. Da erfcheint Parricida im Möndhägewande; 
er glaubt bier einen Ort zu finden, der ihm Schuß gewährt. 
Aber Hedwigs ahnungsvolles Herz merkt bald, daß fie es feines: 
weged mit einem frommen Bruder zu tbun hat. Ein Mörder, 
den fie noch nicht kennt, weilt in ihrer Nähe und flößt ihr 
Angit und Entjegen ein. Und nun kommt einer, ben fie kennt, 
ed iſt ihr Gatte; auch er hat einen Mord begangen, wie fie 


584 Wilhelm Tel. 


wähnt, und darum „zittert fie vor Schreden und vor Freude” 
Aber Tell weiß wohl, was er getban, er hat die Seinen ver: 
theidigt und das Rand gerettet. Mit diefem Bemußtjein, dem 
rubigen Bewußtjein eines Baterlandövertheidigers, tritt er dem 
Herzog von Schwaben entgegen und beweilt ihm jeine Ent: 
rüftung, die nicht „der Ehrjucht blut'ge Schuld mit der ge 
rechten Nothwehr eines Vaters“ verwechfelt haben will. Doch 
als Menſch ehrt er auch in dem Mörder den Menſchen und er: 
barmt fich feiner, ſoweit feine Pflichten gegen dad Vaterland es 
geftatten. Dieſes felbft aber ertennt Tell in der Schlußſcene 
als feinen Crretter an; durch feine kühne That iſt das be: 
ihloffene Werk der Befreiung zum fchnellen Ziele geführt wor: 
den. Freiheit und Einigkeit, der legte Wunjch bes fterbenden 
Attingbaujen, das find die Güter, deren fid dad Rand wie ehe 
dem erfreuen wird; denn auch die in den Adelöparteien noch 
vorhandenen ftreitenden Elemente werden durch Berthas Ber: 
bindung mit Rudenz verföhnt, der, indem er feine Knechte für frei 
erklärt, fich fortan als Bürger des Landes betrachtet und den 
Adel der Geburt dem Adel der Gefinnung zum Opfer bringt. 
Nachdem wir dem Ideengange bed Dichterd, wie wir ihn 
zu verftehen glauben, gefolgt find, Tiegt und noch die Berpflidy: 
tung ob, mit einigen Worten auf die mancherlei Ausſtellungen 
hinzuweiſen, welche verjchiedene Kritifer von ihren fpeciellen 
Standpunften aus gemadt haben. Daß man den Plan und bie 
Durchführung ded Ganzen den erhabenen Schönheiten des Ein- 
zelnen gegenüber von untergeorbnetem Werthe fand“), wollte 
man durch Die Behauptung beweijen, daß ſich die Handlung des 
Stüdes in zwei Keihen theile, bie bis zum Schluß neben ein: 
ander bergingen, ohne in ein gegenjeitiged Verhältnig zu treten. 
Wir glauben, daß der Dichter vollfommen pſychologiſch richtig 
verfuhr, indem er Tells That von den Beichlüffen der Ber: 


*) Bergl. Werner Hahn, Geſchichte der poetifchen Literatur der Deutſchen 
2erlin bei Her. 1860. S. 232: 


Wilhelm Tel. 385 


ſchworenen tfolirte. Eben fo bat man e8 getadelt, daß die in 
dem Stüde eintretenden Entiheidungen wiederholentlih aus 
Zufälligkeiten ftammen, wie Tells Befreiung durch den Sturm 
auf dem See und die Ermordung bed Kaiferd durch eine mit 
dem Stüd in feiner näheren Verbindung ftehende Ferlönlichkeit. 
Wir haben oben nachzumeifen verfucht, wie der Dichter beides 
motivirt hat, der Dichter, der Wallenftein ſprechen läßt: „Es 
giebt feinen Zufall, und was und blindes Ungefähr nur dünkt, 
gerade das ftammt aus den tiefften Quellen.“ Uebrigens darf 
man nicht überſehen, daß der Dichter fich durch Die. Yabel ge 
bunden fühlte. Wollte er den einmal gegebenen Stoffe nicht 
ſchreiende Gewalt anthun, jo mußte er vor allen Dingen daran 
denken, ihn poetifch zu geftalten”), nicht aber fich bemühen, ihn 
diefen oder jenen theoretiſchen Anforderungen zu Liebe jo um- 
zuformen, daß er feinen eigenthümlichen Reiz vollftändig verlor. 
Daß Sch. der von der Kritif mit dem Titel eined „Romanfräu- 
leins“ beehrten Bertha von Bruned eine weit edlere Rolle zu: 
getheilt, und daß Tells als „Rohheit”"") bezeichnetes Benehmen 
gegen Barricida fi nicht nur pſychologiſch, jondern auch äſthe— 
tiſch volllommen rechtfertigen läßt, haben wir bereitd oben nach⸗ 
zuweilen verfuht. Wenn man Melchthals „Ziraden über das 
Licht” (1, Y) als für ein Drama unftatthaft erklärte, jo vergaß 
man, daß Melchthal ein phantafiereicher junger Mann ift, dem 
alle Naturerjheinungen ein außerordentlich lebhafte Intereſſe 
einflößen, und daß jeder Menich in joldyen Augenbliden, wo 
der heftige Schmerz einer jtillen Wehmuth weicht, zu Betrach⸗ 
tungen ähnlicher Art durchaus geneigt if. Daß man Tells 
Monolog (IV, 3) zu lang, mit fremdartigen Ideen vermiſcht ge- 
funden und die Reflerion in demjelben getadelt hat, ift eben jo 
ſchwer zu begreifen. Unſerm Ermeſſen nad fällt es Zeh durd: 


*) Berl. D. Götter Briechenlande Bd. 1, S. 359, am Schluß. 
**) Vergl. Hinrich@ 111, 304 u. 305. 
») Vergl. G. Schwab, ©. 740. 


586 Wilhelm Tel — Windeörofe. 


auß nicht ein, feine That vor fich felber zu rechtfertigen. Sein 
Monolog enthält nichts Anderes ald die Empfindungen, weldye 
feine Seele in diefem Augenblicke durchziehen, und ift fomit ein 
Product vol eben jo tiefer pivchologifher Wahrheit als hober 
poetiſcher Vollendung. 

Solden Angriffen und vielem andern thörichten Geſchwätz 
gegenüber ift darauf hinzuweiſen, Daß Schillerd Zell weniger 
für den fcharf zerjeßenden Berftand als für lebhaft und warm 
empfindende Herzen gefchrieben ift, für Naturen wie Iffland, 
der dad Stüd feinem dringenden Wunfche gemäß, partienweile 
erhielt, fo wie Die einzelnen Acte fertig waren. Gleich auf bie 
erfte Sendung antwortete er dem Dichter: „Ich habe gelefen, 
verjchlungen, mein Knie gebogen, und mein Herz, meine Thränen, 
mein jagendes Blut bat Ihrem Geifte, Ihrem Herzen mit 
Entzüden gehuldigt! — O bald, bald mehr! ... Blätter, 
Zettel, was Sie geben können! Ich reihe Hand und Herz Shrem 
Genius entgegen. Welch' ein Wert! Welche Hülle, Kraft, 
Blüthe und Allgewalt! Gott erhalte Sie, Amen!" Wir tim: 
men daher Beurtheilern wie A. W. Schlegel und Pallesfe bei, 
welche den Zell nicht nur für Sch.s vortrefflichſtes Stud, 
fondern für ein lyriſch, dramatiih und ſprachlich vollendetes 
Meiſterwerk erflären, und freuen und, daß der Dichter ed ver: 
ſchmäht Bat, feinem Ylügelroß die Candare nüchterner Kritiker 
anzulegen. Denn wie der Glanz der Alled erfreuenden Sonne 
einer landjchaftlihen Scene erft ihren vollen Reiz verleiht, fo 
bat ber Dichter ed bier verftanden, die einfachen, fchlichten und 
natürliden Reden und Handlungen feiner Helden durch ben 
Glanz der Poeſie zu verklären. 


Wilne (Dem. D an der Wilia, die Hauptftadt und ehema- 
lige Reſidenz des litthauiſchen Reiches; nahe der polnifchen 
Grenze, öſtlich von Königsberg. 

Windesrofe (Br. v. M. 5, 421) od. Windrofe, eine mit 
dem Compaß verbundene Zeichnung von fternförmiger Geftalt, 


Windesweben — Wirkungsarten. 587 


durch deren Strahlen die verſchiedenen Himmelsgegenden ange- 
deutet werden. 


Windesweben (Wit. L. 6), von weben, in der urſprüng⸗ 
lichen Bedeutung „fich bin und her bewegen“, die durch den 
Mind auf der Wafferfläche hervorgerufene Bewegung, die bei 
fchnellem Wechſeln der Windrichtung (Br. v. M. 5, 419 — Geb. 
Hero u. Keander, Str. 9) biöwellen einem Gewebe gleicht. 


Windeswehen (W. T. V,2), die durch den Wind herbei: 
geführten Unglüdöfälle, wie fie befonderd beim Herabftürzen von 
Lawinen (ſ. d.) entitehen können. 

Windlawine, j. Lawine. 


Windlihter (W. T. II, 2), Fackeln, die im Winde nicht 
verlöjchen. 


Winkelried (W. T. Perf.:Berz.), ein altes Heldengeſchlecht 
aus Stanz; einer dieſes Gefchlechtd hatte (W. T. 11, 2) der Sage 
zufolge eines begangenen Todſchlags wegen verbannt werden fol: 
Ien, ſich aber erboten, den bei Weiler haufenden Drachen zu 
befämpfen. Died gelang ihm auch, doch wurde er Dabei mit dem 
giftigen Blute beiprigt, woran er ftarb. 

Wirbel (Ged. Phantafie an Laura), eine ſchnell drehende 
Bewegung; daher (Ged. An d. Freude): „der Sterne Wirbel”; 
beögl. ein Waflerjtrudel, wie (Ged. D. Taucher): 

„Und ſchon bat ihn ber Wirbel hinweggeſpült.“ 
endl. verworrene und gewaltfam durchgeführte Plane, wie (R. 
IV, 2): „Bünftlihe Wirbel.“ — Davon: wirbeln: 1) unwider: 
ftehlih emportreiben (R. II, 1); 2) außer fich fein (K. u. 2. 
IV, 9); 3) unfinnige Bewegungen maden (R. II, 3). 

Wirkungsarten, Zweierlei (Ged.), ein Epigramm aus d 
J. 1796. Durch gute Thaten regen wir Andere zur Nachfolge 
an; durch ſchöne Schöpfungen verjegen wir fie zugleich in die 
zu gutem Handeln erforderlihe Stimmung. Im erften Yale 
fpenden wir nur geiftige Nahrung, im zweiten liefern wir eine 





588 Wirthin — Worte. 


geiftige Ausſaat; oder noch faßlicher audgedrüdt: dad gute Bei: 
fpiel wirft mehr ald die beſte Belehrung. 

Wirthin (W.T. 1,2 u. 1,4), die bewirtbende Hausfrau; 
in demjelben Sinne Ehewirth (W. T. I, 2), in Zihudts 
Chronik „Ee-Wirt“; desgl. (Bit. T. 111,7) ein „wirthba: 
ter Zweig”. 

Wismar (Wit. 2. 11), Seeftadt in Medlenburg- Schwerin. 


Wiſſenſchaft (Picc. 1,3 — M. St. J, 7), |. v. w. genaue 
Kenntniß. Das Xenion: Wiſſenſchaft (Geb.) ftellt Diejenigen, 
welche die Wiſſenſchaft um ihrer felbft willen treiben, denen 
gegenüber, die fie nur ald Broberwerb benugen Bergl. Ardji- 
medes. 

Woiwoda (Dem. I) od. abg. Woiwod, von dem rufl. woi, 
Heer und woditj, führen; eig. ein Heerführer, dann Herzog, end» 
lich Statthalter in dem ehemaligen Königreih Polen. 


Wolfenſchießen (W. T. 1,1 u. II, 1), Ort im Engelberger 
Thal zwiſchen Stanz und Altorf; die Burg, weldye dabei lag, 
ift verihwunden. 

Wolkenbild (Gſtſ. 10, 224), die Vorftellung von höheren, 
überirdiijhen Gütern. 

Woodſtock (M. St. II, 3 u. IV, 9), Heine Stadt, nordweſt⸗ 
ih von DOrford. 

Wort (W. T. 11, 2), ſ. Farole. 


Worte, Die, des Glaubens (Geb.), ein didaktiſches Ge— 
Dicht aus dem Jahre 1797. Es bezieht fidh auf eine Lehre der 
Kantiſchen Philoſophie, welcher zufolge e& für Freiheit, Tugend 
und Unfterblid;feit Feine Beweiſe giebt, da dieſe Borjtellungen 
ald natürliche Yorderungen unferes Gemüths zu betrachten find. 
Aus diefem Grunde nennt Schiller fie auch Worte des Glaubens, 
Die erjte Vorftellung iſt Die ter natürlihen und fittlichen Frei: 
heit im ©egenfab zu ber des Wahnd; die zweite ijt Die der 


Worte — Wrangel. 589 


Tugend, die dem mit Bewußtjein Strebenden ald Ideal vor- 
ſchwebt, während die kindliche Einfalt ihr unbewußt gehordht; 
die dritte tft die Borftellung eines höchſten Wefend, d. h. Gottes, 
der das Gute liebt, und defien Wille alfo heilig ift, während 
der durch Zeit und Raum befchränkte Menſch in feinem Urtheil 
wie in feinem Handeln wankt und den „höchſten Gedanken“, 
db. b. Gott jelbft nur ahnen, aber nie in fich verwirklichen kann. 

Worte, Die, des Wahns (Ged.), ein Gegenftüd zu dem 
vorigen, welched 1799 getichtet wurde. Die Worte ded Wahns 
find nicht wie die des Glaubens inhaltichwer, fondern bedeutung: 
fchwer, weil fie feine wirflihe Wahrheit enthalten, wohl aber 
zum Nachdenken auffordern. Die drei Mittelitrophen beginnen 
alle mit dem Anfang des legten Verſes der erſten, an deren 
Schlußgedanken fie angefnüpft find. Der Glaube an die goldene 
Zeit ift ein Traumgebilde edler aber ſchwacher Gemüther, die, 
wenn fie ihre Ideale nicht verwirklicht jehen, in Weltichmerz 
verfinfen, ftatt einen Charakter zu zeigen, der dad Ideale in fei- 
ner Gefinnung zur Erfcheinung bringt. Der Vorftelung, daß 
das Glüd eine Folge der Tugend fein müſſe, widerfpricht die 
allgemeine Erfahrung; Me Tugend hat daher ihr Glüd nicht in 
irdifchen Gütern, fondern darin zu fuchen, daß fie fi im Beſitze 
des Spealen befindet. Eben fo kann die Wahrheit nur erftrebt, 
aber nie entichleiert werden (vergl. das verjchleierte Bild zu 
Said); ja felbft unſere Spradhe ift zu arın, um das ald wahr 
Erfannte in voller Klarheit darzuftellen. Darum follen wir den 
Mahn der Erijtenz diefer „Schatten“ von und werfen, nicht aber 
den Glanben an dad Schöne, Gute und Wahre verlieren. Das 
Leben freilich kann ed und nicht gewähren, tm Reiche Ted Idea— 
len aber werden wir es finden. (Vergl. dad Ideal und das 
Leben). 

Wortgefeht (M. St. I, 7), Verdeutſchung des Wortes De- 
batte, d. i. ein Streit, der mit Worten durchgefochten wird. 

Wrangel, Karl Guſtav (geb. 1613, + 1675), einige Sabre 
nah Wallenftein’d Tode (Dr. Kr. 449) einer der Untergenerale 


590 Würde der Frauen. 


Banner’d, war zeitig in den Soldatenftand getreten und hatte 
die Kriegführung in Guftav Adolph's Schule gelernt. Erft nad 
Banner's Tode (1641) trat er mehr hervor, indem er das ſchwe⸗ 
diſche Heer bis zur Ankunft Torftenfon’3 befehligte. Seine legte 
That im breißigjährigen Kriege, die Eroberung Egers (Dr. Kr. 
481) mochte für Sch. die Beranlaffung werden, ihn bereits als 
Oberft mit Wallenftein unterhbandeln zu laſſen. Die Worte, 
weldhe er ihm (Wfl. %.1,5, V. 135— 152) in den Mund legt, 
wurden erft 1635 von Orenftierna bei Gelegenheit des Prager 
Friedens (Dr. Kr. 431) geſprochen. 

Würde der rauen (Geb.). Als Schiller dieſes Gedicht 
ſchrieb, es war im Sabre 1795, war er bereits feit fünf Sabren 
glüdlih verbeirathet. Wenn auch zunächſt dad Gefühl der 
Dankbarkeit aus demjelben jpricht, jo bemerkt man body bald, 
wie er feiner ganzen Geiſtesrichtung gemäß, Dad, mas ihn per: 
\önlich berührte, aus einem allgemeineren Geſichtspunkte zu bes 
betrachten wußte. Die Würde der Yrauen konnte natürlich mur 
durch die Zufammenftellung mit ihrem Gegenfage ein wahrhaft 
Vebendiged Colorit erhalten; deshalb find Die fechäzeiligen Strophen 
mit dem leichter dahinhüpfenden daktyliichen Metrum dem Lobe 
der Frauen gewidmet, während in den achtzeiligen mit dem ernftes 
ren trochäifchen Versmaß dad Streben des Manned harakterifirt 
wird. Die Frau, vor allem die deutfche, ift dem Dichter die Be- 
wahrerin edler Sitte, ein Wefen, dad der Natur näher und treuer 
geblieben, durch ihren religiöfen Sinn auch innerlich reicher und 
zufriedener tft al8 der Mann. So erjcheint fie ihm als eine der 
ſchönſten Zierden des gefellfchaftlihen Lebens, ala ein Geſchenk 
des Himmeld, das dazu beftimmt ift, unfer irdifches Dafein durch 
feine Grazie zu verfchönern und zu verflären. Der Mann ba: 
gegen erfcheint ibm als Die Perſonificirung leidenfchaftlicher Kraft, 
welche die Grenzen ded Wahren und Rechten nur allzuleicht 
überjchreitet; ald ein Weſen, dad in feinem Streben nach dem 
Unerreihbaren nie Befriedigung findet, oft mit fich jelbft in 
Streit geräth, und hart gegen fich felbft, auch leicht hart und 


Würden — Zenien. 597 


ftreng gegen Andere wird. Nur durch Bereinigung mit einem 
weiblichen Wefen vermag er in eine enger begrenzte Sphäre zu- 
rüdgeführt zu werden, in welcher er Ruhe und Lebensglück finden 
kann. Bergl. Tugend des Weibes; eben jo tft eine Vergleichung 
dieſes Gedichtes mit vielen Stellen in Goethe's Torquato Taffo 


‚von bejonderem Snterefle. 


Würden (Zur. II, 4), ald Titel oder Anrede wie unfer 
Hochehrwürden und Hochwürden. 

Würden (Ged.), ein Epigramm aus dem Jahre 1795. An 
dem Bilde des im Sonnenlichte erglänzenden Baches entwidelt 
ber Dichter den Gedanken, daß jede Würde weniger an der Per: 
fon hafte ald an dem Amte, welches diejelbe bekleidet. 

Würfel, falfche (Wit. L. 9) find in der Nähe der niedrigen 
Augen mit Blei audgegofjen, Damit die hohen Augen beim Wer: 
fen nach oben kommen. 

Wurzel, tolle (Mech. I, 5), vermuthlich der Wurzelftod des 
Woaflerfchierlingd [Cicuta virosa]. 

Wüſtthümer (Wſt. 2. 8), fcherzhaft, |. v. w. in Wüſteneien 
verwandelte Ortichaften. 


X. 


XRanthus (4. B. d. Aen. 27), ein Flüßchen der Troͤiſchen 
Landſchaft im nordweſtlichen Theile Kleinaſiens, wird nur in der 
Goͤtterſprache fo genannt, ſonſt heißt es Skamander (ſ. d.). In 
den Strophen (R. II, 2 u. IV, 4) bat Sch. bei der Aufnahme in 
die Sammlung feiner Gedichte Ranthus in Orcus (ſ. d.) umge: 
wandelt. 


XZenien, von dem gr. Zenion, d. i. Gaſtgeſchenk, wurben bei 
den Griehen und Römern diejenigen Geſchenke genannt, mit 
weldyen man die Eingeladenen oder Bejuchenden bei ihrem Ab: 
ſchiede zu beehren pflegte. Anfangs beftanden dieſe Geſchenke in 





— nn - 


592 Zenien. 


genießbaren Gegenftänten, jpäter in zierlihen Nachbiſdungen 
derjelben, noch fpäter in Devifen oder Epigrammen. Den Aus: 
drud Xenien wählte der römiſche Dichter Valerius Martialis 
(geb. 40, + 100 n. Chr.) aus Bilbilid in Geltiberien (dem nord: 
öftlihen Spanien) für eine Anzahl feiner Epigramme Die 
Blüthezeit dieſes Dichterd fiel unter Domitian und Titud. Er 
veritand ed, momentane Creignijje in geiftvoller Weite zu erfufjen 
und witzig zu behandeln, jo Daß die in Diftichen verfaßten Sinn: 
gedichte, die zunächjt für feine Yreunde und Gönner beftimmt 
waren, jich bald einer meiten Verbreitung erfreuten und viel ge: 
lefen wurden. Sie jind in einem Audzuge, lateiniſch und deutſch, 
aus Den poetiichen Ueberſetzungen verichiedener Berfafler geſam— 
melt von K. W. Rammler, 1787 in Leipzig erjchienen. 

In Schiller's Werken verjteht man unter Xenien eine An— 
zahl von mehr ald 400 Dijtichen, die urjprünglich in den Muſen- 
almanıd für 1797 erfchienen. Die Deranlafjung zu denjelben 
war folgende. Schiller batte im Berein mit den nambafteften 
Scähriftitellern der damaligen Zeit die Heraudgabe eined Sournals 
unter dem Titel: „Die Horen“ begonnen, war indefjen von 
Mehreren, weldhe ihm Beiträge zugejagt, im Stich gelafjen wor- 
den, jo daß der Erfolg der urfprünglichen Abficht nicht entipre- 
hen konnte. Die natürliche Folge davon war, daß die Horen 
überall eine ungünftige Aufnahme fanden, was Schiller in eine 
äußerjt gereizte Stimmung verfeßte, die ſich in vielfachen Aeuße⸗ 
rungen gegen feine Freunde, bejonderd gegen Goethe, Auft machte. 
Die tadelnden Urtheile über die Horen waren zn allgemein, als 
daß die beiden Dichter fie hätten vollftändig ignoriren können. 
Da kam Schiller, welchem zufällig die Xenien des Martial in 
die Hände gefallen waren, der Gedanke, Diſtichen wie dieſe zu 
machen und in dem nächſten Mufenalmanach zu veröffentlichen. 
Auch Goethe ftimmte diefem Plane bei, und nun fammelten die 
Dichter Alled, was gegen die Horen erjchienen war, um beim 
Schluſſe ded Jahres ein literarifches Gericht zu halten, in dem 
man nicht nur über die unberufenen Kritifer, jondern auch über 


Xenien. 593 


verſchiedene Zeitſchriften und einzelne Werke herfallen wollte. 
Im Januar 1796 begann die Arbeit, und ſchon zu Ende bed 
Monat3 waren nahe an 200 Zenien beijammen, deren Zahl bald 
auf 600 anwuchs. Beide Dichter hatten bejchlofien, durchaus 
gemeinjchaftlich zu arbeiten und ihr Eigenthumsrecht an die auf 
dieſe Weiſe entftandenen Epigrammen niemald ausdeinanderzu- 
ſetzen. So wollten fie fortarbeiten, bis dad Taufend voll jein 
"würbe. 

Schiller's Abfiht war ed, bei aller Bitterfeit, welche Die 
Satyre nun einmal verlangt, doch das Gebiet des frohen Hu- 
mors fo wenig wie möglich zu verlaflen. Zu dem Ende wollte 
man fich nicht darauf beichränfen, die bößswilligen Gegner an 
den Pranger zu ftellen; fondern ed jollten auch ernfte Lebens⸗ 
anſichten und äfthetifche Grundfäge in der Form von Diftichen 
ausgefprochen werben. Und bamit die ganze Sammlung den 
beabjichtigten Eindrud nicht verfehlen möchte, wollte man mit den 
fatprifchen beginnen, die ernften und würdigen aber an dad Ende 
fegen. Auf den ſtürmiſchen Angriff follte Die verföhnende Ruhe 
folgen. 

Indeſſen ftellten fich bei der Anordmung ded Ganzen, welche 
Schiller übernommen hatte, unüberwindliche Schwierigkeiten ent: 
gegen, fo daß fich beide Dichter endlich entichloffen, die lieblichen 
und gefälligen Ausſprüche in den ernften und würdigen Theil 
bed Almanachs zu fegen, in welchem unter Anderen 3. B. Goe⸗ 
the's „Alerid und Dora” und Schiller'3 „Klage des Ceres“ er: 
ſchien — während „die Iuftigen“, die aljo von ſatyriſchem und 
rein perjönlidem Charakter waren, und deren Zahl über 400 
betrug, unter dem Namen Xenien den Schluß bilden jollten. 

Sn biefer Anordnung erſchien nun der Almanach und brachte 
ſchnell eine Aufregung hervor, wie fie da3 literariſche Deutichland 
bis dahin noch nicht erlebt Hatte. In Furzer Zeit waren drei 
Auflagen vergriffen, denn Neugier, Schabenfreude und Eiteltett 
fanden bei der Lectüre defielben ihre Rcchnung. Daß natürlich 
die Erbitterung auf Seiten ber Angegriffenen nicht ausblieb, 

II. 88 


594 Xenien. 
bedarf kaum der Erwähnung, umſomehr als unter dem vielen 
Trefflichen auch manches Unbedeutende und beſonders in metri- 
ſcher Beziehung Mangelhafte leicht aufzufinden war. In Be— 
ziehung auf dieſen Punkt ſagt Sch. in einem Briefe an Hum- 
boldt (29. Nov. 1795): „Sch bin hierin der robefte Empiriker, 
denn außer Morig' Heiner Schrift über Profodie erinnere ib 
mich auch gar nicht, felbft nicht auf Schulen, darüber gelefen 
zu haben. Bejonders find mir die Herameter und Pentameter, 
die mich nie genug interejfirt hatten, ganz fremd in Rüdfidt 
auf Theorie und Kritil. Indeſſen glaube id doch, daß die 
Empirie zuweilen gegen die Regel Recht hat.” Kein Wunder, 
wenn daher auf die Xenien Das ziemlich allgemein befannte Anti» 
zenion erfchien: 

„Im Weimar und Jena macht man Herameter wie ber. 

Wber die Bentameter find noch viel ercellenter“. 


Ueber die Fehde, zu weldher die Xenien Beranlafiung gaben, 
findet fih Ausführliched in dem Allgemeinen literarijchen 
Anzeiger von 1797, Str. 54—60 und in der werthvollen 
Schrift: „Schiller und Goethe im Xenienkampf“, von Boa 
1851. 

Daß die Schillerihen und Goͤtheſchen Xenien von ausländi- 
Then Lefern faum zu würdigen, gejchweige denn zu verftehen find, 
läßt fich leicht begreifen; für und Deutſche bleiben fie eine lite- 
rariiche That, wie fie fein Volk der Erde auf dem Gebiete der 
Dichtlunft aufzuweiſen hat. Und ihr Werth ift um fo höher 
anzufchlagen, ald beide Dichter unmittelbar darauf durch eine 
ſchnell aufeinander folgende Reihe der edeliten Kunftfchöpfungen 
nicht nur die kleinliche und eiferfüchtige Kritif zum Schweigen 
brachten, fondern zugleich befundeten, daß fie auch jelbft im 
Stande feien, die von ihnen geftellten äſthetiſchen Yorderungen 
zu befriedigen. Die urfprüngliche Abficht beider Dichter, ihr 
Eigentbumdreht an die Epigramme nie audeinanderzufeßer, 
hatte in der Art, wie fie gemeinfam an benjelben arbeiteten, 


Yonne — Zapfenftreich. 995 


ihren Grund. Dft brachte der Eine den Gedanken entgegen, 
während der Andere ihm die poetifche Yorm gab; oder der Eine 
machte den Herameter, während der Andere in dem Bentameter 
die Pointe Hinzufügte. Goethe ſelbſt legte in jpäteren Jahren 
nur Werth auf die Gedanken felbft, ‚weniger auf das urjprüng- 
lihe Eigenthumsrecht. Nichtödeftomeniger iſt die Mühe, die 
einzelne Erflärer, bejonderd Biehoff, fidy gegeben haben, das 
Mein und Dein beider Dichter zu ermitteln, immerhin eine an- 
erfennenöwerthe und fruchtbare. Es ergiebt fich daraus, daß 
Schiller in der That nicht nur die meiften diefer Epigramme 


‚geliefert, fondern daß auch, wie Goethe ſelbſt fich geäußert, ge- 


rade die Schillerfchen beſonders „ſcharf und fchlagend”, Die Gvethe- 
ſchen dagegen ald „unjchuldig und geringe” anzufehen find. So— 
mit ift Schiller jedenfalld unfer größter epigrammatiicher Dichter. 
Es bliebe nur zu wünfchen, Daß eine befjere Anordnung dieſes 
Schatzes unferer Literatur, ald die, welche Die Gejammtausgaben 
gegenwärtig barbieten, ein leichteres Weberbliden deſſelben mög: 
ih machte. 


„7. 
Yonne (3.0.D.1,9), ein auf der Eöte d'Or entipringen- 
der Nebenfluß ber Seine. 


° Yorit (Sp. u.d. 2), ein Hofnarr, von dem fi Hamlet 
(Act V, Sc. 1) mit dem Todtengräber unterhält. 


York (Wrb. J.), eine der bebeutendften Städte Englands, 


an der zum Humber gehenden Dufe gelegen. 


Ipern (Wrb. I.), eine ziemlich bedeutende Stadt in der 
niederländifhen Provinz Weft:Flandern. 


3. 


Zapfenſtreich. Auf den Wachtſtuben wurde in früheren 
Zeiten an dem Zapfen des Faſſes, aus welchem die Soldaten 
38 * 


596 Zechine — Zelter. 


tranten, ein Kreideſtrich gemadjt, fobald fie mit dem Trinken 
aufhören follten. Zugleich war dies dad Zeichen, fi zur Ruhe 
zu begeben; daher (Wit. L. 6) das Zeichen mit ber Trommel, 
welches die Soldaten auffordert, Abends ind Quartier zu gehen. 


Zechine (%.1,2 — Gſtſ. 10, 133 u. 142), eine italienifche 
Goldmünze von jehr verfchiedenem Werthe. 


Zeihen (Wit. L. 6) |. v.w. Yeldzeihen, ald Fahnen um 
Standarten oder (Wſt. T. IIT, 16) beiondere Abzeichen der leg» 
teren; endlih (Wit. T. I, 7) Feldberrnftab und Yeldhermtitel. 


Zeile (Ged. D. Glode), j. v. w. Reihe; in Frankfurt a. M. 
beißt eine ganze Straße: die Zeil. 


Beitpuntt, Dee (Ged.), ein Epigramm, welches an die 
Zeit politiiher Aufregung erinnert, in welcher ed ſchien, als 
könne echte Menjhenwürde wieder zur Geltung gelangen, und 
wahre Freiheit die Örundlage der ftaatlichen Einrichtungen 
werden. Aber gerade die Zeit der höchſten Erregung war in 
Deutichland eine Zeit fittliher Erfchlaffung, die erft nah Schil⸗ 
ler8 Tode ihre traurigen Früchte trug. 


Zeitungen (R. II, 3) haben fich jeit der Mitte des 16. Jahrh. 
von Venedig aud durch ganz Europa und feit dem Sabre 1612 
in Deutjchland verbreitet, wo wöchentlich ein Fleiner halber Bogen, 
bei. in Wien und Frankfurt gedrudt erfchien; daher (Picc. IL, 7: 
„Eriparen Sie'd, und aus dem Zeitungsblatt 
Zu melden, was wir jchaudernd jelbft erlebt.” 
Bildlih heißt Zeitung (R. L 1 u. IVv 3 —%.1L9 — D. C. 
III, 6 u. IV, 15) ſ. v. w. Nachricht. 


Zelter, eig. ein Pferd, defien Gang die Mitte zwiſchen Paß 
und Trab hält und das mehr zum Tragen oder Ziehen (Phön.) 
als zum Reiten geeignet ift; dann auch ein ruhiges, Kleines, 
mildyweißed, befonders zum Reiten für Damen (Br. v, ar 5, 418 
— Dem. I.) beitimmtes Pferd. 


Zenith — Zeter. 597. 


Senith, das (2.8. d. Aen. 117), der Scheitelpunft, ber 
höchfte Punkt des Himmeldgewölbed, der fi geradetüher dem 
Scheitel des Beobachters befindet. Eine gerade Linie von dem 
Zenith durch den Mittelpuntt der Erde biö zu dem emtgegenge- 
ſetzten Punkte des Himmelögewölbed gezogen, trifft dad Nadir, 
d. h. den Fußpunkt. Bildl. beißt Zenith |. v. w. Höhepunkt, wie 
(Menichenf. 6): „Zenith ded Lebens.“ 

Zenith und Nadir (Ged.), ein Epigramm aus d. 3. 1795. 
Der Dichter weifet und darauf Hin, daß jelbft die räumliche 
Stellung, welche wir in der Welt einnehmen, und eine Ridht- 
ſchnur für unfer Verhalten werben Tann. Der Blid zum Zenith 
mahnt uns an den Himmel, die Richtung zum Nadir an unfere 
irdiſche Heimath; jenem ſoll unſer ftet3 auf daß Höchſte gerich⸗ 
teter Wille, diejer die praktiſche That angehören. ie le 
Ideales und Reales mit einander verbinden. 

Zephyr (Myth.), ein Sohn ded Afträus undfder Aurora, 
ift eigentlich nicht? Anderes ald die Perfonification des Tühlen, 
janften Weit: oder Abendwindes, auf deſſen Hauch ſich die ganze 
Natur belebte; daher (Ged. D. Flüchtling): „die Zephyre koſen“; 
(Sp. u. d. L.): „buhlender Zephyr“ und (Geb. Würbe d. Frauen): 

„Aber wie leife vom Zephyr erſchüttert, 

Schnell die äolifche Harfe erzittert.* 
Die bildende Kunft jtellte ihn als einen anmuthigen Züngling 
dar, ber in einer leichten Gewandung eine Menge Blumen trägt 
And mit audgebreiteten Flügeln über die Yluren dahinſchwebt; 
daber (Ged. Klage d. Ceres): 

„Milder weben Zephyrs Flägel“ 
und (H. d. 8.) bilbli von den Bewegungen beim Tanze: 
„Dem ſchweren Körper geb’ ich Zephyrs SlügeL” 

Bepter, ſ. Scepter. 

Beter, Sezeter (R. U, 3), Zetergefchrei (R. II, 3), 
Klaggezeter (R.IV, 5), ein heftig ausgeſtoßener Hülferuf; 
zetern (R. II, 2), beftig jchreien; Zetermordio (F. IN, 5), 





598 Zetbud — Zeus. 


von zeter, abgek. aus „ziehet ber”, d.i. zu Hülfe! und Mordio, 
von dem deutjchen Mord, ſ. v. w. entſetzliches Angftgeichrei: 

Zethus (Myth.), der Zwillingöbruder des Amphion (f. d.), 
hatte mit demfelben gemeinfam (Phön.) die Stadt Theben 
ummauert., 

Zeus (Myth.) (Geb. Semele 1 — Hero u. Leander — Klage 
d. Ceres), bei den Römern Zupiter (Ged. Dithyrambe — D. 
Süd), im Gen. Jovis (Ged. 2. B. d. Yen. 102 — Klage db. 
Ceres — Iph. IV. Zw.:Handl.) ift der oberfte unter den zwölf 
Söttern, mit welden die neue Götterordnung (vergl. Götter) 
beginnt und wird ald Sohn des Kronos (ſ. d) oder Saturn 
und der Rhea angefehen; daher (Geb. Semele 1) „Kronod 
großer Sohn“. Ebendeshalb wird er auch Kronion (Geb. 
D. Triumph d. Liebe — Semele 1 — 4. B. d. Xen. 69 — D. 
Ideal u. d. Xeben), Kronide (Ged. D. Triumph d. Liebe — 
D. Siegesfeft) und Saturniud (Ged. Semele 1) genannt. Al 
Stätte feiner Geburt wird der Berg Ida auf der Inſel Kreta 
angegeben, wo er, von der Amalthea (j. d.) genährt, heranwuchs 
und fi bald jo fräftig entwidelte, daß er den Kampf mit 
feinem Bater wagen konnte. Im Bunde mit feinen Brüdern, 
welche die Gyclopen entfeijelten, von denen er den Blig gefchentt 
erbielt (daher: Ged. Semele 1 — D. Götter Griechenlands „ber 
Donnerer“) entthronte er den Kronod und befiegte die zu 
defien Unterftügung berbeigeeilten Titanen, weshalb er (Geb. 
D. Triumph d. Kiebe — Semele 1) mit dem Namen „Riefens« 
tödter”“ bezeichnet wird. Hierauf nahm er feinen Sig auf dem 
Dlymp, eridhien fortan ald „Himmelskönig“ (Geb. 2. B. d. 
Aen. 105) und wendete fi nummehr dem Deenjchengejchlechte 
zu, um baffelbe zu bejfern, indem er die Gutherzigen belohnte 
und die Hochmüthigen (vergl. Kapaneud u. Salmoneus) be- 
ftrafte. — Des Zeus erfte Gemahlin war Metis (die Klug: 
beit), die er indeffen verfchlang, ald man ihm verfündete, das 
von ihr geborene Kind werde ihn dereinjt aus dem Himmel ver: 
treiben. Sn Folge deſſen entiprang feinem Haupte die Göttin 





Zeus. 599 


Pallas (f. d.), die deshalb (Ged. D. Künſtler) „Jovis Tochter“ 
genannt wird. Als feine zweite Gemahlin wird Themis (die 
Gerechtigkeit) genannt; bie dritte aber war feine Zwillingö- 
ſchwefter Here; daher (ed. Semele I) deren Worte: 

„Bin ich nicht Fürſtin ber Götter! 

Nicht Schweſter des Donnerers, 

Nicht die Battin bed herrſchenden Zeus }" 
Aud diefer Ehe ſtammen Ared, Hephäftos und Hebe. Außer: 
dem aber war er auch jeiner Schweiter Ceres (Ged. D. Eleu- 
ſiſche Feft), welche ihm die Verfephone gebar, jo wie vielen an- 
‚deren Göttinnen und fterbliden Weibern in Liebe zugethan. 
Kinder aud diefen Verbindungen waren: Apollo und Diana, 
Mercur, Venus, Bachud, die Muſen, die Grazien, Minod, Per: 
ſeus, Kaftor u. Pollur, die jchöne Helena, Amphion u. Zethuß, 
Hercules und viele Andere. Aus Diefem Grunde wird auch He- 
cuba (Sph. III. Zw. Handl.) „Die Tochter Jovis“ genannt, und 
ebendedhalb jagt Phädra ald Tochter. des Minos und Entelin 
bed Zeus (Ph. III, 3) von ihren Kindern: 

„Die Abkunft von dem Zeus erhebt ihr Herz.“ 


Als oberfte Diener des Zeus find Mercur, Ganymedes und Hebe 
(j. d.) zu nennen. 


Seiner eigentlihen Bedeutung nach erfcheint Zeus ald der 
lebendige Naturgeift, wie er fich in den Bewegungen am Himmel, 
in Gewittern und Wollen offenbart. Daher find die Donner: 
teile (Ged. Semele 1 u. 2) oder Keile (Geb. Semele 2) jein 
vornehmfted Attribut, denn (Ged. D. Eleufiiche Feft): 

„Donnernd aus den Blauen Höfen 
Wirft er ben gegadten Blip." 
Eben jo bewegt er die Aegis (f. d.), die Gewitter wolte, baber 
(Ged. D. Siegeöfeft): 
„Und den Zeus, den Schredenjenber , 
Der die Aegis graufend ſchwingt.“ 
Durch Blitz und Donner gab er den Sterblichen feinen Willen 


600 Zeuß 


fund. Ein erfreulichered Attribut aber war der Adler, (R. 1,2) 
„Jupiters koͤniglicher Vogel” genannt, dem (Ged. D. Glüch: 
„Ben er geneigt, dem fendet der Tater der Menfchen unb Götter 
Seinen Adler berab, tragt ihn zu hinmliſchen Höhn.“ 
Daher jendet er ihn auch feiner Schwefter, von deren Altar es 
(Ged. D. Eleuſiſche Feft) Heißt: 
„Und darüber ſchwebt in hoben 
Kreijen fein geſchwinder Mar.” 
Su Arkadien, wie an vielen anderen Orten wurde Zeus bejon 
derd auf Bergen verehrt, deren Gipfel bis in die Wolfen ragten. 
Alle diefe Höhen umftrablte der Volksanſchauumg gemäß himm⸗ 
liſche Herrlichkeit, in welcher fih die Geheimnifie der Götter 
verbargen, und jo wurde denn biöweilen der ganze Himmel als 
Zend bezeichnet, wie (ed. Klage d. Cered): 
„Aus der Ströme blauem Spiegel 
Lacht der unbewölkte Zeus.“ 
Der Haupttempel des Zeus befand fidh zu Olympia (f. b.), wes⸗ 
halb derjelbe auch (Ged. 4. B. d. Aen. 90) den Beinamen Olym⸗ 
pius“ führt. Hier befand fih das berühmte Meiſterwerk des 
Phidias, die aud Gold und Elfenbein gearbeitete Bildfäule des 
Zeus, dad Antlig gegen Morgen gewendet, auf der einen Hand 
einen Adler, in der andern den Blitz haltend, mit vorwärts ge 
neigtem Haupte. Da fchon von dem Neigen ſeines Hauptes der 
ganze Olymp erbebte, fo muß auch (Ged. D. Künftler): 
„Das Staunen feiner Zeit, das ftolzge Jovisbild 
Im Tempel zu Olympia fich neigen.” 
Einer anderen Ueberlieferung zufolge trug die Statue in ber 
linken Hand den Scepter mit einem Adler auf der Spige, auf 
ber rechten dagegen die Siegesgöttin, welche ihn befränzt, daher 
(Br.v. M.5, 431): 
„An der Schmelle empfangen 
Bird dich die geldne Bictorta, 
Die geflügelte Söttin, 
Die auf ber Hand ſchwebt bed ewigen Vaters, 
Erig die Ehmingen zum Siege geipamt.“ 


‚Zend zu Herculed. — Ziska. 601 


Sinnbildlih ‘heißt e8 mit Rückſicht auf ihren Glanz und ihre . 
Erhabenheit (Iph. V, 6) von der Sonne: 

„D Badel Jovis! Schöner Strahl ded Tages! 

Beliebte Sonne fahre wohl!” 
Ferner tft im Hinblid auf des mächtigen Gotted Kraft (R. II, 3) 
von „Supiterd Keule” die Rede, und (Picc. II, 6) nennt 
Wallenftein die Menfchen, denen in der Geburtöftunde der 
Planet Supiter emporftieg, „hellgeborene, beitere Jovisſskinder“, 
für welche durch Jupiters Einfluß das in dem Schooß der Erbe, 
wie in dem Herzen bed Menfchen geheimnißvoll vorbereitete Böfe 
(vergl. Wit. T. I, 1, 8. 25—32) zu einem glüdlihen Ende ge- 
führt wird. Der „ſtygiſche Zeus“ (Geb. Nenie) ift Pluto 
(vergl. Aĩdes u. Styx). 


Zeus zu Hercules (Geb.), ein Epigramm aus d. 3. 1795. 
Herkules erfcheint hier ald der Nepräjentant ächter Mannes⸗ 
würde. Die geiftigen Güter, deren tüchtige Männer ſich zu 
rühmen haben, find nicht ald ein Geſchenk zu betrachten, das 
wie mit einem Zauberfchlage gewährt wird, jondern fie find die 
Frucht eifriger Benugung der von der Natur verliehenen Kräfte. 

Ziffern, ſ. Chiffern. 

Zigeuner (K. d. H.) ein Nomadenvolf aſiatiſchen (vermuth- 
li indifchen) Urſprungs, das fich fogleih durch feine dunkele 
Färbung verräth,. Die meiften verfelben ziehen in Spanien um: 
ber; in Frankreich, wo fie ſich nur vereinzelt finden, nennt man 
fie Bohemiens (d. b. Böhmen); daher (3.0. O. Prol. 3): „ein 
braun Bohemerweib“. 

Zion, eig. der höchfte, fübmeftl. von Serufalem gelegene 
Hügel, auf welchem die Burg Davids lag; in weiterer Bedeu: 
tung (R. V, 2) |. v. w. Paläftinaz vergl. Hermon. 

Zirkel, |. Cirkel. 


Ziska, f. Prokop. 


602 Znaim — Zürid. 


Znaim (Picc. I, 2) od. Zndym (Wſt. T. III, 10), Stadt in 
Mähren, an der zur March fließenden Taya. 

Zodiak, ſ. Thierkreis. 

Zofe, von dem veralteten zofen, d. i. ziehen; eig. die 
Schleppe des Kleides; dann die Magd, welche die Schleppe 
trägt; jetzt (Ged. Die berühmte Frau) die Kammerjungfer. 

Zone, von dem lat. zona, der Gürtel, bef. der Erdgürtel 
od. (Sp. u. d. L.) Erdftrih; bildl. f. v. w. Gebiet, wie (F. IV, 14): 
„Zone ded Throns“. 


Zudt, adelige (Geb. D. Kampf m. d. Drachen). Die Ara- 
ber forgen bei der Zucht ihrer Pferde pünktlich dafür, dag mır 
edled Blut mit einander gemifcht wird und halten deshalb Stamm: 
bäume, die bereit? auf 2000 Jahre zurüdgehen. 


Zunft, gew. Innung, die vereinigten Handwerker einer Art, 
wie (R. 1, 2) „alle Zünfte“ u. (W. T. IV, 2): 
„Die rege Zurich waffnet ihre Zünfte”; 
dann im Sinne ded römiſchen Tribus: Bürgerfchaftsabtheilung, 
Volksklaſſe, wie (Ph. II, 6): 
‚Man bat das Bolt nah Zunften ſtimmen laffen.“ 
oder gleichnigweife und verächtlich, (wie D. C. II, 2): 
„Der Mönche fünderbleihe Zunft.“ 

Zunge,, ald Drgan der Sprache, bild. ftatt Diefer; daher 
(Mlth.): „die Hilft die ganze Zunge”, d. h. alle, die diefelbe 
Sprache (Provengaliih) reden, alfo f. v. w. deine Landsleute. 
Desgl. (M. St. II, 2): 

„Shr wart fonft imıner jo geſchwinder Zunge“ 
d. h. fo redfelig und vorlaut; und (M. St. I, 7): „Schamlofe 
Zungendrefcher“, b. h. verleumbderifche Schwäper, Verbeut: 
ſchung des neulat. Rabulift d. i. ränkevoller Rechtöverdreber. 


Zürich im Canton gl. N., eine gewerbreihe Stabt am 
Austritt der Limmat aud dem Züricherfee, war ehemals freie 


Zuſammenklang — Zwinger. 603 
R/ Hoſtadt und ſchloß ſich erft 1351 dem Bunde der Eidge— 


noſſen an, worauf fie fich theils durch Eroberung, theild durch 


Kauf dad gegenwärtig zu dem Ganton gehörige Gebiet erwarb. 
Aber auch fchon vorher hatten ihre mächtigen Wälle manche 
Belagerung rühmlich ausgehalten; daher (W. X. IV, 2): 

„Die rege Zürich waffnet ihre Zünfte 

Zum Priegerifchen Heer, ed bricht die Macht 

Der Könige fih an ihren emgen Wällen.“ 
Unter den Sehenswürdigkeiten der Stadt iſt am rechten Ufer 
der Limmat dad Großmünfter und diefem gegenüber das Marie- 
oder Frauenmünſter, ein ftattlicher, gotbiiher Bau aus dem 
13. Sahrhundert zu bemerken, auf welches fich die Stelle (W. T. 
I, 1) bezieht: 

„Der großen Gran zu Zürch bin ich vereibet.* 

Zufammentlang, |. Harmonie. 

Zufammenkunft, Berdeutihung des Fremdwortes Con⸗ 
junctur, d. i. Verknüpfung od. (Bft. T. IV, 8) Zuſammentreffen 
von Zeitumſtaͤnden. 

Zweideutelei (D. ©. IV, 3), ſ. v. w. trügerifches Spiel; 
vergl. Sophisma. 

Zweifelmuth (M. St. I, 8), ſ. v. w. Unſchlüſſigkeit. 

zweifchneidige Klingen, Schwerter, deren Klinge nad 
beiden Seiten ſcharf gefchliffen tft; bildl. (D. C. II, 10) für Men- 
fchen, deren Reben man nicht trauen Tann. 

Zwillinge des Himmels 

Zwillingspaar 

Zwinger, von zwingen, gew. bie Ringmauer eined Schloß- 
hofes; daher (Ged. D. Handſchuh), die den Kampfplag um- 
Ihliegende Mauer; dann auch Kerker, wie das fchweizeriiche 
Zwing (W. T. 1,3) od. Twinghof (W. T. J, 4, St. 3) Zwing 
Urt genannt. 


| ſ. Dioscuren. 





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A. W. Schade's Buchdruckerei (8. Schade) in Berlin, Stallſchreiberſtr. 47. 





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